Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich komme zunächst zu den amtlichen Mitteilungen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um einen Antrag der Gruppe der PDS „Rentenmoratorium 1996" auf Drucksache 13/3737 ergänzt werden, der zusammen mit Tagesordnungspunkt 20 aufgerufen werden soll.
Darüber hinaus ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 21 - zweite und dritte Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Baugesetzbuchs - abzusetzen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung zu erweitern. Außerdem beantragen sie, die Tagesordnungspunkte 22 - chemische Waffen - 23 -, Frieden in Burundi - und 24 - Westsahara-Friedensplan - einschließlich der dazu vorgesehenen Zusatzpunkte von der Tagesordnung abzusetzen. Wird zu diesen Geschäftsordnungsanträgen das Wort gewünscht? - Das Wort hat der Abgeordnete Hörster.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion beantrage ich die Absetzung der Tagesordnungspunkte 22, 23 und 24 und die Aufsetzung des Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung.
Es war leider nicht möglich, im Ältestenrat Einvernehmen über diese Änderung der Tagesordnung zu erzielen,
({0})
obwohl allen Beteiligten klar war, daß wir heute durch die einvernehmliche Aufsetzung der Beschlußfassung über den Antrag der Bundesregierung zum UNO-Einsatz im früheren Jugoslawien ohnehin eine Verlängerung der Debattenzeit bekommen, und obwohl wir uns im Ältestenrat und in den Fraktionen
ständig einvernehmlich darum bemühen, am Freitag spätestens gegen 15 Uhr fertig zu werden, damit die Kolleginnen und Kollegen, die die ganze Sitzungswoche hier festgehalten werden, auch noch in ihre Wahlkreise kommen.
({1})
Entscheidend ist, daß der Gesetzentwurf zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung im Interesse der Wirtschaft, aber auch im Interesse des Handwerks und unserer Facharbeiter dringend erf orderlich ist. Dieser Gesetzentwurf ist daran gescheitert, daß im Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat die Länder mit Hilfe der SPD-Bundestagsfraktion versucht haben, die andere Kammer, nämlich den Bundestag, zu überstimmen.
({2})
Der Vermittlungsausschuß ist eine Einrichtung, die zwischen dem Bundestag und dem Bundesrat vermitteln soll, und keine Einrichtung, bei der die eine Seite die andere brutal überstimmen soll, so wie es geschehen ist.
({3})
Herr Hörster, es hat keinen Sinn, daß Sie bei diesem Lärmpegel und dem Durcheinander im Saal weitersprechen. Wir warten, bis es sich beruhigt hat.
Wir haben im Vermittlungsausschuß in allen materiellen Punkten, was die Aufstiegsförderung betrifft, bis auf einen Punkt Einvernehmen erzielt. Bei diesem einen Punkt hat die SPD im Prinzip aus ideologischen Gründen die Zustimmung verweigert.
({0})
Wir wollen die berufliche Bildung vollwertig neben die sogenannte allgemeine Bildung stellen und wollen sie deswegen in die Länderverwaltung geben, in der sich auch die schulische Bildung befindet. Das wollen Sie verweigern. Sie sind der Auffassung, berufliche Bildung sei sozusagen ein Teil des Sozialhilfegefüges und müßte bei der Arbeitsverwaltung angesiedelt werden. Hier sind wir prinzipiell ganz anderer Meinung. Wir sind der Meinung, daß die berufliche Bildung genauso wie die allgemeine Bildung behandelt werden muß und daß sich das auch in den Organisationsstrukturen niederschlagen muß.
({1})
Angeblich war der Streit um Verwaltungskosten in Höhe von 11 Millionen DM der Hintergrund. Verteilt auf 16 Bundesländer ist das ein geradezu lächerlicher Betrag. Weil wir die Angelegenheit nicht verzögern wollen, möchten wir den Gesetzentwurf auf die Tagesordnung bringen, damit die ursprüngliche Vorstellung, so wie sie in diesem Hohen Hause beschlossen worden ist, auch gegenüber den Ländern durchgesetzt werden kann.
Deswegen bitte ich das Haus um Zustimmung zu dieser Aufsetzung und um Zustimmung zur Absetzung der anderen Tagesordnungspunkte.
({2})
Das Wort hat der Kollege Struck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst zur Aufsetzung des Tagesordnungspunktes Meister-BAföG und zu den Ausführungen des Kollegen Hörster. Herr Kollege Hörster, wenn Sie der Mehrheit des Vermittlungsausschusses ideologische Gründe unterstellen, dann will ich hier deutlich sagen, daß sich dieser Vorwurf auch gegen Herrn Stoiber, Herrn Teufel und gegen Herrn Seite, gegen alle CDU-regierten Länder richtet, die nämlich alle zugestimmt haben. Ihr Vorwurf ist lächerlich.
({0})
Die Erklärung, die Sie eben abgegeben haben, ist nur so zu verstehen, Herr Hörster, daß Sie sich mit der Sache nicht intensiv beschäftigt haben.
Der zweite Punkt. Sie sagen: Wir wollen Zeit gewinnen. Was Sie jetzt mit Ihrer Mehrheit vorhaben, führt jedoch geradewegs zum Gegenteil. Nicht die bewährte Arbeitsverwaltung könnte dieses Gesetz wie bisher unverzüglich durchführen, sondern wir brauchten noch ein Jahr oder länger, bis die Behörden neue Institutionen installiert haben. Dieses Argument ist also absolut lächerlich.
({1})
Sie können nicht verlieren. Sie werden aber noch öfter erleben - das prophezeie ich Ihnen -, daß Sie im Vermittlungsausschuß verlieren. Wenn Sie dann immer dieses Spielchen machen und über neue Gesetze den Bundesrat aushebeln wollen, dann will ich Ihnen deutlich sagen: Der Bundesrat berät erst heute, jetzt beginnend, über das Ergebnis des Vermittlungsausschusses. Sie tun so, als sei er daran gar nicht beteiligt. Sie machen einfach ein neues Gesetz. Das ist ein unerhörtes Verfahren gegenüber einem Verfassungsorgan.
({2})
Verlieren muß man schon können, Herr Kollege Rüttgers. Daran werden Sie sich gewöhnen müssen, auch Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien. Das dauert nicht mehr lange.
({3})
- Gucken Sie sich die Ergebnisse der Abstimmungen an. Für die im Vermittlungsausschuß gilt das auf jeden Fall.
Nun zu der Absetzung von Tagesordnungspunkten. Es ist schon sehr bezeichnend, daß die Koalition sofort begeistert geklatscht hat, als Herr Hörster gesagt hat: Wir wollen am Freitag um 13 oder 14 Uhr zu Ende sein.
({4})
Auch ich bin dafür, daß jeder ordnungsgemäß seine Arbeit macht, auch im Wahlkreis. Aber zuerst einmal wird die Arbeit hier im Deutschen Bundestag gemacht und nicht woanders,
({5})
nur weil man irgendwo Wahlkampf machen will.
({6})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen. Dazu gibt es doch gar keinen Grund. Wenn es nach dem Motto geht: „Wir wollen früh Feierabend machen, deshalb müssen wir Tagesordnungspunkte streichen, und wir streichen diejenigen Tagesordnungspunkte, die von der Opposition gekommen sind", dann zeigt das Ihr Demokratieverständnis.
({7})
Nach Ihren Vorstellungen soll die Debatte über Burundi gestrichen werden. Ich sehe hier Herrn Kinkel sitzen. Herr Kinkel, Sie haben bisher immer öffentlich erklärt, für wie wichtig Sie eine Stellungnahme auch des Parlamentes zu den Morden in Burundi erachten. Statt dessen wird gesagt: Wir setzen diesen Tagesordnungspunkt ab, weil wir Feierabend machen wollen. Das geht so nicht, meine Damen und Herren.
({8})
Herr Kollege Schulz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat natürlich großes Verständnis dafür, daß die Frage Meister-BAföG beschleunigt behandelt wird. Immerhin steht ein Meisterjahrgang in diesem Jahr bereit, der darauf wartet, daß diese Regelung eingeführt wird.
Es handelt sich übrigens um eine Regelung, die es ja schon einmal in ähnlicher Form gegeben hat. Um einmal den Zickzack-Kurs dieser Regierung zu beschreiben: Hier ist es ähnlich wie beim Solidarbeitrag, nämlich da existiert etwas, wird abgeschafft, um dann wieder eingeführt zu werden. Der schnellste Weg wäre natürlich gewesen, dieses Thema heute im Bundesrat abschließend zu behandeln.
({0})
Dazu hätten Sie gestern zustimmen müssen. Das hätten Sie auch tun können, denn immerhin hat ja gestern der von Ihnen so sehr bejubelte Ministerpräsident Erwin Teufel dieser Sache zugestimmt. Das heißt, es gibt überhaupt keinen Grund, daß Sie das Ergebnis des Vermittlungsausschusses abgelehnt haben, nur um eine kleinliche Detaillösung durchzubekommen. Ich verstehe auch gar nicht, warum Sie die Großzügigkeit von Ministerpräsident Teufel nicht in Anspruch nehmen, der ja offensichtlich immer noch ein paar Mark in seiner Landeskasse findet, wenn es darum geht, den Liberalen Hilfe zum Überleben zu leisten oder die Liberalen im Mutterland des Liberalismus nicht zu behindern, damit sie beim letzten Aufbäumen nicht abbrechen.
({1})
Auf jeden Fall verzichten Sie hier auf eine Mitfinanzierung der Länder, nur um eine kleinliche Detaillösung durchzubekommen.
Was wir aber überhaupt nicht hinnehmen können - wie gesagt, mit der Aufsetzung dieses neuen Tagesordnungspunktes könnten wir uns ja noch anfreunden -, ist die Tatsache, daß im Verfahren Unterschiede gemacht werden und daß die Koalition innerhalb von drei Tagen einen Antrag aufsetzen kann. Übrigens handelt es sich nicht etwa um einen Koalitionsantrag, sondern um einen Antrag, der im Zukunftsministerium entstanden ist. Sie übernehmen offensichtlich ohne Probleme die Serienentwürfe, die dort entstehen, als Koalitionsentwürfe und reichen sie in den Bundestag ein. Auch das halte ich für problematisch, weil es ein bezeichnendes Licht auf den Arbeitszustand der Koalitionsfraktionen wirft.
Wir könnten uns, wie gesagt, mit diesem schnellen Verfahren noch anfreunden, wenn der Opposition ähnlich schnelle Verfahrenswege zur Verfügung stünden. Aber unsere Anträge werden abgeräumt, heute beispielsweise der Antrag zur Sicherung des Friedens in Burundi. Herr Kinkel, Sie wissen ganz genau: Es handelt sich um eine drängende, hochbrisante Frage. Es herrscht dort eine Situation, die auf einen ähnlichen Bürgerkrieg wie in Ruanda hinweist.
Dem Antrag, das heute von der Tagesordnung abzusetzen können wir in keiner Weise zustimmen.
({2})
Wie gesagt: Wir können damit leben, daß das eine getan wird, aber wir sollten das andere nicht lassen.
({3})
Herr Kollege van Essen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wahrheit ist erstens, daß uns die Länder im Bundesrat zumuten wollten, verfassungswidrig zu handeln. Das machen wir nicht mit.
({0})
Es ist ganz typisch, daß sich gerade die Grünen nicht dagegen wenden. Das macht deutlich, daß ihnen zu einer Bürgerrechtspartei wirklich alles fehlt.
({1})
Wahrheit ist zweitens, daß der Kollege Struck hier außerordentlich geheuchelt hat. Zum einen zeigt die Präsenz der SPD-Fraktion heute vormittag, wie wichtig ihr die Arbeit hier im Bundestag ist. Schauen Sie sich die Präsenz der SPD-Bundestagsfraktion an!
({2})
Wie heuchlerisch er hier argumentiert hat, ergibt sich zum anderen aus der Tatsache, daß er in den Verhandlungen bereit war, auf die übrigen Tagesordnungspunkte zu verzichten. Auch das muß hier angesprochen werden.
({3})
Für uns sind natürlich die Fragen bezüglich der Westsahara und Burundi wichtig. Noch wichtiger ist für uns allerdings, daß wir schnellstmöglich zu einer Förderung derer kommen, die die praktische Intelligenz in unserem Lande darstellen. Diese müssen endlich so behandelt werden wie jene, die die theoretische Intelligenz darstellen.
({4})
Das duldet keine Verzögerung. Deshalb unterstützen wir als F.D.P.-Bundestagsfraktion den Antrag, den der Kollege Hörster hier vorgetragen hat.
Vielen Dank.
({5})
Frau Kollegin Enkelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich meine, daß dieses
Spiel des Parlaments unwürdig ist. Die Koalition versucht wieder einmal, die Opposition am Nasenring durch die Manege zu ziehen.
Aber plaudern wir ruhig einmal aus dem Nähkästchen, weil gerade von Wahrheit die Rede war. In der vergangenen Woche ist in der Runde der Parlamentarischen Geschäftsführer die Tagesordnung für diese Woche vereinbart worden, und zwar einvernehmlich. Am Donnerstag der vergangenen Woche wurde die Tagesordnung im Ältestenrat beschlossen, ebenfalls einvernehmlich. Und dann wird jetzt alles aus billigen wahltaktischen Überlegungen über den Haufen geworfen.
({0})
Aber man formuliert das ja wesentlich höflicher: „Die Koalition wünscht, daß ...". Nun sind wir aber nicht bei der Sendung „Wünsch Dir was", und die Opposition ist nicht die gute Fee.
({1})
Hätten Sie gestern dem Kompromiß des Vermittlungsausschusses zugestimmt, dann wäre die Verzögerung nicht eingetreten. Sie sind schuld daran, daß hier eine Verzögerung eintritt.
Das erinnert im übrigen an billiges Possenspiel. Allerdings gibt es nichts zu lachen, weil die Betroffenen seit langem auf eine Lösung vorbereitet werden, weil ihnen die Lösung seit langem versprochen wird, aber nichts passiert.
Nein, meine Damen und Herren, Sie denken hier nur noch in der Kategorie von Wählerstimmen. Wählerinnen und Wähler sind Ihnen völlig Wurscht. Damit verspielen Sie wertvolles Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern. Da hilft Ihnen auch die Absetzung von der heutigen Tagesordnung nicht, damit Ihre Abgeordneten zu Wahlkämpfen ausschwärmen können. Vielleicht haben Sie es aber auch nur sehr nötig.
Die PDS stimmt also dem Antrag der Koalition nicht zu.
({2})
Darf ich die Kollegen bitten, Platz zu nehmen, damit wir abstimmen können.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Zunächst stimmen wir über den Aufsetzungsantrag der Koalitionsfraktionen ab. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung um die erste Beratung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Damit ist der Aufsetzungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/ Die Grünen und der PDS angenommen. Der Gesetzentwurf wird damit heute nach Tagesordnungspunkt 20 aufgerufen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Absetzungsantrag. Ich bitte diejenigen, die der Absetzung der Tagesordnungspunkte 22 bis 24 einschließlich der dazu vorgesehenen Zusatzpunkte zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Absetzungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen. Damit werden die genannten Tagesordnungspunkte heute nicht aufgerufen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0})
- zu dem Antrag der Bundesregierung Deutsche Beteiligung an der Unterstützung der VN-Übergangsadministration für Ostslawonien ({1}) durch die multinationale Friedenstruppe für Bosnien-Herzegewina ({2})
- zu dem Antrag der Gruppe der PDS
Kein Einsatz der Bundeswehr in Ostslawonien
- Drucksachen 13/3708, 13/3693, 13/3730 Berichterstattung:
Abgeordnete
Karsten D. Voigt ({3}) Gerd Poppe
Ulrich Irmer
Andrea Lederer
Zum Antrag der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. - Zunächst aber möchte ich darum bitten, daß diejenigen, die an der Sitzung teilnehmen wollen, Platz nehmen und sich die anderen so verhalten, daß wir hier beginnen können.
Das Wort hat der Bundesminister Volker Rühe.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Friedensvereinbarung für Bosnien-Herzegowina wird Schritt für Schritt umgesetzt. Die Abtretungsgebiete wurden planmäßig zum 3. Februar 1996 geräumt. Die Stationierung der internationalen Friedenstruppe IFOR ist fast abgeschlossen. Inzwischen befinden sich mehr als 58 000 Soldaten, darunter nahezu die geplante Zahl an deutschen Soldaten, im Operationsgebiet.
Selbst wenn sich damit die militärische Lage weitgehend stabilisiert hat, so ist doch der Friedensprozeß im früheren Jugoslawien politisch noch sehr brüchig. In Mostar ist es zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen die Entscheidung des EU-Administrators Hans Koschnick gekommen, die Verwaltungsstrukturen der Stadt neu zu ordnen. Damit ist für jederBundesminister Volker Rühe
mann deutlich geworden, wieviel Mißtrauen und Haß noch zwischen den verschiedenen Volksgruppen herrschen.
Ich glaube, wir sollten auch an dieser Stelle deutlich machen, daß Hans Koschnick nicht nur unsere Sympathie hat, sondern vor allen Dingen auch unsere Unterstützung für seine Politik, zu der es keine Alternative gibt.
({0})
Frieden - das wird an Mostar deutlich - kann letztlich nur aus dem Innern kommen; er kann nicht von außen erzwungen werden. Deswegen hat der Außenminister völlig zu Recht die kroatische Regierung in die Pflicht genommen. Kroatien hat im letzten Jahr militärische Entschlossenheit gezeigt. Man muß einräumen, daß das letztlich auch geholfen hat, Friedensverhandlungen herbeizuführen; denn zu diesem Zeitpunkt galt die Logik des Schlachtfeldes. Die Serben glaubten, alles auf dem Schlachtfeld ausmachen zu können. Herr Tudjman muß aber wissen, daß wir von ihm jetzt mindestens dieselbe Entschlossenheit für den Frieden verlangen.
({1})
Es ist immer leicht, Forderungen an andere zu stellen. Wahre Stärke zeigt sich darin, inwieweit man bereit ist, im eigenen Lager, gegenüber den eigenen Leuten, das heißt also: den Kroaten in Bosnien, den Frieden durchzusetzen.
Präsident Tudjman muß wissen, daß mit den Angriffen auf Herrn Koschnick
({2})
- hören Sie gut zu - die Autorität der Europäischen Union - und das ist nicht irgend jemand - in Frage steht und sich die Europäische Union dies nicht bieten lassen wird.
({3})
Meine Damen und Herren, Stabilität und friedliches Miteinander im früheren Jugoslawien wird es nur dann geben, wenn die Regierungen in der Region die geschlossenen Verträge umsetzen und all ihren Einfluß auf die Menschen ausüben, schließlich aufeinander zuzugehen, und die Bereitschaft wekken, wieder gemeinsam oder zumindest nebeneinander in diesem Teil der Welt zu leben.
Die Lösung territorialer Fragen ist dafür eine wichtige Grundbedingung. Dazu gehört auch das Problem Ostslawonien. Am 12. November 1995 hat die kroatische Regierung mit den kroatischen Serben einen Vertrag geschlossen, der auf die friedliche Wiedereingliederung Ostslawoniens unter kroatische Staatsgewalt zielt. Zur Umsetzung dieses Vertrages hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 15. Januar 1996 mit der Resolution 1037 entschieden, eine Übergangsadministration einzusetzen. Sie befindet sich zur Zeit im Aufbau und umfaßt eine zivile und eine militärische Komponente.
Belgien hat sich bereit erklärt, die militärische Führung zu übernehmen. Die militärische Hauptaufgabe, die Demilitarisierung der Region, ist innerhalb von 30 Tagen nach Herstellung der Einsatzbereitschaft zu erledigen. Das wird voraussichtlich im Mai oder Juni der Fall sein.
Vor allem in dieser kritischen Phase muß der UN-Verband im Notfall rasche Hilfe erhalten können. Der NATO-Rat hat deshalb beschlossen, Luftnahunterstützung und Unterstützung für einen eventuellen Notfallrückzug auf Anforderung durch IFOR bereitzustellen. Damit ist die Absicherung der Vereinbarungen für Bosnien-Herzegowina und Ostslawonien durch NATO-Luftstreitkräfte eine integrierte Militäroperation. Die UNO-Friedenstruppe in Ostslawonien hat damit Gewißheit, in brenzligen Situationen aus der Luft unterstützt und im Notfall beim Rückzug geschützt zu werden. Diese Unterstützung liegt auch im besonderen deutschen Interesse, nicht nur aus Gründen der Bündnissolidarität gegenüber Belgien, sondern auch deshalb, weil die Entwicklung in Ostslawonien unauflösbar mit dem Friedensprozeß in Bosnien-Herzegowina verbunden ist.
Der Erfolg aller bisherigen Bemühungen der Bundesregierung und der internationalen Staatengemeinschaft zur Stabilisierung der Region wäre ohne eine friedliche Lösung des Konflikts in Ostslawonien gefährdet. Luftoperationen über Bosnien-Herzegowina lassen sich von der möglicherweise kurzfristig erforderlichen Unterstützung für die UNO-Friedenstruppe in Ostslawonien nicht trennen.
Im Luftraum' des früheren Jugoslawien werden ständig Flugzeuge bereitgehalten, die im Notfall Luftnahunterstützung für IFOR gewähren können. Der jeweilige Einsatzort wird kurzfristig festgelegt, wenn sich die Flugzeuge bereits in der Luft befinden. Auf Grund der räumlichen Nähe sollen diese Flugzeuge bei Bedarf auch für die UNO-Friedenstruppe in Ostslawonien eingesetzt werden und würden dazu kurzfristig umdirigiert. Die Flugzeuge zur Luftnahunterstützung von IFOR werden regelmäßig auch durch deutsche Tornados begleitet und geschützt. Die Tatsache, daß deutsche ECR-Tornados Teil der Deckung aus der Luft sind, trägt nicht zuletzt dazu bei, daß es von Anfang an nicht zur Bedrohung von NATO-Flugzeugen vom Boden aus kommt.
Würden die Tornados ausschließlich für die IFORUnterstützung bereitstehen, müßten sie bei kurzfristig geforderter Unterstützung der UNO-Friedenstruppe in Ostslawonien in der Luft abdrehen und die Luftnahunterstützungsflugzeuge ohne Schutz weiterfliegen lassen.
({4})
Die Allianz wäre gezwungen, zusätzliche Flugzeuge bereitzustellen, die in einem solchen Fall den Schutz übernehmen müßten. Die deutschen Flugzeuge wären damit für die NATO insgesamt nur noch von eingeschränktem Wert. Die Allianz muß sich aber darauf verlassen können, daß sie die Flugzeuge, die gerade im Einsatz sind, auch wirklich einsetzen kann. Neben den Tornados sollen auch die Kräfte
bereitstehen, die im Rahmen von IFOR für die medizinische Evakuierung eingesetzt sind.
Die Bundesregierung hat beschlossen, mit den im Rahmen der multinationalen Friedenstruppe für Bosnien-Herzegowina eingesetzten ECR- und Aufklärungstornados auf Anforderung auch die Mission der Vereinten Nationen in Ostslawonien zu unterstützen. Außerdem sollen die erforderlichen und bereits in IFOR eingesetzten Kräfte für die medizinische Evakuierung bereitgestellt werden. Der deutsche Beitrag erfolgt im zeitlichen Rahmen unserer Beteiligung an der auf ein Jahr befristeten IFOR-Operation.
Mit dem, was die Bundesregierung beschlossen hat, reagieren wir auf eine konkrete Sachsituation. Wir sind nicht auf der Suche nach zusätzlichen Missionen, sondern der Antrag der Bundesregierung zeigt, daß wir uns strikt auf das beschränken, was von der Sache her geboten ist.
Ich darf mich dafür bedanken, daß es möglich war, in dieser Woche zügig zu beraten - ich glaube, das hat international große Beachtung gefunden -, und daß allem Anschein nach der große Konsens gewahrt werden kann. Ich kann aus meiner Begegnung mit den deutschen Soldaten in Jugoslawien heraus nur sagen: Es ist wichtig, daß sie gut ausgebildet worden sind. Es ist wichtig, daß sie optimal ausgerüstet worden sind. Aber das Wichtigste, das wir ihnen mitgegeben haben, ist die volle Unterstützung dieses Hauses, und ich freue mich, daß es dabei bleibt.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Karsten Voigt.
Bevor ich zum Antrag der Bundesregierung spreche, möchte ich erst einmal auch namens der SPD-Bundestagsfraktion Hans Koschnick unseren Dank aussprechen. Er ist ein Mann, der aus seinen humanistischen Prinzipien praktische Konsequenzen zieht, ein ehemaliger Parlamentarier, der deutlich macht, daß Zivilcourage Leitmotiv nicht nur von Bürgern in unserem Lande, sondern auch von Politikern im Parlament sein kann.
({0})
Im Gegensatz zu vielen Leuten der Presse geben er und wir seine Aktion, seinen Auftrag noch nicht als gescheitert auf; denn wir sind ins Gelingen verliebt. Es wird noch viele solcher Schwierigkeiten geben - nicht nur in Mostar -, und trotzdem sollte man nicht jedesmal vom Scheitern reden, sondern von Schwierigkeiten, die es zu überwinden gilt.
({1})
Nun zum Antrag der Bundesregierung. Wir haben darauf bestanden, daß er im Bundestag erneut beraten wird, nicht weil wir wollen, daß immer nur militärische Fragen im Vordergrund der Debatte stehen - die zivilen Fragen sind wichtiger -, sondern deshalb, weil wir vor dem Verfassungsgericht erkämpft und erstritten haben, daß beim Einsatz der Bundeswehr das Parlament jeweils zu beteiligen ist. Das wollen wir auch heute verwirklicht sehen.
Wir werden dem Antrag der Bundesregierung zustimmen, und es werden auch zahlreiche derjenigen aus der SPD-Fraktion, die noch im November mit Nein gestimmt haben, diesmal mit Ja stimmen, und zwar aus folgenden Gründen: Es geht hier bei diesem erweiterten Einsatz der Bundeswehr nicht um zusätzliche militärische Maßnahmen; kein einziger Soldat, kein einziges Flugzeug wird zusätzlich eingesetzt. Deshalb ist jedes Gerede von einem weiteren Schritt der Militarisierung der Außenpolitik in diesem Zusammenhang schlicht und ergreif end Blödsinn.
({2})
Es geht einerseits darum, daß der Einsatz der IFOR in Bosnien-Herzegowina unterstützt wird, ohne daß es zu einem Einsatz zusätzlicher Soldaten oder Flugzeuge kommt, und es geht andererseits um die Absicherung von UNTAES. UNTAES ist eine Maßnahme der Vereinten Nationen; es handelt sich um eine Maßnahme, mit der präventiv verhindert werden soll, daß die Serben, die in diesem Gebiet gelebt haben, bevor serbische Truppen das Gebiet erobert haben, oder die Serben, die dorthin aus Bosnien geflüchtet sind, nachdem serbische Truppen es erobert haben, von dort vertrieben werden, und mit der sichergestellt werden soll, daß Kroaten in dieses Gebiet, aus dem sie vertrieben worden sind, zurückkehren können, ohne daß sie gefährdet sind. Eine solche präventive Verhinderung von Vertreibung und möglichem Völkermord kann doch nur im Sinne dieses Hauses insgesamt liegen.
({3})
Ich habe über diesen Einsatz lange mit Jacques Klein, dem Leiter der zivilen Administration in Ostslawonien, gesprochen. Er hat mir gesagt, er rechnet gar nicht mit militärischen Auseinandersetzungen, weil das Risiko für jeden, insbesondere für die Kroaten, sehr groß sei, solange die Versorgungslinien der Amerikaner durch Ostslawonien führen.
Allerdings wünscht er sich diese zusätzliche Absicherung durch IFOR und auch durch die Luftstreitkräfte als eine präventive Warnung an jeden, der vielleicht versucht sein könnte, irgend etwas zu unternehmen. Wenn ein solcher Wunsch von dem Leiter der zivilen Administration an mich gerichtet wird, kann ich nur sagen: Ein ziviler Administrator möchte, daß seine zivile Maßnahme Erfolg hat. Nicht die Militärs haben ihm diese Zielsetzung aufgedrängt; vielmehr kam der Wunsch von der zivilen Seite. Das haben wir zu respektieren.
({4})
Karsten D. Voigt ({5})
Nun zu dem Zivilen selber; denn darin sehe ich das Hauptproblem nicht nur für Ostslawonien, sondern auch für Bosnien-Herzegowina. Ich glaube, daß die IFOR-Maßnahmen in den letzten Tagen und Wochen sehr viel gebracht haben; sie haben dazu geführt, daß es eine schrittweise militärische Entflechtung gegeben hat, daß es auch zu einem Gefangenenaustausch gekommen ist und daß die ersten halb zivilen, halb militärischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Rüstungskontrolle und der Abrüstung vorbereitet werden konnten, zum Beispiel hier auf dem Petersberg. Dafür auch Ihnen, Herr Bundesaußenminister, herzlichen Dank und unsere Unterstützung!
Allerdings fehlt im zivilen Bereich vieles. Manche Verzögerung ist unvermeidlich, weil die Vorbereitung in bezug auf das Zivile erst nach den Entscheidungen des UNO-Sicherheitsrates begonnen werden konnte und für die zivilen Bereiche keine etablierten Strukturen - so wie innerhalb der NATO - zur Verfügung stehen. Manches ist unentschuldbar. Es ist gut, daß die Bundesregierung sich verpflichtet hat, 200 Polizisten nach Bosnien-Herzegowina zu schikken. Es ist ein inakzeptabler Skandal, daß von diesen 200 Polizisten noch kein einziger in Bosnien-Herzegowina angekommen ist.
({6})
Es ist ein Versagen des kooperativen Föderalismus, daß es durch Streit zum Teil innerhalb der Bundesregierung, zum Teil zwischen Bund und Ländern dazu gekommen ist. Das ist unentschuldbar.
({7})
Es gibt viele bürokratische Gründe dafür; es gibt keinen einzigen, den ich als Bundestagsabgeordneter und den die SPD akzeptieren kann, keinen einzigen.
({8})
Ich kann auch nicht akzeptieren, daß die OSZE bisher noch nicht ausreichend unterstützt wird, um die Wahlen, die schwierig genug sein werden, vorzubereiten.
({9})
Ich kann auch nicht akzeptieren - bei allem Drängen, daß die Amerikaner, die Japaner und die islamische Welt am finanziellen Wiederaufbau beteiligt werden müssen -, daß die Bundesregierung auf eine Anfrage hier im Bundestag erklärt, keine zusätzlichen Maßnahmen über die deutschen Anteile an den EU-Hilfen hinaus zu beabsichtigen. Darum werden wir nicht herumkommen.
({10})
Man kann zehnmal sagen, daß wir mit der Übernahme einer großen Zahl von Flüchtlingen - der größten von allen Ländern überhaupt - unseren Anteil schon geleistet haben. Das ist aber keine Entschuldigung, beim Wiederaufbau nicht auch bilaterale Maßnahmen zusätzlich abzusichern. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, bei diesem Wiederaufbau nicht nur darauf zu drängen, daß die EU schneller entscheidet, sondern auch darauf zu drängen und zu überlegen, was wir darüber hinaus in bilateralem Rahmen machen können. Das ist ein wichtiger Beitrag.
Ich denke dabei auch an die Aufgabe unserer Stiftungen. Wir müssen verhindern, daß es zu Wahlen nur zwischen faktisch ethnischen Parteien kommt.
({11})
Das war schon einer der Gründe für das Auseinanderfallen Bosnien-Herzegowinas nach der Erklärung der Selbständigkeit. Wir haben jetzt alle Interesse daran - alle parteinahen Stiftungen gleichermaßen -, daß durch die Unterstützung von zivilen, vielleicht auch säkularen, von multiethnischen Strukturen und solchen, bei denen nicht immer nur eine Partei - der Kroaten, der Muslime oder der Serben - eine Rolle spielt, ein Pluralismus nicht nur zwischen den verschiedenen Völkern, sondern auch innerhalb der verschiedenen Völker entsteht.
({12})
Wir haben ein Interesse daran - da geht mein Appell an die verschiedenen deutschen Rundfunk-und Fernsehanstalten; übrigens nicht nur die öffentlichen, sondern auch die privaten können da mal was tun -, daß sie beim Aufbau von zivilen Informationsmitteln, von pluralistischen Informationsmitteln helfen.
({13})
Das gilt für Rundfunk und Fernsehen; das gilt aber auch für Zeitungen. Wir müssen darauf drängen, daß die Information nicht so parteiisch stattfindet, wie das zur Zeit der Fall ist. Faktisch gibt es dort zwar Rundfunksendungen der verschiedenen Nationen; aber der Pluralismus innerhalb dieser Sendungen ist nicht gewährleistet.
Wir haben eine ungeheuer schwierige Aufgabe, bei der ich glaube, daß wir als Parlamentarier unseren Beitrag leisten können. Ein Beispiel: Bei der OSZE geht es um die parlamentarische Begleitung dieses gesamten Wahlvorgangs. Ich glaube, daß sich die Parlamentarische Versammlung der OSZE, die sich schon in ihrer letzten Sitzung mit den Wahlen befaßt hat - Freimut Duve ist da, der Kollege Wimmer ist da; ich treffe mich demnächst mit dem Vorsitzenden der OSZE-Parlamentarierkonferenz, Herrn Swaelen -, an der vorbereitenden Begleitung des Wahlprozesses selber aktiv beteiligen sollte. Wer sonst als Parlamentarier hat eine Verantwortung dafür, daß die Wahlen unter demokratischen Vorzeichen und fairen Bedingungen stattfinden?
({14})
Ich möchte der Kollegin Leni Fischer hier im Plenum noch einmal zu ihrer Wahl als Vorsitzende der
Karsten D. Voigt ({15})
Parlamentarischen Versammlung des Europarates gratulieren.
({16})
Ich glaube, daß der Europarat mit seinen zahlreichen Traditionen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte sowohl auf der Exekutivebene wie auf der parlamentarischen Ebene eine ungeheure Aufgabe und Chance hat, zivilisierend auf diesen Konflikt einzuwirken.
Ich selber werde in meiner Eigenschaft als Präsident der Nordatlantischen Versammlung Seminare in dem Gebiet mit durchführen, bei denen es um die zivile Kontrolle der militärischen Faktoren geht und an denen Parlamentarier aus kroatischen, serbischen und muslimischen Gebieten gemeinsam beteiligt werden, die mit ost- und westeuropäischen Parlamentariern über die zivile Kontrolle des militärischen Bereichs und den Schutz von Minderheiten reden.
Was will ich damit sagen? Die militärische Komponente beschließen wir heute. Sie wird möglicherweise nach einem Jahr enden. Aber an der zivilen Komponente müssen wir alle mitwirken. Dafür muß viel mehr getan werden. Es wird leider mehr brauchen als das eine Jahr. Ich wünsche uns allen viel Erfolg. Wir werden zustimmen.
({17})
Das Wort hat jetzt der Kollege Rudolf Seiters.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt den Antrag der Bundesregierung. Die vorgesehene Maßnahme auf Ersuchen der Kriegsparteien in Übereinstimmung mit der UNO und auf Bitten der NATO ist ein aktiver Beitrag zum Erfolg der militärischen und politischen Umsetzung des Grundlagenvertrages, ein Friedensdienst und gleichzeitig ein Gebot bündnispolitischer Solidarität.
Herr Kollege Lippelt, ich habe Sie heute morgen im Rundfunk gehört; ich habe auch darauf geantwortet. Sie haben, angesprochen auf die Frage der Bündnissolidarität, gesagt, diese sei wichtig, aber dafür habe die Koalition ohnehin die Mehrheit. - Ich halte das für ein merkwürdiges Verständnis von Opposition und von Verantwortung.
({0})
Sie müssen schon bedenken, was es bedeuten würde, sollten Sie sich durchsetzen: Wir würden uns einem von allen Parteien gewünschten, dringend notwendigen Friedensdienst entziehen. Wir würden zurückfallen in eine Sonderrolle und uns international isolieren. Das wäre unverantwortlich. Damit sollten Sie sich auseinandersetzen.
({1})
Ich denke, wir sollten unseren Beitrag als eine weitere Chance begreifen, mitzuhelfen, daß nach mehr als vier Jahren Krieg, Vergewaltigung, Vertreibung, Massenmord, Zerstörung vielleicht doch ein neues erstes Fundament - so schwer dies auch sein mag - für Dialog, Toleranz, Verständigung und Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Volksgruppen geschaffen wird.
Volker Rühe hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß der Friede nicht von außen erzwungen werden kann, daß die Menschen im ehemaligen Jugoslawien, die Volksgruppen, diesen Frieden selbst herbeiführen und mitgestalten müssen. Aber dieser Friede hat überhaupt nur eine Chance, wenn er durch die Völkergemeinschaft - und damit auch durch uns - militärisch, politisch und ökonomisch abgesichert wird.
Neun Soldaten der internationalen Friedenstruppe haben seit Beginn des Einsatzes ihr Leben verloren. Die deutschen Soldaten kennen das Risiko ebenso wie die Soldaten der NATO-Verbündeten und der anderen an IFOR beteiligten Nationen. Deswegen möchten wir auch an dieser Stelle noch einmal unseren Soldaten danken für ihre Bereitschaft und ihren Mut, das Risiko zu tragen und sich in den Dienst dieser internationalen Friedensmission zu stellen. Sie ist unverzichtbar!
({2})
Ich will, was Ostslawonien anbetrifft, noch einmal daran erinnern: Hier nahm im Juli 1991 der kroatisch-serbische Krieg seinen Anfang. Vukovar wurde zum Symbol dieses Krieges. In einer mehrmonatigen Belagerung legten serbische Milizen und Truppen der ehemaligen jugoslawischen Volksarmee die ostkroatische Stadt in Schutt und Asche. Die nichtserbische Bevölkerung wurde massakriert und davongejagt.
Deshalb bedeutet eine friedliche Lösung in Ostslawonien für das Verhältnis zwischen Kroaten und Serben, was Mostar für das Verhältnis zwischen Kroaten und Muslimen und Sarajevo für das Verhältnis zwischen Muslimen und Serben bedeutet. Ostslawonien ist die Nagelprobe für ein friedliches Zusammenleben von Serben und Kroaten in der Zukunft. Wir möchten unseren bescheidenen Beitrag dazu leisten. Nur darum geht es heute.
Deshalb unterstützt die Völkergemeinschaft das Ostslawonien-Abkommen mit der Übergangsverwaltung, und die Europäische Union leistet das gleiche mit Hans Koschnick für die bosnisch-kroatische Föderation in Mostar. Seine Arbeit ist hier bereits
gewürdigt worden. Ich möchte das ausdrücklich auch für unsere Fraktion tun.
({3})
Wir haben hier im Bundestag immer Partei ergriffen für die Opfer von Terror, Gewalt und Übergriffen, gegen die Aggressoren. Das galt für Ostslawonien und die kroatische Krajina. Aber es gilt eben auch für Mostar. Deswegen erwarten wir von der kroatischen Seite und auch von Präsident Tudjman, das alles getan wird, damit die eingegangenen Verpflichtungen eingehalten werden. Alles andere wäre überhaupt nicht akzeptabel und würde den Friedensprozeß schwer belasten.
Ich will noch auf einen anderen Gesichtspunkt zu sprechen kommen; auch Karsten Voigt hat darauf abgehoben. Die Umsetzung des Vertrages und die Sicherung des Friedens haben unmittelbare Rückwirkungen auf andere Fragen wie die Rückführung der Bürgerkriegsflüchtlinge. Dies wiederum hängt zusammen mit dem Wiederaufbau der zerstörten Gebiete und mit der Aufbauhilfe als einem zentralen Element der Stabilisierung des Friedensprozesses. Der militärische Einsatz ist doch kein Selbstzweck. Er dient einem politischen Ziel, nämlich der Ermöglichung einer friedlichen Lösung.
Die vorgesehene Rückkehr von Flüchtlingen in einer angemessenen, gestaffelten zeitlichen Perspektive erfolgt in Abstimmung mit dem Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen und der Europäischen Union - sie nimmt auf viele Probleme Rücksicht - und erfolgt zunächst nur auf freiwilliger Grundlage.
Meine Damen und Herren, ich will aber doch hinzufügen: Die Mitverantwortung der Flüchtlinge für den Wiederaufbau ihrer Heimat bedeutet auch, daß Freiwilligkeit auf Dauer nicht das einzige Entscheidungskriterium für die Rückführung sein kann. Die Rückkehr bedeutet auch ein Stück Solidarität mit denen, die die Schrecken des Krieges im eigenen Land tragen mußten, weil ihnen die Möglichkeit zur Flucht verwehrt war. Dieser Gedanke darf nicht untergehen.
({4})
Wir übersehen die Probleme nicht, die mit der Zerstörung von Häusern und mit der Zuordnung von Gebieten zu den Serben oder den Muslimen verbunden sind, aber grundsätzlich muß die Staatengemeinschaft alle Möglichkeiten ausschöpfen, um zu verhindern, daß Kroaten, Serben und Muslime künftig nur noch in „ethnisch gesäuberten Regionen" leben können. Deshalb ist der Schutz ethnischer Minderheiten in Bosnien-Herzegowina, aber auch in den anderen Staaten des ehemaligen Jugoslawien so wichtig, und deshalb muß klar sein, und wir müssen unseren Einfluß geltend machen, daß die Hilfe für den Wiederaufbau Bosnien-Herzegowinas nur dort gegeben wird, wo das Rückkehrrecht der Flüchtlinge gewährt und der rechtliche und politische Schutz der Minderheiten gesichert ist.
Herr Kollege Seiters, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schuster?
Bitte schön.
Herr Kollege, wenn man Ihrer Argumentation folgt, macht es dann nicht nachdenklich, daß wir heute erneut nur über den einen Teil beschließen, die Frage der Organisation der militärischen Absicherung, und zum viel wichtigeren zweiten Teil, der Frage der Unterstützung des zivilen Aufbaus, heute wieder keinen Beschluß fassen?
Die zweite Frage ist: Wir haben gerade eben die Beratung über die Situation in Burundi von der Tagesordnung abgesetzt. Dort droht ein Massenmord an 500 000 Menschen. Macht es nicht nachdenklich, daß es für uns immer einfacher ist, uns nur mit den Problemen vor der Haustür zu beschäftigen, daß wir aber dort, wo wir etwas tun könnten, nichts tun?
({0})
Herr Kollege, ich kann nicht verstehen, daß Sie in Frage stellen oder kritisieren, daß ich ja ausdrücklich den Zusammenhang zwischen der militärischen Aktion und den damit verbundenen zivilen Zielen herstelle, daß dies alles nur einen Sinn macht, wenn wir damit auch ein politisches Ziel verfolgen, nämlich den Wiederaufbau, die Rückkehr der Flüchtlinge, das Ziel, den Frieden sicherzustellen.
Heute geht es um eine ganz konkrete Entscheidung, die ansteht; darüber sprechen wir jetzt. Die Entscheidung muß getroffen werden; ich hoffe, das geschieht mit einer großen Mehrheit.
Die anderen Fragen sind auch wichtig, deshalb habe ich sie angesprochen, und was Burundi anbetrifft, so ist es auch wichtig, aber wir können nicht alle Fragen dieser Welt an einem Vormittag und in der gleichen Weise hier im Deutschen Bundestag diskutieren. Das geht nun wirklich auch nicht.
({0})
Ich bitte das nicht mißzuverstehen; das ist überhaupt keine Abwertung der schwierigen Probleme, die dort anstehen, aber hier haben wir es heute mit einer ganz konkreten Entscheidung des Deutschen Bundestages zu tun, mit der Frage der Unterstützung für die Bundesregierung.
Auch Deutschland hat eine Mitverantwortung für das Gelingen des Friedensprozesses. Unsere Entscheidung für die Beteiligung an der Unterstützung der UNO-Übergangsadministration in Ostslawonien durch die multinationale Friedenstruppe leistet hierfür einen wichtigen Beitrag, und deswegen sollte der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit dem Antrag der Bundesregierung zustimmen.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. Lippelt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Wunsch der Belgier, die den Hauptteil der Blauhelme in Ostslawonien stellen, nach militärischer Absicherung ihrer Mission durch IFOR ist wahrhaftig mehr als gerechtfertigt, denn die Mission der zwischenzeitlichen UN-Verwaltung Ostslawoniens ist eine sehr schwierige. Sie soll die Rechte der 1991 in diesem furchtbaren Krieg um Vukovar vertriebenen 90 000 Kroaten auf Heimkehr absichern, gleichzeitig aber auch die Rechte der dort im Lande lebenden kroatischen Serben inklusive derer, die auf dem Wege der Flucht aus den „Säuberungen" in Kroatien da nun gelandet sind, gewährleisten.
Jeder, der weiß, daß das erste bescheidene Projekt, nur 100 Muslime und 100 Kroaten in der kroatischen Föderation um Jajce in ihre Heimat zu bringen, praktisch gescheitert ist, wird ermessen können, daß diese Aufgabe nicht in einem Jahr zu leisten ist, sondern daß sie längere Zeit beansprucht. Und so heißt es denn auch in § 1 des Ostslawonien-Vertrages, auf einseitigen Antrag der beiden Parteien könne die UN-Verwaltung um ein Jahr verlängert werden, und so wird es dann auch kommen. Aber IFORs Lebenszeit ist von amerikanischer Seite und von uns durch Beschluß des Bundestages auf ein Jahr begrenzt. Wenn sich die Konflikte in Ostslawonien zuspitzen werden, wird IFOR nicht mehr dasein.
Als ich Sie, Herr Rühe, auf diesen Punkt aufmerksam machte, antworteten Sie: Na gut, dann stellen Sie als Grüne doch den Antrag auf ein zweites Jahr. Aber genau das ist die Denkstruktur nach der Weise „mehr vom selben", die wir zur Lösung dieser Probleme für ungeeignet halten.
Unsere Forderung ist die nach einer stärker präventiv geprägten oder - sagen wir es ganz bescheiden - nach einer etwas umsichtigeren Außenpolitik, die die Bundesregierung an diesem Punkt vermissen läßt. Die Handhabe gegen das, was Sie alle beklagen, daß nämlich die Kroaten so nationalistisch sind, hätte es ja gegeben. Punkt 14 des Ostslawonien-Vertrages trat erst vor drei Wochen mit dem Implementierungsbeschluß des UN-Sicherheitsrates in Kraft.
Unsere Frage an den Außenminister ist: Warum um Himmels willen lassen Sie es zu, daß sich die UN zum Erfüllungsgehilfen der nationalen Forderungen Tudjmans macht, so berechtigt sie auch hinsichtlich der Gebietsrückgabe sind, ohne ihn gleichzeitig in einen kroatisch-serbischen Friedensprozeß hineinzuzwingen? Warum laufen wir immer Tudjman nach, statt ihn an diesem Punkt zum Frieden zu zwingen
({0})
und dies zur Vorbedingung überhaupt für den Implementierungsbeschluß des Sicherheitsrates zu machen? Sie haben doch die Einflußmöglichkeiten über einen deutschen Sitz im Sicherheitsrat. Den permanenten Sitz brauchen Sie ja gar nicht; Sie sitzen
dort jetzt. Sie haben die Möglichkeit dazu über das Gewicht deutscher Politik in der Fünfergruppe. Warum haben Sie nicht die verbindliche, konstitutionell abgesicherte Einführung von Minderheitenrechten, die Rückholung der Krajina-Flüchtlinge, also neben der geographischen Rekonstitution auch die gesellschaftliche Rekonstituierung der Krajina zur Vorbedingung gemacht, statt jetzt nur die Kastanien in diesem Punkte aus dem Feuer zu holen, mit dem die Diktatoren unter sich nicht klarkommen, weil dann der eine zu Hause weggefegt würde?
Herr Dr. Lippelt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Karsten Voigt?
Ich möchte mit meinen Ausführungen fertig werden, am Schluß aber gerne.
Ein Satz in der Begründung des Antrags der Bundesregierung ist absolut richtig; wir unterstreichen ihn. Er lautet:
Die Entwicklung in Ostslawonien ist mit dem Friedensprozeß für Bosnien-Herzegowina unauflösbar verbunden.
Ich füge hinzu: Die Rückwirkung gibt es nicht nur im Falle des Scheiterns. Es gibt sie gerade auch beim Gelingen.
Stellen Sie sich doch die kroatischen Siegesfeiern in Ostslawonien bei Aushändigung des Gebiets durch die UNO an Kroatien vor! Wie lange, glauben Sie, wird denn die Bosnische Föderation dem großkroatischen Traum noch standhalten können? Ich verweise hier nur auf die Vorgänge um Hans Koschnick in Mostar sowie auf den Umstand, daß noch keiner der von Den Haag ausgeschriebenen Verbrecher ausgeliefert worden ist. Im Gegenteil, sie sind dort die Akteure.
Meine Damen und Herren, was ist Aufgabe der Opposition in einem Fall wie diesem, in dem die Antworten des Verteidigungsministers schnell erfolgen und die militärische Absicherung sehr zügig geschieht, während von den von deutscher Seite für Bosnien zugesagten und für die zivile Implementierung so dringend erforderlichen 200 Polizisten noch kein einziger vor Ort ist und die zivile Implementierung so verhängnisvoll hinter der militärischen zurückbleibt? Die Aufgabe der Opposition - da unterscheiden wir uns - ist dann, Kassandra zu spielen und von der Bundesregierung Politik, also Außenpolitik, einzufordern. Das kann nur heißen, daß wir hier aus den dargelegten Gründen die Forderung der Bundesregierung ablehnen.
Ich befürworte den Satz - ich sage es ausdrücklich, Herr Seiters, auch in Ihre Richtung -, daß der Parteienstreit sich über Fragen der inneren Politik abzuspielen habe und wir eine gemeinsame Außenpolitik haben sollten. Das allerdings setzt eine intelligente Außenpolitik voraus. Wenn wir aber befürchten müssen, daß dieser Friedensprozeß wegen der im Vergleich mit der militärischen Implementierung ungenügenden Unterstützung der zivilen ImplementieDr. Helmut Lippelt
rung in Gefahr gerät, dann müssen wir warnen und nein sagen. Das tue ich hier, obwohl ich zwei früheren Anträgen der Bundesregierung mit voller Überzeugung zugestimmt habe.
Karsten Voigt, einen Satz auf Ihre Bemerkung, daß wir innerparteiliche Probleme haben: Ein zu schneller Schulterschluß mit der Regierung hilft überhaupt nicht, zu einer Entwicklung einer gemeinsamen Außenpolitik, die wir alle wollen, zu kommen.
Jetzt bitte Ihre Frage.
Ich akzeptiere und bewundere Ihr Engagement. Sind Sie aber bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie von falschen Tatsachen ausgehen? Der Wunsch, daß dort Blauhelme stationiert werden und das Ganze militärisch abgesichert wird, kommt nicht von Herrn Tudjman, sondern von den Serben, die in Ostslawonien leben und Angst vor einem Angriff von Herrn Tudjman und davor haben, daß sie aus der Krajina vertrieben werden.
({0})
Wenn Sie diese Tatsachen richtig zur Kenntnis nehmen würden, könnten Sie dann vielleicht zu einer Revision Ihres Urteils kommen?
({1})
Herr Voigt, ich glaube, Sie haben meine Argumentation nicht verstanden;
({0})
denn das Problem besteht doch darin, daß der Beschluß mit Implementierung rechtskräftig wird und daß ich in diesem Punkt unserer Regierung den Vorwurf gemacht habe, daß sie beim Sicherheitsratsbeschluß nicht über die Initiative zum Ingangsetzen eines serbisch-kroatischen Friedensprozesses, der den Kroaten etwas abverlangt hätte, geredet hat. Das ist das Problem.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Nolting.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine Ergänzung des Auftrags für die im Rahmen der multinationalen Friedenstruppe in Bosnien-Herzegowina eingesetzten Bundeswehrkontingente auch zur Unterstützung der UN-Mission im Ostslawonien ist politisch wie militärisch sinnvoll; politisch deswegen, weil es hier um die Stabilisierung der gesamten Region geht, bei der man einzelne Gebiete nicht isoliert betrachten darf.
Denn eine friedliche Lösung des Konfliktes um Ostslawonien ist für den Friedensprozeß als Ganzen von entscheidender Bedeutung. Herr Kollege Lippelt, wenn Sie das hier bestätigen und auch erkannt haben, dann frage ich Sie, warum Sie dem Antrag, der heute vorliegt, nicht zustimmen wollen oder können.
({0})
Wir Liberalen begrüßen ausdrücklich, daß hier heute eine Beschlußfassung des Parlaments zu dieser Frage herbeigeführt wird. Ich denke, es ist nicht nur das Recht des Parlaments, sondern auch die Pflicht des Parlaments, sich an solch wichtigen Entscheidungen zu beteiligen, dies um so mehr, als aus unserer Sicht absolute Rechtssicherheit für die Soldaten und deren Familien geschaffen werden muß. Das tun wir heute.
({1})
Es ist auch gut, daß unsere Soldaten hier eine breite Unterstützung durch das Parlament erfahren.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Zitat bringen:
Die Konsequenz aus dem Scheitern der UN wäre nicht nur ein Sieg der nackten Gewalt, sondern daraus würde weltweit auch die Erkenntnis gezogen, daß man im Einzelfall die Vereinten Nationen vergessen könne, wie Bosnien gezeigt habe, und daß eben allein das Setzen auf nationale Stärke zähle.
Meine Damen und Herren, diese Ausführungen, die aus einem Brief stammen, den der Kollege Fischer im vergangenen Jahr an seine Freunde in Partei und Fraktion schrieb, sind durchaus richtig. Ich will das unterstützen. Tatsächlich wäre ein Rückzug der Völkergemeinschaft aus dem Konflikt in Bosnien politisch, vor allem aber menschlich gesehen eine Katastrophe.
Das Nordatlantische Bündnis hat diese Katastrophe auf Bitten der UN verhindert. Der Friedensprozeß ist bei allen Schwierigkeiten, die es noch gibt, eingeleitet. Der NATO, den sie unterstützenden Nicht-NATO-Staaten und den Vereinten Nationen müssen wir hierfür Anerkennung zollen.
({2})
Wir alle hoffen, daß Hans Koschnick seine schwere Aufgabe erfolgreich fortführen kann. Herr Kollege Voigt, Herr Kollege Seiters, ich will für meine Fraktion ausdrücklich das unterstützen, was Sie für den Bereich der zivilen Komponente gesagt haben. Ich will das hier noch einmal betonen.
({3})
Aber, meine Damen und Herren, als falsch hat sich ja denn auch die Auffassung des Kollegen Fischer und seiner Fraktion erwiesen, wonach sich ein deutsches Engagement als konfliktverschärfend auswirken würde. Dies traf weder für den Einsatz in der Adria noch für den Einsatz unserer Tornados, noch
für das Feldlazarett zu, auch nicht für die logistische Unterstützung, die wir leisten.
Wenn denn die Wertschätzung der UN, die in dem Zitat zum Ausdruck kommt, zutrifft, dann können Sie sich, Kollege Lippelt, heute nicht hier hinstellen und einer Mission eben dieser UN die Unterstützung verweigern, gerade weil sie von enormer Wichtigkeit für den Friedensprozeß in der gesamten Region ist.
Ich möchte ausdrücklich festhalten, daß die Aufgabe, die in Ostslawonien wahrgenommen wird, eine UN-Mission ist. Diese Aufgabe ist um so bedeutender, als an der Ostslawonienfrage der gesamte Friedensprozeß auf dem Balkan scheitern könnte, womit dann auch die UN gescheitert wäre, was wir - Sie haben es selbst erwähnt - unbedingt verhindern wollen. Nur müssen wir dann auch etwas für die Erreichung der Ziele tun.
Die UN hat um Unterstützung der Bosnien-Friedenstruppe gebeten, somit ist auch eine solche Unterstützung in Ostslawonien möglich und sinnvoll. Bei dem engen politischen Zusammenhang beider Einsätze wäre es falsch, diese Unterstützung zu verweigern. Die von der NATO koordinierte Friedenstruppe wird den Blauhelmen in Ostslawonien Unterstützung gewähren.
Genaugenommen ist dies beinahe, so will ich sagen, eine Selbstverständlichkeit. Ebenso selbstverständlich ist für uns Liberale, daß sich Deutschland dabei auch deshalb nicht verweigern wird, weil wir unsere Freunde und Partner und die Vereinten Nationen nicht im Stich lassen können.
Meine Damen und Herren, unter diesen Freunden und Partnern - das ist für uns ein besonders wichtiger Aspekt - sind auch russische Einheiten, die sich an der Friedensmission in Bosnien wie auch an der in Ostslawonien beteiligen. Wir sehen hier also eine historisch bisher einmalige Konstellation, in der nämlich deutsche, amerikanische, britische und französische Flugzeuge für Einheiten eines ehemaligen Gegners Unterstützung aus der Luft sicherstellen. Der außenpolitische Effekt der Vertrauensbildung, der damit verbunden ist, kann meines Erachtens gar nicht hoch genug bewertet werden.
({4})
Herr Kollege Lippelt, während Sie von den Grünen ständig von der Militarisierung der deutschen Außenpolitik reden, kristallisiert sich hier in Wirklichkeit auch ein Baustein für eine zukünftige europäische Sicherheitsarchitektur unter Einschluß Rußlands heraus. Man muß allerdings auch fähig sein, dies zur Kenntnis zu nehmen.
({5})
Wenn Sie von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in aller Welt deutlich machen, was Sie von den Vereinten Nationen halten, wie wichtig oder unwichtig Ihnen der Friedensprozeß ist, wie tief zerrissen Sie in einer wichtigen europäischen Frage sind, wenn Sie heute Ihre Unterstützung verweigern, nachdem Ihre Fraktion doch noch im Dezember grundsätzlich für eine Unterstützung des Friedensprozesses gestimmt hat, dann kann ich dies hier nicht mehr nachvollziehen.
Meine Damen und Herren, auf einen Umstand möchte ich Sie an dieser Stelle noch einmal hinweisen. Das Massenmorden und Vergewaltigen, die Konzentrationslager in Bosnien-Herzegowina sind durch den Einsatz von Militär beendet worden. Sie sind ebenso durch den Einsatz von Militär beendet worden, wie die Konzentrationslager in Deutschland und Europa am Ende des Zweiten Weltkrieges durch Militär befreit worden sind.
Ich bitte Sie, dies bei der wahrlich nicht leichten Entscheidung, die uns gleich bevorsteht, mit zu berücksichtigen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Als nächster spricht der Abgeordnete Graf von Einsiedel.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung fordert vom Bundestag die Zustimmung zu einer Erweiterung des Auftrages an die bereits in Ex-Jugoslawien eingesetzten deutschen Soldaten, um bei der Rückgabe Ostslawoniens an Kroatien zu helfen.
Was bedeutet das aber in der Realität und im historischen Zusammenhang? Die in den Abkommen von Dayton und Erdut beschlossene Auslieferung Ostslawoniens an ein Kroatien, das sich nur noch wenig von jenem Kroatien unterscheidet, das an der Seite Hitlers kämpfte und das für weit schlimmere und nicht vergessene Massenmorde verantwortlich war, als sie heute von allen drei Kriegsparteien in Jugoslawien begangen worden sind, ist nicht mehr und nicht weniger als der letzte Akt des Vollzugs eines Friedensdiktats, das allen Serben, nicht nur den bosnischen, auferlegt worden ist.
Graf von Einsiedel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Duve?
Ja, bitte.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es außerordentlich problematisch, wenn nicht verwerflich ist, das gesamte kroatische Volk für die Ustascha und für den damaligen Faschismus in Haft zu nehmen und heute so von Kroatien zu sprechen, als wäre es für das, was damals geschah, kollektiv verantwortlich?
({0})
Ist das nicht etwas, was wir selber als deutsche Bürger des Jahres 1996 auch für uns nicht akzeptieren?
({1})
Ich habe nicht das Volk von Kroatien dafür verantwortlich gemacht, sondern ich habe das Kroatien, das heute von Herrn Tudjman nicht sehr demokratisch regiert wird, mit dem Jugoslawien des Poglavnik verglichen. Ich sehe dann keinen großen Unterschied mehr.
({0})
Der Kollege Fischer hat hier einmal von dem faschistischen Serbien gesprochen. In meinen Augen ist dieses Kroatien genauso faschistisch wie Serbien.
Hierzulande werden die Serben, wie man hier sieht, von der Mehrheit nicht nur in diesem Hause als die zu Recht besiegten Aggressoren angesehen. Wir sehen die Dinge etwas differenzierter und machen es uns nicht so einfach. Wer konnte denn realistischerweise erwarten, daß es die Serben widerstandslos hinnehmen würden, daß an die 4 Millionen von ihnen durch die internationale Anerkennung von Kroatien und Bosnien-Herzegowina als unabhängige Staaten - nebenbei unter Verletzung der für eine solche Anerkennung vorgesehenen Kriterien der Satzung der Vereinten Nationen - von eben auf jetzt zu Minderheiten in diesen Staaten gemacht worden sind? Diese Anerkennung war doch der Funke, der das Pulverfaß zum Explodieren brachte.
({1})
Wir haben es nicht begrüßt, daß die Serben - allerdings vielfach provoziert - zu den Waffen griffen. Aber wir stellen auch die Frage, ob die Europäische Gemeinschaft und speziell die Bundesrepublik genügend getan haben, um diese voraussehbare Explosion zu verhindern.
Wo war der politische Einsatz der Bundesrepublik, um die mit dieser Anerkennung automatisch verbundenen riesigen Minderheitenprobleme zu lösen, um die Minderheitenrechte der Serben, die da zu Minderheiten wurden, zu sichern, ehe sie einen Bürgerkrieg auslösten?
Der Aufstand der Serben ist niedergeschlagen worden, weil die internationale Gemeinschaft nach langem Zögern schließlich keinen anderen Ausweg aus der von ihr mitverschuldeten Situation mehr gesehen hat, als einseitig zugunsten der Kroaten und Bosnier in den Bürgerkrieg einzugreifen, um ihn zu beenden.
Wir sind die letzten, die das Schweigen der Waffen nicht begrüßen würden. Aber jetzt sollen die Serben auch noch Ostslawonien hergeben, eine Region, die heute nach den von allen Seiten vorgenommenen ethnischen Säuberungen und schrecklichen Flüchtlingsströmen, die meisten von ihnen Serben, ethnisch nahezu rein serbisch besiedelt ist. So teilt es jedenfalls das Verteidigungsministerium mit.
Was sich dort abspielen wird, wenn die IFOR-Truppen nach einem Jahr - wie heute allerdings unrealistisch versprochen wird - abrücken werden, kann man sich vorstellen, wenn man an die Eroberung der Krajina durch die Kroaten denkt.
Wir sind der Auffassung, daß es der vielbeschworenen neuen, größeren Verantwortung der Bundesrepublik weit besser angestanden hätte, ihr ganzes politisches und ökonomisches Gewicht für eine bessere und gerechtere Friedensregelung in die Waagschale zu werfen als für die jetzt diktierte, anstatt sich - wenn auch nur mit einem kleinen Kontingent - an der Durchsetzung eines Friedensdiktats zu beteiligen, das sehr kräftige Keime eines möglicherweise neuen und viel ausgedehnteren Balkankrieges in sich birgt, in den wir dann weiter mit hineingezogen werden.
Im übrigen sind wir der Überzeugung, daß die Beteiligung der Bundeswehr für den tatsächlichen Vollzug der Friedensimplimentierung im ehemaligen Jugoslawien ziemlich bedeutungslos ist. Aber alle diese Beschlüsse - angefangen von der deutschen Beteiligung an einem Waffenembargo, das, wie die Ereignisse gezeigt haben, vollkommen wirkungslos geblieben ist - sind nichts weiter als, man muß es zugeben, sehr geschickt eingefädelte Manöver, um das deutsche Volk an eine Außenpolitik seiner Regierung zu gewöhnen, in der Deutschlands Rolle als Militärmacht immer bedeutender wird.
Wir waren über die Greuel dieses Bürgerkrieges, die aber nicht nur von den Serben begangen worden sind, genauso entsetzt wie Sie alle in diesem Hause. Es ist kein Zweifel, daß dieser Krieg beendet werden mußte. Das heißt aber nicht, daß man die Art und Weise, wie er beendet worden ist, begrüßen muß.
Wir lehnen daher die Beteiligung der Bundeswehr an diesem Einsatz ab.
({2})
Es spricht jetzt der Kollege Paul Breuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Graf Einsiedel, ich sage nur eines: Ihr Beitrag ist indiskutabel. Ich möchte es unterlassen, näher darauf einzugehen.
({0})
Die räumliche Ausdehnung des Mandates für einen klar definierten Teil der deutschen Truppen auf Ostslawonien ist meiner Ansicht nach sinnvoll und berechtigt. Eine geordnete Übergangsverwaltung für Ostslawonien ist für den gesamten Friedensprozeß im früheren Jugoslawien von eminenter Bedeutung. Man kann nur mit Schrecken daran denken, was geschähe, wenn um dieses Gebiet erneut ein militärischer Konflikt zwischen Kroaten und Serben ausbräche. Wenn das mühsam ausgetretene Feuer in Ostslawonien wieder auflodern würde, dann könnte es die gesamte Region erneut in Brand setzen. Das Friedenswerk von Dayton, das die friedliche Wiedereingliederung Ostslawoniens unter kroatiPaul Breuer
scher Staatsgewalt einschließt, wäre insgesamt vom Einsturz bedroht.
Es ist klar, daß die Wiedereingliederung der serbischen Bevölkerung in Ostslawonien unter kroatischer Staatsgewalt eine herausfordernde Probe für die kroatische politische Führung ist. Aber wir sollten es ihr zutrauen, diese Situation zu bewältigen, und sollten dies politisch breit unterstützen.
({1})
Die UNO hat sich gerade deshalb entschlossen, die Umsetzung des Vertrages von Erdut auch militärisch abzusichern. Schon hieraus ergibt sich die vom Bündnis 90/Die Grünen und auch von Ihnen, Herr Kollege Dr. Lippelt, zum Ausdruck gebrachte Leugnung des politischen und militärischen Zusammenhanges. Die politische Wirklichkeit zwingt uns meines Erachtens diese Verbindung auf.
Wir alle sind für eine friedliche Entwicklung in der gesamten Region. Wir wären froh, wenn wir dazu keine Soldaten brauchten. Die Realität hat aber immer wieder gezeigt, daß rein zivile Hilfsmaßnahmen nicht ausreichen.
So wichtige Begriffe wie Versöhnung, Versöhnungsarbeit und zivile Konfliktbewältigung können sehr leicht hehre Worte sein. Sie werden spätestens dann Seifenblasen, wenn verfeindete Volksgruppen aufeinander losgehen, so wie das vor wenigen Tagen in Mostar der Fall gewesen ist. Wer dies ignoriert, nimmt bewußt den Wiederausbruch des Konfliktes in Kauf.
Man darf sich nicht vorstellen, meine Damen und Herren, wie es jetzt in Bosnien ohne IFOR-Truppen aussähe. Der Friedensprozeß von Dayton wäre, nebenbei bemerkt, ohne die schnelle Eingreiftruppe, ohne die Unterstützung Deutschlands für die schnelle Eingreiftruppe und ohne die NATO nicht zustande gekommen.
Es ist richtig: Die Soldaten können den Frieden nicht allein verwirklichen. Der entscheidende Beitrag muß von den Konfliktparteien kommen; der Friede muß von unten wachsen. Aber ohne NATO-und UNO-Soldaten sehe ich derzeit keine Chance für Frieden auf dem Balkan.
Wir Deutsche dürfen uns - das muß immer wieder gesagt werden - einem gemeinsamen Handeln im Rahmen der NATO nicht verschließen. Niemand im Bündnis und auch niemand darüber hinaus würde dies verstehen. Es wäre auch militärisch unverantwortlich; denn unsere Tornadoflugzeuge, die derzeit über Bosnien-Herzegowina in den IFOR-Luftstreitkräften Begleitschutz geben, müßten während einer bereits laufenden Mission bei einem kurzfristig notwendig werdenden Einsatz über Ostslawonien abdrehen. Die IFOR-Flugzeuge wären ohne Schutz. Die Allianz könnte sich dann nicht darauf verlassen, daß alle ihre Flugzeuge auch die nötigen Operationen ausführen.
Ich bin froh, meine Damen und Herren, daß die weit überwiegende Mehrheit der SPD diesen Einsichten zustimmt und sich ihnen nicht verschließt.
Die Abstimmungen im Verteidigungsausschuß und im Auswärtigen Ausschuß zeigen hier einen breiten Konsens, und das ist gut so. Sie spiegeln auch die große Zustimmung in der deutschen Bevölkerung wider, die dem Bundeswehreinsatz in Bosnien entgegengebracht wird. Das, meine Damen und Herren, ist wichtig für unsere Soldaten, denen wir eine breite Rückendeckung des Parlaments und der Öffentlichkeit für ihren gefährlichen Auftrag schulden.
({2})
Neun getötete IFOR-Soldaten zeigen, daß auch unsere deutschen Soldaten nicht vor Verwundungen oder gar dem Tod sicher sind. Das muß uns immer wieder klar sein. Schon deshalb gebühren den deutschen Soldaten bei der IFOR-Mission und ihren Familien unser herzlicher Dank und unser Respekt.
({3})
Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich ganz entschieden der Behauptung insbesondere der PDS - aber auch beim Bündnis 90/Die Grünen klingt es an - widersprechen, die Bundeswehr erhalte erneut einen Kampfauftrag. Wer die Begründung der Bundesregierung zu beiden Anträgen, dem vom Dezember und dem heutigen, objektiv auswertet und objektiv bewertet, weiß, daß unsere Soldaten nur mit Selbstverteidigung auf einen Angriff reagieren. Es gibt keine Billigung offensiver Kampfhandlungen der Bundeswehr von unserer Seite. Hören Sie also auf, diesen Einsätzen den Charakter einer Intervention oder einer Angriffsaktion anzudichten! Hören Sie damit auf!
({4})
Auch weiterhin müssen eine militärische Sicherung des Friedensprozesses und der zivile Wiederaufbau Hand in Hand gehen. Ohne zumindest zeitweiligen militärischen Schutz - das ist uns klar - wird es, wie die Entwicklung der letzten Tage zeigt, keinen dauerhaften Frieden in Bosnien und Ostslawonien geben.
Deshalb stimmen wir für den Antrag der Bundesregierung und lehnen die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS ab.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Walter Kolbow.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich ist es die ureigenste Aufgabe der Opposition, die Schwächen und die Mängel der Regierung aufzuzeigen. Gestern ist ja deutlich geworden, daß es davon genug gibt. Nur, der Maßstab bei außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen, die dem Parlament abverlangt werden, kann nicht das innenpolitische VersaWalter Kolbow
gen dieser Bundesregierung sein. Auf dem Feld der außenpolitischen Beziehungen ist kein Platz für Opposition um der Opposition willen oder gar, Herr Kollege Lippelt, für taktisches Verhalten.
({0})
Dafür geben die traditionsreichen Demokratien unserer wichtigsten Verbündeten gute Beispiele. Bei ihnen bestehen Übereinstimmungen in außen- und sicherheitspolitischen Fragen häufig. Warum sollte das bei uns also anders sein?
Dabei sind insbesondere bei allen internationalen Einsätzen der Bundeswehr sowie bei der heutigen Entscheidung über den Antrag der Bundesregierung der Maßstab die Notwendigkeit und die Verantwortbarkeit des Auftrags für unsere Soldaten sowie die Bündnis- und Partnerfähigkeit unseres Landes. Auf dieser Grundlage ist die Frage einer möglichen deutschen Beteiligung zum Schutz der UNTAES-Kräfte für Ostslawonien zu bewerten. Ich sage auch, daß der Text meiner Fraktion im Entschließungsantrag vom 29. November 1995 zur Beteiligung der Bundeswehr am IFOR-Einsatz in Bosnien-Herzegowina eine hilfreiche Stütze ist. Denn dort heißt es:
Nach den Vereinbarungen von Dayton gilt es, durch ein umfassendes politisches und wirtschaftliches sowie ein begrenztes militärisches Engagement der internationalen Gemeinschaft den Frieden im ehemaligen Jugoslawien abzusichern. Hierbei sollte über einen Wiederaufbau der Kriegsgebiete hinaus den Menschen in allen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien die gleiche Chance eines Neubeginns gegeben werden.
({1})
Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Was uns jetzt abverlangt wird, ist alternativlos, auch in Ostslawonien. Auch hier müssen wir dafür sorgen, daß der Krieg nicht mehr an seinen Ursprungsort zurückkehrt. Herr Kollege Seiters, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen. Hier fing das Morden an, das später fast ganz Kroatien und Bosnien ergriff. Wenige Kilometer vor Vukovar liegt die berüchtigte Stätte Ovcava, das erste Massengrab des ethnischen Vertreibungskrieges im ehemaligen Jugoslawien.
Im übrigen: Kroatiens Aufnahme in den Europarat kann nur nähergetreten werden - so sehe ich das -, wenn es das Ostslawonienproblem genauso wie die Mostarfrage lösen hilft, meine Damen und Herren.
({2})
Die Absicherung der Reintegration ist zwingend notwendig, weil dieser Prozeß wegen der begangenen Verbrechen, der Vertreibungen und der Besetzungen außerordentlich schwierig sein wird. Ein Scheitern des Friedensprozesses in Ostslawonien - ich unterstreiche das vor mir Gesagte - würde den Friedensprozeß in ganz Bosnien-Herzegowina gefährden. Diesen untrennbaren Zusammenhang müssen wir erkennen und bei unserer Entscheidung berücksichtigen. Wir haben uns immer für einen
Friedensprozeß ausgesprochen, der keine ungelösten Konflikte im ehemaligen Jugoslawien zurückläßt. Auch insofern ist die friedliche Lösung in Ostslawonien von höchster Bedeutung.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung trägt zutreffende militärische und politische Gründe für die deutsche Beteiligung an der vorgesehenen UNO-Unterstützung vor. Ich füge hinzu, daß wir die deutsche Beteiligung - wenn Sie so wollen - auch aus humanitären Gründen für notwendig erachten. Wie sollen denn die UNTAES-Kräfte ihre Friedensaufgabe zum Wohle der ostslawonischen Bevölkerung, der Kroaten und der serbischen Minderheit, sonst erfüllen können, wenn sie nicht die Gewißheit haben, daß ihnen ihre Partner in Lebensgefahr helfen werden? Sie müssen den gleichen Schutz erwarten können, wie ihn auch Hans Koschnick in Mostar erwarten und bekommen muß, wie wir aus der leidvollen Erfahrung vom Mittwoch dieser Woche gesehen haben. Auch daß die belgische Regierung aus Christ- und Sozialdemokraten im NATO-Rat um die Unterstützung ihrer Soldaten und die der anderen truppenstellenden Nationen gebeten hat, spricht für dieses Argument.
Für die schwierige Friedensmission stellt unsere Unterstützung eine wirksame Rückversicherung, gewissermaßen eine Lebensversicherung dar, weil die Partner wissen und sich darauf verlassen können, daß sie im Falle eines Notfallabzuges eine zusätzliche Sicherheit haben.
Das ergänzte Aufgabenspektrum erweitert den Auftrag materiell nicht. Es ist erstens keine Risikosteigerung des IFOR-Einsatzes unserer Soldaten. Es bedarf zweitens keiner anderen oder zusätzlichen deutschen Kräfte bzw. Mittel über diejenigen hinaus, die schon durch IFOR bereitgestellt werden. Es gibt drittens auch keine deutschen Bodentruppen in Ostslawonien, viertens - auch das gilt es zu bedenken - keine zusätzliche Kosten für unser Land und fünftens keine Umstationierung nach Nordkroatien.
Die deutsche Beteiligung an diesem ergänzenden Auftrag bedeutet nicht, daß die genannten Aufgaben auch durchgeführt werden müssen. Im Gegenteil: Während die Luftunterstützung durch deutsche Flugzeuge im Rahmen von IFOR bereits stattfinden kann, bleibt die Luftunterstützung auf Anforderung von UNTAES eine mögliche Option für den Fall, daß Nothilfe für unsere Partner geleistet werden muß. Im übrigen - dies ist bereits gesagt worden, muß aber wegen einiger Argumente, die durch meine Vorredner angeführt wurden, noch einmal unterstrichen werden - hat die serbische Seite einer möglichen deutschen Beteiligung in Ostslawonien ausdrücklich zugestimmt. Der Auftrag ist also auch aus dieser Sicht verantwortbar.
Vor diesem Hintergrund sind wir zu der Überzeugung gelangt, daß bei der deutschen Beteiligung für Ostslawonien die politisch und militärisch gebotene Zurückhaltung als Maßstab für das politische Handeln gewahrt ist. Dies wird auch durch den Beschluß der Bundesregierung deutlich, in dem das Gebiet um die Halbinsel Prevlaka, wo gegenwärtig UN-BeobWalter Kolbow
achter stehen, nicht in den ergänzenden Auftrag der deutschen Beteiligung einbezogen wird.
Die Bundesregierung hat damit die richtige Konsequenz aus der unübersichtlichen Verhandlungslage und dem nicht hinreichend präzisen Resolutionstext gezogen und auf einen Vorratsbeschluß für eventuelle künftige Planungen verzichtet. Insofern handelt es sich nicht um die von einigen ins Feld geführte und beschworene Salamitaktik, die einer scheibchenweisen Ausdehnung des Einsatzes deutscher Streitkräfte das Wort redet, sondern um einen maßvollen, angemessenen und notwendigen deutschen Beitrag zu dem nach wie vor schwierigen, empfindsamen, ja, zerbrechlichen Friedensprozeß im ehemaligen Jugoslawien.
Unabhängig von dieser Entscheidung heute, die die SPD mit großer Mehrheit für den Antrag der Bundesregierung treffen wird, werden wir unsere Soldaten bei ihrer verantwortungsvollen Aufgabe unterstützen. Wir werden uns weiter um die vorbereitende Ausbildung kümmern. Die Besuche mehrerer Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion im Ausbildungszentrum Hammelburg, auf dem Truppenübungsplatz Münsingen sowie beim Heeresführungskommando in Koblenz mögen davon zeugen.
Wir werden uns wie Sie, Herr Bundesminister Rühe, weiter um den bestmöglichen Schutz und die notwendige Fürsorge für unsere Soldaten bemühen. In den Standorten und den Familienbetreuungszentren kümmern wir uns um die Angehörigen.
Wir danken unseren Soldatinnen und Soldaten, die im ehemaligen Jugoslawien ihren Einsatz für die friedliche Entwicklung und eine bessere Zukunft des Landes leisten. Wir danken aber genauso überzeugt allen, die wertvolle Hilfe bei nichtmilitärischen Aufgaben leisten. Ihnen gebührt ebenso wie allen anderen Dank, Anerkennung und Respekt.
({3})
Das gilt - lassen Sie mich das zum Schluß meiner Ausführungen sagen - auch für die 60 000 Soldaten aus anderen Nationen, die mit diesem Auftrag auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien stehen. Wir hoffen und wünschen, daß sie gesund zu ihren Familien in die Heimat zurückkehren. Unser Mitgefühl gilt den amerikanischen, den britischen, den schwedischen, den spanischen und den portugiesischen Familien der Soldaten, die ihren Einsatz bei dieser Friedensmission leider bereits mit dem Leben bezahlen mußten.
Ich danke Ihnen für die Geduld.
({4})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Hiksch.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich zu Wort gemeldet, um zu begründen, warum ich entgegen der Meinung der großen Mehrheit meiner Fraktion dem Antrag der Bundesregierung nicht zustimmen werde. Ich habe mich auch deswegen zu Wort gemeldet, weil vor allen Dingen die Position, die Kollege Lippelt dargestellt hat, mit dem, warum ich gegen den Antrag stimme, sehr wenig zu tun hat. Es hat deshalb sehr wenig damit zu tun, weil ich glaube, daß es eine falsche Herangehensweise ist zu sagen
Herr Hiksch, darf ich Sie unterbrechen. Wenn das eine Erklärung zur Abstimmung ist, dann gehört sie an das Ende der Debatte. Das ist keine Kurzintervention.
({0})
Als letzter in dieser Debatte erteile ich der Kollegin Angelika Beer das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kolbow, allein die Tatsache, daß bei dieser wichtigen außenpolitischen Entscheidung, die heute vom Bundestag getroffen werden muß, der Bundesminister der Verteidigung die Debatte eröffnet, zeigt, daß es ein Stück dieser Salamitaktik ist und daß die Bundesregierung ein umfassendes Sicherheitsproblem allein auf den militärischen Aspekt zu verkürzen versucht. Ich sage einmal an die Adresse des Herrn Außenministers: Es wäre endlich an der Zeit gewesen, sich nach den Angriffen gegen Koschnick vor das Parlament zu stellen und sich persönlich bei Herrn Koschnick zu bedanken und gleichzeitig Herrn Tudjman öffentlich zu kritisieren.
({0})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei dem beabsichtigten Tornado-Auftrag für Ostslawonien handelt es sich um eine doppelte Ausweitung des Auftrages der Bundeswehr. Es ist die regionale Ausdehnung auf ein anderes Staatsgebiet, und es ist eine substantielle Ausdehnung, Luftnahunterstützung bei einem Notfallabzug zu geben. Das ist ein Kampfauftrag.
Dieses Vorhaben entspricht traditionell militärischem Denken. Glaubt man der Lageanalyse, die uns auch vom Bundesverteidigungsministerium gegeben wurde, dann besteht keine militärische Notwendigkeit für den Einsatz. Nein, es besteht eine politische Notwendigkeit zu agieren, die im Bereich des Auswärtigen Amtes liegt und die in diesem zivilen Punkt wieder nicht erbracht wird. Es besteht die Gefahr einer Militarisierung des Friedensprozesses, wenn versäumt wird, den bisher betretenen Weg der versäumten Chancen jetzt endlich zu verlassen und politische Alternativen zu nutzen. Das würde bedeuten, vor allen Dingen auf Kroatien Druck auszuüben, damit das Ostslawonien-Abkommen vertragsgerecht umgesetzt wird. Es gibt die Mittel, dies umzusetzen - dies steht in unserem Antrag -, und zwar im politischen Bereich: die Vorbereitung für Sanktionsandrohungen und -umsetzungen und die EU zu ermutiAngelika Beer
gen, der Bevölkerung eine Perspektive der Wiederaufnahme und des Aufbaus zu geben, statt wieder nur mit militärischen Drohgebärden einen Prozeß zu riskieren,
({1})
und das zu einem Zeitpunkt, wo wir alle merken, daß die zivile Implementierung von Dayton hinterherhinkt, zu einem Zeitpunkt, wo jetzt, da wir in die Wiederaufbauphase in Ex-Jugoslawien finanzieren müssen, wieder nur Abschreckungsstrategien für den worst case gebastelt werden.
Ich will auch noch erklären, warum wir diese Kritik hier so scharf betreiben. Es sind die 200 Polizisten angesprochen worden. Es ist ein Skandal, daß in dem Moment, in dem unterhalb der militärischen Ebene Hilfe notwendig ist, in dem Zusagen gemacht worden sind, der interne Konflikt der Bundesregierung über eine Finanzierung dafür sorgt, daß diese Hilfe nicht gegeben wird.
({2})
Sie betreiben eine Grauzonenpolitik und Sie sorgen dafür, daß die zivilen Aufbaumaßnahmen nicht in Gang kommen. Es ist doch Fakt, daß der zivile Friedensdienst, der von vielen Hilfsorganisationen vorbereitet wird, von Ihnen weder politische noch finanzielle Unterstützung bekommt. Ihr Planungschaos in der Bundesregierung geht soweit, daß Hilfsorganisationen nicht einmal mehr wissen, an wen sie sich im Kabinett wenden sollen. Dieser administrative Wildwuchs ist ein Punkt, den wir nicht bereit sind zu akzeptieren. Herr Kollege Rühe, es ist eine humanitäre Verantwortung und Verpflichtung, den Menschen dort zu helfen. Das sind Probleme, die Sie selber eingestehen. Es geht hier doch nicht nur um die Gefährdung der Soldaten, sondern auch um die Gefährdung jener Flüchtlinge, die zurückgeführt werden sollen. Wo sind die Bemühungen, endlich ein ziviles Minenräumprogramm für Bosnien zu entwikkeln? Wo sind die Gelder dafür? Wir alle wissen doch: Ohne eine Rückführung der Flüchtlinge wird es zumindest keine demokratische Wahl geben können.
({3})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluß:
({4})
Wir sind nicht bereit, die politische Verantwortung Deutschlands für Ex-Jugoslawien auf eine militärische Diskussion zu reduzieren. Wir sehen die Verantwortung im zivilen Konfliktmanagement, müssen aber feststellen, daß die Bundesregierung nur noch
in der Lage ist, über militärische Aspekte zu diskutieren. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
({5})
Das Wort hat der Bundesaußenminister.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will nur ganz kurz auf die unberechtigten Vorwürfe antworten.
Erstens zur Polizei. Die Polizeiregelung gilt seit dem 31. Januar dieses Jahres. 1 750 Polizeibeamte werden benötigt. Bisher sind 190 dort; der Februar ist aber erst angelaufen. Wir haben zugesagt, etwa 200 Beamte zu entsenden; das ist mit den Ländern besprochen. Sie werden auch entsandt werden. Zuvor müssen aber noch einige interne Dinge geklärt werden. Niemand braucht sich darüber aufzuregen; denn auch die anderen Länder haben ihre Polizeibeamten noch nicht entsandt. Wie gesagt: Die Regelung gilt seit dem 31. Januar.
Zweitens zum Vorwurf, wir hätten bezüglich des Wiederaufbaus nichts getan. 20./21. Dezember 1995: Expertentreffen zum Wiederaufbau in Brüssel. Januar 1996: Expertentreffen in Paris. Neuzusagen für ein Sofortprogramm in Höhe von 523,55 Millionen US-Dollar - das sind 754 Millionen DM. Von der EU und den EU-Mitgliedstaaten werden hiervon insgesamt 220,61 Millionen US-Dollar getragen; das entspricht 42,6 Prozent der Gesamtsumme. Deutschland ist präter-propter mit etwa 30 Prozent dabei. Im multilateralen Bereich sind wir bei allen Maßnahmen der Europäischen Kommission und von Brüssel überhaupt beteiligt.
Wir liegen mit bilateralen zusätzlichen Zusagen in Höhe von etwa 20 Millionen DM im mittleren Bereich dessen, was von den großen Ländern dieser Erde vorläufig für das Sofortprogramm zur Verfügung gestellt worden ist.
Wir haben bezüglich der Finanzierung - ich sage das, weil behauptet wurde, wir täten nichts - die beiden Eisenbahnbrücken in Mostar zusätzlich mit 7 Millionen DM unterstützt. Rehabilitierung, Nahrungsmittelproduktion: 10,9 Millionen DM. Kosovo-Hospital: 2,9 Millionen DM. Ich war gerade wieder dort und habe weitere Spenden hingebracht. Wohnungen für Vertriebene und Flüchtlinge, Wiederinstandsetzungsprogramm Tuzla: 15 Millionen DM. Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen in der landwirtschaftlichen Produktion: 2 Millionen DM. Eisenbahnexperten und Stromversorgung in Sarajevo - durch unsere Hilfe brennt bereits seit vor Weihnachten wieder Licht in Sarajevo und können die Häuser wieder beheizt werden.
Es ist absurd, uns vorzuwerfen, wir würden zur Wiederaufbauleistung nicht unseren Beitrag leisten.
({0})
Die zivile Wiederaufbauleistung ist ein bißchen komplizierter als die militärische, weil die Soldaten in einem bestimmten Umfang angewiesen werden können, für eine bestimmte Aufgabe dort hinzugehen. Wenn Sie sich vor Ort ansähen, wie Herr Bildt, Herr Steiner und die anderen den Wiederaufbau Stein für Stein vornehmen müssen, würden Sie merken, daß die Vorwürfe wirklich unberechtigt sind.
Was Hans Koschnick anbelangt, liebe Kollegin Beer: Von der ersten Minute an, als ich hörte, was los war, stand ich mit ihm in Kontakt; ich habe dies in den Ausschüssen berichtet. Ich habe mit ihm telefoniert, als er eingeschlossen war, und habe in der Zwischenzeit vier- bis fünfmal mit ihm telefoniert. Ich habe Frau Agnelli gebeten, dort hinzufahren. Am Dienstag werde ich selber nach Zagreb fahren, um mit Tudjman zu reden. Ich habe telefoniert, ich habe alles getan, was nur irgend geht. Auf deutsche und meine Initiative ist in Brüssel der Sonderausschuß zusammengetreten.
Hans Koschnick ist ein mutiger Mann. Das habe ich erst gestern wieder in den Ausschüssen gesagt. Wenn Sie dagewesen wären, hätten Sie das gehört. Ich wiederhole es aber von diesem Pult aus. Ich danke ihm für seinen unendlichen Einsatz.
({1})
Im Gegensatz zu anderen war ich vor ein paar Tagen in Mostar, habe ihm nach innen und nach außen den Rücken gestärkt und habe acht Tage danach beim europäischen Außenministertreffen dafür gesorgt, daß die zwei Maßnahmen, die er durchgesetzt hat, nämlich Freizügigkeit - ich räume ein, relativ - und Zusammenführung der Polizei, von den Europäern unterstützt wurden, auch das Dekret, das er gestern zu Recht erlassen hat. Ich fliege am Dienstag dorthin. Mangelnde Unterstützung kann nun wahrhaftig niemand beklagen.
Im übrigen habe ich gestern - das will ich hier auch noch sagen - sofort einen neuen Panzerwagen von Belgrad aus für ihn in Marsch gesetzt, damit er dort gesichert ist. Das war abgestimmt. Ich habe gesagt: Wir fliegen mit einer Transall rein, wenn er zusätzlichen Schutz braucht. Das war alles abgestimmt, und da brauchen wir uns keine Vorwürfe zu machen. Er weiß, daß er sich auf uns verlassen kann.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung hat der Abgeordnete Hiksch.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mich eigentlich zu einer Kurzintervention gemeldet. Ich möchte jetzt begründen, warum ich gegen den Antrag der Bundesregierung stimmen werde, einer Erweiterung des Militäreinsatzes zuzustimmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich stimme gegen diesen Antrag auch aus der Tatsache heraus, daß ich eine völlig unterschiedliche Position zu dem habe, was Kollege Lippelt dargelegt hat. Ich stimme gegen den Antrag, weil ich glaube, daß Antimilitaristinnen und Antimilitaristen in der Gesellschaft deutlich machen müssen, daß es nicht nur darum geht, sich in der Innenpolitik zu streiten, sondern auch über die Ausrichtung der Außenpolitik.
({0})
Ich stimme gegen diesen Antrag, weil ich glaube, daß es eine falsche Herangehensweise ist zu denken, daß außenpolitisch in diesem Hause Einigkeit besteht. Ich stimme gegen diesen Antrag, weil ich glaube, daß deutlich gemacht werden muß, daß es ein Fetisch in dieser Gesellschaft ist, der niemals Wirkung zeigen kann, daß mit Militäreinsätzen irgend etwas erreicht werden könnte. Ich persönlich glaube, daß man gegen diesen Antrag stimmen muß, weil Militäreinsätze, gleich welcher Art, nur dazu führen können, daß der Frieden nicht gesichert wird, sondern Haß und Gewalt weiter gestärkt werden.
Ich stimme gegen diesen Antrag, weil ich glaube, daß es eine falsche Herangehensweise ist zu denken, daß man es erreichen kann, auf der einen Seite die Militärs zu begrüßen, auf der anderen Seite Militär nicht in Frage zu stellen und drittens niemals darüber zu diskutieren, daß Rüstung im eigenen Land abgebaut werden muß und Rüstungsexporte verboten werden müssen, und dann viertens zu glauben, daß eine solche Position dadurch ausgeglichen werden kann, daß man für Militäreinsätze in einem anderen Land stimmen kann. Das ist eine falsche Herangehensweise.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, daß viele von Ihnen diese Position nicht nachvollziehen können, denn sie haben sich noch nie damit beschäftigt, was eine antimilitaristische Tradition und eine pazifistische Tradition ist.
({1})
Ich stimme gegen diesen Antrag, weil ich auch eine unterschiedliche Position zu dem habe, was Kollege Lippelt gesagt hat. Ich persönlich glaube, daß es geradezu zynisch ist - ich beziehe dies ausdrücklich nicht auf die Position der hier Anwesenden -, daß beispielsweise die USA 2 Milliarden Dollar für diesen Militäreinsatz zur Verfügung stellen, aber nicht in der Lage waren, mehr als 200 Millionen Dollar für den zivilen Aufbau im ehemaligen Jugoslawien zur Verfügung zu stellen. Daran wird deutlich, daß sich in der Außenpolitik der Bundesrepublik, aber auch der übrigen Welt etwas eingeschlichen hat, was ich so bezeichnen möchte: Es sind Phantasie und Kreativität verlorengegangen.
Ich stimme gegen den Antrag, weil ich Antimilitarist bin und mich niemals damit abfinden werde, daß man den Anschein erweckt, daß Konflikte mit militärischen Mitteln gelöst werden könnten.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung an der Unterstützung der VN-Übergangsadministration für Ostslawonien durch die multinationale Friedenstruppe für Bosnien-Herzegowina, Drucksache 13/3730 Nr. 1.
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3708 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung und damit der Antrag der Bundesregierung ist angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD, Bündnis 90/ Die Grünen gegen die Stimmen der PDS.
({0})
- Entschuldigung: bei Gegenstimmen von SPD, PDS und eines großen Teils von Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltungen aus den Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS. Also halte ich fest: Enthaltungen bei der SPD-Fraktion und dem Bündnis 90/Die Grünen.
Ich gehe davon aus, daß sich damit eine gesonderte Abstimmung über die Nr. 2 der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses, in der die Ablehnung des PDS-Antrags empfohlen wird, erübrigt. Der PDS-Antrag ist durch die Annahme des Antrags der Bundesregierung abgelehnt.
Bevor ich zum nächsten Tagesordnungspunkt komme, muß ich dem Kollegen Struck einen Ordnungsruf erteilen. Er hat ausweislich des Protokolls den Kollegen van Essen mit den Worten angeredet: Sie sind ein Lügner. Dies muß ich zurückweisen und mit einem Ordnungsruf belegen.
({1})
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3753. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P. und SPD bei Zustimmung von Abgeordneten der Gruppe der PDS abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Rechts der Arbeitslosenhilfe ({2})
- Drucksachen 13/2898, 13/3109, 13/3479 - ({3})
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({4})
- Drucksache 13/3725 -
Berichterstattung: Abgeordneter Adolf Ostertag
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/3733 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Dietrich Austermann
Antje Hermenau
Ina Albowitz
Dazu liegen Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS vor. Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über den Gesetzentwurf namentlich abstimmen werden.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Rudolf Meyer.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Am 23. Januar dieses Jahres haben die Bundesregierung, die Wirtschaftsverbände und die Gewerkschaften ein Bündnis für Arbeit zur Standortsicherung beschlossen. Ich kann schon verstehen, daß die Opposition darüber ein bißchen ärgerlich ist, an diesem gemeinsamen und wichtigen Schritt von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften nicht beteiligt gewesen zu sein. Auf Einladung von Bundeskanzler Kohl haben kompetente Frauen und Männer auch über den Inhalt des jetzt zu diskutierenden Tagesordnungspunktes Einvernehmen erzielt, ich wiederhole: Einvernehmen. Man versucht - im Gegensatz zu früher - an einem Strang zu ziehen. Dazu will ich ein Zitat des DGB-Vorsitzenden Schulte aus seinem Pressestatement vom 24. Januar bringen. Er sagte unter anderem:
Damit bin ich bei einem weiteren, für uns entscheidenden Punkt, nämlich den Plänen der Bundesregierung, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe einzuschränken. Diesen Plänen werden die Giftzähne gezogen. Die Bundesregierung hat zugesagt, in beiden Fällen die Gesetzgebungsverfahren in folgendem Sinne positiv zu begleiten: Die geplanten pauschalen AbsenkunRudolf Meyer ({0})
gen bei der Arbeitslosenhilfe sollen von jährlich 5 Prozent auf 3 Prozent reduziert werden.
Meine Damen und Herren, seinen Worten kann ich nur Zustimmung zum Inhalt des Gesetzesvorhabens der Bundesregierung und der Koalition entnehmen.
({1})
Schulte wertet die Absenkung auf 3 Prozent als Erfolg.
({2})
- Ich komme dazu gleich, Herr Andres.
Selbst in Ihren eigenen Reihen gibt es solide und seriöse Politiker, wie zum Beispiel meinen niedersächsischen Kollegen Schwanhold, Ihren wirtschaftspolitischen Sprecher, der am 25. Januar ausweislich einer Pressemitteilung des Deutschen Depeschen-Dienstes erklärte: Die SPD trägt die Kürzung der Arbeitslosenhilfe mit; nicht alle Sozialleistungen können auch in Zukunft finanziert werden. - So war das.
({3})
- Nein, keine Zwischenfragen, Herr Urbaniak.
Entschuldigen Sie, Herr Meyer. Ihre Antwort lautete: keine Zwischenfragen. Damit ist die Frage von Herrn Urbaniak abgelehnt.
({0})
Ja. - Sie bringen mich hier nicht aus dem Konzept. Ich trage mein Programm vor.
Die Kürzung um nur 3 Prozent will Kollege Schwanhold auf der Habenseite verbucht wissen. So ist es zu lesen.
({0})
- Ach so, das kann ich ja nicht wissen.
({1})
Herr Meyer, darf ich kurz um Unterbrechung bitten. Warten wir, bis wieder Ruhe eingetreten ist. Wenn eine Frage gestellt oder eine Kurzintervention abgegeben werden soll, kann das gleich geschehen.
Herr Abgeordneter Meyer.
({0})
Die Möglichkeit haben Sie dann ja.
Meine Information war bislang so, daß Herr Schwanhold diese 3prozentige Kürzung auf der Habenseite verbucht haben wollte. Mich erstaunt, daß Sie sich in der inhaltlichen Diskussion von den aus meiner Sicht richtigen Feststellungen Ihres Kollegen distanzieren. Er hat die Zusammenhänge zwischen dem Ziel des Bündnisses für Arbeit, 2 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen, und der besseren Schulung von Langzeitarbeitslosen, die sich gut ausgebildet wesentlich besser vermitteln lassen, offenbar erkannt.
Ziel der Neuordnung der Arbeitslosenhilfe ist es, durch Arbeitsmarktmaßnahmen die Qualifikation von Arbeitslosenhilfebeziehern zu erhalten und zu verbessern, um ihre Aussichten auf Vermittlung eines Arbeitsplatzes zu steigern. Mit dem gezielten Einsatz vorhandener und der Schaffung neuer arbeitsförderungsrechtlicher Instrumente soll Arbeitslosen geholfen werden, wieder ihren Platz im Arbeitsmarkt zu finden.
({0})
Dagegen kann doch wohl wirklich niemand etwas haben.
({1})
Nun fällt Ihnen von der Opposition nichts Besseres ein, als zu beklagen, daß sich der Bund wieder einmal entlaste und die Städte, Kreise und Gemeinden mit rund 600 Millionen DM zur Kasse bitte.
({2})
Diesen möglichen Mehrbelastungen stehen aber doch Einsparungen der Länder und Gemeinden auf Grund der im Asylberwerberleistungsgesetz vorgesehenen Leistungsabsenkung gegenüber.
({3})
- Das haben wir gestern beschlossen.
An die Adresse der Mehrheit im Bundesrat muß ich an dieser Stelle appellieren - das sage ich ganz bewußt als Niedersachse -, diese Entlastung an die Kommunen weiterzugeben.
({4})
Es kann doch nicht so sein, daß das Bundesland Niedersachsen seit 1989 eine Steigerung der Bundeszuschüsse um rund 38 Prozent zu verzeichnen hat,
({5})
seine Leistungen im kommunalen Finanzausgleich in diesem Jahr, 1996, aber um 2 Prozent geringer sind als 1989.
({6})
In diesem Jahr enthalten Ministerpräsident Schröder und sein Finanzminister den Kommunen 1,5 Milliarden DM Bundeszuschüsse vor. Schon längst gilt in Niedersachsen der Satz: Das Geld bleibt
Rudolf Meyer ({7})
an den klebrigen Fingern von Schröder und Swieter hängen.
({8})
Wir haben in Deutschland ein intaktes soziales Netz, um das uns die ganze Welt beneidet. Wir haben einen Sozialstaat, der aus vielen Bausteinen besteht: Die Rentenversicherung ist einer, die Arbeitslosenhilfe ist ein weiterer. Die Ausgaben des Bundes für die Arbeitslosenhilfe haben sich von 1991 bis 1995 mehr als verdoppelt. Alle Sozialleistungen des Jahres 1994 zusammen beliefen sich - man muß das immer wieder sagen - auf mehr als 1 Billion DM. Da kann vom Abbau des Sozialstaats doch nun wirklich nicht die Rede sein.
({9})
Die Propheten, die hier von sozialer Kälte reden, wollen nur Angst verbreiten und im Wahlkampf völlig ungerechtfertigt Punkte sammeln.
Wir wollen den Sozialstaat umbauen und vor allem weiterentwickeln. Die Arbeitslosenhilfe darf sich nicht darauf beschränken, finanzielle Leistungen an Bedürftige auszuzahlen und dann die Hände wohlgefällig in den Schoß zu legen. Vielmehr sind die Bemühungen zur Vermeidung und Überwindung der Abhängigkeit von Arbeitslosenhilfe zu verstärken. Den Empfängern von Arbeitslosenhilfe müssen Anreize geboten werden, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
Wenn allerdings jemand zumutbare, aber geringer entlohnte Arbeit ablehnt, dann muß er sich auch die Absenkung der sozialen Hilfen gefallen lassen; das ist einfach so. Zu Lasten der Solidargemeinschaft soll sich auch in unserem System niemand ausruhen. Aus diesem Grunde begrüße ich auch die verstärkten Kontrollen, die Minister Blüm bereits veranlaßt hat und die bei der Änderung des Arbeitslosenhilfegesetzes eingefügt sind.
Da ich davon ausgehe, daß Sie in der SPD den Solidarpakt „Bündnis für Arbeit und Beschäftigung" irgendwie mittragen - jedenfalls plakatieren das bereits Ihre Ortsverbände, zum Beispiel in Königswinter -, müssen Sie sich die Frage stellen lassen, ob Sie wirklich gegen die bessere Qualifizierung eines Langzeitarbeitslosen sind. Die verbesserte berufliche Qualifikation ist eine in sich logische Maßnahme in diesem Zusammenhang.
Vor einer Woche, während der Rentendebatte, wurde von der Opposition keine Gelegenheit ausgelassen, die Zukunft unseres Sozialstaates kaputtzureden. Ohne Not und wider besseres Wissen haben Sie den Versuch gemacht, die Bürger in Angst und Schrecken zu versetzen, um daraus Kapital für die im März anstehenden Landtagswahlen zu schlagen.
({10})
Nun hätten Sie wirklich Grund, uns zu kritisieren, wenn wir die in der Diskussion befindlichen Entwürfe nicht vorgelegt hätten. Es ist aber schon sehr erstaunlich, daß gerade von der SPD zu diesem Tagesordnungspunkt kein Gesetzesantrag, kein Initiativantrag oder ähnliches vorliegt.
({11})
Es wäre Pflicht und Schuldigkeit der Opposition, mitzuhelfen, daß Anreize zur Aufnahme von Arbeit verstärkt und die Vermittlung in niedriger entlohnte Beschäftigung durch Weitergewährung einer pauschalierten Arbeitslosenhilfe erleichtert würden.
({12})
In diesem Sinne haben wir die Änderungen eingebracht. Der simple Vorwurf, es handele sich um Kürzungen, ist irreführend.
({13})
Meine Damen und Herren, trotz der erfolgreichen Vermittlung von knapp 260 000 Langzeitarbeitslosen im Jahre 1995 durch die Bundesanstalt für Arbeit ist die große Zahl der Menschen, die schon lange Zeit keine Arbeit mehr haben, unbefriedigend. Wir wollen mit diesem Gesetz die Möglichkeiten der Arbeitslosenhilfebezieher erweitern, indem die bestehenden Instrumente verbessert und zusätzliche Möglichkeiten geschaffen werden.
({14})
Das Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz reduziert sich nicht auf Mittelkürzungen, sondern ist ein in sich schlüssiges Programm, um dessen Verwirklichung wir uns gemeinsam bemühen sollten. Deshalb lade ich Sie, die Opposition, ein: Stimmen Sie unserem Entwurf zu, und beteiligen Sie sich konstruktiv am Bündnis für Arbeit in Deutschland!
Vielen Dank.
({15})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Schwanhold.
Frau Präsidentin! Der Kollege Meyer hat eben, wie auch andere Kollegen, zum wiederholten Male wahrheitswidrig gesagt, ich hätte dafür plädiert, eine Kürzung von 3 Prozent bei der Arbeitslosenhilfe und beim Arbeitslosengeld hinzunehmen. Dies ist nicht richtig. Er bezieht sich auf eine Meldung von ddp, die eine halbe Stunde später bei ddp korrigiert worden ist. Ich bitte Sie einfach, dies zur Kenntnis zu nehmen.
({0})
- Das hat nichts damit zu tun, daß ich zurückgezogen habe. Die Meldung wurde von ddp korrigiert.
Ein zweiter Punkt. Herr Kollege Meyer, es ist schon verwunderlich, daß Sie sagen, Sie hätten keine Korrekturen, sondern eine Anpassung vorgenommen, um eine höhere Effizienz beim System der Arbeitslosenhilfe zu erreichen, um dann, als die Rede fortgeschritten war, darauf hinzuweisen, daß doch Kürzungen vorgenommen worden sind.
Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie gemacht haben: Haben Sie Kürzungen oder nur eine Anpassung vorgenommen? Ich sage: Es handelt sich um eine blanke Kürzung. Damit befinden Sie sich in der Kontinuität dessen, was wir gestern kritisiert haben. Sie dürfen nicht die Arbeitslosen dafür verantwortlich machen, daß 4,2 Millionen Menschen in diesem Land keine Arbeit finden. Das Wichtigste ist, für mehr Arbeit zu sorgen; dabei darf man nicht die Arbeitslosen bekämpfen. Ich bitte Sie, die Korrektur zur Kenntnis zu nehmen.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Adolf Ostertag.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! In den letzten Tagen hörten wir wieder und wieder, daß die Bundesregierung die Massenarbeitslosigkeit bekämpfen will. Seit 13 Jahren redet der Bundeskanzler davon - er hat das auch in den letzten Tagen und in seiner Neujahrsansprache gesagt -, daß der Abbau der Arbeitslosigkeit seine große Sorge sei. Aber seit 13 Jahren nimmt die Massenarbeitslosigkeit Jahr für Jahr zu.
Jetzt haben wir, amtlich bestätigt, mit nahezu 4,2 Millionen Menschen, die weder Brot noch Arbeit haben, wieder einen neuen Rekord. Dabei handelt es sich nur um die offizielle Zahl; rund 1,5 Millionen sind hinzuzuzählen, und viele Hunderttausend gehen gar nicht mehr zum Arbeitsamt, so daß wir sagen können: 6 Millionen Menschen suchen in diesem Land einen Arbeitsplatz.
({0})
Seit 13 Jahren streicht die Bundesregierung die Leistungen für Arbeitslose zusammen. Schönreden, gar nicht oder schlecht handeln - das ist letzten Endes Ihre Devise. In Wahrheit bekämpfen Sie seit 13 Jahren die Arbeitslosen und nicht die Massenarbeitslosigkeit.
({1})
Tatsächlich werden die Beitragszahler immer mehr zur Melkkuh dieser Regierung, und gleichzeitig werden sie um ihre Versicherungsansprüche gebracht.
({2})
In Wirklichkeit schieben Sie Ihre finanziellen Verpflichtungen erneut auf die Kommunen ab.
Dieses „Arbeitslosenhilfe-Bekämpfungsgesetz"
reiht sich in Ihre bisherige Demontage und Absenkung der Lohnersatzleistungen ein; es reiht sich ein in die Kappung der originären Arbeitslosenhilfe im sogenannten Asylbewerberleistungsgesetz, wie gestern beschlossen, und vorgestern wurden weitere Verschlechterungen im Arbeitsförderungsgesetz verabredet. - Es ist schon erstaunlich, Herr Günther, daß Sie als zuständiger Staatssekretär bei dieser Runde anscheinend gar nicht mehr dabeiwaren.
({3})
Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes soll gekürzt werden, ABM-Jobs sollen nur noch untertariflich bezahlt und arbeitsrechtsfreie Eingliederungsverträge, wie das so schön genannt wird, eingeführt werden. Das ist keine Reform, sondern ein arbeitsmarktpolitischer Offenbarungseid dieser Koalition.
({4})
Meine Damen und Herren, durch die IG-MetallInitiative Bündnis für Arbeit hat sich die Bundesregierung scheinbar bewegt und erklärt, jetzt müsse ernsthaft etwas geschehen. Bundesregierung, Gewerkschaften und Unternehmer müßten jetzt dafür sorgen, daß das Bündnis für Arbeit nicht nur in den Überschriften der Zeitungen stattfinde. - Daher verkündet die Regierung ihr „Programm für Stabilität, Aufschwung und mehr Beschäftigung in Deutschland", das 50 Punkte enthält, und das verwechselte anscheinend mein Vorredner, Herr Meyer, mit dem Bündnis für Arbeit.
Auf den ersten Blick soll glaubhaft gemacht werden, daß die Regierung damit ihren Beitrag zum Bündnis für Arbeit leistet, aber ich glaube, das ist weit gefehlt. Die Bundesregierung ist offensichtlich der Ansicht, neue Arbeitsplätze könnten nur dann entstehen, wenn der Sozialleistungsabbau weitergeht, auf breiter Front fortgesetzt wird und Einkommen und Vermögen in dieser Republik in der Tat noch ungleicher als bisher schon verteilt werden.
Meine Damen und Herren, das 50-Punkte-Programm gefährdet die soziale Stabilität und den gesellschaftlichen Grundkonsens und ist kein Beitrag zum Bündnis für Arbeit Das muß sorgfältig auseinandergehalten werden. Das haben auch die Gewerkschaften unmißverständlich gesagt. Bei meinem Vorredner und ebenso durch die Kurzintervention meines Kollegen Schwanitz
({5})
- Schwanhold - ist noch einmal deutlich geworden, daß man eben nicht auf Zeitungsenten und Pressestatements hereinfallen, sondern daß man in die Papiere hineinschauen sollte, Herr Meyer, um zu sehen, was dort steht. Und das Papier aus dem Kanzleramt sagt wohl nicht, daß die Gewerkschaften mit den Senkungen im Bereich der Arbeitslosenhilfe einverstanden sind.
Dieses „Arbeitslosen-Bekämpfungsgesetz" reiht sich in die Kette weiterer sozialer Grausamkeiten ein. Es ist keine Reform, sondern ein einseitiger Schritt
zum Sozialabbau und mit den Gewerkschaften nicht abgestimmt. Die Arbeitslosenhilfe soll letzten Endes zur Sozialhilfe werden. Das ist Ihr strategisches Ziel.
({6})
In der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf - ich weiß nicht, ob der Staatssekretär da war - haben das die von Ihnen benannten Sachverständigen nachhaltig und unmißverständlich unterstrichen.
Die praktischen Auswirkungen Ihrer Kürzungspolitik machen schon heute viele Arbeitslosenhilfebezieher zu Sozialhilfeempfängern. Zu Beginn dieses Jahres hatten wir mehr als 1 Million Arbeitslosenhilfeempfänger in der Bundesrepublik. Im Westen der Republik bekommen 76,7 Prozent der Arbeitslosenhilfeempfänger unter 1 200 DM monatlich; im Osten der Republik sind es 93,7 Prozent, die unter diesem Betrag liegen. Der Unterschied zu den Sozialhilfeempfängern ist noch, daß die Arbeitslosenhilfeempfänger davon ihre Miete zu zahlen haben.
Ihre Politik hat also schon dazu geführt, daß in der Tat immer mehr Arbeitslosenhilfeempfänger in die Armut abrutschen und ergänzende Sozialhilfe bekommen müssen; das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Die Kommunen müssen dafür aufkommen, und das ist auch das Ziel Ihrer Politik. Diese Kürzungsvorhaben der Regierung im Bereich der Arbeitslosenhilfe werden die Kommunen zusätzlich mit 1,5 Milliarden DM jährlich belasten. Dazu sollten einmal die Kommunalpolitiker aus Ihren Reihen etwas sagen.
Meine Damen und Herren, was von Ihren Vorschlägen zum sogenannten ArbeitslosenhilfeReformgesetz zu halten ist, machten auch die Sachverständigen am 6. Dezember 1995 sehr deutlich. Alle gesellschaftlich wichtigen Gruppen - die Kirchen, die Sozialverbände, die Gewerkschaften, der Städte- und Gemeindebund und auch der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit, der ja nun wahrlich keine Institution der Opposition ist - lehnen Ihre Vorschläge ab, und zwar in Bausch und Bogen.
({7})
Bei dieser Anhörung gab es in der Bewertung ein überzeugendes Bündnis gegen die Vorschläge der Regierung.
({8})
Es muß doch auch der Bundesregierung einleuchten, daß es sinnlos ist, Arbeitslose duch Absenkung der Unterstützungsleistungen unter Druck zu setzen, weil eben die Arbeitsplätze fehlen. Das ist das Problem, an dem angesetzt werden müßte, aber nicht mit einer Politik der Entsolidarisierung und zunehmenden Verarmung. Die Kirchen nannten Ihr Programm auch unchristlich; das sollten sich vor allem sich christlich nennende Parteien hinter die Ohren schreiben.
({9})
Diese Politik schwächt auch die Kaufkraft insbesondere derjenigen über eine Million Menschen mit ihren Familien, die am Rande des Existenzminimums leben und ihr gesamtes Einkommen für Dinge des täglichen Bedarfs ausgeben müssen. Wenn weitere Senkungen erfolgen, werden die Kaufkraft und damit auch die Konjunktur zusätzlich geschwächt. Dies aber paßt überhaupt nicht zu dem, was Sie hier von diesem Rednerpult aus immer wieder sagen.
Eines allerdings hat diese Regierung erreicht: Sie ist mittlerweile der Spezialist für unsoziale Kürzungsgesetze auf Kosten der Ärmsten in unserer Gesellschaft.
({10})
- Diesen Titel haben Sie, und den werden Sie auch nicht los, zumal Sie alles tun, um sich diesen Titel immer wieder aufs neue zu verdienen.
({11})
Meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, Sie tragen letzten Endes auch die politische Verantwortung für das Heer der Arbeitslosen, für die 4,2 Millionen Menschen und ihre Familien. Vor den Konsequenzen drücken Sie sich, indem Sie einfach die Massenarbeitslosigkeit „kommunalisieren". Milliardenkosten werden auf die Kommunen als Träger der Sozialhilfe abgewälzt, und immer mehr Kommunen droht tatsächlich der finanzielle Kollaps. Aber das kümmert Sie offensichtlich nicht.
({12})
Die Verlagerung von finanziellen Problemen kann aber nicht zu deren Lösung beitragen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sprach von einer „Flickschusterei zu Lasten der Kommunen" . Mit dieser Politik des sozialen Kahlschlags gefährden Sie nicht nur die Stabilität des Fundamentes unseres Gemeinwesens, sondern letzten Endes auch das Fundament des so wichtigen sozialen Friedens in unserem Land.
({13})
- Ich sage das sehr bewußt!
({14})
Schauen Sie sich einmal die Städte in NordrheinWestfalen und anderen Ländern an - in einem Land, in dem das besonders problematisiert wird, haben wir ja auch bald Kommunalwahlen -, dann werden Sie erkennen, wie durch die Politik des Verschiebens der finanziellen Lasten die Kommunen gebeutelt worden und wie hoch die Sozialkosten in den letzten Jahren gestiegen sind. Auf das Doppelte und Dreifache! Das ist ein Faktum.
({15})
Herr Kollege Ostertag, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Laumann?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Ostertag, ist Ihnen bekannt, daß im Jahre 1991 der Bund bei der Umsatzsteuer rund 100 Milliarden DM mehr als die Länder einnahm und daß der Anteil des Bundes heute nur noch um 8 Milliarden DM höher als der der Länder ist? Ist Ihnen auch bekannt, in welchem Umfange das Land Nordrhein-Westfalen von seinem gestiegenen Anteil etwas an die Gemeinden abgegeben hat?
({0})
Herr Ostertag, ist Ihnen weiter bekannt, daß wir in Nordrhein-Westfalen ein Asylbewerberleistungsgesetz haben, das die Kosten für Asylbewerber, die nicht anerkannt worden sind, aber aus irgendwelchen Gründen nicht abgeschoben werden können, einzig und allein den Kommunen überläßt?
({1})
Herr Laumann, Sie argumentieren mit drei Faktoren, daß der Bund im Vergleich zu den Ländern viel Geld verloren habe und daß die Länder von diesem Geld nichts an die Kommunen weitergegeben hätten. Das aber stimmt so überhaupt nicht.
({0})
- Wir haben doch in den letzten Tagen darüber im Zusammenhang mit dem Asylbewerberleistungsgesetz diskutiert und dabei festgestellt, daß hier der Bund seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, daß jetzt weitere Kürzungen erfolgen werden, die wiederum zu höheren Leistungen bei den Kommunen führen. Wir haben eine erhebliche Belastung der Kommunen durch den Solidarpakt, durch das Föderale Konsolidierungsprogramm und das Spar- und Konsolidierungsprogramm gehabt. Es waren in den letzten drei Jahren drei Pakete, mit denen 30 bis 40 Milliarden DM nur auf die Sozialhilfeträger, also auf die Kommunen, abgewälzt wurden, weil der Bund seinen Verpflichtungen nicht nachkommt.
({1})
- Natürlich glaubt er das; denn der hat letzten Endes dafür aufzukommen.
Warum sind zum Beispiel in den meisten Städten dieses Landes die Sozialhilfekosten auf das Zwei-und Dreifache angestiegen? - Doch nicht deshalb, weil der Bund soviel an die Kommunen und Länder abgegeben hat.
Herr Kollege Ostertag, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Natürlich.
Herr Kollege Ostertag, ist Ihnen bekannt, daß für die östlichen Bundesländer der Bund im Solidarpakt 70 Prozent aufgebracht hat und die restlichen 30 Prozent auf die übrigen Länder verteilt wurden? Ist Ihnen bekannt, daß der Bund in den letzten fünf Jahren erhebliche Einsparungen vorgenommen hat, indem er Ausgabensteigerungen von nur 16 Prozent hingenommen hat, im gleichen Zeitraum aber die Gemeinden eine Steigerung der Ausgaben in Höhe von 32 Prozent hatten? Stimmen Sie zu, daß hier ein wesentlicher Einsparungsdruck nicht umgesetzt worden ist?
Dem kann ich so nicht zustimmen.
Sie haben die Transferleistungen an die neuen Länder angesprochen. - Wir reden hier über die unmittelbar Betroffenen, nicht nur über Gebietskörperschaften. - Weit über 100 Milliarden DM an Transferleistungen wurden in den letzten Jahren insbesondere von den Einzahlern in die sozialen Sicherungssysteme finanziert. Es wird von Ihnen nie zur Kenntnis genommen, daß es sich dabei in der Tat um versicherungsfremde Leistungen handelt. Und daß sich der Bund hier schadlos hält, haben die Versicherten zu tragen, nämlich die Arbeiter und Angestellten, während erhebliche Teile von Beschäftigten ausgeklammert werden. Das vergessen Sie immer bei Ihrer selektiven Auswahl, wenn es um die Kosten der deutschen Einheit geht.
({0})
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich glaube, daß Ihre Politik der weiteren Verarmung von Hunderttausenden von Menschen und der zusätzlichen Belastung der Kommunen letzten Endes gegen die Menschen und deren Zukunft gerichtet ist, so daß es keinen Fortschritt in der Zusammenarbeit geben wird.
Wir Sozialdemokraten fordern vor allen Dingen eine grundlegende politische Kurskorrektur. Auch der Kanzler hat gesagt, die Schaffung von Arbeitsplätzen sei die Aufgabe Nummer eins. Aber er sagt es eben nur, er handelt nicht in diese Richtung. Das vermissen wir.
Wir haben ein „Sofortprogramm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" vorgelegt, das zwölf Punkte umfaßt. Wir wollen, daß die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik produktiv eingesetzt werden und ein einheitliches AFG erhalten bleibt. Sie wollen es zerstören; das beweisen auch Ihre Vorschläge von vorgestern.
({1})
Nachdrücklich fordern wir die Beibehaltung der Arbeitslosenhilfe in der jetzigen Höhe als integrierten Bestandteil der Arbeitsförderung, so wie wir es in unserem Entwurf - vielleicht sollte Herr Meyer das
lesen - eines Arbeits- und Strukturförderungsgesetzes vorgesehen haben.
Wir wollen die Lohnnebenkosten bereits zum 1. Juni dieses Jahres senken - und haben dazu Anträge im Arbeits- und Sozialausschuß eingebracht -, um die Kaufkraft der Schwächsten in dieser Gesellschaft zu stärken und den Betrieben Spielraum zu geben.
Wir fordern eine ökologische Steuerreform, um den Faktor Arbeit zu entlasten. Wir brauchen ein Vereinfachung des Steuersystems mit mehr sozialer Gerechtigkeit. Und vor allen Dingen: Wir wollen eine Gemeindefinanzreform, damit die Lebensfähigkeit der Kommunen wieder gesichert wird.
Wie bereits unser Fraktionsvorsitzender gesagt hat, bieten wir der Bundesregierung an, diese Maßnahmen des Sofortprogramms bis Mitte dieses Jahres im Bundestag und Bundesrat zu verabschieden. Allerdings muß eines klar sein: Diese Zusammenarbeit kann es nicht geben, wenn Gesetze wie das ,,Arbeitslosenhilfe-Bekämpfungsgesetz" gegen Millionen von Menschen, die betroffen sind, durchgepeitscht, durchgepaukt werden.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile der Abgeordneten Annelie Buntenbach das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Offensichtlich meinen Sie ja, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, daß Ihre Gespräche mit den Gewerkschaften, aus denen Sie - wie diese Woche gezeigt hat - allerdings herzlich wenig gelernt haben, Ihrem Gesetz eine Art höhere Weihe verleihen würden.
Dem ist keineswegs so, denn es ist und bleibt ein weiteres Stück Sozialabbau, und es setzt die fatale Linie Ihrer bisherigen Regierungspolitik fort. Statt wirklich die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, bekämpfen Sie weiter die Arbeitslosen.
Sie senken die Leistungen und verschärfen die Kontrollen gegenüber den Betroffenen: mit Trainingsmaßnahmen zur Überprüfung der Arbeitsbereitschaft, mit zusätzlichen Kontrollen der Vermögenslage von Erwerbslosen, die Sie in Ihrem Asylbewerberleistungsgesetz versteckt haben. Allerdings müssen Sie dafür die gesetzliche Grundlage erst noch schaffen.
Auf diese Weise und auch dadurch, daß Sie immer vom Anreiz zur Arbeit sprechen, stellen Sie alle, die Arbeitslosenhilfe beziehen, unter Mißbrauchsvorbehalt. Sie erwecken in der Öffentlichkeit den Eindruck, als wollten diese Menschen die Allgemeinheit betrügen, als wollten sie gar nicht arbeiten. Diese
Unterstellung ist angesichts von mindestens 6 Millionen fehlenden Arbeitsplätzen offensichtlich absurd. Für die Betroffenen heißt das neben der schweren Belastung, aus der Erwerbsarbeit ausgegrenzt zu sein, außerdem noch Diffamierung und Entmutigung.
({0})
Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, behaupten immer wieder, es gehe um Hilfen. Das Gegenteil ist leider richtig. Ihre „zahlreichen neuen Angebote an Langzeiterwerbslose", die Sie vorhin genannt haben, die Herr Minister Blüm sicherlich auch gleich noch einmal darlegen wird, sind doch nichts als Augenwischerei.
Warum sagen Sie nicht, was Sache ist, daß Sie nämlich im Bundeshaushalt Arbeitslosenhilfegelder einsparen und statt dessen die Kosten zur Bundesanstalt verschieben? Die 1,5 Milliarden DM sind doch kein Ausgabeposten für neue Maßnahmen, sondern die Höhe der Einsparungen im Bundeshaushalt. Neue Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik wird es nicht geben, denn die Bundesanstalt bekommt vom Bund keinen einzigen Pfennig mehr dafür, obwohl das dringend nötig wäre.
Statt Perspektiven zu bieten, veranstalten Sie einen unwürdigen Verschiebebahnhof zwischen verschiedenen Gruppen von Erwerbslosen. Jugendliche fallen mit ihren Projekten hinten herunter, und wenn Sie den Zugang zu Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik von sechs Monaten auf zwölf Monate hochsetzen, schaffen Sie neue Langzeitarbeitslose. Statt Integrationsangebote zu machen, schüren Sie den Verdrängungswettbewerb zwischen denjenigen, die unsere Unterstützung dringend brauchen.
Mit diesem Gesetz basteln Sie weiter an der Rutschbahn in den Billiglohnsektor. Die Leistungen sollen in Zukunft automatisch jedes Jahr abgesenkt werden, inzwischen immerhin nicht mehr um 5 Prozent von den Bemessungsentgelten, sondern - nach Intervention der Gewerkschaften - um 3 Prozent jährlich. Mit einer Versicherungsleistung, die die Arbeitslosenhilfe immer noch ist, hat eine solche Art von Absenkung nichts zu tun. Denn zum Wesen der Erwerbslosigkeit, zu dem Risiko, gegen das die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich versichern, gehört doch gerade, die eigene Arbeitskraft nicht verkaufen zu können, zur Zeit nicht gebraucht zu werden, überschüssig zu sein.
Mit der automatischen Abwertung hebeln Sie den Charakter der Arbeitslosenhilfe als Versicherungsleistung, auf die Anspruch besteht, weiter aus und verändern ihren Charakter hin zur Sozialhilfe. Daß Sie genau das wollen, hat sich in der Anhörung zum Gesetzentwurf ganz eindeutig bestätigt.
({1})
Wenn Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, vom Sparen sprechen, dann muß man immer ganz genau hinhören; denn mit SpaAnnette Buntenbach
ren im landläufigen Sinne hat das nichts zu tun. Übersetzt heißt es meist, die Ausgaben im Bundeshaushalt zu Lasten Dritter zu kürzen. Bei diesem Gesetz belasten Sie die Betroffenen, von denen schon jetzt fast ein Viertel weniger als 600 DM im Monat bezieht. Sie belasten die Bundesanstalt für Arbeit, und Sie belasten die Kommunen. Die sind es schließlich, die für die Sozialhilfe aufkommen müssen - und immer noch nicht der Bund.
Die Kommunen müssen bluten: durch die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe, mit der die Leute direkt in die Sozialhilfe abgeschoben werden, mit der Steigerung der ergänzenden Sozialhilfe, mit der Produktion neuer Langzeiterwerbsloser.
Dieses Faktum können Sie auch nicht dadurch verdecken, daß Sie - völlig sachfremd - einen Teil Ihrer gesetzlichen Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz versteckt haben. Die Gegenrechnung, die Sie hier den Kommunen aufmachen, ist schlicht unmoralisch: Sparen durch Ausländerfeindlichkeit gegen Mehrausgaben in der Sozialhilfe. Sie spielen Haushaltsdruck gegen politischen Anstand aus.
Man kann sich nur wünschen, daß die Kommunen mit ihrer Verfassungsklage Erfolg haben und sich gegen Sie, meine Damen und Herren von der Regierungsbank, den Finanzspielraum erkämpfen können, ohne den jede kommunale Selbstverwaltung eine Farce ist.
({2})
Eines noch: Sie stochern und schneiden in den sozialen Sicherungssystemen herum und richten damit Schaden an, der oft auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen ist.
Für die Situation ausländischer Kolleginnen und Kollegen hat ihre Abschiebung von der Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe ganz gravierende Folgen. Zumindest für einen Teil von ihnen wird sich der Aufenthaltsstatus ändern. Denn wer ganz oder zu großen Teilen von Sozialhilfe leben muß, ist von Ausweisung bedroht.
Wie viele Menschen diese Wirkung zu spüren bekommen werden, nicht einmal darüber konnten uns die Regierungsvertreter im Ausschuß Auskunft geben. So Schindluder mit den realen Ängsten von Menschen zu treiben, finde ich wirklich unverantwortlich.
({3})
Wir fordern die Bundesregierung auf, diesen völlig untauglichen Gesetzentwurf zurückzuziehen und endlich etwas Sinnvolles zu unternehmen, was den Betroffenen Perspektiven zur Integration in den Arbeitsmarkt eröffnet und die Rechte von Langzeiterwerbslosen sichert.
({4})
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Gisela Babel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz zur Arbeitslosenhilfe ist ein Spargesetz. Aber deswegen ist es noch lange kein ungerechtes oder gar ein unmenschliches Gesetz. Es geht um Kontrolle, um Klarstellungen, es geht um Eingrenzung und für einige Betroffene auch um Einschnitte. Das Gesetzgebungsverfahren zur Reform der Arbeitslosenhilfe hat aber deutlich gemacht, wie gut sich dieses Thema - ebenso wie die Sozialhilfe - für Unterstellungen, Verdrehungen und falsche Darstellungen eignet.
Die einschneidendste und am meisten kritisierte Maßnahme ist zweifellos die jährliche Anpassung der Arbeitslosenhilfe. Ein Ergebnis der Kanzlerrunde war es, daß die jährliche Absenkung nicht 5 Prozent, sondern 3 Prozent beträgt. Dabei möchte ich jetzt ehrlicherweise hier hinzufügen, daß das Einsparpotential dennoch gehalten wird, weil der Zeitpunkt vorverlegt wird.
Nun ist es sehr interessant, wie im Ausschuß über diesen Punkt diskutiert worden ist. Da hat man den Abgeordneten der SPD vorgehalten, daß der DGB-Vorsitzende Schulte seine Zustimmung zu diesem Gesetz mitgeteilt habe - und das ist ja ein Politikum. Seitens der Kollegen der SPD wurde daraufhin sehr nett entgegnet, der DGB-Vorsitzende Schulte habe ihnen gesagt, er hätte sehr wohl Verständnis für sie, wenn sie als SPD-Abgeordnete im Deutschen Bundestag das Gesetz ablehnten. Er würde, wenn er Abgeordneter der SPD im Deutschen Bundestag wäre, das Gesetz vielleicht ebenfalls ablehnen.
({0})
Das heißt aber doch, daß er als Gewerkschaftsführer, der die Signale vielleicht ein bißchen sensibler aufnimmt und das Notwendige erkennt, in seiner Verantwortung meint, dieses Gesetz sei tragbar.
Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Ich halte es wirklich für ganz mutig und wichtig - was Sie hier auch anerkennen sollten -, daß wir hier ein Spargesetz gemacht haben - ich rede nicht drumherum: es ist eins -, für das wir auch die Zustimmung des Deutschen Gewerkschaftsbundes haben.
Jetzt noch einmal zur Arbeitslosenhilfe selbst, weil man darüber sehr viel Nebel verbreitet hat: Schon nach heutigem Recht ist im Grunde alle drei Jahre eine neue Festsetzung der Bemessungsgrundlage für die Arbeitslosenhilfe erforderlich; das ist heutiges Recht. Geändert hat sich nur, daß wir jetzt, weil die Umsetzung in einer Massenverwaltung nicht so gelungen ist und weil man das Gesetz nicht so stringent angewendet hat, einen Automatismus eingeführt haben, der darin besteht, daß jetzt jährlich eine Anpassung vorgenommen werden soll.
Wir müssen in der öffentlichen Diskussion auch darauf hinweisen, daß der Veränderung der Bemessungsgrundlage um jährlich 3 Prozent eine Anpassung an die Lohnentwicklung gegenübersteht, so daß sich das insgesamt durchaus gegenseitig aufheben kann. Es ergibt sich also nicht unbedingt immer ein Minus bei Einkommen. Dieses alles blenden Sie
aus. Es ist wichtig, daß man hier einmal darauf hinweist.
Es gibt also nicht einen Fall ins Bodenlose, sondern die Mindestsätze orientieren sich am niedrigsten Tariflohn. Auch hier ist die Behauptung, die Absenkung der Arbeitslosenhilfe führe immer zur Sozialhilfe, keineswegs richtig.
Einschneidend ist zweifellos die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe. Aber hier möchte ich nun einmal ein bißchen genauer hinschauen. Aus systematischen Gründen und auch aus Gleichheits-
und Gerechtigkeitsgründen ist dieser Schritt durchaus richtig. Es kann doch nicht angehen, daß Menschen, die keine Beiträge in die Arbeitslosenversicherung entrichten, auf einmal eine Arbeitslosenhilfeleistung bekommen, während andere, die ebensowenig eingezahlt haben, diese nicht bekommen.
Daß der Bundesrat dies als Fürsorgeleistung betrachtet und die Kürzung durchaus eingesehen hat, erkennen Sie schon daran, daß er im Jahre 1993 einer Befristung auf ein Jahr zugestimmt hat. Auch richtig ist es, daß die verstärkte Erfassung von Kapitalvermögen des Arbeitslosenhilfeempfängers möglich ist. Es muß doch ein Grundsatz in der Sozialpolitik bleiben, daß nur derjenige eine steuerfinanzierte Sozialleistung bekommt, der bedürftig ist. Hier müssen wir doch zumindest überprüft haben, ob eine solche Notwendigkeit besteht. - Die Ehrlichen werden heutzutage doch eher zu Dummen gemacht. - Ich glaube, daß auch dieser Gedanke durchaus akzeptabel ist.
Meine Damen und Herren, in meinen Augen ist die Frage, ob es richtig ist, AB-Maßnahmen für Langzeitarbeitslose vorzusehen, etwas bedenklich, und zwar aus folgendem Grund: Langzeitarbeitslose sind in der Regel Arbeitslosenhilfeempfänger und so steuerfinanziert. Mit einer AB-Maßnahme werden sie beitragsfinanziert unterstützt. Das heißt, hier haben wir, wenn auch in einem kleinen Schritt, wieder eine Umfinanzierung von einer Steuerfinanzierung in eine Beitragsfinanzierung. Wir haben hier und an anderer Stelle immer wieder gesagt, daß es eigentlich richtiger ist, beitragsfinanzierte Leistungen in eine Steuerfinanzierung umzuwandeln als umgekehrt. Das Ganze ist jedenfalls ein bedenklicher Schritt.
Man könnte auch die Tatsache, daß man mit einer solchen Maßnahme wartet, bis jemand Langzeitarbeitsloser ist, als bedenklich ansehen. Wir liegen mit dem neuen Reformansatz meiner Ansicht nach richtig, indem wir nämlich sagen, daß wir die Erteilung einer AB-Maßnahme bzw. einer Fortbildung oder Umschulung vorziehen, damit die Brückenfunktion in den ersten Arbeitsmarkt besser erfüllt werden kann.
Jetzt zu den Vorwürfen: Die Grünen sprechen von einer Versicherungsleistung. Sie haben das auch in einem Infoblättchen so formuliert. Das ist nicht zutreffend. Das Ganze ist keine Versicherungsleistung, sondern eine Fürsorgeleistung. Nur Deutschland leistet sich zwei parallel laufende Fürsorgesysteme. Wir können diese beiden Systeme nicht zusammenführen, weil wir den fairen Ausgleich für die Belastungen der Kommunen, für den ich absolut bin, nicht erreichen. Da wir die Wegelagerer, die Länder, die die Postkutsche abwarten und überfallen, dazwischengeschaltet haben, können wir in dieser Frage Reformen nicht durchführen.
Ebenso falsch ist es, zu behaupten, die Bundesregierung unterstelle, daß die Bezieher von Arbeitslosenhilfe diese Leistungen zu Unrecht erhielten. Das, was Sie machen, ist schon fast Demagogie. Damit wecken Sie nur falsche Emotionen. Das ist nicht richtig.
Zur SPD gewandt: Wenn Sie sich hier in der sozialpolitischen Debatte ganz anders äußern als Ihr eigener wirtschaftspolitischer Sprecher bzw. der Ministerpräsident von Niedersachsen, der einen Einstellungsstopp und Arbeitszeitverlängerungen verfügt hat, dann frage ich mich: Hat die SPD im Kleiderschrank eigentlich für jede Debatte das richtige Kostüm und für jeden Konflikt den passenden Redner?
({1})
Gibt es irgend jemanden, der noch überschauen
kann, was die Linie in der SPD zu diesen Themen ist?
Ich bedanke mich.
({2})
Ich erteile der Abgeordneten Frau Dr. Knake-Werner das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Meyer, Sie und Ihre Kollegen brüsten sich damit, daß Sie sich bei der beabsichtigten Kürzung der Arbeitslosenhilfe mit einigen Gewerkschaftsführern einig wissen. Ich hingegen bin froh darüber, daß ich mich mit Zehntausenden von Gewerkschaftsmitgliedern in der Ablehnung dieses unwürdigen Gesetzes einig weiß.
({0})
Ich hoffe nur, daß diese Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter am kommenden Montag bei der Kundgebung der IG Metall ihren Protest gegen die neuerlichen Sozialkürzungen nachdrücklich zum Ausdruck bringen.
({1})
Die PDS lehnt den vorgelegten Gesetzentwurf ab. Daran ändert sich auch nichts dadurch, daß Sie jetzt die Arbeitslosenhilfe jährlich um 3 Prozent statt, wie vorgesehen, um 5 Prozent senken wollen. Das ist Ihr großmütiger Beitrag zum Bündnis für Arbeit. Nein, wir lehnen dieses Gesetz ab, weil es angesichts dieser dramatischen Beschäftigungslage absolut kontraproduktiv ist. Jede Form von Sozialleistung verschlimmert diese Lage auf unverantwortliche Weise.
4,2 Millionen offiziell registrierte Arbeitslose und mehr als 7 Millionen fehlende Arbeitsplätze reichen
offenbar immer noch nicht, um Ihnen von Regierung und Koalition bewußt zu machen, daß Ihre alten Rezepte versagt haben. Sozialabbau und Deregulierung wirken nicht nur nicht gegen Arbeitslosigkeit; sie verschärfen vielmehr die gegenwärtige Beschäftigungskatastrophe, und sie torpedieren das Bündnis für Arbeit, bevor es überhaupt eine Chance gehabt hat, sich zu entwickeln.
({2})
4,2 Millionen Menschen erwarten von dieser Bundesregierung eine Politik, die ihnen endlich wieder die Chance eröffnet, durch ihre eigene Arbeit den Lebensunterhalt zu sichern. Sie erwarten keine weiteren Leistungskürzungen, und schon gar nicht wollen sie auf Sozialhilfe angewiesen sein. Viele dieser Erwerbslosen haben überhaupt kein Verständnis für ein Gesetz, das die Erwerbslosen gegeneinander ausspielt und sie in Konkurrenz um Arbeitsförderungsmaßnahmen treibt.
Das sogenannte Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz ist eine weitere Kampfansage an die Arbeitslosen und keine Maßnahme gegen Arbeitslosigkeit. Dieses Gesetz schafft keinen einzigen Arbeitsplatz, und es stockt auch die notwendigen öffentlich geförderten Beschäftigungsmaßnahmen nicht auf. Dieses Gesetz schafft nichts weiter als soziale Unsicherheit bei denjenigen, die auf soziale Transfers angewiesen sind.
Es sollen hier einmal mehr Kostenverschiebungen zugunsten des Bundeshaushaltes stattfinden; das ist uns ja aus der letzten Woche hinreichend bekannt. Diesmal soll es eine Kostenverschiebung geben erstens zu Lasten der Kommunen - das ist hier schon ausgeführt worden - durch den steigenden Sozialhilfebedarf und zweitens zu Lasten der Bundesanstalt für Arbeit durch den steigenden Bedarf beim Arbeitslosengeld, schließlich zu Lasten der Sozialversicherung, insbesondere der Renten, und nicht zuletzt zu Lasten der Langzeitarbeitslosen selbst, die nun weniger im Portemonnaie haben werden.
Um etwa 2 Milliarden DM soll der Bundeshaushalt durch diese Operation entlastet werden. Bei den ohnehin gebeutelten Kommunen entstehen dadurch Mehrkosten von 200 Millionen DM, weil nun noch mehr Arbeitslose auf zusätzliche Sozialhilfe angewiesen sind.
Schon heute, vor der Kürzung, liegen die durchschnittlichen Leistungen der Arbeitslosenhilfe in den alten Bundesländern bei 984 DM und in den neuen Bundesländern bei 776 DM monatlich. Im August 1995 bekamen 75 Prozent der Männer und 93 Prozent der Frauen eine Arbeitslosenhilfe, die unterhalb der Sozialhilfeschwelle lag. Lediglich 18 Prozent der Arbeitslosenhilfebezieher und -bezieherinnen erhielten eine Arbeitslosenhilfe oberhalb von 1 200 DM.
Glauben Sie wirklich, daß es diese Frauen und Männer, die Sozialleistungen auf diesem Niveau erhalten, nötig haben, Anreize zur Arbeitsaufnahme zu bekommen? Nein, diese Menschen brauchen keinen Druck von Ihnen. Sie wollen gerne arbeiten, aber Sie geben ihnen keine Arbeit, und Sie kürzen ihnen auch noch die wenigen Groschen, die sie bekommen.
({3})
Von der Absenkung der Arbeitslosenhilfe werden vor allem die Frauen betroffen sein, die auf Grund der niedrigeren Erwerbseinkommen schon traditionell eine geringe Arbeitslosenhilfe bekommen.
Die Kostenverschiebung, die zu Lasten der Bundesanstalt für Arbeit geht, ist brisant. 95 Prozent der aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sollen künftig für Langzeitarbeitslose zur Verfügung stehen. Damit hier kein falscher Zungenschlag reinkommt: Wir von der PDS sind sehr dafür, daß endlich auch die Langzeitarbeitslosen von der Arbeitsförderung profitieren. Das haben wir in unseren arbeitsmarktpolitischen Sofortmaßnahmen selbst gefordert, Wir wollten sogar die Sozialhilfebezieherinnen und -bezieher einbeziehen.
Was Sie aber vorschlagen, ist ein absolutes Nullsummenspiel, das zu einem üblen Verdrängungsprozeß unter den Arbeitslosen führen wird. Denn Sie stocken ja die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nicht gleichzeitig auf. Das führt dazu, daß um die verbleibenden 5 Prozent arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen nicht nur diejenigen konkurrieren, die noch nicht zu den Langzeitarbeitslosen gehören, sondern auch die arbeitsmarktpolitischen Problemgruppen. Gerade dazu gehören die Jugendlichen.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme sofort zum Ende.
Sie wissen sehr wohl, daß mit diesem Gesetz die gut angelaufenen Programme Arbeit und Lernen für Jugendliche vor dem Aus stehen. Das Problem ist, daß sich mit diesem Gesetz der Zuschußbedarf der Bundesanstalt erhöhen wird. Dieser Zuschußbedarf ist noch nicht eingestellt.
Frau Kollegin, Sie müssen Ihre Ausführungen beenden.
Ich schließe meine Ausführungen an dieser Stelle und verweise auf unseren Entschließungsantrag, durch den wir mit dieser Kostenverschiebung Schluß machen wollen.
Danke schön.
({0})
Zu einer Kurzintervention auf die Rede des Kollegen Rudolf Meyer gebe ich dem Kollegen Hans Urbaniak das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Bündnis für Arbeit haben die Gewerkschaften die festsitzende
Bundesregierung erstmals in Bewegung gebracht. Ihr hättet gar nichts gemacht. Es ist ausschließlich den Gewerkschaften zu verdanken, daß ihr euch überhaupt in Bewegung setzt.
({0}) Das will ich zunächst einmal feststellen.
Frau Dr. Babel, die Ehrlichen sind immer die Dummen. Das sind die Lohnsteuerzahler, die Arbeitnehmer; die Steuerhinterzieher nicht.
({1})
Das ist nun einmal so. Letztere sollten Sie einmal hervorheben.
Aber ich sage hier klipp und klar: Die Koalition und die Bundesregierung werden dafür sorgen, daß eine Dequalifizierung der Betroffenen die Folge sein wird. Es geht immer weiter runter, und es gibt immer weniger Geld. Das wird sich später bei den Rentenzahlungen auswirken. Das dürfen Sie nicht vergessen. Also produzieren Sie nicht zusätzliche Sozialhilfeempfänger! Denn Sie müssen das ja über die ganze Strecke sehen, die diese Menschen gehen.
Uns Sozialdemokraten geht es vor allen Dingen darum: Wir haben die Situation, daß viele Arbeitnehmer, die jahrzehntelang tätig waren, über Sozialplane oder aber über Abfindungen ausscheiden mußten. Sie haben jüngeren Arbeitnehmern die Arbeitsplätze gesichert. Sonst wäre es zu einem Chaos gekommen. Wir dürfen jetzt die älteren, mit Sozialplänen oder Abfindung versehenen Frauen und Männer nicht enttäuschen. Sie dürfen durch das unselige Gesetz, das Sie verabschieden werden, nicht materiell betroffen werden.
Darum fordere ich den Bundesarbeitsminister auf, eine Vertrauensschutzregelung für alle zu schaffen, die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes auf diese Weise ausgeschieden sind, und dafür zu sorgen, daß sie durch das, was Sie bei der Arbeitslosenversicherung und der Rentenversicherung vorhaben, nicht negativ betroffen werden.
({2})
Ich gehe davon aus, daß Sie am 12. Februar die Gelegenheit dazu haben. Der Kollege Schemken kann das für die CDU/CSU-Fraktion hier bestätigen.
Sorgen Sie mit uns dafür - wir haben einen Antrag gestellt -, daß es einen vollen Vertrauensschutz für die ausgeschiedenen älteren Arbeitnehmer gibt, die jahrzehntelang ihre Beiträge eingezahlt und ihre Pflicht in den Betrieben getan haben.
({3})
- Schrei nicht soviel, stimm lieber zu!
Herr Kollege Meyer, Sie haben die Gelegenheit zu entgegnen. - Nicht.
Dann erteile ich dem Abgeordneten Heinz Schemken das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicherlich richtig, Herr Urbaniak, daß die Gewerkschaften mit der Forderung nach einem Bündnis für Arbeit eine ganz wichtige Funktion wahrnehmen. Genau diese Funktion steht ihnen auch zu. Ich darf hier ausdrücklich sagen: Hätten wir in den 40 Jahren des Aufbaus und der Nachkriegszeit in den wesentlichen Schicksalsfragen keinen Konsens gehabt, dann wäre es um unseren sozialen Rechtsstaat schlecht bestellt.
({0})
Insofern hoffe ich, daß dieses Bündnis trägt.
({1})
- In diesen aufgeregten Zeiten tut es gut, daß man das eine oder andere auch einmal so austauscht. Ich meine das so, wie ich es gesagt habe.
Die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe sind gleichsam auf Rechtsanspruch begründet. Sie werden aus Steuermitteln finanziert. Ich muß das noch einmal ausdrücklich in Erinnerung rufen. Sie sind deshalb nicht auf einen Versicherungsanspruch begründet. Das muß man sagen bzw. richtigstellen dürfen, wenn hier gewisse Dinge polemisch in den Raum gestellt werden.
Dies gilt insbesondere für 95 Prozent der Fälle, die die Absicherung in Form der Arbeitslosenhilfe im Anschluß an das Arbeitslosengeld in Anspruch nehmen. Das gilt auch für die originäre Arbeitslosenhilfe der Arbeitnehmer, die auf Grund einer Beschäftigungszeit von unter einem Jahr Anspruch darauf haben.
Hierzu hat es auch in der Kanzlerrunde unter den beteiligten Tarifpartnern eine Diskussion gegeben. Dabei ist erreicht worden, daß die Absenkung der Arbeitslosenhilfe auf 3 Prozent reduziert wird.
Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang sinnvoll, nicht die Frage hin und her zu diskutieren, was der DGB-Vorsitzende Dieter Schulte zu diesem Thema gesagt hat. Hierzu kann man die Pressekonferenz des DGB vom 24. Januar dieses Jahres heranziehen. Der Vorsitzende erklärte:
Das hat fünftens zur Folge, daß wir die Reform des Sozialstaates in Angriff nehmen müssen, um seine Kernaufgaben und Kernfunktionen zu sichern.
({2})
Er sagte weiter:
Wir nehmen diese Mitverantwortung ernst.
Dann sagte er:
Damit bin ich bei einem weiteren, für uns entscheidenden Punkt, nämlich den Plänen der Bundesregierung, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe einzuschränken. Diesen Plänen werden wir die Giftzähne ziehen. Die Bundesregierung hat zugesagt, in beiden Fällen die Gesetzgebungsverfahren in folgendem Sinne zu begleiten: Die geplanten pauschalen Absenkungen bei der Arbeitslosenhilfe sollen jährlich von 5 auf 3 Prozent reduziert werden.
Er führte auch den Zusammenhang an:
Bei der Sozialhilfe soll der Rechtsschutz gegen unzumutbare Kürzungen erhalten bleiben.
Ich sage das hier, weil auch der DGB-Vorsitzende den Zusammenhang herstellt. Es ist nämlich in der Tat so, daß die dramatische Situation auf dem Arbeitsmarkt, die ja niemand leugnet, nur gemeinsam gelöst werden kann: mit der Bundesanstalt für Arbeit, den Ländern und den Kommunen.
({3})
- Frau Buntenbach, es ist nicht anders möglich.
Es ist doch einmal die Frage zu stellen, ob wir nicht auch über die positiven Ansätze dieses Gesetzes sprechen können,
({4})
zum Beispiel darüber, daß Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sinnvoll durchgeführt werden müssen. Wir bieten sie den Arbeitslosen geradezu als Brücke an, damit sie wieder in Arbeit kommen, damit wir den Zusammenhang wiederherstellen, damit nicht eine Hackordnung - ähnlich wie bei Bund, Ländern und Gemeinden - auch zwischen Arbeitnehmern, Arbeitslosengeldbeziehern, Arbeitslosenhilfebeziehern und den Sozialhilfeempfängern entsteht. Diese Klassifizierung können wir uns in dieser Situation nicht erlauben,
({5})
Es geht hier um Beschäftigungsmöglichkeiten und um die Hinführung zu Beschäftigungen. Es geht dabei auch um eine Arbeitnehmerhilfe und um Trainingsmaßnahmen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßen?
Ja, wenn mir die Zeit dafür nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Zwischenfragen werden nie auf die Redezeit angerechnet.
Ja, gerne. Wir haben doch sowieso vergangene Woche darüber diskutiert. Es ist doch bereits alles ausdiskutiert worden. Aber bitte schön.
Herr Kollege, es ist Ihre freie Entscheidung.
Herr Kollege Schemken, Sie haben jetzt wiederum erklärt, daß Bund, Länder und Gemeinden zusammenstehen sollten. Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dall diese Kürzung ausschließlich zu Lasten der Kommunen geht? Denn die müssen nach Berechnungen jetzt zwischen 250 und 300 Millionen DM mehr an Sozialhilfe ausgeben, weil betroffene Arbeitnehmer ihre Unterstützung jetzt nicht mehr aus den Mitteln der Arbeitslosenhilfe bekommen? Somit machen Sie den Investor der Nation meines Erachtens systematisch kaputt.
Nein, es findet hier eine Zuteilung statt, die vor dem Hintergrund dessen, was ich jetzt sage, örtlich zu leisten ist. Ich könnte jetzt die Gesetzgebung des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, was die Frage des Finanzausgleichs angeht, darlegen. Das möchte ich aber gar nicht tun. Dann würde möglicherweise ein anderer kommen und sagen: In Bayern ist es ähnlich. Das will ich gar nicht tun.
Ich möchte nur noch einmal deutlich machen: Wir können nur vor Ort dem Schicksal unmittelbar zu Leibe rücken. Dazu gehört auch der unmittelbare Zusammenhang zum Arbeitslosen. Es wäre gut, wenn wir mit diesem Arbeitslosenhilfe -Reformgesetz erreichen,
({0})
- ich komme gleich dazu -, daß wir Trainingsmaßnahmen für die Arbeitslosenhilfebezieher durchführen, daß wir insbesondere Perspektiven für junge Menschen schaffen. Es geraten ja immer mehr junge Menschen in die Sozialhilfe.
Sie wissen sehr wohl - ich will eigentlich nicht gegenrechnen -, daß die 200 Millionen DM gegengerechnet werden können gegen die Pflegeversicherung, gegen Einsparungen auf Grund des Asylbewerberleistungsgesetzes.
({1})
- Ja, selbstverständlich, Frau Beck.
Es gibt weitere Vereinfachungen zugunsten der Arbeitslosen, indem man zum Beispiel eine selbständige Tätigkeit ohne Nachteile ausüben kann.
Herr Kollege Schemken, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, einen Moment.
Es gibt die Vereinfachung der pauschalisierten Anpassung des maßgeblichen Arbeitsentgeltes für die Bemessung, aber auch den finanziellen Anreiz
- ein ganz wichtiges Instrument - für den Ehegatten, durch zusätzliche Freibeträge eine Erwerbstätigkeit ausüben zu können. Es müssen in Zukunft also weniger Belege vorgelegt werden. Wer einmal beim Sozialamt oder Arbeitsamt war, weiß sehr wohl, was das an weniger Verwaltungsaufwand bedeutet.
Herr Kollege Schemken, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Beck?
Bitte schön.
Lieber Herr Kollege Schemken, ich persönlich spreche Ihnen überhaupt nicht ab, daß Sie das Beste wollen und sich in einer schwierigen Situation befinden, dieses Gesetz jetzt zu vertreten.
Nun haben Sie die jungen Menschen erwähnt und die Hilfe, die gerade ihnen zugute kommen muß, angesprochen. Hierzu muß ich Sie noch einmal fragen: Ist Ihnen entgangen, daß von allen Seiten, von seiten der Kirche, auch von seiten der Bundesanstalt für Arbeit selbst, herausgestrichen worden ist, daß auf Grund dieses Gesetzes die Langzeitarbeitslosigkeit für 95 Prozent Voraussetzung ist, um an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen teilzunehmen? In der Konsequenz bedeutet dies, daß gerade die Jugendlichen aus den Maßnahmen herausgedrängt werden, was dazu führt, daß Jugendliche zwangsweise erst in eine Phase von Arbeitslosigkeit hineingedrängt werden mit allen sozialpsychologischen Folgen, ehe sie überhaupt wieder an Maßnahmen teilnehmen können. Wie können Sie das mit dem Wunsch, den Jugendlichen zu helfen, vereinbaren?
Frau Beck, die Jugendlichen sind in der Sozialhilfe. Wir wollen sie dort sozusagen abholen, indem wir sie mit den Punkten, die ich eben genannt habe, fördern. Das ist der Punkt.
Wenn ich noch einmal etwas zu der Belastung der Gemeinden sagen darf: Sie wissen sehr wohl, daß von dem großen Aufwand, der für die Sozialhilfe notwendig ist, insbesondere die ausländischen Mitbürger, soweit es sich um Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge handelt, den größten Teil in Anspruch nehmen und daß das Anwachsen der Sozialhilfe nicht allein Folge der Langzeitarbeitslosigkeit ist. Ich gestehe Ihnen aber auch zu, daß ein erheblicher Anteil junger Menschen immer mehr in die Sozialhilfe gerät. Genau die wollen wir aus der Sozialhilfe herausholen.
({0})
Ich muß Ihnen sagen: Wenn Gemeinsinn im Sinne von Bündnis für Arbeit ernsthaft praktiziert werden soll, dann meine ich, daß wir in die Nähe der Betroffenen kommen müssen. Das ist vor Ort. Wir müssen vor Ort tätig werden. Es war bisher nicht der Fall, daß in allen Gemeinden das Instrument der Sozialhilfe wahrgenommen wurde, um Menschen in Arbeit zu bringen.
Der Konflikt wird um so deutlicher in der Hackordnung. Auf der einen Seite gibt es über 2 Milliarden Überstunden, auf der anderen Seite bleibt vielen - das sind mittlerweile über 4 Millionen - der Weg zum Arbeitsplatz verschlossen. Genau diesen Teufelskreis wollen wir mit einer Brückenfunktion ein Stück durchbrechen. Ich sehe deshalb auch eine Chance für die Bewältigung der Arbeitslosigkeit. Das darf man bei dieser Initiative nicht einfach beiseite schieben.
Darüber hinaus ist es nicht angemessen, den Schwarzen Peter hin- und zurückzuschieben. Das haben wir soeben wieder zwischen Bund, Ländern und Kommunen erlebt. Ich bin der Meinung, daß wir alle es, wenn es um das Bündnis geht - und Bündnis setzt voraus, daß alle mitwirken, vor allen Dingen die Gemeinden -, ehrlich meinen sollten. Deshalb sind wir alle gefordert. Wir sollten die positiven Ansätze dieses Gesetzes zum Anlaß nehmen, vor Ort mit den Arbeitslosen zu sinnvollen Möglichkeiten der Hilfe zu gelangen. Das ist besser, als uns hier über Kompetenzen zu streiten.
Ich sage noch einmal ausdrücklich - Stichwort Hackordnung -: Es ist bedauerlich, daß ständig zwischen Bund, Ländern und Gemeinden gestritten wird und daß die Bundesanstalt für Arbeit, die durch die Beitragszahler getragen wird - das ist im Papier des DGB-Vorsitzenden deutlich geworden -, durch die Arbeitslosenversicherung indirekt zur Erhöhung der Lohnnebenkosten und damit nichts dazu beiträgt, daß weitere Arbeitsplätze geschaffen werden. Das wollen wir erreichen.
Schönen Dank.
({1})
Ich erteile der Abgeordneten Erika Lotz das Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Redner der CDU/CSU berufen sich heute mit wahrer Begeisterung auf den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Ich sage Ihnen: Sie haben sein Statement auf der Pressekonferenz schon richtig zitiert. Sie haben aber den falschen Schluß daraus gezogen.
({0})
Wenn Dieter Schulte erklärt, daß erreicht worden ist, die Arbeitslosenhilfe statt um 5 lediglich um 3 Prozent zu kürzen, so hat er nur festgestellt, daß dies erreicht wurde. Sie liegen aber falsch, wenn Sie daraus den Schluß ziehen, der DGB-Vorsitzende stimme dieser Kürzung zu.
({1})
Wenn Sie die Kürzungen statt dessen früher eintreten lassen, als es in Ihrem Gesetz vorgesehen ist, dann sind Sie, so glaube ich, mit der ausgestreckten Hand der Gewerkschaften nicht gut umgegangen.
({2})
Wenn die Regierungskoalition und die Bundesregierung ernsthaft an einen Erfolg des Bündnisses für Arbeit glauben würde, wäre dieses Gesetzesvorhaben in der Versenkung verschwunden. Um das Ziel des Bündnisses, eine Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2000, zu erreichen, müßten Sie eine andere Politik verfolgen.
({3})
Doch was erleben wir, Kolleginnen und Kollegen? - Wachsende Arbeitslosigkeit und wachsende Langzeitarbeitslosigkeit. Die neuesten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit mit fast 370 000 zusätzlichen Arbeitslosen schreien doch geradezu nach aktiver Arbeitsmarktpolitik.
Was aber will diese Koalition? Sie will ein Kürzungsgesetz durchsetzen, mit dem sich der Bund auf dem Rücken der Arbeitslosenhilfebezieher, der Sozialhilfeträger, der Kommunen und der beitragsfinanzierten Arbeitsmarktpolitik in Milliardenhöhe entlastet.
({4})
Ich frage Sie: Wie ernst ist es Ihnen eigentlich damit, wenn Sie zu hohe Lohnnebenkosten und versicherungsfremde Leistungen beklagen, heute aber ein Gesetz beschließen wollen, welches den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit alleine im Jahr 1996 mit 422 Millionen DM und in den Folgejahren mit 888 Millionen DM belastet?
Die Bundesregierung und die Koalition schrecken nicht einmal davor zurück, dieses Kürzungsgesetz mit dem Etikett „Reform" zu versehen. Reform für wen? Etwa für die Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, die lange arbeitslos sind, die keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld haben, die nach Prüfung ihrer Bedürftigkeit Arbeitslosenhilfe als Anschlußleistung benötigen? Reform etwa für die Kommunen, denen Sie die Bundesentlastung bei der Sozialhilfe aufbrummen, die für Sie in die Bresche springen sollen? Ich glaube, selten ist ein Wort so mißbraucht worden, wie Sie es in bezug auf das Wort Reform tun.
({5})
Aber da sind Sie ja ohnehin nicht zimperlich. Auch die letzten Kürzungen bei den Lohnersatzleistungen, also bei Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe, liefen unter falschem Titel. Erstes Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm, so hieß es wohl. Gespart wurde bei denjenigen, die ihre Arbeit verloren haben, die im Durchschnitt rund 1 400 DM pro Monat an Leistung beziehen, und nicht etwa bei denjenigen, die Milliardenverluste als „Peanuts" abtun. Und von Wachstum konnte man auch nichts feststellen.
Wie schon bei den vergangenen Deregulierungen hat Herr Blüm bei dem vorliegenden Gesetz wieder die nötige Begleitmusik für die öffentliche Debatte geliefert und Stimmung erzeugt. Ich will hier nur an die unselige Diskussion über die Anpassung der Arbeitslosenhilfe nach „marktgerechten" Kriterien erinnern. Nach den öffentlichen Protesten wurde schnell die Zielgruppe der höheren Lohngruppe nachgeschoben.
Kolleginnen und Kollegen, im Juni 1995 bezogen in Deutschland ({6}) gerade mal 2,6 Prozent der Bezieher von Arbeitslosenhilfe um die 1 800 DM im Monat. In Deutschland ({7}) waren es gerade mal 0,2 Prozent. Sie wollen uns doch nicht weismachen, daß es Ihnen bei Ihrem Gesetz um diese 3 Prozent Bezieher von Arbeitslosenhilfe geht! Durchsichtiger geht es nicht mehr.
({8})
Seit gestern wissen wir, daß in Deutschland 4 158 960 Menschen als arbeitslos registriert sind. Diesen stehen nunmehr 230 685 offene Stellen gegenüber. Im Mittel kommen also 18 registrierte Arbeitslose auf eine offene Stelle.
({9})
Frau Kollegin, ich darf Sie für einen Augenblick unterbrechen.
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich bitte diejenigen, die an dem Thema nicht so sehr interessiert sind wie an der Abstimmung, ihre Gespräche vielleicht nach außen zu verlegen. Das Thema ist es wert, in der Sache zuzuhören.
({0})
Ich danke Ihnen, Herr Präsident.
Bitte fahren Sie fort.
Im Mittel kommen 18 registrierte Arbeitslose auf eine offene Stelle. Dabei sind nicht berücksichtigt die Arbeitsuchenden und die Menschen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, in Fortbildung und Umschulung. Da könnte dann das Verhältnis 30 zu 1 betragen.
Herr Meyer, wenn Sie vorhin sagten, die Menschen müßten es sich gefallen lassen, daß die Arbeitslosenhilfe gekürzt wird, und das dann auch noch so darstellen, als würde dies nicht von sozialer Kälte zeugen, dann frage ich mich: Was ist soziale Kälte?
({0})
Mit welchem Argument kürzen Sie die Arbeitslosenhilfe? Warum nehmen Sie arbeitslosen Frauen und arbeitslosen Jugendlichen die Chance auf eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme? Nach Ihrem Gesetz sollen doch nur noch Langzeitarbeitslose in ABM vermittelt werden dürfen, und Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger sollen generell ausgeschlossen werden. Warum nehmen Sie Frauen die Chance, ihre Versicherungsbiographie zu verbessern, indem sie gedrängt werden, ab 60 ihre Rente für Arbeitslose zu beantragen? Sie reden nur von Chancengleichheit
und von Bekämpfung von Frauen- und Jugendarbeitslosigkeit, doch Sie tun nichts.
({1})
Durch Ihre angebliche Reform wird eines passieren: Die Konkurrenz unter den Langzeitarbeitslosen, aber auch zwischen diesen und den niedrigqualifizierten Beschäftigten wird sich verschärfen. Die eigentlichen Verlierer sind Frauen, sind Ungelernte und Beschäftigte mit einfacher Ausbildung. Diesen Weg gehen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht mit.
({2})
Ändern Sie Ihren Kurs! Nicht Kürzungen, sondern eine bessere Arbeitsmarktpolitik ist das Gebot der Stunde.
Unser ASFG liegt Ihnen vor. Es ist einer der Wege. Eine ökologische Steuerreform und mehr Gerechtigkeit bei den Steuern - damit wird den Menschen in unserem Land geholfen.
Herr Blüm, es wäre gut, wenn Sie nicht die Arbeitslosen drückten, sondern den Bundesfinanzminister, damit er in punkto Steuern endlich seine Hausaufgaben macht.
Danke schön.
({3})
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm.
Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ist der Unterschied zwischen dem 8. Februar 1996 und dem 9. Februar 1996? Der Unterschied ist: Gestern stand hier der Parteivorsitzende der SPD und hat gesagt, mit dem Abbau von Steuern und Abgaben müßte es schneller vorangehen, viel schneller; unser Programm sei nicht ehrgeizig genug. Heute steht die SPD, was die Umsetzung dieses Vorschlags betrifft, auf der Bremse. Das nenne ich ein Kontrastprogramm innerhalb von 24 Stunden.
({1})
Gestern hat Lafontaine gemeint, es könne nicht schnell genug gehen, in bezug auf die Abgabenquote unter 40 Prozent zu kommen, nicht erst im Jahr 2000. Heute tritt die SPD auf ihrem gewohnten Platz auf die Bremse.
({2})
- Ich gebe zu: Es ist peinlich, auf das kurze Gedächtnis der Bevölkerung zu setzen.
Auf ein Rezept, wie man sparen kann, ohne Einschränkungen vornehmen zu müssen, warte ich noch. Das möchte ich einmal wissen, wie man Geld sparen kann, ohne etwas zurückzunehmen.
Was zurückgenommen wird - heute morgen ist ja ein Schreckgemälde gezeichnet worden -, ist ein Betrag von 300 Millionen DM, ein kleiner bescheidener Beitrag zum Sparen, der bei weitem die Notwendigkeiten, von denen Lafontaine gestern sprach, überhaupt nicht abdeckt.
Abstufung der Arbeitslosenhilfe.
({3})
- Meine Damen und Herren, ganz ruhig.
Jetzt gebe ich einmal ein Rätsel auf. Liebe Frau Lotz, Sie haben ja gerade die Abstufung attackiert, ja? - Ich habe Sie richtig verstanden?
({4})
- Dann lese ich Ihnen einmal vor:
Das für die Bemessung der Arbeitslosenhilfe maßgebende Arbeitsentgelt ist jeweils nach Ablauf von drei Jahren seit dem Ende des Bemessungszeitraumes nach § 157 Abs. 8 neu festzusetzen; dabei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.
Das ist Originalton des Gesetzentwurfes der SPD, eingebracht in diesem Bundestag. Haben Sie jetzt gegen sich gesprochen?
({5})
Das ist Ihr Gesetzentwurf. Wollen Sie den Zettel haben? Ihr Gesetzentwurf sieht die Überprüfung der Berechtigung des Bezugs der Arbeitslosenhilfe vor, so wie es das Gesetz auch jetzt schon vorsieht.
Jetzt frage ich Sie - ich überlasse das Urteil jedem selbst -: Ist die Einzelüberprüfung des Beziehers von Arbeitslosenhilfe im Hinblick auf seine arbeitsmarktpolitische Verwendbarkeit nicht sehr viel eher eine Taxiererei, die fast die Würde des Beziehers von Arbeitslosenhilfe beeinträchtigt? Ist eine pauschale Abstufung nicht humaner als eine Stigmatisierung auf Grund der Prüfung durch das Arbeitsamt, bei der herausgefunden werden soll, was er noch wert ist?
({6})
Welche Lösung ist näher an einer Stigmatisierung? Nach Ihrem Programm muß der Bezieher von Arbeitslosenhilfe sich beim Arbeitsamt melden,
({7})
und dann wird ein Sachbearbeiter des Arbeitsamtes ihn dahin gehend einschätzen, was er noch wert ist. Was ist schlimmer? - Sie sind so weltfern, daß Sie das Verfahren, das Sie vorschlagen, geradezu noch als fortschrittlich verteidigen.
Wenn heute morgen die Rechnung aufgemacht worden ist - das ist auch ein Beispiel für die himmliBundesminister Dr. Norbert Blüm
sche Rechenkunst der SPD -, daß die Kommunen mit 500 Millionen DM durch das Gesetz belastet werden sollen, erwidere ich: Die ganze Abstufung bringt nur 300 Millionen. Wie wollen Sie da 600 oder 500 Millionen sparen?
Es ist richtig: Im Mittelpunkt dieses Gesetzes steht das Sparen, aber stehen auch die Hilfen. Davon haben Sie gar nicht geredet, nämlich von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, von Trainingsmaßnahmen. Und zwar handelt es sich um Trainingsmaßnahmen in zweierlei Hinsicht: Zum einen soll dem Langzeitarbeitslosen geholfen werden, wieder in den Arbeitsmarkt zurückzufinden. Wer lange keiner Erwerbsarbeit nachgegangen ist, hat es häufig schwer, wieder zurückzufinden. Zum anderen hat er es ebenfalls schwer - auch dazu bekenne ich mich -, seine Arbeitsbereitschaft unter Beweis zu stellen. Denn, meine Damen und Herren, wer wie Sie das Recht auf Arbeit vertritt - als moralisches Recht vertrete ich es auch -, muß doch auch für eine Pflicht zur Arbeit sein. Wer auf die rechtliche Kategorie abhebt, müßte auf der anderen Seite auch geradezu eine Pflicht statuieren. Ich, da ich es nicht als rechtlichen Anspruch formuliere, bin auch nicht für einen rechtlich gefaßten Pflichtbegriff. Wer aber sagt, daß es in moralischer Hinsicht einen Anspruch auf Arbeit gibt, muß auch die Zumutbarkeit prüfen; er kann sich nicht nur eine Seite aussuchen.
({8})
- Nein, das machen wir erst mal zu Ende.
Jetzt fragen Sie mich mal: Was ist unwürdig daran, was ist unzumutbar, einen Arbeitslosenhilfebezieher auch bei Saisonarbeiten einzusetzen, ihm sogar noch ein paar Mark mehr zu seiner Arbeitslosenhilfe zu geben, diese aufzustocken, weil er mehr haben soll als der, der sich für eine solche Arbeit nicht zur Verfügung stellt? Wenn Sie das für unzumutbar halten, dann ist das eine Beleidigung der polnischen Arbeitnehmer, denen Sie das zumuten,
({9})
dann ist das eine eingebaute Verachtung von ausländischen Mitbürgern. Es kann nicht sein, daß wir sagen: Die Arbeitsplätze sind einem Deutschen nicht zuzumuten, einem Ausländer aber doch. Merken Sie nicht, daß darin geradezu eine Zweiklassengesellschaft,
({10})
ein geradezu nationalistisches Denken enthalten ist? Ob eine Arbeit zumutbar ist oder nicht, hängt nicht von der Nationalität des Arbeitslosen ab. Mensch ist Mensch - egal, ob er aus Polen oder aus Deutschland kommt.
({11})
Herr Minister Blüm, eine Sekunde. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßen?
Bitte schön.
Herr Minister Blüm, halten Sie es für geschickt, all die Arbeitslosen zu diffamieren, indem Sie sagen: Die brauchen alle eine Zumutbarkeitsanordnung, damit sie arbeiten? Würden Sie mir nicht zugestehen, daß 95 Prozent der Arbeitslosen lieber heute als morgen einen Job annähmen, und zwar freiwillig, wenn das möglich wäre?
({0})
Halten Sie es nicht für wichtiger, an das Geld der vielen Steuerhinterzieher heranzukommen, um die Maßnahmen finanzieren zu können, und nicht auf der einen Seite ein paar Millionen DM einzusparen und auf der anderen Seite Milliarden DM zu verschleudern?
({1})
Ich teile Ihre Ansicht, daß die Mehrheit der Arbeitslosen und Arbeitslosenhilfebezieher unter ihrer Arbeitslosigkeit leidet und daß man da helfen muß. Es gibt aber auch welche unter ihnen - das haben auch die Aktionen der Bundesanstalt bewiesen -, die die Solidarkassen sehr wohl mißbrauchen. Wer die Solidarität ernst nimmt, der weiß: Da gibt es nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Die Solidarkassen müssen vor denjenigen geschützt werden, die auf Kosten der Solidarität leben. Auch das gehört zur Solidarität. Die hat zwei Seiten.
({0})
Nun noch mal zu dem Thema Hilfen. Auch ich glaube, daß wir einen zweiten Arbeitsmarkt brauchen - allerdings nicht als Parkplatz, sondern als Brücke. Ich möchte nicht, daß die Jungen, Gesunden, Ausgebildeten im ersten Arbeitsmarkt und die Älteren, Kranken therapeutisch in einem zweiten untergebracht sind. Insofern muß sich unsere Hilfe sehr stark an diejenigen richten, die lange arbeitslos sind. Es gibt 1,1 Millionen Langzeitarbeitslose. Die Schicksale der Arbeitslosen - das haben wir gestern mehr statistisch betrachtet - sind höchst unterschiedlich: 62 Prozent der Arbeitslosen sind weniger als sechs Monate arbeitslos; 16 Prozent sind nur einen Monat arbeitslos. Ich finde, wir dürfen nicht immer nur die großen globalen Zahlen, sondern sollten auch das einzelne Gesicht sehen. Es geht darum, dem Langzeitarbeitslosen zu helfen und eine Fürsorgeleistung, wie es war, abzustufen.
Eine letzte Bemerkung vor der Abstimmung. Wenn ich die Lage der SPD mit der Lage des DGB vergleiche, wenn ich Kreativität, Einsicht, Bereitschaft zum Umbau vergleiche, dann ist das der Vergleich zwischen einer Zugmaschine und einem Gepäckwagen. Die SPD ist so weit gesunken, daß sie von den Gewerkschaften abgeschleppt werden muß. Sie müsBundesminister Dr. Norbert Blüm
sen abgeschleppt werden; Sie sind längst stehengeblieben.
({1})
Die Gewerkschaften haben die SPD an Kreativität und Mut zum Umbau längst überholt. Schade. Schließen Sie auf, damit Sie mit den Gewerkschaften wieder gleichziehen!
({2})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. sowie der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe zur Reform des Rechts der Arbeitslosenhilfe; das sind die Drucksachen 13/2898, 13/3109 und 13/3479.
Ich bitte die Kollegen, ihre Plätze einzunehmen und nicht an die Urnen zu gehen. Wir sind erst bei der zweiten Lesung.
Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt, die Gesetzentwürfe zusammenzufassen und in der Ausschußfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden ist.
Wir treten ein in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. )
Wir setzen die Beratungen fort. Ich bitte die Kollegen, Platz zu nehmen.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3731. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt worden ist.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/3732. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der SPD gegen die Stim-
*) Seite7711B men der Gruppe der PDS und der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen abgelehnt worden ist.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 20 und den Zusatzpunkt 9 auf:
20. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ({0})
({1}) - Drucksache 13/3697 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({2})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß
ZP9 Beratung des Antrags der Gruppe der PDS Rentenmoratorium 1996
- Drucksache 13/3737 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({3})
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Abgeordneten Manfred Grund das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wer an der heutigen Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt einigermaßen qualifiziert teilnehmen will, braucht mittlerweile Grundkenntnisse in zwei Fremdsprachen, zum einen im berüchtigten Rentenchinesisch, und zusätzlich sollte man das Kleine Latinum erworben haben, denn neben der Eckrente, dem Rentenniveau, neben Entgeltpunkten und dem Rentenwert werden heute Begriffe eingeführt, die dem Juristen wohl eher vertraut sein dürften als dem Sozialpolitiker. Es geht um ex ante und ex post, es geht um das Berechnungsverfahren zur Rentenanpassung in den neuen Bundesländern.
Weil aber unser Rentensystem logisch und gerecht aufgebaut ist, ist auch das Verfahren der Rentenanpassung im Grunde leicht nachvollziehbar, auch wenn die angesprochenen Fachwörter dies nicht vermuten lassen.
Die Renten sind an die Nettolohnentwicklung gekoppelt. Steigen die Löhne, steigen auch die Renten. Sollten die Nettolöhne einmal fallen, würde auch die Rente sinken. Die Nettolohnentwicklung wird durch den Vergleich des durchschnittlichen Nettolohns des vorvergangenen Jahres mit dem des vergangenen Kalenderjahres ermittelt. Um den so ermittelten Steigerungssatz wird dann die Rente erhöht, und zwar durch Verordnung der Bundesregierung, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Diese Anpassung findet rückschauend, also ex post, einmal im Jahr zum 1. Juli statt.
Für die neuen Bundesländer galt bisher eine Sonderregelung, weil zum einen die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Rentenüberleitungsgesetzes vorliegenden Entgeltdaten aus der DDR-Zeit unbrauchbar waren; zum anderen hätte die Höhe der Rente aus der DDR-Zeit ein menschenwürdiges Leben nicht möglich gemacht.
Da sollte die stärkere Lohnentwicklung in den neuen Bundesländern möglichst schnell und zeitnah an die Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern weitergegeben werden, um eben die Ostrente möglichst schnell an die Westrente heranzuführen. In den neuen Bundesländern wird also das derzeitige Nettoeinkommen ex ante mit dem prognostizierten Nettoeinkommen der nächsten sechs Monate verglichen und die Rente zweimal im Jahr um diesen Rentenwert Ost angehoben.
Dieses Verfahren bei mehrfachen Anhebungen führte dazu, daß die Eckrente Ost heute bei 82 Prozent der westlichen Eckrente liegt. Die Durchschnittsrente der Männer stieg von 572 Mark der DDR auf 1 746 DM zum 1. Januar 1996; die Durchschnittsrente der Frauen ist von 432 DDR-Mark auf 1 076 DM gestiegen. Damit liegt die Durchschnittsrente der Frauen bei 135 Prozent der westlichen Durchschnittsrente, die der Männer bei 97 Prozent. Das ist eine wirklich eindrucksvolle Aufholjagd.
({0})
Die Sonderregelung hat damit ihren Zweck erfüllt. Eine Notwendigkeit für die Berechnung des aktuellen Rentenwertes Ost ex ante gibt es nicht mehr. Abgesehen von der Tatsache, daß die Rentenberechnung ex ante in den neuen Bundesländern ihren Zweck erfüllt hat, ist sie auch kaum mehr durchführbar. Die Regelungen des Jahressteuergesetzes 1996 lassen eine genaue Schätzung des voraussichtlichen Nettoentgeltes im voraus nicht mehr zu. Eine Gleichbehandlung der Rentner in Ost und West hinsichtlich der Wirkungen von Regelungen zum Familienlastenausgleich ist ohne Korrekturen nur beim Ex-post-Verfahren möglich. Schließlich erschwert die Existenz von etwa 1 600 Firmentarifverträgen eine verläßliche Prognose des Durchschnittsentgeltes. Bereits im Oktober 1995 haben sich deshalb die Rentenversicherungsträger für die Umstellung des Rentenberechnungsverfahrens ausgesprochen.
Nun weiß ich auch, daß die deutlich günstigere Ost-West-Relation bei den verfügbaren Versichertenrenten viel mit der im Osten anderen Erwerbsbiographie zu tun hat. Sie hat damit zu tun, daß mehr Frauen erwerbstätig waren und daß die Erwerbszeiten länger waren. Ich weiß auch, daß 85 Prozent der Versichertenrenten der Frauen und 37 Prozent der Versichertenrenten der Männer einen Auffüllbetrag beziehungsweise einen Rentenzuschlag enthalten. Würde aber auf die Entgeltpunktsummen der Renten in den neuen Bundesländern der aktuelle Rentenwert der alten Bundesländer angewandt, ergäbe sich derzeit ein Verhältnis von 118 Prozent bei den Männerrenten und 139 Prozent bei den Frauenrenten zugunsten der Rentner in den neuen Bundesländern.
({1})
Die Aufholjagd der Nettorenten bis zu diesem Ziel wird sich durch die Umstellung der Rentenberechnung nicht verlangsamen, wie auch ({2})
- Die Aufholjagd wird sich nicht verlangsamen. Das veränderte Berechnungsverfahren wird die Aufholjagd bis zur Angleichung der Renteneckwerte nicht unterbrechen, auch nicht kurzfristig.
Die CDU-Abgeordneten aus den neuen Bundesländern haben sich dafür eingesetzt, daß es bei dieser notwendigen Umstellung nicht zur Abkoppelung der Nettorentenentwicklung von der Nettoentgeltentwicklung kommt und daß es keine länger anhaltende Absenkung des Nettorentenniveaus fm Osten geben wird.
({3})
Deshalb wird es nach dem vorliegenden Gesetzentwurf eine Umstellung bereits zum 1. Juli 1996 unter Beachtung der Nettoentgeltentwicklung im Osten geben. Berücksichtigt wird dabei, daß es bereits zum 1. Januar in den neuen Bundesländern eine Rentenerhöhung um 4,38 Prozent gegeben hat, welche im Jahre 1996 dynamisch fortwirkt. Für die Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern wird es also zum 1. Juli eine weitere Rentenanpassung geben, die sich an der Nettolohnentwicklung des Jahres 1995 orientiert. Damit sind andere Vorstellungen, die es auch einmal gegeben hat, vom Tisch.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Dr. Barbara Höll?
Ja, bitte.
Herr Kollege, Sie haben zu Recht darauf verwiesen, daß ein sehr großer Prozentsatz insbesondere der Frauen in ihrem Rentenbestandteil Auffüllbeträge hat. Sie wissen auch, wenn Sie jetzt auf die Steigerung verweisen, daß das de facto heißt, daß sehr viele Bezieherinnen und Bezieher von Renten in den nächsten Jahren eine Nullsteigerung in der Tüte haben, da die Auffüllbeträge abgeschmolzen und gegengerechnet werden. Sie haben deswegen ab Januar zum Teil Beträge von nur 19, 20, 21 Pfennigen mehr erhalten, die Mehrzahl nicht einmal dies, sondern gar nichts. Daher steht das, was Sie jetzt sagten, daß nämlich eine Steigerung erfolge, nur auf dem Papier.
({0})
Stimmen Sie mir da zu?
Ich stimme Ihnen da nicht zu, Frau Kollegin. Mich wundert es ein wenig, mit welcher Dreistigkeit Sie sich zum Rentenrichter Ost aufspielen.
({0})
Können Sie mir ein postkommunistisches Land nennen, in dem es ein ähnliches Lebensniveau auch der Rentner wie in den neuen Bundesländern gibt?
({1})
Sie können mir keines nennen. Die Mitglieder Ihrer Gruppe sind auch nicht mit dem Ausschuß in die Slowakei und nach Tschechien gefahren, um sich die tatsächlichen sozialen Verhältnisse vor Ort einmal anzuschauen. Sie jetten lieber nach Haiti und bringen dort irgendeinen Botschafter zu Fall.
({2})
Der bisher erreichte beispiellose Ausgleich der Lebensverhältnisse gründet sich auf eine beispiellose Solidarität. Unter dem Dach der Rentenversicherung werden von den alten Bundesländern 16 Milliarden DM in die neuen Bundesländer transferiert, und das bei einer Gesamtsumme der Rentenausgaben Ost von 73 Milliarden DM.
Mein Vater hat mir auf den Lebensweg mitgegeben, Geschenke dankbar anzunehmen und das auch einmal zu sagen. Deshalb von dieser Stelle ein Dank an die westdeutschen Beitragszahler für ihre beispiellose Solidarität;
({3})
denn allein dadurch erreichen die Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern ein würdiges Lebensniveau.
Meine Damen und Herren, auch in Zukunft wird sich die Rente im Osten dynamisch weiterentwikkeln, sie wird schneller wachsen als in den alten Bundesländern, entsprechend dem schnelleren Lohnanstieg im Osten.
Die konkreten Steigerungssätze werden vom Statistischen Bundesamt vorgegeben. Gerade das macht den Wert einer unabhängigen Rentenversicherung aus. CDU/CSU und F.D.P. bleiben damit verläßliche Partner der Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern.
({4})
Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf zum Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz bekannt. Das sind die Drucksachen 13/2898, 13/3109, 13/3479 und 13/3725.
Abgegebene Stimmen: 601. Mit Ja haben 313 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 287. Es gab 1 Enthaltung. Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 599; davon
ja: 312
nein: 286
enthalten: 1
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({0}) Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Rudolf Braun ({1}) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({2}) Hartmut Büttner
({3})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({4}) Peter Harry Carstensen
({5})
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf Fink
Dirk Fischer ({6})
Leni Fischer ({7})
Klaus Francke ({8}) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Michael Glos
Wilma Glücklich Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther ({9}) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({10}) Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser ({11}) Hansgeorg Hauser
({12}) Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek
Michael Jung ({13}) Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein ({14}) Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler
({15})
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause ({16}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers ({17}) Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Walter Link ({18}) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold ({19})
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({20})
Julius Louven
Sigrun Löwisch
Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({21}) Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
({22}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer ({23}) Hans Michelbach Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Engelbert Nelle
Bernd Neumann ({24}) Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({25}) Dr. Gerhard Päselt Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Peter Harald Rauen Otto Regenspurger
Christa Reichard ({26}) Klaus Dieter Reichardt
({27})
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter
Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl ({28}) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Hannelore Rönsch
({29}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({30}) Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({31})
Andreas Schmidt ({32}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
({33}) Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
({34}) Gerhard Schulz ({35}) Frederick Schulze Diethard Schütze ({36}) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Horst Seehofer Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall
Dr. Horst Waffenschmidt Alois Graf von Waldburg-Zeil Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm ({37}) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({38})
Simon Wittmann
({39}) Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun
({40})
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher Joachim Günther ({41}) Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Detlef Kleinert ({42}) Dr. Heinrich L. Kolb
Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer ({43}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng ({44})
Dr. Guido Westerwelle
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Hermann Bachmaier Ernst Bahr
Doris Barnett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger
Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Lilo Blunck
Arne Börnsen ({45}) Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury
Hans Büttner ({46}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen
Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer ({47}) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({48}) Katrin Fuchs ({49}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Günter Graf ({50}) Angelika Graf ({51}) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({52}) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Frank Hofmann ({53}) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({54}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer
Dr. Hans-Hinrich Knaape Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl
Volker Kröning Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster
T.._-__. _1-__1Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({55}) Christa Lörcher
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({56}) Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({57}) Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({58}) Jutta Müller ({59}) Christian Müller ({60}) Volker Neumann ({61}) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Wilfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig
Dr. Hansjörg Schäfer
Dieter Schanz Rudoll Scharping Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer ({62})
Ulla Schmidt ({63}) Dagmar Schmidt ({64}) Wilhelm Schmidt ({65}) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({66})
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann
({67})
Brigitte Schulte ({68}) Reinhard Schultz
({69})
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({70}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Dr. Peter Struck Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt ({71}) Josef Vosen
Hans Georg Wagner Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({72}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({73}) Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
({74}) Marieluise Beck ({75}) Volker Beck ({76}) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Dr. Uschi Eid
Joseph Fischer ({77}) Rita Grießhaber
Antje Hermenau Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche Steffi Lemke
Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Winfried Nachtwei
Christa Nickels Gerd Poppe
Simone Probst
Dr. Jürgen Rochlitz
Halo Saibold
Albert Schmidt ({78}) Wolfgang Schmitt
({79})
Ursula Schönberger
Werner Schulz ({80}) Rainder Steenblock Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({81})
PDS
Wolfgang Bierstedt
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Ich erteile nun der Abgeordneten Ulrike Mascher das Wort.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Herr Präsident! Am 30. November des letzten Jahres, also vor gerade elf Wochen, haben wir das Erste Änderungsgesetz zur gesetzlichen Rentenversicherung beschlossen. Nach nur zehn Wochen haben wir nun das Zweite Änderungsgesetz vor uns liegen.
Wieder wird versucht, mit einem rasch gezimmerten Gesetz den Anstieg der Kosten in der gesetzlichen Rentenversicherung zu mindern, statt zu versuchen, nach Offenlegung aller Fakten zur Entwicklung der Rentenfinanzen eine sozial und finanziell verantwortliche Lösung gemeinsam zu finden.
({0})
In einem erneuten Anlauf wird versucht, eine Festschreibung „der abstrakten Betrachtungsweise bei der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für zwar leistungsgeminderte, aber noch vollschichtig einsatzfähige Versicherte" durchzusetzen. Schön abstrakt klingt das. Aber was sind das für Schicksale, die sich hinter den zwar leistungsgeminderten, aber noch vollschichtig einsatzfähigen Versicherten verbergen?
Das sind die jahrzehntelang mit schwerer körperlichen Arbeit auf dem Bau beschäftigten ungelernten Arbeiter. Das sind die Frauen, die viele Jahre als Putz- oder Küchenhilfe unter schlechten Arbeitsbedingungen hart gearbeitet haben. Zu ihrem Glück waren sie in einem sozial abgesicherten Arbeitsverhältnis, davon gibt es ja heute nicht mehr allzu viele. Das sind zum Beispiel Forstarbeiter, die harte, körperliche Arbeit in der Forstwirtschaft geleistet haben und jetzt mit Wirbelsäulenschäden sicher theoretisch
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Andrea Lederer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda
Manfred Müller ({1})
Rosei Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach
Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
Enthalten
CDU/CSU Manfred Kolbe
eine „leichte, sitzende Tätigkeit" ausüben können. Aber wo finden sie diese Arbeit beispielsweise im Bayerischen Wald?
Was ist mit Menschen, die wegen einer schweren Stoffwechselerkrankung oder nach einer umfangreichen Magen-Darm-Operation häufiger kleine Mahlzeiten zu sich nehmen und häufiger Pausen einlegen müssen? Welcher Arbeitgeber wird Menschen mit solchen sehr persönlichen, erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen beschäftigen?
Ich versuche den Gesetzentwurf hier anschaulich zu machen, damit wir nicht immer nur von statistischen Größen reden, sondern uns vorstellen, welche Schicksale hinter diesen Zahlen stecken.
({2})
Mit welchem Recht werden sie trotz jahrzehntelanger Beitragszahlungen von den Leistungen der Rentenversicherung ausgegrenzt? Mit welchem Recht werden sie auf die für ihre Lebenssituation unzureichende Arbeitslosenversicherung verwiesen, obwohl sie keinerlei Vermittlungschancen haben und in der Endstation Sozialhilfe landen? Dieser Prozeß wird dank der Reformen mit der eingebauten Kürzungsschere der Regierungskoalition immer rascher vollendet.
So sehr ich eine systematische Erhöhung des Rentenzugangsalters durch eine finanziell angemessene Altersteilzeit ohne Rentenminderung für sinnvoll halte, so wenig halte ich davon, Menschen, die keinerlei Chancen auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt haben, in die Sozialhilfe abzudrängen.
Wozu sollen sie denn noch Beiträge in eine solidarisch finanzierte Rentenversicherung einzahlen, wenn im Ernstfall die Leistung verweigert wird?
({3})
Darüber hinaus halte ich auch die Kostenrechnung für nicht überzeugend. Der Gesetzentwurf geht von 350 000 Personen aus, die von den Leistungen ausgegrenzt werden sollen, für die sich Mehraufwendungen von zirka 5 Milliarden DM ergeben könnten, sagt der Gesetzentwurf. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im Deutschen Anwaltverein, also Fachanwältinnen und Fachanwälte für Sozialrecht, geht von einer wesentlich geringeren Zahl von Betroffenen aus.
Die sozialdemokratischen Abgeordneten werden sich deshalb bei der anstehenden Anhörung gründlich mit diesem Teil des Änderungsgesetzes auseinandersetzen. Im November 1995 haben wir dieses Vorhaben bereits einmal abgelehnt.
Im Gegensatz zu den Änderungen beim Erwerbsunfähigkeitsrentenrecht trifft das zweite Änderungsvorhaben eine ganz große Zahl von Rentnerinnen und Rentnern, laut Rentenversicherungsbericht über 3 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland.
Zum 1. Juli soll eine Veränderung der Rentenanpassung in den neuen Bundesländern durchgesetzt werden. Wie im Westen sollen künftig auch im Osten die Renten nur noch einmal im Jahr, jeweils zum 1. Juli, entsprechend der Nettolohnentwicklung des vergangenen Jahres angepaßt werden. Der Kollege Grund hat das hier schon ausführlich dargestellt.
Die Begründung im Gesetzentwurf der CDU/CSU-und F.D.P.-Abgeordneten klingt allerdings kurios. Ich zitiere:
Bei Beibehaltung des jetzigen Anpassungsverfahrens in den neuen Bundesländern wäre es daher unumgänglich, bei jeder zukünftigen Rentenanpassung nach dem alten Verfahren eine Korrektur der Nettoentgelte nach der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung vorzunehmen. Um einen derartigen ständigen Korrekturbedarf in den neuen Bundesländern abzuwenden, ist die Umstellung auf ein Rentenanpassungsverfahren, welches wie in den alten Bundesländern auf die Nettoentgeltentwicklung des Vorjahres abstellt, im Interesse
- jetzt passen Sie auf! einer höheren Rechtssicherheit für die Rentner notwendig.
Das kann doch nicht die Begründung sein.
({4})
Ich fürchte, die „höhere Rechtssicherheit" wird die Rentnerinnen und Rentner nicht von der Notwendigkeit des neuen Anpassungsverfahrens überzeugen, auch wenn der nächste Absatz der Begründung die bittere Pille versüßen soll. Hier heißt es nämlich:
Mit der Umstellung des Rentenanpassungsverfahrens in den neuen Bundesländern auf dasjenige in den alten Bundesländern zum 1. Juli 1996 wird die Rentenangleichung dynamisch fortgesetzt . . .
Sicher, die Höhe der durchschnittlich verfügbaren Versichertenrenten in den neuen Bundesländern ist beachtlich. Das bestreitet niemand. Auch meine Kollegen aus Ostdeutschland berichten immer davon, daß die Situation der Rentnerinnen und Rentner, gemessen an der Ausgangslage, sich sehr positiv entwickelt hat. Besonders bei den Frauen wirkt sich die höhere Zahl der Jahre mit Erwerbstätigkeit sehr günstig aus.
Trotzdem wird es für viele Rentnerinnen und Rentner der Bruch eines Versprechens der Bundesregierung - ich sehe sie nur noch in Rudimenten -, ihres Kanzlers und des Arbeitsministers sein.
({5})
Spannend ist vor allen Dingen der Vergleich der jetzt vorliegenden mit der in der letzten Woche abgesetzten Vorlage. Keine Angaben mehr zur Kostensituation! Vor einer Woche war noch von Einsparungen von 700 Millionen DM im Jahre 1996, von 400 Millionen DM im Jahre 1997 die Rede; 1998 sollte es dann eine Mehrbelastung von 100 Millionen DM sein, und 1999 sollten wieder 400 Millionen DM eingespart werden. Vor einer Woche schien also noch alles berechenbar.
Jetzt heißt es in der Vorlage - ich zitiere -:
Die sich auf Grund der im Artikel 1 erfolgten Neufassung des § 255 a SGB VI ergebenden Veränderungen bei den Rentenausgaben sind derzeit noch nicht mit ausreichender Genauigkeit abschätzbar, da die hierfür erforderlichen Daten noch nicht vorliegen.
Vor einer Woche gab es noch Zahlen über die voraussichtlichen Auswirkungen der Umstellung des Rentenanpassungsverfahrens; jetzt findet sich darüber nichts mehr.
({6})
Waren die ursprünglich vorgelegten Zahlen falsch? Waren sie unseriös? Waren sie getürkt?
({7})
Ich vermute: Sie sollen ganz einfach nicht mehr Gegenstand der öffentlichen parlamentarischen Verhandlung sein.
({8})
Nach der Rentendebatte der letzten Woche sollte mit dem Versteckspiel eigentlich Schluß sein, Herr Arbeitsminister.
({9})
Was bedeutet der neue, in den § 255a eingefügte Abs. 3? Ich zitiere:
Für die Veränderung des aktuellen Rentenwerts ({10}) zum 1. Juli 1996 wird der am 31. Dezember 1995 maßgebende aktuelle Rentenwert ({11}) zugrunde gelegt.
Wahrscheinlich verstehen das alle, die hier sitzen, beim erstenmal. Ich habe versucht, eine Begründung dafür zu finden, weil ich meine, es ist nicht ganz so leicht verständlich. Dazu findet sich kein einziger Satz.
Wenn ich das Rentenchinesisch richtig verstehe, heißt das, daß alle Erwartungen, die erfolgte Erhöhung zum 1. Januar 1996 würde bei der Rentenanpassung zum 1. Juli 1996 nicht angerechnet, enttäuscht werden. Es gibt nur eine Anpassung streng nach dem Muster des Rentenreformgesetzes 1992. Maßstab ist die Nettolohnentwicklung Ost.
Durch die Stichtagsregelung zum 31. Dezember 1995 - wie im Gesetz - und nicht zum 1. Januar 1996 ist die Basis für die Erhöhung die Rente 1995 und nicht die am 1. Januar 1996 angepaßte erhöhte Rente. Damit erfolgt eine volle Anrechnung der bereits erfolgten Anpassung.
({12})
Ich fürchte, trotz meines Versuches, das Fachchinesisch zu übersetzen, ist der Gesetzestext nicht leicht zu verstehen. Es wäre redlich gewesen, wenn die CDU/CSU- und die F.D.P.-Abgeordneten in der Begründung des Gesetzes eine verständliche Erläuterung gegeben hätten und nicht nur kurz durch Herrn Grund heute festgestellt hätten, daß das vom Tisch ist.
Wir werden das Gesetz im Ausschuß sorgfältig beraten und versuchen, uns in der Anhörung sachkundig zu machen; denn die Begründung gibt vom Text leider zuwenig her.
Der von den Mitgliedern der Koalitionsfraktionen beschlossene Zeitplan von heute morgen - montags Anhörung, mittwochs Abschluß - macht eine solche sorgfältige Beratung allerdings fast unmöglich. Ich finde es bedauerlich und schwer erträglich, wenn eine Vorlage so unzureichend ist. Wegen der Betroffenen und wegen der Auswirkungen des Gesetzes hätte ich mir gewünscht, daß die Kollegen und Kolleginnen der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion sich selbst mehr Zeit zur Beratung genommen hätten.
({13})
Herr Arbeitsminister, ich fürchte, mit Gesetzesvorhaben, die im Hauruckverfahren durchgepeitscht werden, ist das Vertrauen in die Rentenversicherung - für das Sie werben, für das ich werbe, für das auch die SPD-Bundestagsfraktion wirbt - nicht so leicht wiederherzustellen.
Danke.
({14})
Die Abgeordnete Andrea Fischer gibt ihre Rede zu Protokoll.*) - Ich gehe davon aus, daß dazu Einverständnis besteht.
Ich erteile das Wort dem Kollege Uwe Lühr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Notwendigkeit der Angleichung der jährlichen Anpassungsmodalitäten für die Renten in West- und Ostdeutschland ist, so meine ich, vom Kollegen Grund im ersten Redebeitrag hinreichend erläutert worden.
Wenn ich Frau Mascher richtig verstanden habe - wenn nicht, soll sie mich gleich korrigieren -, sehe ich auch nicht, daß der Änderung des Anpassungsverfahrens vom Grundsatz her widersprochen wird, sondern von der Art und Weise der Begründung her. Hier bin ich der Meinung, daß im Verfahren sicherlich noch Änderungen im Gesetzentwurf möglich sind.
({0})
- In der Begründung sicherlich.
Der zunächst vorgesehene Zwischenschritt, der weder der derzeit angewendeten noch der künftig anzuwendenden Methode entspricht, ist nicht mehr Gegenstand des behandelten Gesetzentwurfs.
Die Rentenversicherungen hatten sich auf Grund der durch das Jahressteuergesetz ausgelösten Schätzunsicherheiten der Ex- ante -Anpassung , also der vorausschauenden Schätzung, schon im Oktober letzten Jahres für die Umstellung des Rentenanpassungsverfahrens ausgesprochen.
*) Anlage 2
Eine Anpassung nach dem Ex-ante-Verfahren hätte nach Auskunft der Fachleute darüber hinaus zu einem dauerhaft überhöhten Rentenniveau in den neuen Ländern geführt, aber - das füge ich hinzu - wohl nicht in den nächsten Jahren.
Die jetzt beabsichtigte Anpassung begrenzt die Belastung der Rentenversicherung, die sich sonst Mehraufwendungen von zirka 5 Milliarden DM gegenübersehen könnte. Gerade in einer Zeit, in der viele Rentner schmerzlich feststellen müssen, daß mit den Erhöhungen nur ihre Rentenauffüllbeträge abgeschmolzen werden, ist die Hoffnung auf möglichst schnelles Abschmelzen durch hohe Steigerungsraten jetzt natürlich enttäuscht.
Wer diese Maßnahmen nun als „Rentenkürzungen" attackiert, hat entweder den Überblick verloren oder will wider besseres Wissen Verunsicherung verbreiten.
Wir haben gestern gemeinsam die schlimmen Zahlen der Arbeitslosenstatistik zur Kenntnis nehmen müssen. Der Beschäftigungseinbruch ist nicht vergleichbar mit dem zu Beginn der 80er Jahre, als der Arbeitsmarkt noch nicht zusätzlich unter dem Wettbewerbsdruck der Billiglohnländer vor unserer Haustür stand.
Natürlich können und wollen wir die Kosten deutscher Arbeitsplätze nicht auf konkurrenzfähige Größenordnungen reduzieren. Aber ohne wettbewerbsfähige Produktivität sind Arbeitsplätze nicht zu halten und erst recht nicht neue zu schaffen.
({1})
Wer angesichts dieser Entwicklung nicht Sorge trägt, daß es im Zusammenhang mit anderen Maßnahmen zur Dämpfung des Beitragssatzanstieges und damit einer geringeren Belastung der Arbeitsplätze mit Lohnzusatzkosten kommt, entzieht sich seiner Verantwortung für die Stabilität der Renten.
Diese Rentenanpassung, die hinter den Hoffnungen zurückbleibt, kann man nicht wie vorangegangene beifallheischend verkünden. Wir können nur um Verständnis für behutsame Maßnahmen und für deren Unterstützung werben, die im Interesse der sozialen Absicherung getroffen werden müssen. Wenn auch der konkrete Steigerungssatz für den Juli dieses Jahres noch nicht exakt benannt werden kann, so ist doch mit einer höheren Rate zu rechnen als die 1,1 Prozent, die ursprünglich vorgesehen waren.
Die F.D.P. stimmt dem Überweisungsvorschlag zu. Danke.
({2})
Nun erteile ich der Abgeordneten Petra Bläss das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Hauptgegenstand dieses Gesetzes, die Änderung der Rentenanpassung Ost, beherrscht bereits seit Tagen die Medien. Die Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern sind zutiefst verunsichert. Das ist nicht verwunderlich.
Bei der Gesetzgebung war Konsens - Ihre Broschüren, Herr Blüm, versprachen das bis 1994 -, daß „die Rentenanpassung Ost stärker und häufiger erfolgt, bis gleiche Einkommensverhältnisse in Ost und West erreicht" sind. Wenn Sie jetzt den Modus ändern wollen, obwohl die Einkommensangleichung erst zu vier Fünfteln erreicht ist, werten das die älteren Menschen in den neuen Bundesländern ganz logisch als Wortbruch.
({0})
Angeheizt haben Sie die Stimmung dadurch, daß für den 1. Juli 1996 de facto eine Nullrunde eingebaut werden sollte. Nun glätten sich die Wogen ein bißchen, weil klar wird, daß das Gesetz darauf abstellt, daß beim sogenannten Westmodus die Einkommenswerte Ost verwendet werden sollen. Es geht also im wesentlichen darum, die Steigerungswerte nicht mehr im voraus zu bestimmen, sondern im nachhinein zu berechnen.
Sie begründen die jetzt erforderliche Umstellung damit, daß gegen das Schätzrisiko eine höhere Rechtssicherheit geschaffen werden soll. Da stellt sich doch die Frage: Wie oft haben Sie sich schon verschätzt, Herr Minister Blüm? Wann und wie wurde das korrigiert? Darüber haben Sie bisher den Mantel des Schweigens gehüllt.
Mißtrauisch macht, weshalb das Gesetz jetzt so übereilig beschlossen werden soll: am 26. Februar Anhörung, am 28. Februar Einführung, Beratung und Abschluß im Ausschuß und bereits am 29. Februar Verabschiedung im Plenum - und das, obwohl bekanntlich im März die statistischen Daten des Vorjahres kommen, wonach einige Wirkungen der vorgeschlagenen Regelungen konkreter beurteilt werden könnten. Haben Sie Angst, daß dann das Versprechen von 2 bis 3 Prozent für den 1. Juli 1996, das Sie wohl den CDUlerinnen und CDUlern aus dem Osten gegeben haben, schon wieder dahin ist?
Konsequenterweise haben Sie sich im Gesetzentwurf auch für diesen Zeitpunkt eine fiktive Jahresregelung einfallen lassen. Aber 4,38 Prozent sind halt schon „im Kasten"; da wird nicht viel für das zweite Halbjahr bleiben.
Wir stimmen übrigens zu, daß die Rentenanpassung einer sicheren Methode bedarf. Diese darf aber nicht verhindern, daß die Rentenanpassung der tatsächlichen Einkommensentwicklung folgt, denn das Tempo der Angleichung des Rentenniveaus im Osten an das des Westens darf nicht noch weiter verlangsamt werden.
Um Klarheit zu erhalten, haben wir gestern der Bundesregierung einige Fragen gestellt, und wir hoffen, die Antworten termingerecht vor den weiteren Verhandlungen zu erhalten.
In den zweiten Teil des Gesetzentwurfes hat die Koalition wieder die Problematik der sogenannten Arbeitsmarktrente gepackt. Sie wurde - Kollegin Mascher hat bereits darauf verwiesen - auf IntervenPetra Bläss
tion aller Oppositionsparteien erst vor wenigen Wochen aus dem Ersten SGB-VI-Änderungsgesetz in die generelle Neuordnung der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten verwiesen. Nun liegt diese Änderung schon wieder vor. Eigentlich ist dieses Vorgehen ein beredter Beweis dafür, wie notwendig das von uns vorgeschlagene Rentenmoratorium ist. Der Antrag dazu liegt Ihnen für die heutige Beratung vor.
Lassen Sie uns doch für 1996 ein Unterlassen jeglicher Schnellschüsse im Zusammenhang mit dem SGB VI vereinbaren, um Zeit für grundlegende Lösungen zu gewinnen. Das sind wir unseres Erachtens den Bürgerinnen und Bürgern in Ost und West, den Älteren und den Jüngeren schuldig.
Ich danke.
({1})
Ich erteile nun dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Dr. Norbert Blüm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da wird Mißtrauen gestreut, Mißtrauen gestreut, Mißtrauen gestreut, und anschließend beklagt man sich, daß die Rentner verunsichert sind.
({0})
- Doch! Sie stecken das Feuer an und wundern sich, daß das Haus brennt.
Die ganze Debatte der letzten 14 Tage war doch eine systematische Rentnerverunsicherung. Jetzt bei der Überleitung geht es um Verläßlichkeit; es geht um nichts anderes als um den wichtigsten Bestandteil der Rentenversicherung, nämlich Verläßlichkeit. Deshalb muß die Lohnbezogenheit in Ost und West gewahrt werden.
Wir haben die Renten in den neuen Bundesländern - der Kollege Grund hat es schon richtig angesprochen - an die aktuelle Lohnentwicklung angekoppelt. Erstens ging es gar nicht anders; wir hätten sonst auf ein DDR-Lohnniveau zurückgreifen müssen. Zweitens wollten wir keine Zeit verlieren, und wir wollten - danach richtet sich die Rentenanpassung in Westdeutschland -, daß man den Löhnen des Vorjahres folgt. Daß wir in den neuen Bundesländern die Rente zweimal jährlich angepaßt haben, war keine doppelte Rentenanpassung, sondern es war die Verteilung der jährlichen Rentenanpassung auf zwei Termine. Wenn man sie jetzt zusammenfaßt, wird die Rentenanpassung dadurch nicht geringer.
Nun, meine Damen und Herren, was ist das Wichtigste? Wir können die Löhne im Osten nicht mehr schätzen; wir können es wirklich nicht mehr. Erstens werden die Löhne differenzierter, und zweitens - auch das ist schon gesagt worden - wird die Steuergesetzgebung übernommen. Deren Nettowirkung auf Grund des Jahressteuergesetzes zu schätzen ist nicht möglich. Wer es verläßlich haben will, der muß auf das Verfahren umsteigen, daß auch die Ostrenten den Löhnen des Vorjahres folgen.
Frau Bläss, um Sie zu beruhigen: Wenn wir uns verschätzt hatten, dann wurde das nachträglich korrigiert. Was Schätzungen anbelangt, erwecken Sie hier nicht den Eindruck, als gäbe es dafür im Arbeitsministerium eine Dunkelkammer, und wir würden in dieser Kammer so über den Daumen schätzen.
({1})
Wir berufen uns vielmehr auf Daten des Statistischen Bundesamtes, auf wissenschaftliche Gutachten und auf die amtlichen Daten der Bundesregierung. Nur: Wenn wir den Löhnen des Vorjahres folgen, dann brauchen wir keine Schätzungen, dann nehmen wir das, was sich ergeben hat, und das ist ein Stück Rentensicherheit.
({2})
Niemand hatte vor - damit hier keine Legenden entstehen -, die Ostrenten von den Löhnen abzukoppeln. Es bleibt auch dabei: Solange das Lohnniveau noch so unterschiedlich ist, solange bleibt es auch bei der Ankopplung der Ostrenten an die Ostlöhne. Natürlich entwickelt sich das System. Das sage ich, damit niemand irgendwann überrascht ist. Wenn die Lohngleichheit geschaffen ist, dann haben wir auch den gleichen Lohnbezug und brauchen keine getrennten Sätze mehr. Vorerst ist aber wegen höherer Lohnsteigerungen die Rentenerhöhung im Osten immer noch größer.
Welche Rentenerhöhung im Juli im Osten auch immer zustande kommt: Auch wenn sie noch so gering ist, wird sie mit Sicherheit höher sein als die Angleichung im Westen; denn die Rentner im Osten haben zum 1. Januar schon eine Rentenerhöhung um 4,38 Prozent gehabt.
({3})
- Wie versprochen. Ich sage das ohne Vorwurf und ohne Unterstellung, nur, damit es festgehalten wird. Ich versuche, mit Fakten ein Stück durch die große Verunsicherungskampagne verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Frau Mascher, was die Erwerbs- und Berufsunfähigkeit betrifft: Das, was Sie mit eindrucksvollen Worten hier geschildert haben, bleibt ein Arbeitslosenrisiko. Wenn es so ist, wie Sie es geschildert haben, nämlich daß der Mann oder die Frau keinen Arbeitsplatz bekommt, der seinem bzw. ihrem gesundheitlichen Zustand entspricht, dann ist das ein Arbeitslosenrisiko. Wenn es das nicht wäre, würde die ganze Rentenversicherung plötzlich eine Ersatzarbeitslosenversicherung. Das Ganze ist ja nur dadurch entstanden, daß die Rechtsprechung von dem ursprünglichen Sinn der Erwerbs- und Berufsunfähigkeit abgewichen ist. Wir kommen nur zu einer alten Regelung in bezug auf die Erwerbsunfähigkeit zurück und schützen so die Rentenversicherung davor, daß sie ausblutet.
Wissen Sie, es hat doch keinen Sinn, daß die Rentenkassen angezapft werden und wir uns anschlie7718
Bend über zu hohe Beiträge beschweren. Auch das geht nicht. Im Interesse der Rentensicherheit stopfen wir deshalb an mehreren Stellen die Rentenlöcher. Ich werbe nach wie vor dafür, den Pulverdampf wegzulassen.
({4})
- Habe ich von Diebstahl gesprochen? War das die SPD oder ich? Habe ich von Betrug gesprochen? Habe ich von Rentenkürzung gesprochen? Keines dieser drei Worte habe ich benutzt. Das hat die SPD gemacht.
({5})
Das wird nicht vergessen. So schnell kommen Sie aus dieser Schande nicht heraus. Diese Verunsicherungskampagne war eine Schande für die große sozialdemokratische Partei. Regen Sie mich an dieser Stelle nicht auf!
({6})
Das können Sie erst wiedergutmachen, wenn Sie zu guten alten Traditionen zurückkehren.
({7})
Ich plädiere dafür: Sie von der PDS sollten einen Vergleich mit dem Rentensystem der DDR anstellen. Wenn Sie dem neuen System Willkür vorwerfen, dann frage ich mich: Wie nennen Sie das Rentensystem der DDR? - Das war von Honeckers Gnaden. Schon daß die Durchschnittsrente im Osten die Rente West überholt hat, ist ein großer Erfolg. Daß man mit der D-Mark mehr kaufen kann als mit der alten Mark der DDR, trotz Mietsteigerung, ist Realität.
({8})
- Sie können schreien, soviel Sie wollen. Das Urteil überlassen wir den Rentnern. Ich wiederhole: Die Rentner sind die ersten Gewinner der deutschen Einheit und haben das auch verdient. Diese Generation hat es verdient, daß sie von der deutschen Einheit am schnellsten profitiert.
({9})
Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 13/3697 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Antrag der PDS auf Drucksache 13/3737 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe als letzten Punkt unserer Tagesordnung den Zusatzpunkt 12 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung
({0}) - Drucksache 13/3698 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({1}) Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Damit ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Abgeordneten Werner Lensing das Wort.
Herr Präsident! Liebe, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich bei der Thematik des heutigen Morgens, Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung, direkt auf den Punkt kommen.
({0})
Was die Opposition während der vergangenen Wochen und Monate - ich glaube, Herr Dr. Glotz, Sie bleiben bei der Einschätzung, die Sie gerade lobenderweise abgegeben haben - zu der von der Koalition gewünschten Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung eingebracht hat,
({1})
war ein einziger Aufstand der Irrationalität. Deswegen sage ich sogleich: Selbst wenn viele Menschen den falschen Weg gehen, bleibt er falsch und wird auch nicht durch noch so ausführliche Diskussionen richtiger.
({2})
Vorurteile - nicht nur in bestimmten Landstrichen - waren schon immer die Hühneraugen des Geistes. Von daher kann Polemik nie Ersatz sein für mitverantwortliches, kooperatives, an den Menschen und an der Sache orientiertes Denken.
({3})
Der hier gerade vorgeführte taktische Eiertanz der Oppositionsparteien bestätigt eine uralte Erfahrung.
({4})
- Das hat mit Polemik gar nichts zu tun: Der Wahrheit eine Gasse. Das ist ganz eindeutig.
Diese Erfahrung lautet: Die Opposition weiß stets - das könnte man wunderbar beweisen -, was sie nicht
will, bevor sie sich darüber im klaren ist, worauf sie überhaupt abzielt, und dies in einer Zeit, in der wir dringender denn je eine gemeinsame große Offensive aller für berufliche Aus-, Fort- und Weiterbildung Verantwortlichen benötigen, um die Chancen der so wichtigen beruflichen Bildung weiter in das Bewußtsein zu rücken und eine zeitgemäße Weiterentwicklung voranzutreiben. Nicht von ungefähr - ich denke, jetzt werden Sie begeistert sein, weil ich das zitiere - bezeichnete Karl-Heinz Reck ({5}), Kultusminister aus Sachsen-Anhalt, noch im Januar anläßlich seiner Amtsübernahme als Präsident der Kultusministerkonferenz die Aufwertung gerade der beruflichen Bildung als das Thema des Jahres.
({6})
- Natürlich hat er recht, sonst würde ich ihn hier ja nicht zitieren. Wir haben ihn aber nachher auf unserer Seite; das werden Sie noch merken. Sie wundern sich, daß ich ihn zitiert habe, und sind nun gar nicht mehr so glücklich. Im Kontext zu Herrn Reck frage ich Sie: Was leistet denn die Opposition?
Im Rahmen der Beratungen zum geplanten AFBG trägt die Opposition den Streit um die Finanzierung und Abwicklung allein der Verwaltungsmaßnahmen ausgerechnet auf dem Rücken derer aus, die sie zu fördern vorgibt.
({7})
Sie trifft damit die Handwerker, die Techniker und unsere zukünftigen, so dringend benötigten mittleren Führungskräfte. Dadurch nehmen Sie, meine Damen und Herren aus den Oppositionsfraktionen, vielen, die sich selbständig machen möchten, die Chance, in neu gegründeten Unternehmungen Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen. Das empfinde ich als eine unverantwortliche Groteske.
({8})
Auf die CDU, auf die CSU und auf die F.D.P. können sich unsere zukünftigen Meister eindeutig verlassen.
({9})
Es ist doch unglaublich einfach - wie jetzt durch Ihre munteren Zwischenrufe auch wieder deutlich wird -, sich verbal zur Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Ausbildung zu bekennen, praktisch aber nicht bereit zu sein, die zur Realisierung dieses Ziels notwendigen und konkreten Taten folgen zu lassen.
({10})
Meine Damen und Herren, da stimmt doch etwas nicht. Wir wissen alle, und ich wiederhole es: Auf uns ist in dieser Frage Verlaß. Das beweist auch die heutige Diskussion. Das beweist der Gesetzentwurf, den wir seitens der Koalitionsfraktionen bereits fünf Tage nach dem Vorliegen des Ergebnisses des Vermittlungsausschusses eingebracht haben - nach fünf Tagen, mit hoher Qualität. Das ist fürwahr auch eine Meisterleistung - eine Meisterleistung just unserer Fraktion.
({11})
Wir wissen sehr wohl - ich habe die Sorge, daß Sie das vergessen haben -, daß weitere 500 000 Stellen für Techniker und Fachkräfte infolge des Generationswechsels neu zu besetzen sind.
Wir waren im Interesse der Sache zu großem Entgegenkommen bereit. Wir waren bereit, den Länderanteil auf 25 Prozent zu senken. Wir waren bereit, nicht nur Kurse mit 500 Stunden und mehr anzubieten. Wir waren bereit, die Regelungen über die notwendige Kinderbetreuung durch Gewährung eines familienfördernden Zuschusses deutlich zu verbessern.
Was also bleibt, ist - weil es politisch so gewollt ist - ein einziger Streitpunkt. Dieser wiederum ist primär formaler Natur. Es geht für Sie um die Frage - das beinhaltet für Sie die ganze Aufstiegsfortbildungsförderung -: Abwicklung beim Arbeitsamt oder bei einer anderen Behörde? Wegen dieses Streites gefährdet die Opposition eindeutig das AFBG.
({12})
Während ich noch im Zuge der Beratungen in unserem Ausschuß - ich bin ja hier ganz ehrlich, wie sich das für einen Vertreter der CDU/CSU gehört ({13})
der ebenso leichtfertigen wie gutgläubigen, fatalen und damit irrigen Ansicht war, SPD und Bündnis 90/ Die Grünen wünschten tatsächlich die Förderung des AFBG, so muß ich heute zur Kenntnis nehmen: Sie wollen diese Maßnahme letztlich verhindern, weil Sie unserem zuständigen Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers und den Bonner Koalitionsfraktionen die Idee des sogenannten Meister-BAföG neiden.
({14})
- Diese Aussage scheint ja ins volle getroffen zu haben. Vermutlich neiden Sie uns das nur, weil dieses Modell bei Ihrem oppositionellen Brainstorming erst gar nicht vorkam.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Odendahl?
Ja, schön, das freut mich; sonst würde mir etwas fehlen.
Herr Kollege Lensing, bevor wir hier zu einer Neidhammeldiskussion kornmen, möchte ich die Frage an Sie richten: Waren Sie persönlich zugegen und haben Sie mitgestimmt, als
die Koalitionsfraktionen die Herausnahme der Meisterförderung aus dem AFG beschlossen haben?
Ich will es mir nicht zu einfach machen, aber aus rein technischen Gründen konnte ich nicht dabei sein, weil ich seinerzeit diesem Hohen Hause noch nicht angehörte.
Ich halte den Beschluß aber für richtig. Denn es handelte sich ja nicht um eine Bildungsmaßnahme, wie wir sie jetzt wollen, sondern es handelte sich um eine Maßnahme im Rahmen der Hilfe bei Arbeitslosigkeit und dergleichen mehr.
({0})
Je höher die abzuführenden Beiträge wurden, desto weniger konnten wir tun. Die Förderung war lediglich eine Kann-Bestimmung; jetzt gibt es einen Anspruch.
Ich möchte auf einen Punkt kommen, meine Damen und Herren, über den ich sehr überrascht bin. Ich weiß gar nicht, was Sie sich hier eigentlich unter Opposition vorstellen. Sie muten doch als Oppositionspartei durch Ihr Verhalten einem Mitglied der Bundesregierung zu, einem Gesetzesbeschluß dem Herrn Bundespräsidenten zuzuleiten, der wiederum mit Rücksicht auf die einschlägigen Bestimmungen des Grundgesetzes seine Unterschrift verweigern müßte.
({1})
Wir dürfen doch nicht seitens der Opposition die Bestimmungen unseres obersten Souveräns, eben des Grundgesetzes, unter dem Einfluß parteipolitischer Überlegungen zu interpretieren versuchen.
Da Sie nicht zulassen wollen, daß die CDU/CSU und die F.D.P. in diesem so wichtigen Bildungsbereich verdiente Erfolge erzielen, stellen Sie im Vorfeld immer weitere Ansprüche an die vom Staat zu erbringenden Leistungen - siehe ursprünglicher Gesetzentwurf des Landes Niedersachsen - und beharren gleichzeitig ohne Unterlaß auf der Arbeitsamtslösung, sehr wohl wissend, daß dann der Bund alles zu bezahlen hat und die Länderkassen verschont bleiben. Das ist doch in Wirklichkeit die wahre Motivation. War das der eigentliche Hintergedanke bei Ihnen in der Opposition? Wenn dem so wäre, dann wäre das Populismus pur.
Vielmehr geht es um eine andere Frage. Es geht nicht allein um die Durchführung eines Leistungsgesetzes, des ersten großen in dieser Legislaturperiode, sondern gleichzeitig um das Selbstverständnis des bei uns in all den Jahren bewährten Föderalismus.
({2})
Ich kann doch nicht zulassen, daß die einzelnen Länder - zu Recht, sage ich zunächst einmal - auf ihrer Länderhoheit beharren, sich gleichzeitig aber weigern, der Ausgabenverantwortung auch die Aufgabenverantwortung folgen zu lassen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Das finde ich aber sehr bedauerlich, denn ich hätte noch eine so schöne Kernaussage gemacht.
({0})
Aber ich sage Ihnen: Sie merken es, Sie spüren es, Sie freuen sich - das merke ich an Ihren Reaktionen -: Die Koalition ist mal wieder unschlagbar. Wir sind auf dem richtigen Weg, wir sind zur Stelle. Draußen wartet man auf diese Gaben, die wir mit diesem AFBG zu vermitteln versuchen.
({1})
Ich danke Ihnen.
({2})
Herr Kollege Thönnes, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute den 9. Februar 1996 und nicht Rosenmontag, Herr Lensing.
({0})
So war aber die Qualität Ihrer Rede. Sie hätten sie vielleicht ein paar Tage später halten sollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich müßte Freude darüber aufkommen, wie häufig wir in der letzten Zeit über die Aufstiegsfortbildung hier im Hause debattiert haben. Das zeigt deutlich, daß wir alle gemeinsam ein sehr großes Interesse an der Herstellung der Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung haben. Freuen kann man sich aber nicht über den Hintergrund der Häufigkeit. Wir könnten schon längst mit dem Gesetz fertig sein und damit den Interessen von Handwerk, Mittelstand und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gerecht werden.
({1})
Gestern wäre die Möglichkeit dazu gewesen. Leider haben Sie mit Ihrer Mehrheit die Umsetzung in diesem Hause blockiert.
({2})
Es ist unverantwortlich, in welcher Art und Weise der Zukunftsminister und die Koalition hier eine zügige Umsetzung blockieren.
({3})
Die SPD und die Oppositionsparteien haben seit Beginn der Beratungen zur Aufstiegsfortbildung
({4})
ihre Bereitschaft eindeutig erklärt, das schnell und zügig im Parlament zu behandeln.
({5})
Wir haben dies auch unter Beweis gestellt: Nachdem Sie im März vorigen Jahres die Vorlage in das Parlament eingebracht haben, ist erst im September der Gesetzentwurf vorgelegt worden. Zwei Monate später hatten wir die Anhörung. Am darauffolgenden Tag hat der Ausschuß abschließend beraten, und am darauffolgenden Tag hat der Bundestag das Gesetz verabschiedet.
({6})
Kompromisse sind im Beratungsverfahren auf unser Drängen gerade bei der Reduzierung der Stundenzahl und auch bei dem Zuschuß für die Betreuung von Kindern erreicht worden. Für die Reduzierung der Stundenzahl wurde der Teilnehmerkreis letzten Endes erweitert. Das kommt vielen Berufen im Bereich des Mittelstands zugute.
({7})
Ich denke, daß auch im Bereich der Kinderbetreuung ganz besonders die Alleinerziehenden und die Frauen hervorragend berücksichtigt werden.
Herr Kollege Lensing würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ich würde gerne den Gedanken zu Ende bringen.
({0})
Ich denke, daß sich dieser Erfolg sehen lassen kann. Dies war ein Erfolg. Herzlichen Glückwunsch! Rita Süssmuth, Ulla Schmidt und all die anderen Frauen, die versuchen, uns hinsichtlich der Gesetzgebungsverfahren immer richtig zu beraten, sehen, daß es sich lohnt, hier dementsprechend auf die Männer in diesem Hause einzuwirken.
Dann aber wird es betrüblich: Obwohl die Länder, die ehemals die Bedingung einer 35prozentigen Mitfinanzierung prinzipiell abgelehnt hatten, nun ihre Bereitschaft erklärt haben, eine 30prozentige Mitfinanzierung zu tragen, damit also Kompromißbereit-schaft gezeigt haben, weigert sich der Zukunftsminister entgegen allem Sachverstand in Wirtschaft und Mittelstand, das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens zu akzeptieren, und die Koalition läuft ihm hinterher.
({1})
Herr Kollege Lensing, Sie haben den Wunsch geäußert, eine Zwischenfrage zu stellen. Bitte!
Herr Kollege Thönnes, Sie sagten gerade, Sie wollten in Ihrem Gedankengang nicht unterbrochen werden. Können wir uns zunächst einmal darauf verständigen, daß eine Aneinanderreihung von Wörtern nicht automatisch einen Gedanken ergibt?
({0})
Meine Frage ist aber eine andere: Können Sie erläutern, warum Ihre Fraktion weiterhin an der Arbeitsamtslösung festhält,
({1})
obwohl eindeutig feststeht, daß dies in Kombination mit der unverzichtbaren Finanzbeteiligung der Länder verfassungsrechtlich nicht zulässig ist?
Herr Präsident, jetzt muß ich Sie um einen technischen Rat fragen. In meiner Rede gehe ich gleich auf diese Frage ein. Wird mir dann der Teil, den ich als Antwort kennzeichne, von der Redezeit abgezogen?
({0})
Herr Kollege, die Uhr wird in dem Moment angehalten, in dem Sie die Frage zulassen, und in dem Moment wieder in Gang gesetzt, in dem Ihre Antwort beendet ist.
Danke schön.
Damit Herr Lensing nicht so lange stehenbleiben muß, mache ich das gleiche wie bei Herrn Hinsken und verzichte auf das Recht der Nichtanrechnung auf die Redezeit. Ich baue die Antwort in meine Rede ein, werde also noch darauf eingehen, Herr Kollege.
Weiter: Sie weigern sich schlichtweg, das Ergebnis des Vermittlungsausschusses anzunehmen. Sachverstand, Konsens und Pragmatismus werden vom Zukunftsminister abgewiesen. Als Krücke für seine Haltung muß nun eine angebliche Verfassungswidrigkeit herhalten.
Goethe hat uns im „Götz von Berlichingen" ein zu diesem Verhalten treffendes Zitat zur Verfügung gestellt; dabei denke ich jetzt nicht an das allgemein bekannte, sondern an dieses:
Der Meister eines Baus gräbt den Grund nur desto tiefer, als er hoch und höher die Mauern führen will.
In der Tat, Herr Rüttgers: Sie graben die Gräben zwischen Land und Bund immer tiefer und bauen immer größere Mauern auf.
({0})
Die Sachverständigen haben uns eindeutig beraten und uns ihre Auffassung in den Ausschußberatungen zur Kenntnis gegeben. Wir gemeinsam, alle
Berichterstatter, haben den Ausschußbericht unterschrieben. Ich zitiere daraus:
Es sprachen sich alle Sachverständigen für die Beauftragung der Arbeitsämter mit der Verwaltungsdurchführung des AFBG aus. Gegen die Einrichtung neuer Behörden sprechen nicht nur deren fehlende Fachkompetenz und Erfahrung, sondern auch die damit verbundenen zeitlichen Verzögerungen in der Anlaufphase und nicht zuletzt auch die wahrscheinlich höher anzusetzenden Verwaltungskosten. Zudem müsse sichergestellt sein, daß eine einheitliche Umsetzung des AFBG erfolge. Nach der im AFBG vorgesehenen Regelung sei aber nicht auszuschließen, daß in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedliche Formen der Umsetzung realisiert werden würden.
Die Sachverständigen waren die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Zentralverband des Deutschen Handwerks, die Bundesvereinigung der Deutschen Industrie, der Deutsche Industrie- und Handelstag, die freien Berufsverbände und die Gewerkschaften. Selbst Bayern hat einen Antrag in die Beratungen im Bundesrat eingebracht. Er lautete - ich zitiere -:
Die Durchführung des Gesetzes zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung sollte der Arbeitsverwaltung übertragen werden. Sie kann auf entsprechende Erfahrung zurückgreifen, so daß ein rascher und effektiver Vollzug gewährleistet ist und nicht erst mit großem Aufwand neue Verwaltungsstrukturen aufgebaut oder vorhandene Einrichtungen entsprechend gestärkt werden müssen.
Der Kompromiß im Bundesrat ist ebenfalls mit der breiten Mehrheit der Länder zustande gekommen. Sind nun sie alle Verfassungsgegner? Kennen sie alle sich in der Verfassung nicht aus?
Merken Sie, Herr Minister Rüttgers, eigentlich nicht, wie isoliert Sie dastehen? Nehmen Sie den Sachverstand derjenigen, die wir befragt haben, eigentlich nicht zur Kenntnis? Warum ignorieren Sie ihn? Merken Sie eigentlich nicht, daß Sie mit dem Starrsinn, den Sie einbringen, das Verfahren nur verzögern und blockieren?
({1})
Ein Zukunftsminister, der blockiert, konterkariert und ignoriert, bekommt für seine Leistungen und dieses Verhalten keinen Meisterbrief, sondern höchstens den Titel „Blockademeister".
({2})
Hören Sie auch endlich auf, uns den Vorwurf zu machen, wir würden 60 000 Arbeitsplätze gefährden! Umgekehrt ist es richtig: Wenn die Zahl der geförderten Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Aufstiegsfortbildung nach dem AFG, das durch Sie abgeschafft worden ist, von 139 000 auf 25 000 zurückgegangen ist, dann haben Sie die Arbeitsplätze in den letzten zweieinhalb Jahren gefährdet. Das ist die Realität.
({3})
Interessant ist auch, daß in allen Ausführungen des Ministers bis zum 15. Dezember 1995, in der gesamten Debatte im Ausschuß und bei allen Anhörungen das Argument der Verfassungswidrigkeit bei der Regelung mit den Arbeitsämtern nie aufgetaucht ist. Erst bei den weiteren Beratungen kam dann die Krücke des verfassungswidrigen Verhaltens mit in die Begründung hinein.
({4})
Ich will Ihnen mal die wahre Begründung sagen, die der Minister auch im Bundesrat formuliert hat: Wir wollen ein Bildungsgesetz und kein Arbeitsförderungsgesetz. Deshalb wollen wir einen Vollzug durch die Ämter für Ausbildungsförderung und keinen Vollzug durch die Arbeitsämter.
({5})
Wir dürfen unsere zukünftigen Meister nicht zu den Arbeitsämtern schicken. Junge Menschen reagieren auf solche Signale sehr sensibel.
({6})
Wie sollen denn die Arbeitslosen darauf reagieren, wenn sie zum Arbeitsamt gehen sollen?
({7})
Wie sollen denn die nachfragenden jungen Menschen reagieren, die keinen Ausbildungsplatz bekommen? Das ist eine Diffamierung der Bundesanstalt für Arbeit. Das ist eine Diffamierung derjenigen, die in den Arbeitsämtern arbeiten.
Mit dieser Begründung wird auch offenbar, was Sie nebenbei noch verwirklichen wollen. Sie wollen die Arbeitsverwaltung zu einer Arbeitslosenverwaltung machen. Das steckt in Wahrheit dahinter.
({8})
Leistung, Kompetenz und Bemühungen der vielen tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit werden diffamiert. Aktive Arbeitsmarktpolitik, die sie machen, wird ignoriert.
Und es bleibt richtig, und das ist auch die Begründung für die Position der SPD: Die potentiellen Teilnehmerinnen und Teilnehmer kennen die Behörde, die für die Aufstiegsfortbildung zuständig ist. Die Bundesanstalt für Arbeit kann unmittelbar an die Erfahrungen anknüpfen, die mit dem 1993 ausgelaufenen Instrumentarium des AFG verbunden waren. Nur die Bundesanstalt für Arbeit verfügt über ausreichende Erfahrungen im Bereich der qualitativen Prüfung der Maßnahmeträger. Nur die Bundesanstalt für Arbeit - sieht man einmal von den Kammern ab - kann die Teilnehmerinnen und Teilnehmer qualitativ
gut beraten. Und nur die Bundesanstalt für Arbeit sichert auch die dringend gebotene einheitliche Durchführung. Es ist völlig falsch, daß Sie hier trennen wollen. Diese Broschüre hier wird von der Bundesanstalt für Arbeit herausgegeben und liegt in den Arbeitsämtern aus: „Beratung für Meisterlehrgänge", Ausgabe 1995.
({9})
Wenn Sie einmal einen Blick ins AFG werfen, dann finden Sie dort auch noch die Vorschrift, daß man ein Überbrückungsgeld zur Existenzgründung, zur Begründung einer selbständigen Tätigkeit, erhalten kann. Sie wollen die Meister, die in Vollzeitmaßnahmen gehen und ihren Arbeitsplatz vielleicht aufgeben, erst zu den BAföG-Ämtern schicken, und wenn sie nachher arbeitslos sind und eine Existenz gründen wollen, dann landen sie wieder beim Arbeitsamt und holen sich dort ihr Überbrückungsgeld ab. Was Sie dort betreiben, ist eine Verwirrung der Zustände in dieser Republik, die schon ihresgleichen sucht.
({10})
Für die SPD steht daher bei dem ganzen Verfahren Praktikabilität und nicht Ideologie im Vordergrund.
Nun zu dem, was sich gestern hier im Hause abgespielt hat mit dem „Rechtsgelehrten" Herrn Irmer aus der „Rechtsstaatspartei", die im Deutschen Bundestag sitzt.
({11})
Da geht der Kollege Irmer her und zitiert aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil - er hat nicht gesagt, von welchem - vom 10. Dezember 1980. Da habe ich einmal nachgeguckt, was für ein Urteil das wohl ist. Das war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausbildungsplatzförderungsgesetz der damaligen SPD/F.D.P.-Koalition. Die Opposition ist damals über das Bundesland Bayern zum Bundesverfassungsgericht gegangen. Da ging es um die Frage, ob der Bundesrat zustimmen mußte. Was dabei herausgekommen ist, ist schon ganz, ganz spannend. Denn vorher geht der Kollege Blens hin und gibt dem Kollegen Irmer einen Zettel, und der Kollege Irmer hat nichts Besseres zu tun, als daraus zu zitieren, ohne sich um hinten und vorne zu kümmern. Und der Rechtsausleger aus der Rechtsstaatspartei F.D.P. wird nun zum Rechtsausleger, der Sie selbst treffen wird.
Es ist nämlich folgendes strittig gewesen: ob man erstens möglicherweise andere Einrichtungen mit der Einziehung der Ausbildungsplatzabgabe beauftragen kann. Im weiteren Verlauf des Verfahrens sind die Berufsgenossenschaften damals dort eingebracht worden. Dies ist vom Bundesverfassungsgericht als zulässig anerkannt worden.
Der zweite Schritt ist noch viel spannender, Herr Minister Rüttgers. Jetzt bricht Ihr Gemäuer von der Verfassungswidrigkeit in sich zusammen. Der zweite Schritt ist nämlich insofern spannend, als das Bundesverfassungsgericht damals die Zustimmung des Bundesrates für notwendig erklärt hat, weil in dem Gesetz Verwaltungsvorschriften für die Durchführung enthalten waren, die die Zustimmung des Bundesrates erforderlich machen.
({12})
Deswegen wird es sich auch bei Ihrem neuen Gesetzentwurf so verhalten, daß dies der Zustimmung des Bundesrates bedarf
({13})
und daß damit nicht die Qualität vorhanden ist, die bewirkt, daß es sich nur um ein Einspruchsgesetz handelt. Schauen Sie sich einmal genau Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes an, und schauen Sie sich einmal an, wie die Begründung in dem Urteil aussieht. Das hätte vielleicht der Kollege Irmer auch einmal tun sollen.
({14})
Wenn es dann auch noch um die Durchführung geht, empfehle ich Ihnen noch eines: Schauen Sie sich einmal die Broschüre aus Ihrem Haus „BAföG 95/96" an und schauen Sie nach, daß darin vorgesehen ist, daß auch das Bundesverwaltungsamt beauftragt wird, etwas durchzuführen und umzusetzen. So verfassungswidrig, wie Sie die Arbeitsamtslösung diffamieren, ist sie nicht. Ihr Gesetzentwurf regelt an mehreren Stellen das Verwaltungsverfahren: Es geht darum, welche Angaben in die Bescheide hinein müssen; es geht darum, wer prüft; es geht darum, wer den Antragstellern die Bescheinigung ausstellt - alles Formulierungen, die mit dazu beitragen, daß dieses Gesetz im Bundesrat ausführlich beraten werden muß. Ich kann nur allen Rechtsausschüssen, die damit befaßt sind, dringend raten, sich sehr, sehr intensiv mit diesem Fragenkomplex auseinanderzusetzen.
Hören Sie auch endlich mit Ihrer Verdummungskampagne auf, wie Herr Doß es in seiner Pressemitteilung macht, in der er schreibt, die SPD wolle die Durchführung des Gesetzes durch die für Bildung zuständigen Länder nicht akzeptieren, sondern der Arbeitslosenversicherung aufbürden. So einen Quatsch glaubt Ihnen doch draußen kein Mensch. Es geht eindeutig darum, daß natürlich dann, wenn Sie von einem Leistungsgesetz sprechen, auf dessen Leistungen Rechtsansprüche bestehen sollen, die Kosten für die Durchführung von denen zu tragen sind, die sich dafür entscheiden, und das ist in dem Fall der Bund. Das wird dann durch einen Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit geregelt, und es wird nicht der Arbeitslosenversicherung aufgebürdet.
Herr Minister, Sie haben sich selbst mit Ihrer Vorgehensweise bei dem gesamten Gesetzgebungsverfahren auf verfassungspolitisches Glatteis begeben, und Sie begeben sich zunehmend in engere Konfliktsituationen mit den Ländern. Die „VDI nachrichten" haben sehr, sehr treffend am 2. Februar, in der letzten Woche, geschrieben:
Mit drei großen Projekten hat Rüttgers in den
letzten Monaten versucht, Profil zu gewinnen,
mit der Novellierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, der Neuformulierung der Aufstiegsfortbildung und dem Vorschlag, ein Multimediagesetz auf den Weg zu bringen. Doch statt die Formulierung solcher Leitprojekte voranzutreiben, sucht Rüttgers, wie kaum ein anderer Forschungsminister vor ihm, den Konflikt mit den Bundesländern und droht sich dabei festzufahren.
Herr Rüttgers, Zukunftspolitik für den Mittelstand und für das Handwerk und für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestaltet man zusammen mit den Ländern und nicht gegen sie.
({15})
In den Text für die „Meistersinger von Nürnberg" hat Wagner geschrieben: Verachtet mir die Meister nicht und ehrt mir ihre Kunst. - Das sollte für Sie eigentlich ein Leitbild sein: Achten Sie die Meister; geben Sie Ihre Blockadepolitik auf. Diese Bundesrepublik braucht keinen Konflikt- und Blockademinister; diese Bundesrepublik braucht einen Zukunftsminister, der sich wirklich um die Zukunft des Landes kümmert. Die Zukunft unseres Landes, die Zukunft des Handwerks, des Mittelstandes und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darf nicht durch ideologische Streitereien des Zukunftsministers im Fingerhakelspiel mit den Ländern aufs Spiel gesetzt werden.
({16})
Ich kann abschließen mit den Worten des Präsidenten des niedersächsischen Handwerkstages, Herrn Kurt Rehkopf, der in bezug auf die Kompromißbereit-schaft, die ja von allen angedeutet worden ist, die Sie in den Wind schlagen, formuliert hat:
Wenn Bundesminister Rüttgers oder der Deutsche Bundestag jetzt nicht zustimmen würden, könnte das Handwerk diese Haltung nur mit Unverständnis zur Kenntnis nehmen. Alle politischen Ankündigungen zur besseren Förderung von Existenzgründungen wären dann als reine Sonntagsreden entlarvt.
Es wäre schön, wenn Sie diese Aussagen Lügen strafen würden. Allein, bei dem Verfahren, das Sie anstreben, sehe ich, daß Sie fest entschlossen sind, Ihre ideologische Haltung umzusetzen, die Bundesanstalt für Arbeit aus dem Bereich der Ausbildungsförderung voll herauszunehmen, weiter den Konflikt mit den Ländern zu suchen. Das wird mit der Opposition nicht zu machen sein. Wir wollen ein Ausbildungsförderungsgesetz, das im Einklang mit den Interessen der Wirtschaft und des Handwerks steht und das schnell und zügig umgesetzt werden kann. Dies geht über die Bundesanstalt für Arbeit.
({17})
Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Altmann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute morgen ist hier der volle Verteilungskampf entbrannt: zuerst beim Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz, bei dem es um die Verdrängung der Lasten vom Bund auf die Kommunen und dann auf die Betroffenen ging, und jetzt beim Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, bei dem es wieder um Lasten geht, die der Bund zu tragen hätte und die er auf die Länder schieben möchte.
Mehr als zwei Jahre - das wurde eben schon gesagt - liegt die berufliche Aufstiegsfortbildung auf Eis. 1993 hat die Regierung die Förderung gekappt. Bis zu dem Zeitpunkt war das alles im AFG geregelt. Im letzten Jahr endlich hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt. Es gab eine Anhörung im Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Sie zeigte die vielen unbefriedigenden Punkte.
Im Vermittlungsausschuß wurde ein Kompromiß erarbeitet, der - das ist die Pointe der ganzen Geschichte - auch von den CDU- und CSU-regierten Ländern mitgetragen wurde. Die Regierungskoalition hat im Bundestag hingegen keine Kompromißfähigkeit gezeigt. Deshalb reden wir heute zum gleichen Thema wie gestern und kommen auch keinen Schritt weiter.
Gestern ließ die Koalition das Meister-BAföGGesetz scheitern, weil sie die Arbeitsämter nicht mit der Durchführung der Förderung beauftragen will. Was steckt eigentlich dahinter? Ist das eine , bloße Formalität? Oder geht es wieder um das Zahlen? Muß der Bund zahlen? Die Regierung will die Kosten aber auf die Länder schieben. Herr Thönnes hat dazu eben schon einiges gesagt. Werden die Arbeitsämter zu Arbeitslosenämtern? Das alles steht hier zur Diskussion.
Die Experten und Expertinnen haben sich durch die Bank für die Arbeitsämter ausgesprochen, weil die eine schnelle Umsetzung gewährleisten und die Sachkompetenz noch dort liegt. Die Arbeitsämter waren ja bis 1992 mit der Durchführung beauftragt. Jedenfalls ist dieser Streitpunkt für die Betroffenen nicht mehr vermittelbar.
In anderen Punkten hat die Koalition offensichtlich berechtigte Kritik aufgenommen. Immerhin ist die Mindeststundenzahl auf 400 Stunden gesenkt worden, so daß ein Teil der sonst durch das Raster Gefallenen - zumeist Frauen - gefördert wird. Dies ist ein Erfolg der Opposition, also von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und PDS. Uns ist es wichtig, daß die Helferinnen, Pflegerinnen und die in kaufmännischen Berufen Tätigen in den Genuß der Förderung kornmen. Das ist hiermit zwar nicht ganz, aber zum Teil gewährleistet.
Ebenso ist es als Erfolg zu werten, daß auch die Kinderbetreuung in die Förderung aufgenommen wird. Ohne Kinderbetreuung könnten viele Frauen nicht an der Förderung teilnehmen.
Elisabeth Altmann ({0})
CDU/CSU und F.D.P. hatten sich auf eigenen Antrag bereit erklärt, eine „fraueneinbeziehende Gesetzessprache" - so heißt es in dem Antrag - zu verwenden. Was finde ich nun in dem Gesetzentwurf? Da steht, die Förderung sei für Industriefachwirte, Wirtschaftsinformatiker, Meister der städtischen Hauswirtschaft, Bäckermeister, Feinoptikermeister gedacht. Da frage ich mich schon: Gibt es etwa keine Meisterinnen der städtischen Hauswirtschaft?
({1})
- Sie selber haben den Antrag doch so gestellt.
({2})
- Dann brauchen Sie nicht einen solchen Antrag zu stellen, wenn es überhaupt nicht möglich ist.
({3})
- Ja, gut. In Ihrem Antrag steht auch: „Altenpfleger und Altenpflegerinnen".
({4})
- Wie dem auch sei:
({5})
Wenn Sie sich bemühen wollten, dann könnten Sie auch in diesem Punkt was tun.
({6})
- Ja, gut.
Ich komme zu einem weiteren Punkt: zur Belastung der Länder. Die Belastung der Länder mit 24,9 Prozent der Maßnahmekosten geschieht ja nicht aus Einsicht der Koalition in die schwierige finanzielle Situation der Länder. Vielmehr ist das wieder Taktik. Damit liegt nämlich die Beteiligung genau 0,1 Prozent unter der Grenze, die das Gesetz im Bundesrat zustimmungspflichtig machen würde. Die Länder hatten schon 30 Prozent angeboten. Hiermit schenken Sie den Ländern 20 Millionen DM. Das ist ja gut so; aber ansonsten feilscht die Regierung doch um jede Mark, wenn es zu Lasten der Länder und der Kommunen gehen kann. Aber die Bundesregierung fürchtet, daß sie im Bundesrat noch einmal Federn lassen müßte.
({7})
- Okay, aber das könnten Sie mit dem Bundesrat genauso abstimmen.
({8})
Für mich. handelt es sich jedenfalls um ein unverständliches Hickhack der Koalition beim Meister-BAföG. Denn hier läuft es nach dem Motto: Wenn ihr nicht so wollt wie wir, dann machen wir das Gesetz eben ohne euch.
Der F.D.P.-Vorsitzende Gerhardt betonte in einer Pressemitteilung zu Recht, daß die jungen Menschen händeringend auf eine Förderung warten.
({9})
Ich verstehe nicht, daß die F.D.P. hier einen Zustand bejammert, den sie selbst herbeigeführt hat. Wer regiert denn eigentlich? Sie gehören doch zur Koalition!
({10})
- Das ist auch richtig so. Das muß hier betont werden. Sie sind doch mit daran schuld, daß es zu einer weiteren Verschleppung des Meister-BAföGs kommt.
({11})
Sie fahren mit einem Karussell, das Kapriolen schlägt, und landen dann im März wahrscheinlich sehr unsanft.
({12})
- Wir werden es schon sehen.
Wenn Sie hier dann noch, auch gestern, die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes reklamieren, dann muß man sich schon fragen, welche Auffassung von Recht und Gesetz Sie haben, stimmten doch die Ministerpräsidenten von CDU und CSU dem Gesetz zu. Hier stimme ich ausnahmsweise mit meinem bayerischen Ministerpräsidenten, Herrn Stoiber, überein.
({13})
Ich würde Sie, Herr Dr. Mayer, gerne einmal fragen: Was sagen Sie denn zu Hause in Bayern? Die CSU spielt doch hier den „guten Menschen von Sezuan". Sie spielen in dieser Inszenierung gleichzeitig den Guten und den Bösen, Sie vertreten beide Positionen.
({14})
- Ja, das machen die immer so.
({15})
Das Verhalten der Bundesregierung geht j eden-falls zu Lasten der Aufstiegswilligen und Risikobereiten, von denen Sie sonst immer so schwärmen. Diese können jetzt nicht erfahren, ob sie die Förderung
Elisabeth Altmann ({16})
erhalten. Sie brauchen aber die Förderung jetzt und nicht erst in einigen Monaten.
({17})
Frau Kollegin, die Redezeit ist schon lange abgelaufen.
Deshalb: Geben Sie endlich nach, Herr Rüttgers. Machen Sie den Weg frei für das Meister-BAföG!
({0})
Frau Kollegin, für den weiteren Verkehr mit der CSU darf ich Sie, wenn Sie erlauben, nur darauf hinweisen: Wir reden neuerdings nicht mehr vom „guten Menschen von Sezuan", sondern vom „guten Menschen von Dinkelscherben" . Damit ist immer der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe gemeint.
({0})
Ich erteile dem Kollegen Dr. Karlheinz Guttmacher das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst: Ich teile die Freude all derer, die heute darauf hingewiesen haben, daß wir uns in der letzten Zeit sehr oft über die betriebliche Aufstiegsfortbildungsförderung unterhalten haben. Das Thema ist uns nun einmal so wichtig. Ich finde es ausgesprochen gut, daß, nachdem wir gestern den Beschluß des Vermittlungsausschusses zurückweisen mußten, heute ein neues Gesetz eingebracht werden konnte,
({0})
das unseren Meistern, Technikern und mittleren Führungskräften sehr schnell zur Verfügung stehen wird.
Es ist schon unglaublich, daß Sie, lieber Herr Thönnes, hier von den 21 Minuten, die Sie geredet haben, fünf oder sechs Minuten nur darauf verwandt haben zu polemisieren, um eine gesetzliche Grundlage zu interpretieren, die Herr Irmer gestern hier vorgetragen hat und die nach wie vor Bestand hat - auch wenn Sie Goethe zitieren.
({1})
Das Aufstiegsfortbildungsförderunggesetz ist das erste Gesetz, das unseren Meistern, Technikern und mittleren Führungskräften eine Rechtsgrundlage bietet, sich weiterzubilden.
({2})
Das ist ein guter Weg, den wir beschreiten wollten,
und hier stimmen wir ja mit den Fraktionen überein,
daß wir zur Gleichwertigkeit der beruflichen und akademischen Ausbildung kommen müssen.
({3})
Wir begrüßen ausdrücklich, daß es im Vermittlungsausschuß Verbesserungen gegeben hat, daß der Umfang der Weiterbildungsstunden für eine betriebliche Aufstiegsfortbildung von 500 auf 400 heruntergesetzt worden ist. Somit ist die Möglichkeit gegeben, mehrere Fortbildungswillige in die Förderung einzubeziehen.
Meine Damen und Herren, wir begrüßen als F.D.P.-Fraktion ausdrücklich, daß es für diejenigen, die neben ihrer Ausbildung eine Kinderbetreuung absichern müssen, einen Zuschuß von 200 DM gibt.
({4})
- Aber ich bitte Sie; bei diesen Punkten hätten wir doch sofort zugestimmt. Ausdruck dessen ist, daß dies auch in dem Gesetzentwurf enthalten ist, den wir heute hier vorlegen und einbringen.
({5})
Meine Damen und Herren, die Mitfinanzierung von seiten der Länder in Höhe von 35 Prozent wurde durch diese im Vermittlungsausschuß abgelehnt. Wir haben jetzt die Festlegung für eine Mitfinanzierung in Höhe von 24,9 Prozent und brauchen die Zustimmung der Länder nicht mehr.
({6})
Damit, meine Damen und Herren, haben wir die Chance, sehr schnell ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das wir jetzt dringend für diejenigen, die an der Aufstiegsfortbildungsförderung teilhaben wollen, brauchen.
Ich darf Ihnen auch sagen, daß wir die Ansicht, die Herr Irmer gestern vorgetragen hat, deshalb in vollem Maße teilen, weil er sich auf das Grundgesetz als Gesetzgebungsgrundlage des Bundes bezogen hat, wo in Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 festgelegt wird, daß die Gesetzgebung beim Bund liegt. Er hat sich auf die Verwaltungskompetenz nach Art. 83 Grundgesetz bezogen, wo eindeutig festgelegt ist, daß die Ausführungs- und Verwaltungskompetenz für die Bundesgesetze bei den Ländern liegt.
Meine Damen und Herren, wenn dann im Vermittlungsausschuß davon gesprochen wird, daß es eine Mischfinanzierung geben sollte, wie es die Länder freundlicherweise angeboten haben, wonach der Bund und die Länder je einen Teil der Mitfinanzierung übernehmen, so schließt es nun einmal das Grundgesetz aus, und das haben wir zur Kenntnis zu nehmen. Alles andere, was Sie, Herr Thönnes, gesagt haben, ist nichts weiter als Polemik.
Meine Damen und Herren, für 90 000 Aufstiegsfortzubildende werden wir 169 Millionen DM aufzuDr. Karlheinz Guttmacher
wenden haben, wobei in 1996 der Bund 127 Millionen DM und die Länder 42 Millionen DM aufbringen werden.
Meine Damen und Herren, wir wollen so schnell wie möglich versuchen, dieses Gesetz auf den Weg zu bringen. Da es der Zustimmung des Bundesrates nicht mehr bedarf, glaube ich, daß uns das gelingt.
Ich kann den Bundesbildungsminister nur ersuchen, auch eine Rückwirkung dieses Gesetzes ab 1. Januar 1996 vorzusehen.
Ich danke Ihnen.
({7})
Frau Kollegin Rosel Neuhäuser, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kaum lag die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz auf dem Tisch, bekamen wir auch schon den nächsten Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, und das, wie Herr Lensing vorhin betonte, sehr schnell und gründlich,
({0})
flankiert von Presseerklärungen, die vor Verständnis für die bildungswilligen jungen Leute triefen und nicht mit Schuldzuweisungen an SPD und Bundesrat sparen, weil diese nicht alles kommentarlos schlukken, was von Herrn Rüttgers hier serviert wird.
Die endgültige Klarstellung der Mehrheit im Bundestag ist den Koalitionsfraktionen sogar die Veränderung einiger Zahlen in ihrem neuen Gesetzentwurf wert, der im übrigen den bereits seit September 1995 bekannten Text enthält. Verändert wurde vor allem die Kostenbeteiligung der Länder von 35 Prozent im ersten Entwurf über 30 Prozent im Vermittlungskompromiß bis zu den jetzt anvisierten 24,9 Prozent.
Hinter diesem Vorschlag steht nun aber mitnichten die Sorge um die Entlastung der Länderhaushalte. Ziel ist einzig und allein ein im Bundesrat nicht zustimmungspflichtiger Gesetzentwurf, der die Länder zwar aus der Mitbestimmung ausschließt, sie aber immer noch beachtlich an den Kosten beteiligt und ihnen nicht zuletzt die Ausführung überträgt.
Damit sind wir beim wohl entscheidenden Punkt für die erneute Anzettelung der Debatte. Der Vermittlungsausschuß wollte die Bundesanstalt für Arbeit mit der Gesetzesdurchführung beauftragen. Das entsprach der übereinstimmend geäußerten Meinung von Sachverständigen in der Ausschußanhörung; das wurde hier ja auch schon erwähnt.
Als Gründe wurden vor allem Qualitätskriterien, Qualitätskontrolle, Erfahrungen, Fachkompetenz und einheitliche Umsetzung angeführt, die bei den Arbeitsämtern durch die frühere AFG-Förderung gewährleistet wären. Die Einrichtung neuer Behörden würde nicht nur die Durchführung des Gesetzes zeitlich verzögern, sondern letztendlich die Verwaltungskosten in die Höhe treiben. Der schlanke Staat läßt grüßen.
Daß im vorliegenden Gesetzentwurf an Stelle der vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagenen konkreten Beauftragung der Bundesanstalt für Arbeit in kaum zu überbietender Verwaschenheit immer nur von der „zuständigen Behörde" die Rede ist, hat wohl weniger damit zu tun, daß der Bildungsminister seinen Meisterschülern den Gang zum Arbeitsamt ersparen will. Die Bindung des sogenannten Meister-BAföG aus „fördersystematischen Gründen" an BAföG-Regelungen ist wesentlicher Teil der Deregulierungs- und Privatisierungspolitik im Bildungswesen. Sie ist dem Minister offenbar so wichtig, daß er sogar 5,1 % der von den Ländern angebotenen Finanzierung opfert, um das Gesamtpaket nicht zu gefährden.
Diese Politik wird zwar als Herstellung von Gleichwertigkeit verkauft, was sie aber in keinem Falle hinsichtlich gleicher Bildungs- und Fortbildungschancen für alle ist. Gleichheit herrscht nun vor allem hinsichtlich des privaten Risikos von Studentinnen und Studenten sowie Meisterschülerinnen und Meisterschülern, wenn sie bei der Finanzierung ihrer Ausbildung auf Unterstützung angewiesen sind. Gefördert wird in jedem Falle die Deutsche Ausgleichsbank, und der Bund ist wieder eine Aufgabe los.
Unterm Strich ist der ganze Spaß auch noch bedeutend teurer als die unlängst abgeschaffte AFG-Förderung, wie ein Lehrgangsteilnehmer vorrechnet, der das Meister-BAföG als großen Bluff und Sargnagel für das Handwerk bezeichnet. Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.
({1})
Herr Kollege Josef Hollerith, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seriöse Schätzungen gehen davon aus, daß bis in das Jahr 2000 200 000 Handwerksbetriebe zur Übergabe anstehen, daß es also notwendig ist, für diese 200 000 Betriebe qualifizierte Betriebsnachfolger zu bekommen, die bereit sind, mehr als eine tarifliche Wochenarbeitszeit zu leisten, die bereit sind, Risiko einzugehen, und die in ihrer Eigenschaft als Betriebsleiter in diesen 200 000 Handwerksbetrieben nach Durchschnittswerten mindestens 800 000 Arbeitsplätze in unserem Lande sichern werden.
({0})
Ich gebe ein zweites Beispiel: In den Vereinigten Staaten haben die Chipfabriken Schwierigkeiten, genügend qualifizierte Techniker zu bekommen, um diese Anlagen betreiben zu können.
Beide Beispiele, die Betriebsnachfolge und die hochintelligenten Produktionen, zeigen, wie wichtig Investitionen in Bildung und Ausbildung sind. Um so mehr, meine sehr verehrten Damen und Herren,
bin ich enttäuscht, daß uns die SPD-Mehrheit im Vermittlungsausschuß zumuten wollte, ein verfassungswidriges Gesetz auf den Weg zu bringen.
({1})
Da war auch nicht die Diskussion über die Verwaltungskosten in Höhe von 11 Millionen DM bei der Ausführung entscheidend. Das war nur ein Vorwand; denn 11 Millionen DM, verteilt auf 16 Bundesländer, sind nicht das Problem. Der Hintergrund war und ist ein ganz anderer: Ihnen geht es nicht darum, sachpolitische Lösungen beizutragen, sondern darum, die Stimmung vor den Landtagswahlen am 24. März schlechter zu machen. Das ist unverantwortliche Politik.
({2})
Herr Kollege Hollerith, der Kollege Kubatschka möchte Ihnen eine Frage stellen.
Sehr gerne.
Bitte, Herr Kollege Kubatschka.
Herr Kollege Hollerith, Sie kennen den Herrn Ministerpräsidenten Stoiber besser als ich. Wollen Sie ihm unterstellen, daß er gegen die Verfassung handelt, daß er also einem verfassungswidrigen Gesetz zustimmt?
({0})
Herr Kubatschka, meiner Information nach hat er das nicht getan. Haben Sie andere Informationen? Ich lasse mich gern aufklären.
({0})
- Wenn Sie richtig informiert wären, hätten Sie feststellen können, daß in der Abstimmung im Bundesrat
- das war heute - Bayern nicht mit der SPD gestimmt hat.
({1})
- Und Baden-Württemberg; danke für die Ergänzung.
({2})
- Wie Bayern, Herr Vorsitzender.
Es geht der SPD nicht um die Sache, es geht der Opposition um Stimmungsmache, um ihre Wahlchancen bei den Landtagswahlen zu verbessern.
Ich habe den Eindruck, daß die Menschen in unserem Land längst gemerkt haben, wie weit es mit rotgrün her ist, wie weit sich die Rot-Grünen als Maulhelden darstellen; denn dort, wo sie Verantwortung in den Ländern tragen, versagen sie.
Sie könnten sich ein Beispiel am CSU-regierten Bayern nehmen. Sie könnten qualifizierte Leistungen für die berufliche Bildung von dort übernehmen. Sie könnten zum Beispiel wie in Bayern einen Meisterpreis einführen, bei dem die 10 Prozent besten Absolventen 3 000 DM, die 10 Prozent Zweitbesten 2 000 DM und die 10 Prozent Drittbesten 1 000 DM bekommen.
({3})
Sie könnten sich ein Beispiel an Bayern nehmen, wo es für diejenigen,
({4})
die sich nach der Meisterausbildung selbständig machen, die bereit sind, ein Risiko einzugehen und mehr zu tun als andere, 5 000 DM und in Fördergebieten nach § 5 b 8 000 DM als einmaligen Zuschuß gibt. Dies gilt auch für die Fälle, in denen die Kinder elterliche Betriebe übernehmen und fortführen werden.
Ich bin sicher, daß wir sehr rasch in der Lage sein werden, das neue Gesetz, das Bundesminister Rüttgers vorgelegt hat, mehrheitlich und gegen die Stimmen der Opposition zu beschließen, und daß von diesem Gesetz Anstöße für Qualifikationen und für die Übernahme von selbständigen Existenzen ausgehen und im Ergebnis zusätzliche Arbeitsplätze in unserem Lande entstehen werden.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich erteile dem Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Dr. Jürgen Rüttgers, das Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte mir für die heutige Debatte eigentlich vorgenommen, etwas dazu zu sagen, wie es weitergehen wird. Nun habe ich hier leider den Versuch erlebt, Geschichte, um es ganz zurückhaltend zu formulieren, umzudeuten, wahrscheinlich kann man sogar sagen: zu verfälschen.
Es stellen sich Leute hier hin und sagen: Wir waren immer für das Meister-BAföG, und jetzt ist es die Koalition, die irgend etwas verhindert. Lassen wir doch einfach die Fakten sprechen!
23. November 1995: Ablehnung des Gesetzes im Bundestag durch SPD und Bündnis 90/Die Grünen. 15. Dezember 1995: Ablehnung des Gesetzes durch die SPD-regierten Länder im Bundesrat. 18. Januar bzw. 1. Februar 1996: Verhinderung des Gesetzes im Vermittlungsausschuß. 9. Februar 1996 am frühen Morgen: Ablehnung des Antrags, den Punkt auf die Tagesordnung zu setzen. 9. Februar 1996, eine
Stunde später: Ablehnung des Gesetzes durch die SPD-regierten Länder im Bundesrat.
Herr Bundesminister, der Kollege Dr. Glotz würde Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.
Natürlich.
Bitte, Herr Kollege.
Herr Bundesminister, können Sie akzeptieren, daß diese Ablehnungen Ihrer Fassung des Gesetzes galten und nicht dem Anliegen der Meisterförderung?
Herr Kollege Glotz, ich bin gern bereit, zu sagen - das weiß ich auch aus Gesprächen, die wir beide geführt haben -, daß Sie - das sage ich ad personam, und ich will es auf einen Großteil der Arbeitsgruppe im Ausschuß ausdehnen - wirklich das Anliegen haben, ein Gesetz über das Meister-BAföG zu bekommen.
Um so unverständlicher ist das Verhalten und um so unverständlicher ist es, daß wir heute hier über einen Sachverhalt diskutieren müssen, der mir, unabhängig von den Sachfragen, über die wir ja im Verfahren Einigkeit erzielt haben, nun wirklich schwere Besorgnis macht.
Wenn man die Debatten im Vermittlungsausschuß betrachtet, dann erkennt man zwei politische Punkte, die da von Bedeutung sind. Der eine Punkt ist, daß jeder, der im Vermittlungsausschuß arbeitet - ich gebe gern zu, daß das auch für mich vor vier Jahren einmal galt, als ich die Verantwortung für die CDU/CSU-Fraktion hatte -, lernen muß, daß man im Vermittlungsausschuß, egal, mit welcher Mehrheit, die Mehrheit in einer Kammer der gesetzgebenden Körperschaften, sei es Bundestag oder Bundesrat, nicht zu etwas zwingen kann. Man muß sich die Mühe machen, die Positionen so zusammenzubekommen, daß alle zustimmen.
Gegen diesen fundamentalen Grundsatz, der aus dem Geist des Grundgesetzes im Hinblick auf den Vermittlungsausschuß folgt, hat Herr Voscherau in diesen Verhandlungen verstoßen. Ich habe es ihm selber gesagt. Ich hoffe, daß das in Zukunft, da wir demnächst schwierige Gesetzgebungsverfahren haben werden, nach diesen Erfahrungen nicht mehr passiert.
Der zweite Punkt ist aber noch gravierender. Der zuständige Minister, der darauf zu achten hat, daß die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, unser Grundgesetz, eingehalten wird - das ist der Bundesjustizminister -, hat im Vermittlungsausschuß vorgetragen, daß der Antrag, den die SPD-regierten Länder dort gestellt, zur Abstimmung gebracht und mit einer Mehrheit versehen haben, gegen die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verstößt.
Trotz dieses klaren Hinweises hat die Mehrheit gesagt: Wir wollen das, wir setzen uns durch. Das ist der entscheidende Punkt, über den wir hier reden. Es ist richtig, was Kollege Lensing gesagt hat. Man mußte wissen, nachdem die Aussage des zuständigen Ministeriums dort vorlag, daß der Herr Bundespräsident nie in der Lage gewesen wäre, dieses Gesetz auszufertigen.
({0})
Das ist nun einmal die Lage nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Und, lieber Herr Thönnes, jetzt kann man filibustern, soviel man will - ich habe Ihre Rede mehr so verstanden, daß das der Aufschrei einer gequälten Seele war, die noch versucht hat, durch irgendwelche Argumentationsketten diese Position gesundzureden.
Übrigens habe ich den Vortrag des Kollegen Struck heute morgen ähnlich interpretiert. Wir wissen ja, daß er etwas zu Verbalradikalismus neigt. Aber die Wahrheit ist, wir müssen uns wirklich alle darauf konzentrieren, dieses Meister-BAföG-Gesetz durchzubekommen, und dies heißt im Klartext: Es muß in eine Form gebracht werden, die mit der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland vereinbar ist.
({1})
Ich will das, verehrter Herr Thönnes, hier gar nicht mehr lange ausbreiten. Es mag irgend jemanden aus dem Handwerk in Niedersachsen geben,
({2})
der sagt, das hätte man so machen können wie die SPD. Die Wahrheit ist, auch wenn es der verehrte Herr Präsident aus Niedersachsen ist, daß der Zentralverband des Deutschen Handwerks genauso wie der Deutsche Industrie- und Handelstag schriftlich und öffentlich erklärt hat, die Koalition sollte jetzt so schnell wie möglich ein neues Gesetzgebungsverfahren einbringen, damit die jungen Leute nicht weiter warten müssen.
Lassen Sie mich Ihnen abschließend zu diesem Punkt sagen, daß ich natürlich bereit bin, im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens darüber nachzudenken, wie das denn aussieht. Ich habe nach wie vor ein Interesse daran, daß sowohl die Opposition wie auch der Bundesrat so schnell wie möglich diesem Gesetz zustimmen. Wenn wir wollen, können wir das bis zum 22. März im Bundesrat abschließend behandeln, so daß der Zeitverzug, der vom Vermittlungsausschuß ausgeht, wieder eingeholt werden kann. All das geht.
Aber, verehrter Herr Thönnes, ich hoffe, daß ich Sie vorhin falsch verstanden habe. Ich hoffe nicht, daß Sie gemeint haben, Ihr Aufruf, alle Rechtsausschüsse mögen das nun sehr ausgiebig prüfen und Gott weiß was veranstalten, solle eine Ankündigung sein, im Rahmen des jetzt beginnenden Gesetzgebungsverfahrens weiter zu blockieren.
Lassen Sie mich einen weiteren Gedanken vortragen. Es ist in der Politik natürlich so - das gehört ein
wenig zu den Ritualen -, daß die Redner der Opposition herkommen, den Minister beschimpfen, die Koalition beschimpfen und sagen, wir sähen das alles falsch. Sie stellen die These auf, daß die Bundesanstalt für Arbeit nun fulminant dazu geeignet sei, dies alles zu machen, obwohl jeder weiß, daß die zuständigen Stellen der Bundesanstalt für Arbeit seit 1993 aufgelöst sind.
Lassen wir doch einmal jemanden sprechen, der das vielleicht viel besser beurteilen kann als Herr Thönnes mit seinem gewerkschaftlichen Hintergrund oder andere mit ihrem Hintergrund aus dem Bereich der Berufsbildung. Lassen wir einfach eine junge Frau aus Hessen sprechen, die in einem Amt für Ausbildungsförderung arbeitet und mir in diesen Tagen geschrieben hat.
Diese Frau schreibt auf Grund ihrer langjährigen beruflichen Erfahrung:
Die kommunalen Ämter führen jetzt schon kompetent das BAföG für Schüler des zweiten Bildungsweges, der Kollegs, Berufsfachschulen, Fachschulen und anderer beruflicher und allgemeiner Schulen aus. Da das Meister-BAföG AFBG an die nicht einfachen Regelungen des BAföG anknüpft, sollte unter Berücksichtigung von Aufwand, Effizienz, Bürgernähe und des Begriffs der schlanken Verwaltung die Übertragung der Ausführung auf die bereits in allen Landkreisen und kreisfreien Städten existierenden kommunalen Ämter für Ausbildungsförderung vorgenommen werden.
Sie schreibt dann weiter:
Schon seit Beginn der Meister-BAföG-Diskussion werden interessierte Bürgerinnen
- übrigens, Frau Kollegin Altmann, „Bürgerinnen" mit großem I zum Beispiel von den Arbeitsämtern an die kommunalen Ämter für Ausbildungsförderung vermittelt. In dem Amt, wo ich arbeite, umfaßt die Interessenliste schon über 120 Namen. Die kommunalen Ämter müssen bereits jetzt Schülerinnen und Studierende der unterschiedlichen
Schul- und Ausbildungsformen beraten, zum Beispiel Fachschulen, Berufsfachschulen, zweiter Bildungsweg etc., während die Studentenwerke lediglich mit Hochschulen und Fachhochschulen zu tun haben. Die kommunalen Ämter sind die Ansprechpartner vor Ort, sei es für Schüler allgemein oder Studenten, die sich unbestrittenermaßen vor Ort an ihrem Wohnort bei den kommunalen Ämtern erste Informationen holen.
({3})
Meine Damen und Herren, wenn das unten vor Ort so gesehen wird, dann weiß ich nicht, warum wir uns dieser Erkenntnis verweigern.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/3698 zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, an den Ausschuß für Wirtschaft, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung und nach § 96 der Geschäftsordnung.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Dies ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 28. Februar 1996, 13.00 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.