Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/1/1996

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ({0}) ({1}) - Drucksache 13/3697 - ({2}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({3}) - Drucksache 13/3907 Berichterstattung: Abgeordnete Ulrike Mascher Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Manfred Grund das Wort.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf verfolgt zwei Ziele: Zum einen soll das Verfahren der Rentenanpassung in den neuen Bundesländern zum 1. Juli 1996 umgestellt werden; zum anderen wird im Gesetzentwurf die abstrakte Betrachtungsweise bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für zwar leistungsgeminderte, aber noch vollschichtig einsatzfähige Versicherte festgeschrieben. Mit dem ersten Schwerpunkt des Gesetzes, der Umstellung des Verfahrens der Rentenanpassung in den neuen Bundesländern, sind wir heute morgen mitten in der aktuellen Rentendiskussion, obwohl es nicht um die Umstellung der Renten, sondern lediglich um die Umstellung des Rentenanpassungsverfahrens geht. Aber auch dieses eigentlich unspektakuläre Thema wurde benutzt, um Angst, insbesondere in den neuen Bundesländern, zu schüren, mit dem Ergebnis, daß das Vertrauen der Rentenversicherten nachhaltig erschüttert wurde. Eine Studie unter ostdeutschen Bürgern bestätigt die schlimmen Auswirkungen der aktuellen Rentenverunsicherungsdiskussion. Danach fühlen sich 90 Prozent der älteren Ostdeutschen durch die Rentendiskussion verunsichert. Viele rechnen damit, daß sie die Angleichung ihrer Renten an das Westniveau nicht mehr erreichen werden. Jeder zweite ist der Meinung, daß seine Rente nicht seiner Lebensarbeit entspricht. Meine Damen und Herren, wer solche Meinungen und Eindrücke durch bewußte Desinformation und Stimmungsmache aus politischem und wahltaktischem Kalkül heraus fördert oder hervorruft, betätigt sich als Brandstifter an unseren sozialen Systemen und damit am Gesellschaftssystem. Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetzentwurf von Rentenlüge oder gar parlamentarischer Sauerei zu sprechen, ist in höchstem Maße unredlich, und es ist Politik auf dem Rücken unserer Rentner; denn die Wahrheit ist: Nach insgesamt zwölf Rentenanpassungen seit dem 1. Juli 1990 mit teilweise zweistelligen Rentensteigerungsraten sind die Rentenauszahlungen von 16,7 Milliarden Mark der Deutschen Demokratischen Republik 1989 um 437 Prozent auf 73 Milliarden DM 1996 gestiegen, wobei 16 Milliarden DM als Finanztransfer, als Ausgleich, von West nach Ost fließen. ({0}) Die ausgezahlte Nettorente in den neuen Bundesländern beträgt bei den Männern 97 Prozent der verfügbaren Versichertenrenten im Westen, bei den Frauen sind es sogar 135 Prozent. Das heißt, daß im Moment in den neuen Bundesländern im Durchschnitt 105 Prozent der Durchschnittsrente West ausgezahlt werden. In welchem anderen Bereich wurde so schnell eine tatsächliche Angleichung zwischen West und Ost erreicht? ({1}) Wer angesichts dieser erfreulichen Entwicklung von Rentenlüge, sogar von Rentenkürzungen und Ungerechtigkeit spricht, dem geht es nicht um konstruktive Mitarbeit zum Wohle der Menschen, sondern um eine bewußte Verschlechterung des politischen Klimas in diesem Lande. ({2}) Richtig ist, daß die Eckrente Ost das Niveau der Eckrente West noch nicht erreicht hat. Richtig ist aber auch, daß die Renten in den neuen Bundesländern bis zur Angleichung der Eckrenten an das Westniveau weiter dynamisch steigen werden, auch nach der Umstellung des Rentenanpassungsverfahrens. Dabei ist der Begriff Eckrente eine statistische Größe der Rentenversicherung. Wichtig und entscheidend für die Rentner ist jedoch, was sie am Zahltag zur Verfügung haben. Wenn bereits heute die verfügbare Versichertenrente Ost höher als die in den alten Bundesländern ausfällt, so hat das nichts mit Berechnungsfehlern und nichts mit Geschenken zu tun, sondern ist Ausdruck einer anderen Erwerbsbiographie. Das ist der Lohn dafür, daß die Menschen im Osten länger im Erwerbsprozeß bleiben mußten und daß insbesondere die Frauen intensiver und oftmals härter in der Produktion eingesetzt wurden. So waren ostdeutsche Frauen im Durchschnitt 39 Jahre berufstätig. Weil unser Rentensystem gerecht und zudem Ausdruck eines selbst erarbeiteten Anspruches ist, aber auch weil die Einkommensentwicklung in den neuen Bundesländern weiterhin dynamisch verlaufen wird, werden die Renten weiter dynamisch steigen. Ich weise darauf hin, daß in den letzten Wochen Tarifverträge abgeschlossen worden sind, die bereits für die nächsten ein bis zwei Jahre 100 Prozent des Tariflohnes West festschreiben, was sich sehr positiv auf die Rentenentwicklung im Osten auswirken wird. Das ist fürwahr ein gutes Ergebnis. Das haben bei der Anhörung im Sozialausschuß die Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes, des VdK und des Reichsbundes zum Ausdruck gebracht. Daß es nun an der Zeit und angebracht ist, das bisherige Rentenanpassungsverfahren Ost umzustellen, hat Gründe, die sich unter anderem aus dem Jahressteuergesetz 1996 erklären. Zum ersten ist mit der Regelung des Jahressteuergesetzes 1996 das voraussichtliche Nettoentgelt nicht mehr hinreichend genau vorauszuschätzen. Zum zweiten gewährleistet nur das Ex-post-Verfahren hinsichtlich der Wirkungen des im Januar 1996 eingeführten Familienleistungsausgleiches eine Gleichbehandlung in Ost und West. Wie sich die Löhne und Gehälter im Osten entwikkelt haben, wird durch das Statistische Bundesamt bis Ende März ermittelt werden, so daß es zum 1. Juli dieses Jahres eine nochmalige, also zweite, Rentenerhöhung in den neuen Bundesländern geben wird. Dabei wird die Rentenerhöhung vom 1. Januar 1996 um 4,38 Prozent dynamisch weiterwirken. Zukünftig werden wir also ein einheitliches Rentenberechnungsverfahren in Deutschland haben und damit ein Stück mehr Normalität. Bis zur Angleichung des Lohn- und Gehaltniveaus wird die Rentenentwicklung West aber auf der Nettoentgeltentwicklung West basieren, wogegen in den neuen Bundesländern die dortige Lohn- und Gehaltsentwicklung die Höhe der Rentenanpassung vorgeben wird. Bei der Anhörung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zu diesem Thema wurde deutlich, daß es bei sich ändernder Entgeltentwicklung für die Rentner in den neuen Bundesländern vorteilhaft sein kann, das Rentenberechnungsverfahren zum gegenwärtigen Zeitpunkt umzustellen. Deshalb wurde durch einen Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes bei dieser Anhörung die Umstellung des Berechnungsverfahrens zum 1. Juli 1996 auch unter Würdigung des gegenläufigen Abschmelzens der Auffüllbeträge als - wörtlich - sinnvoll und sozialpolitisch vertretbar bezeichnet. Lassen Sie mich zum zweiten Schwerpunkt dieses SGB VI-Änderungsgesetzes etwas sagen, und zwar zu der Änderung im Bereich der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Unabhängig von der grundsätzlich erforderlichen Neuordnung der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit soll zum jetzigen Zeitpunkt eine Gesetzesänderung erfolgen, die einer Ausweitung der sogenannten konkreten Betrachtungsweise auf leistungsgeminderte, aber noch vollschichtig einsatzfähige Versicherte entgegenwirkt. Die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die jeweilige Arbeitsmarktlage für die Beurteilung der Erwerbsminderung zu berücksichtigen ist, wird für die künftige Rechtslage von entscheidender Bedeutung sein und bedarf deshalb der gesetzlichen Regelung. Die CDU/CSU-Fraktion geht davon aus, daß es mit den im Gesetz gefundenen Formulierungen zu keiner Verschlechterung der Rechtslage kommt, auch nicht in den sogenannten Seltenheitsfällen. Dies wurde bei der Anhörung deutlich und im wesentlichen auch von den Sachverständigen so gesehen. Deutlich wurde aber auch etwas anderes: Es wird bei einer grundlegenden Neuregelung der Renten wegen Erwerbs- und Berufsunfähigkeit darauf ankommen, das gemischte Risiko der Erwerbs- und Berufsunfähigkeit besser zu regeln.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ihre Redezeit!

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich komme zum Ende. Es wird die Frage zu beantworten sein, ob ein leistungseingeschränkter Versicherter aus dem Arbeitsprozeß herausgedrängt werden muß und dann sozial abzusichern ist oder ob nicht ein seinem Restarbeitsvermögen angemessener Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden kann. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung; denn hier stellt sich die Frage nach SchonarManfred Grund beitsplätzen, nach Teilzeitarbeitsplätzen und auch nach Behindertenarbeitsplätzen. Deshalb war diese Frage auch ein Thema der Kanzlerrunde mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Wir haben heute über das SGB VI-Änderungsgesetz abschließend zu beraten. Die Fraktion der CDU/ CSU wird dem Gesetz ihre Zustimmung geben. Ich danke Ihnen. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Wir haben unsere Debattenlängen sehr knapp berechnet. Deshalb sind auch die einzelnen Fraktionsanteile sehr klein. Die Regel ist - ich versuche es zunächst so diskret und leise wie möglich zu machen -, daß, wenn der Präsident sagt, die Redezeit ist abgelaufen, dann nur noch ein Satz folgen darf. Bitte lesen Sie dann nicht mehr eine ganze Seite zu Ende. Ich muß darauf immer wieder hinweisen. Es tut mir leid, aber bei der knappen Zeit ist es nicht anders möglich. Ich gebe der Kollegin Ulrike Mascher das Wort.

Ulrike Mascher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001432, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Am Freitag der letzten Sitzungswoche, am 9. Februar, wurde dieser Gesetzentwurf zur Änderung des Verfahrens bei der Rentenanpassung in den neuen Bundesländern und zur Änderung des Rechts der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente im Bundestag eingebracht. In der laufenden Sitzungswoche ging es dann im Zeitraffer weiter: Montag Anhörung; Dienstag abend Vorlage des Protokolls der Anhörung - ich bedanke mich dafür ausdrücklich bei den Kollegen und Kolleginnen des Stenographischen Dienstes -; ({0}) Mittwoch vormittag Einführung, Beratung und Abschluß im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Heute, am Freitag, findet bereits die dritte Lesung statt, und das mit einer sehr knappen Debattenzeit. ({1}) Nun handelt es sich bei den Fragen, die in diesem Gesetz geregelt werden, nicht um Dinge, die der guten Ordnung halber in einem zügigen Ablauf geschäftsmäßig erledigt werden können, sondern bei den Themen - das Rentenanpassungsverfahren in den neuen Bundesländern und der Vorgriff auf eine künftige Reform der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente - geht es um Regelungen, die für die Betroffenen ganz erhebliche und existentielle Auswirkungen haben können. Warum also dieser Schweinsgalopp - um es einmal salopp auszudrücken -, der jede sorgfältige Beratung unmöglich macht? ({2}) Das atemberaubende Tempo ist auch deshalb so ärgerlich, weil beide Vorhaben seit Herbst im Arbeitsministerium in Vorbereitung waren und eigentlich - wenn ich die Absichten des Ministeriums richtig verstanden habe - bereits zum 1. Januar dieses Jahres realisiert werden sollten. Es ist also keine überraschende Situation, auf die rasch reagiert werden muß. Warum also diese nervöse Hast? Sollen die Abgeordneten nicht sorgfältig beraten können, was beschlossen werden soll? Sollen die Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland nicht so genau merken, was gespielt wird? Ist es der Regierungsfraktion und dem Arbeitsminister egal, ob die Bereitschaft der SPD, wie bisher im Rentenrecht auch ganz schwierige Entscheidungen mitzutragen, durch dieses hastige Verfahren verspielt wird? Wie wollen Sie, Herr Arbeitsminister, und Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU aus den neuen Bundesländern, dieses Ergebnis gegenüber den Rentnerinnen und Rentnern, die das schöne Versprechen von der raschen Angleichung, von der raschen Aufholjagd der Renten noch in den Ohren haben, glaubwürdig vertreten? Das Jonglieren mit Ex-ante- und Ex-post-Anpassung, mit aktuellem Rentenwert West und Ost, mit der Eckrente und der Durchschnittsrente, mit den Berechnungsproblemen des Statistischen Bundesamtes, wie es von den Experten in der Anhörung vorgeführt wurde, macht den Vorgang der Änderung bei der Rentenanpassung für den interessierten und betroffenen Bürger nicht transparent. Ist es wirklich nur eine rein verfahrenstechnische Veränderung, eine Vereinfachung und größere Zuverlässigkeit bei der Berechnung der Rentenanpassung? Wird die Anpassung der Rentenwerte in den neuen Bundesländern wirklich fortgesetzt? Ist es nur eine kleine Delle, wie Herr Professor Ruland in der Anhörung ausführte, die im nächsten Jahr durch den höheren Anpassungssatz wettgemacht wird? Ich habe mich redlich bemüht, meinen Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion und interessierten Bürgern und Bürgerinnen am Telefon das Rentenchinesisch zu übersetzen. Aber letztlich konnte ich keine konkreten Schätzungen über die künftige Rentenentwicklung vorlegen, weil sowohl die Rentenexperten der Bundesversicherungsanstalt und des VDR als auch die Vertreter der Gewerkschaften und der Arbeitgeber auf die entsprechenden Fragen nur antworten konnten: Die neuesten Zahlen gibt es erst im März, manchmal auch erst später. Aber für die Zukunft kommt es darauf an, wie sich die Gehälter in Ostdeutschland entwickeln. Das kann sich natürlich abflachen; aber sicher wird es Steigerungen geben, vielleicht nicht so hoch wie in der Vergangenheit. - Sie alle wissen jetzt sicher ganz genau, wie sich die Renten in Ostdeutschland entwickeln werden. ({3}) Aber eines hatten alle Kollegen und Kolleginnen und viele Bürger und Bürgerinnen gelesen oder gehört: In einem Entwurf des Arbeitsministers vom 26. Januar zur Änderung des Anpassungsverfahrens standen 700 Millionen DM Einsparungen für 1996. Das Mißtrauen, daß die schöne Vereinheitlichung der Rentenanpassung in Ost und West vielleicht doch nur ein schnödes Sparmanöver ist, bleibt, auch wenn diese Zahl nicht mehr im jetzt vorliegenden Gesetzentwurf steht. Damit ich mir jetzt nicht den Vorwurf einhandle, alles falsch verstanden zu haben und hier eine Diffamierungskampagne in Gang setzen zu wollen, was mir wirklich fern liegt, zitiere ich mit Erlaubnis des Präsidenten eine Antwort von Professor Ruland auf meine Frage nach der möglichen Entwicklung der Rentenausgaben: Entscheidend für die Frage der Anpassung in den neuen Bundesländern ist die Relation der Nettoquoten in West und Ost. - Soweit verständlich. Wenn wir einmal davon ausgehen, daß die Nettoquote im Westen bei 65,2 und im Osten bei 69,9 Prozent liegt, dann gibt es Einsparungen von 0,4 Milliarden DM im Vergleich zur Grundrechnung, die wir auf der Basis der Ex-post-Anpassung vorgenommen haben. Variiert man diese Werte, indem man etwa im Westen eine Nettoquote von 64,2 und im Osten eine von 69,9 annimmt, ergeben sich praktisch Werte von einer Milliarde DM. Nimmt man im Westen 64,2 und im Osten 70,9, ergeben sich 1,5 Milliarden DM. Wenn man die Zahlen variiert, kommen immer wieder andere Werte heraus. - Klar? Wenn wir Ihnen eine konkrete Antwort geben sollen, müßten wir wissen, was die Bundesregierung in einem Monat schätzen wird, und das wissen wir im Moment nicht. Deshalb kann man nur sagen: Wenn das und das eintritt, wird die und die finanzielle Konsequenz eintreten. Aber welche der vielen Konsequenzen das tatsächlich haben wird - das hängt ja von mehreren Parametern ab -, wissen wir nicht; es tut uns leid. ({4}) Auf dieser Grundlage Entscheidungen zu treffen und diese Entscheidungen den Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln - das sehe ich als meine, das sehe ich als unsere Aufgabe an - ist ziemlich schwierig, vor allem, wenn man als Mitglied der Opposition das natürliche Urvertrauen der Regierungsfraktionen in die Weisheit der Entscheidungen der Regierung nicht so ganz haben kann. ({5}) Nun braucht sich die Opposition nicht den Kopf zu zerbrechen, wenn die Regierung ihr Vertrauenskapital zum Beispiel bei den Rentnerinnen und Rentnern in Ostdeutschland immer mehr auszehrt. Aber wenn es um das Vertrauen in die Rentenversicherung geht, halte ich als Sozialdemokratin wenig von Strategien à la Sonthofen. Deswegen waren wir hier wie bei anderen Entscheidungen zur Rentengesetzgebung bereit, durch eine breite Zustimmung das Vertrauen in die Rentenversicherung zu stärken, auch wenn meine ostdeutschen Kollegen und Kolleginnen den jetzigen Zeitpunkt für die Vereinheitlichung des Verfahrens für grundfalsch gehalten haben. Beim Versuch, kritische Einwände aus der Anhörung bei der Festschreibung des Status quo bei der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente umzusetzen, sind wir endgültig gescheitert. Es gab keine Formulierung, die für uns zuverlässig ausgeschlossen hat, daß wirklich nur der Status quo festgeschrieben wird, ohne daß eine Verschlechterung gegenüber dem geltenden Recht eintritt und eine falsche Weichenstellung für die große Reform der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten erfolgt. Ich kann nicht entscheiden, ob nur der Zeitdruck verhindert hat, daß gemeinsam eine befriedigende Formulierung gefunden werden konnte, oder ob die Regierungskoalition jetzt auch die Rentenpolitik nach der Methode „Augen zu und durch" exekutieren will. Die Abgeordneten der Regierungskoalition bitte ich zu prüfen, ob wir alle als gewählte Abgeordnete wirklich nur noch Teilnehmer einer Gesetzgebungsmaschine sein wollen: Freitags wird der Gesetzentwurf in die Maschine eingespeist, und nach einer knappen Sitzungswoche ist das Gesetz schon fertig. Glauben Sie denn, daß dadurch gerade in den neuen Bundesländern das Vertrauen in unsere parlamentarische Arbeit gestärkt wird? Glauben Sie, daß gerade bei schwierigen Entscheidungen die Akzeptanz auch von schmerzhaften Einschnitten befördert wird? Da wir in den nächsten Wochen vor weiteren solcher schwierigen Entscheidungen in der Sozialpolitik stehen, fordere ich Sie alle auf, uns wenigstens noch die Chance einer sachgerechten und verantwortungsvollen Entscheidung zu lassen. Danke. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Andrea Fischer, Sie haben das Wort.

Andrea Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002652, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich dem, was die Kollegin Mascher gerade gesagt hat, vorbehaltlos anschließen. Auch ich habe mich darüber geärgert - nein, ich finde es sogar wirklich empörend, daß wir keine Gelegenheit hatten, diesen Gesetzentwurf in der Form zu beraten, die angemessen gewesen wäre. Das ist für uns der wesentliche Grund, ihm nicht zuzustimmen. Beide Vorhaben, die der Gesetzentwurf enthält sind nicht im Grundsatz abzulehnen. Zum einen soll das Verfahren der Rentenanpassung in Ost- und Westdeutschland angeglichen werden. Das ist im Prinzip sinnvoll und auch notwendig, und je länger die Einheit voranschreitet, desto mehr steht das auf der Tagesordnung. Außerdem haben Sie natürlich auch recht, daß es sinnvoller ist, die Anpassungen auf der Grundlage Andrea Fischer ({0}) von festgestellten Zahlen anstatt von geschätzten Zahlen durchzuführen. Wir als Abgeordnete - das hat die Kollegin Mascher gerade ausführlich dargelegt - können einem solchen Verfahren nur zustimmen, wenn wir Klarheit über die Konsequenzen haben, und da ist die Frage des Zeitpunktes wirklich entscheidend. Wir haben in diesem Jahr das Problem, daß mit dem Abschmelzen der Auffüllbeträge begonnen wird, und in diesem Zusammenhang ist die Frage, in welchem Ausmaß die Renten in Ostdeutschland erhöht werden, von Bedeutung dafür, wie viele Personen überhaupt noch eine Rentenerhöhung bekommen werden. Solange wir das nicht abschätzen können, können wir uns auch nicht an einem prinzipiell sinnvollen Vorhaben beteiligen. Auch der zweite Punkt, um den es in diesem Gesetzentwurf geht, ist grundsätzlich sinnvoll. Dabei geht es nämlich darum, das Risiko der Rente wegen Arbeitslosigkeit vom Risiko der Rente wegen Alters deutlich voneinander abzugrenzen und sie dem jeweils zuständigen System zuzuordnen. Aber in der Anhörung war auch offen, was die Konsequenzen dieser klaren Abgrenzung sind. Ich möchte in Erinnerung rufen: Wir reden hier über ältere Erwerbstätige, die auf Grund einer Erwerbsminderung nur noch eingeschränkt einsatzfähig sind und ein extrem großes Problem auf dem Arbeitsmarkt haben. Es gibt immer weniger Arbeitsplätze für diese eingeschränkt erwerbsfähigen Personen. Wenn wir die Möglichkeit der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten verschließen, ergibt sich als Konsequenz, daß diese Menschen auf die Arbeitslosenversicherung verwiesen sind. Das Zusammentreffen des Vorhabens, die Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten zu verschließen, mit den vorgesehenen Veränderungen bei der Arbeitslosenversicherung erweckt auch bei uns den Verdacht, daß es hier um ein Kürzungsmanöver auf dem Rücken der Betroffenen geht, denn in der Arbeitslosenversicherung sind gleichzeitig Kürzungen geplant, und zwar sowohl, was das Niveau der Arbeitslosenversicherung anbelangt, als insbesondere auch die Dauer des Bezugs des Arbeitslosengeldes. Es war bislang möglich, daß ältere Arbeitslose das Arbeitslosengeld für längere Zeit als üblich bekommen. Es steht gerade zur Diskussion, diese Verlängerungsmöglichkeit für ältere Arbeitslose zu beschneiden. Beide Effekte zusammen sind hochproblematisch. Außerdem hat die Kollegin Mascher darauf hingewiesen, daß in der Anhörung nicht zu klären war, ob damit nur der Status quo gesichert wird oder ob das nicht weiterreichende Konsequenzen hat. Bei der Geschwindigkeit dieses Verfahrens - die Kollegin Mascher hat ja außerordentlich eindringlich dargestellt, über welchen Parcours wir gejagt worden sind - war es uns nicht mehr möglich, die Konsequenzen unseres Handelns abzuschätzen. Aus diesem Grund erhalten Sie auch aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen ein deutliches Nein zu Ihrem Vorschlag. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Uwe-Bernd Lühr.

Uwe Bernd Lühr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001392, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Spätestens nach der Anhörung am Montag dieser Woche sollten die anfangs noch gehegten Vorbehalte gegen die Umstellung des Rentenanpassungsverfahrens abgelegt werden können. Was die Rentenanpassung Ost angeht, ist klargeworden, daß es in den neuen Bundesländern in diesem Jahr eine Rentensteigerung gibt, die erheblich höher als die Anpassung in den alten Ländern sein wird, und daß auf Grund der Nettolohn-({0})-Bezogenheit der Aufholprozeß auch in Zukunft ungeschmälert weitergeht. Nach Aussage der Fachleute, zum Beispiel Professor Dr. Ruland vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, wird die Anpassung im Jahr 1997 deutlich höher als nach dem alten Verfahren sein. In einer Zeit, meine Damen und Herren, in der viele darüber nachdenken, ob die Rentenhöhe an andere Indizes als an die Entwicklung der Nettolöhne geknüpft werden muß, da es ja immer weniger Beschäftigte gibt, die immer mehr Renteneinkommen finanzieren müssen, sollte es sich eigentlich verbieten, über die jetzt vorzunehmende Anpassung zu lamentieren. Einige Worte zu den vorgeschlagenen Änderungen im Bereich der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit: Bisher ist es weder der Wissenschaft noch der Administration oder der Politik gelungen, den Begriff der versicherungsfremden Leistungen konsensfähig zu definieren. Das führt dazu, daß die Bandbreite der Schätzungen der sogenannten versicherungsfremden Leistungen heute zwischen 25 und 45 Prozent der Gesamtausgaben der Rentenversicherungen liegt. Verständigung sollte allerdings in diesem Hause darüber herzustellen sein, daß es sich bei der hier zur Beratung anstehenden Regelung bezüglich der Erwerbsunfähigkeits- bzw. Berufsunfähigkeitsrenten, die mit Verweis auf den unzugänglichen Arbeitsmarkt gezahlt werden, um eine zwar notwendige Abfederung von Arbeitsmarktrisiken, aber damit auch zumindest teilweise um rentenversicherungsfremde Leistungen handelt. Anstatt die Instrumentarien der Arbeitsverwaltung im Interesse der Betroffenen intensiv einzusetzen, wird hier die Arbeitslosigkeit aus den bekannten Gründen vor der Rentenkasse „geparkt" . Ich bin mir dabei bewußt, wie schwierig der Arbeitsmarkt für eingeschränkt Arbeitsfähige ist. Aber schnelle Resignation ist schon im Interesse der Betroffenen nicht zu akzeptieren. Auch die in der Anhörung abgegebenen einschlägigen Stellungnahmen haben recht deutlich gemacht, daß der vorliegende Gesetzentwurf ein notwendiger kleiner Schritt ist, um den derzeitigen Status quo festzuschreiben und uns dennoch alle Möglichkeiten offenzuhalten, um möglichst zügig zu einer umfassenden Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gelangen. Die Anhörung hat hierzu bemerkenswerte Ansätze gebracht. Vielleicht münden sie in ein Modell ein, das aufzeigt, wie diese Arbeitsmarktrisiken zwischen Bundesanstalt für Arbeit und Rentenversicherung aufzuteilen sind. Wir, die F.D.P.-Fraktion, erwarten die zugesagten Vorschläge der Bundesregierung und werden dann sorgfältig prüfen, welche Vorschläge auch ordnungspolitischen Gesichtspunkten genügen und in die Praxis umzusetzen sind. Die F.D.P.-Fraktion stimmt dem vorliegenden Gesetzentwurf zu. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Petra Bläss, Sie haben das Wort.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne jegliche Datenbasis über die möglichen Auswirkungen soll heute mit diesem Gesetz die Umstellung des Rentenanpassungsverfahrens Ost abgeschlossen werden. Und dann reden Sie, Herr Minister Blüm, davon, wir sollten das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern in die Rentenversicherung stärken helfen. Mir ist das nach einer solchen Vorgehensweise im Gesetzgebungsverfahren nicht möglich. ({0}) Damit die Verunsicherung endlich beendet wird, fordert die PDS eine sofortige Angleichung des Rentenniveaus Ost an das Niveau West. Gründe dafür gibt es genug. ({1}) Nach der nicht erfüllten Voraussage, daß die Aufholjagd bei den Einkommen 1995 abgeschlossen sein wird, gehen Expertinnen und Experten, wie wir am Montag hören konnten, jetzt von einer Rentenangleichung im Jahre 2013 aus. ({2}) - Ich weiß gar nicht, warum Sie das so aufregt. - Sie müssen sich das einmal in praxi vorstellen: Rentnerinnen und Rentner, die zum Tag der Einheit 1990 60 Jahre alt waren, wären dann 83. ({3}) Die damals 70jährigen wären dann 93. Viele werden also ein gleiches Rentenniveau in Ost und West gar nicht mehr erleben können. Eine sofortige Rentenangleichung könnte auch die Bedenken bei denen zerstreuen, die an die noch nicht vollständig angeglichenen Löhne und Gehälter denken. ({4}) Aber es gibt auch mehr und mehr Tarifabschlüsse, die auf 100 Prozent gehen. Warum sollen dann ausgerechnet Ältere mit einem begrenzten Lebensrahmen auf den Durchschnitt warten, zumal es mit dem Durchschnitt sowohl der Renten als auch der Einkommen so eine Crux ist? Viele beruhigen sich und andere damit, das ungleiche Rentenniveau sei hinnehmbar, weil sich in den neuen Bundesländern durch längere Zeiten der Berufstätigkeit sowieso höhere Renten ergeben. Herr Kollege Grund, ich bin der festen Überzeugung, daß die meisten Menschen in den neuen Bundesländern, vor allem die Frauen, diese andere Erwerbsbiographie eben nicht als Zwang verstanden haben. ({5}) Das stimmt zwar, ist aber nur zum Teil die Wahrheit. Der andere Teil der Wahrheit ist, daß durch die Einbeziehung aller in die gesetzliche Rentenversicherung in die Berechnung der Ost-Durchschnittsrenten auch viele Gutverdienende eingehen, die im Westen außen vor bleiben, weil sie in der Beamtenversorgung oder in den berufsständischen Versorgungswerken stecken. Damit verschleiert der Durchschnitt eben die Tausende, die in der DDR, gerade die Frauen, in der Textilindustrie oder im Handel wenig verdienten und heute ihre wenigen Entgeltpunkte mit 37 DM statt mit 46 DM multipliziert bekommen. Es ist sozialpolitisch unhaltbar, dies bis weit jenseits der Jahrhundertwende schleppen zu wollen. Viel zuoft wird vergessen, daß viele Ältere in der alten Bundesrepublik nicht allein auf die Rente angewiesen sind, da ihre Alterseinkommen aus drei Säulen gespeist werden. All das wird vergessen bzw. weggelassen, wenn eine Neiddiskussion „West gegenüber Ost" befürchtet und angestachelt wird. Bezüglich der durchschnittlichen Lohn- und Gehaltsentwicklung Ost möchte ich hervorheben, daß die über eine Million Pendler hier gar nicht berücksichtigt werden. Diese zumeist Gutverdienenden werden nach dem Arbeitsortsprinzip im Westen registriert. Damit tragen sie nicht zur rascheren Entwicklung des Einkommensdurchschnitts Ost bei und speisen zudem noch die Sozialversicherungskassen West. ({6}) Das alles sind Ungereimtheiten, die ein gesondertes Rentengebiet Ost nicht länger rechtfertigen. Nicht nur die Umstellung der Rentenanpassung wird von der PDS aus all diesen Gründen abgelehnt, sondern auch der zweite Regelungsgegenstand dieses Gesetzes. Die Anhörung hat gezeigt, wie umstritten das Unterbinden von sogenannten Arbeitsmarktrenten ist. Unüberhörbar war der Ruf, diesen Fakt im Zusammenhang mit der generellen Neuordnung der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten später zu regeln. Aus all diesen Gründen lehnen wir den Gesetzentwurf ab. Ich erinnere an das von uns eingebrachte Rentenmoratorium. Die PDS lehnt momentan Schnellschüsse in der Gesetzgebung SGB VI ab,

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Bläss!

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

- notwendig aber bleibt die überfällige Korrektur der Rentenüberleitung Ost. Ich danke. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm, das Wort.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht bei dem heute zu verabschiedenden Gesetz um zwei Regelungskomplexe, um die Rentenanpassung Ost und um die Klarstellungen im Bereich der Erwerbs- und Berufsunfähigkeit. Nach dieser halben Stunde will ich einmal festhalten, daß sowohl Frau Mascher wie auch Frau Fischer nicht prinzipiell gegen diese Neuregelungen Einwände erhoben haben, daß sie also die Sinnhaftigkeit nicht in Zweifel gezogen haben, wofür ich ihnen dankbar bin. ({0}) - Richtig, Sie haben die Frage nach dem Zeitpunkt gestellt. Darauf will ich auch zu sprechen kommen. Zunächst einmal: Beide Themen sind nicht vom Himmel gefallen, sondern werden seit langer Zeit diskutiert. Mit der Opposition haben darüber schon im Herbst Gespräche stattgefunden. Frau Mascher, ich würde mir wie Sie wünschen, daß wir für die parlamentarische Beratung noch mehr Zeit hätten. So ist es aber nun einmal: Wir haben viele Probleme zu lösen. Die Probleme suchen wir uns nicht aus. Nun zur Rentenanpassung. Es war von Anfang an klar, daß der derzeitige Mechanismus Rentenanpassung Ost nur vorübergehend eingesetzt ist. Es wurde nie bestritten, daß sich die Rentenanpassung Ost nur vorübergehend nach den geschätzten Löhnen richtet. Nur, wann ist der Zeitpunkt für den Umstieg gegeben, Frau Mascher? Im Zeitpunkt sind wir nicht frei; denn das alte Schema läßt sich nicht mehr durchführen. Schon im Herbst hatten wir große Schwierigkeiten, verläßliche Zahlen zu schätzen. Wollen Sie Rentenunsicherheit durch Schätzungen, die immer umstritten sind? Oder wollen Sie Sicherheit, indem die Renten im Osten an die Lohnentwicklung des Vorjahres gebunden werden? Die Neuregelung ist aus meiner Sicht gegenüber dem bisherigen Verfahren ein Stück Vertrauenssicherung für die Rente. ({1}) In der Wahl des Zeitpunktes sind wir nicht frei, Frau Mascher. Wir können nicht mehr schätzen, erstens, weil die Lohnentwicklung sehr differenziert ist, und zweitens, weil die Steuergesetzgebung in ihrer Wirkung auf die Nettolöhne nicht mehr exakt bestimmbar ist. Deshalb ist der Zeitpunkt vorgegeben. Was die Festschreibung des Rechtes auf Erwerbs- und Berufsunfähigkeit anbelangt: Wir sichern nur das Recht gegen eine Rechtsprechung, die das Arbeitsmarktrisiko in die Rentenversicherung verlagert. Das kann Ihr und unser Interesse nicht sein. Für die Rentner im Osten halte ich fest: Der Aufholprozeß wird nicht gestoppt. Die Renten im Osten bleiben an die Löhne gekoppelt. Da die Löhne noch hinter den Westlöhnen sind, holen auch die Rentner mit dem Steigen der Löhne auf. Der Aufholprozeß wird damit nicht gestoppt. Wie der Kollege Grund schon gesagt hat, ist er beispiellos. Die Eckrente liegt bei 82 Prozent, und die Durchschnittsrente liegt sogar höher. Mit den Worten des Kollegen Grund sage ich: Dies ist kein Geschenk an die Rentner im Osten. Das entspricht unserem Rentensystem. Beitragszeiten und Lohnentwicklung entscheiden über die Löhne. Deshalb ist das ein ganz normales Verfahren. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, noch einmal ein Stück Vertrauenswerbung für unsere Rentenversicherung zu machen. Es gibt, Frau Bläss, nichts Schlimmeres für die Rentner als das alte DDR-Rentensystem, in dem die Rente nach Kassenlage bestimmt wurde, nach der guten Laune der Regierung. Gott sei Dank sind wir darüber hinaus. In Ost und West steigen die Renten wie die Löhne. ({2}) Die Alten sitzen mit den Jungen in einem Boot, und dabei bleibt es auch. Deshalb bitte ich um die Zustimmung für dieses Gesetz. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch, Drucksache 13/3697. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/3907, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Es liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/3919 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der KoalitiVizepräsident Hans Klein onsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von Ihren Plätzen zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. Ich habe die Bitte, daß diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die an der Beratung über den nächsten Tagesordnungspunkt nicht teilnehmen wollen oder können, den Raum möglichst schnell verlassen, damit wir mit den Beratungen fortfahren können. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung ({0}) - Drucksache 13/3698 ({1}) a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({2}) - Drucksache 13/3914 Berichterstattung: Abgeordnete Werner Lensing Franz Thönnes Elisabeth Altmann ({3}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Ludwig Elm b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 13/3915 Berichterstattung: Abgeordnete Karl Diller Steffen Kampeter Kristin Heyne Jürgen Koppelin Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Werner Lensing das Wort.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Heute ist für uns ein Tag der Freude, für ein Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ohnehin, weil es Vergnügen bereitet, diesen unseren Gesetzentwurf bis in die zweite und dritte Lesung zu begleiten. Haben sich doch hier Konsequenz, Nervenstärke, langer Atem und vor allem die Qualität der Argumente durchgesetzt. ({0}) Erst recht ist dies aber ein Tag der Freude für all die Handwerksgesellen, Techniker und zukünftigen mittleren Führungskräfte, die schon immer auf die Koalitionsfraktionen gesetzt und auf die Durchsetzbarkeit des sogenannten Meister-BAföG vertraut haben. ({1}) Sie alle werden nicht enttäuscht. Dies gilt insonderheit für diejenigen, die als Verheiratete, als Eltern oder Alleinerziehende demnächst auf die Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel zurückgreifen können. ({2}) Deswegen ist das AFBG eine sinnvolle Zukunftsinvestition zugunsten unserer Gesellschaft und Wirtschaft. Nur eines muß ich immer wieder sagen, und das scheint mir die SPD überhaupt nicht begriffen zu haben: Wir verabschieden heute ein Bildungsförderungsgesetz und kein Arbeitsförderungsgesetz. Die SPD verwechselt beides. Insofern wird nicht - das darf ich Ihnen noch einmal mit Rücksicht auf den Entschließungsantrag sagen - durch ein AFG, sondern gerade durch das Ausbildungsförderungsgesetz der Rechtsanspruch auf finanzielle Förderung gesichert. Dieser Hinweis mag als Antwort auf den heute von der SPD unverständlicherweise noch eingebrachten Entschließungsantrag ausreichen, zumal ich diesen Antrag ohnehin primär als ein Dokument der Unzufriedenheit der SPD-Fraktion mit Herrn Schröder aus Hannover interpretiere. ({3}) Heute ist ein Tag der Freude, weil die Bundesländer nunmehr ihre verfassungsgemäße Zuständigkeit für den Vollzug dieses Gesetzes akzeptiert haben und dabei zugleich auf die wirksame Unterstützung des Bundes rechnen dürfen. Es freut mich geradezu für die Länder, daß deren Länderhoheit und Souveränität respektiert und ihnen daher die Freiheit der Entscheidung gelassen wird, welche Behörden konkret alle anfallenden Maßnahmen durchführen sollen. ({4}) Freilich sollte dies auch, so denke ich, nicht zuletzt für die Opposition, die Sie ja hier schon so munter dazwischenreden, ein Tag der Freude sein, ({5}) weil es ihr mit der angekündigten Zustimmung gelungen ist, auf einen Zug zu springen, der ansonsten auch ohne sie abgefahren und im Zielbahnhof angekommen wäre. ({6}) Die von Ihnen hierbei entwickelte Schnelligkeit war zwar nicht gerade rasant, der heute erkennbare Weitblick längere Zeit durch eine ideologisch gefärbte Brille durchaus getrübt - ich nenne nur einmal das Stichwort „Bundesanstalt für Arbeit" -, doch der Außendruck der Verbände und der Wunsch, an dem erfolgreichen Zustandekommen dieser so wichtigen Förderung der Aufstiegsfortbildung teilhaben zu wollen, führte bei Ihnen zum Einlenken. Das freut mich für die SPD. Wenn nun ausgerechnet GEWChef Dieter Wunder diese Einigung, die doch vom SPD-Fraktionsvorsitzenden als ein „im Grundsatz vernünftiger Kompromiß" bewertet wurde, so scharf und hämisch kritisiert, spricht dies für die Qualität unserer Gesetzesvorlage. Und heute ist auch ein Tag der Freude, denke ich, für den zuständigen Ressortminister Dr. Jürgen Rüttgers, ({7}) dem laut „Frankfurter Rundschau" vom 28. Februar 1996 die Anerkennung für ein besonders gelungenes „Meisterstück" nicht verwehrt wird. ({8}) Insofern bedarf Ihre Frage, Herr Kollege Thönnes, gestellt in der Bundestagssitzung am 9. Februar 1996, heute keiner Antwort mehr. Gleichwohl darf ich daran erinnern. Sie lautete: Merken Sie, Herr Minister Rüttgers, eigentlich nicht, wie isoliert Sie dastehen? Das Gegenteil ist heute der Fall. Daß die SPD hingegen über das Verhalten des niedersächsischen Ministerpräsidenten weniger glücklich ist, vermag verständlicherweise meine Freude kaum zu trüben. ({9}) Wir in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben halt Vertrauen zu unserem Zukunftsminister. ({10}) Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, ich merke, wie munter Sie werden, wie fröhlich das hier alles ist, wenn Sie das auch so begreifen wie ich, als einen Tag der Freude. ({11}) Ich will Ihnen diese Freude nun nicht zerreden, deswegen verzichte ich bewußt darauf, auch noch den gleichzeitig beschlossenen Einstieg in die Verzinsung der geplanten Bildungskredite im Detail zu würdigen. Und ein Letztes. Wir werden nach Ablauf von zwei Jahren wiederum einen Tag der Freude erleben, ({12}) dann nämlich, wenn die Bundesregierung mit der ihr gebotenen Objektivität dem Deutschen Bundestag einen Erfahrungsbericht zu diesem Gesetz vorlegen und zur Beratung zur Verfügung stellen wird. Wir werden diesem Ergebnis der Evaluation mit freudiger Erwartung entgegensehen. Schließlich - das ist begründet - würdigt bereits heute der Zentralverband des Deutschen Handwerks den vorliegenden Kompromiß als einen willkommenen Beitrag zur Förderung der Selbständigkeit und als ein höchstwillkommenes Instrument zur notwendigen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ich danke allen, vor allen Dingen den Damen und Herren von der Opposition, daß sie mir mit dieser Aufmerksamkeit und diesem Wohlwollen zugehört haben. Vielen Dank. ({13})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Franz Thönnes.

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ja erstaunlich, Herr Lensing, wie man Ihnen eine Freude bereiten kann, ({0}) zumal, wenn man weiß, daß Sie diese Freude im Ablauf des gesamten Verfahrens auch viel früher hätten haben können. ({1}) Sie sind sozusagen ein Freudenverzichter; denn es ist viel zuviel Zeit ins Land gegangen, ehe der heutige Tag gekommen ist und ein Kompromiß möglich wurde. Es hat sich bestätigt, was ich in den vergangenen Debatten immer wieder gesagt habe, daß letzten Endes der Minister und die Koalitionsfraktion die Länder für einen Kompromiß benötigen. Das haben Sie ja durch Ihre Vorgehensweise bislang immer als Absurdum hingestellt. Es hat sich nun in der Praxis bewahrheitet; Sie sind an den Ländern nicht vorbeigekommen. ({2}) Es ist eine zynische Freude, die Sie hier äußern, wie Sie nun die Verzinsung zu beschreiben versuchen. Sie bedeutet im Klartext nichts anderes, als daß man, wenn man von den Regelungen des Meister-BAföG Gebrauch machen will, Zinsen aufnehmen und Schulden machen muß, so daß man Ende der Ausbildung, wenn man eine Existenz gründen will, mit Schulden dasteht. ({3}) - Das ist eine zynische Freude. ({4}) Es ist ebenfalls eine zynische Freude - ich werde Ihnen das nachher noch einmal darlegen -, wenn Sie nun glauben, hiermit den Einstieg in die Verzinsung von anderen BAföG-Leistungen gefunden zu haben. Das wird mit der SPD nicht gehen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Thönnes, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich gestatte Herrn Lensing keine Zwischenfrage; ich will ihm nicht noch eine Freude bereiten. ({0}) - Wissen Sie, das einzige, was eine Freude bereitet, ist, daß das Tauziehen endlich ein Ende hat. Wenn Sie sagen, heute sei ein Tag der Freude, dann entgegne ich: Es war ein Tag der Trauer, als diese Regierung die Aufstiegsfortbildung aus dem AFG gestrichen hat. ({1}) Damit wir das einmal deutlich machen: Sie freuen sich über ein Reparaturgesetz, weil Sie erkannt haben, wie dringend notwendig es für dieses Land, für das Handwerk und für den Mittelstand ist, endlich wieder eine Aufstiegsfortbildung zu installieren. ({2}) - Falsch war die damalige Entscheidung. Das ist sozusagen der Beweis dafür, was es mit diesem gesamten Gesetzesverfahren auf sich hat. Es ist ja gut, daß Sie das erkannt haben. Wir müssen schlichtweg immer wieder in Erinnerung rufen, daß seit der Abschaffung der Aufstiegsfortbildungsförderung im AFG die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, um die Sie immer so sehr bemüht sind, um 100 000 zurückgegangen ist. Die Lücke und den Bedarf haben Sie im Prinzip selbst mit Ihrer damaligen Vorgehensweise erzeugt. ({3}) Wenn die SPD heute diesem Kompromiß zustimmt, dann tut sie dies im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die aufstiegswillig sind und sich weiterbilden wollen; sie tut dies im Interesse des Handwerks und im Interesse des Mittelstandes, nach den vielen Diskussionen, die wir auch mit den Handwerkern und auch mit den Vertretern des Mittelstands geführt haben. Wenn Sie sich das Ergebnis der Anhörung sehr genau anschauen, dann werden auch Sie feststellen, daß dieses Gesetz heute immer noch eine Menge an Mängeln beinhaltet, die es möglicherweise in einem weiteren Verfahren nachzubessern gilt. Für die Verzögerung, die entstanden ist, tragen einzig und allein die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen die Verantwortung. ({4}) Der Minister - ich habe ihm das oft genug gesagt - ist hergegangen und hat immer weitere Hürden aufgebaut. Man muß sich erinnern, daß, als Sie diese Konzeption im März letzten Jahres verkündet haben, von einer Mitfinanzierung der Länder überhaupt noch nicht die Rede war. Es ist erst im weiteren Verfahren, bei der Gesetzesvorlage im September, auf den Tisch gekommen, daß Sie eine 35prozentige Mitfinanzierung wollen. Erst im weiteren Verfahren, als die Arbeitsamtslösung diskutiert wurde, zu der sich alle Sachverständigen bekannt haben, und als der Kompromißvorschlag mit den CDU-Stimmen aus dem Vermittlungsausschuß vorlag, ist diese verfassungsbedenkliche Sichtweise des Ministeriums aufgekommen, daß das Verfahren über das Arbeitsamt angeblich nicht gehen würde. Das war rein ideologisch begründet. Wir bleiben dabei: Die Bundesanstalt für Arbeit darf nicht zu einer Bundesanstalt für Arbeitslose gemacht werden. Weiterbildung und Bildung bleiben auch weiterhin eine arbeitsmarktpolitische Aufgabe. Für die Ablehnung des Kompromisses, der im Vermittlungsausschuß getroffen wurde, haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Weiterbildungsmaßnahmen, haben das Handwerk und der Mittelstand kein Verständnis gehabt. Das zeigen die Briefe, das zeigen die Einschätzungen der Gespräche, die geführt worden sind. Es bleibt auch - da kann man sehr genüßlich die „Frankfurter Rundschau" zitieren - das wahr, was am 24. November in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" stand: „Es ist noch kein Meisterstück." Es ist richtig, wenn derjenige, der den Kommentar geschrieben hat, am Ende seines Artikels anführt: „Man hätte beizeiten verhandeln sollen, anstatt vorschnell hier Hoffnungen zu wecken." Der jetzt vorliegende Kompromiß beinhaltet die im Gesetzgebungsverfahren von der SPD geforderten Verbesserungen wie die Senkung der Mindeststundenzahl, um die Teilnehmerkreise, um die Betroffenenkreise zu vergrößern. Er beinhaltet die von uns angesprochene Verbesserung bei der Übernahme der Kinderbetreuungskosten für die Alleinerziehenden und die Teilzeitbeschäftigten, die Sie in einem ersten Verfahren nur als Darlehen gewähren wollten. Wir halten weiterhin an der Position fest, daß die Arbeitsämter eigentlich die kompetenteren und die geeigneteren Institutionen für eine schnelle Umsetzung des Gesetzes gewesen wären. ({5}) Auch die Sachverständigen sagen das. Die Auffassung der Bundesregierung, dies sei verfassungsrechtlich nicht möglich, wird von uns nach wie vor bezweifelt. Wir respektieren aber die jetzt gefundene Lösung, nach der die Länder eigenverantwortlich über die mit der Durchführung des Gesetzes zu beauftragenden Behörden entscheiden, um den Kompromiß zu ermöglichen. Die 22prozentige Beteiligung der Länder an der Finanzierung unterstreicht deren Bereitschaft zur Mitverantwortung für die Herstellung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung. Gleichwohl - was wir auch in unserem Antrag geschrieben haben - bleibt in dem Gesetz eine Fülle von qualitativen Mängeln erkennbar. Das Finanzvolumen ist noch immer unzureichend. Ich will zwei Zahlen in Erinnerung rufen: Mit 800 Millionen DM pro Jahr ist die AFG-Förderung für den Bereich der Aufstiegsfortbildung damals finanziert gewesen; mit 163 Millionen DM steigt man in diesem Jahr in eine Wiederbelebung ein. Wir teilen auch weiterhin die kritische Position des Deutschen Industrie- und Handelstages zur Fördersystematik. Er sagt deutlich: Die Konzentration auf die Förderung der Vollzeitmaßnahmen ist bildungspolitisch, arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiv. Es wäre sinnvoller, diejenigen stärker zu bezuschussen, die sich in Teilzeitmaßnahmen befinden, die sich berufsbegleitend - und dadurch mit einem Mehraufwand neben ihrer Arbeitszeit - weiterbilden wollen. Bei dieser Konzentration besteht die große Gefahr, daß die Arbeitsplätze derjenigen, die sich weiterbilden wollen, aufgegeben werden müssen. Wir halten die Verzinsung der Darlehen weiterhin für falsch. ({6}) Ich wiederhole: Wir lassen es nicht zu - sollten Sie bei den weiteren Beratungen über das BAföG auf diesen Gedanken kommen -, unsere heutige Zustimmung zu diesem Kompromiß als präjudizierendes Element zu betrachten, wenn es darum geht, auch beim BAföG eine Verzinsung einzuführen. ({7}) Wir werden keine Verschlechterung in anderen Förderungsbereichen akzeptieren. Wir wollen auch, daß dieses Gesetz nach zwei Jahren durch unabhängige Sachverständige - so ist das auch in unserem Antrag enthalten - evaluiert wird. Wir wollen, daß mit den Verbänden, die wir in der Anhörung hatten, in eine kritische Debatte darüber eingetreten wird, wie dieses Gesetzesvorhaben wirkt. Ein Meisterwerk ist weder der Weg des Zustandekommens der jetzigen Lösung noch das Gesetz selbst. Dies muß dem Minister deutlich in das Stammbuch geschrieben werden. ({8}) Wenn es denn eines wäre, könnte man ihm ja mit solchen Dingen eine Freude machen. Ich will nur hoffen, daß andere Gesetze, die Sie noch auf den Weg zu bringen haben, eine bessere Qualität haben und mit mehr Kompromißbereitschaft sowie in einem schnelleren Verfahren mit den Ländern hier auf den Tisch kommen. Sie sollten eigentlich ein bißchen danach trachten, als einer der Ersten selbst in diesem Rahmen eine Meisterausbildung zu machen. Dann könnten wir sehen, ob dieses Gesetz am Ende auch auf der Ministerbank Wirkung zeigen würde. Ob es die Qualität eines Gesellenstücks erreicht, wird sich zeigen müssen. Dies werden wir uns nach zwei Jahren anschauen. Bei all dem, was wir in diesem Zusammenhang diskutiert haben, haben wir immer nur die Zielgruppe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Auge gehabt. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß es in den Bereichen der Beschäftigten weiteren Handlungsbedarf gibt, Weiterbildungsmöglichkeiten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entwickeln. Dies sollten wir auch weiterhin hier in diesem Hause diskutieren. Ich denke dabei insbesondere an die fünf bis sechs Millionen an- und ungelernten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Hierzu sagt der Arbeitsminister selbst: Die Hälfte der Arbeitsplätze, die diejenigen heute innehaben, werden in den nächsten vier bis fünf Jahren wegfallen. Ich denke an die Frauen, die einen Wiedereinstieg in das Berufsleben wollen. Ich denke an die fünf bis sechs Millionen Arbeitslosen in diesem Lande. Weiterbildung muß für uns in einem rohstoffarmen Land einer der wesentlichsten Innovationsfaktoren und einer der zentralen Investitionsfaktoren sein. ({9}) Der Kompromiß, dem wir heute zustimmen, ist ein Fortschritt für das Handwerk, für den Mittelstand und für die weiterbildungswilligen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. ({10}) Er ist deswegen ein Fortschritt, weil Sie 1993 die Aufstiegsfortbildung leider Gottes gestrichen haben. Wir stimmen zu, damit in der Bundesrepublik wieder ein Stück Gerechtigkeit und ein Stück Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung umgesetzt werden kann. Es ist ein kleiner Schritt und es ist kein Meilenstein auf dem Weg in die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung, Herr Minister. ({11})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Elisabeth Altmann, Sie haben das Wort. ({0})

Elisabeth Altmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002619, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lensing, wenn Sie schon die „Frankfurter Rundschau" zitieren, dann müßten Sie das eigentlich vollständig machen. Es heißt hier nämlich: Dem Zukunftsminister Dr. Jürgen Rüttgers ist zu gratulieren. Wie er Gerhard Schröder bei der staatlichen Ausbildungsförderung politisch ausgetrickst hat, ist wahrlich meisterlich. ({0}) Hier geht es nicht mehr um Ausgleich von Startunterschieden und Abbau von sozialen Hürden, sondern darum, sich mit Risikofreuden für die Ausbildung kräftig zu verschulden. ({1}) Auch andere Magazine befassen sich mit dem Thema. Im Leitartikel in der aktuellen Nummer der „Deutschen Universitäts-Zeitung" wird zum Beispiel gesagt: Das Verfahren der Gesetzesberatung ist heftig zu kritisieren. Wörtlich heißt es dort: Herr Rüttgers scheint die recht einfachen Regeln politischen und überhaupt zwischenmenschlichen Umgangs ... nicht zu kennen oder bewußt zu torpedieren. Hauptpunkt der Kritik ist der Verfahrenstrick, mit dem Sie, Herr Rüttgers, die Mitbestimmung der Bundesländer auskoppeln wollten und letztlich auch ausgekoppelt haben. Der jetzige ausgehandelte Kompromißvorschlag sieht vor, daß seit der Diskussion von vor zwei Wochen der Länderfinanzierungsanteil von 24,9 Prozent auf 22 Prozent abgesenkt wird. Das bedeutet für die Länder eine Entlastung von knapp 5 Millionen DM im Jahre 1996 und 7,5 Millionen DM im Jahre 1997. Das könnte ja noch in Ordnung gehen. Die Länder akzeptieren im Gegenzug, daß die Durchführung des Gesetzes von den Ausbildungsämtern der Studentenwerke oder der Kommunen erfolgt. Welche zusätzlichen Kosten damit auf die Länder oder Kommunen zukommen, ist noch nicht festgestellt worden. Das weiß man nicht. Es bedeutet darüber hinaus: Zuständigkeiten müssen erst geklärt werden. Dies wird bei der Ausführung erschwerend wirken. Die fachlichen Voraussetzungen sind bei diesen Ämtern nicht gegeben. Die Arbeitsämter sind die eigentlich kompetenten Anlaufstellen. Was für uns, Bündnis 90/Die Grünen, jedoch wichtiger ist: Die eben genannte Maßnahme ist das Einstiegstor zur Verzinsung parallel zum Studierenden-BAföG. Hier können Sie mit Bündnis 90/Die Grünen nicht rechnen. Da machen wir nicht mit! ({2}) Da wird auch erheblicher Protest von den Betroffenen auf Sie zukommen. Für uns gilt: Schulische, berufliche und akademische Bildung sind gleichwertig. Wenn wir jetzt zur Meister-BAföG-Verzinsung ja sagen, dann müssen wir auch zur Studierenden-BAföG-Verzinsung ja sagen. Das wollen wir einfach nicht. Meine Damen und Herren, entgegen aller Vernunft - das ist hier eben schon betont worden - hat die Koalition in der AFG-Novelle von 1993 die berufliche Aufstiegsförderung gestrichen. Herr Lensing, hierüber haben sich die Handwerker bestimmt nicht gefreut; Sie brachten ja eben die Freude der Handwerkskammer zum Ausdruck. Die Folgen bekamen nämlich die aufstiegswilligen jungen Leute in den letzten Jahren deutlich zu spüren: Die Anmeldungen zu den Meisterkursen sind um bis zu 30 Prozent zurückgegangen. ({3}) Viele Menschen konnten sich eine Aufstiegsfortbildung gar nicht mehr leisten. Aber gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ist es wichtig, neue berufliche Initiativen zu entwickeln und sich selbständig zu machen. Das wird durch den Kompromiß verwirklicht. ({4}) Das müssen wir fairerweise feststellen. ({5}) Es ist auch wichtig, daß Weiterqualifikationen und lebensbegleitendes Lernen gewährleistet bleiben und daß den Frauen gleichberechtigte Chancen der beruflichen Bildung eröffnet werden. Daß die Mindeststundenzahl auf 400 Stunden reduziert wird und daß ein Kinderbetreuungszuschuß für Alleinerziehende in Höhe von 200 DM eingeführt wird, bedeutet für die Frauen eine spürbare Verbesserung und Entlastung. Helferinnen- und Pfegerinnenberufe sowie kaufmännische Berufe werden damit verstärkt in die Förderung einbezogen. Endlich kommt mit diesem Vorschlag die berufliche Aufstiegsförderung in die Gänge. Wir wollen uns dieser erzielten Einigung nicht in den Weg stellen. Das machen wir, Bündnis 90/Die Grünen, mit der Enthaltung bei der Abstimmung klar. ({6}) Wir wollen die Verabschiedung des Meister-BAföG-Gesetzes, sind aber nicht damit einverstanden, daß sich Fortbildungswillige für ihre Ausbildung kräftig verschulden müssen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin!

Elisabeth Altmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002619, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Einen Satz noch: Gerade in Bildung und Ausbildung muß investiert werden für eine zukunftsorientierte, sozial und ökologisch ausgerichtete Gesellschaft. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Dr. Karlheinz Guttmacher.

Dr. Karlheinz Guttmacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir werden jetzt in der zweiten und dritten Lesung die berufliche Aufstiegsfortbildungsförderung mit einem Gesetz verabschieden, das heute mit unnötiger zeitlicher Verschiebung auf den Weg gebracht werden muß. ({0}) Junge Menschen unseres Landes warten händeringend auf ein Förderinstrument, so wie wir es den Studenten seit Jahren zubilligen. ({1}) Wir haben Grund zur Freude - Herr Lensing, da gebe ich Ihnen recht -, daß wir heute sagen können: Jetzt haben die jungen Menschen in der beruflichen Aufstiegsfortbildung einen Rechtsanspruch auf eine Förderung, den sie im AFG nicht hatten. ({2}) Darauf sollte hier noch einmal hingewiesen werden. ({3}) In dem Gesetzentwurf - das sollte man an dieser Stelle noch einmal sagen - wird den sich Weiterbildenden eine Maximalförderung bis zu 1 045 DM gewährt. Die jungen Menschen, die sich zu Meistern, zu Technikern und zu mittleren Führungskräften weiterqualifizieren wollen, bekommen, wenn sie verheiratet sind, darüber hinaus einen Zuschuß von 420 DM und einen Kinderzuschlag von 250 DM. Wenn sie Kinder zu betreuen haben - darauf wurde hingewiesen -, gibt es noch einen zusätzlichen Zuschuß von 200 DM für jedes Kind. Meine Damen und Herren, damit ist die finanzielle Grundlage gegeben, daß sich die jungen Menschen weiterqualifizieren können. Unsere deutsche Wirtschaft braucht diese weiterqualifizierten jungen Menschen. ({4}) Die Verwaltungskompetenz - dies haben wir hier mehrfach festgestellt - liegt nach dem Grundgesetz eindeutig bei den Ländern. Ich bin Ihnen, Herr Bundesminister Rüttgers, sehr dankbar, daß Sie und Ihr Haus die Zusage gemacht haben, daß Sie die Länder bei der sofortigen Umsetzung des heute zu verabschiedenden Gesetzes unterstützen werden. Ich freue mich auch darüber - Herr Lensing, wir empfinden immer nur Freude -, daß dieses Gesetz rückwirkend zum 1. Januar 1996 in Kraft treten soll. ({5}) Die Finanzierung wird nach letzten Verhandlungen zu 78 Prozent beim Bund und zu 22 Prozent bei den Ländern liegen. Dies bedeutet für 90 000 Weiterzubildende, daß wir für 1996 ein Finanzvolumen von 169 Millionen DM auflegen werden, wobei der Bund 132 Millionen DM und die Länder 37 Millionen DM aufbringen werden. Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetz haben wir einen wichtigen Schritt in die Richtung der Herstellung der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung getan. Dies war ein Koalitionsauftrag, und den erfüllen wir heute durch die Verabschiedung dieses Gesetzes. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat die Kollegin Maritta Böttcher.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lensing hat den Saal ja in ein regelrechtes Freudenhaus verwandelt. Eine Freude haben Sie mir und den Betroffenen heute allerdings nicht gemacht. ({0}) - Schlimm, wer Böses dahinter vermutet. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Entschuldigung, Frau Kollegin, darf ich Sie für einen Moment unterbrechen? Selbstverständlich kann ich zu dem Wort in diesem Zusammenhang nur die positive Interpretation geben, daß Herr Lensing versucht hat, Freude zu verbreiten. ({0})

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Selbstverständlich! Herr Präsident, ich danke Ihnen. Genau so war es gemeint. Worum geht es hier eigentlich? Vorgestern wurde den Abgeordneten im Ausschuß von den Vertretern der Koalitionsfraktionen erklärt, daß sich Herr Rüttgers und Herr Schröder in einigen strittigen Fragen geeinigt haben und daß es nun keine Probleme mehr gibt. Durch die Nachrichten schwirrte hier und da sogar etwas über einen Bund-Länder-Kompromiß. In die Hand bekamen die Abgeordneten kurz vor der Abstimmung im Ausschuß einen Antrag der SPD-Fraktion und einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zum Gesetzentwurf, einen Antrag, der zwar nichts wesentliches ändert, aber dafür ist er mit Herrn Schröder abgestimmt. Nun soll die SPD nicht mehr nein sagen dürfen; denn - Herr Thönnes hat das noch einmal betont - wer jetzt noch dagegen ist, hat die Betroffenen auf dem Gewissen. ({0}) Ist das die Art, wie Gesetze in einer Demokratie verabschiedet werden? Ich glaube, ja wohl nicht. Ausgearbeitet werden sie im Ministerium unter dem Diktat des Finanzministers, eingebracht ins Parlament über die Koalitionsfraktionen, und wenn das Ganze trotzdem noch nicht so läuft, wie es soll, löst man es unter vier Augen. So kommt eine Situation zustande, in der im Eiltempo zu- bzw. abgestimmt werden muß und sich die Debatte nur noch um Nebensachen dreht, während die grundlegenden Probleme des Gesetzentwurfes nach wie vor bestehen, aber kaum noch thematisiert werden, obwohl auch dazu in der Sachverständigenanhörung Klarheit herrschte. An erster Stelle ist hier die Finanzierung über verzinste Darlehen zu Lasten der Betroffenen zu nennen. Damit hätte das BAföG-Finanzierungsmodell des Zukunftsministers zum erstenmal den Bundestag passiert, und er kann sich ab sofort auf sogenannte fördersystematische Gründe oder im Interesse der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung bei allen weiteren Fragen der Bildungsförderung darauf beziehen. Das wird mit uns nicht möglich sein. ({1}) Es bleibt am Ende der Eindruck, daß es sich bei den Auseinandersetzungen, die vorher um wesentliche Punkte des Gesetzentwurfes geführt wurden, tatsächlich nur um ein politisches Possenspiel gehandelt hat. Von den Forderungen der Sachverständigen ist nur sehr wenig übriggeblieben. Die SPD-Parlamentarier haben ihren begründeten Standpunkt gegen Muster für Formblätter, Datenverarbeitungsprogramme und Auslegungshilfen verkauft oder - etwas gelinder ausgedrückt - verkaufen lassen. Das ist zu wenig. Das tut mir in Anbetracht der Diskussionen, die in der Anhörung, in Ausschüssen und anderen Beratungen geführt wurden, ein bißchen weh. Wir bleiben deshalb bei der Ablehnung des Gesetzentwurfes und vor allem bei der Ablehnung einer solchen Verfahrensweise. Das war wirklich kein Meisterstück. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers das Wort. ({0})

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute nicht nur ein Tag der Freude, sondern auch ein Tag des Dankes. Ich möchte ein herzliches Wort des Dankes den Koalitionsfraktionen sagen, die diesen Gesetzentwurf eingebracht und dieses Gesetzgebungsverfahren begleitet haben. Ich danke sehr, sehr herzlich Christian Lenzer und Werner Lensing und auch dem Kollegen Guttmacher, die bei diesem nicht ganz einfachen Verfahren dafür gesorgt haben, daß jetzt ein gutes Ende gefunden worden ist. ({0}) Ich möchte mich aber auch sehr, sehr herzlich bei der SPD-Opposition und insbesondere beim Kollegen Thönnes bedanken. ({1}) Er hat ja hier heute eine äußerst schwierige Rolle gehabt. Er mußte begründen, daß er eigentlich alles für falsch hält, ({2}) aber am Schluß trotzdem zustimmt. Daß Sie dazu die Kraft gehabt haben, finde ich gut. Deshalb will ich dies auch nicht werten und kommentieren. Eines, lieber Herr Kollege Thönnes, möchte ich allerdings klarstellen: Es hat keinerlei Verzögerungen gegeben. Dieses Gesetz tritt zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft. Die angehenden Meister können ihre Anträge rückwirkend stellen. Deshalb gibt es keine Verzögerungen, und deshalb hat dies für die Betroffenen keine Auswirkungen. ({3}) Wir haben ein sehr interessantes Gesetzgebungsverfahren erlebt. Im Vermittlungsausschuß hatten die Länder noch versucht, eine verfassungswidrige Lösung zu beschließen. Dies ist abgewehrt worden. Es ist schon sehr bedeutsam, wenn man dann feststellt, daß die Standfestigkeit der Koalitionsfraktionen sofort Reaktionen zur Folge hatte. Denn unmittelbar nachdem hier im Deutschen Bundestag die erste Lesung dieses neuen Gesetzgebungsverfahrens durchgeführt worden war, haben die Ministerpräsidenten der SPD-geführten Landesregierungen in der Ministerpräsidentenkonferenz darum gebeten, erneut in Gespräche eintreten zu dürfen. ({4}) Das Ergebnis steht heute hier zur Abstimmung. ({5}) Dies ist gut; denn es dient den Menschen. Ich bin froh, daß damit das wahrscheinlich einzige Leistungsgesetz dieser Legislaturperiode jetzt in das Gesetzblatt kommt. Deshalb schließe ich: Es ist nicht nur ein Tag der Freude; es ist ein guter Tag für die Meister, und es ist vor allen Dingen ein guter Tag für die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung auf den Drucksachen 13/ 3698 und 13/3914. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Vizepräsident Hans Klein Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen jetzt zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zuzustimmen gedenken, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/3916. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, darf ich die Bitte äußern, daß die Kolleginnen und Kollegen, die an der Debatte über diesen Tagesordnungspunkt nicht teilnehmen werden, den Raum möglichst rasch verlassen, damit wir mit den Beratungen fortfahren können. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 und den Zusatzpunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Modernisierung der Bundesverwaltungen als Projekt - Drucksache 13/3582 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({0}) Haushaltsausschuß ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Franziska Eichstädt-Bohlig, Oswald Metzger und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Umzug nach Berlin als Chance für eine Reform der Bundesverwaltung und für ein zukunftsweisendes Personalkonzept - Drucksache 13/3902 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({1}) Rechtsausschuß Finanzausschuß Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich offensichtlich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Fritz Rudolf Körper das Wort.

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute steht der Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zur Modernisierung der Bundesverwaltung als Projekt zur Diskussion, und ich beziehe mich auf diesen Antrag. An die Ausschüsse ist bereits ein weiterer Antrag von uns mit dem Titel „Modernisierung der öffentlichen Verwaltung" überwiesen worden. Beide Anträge gehören in der Sache zusammen. Was ist das Ziel unseres heutigen Antrags? Mit diesem Antrag schlagen wir die Einsetzung eines selbständigen Modernisierungsstabs vor; dieser soll von drei Persönlichkeiten aus den Bereichen der Wirtschaft, des öffentlichen Dienstes und der Gewerkschaften geleitet werden. ({0}) Da eine effektive Reform nur unter Beteiligung der Betroffenen gelingen kann, muß der Stab durch ein Beraterteam unterstützt werden, in dem die Bundesverwaltung, die Länder, die Personalräte und die Gewerkschaften vertreten sind. Aufgabe und Auftrag des Stabes soll es sein, konkrete Vorschläge zur Modernisierung vorzulegen und umzusetzen. Die Eckpunkte der Reform sollen auf der Grundlage eines Zwischenberichts der Bundesregierung, der dem Bundestag vorgelegt werden soll, diskutiert und beschlossen werden. ({1}) - Lieber Herr Hörster, Sie haben schon qualifiziertere Zwischenrufe gemacht als heute morgen. Könnte es sein, daß Sie noch nicht ausgeschlafen haben? ({2}) Der von der Bundesregierung - jetzt wäre es vielleicht angebracht, daß Sie zuhörten - eingesetzte Sachverständigenrat „Schlanker Staat", der jetzt einen Bericht vorgelegt hat, ist nach unserer Auffassung nicht die geeignete Lösung. Bei der Vorbereitung von Vorschlägen sind die betroffenen Behörden und Beschäftigten nicht ausreichend oder gar nicht beteiligt. Außerdem kann dieser Sachverständigenrat bestenfalls Neuerungsschritte vorschlagen. Ihm fehlen aber die Kompetenzen zur Umsetzung der Reform. Wenn die Modernisierung der Bundesverwaltung ernsthaft in Angriff genommen werden soll, geht das nicht mit der üblichen Ressort- und Berichtsroutine. Dazu ist das Vorhaben zu schwierig. Es kann Ihnen dasselbe passieren wie mit der Dienstrechtsreform: Es wird eine Reform angekündigt, und heraus kommt ein Entwurf mit einigen Reparatur- und Schönheitsarbeiten ohne die notwendigen tief gehenden Strukturänderungen. Im übrigen wiederhole ich bei dieser Gelegenheit, daß es ein grundsätzlicher Fehler ist, Verwaltungs- und Dienstrechtsreform unverzahnt nebeneinanderherlaufen zu lassen. ({3}) Selbstverständlich begrüßen wir, daß die Bundesregierung und die Koalition jetzt auch die Notwendigkeit einer Modernisierung der Bundesverwaltung entdeckt haben. Mit Befriedigung stellen wir fest, daß sich der von mir genannte Sachverständigenrat teilweise inhaltlich unseren Forderungen anschließt. Das gilt insbesondere für unsere Forderung, die Bundesministerien auf die ministeriellen Aufgaben zu beschränken und die übrigen Aufgaben auf andere Stellen, vor allem auf vorhandene sogenannte obere Bundesbehörden, zu verlagern. Wir bieten der Bundesregierung unsere aktive Unterstützung an, ({4}) aber machen Sie Nägel mit Köpfen! ({5}) Wenn Sie die Verwaltungsmodernisierung wirklich in Angriff nehmen wollen, wagen Sie den Aufbruch, indem Sie auch die für die Verwaltungsmodernisierung notwendigen organisatorischen und personellen Voraussetzungen schaffen! Wenn das Reformprojekt noch in dieser Wahlperiode und im Zusammenhang mit dem Berlin-Umzug bewerkstelligt werden soll, muß schnell begonnen und zügig gehandelt werden. Viel Zeit verbleibt nicht mehr. ({6}) Dieses Projekt muß eine zentrale Aufgabe werden und kann nicht nur nebenbei, en passant, diskutiert werden. Die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung ist kein Selbstzweck. Angesichts der veränderten Aufgaben der Verwaltungen und der leeren öffentlichen Kassen können die Zukunftsaufgaben nicht mehr mit den alten Strukturen und Instrumenten bewältigt werden. Es geht also um die Bewältigung von Zukunftsaufgaben. Dafür brauchen wir in den Bundesministerien ein administratives Innovationsmanagement. Schlagworte wie „weniger Staat", „Beschränkung des Staates auf hoheitliche Aufgaben" und ähnliches mehr sind rückwärtsgewandt und verkennen, daß die gesellschaftlichen Probleme des 20. und des 21. Jahrhunderts nicht mit dem Staat und den staatlichen Strukturen des 19. Jahrhunderts gelöst werden können. Das ist äußerst wichtig. Ich nenne Stichworte, die zeigen, wo Änderungen vorhanden sind: Globalisierung der Märkte, das Vordringen neuer Wettbewerber, die weltweite Verbreitung neuer Technologien, die zunehmende Mobilität von Kapital, Wissen und Arbeit, die globale Umweltzerstörung, internationale Wanderungsbewegungen, die Finanzkrise des Staates, die Gefährdung der sozialen Sicherungssysteme, die demographischen Verwerfungen und die zunehmende Begrenztheit nationalstaatlichen Handelns. Das sind die Herausforderungen; Regierungen sind heute stärker als jemals zuvor in unserer Geschichte herausgefordert. Eine effektive Regierung ist nicht notwendigerweise eine große Regierung. Das Wort „regieren" meint: steuern und lenken. Dafür müssen Staat und Regierung, so gut es geht, für die Zukunft fit gemacht werden. Es ist kein Wunder, daß Sie, Herr Schlee - ich spreche Sie einmal an -, das Thema so spät entdecken. Mit Ihrer seit den 70er Jahren erhobenen Forderung nach weniger Staat hängen Sie einer Art Neoliberalismus und einer „Laisser-faire" -Ideologie an, die meiner Auffassung nach wichtige politische Probleme schleifen läßt und der gesellschaftlichen Selbstregulierung überläßt. Bundesregierung und Koalition sind der Auffassung, daß offensichtlich alles schon im Lot ist oder dann ins Lot gerät, wenn man die staatlichen Aktivitäten zurückschraubt. Sie meinen nämlich, daß dadurch eine privatwirtschaftliche Dynamik freigesetzt würde, von der die Bürgerinnen und Bürger automatisch profitieren. Ihnen geht es neben der Kostensenkung vor allem um Privatisierungen. Dazu verweise ich auf die Jahreswirtschaftsberichte 1995 und 1996. Das bedeutet im Ergebnis, daß hinter dem jetzt auch von Ihnen vorgeschlagenen Modernisierungsmodell für die Verwaltungen nach wie vor grundsätzliche politische Ziele stehen, die sich nicht mit den unsrigen decken. ({7}) Anders ausgedrückt: Wir wollen den handlungsfähigen und sozial verantwortlich handelnden Staat, während Sie offensichtlich das Schwergewicht in der Einschränkung staatlichen Handelns sehen und diese Zielsetzung favorisieren. Das wird - da bin ich sicher - in der Diskussion spannend werden und in konkreten Fällen auch zu Konflikten führen. Dessenungeachtet bin ich der Auffassung, daß es im Interesse eines modernen Staates und einer modernen, leistungsfähigen und effektiven öffentlichen Verwaltung unsere gemeinsame Aufgabe ist, diesen von uns gewollten Modernisierungsprozeß endlich auch auf Bundesebene in Gang zu setzen. Ich hoffe, unser Antrag dient dazu. Schönen Dank. ({8})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Schlee, Sie haben jetzt das Wort.

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute, Herr Körper, nicht zum erstenmal über die Modernisierung der Verwaltung, über den schlanken Staat, über mehr Effektivität, mehr Kostenbewußtsein in eben dieser Verwaltung. Ich erinnere an unsere Debatte vom vergangenen Herbst. Ich habe damals einen ganzen Katalog konkreter Punkte genannt: von der Deregulierung über die Abschätzung der Gesetzesfolgekosten über neue Techniken bei der Gesetzgebung bis hin zum Haushaltsrecht und zum Kontrollrecht des Parlaments. Ich finde, wir sollten über all die Vorschläge, die ich damals gemacht habe, noch einmal detailliert diskutieren. Ich glaube, daß dies ein Ansatz ist, den wir gemeinsam weiterverfolgen sollten. Der jetzige Antrag der SPD zur Modernisierung der Bundesverwaltung enthält in der Zielsetzung eine Reihe von Punkten, die man in ihrer Abstraktheit und in ihrer Allgemeinheit nur unterschreiben kann: so weit, so gut. Was in dem Antrag als Ziel formuliert ist, Herr Körper - das will ich aber gleich dazusagen -, ist natürlich alles andere als neu. Es gehört zum Allgemeingut jeder Debatte und jeder Veröffentlichung zu diesem Themenkomplex. ({0}) Dort, wo die SPD zum wiederholten Male allgemeine Ziele formuliert, verkennt sie, daß sie etwas formuliert, was die Bundesregierung in weiten Strekken bereits ins Werk gesetzt hat. Sie philosophieren über konsensfähige Projektarchitektur, während die Bundesregierung konkrete Projekte umsetzt und eine Vielzahl von konkreten Projekten bereits abgeschlossen hat. Manchmal habe ich den Eindruck, Herr Körper - vielleicht tue ich Ihnen Unrecht -, daß Sie einfach nicht den Mut haben, konkret zu werden. Jetzt müssen wir aber gemeinsam konkret werden, nachdem man zugegebenermaßen viele Jahre die Dinge relativ abstrakt diskutiert hat. Solange die SPD in einem unendlichen Prozeß der Projektierung von Projekten bleibt, wird sich nichts ändern. ({1}) Politik bedeutet handeln, entscheiden, umsetzen. ({2}) Jetzt ist die Zeit des konkreten Handelns gekommen. ({3}) Ich will Ihnen das einmal an ein paar Beispielen verdeutlichen. Herr Kollege Schily, Sie bekommen die Möglichkeit, sich zu bewähren und zu entscheiden. Ich will Ihnen - wenn ich das darf - ein paar konkrete Punkte nennen.' ({4}) In den nächsten Wochen, meine Herren, werden hier Gesetzentwürfe über die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren zu debattieren sein. Ich habe in dieser Arbeitsgruppe mitgearbeitet. Ich will mich nicht selber loben, aber die Arbeitsgruppe hat höchst beachtliche Ergebnisse vorgelegt. ({5}) Jetzt werden Sie entscheiden müssen, ob Sie dem zustimmen wollen oder nicht. Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen. In den Projekten, die die Regierung vorlegt, geht es natürlich auch um Personalverringerungen. Ich frage Sie: Wollen Sie das nach außen mittragen? Wollen Sie das auch in Richtung der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung mittragen? Es geht um Auflösung und Zusammenlegung von Behörden. Daß das in den einzelnen Wahlkreisen an der einen oder anderen Stelle schwierig sein mag, will ich gar nicht wegdiskutieren. Aber wir müssen es jetzt, in den nächsten Wochen und Monaten, entscheiden; denn so konkret ist das. Über neue Steuerungselemente und Budgetierung zu reden hört sich ganz modern an. Aber um zu sagen, welchen Freiraum wir der Verwaltung geben wollen, wie es mit der Ergebnis- und Erfolgsverantwortung ganz konkret, Herr Körper, aussehen soll, brauchen wir Gesetze. Das muß entschieden werden. Da hilft das Diskutieren beim besten Willen überhaupt nichts. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Ihrem Antrag und auch in der Begründung antworten Sie auf unmittelbar anstehende Probleme nicht. Sie geben nicht zu erkennen, ob Sie den konkreten Gesetzesprojekten der Regierung - die sind nicht irgend etwas - zustimmen wollen oder nicht zustimmen wollen. Nun legen Sie einen Antrag vor, ({6}) mit dem den Bundesministerien, Herr Körper, von außen ein neues Strukturkonzept aufgedrängt werden soll. Sie wollen einen besonderen Organisationsstab einsetzen. Er soll von den Ministerien völlig unabhängig sein. Er soll, wie Sie sagen, ein zukunftsorientiertes Reformkonzept vorlegen. Dann soll der Deutsche Bundestag beschließen. Herr Kollege Schily, ich will das nicht vertiefen; Sie sollten sich die verfassungsrechtliche Ausgestaltung des Antrags noch einmal ansehen. Wir meinen, daß dieser Weg falsch ist. ({7}) - Ich will davon überhaupt nicht ablenken, Herr Kollege Schily. Ich will nur sagen: Sie müssen sich die verfassungsrechtliche Ausrichtung noch einmal überlegen. Wir gehen einen anderen Weg. Ich skizziere ihn in wenigen Strichen. Wir haben uns dafür entschieden, das Organisationspotential in den obersten Bundesbehörden, in den interministeriellen Gremien, in den Behörden zu nutzen. Sie sind näher am Ball. Sie haben tagtäglich damit zu tun. Sie können das heutige Ist und das künftige Soll viel besser beurteilen, gerade auch, was ihre eigenen Arbeitsstrukturen angeht. Sie können ressortbezogene Besonderheiten besser aufnehmen. Die jeweilige Behörde einzuschalten ist nach meinem Dafürhalten unerläßlich. Man sollte nicht an der Behörde vorbei von außen etwas installieren, von der rechtlichen Problematik einmal abgesehen. ({8}) Daß Sachverstand von außen zugeführt werden muß, darüber können wir uns ganz rasch einigen - aber doch nicht so institutionalisiert, wie Sie das mit diesem Organisationsstab machen wollen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das mit der Projektarchitektur klingt ganz gut. Aber das, was Sie dort installieren wollen, ist doch etwas Praxisfernes. Da muß es Reibungsverluste geben. Da entstehen natürlich Umsetzungsprobleme, wenn der Bundestag am Ende entscheiden muß und der Bundesregierung sagt: Ihr habt die Ministerien und die nachgeordneten Behörden A, B, C und D so und so zu organisieren. Das halte ich einfach nicht für in Ordnung. Herr Kollege Körper, ich appelliere in dieser Stunde an Sie, nicht ständig mit neuen Modellen zu versuchen, das Rad neu zu schaffen, sondern mitzumachen bei all dem, was wir Ihnen in den letzten Monaten vorgeschlagen .haben und bei dem wir uns in der Realisierungsphase befinden. Ich nehme das auf, was vorhin gesagt wurde: Ich glaube, daß die Bevölkerung jetzt von uns Entscheidungen erwartet. ({9}) - Herr Kollege Kemper, Sie müssen doch an die Länder denken. Sie werden doch nachvollziehen können, daß wir hier im Konsens etwas erreichen müssen. Da geht es nicht nur um die Zustimmung des Bundesrates; es geht in Teilbereichen auch um Verfassungsänderungen. Das ist in weiten Bereichen bereits jetzt absehbar. Das ist eine schwierige Aufgabe. Jemand hat einmal formuliert, das sei eine Herkulesaufgabe. Ich sage Ihnen, wir müssen uns da zusammenraufen. Lieber Herr Körper, es gibt ganze Kataloge des Finanzministeriums und des Innenministeriums, was alles umgesetzt wurde, wie von 1992 bis 1995 Stellen abgebaut wurden, wie die Bundesvermögensverwaltung, wie die Zollverwaltung, wie die Bundeswehrverwaltung neu strukturiert wurde, wie die Oberfinanzdirektionen, wie das Technische Hilfswerk neu strukturiert wurden, wie eine Neuorganisation des Zivilschutzes vorgenommen wurde, um Ihnen nur ein paar Beispiele zu nennen. Es hat doch gar keinen Wert, vor diesem Hintergrund immer wieder den Eindruck zu erwecken, als ob überhaupt gar nichts geschehen wäre. Das ist doch einfach nicht sachgerecht. ({10}) Das wollen die Leute doch von uns auch nicht hören, sondern die Leute wollen von dem Parlament in dieser Legislaturperiode in dieser, wie ich meine, außerordentlich wichtigen Frage Entscheidungen haben. Die Politik kann ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen, und sie kann unter Beweis stellen, daß sie in einer so schwierigen Materie auch konsensfähig ist. Das ist nach meinem Dafürhalten der richtige Ansatz; alles andere ist doch eine Augenwischerei; das kann man doch mit dem besten Willen nicht anders sagen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schuster?

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte das im Zusammenhang darstellen; nachher sicherlich gerne. Herr Kollege Körper, wenn Sie hier dargestellt haben, wir hätten vom Staat ein völlig anderes Bild, so lassen Sie mich sagen: Bauen Sie doch nicht irgendwelche Geschichten auf, die total daneben sind. Ich sage es Ihnen noch einmal: Der Staat muß sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren, das heißt öffentliche Sicherheit und Ordnung, Verteidigung, Steuerverwaltung, Arbeit und Soziales. Ich bitte Sie darum, nicht den Eindruck zu erwecken, als ob der letzte Punkt einfach wegfallen würde und wir da sonstwas installieren wollten. Ich füge hinzu: Ein Schwerpunkt - ich sage das mit großem Ernst - muß mehr als in der Vergangenheit sein, über diese hundert Beispiele des Bundesinnenministers oder diesen Katalog des Bundesfinanzministeriums hinaus die Bundesministerien zu restrukturieren, sie effizienter zu machen. Darüber kann man mit mir sehr wohl sprechen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, inzwischen ist Ihre Redezeit abgelaufen. Jetzt können Sie auch keine Fragen mehr beantworten.

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will noch einen Satz sagen. Ich bitte die Bundesregierung, so eine Art Modellministerium zu strukturieren - mit klarer Aufteilung zwischen Leitungs- und Verwaltungsaufgaben, mit dem Herausnehmen der einen oder anderen Hierarchie. Darüber kann man doch reden. Aber was jetzt notwendig ist, sind keine theoretischen Planspiele, sondern jetzt muß gehandelt werden. Das ist unsere Aufgabe. Ich bedanke mich ganz herzlich. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, auf der Diplomatentribüne hat besonders hoher Besuch Platz genommen. Es ist eine Delegation hochrangiger Kollegen aus einem der höchstgelegenen Staaten der Welt, aus dem mit Deutschland gut befreundeten Königreich Nepal. Ich heiße Sie sehr herzlich im Deutschen Bundestag willkommen. ({0}) Jetzt erteile ich zu einer Kurzintervention dem Kollegen Schily das Wort.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schlee, Sie haben mich persönlich angesprochen; deshalb hatte ich mich gemeldet. Sie haben verfassungsrechtliche Bedenken gegen unseren Antrag geltend gemacht. Damit zwischen uns keine Mißverständnisse entstehen: Ich halte sehr viel davon, daß sich die verschiedenen Verfassungsorgane der Verfassungstreue befleißigen und auch die jeweilige eigene Organisationsgewalt respektieren. Interpretieren Sie den Antrag bitte nicht falsch dahin, daß der Bundestag in die Eigenorganisationsgewalt der Bundesregierung eingreifen will. Darum handelt es sich nicht. Vielmehr geht es darum, eine Projektentwicklung zu favorisieren, bei der man auch, wie Sie richtig sagen, Sachverstand von außen hinzuzieht - selbstverständlich unter Beteiligung der Ministerien -, und dann im Bundestag einen Bericht auf der Grundlage einer solchen Arbeit zu diskutieren. Sie sollten nicht das Mißverständnis hervorrufen, daß sich der Bundestag mit diesem Antrag einen Eingriff in die eigene Organisationsgewalt der Bundesregierung anmaßen wollte. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Schlee zur Replik!

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schily, in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit mache ich es kurz und lese Ihnen nur die entsprechende Passage in der Begründung Ihres Antrages vor: Der Deutsche Bundestag sollte den von der Bundesregierung vorzulegenden Bericht diskutieren und die wichtigsten Empfehlungen zur Verwaltungsmodernisierung beschließen. Das scheint mir eine höchst problematische Formulierung zu sein. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile der Kollegin Antje Vollmer das Wort.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt auf, daß wir heute erneut über den schlanken Staat, dieses phantastische Fabelwesen, diskutieren, ({0}) ohne daß von der Koalition ein Gesetzentwurf dazu vorliegt. Dabei war der schlanke Staat eines der ersten und wichtigsten Reformversprechen dieser Legislaturperiode. ({1}) Die Regierung - das entnehme ich dem Beitrag des Kollegen Schlee - sinnt, denkt, plant, redet in allen möglichen Korporationen ({2}) auch über ihre Herkulestätigkeit -, aber dies landet nicht in der Praxis, auch nicht in der Praxis von Gesetzesentwürfen in diesem Parlament. ({3}) Herr Kollege Schlee, wenn ich Sie eben richtig verstanden habe, haben Sie ja die Opposition direkt aufgefordert, das grundgesetzkonforme Verhältnis der Verfassungsorgane zueinander zu brechen, indem Sie gesagt haben, wir sollten Ihnen die Ministerien neu organisieren. Das halte ich allerdings wirklich für Ihre Aufgabe. ({4}) Der Herr Bundesminister Kanther, der in dieser Debatte nicht anwesend ist - was auch ein Hinweis darauf ist, daß er offensichtlich die Federführung bei diesem Thema bereits verloren hat -, meint, der Abbau von öffentlichen Leistungen sei eine ernsthafte Aufgabenkritik. Auch meint er, daß der Stellenabbau per se besseres Personalmanagement produziere. Wir sind nicht dieser Meinung. Im Gegenteil, man kann die Verwaltungsreform auf Grund setzen, indem man ihr von Anfang an den größten Widerstand von seiten der Beschäftigten entgegensetzt. Daher heißt auch die erste Regel für kluge Reformer nicht, möglichst viel Widerstand gegen eine Reform, sondern die höchstmögliche Motivation für diese Reform gerade auf seiten der Beschäftigten zu organisieren. ({5}) Deswegen brauchen wir zuallererst Klarheit. Das Bundeskabinett hat sich zwar in einer Unterrichtung für die Straffung von Bundesbehörden ausgesprochen, und Herr Schlee hat ja vieles gesagt, was man sich alles vornimmt; ({6}) aber in der Praxis bleibt es vollkommen nebulös, wie denn die Behörden besser organisiert werden sollen. Es geht also um Entscheidungen. Das ist das wichtigste. Der zweite Grundsatz heißt: Es muß ein grundsätzlicher Reformansatz und nicht ein Stückwerk einmal hier und einmal da her. Auf dem Weg befindet sich aber lediglich ein Entwurf zur Reform des öffentlichen Dienstrechtes und gerade nicht der von uns, und zwar von der gesamten Opposition, eingeforderte grundsätzliche Ansatz einer Reform aller öffentlichen Verwaltungen. Der dritte Grundsatz betrifft das Tempo. Wir diskutieren hier nicht über das Jahr 2000 xy. Vom BerlinDr. Antje Vollmer Umzug - deswegen möchte ich jetzt unseren Antrag erklären - könnten ein deutliches Signal und auch das notwendige Tempo für diese Reformen ausgehen. Äußere Mobilität kann - das ist die Chance der Stunde, und man muß sie nutzen - große innere Mobilität und sogar Motivation bei den Beschäftigten erzeugen. Man muß das aber auch wollen und darf diese Stunde nicht verstreichen lassen. ({7}) Der vierte Grundsatz für kluge Reformer: Wir setzen auf gute Vorbilder. Deswegen haben wir in unserem Antrag auch all das aufgegriffen, was der Bundesrechnungshof der Regierung ins Stammbuch geschrieben hat, nämlich was die öffentlichen Institutionen auf Bundesebene an Vorbildfunktion für die Verwaltungen auf Landes- und kommunaler Ebene erfüllen könnten, wenn sie es denn praktizierten. In diesen Bereich gehört unser Vorschlag, den wir das letzte Mal gemacht haben: Sie müssen eine Musterbehörde, meinetwegen das Innen- oder das Finanzministerium, benennen, die einmal zeigt, wie es geht. In Wahrheit wissen aber alle: Der Frühling der Reformen der Verwaltungen ist in den Kommunen und auch in einigen Ländern ausgebrochen. Die Aktivitäten auf der Bundesebene fallen vor diesem Hintergrund dramatisch zurück. ({8}) Also: Die Chance für den großen Wurf gibt es nur jetzt. Leider macht die Regierung das, was sie sonst immer der Verwaltung vorwirft: Sie steuert nicht, sondern rudert. ({9}) Wir sind für eine Reform. ({10}) - Sie rudert, ohne voranzukommen. - Die konkreten Vorschläge finden Sie in unserem Antrag. In den vier Minuten Redezeit, die mir zur Verfügung stehen, kann ich dazu leider nichts sagen. Ich möchte aber noch auf das Grundprinzip hinweisen. Grundprinzip aller unserer Überlegungen muß sein: Jeder, der umzieht, schleppt entweder das gesamte alte Gerümpel unsortiert mit, oder er tut, was vernünftig ist: Er entrümpelt, schafft Platz für neue Aufgaben und neue Perspektiven und setzt darauf, daß es in den Verwaltungen eine Menge intelligenter Leute gibt, die genau diese Chance zu nutzen verstehen. Wer unseren Mitarbeitern diese Perspektive nicht zutraut, der unterfordert sie total. Eine solche Unterforderung wäre aber töricht und läge übrigens unterhalb der Intelligenz, die auch vom öffentlichen Arbeitgeber dringend gefordert ist. Danke. ({11})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Hans-Ulrich Klose das Wort.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beziehe mich auf den Diskussionsbeitrag von Frau Vollmer und spreche als derzeitiger Vorsitzender der Personal- und Sozialkommission. Natürlich muß man beim Umzug Bonn-Berlin sparen. Natürlich muß man jeden Versuch unternehmen, um die Leistungsfähigkeit des öffentliches Dienstes zu erhöhen und die administrativen Strukturen zu verbessern. Vorrangig ist das Ziel, die Funktionsfähigkeit von Institutionen, Regierung und Parlament aufrechtzuerhalten und, wenn es geht, noch zu verbessern. ({0}) Es gibt aber - darauf weise ich mit Nachdruck hin - formulierte Umzugsziele. Diese lauten: Der Umzug soll, soweit wie eben möglich, freiwillig erfolgen. Er soll jedenfalls sozialverträglich erfolgen. ({1}) Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen generell nicht schlechter gestellt werden, als sie bei einem Verbleib in Bonn stehen würden. Zu all diesen Punkten gibt es sehr dezidierte Aussagen der Bundesregierung, des Bundestages, der Kommission des Ältestenrates, des Haushaltsausschusses, der Fraktionen und auch der Personal- und Sozialkommission der vorigen Legislaturperiode. Ich möchte hier mit großer Deutlichkeit sagen: Zusagen sind, soweit das tatsächlich möglich ist, einzuhalten, ({2}) auch gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes. Dies sage ich, obwohl oder gerade weil der öffentliche Dienst immer ein beliebtes Stammtischthema ist. Auch gegenüber unseren Mitarbeitern gilt das gegebene, nicht das gebrochene Wort. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zur Replik Frau Kollegin Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Klose, zu Beginn meiner Antwort möchte ich zunächst einmal meinen Respekt vor der sicherlich sehr schwierigen Aufgabe, die Sie als Vorsitzender der Personalkommission haben, aussprechen. Ich weiß, daß Sie damit etwas ausführen, was dieses Parlament beschlossen hat. Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, daß fünfte Kriterium zu nennen, das ich in meiner Rede aus Zeitgründen nicht mehr nennen konnte. Außer den Prinzipien der Klarheit, des Tempos, des gesamtheitlichen Ansatzes und des Vorbilds gilt das Prinzip der Ehrlichkeit. Ich finde, daß auch dieses Parlament gegenüber den eigenen Mitarbeitern der Bundesbehörden in bezug auf das, was in der jetzigen Situation einzuhalten möglich ist, ehrlich sein muß. Ich glaube, daß manche der Versprechen - ich will es einmal so sagen - etwas vollmundig waren und nicht auf die wirklich schwierige Situation heute angewandt werden können. Es gibt - das weiß jeder - für die Betroffenen, die umziehen müssen, eine ganze Menge großer sozialer und auch persönlicher Härten. Die kann dieses Parlament aber auch nur in dem Rahmen berücksichtigen, wie es auch bei Beschäftigten anderer Behörden oder anderer gesellschaftlicher Gruppen berücksichtigt wird. Wir leben in einer Gesellschaft, in der eine ganze Menge Leute ein ungeheures Maß an Mobilität und Veränderung abgezwungen wird. Dieses gilt auch für die Bediensteten in unserem Verantwortungsbereich. Deswegen denke ich, daß diese Debatte vielleicht ein wichtiger Anfang ist, um mit denen ehrlich über das zu reden, was einzuhalten ist, und sehr genau zu sortieren, wo die Härtefälle sind, die Anspruch auf größte Schonung haben, und wo die Gruppen und die Besserbezahlten sind, denen man nun den Grad an Mobilität, und zwar ohne zusätzliche finanzielle Versüßung, abverlangen kann, den man anderen Gruppen von Beschäftigten in anderen Gesellschaftsbereichen jederzeit zumutet. Für diese Ehrlichkeit wollte ich plädieren. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bürokratieabbau, schlanker Staat, Verwaltungsreform sind seit langem zentrale Themen der F.D.P.-Politik. Ich erinnere etwa an die Initiative der F.D.P.-Innenpolitiker im Bundestag vom April 1995. Die F.D.P.-Fraktion unterstützt daher mit Nachdruck die Bestrebungen der Bundesregierung und der Koalition zur Reform der öffentlichen Verwaltung. In einem wichtigen Teilbereich sind wir schon sehr weit. Noch in diesem Monat oder spätestens im April wird der Innenausschuß mit der bevorstehenden Dienstrechtsreform befaßt werden. Diese ersetzt selbstverständlich nicht die notwendige innere Verwaltungsreform, steht aber damit in einem engen Zusammenhang. Sie verfolgt nämlich die Leitziele: mehr Flexibilität im öffentlichen Dienst, höhere Leistungsanreize, größere Mobilität. All dies gehört untrennbar zur inneren Reform. Denn wir wollen mit der inneren Verwaltungsreform zum Beispiel die Einführung der kaufmännischen Buchführung, die Budgetierung und damit insgesamt die Delegation von Verantwortung nach unten, auch und gerade im finanziellen Bereich, erreichen. Das heißt also: Stärkung der Befugnisse der einzelnen Dienststelle und des einzelnen Beamten. Die Kommunen - ich erinnere an den Artikel im „General-Anzeiger" über die Gemeinde Wesseling bei Bonn oder an die Erfahrungen, die man als Kommunalpolitiker in Städten wie Passau mit Modellversuchen gemacht hat - haben mit ihren Reformvorhaben und mit ihren Modellvorhaben zur inneren Verwaltungsreform sehr gute Erfahrungen gemacht. Es ergab sich eine größere Motivation der Bediensteten, und die Reformen führten zu Kosteneinsparungen, was wiederum allen Bürgerinnen und Bürgern zugute kommt. Zu Recht zieht daher der Bund nach. Es ist nicht richtig, daß nichts geschehen ist. Es gibt ja auch beim Bund Beispiele für die Budgetierung. Ich nenne etwa: THW, Bundeszentrale für politische Bildung, Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Wir müssen uns aber auch über eines im klaren sein: In dem Moment, wo wir finanzielle Verantwortung stärker nach unten delegieren, nehmen wir unsere eigenen Mitwirkungs- und Mitentscheidungsbefugnisse als Politiker zurück. Das ist gewollt, und das ist auch ein Zeichen von weniger Staat, zu dem wir uns bekennen, was wir aber auch ganz klar ansprechen müssen. Der Gesetzentwurf zur Dienstrechtsreform sieht dagegen in einem Punkt keine Gefolgschaft gegenüber dem vor, was aus den Ländern kommt, nämlich bei der Frage, ob künftig Führungspositionen im öffentlichen Dienst nur noch auf Zeit vergeben werden sollen. Ich wundere mich insbesondere, daß die Grünen dieses Vorhaben, was in trauter Einhelligkeit von Frau Simonis und Herrn Stoiber gefordert wird, als fortschrittlichen Reformschritt mißverstehen. ({0}) In Wahrheit geht es hier doch um die Politisierung des öffentlichen Dienstes, die von jedem, der für eine unabhängige Beamtenschaft eintritt, nicht gewünscht werden kann. ({1}) Nun ist von Herrn Körper und anderen die zeitliche Abfolge unseres Vorgehens kritisiert worden. Ich sage Ihnen aber eines: Wer in diesem komplexen Bereich alles auf einmal reformieren will, wird am Ende überhaupt nichts bewirken. Deswegen ist es richtig, daß wir jetzt dort Entscheidungen treffen, wo die Vorarbeiten weit genug gediehen sind. Das ist eben so bei der Dienstrechtsreform. Gleichzeitig gehen wir die innere Verwaltungsreform an und führen auch dort Schritt für Schritt die notwendigen Entscheidungen herbei. Eine gute Grundlage dafür ist der wirklich bemerkenswerte Zwischenbericht des Sachverständigenrates „Schlanker Staat" vom Januar 1996, auf dessen Einzelheiten ich jetzt aus Zeitgründen nicht mehr eingehen kann. Wir werden den Empfehlungen dieDr. Max Stadler ses Sachverständigenrates im Innenausschuß ebenso größte Aufmerksamkeit schenken wie natürlich auch großen Teilen des Antrags der SPD und auch des Antrags der Grünen. Über den Berlin-Umzug wird allerdings auf Grund einer Großen Anfrage ohnehin gesondert noch einmal debattiert werden müssen. Lassen Sie mich zum Schluß noch eine kleine Anmerkung machen, meine Damen und Herren, die vor allem die Juristen unter uns betrifft und die offenbar alle nach einem oder zwei Semestern Jura in dieser Frage schon verdorben sind. Mir scheint, es ist auch ein Bürokratieabbau in unserem eigenen Sprachgebrauch notwendig. ({2}) - Sie klatschen zu früh. - Wenn ich mir etwa den heutigen Antrag der Grünen zu Gemüte führe, dann wimmelt es dort nur so von „Ich gehe davon aus", „Es gibt besonders gelagerte Ausnahmefälle" und ähnlichen Bürokratismen, so daß ich uns allen übers Wochenende als Pflichtlektüre die Broschüre „Amtsdeutsch heute" von Walter Otto empfehlen möchte. ({3}) - Das gehört ins Wörterbuch des Unmenschen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Maritta Böttcher, PDS.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den vorliegenden Anträgen wird an das Problem der Verwaltungsreform auf einer Ebene herangegangen, die ich für außerordentlich wichtig und notwendig halte. Sie stellen die Modernisierung der Bundesverwaltung in den Mittelpunkt und unterbreiten durchaus brauchbare Vorschläge, Herr Kollege Schlee, wie man da herangehen kann. Wenn man das ganze Gerede vom schlanken Staat einmal mit der Realität vor allem in den neuen Ländern konfrontiert, so fällt auf, daß der Staat in erster Linie dort abgebaut wird, wo er soziale Funktionen erfüllt, nämlich vor Ort, in den Kommunen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Zerstörung der kommunalen Selbstverwaltung durch die Kommunalisierung der Folgelasten der Massenarbeitslosigkeit. Die Ausgaben wachsen, die Einnahmen sinken, das Finanzierungsdefizit steigt. Selbstverwaltung von Städten und Gemeinden verkommt durch die gegenwärtige Finanzpolitik zum Schlagwort. Um so lobenswerter sind die Initiativen und Aktivitäten der Mitarbeiter auf kommunaler Ebene. Demgegenüber steht eine Bundesbürokratie mit einer immer schneller laufenden Gesetzgebungsmaschinerie, die inzwischen bei zirka 2 000 Gesetzen, 3 000 Rechtsverordnungen und 85 000 Einzelvorschriften angekommen ist. In diesem Zusammenhang sind sowohl Normprüfungsverfahren als auch eine Zusammenarbeit - ich betone: eine Zusammenarbeit - von Politik und Verwaltung sehr zu begrüßen. Die jährlichen Berichte des Bundesrechnungshofes belegen Verschwendung von Steuergeldern in Milliardenhöhe, ohne daß die Bundesregierung Konsequenzen zieht. Gespart wird immer noch bei den sozialen Leistungen zu Lasten der Schwächsten. Wenn der Innenminister in einem Interview mit dem Deutschen Beamtenbund sagt, daß die Strukturen der öffentlichen Verwaltung insgesamt auf dem Prüfstand stehen, dann frage ich mich, warum erst nach der Reform des öffentlichen Dienstrechts als zweiter Schritt die Reform der öffentlichen Verwaltung vorgesehen ist. Notwendige Verwaltungsreformen lediglich mit Dienstrechtsregelungen zu beginnen bleibt zwangsläufig Stückwerk ohne bedeutsamen Nutzen. Wenn ich mir alles richtig anschaue, geht es doch, soweit wir ehrlich sind, weniger um Reformen als immer wieder nur um finanzielle Einsparungen. Kurz, die Personalkosten sind zu hoch, also muß gekürzt werden. So wird das aber alles nichts. Stellenabbau und Privatisierung lösen dieses Problem nicht. Insofern ist es sehr wichtig, den Umzug nach Berlin für eine Reform der Bundesverwaltung tatsächlich zu nutzen, und zwar eben nicht für einen Prozeß des Abstoßens sozialer Aufgaben und der Wahrung von Besitzständen der Bundesbeamten. Nötig ist eine Reform durch Demokraten - nicht durch Technokraten -, die, gemeinsam mit den Beschäftigten durchgeführt, über eine gründliche Aufgabenanalyse mit Hilfe sinnvoller Reformprojekte zu effizienten Strukturen für Bürgerinnen und Bürger und damit auch zu mehr Motivation der Beamten und Angestellten führt. Diesen Weg weisen beide Anträge und finden daher auch unsere Unterstützung. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Horst Waffenschmidt.

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet. ({0}) - Liebe Frau Kollegin Vollmer, als Staatssekretär im Bundesinnenministerium ist man nicht nur für Aussiedler, sondern auch für viele andere Dinge zuständig. Das wissen Sie doch. ({1}) Ich rede sehr gern heute morgen mit Ihnen, gerade auch mit Ihnen, Frau Kollegin Vollmer, über das Gesetz für die Erleichterung von Verwaltungsverfahren und über die Verwaltungsreform. Denn das ist ein Testfall, der belegen kann, wie ernst Sie es mit Ihren Absichten in bezug auf die Beschleunigung meinen. ({2}) In dieses Gesetzeswerk haben wir nämlich die Vorschläge, die in wichtigen Kommissionen, auch von Fachleuten der Wirtschaft und Verwaltung, geprüft wurden, aufgenommen. Nur, als das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet wurde, sind viele Leute, die gerade Ihrer politischen Ansicht, Frau Vollmer, nahestehen, aufgestanden und haben fälschlicherweise schon den Untergang des Umweltschutzes prophezeit, weil wir jetzt Erleichterungen bei Verwaltungsverfahren vorsehen. ({3}) Da sollten Sie einmal ganz gut hinhören. Ich möchte, daß wir einmal folgendes zur Kenntnis nehmen - das möchte ich auch dem lieben Kollegen Körper sagen -: Wir können nur dann zusammenarbeiten, wenn wir wenigstens zur Kenntnis nehmen, was wir schon alles gemacht haben und machen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Waffenschmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vollmer?

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Der Kollegin Vollmer gestatte ich das immer.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, darf ich das so verstehen, daß - wie ich schon immer vermutet habe -, die Hauptabsicht Ihrer Deregulierungsvorschläge und der Reform der öffentlichen Verwaltung im Abbau von Errungenschaften zum Beispiel im Bereich des Umweltschutzes besteht? Wenn das so wäre, bestünde unser Widerstand wohl zu Recht. ({0})

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Frau Kollegin - das möchte ich als Antwort und Bitte vortragen -, da sollten Sie sich doch zurückhalten; denn Sie wissen, daß die Absicht der Regierung und der Koalition ist, Erleichterungen im bürokratischen Ablauf zu schaffen. Was wir alles von uns aus an Vorschlägen für den Umweltschutz vorgetragen und durchgesetzt haben, kann sich weiß Gott sehen lassen, auch gegenüber den Grünen. ({0}) Nun aber zur Straffung und Teilabschaffung von Behörden. Gerade in der letzten Sitzungswoche - aber ich glaube, Herr Kollege Körper, Sie hatten nicht die Chance, hierzusein - hat die Bundesregierung in einem langen Bericht an das Parlament vorgetragen, was sie alles zur Straffung und Neuorganisation der öffentlichen Verwaltung unternimmt. Es hat breit in der Presse gestanden. Ich darf doch darum bitten, daß wir, wenn wir zusammenarbeiten wollen, uns gegenseitig konzedieren, wenigstens das zur Kenntnis zu nehmen, was alles auf den Weg gebracht worden ist. ({1}) Wenn dann hier von der Dienstrechtsnovelle gesprochen wird, möchte ich sagen: Das soll man doch nicht so kleinreden. Das ist ganz wichtig. Wir müssen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern darüber reden, und das geschieht. Es gibt immer mehr Modelle für die Budgetierung. Wir hatten erst drei; jetzt haben wir schon sechs. Das stärkt ja gerade die Verantwortung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. Wenn sie eine bestimmte Summe bekommen, machen sie es besonders gut, und wenn sie vielleicht noch etwas einsparen, haben sie zusätzlichen Spielraum. ({2}) Ich finde, daß ein Budgetierungssystem, das Gott sei dank inzwischen auch bei Ländern und Gemeinden eingeführt ist, ein ganz exzellentes Mittel ist, zu sparen und voranzukommen. ({3}) - Ich bin doch sehr dafür, wenn auch Gemeinden hier etwas machen, ({4}) aber nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, daß die Bundesregierung sechs Modelle erprobt. ({5}) Das muß man doch auch hier sagen und zur Kenntnis bringen. ({6}) Nächster Punkt. Herr Kollege Klose, der amtierende Präsident, hat schon darauf hingewiesen, daß beim Berlin-Umzug gewisse Eckwerte einzuhalten sind. Nun muß ich aber sagen: Diese Eckwerte werden natürlich eingehalten, aber wir sind doch gleichwohl in den Ministerien dabei, zu prüfen: Was muß unbedingt Ministeriumsaufgabe bleiben? Was kann in Behörden verlagert werden? Im Zuge dieser ganzen Arbeit wird das gemacht. Jetzt darf ich Ihnen noch etwas Interessantes erzählen. Wir sind doch alle neugierig gewesen, was Sie so bringen würden. Da gab es viele alte Hüte. Jetzt will ich Ihnen noch etwas Neues erzählen. Wir wollen bei der Ministerialverwaltung die Struktur selbst überprüfen. Ich bin der Meinung, daß man zum Beispiel mehrere Referate in Arbeitsgruppen zusammenfassen kann. ({7}) Das ermöglicht einen flexiblen Einsatz der wertvollen Mitarbeiter. ({8}) - Wir sind dabei. ({9}) Ich kann Ihnen einen Organisationsplan schicken, damit Sie gut informiert sind. Zwei Punkte zum Schluß. Der Sachverständigenrat „Schlanker Staat" unter Leitung unseres Kollegen Professor Scholz hat einen Zwischenbericht über die Aktionen und Initiativen vorgelegt, die bereits auf den Weg gebracht wurden. Das geschah übrigens auch unter sachverständiger Assistenz von Mitarbeitern und Beratern, die nicht aus der öffentlichen Verwaltung kommen. Ich will eine letzte Feststellung treffen. Ich leite seit einigen Jahren eine Entbürokratisierungskommission des Bundes. Wir haben da etliches zuwege gebracht. Gestern hatten wir die Freude, daß der Herr Bundespräsident diese Kommission, in der auch Freunde Ihrer politischen Richtung mitarbeiten, empfangen hat. Er hat uns folgendes mit auf den Weg gegeben, womit ich hier schließen will: Diese Aufgabe kann man nur wahrnehmen, wenn man versucht, tausend Schritte zu gehen - es wird also notwendig sein, viele, viele Einzelheiten zu erarbeiten -, und wenn man in der gesamten Arbeit nie nachläßt. Dazu möchte ich uns alle einladen. Ich finde, es ist eine wichtige Aufgabe. Wir sollten zusammenarbeiten, gegenseitig aber auch wahrnehmen, was Gutes schon geschehen ist. Herzlichen Dank. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/3582 und 13/3902 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Keine Einwände. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Günther Maleuda, Eva Bulling-Schröter, Dr. Christa Luft, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Privatisierung von Wald in Naturschutzgebieten - Drucksache 13/2905 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0}) Rechtsausschuß Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten Redezeit erhalten soll. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Bulling-Schröter, PDS.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man § 1 der Verordnung über den Erwerb land- und forstwirtschaftlicher Flächen - kurz: Flächenerwerbsverordnung - liest, dann könnte man schnell zu dem Schluß kommen: Über den Antrag der PDS ist die Zeit hinweggegangen. Die in der Flächenerwerbsverordnung getroffenen Festlegungen berücksichtigen die Forderungen des PDS-Antrags nach Nichtprivatisierung des Waldes. Die PDS hat ihren Antrag jedoch aus guten Gründen nicht zurückgezogen. Neben der Bundestagsgruppe der PDS haben übrigens auch die Landesregierungen hartnäckig auf den Forderungen nach Nichtprivatisierung der Naturschutzflächen bestanden. Wir hoffen, daß sie deshalb nicht mit einer Rote-Socken-Kampagne überzogen werden, wie das manchmal üblich ist. Die Haltung der Landesregierungen zeigt an dieser Stelle Realitätssinn und ein Stück Verantwortung für die Zukunft. Dagegen predigt die Bundesregierung wieder einmal altbekannte Rezepte: Privatisierung und freie Marktwirtschaft als Allheilmittel. Die Folgen einer solchen Strategie sind recht handfest und insbesondere im Osten dieser Republik zu besichtigen. Die Tierproduktion fiel in den neuen Bundesländern auf unter 50 Prozent des Standes von 1989. Die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft ist im selben Zeitraum auf unter 20 Prozent gesunken. Doch zurück zum Thema. Der Antrag der PDS und die jetzt von den Ländern durchgesetzte Regelung ist nur ein Schritt in der uns bevorstehenden Auseinandersetzung über das Wechselverhältnis von „Gewährleistung des Eigentums" und „Gemeinwohlpflicht des Eigentums", wie sie im Grundgesetz festgeschrieben sind. Solche Gesetzesvorhaben wie das Bodenschutzgesetz oder die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes kommen vor allem deswegen nicht voran, weil die Ausgleichsansprüche der Bodenbesitzer für Wirtschaftserschwernisse durch Umweltauflagen und deren Finanzierung ungeklärt sind. Die Notwendigkeit des ökologischen Umbaus der Wirtschaft wird von kaum jemandem bestritten. Doch nach Auffassung der Landbesitzer sollen die Kosten dafür die Gesellschaft, nicht jedoch die Schädiger der Umwelt tragen. Die Bundesregierung beabsichtigte mit ihrem Entwurf der Flächenerwerbsverordnung ursprünglich, alle Bodenreformflächen zu Sonderkonditionen zu privatisieren, um danach den Eignern in Naturschutzgebieten im Rahmen des Vertragsnaturschutzes Abfindungen zu bezahlen. Die jetzt gefundene Lösung erlaubt eine land- und forstwirtschaftliche Nutzung der Flächen auf Pachtbasis und gleichzeitig die Einhaltung gesellschaftlich erstrebter Regeln des Umwelt- und Naturschutzes. Sie erleichtert regionalpolitische Entscheidungen und festigt die wirtschaftspolitische Position demokratisch gewählter Vertretungen Die Pächter können im Rahmen der Vorgaben unternehmerisch tätig werden. Das Land hat in Form der Pacht regelmäßig fließende Einnahmen. Die Pachteinnahmen haben gegenüber einmaligen Verkaufserlösen den Vorteil, daß unsere Kinder und Enkel, alle unsere Nachfahren, die Möglichkeit haben, darüber zu entscheiden, wie die Einnahmen verwendet werden sollen. Der Antrag der PDS bleibt weiterhin aktuell, weil die Nichtprivatisierung auf Flächen beschränkt bleibt, die als Naturschutzflächen schon „festgesetzt oder einstweilig gesichert sind oder das Unterschutzstellungsverfahren förmlich eingeleitet ist". Der Privatisierungsprozeß wird sich jedoch über mehrere Jahre hinziehen. In dieser Zeit können neue Anforderungen an den Naturschutz entstehen. Auch dann muß es noch möglich sein, diese Anforderungen durch eine Nichtprivatisierung des Bodens zu realisieren. ({0}) Für die weitere Beratung des PDS-Antrags spricht auch der Umstand, daß die Flächenerwerbsverordnung ihre Prüfung vor dem Bundesverfassungsgericht noch bestehen muß. ({1}) Die Bundesregierung und die Landesregierungen sind aufgefordert, bis zum 29. Februar dieses Jahres ihre Stellungnahme zum Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die Flächenerwerbsverordnung einzureichen. Die PDS hat deshalb im Agrarausschuß den Antrag gestellt, die Bundesregierung möge den Ausschuß über die Stellungnahme der Bundesregierung informieren, und der Ausschuß möge dazu ein Votum abgeben. Wir brauchen schließlich eine öffentliche Debatte und einen möglichst gesamtgesellschaftlichen Konsens darüber, wie Naturgüter zukünftig in die Eigentumsordnung der Bundesrepublik einzuordnen sind. ({2}) - Nein, ich bin jetzt gleich mit meiner Rede am Ende. Letzter Satz. Das Grundgesetz bietet mit seinen Art. 14 und 15 einen breiten Handlungsspielraum; er muß unter Berücksichtigung der Überlebensinteressen der Menschen in einer gesunden Umwelt und für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung verantwortungsbewußt genutzt werden. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat jetzt der Kollege Wilhelm Dietzel, CDU/CSU.

Wilhelm Dietzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002641, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag hat die Flächenerwerbsverordnung als Grundlage. Diese ist am 29. Dezember 1995 im Bundesgesetzblatt verkündet worden und seit 30. Dezember 1995 in Kraft. Wenn man sich die Entwicklung bis hierher einmal ansieht, dann ist anzumerken, daß das Bundeskabinett diese Flächenerwerbsverordnung bereits am 4. Mai 1995 beschlossen hat. Der Bundesrat hat sich im September letzten Jahres hiermit befaßt. Wenn ich davon ausgehe, daß es zwischen der Bundesregierung und den Bundesländern in vielen Bereichen erhebliche Unterschiede gegeben hat, so muß ich auch feststellen, daß diese unterschiedlichen Meinungen ausnahmslos ausgeräumt werden konnten, so daß diese Verordnung pünktlich in Kraft treten konnte. Ich darf anmerken, daß in diesem Verfahren der Antrag der PDS vom 7. November 1995 wohl verspätet war. Wenn man hier einmal ein kurzes Zwischenresümee zieht, so ist zu sagen, daß dieses Thema für uns eigentlich erledigt ist. Wir müssen die Frage stellen, weshalb dieser Antrag aufrechterhalten bleiben soll und welche Dinge bezüglich des Ablaufs noch angemerkt werden sollen. Offensichtlich hat der Antragsteller den Zeitpunkt verschlafen, als die Diskussion noch im Gange war und noch Einfluß genommen werden konnte. Oder es ist zu vermuten, daß bei diesem Thema ein billiges Nachkarten vorliegt. Machen wir uns nichts vor: Diesem wird die CDU/CSU nicht zustimmen. ({0}) Wenn ich die Entwicklung in diesem Bereich einmal betrachte, daß das Kabinett im Mai letzten Jahres ein Konzept vorgelegt und der Bundesrat im September letzten Jahres mit - zugegebenerweise -26 Veränderungen zugestimmt hat, dann, so meine ich, sollte man sich auch inhaltlich mit diesem Thema befassen. Dies dient der Umsetzung des Flächenerwerbsprogrammes. Hier wird geregelt: Einzelheiten zum Inhalt und Umfang der Erwerbsberechtigung einschließlich Regelungen zur Berechtigung des vergünstigten Kaufpreises für land- und forstwirtschaftliche Flächen, zweiter Punkt: das Verfahren einschließlich der Antragsfrist, dritter Punkt: kaufvertragliche Regelung sowie der Grundbuchvollzug und als letztes: Einzelheiten zu dem bei der BVVG eingerichteten Beirat, der in Streitfällen gehört werden muß. Bei der Einigung mit dem Bundesrat wurden zusätzlich hineingebracht: Absenkung des Kaufpreises für Kiefernflächen, Einbeziehung auch von GmbH & Co KGs als Berechtigte, zusätzlich, daß Berechtigte immer Vorrang vor Nichtberechtigten haben, daß aber an Nichtberechtigte bis zu 40 000 Hektar pro Jahr zur Verfügung gestellt werden können. Ich glaube, daß in der vorliegenden Verordnung all diese Dinge, die die Antragsteller in diesen Bereichen vorgeschlagen haben, entsprechend geregelt worden sind. Inhaltlich darf ich § 1 Abs. 2 letzter Satz der Verordnung zitieren, daß Waldflächen, die als Naturschutzflächen ... festgelegt oder einstweilig gesichert sind oder das Unterschutzstellungsverfahren förmlich eingeleitet ist ..., dann nicht veräußert werden dürfen, wenn ihre forstwirtschaftliche Nutzung ausgeschlossen ist oder ausgeschlossen werden soll. Ein zweiter Punkt: § 17 sieht vor, daß Waldflächen auch an Träger von Naturschutzprojekten verkauft werden können. Soweit Waldflächen im Rahmen eines Naturschutzprojektes von dessen Träger erworben werden, ist ein Ausgleich für naturschutzrechtliche Nutzungsbeschränkungen ausgeschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß damit die Dinge für uns geregelt sind, so daß wir auch in Zukunft nach unserem jetzigen Erkenntnisstand damit leben können. Ich will an die Ausführungen meiner Vorrednerin anknüpfen und noch einen Punkt ansprechen. Die einstweilige Anordnung gegen diese Verordnung - die Bundesregierung mußte bis gestern antworten - hatte mit diesem Antrag und dieser Verordnung nichts zu tun, sondern ausschließlich etwas mit Enteignungen bis zum Jahre 1949 und kann hier als Diskussionsgrundlage sicher nicht verwertet werden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch zwei Bemerkungen zum Antrag der PDS machen: Einmal wurde dort angemerkt, daß Naturgüter generell nicht der Vermarktung zugeführt werden sollen, weil sie Gemeingut sind. Diese Meinung teile ich ausdrücklich nicht. ({1}) Ein zweiter Punkt betrifft den Antrag, daß Treuhandflächen in vorhandenen und geplanten Naturschutzflächen vom Verkauf ausgeschlossen sind oder vom Verkauf ausgeschlossen werden sollen, mit der Begründung - das halte ich schon fast für skandalös -: Kommunales bzw. Landeseigentum an Grund und Boden hat den Vorteil, daß über Flächennutzung demokratisch entschieden wird. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, daß ich zu diesem Punkt eine andere Meinung habe. ({2}) Zum einen ist die BVVG nicht befugt, kommunales und Landeseigentum zu verkaufen. Zum anderen ist Ihnen als Antragsteller sicher aufgefallen, daß wir jetzt in einer freien Sozialen Marktwirtschaft leben. Das zeigt mir allerdings auch, wo die gedanklichen und ideologischen Wurzeln der Antragsteller liegen. Es gilt dort das Motto: Der Staat macht alles besser. ({3}) Meine Damen und Herren, ich glaube auch, daß das ein Ohrfeige für viele Land- und Forstwirte ist, die auf ihren Flächen Hervorragendes für Naturschutz und Umwelt geleistet haben, ohne vom Staat dazu gezwungen worden zu sein, und das in einer Qualität und zu Kosten, die der Staat nie hätte aufbringen können. ({4}) Meine Damen und Herren, die Flächenerwerbsverordnung von Bundesregierung und Bundesrat vom 30. Dezember des letzten Jahres ist praxisgerecht und gut. Wir sehen keinen Grund zu Veränderungen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Ernst Bahr, SPD-Fraktion.

Ernst Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002620, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Dietzel, ich stimme Ihren Ausführungen in weiten Teilen zu - inhaltlich auf jeden Fall -; das werden Sie an meinem Redebeitrag auch merken. Allerdings bin ich schon der Auffassung, daß staatliche Einrichtungen sehr wohl rentabel und effizient arbeiten können. Das ist schon bisher unter Beweis gestellt worden. Ich denke, daß das auch weiterhin gesichert werden kann. Es ist nur eine Frage, ob die Institutionen noch ordnungsgemäß geleitet werden. Das ist heute aber schon Thema dieser Debatte gewesen. ({0}) Der Wald ist für uns Menschen in der Industriegesellschaft ein besonderes Gut. Er trägt wesentlich zur Verbesserung unserer Lebensqualität bei. Die vielfältigen Funktionen des Waldes - zum Beispiel als Lebenraum für Tiere und Pflanzen, als Klimafaktor, Wasserspeicher und Erosionsschutz - sind wesentlich für eine lebenswerte Umwelt. Darüber hinaus ist der Wald aber auch ein wertvolles Wirtschaftsgut. ({1}) Eigentum und Besitz dürfen deshalb diese vielfältigen Funktionen des Waldes für Natur und Gesellschaft nicht einschränken. Dies entspricht im übrigen auch Art. 14 des Grundgesetzes, wonach Eigentum in besonderer Weise verpflichtet. Ich vertrete allerdings mit vielen Menschen in Deutschland die Auffassung, daß Wald nicht unbedingt und nicht in jedem Falle privatisiert werden muß. Denn hierzulande kann kaum jemand den Wald ohne staatliche Förderung ordnungsgemäß und nachhaltig bewirtschaften. Insbesondere die Kommunen und Kreise in den neuen Ländern haben sich in Entschließungsanträgen an ihre jeweilige Landesregierung gewandt, um dem großflächigen Waldverkauf entgegenzutreten. „Warum?" ist hier die Frage. Die Privatisierung in vielen Wirtschaftsbereichen und in der Industrie durch die Treuhandanstalt und ihre Nachfolgeeinrichtungen ist schlicht und einfach mißlungen. Wir alle kennen die negativen Folgen: Massenarbeitslosigkeit von real etwa 40 Prozent, brachliegende Industriestandorte und Hunderte von Milliarden Verluste für den Bundeshaushalt. Auch in der Landwirtschaft waren die Strukturveränderungen schmerzlich für alle Betroffenen. Etwa 75 Prozent aller früher in der Landwirtschaft Beschäftigten haben ihren Arbeitsplatz verloren. Alles in allem ist aber die Umwandlung der Landwirtschaft bisher noch relativ erfolgreich verlaufen, und ein Verkauf des Produktionsmittels Bodens ist zur Stabilisierung der neuen Betriebsformen - ich nenne hier Wiedereinrichter, Neueinrichter sowie juristische Personen - und zur Umwandlung der ehemaligen volkseigenen Güter notwendig. Die schnelle Umsetzung des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgestzes, EALG, unter Anwendung der hier zur Debatte stehenden Flächenerwerbsverordnung ist deshalb erforderlich. Im ursprünglichen Entwurf der Flächenerwerbsverordnung hatte die Bundesregierung zunächst nur eine bevorzugte Veräußerung an Alteigentümer und Restitutionsberechtigte vorgesehen. Letztlich ist es der Mehrheit des Bundesrates und meiner Fraktion zu verdanken, daß eine Einigung mit der Bundesregierung über insgesamt 23 von 26 Änderungsvorschlägen erzielt werden konnte. So werden nun ortsansässige Landnutzer für den bevorzugten Erwerb vorgesehen. Mit der Neuregelung der Flächenerwerbsverordnung wird den Land- und Forstwirtschaftsbetrieben eine dauerhafte Bewirtschaftungsmöglichkeit angeboten und damit ein Beitrag zur Existenzsicherung geleistet. Um aber auch dem Naturschutz wirklich Genüge zu tun, war es notwendig, seine Belange in die Verordnung aufzunehmen. Deshalb wurde folgerichtig der begünstigte Verkauf an Träger von Naturschutzprojekten in diese Regelung einbezogen. ({2}) Auf Antrag des Landes Brandenburg wurde schließlich die Flächenerwerbsverordnung in § 1 Abs. 2 um einen Satz ergänzt, der sicherstellt, daß für Naturschutzzwecke Flächen aus dem Angebotsprogramm herausgenommen werden können: Außerland- und außerforstwirtschaftliche Zwekke im Sinne dieser Vorschrift sind auch gegeben, wenn Flächen als Naturschutzflächen a) festgesetzt oder einstweilig gesichert sind oder das Unterschutzstellungsverfahren förmlich eingeleitet ist und b) ihre land- und forstwirtschaftliche Nutzung ausgeschlossen ist oder ausgeschlossen werden soll. Die Verankerung dieses Satzes in der Verordnung erleichtert die Umsetzung des Entschädigungsgesetzes in der Praxis. Damit wird gleichzeitig auch eine schlüssige Verbindung zu der entsprechenden Landesgesetzgebung für den Naturschutz, den Wald sowie die Land- und Forstwirtschaft geschaffen. Der zweite Teil der Formulierung - „ihre land- und forstwirtschaftliche Nutzung ausgeschlossen ist oder ausgeschlossen werden soll" - bedurfte jedoch der Klarstellung, daß Nutzung und Schutz nicht immer und grundsätzlich einander entgegenstehen. Mit einem Entschließungsantrag beabsichtigte das Land Brandenburg, ausdrücklich zu sichern, daß Träger von Naturschutzprojekten entsprechende Flächen auch dann erwerben können, wenn ihre land- und forstwirtschaftliche Nutzung nicht ausgeschlossen ist. Der Antrag hatte auch zum Ziel, die mißverständliche Formulierung der Ausnahmeregelung im § 17 der Flächenerwerbsverordnung, „Naturschutzflächen von gesamtstaatlicher Bedeutung", in dem Sinne zu interpretieren, daß Naturschutzgebiete in Deutschland per Definition von gesamtstaatlicher Bedeutung sind. Die Bundesregierung hat im Agrar- und im Umweltausschuß des Bundesrates zu Protokoll gegeben, daß die Haltung Brandenburgs auch ihre Rechtsauffassung sei. Daraufhin erübrigte sich der Entschließungsantrag. Die Ausweisung von Naturschutzflächen ist in der Regel immer auch mit einer Einschränkung von Eigentumsrechten an den betroffenen Flächen verbunden. In allen Bundesländern gibt es die Möglichkeit des Flächenaustausches mit Landeswald im Rahmen der Flurneuordnung. Dadurch können Eigentümer von Wald, der unter Schutz gestellt werden soll, möglichen Einschränkungen entgehen. Die vorliegende Verordnung ist praxisgerecht. Sie schafft eine Lösung für die Privatisierung, erhält die Möglichkeit der Unterschutzstellung bedeutsamer Landschaften und sichert den Eigentümern ihre Rechte. Der Boden als grundlegendes Produktionsmittel für die Land- und Forstwirtschaft muß den Betrieben endlich auf Dauer zur Verfügung stehen. Bis heute können viele Betriebe in den neuen Ländern nicht planen und investieren, weil sie nicht wissen, von welcher Produktionsfläche sie ausgehen können. ({3}) - Herr Bredehorn, Sie können sich das gern vor Ort ansehen; dann wissen Sie, welche Probleme in der Landwirtschaft in Ostdeutschland zu bewältigen waren. ({4}) - Sie wissen, was diese Verpachtungsbedingungen alles beinhalten, welche Unsicherheiten diese Betriebe haben, weil sie nicht wissen, wie lange diese Pachtverhältnisse zu halten sind. ({5}) Viele Land- und Forstwirte sind verunsichert, Arbeitsplätze sind in Gefahr, neue Arbeitsplätze können nicht geschaffen werden, und die Produktionsrichtung der jeweiligen Betriebe kann nicht konkret festgelegt werden. Diese Unsicherheit muß endlich beendet werden. Mit der seit Dezember 1995 vorliegenden und seit dem 1. Januar 1996 rechtskräftigen Flächenerwerbsverordnung ist die längst schon fällige und zügige Umsetzung des Entschädigungsgesetzes möglich. Die Belange des Naturschutzes sind also in einem Umfang berücksichtigt, der über die Forderung des PDS-Antrages deutlich hinausgeht. ({6}) Deshalb können und sollten die bereits vorhandenen Regelungen schnellstens umgesetzt werden. Ein Änderungs- oder Ergänzungsbedarf im Sinne des Antrages der PDS ist nicht gegeben. Vielen Dank. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Vera Lengsfeld, Bündnis 90/Die Grünen.

Vera Wollenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002721, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir sind der Meinung: Naturschutzgebiete und ökologisch wertvolle Flächen, die unter Schutz gestellt werden sollen, dürfen nicht verkauft werden, wenn sie sich glücklicherweise schon im Gemeineigentum befinden. Die Verordnung über den Erwerb land- und forstwirtschaftlicher Flächen, die im vorliegenden Antrag angesprochen ist, schließt in § 1 Naturschutzflächen von der Privatisierung aus. Leider ist daran noch eine Bedingung geknüpft: Die Naturschutzgebiete werden nur dann vom Verkauf ausgenommen, wenn die land- und forstwirtschaftliche Nutzung gänzlich ausgeschlossen wird. Diese Formulierung in der Flächenerwerbsverordnung ist sehr schlecht gewählt; denn sie orientiert sich nicht am Text des bestehenden Bundesnaturschutzgesetzes. Dadurch wird die Praxis sehr kompliziert. Es muß nämlich nun jede einzelne Schutzgebietsverordnung für jedes Naturschutzgebiet, Landschaftsschutzgebiet, jeden Nationalpark oder jedes Biosphärenreservat daraufhin geprüft werden, ob darin für das ganze Gebiet oder auch nur einen Teil davon tatsächlich ein Totalschutz festgelegt worden ist, der jegliche Nutzung verbietet. Das ist ein enorm aufwendiges Unterfangen. Die für die Privatisierungsverfahren zuständige Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH kann deshalb auch bis heute keine Angaben darüber machen, welche Flächen auf Grund dieser Bestimmungen nicht verkauft werden dürfen und wie groß der Anteil dieser Flächen an den 0,8 Millionen Hektar Wald ist, die von der BWG privatisiert werden sollen. Hier haben wir wieder einmal ein Beispiel dafür, wie der Gesetzgeber durch seine Formulierungen den Vollzug von Bestimmungen äußerst schwierig gestaltet. Es wäre unserer Meinung nach wesentlich sinnvoller, die Flächenerwerbsverordnung bezüglich dieses Punktes an den Bestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes auszurichten. Dieses teilt die Naturschutzflächen in Kategorien ein, und an diesen Kategorien hätte man sich orientieren sollen. Das heißt konkret, in der Flächenerwerbsverordnung müßte stehen, daß alle Naturschutzgebiete nach § 13 Bundesnaturschutzgesetz nicht privatisiert werden dürfen. Auch die Nationalparke, die nach geltenden Bestimmungen wie Naturschutzgebiete geschützt werden sollen, sollten nicht veräußert werden. Naturschutzgebiete und Nationalparke sind unsere strengsten Schutzkategorien. Es ist für eine sinnvolle Naturschutzplanung auf jeden Fall notwendig, daß diese Flächen in staatlicher Hand bleiben und nicht privatisiert werden. Wenn sich die zu schützenden Gebiete bereits in Gemeineigentum befinden, ist es unsinnig, diese zu verkaufen; denn dann müssen für Auflagen, die den Düngereinsatz und den Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln beschränken, umfangreiche Ausgleichszahlungen geleistet werden. Ich frage Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen - die Finanzmittel in den öffentlichen Kassen sind bekanntlich auf allen Ebenen knapp -: Woher wollen die Bundesregierung und die Regierungskoalition die Mittel für Ausgleichszahlungen nach einer Privatisierung zukünftig nehmen? Davon habe ich noch nichts gehört. Wir sollten uns davor hüten, uns zu weiteren, langfristigen Zahlungen für Auflagen über Düngung und Pestizideinsatz in wichtigen Naturschutz- oder Trinkwasserschutzgebieten zu verpflichten. Das ist am einfachsten, wenn die Flächen in Gemeinbesitz bleiben. Vielen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat jetzt der Kollege Günther Bredehorn, F.D.P.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Gruppe der PDS zur Privatisierung von Wald in Naturschutzgebieten, der am 7. November 1995 eingebracht worden ist, war von Anfang an obsolet. Er wurde in den Deutschen Bundestag zu einer Zeit eingebracht, als die Verhandlungen zur Verordnung über den Erwerb land- und forstwirtschaftlicher Flächen, das Verfahren sowie den Beirat nach dem Ausgleichsleistungsgesetz so gut wie abgeschlossen waren. Erinnern wir uns: Ende 1994 lag bereits der erste Entwurf vor; am 4. Mai 1995 erfolgte der Beschluß des Kabinetts. Nach ausführlichen Beratungen debattierte der Bundesrat am 22. September 1995 über die Verordnung und verlangte 26 weitere Änderungen, von denen das Bundeskabinett 22 Änderungswünsche akzeptierte. Anschließend sind bis zum 15. Dezember 1995, dem zweiten Durchgang im Bundeskabinett, weitere intensive Gespräche mit den Ländern geführt worden. Die endgültige Verabschiedung der Flächenerwerbsverordnung erfolgte am 18. Dezember 1995 durch den Bundesrat. Die Chronologie der Ereignisse zeigt deutlich, daß die PDS hier den rechten Zeitpunkt verschlafen hat. Der alte Gorbatschow-Grundsatz - Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben - gilt auch hier. Es ist gut für Ostdeutschland, daß sich die PDS-Vorstellungen von Ausschluß der Privatisierung von Wald in Naturschutzgebieten nicht haben durchsetzen können. Sie sind Ausfluß planwirtschaftlichen Denkens, das noch in den Köpfen derjenigen geistert, die die wirtschaftliche, politische und geistige Verwüstung zu Zeiten der DDR betrieben haben und jetzt meinen, dies fortsetzen zu müssen. Die Bundesregierung hat sich durchgesetzt und der Forderung nach einem generellen Verbot der Privatisierung nicht entsprochen, auch wenn dazu erhebliche Anstrengungen notwendig waren, da leider die Vertreter einiger ostdeutscher Länder im Bundesrat in den schwierigen Verhandlungen des Jahres 1995 dies ebenfalls so wollten. Unter dem Deckmantel der Umweltpolitik versucht die PDS hier abermals, alte Strukturen zu verfestigen. 40 Jahre sozialistische Mißwirtschaft werden nicht zur Kenntnis genommen. Dabei geht es darum, das heruntergewirtschaftete Potential der ostdeutschen Forstwirtschaft auf nachhaltige Weise zu erneuern. Entwicklungschancen sowie Entfaltungsmöglichkeiten müssen auch sechs Jahre nach der Vereinigung weiter verbessert und konsequent genutzt werden. Bei den treuhänderisch verwalteten Forsten in der ehemaligen DDR - das sind zur Zeit immerhin noch 720 000 Hektar - liegt der vom Bund zu tragende Verlust jährlich bei 400 DM je Hektar Waldfläche, während wir im Privatwald Gott sei Dank noch Gewinne zu verzeichnen haben. Von daher brauchen wir eine klare Privatisierungspolitik, die eigenverantwortliches Handeln zur Selbstverständlichkeit werden läßt. Der Begrenzung der Freiräume wirtschaftlichen Handelns der Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern muß ein Riegel vorgeschoben werden. Mit der Flächenerwerbsverordnung eröffnen wir Chancen. Die F.D.P. begrüßt dies. Ich sage aber auch ganz klar und deutlich meine persönliche Meinung: Ich bin ganz dezidiert anderer Auffassung, denn solange nicht über die Verfassungsbeschwerden gegen das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz entschieden ist - dieses Gesetz war ja die Grundlage für die Flächenerwerbsverordnung -, sollten wir nicht schon vorher vollendete Tatsachen schaffen. Herr Bahr, die Eile im Zusammenhang mit der Pacht mag bei Waldflächen ja nicht so entscheidend sein. Aber bei landwirtschaftlichen Nutzflächen ist sie nun wirklich nicht angebracht. Fast 90 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen sind langfristig verpachtet. In den neuen Bundesländern gibt es Pachtverträge mit einer Laufzeit von 12 bis 18 Jahren. Bei uns in Westdeutschland, wo auch über die Hälfte der landwirtschaftlichen Flächen verpachtet ist, haben wir Pachtverträge, die zum Teil Jahr für Jahr verlängert werden oder die eine sechsjährige Laufzeit haben. Wir haben in diesem Bereich etwas getan; somit ist durchaus eine gewisse Sicherheit dafür gegeben, daß nicht schon jetzt in allen Bereichen entschieden werden muß. Auch im Hinblick auf die zum Teil äußerst sensible Situation der Wälder in Ostdeutschland ist die Verordnung durchaus ausgewogen. Sie gibt ausreichend Raum für eine Privatisierung forst- und landwirtschaftlicher Nutzflächen, schränkt die Bewirtschaftung aber dort ein bzw. untersagt sie dort, wo es sinnvoll und vernünftig erscheint. So ist zum Beispiel in Totalreservaten, die im übrigen nur einen Bruchteil der Waldflächen ausmachen, keine Privatisierung und damit auch keine privatwirtschaftliche Nutzung möglich. Aber dort, wo unter strenger Beachtung des Naturschutzgesetzes eine extensive land- und forstwirtschaftliche Nutzung Sinn macht, muß weiterhin privatisiert werden. Denn damit wird die Basis für Neuinvestitionen geschaffen. Ohne den Anreiz, Eigentum zu bilden und zu erwerben, ohne die Verfügbarkeit des Produktionsfaktors Grund und Boden gibt es keine Investitionen und keine Arbeitsplätze. Schönen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/2905 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Marina Steindor, Manfred Such, Monika Knoche und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung und Wahrung der Vertraulichkeit von Patientendaten - Drucksache 13/3669 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit ({0}) Innenausschuß Rechtsausschuß Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Marina Steindor, Bündnis 90/Die Grünen.

Marina Steindor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002809, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bringen heute unseren Gesetzentwurf zur Streichung des ICD 10 ein. Für uns hat die ad hoc anberaumte Expertenanhörung des Gesundheitsausschusses deutlich gezeigt, daß eigentlich niemand so genau wußte, was im GSG verabschiedet worden ist. ({0}) Als Universalinstrument für Abrechnungstransparenz, Epidemiologie und Qualitätssicherung ist diese Kodierung unbrauchbar. Was da erfaßt wird, ist Datensalat, der den Versicherten schadet. Die Proteste aus der Ärzteschaft, von Datenschützern und Patienteninitiativen haben Sie, Herr Bundesminister, und auch Sie, Frau Staatssekretärin, dazu gezwungen, zu handeln. Sie spielen seitdem zusammen mit der Regierungskoalition mit uns so eine Art Hase-und-Igel-Spiel. ({1}) Denn immer dann, wenn sich im Parlament etwas regt, ruft Ihr Ministerium: Wir sind schon da! Wir haben alles schon geregelt! - So spricht ein Staatssekretär vor der Anhörung im Gesundheitsausschuß mit dem Datenschützer und hat alles geregelt. Und vor der Einbringung unseres Gesetzentwurfes in dieses Hohe Haus hat die Selbstverwaltung schon einen Rahmenvertrag abgeschlossen, und zwar mit dem Segen des Bundesministeriums für Gesundheit, das auch noch die Datenschutzaspekte koordinieren will. Mit dem GRG und dem GSG ist eine Vorhaltegesetzgebung zur Computerisierung des Gesundheitswesens in Gang gesetzt worden. Sie reicht von der Chipkarte über den IDC 10 bis zum Datenaustausch und den Abrechnungsmodi. Wir sind der Auffassung, daß die datenschutzrechtlichen Probleme nicht gelöst sind. Trotz der Beschwichtigungsrhetorik der Krankenkassen und des Bundesgesundheitsministeriums sehen wir den Schutz sensibler Daten der Versicherten nicht gewährleistet. ({2}) Wir sehen auch nicht, daß die gesamte Kassenärzteschaft ihren Spitzenfunktionären im Umgang mit dem ICD 10 folgt. Die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ist wegen juristischer Mängel im Schriftsatz abgewiesen worden. In der Sache ist keine Entscheidung getroffen. Ich glaube auch nicht, wie Herr Schorre im „Ärzteblatt" schreibt, daß die Sache vom Tisch ist. Immer wieder wird behauptet, daß die Lehren aus dem Volkszählungsurteil gezogen worden seien. Ich kann nicht erkennen, daß die Krankenkassen überhaupt genügend Problembewußtsein hinsichtlich der Daten entwickeln, die in ihren Rechnern stecken. Bei einer kassenübergreifenden Auswertung, für die es bereits Modellprojekte gibt, besteht die Möglichkeit, Daten fast der ganzen bundesdeutschen Bevölkerung mit Angaben über Gehalt, Lebensumstände und Krankengeschichte in den Rechnern zusammenzuführen. ({3}) Für Computerspezialisten ist es durchaus möglich, in diese Rechner hineinzukommen und die Daten zu repersonalisieren. Die Kassen haben ein Eigeninteresse an den Daten, ebenso die Wissenschaft und die Politik. Die Kassen erwarten, daß ihnen die Versicherten, was den Schutz ihrer Daten betrifft, blind vertrauen. Dabei können sie in der Tat in der Öffentlichkeit nicht ausreichend darstellen, was sie an Datensicherungsmaßnahmen überhaupt vorgenommen haben. Sie versuchen, Politikerinnen und Politiker, die sich ernsthaft mit Datenschutzproblemen auseinandersetzen, sofort der Kollaboration mit der Ärzteschaft, die sich der Transparenz entziehen und sich nicht in die Karten schauen lassen will, zu bezichtigen. Das ist meiner Meinung nach eine etwas sehr pervertierte Form der alten Klassenkampfrhetorik. In den Fachblättern ist die Debatte sehr hitzig geführt worden. Ich möchte meine Einbringungsrede zu unserem Gesetzentwurf ({4}) mit einem Zitat von einem politisch doch sehr unverdächtigen Wissenschaftsjournalisten des Fachorgans „Ärztezeitung", Herrn Dr. Kubitscheck, abschließen: Wenn es jemals im Gesundheitswesen einen zwingenden Grund gab, den zivilen Gehorsam zu verweigern, dann ist dieser Zeitpunkt jetzt gekommen. Der ICD 10 sollte sowohl aufgrund der Unmöglichkeit eines wirksamen Datenschutzes als auch aufgrund der wissenschaftlich wertlosen Datenbasis weder in einer abgespeckten noch möglicherweise umbenannten Version eingeführt werden. Wir wollen den ICD 10 streichen. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Zöller, CDU/CSU.

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit einer Abwandlung des berühmten Satzes von Michail Gorbatschow „Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben" könnte man eigentlich den Gesetzentwurf der Grünen überschreiben. Tolldreist finde ich allerdings die Formulierung zum Gesetzentwurf. Ich darf zitieren: Die Vorschriften der § 295 Abs. 1 und § 303 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ({0}) tangieren das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von Patienten und Ärzten nach Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes und sind somit verfassungswidrig. In der den Grünen eigenen Selbstherrlichkeit wird hier die Tatsache unterschlagen, daß im Gesetzgebungsverfahren zum Gesundheitsstrukturgesetz weder die Verfassungsressorts noch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der beiden Paragraphen geäußert haben. Die Grünen sind mit ihrer Gesetzesinitiative am 2. Februar 1996 auch insofern „zu früh gekommen", als das Bundesverfassungsgericht am 7. Februar eine Verfassungsbeschwerde von Vertragsärzten gegen den ICD 10 nicht zur Entscheidung angenommen hat. Ich unterstelle, daß die Begründung der Verfassungsbeschwerde juristisch und fachlich wesentlich substantiierter als die hier vorliegende Gesetzesbegründung der Grünen gewesen ist. Dennoch wurde die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Ich darf aus den Gründen des Beschlusses zitieren: Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Verschlüsselungspflicht gemäß § 295 Abs. 1 Satz 2 SGB V sind nicht hinreichend dargetan. Die Verfassungsbeschwerde geht nicht auf die Nutzungs- und Weitergaberegelungen der §§ 284, 285, 295 bis 298 SGB V ein, die den Datenzugriff zweckgebunden und bereichsspezifisch regeln und Vorsorge gegen zweckwidrige Verwendung treffen. ({1}) Daß ungeachtet dieser Regelungen grundsätzliche Bedenken gegen die Verschlüsselung sämtlicher für die Abrechnung erforderlichen Angaben bestehen, ist nicht ohne weiteres erkennbar. Diese Begründung ist eine schallende Ohrfeige für die Autoren des Gesetzentwurfes. Ihr ist nichts hinzuzufügen. ({2}) Für die Union möchte ich hier erklären, daß wir diesem populistischen Gesetzentwurf der Grünen, die unter dem Motto „Wir sind die Datenschützer Nummer eins in Deutschland" vielleicht nach Stimmen im liberalen Lager schielen, ({3}) eine klare und eindeutige Absage erteilen. Nach den Irrungen und Wirrungen um den ICD 10 in den letzten Wochen gibt es seit dem 2. Februar 1996 eine Rahmenvereinbarung zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft. ({4}) Ausgangspunkt dieser Vereinbarung ist die grundsätzliche Übereinstimmung aller Beteiligten darüber, daß bei der Übermittlung der zur Leistungsabrechnung notwendigen Daten eine Verschlüsselung der Diagnose im Interesse einer Modernisierung und Rationalisierung des Abrechnungs- und Prüfungsverfahrens sinnvoll ist. Es besteht auch darin Übereinstimmung, daß niemand den sogenannten gläsernen Patienten will. Trotz gegenteiliger Behauptungen von interessierten Kreisen hat auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz bei einer neuerlichen Prüfung keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Angabe von Diagnosen und ihre Verschlüsselung erhoben. Bei diesem Gespräch waren Sie selber dabei. Die Vertragspartner werden unter Einbeziehung der entsprechenden Verbände und Körperschaften einen Arbeitsausschuß auf Landesebene bilden, der nur auf der Grundlage des ICD 10 bis spätestens zum 31. Dezember 1996 einen Vorschlag erarbeitet, der die praktische und sinnvolle Anwendbarkeit des Schlüssels sicherstellen soll. Nach einer Erprobungsphase in einer repräsentativen Anzahl von Praxen und Krankenhäusern soll dann zum 1. Januar 1998 eine verbindliche Diagnoseverschlüsselung auf der Grundlage der überarbeiteten Fassung sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich gleichzeitig eingeführt werden. Diese von der Selbstverwaltung gefundene Lösung entspricht der Intention der Koalition in der dritten Stufe der Gesundheitsreform, die unter dem Motto „Vorfahrt für die Selbstverwaltung" steht. Die Selbstverwaltung hat hier ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Das Bundesministerium für Gesundheit wird auch bei der Überarbeitung des Diagnoseschlüssels die datenschutzrechtlichen Aspekte koordinieren. Die Interessen der Patienten und der Ärzte sind gewahrt. Der Gesetzentwurf der Grünen ist daher überflüssig. Wenn es Ihnen wirklich um die Sache und nicht um politisches Spektakel geht, dann müssen Sie eigentlich logischerweise Ihren Gesetzentwurf zurückziehen. Ich danke Ihnen. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Petra Ernstberger, SPD.

Petra Ernstberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002648, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein modernes, das heißt wirksames und leistungsfähiges Gesundheitswesen braucht angesichts der heutigen und auch zukünftigen Herausforderungen ein Datenerhebungs- und -verarbeitungssystem, das den Anforderungen gerecht wird. Jedoch liegen zwischen dem Anspruch und der Realität der Umsetzung Welten. Mit Recht hat nämlich Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender des VdAK, im „Focus" gesagt, daß Deutschland ... im internationalen Vergleich ein Entwicklungsland in Sachen medizinischer Dokumentation und Transparenz ist. Es fehlen Grundlagen zur Steuerung des Leistungsprozesses in Richtung Qualität, Wirtschaftlichkeit und Bedarfsnotwendigkeit. Für ein besseres Kostenmanagement benötigt man „Licht in der Dunkelkammer", sprich: die für den Kunden transparente Arztpraxis. Und das ist richtig so. In unserem Gesundheitssystem bestehen nämlich erhebliche Defizite in der Leistungs- und in der Kostentransparenz. Von daher stellt eine standardisierte Diagnoseverschlüsselung die entscheidende Voraussetzung für eine Erhöhung der Transparenz der medizinischen Versorgung in Deutschland dar. Sie dient der verbesserten Darstellung, Analyse und Steuerung des Leistungsgeschehens wie auch der Versorgungsstrukturen. Ferner liefert sie ihren Beitrag für ein modernes Qualitätsmanagement, für eine aussagekräftige Gesundheitsberichterstattung und nicht zuletzt für die epidemiologische Forschung. Auch und gerade für die Versicherten und Patienten ist das Leistungssystem nicht transparent. So ist eine einheitliche Systematik der Krankheitsbezeichnungen unabdingbar dafür, daß alle beteiligten Vertragsärzte und auch die Krankenhäuser leichter untereinander kommunizieren können. Die Angabe der Diagnose ist seit jeher ein selbstverständlicher Bestandteil der Leistungsabrechnungen der Ärzte sowohl mit den gesetzlichen als auch mit den privaten Krankenversicherungen. Aus der Gesetzesbegründung des Gesundheitsstrukturgesetzes geht hervor, für welche gesetzlichen Aufgaben im Rahmen des Vertragsgeschehens zwischen kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen die Diagnose erforderlich ist. So werden die Aufgaben zur Prüfung der Leistungspflicht der Krankenkassen, der Rechtmäßigkeit der Leistungsabrechnung der Ärzte sowie der Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Prüfungsausschüsse benötigt. Nach dem Gesundheitsstrukturgesetz von 1992 besteht nun ab dem 1. Januar 1996 die gesetzliche Pflicht zur Diagnoseverschlüsselung nach dem ICD 10. Diese Vorschrift stammt, wie gesagt, aus dem Jahre 1992. Nach meiner Kenntnis und nach der Aktenlage des Bundesbeauftragten für Datenschutz, Dr. Jacob, gab es zur damaligen Zeit keine Diskussionen über den ICD. Das hat mir auch Herr Zöller bestätigt. ({0}) Spätestens seit der Jahreswende ist nun aber massive Kritik an der Verwendung des Diagnoseschlüssels ICD 10 laut geworden, und das Gespenst des „gläsernen Patienten" geistert durch die Gazetten und dient als Metapher für die Befürchtungen, daß der Datenschutz nicht mehr gewährleistet sei. Eines möchte ich an dieser Stelle ganz klar zum Ausdruck bringen: Bei der Verschlüsselung von Patientendaten hat der Datenschutz alleroberste Priorität, ({1}) und Erfassung, Verwendung und Übermittlung von Daten sind einzig und allein für die in diesem Gesetz bestimmten Zwecke zulässig und auf das unerläßliche Minimum zu beschränken. Das bedeutet ganz konkret, daß die Datensätze mit den Abrechnungsdaten der Ärzte einschließlich der kodierten Diagnosen, die an die Krankenkassen übermittelt werden, weder die Namen der Versicherten noch die Versichertennummer enthalten dürfen, und Tatsache ist, daß dieses Verfahren mit dem Bundesbeauftragten für Datenschutz abgestimmt worden ist. ({2}) Die Krankenkassen erhalten in diesem Fall nun eine Abrechnung ambulanter Leistungen mit zwei getrennten Datensätzen. Sie zusammenzuführen und dadurch sogenannte „Patientenkonten" aufzustellen ist technisch nicht möglich, weil nicht beide Datensätze ebendiese Versichertennummer enthalten. ({3}) Außerdem ist es ganz schlicht und einfach gesetzlich verboten. Aus den geschilderten Gründen ist es für mich nicht nachvollziehbar, warum auf die Angabe eines Diagnosecodes verzichtet werden soll. - Frau Steindor sprach davon, daß Bündnis 90/Die Grünen die Streichung des ICD wollen. - Wir lehnen daher die Streichung des § 295 Abs. 1 und des § 303 SGB V ab. ({4}) Die Debatte um den „gläsernen Patienten" führt uns also in die Irre und verstellt uns den Blick auf dahinterstehende Beweggründe der politisch AgierenPetra Ernstberger den. So fühlte sich der selbsternannte - inzwischen dritte - gesundheitspolitische Sprecher der F.D.P., Herr Westerwelle, genötigt, auf den Zug des Datenschutzes aufzuspringen und die Sau einer „erneuten datenschutzrechtlichen Überprüfung des ICD 10" durch das Dorf zu treiben. Selbst Minister Seehofer empfand dieses Drängen seines Koalitionskollegen auf Aussetzung der Diagnoseverschlüsselung als schlicht „unerfindlich" und „peinlich". ({5}) Aber vielleicht gibt es einen anderen Grund als die Furcht vor dem „gläsernen Patienten", nämlich die Sorge vor dem „gläsernen Mediziner". In der Tat erleichtert es die computerlesbare Kodierung der Diagnosen, die Arbeit des Arztes transparenter zu machen. Dadurch werden das Verhalten und das Vorgehen bei Diagnose und Behandlung kontrollierbar, gerade was unnötige Therapien anbetrifft. Es wäre also ein Überprüfungsinstrument, das angesichts der jährlichen Milliardenzahlungen der Kassen schlicht und einfach recht und billig ist. Ist also der Aufstand der Ärzte mit flankierender Deckung durch die F.D.P. nicht doch nur ein Teil einer, wie der „Spiegel" vermutet, „seit Jahren mit Erfolg geübten Verhinderungsstrategie: ({6}) Die Doktoren wollen sich nicht in die Karten gucken lassen, ihre Abrechnungspraktiken sollen wirksamen Wirtschaftlichkeitsprüfungen entzogen bleiben." - Honni soit qui mal y pense! ({7}) Die Anhörung vor dem Gesundheitsausschuß hat deutlich gemacht, daß der neue ICD-Schlüssel praktische Mängel in seiner Handhabung offenbart. So paßt die Aufgliederung des ICD 10 nicht immer zu den Gegebenheiten der ärztlichen Praxis: Unzutreffende Diagnosen werden evoziert, Ausschlußdiagnosen können nicht gestellt werden, Vorsorge- und Beratungsleistungen finden keine Entsprechung in der diagnoseorientierten Kodierung. Ich gebe zu, die Probleme sind erkannt, und sie sind eben auch da. ({8}) Es verwundert mich aber sehr, daß diese Schwierigkeiten erst jetzt thematisiert und diskutiert werden. ({9}) Das Verhalten der Ärzte erscheint mir da doch als sehr merkwürdig. Der Beschluß des Bundestages, diesen Diagnoseschlüssel einzuführen, stammt bekanntlich aus dem Jahre 1992. Auf massiven Druck der Ärzteschaft wurde die auf den 1. Januar 1995 terminierte Einführung des Vorgängermodells ICD 9 verschoben, um jetzt mit dem ICD 10 Nägel mit Köpfen zu machen. Aber auch das Datum 1. Januar 1996 wurde nicht eingehalten, und mit „hilfreicher" Unterstützung des Ministers Seehofer wurde die bereits benannte Rahmenvereinbarung beschlossen, den ICD erst 1998 einzuführen. Warum wird unter der fragwürdigen Verwendung des § 303 SGB V nun ein Gesetz außer Kraft gesetzt, das bereits im Bundesgesetzblatt steht? Bereits 1990 hatte das mit der Bearbeitung der deutschen Fassung beauftragte Institut eine Rohfassung vorgelegt und allen Beteiligten zugeleitet. Herr Schwoerer von der Kassenärztlichen Vereinigung Südbaden glaubt den Grund zu kennen: „Die deutsche Ärzteschaft hat nachhaltig geschlafen. " Diese Vermutung verdichtet sich, wenn man Dr. Schorre von der KBV dazu hört: So richtig begriffen, daß dieser ICD 10 so gar nicht praktikabel ist, haben das die Kollegen, als sie im Dezember begonnen haben, sich auf den 1. Januar 1996 vorzubereiten, und als sie ab dem 1. Januar die ersten praktischen Erfahrungen machten. Kopfschütteln über so mannigfaltig verteilte Kompetenz und Flexibilität! Meine Damen und Herren, der Gesetzesauftrag des SGB V ist eindeutig. Die SPD ist nicht bereit, eine weitere Verzögerung zu Lasten von mehr Transparenz und Wirtschaftlichkeit hinzunehmen. Die Regierung, Herr Seehofer und Frau Dr. Bergmann-Pohl, ist aufgefordert, für eine fristgerechte und praktikable Umsetzung der Diagnoseverschlüsselung zu sorgen. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Jürgen Möllemann, F.D.P.

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal ist es so, daß wir hier im Bundestag ein Gesetz beschließen, dann aber, wenn es praktiziert werden soll, feststellen, daß Theorie und Praxis nicht ganz miteinander im Einklang stehen, daß es Probleme gibt, die man im Moment der Einführung nicht bedacht hat. So scheint es mir jedenfalls auch hier zu sein. Dies, Frau Kollegin, war von seiten aller Beteiligten keine Glanznummer; denn in der Tat sind die Bedenken, die jahrelang von uns hätten artikuliert werden können, erst auf die Tagesordnung gekommen, als es unmittelbar bevorstand, diese Diagnoseverschlüsselung - das meint das Kürzel ICD 10: International Classification of Diseases - einzuführen. Das erste Argument, das meines Erachtens aus Sicht der niedergelassenen Ärzte nicht unvernünftig war - deren Interessen zu artikulieren ist nichts Illegitimes -, war, daß sie zum 1. Januar gleichzeitig mit einer neuen Gebührenordnung für Ärzte, einem neuen einheitlichen Bewertungsmaßstab und der Diagnoseverschlüsselung konfrontiert wurden. Wenn man weiß, daß viele Praxen nicht gerade große bürokratische Apparate haben, dann kann man sich vorstellen, daß alle drei Dinge zusammen eine Überforderung darstellen können. Deswegen war es vernünftig, dies mit in Betracht zu ziehen. Das zweite Argument, das dazu geführt hat, daß wir das schon mehrfach angesprochene Verfahren gewählt haben, betrifft die fachliche Aussagekraft mancher dieser Schlüsselpositionen. Von seiten der betroffenen fachlichen Seite ist dargelegt worden, daß die Aussagekraft zu Trugschlüssen führen müsse und eine spätere Auswertung gar nicht zulasse. Deswegen ist es vernünftig, daß die Beteiligten - die Ärzte, die Gesundheitsberufe Ausübenden, die Kassen und die Politik - zu einer Verschlüsselung kommen, die tatsächlich die Sachverhalte aufnimmt. Das dritte Argument - das ist nichts Ungewöhnliches; insofern hat Herr Westerwelle mit Recht den Finger auf diesen Punkt gelegt - betrifft die durchaus nicht geringe Sorge vieler Bürger, daß ein immer größeres Maß an Datenverarbeitung und Datensammlung auch die Risiken im Umgang mit eben diesen Daten steigern könne. Der Datenschutzbeauftragte hat eingeräumt, daß er seinerzeit keine Bedenken geltend gemacht habe, jetzt aber doch an einigen Punkten eine sorgfältige Erörterung wünscht. Dagegen ist nichts zu sagen. Insofern glaube ich, daß das gewählte Verfahren, das der Kollege Zöller bereits erläutert hat, sehr vernünftig ist. Es bedarf keines neues Gesetzes, sondern einer vernünftigen, praktikablen Regelung. Im übrigen: Nach dieser leidenschaftlichen Debatte zum ICD 10 werde ich jetzt mit dem ICE 524 nach Hause fahren. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Gesundheitsstrukturgesetz war bekanntlich vorgesehen, die Verschlüsselung der ärztlichen Diagnosen auf ambulanten Abrechnungsscheinen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zum 1. Januar 1995 einzuführen. Das sollte dazu beitragen, das Abrechnungsgeschehen zwischen Ärzten und Kassen transparenter zu machen. Nun ist zwar die Zweckmäßigkeit dieses Herangehens von vornherein zu bezweifeln; denn ohne Einzelleistungsvergütung und die aus ihr systematisch resultierenden Mengenausweitungen könnte man gut und gerne auf die ebenso zeit- und kraftraubenden wie ineffizienten Wirtschaftlichkeitskontrollen samt ihrer elektronischen Perfektionierung verzichten. Insofern könnten wir den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen durchaus als einen Schritt in die richtige Richtung betrachten. Ungeachtet dessen hatte die Exekutive aber die Aufgabe, den Auftrag des Gesetzgebers wenigstens handwerklich richtig umzusetzen. Natürlich gehört dazu in erster Linie, daß die Aspekte des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung von Patienten und Ärzten strikt gewahrt werden. Mehr noch: Da die Kodierung von medizinischen Diagnosen inzwischen zur Routine gehört, ist es geradezu elementares Wissen und übliche Praxis, daß die verschiedenen Schlüssel der Internationalen Klassifikation der Krankheiten jeweils sowohl für den spezifischen Anwendungszweck als auch für die unterschiedlichen Bedingungen eines Landes bearbeitet und angepaßt werden müssen. Zu den Grundregeln ihrer Einführung gehört es deshalb unter anderem, im Zusammenwirken mit späteren Anwendern wissenschaftlich begleitete Probeläufe vorzuschalten. Aber alle Probleme wurden offensichtlich unterschätzt oder bewußt mißachtet. Es kam, wie es kommen mußte: Die Ärzte, die ohnehin von zahlreichen bürokratischen Reglementierungen geplagt sind und die den „gläsernen Doktor" noch mehr zu fürchten haben als den „gläsernen Patienten", liefen im richtigen Moment Sturm und schalteten die Öffentlichkeit ein. Neben den dann üblichen Übertreibungen über die vermeintlichen Gefahren der Verschlüsselung fehlte es ihnen angesichts der vorangegangenen eklatanten Fehlleistungen auch keineswegs an sachlich begründeten Kritikpunkten. Nun folgten tragikomische Rückzugsgefechte: zunächst Verschiebung des Vorhabens auf Anfang 1996, dann Aussetzung der Kodierungspflicht bis Mitte 1996 und zuletzt der Beschluß zur Überarbeitung und Erprobung der ICD, also zu dem, was man bereits seit 1992 hätte tun müssen. Endergebnis: Erstens. Regierungskoalition und Administration in voller Flucht vor den Ärzten und ihren eigenen Beschlüssen; Einführung der Kodierung nicht vor 1998. - Zweitens. Gesetzliche Festlegungen wandern erneut als Makulatur in den Papierkorb. Wiederum zeigt sich, daß die Steuerung des Gesundheitswesens im großen wie im kleinen eben nicht allein der Selbstverwaltung mit ihren unterschiedlichen Interessengruppen überlassen werden kann. Ohne eine regulierende Funktion des Staates geht es nicht. Allerdings gelten auch dafür qualitative Mindeststandards. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. BergmannPohl.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über die Diagnoseverschlüsselung von Patientendaten hat sich in den letzten Wochen leider darauf konzentriert, wieder einmal das Schreckgespenst vom Datenmißbrauch in Großbuchstaben an die Wand zu malen. Auch wer zur Gesundheitspolitik wie Pontius Pilatus zum Glaubensbekenntnis gekommen ist, hat dabei kräftig mitdiskutiert. Nicht immer stand der EiParl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl fer der Diskussion in einem angemessenen Verhältnis zur Sachkunde. ({0}) - Herr Möllemann, ich habe nicht ausdrücklich Sie gemeint. In der Begründung zum Gesetzentwurf der Grünen wird der ganze Unsinn, den man bei den vielen Diskussionen zu diesem Thema gehört hat, noch einmal fein säuberlich aufgelistet, bis zu der albernen Behauptung, daß der ICD 10 keinen Code für die Grippe enthalte. Aus dieser Verlegenheit, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, kann ich Ihnen hier sofort helfen: Frau Steindor, es ist der Code J 06.9. Schreiben Sie es sich bitte auf. Bei genauerem Hinsehen hätte sich vielleicht schon dieser Irrtum vermeiden lassen können. Eine genauere Beschäftigung mit dem gesamten Komplex hätte noch abenteuerlichere andere Behauptungen vermeiden können, vor allem die der angeblichen Verfassungswidrigkeit der Diagnoseverschlüsselung nach ICD 10. Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Verfassungsbeschwerden von Ärzten gegen die gesetzlichen Regelungen zur Diagnoseverschlüsselung gar nicht erst zur Entscheidung angenommen. Im Unterschied zu den Autoren dieses Gesetzentwurfs der Grünen haben sich die drei Richter der Zweiten Kammer des Ersten Senats des Verfassungsgerichts mit den Fakten und mit den gesetzlichen Regelungen des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs eingehend befaßt. Die Feststellungen der Richter zur Verfassungsmäßigkeit der Diagnoseverschlüsselung lesen sich wie eine Stellungnahme zu den Begründungen des Gesetzentwurfes der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. Eine Ohrfeige, Frau Steindor, folgt der anderen. Dem Vorwurf, der ICD-Schlüssel verletze das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von Patienten und Ärzten und sei verfassungswidrig, erteilen die Richter eine Absage. Eine Absage erteilen sie auch den vorgebrachten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Verschlüsselungspflicht. Genauso deutliche Worte haben sie auch zum Vorwurf eines mangelnden Schutzes vor dem Mißbrauch von Daten gefunden. Der Datenzugriff sei zweckbezogen. Darüber hinaus sei Vorsorge gegen eine zweckwidrige Verwendung getroffen worden. Der Vorwurf, der Schutz von Daten sei nicht gewährleistet, bricht also in sich zusammen. Ein weiteres Beispiel für die Ignoranz, die den Autoren dieses Gesetzentwurfs die Feder geführt hat, ist die Behauptung, die Kodierung nach dem ICD-10Schlüssel sei für die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Arztpraxen irrelevant. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung könne genausogut wie bisher mit der Klartextdiagnose durchgeführt werden. Frau Steindor, so etwas kann man nur behaupten, wenn man sich mit den Zielen der Diagnoseverschlüsselung überhaupt nicht auseinandergesetzt hat. Die Verfassungsrichter haben sich damit auseinandergesetzt. Sie haben darauf hingewiesen, daß der Zweck darin bestehe - ich zitiere -, den Krankenkassen die Prüfung und Feststellung von Leistungsansprüchen ihrer Mitglieder, den Kassenärztlichen Vereinigungen die Prüfung und Feststellung von Honoraransprüchen der Vertragsärzte zu ermöglichen. Deutlicher kann man es nicht sagen. Was den Verfassungsrichtern einleuchtet, stößt aber ganz offensichtlich bei den Experten der Grünen auf Verständnisschwierigkeiten, daß es nämlich absolut unstimmig ist, auf der einen Seite das gesamte Abrechnungsverfahren der Krankenkassen mit den Leistungserbringern auf elektronische Datenträger umzustellen und zugleich für einen Teil dieser Abrechnungsdaten, nämlich die Diagnosen, an dem herkömmlichen Verfahren der individuellen und zum Teil ausführlichen Diagnosebeschreibungen im Klartext festhalten zu wollen. ({1}) - Ja. Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, zu dessen Beruf ein gesundes Mißtrauen in die Sicherheit von Daten gehört, hat sich zu Sinn und Zweck der Diagnoseverschlüsselung ganz klar geäußert. Ich zitiere auch hier: Bislang wurden die Diagnosen, mit denen die abgerechneten Leistungen als notwendig begründet wurden, frei formuliert. Die dabei von Arzt zu Arzt verschiedene Wortwahl führte zu einer geringen Transparenz und schloß automatisch Verfahren zur Unterstützung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen aus. Eigentlich sollte das denen zu denken geben, die den Datenschutz wie eine Monstranz vor sich hertragen und vor lauter Eifer eine genaue Analyse des Vorhabens aus dem Blick verlieren. ({2}) Da taugt auch die gute Absicht als Entschuldigung für eine fehlerhafte Lektüre der entsprechenden Passagen im Sozialgesetzbuch nicht mehr. Wer nein sagt, sollte ein gut begründetes, ein überzeugendes Nein sagen können. Der Gesetzentwurf der Grünen ist weder begründet noch überzeugend. Er geht - gerade auch im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeitsprülung - in eine falsche Richtung. Wenn man diesem Entwurf folgt, dann bliebe es nämlich bei der unwirksamen Wirtschaftlichkeitsprüfung wie bisher, obwohl die Ärzte selber Änderungen für dringend notwendig halten. Die von den Ärzten geforderte qualitative Weiterentwicklung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen steht und fällt aber damit, daß dafür eine tragfähige Datenbasis zur Verfügung steht. Bisher war diese Datenbasis zwar vorhanden, aber sie war sozusagen begraben in Tonnen von Papier, von Abrechnungsbelegen, die in den Kellern der Krankenkassen vermoderten. Jetzt sollen diese Daten für die Steuerungsaufgaben verfügbar gemacht werden, die die Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen zu erfüllen haben. Selbstverständlich muß dabei der Datenschutz gewährleistet sein. Darum hat sich das Bundesgesundheitsministerium auch in den letzten Jahren mit äußerster Sorgfalt bemüht, ({3}) und zwar in nahtloser Abstimmung mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Die Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts bestätigen das. Deshalb: Wir brauchen keinen Nachhilfeunterricht im Datenschutz, erst recht nicht von selbsternannten Lehrern, die sich dabei ertappen lassen, selber das Handwerkszeug nicht zu beherrschen, das sie anderen beibringen wollen. Ich danke Ihnen. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/3669 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Anderweitige Vorschläge? - Keine. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Christoph Matschie, Ernst Bahr, Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Umweltverträglichkeitsprüfung bei WismutSanierungsprojekten - Drucksache 13/2651 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Vereinbart ist eine Debattenzeit von einer halben Stunde. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Christoph Matschie, SPD.

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gleich zu Beginn der Debatte über unseren Antrag zur Umweltverträglichkeitsprüfung für Wismut-Sanierungsvorhaben die Fragen aufgreifen, die in der Diskussion der letzten Wochen immer wieder gestellt worden sind. Die erste Frage: Die Sanierungsvorhaben laufen jetzt seit fünf Jahren im Bereich des ehemaligen Uranbergbaus. Alle Beteiligten haben enorme Anstrengungen unternommen, um möglichst rasch zu Ergebnissen zu kommen. Warum jetzt ein neues Verfahren? - Gleich danach kommt dann meist der Hinweis, die Umweltverträglichkeitsprüfung sei ja gar nicht für Sanierungsvorhaben gedacht, da es hier nicht um eine zusätzliche Belastung der Umwelt geht, sondern um eine Entlastung. Ich frage: Welche Gründe sprechen also dafür, die Wismut-Sanierungsvorhaben in das UVP-Gesetz einzuordnen? Ich sehe vor allem zwei Gründe, einen inhaltlichen und einen formalen Grund. Zunächst zum inhaltlichen Grund. Die Umweltverträglichkeitsprüfung wurde ja 1990 ins deutsche Recht eingeführt, um Umweltauswirkungen von Vorhaben - so allgemein ist das da formuliert - frühzeitig und umfassend ermitteln und bewerten zu können. Das Gesetz soll für diese Ermittlung und Bewertung einheitliche Grundsätze liefern, und die Behörden sollen in die Lage versetzt werden, so frühzeitig wie möglich die Umweltauswirkungen in ihre Entscheidung einzubeziehen. Im Geltungsbereich des UVP-Gesetzes sind schon heute - ich beschränke mich jetzt einmal auf der Wismut-Sanierung ähnliche Vorhaben - die Stillegung und der sichere Einschluß oder der Abbau einer ortsfesten kerntechnischen Anlage, die Errichtung und der Betrieb einer Anlage zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle, aber auch zum Beispiel Abfallentsorgungsanlagen enthalten. Im übrigen hat der EU-Umweltministerrat kürzlich beschlossen, eine Ausweitung der UVP-Richtlinie vorzunehmen. Bei den neu aufzunehmenden Projekten wie zum Beispiel ganz allgemein Abfallanlagen, Kläranlagen, Schlammlagerplätze spielen Größe des Projektes, Standort und Schwere oder Komplexität der Auswirkungen eine Rolle. Kehren wir zurück zur Wismut-Sanierung. Hier müssen ja riesige Mengen kontaminierter Stoffe für lange Zeit sicher eingeschlossen werden, zum Beispiel die Absetzbecken, die „tailings". Im Ergebnis der Sanierung entstehen also in diesem Fall Anlagen, die für Jahrzehnte, möglicherweise für Jahrhunderte den sicheren Einschluß kontaminierter Stoffe gewährleisten müssen und die zum großen Teil über lange Zeit auch abwassertechnisch betreut werden müssen. Nun handelt es sich hierbei zwar um die Abwehr von Gefahren - denn von den offenen Absetzbecken geht naturgemäß eine größere Gefährdung aus -; andererseits entstehen Anlagen, die in ihren Auswirkungen teilweise weit bedeutsamer sind als viele andere Vorhaben, für die eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgen muß. Ich sage es einmal ein bißchen überzogen: Der Gesetzgeber hat zu Recht vorgesehen, daß für eine Legehennenanlage, die über eine bestimmte Größe hinausgeht, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden muß. Da erhebt sich doch die Frage, warum für die Anlagen, die im Zusammenhang mit der Wismut-Sanierung entstehen, nicht auch Umweltverträglichkeitsprüfungen vorgeschrieben sind. ({0}) Oder nehmen wir neben dem Einschluß der Absetzbecken die Flutung der Gruben, die vorgenommen wird. Wir haben es hier mit sehr langfristigen und nur sehr schwer zu beurteilenden Auswirkungen dieser Flutungen zu tun. Noch entscheidender als die inhaltliche Vergleichbarkeit mit anderen UVP-pflichtigen Vorhaben ist aber für mich die Frage angemessener Verfahren. Die Komplexität der Sanierungsaufgabe, vor der wir im Zusammenhang mit dem Uranbergbau stehen, verlangt ja geradezu ein integratives Prüfverfahren wie die Umweltverträglichkeitsprüfung, ein Verfahren, das in der Lage ist, die verschiedenen Aspekte der Prüfung zu koordinieren und zusammenzufassen. Gerade dafür eignet sich das Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung. Es ist sehr effizient, sehr gut ausgewogen und ausgeklügelt. Schauen wir jetzt einmal in die Praxis der Sanierung der letzten Jahre. Es zeigt sich, daß die Sanierung der Wismut ein Verfahren erzwungen hat, das der Umweltverträglichkeitsprüfung sehr nahekommt. Wir befinden uns also jetzt schon in einem Zustand, wo sich Sanierer und Genehmigungsbehörden bemühen, ein Verfahren zu wählen, das ganz eng an die Umweltverträglichkeitsprüfung angelehnt ist. Das hat Gründe. Denn die Komplexität der Aufgaben verlangt ein solches Verfahren. Allerdings hat die Herausbildung eines solchen Verfahrens zwischen Sanierer und Genehmigungsbehörden viel Kraft und Zeit gekostet. Hinzu kommt: Dieses Verfahren ist bis heute rechtlich nicht abgesichert. Die Wismut GmbH und die mit der Sanierung befaßten Behörden bieten genaugenommen ein Beispiel dafür, daß die Anwendung der Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen von Großsanierungsprojekten sinnvoll ist. Ich denke, eine rechtliche Absicherung des bereits gefundenen Verfahrens würde zu größerer Eindeutigkeit und größerer Sicherheit für alle an diesem Verfahren Beteiligten führen. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß wir im Verlauf der Ausschußberatungen dazu kommen, diesen Antrag auszuweiten, und zwar auf alle Sanierungsgroßprojekte in den neuen Bundesländern. Denn auch bei der Sanierung des Braunkohletagebaus stellt sich durchaus die Frage: Ist es notwendig, alle Flächen nur unter dem Aspekt bergbaulicher Sicherheit zu betrachten und neu entstandene Biotope mit Millionenaufwand einzuebnen? Oder ist es nicht sinnvoller, ein Verfahren wie die UVP zu wählen, um damit zu einer umfassenderen Betrachtung des Gesamtvorgangs und der einzelnen Sanierungsschritte zu kommen? Da die UVP als unselbständiges Verfahren dazu gedacht ist, die Auslegung und Anwendung der einschlägigen Fachgesetze zu optimieren, kann sie am Ende sogar dazu beitragen, daß Verfahren beschleunigt werden. Die Bundesregierung geht in ihrer Begründung für die Verwaltungsverordnung zur UVP davon aus, daß damit Verfahren beschleunigt werden können. Oft ist die Angst geschürt worden, mit der Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung für solche Großsanierungsmaßnahmen könnten Verzögerungen entstehen. In einer Stellungnahme der Wismut GmbH selbst ist die Rede davon, daß solche Verzögerungen zwei bis drei Jahre betragen könnten. Ich habe nach Rücksprache mit Genehmigungsbehörden keine Anhaltspunkte dafür gefunden, im Gegenteil: Mir ist versichert worden, daß es diesbezüglich nicht zu Verzögerungen kommt, da wir schon jetzt der UVP sehr stark angenäherte Verfahren haben und die rechtliche Einordnung der UVP nur für mehr Sicherheit in diesem Zusammenhang sorgen würde. Ich bitte Sie also, diesen Antrag ganz vorurteilsfrei zu prüfen und mit uns darüber nachzudenken, ob es nicht sinnvoll ist - auch im Zusammenhang mit einer Novellierung des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung nach der neuen Richtlinie der EU -, die Großsanierungsprojekte - zumindest die, die wir in Ostdeutschland haben - in dieses Verfahren einzuordnen. Ich sehe Vorteile in dem Verfahren. Ich glaube, daß es möglich ist, die komplexen Auswirkungen, die komplexen Sanierungen besser zu bewerten und möglicherweise schneller zu Resultaten zu kommen. Ein Satz zum Schluß: Warum soll man aus den Erfahrungen, die in Ostdeutschland gemacht worden sind, für die Gesetzgebung nicht etwas lernen können? Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Ulrich Petzold, CDU/CSU.

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Matschie, Kollegen von der SPD, die noch zu ihrem Antrag stehen, Sie haben in einem Punkt durchaus recht: Die Wismut ist gemeinsam mit dem Bund und den betroffenen Ländern an die Lösung einer weltweit einmaligen Sanierungsaufgabe herangegangen - nirgendwo ist auf einem so begrenzten Raum eine solche Menge uranhaltiges Gestein abgebaut worden; nirgendwo ist auf einer Fläche von vielleicht 150 mal 50 Kilometern die Umwelt derart beeinträchtigt worden. In einer Diskussion wie der heutigen muß man aber auch darauf hinweisen, daß die Zuständigen der DDR ab Januar 1954 eine Mitverantwortung für die Umweltzerstörung durch den Uranabbau tragen, ganz abgesehen von dem vielen menschlichen Leid, das dadurch verursacht wurde. Am 3. Oktober 1990 hat die Bundesrepublik freiwillig die Altlast des Uranabbaus quasi als Reparationsleistung des Zweiten Weltkriegs übernommen. Ähnlich wie bei der Wiedervereinigung wurden keine langen Planspiele angestellt, sondern es wurden auch im Wismut-Bereich die Ärmel hochgekrempelt und die Probleme angepackt. „Planning by doing" - wie es so schön heißt - war die Devise; denn die Situation, mit der die Bevölkerung über 40 Jahre in diesem Gebiet leben mußte, war für die Menschen so nicht mehr hinnehmbar. Es mußte schnell geholUlrich Petzold fen werden. Eine mehrjährige Planung wäre in der Region nicht verstanden worden. Außerdem hätten während der Planungsphase Entlassungen von Mitarbeitern der Wismut vorgenommen werden müssen, deren Fachwissen später gefehlt hätte. Ein schnelles Herangehen unter Nutzung der Fachgesetze, die in der DDR zwar vorhanden waren, aber leider nicht immer durchgesetzt wurden, war geboten. Da weder in der Strahlenschutzverordnung noch in dem Atomgesetz der Bundesrepublik die Aufsuchung, Gewinnung und Aufbereitung radioaktiver Materialien ausreichend geregelt war, war es geradezu zwingend notwendig, die „Verordnung über die Gewährleistung von Atomsicherheit und Strahlenschutz" sowie deren Durchführungsbestimmungen und die Haldenanordnung der DDR zu übernehmen. Für die Schaffung besonderer, bergbauspezifischer Strahlenschutzvorschriften wurde bis zur Wiedervereinigung von den früheren Bundesregierungen kein Regelungsbedarf gesehen, da es in der Bundesrepublik - anders als in der DDR - zu keinem nennenswerten Abbau radioaktiver Erze kam. In der Begründung Ihres Antrages, der meines Erachtens nichts weiter ist als der Versuch, von einer Verfassungsbeschwerde politisch zu profitieren, behaupten Sie nun, daß diese übernommenen Fachgesetze unzulänglich sind. Hierzu muß bemerkt werden, daß die Haldenanordnung, die VOAS und ihre Durchführungsbestimmungen den Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission sowie den Euratom-Grundnormen entsprechen und sie in ihren Anforderungen sogar überschreiten. Ich kann Ihnen in diesem Zusammenhang nur empfehlen, die Stellungnahme der Strahlenschutzkommission vom 21. April 1994 zu lesen, in der die Kommission diese Frage im Zusammenhang mit Strahlenschutzrechtsbestimmungen der früheren DDR, die für bergbauliche Tätigkeiten in den neuen Bundesländern fortgelten, beantwortet. Ihre Behauptung, „die geltenden Bestimmungen des Strahlenschutzes der DDR werden den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz der menschlichen Gesundheit nicht gerecht", entpuppt sich so sehr schnell als schamlose Übertreibung und versuchte Verunsicherung der Bevölkerung. Bei Ihrem Antrag hat man insgesamt - wenn Sie immer wieder von „Vermeidung von Umweltschäden" sprechen - den Eindruck, daß durch die Wismut-Sanierung eine Umweltschädigung eintritt, auf keinen Fall eine Verbesserung der Umweltstandards der Region. Die hohe finanzielle Leistung der Bundesrepublik und der persönliche Einsatz vieler Wismut-Kumpel werden nicht gewürdigt. Man sollte dringend zur Kenntnis nehmen, daß die bergbaubedingt hohe, im Einzelfall pro Jahr bis zu 6 Millisievert betragende effektive Äquivalentdosis der in der Region wohnenden Bevölkerung durch die Sanierung unter den von der Internationalen Strahlenschutzkommission empfohlenen Grenzwert von 1 Millisievert gedrückt wird. Die Sanierung bedeutet also eine wesentliche Reduzierung der Strahlenbelastung der Bevölkerung. In der Abwägung einer raschen Sanierung, die eine Verringerung der Belastung um mehrere Millisievert im Jahr bedeutet, gegenüber einer vielleicht nach mehrjähriger Planung bis ins letzte ausgefeilten Sanierung, die die Strahlenexposition eventuell um einige Hundertstel Millisievert weiter herabsetzt, muß man sich geradezu für eine schnelle Beseitigung der Altlasten entscheiden. Das Argument des Antrages, daß bei dem Sanierungsverfahren der Wismut durch die Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung keine Zeitverzögerung eintritt, ist für jeden, der jemals etwas mit formellen Verwaltungsverfahren zu tun hatte, einfach nicht glaubhaft, ja, geradezu lächerlich. Ein förmliches Verwaltungsverfahren - gerade darum handelt es sich bei einer Umweltverträglichkeitsprüfung - kann zwar, wie mit der „Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Gesetzes über die UVP" geschehen, gestrafft werden. Durch die formelle Öffentlichkeitsbeteiligung jedoch sind hier klare Grenzen gesetzt. Die Erfahrungen in den Altbundesländern in atomrechtlichen Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligungen zeigen, daß die Erörterung und verwaltungsmäßige Bearbeitung erhobener Einwände ein wesentliches Hinauszögern der tatsächlichen Sanierung mit sich brächte.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Petzold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Matschie?

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber immer, wenn es mir auf meine Redezeit nicht angerechnet wird.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Dies wird nicht angerechnet. Bitte, Herr Matschie.

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Petzold, haben Sie sich bei den Genehmigungsbehörden zu der Aussage, daß sich die Genehmigungsverfahren dadurch verzögern würden, einmal kundig gemacht? Haben Sie einmal nachgefragt, wie die Auffassung der Genehmigungsbehörden dazu ist

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich muß Ihnen ganz klar sagen: Ich habe an mehreren Verfahren - allerdings nicht gerade an atomrechtlichen - teilgenommen. Ich habe es bisher noch nicht erlebt, daß etwas so glatt über die Bühne gegangen ist, daß es nicht zu Verzögerungen gekommen ist. Meinen persönlichen Erfahrungen widerspricht das ganz und gar. Ich muß hier entsprechend meinen persönlichen Erfahrungen urteilen. Die Öffentlichkeitsbeteiligung an den Sanierungsvorhaben der Wismut, so wie sie mir von Bürgermeistern, Verbänden und Gewerkschaftsmitgliedern geschildert wurde, gestaltet sich als begleitende Öffentlichkeitsbeteiligung. Durch eine frühzeitige Übersendung der Pläne für Sanierungsarbeiten an Bürgermeister und Gemeinderäte, durch die Einrichtung von Umweltbeiräten, in denen Verbände, Bürgermeister, Kreistags-, Landtags- und Bundestagsabgeordnete vertreten sind, und auch durch die Einsetzung des Vertrauensbevollmächtigten des BMWi für Wismut-Fragen, Herrn Dr. Wollny, wurde hier in der Öffentlichkeitsbeteiligung ein neuer Weg beschritten. Diesen Weg zugunsten einer einmaligen formell starren Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen einer UVP aufzugeben halte ich persönlich für einen Irrweg, zumal im Gegensatz zu Ihren Behauptungen sehr wohl jederzeit ein Rechtsschutz der Bürger gegen die getroffenen Verwaltungsentscheidungen besteht. Den Bürger belastende Genehmigungsentscheidungen zum Beispiel der Bergämter oder des Strahlenschutzamtes können in dem vorliegenden Fall genauso angefochten werden, wie das die einschlägigen Verfahrensordnungen auch sonst bei entsprechenden Verwaltungsverfahren ermöglichen. Als ebenso haltlos entpuppt sich die Feststellung in Ihrer Antragsbegründung, daß eine Kontrolle der Sanierung zum großen Teil durch den Sanierer selbst erfolgt. Nachweisbar erfolgen regelmäßige Überprüfungen durch die aufsichtsführenden Landesbehörden. Inspektionen vor Ort und Kontrollmessungen sind dabei so selbstverständlich wie der Abgleich der zu führenden Unterlagen. Leider wurde von Ihnen, sehr geehrte Kollegen der SPD, die mögliche Befahrung vor Ort zu spät vorgenommen. Es wäre wohl besser gewesen, erst zu sehen und dann zu schreiben. Daß Ihr Kollege Hampel nach Aussagen des Gesamtbetriebsrates vor Ort so mutig war, sich von seiner Unterschrift unter Ihren Antrag zu distanzieren, ehrt ihn. Allerdings wäre es wohl besser, wenn er sein Wort hielte und sich stärker für die Zurückziehung des gesamten Antrages einsetzte. Ich appelliere daher aus den von mir aufgeführten Gründen von dieser Stelle aus noch einmal an Sie, werte Kollegen von der SPD: Belasten Sie die Ausschüsse des Deutschen Bundestages nicht mit einem falschen, unnötigen Antrag. Ziehen Sie Ihren Antrag zurück. Ich danke Ihnen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Vera Lengsfeld, Bündnis 90/Die Grünen.

Vera Wollenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002721, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Forderung der SPD-Fraktion nach einer Umweltverträglichkeitsprüfung für die Wismut-Sanierungsprojekte ist voll und ganz zu unterstützen. Als der bestehende Katalog von Vorhaben, die einer UVP unterliegen, erarbeitet wurde, war noch nicht bekannt, daß die bundesdeutsche Politik Monate später die Sanierung der Altlasten aus dem Uranbergbau der DDR übernehmen mußte. Das UVP-Gesetz schreibt eine UVP für bestimmte Vorhaben vor. Gedacht ist dabei zuerst einmal an neue Anlagen, an die Aufschüttung von neuen Halden, an die Errichtung von neuen Endlagern usw. Die Verantwortung, die wir mit der Wiedervereinigung für zu DDR-Zeiten genehmigte umweltzerstörende Projekte übernommen haben, ist im UVP-Gesetz und in den UVP-Verordnungen bisher leider nicht berücksichtigt. Dies gilt nicht nur für die strahlenden Uranerzhalden. Auch bergrechtliche Genehmigungen, die zu DDR-Zeiten ausgesprochen wurden, gelten zum Teil für die nächsten 50 Jahre weiter, ohne daß nach Ansicht der Bundesregierung eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden muß. Eigentlich hätte schon in den Einigungsvertrag die Pflicht zur Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen für eine Vielzahl von zerstörerischen und bedrohlichen alten Anlagen und Vorhaben aus DDR-Zeiten aufgenommen werden müssen, anstatt diese zum Teil sogar ausdrücklich von der Umweltverträglichkeitsprüfung auszunehmen. Die Sanierungsvorhaben selbst verursachen erhebliche Belastungen der Umwelt und der Bevölkerung. Die Sanierungsarbeiten sind gleichzeitig sehr komplex und schwierig. Deshalb ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung als Planungsinstrument unserer Ansicht nach unerläßlich; denn die UVP sichert am ehesten eine umfassende Beschreibung und Bewertung der Umweltauswirkungen und eine angemessene Abwägung der technischen Verfahren. Ganz besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung auch die Öffentlichkeit in die Sanierungsmaßnahmen einbezogen würde. Sie wissen alle, nach §§ 6 und 9 des UVPG werden die öffentliche Auslegung der Unterlagen und die Anhörung der Öffentlichkeit vorgeschrieben. Im Fall Wismut können wir auf eine lange Tradition ungenügender Informationen der Bevölkerung und der Geheimhaltung extremer Gesundheitsbelastungen zurückblicken. Auch der Wismut GmbH und den Bundesbehörden war und ist vorzuwerfen, daß Unterlagen über Konzepte äußerst restriktiv behandelt werden. Bisher gibt es nur eine Selbstkontrolle und Selbstverpflichtung des Sanierers. Außerdem muß der Sanierer den Behörden Rede und Antwort stehen. Angesichts der enormen Belastung der Bevölkerung durch die radioaktive Strahlung reicht das aber nicht aus. Es geht nicht nur um die Information der Bevölkerung. Die betroffenen Menschen, die diese extremen Belastungen zu ertragen haben, müssen an den Entscheidungen über die Verfahrensweise beteiligt werden. Durch die Mitwirkung der Öffentlichkeit bei der Umweltverträglichkeitsprüfung der Sanierungskonzepte könnte der in der Bevölkerung entstandene Vertrauensverlust am ehesten behoben werden. Eine Umwelt- und Gesundheitsgefährdung, wie sie von den strahlenden Erzhalden oder den belasteten Grundwasserleitern ausgeht, sprengt unserer Meinung nach den bestehenden gesetzlichen Rahmen, der nicht für eine solche gigantische Belastung ausgelegt ist. Wir sind daher der Ansicht, daß eine Umweltverträglichkeitsprüfung für die Sanierungsarbeiten allein noch nicht ausreicht. Denn es gibt eine Reihe von Problemen bei der Wismut-Sanierung, die damit noch nicht gelöst werden. Wir haben - daran möchte ich an dieser Stelle erinnern - bereits in der 12. Legislaturperiode einen Antrag vorgelegt, in welchem wir ein Sondergesetz zur Sanierung der Wismut-Altlasten gefordert haben. Dieses Gesetz zur Beseitigung der Altlasten des Uranbergbaus der ehemaligen SDAG Wismut, wie wir es genannt haben, sollte eine klare gesetzliche Grundlage für die Sanierung schaffen. Der Bund muß nach diesen Vorstellungen die finanzielle Gesamtverantwortung für alle Sanierungsarbeiten übernehmen, die im Zusammenhang mit dem Uranbergbau notwendig sind. Bisher hat der Bund nur die Verantwortung für die Sanierung der Altlasten der Wismut GmbH. Die Wismut GmbH muß in einem Gesetz verpflichtet werden, mit den Eigentümern betroffener Grundstücke unentgeltliche Verträge zur Entsorgung der kontaminierten Materialien abzuschließen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Lengsfeld, schauen Sie einmal auf die Uhr.

Vera Wollenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002721, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluß. - Man kann die Punkte, die wir in der 12. Legislaturperiode vorgelegt haben und die dieses Gesetz enthalten muß, nachlesen. Deswegen möchte ich an dieser Stelle mit der Hoffnung schließen, daß wir, angelehnt an das, was wir im Bergrecht geleistet haben, interfraktionell ein solches Sanierungskonzept erarbeiten. Vielen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Uwe Lühr, F.D.P.

Uwe Bernd Lühr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001392, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Hinterlassenschaft der sowjetisch-deutschen Zwangsaktiengesellschaft zum Abbau von Uranerz in Sachsen und Thüringen ist eine gigantische Schändung von Natur und Landschaft nach einem skrupellosen Raubbau an Bodenschätzen und einem rücksichtslosen Umgang mit der Gesundheit der Menschen in dieser dichtbesiedelten Region. Ein ähnlich verwüsteter Landstrich mit aktiv schädigenden Altlasten dürfte in der westlichen Hemisphäre nirgendwo zu finden sein. Wie gewaltig der Sanierungsbedarf ist, verdeutlicht der von der Bundesregierung eingeplante Betrag von 13 Milliarden DM nur unzureichend. Diesem in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellosen Sanierungsprojekt nähert man sich durch „Splitting", da adäquate rechtliche Instrumentarien für das Gesamtprojekt nicht zur Verfügung stehen. Erst für Teilprojekte reichen die vorhandenen Rechtsgrundlagen aus, und sie werden seit fünf Jahren erfolgreich angewandt. Ich möchte einmal aufzählen: Erstens. Bislang sind für die Sanierung rund 4 Milliarden DM abgeflossen. Zweitens. Die bis jetzt erzielten Erfolge finden auch vor Ort breiteste Anerkennung. Drittens. Die festgestellten Planungen werden in eigens festgelegten Verfahren miteinander abgestimmt und zügig umgesetzt. Nach nunmehr fünf Jahren sichtbar erfolgreicher Sanierung verfällt die SPD-Bundestagsfraktion auf die für mich unbegreifliche Idee, die Sanierungsmaßnahmen auf ihre Unverträglichkeit zu überprüfen. Sanierungsarbeiten, also Schäden beseitigende Maßnahmen, die dazu führen sollen und führen werden, daß in dieser verwüsteten Region weitgehend intakte ökologische Verhältnisse hergestellt oder wiederhergestellt werden, sollen einer Überprüfung nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz unterzogen werden. Abgesehen davon, daß die Umweltverträglichkeitsprüfung von Geist und Sinn des Gesetzes her zu Beginn einer Maßnahme den Eingriff in Natur und Landschaft bewerten soll, nicht den begonnenen Eingriff in unvorstellbar mißhandelte Natur und Landschaft mit dem Ziel ihrer Wiederherstellung, sollen aber laut Antrag bereits erteilte Genehmigungen Bestand haben, der Abfluß bereitgestellter Finanzmittel nicht behindert und die Arbeitsplätze in der Wismut GmbH nicht gefährdet werden. Die SPD-Fraktion scheut sich also nicht - wider besseres Wissen, daß eine Umweltverträglichkeitsprüfung natürlich ergebnisoffen zu erfolgen hat -, bestimmte sichere und mögliche Konsequenzen a priori auszuschließen. Obwohl alle umweltrelevanten Belange in den angewandten Verfahren geprüft wurden, könnte eine Umweltverträglichkeitsprüfung zu anderen Ergebnissen kommen und damit zu anderen konkreten Entscheidungen führen. Selbstverständlich würde eine Umweltverträglichkeitsprüfung im laufenden Sanierungsprojekt den Abfluß bereitgestellter Finanzmittel erheblich ins Stocken geraten lassen und, was in dieser Region nicht unwesentlich ist, Arbeitsplätze gefährden. Der listige Hinweis auf die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung verfängt hier nicht; er ist meines Erachtens zu durchsichtig. Schließlich verlangt die SPD selbst für die Bewertung der Sanierungsmaßnahmen im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung - ich zitiere -: Diese gesetzlichen Vorgaben müssen den Sachverhalten im Uranerzbergbau angepaßt werden. Hier bleibt der Gesetzgeber aufgefordert, durch Novellierung der entsprechenden Gesetze neue Normen zu setzen. Und das soll alles ohne Verzug geschehen? Wen will die SPD das eigentlich glauben machen? Die Bundesregierung schätzt den Umfang der Verzögerung auf rund drei Jahre. Ich vermute, sie liegt damit richtig. Wir wollen eine solche - unnötige - Verzögerung vor allem im Interesse der vor Ort betroffenen Menschen nicht. Deshalb wird die F.D.P. den Antrag im Wirtschaftsausschuß ablehnen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Bulling-Schröter, PDS.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An einer Umweltverträglichkeitsprüfung für die Sanierungsvorhaben der Wismut schätzt die Bundestagsgruppe der PDS insbesondere die dringend notwendige Formalisierung der Genehmigungsverfahren. Wir sind uns allerdings nicht sicher, ob die UVP allein tatsächlich das für die Wismut-Problematik geeignete Instrument ist, und werden dies im Laufe der parlamentarischen Beratungen prüfen. Die umweltgerechte Sanierung durch die Wismut GmbH ist jedoch nur die eine Seite des ökologischen Problems. Ein wahrscheinlich genauso schwerwiegendes ist die ungelöste Frage, wer denn eigentlich für die Sanierung der Flächen verantwortlich ist, die vor 1962 von der Wismut AG genutzt und anschließend an die Kommunen übergeben wurden. Gleiches gilt für indirekte Einwirkungen der Uranförderung auf angrenzende Gemeinden. In der Region versteht niemand, daß die Sanierungskolonnen von Flecken zu Flecken springen müssen, weil viele der dazwischenliegenden und ebenfalls geschädigten Flächen zur Wende nicht mehr der Wismut gehörten. Selbstverständlich wollte die Bundesregierung mit ihrer Begrenzung des Wismut-Auftrages Geld sparen, ähnlich wie damals die DDR. Es dürfte allerdings klar sein, daß die Kommunen für die Sanierung der Flächen keine Mittel haben. Also wird hier erst einmal alles beim alten bleiben, mit den entsprechenden Folgen für die Lebensqualität der Menschen und die Umwelt. Beispielsweise könnte die von Wismut-Flächen umgebene ostthüringische Stadt Ronneburg, selbst wenn sie wollte, für die Reparatur der eigenen Gemeinde keine Finanzmittel auftreiben. Sie erhält von der Wismut keine Gewerbesteuer, da diese keinen Gewinn macht und die Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern nicht erhoben wird. Sie erhält keine Grundsteuer, da die Flächen wertlos sind, und sie erhält nur unbedeutende Anteile an der Einkommensteuer; die noch aktiven Bergleute wohnen nur selten in Ronneburg. Der Finanzausgleich kann die Einnahmeausfälle nur zu 70 Prozent kompensieren. ({0}) Auf der anderen Seite müssen aber ehemalige Wismut-Straßen zurückgebaut werden; die durch die Wismut-Tätigkeit zerstörte Kanalisation muß erneuert werden. Infolge der Einwirkung des Abbaus wurden die Stadtwasserversorgung, der Kurpark, der Forst und die Kurpromenade zerstört. Soll dafür tatsächlich die Stadtkasse blechen? Das Fazit kann nur lauten: Der Sanierungsauftrag der Wismut muß durch den Bundestag auf die gesamten durch den Uranabbau in Mitleidenschaft gezogenen Gebiete ausgedehnt werden. Die Finanzierung ist durch den Bund entsprechend sicherzustellen. Dies wird nicht nur der Umwelt und der Attraktivität der Standorte zugute kommen, sondern auch Arbeitsplätze schaffen. In einer Region mit einer offiziellen Arbeitslosenrate um die 20 Prozent wäre das ein nicht unwesentlicher Beschäftigungseffekt. Die PDS-Bundestagsgruppe wird in Kürze einen entsprechenden Antrag einbringen, da ja davon auszugehen ist, daß die PDS wie immer zu fraktionsübergreifenden Gesprächen nicht eingeladen wird. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Heinrich Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wismut GmbH hat in den vergangenen fünf Jahren umfangreiche Stilllegungs- und Sanierungsarbeiten durchgeführt und beachtliche Fortschritte bei der Beseitigung der Hinterlassenschaften des ostdeutschen Uranbergbaus in Sachsen und Thüringen erreicht. Alle Maßnahmen - ich betone das ausdrücklich - unterliegen der ständigen Aufsicht durch die Fachbehörden der Länder. Bisher wurden knapp 1 400 Genehmigungen durch die zuständigen Behörden erteilt. Vom Bund werden für das Umweltprojekt Wismut insgesamt rund 13 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Seit 1990 sind bereits 4 Milliarden DM ausgegeben worden. Bei einzelnen Teilprojekten ist die Sanierung inzwischen abgeschlossen. Die Belastung der Umwelt durch Schadstoffe konnte in den vergangenen Jahren drastisch gesenkt werden. Ich glaube, all das zeigt, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Die vor Ort geleistete Arbeit und der inzwischen erreichte Sanierungsstand finden in den betroffenen Regionen große Anerkennung. Dies wurde übrigens auch bei Besuchen von Abgeordneten der SPD-Fraktion in jüngster Zeit gewürdigt. Nach Auffassung der Bundesregierung würde die im Antrag geforderte Umweltverträglichkeitsprüfung bei Wismut-Vorhaben zu erheblichen Erschwernissen in den ohnehin komplexen und schwierigen Genehmigungsverfahren führen. Ich bestätige, was bereits vermutet wurde, daß die Bundesregierung mit Verzögerungen bei den Sanierungsarbeiten von etwa drei Jahren rechnet. Ich denke, das wollen wir nicht zulassen, und das darf auch nicht zugelassen werden. Es ist schon erstaunlich, daß von der SPD eine Forderung kommt, die ökologisch keine Vorteile bringt, sondern die Sanierungsarbeiten verzögert. Ich denke, der Antrag ist bereits in sich widersprüchlich. Umweltverträglichkeitsprüfungen an laufenden Sanierungsvorhaben sind nun einmal mit den in Ihrem Antrag genannten Zielen, nämlich den Abfluß der Finanzmittel zu sichern und Arbeitsplätze nicht zu gefährden, nicht vereinbar.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Ja.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Matschie, bitte.

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, würden Sie mir bitte kurz erläutern, wo Sie die Gründe für eine solch erhebliche Verzögerung sehen? In der Öffentlichkeitsbeteiligung, die erwähnt worden ist, können sie ja wohl nicht liegen, da es für die Betroffenen schon jetzt nach dem Bergrecht möglich ist, verfahrensrechtliche Schritte zu unternehmen. Auch bei der UVP sind die Fristen nicht länger. Würden Sie mir also bitte sagen, wo Sie Gründe für eine Verzögerung sehen? Dr. Heinrich L. Kolb, Pari. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Matschie, ich möchte Ihnen zunächst sagen, daß wir in ständigem Kontakt mit den Genehmigungsbehörden vor Ort stehen - wir sind keine Genehmigungsbehörde - und daß auch die Genehmigungsbehörden selbst grundsätzlich von einer Verzögerung ausgehen. Sie haben vorhin in Ihrer Zwischenfrage - ich vermute, das ist auch der Hintergrund Ihrer jetzigen Frage - gesagt, daß man mit der UVP-Verwaltungsvorschrift möglicherweise bestimmte Beschleunigungen herbeiführen könnte. Ich will hier ausdrücklich bestreiten, daß das der Fall ist. Die Möglichkeit, die die Bundesregierung auch in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Bundesrat eingestanden hat, bezieht sich in erster Linie auf parallele Genehmigungsverfahren, aber nicht auf Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung. Ich glaube, daß das insgesamt schon zu der Befürchtung berechtigt, daß es hier zu erheblichen Beeinträchtigungen kommen könnte. Nachdem Sie, Herr Kollege Matschie, gefragt haben, möchte ich doch feststellen - ich hoffe, daß wir hier Konsens erreichen -, daß es auch in Ihrem Interesse liegt - im Interesse der Bevölkerung in den betroffenen Regionen liegt es ohnehin -, daß die riesigen Altlasten des Uranbergbaus so schnell wie möglich beseitigt werden. Durch Verzögerungen bei den Sanierungsmaßnahmen - diese sehen wir wirklich - würden die derzeitigen Umweltbelastungen an den Standorten der Wismut GmbH durch radioaktive und andere Schadstoffe länger als geplant bestehenbleiben. Hinzu kämen zusätzliche Kosten für den Bund, insbesondere für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur. Voraussichtlich wäre sogar ein Personalabbau bei der Wismut unausweichlich. Im übrigen, Herr Kollege Matschie, wissen Sie und viele Ihrer Kollegen aus der Opposition, daß Belegschaft und auch Betriebsräte der Wismut GmbH den SPD-Vorstellungen sehr deutlich entgegengetreten sind. Die Bundesregierung sieht durch eine Umweltverträglichkeitsprüfungspflicht für die Wismut-Sanierung keine materiellen Verbesserungen, da in den jetzigen Genehmigungsverfahren alle bei einer Umweltverträglichkeitsprüfung relevanten Aspekte Berücksichtigung finden. Die Öffentlichkeit vor Ort - das ist ja hier bemängelt worden - wird sehr wohl durch zahlreiche Informationsveranstaltungen und Publikationen über alle Sanierungsmaßnahmen und über die Ergebnisse der ständigen Umweltüberwachung unterrichtet. Anregungen der betroffenen Kommunen und von Privatpersonen werden geprüft und, soweit sinnvoll und realisierbar, bei der Sanierungsdurchführung berücksichtigt. Ich glaube, die Ergebnisse der Umweltüberwachung zeigen, daß die durchgeführten Arbeiten den Anforderungen des Strahlen- und Umweltschutzes gerecht werden. Angesichts des in sich widersprüchlichen Antrags, Herr Kollege Matschie, und der negativen Auswirkungen einer Umweltverträglichkeitsprüfung für die Region empfehle ich der SPD-Bundestagsfraktion, ihren Antrag zurückzuziehen. Die Bundesregierung sieht in diesem Bereich keinen gesetzlichen Regelungsbedarf. Vielen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 13/2651 an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu überweisen. Die Federführung ist strittig. Die Fraktion der CDU/CSU wünscht die Federführung beim Ausschuß für Wirtschaft, die der SPD beim Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Wir stimmen zunächst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der SPD ab. Ich bitte diejenigen, die für die Federführung beim Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit stimmen möchVizepräsident Hans-Ulrich Klose ten, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Überweisungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der Fraktion der CDU/CSU, also für die Federführung beim Ausschuß für Wirtschaft? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Damit ist die Vorlage zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen. Damit sind wir, verehrte Kolleginnen und Kollegen, am Schluß der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. März 1996, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.