Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor ich die Fragestunde aufrufe, habe ich Ihnen noch folgendes mitzuteilen: Interfraktionell ist vereinbart worden, daß die heutige Fragestunde nur 90 Minuten dauern soll, so daß die Aktuelle Stunde um 14.30 Uhr beginnen kann. Ich muß Sie fragen: Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen.
Damit rufe ich jetzt Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde
- Drucksachen 13/3579, 13/3603 Zunächst einmal stehen die Dringlichen Fragen - Drucksache 13/3603 - auf dem Programm, und zwar für den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung ist Herr Staatsminister Dr. Werner Hoyer erschienen.
Ich rufe die Frage 1 der Abgeordneten Christa Nikkels auf:
Welche Informationen hat die Bundesregierung über das Schicksal des abgeschobenen Kurden Orhan Sengül nach dessen Verschleppung durch die türkischen Sicherheitskräfte, und was gedenkt die Bundesregierung weiterhin zu unternehmen, um seinen derzeitigen Aufenthaltsort zu ermitteln und die akut drohenden Gefahren für Leib und Leben abzuwenden?
Frau Kollegin Nickels, nach Erkenntnissen der Bundesregierung wurde der türkische Staatsangehörige Orhan Sengül am 24. Januar 1996 mit Flug Nr. 514 ab Düsseldorf, 12.55 Uhr nach Istanbul abgeschoben. Er wurde dabei von den Landtagsabgeordneten Brigitte Herrmann und Dr. Hishan Hamat sowie einem Fernsehteam begleitet. Nach Einreisekontrollen wurde Herr Sengül aufgefordert, sich nach Pinarbasi, Provinz Kayseri, zu begeben und sich dort für weitere Befragungen bereitzuhalten. Er ist zwei Vorladungen der Gendarmerie am 27. und 29. Januar gefolgt.
Gegenüber der Botschaft Ankara hat er mitgeteilt, daß er dabei korrekt behandelt worden sei. Er sei weder verhaftet noch verschleppt worden, er befinde sich auf freiem Fuß und sei wohlauf.
Die Bundesregierung hat folglich keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß Herr Sengül durch türkische Sicherheitskräfte verschleppt worden sei, noch daß ihm akut Gefahren für Leib und Leben drohten.
Eine Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, als Zusatzfrage möchte ich wissen, wie es erklärlich ist, daß die deutsche Botschaft bei Nachfrage anfänglich im unklaren über das Schicksal von Herrn Sengül war, weil von seiten der zuständigen türkischen Stellen keine Informationen gegeben wurden. Warum wurde die Botschaft nicht gleich über den Verbleib informiert?
Nach den mir vorliegenden Erkenntnissen hat sich die Botschaft sofort darum gekümmert. Man muß aber beachten, daß der Zeitraum zwischen der Abschiebung und der heutigen Fragestunde doch recht knapp ist. Sobald Informationen vorgelegen haben, haben wir sie in Bonn verarbeitet.
Ich habe nicht den Eindruck - ich muß mich hier vorsichtig ausdrücken, weil ich diese Frage nicht präzise habe recherchieren können -, daß die türkische Seite mit Informationen zurückhaltend gewesen ist.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Es liegen anderslautende Informationen vor, die davon ausgehen, daß Herr Sengül tatsächlich verschleppt worden ist. Wenn Sie jetzt wegen der Kürze der Zeit von dem Betroffenen selbst noch keine Information erhalten haben, würde ich darauf gerne zurückkommen und schriftlich nachfragen, wie es sich genau darstellt. Was Sie sagten, entspricht nicht dem, was man den bisher zugänglichen Informationen entnehmen konnte. Darum lautet meine Frage, ob nach
Erkenntnis der zuständigen deutschen Stellen und der deutschen Botschaft vor Ort Herr Sengül von den zuständigen Stellen aus freien Stücken freigelassen worden ist oder ob es dazu erst der Intervention anderer Stellen, unter anderem auch der deutschen Botschaft, bedurfte.
Nach meiner Information ist letzteres nicht der Fall. Er hat sich von vornherein frei bewegen können.
Ich bin gern bereit, das Thema weiter zu verfolgen. Wir haben natürlich auch die Botschaft angewiesen, ein sehr wachsames Auge auf diesen Fall zu haben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Burkhard Hirsch.
Herr Staatsminister, können Sie dem Haus bestätigen, daß die deutsche Botschaft noch gestern abend mit Herrn Sengül telefoniert hat und daß er noch gestern abend bestätigt hat, daß er korrekt behandelt wurde und keine Beschwerden hat?
In der Tat hat es diesen Kontakt gestern gegen 16 Uhr gegeben. Er hat ausdrücklich gesagt, daß er weder verschleppt noch schlecht behandelt worden sei.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer.
Herr Sengül ist offensichtlich zunächst von der Zivilpolizei verhört worden. Ihm wurde die Auflage erteilt, in seinen Heimatort zurückzukehren. Ihm wurden die Papiere abgenommen, und er mußte sich in seinem Heimatort melden. Dort sollten ihm, wie ihm zugesagt worden ist, die Papiere zurückgegeben werden.
Ich möchte gerne fragen: Ist Ihnen bekannt, was der Grund für dieses Vorgehen war, und insbesondere, was Inhalt der Vernehmungen war?
Nein, das ist mir nicht bekannt. Ich bin gerne bereit, Ihnen diese Informationen nachzuliefern.
Es liegt eine weitere Zusatzfrage von Frau Sonntag-Wolgast vor. Bitte.
Da Sie sagten, die Bundesregierung hätte die Botschaft angewiesen, ein besonders wachsames Auge auf diesen Fall zu haben: Was gilt denn im Umkehrschluß für andere, vergleichbare Rückkehrende? Wie sieht denn da die Anweisung aus? Ist da weniger Wachsamkeit geboten?
Nice try, Frau Kollegin; der Versuch ist natürlich zulässig. Selbstverständlich ist die Bundesregierung in solchen Fällen immer sehr wachsam. Wenn wir aber merken, daß Bedenken bestehen, und diese konkret von Kolleginnen oder Kollegen dieses Hauses geäußert werden, dann gehen wir diesen natürlich ganz besonders wachsam nach.
Wir kommen jetzt zur zweiten Dringlichen Frage der Abgeordneten Christa Nickels:
Welche Konsequenzen denkt die Bundesregierung aus diesem neuerlichen Fall von Verfolgung nach Abschiebung zu ziehen, insbesondere hinsichtlich eines Abschiebestopps für abgelehnte kurdische Asylbewerber?
Diese Frage möchte der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner vom Bundesministerium des Innern beantworten, weil sie sich in einem anderen Bereich bewegt. - Bitte.
Eduard Lintner, Pari. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin Nickels, die Antwort lautet: Wie sich aus der Antwort des Kollegen Staatsminister Hoyer bereits ergeben hat, liegt kein Fall der Verfolgung vor. Deshalb geht Ihre Fragestellung von einem nicht vorliegenden Sachverhalt aus.
Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß es deshalb natürlich auch keinen aktuellen Anlaß gibt, über einen allgemeinen Abschiebestopp für abgelehnte kurdische Asylbewerber neuerlich nachzudenken.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, im Petitionsbereich auf Landes-und Bundesebene haben wir sehr oft mit solchen Fällen zu tun, bei denen nach der Abschiebung eine Bedrohung im Land nicht auszuschließen ist.
Ich möchte Sie fragen, inwieweit diese Fälle, die Ihnen auch über die verschiedenen Petitionen, die vorliegen, bekannt sind, Anlaß geben, im BMI darüber nachzudenken, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, daß der Innenminister eines Landes als Bittsteller auftreten muß. Minister Kniola hat ja offenbar in diesem Fall die zuständige Ausländerbehörde gebeten, davon Abstand zu nehmen. Zum zweiten lag eine Petition an; aber wir wissen, daß trotzdem nicht einmal eine kurzfristige Duldung für die Dauer des Petitionsverfahrens möglich ist; diese Fälle gibt es öfter.
Meine Frage ist, ob das nicht Anlaß ist, im BMI darüber nachzudenken, zumindest Härtefallregelungen einzuführen, damit nicht Innenminister der Länder als Bittsteller und Bettler bei Ausländerbehörden tätig werden müssen und sich im nachhinein Menschenrechtsorganisationen darum kümmern müssen.
Frau Kollegin Nickels, Sie wissen, daß das Innenministerium die Situation stets sorgfältig beobachtet. Ein Anlaß, wenn er denn gegeben wäre, über einen solchen Abschiebestopp nachzudenken, würde natürlich immer aufgegriffen werden. Aber die bisher bekannt gewordenen Fälle und auch der jetzige Fall geben dazu nichts her und sind alle über die Prüfung individueller Abschiebungshindernisse im Rahmen der §§ 51 und 53 des Ausländergesetzes lösbar.
Im übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, daß gerade im Falle der Abschiebung von Kurden ein spezielles Verfahren verabredet worden ist. Herr Sengül hat laut Auskunft des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen dieses Verfahren nicht in Anspruch genommen, so daß Ihr Hinweis auf eine angebliche Bittstellersituation von Landesministern meines Erachtens nicht am Platze ist.
Weitere Zusatzfrage.
Meine Frage an Sie, auch wenn Sie diesen Fall anders einschätzen - wir müssen noch einmal genau recherchieren, wie es wirklich gewesen ist; Herr Staatsminister Hoyer hat uns zugesagt, daß wir alle Erkenntnisse zur Verfügung gestellt bekommen -: Geben solche Fälle, die keine Einzelfälle sind, nicht Anlaß, im Zusammenwirken mit den Petitionsausschüssen der Länder und des Bundes, sich in den Fällen, in denen Bedenken bestehen und eine Petition anhängig ist - in diesem Fall lag eine im Landtag an -, über ein beschleunigtes Petitionsverfahren zu einigen und für einen kurzfristigen Verbleib, zumindest bis zum Abschluß dieses Verfahrens, in der Bundesrepublik zu sorgen?
Frau Kollegin Nickels, Sie wissen - ich habe bereits darauf hingewiesen -, daß all diese Gesichtspunkte im geltenden Asylverfahren und Abschiebeverfahren berücksichtigt werden können. Das Stichwort heißt: individuelle Abschiebungshindernisse, die mit großer Sorgfalt überprüft werden, gegebenenfalls auch von Gerichten überprüft werden. Ich glaube, daß damit gewährleistet ist, daß in der Tat ein optimaler Schutz auch bezüglich dieses Personenkreises besteht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Burkhard Hirsch.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre eben gemachte Bemerkung dahin verstehen, daß Sie dankenswerterweise die Anhängigkeit eines Petitionsverfahrens als Abschiebehindernis bewerten?
Herr Kollege Dr. Hirsch, über Abschiebehindernisse im konkreten Falle entscheidet das jeweilige Land. Deshalb bitte ich als nicht Zuständiger, mir die Antwort hier nicht zuzumuten.
({0})
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer, bitte.
Herr Sengül mußte nach den vorliegenden Informationen nach der Abschiebung zwangsweise in sein Heimatdorf zurückkehren. Er hatte diese Auflage bekommen, und ihm wurden seine Papiere abgenommen. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen: Im Asylverfahren bei Kurden wird immer darauf abgehoben, Kurden hätten die Möglichkeit, sicher in der Westtürkei zu leben, und es bestünde von daher eine inländische Fluchtalternative. Wie bewerten Sie dieses vor dem Hintergrund, daß Leute offenbar gezwungen werden, in ihre Heimatorte zurückzukehren?
Ich beziehe mich hier auf die Antwort des Kollegen Staatsminister Hoyer, der darauf hingewiesen hat, daß der Betroffene angegeben hat, freiwillig und ohne Zwang zurückgekehrt zu sein. Im übrigen ist die Tatsache, daß die türkischen Behörden beispielsweise nach der Ankunft in Istanbul Befragungen vornehmen, kein außergewöhnlicher Sachverhalt.
Damit sind die Dringlichen Fragen beantwortet.
Wir kommen dann zur regulären Frage 1 des Abgeordneten Hans Büttner aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft:
Ist es nach Ansicht der Bundesregierung nach der Tarifordnung Elektrizität rechtlich zulässig, daß Stromversorgungsunternehmen für Privatkunden, die in ihrem Haushalt zu Pflegende der Pflegestufe III ({0}) betreuen und aufgrund des dadurch bedingten Einsatzes elektrischer Hilfsmittel ({1}) einen weit über dem Durchschnitt vergleichbarer Haushalte liegenden Stromverbrauch haben, Sondertarife gewähren können?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb zur Verfügung. Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Büttner, ich beantworte die Frage wie folgt: Derartige Sondertarife sind nicht zulässig. Die 1989 novellierte Bundestarifordnung Elektrizität verfolgt in erster Linie das Ziel, die Strompreise stärker an den Kosten der Stromversorgung zu orientieren. Das schafft Anreize, Strom sparsam und rationell zu verwenden und hierdurch zur Ressourcenschonung und zum Umweltschutz beizutragen.
Mit einer solchen Kostenorientierung wäre es nicht vereinbar, die Strompreise nach sozialen Gesichtspunkten zu differenzieren. Es gibt deshalb auch
Parl. Staatssekretär Heinrich L. Kolb
keine besonderen Tarife etwa für kinderreiche Familien, Senioren, Aussiedler, Arbeitslose, Sportvereine oder gemeinnützige Einrichtungen. Zur Erreichung sozialpolitischer Ziele sollten die sozialpolitischen Instrumente, nicht aber der Strompreis herangezogen werden.
Eine Nachfrage, bitte.
Erste Zusatzfrage: Herr Staatssekretär, ist angesichts der Tatsache, daß gerade die Politik, der Gesetzgeber aus gesellschaftspolitischen Gründen Wert darauf gelegt hat, zu Pflegende möglichst in ihren Familien zu pflegen, und angesichts der Tatsache, daß dem Ziel eines rationellen Stromverbrauchs in diesem Bereich objektiv nicht entsprochen werden kann, weil hier durch die objektiven Gegebenheiten eine andere Sachlage vorhanden ist als bei den von Ihnen geschilderten Fällen, und angesichts der Tatsache, daß der Stromverbrauch für solche Fälle weit über dem Durchschnitt vergleichbarer Personen und Haushalte liegt, eine Gleichbehandlung zum Beispiel mit den Sondertarifen für Gewerbekunden nicht doch gerechtfertigt, nachdem ja auch dort ein staatlich vorgegebenes Ziel, in diesem Fall die Förderung von Wirtschaftsunternehmen durch die Stromversorgungsunternehmen, angesteuert wird?
Herr Kollege Büttner, in Ihrer Frage haben Sie ja ausgeführt, daß es Motive der Sozialpolitik sind, die dazu führen können, möglicherweise in Haushalten, in denen Pflegebedürftige der Stufe III gepflegt werden, einen solchen Mehrbedarf zu berücksichtigen. Ich möchte allerdings sagen, daß das auf andere Weise geschehen sollte. Mir ging es in meiner Antwort ja nur darum, klarzumachen, daß die Bundesregierung nicht der Auffassung ist, daß man einem solchen sozialen Anliegen über Stromtarife Rechnung tragen sollte. Es wäre vielmehr an diesem Hohen Hause, entsprechende sozialpolitische Initiativen zu starten.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Zweite Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, in Ihrer Antwort haben Sie deutlich gemacht, daß Sondertarife nur zulässig sind, wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt sind. Ist es nicht zweifellos aus wirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt, nach den Sondertarifbestimmungen, wie sie gegenüber Großkunden, Großabnehmern und gegenüber Gewerbetreibenden angewandt werden, entsprechende Tarife auch für Verbraucher mit hohem Stromverbrauch vorzusehen bzw. müßten nach dieser Begründung dann nicht Sondertarife für .Gewerbekunden und Großbetriebe abgeschafft werden, weil auch hinter dieser Regelung eine entsprechende politische Zielsetzung steht, die diese Praxis rechtfertigt?
Zunächst einmal, Herr Kollege Büttner: Sonderverträge kommen dann in Betracht, wenn auf Grund des Abnahmeverhaltens des Kunden die Einstufung in den allgemeinen Tarif elektrizitätswirtschaftlich - ich betone: elektrizitätswirtschaftlich - nicht sachgerecht wäre. In den Fällen, auf die sich Ihre Frage bezieht, soll aber der Art der Stromverwendung Rechnung getragen werden,
({0})
ohne daß elektrizitätswirtschaftliche Besonderheiten bestehen. Deswegen eignen sich diese Fälle nicht zur Begründung eines Sondervertrages.
({1})
Sie haben in Ihrer Frage ja gezielt den Haushalt mit einem Pflegebedürftigen der Pflegestufe III angesprochen.
({2})
Wenn Sie mir nur noch folgenden Hinweis gestatten: Es ist durchaus vorstellbar, daß auch soziale Einrichtungen in den Genuß anderer Tarife und nicht nur des Einheitstarifes kommen. Da wäre aber das Kriterium, an das angeknüpft werden müßte, zum Beispiel die zeitliche Differenzierung des Verbrauchs. Gewerbebetriebe unterscheiden sich in bezug auf den Verbrauch gerade dadurch von Privathaushalten, daß Privathaushalte während der ganzen Woche, Gewerbebetriebe in der Regel aber nur an fünf Tagen Strom nachfragen. Wenn Sie sich bestimmte Einrichtungen ansehen - Kindergärten, Sozialeinrichtungen verschiedenster Art -, stellen Sie fest, daß es da durchaus eine Parallelität des Verbrauchsverhaltens, elektrizitätswirtschaftlich begründet - es geht ja darum, dann auch Kapazitäten bereitzuhalten -, gibt.
Ich kann mir vorstellen, daß in solchen Fällen Gewerbetarife zur Anwendung kommen. Aber auf Ihre spezielle Frage, die Sie gestellt haben: „Wie sieht es in einem Privathaushalt, in dem ein Pflegebedürftiger lebt, aus?", kann ich Ihnen keine andere Antwort als die hier vorgetragene geben.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht bereit der Parlamentarische Staatssekretär Wolfgang Gröbl.
Ich rufe die Frage 2 der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, was die vom Bundesrat erbetene Prüfung der Grundwassergefährdung durch die Anwendung von Unkrautbekämpfungsmitteln mit dem Wirkstoff Diuron auf Gleisanlagen und auf sonstigen öffentlichen Verkehrsflächen ergeben hat, und zu welchen Ergebnissen kommt das von der Deutschen Bahn AG in Auftrag gegebene FreseniusGutachten in bezug auf die weitere Anwendung von Diuron auf Gleisanlagen und Betriebsflächen der Deutschen Bahn AG?
Frau Kollegin Dr. Schwall-Düren, um der Bitte des Bundesrats in seiner Entschließung vom 16. Dezember 1994 nachzukommen, werden zur Zeit von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft als Zulassungsbehörde für Pflanzenschutzmittel im Einvernehmen mit dem Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin und dem Umweltbundesamt alle verfügbaren Daten für den Wirkstoff Diuron neu bewertet. Dabei werden auch die Ergebnisse des Fresenius-Gutachtens, soweit sie inzwischen vorliegen, berücksichtigt.
In einem Fachgespräch der Biologischen Bundesanstalt mit den betroffenen Ressorts, den Ländervertretern - Hessen hat in diesem Fall die anderen Länder vertreten - und den betroffenen Wirtschaftskreisen über die Problematik der Vegetationskontrolle auf Gleisanlagen und sonstigen öffentlichen Verkehrsflächen und Anlagen wurde zusammenfassend festgestellt, daß sich aus den Zwischenergebnissen des Gutachtens keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, daß als Folge einer sachgerechten und bestimmungsgemäßen Anwendung von diuronhaltigen Pflanzenschutzmitteln schädliche Auswirkungen auf das Grundwasser zu erwarten sind.
Das seinerzeit von der Deutschen Bundesbahn - heute: Deutsche Bahn AG - vergebene Gutachten erwies sich als nicht ausreichend. Es bedarf noch ergänzender Untersuchungen und gutachterlicher Aussagen, die bisher noch nicht abgeschlossen sind. Den Abschluß des Gutachtens durch das Institut Fresenius erwartet die Deutsche Bahn AG 1998.
Zusatzfrage, bitte.
Dann möchte ich Herrn Staatssekretär fragen, ob Erkenntnisse vorliegen über die Adsorptionsfähigkeit bzw. die Durchlässigkeit von Gleisunterbau und Betriebsflächen der Deutschen Bahn AG bzw. über die Abbaubarkeit von diuronhaltigen Pestiziden. Es geht also um den Zeitpunkt des Abbaus und die Metaboliten.
Genau dies ist der Gegenstand der Untersuchungen des Fresenius-Gutachtens, das zwar Zwischenergebnisse, aber noch keine belastbaren Ergebnisse bezüglich der Verwendung von Diuron auf Gleisanlagen und anderen öffentlichen Verkehrsflächen erbracht hat.
Zusatzfrage, bitte.
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die Belastungen von Wassereinzugsgebieten - das ist von Grundwasservorräten zu unterscheiden - durch die Diuronanwendung seitens der Deutschen Bahn AG?
Solche Erkenntnisse sind mir bisher nicht bekannt.
Auch nicht aus dem Fresenius-Gutachten?
Das Fresenius-Gutachten hat Belastungen in unmittelbarer Nähe von Gleiskörpern festgestellt. Soweit Gleiskörper gefährdete Gebiete durchschneiden oder berühren, wären diesbezüglich noch vertiefende Untersuchungen erforderlich.
Wir kommen damit zur Frage 3 der Abgeordneten Dr. Angelica Schwall-Düren:
Ist der Bundesregierung bekannt, welchen Einfluß die vielfältigen Funde von Diuron im oberflächennahen Grundwasser auf die bis Ende Februar anstehenden Entscheidungen der Biologischen Bundesanstalt über die Zulassung der weiteren Anwendung von Diuron auf privaten, öffentlichen und nicht landwirtschaftlich genutzten Freiflächen haben, und in welchen Fällen gibt es Ausnahmegenehmigungen der zuständigen Landesbehörden?
Die Neubewertung des Wirkstoffes Diuron durch die Zulassungsbehörde ist noch nicht abgeschlossen. Die Biologische Bundesanstalt wird bei ihrer Entscheidung über den Antrag auf erneute Zulassung diuronhaltiger Pflanzenschutzmittel in jedem Fall die ihr vorliegenden Befunde und bekanntgewordenen Informationen über Funde von Diuron in Gewässern berücksichtigen.
Über die Anzahl der von den zuständigen Behörden der Länder erteilten Ausnahmegenehmigungen kann wegen der Kürze der zur Beantwortung der Frage zur Verfügung stehenden Zeit keine Antwort gegeben werden, da dies einer Umfrage in den Ländern bedarf, die ihrerseits wiederum die zuständigen Behörden befragen müssen.
Die Länder haben eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um die Praxis bei der Erstellung von Ausnahmegenehmigungen für die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf Gleisanlagen zu koordinieren.
Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat dem Vorsitzenden des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bereits mit Schreiben vom 29. September 1995 mitgeteilt, daß es einen zusammenfassenden Bericht über die Umsetzung der Entschließung des Bundesrates zu Diuron im Laufe des Frühjahrs 1996 vorlegen wird.
Zusatzfrage, bitte.
Ist der Bundesregierung bekannt, Herr Staatssekretär, wie die Biologische Bundesanstalt darauf reagieren wird, daß
dem von ihr Anfang 1995 an den Hauptproduzenten Bayer AG herangetragenen Wunsch nach Aufdruck der Genehmigungspflicht auf Packungen für Kleinanwender von diuronhaltigen Pestiziden nicht entsprochen wurde?
Das ganze Thema wird ja im Zusammenhang untersucht. Die Biologische Bundesanstalt muß die Frage der Verlängerung der Zulassung oder einer neuen Zulassung untersuchen; denn am 31. März dieses Jahres läuft die Zulassung für zwei von insgesamt drei Mitteln ab. Deshalb muß entschieden werden, ob diese Mittel der Deutschen Bahn AG weiterhin zur Verfügung stehen oder nicht. In diesem Zusammenhang wird auch die von Ihnen aufgeworfene Frage behandelt.
Möchten Sie dazu eine Zusatzfrage stellen? - Bitte.
Was wird die Bundesregierung angesichts der noch ausstehenden Gutachten unternehmen - bevor diese Gutachten vorliegen, schon im kommenden Frühjahr -, um die Abschwemmung von auf Freiflächen ausgebrachtem Diuron in Bäche, Flüsse und Grundwasser zu verhindern, und ist sie bereit, wenn diese Gutachten erstellt sind, im Zweifelsfalle die Anwendung von Diuron zu verbieten?
Zunächst muß ich auf meine letzte Antwort verweisen: Ich habe ausgeführt, daß zwei der drei gebräuchlichen diuronhaltigen Mittel am 31. März dieses Jahres ihre Zulassung verlieren. Die Biologische Bundesanstalt hat zu entscheiden, ob diese Zulassung erneuert wird oder nicht.
Das dritte in Frage kommende diuronhaltige Mittel verliert seine Zulassung am 31. Dezember dieses Jahres. Wiederum ist die Biologische Bundesanstalt gefordert, über die Neuzulassung zu entscheiden, mit diesem oder jenem Ausgang.
({0})
- Solange die Mittel zugelassen sind, haben die Länder - so ist die derzeitige Rechtspraxis - die Möglichkeit, Ausnahmegenehmigungen für die Anwendung diuronhaltiger Mittel auf Verkehrsflächen, auf Freiflächen, auf nicht land-, forst- und gartenwirtschaftlich genutzten Flächen zu erteilen. Diese Ausnahmegenehmigungen werden von den Ländern erteilt. Um eine einheitliche Genehmigungspraxis sicherzustellen, haben die Länder hierfür einen Arbeitskreis eingerichtet.
Für ein generelles Verbot ist im Augenblick kein Platz.
Danke, Herr Staatssekretär. - Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Die Parlamentarische Staatssekretärin Michaela Geiger ist zur Beantwortung der Fragen erschienen.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Hans Büttner auf:
Hält die Bundesregierung an ihrer Auffassung fest, daß für die Bundeswehr als erste Armee eines demokratischen Deutschlands die Wehrmacht des Dritten Reiches und deren Offiziere per se nicht traditionsbildend sein können, es sei denn, einzelne Personen haben sich durch ihr Verhalten im Einsatz für Menschenrechte, Frieden und Freiheit im Sinne der entsprechenden Artikel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ({0}) ausgezeichnet?
Herr Abgeordneter Büttner, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß nicht die Wehrmacht als Institution, wohl aber einzelne Soldaten traditionsbildend sein können. Dies gilt zum Beispiel für die Offiziere des 20. Juli, aber auch für viele Soldaten im Einsatz an der Front.
Unveränderter Bezugspunkt für die Traditionspflege der Bundeswehr bleibt die Werteordnung unseres Grundgesetzes. Bei der Frage nach der Traditionswürdigkeit beschränken wir uns nicht nur auf rein militärische Haltungen und Leistungen. Entscheidend sind Gesamtpersönlichkeit und Gesamtverhalten.
Pauschalurteile über die Offiziere der Wehrmacht „per se", wie Sie in Ihrer Frage formuliert haben, werden den ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht nicht gerecht. Was die Kriegsgeneration an Beispielen militärischer Tüchtigkeit, Tapferkeit, Opfermut und Kameradschaft erbracht hat und in zahlreichen Zeugnissen sittlicher Bewährung und Menschlichkeit vorlebte, gehört zum unbestrittenen Erbe der deutschen Militärgeschichte. Den Soldaten, die persönlich ehrenhaft gehandelt und tapfer gekämpft haben, gebührt auch heute Anerkennung und Respekt.
Diesen Respekt hat am 8. Mai 1995 in seiner vielbeachteten Rede in Berlin aus Anlaß des 50. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges kein geringerer als François Mitterrand mit folgenden Worten zum Ausdruck gebracht:
Ich bin nicht gekommen, um die Niederlage herauszustellen, weil ich wußte, welche Stärken das deutsche Volk hat, welche Tugenden, welcher Mut, und wenig bedeutet mir seine Uniform und auch die Vorstellung in den Köpfen dieser Soldaten, die in so großer Zahl gestorben sind. Sie waren mutig. Sie nahmen den Verlust ihres Lebens hin. Für eine schlechte Sache, aber ihre Taten hatten damit nichts zu tun. Sie liebten ihr Vaterland.
Eine Nachfrage des Abgeordneten Büttner.
Frau Staatssekretärin, angesichts der Tatsache, daß die Bundeswehr - im Gegensatz zu den Armeen der USA, GroßbritanHans Büttner ({0})
niens und Frankreichs, die jeweils auf einer wesentlich längeren Tradition eines demokratischen Staates beruhen - die erste Armee in einem demokratischen Deutschland ist, frage ich: Ist Ihre Aussage als Widerspruch zu den Ausführungen des Bundesverteidigungsministers, der hier im Plenum bei der Debatte zur Namensänderung der beiden Kasernen Dietl und Kühler erklärt hat - das hat der „Spiegel" auch zitiert -, daß die Wehrmacht als Organisation des Dritten Reiches keine Tradition begründen dürfe, zu verstehen?
Herr Abgeordneter, Sie werden mit Sicherheit, wenn Sie das genau nachlesen, keinerlei Widerspruch entdecken.
Doch! Ich möchte als Frage festhalten, daß nach Ihrer Auffassung die Wehrmacht selbst keine Tradition bilden könne, weil sie nicht Bestandteil eines demokratischen Staatswesens war. Unser Grundgesetz legt die Achtung von Menschenrechten und die Freiheit des einzelnen zugrunde. Keine deutsche Armee vor der Bundeswehr baute auf diesen Grundlagen auf, und deshalb kann die Wehrmacht als Organisation nicht traditionsbildend sein.
Vielleicht haben Sie das nicht genau gehört, und deshalb darf ich den Beginn meiner Antwort zitieren:
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß nicht die Wehrmacht als Institution, wohl aber einzelne Soldaten traditionsbildend sein können.
Das dürfte die Antwort auf Ihre Frage sein.
({0})
Sie dürfen nur zwei Zusatzfragen stellen, tut mir leid.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Parlamentarische Staatssekretärin Sabine Bergmann-Pohl ist zur Beantwortung der Fragen erschienen.
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg auf:
Welche veterinärmedizinischen Präparate, die den Wirkstoff Chloramphenicol ({0}) enthalten, hatten nach Inkrafttreten des Anwendungsverbotes von CAP bei lebensmittelliefernden Tieren am 23. August 1994 noch eine Zulassung in der Bundesrepublik Deutschland?
Dr. Sabine Bergmann-Pohl: Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsidentin, ich habe die Bitte, wenn Herr Wodarg einverstanden ist, beide Fragen zusammen zu beantworten.
({1})
Ich rufe dann zusätzlich die Frage 8 des Abgeordneten Wolfgang Wodarg auf:
Auf welche Weise wurden die Hersteller der Präparate über die Rücknahme der Zulassungen durch das zuständige Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin ({0}) informiert, und wann erfolgte die Zulassungsrücknahme im einzelnen bei allen im Markt befindlichen Präparaten?
Herr Kollege Wodarg, das Verbot der Anwendung von Chloramphenicol gilt in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ab dem 23. August 1994. Zu diesem Zeitpunkt waren noch 21 Präparate zur Anwendung bei lebensmittelliefernden Tieren zugelassen.
Die zugrunde liegende Verordnung der Europäischen Union Nr. 1430/94 vom 22. Juni 1994 bestimmt, daß das Verbot der Verabreichung von Chloramphenicol innerhalb einer Frist von 60 Tagen nach Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft zu gewährleisten ist.
Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin hat im Bundesanzeiger Nr. 141 vom 29. Juli 1994, also vor Ablauf der Frist, und im „Deutschen Tierärzteblatt" vom September 1994 auf das Anwendungsverbot und die sich für die betroffenen pharmazeutischen Unternehmen ergebenden, in eigener Verantwortung durchzuführenden Maßnahmen hingewiesen.
Eine Zusatzfrage? - Bitte, Sie haben jetzt insgesamt vier.
Frau Staatssekretärin, ich habe eine erste Zusatzfrage. Angesichts der Tatsache, daß bei erst kürzlich durchgeführten Untersuchungen bei unterschiedlichen Arten lebensmittelliefernder Tiere in einer großen Prozentzahl der Fälle das giftige Medikament Chloramphenicol nachgewiesen wurde, möchte ich Sie fragen: Warum wurde die Anlage 1 der Bundesverordnung über Stoffe mit pharmakologischer Wirkung noch nicht im Sinne des EU-weiten Verbots des CAP-Einsatzes bei lebensmittelliefernden Tieren ergänzt?
Es bedarf nur einer Aufnahme in die von Ihnen zu erlassende Verordnung. Warum ist das noch nicht geschehen?
Zunächst einmal waren wir verpflichtet, die EU-Verordnung sofort umzusetzen. Das haben wir getan. Ich darf darauf hinweisen, daß es bereits seit 1984 ein nationales Verbot der Anwendung der chloramphenicolhaltigen Medikamente bei Kühen zur Milchgewinnung und bei Legehennen und Geflügel zur Eiergewinnung gab. Auf Drängen Deutschlands ist dieses Verbot dann auch in der Europäischen Union umgesetzt worden.
Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir sagen, wann die bei Inkrafttreten Ihrer Empfehlung an die Unternehmen noch vorhandenen Medikamente, die bei den Tieren dann noch verwendet wurden, letztlich vom Markt verschwunden sind?
Es ist so, Herr Wodarg, daß bei den 21 Präparaten, die am 23. August 1994 noch als zugelassen galten, 18 Fälle durch eingehende Änderungsanzeigen oder Bescheid in der Form von Zurückweisung des Antrags auf Verlängerung der Zulassung oder Widerruf der Zulassung bis zum 24. Januar 1996 abgeschlossen waren. Für die restlichen drei Präparate liegen schriftliche Mitteilungen der pharmazeutischen Unternehmer vor, daß diese Präparate seit Jahren nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Für diese Präparate wurde der Widerruf der Zulassung in die Wege geleitet. Unabhängig davon, Herr Wodarg, besteht aber das Anwendungsverbot, das auch noch durch weitere Rechtsvorschriften unterstützt wird.
Zusatzfrage, bitte.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß auf Grund der nicht erfolgten Zulassungsrücknahmen sowie des Versäumnisses, den Anhang 1 der Verordnung über Stoffe mit pharmakologischer Wirkung zu ergänzen, die strafrechtliche Verfolgung von Mißbrauch entschieden erschwert, ja eine Bestrafung von Anwendern und Vertreibern praktisch unmöglich ist, wie es Juristen wiederholt ausgesagt haben?
Herr Wodarg, ich sehe das nicht so. Es gibt eindeutige Rechtsbestimmungen: Vor Widerruf der Zulassung ist Grundlage für den Tierarzt § 56a Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 95 Abs. 1 Nr. 8 des Arzneimittelgesetzes, der ein Verbot der Verschreibung, der Abgabe und der Anwendung nach Anwendungsgebiet veterinärmedizinisch nicht gerechtfertigter Arzneimittel vorsieht. Des weiteren gibt es im Arzneimittelgesetz ein Verbot für Tierhalter, also das Verbot der Anwendung nicht vom Tierarzt verschriebener Tierarzneimittel. Außerdem gibt es eine Vorschrift im Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz, die ein Verbot des Inverkehrbringens von Lebensmitteln vorsieht, wenn in oder auf ihnen Stoffe mit pharmakologischer Wirkung oder deren Umwandlungsprodukte vorhanden sind, die nach EG-Verordnung 2377/90 bei lebensmittelliefernden Tieren nicht angewendet werden dürfen.
Eine letzte Zusatzfrage.
Angesichts ihrer Kenntnis der Gefährlichkeit dieses Medikaments und ihrer Regelung - die sehr weich ist und auf die Freiwilligkeit der Unternehmen setzt - hat sich die Bundesregierung doch sicher auch vergewissert und hat Rückmeldungen darüber erhalten, in wie vielen Fällen es überhaupt zu Strafverfolgung und Bestrafung gekommen ist, zumal angesichts der Tatsache, daß in 10 bis 15 Prozent aller gezogenen Proben dieses Medikament heute immer noch nachweisbar ist.
Herr Wodarg, ich kann Ihre Angaben hier nicht bestätigen. Mir liegen andere Angaben vor. Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin hat in einem Schreiben vom 29. September 1995 an die obersten Landesveterinärbehörden darauf hingewiesen, daß nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen der Bundesländer 4,1 Prozent der Rückstandskontrollen positiv waren. Aus meiner Sicht hätten die Bundesländer, die für die Überwachung zuständig sind, bereits bei der Kenntnisnahme dieser Ergebnisse tätig werden müssen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schmidbauer.
Frau Staatssekretärin, nach § 30 unseres Arzneimittelgesetzes, in dem es um Rücknahme, Widerruf und Ruhen der Zulassung geht, stellt sich die Frage: Warum wurde trotz des Verbots vom August 1994, also des geltenden EU-Anwendungsverbots bei den bekannten, aufgezeigten und bisher angesprochenen Risiken nicht von § 30 Abs. 3 in Verbindung mit § 25 des Arzneimittelgesetzes Gebrauch gemacht?
Denn danach wäre es möglich, wenn bei einem Arzneimittel der begründete Verdacht besteht, daß bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädigende Wirkungen auftreten, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft über ein vertretbares Maß hinausgehen, die Entscheidung - das ist der entscheidende Punkt - sofort zu vollziehen. Das heißt, Widerspruch und Anfechtungsklagen haben keine aufschiebende Wirkung. Meine Frage ist also konkret: Warum ist von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht worden?
Herr Kollege Schmidbauer, es ist so, daß das Anwendungsverbot grundsätzlich - ich glaube, da gehen wir konform - bestanden hat und daß jegliche Anwendung unabhängig davon, daß diese Arzneimittel noch auf dem Markt waren, strafrechtlich hätte verfolgt werden müssen. Ich habe die Bestimmungen dazu genannt.
Ich habe Ihnen auch gesagt, daß die pharmazeutischen Hersteller bis zum 24. Januar 1996 reagiert haben und inzwischen keines dieser Medikamente mehr auf dem Markt ist. Inwieweit man § 30 des Arzneimittelgesetzes hätte anwenden müssen, kann ich gerne prüfen lassen und Ihnen schriftlich mitteilen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Pfannenstein.
Frau Staatssekretärin, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen der bundesweit gezogenen Proben nach dem Rückstandskontrollplan aus der ersten Hälfte des Jahres 1995?
Die Bundesregierung zieht daraus den Schluß, daß die zuständigen obersten Landesveterinärbehörden ihrer Kontrollpflicht offensichtlich nicht entsprechend nachgekommen sind. Wir haben in einem Brief auf diesen Mißstand hingewiesen.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Die Fragen 9 und 10 werden schriftlich beantwortet.
({0})
- In meinen Unterlagen steht, daß auf Antrag des Fragestellers die Frage 10 schriftlich beantwortet werden soll. - Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ebenso wird die Frage 11 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Otto Schily auf:
Hat die Bundesregierung auf das Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen den iranischen Minister für Information und Sicherheit, Fallahian, und die Entscheidung, ob gegen ihn ein Haftbefehl beantragt werden soll, Einfluß genommen?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke zur Verfügung.
Herr Kollege Schily, die Bundesregierung hat weder auf die Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen Minister Fallahian durch den Generalbundesanwalt noch auf einen möglichen Antrag des Generalbundesanwalts auf Erlaß eines Haftbefehls gegen Minister Fallahian Einfluß genommen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes jener Minister Fallahian unmittelbar in den Mordanschlag, der unter dem Stichwort „Mykonos-Attentat" bekannt ist, verwickelt ist?
Herr Kollege Schily, diese Frage berührt den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern.
Aber ich frage jetzt nach dem Kenntnisstand des Bundesjustizministeriums.
Sind Sie dann so freundlich, Ihre Frage zu wiederholen? Wir hatten nämlich die Beantwortung der Fragen untereinander aufgeteilt.
Ich kann sie gerne wiederholen. Herr Staatssekretär, ist dem Bundesjustizministerium bekannt, daß nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes der Minister Fallahian unmittelbar in den Mordanschlag, der unter dem Stichwort „MykonosAttentat" bekanntgeworden ist, verwickelt ist?
Rainer Funke, Pari. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Die Aussagen im Mykonos-Prozeß, die durch einen Mitarbeiter des Bundesverfassungsschutzes erfolgt sind, sind uns bekannt.
Seit wann ist Ihnen bekannt, daß nach den Erkenntnissen des Bundesverfassungsschutzes eine solche Verwicklung bestand?
Die Aussage dieses Mitarbeiters datiert, glaube ich, vom Dezember vorigen Jahres.
Welche Konsequenzen -
Leider haben Sie keine weitere Zusatzfrage.
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- Frau Amke Dietert-Scheuer, wollen Sie dazu eine Zusatzfrage stellen?
Ja.
Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie erklärten, daß die Bundesregierung in keiner Weise auf die Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens Einfluß genommen hat. Wie erklären Sie sich, daß der iranische Außenminister Welajati gegenüber der Teheraner Tageszeitung „Kayhan" wenige Tage nach der Ressortbesprechung der Bundesregierung erklärt hat:
Der deutsche Bundesanwalt kann alles mögliche sagen; dies wird aber von der Regierungsseite in Deutschland nicht akzeptiert.
Was kann den Herrn Welajati zu dieser Sicherheit bewogen haben?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Zu Spekulationen, insbesondere zu Meinungsäußerungen von Regierungsmitgliedern anderer Staaten, nehmen wir keine Stellung.
Ich rufe die Frage 15 der Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer auf:
Mit welchem Ergebnis ist inzwischen die Prüfung der Frage abgeschlossen worden, ob das Ermittlungsverfahren gegen den iranischen Minister Fallahian, auf dessen Grundlage allein ein Haftbefehl möglich wäre, im Sinne des § 153c der Strafprozeßordnung die „Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland" hervorrufen und deshalb eingestellt werden könne, und wie haben die beteiligten Bundesressorts zu dieser Frage jeweils votiert?
Frau Kollegin, zwischen den zuständigen Bundesministerien hat ein Meinungsaustausch zu dem vom Generalbundesanwalt gegen den iranischen Minister für Nachrichtendienste und Sicherheitsangelegenheiten, Fallahian, eingeleiteten Ermittlungsverfahren und zu einem möglichen Antrag auf Erlaß eines Haftbefehls gegen Minister Fallahian ausschließlich im Hinblick darauf stattgefunden, ob hierdurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 153c Abs. 2 StPO herbeigeführt würde. Die Erörterungen dienten der internen Meinungsbildung der zuständigen Ressorts der Bundesregierung. Einzelheiten kann ich hierzu nicht mitteilen.
Zusatzfrage, bitte.
Können Sie denn, ohne auf nähere Einzelheiten einzugehen, das Ergebnis dieser Erörterungen mitteilen?
Die Bundesregierung hat die Interessenlage abgewogen. Ich habe vorhin in meiner Antwort auf die Frage des Kollegen Schily mitgeteilt, daß Weisungen an den Generalbundesanwalt nicht erfolgt sind.
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Herr Staatssekretär, sind Sie fertig mit Ihrer Antwort?
Ich war mit meiner Antwort fertig.
Dann können Sie, Frau Dietert-Scheuer, noch einmal nachfragen.
Es war in diesem Falle nicht meine Frage, ob an den Generalbundesanwalt eine Weisung erteilt worden ist. Meine Frage war, zu welchem Ergebnis die Bundesregierung bei ihren Erörterungen bezüglich einer Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und einer möglichen Gefährdung gekommen ist.
Darüber hat nicht die Bundesregierung zu entscheiden, sondern der Generalbundesanwalt. Der Generalbundesanwalt hat hier noch keine Entscheidung getroffen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schily.
Herr Staatssekretär, Sie haben uns erklärt, seit Dezember vergangenen Jahres - wenn ich Sie richtig verstanden habe - sei dem Bundesjustizministerium bekannt, daß nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes der Herr Fallahian in diesen Mordanschlag verwickelt sei. Dann hat eine Ressortbesprechung, nach der Sie hier auch gefragt worden sind, stattgefunden.
Wollen Sie hier Ihre Aussage noch einmal bekräftigen, daß Sie diesen Kenntnisstand - und gilt das für die gesamte Bundesregierung? - erst seit Dezember vorigen Jahres haben, und ist die Konsequenz, die Sie aus dieser Erkenntnis gezogen haben, lediglich die Ressortbesprechung gewesen, oder hält es die Bundesregierung für angebracht, gegen Herrn Fallahian, wenn ein dringender Tatverdacht in dem beschriebenen Sinne besteht, auch strafprozessuale Maßnahmen zu ergreifen?
Herr Kollege, ich habe gerade auf die Frage der Kollegin Dietert-Scheuer gesagt, daß der Generalbundesanwalt die Ermittlungen durchzuführen hat und gegebenenfalls einen Haftbefehl zu beantragen hat. Bei diesem Verfahren wirkt die Bundesregierung nicht durch irgendwelche Weisungen mit.
Ich habe vorhin hinsichtlich des ersten Teils Ihrer Frage gesagt, daß wir von den Aussagen des Zeugen des Bundesverfassungsschutzes im Mykonos-Prozeß Kenntnis gehabt haben, und diese Aussagen werden auch vom Generalbundesanwalt verwertet.
Zusatzfrage des Abgeordneten Häfner.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, das Berliner Kammergericht hat sich sogar schon zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt über die mangelnde Kooperation seitens der Bundesregierung beklagt, etwa was die Nichtvorlage von Akten, die Nichterteilung von AusGerald Häfner
sagegenehmigungen usw. betrifft. Dieses Verfahren ist also nicht erst seit der Frage des Haftbefehls, sondern schon sehr viel früher zu einem Streitpunkt zwischen der Bundesregierung und der deutschen Gerichtsbarkeit geworden.
Wären Sie bereit, mir zuzustimmen und dem Parlament hier deutlich zu erklären, daß für den Fall, daß ein dringender Tatverdacht besteht, daß Herr Fallahian Drahtzieher eines mehrfachen Mordanschlags in Berlin gewesen ist, die Bundesregierung alles tun wird, um eine Strafverfolgung, wie dies das Legalitätsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland verlangt, zu ermöglichen, und daß hier alle Hindernisse, die dem möglicherweise auf seiten der Bundesregierung noch entgegenstehen - auch wenn sie Ihnen nicht bekannt sind oder wenn Sie hierüber gegenwärtig nicht Auskunft geben möchten -, ausgeräumt werden, damit die Strafverfolgung und damit unser Rechtsstaat, unsere Gerichtsbarkeit zum Zuge kommen können? Wären Sie bereit, dies hier zuzusichern?
Sie arbeiten mit reichlich viel Unterstellungen. Mir ist nicht bekannt, daß sich das Gericht über das Verhalten der Bundesregierung und über mangelnde Kooperation beklagt hätte. Das ist offensichtlich Ihre Wertung.
Ich habe eben klar gesagt, daß der Generalbundesanwalt in eigener Verantwortung diese Ermittlungen führt und wir dieses Verfahren auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten für richtig halten.
Wir geben hier keine Weisungen an den Generalbundesanwalt. Die Verantwortung für dieses Verfahren liegt beim Generalbundesanwalt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kunick.
Hat die Bundesregierung in der Zwischenzeit diplomatische Kontakte zu Teheran aufgenommen, deren Ergebnisse ihr jetziges Verhalten beeinflussen?
Das ist eine Frage, die an das Auswärtige Amt zu richten ist. Diese Frage ist wohl von einem Fragesteller dem Auswärtigen Amt auch gestellt worden. Vielleicht könnte der Kollege Dr. Hoyer dazu Stellung nehmen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Köster-Loßack.
Seit wann lag der Bundesregierung die Erkenntnis vor, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, daß zur Vorbereitung der Tat eigens ein Geheimdienstteam nach Berlin gereist ist? Insbesondere interessiert mich, ob der Aufenthalt dieses Geheimdienstteams vor der Tat bekannt war.
Diese Aussage, auf die Sie sich beziehen, stammt von dem Zeugen des Bundesverfassungsschutzes im Mykonos-Prozeß.
Diese Angaben, die Sie von mir wünschen, kann ich aus der Verantwortung des Bundesjustizministeriums nicht machen. Das berührt die Zuständigkeit des Innenministers, insbesondere die Frage, inwieweit der Bundesverfassungsschutz in einem frühen Stadium von Aktivitäten von Mitarbeitern des Iranischen Geheimdienstes Kenntnis erlangt hat.
Zusatzfrage des Abgeordneten Singer.
Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, wozu die Berichtspflicht des Generalbundesanwalts gegenüber dem Bundesminister der Justiz dient, wenn nicht zur Ausübung der Fach- und Dienstaufsicht? Wie wollen Sie diese ausüben, wenn Sie Weisungen für das anhängige Ermittlungsverfahren schon jetzt kategorisch ausschließen?
So ganz kategorisch habe ich sie nicht ausgeschlossen. Ich habe lediglich gesagt, daß wir in der Vergangenheit davon Abstand genommen haben, dem Generalbundesanwalt insoweit Weisungen zu erteilen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Probst. - Herr Kollege Singer, Sie haben leider nur eine Frage.
Da es sich bei den Erwägungen und Konsultationen eines Bundesressorts hinsichtlich eines Haftbefehls gegen den iranischen Minister offensichtlich um einen politisch bedeutsamen Vorgang handelt und da diese Erwägungen auch den Eindruck machen, daß sie vom Mykonos-Prozeß beeinflußt worden sind, möchte ich Sie fragen: Wann hat die Bundesregierung die Parlamentarische Kontrollkommission des Deutschen Bundestages bei diesem Vorgang von besonderer Bedeutung im Sinne des § 2 Abs. 1 des PKK-Gesetzes darüber unterrichtet, daß die iranische Regierung nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes am Mykonos-Attentat auf iranische Oppositionspolitiker durch ein in Berlin anwesendes Geheimdienstteam direkt beteiligt war?
Dazu wird der Kollege Lintner Auskunft geben. Diese Fragen sind sehr umfangreich und berühren mehrere Ressorts. Um Ihnen eine sachgerechte Antwort zukommen zu lassen, hat sich das Innenministerium in einer Vorbesprechung bereit erklärt, diese Frage zu beantworten.
Bitte.
Frau Kollegin, darf ich eine Teilantwort geben: Die PKK ist in den Sitzungen am 28. April 1993 und am 28. Oktober 1993 unterrichtet worden und wird heute unterrichtet werden.
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Weitere Zusatzfragen liegen zu dieser Frage nicht vor. Ich will der Vollständigkeit halber noch darauf hinweisen, daß die Frage 13 schriftlich beantwortet wird. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Da liegen für die Fragen 17, 18, 19, 20 und 21 sowie für die Fragen 4 und 5 Anträge auf schriftliche Beantwortung vor, so daß wir den Geschäftsbereich schon wieder verlassen können. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr. Zur Beantwortung ist der Parlamentarische Staatssekretär Johannes Nitsch da.
Ich rufe die Frage 22 der Abgeordneten Jella Teuchner auf:
Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus dem von der PLANCO Consulting GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr erstellten ersten Teilbericht vom November 1995 zur Bewertung des Donauausbaus zwischen Straubing und Vilshofen im Hinblick auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis eines solchen Ausbaus?
Auf die Frage 22 gibt die Bundesregierung folgende Antwort: Der erste Teilbericht von PLANCO Consulting zur Bewertung der staugestützten Flußregelung für den Donauausbau Straubing-Vilshofen weist ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von rund 3,5 aus und belegt damit die gesamtwirtschaftliche Vorteilhaftigkeit dieser Maßnahme und die Einstufung in die Dringlichkeitsstufe „vordringlicher Bedarf" des Bundesverkehrswegeplans.
In dem nun in Auftrag gegebenen zweiten Teilbericht wird die Gesamtwirtschaftlichkeit einer flußbaulichen Lösung bewertet. Folgerungen können erst gezogen werden, wenn auch für die flußbauliche Lösung die ergänzenden Untersuchungen, die ökologischen Bewertungen und die gesamtwirtschaftliche ökonomische Bewertung vorliegen.
Zusatzfrage, bitte.
Wie aussagekräftig ist denn dann diese Untersuchung für die Frage, ob ein Ausbau in der geplanten Form sinnvoll ist, wenn als Vergleichsalternative im Sinne von „alles oder nichts" nur der Fortbestand der bisherigen Situation, nicht aber der Ausbau mit flußbaulichen Methoden oder mit einer verringerten Ausbaubreite und -tiefe herangezogen wurde?
Wir haben für die staugestützte Ausbauvariante ein Nutzen-Kosten-Verhältnis vorliegen. Ich habe Ihnen den Wert genannt. Ich habe Ihnen auch gesagt, daß wir in einer zweiten Stufe eine ähnliche Untersuchung lediglich auf der Basis flußbaulicher Maßnahmen erstellen lassen. Wir werden sehen, wie in diesem zweiten Teilbericht die Auswirkungen insbesondere auf die verkehrlichen Leistungen sein werden.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Aussage des Karlsruher Wasserbauers Dr. Bernhardt, daß - das stand gestern in der „Passauer Neuen Presse" nach dem Ausbau der Donau nach den Plänen der Staatsregierung mit einer dramatischen Verschärfung der Hochwassersituation in Passau zu rechnen ist?
Sehr geehrte Kollegin Teuchner, zu dieser Frage gibt es ein Gutachten. Hierzu wird heute noch einmal angefragt. Ich darf im Vorgriff auf die Antwort, die ich dazu geben werde, bereits sagen, daß nach diesem Gutachten keine Verschlechterung der Hochwassersituation im Vergleich zu den bisherigen Zuständen eintreten wird.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kubatschka.
Herr Staatssekretär, berücksichtigt die Untersuchung auch den Verlust von Naturgütern durch den Ausbau in der geplanten Form? Welcher Wert wird - ausgehend von der Tatsache, daß sich im Ausbaugebiet beispielsweise 54 Prozent der vom Aussterben bedrohten und gefährdeten Vogelarten sowie 32 auf der „Roten Liste" stehenden Fischarten befinden - dem bei dem Ausbau befürchteten Artenverlust beigemessen?
Diese Fragen werden in den Planfeststellungsverfahren einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Es muß jeweils in den Einwendungen geprüft werden, ob die Maßnahme in einem Planfeststellungsbeschluß Baureife erlangt.
Zusatzfrage der Abgeordneten Irber.
Herr Staatssekretär, für wie seriös beurteilt die Bundesregierung ein Kosten-Nutzen-Gutachten, in dem die Ausbaupläne der ERMD mit einer Nullösung, nicht aber - wie es sinnvoll
wäre - mit einer ökologisch vertretbaren Lösung ohne Staustufen und Seitenkanal verglichen werden?
Das Nutzen-Kosten-Verhältnis bezieht sich immer auf die untersuchte Variante und ist in der Form, wie ich es jetzt für die Teilstufe 1 vorgetragen habe, kein Vergleich zu einer anderen Ausbauvariante. Das sind die Kosten-Nutzen-Ergebnisse, die sich aus der staugeregelten Donau ergeben, und zwar ohne Vergleich mit einer anderen Variante. Der Nutzen dieser Staustufen ergibt ein Verhältnis von 3,5 zu den Kosten.
Wir kommen zur Frage 23 der Abgeordneten Teuchner:
Zu welchem Ergebnis kommt das von der Bundesregierung 1994 bei der Technischen Universität München in Auftrag gegebene Gutachten zur Beeinflussung der Hochwassersituation durch den geplanten Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen, das nach verschiedenen Berichten bereits dem Bundesministerium für Verkehr vorliegen soll?
Sehr geehrte Frau Teuchner, das Gutachten der Technischen Universität München zur Beeinflussung des Hochwasserregimes der bayerischen Donau unterhalb von Straubing durch den beabsichtigten Zweistufenausbau kommt zu folgenden Ergebnissen.
Erstens. Eine Veränderung des Hochwasserregimes zwischen Straubing und Passau oberhalb der Mündung von Inn und Ilz tritt durch den geplanten Zweistufenausbau mit Sicherheit nicht ein. So ist es dort formuliert. Unterhalb der Staustufe Osterhofen ist sogar eine partielle Entschärfung der Hochwassersituation zu erwarten, die von der Ausleitung in den Schleusenkanal bis zu einer Rückleitung in die Donau bzw. zur Vils-Mündung reicht.
Zweitens. Eine Veränderung des Hochwasserregimes unterhalb des Zusammenflusses von Donau mit Inn und Ilz in Passau als Folge des staugestützten Flußausbaus ist ausgeschlossen. So das Gutachten.
Zusatzfrage, bitte.
Könnten Sie mir vielleicht die Frage beantworten, auf welchen räumlichen Bereich sich das Gutachten erstreckt? Wurde das gesamte Einzugsgebiet der Donau und auch das ihrer Nebenströme, zum Beispiel Isar, Lech und Altmühl, in dieser Form mit erfaßt?
Ich kann Ihnen den Vorspann dieser Hochwasseruntersuchung vortragen. Die Studie fußt auf den Daten der Hochwasserereignisse von 1972 bis 1992 sowie der beiden Jahrhundertereignisse der Jahre 1994 und 1995. Sie bediente sich wissenschaftlich anerkannter und technisch ausgereifter Methoden der hydrodynamisch-numerischen Modellierung des Donauhochwasserregimes. Aus dem Vergleich der Ergebnisse für den gegenwärtigen Donauzustand auf der Strecke zwischen Straubing und Passau mit dem für den geplanten Zustand des staugestützten Flußausbaus ergeben sich zwei schlüssige Aussagen.
Ich gehe einfach davon aus, daß all diese Dinge, die Sie als Forderung in die Untersuchung mit einbezogen haben wollten, von diesem Team beachtet worden sind.
Möchten Sie nachfragen? - Bitte.
Sie haben gerade durch das Vortragen des Vorspanns gesagt, daß die Zeiten ab 1972 berücksichtigt wurden. Ich frage Sie: Warum umfaßt das Gutachten nicht auch Zeiten von der Zeit vor 1970? Man sollte zum Beispiel bedenken, wie die Jahrhunderthochwasser zustande gekommen sind - gerade vor dem Hintergrund des Jahrhunderthochwassers von 1954. Dazu gibt es durchaus gegenteilige Meinungen, die beinhalten, daß die Stadt Passau durch eine Staustufe zusätzlich gefährdet ist, weil sich durch die Zeitverschiebung des Wasseraufkommens von Inn und Donau ein durchgängiger Hochwasserbereich ergäbe.
Frau Teuchner, ich hatte gesagt, daß neben den Jahren 1972 bis 1992 auch die beiden Jahrhunderthochwasser 1954 und 1965 einbezogen worden sind.
({0})
Zusatzfrage des Abgeordneten Häfner.
Wie beurteilen Sie, Herr Staatssekretär, die eben von Ihnen dargestellten Ergebnisse dieses Gutachtens und damit auch die Pläne der Bundesregierung vor dem Hintergrund der Tatsache, daß sich das Wasser, wie wir alle wissen, in den letzten Jahren leider nicht gutachtenkonform, sondern der Wirklichkeit entsprechend verhalten hat. Die Hochwasser der letzten Jahre sind nämlich immer wieder dadurch entstanden, daß kanalisierte Flußbetten nicht mehr die Möglichkeit bieten, daß das Umland das Wasser in ausreichendem Maße aufnehmen kann, wodurch zwangsläufig Hochwasser unterhalb der kanalisierten Abschnitte entstehen. Dies ist eine Tatsache, die ebenfalls seinerzeit in den Gutachten gar nicht vorgesehen war, aber eingetreten ist. Müßte Sie das nicht im Hinblick auf das jetzt wieder ins Auge gefaßte Projekt zum Nachdenken bringen?
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich glaube, man muß jeden Fluß für sich betrachten. Die Situation am Rhein, vor allen Dingen
am Oberrhein, ist eine andere als zum Beispiel an der Elbe. Die Situation an der Donau ist ebenfalls eine völlig andere.
Ich habe jetzt das Gutachten zu diesen beiden Staustufen vorgetragen. Ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß ich durch die Räume, die ich mit diesen Staustufen geschaffen habe, auch schon prognostisch auf das Hochwasser reagieren kann, indem ich das angestaute Wasser vor Ankunft der Hochwasserwelle abfließen lasse.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kubatschka.
Herr Staatssekretär, wir wissen aus Untersuchungen, daß an der Donau die Hochwasserwellen schneller geworden sind. Durch die Tatsache, die vorhin schon abgehandelt wurde - Kanalisierung usw. -, wird das Wasser schneller. Es handelt sich inzwischen um viele Stunden.
Belegt das Gutachten eindeutig, daß es nicht zu einer Überlappung der Hochwasser des Inn und der Donau kommt, weil die Hochwasserwelle der Donau schneller geworden ist?
Zu berücksichtigen bitte ich ebenfalls: Auch die Ilz kann eine Hochwasserwelle mitbringen.
Aus Erfahrungen mit dem letzten Rheinhochwasser wissen wir, daß selbst ein kleiner Vorfluter relativ katastrophale Wirkungen im Hochwasserbereich haben kann. Trotz Ihrer Einschränkung, daß jeder Fluß verschieden sei: Ist dies so berücksichtigt? Können Sie völlig ausschließen, daß es zur soeben beschriebenen Überlappung kommt und die Passauer in 10, 15 Jahren, wenn der Ausbau beendet ist, doch sehr schnell nasse Füße bekommen?
Johannes Nitsch, Parl. Staatsminister beim Bundesminister für Verkehr: Mit Sicherheit ausschließen kann man bekannterweise nichts. Ich gehe davon aus, daß die Technische Universität München all die Ortskenntnisse, über die Sie in reichem Maße verfügen, auch hat und diese in ihrem Gutachten, dessen Ergebnis ich Ihnen zusammengefaßt vorgetragen habe, berücksichtigt hat.
Aber: Wenn Sie es wünschen, können wir uns die spezielle Frage nach Hochwasser in der Ilz und Zusammentreffen der Hochwasserwellen noch einmal genau anschauen. Ich schlage Ihnen vor, Herr Kubatschka, daß ich Ihnen das noch schriftlich gebe.
({0})
Zusatzfrage der Abgeordneten Saibold.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, da ich schon in mehreren Schriftwechseln über den Auftrag, die Auftragsbeschreibung dieses Gutachtens aus Ihrem Hause die widersprüchlichsten Antworten erhalten habe, möchte ich heute noch einmal nachfragen, ob es dabei geblieben ist, daß nur der Einzugsbereich ab Straubing bis zur Staustufe Kachlet in Passau einbezogen wurde oder ob es einen neuen Auftrag gegeben hat und ob ich den, wenn ja, haben kann.
Ich kann Ihnen, sehr verehrte Frau Saibold, noch einmal vortragen: Eine Veränderung des Hochwasserregimes zwischen Straubing und Passau, vor der Mündung von Inn und Ilz, tritt mit Sicherheit nicht ein. Unterhalb der Staustufe Osterhofen ist sogar eine partielle Entschärfung der Hochwassersituation zu erwarten.
({0})
- Dann darf ich Sie bitten, Ihre Frage zu wiederholen.
Es ist eigentlich nur eine Zusatzfrage zulässig. Aber wenn der Herr Staatssekretär um Wiederholung der Frage bittet - bitte.
Herr Staatssekretär, ich habe Ihren Ausführungen sehr aufmerksam zugehört und dann meine Frage gestellt, die Sie aber offensichtlich nicht richtig verstanden haben.
Ich habe gesagt, daß ich in verschiedenen Schriftverkehren mit Ihrem Hause die unterschiedlichsten, widersprüchlichsten Angaben über den Auftrag, über den Umfang, was in diesem Gutachten untersucht werden soll, bekomme. Ich frage Sie deshalb, ob es dabei geblieben ist, daß nur der Einzugsbereich ab Straubing bis zur Staustufe Kachlet in Passau, das heißt, vor der Mündung von Ilz und Inn, untersucht worden ist oder ob es einen neuen Auftrag gegeben hat.
Die Gutachter waren aufgefordert, die Beeinflussung des Hochwasserregimes unterhalb Straubings durch die beiden Staustufen zu untersuchen; so ist die Formulierung in der Überschrift.
Weitere Zusatzfragen zu der Frage liegen nicht vor.
Bei den Fragen 24 und 25 hat der Fragesteller um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nun die Frage 26 des Abgeordneten Horst Kubatschka auf.
Ist die Bundesregierung bereit, dem Institut für Wasserbau und Kulturtechnik der Universität Karlsruhe einen umfassenden Auftrag über die Möglichkeiten und Grenzen flußbaulicher Ausbauverfahren für die Donau zwischen Straubing und Vilshofen zu erteilen, der nicht nur die Frage umfaßt, ob die bisher festgelegten Ausbauziele mittels flußbaulicher Verfahren erreicht werden können, sondern sich auch darauf erstreckt, welche Breite und Tiefe mittels derartiger Verfahren überhaupt erreichbar sind?
Sehr verehrte Frau Präsidentin, die Frage 26 beantworte ich so, daß die Bundesregierung dazu nicht bereit ist; denn Ministerpräsident Dr. Stoiber und Bundesverkehrsminister Wissmann haben vereinbart, daß die Bundesanstalt für Wasserbau, die in der fachwissenschaftlichen Beratung der Bundesregierung weisungsunabhängig arbeitet, die ergänzenden flußbaulichen Untersuchungen koordiniert. Diese Untersuchungen werden dann aufzeigen, ob und inwieweit die bisher festgelegten Ausbauziele mittels flußbaulicher Methoden erreicht werden können und welche Breite und Tiefe mittels derartiger Verfahren erreichbar sind.
Das Institut für Wasserbau und Kulturtechnik der Universität Karlsruhe ist mit einem Teilauftrag an der Untersuchung beteiligt. Darüber hinaus wird Professor Dr. Nestmann auch in dem die Untersuchung begleitenden Wissenschaftlergremium vertreten sein.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie wissen aber auch, daß in Fachkreisen bisher noch keine umfassende Diskussion über Abweichungen von den Ausbauzielen stattgefunden hat. Bisher wurden immer nur die Ausbauziele diskutiert. Es fand keine umfassende Diskussion über Abweichungen und über Möglichkeiten flußbaulicher Maßnahmen, dies auszubauen, statt. Wäre es nicht bei einem 1,3Milliarden-DM-Projekt sinnvoll, diese umfassende Diskussion in Fachkreisen unter weisungsunabhängigen Wissenschaftlern zu führen, um damit zu einem optimalen Ergebnis zu kommen?
Die Bundesregierung geht davon aus, daß eine tiefgründige Diskussion in Fachkreisen nur dann sinnvoll und möglich ist, wenn eine Zielvorgabe existiert. Die Zielvorgabe, die wir für den Donauausbau vorgegeben haben, ist die möglichst ganzjährige Nutzung einer Abladetiefe von 2,50 Meter. Wenn wir daruntergehen, verändern sich für die Binnenschiffahrt die ökonomischen Daten.
In Ihrer nächsten Frage kommen wir auf die Internationale Donaukommission. Dort ist ebenfalls die Stauregelung der Donau vorgesehen sowie eine Abladetiefe von 2,50 Meter vorgeschrieben.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, das heißt, die Bundesregierung ist nicht bereit, unter Fachleuten auszuloten, was über flußbauliche Maßnahmen erreichbar ist, und dieses Ergebnis von unabhängigen Wissenschaftlern diskutieren zu lassen, zum Beispiel an Universitäten, wo die neuesten Erkenntnisse vorhanden sind? Sie stellt diese Lösung in den Raum und das ist alles, und zwar unter den Prämissen, die Sie vorgegeben haben.
Nein, Herr Abgeordneter Kubatschka. Ich habe bereits ausgeführt, daß wir eine zweite Teilstudie in Auftrag gegeben haben, in der die Ergebnisse und die Grenzwerte ausgelotet werden, die mit flußbaulichen Ausbaumaßnahmen erreichbar sind. Diese Teilstudie liegt uns noch nicht vor. Wir werden sehen, was uns dort angeboten wird. Wir spielen diesen Bereich also vollkommen durch.
Zusatzfrage der Abgeordneten Teuchner.
Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie, wenn Sie diesem Institut für Wasserbau und Kulturtechnik der Universität Karlsruhe zumindest einen Teilauftrag geben, nicht bereit sind, diesen Auftrag auf Grund neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse zu vergeben? Sie gehen von einem alten Auftragsstand aus. Gehe ich recht in der Annahme, daß das so ist?
Nein, das ist nicht der Fall. Ich sage noch einmal: Wir haben eine Zielvorgabe, die die Ökonomie der Binnenschiffahrt berücksichtigt. An dieser halten wir fest.
Frau Kollegin Irber, möchten Sie eine Zusatzfrage stellen?
({0})
- Nicht zu dieser Frage.
Dann rufe ich die Zusatzfrage des Abgeordneten Häfner auf und dann die Kollegin Saibold.
({1})
Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, müßte es nicht auch im Interesse der Bundesregierung selbst liegen, um unter anderem auch die notwendige Akzeptanz für Maßnahmen in diesem Bereich in der Bevölkerung und bei den beteiligten Kommunen usw. zu bekommen, endlich einmal unvoreingenommen die verschiedenen in der Debatte stehenden Varianten prüfen zu lassen, zu denen ja selbstverständlich nicht nur die von Ihnen favorisierte Maßnahme mit Kanalisierung und Staustufen gehört, sondern eben auch die Variante mit flußbautechnischen Maßnahmen bei einer entsprechend leicht geringeren Ausbautiefe? Läge es nicht auch in Ihrem Interesse, dies endlich einmal unvoreingenommen und nachvollziehbar gegeneinander abzuwägen?
Ich denke, das tut die Bundesregierung. Ich habe ja auch bereits mehrfach erwähnt, daß eine zweite Teilstudie in Auftrag gegeben worden ist, in welcher die Grenzen abgesteckt werden, die mit rein flußbaulichen Maßnahmen erzielt werden können. Lassen Sie uns dann, wenn
uns diese zweite Teilstudie vorliegt, über die Grenzen, die dort aufgezeigt werden, und die Relation zu unserem Ausbauziel sprechen.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Saibold.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie ja gerade davon gesprochen haben, daß sich bei einer Veränderung der Ausbauziele eine ökonomische Verschlechterung für die Wirtschaft ergeben würde, frage ich Sie hier noch einmal, ob Sie denn auch in Übereinstimmung mit der Umweltministerin sind und ob ökologische Überlegungen bei Ihnen überhaupt eine Rolle spielen. Denn in bezug auf die Elbe wird genau aus ökologischen Gründen von Frau Merkel darauf verzichtet, einen Staustufenbau vorzunehmen.
Zur Elbe kann ich Ihnen ganz genau antworten, Frau Saibold; ich bin dort großgeworden; ich kenne die Elbe sehr genau. In bezug auf die Elbe hat es nie das Thema Staustufen gegeben. Es gibt keine Dokumente und Unterlagen über Staustufen.
({0})
Wir haben an der Elbe das Reparaturziel, 180 Tage im Jahr mit einer Abladetiefe von 2,50 Metern zu fahren und im restlichen Jahr mit einer Abladetiefe von 1,60 Metern. Das ist auch im gut verstandenen Interesse des Umweltschutzes. Denn wir müssen die Elbe erst wieder auf den Stand bringen, den sie vor 60 Jahren hatte. Im Moment gibt es eine Solenerosion, die uns, wenn wir sie nicht stoppen, die Elbauen vernichtet.
Zusatzfrage, Herr Kollege Kalb.
Herr Staatssekretär, Sie haben ja berichtet, daß für den Abschnitt Waltendorf bei Straubing die flußbaulichen Möglichkeiten ausgelotet werden sollen. Würden Sie bestätigen können, daß man, wenn man dort zu überzeugenden Ergebnissen und auch zu dem Ergebnis käme, daß die flußbaulichen Möglichkeiten noch nicht voll ausgeschöpft und ausgereizt wären, diese Erkenntnisse dann auch auf den Abschnitt unterhalb der Isarmündung übertragen bzw. dann dort auch neue Überlegungen anstellen könnte?
Ja, entscheidend ist, Herr Abgeordneter, wie die flußbaulichen Maßnahmen im Verhältnis zu unseren Ausbauzielen stehen. Wenn sie entsprechende Werte ergeben würden und besagen würden, daß wir ohne eine weitere Staustufe auskommen, dann würden wir darüber völlig vorurteilsfrei reden und die Maßnahmen prüfen.
Ich rufe auf die Frage 27 des Abgeordneten Horst Kubatschka:
Entspräche ein Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen ohne Staustufen mit einer Tiefe von 1,85 m bzw. 1,95 m sowie einer Breite von 70 m den Empfehlungen der Internationalen Donaukommission in Budapest für die Festlegung von Fahrrinnenprofilen, wasserbautechnischen und sonstigen Kunstbauten an der Donau aus dem Jahre 1988?
Jetzt kommen wir zu der Internationalen Donaukommission, Herr Abgeordneter Kubatschka.
Nach den Empfehlungen der Donaukommission ist die Errichtung einer Staustufenkette das wirksamste Mittel zur Verbesserung der Schiffahrtsbedingungen an einer Wasserstraße. Deshalb ist die Donaukommission davon ausgegangen, daß dieses Ziel auf der Donau nur durch Staustufen erreichbar ist. Die Donaukommission hat neben den auf das Ziel der Stauregelung zugeschnittenen Regelmaßen für die Schiffahrtsrinne auch Angaben zu Mindestabmessungen der Fahrrinne gemacht, die für einen Übergangszeitraum auf den Abschnitten mit freier Strömung bis zum endgültigen Ausbau eingehalten werden sollen. Die dementsprechend für den Abschnitt Regensburg-Innmündung empfohlenen Mindestabmessungen, die Sie in Ihrer Frage angeführt haben, 1,85 Meter bzw. 1,95 Meter für die Fahrrinnentiefe und 70 Meter für die Fahrrinnenbreite, lassen sich daher nicht so interpretieren, daß sie eine endgültige Verbesserung der Schiffahrtsbedingungen auf der Strecke Straubing-Vilshofen ohne Stauregelung bringen würden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Kubatschka.
Auf den Punkt gebracht: Sie berufen sich mit Ihren Forderungen auf die Donaukommission. Wie vereinbart die Bundesregierung dies mit den Empfehlungen der Donaukommission Nr. 4.1.2, wo eine Tiefe von 1,85 bis 1,95 Metern und eine Breite von 70 Metern für den ungestauten Bereich festgelegt wird?
Herr Staatssekretär.
Herr Kubatschka, ich hatte bereits gesagt, daß in dieser Empfehlung zwei Etappen vorgesehen sind. In der ersten Etappe werden als vorzuhaltende Fahrrinnentiefen vor Staustufenregelung - das ist Punkt 2, den Sie ansprechen -1,85 Meter in den Bereichen mit lockerem Boden und 1,95 Meter in den Abschnitten mit felsigem Flußbett gefordert. Aber in der zweiten Etappe, nämlich in der von der Donaukommission favorisierten Ausbauregelung der Donau, werden 2,70 Meter bei lockerem Boden und 2,80 Meter bei felsigem Grund gefordert.
Das ist Punkt 4 dieses Berichts „Regelmaßnahmen der Schiffahrtsrinne", die Sie anführen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, das heißt also: Sie berufen sich auf die Forderungen der Donaukommission, wenn Sie von einer Mindesttiefe von 2,80 Metern ausgehen, sprich von einer Abladetiefe von 2,50 Metern? Das ist Ihre Begründung, warum Sie so ausbauen müssen?
Nein, das ist nicht meine Begründung. Ich habe gerade auf Ihre Frage 27 geantwortet.
({0})
Keine Zusatzfragen.
Jetzt rufe ich die Frage 28 der Kollegin Brunhilde Irber auf.
({0})
- Entschuldigung, habe ich Sie übersehen?
Herr Staatssekretär, wir sind noch bei Frage 27. Dazu gibt es noch eine Zusatzfrage. - Bitte.
Herr Staatssekretär, müßte man aus den von Ihnen gemachten Ausführungen jetzt nicht den Rückschluß ziehen, daß im Falle eines Verzichts auf die Staustufen auch auf die von der Donaukommission für diese Fälle vorgesehene Ausbautiefe verzichtet werden kann bzw. diese dann genau entsprechend reduziert werden könnte und müßte?
Die Ausbautiefen entsprechen unseren Abladetiefen. Da besteht eine Übereinstimmung zwischen den von der Donaukommission vorgeschlagenen Ausbautiefen und unseren in der Zielstellung vorgegebenen Abladetiefen.
Es gibt keine Zusatzfragen mehr.
Dann kommen wir zur Frage 28 der Kollegin Brunhilde Irber:
Wie bewertet die Bundesregierung die möglichen Auswirkungen eines staustufengestützten Ausbaus der Donau zwischen Straubing und Vilshofen auf das Gebiet der Unteren Isar mit dem Naturschutzgebiet „Staatshaufen" angesichts der im Donauaktionsplan 1995-2005 ({0}) eingegangenen Verpflichtung, die Auen-Ökosysteme an der Donau zu erhalten und nachhaltig zu verbessern?
Sehr geehrte Frau Irber, noch eine Donau-Frage. Bei allen Ausbaumaßnahmen, somit auch beim Donau-Ausbau StraubingVilshofen findet die erforderliche Prüfung und Abwägung aller Belange - so auch der Aspekte der internationalen Übereinkommen - im Planfeststellungsverfahren statt. Dies gilt auch für die im Donauaktionsplan enthaltenen Ziele der Erhaltung, Wiederherstellung und Pflege der Feucht- und Überschwemmungsgebiete der Donau und ihrer Zubringer.
Die Bundesregierung darf ihre Bewertung nicht an die Stelle der Abwägung durch die Planfeststellungsbehörde setzen oder gar der Planfeststellungsbehörde vorgreifen.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die vom niederösterreichischen Landtag beschlossene NationalparkRahmenverordnung, die vor allem im Frühjahr eine naturgemäße periodische Überflutung der Auengebiete vorsieht?
Diese vom niederösterreichischen Landtag beschlossenen Maßnahmen sind der Bundesregierung bisher nicht übermittelt worden.
Zu einer Zusatzfrage Frau Kollegin Teuchner.
Herr Staatssekretär, ist es nicht ein doch sehr widersprüchliches Verhalten, wenn das Naturschutzgebiet „Staatshaufen" durch den Ausbau der Donau in der geplanten Form stark beeinträchtigt wird, gleichzeitig vom Bund und von Bayern aber über 20 Millionen DM für den Schutz des Mündungsgebiets bei der Isar bereitgestellt werden?
Nein, ich finde das absolut nicht widersprüchlich. Das ist gerade Grundlinie unserer Politik. Ich habe in der Antwort auf die vorhergehende Frage ja auch ausgeführt, daß all diese Fragen durch die Planfeststellungsbehörden noch einmal genau zu prüfen sind und die Bundesregierung es nicht als ihre Aufgabe ansieht, diesen Feststellungen vorzugreifen oder in ähnlicher Weise vorzugehen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Zeit für die Behandlung der Fragestunde ist abgelaufen. Ich kann deshalb keine Zusatzfragen mehr zulassen. Das war so vereinbart; nach 90 Minuten soll pünktlich Schluß sein.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Die nicht aufgerufenen Fragen werden entsprechend der Geschäftsordnung schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ursachen der aktuellen Schwierigkeiten im deutsch-tschechischen Verhältnis
({0})
- Bitte, Sie haben das Wort zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte namens meiner Fraktion gemäß der Geschäftsordnung beantragen, daß an dieser Debatte der deutsche Bundeskanzler teilnimmt. Wir werden gleich über das Thema der Aktuellen Stunde diskutieren. Deswegen möchte ich zur Sache weiter nichts sagen.
Meine Fraktion hält es angesichts der Entwicklung im deutsch-tschechischen Verhältnis für unabdingbar, daß nicht nur der Bundesaußenminister - was wir begrüßen -, sondern daß auch der deutsche Bundeskanzler an dieser Debatte teilnimmt. Er ist in Bonn. Er kann an dieser Debatte teilnehmen.
({0})
Das Wort hat der Kollege Hörster, CDU/CSU.
({0})
- Darf ich um ein bißchen mehr Ruhe bitten! - Herr Kollege Hörster, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen werden den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ablehnen,
({0})
und zwar aus folgenden Gründen: Erstens. Herr Kollege Fischer, ich halte es im Miteinander der Fraktionen für völlig unvertretbar, daß Sie rechtzeitig einen Antrag zur Durchführung einer Aktuellen Stunde stellen, uns dann aber an einem Mittwoch, der üblicherweise - mit Ausnahme der Fragestunde und gelegentlich einer Aktuellen Stunde - kein Plenartag
ist, gegen 12 Uhr mitteilen, Sie möchten den Bundeskanzler in der Sitzung dabeihaben,
({1})
obwohl der Bundeskanzler, wie Sie sehr wohl wissen, eine Reihe sehr wichtiger Termine hat und insbesondere heute einen Termin wahrnimmt - zu dem im übrigen bundesweit eingeladen worden ist -, um Probleme Ostdeutschlands zu erörtern,
({2})
die ja uns allen auf den Nägeln brennen.
({3})
Ein Zweites, Herr Kollege Fischer: Wenn es Ihnen tatsächlich um die Sache ginge, dann hätten Sie ja die Möglichkeit gehabt, in Form eines Antrages diesen Punkt an den üblichen Plenartagen, Donnerstag oder Freitag, zu plazieren, so daß man das Thema mit der notwendigen Ernsthaftigkeit hätte erörtern können
({4})
und nicht auf den Rahmen einer schmalbrüstigen Aktuellen Stunde angewiesen ist. Denn dafür ist dieses Thema zu bedeutsam.
({5})
Der dritte Punkt: Zuständig für die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland ist der Bundesaußenminister und Vizekanzler - und der ist hier. Was wollen Sie eigentlich mehr?
({6})
Das Wort hat der Kollege Peter Glotz, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD ist weit davon entfernt, den Bundeskanzler aus Daffke zu irgendeiner Debatte einzuladen. In diesem Fall aber geht es um ein entscheidendes Problem: Die deutsch-tschechischen Beziehungen sind wirklich gefährdet. Insofern ist die These des Kollegen Fischer richtig, daß es sich hier um eine Chefsache handelt.
({0})
Zweitens. Der Bundeskanzler hat selbstverständlich immer wichtige Termine. Es geht jetzt nicht nur um die Frage - da mögen Sie, Herr Kollege Hörster,
recht haben oder nicht -, daß die Grünen das hätten ankündigen sollen, Tatsache ist:
({1})
Es ist lange über die Frage debattiert worden, ob der Bundeskanzler Ministerpräsident Klaus, der kürzlich in Deutschland war, sieht oder nicht sieht. Das hat in der tschechischen Presse große Überschriften verursacht.
Ich glaube, es ist sinnvoll, daß der Bundeskanzler nach diesen Überschriften selbst zu dem Problem Stellung nimmt. Deswegen stimmen wir dem Antrag der Grünen in diesem Punkt zu.
({2})
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag nach § 42 der Geschäftsordnung. Wer dem Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
({0})
- Die Aussprache kann ich erst eröffnen, wenn ein wenig Ruhe eingekehrt ist und wenn die Kolleginnen und Kollegen, die an der Debatte nicht teilnehmen wollen, den Plenarsaal verlassen haben. Ich bitte, das möglichst schnell zu tun.
({1})
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat die Kollegin Antje Vollmer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein Stück aus Absurdistan. Ausgerechnet mit den Tschechen, den ersten Opfern von Hitlers Okkupation, ausgerechnet mit Prag, dem Ort, in den 1968 die Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten einmarschierten, dem Ort, wo Hans-Dietrich Genscher vom Balkon der deutschen Botschaft die Freiheit verkündete, ausgerechnet mit den Tschechen und ihrem Präsidenten Václav Havel sollten wir nicht zu einer friedlichen Lösung finden? Das kann doch wohl nicht wahr sein.
({0})
Ich sage es ganz deutlich: Zur Verzögerung der Verhandlungen hat weder die Bundesregierung noch der Bundeskanzler, der nicht einmal an dieser Debatte teilnimmt, von der deutschen Bevölkerung ein Mandat; denn die deutsche Bevölkerung will die Versöhnung mit den Tschechen, und zwar jetzt und heute.
({1})
Ich bin ganz sicher: Niemals wäre Konrad Adenauer mit den Franzosen oder Willy Brandt mit den Polen das passiert, was dem Bundeskanzler in den letzten Wochen mit den Tschechen passiert ist.
({2})
Warum nicht? Weil sie erstens immer gewußt hätten, daß Fragen der Außenpolitik absoluten Vorrang vor innenpolitischen Fragen und auch vor wahlkampftaktischen Erwägungen haben, und weil sie zweitens Dinge, die sie zur Chefsache erklärt hätten, auch bis zum Ende geführt hätten, ohne sich von Störmanövern links oder rechts davon abhalten zu lassen.
Der Bundeskanzler hatte den Füller für die Unterschrift faktisch schon in der Hand. Er hat es deswegen auch zu verantworten - er allein -, daß die letzte offene Frage der deutschen Außenpolitik jetzt nicht gelöst wurde.
Zur Erklärung des Desasters wird folgendes ausgeführt - auch Sie, Herr Außenminister, haben das gesagt -: Es gibt bei den Tschechen keine Bereitschaft, die eigene Vergangenheit und die Vertreibung zu diskutieren. Das ist nachweislich nicht wahr; das ist eine Lüge.
({3})
Wenn über eine Erklärung ein Dreivierteljahr verhandelt wird, dann haben die deutsche Öffentlichkeit und auch dieses Parlament wahrlich das Recht, zu erfahren, woran denn die Verhandlungen scheitern und um welche Passagen es ganz genau geht. Ich bin sicher, wenn die Erklärung, die Sie jetzt nicht unterschreiben wollen, einmal herauskommt - und sie wird herauskommen -, dann wird es in ganz Europa niemanden geben, der begreift, warum eine solch weitreichende Erklärung von der deutschen Regierung nicht unterschrieben wird.
Ein Wort zur Methode von Vergangenheitsdebatten. Als 1985 Richard von Weizsäcker in seiner Rede über die deutsche Schuld sprach, hörte das die Welt, und sie akzeptierte, was er für alle Deutschen gesagt hat. Ich frage mich manchmal, was herausgekommen wäre, wenn er diese Rede den zähen Verhandlungen von Staatssekretären, den Verhandlungen mit Vertriebenenfunktionären und CSU-Politikern anheim gestellt hätte.
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Warum reichte es den Deutschen denn nicht, daß sich Václav Havel 1990 für sein Volk für die VerbreDr. Antje Vollmer
chen der Vertreibung entschuldigt hat? Warum ließ ihn die deutsche Regierung ohne Antwort? Warum reicht es immer noch nicht, wenn die ganze tschechische Führungsschicht heute Versöhnung mit den Deutschen will? Der Grund ist offensichtlich: daß da ein Einser-Moralist, Herr Außenminister, und kein Politiker am Werk ist.
Das Traurige an diesem ganzen Prozeß ist, daß er nicht einmal den Sudetendeutschen nützen wird; darauf möchte ich besonders hinweisen. Ihre Chance, praktisch wirklich etwas zu erreichen, wird von Mal zu Mal geringer. Auch den Vertretern der Sudetendeutschen Landsmannschaft sei eines ins Stammbuch geschrieben: Versöhnen kommt von Verzeihen, und Verzeihen geht nicht ohne Verzichten auf Satisfaktionsansprüche.
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Versöhnung kann man auch nicht wie eine Monstranz ewig vor sich hertragen. Versöhnung muß praktisch und in der Gegenwart passieren.
Manche Stimme aus dem Bereich der Sudetendeutschen Landsmannschaft in den letzten Wochen war von einer Maßlosigkeit, die mich wirklich erschreckt hat. Ich wollte immer, daß diese Debatte auch in der Landsmannschaft selbst stattfindet. Ich will es noch immer. Aber sie muß ehrlich sein. Es waren nicht immer die wirklichen Freunde Böhmens, die Ihnen da so sanftmütig nach dem Munde geredet haben.
Zum Schluß eine ernste Frage an den Bundeskanzler, der nicht hier sitzt. Vermutlich zu Recht hat er der politischen Linken lange Zeit vorgeworfen, daß wir es versäumt hätten, uns innerlich wirklich auf die neue Situation nach der deutschen Einheit einzustellen. Ich habe heute den Eindruck, daß er es ist, der nicht begriffen hat, daß unsere Außenpolitik nach der deutschen Einheit anders sein muß als vorher und daß sie nie wieder so kleinlich, kleinkrämerisch, verletzend und arrogant sein kann, wie er sich in der letzten Zeit verhalten hat.
({6})
Damit hat allein er die Verantwortung dafür, daß die Möglichkeit der Stunde, nämlich einen Schlußstein der deutschen Ostpolitik zu setzen und damit die Lösung der letzten offenen Frage der deutschen Außenpolitik zu erreichen, nicht genutzt wurde.
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Das Wort für die Bundesregierung hat Herr Minister Klaus Kinkel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund unserer gemeinsamen schwierigen Geschichte ist für uns das Verhältnis zu unseren tschechischen Nachbarn von zentraler Bedeutung. Wir wollen es so eng und freundschaftlich gestalten, wie es uns auch gegenüber unseren westlichen Nachbarn gelungen ist.
({0})
Der Nachbarschaftsvertrag von 1992 hat uns dabei ein gutes Stück vorangebracht. Wir haben gute politische Beziehungen. Wir sind der wichtigste Wirtschaftspartner für Prag. Aus Deutschland kommt ein Drittel aller Investitionen. Die Jugend beider Länder findet zueinander. Unsere Soldaten sichern gemeinsam den Frieden in Bosnien - wer hätte das noch vor ein paar Jahren gedacht? -, und Deutschland unterstützt die Tschechische Republik mit aller Kraft auf ihrem Weg in die euroatlantischen Institutionen.
({1})
Die Schatten der jüngsten unheilvollen Vergangenheit konnten wir leider noch nicht ganz verscheuchen; ja. Deshalb ist es das gemeinsame Bemühen beider Regierungen, die volle Aussöhnung von Tschechen und Deutschen durch eine gemeinsame Erklärung zu erreichen, die aber über den Vertrag von 1992 hinausreichen muß. Zentraler Punkt ist die Wiedergutmachung für die Opfer des nationalsozialistischen Unrechts. Die meisten Punkte der angestrebten Erklärung, die in die Zukunft weisen sollen, sind praktisch unstrittig: die Ausgestaltung eines Zukunftsfonds, aus dem Jugendbegegnungen, die Pflege von Baudenkmälern und Grabstätten, Partnerschaftsprojekte, Sprachunterricht, wissenschaftliche Projekte, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und auch die Einrichtung eines deutsch-tschechischen Gesprächsforums gefördert werden sollen.
Noch immer aber läßt uns die Vergangenheit nicht ganz los. Wir Deutsche haben den Tschechen schlimmes Unrecht angetan, Wunden geschlagen, die noch nicht verheilt sind und die noch schmerzen. Aber auch den Sudetendeutschen ist durch Vertreibung und Enteignung Unrecht geschehen.
Leider ist es uns trotz größter Bemühungen bisher nicht gelungen, eine inhaltliche Einigung und gemeinsame Sprache über die Vermögensfrage und das Unrecht, das den Sudetendeutschen angetan wurde, zu finden. Ich frage: Wen kann das wundern angesichts der schwierigen Geschichte der Deutschen und der Tschechen
({2})
vor, in und nach dem Zweiten Weltkrieg?
({3})
- Das ist eine besonders intelligente Zwischenbemerkung. Sie sind der größte Verhandler, wie ich weiß.
Ich muß als Verhandlungsführer völker- und verfassungsrechtliche Probleme beachten sowie politisch Machbares auf beiden Seiten berücksichtigen. Ich muß aber vor allem das Ziel im Auge behalten, zu
einer Lösung zu kommen, die Deutsche und Tschechen wirklich miteinander aussöhnt und nicht erneut spaltet - und das bei hoher Sensibilität auf beiden Seiten.
({4})
- Herr Fischer, Sie sind bloß ein Zwischenrufer. Etwas Gescheites haben Sie selber in Ihrem Leben noch nie verhandelt.
({5})
Ich achte, Frau Vollmer und Herr Verheugen - ich sage das ausdrücklich -, Ihr Engagement für die deutsch-tschechischen Beziehungen. Ich frage Sie aber: Warum belasten Sie die ohnehin nicht einfachen Verhandlungen mit falschen Vorwürfen? Was Sie beide in den letzten Tagen gesagt haben, war und ist wenig hilfreich.
({6})
Ich habe nie gesagt, Frau Vollmer, daß die tschechische Seite nicht bereit sei, das Wort „Vertreibung" in den Text der Erklärung aufzunehmen.
({7})
Es geht um die Gesamtformulierung, um den Kontext und das klare und eindeutige Wort der Distanzierung. Nur so können wir vermeiden, daß diese Diskussion immer wieder aufbricht.
({8})
Ich möchte die Angriffe, die Sie auf den Bundeskanzler hier losgetreten haben, in aller Schärfe und mit allem Nachdruck zurückweisen.
({9})
Frau Vollmer, Sie haben mich der Lüge bezichtigt. Das hat im Deutschen Bundestag noch niemand getan. Ich fordere Sie auf, den Beweis dafür anzutreten.
({10}) Ich bin lange genug im politischen Geschäft,
({11})
um zu wissen, was ich hier sage. Treten Sie den Beweis an. Ich lasse mir von Ihnen jedenfalls nicht bieten, daß Sie mich im Bundestag öffentlich der Lüge bezichtigen, ohne daß Sie den Beweis angetreten haben.
({12})
Ich darf auch Sie, Herr Verheugen, an Ihr klares Wort in der Debatte vom 17. März vergangenen Jahres erinnern - ich zitiere -:
Eine Vertreibung von Menschen aus ihrer Heimat ist moralisch nicht zu rechtfertigen und juristisch nicht zu legitimieren.
({13})
- Darauf werden wir noch zurückkommen.
Die oft schmerzliche Konfrontation mit der historischen Wahrheit hat unsere Demokratie und unsere politische Moral entscheidend geprägt. Der Versuch, in der Wahrheit zu leben, hat unser Land in den Kreis der Völker zurückgeführt. Wir sind uns alle einig, daß dies der richtige Weg war, mit unserer Geschichte umzugehen.
Daß dieser Weg Tschechen und Deutschen auch gemeinsam gelingt, hat vergangene Woche beispielhaft die kleine böhmische Stadt Reichenau gezeigt. Sie hat dem heute in Kaufbeuren lebenden Sudetendeutschen Emil Elstner die Ehrenbürgerschaft für seine Verdienste um die Erhaltung des Kulturerbes verliehen. Das frühere Soldatendenkmal der Stadt ist heute eine Gedenkstätte der Versöhnung.
Das Bundeskabinett hat erst gestern die Zustimmung zum Bau einer neuen Grenzbrücke für die Europastraße 49 zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik gegeben. Versöhnung, Brücken bauen ist im wahrsten Sinne des Wortes notwendig; aber beides wächst nur auf dem Boden der historischen Wahrheit.
Ich bin zuversichtlich, daß das, was im Kleinen gelungen ist, auch im Großen gelingen muß. Ich sage Ihnen: Wir verhandeln, wie zuletzt vergangene Woche in Prag, weiter ruhig und konstruktiv. Ich lasse mich persönlich nicht beirren. Deshalb: Nervosität und Dramatik, die die Opposition in den letzten Tagen und mit der heutigen Debatte in das Thema hineinzubringen versucht, schaden deshalb den deutsch-tschechischen Beziehungen.
({14})
Was von beiden Seiten gut gemeint war und ist, darf nicht in das Gegenteil verkehrt werden.
({15})
Es muß unser aller Interesse sein, die Wogen zu glätten und die endgültige Aussöhnung unserer Völker und der Menschen im Auge zu behalten.
({16})
Leichtfertiges Umgehen mit diesem empfindlichen Gut ist unverantwortlich.
({17})
- Sie sind auch in schwierigen und komplizierten Situationen ein unerträglicher Zwischenrufer.
({18})
Wenn Ihre Schreierei auch nur im entferntesten dem entsprechen würde, was Sie bewegen, dann wäre es ja gut.
({19})
Ich bin gleicher Meinung wie
Die große Unruhe wegen dieser Sache ist unangemessen. Bei einem Treffen am vorletzten Samstag mit Ministerpräsident Klaus hat dieser erklärt: Die deutsch-tschechischen Beziehungen sind gut, und sie werden sich weiterhin positiv entwickeln. Der frühere Prager Außenminister Dienstbier hat hinzugefügt: 98 Prozent der Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen sind völlig problemlos. So spricht der Mann, der als Prager Außenminister den Grenzzaun zwischen unseren Völkern zerschnitten hat.
({0})
Wer jetzt leichtfertig von einer schweren Krise spricht, muß sich fragen lassen, ob er die insgesamt guten Beziehungen nicht kaputtredet.
({1})
Im übrigen müssen wir unser Ziel klar im Auge
behalten, daß wir uns der Vergangenheit stellen. Die
Beschäftigung mit ihr ist jedenfalls kein Selbstzweck.
({2})
Unser Blick muß in die Zukunft gerichtet sein. Nach den Katastrophen der Vergangenheit haben wir heute die große Chance, ein friedliches, freies und geeintes Europa zu schaffen. Dem müssen sich allerdings Tschechen und Deutsche gemeinsam stellen. Ich persönlich bin überzeugt: Es wird uns gelingen, es muß uns gelingen. Ich werde mich darum auch weiter geduldig bemühen.
({3})
Das Wort hat der Kollege Günter Verheugen, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut und es ist zu begrüßen, daß sich die Jugend aus beiden Ländern, aus der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik, begegnet. Ebenfalls schön wäre es, wenn sich auch die Regierungschefs begegnen würden
({0})
und wenn sich die Außenminister nicht nur begegnen, sondern sich vielleicht auch verstehen würden.
({1})
Für die Behandlung dieses schwierigen und hochsensiblen Themas ist für uns ein Wort aus der ersten Regierungserklärung von Willy Brandt maßgeblich: „Wir wollen ein Volk von guten Nachbarn sein, nach innen und nach außen. " Wir haben viele Nachbarn, und wir sind zu guten Nachbarn geworden. Die deutsch-französische und die deutsch-polnische Aussöhnung sind historische Errungenschaften von unschätzbarem Wert.
({2})
Das gilt auch für die kleineren Nachbarn, deren Empfindlichkeiten, gerade weil sie kleiner sind, um so größer sein können. Ich erinnere Sie an die sehr schwierigen Beziehungen, die wir bis vor wenigen Jahren mit den Niederlanden hatten. Guter Wille auf beiden Seiten hat aber immer geholfen, die Belastungen der Vergangenheit zu überwinden und die Zukunft gemeinsam zu gestalten.
Das muß auch für unser Verhältnis zu unseren tschechischen Nachbarn gelten. Es ist ein besonders schwieriges, belastetes Verhältnis seit Jahrzehnten. Der Prozeß der Aussöhnung ist nicht vollendet. Aber jeder Streit darüber, wer dafür verantwortlich sein mag, ist falsch. Es geht jetzt nicht darum, daß wir gegenseitig aufrechnen, wer wann welche Chance vielleicht versäumt hat, sondern es geht darum, daß wir die deutsch-tschechischen Probleme nicht in unsere gemeinsame europäische Zukunft mit hineinschleppen wollen.
({3})
Es ist ganz verständlich, daß die deutschtschechischen Beziehungen in der Tschechischen Republik einen anderen Stellenwert haben als in der Bundesrepublik. Für unsere tschechischen Nachbarn ist das eine lebenswichtige Frage, vielleicht die wichtigste überhaupt. In der Bundesrepublik wird es wohl so sein, daß die meisten Menschen überhaupt nicht verstehen, wieso es da noch Probleme gibt.
({4})
Die Bundesregierung hat die tschechischen Sorgen über Jahre hinweg nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Es hat auch lange genug gedauert - und es bedurfte massiven Drucks aus diesem Parlament -, um sie dahin zu kriegen, die Initiative von Präsident Havel überhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen und die Verhandlungen zu beginnen.
({5})
Lieber Herr Kinkel, nachdem Sie die Verhandlungen über die gemeinsame Erklärung begonnen haben, war Ihnen ja wohl klar, was das bedeutet.
Wenn man so etwas tut, dann muß man vorher wissen, daß das nicht scheitern darf.
({6})
Wenn eine solche in die Zukunft gewandte Erklärung daran scheitern sollte, daß wir die Vergangenheit nicht abschließen wollen, dann ist die Lage schlechter als vorher. Darum darf eine solche Erklärung von beiden Seiten auch nicht mit unerfüllbaren Forderungen belastet werden.
({7})
Das hat nach den Informationen, die meiner Fraktion zur Verfügung stehen, die tschechische Seite besser verstanden als die deutsche.
({8})
Ich kann die Zumutungen, die angeblich von tschechischer Seite gekommen sind, nicht erkennen. Von der Bundesrepublik wird nicht erwartet, daß sie ihre Rechtsordnung ändert und auf Eigentumsansprüche der vertriebenen Sudetendeutschen verzichtet.
({9})
Es geht auch nicht um Juristerei, es geht um Politik. Wir können doch nichts ungeschehen machen, was von 1938 bis 1946 geschehen ist.
Wir können auch die Folgen des Unrechts, das auf beiden Seiten begangen wurde, nicht nachträglich rückgängig machen. Darum hilft es auch nichts, von der Tschechischen Republik die Änderung oder Aufhebung mehr als 50 Jahre alter Rechtsakte zu verlangen. Es nützt auch nichts, über die Rechtsnatur des Potsdamer Abkommens zu streiten. Das alles bleibt ohne praktische Bedeutung und ändert für die Menschen nichts. Aber es schafft Ängste, und es schürt Unsicherheit bei unseren Nachbarn in der Tschechischen Republik.
({10})
Es sind doch nicht Tschechen, die vor deutschen Häusern stehen und sagen: „Das gehört eigentlich uns", sondern es sind Deutsche, die dort aufgetaucht sind, vor den Häusern gestanden haben und gesagt haben: „Das werden wir uns wiederholen".
Ein einziger solcher Vorgang löst Ängste, traumatische Situationen in diesem Volk aus, die wir verstehen müssen. Mehr Sensibilität der deutschen Außenpolitik ist hier gefragt.
({11})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung hat die mögliche Einigung verhindert. Sie hat es getan, nachdem der Außenminister bereits erklärt hatte, es gebe keine großen Probleme mehr. Das habe auch ich gesagt; auch ich habe keine großen Probleme mehr gesehen. Aber die großen Probleme hat die CSU-Landesleitung in München gesehen.
({12})
Die Verantwortung liegt beim Bundeskanzler. Der Bundeskanzler hat wieder einmal wichtige außenpolitische Interessen den Parteiinteressen der CSU und den Machtinteressen seiner Partei untergeordnet. Wer Bürgermeister von Hinterpfuideifi am 10. März in Bayern wird, ist für den Bundeskanzler wichtiger als das Wort, das er dem tschechischen Präsidenten Havel gegeben hat.
({13})
Sie mag es vielleicht nicht stören, meine Damen und Herren von der Koalition, was im Augenblick in Prag beim Präsidenten, beim Außenminister und bei den demokratischen Parteien gedacht wird. Uns aber stört es, wenn wir erleben müssen, daß ein wichtiger Nachbar, zu dem wir gute und freundschaftliche Beziehungen haben wollen, das Gefühl bekommen hat, er wird von dem großen Nachbarn Deutschland herumgeschubst und nicht ernst genommen.
({14})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich frage mich, was der Sinn der heutigen Veranstaltung ist: das deutsch-tschechische Verhältnis oder innenpolitischer Parteienstreit?
({0})
Ich würde den innenpolitischen Parteienstreit in diesem Zusammenhang gern lassen, weil das deutschtschechische Verhältnis zu sensibel und zu wichtig ist und weil uns daran liegt, daß es möglichst gut ist und sich möglichst gut weiterentwickelt.
({1})
Herr Kollege Verheugen, deswegen stimme ich dem zu, was Sie am Anfang gesagt haben. Dem, was Sie am Schluß gesagt haben, stimme ich nicht zu. Das wird Sie nicht überraschen. Mit den gegenseitigen Schuldzuweisungen kommen wir keinen Schritt weiter.
Uns liegt sehr daran - der Bundesaußenminister hat das gesagt, und ich hoffe, wir alle stimmen darin überein -, daß sich die Beziehungen zu unseren Nachbarn in Tschechien, die besonders historisch belastet sind und die deswegen besonderer Sensibilität bedürfen - weswegen man nicht so reden darf, wie Frau Vollmer hier geredet hat -,
({2})
möglichst gut entwickeln. Die Beziehungen sind übrigens nicht schlecht. Das ist wichtig, und das sollten wir auch feststellen. Das hat Präsident Havel gesagt, das hat Herr Klaus gesagt - auch ich habe am Rande der Petersberg-Konferenz lange mit ihm gesprochen -, und das haben der jetzige und der früDr. Wolfgang Schäuble
here Außenminister gesagt. Wir sollten das nicht schlechtreden. Damit ist niemandem gedient. Wir sollten dabei bleiben: Das ist unser Ziel. Die Schatten der Vergangenheit reichen lange und weit.
Wir gehen weitere Schritte auf diesem Weg. Ich bin dafür, und ich bin davon überzeugt: Wir werden diese Erklärung zustande bringen. Wir brauchen mehr Zeit, als wir geglaubt haben. Wir brauchen die Zeit auf beiden Seiten. Wenn man manches liest im musikalischen Zusammenhang - der gar nicht musikalisch ist -, sieht man, wie schwierig das ist. Ich will das so umschreiben, um nichts zu erschweren. Ich stimme mit Ihnen völlig überein - da gibt es übrigens nicht den Hauch eines Unterschieds zwischen der Position der Regierung und der von CDU/CSU -, daß wir die Probleme, die deutsch-tschechischen Schatten der Vergangenheit, nicht in die Europäische Union schleppen dürfen und nicht die Europäer damit belasten dürfen. Das ist richtig.
({3})
Im übrigen muß dazu gesagt werden, daß kein Land mehr Fürsprecher und Anwalt eines schnellen Beitritts Tschechiens zur Europäischen Union ist als die Bundesrepublik Deutschland. Das ist gut und richtig und unsere gemeinsame Position.
({4})
Versöhnung und das Überwinden der Vergangenheit funktionieren nur mit den Betroffenen gemeinsam. Einer aus Südbaden wie ich kann leicht darüber reden, aber ein Sudetendeutscher tut sich schwerer.
({5})
- Aber natürlich:
({6})
- Dann seien Sie wenigstens ruhig, und wenn Sie das gar nicht hören können, gehen Sie hinaus, aber stören Sie bei ernsthaften Erörterungen nicht.
({7})
Sie werden niemals eine bessere Zukunft erreichen, wenn Sie nicht die Haupbetroffenen auf beiden Seiten auf diesem Weg mitnehmen. Das gilt für die Sudetendeutschen genauso wie für die Tschechen. Das ist der Punkt.
({8})
Herr Kollege Fischer, Ihr Verhalten ist dem Gegenstand nicht angemessen.
Ich möchte gerne aus einer Stellungnahme des Synodalrats der Evangelischen Kirche der böhmischen Brüder vom vergangenen Jahr zitieren. Ich habe im Rahmen des Jubiläums meiner badischen Evangelischen Landeskirche bei der Auftaktveranstaltung in Pforzheim im Januar eine Delegation aus Tschechien getroffen. Sie hat einen sehr subtilen Text zu den deutsch-tschechischen Beziehungen veröffentlicht. Das ist auch in Tschechien eine wichtige Debatte. Ich möchte gerne mit einem Satz daraus schließen:
Wir sind uns jedoch bewußt, daß der Weg in die Zukunft nicht durch nie endende Schuldzuweisungen, sondern durch aufrichtige Reue, gegenseitiges Bemühen um Verständnis und durch die Sehnsucht nach Versöhnung geöffnet wird.
Ich füge hinzu: Diese Sehnsucht hat niemand mehr als unsere sudetendeutschen Landsleute.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Andrea Lederer, PDS.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstens möchte ich feststellen, daß ich es für einen Ausdruck des Verhältnisses der Bundesregierung zu dieser Angelegenheit halte, daß diese Aktuelle Stunde in „Ursachen der Schwierigkeiten im deutsch-tschechischen Verhältnis" vom ursprünglich beabsichtigten Titel „Krise" umbenannt wurde. Meines Erachtens und wenn man die Medien hier und in der Tschechischen Republik beobachtet, ist eine Krise zu konstatieren.
Zweitens möchte ich meinem Bedauern darüber Ausdruck verleihen, daß es der Bundesaußenminister zunächst einmal versäumt hat, in dieser Aktuellen Stunde über den Stand der Verhandlungen und die tatsächlich strittigen Punkte aufzuklären - statt dessen wird nach wie vor an einer Geheimdiplomatie festgehalten und nicht aufgeklärt -, und daß er zudem im Grunde genommen keinerlei Ankündigung gemacht hat, wie er meint, diese Krise lösen zu können.
Drittens. Eine aus unserer Sicht ganz maßgebliche Ursache für diese Krise ist das Festhalten der Bundesregierung an dem faktischen Junktim zwischen einerseits der Frage der Entschädigung der tschechischen NS-Opfer, der Frage des Jugendaustausches und der Frage des deutsch-tschechischen Forums und andererseits den Forderungen, die aus sudetendeutschen Landmannschaften über die Bundesregierung, über den Bundeskanzler und über den Außenminister vertreten werden. Wir haben immer gefordert, dies voneinander zu trennen.
Wenn Sie, Herr Außenminister, dies selbst als zentralen Punkt der Verhandlungen bezeichnen, dann fordern wir Sie auf, hier und heute zu erklären, daß die Punkte, über die offensichtlich Einigung erzielt wurde, unmittelbar in Kraft gesetzt und umgesetzt werden. Wir fordern, daß vor allem endlich die Öffentlichkeit darüber aufgeklärt wird, was Sie in Sachen einer Stiftung zur Entschädigung der tschechischen NS-Opfer vereinbart haben.
({0})
Wir warten bis heute auf eine klare und deutliche Erklärung diesbezüglich. Wenn es bereits die „FAZ" als geradezu tragisch bezeichnet, daß genau diese drei wichtigen Punkte, die in die Zukunft wirken, an der Verhandlungsführung der Bundesregierung scheitern, dann sollten Sie vielleicht darüber nachdenken, ob Sie nicht mit dieser Starrsinnigkeit etwas ganz Zentrales für die Zukunft aufs Spiel setzen.
Viertens. Ganz offensichtlich beugen Sie sich - das ist hier mehrfach betont worden - den Forderungen der Landsmannschaften, obgleich Sie - wenn Sie einmal analysieren, was sie zum Teil von sich geben - eigentlich klüger sein müßten und wissen müßten, welche nicht nur bilateralen Auswirkungen Ihre Verhandlungsführung hat. Ich möchte wissen, was Sie eigentlich noch von der tschechischen Seite nach all dem, was wir aus den Medien - wir sind ja leider im wesentlichen auf die Medien und auf eigene Gesprächskontakte angewiesen - erfahren haben, an Erklärungen erwarten. Wieso wagen Sie es, weiterhin an diesen Forderungen festzuhalten und Ansprüche geltend zu machen? Wie kommen Sie auf die Idee, als Argument für das Festhalten an diesen Forderungen mögliche Prozesse, die auf die Bundesrepublik zukommen, ins Feld zu führen? Das ist Angelegenheit der deutschen Seite. Das können Sie doch wohl kaum allen Ernstes der tschechischen Seite zur Last legen.
({1})
Ich finde diese Argumentation praktisch genauso skandalös wie den Vorgang selbst. Deshalb fordern wir Sie auf, unmißverständlich zu erklären, daß Sie von weiteren Demütigungen Abstand nehmen, daß Sie tatsächlich versuchen, zu einer Einigung in dieser Frage zu kommen, und daß Sie von diesen Ansprüchen Abstand nehmen.
Zum letzten möchte ich darauf hinweisen - das ist von Herrn Schäuble nur en passant erwähnt worden -, daß andere europäische Staaten, insbesondere die beitrittswilligen Staaten, sehr wohl darauf achten, wie die Bundesrepublik Deutschland mit dieser Frage umgeht. Infolgedessen hat diese Krise, wie gesagt, nicht nur bilaterale Auswirkungen, sondern auch europapolitische.
Ich halte es für nachgerade skandalös, hier auch noch ins Feld zu führen, daß es die Bundesrepublik sei, die die stärkste Befürworterin für einen Beitritt der tschechischen Republik ist.
({2})
Das in diesem Kontext zu erwähnen, Herr Klein, zeigt, daß Sie offenkundig diese Verhandlungen in die Frage des europäischen Einigungsprozesses hineintragen wollen. Das läßt neue Befürchtungen wach werden. Wir fordern Sie auf, von Ihrer bisherigen Politik sofort Abstand zu nehmen und endlich den Vertragstext auf den Tisch zu legen und aufzuklären. Die Kolleginnen und Kollegen im tschechischen Parlament warten genauso darauf, daß diese Geheimdiplomatie ein Ende findet und tatsächlich eine in die Zukunft gerichtete Versöhnung stattfindet.
Ich danke.
({3})
Das Wort hat der Kollege Hans Klein, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Vollmer und Herr Kollege Verheugen, glauben Sie im Ernst, daß Sie mit Ihren Beiträgen heute zur Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen beigetragen haben,
({0})
daß Sie diesen Prozeß durch diese Art der billigsten Polemik befördert haben?
({1})
Meine Kolleginnen und Kollegen, am 20. Mai 1992 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, der tschechischen Seite förmlich Ihre Erwartung mitzuteilen, daß in allen bei Abschluß des Nachbarschaftsvertrages offengebliebenen Fragen - darunter auch, eigens erwähnt, die Vermögensfragen - im Zuge enger werdender Zusammenarbeit und in der Perspektive des EU-Beitritts der, wie es damals noch hieß, Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik weitere Fortschritte erzielt würden. Dann folgt in dem Entschließungsantrag der Appell: Es sollte alles unterlassen werden, was dem entgegensteht.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dem stand und steht noch viel entgegen:
({2})
Beispielsweise die Weigerung der tschechischen Regierung, mit den Sudetendeutschen auch nur zu reden.
({3})
Die zweite große Havel-Rede, in der er die Kollektivschuldthese noch einmal aufwärmte. Die Tatsache, daß annähernd drei Viertel der tschechischen Bevölkerung, so Umfrageergebnisse, unbeeindruckt von den schrecklichen Folgen ethnischer Säuberungen nicht nur auf dem Balkan, sondern auch in Afrika oder sonstwo, bis heute die Meinung vertreten, die Vertreibung der Sudetendeutschen sei in Ordnung gewesen.
({4})
Hans Klein ({5})
- Verehrte Frau Kollegin Vollmer, ich war immer der Meinung, daß wir noch viel miteinander zu reden haben, daß noch viele Anstrengungen der gegenseitigen Vertrauensbildung notwendig sind
({6})
und daß eine zum Zweck von Profilierungen rasch zusammengebastelte Erklärung nicht nur dem Zweck nicht dient, sondern ihm zuwiderläuft.
Herr Kollege Fischer, bei dem, der noch Zweifel an der Motivation für die Beantragung dieser Aktuellen Stunde gehabt hat, haben Sie diese gerade mit Ihrem Beitrag ausgeräumt.
({7})
Herr Bundesaußenminister, ich bedanke mich hier ausdrücklich für Ihren Beitrag und für Ihre Verhandlungsführung.
({8})
Es gibt einen Punkt, an dem es hängenblieb. Dazu darf ich Ihnen eine kleine historische Information liefern.
Staatsgründungspräsident Tomas Garrigue Masaryk kündigte bereits am 10. Januar 1919 eine sehr rasche Entgermanisierung der Sudetengebiete an. Sein Nachfolger Beneš bereitete die Vertreibung der Sudetendeutschen spätestens seit 1942 vor.
({9})
Mit dem Potsdamer Abkommen wurde deshalb die Vertreibung - um diese Frage geht es jetzt- , die im übrigen längst begonnen hatte, nicht beschlossen. Die Alliierten, durch die Presse in ihren eigenen Ländern alarmiert, forderten vielmehr eine ordnungsgemäße und humane Vorgehensweise bei der Vertreibung, die sie damit lediglich anerkannten. So das wörtliche Zitat aus dem Potsdamer Abkommen: anerkannten.
Herr Kollege Fischer, dazwischen lagen das Münchner Abkommen, der Bruch des Münchner Abkommens durch den Einmarsch in die Resttschechei und die Gründung des Protektorats, dazwischen lag die Demütigung dieses Volks. Aber: Die Vertreibung hatte tiefere Wurzeln. Die Sudetendeutschen sind seinerzeit gegen ihren Willen in diesen Staat gezwungen worden. Das, bitte schön, muß bei einer Betrachtung berücksichtigt werden.
Wir müssen die Kraft aufbringen, miteinander zu reden und über historische Tatsachen zu diskutieren. Wir dürfen nicht mal eben schnell pauschale Erklärungen abgeben, um sie dann mit moralischer Pose wie eine Monstranz vor uns herzutragen.
Ich bedanke mich.
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Das Wort hat der Kollege Markus Meckel, SPD.
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wo eine belastete Vergangenheit nicht wirklich zur vergangenen Geschichte wird, bricht sie in die Zukunft ein und droht diese zu verspielen. 50 Jahre nach Kriegsende sind wir offensichtlich noch nicht fähig, diese Belastungen angemessen aufzuarbeiten und uns der Zukunft zuzuwenden. Manche Reden, insbesondere die letzte, Herr Klein, die wir von Ihnen hier gehört haben, sind ein deutliches Beispiel dafür. Zudem ist hier klargeworden, daß das, was Herr Verheugen gesagt hat, von Ihnen und Herrn Schäuble offensichtlich unterschiedlich bewertet wird.
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Gewiß, Sie haben recht: Wir müssen noch viel miteinander reden. Daß man in unseren Gesellschaften in Jahrzehnten zuwenig darüber reden konnte, ist auch ein Teil des Problems; da gebe ich Ihnen recht. Ein anderer Teil des Problems ist eine Bundesregierung, die ständig auf bayerische Befindlichkeiten schielt und deshalb das Verhältnis zur Tschechischen Republik zu einer Funktion der Innenpolitik und des bayerischen Kommunalwahlkampfes macht.
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Dazu kommt ein Außenminister, dem ich persönliches Bemühen in keiner Weise absprechen will, dem aber - wie seiner Partei - vorzuwerfen ist, daß er - entgegen allem Reden, auch beim Dreikönigstreffen - nicht den Mumm hat, den Kanzler zu zwingen, endlich einmal Farbe zu bekennen.
Der zentrale Hintergrund für die augenblickliche schwierige Situation ist der Umgang mit den Eigentumsansprüchen der Sudetendeutschen. Uns allen müßte doch klar sein, daß diese Ansprüche von keiner tschechischen Regierung anerkannt werden können und die Diskussion um diese Ansprüche endlich der Vergangenheit angehören muß. Sie darf die Beziehungen zwischen unseren Völkern nicht mehr belasten. Das Unrecht ist nicht rückgängig zu machen: weder das vor 1945 noch das nach 1945.
Diskussionen um Rechtsansprüche führen uns nicht in die Zukunft. Die Gestaltung dieser gemeinMarkus Meckel
samen Zukunft in Europa muß für immer Priorität vor solchen Ansprüchen haben.
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In der Sache bedeutet das einen Verzicht auf das Geltendmachen dieser Ansprüche - und genau das ist nötig. In welcher Weise dieser Verzicht förmlich ausgesprochen wird, ist, wie wir alle wissen, umstritten. Umstritten ist auch die Frage, ob und welche Ansprüche dann gegebenenfalls gegenüber der Bundesrepublik entstehen. Ein Gutachten dazu liegt vor. Vermutlich wird man demnächst ein anderes, das dem widerspricht, vorliegen haben. Aber das sind rechtliche Fragen, die wir hier miteinander nicht klären können.
Was wir klären können, ist die Frage, ob wir politisch den Mut aufbringen, Sicherheit und Klarheit zu schaffen.
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Es geht um die Gewißheit unserer Nachbarn, daß wir die Beziehungen unserer Länder auch in Zukunft nicht mit dieser Eigentumsfrage belasten. Viele Betroffene von damals sehen das übrigens heute genauso. Deshalb muß der Bundeskanzler hier endlich den Weg freigeben und dafür sorgen, daß eine bayerische Nebenaußenpolitik das deutsche Interesse an einer deutsch-tschechischen Aussöhnung nicht mehr behindert.
Belastete und schuldhafte Vergangenheit darf nicht verschwiegen und verdrängt werden. Das ist natürlich nicht nur für Deutsche zu sagen, sondern auch für Tschechen. Auch dort ist mit der Vertreibung Unrecht geschehen. Die Diskussion geht jetzt darum, wieweit die tschechische Seite bereit ist, dies auszusprechen.
Ich denke, die Vergangenheit hat deutlich gemacht, daß beide Seiten allzulange nur von dem ihnen selbst angetanen Leid geredet haben. Erst in den letzten Jahren ist das seinerzeit Geschehene in breiteren Schichten differenzierter zur Sprache gekommen. Hier haben insbesondere die Kirchen ein großes Verdienst, weil sie dies untereinander diskutiert haben und zu klaren Aussagen gekommen sind. Deshalb ist ihnen großer Dank auszusprechen.
Doch gleichzeitig ist klar, daß nicht nur der Präsident der Tschechen, sondern auch die tschechische Regierung bereit ist, die Vertreibung der Sudetendeutschen zu bedauern. Damit meine ich nicht nur die wilden Vertreibungen vor dem Potsdamer Abkommen, sondern auch das, was wir heute als ethnische Säuberung bezeichnen würden und was in den Monaten und Jahren danach geschah. Damals wurden Deutsche, nur weil sie Deutsche waren, enteignet und vertrieben, selbst dann, wenn sie Widerstand gegen Hitler geleistet hatten. Das war Unrecht, und darum kann man nicht herumreden, auch wenn die Zusammenhänge mit den vorhergehenden deutschen Verbrechen nicht vergessen werden dürfen.
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Auch die tschechische Regierung ist bereit, die moralische Verwerflichkeit der Vertreibung zu benennen. Schon vor Jahren hat sich Herr Havel dafür entschuldigt. Das kann aber von tschechischer Seite nur so ausgedrückt werden, daß für sie nicht die Gefahr besteht, daß die eigene Rechtsordnung der Nachkriegszeit umgeworfen wird. Wir Deutsche kennen das Problem im Umgang mit dem Münchner Abkommen und sollten diese Schwierigkeit anerkennen.
Wir wissen heute nicht, wie das weitergeht, wollen aber nicht, um mit den Worten des Kollegen Glotz zu reden, daß das deutsch-tschechische Verhältnis weiter verschlampt wird.
Herr Kollege Meckel, Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich komme direkt zum Schluß. - Alles Mögliche und worüber Konsens besteht, muß sofort getan werden. Warum sollte die Bundesregierung nicht als Zeichen des guten Willens in diesem Verhandlungsprozeß sofort und ohne irgendeine Bedingung, die wir bei anderen Ländern auch nicht gestellt haben, die von der tschechischen Regierung an die NS-Opfer schon ausgelegte Summe von 80 Millionen oder 100 Millionen DM direkt nach Prag überweisen?
Herr Kollege Meckel!
Damit wären die Verhandlungen wieder neu im Fluß, und wir hätten endlich getan, was wir sowieso tun wollen, aber eben bedingungslos und ohne die unselige Verkopplung mit anderen Problemen, über die wir weiter reden müssen.
Herr Kollege Meckel, Sie müssen jetzt aufhören. Sie können nicht sagen, Sie kämen zum Schluß, und dann eine Minute weiterreden. Das geht nicht. Das tut mir leid.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Kollege Gerd Poppe, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesaußenminister, es hat wenig Zweck, daß Sie die Probleme herunterspielen und darum herumreden, daß die deutsche Außenpolitik in einer wichtigen Frage gescheitert ist. Deutschland als „Brücke nach Osten" hat versagt. Die Bundesregierung hat hier weder deutsche noch europäische Interessen vertreten. Denn diese Interessen bestehen nicht vorrangig in der Berücksichtigung rechtlich umstrittener Rückgabeforderungen einiger weniger Sudetendeutscher,
Herr Klein, sondern in einer Vorreiterrolle Deutschlands bei der gesamteuropäischen Integration.
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Versöhnung und Neugestaltung der Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarn liegen unmittelbar im deutschen und europäischen Interesse. Das müssen letztlich auch diejenigen begreifen und akzeptieren, die bis heute - ich wende mich dabei insbesondere an Sie, Herr Klein - an schmerzlichen Erfahrungen leiden, wobei ich deren Gefühle achte und nachzuvollziehen versuche, obgleich meine Unrechtserfahrung aus einer anderen Zeit stammt und unter anderen Bedingungen zustande kam.
Kein Zweifel: Die Vertreibung war Unrecht. Die sie rechtfertigenden Beneš-Dekrete sind zu verurteilen. Die im Zuge der Vertreibung begangenen Verbrechen sind erklärbar, aber nicht zu rechtfertigen. Viele tschechische Politiker sind bereit, dieses begangene Unrecht moralisch zu verurteilen.
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Das haben sie uns gegenüber oft erklärt, und auch Ihnen gegenüber, Herr Außenminister. Vor Jahren schon hat der tschechische Präsident den ersten Schritt getan, aber die angemessene Antwort auf diesen ersten Schritt des tschechischen Präsidenten steht bis heute aus.
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Ich will nicht Unrecht gegen Unrecht aufrechnen. Das ist immer sehr problematisch. Aber ich denke, gerade wir Deutschen dürfen nicht darüber hinwegsehen, womit das schreckliche Unrecht begann: mit den von Deutschen begangenen Verbrechen. Wir müssen Ursachen und Folgen auseinanderhalten; ansonsten setzen wir uns als Deutsche erneut ins Unrecht.
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Die deutsch-tschechische Geschichte, meine Damen und Herren, besteht indes nicht nur aus Unrecht, sondern ist überwiegend geprägt durch historische, kulturelle, auch politische Gemeinsamkeiten früherer Zeiten und auch der jüngsten Vergangenheit. Ich will aus eigenem Erleben ein Beispiel nennen: Was wäre beispielsweise aus uns Ostdeutschen, gerade auch den Oppositionellen, ohne die tschechischen Dissidenten geworden:
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angefangen vom Prager Frühling bis hin zur Charta 77?
Was wäre gewesen, und wie wären wir geworden, hätten wir nicht den Prager Appell von 1985 gekannt, oder hätten wir nicht die Briefe Vaclav Havels aus dem Gefängnis an die mutige Olga Havlova gelesen, deren Tod wir in diesen Tagen beklagen?
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Wir haben also gute Gründe, den tschechischen Bürgerinnen und Bürgern dankbar zu sein, und diese Erfahrungen sollten unsere Beziehungen vorrangig prägen und nicht bayerische Kommunalwahlen oder die Fortsetzung des jämmerlichen Schauspiels aktueller Koalitionsquerelen.
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Es ist schlimm genug, sich diese Provinzposse wochenlang zumuten zu müssen. Katastrophal wird es aber, wenn die Auflösungserscheinungen innerhalb der Koalition nun auch noch zu folgenschweren Fehlleistungen deutscher Außenpolitik führen.
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- Ich schreibe meine Reden oftmals selbst, im Gegensatz zu Ihnen.
Daß auch auf tschechischer Seite innenpolitische Probleme eine Lösung erschweren, kann als Begründung für das Scheitern der gemeinsamen Erklärung nicht genügen. Natürlich ist der kleinere Partner empfindlich, zumal nach der besonderen historischen Belastung im Verhältnis zu Deutschland.
Trotz aller gegenteiligen Bekundungen ist eine schwere Krise in den deutsch-tschechischen Beziehungen entstanden, und es ist nicht schwer zu erkennen, Herr Kinkel, wem in Tschechien vor den kommenden Wahlen sie nützt - den auch dort vorhandenen Kräften von gestern und vorgestern, egal ob sie nun Nationalisten oder orthodoxe Kommunisten sind.
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Die entstandene Situation - wir haben darauf heute hingewiesen - hat es zwingend erforderlich gemacht, daß der Bundeskanzler sich in aller Eindeutigkeit erklärt. Er hätte das Gespräch mit dem tschechischen Ministerpräsidenten in der vorletzten Woche führen müssen, auch wenn es protokollarisch nicht vorgesehen war. Da er es nicht geführt hat, verlangen wir von ihm - wir werden das auch weiter verlangen -, daß er die notwendige Erklärung vor diesem Hause nachholt,
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und das aus gutem Grund: Denn schon heute gibt es die mehr oder weniger unverhüllte Drohung wiederum einiger weniger, Sudetendeutscher, im Falle des Scheiterns der Verhandlungen - davon müssen wir heute leider ausgehen - ein Junktim zwischen der Erfüllung ihrer Rückgabeforderungen und der deutschen Fürsprache im Sinne der tschechischen EU-Mitgliedschaft herzustellen.
Herr Kollege Poppe!
Ich komme gleich zum Schluß. - Ein derartiger Druck als Politik eines mächtigen Staates gegenüber einem kleineren Staat wäre natürlich ein Skandal. Dem muß auch schon in Ansätzen widersprochen werden.
Meine letzte Bemerkung, Herr Präsident: Die Beschwörung guter Beziehungen reicht als Schadensbegrenzung nicht aus. Wenn wir jetzt eine Schadensbegrenzung vornehmen wollen, dann kann sie nur darin bestehen, wenigstens das Erreichbare unverzüglich festzuschreiben, das heißt die Entschädigungsleistungen für tschechische NS-Opfer zu erbringen, das deutsch-tschechische Jugendwerk in Gang zu setzen und abseits von jeglichen Geheimverhandlungen endlich mit einem breiten deutschtschechischen Dialog zu beginnen.
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Das Wort hat der Kollege Uli Irmer, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Vollmer hat vorhin darauf hingewiesen, es sei notwendig, außenpolitischen Erkenntnissen Vorrang vor innenpolitischen Erwägungen einzuräumen. Das ist nur zu unterstreichen. Aber das, was Sie hier heute aufgeführt haben, ist eine Verletzung dieses Grundsatzes. Sie sagen, man solle so verfahren; aber Sie selber praktizieren das genaue Gegenteil. Denn diese Aktuelle Stunde hat nichts dazu beigetragen, die Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen zu verbessern. Sie ist von Ihnen angezettelt und auch in einer Weise geführt worden, bei der deutlich wird: Ihnen geht es nur darum, der Bundesregierung am Zeug zu flicken und die schwierige Verhandlungssituation noch schwerer zu machen.
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Der Bundesaußenminister hat dargelegt, mit welcher Mühe von beiden Seiten der Versuch unternommen wurde und nach wie vor unternommen wird, über die beiden schwierigen Punkte in dieser gemeinsamen Erklärung hinwegzukommen. Es handelt sich hier zum einen um den Punkt, daß die deutsche Bundesregierung selbstverständlich auf Vermögensansprüche reeller oder vermeintlicher Natur von einzelnen Bürgern nicht verzichten darf. Sie würde ihren Amtseid verletzen, wenn sie dies täte, und würde sich Regreßansprüchen aussetzen. Das hat Herr Verheugen eben sogar selbst zugestanden. Das ist der eine Punkt.
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- Herr Verheugen, davon ist hier doch gesprochen worden.
Der zweite Punkt, um den es geht: Es geht auch nicht an, daß im nachhinein eine Rechtsordnung förmlich außer Kraft gesetzt wird, die ihre Wirkung entfaltet hat. Insofern ist die Parallele, die Markus Meckel zwischen den Beneš-Dekreten und dem Amnestiegesetz einerseits sowie dem Münchener Abkommen andererseits gezogen hat, durchaus berechtigt. Es geht gar nicht darum, daß man solche Dinge im nachhinein förmlich aufhebt, sondern es geht darum, daß man sich dessen bewußt ist, daß Aufrechnen von Unheil, von Unrecht und von Verbrechen aus der Vergangenheit nicht weiterführt. Wir müssen in die Zukunft blicken. Wir müssen uns der Vergangenheit, der Schuld auf beiden Seiten bewußt sein, uns auch der Reihenfolge, der Ursächlichkeit bewußt sein, es nicht vergessen, nicht verdrängen. Wir müssen aber von daher die Kraft schöpfen, unsere Verhältnisse in Zukunft so zu gestalten, daß sich derartiges nie wiederholen kann.
Ich möchte daran erinnern, daß Präsident Havel schon vor einigen Jahren die Vertreibung als das bezeichnet hat, was sie ist. Wir dürfen doch nicht hergehen und dem besonderen Schicksal, dem Sonderopfer, das die Sudetendeutschen gebracht haben, mit Äußerungen begegnen, wie Sie das tun, Herr Verheugen, mit Hinterpfuideifi. Das wird der Seelenlage dieser Menschen nicht gerecht, genausowenig wie der Seelenlage der Menschen auf der tschechischen Seite, die Angst davor haben, daß irgendwelche Revanchisten aus Deutschland hergehen und ihnen ihre Häuser wieder wegnehmen. Beides darf nicht sein.
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Meine Damen und Herren, Zukunft, das heißt - der Außenminister hat dargelegt, wie vielfältig und positiv sich die Beziehungen entwickelt haben - wir sind der Anwalt des Wunsches unserer tschechischen Nachbarn, Mitglieder in unseren Institutionen zu werden. Es gibt grenzüberschreitende Zusammenarbeit vielfältigster Art. Es gibt kulturelle Beziehungen, Jugendaustausch, Sprachunterricht. Dies alles muß gestärkt werden.
Wir sollten auch die gemeinsamen kulturellen Wurzeln nicht vergessen. Erinnern Sie sich bitte daran: Prag war vor dem Greuel des Krieges ein kulturelles europäisches Zentrum, wo sich drei kulturelle Elemente, nämlich das tschechische, das deutsche und das jüdische, in enger Verwobenheit gegenseitig befruchtet haben. Kafka hat auf deutsch geschrieben. Aber er war in gleicher Weise der tschechischen Kultur wie selbstverständlich der jüdischen Kultur verhaftet. Es war eine Symbiose, die zu europäischer Größe fähig war.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, daß der tschechische Botschafter in Bonn, Jiri Grusa, mit dem Andreas-Gryphius-Preis ausgezeichnet wurde - nicht als Diplomat, nicht als Politiker, sondern als Poet für Gedichte, die er als Tscheche in deutscher Sprache geschrieben und veröffentlicht hat. Ich möchte ihm auch von dieser Stelle aus zu dieser Auszeichnung gratulieren
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und ihm für diesen Beitrag danken, den er als tschechischer Dichter hier in Deutschland für die gemeinsame Zukunft geleistet hat.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Kollege von Schorlemer, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn einige Sätze aus der gemeinsamen Erklärung der deutschen und tschechischen katholischen Bischöfe aus dem Jahre 1990 in unser aller Erinnerung rufen und zitieren. Dort wurde formuliert:
Die deutschen Bischöfe erinnerten an die Untaten, die in deutschem Namen und von Deutschen dem tschechischen Volk durch die Mißachtung des Selbstbestimmungsrechtes, durch die Bedrohung seiner nationalen Existenz und durch die Unterdrückung während der Okkupation zugefügt wurden.
Es heißt weiter:
Die tschechischen Bischöfe äußerten ihr Bedauern ... über die Austreibung der Deutschen aus ihrer Heimat, wobei das ungerechte Prinzip der Kollektivstrafe angewandt wurde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte weiter aus der „Süddeutschen Zeitung" vom 23. Januar 1996 zitieren - das ist also wenige Tage her -, als ein praktisches Beispiel der Zusammenarbeit mit der Überschrift „Tschechische Stadt ehrt Sudetendeutschen" formuliert wurde.
Die tschechische Stadt Reichenau hat Emil Elstner ihre Ehrenbürgerschaft verliehen. Damit würdigte die Stadt den Einsatz des 83jährigen für die Erhaltung ihres Kulturerbes. Der Bürgermeister hatte damals auch die ehemaligen deutschen Einwohner von Reichenau um Belege über die Geschichte der in Nordböhmen gelegenen Ansiedlung ersucht. Zwei Jahre später
- so heißt es da weiter wurde das frühere Soldatendenkmal in Reichenau in eine Gedenkstätte der Versöhnung umgebaut. Zudem wurde eine Ausstellung über ein ehemaliges Konzentrationslager bei Reichenau veranstaltet, das nach Kriegsende als Internierungslager für die damals aus der Tschechoslowakei ausgewiesenen Deutschen diente.
Am gleichen Tage erklärte die Vereinigung der ehemaligen politischen Häftlinge, verbreitet durch Radio Prag:
Die deutsch-tschechischen Beziehungen entwikkeln sich ... auch ohne eine Erklärung über die gegenseitige Aussöhnung günstig.
Da Sie, Herr Poppe, eben von den tschechischen Politikern gesprochen haben, darf ich auf das aufmerksam machen, was der tschechische Außenminister vor wenigen Tagen vor Bürgern aus Prag beschrieben hat: Er wies auf die historischen Erfahrungen mit den deutschen Nachbarn hin und bezeichnete diese als sehr kompliziert. Die Aussöhnung mit Deutschland sei auch bei anderen Nationen, die ebenfalls diese Erfahrungen gemacht hätten, ein langer Prozeß.
Er sagt weiter, er sehe aber in den heutigen deutsch-tschechischen Beziehungen nichts Dramatisches, und die heutigen bilateralen Beziehungen seien ohnehin die besten, die beide Länder je in der neuzeitlichen Geschichte gehabt hätten.
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Diese Einschätzung ist nicht drei Jahre, sondern einige Tage alt und widerlegt, so glaube ich, die Kritik jener, die beschreiben wollten, wie schlecht es um die Beziehungen stehe. Ich kann nur wiederholen: „die besten bilateralen Beziehungen, die beide Staaten je in der neuzeitlichen Geschichte gehabt haben".
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Weil dies so ist, hat die deutsche und die tschechische Politik die Kraft, in aller Offenheit und in aller Ehrlichkeit auch die schwierigsten Fragen zu lösen.
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Ministerpräsident Klaus bezeichnete den momentanen Verhandlungsstand als einen der vielen Schritte auf dem langen Weg der Vervollkommnung der tschechisch-deutschen Nachbarschaftsbeziehungen. Auch diese Stellungnahme ist nur wenige Tage alt. Wir müssen uns beim Hören dieser Aussagen wirklich die Frage stellen, ob bei dieser Debatte nicht eine Überdramatisierung - anders gesagt: eine zu geringe Sensibilisierung - dieses Themas zum Ausdruck kommt.
Aber ich füge hinzu: Es kann unter zwei Nachbarn in Europa kein unterschiedliches Rechtsempfinden geben. Vertreibung ist überall auf der Welt Unrecht. Und bei der Regelung der offenen Vermögensfragen darf es rechtlich gesehen keinen Schlußstrich geben, der nur dazu führt, daß hier eine Prozeßflut entsteht.
Ich bin auch der Meinung, daß wir noch vor dem EU-Beitritt Prags, im Interesse Tschechiens, im Interesse Deutschlands und auch im Interesse Europas, eine Vereinbarung treffen müssen. Denn diese deutsch-tschechische Vereinbarung muß vor der Geschichte und damit vor den Deutschen und den Tschechen - ich füge hinzu: auch vor den Sudetendeutschen - Bestand haben. Ich gehe davon aus, daß das Auswärtige Amt die Verhandlungen in diesem Sinne fortführt. Wir wissen, daß in allen Bereichen unzählige Kontakte zwischen Tschechen und Deutschen entstehen.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich meine, wir sollten auch einmal überlegen, ob wir neben den bestehenden Jugendwerken mit Frankreich und Polen und dem besonderen Jugendaustausch mit Israel nicht eine besondere Form des JugendaustauReinhard Freiherr von Schorlemer
sches oder ein Jugendwerk mit Tschechien vereinbaren. Dies wäre ein Beweis der Wichtigkeit unserer besonderen nachbarschaftlichen Beziehungen, von denen der tschechische Präsident Havel bei der Unterzeichnung des Vertrages über freundschaftliche Zusammenarbeit am 27. Februar 1992 in Prag erklärte:
Vor uns und den Deutschen steht heute die gleiche Aufgabe wie vor den Franzosen und den Deutschen nach dem Krieg. Die Ideen und Ergebnisse der Arbeiten Jean Monnets, Robert Schumans und Konrad Adenauers können uns auf diesem Wege eine dauerhafte Inspiration sein. Es geht darum, neue Straßburgs zu schaffen, Stätten, die verbinden, und nicht neue Drähte und Mauern, die trennen.
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Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen, SPD.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Olga Havlova ist tot. Vergangenen Samstag hat der Krebs ihren körperlichen Widerstandswillen gebrochen. Als First Lady der Charta 77, dann an der Seite des tschechischen Präsidenten, hat sie gemeinsam mit Vaclav Havel zuerst den unbeugsamen Willen der Dissidenz gegen die totalitäre Herrschaft bekundet und sich mit ihm für die neue Freiheit unerschrocken eingesetzt.
Vaclav Havels „Briefe an Olga" aus dem Gefängnis haben ihr ein literarisches Denkmal gebaut. Wir verneigen uns vor ihr.
Im Dialog mit seiner Frau hat sich Vaclav Havel auf die „Versuche, in der Wahrheit zu leben" begeben. Auf dieser Suche entdeckte die Dissidenz, daß sie einen Mythos, der die Wiedergründung des tschechoslowakischen Staates am Ende des Zweiten Weltkrieges begleitet, berühren müsse. Wer die universellen Menschenrechte für sich beanspruche, müsse erkennen, daß sie Deutschen durch den „wilden Transfer" zu Beginn der Befreiung entzogen worden waren.
Erazim Kohak brach 1979 eine Debatte an, die ihr Ende nicht findet und noch nicht finden wird, weil sie an die Schmerzen rührt, die in dieser Debatte bereits beschrieben worden sind. Er schreibt:
Was eine humane, zivilisierte Nation von einer barbarischen unterscheidet, ist nicht ihre Schuldigkeit, sondern ihr Umgang mit den Schattenseiten und problematischen Aspekten ihrer Geschichte.
Er schreibt weiter:
Eine Nation Masaryks hätte es nicht gebraucht, sich der Methoden Hitlers zu bedienen, wenn sie das getan hat, dann hatte sie ihre edelsten Ideale verraten und sich dem künftigen Verderben ausgeliefert.
Diese Fanfare des hellen selbstkritischen Tons eröffnete eine tiefgreifende Debatte über die Revision des tschechoslowakischen Geschichtsbildes. So griff Ladislav Hejdanek, einer der Sprecher von Charta 77, die These von der sudetendeutschen Kollektivschuld fundamental an. Wer sie akzeptiere, dementiere letztlich die Rechtsstaatlichkeit. Eine andere Samisdat-Gruppe, Bohemus, spitzte dieses Argument zu:
Mit der Vertreibung auf der Grundlage der Kollektivschuld-These verspielten die Tschechen die Chance, das Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherzustellen.
Die Autoren dieser Debatte wußten, auf was sie sich einließen; denn sie wurden ins Gefängnis geworfen. Diese schmerzhafte, harte Debatte zeigt, längst hatte die Dissidenz den Prozeß der historischen Selbstaufklärung begonnen, als er von der deutsch-tschechischen Historikerkommission, die Genscher und Dienstbier im Januar 1990 gründeten, neu aufgenommen wurde.
Die beiden Kommissionsvorsitzenden, Jan Křen und Rudolf Vierhaus, sagen heute: Wir treten gegen die „Internationale der Nationalisten" auf beiden Seiten an. Warum könnte denn nicht die Chance genutzt werden, Herr Außenminister, daß die Formulierungen dieser Historikerkommission, die an den Tabus rüttelt - man braucht nur ihre Werke zu lesen -, mit in die Formulierung der Erklärung aufgenommen werden?
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Ich frage nur, und auch Herr Biedenkopf hat die Frage in Dresden gestellt, zu der die tschechischen Kollegen ja gesagt haben.
Wenn Erazim Kohak eine Wurzel der Probleme der Zwischenkriegszeit in der zu kurz gefaßten Konzeption des Nationalstaats sah, dann lag eine der Ursachen für die Vertreibung der Sudetendeutschen gewiß im Münchener Diktat, eine tiefere jedoch, Herr Klein, auch und erst recht im systematischen Völkermord an den tschechischen Juden.
So war 1945 zerstört - darum ging es schon Peter Glotz, Johnny Klein und vielen anderen -, was zuvor eine tiefe Hoffnung gewesen war, daß nämlich die böhmische und mährische Mitte Europas ein Modell des multikulturellen Zusammenlebens bleiben könnte, ja sich weiterentwickeln könnte. Prag, Schnittpunkt im Westen, der lebendige, zum Zerreißen offene Topos eines Zusammenlebens in Konflikten, war zerstört. Es gab ihn nicht mehr. Das kosmopolitische Prag war verlorengegangen.
Die zweifache Okkupation, die Nazidiktatur und dann schließlich die Sowjetdiktatur, hatte die Fundamente, die Grundpfeiler einer zivilisierten Gesellschaft zerstört, die die Demokratie erst möglich machen. Mit der samtenen Revolution hat die Demokratie ihr neues Fundament gefunden. Ich finde, es wäre an der Zeit, daß wir die Steine, die wir uns, gerade in der Mitte Europas, gegenseitig in den Weg gelegt haben, endlich gemeinsam wegräumen, denn
Gert Weisskirchen ({1})
wir haben eine Zukunft. Wer 1985 den Aufruf der tschechischen Dissidenten gelesen hat, der Weg nach Europa geht nur über die deutsche Einheit, der, glaube ich, dürfte über manche Probleme nicht mehr kleinkariert debattieren.
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Das Wort hat der Kollege Christian Schmidt, CDU/CSU,
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Rede von Kollege Weisskirchen hat einiges deutlich gemacht. Sie hat zuallererst deutlich gemacht, daß wir in den deutsch-tschechischen Beziehungen sehr viele positive Traditionen - im Kulturellen, im Geistigen, im Historischen - haben, an die wir anknüpfen können. Sie stammen aus der Zeit der Charta 77, der Dissidenten, der Zeit der 68er, des Prager Frühlings, an dem wir alle im Geiste mit Sympathie für diejenigen, die in die Gefängnisse gewandert sind, teilgenommen haben und bei denen wir gehofft haben, daß sich die Zeit für sie und für uns ändern wird.
Er hat zweitens mit beeindruckenden Zitaten von Dissidenten gezeigt, daß es ein Prozeß der Diskussion, ein Prozeß des Mit-sich-Ringens ist. Damit hat er eigentlich auch deutlich gemacht, worin das Dilemma dieser Aktuellen Stunde heute liegt und worin das Dilemma, Frau Vollmer, Ihrer Rede liegt, die in so hohem und lautem Ton gehalten worden ist. Ich beziehe mich sowieso nur auf Ihre Rede, denn das Dazwischenrufen von Joschka Fischer dokumentiert allenfalls, daß er nach wie vor nichts dazugelernt hat, sondern wie auch 1968 die Vertriebenen als Revanchisten diffamiert und nicht in der Lage ist, 3 Millionen Sudetendeutsche, die heute deutsche Bürger sind und sich nicht gewalttätig oder in irgendeiner anderen Form aufgelehnt haben, sondern ganz im Gegenteil von Anfang an die Hand zur Versöhnung gereicht haben, in ihrer Situation überhaupt zu verstehen.
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- Herr Fischer, Sie täten besser daran zuzuhören. Sie könnten auch aus dieser Debatte einiges lernen.
Als ob dieses Thema zu erzwingen sei, haben Sie, Frau Vollmer, gesagt, Versöhnung kann nicht erzwungen sein. Versöhnung muß erarbeitet, besprochen und diskutiert werden. Die Verhandlungen über diese Entschließung sind, wie der Außenminister dargelegt hat, an einem schwierigen Punkt. Aber deswegen muß diese Entschließung nicht ad acta gelegt werden. An diesem Punkt müßte vielleicht nicht so sehr der deutsch-tschechische Dialog, sondern möglicherweise der innertschechische Dialog einsetzen. In manchen Dingen müssen und sollen wir unsere Position darlegen. Das betrifft die Frage der Völkerrechtswidrigkeit von Vertreibung. Dies ist nirgendwo besser nachzulesen als im Entschließungsantrag der SPD-Fraktion vom 31. Mai des letzten Jahres, den ich zitieren darf:
Jeder Akt der Vertreibung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Terrorisierung und Vertreibung von Gruppen aufgrund ihrer Herkunft, ihres religiösen oder kulturellen Hintergrundes muß international geächtet und sowohl völkerrechtlich wie strafrechtlich geahndet werden.
Es kann nicht sein, daß dieser Punkt immer nur von uns in die Diskussionen eingebracht wird. Vielmehr müssen wir auch die Geduld haben, daß diese Diskussion und diese Erkenntnis auch bei denen reift, die sich auf Grund der Vergangenheit in diesem Punkt eben schwerer tun, weil in ihren Reihen auch solche sind, die nicht vertrieben worden sind, sondern dazu beigetragen haben, daß andere Haus und Hof verlassen mußten. Dann ergibt sich auch die Möglichkeit eines Dialogs.
Vor allem bin ich über eines erschrocken: das Zerrbild der Sudetendeutschen, die Diffamierung und das Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen, daß gerade die Sudetendeutschen einen wesentlichen Beitrag im Sinne der konstruktiven Versöhnung leisten würden, wenn ihnen denn die moralische Genugtuung gegeben würde, daß sie nicht kollektiv wie Schlachtvieh vertrieben werden durften.
Frau Vollmer, Sie haben das einmal sehr gut formuliert. Sie haben gesagt: Der Königsweg zu einer Lösung führt nicht an den Sudetendeutschen vorbei, sondern durch sie hindurch. Sie sind heute allerdings an den Sudetendeutschen weit vorbeigegangen und in keiner Weise auf sie zugegangen.
Stillstand bedeutet Rückschritt. Wir haben aber keinen Stillstand der Beziehungen. Ich bin überzeugt davon, daß die Beziehungen tragfähig genug sind und daß sie auch in der gegenwärtigen Phase der Verhandlungen vorankommen. Wieso sollten wir nicht die Möglichkeiten nutzen? Wir sind uns doch einig über das deutsch-tschechische Jugendwerk, über ein Dialogforum und im wesentlichen auch über die Frage einer Stiftung, voranzugehen, uns, wenn das eine oder andere noch der Diskussion bedarf, die Zeit zu lassen, daß diese Diskussion reift, und die Dinge, die getan werden können, in näherer Zukunft zu tun. Ich hätte keine Probleme damit, den Jugendaustausch, so wie Kollege Schorlemer vorgeschlagen hat, schon baldmöglichst in eine gemeinsame Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Tschechen einmünden zu lassen.
Gestatten Sie bitte, daß ich Sie für einen Augenblick unterbreche.
Herr Kollege Fischer, Frau Kollegin Steinbach, wenn Sie sich unterhalten wollen, setzen Sie sich bitte nebeneinander. Das ist fair gegenüber dem Redner.
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Vielen Dank, Herr Präsident.
Ich bin dafür, daß wir in die Zukunft blicken. Aber von diesem Platz aus hat vor wenigen Tagen der Bundespräsident in seiner Rede etwas gesagt, was für die deutsch-tschechischen Beziehungen von Bedeutung ist: „Das Fundament der Zukunft ist der Umgang mit der Geschichte." - Der Umgang mit der Geschichte im Sinne der Wahrhaftigkeit und der Aufrichtigkeit, nicht des Hasses, sondern des Weges zur Versöhnung.
Wenn Sie das verstehen und das wissen würden, dann wäre die heutige Veranstaltung völlig überflüssig gewesen. Wir hätten besser daran getan, uns im Dialog mit unseren tschechischen Partnern darum zu bemühen, daß das Ganze so formuliert werden kann, wie es der historischen Realität entsprochen hat. Dann werden die Sudetendeutschen freudig dabei sein, zu diskutieren und an der Zusammenarbeit mitzuwirken.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Peter Glotz, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die deutsch-tschechischen Beziehungen in eine Sackgasse manövriert.
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Das Entscheidende ist nicht, ob man der Auffassung ist, daß die Idee einer heilenden Resolution nach all dem Hin und Her der letzten Monate noch wirksam sein kann oder nicht. Da kann man unterschiedlicher Meinung sein.
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Das Entscheidende ist, daß die Bundesregierung nach den Versäumnissen in der Vergangenheit eine solche Resolution nicht vernünftig vorbereitet. Sie hat sich vorher nicht gefragt: Was will die tschechische Seite? Was wollen wir? Macht es Sinn, auf solch eine Resolution zuzusteuern? Das war fahrlässig, das war falsch.
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Ich möchte hier aber auch ein Wort als DeutschBöhme, als Sudetendeutscher, sagen, nicht als Funktionär, Herr Kollege Fischer, obwohl das kein ausschließlich negativer Begriff ist.
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Ich bin jedenfalls ein Funktionär meiner Partei.
Die große Mehrheit der Vertriebenen ist versöhnungsbereit. Wir wissen auch: Die Zeit läßt sich nach zwei Generationen nicht mehr zurückdrehen, auch nicht mehr in den Eigentumsverhältnissen. Eine Diskussion um Entschädigungen würde nur die Büchse der Pandora öffnen.
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Ich habe das als Berichterstatter meiner Fraktion beim deutsch-tschechischen Vertrag 1992 gesagt, und ich wiederhole das heute: Es wird keine Restitution des 1945 enteigneten Vermögens geben.
Aber über eines muß Klarheit herrschen: Die Vergangenheit muß erinnert werden. Sie muß in der Erinnerung bleiben. Unrecht muß Unrecht genannt werden.
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Nicht nur die Morde am Rande und im Zuge der Vertreibung, sondern auch die Vertreibung selbst war Unrecht.
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Unrecht war die kollektive Austreibung von mehr als drei Millionen Deutschen, nur weil sie Deutsche waren. Die Diskussion zwischen Tschechen und Deutschen muß im Ergebnis zu einer Distanzierung von der These der Kollektivschuld führen. Darüber sollten auch Menschen nicht hinwegreden, Frau Kollegin Vollmer, die guten Willens sind und die so wie Sie die Versöhnung ganz ohne Zweifel wollen. Sie gehen in die Irre, wenn Sie von der Bundesregierung verlangen - ich beziehe mich auf eine gemeinsame Diskussion mit Richard von Weizsäcker, die wir kürzlich hatten -, bestimmte tatsächliche Entwicklungen, die sich unter dem Bruch grundlegender Prinzipien der internationalen Ordnung vollzogen haben, formell anzuerkennen.
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Ich muß hier von meinen Freunden sprechen: Es gab sudetendeutsche Sozialdemokraten, die aus Hitlers Konzentrationslagern kamen und in ihre Heimatorte nach Böhmen zurückgingen. Sie hatten gegen Hitler gekämpft, und trotzdem wurden sie ohne Verzug in Viehwagen geladen und ausgesiedelt, weil sie Deutsche waren. Heute nennt man eine solche Politik mit einem neuen Begriff „ethnische Säuberung".
Ich teile absolut die positive Haltung im Grunde von uns allen gegenüber dem tschechischen Staatspräsidenten. Er hat sich 1990 für das Unrecht der Vertreibungen entschuldigt. Das war eine mutige, in seinem Land vielfach nicht verstandene politische Geste. Wir müssen ihm für diese Äußerung dankbar sein.
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Ich teile auch die Meinung von Antje Vollmer, daß die Bundesregierung ihn zu lange hat hängen lassen. Seine Entschuldigung stand im Raum, aber es kam
keine Antwort aus Deutschland. Das war ein politischer Fehler.
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Frau Kollegin Vollmer, man darf aber auch nicht darüber hinwegreden, daß der Staatspräsident in seiner Rede im Frühjahr vorigen Jahres in der Tat einen Schritt zurückgegangen ist und daß auch Anklänge von Kollektivschuldthesen darin vorkamen.
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In dieser Rede heißt es wörtlich, daß das Böse der Aussiedlung nur eine traurige Folge des ihr vorausgegangenen Bösen gewesen sei - „nur". „Nur"? Es ist zu einfach, nach einer 150jährigen Auseinandersetzung in Böhmen, veranlaßt durch den Nationalismus beider Seiten, den Schuldspruch einseitig zuungunsten der Deutschen zu fällen. Ich bedaure zutiefst die Verbrechen der Nationalsozialisten in Böhmen. Ich bin bereit, mich jeden Tag dafür zu entschuldigen. Sie rechtfertigen aber nicht die Vertreibung einer ganzen Volksgruppe, die 800 Jahre lang in Böhmen gelebt hat.
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Ich bestehe darauf, meine Damen und Herren: Die Tschechen haben damals nicht nur illoyale Deutsche, die es natürlich gegeben hat, ausgesiedelt, sondern sie haben alle Deutschen ausgewiesen. Dies war ein Bruch des Völkerrechts. Dies darf nicht unter den Tisch gekehrt werden.
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Ich sage das ausdrücklich nicht, um aufzurechnen. Das Aufrechnen zwischen Tschechen und Deutschen ist genauso falsch wie das zwischen Serben, Muslimen und Kroaten oder zwischen anderen Volksgruppen. Es geht nicht um das Aufrechnen; es geht um das Aufarbeiten. Versöhnung entsteht, wenn beide Seiten begriffen haben, was sie falschgemacht haben. Diese Art von Versöhnung verlangt ernste Diskussionen; sie ist nicht zu bewältigen mit Schlußerklärungen.
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Ich appelliere an die Bundesregierung, das zu tun, was man tun kann: Entschädigen Sie die NS-Opfer oder lassen Sie sie uns gemeinsam entschädigen, bevor all diese Menschen weggestorben sind. Lassen Sie uns eine deutsch-tschechische Stiftung schaffen und lassen Sie uns in das deutsch-tschechische Verhältnis investieren, ähnlich wie wir in das deutschpolnische Verhältnis investiert haben. Lassen Sie uns das Notwendige tun, ohne nach rechts oder links, nach Norden oder nach Süden zu schielen.
An die Spitze der Regierung gewendet, sage ich: Setzen Sie ein Zeichen, Herr Bundeskanzler. Es ist bitter nötig, daß die deutsch-tschechische Freundschaft in der deutschen Politik zur Chefsache erklärt wird.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Karl Lamers, CDU/CSU.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr froh, daß diese Debatte entgegen einer Befürchtung, die ich vor allen Dingen nach Ihrer Rede, Frau Kollegin Vollmer, für einen Augenblick hatte, nicht zu einer Krise der deutsch-tschechischen Beziehungen geführt hat, die wir vorher nicht hatten und gottlob auch jetzt nicht haben. Wir haben sie nicht, weil ja andernfalls mindestens eine der beiden Seiten eine solche Krise behaupten müßte. Es gibt aber zahllose Zitate - Reinhard von Schorlemer hat einige angeführt -, die beweisen, daß nicht nur die deutsche Bundesregierung, sondern auch die tschechische Regierung sagen: Nein, es gibt keine Krise. In mancher Hinsicht - so muß man genauer sagen - sind die deutschtschechischen Beziehungen in der Tat so gut, wie sie noch nie waren - in mancher, nicht in jeder Hinsicht, das weiß ich sehr wohl.
Weil das so ist, hat es meines Erachtens auch keinen Sinn, nach Schuldigen zu suchen, nach solchen, die nicht genug Engagement mitgebracht haben, um zu einer Erklärung zu kommen, die es weiß Gott mit einer schwierigen Materie zu tun hat. Es geht im Grunde um die historische Wahrheit. Welcher Anspruch bei einer so schwierigen Geschichte wie der deutsch-tschechischen! Ein ungeheurer Anspruch! Es geht nicht um Geschichtsschreibung, sondern es geht um erlebte Geschichte, wo viele Opfer und Täter noch leben. Es geht mit anderen Worten um Leidenschaften.
Wir sind uns ja einig - Kollege Verheugen hat es zunächst gesagt -, daß hier eine gewisse Asymmetrie herrscht, natürlich!
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Es geht auf der tschechischen Seite um Leidenschaften des ganzen Volkes, während dieses Thema auf unserer Seite nicht so das ganze Volk aufrührt.
Aber wenn wir der tschechischen Regierung ohne viel Federlesens konzedieren, daß sie natürlich auf die Leidenschaften in ihrem Volk Rücksicht nehmen muß, dann, meine ich, ist es ganz selbstverständlich, daß wir der deutschen Regierung nicht nur konzedieren, sondern daß wir sie auffordern müssen, auch auf jenen Teil des deutschen Volkes Rücksicht zu nehmen, der einer der beiden Hauptakteure des Dramas war, das sich schon zwischen 1918 und 1938 anbahnte und das dann zwischen 1938 und 1946 seinen schrecklichen Höhepunkt hatte.
Wir müssen also versuchen, in einer gemeinsamen Erklärung die historische Wahrheit zu finden, und
zwar so, daß sie für beide Seiten nicht nur akzeptabel ist, sondern daß sie auch wirklich dazu führt, daß beide Seiten der Wahrheit ins Gesicht sehen und damit das Fundament schaffen, daß wir miteinander ins reine kommen. Das ist ein großes, ein schwieriges Unterfangen. Vielleicht ist es in der Tat zu schwierig. Wie immer, wir werden es sehen.
Ich meine jedenfalls, daß wir uns nicht davon abhalten lassen sollten, danach zu suchen, was wir schon jetzt tun können. Darin stimmen wir überein, Kollege Glotz. Auch Reinhard von Schorlemer und Christian Schmidt haben das gesagt.
Ich glaube, zunächst müssen wir alles tun, um zu verhindern, daß sich irgend etwas zuspitzt, zuschnürt. Ich finde, wir haben das heute gemeinsam verhindert. Das ist gut so. Es dient uns übrigens auch parteipolitisch am besten, wenn wir in einer nationalen Frage nicht an unsere Parteiinteressen denken, sondern an das Wohl unseres Volkes. Dazu gehören seine Beziehungen zu seinen Nachbarn und zu unserer gemeinsamen Vergangenheit.
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Das ist das erste, was wir tun sollten.
Als zweites sollten gerade wir Parlamentarier versuchen, den Dialog jetzt in Gang zu setzen. Wieso machen wir nicht dieses Dialogforum?
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Natürlich, vor den tschechischen Wahlen wird das etwas schwer sein. Aber der Zeitpunkt ist bald vorbei, und dann sollten wir das tun, mit aller Kraft und Entschiedenheit.
Ich finde auch, wir sollten überlegen, wie wir diese Stiftung installieren.
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Diese Stiftung sollte eine zweifache Aufgabe haben; das haben Sie, Kollege Glotz, bereits gesagt, vorher auch schon geschrieben. Wir sollten versuchen, sie einzurichten.
Wir sollten alles tun, damit keine Seite aus einer Mischung von Verletztheit, schlechtem Gewissen, Angst vor der historischen Wahrheit wie Angst vor der Wahrheit der Gegenwart Mauern errichtet oder sich in seinem Groll einnistet. Das müssen wir überwinden, und das werden wir überwinden. Es hängt wirklich viel von uns ab.
Ich habe in der ersten Debatte zu diesem Thema gesagt: Ja, wir waren immer die Größeren und die Stärkeren, und der Größere und der Stärkere muß auch versuchen,
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ein wenig der Weisere zu sein.
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Heute, finde ich, haben wir uns alle eigentlich ganz klug verhalten.
Die Versuche, der Regierung die Schuld dafür anzuhängen, daß bislang eine gemeinsame Erklärung nicht zustandegekommen ist, sind maßvoll gewesen und waren auch zum Scheitern verurteilt. Vielleicht waren sie auch deswegen so maßvoll.
Wir wollen jetzt sehen, daß wir das Werk der deutsch-tschechischen Versöhnung gemeinsam ins Werk setzen. Das kann ohnehin nicht das Ergebnis von irgendwelchen offiziellen Akten sein, sondern das kann nur das Ergebnis unserer aller gemeinsamer Anstrengungen sein.
Vielen Dank.
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Das Wort zu einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung hat die Kollegin Antje Vollmer.
Herr Bundesaußenminister, Sie haben mich direkt angesprochen, und ich möchte Ihnen auch direkt antworten und etwas erklären. Ich habe in meiner Rede gesagt:
Zur Erklärung des Desasters wird folgendes ausgeführt ...: Es gibt bei den Tschechen keine Bereitschaft, die eigene Vergangenheit und die Vertreibung zu diskutieren. Das ist nachweislich nicht wahr; das ist eine Lüge.
Es lag mir fern, Sie als einen Lügner zu bezeichnen. Wir kennen uns lange. Meistens streiten wir uns auch heftig, wenn wir zusammen an einem Thema sind. Ich halte Sie tatsächlich nicht für einen Lügner, sondern eher für einen Moralisten.
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Das ist genau das Problem, daß es hier eine politische Lösung geben muß. Wenn es da aber etwas Verletzendes gegeben haben sollte, dann war das nicht in meinem Sinne, dann nehme ich das zurück.
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Wir sind zugleich am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 1. Februar 1996, 9.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.