Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zunächst möchte ich dem Kollegen Dr. Heinz Riesenhuber zu seinem heutigen 60. Geburtstag die herzlichsten Glückwünsche des Hauses aussprechen.
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Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Ihnen in der Zusatzpunktliste vorliegenden Punkte zu erweitern.
6. Erste Beratung des von den Abgeordneten Gerald Häfner, Werner Schulz ({1}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Abgeordnetenbezüge für den Deutschen Bundestag und das Europäische Parlament
- Drucksache 13/3139 7. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Jörg van Essen und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes
- Drucksache 13/3154 8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerald Häfner, Werner Schulz ({2}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vermeidung von Interessenkollisionen und Doppelalimentation bei Bundestagsabgeordneten - Drucksache 13/3137 9. Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Rückkehr zur Demokratie in Nigeria
- Drucksache 13/3178 Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir über einen Geschäftsordnungsantrag abstimmen. Die Fraktion der SPD hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Beschlußvorschlag der Europäischen Union zu einem Aktionsprogramm für die Chancengleichheit von Frauen und Männern - Drucksache 13/3174 - zu erweitern. Die Vorlage soll mit einer Debattenzeit von 30 Minuten beraten werden.
Wird zu diesem Geschäftsordnungsantrag das Wort gewünscht? - Das ist der Fall. Das Wort hat Frau Kollegin Wieczorek-Zeul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir möchten Sie bitten, mit uns dafür zu votieren, daß auf die heutige Tagesordnung unser Entschließungsantrag gesetzt wird, der die Bundesregierung auffordert, am 5. Dezember im Ministerrat dem gesamten Finanzumfang des bisher geplanten vierten Frauenaktionsprogramms zuzustimmen.
Warum ist die Aufsetzung heute notwendig? Es ist die letzte Chance für den Deutschen Bundestag, der Bundesregierung ein Votum für die Sitzung des Ministerrates am nächsten Dienstag mitzugeben. Der Frauenausschuß hat ein solches Votum zur Annahme des Frauenaktionsprogramms in vollem Umfang, auch mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. beschlossen. Er hatte für diese Woche den Europaausschuß aufgefordert, auf dem Wege des § 93 der Geschäftsordnung daraus eine Verpflichtung für die Bundesregierung zu machen, dem Frauenaktionsprogramm im vollen Finanzumfang zuzustimmen. Mit den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. ist aber im Europaausschuß von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht worden; vielmehr ist der Vorschlag des Frauenausschusses abgelehnt worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist erstens verhindert worden, daß es ein Votum an die Adresse der Bundesregierung gibt. Es ist damit zweitens - ich sage das auch an die Adresse von Frau Professor Süssmuth, unserer Präsidentin - die Möglichkeit des Deutschen Bundestages, von den Chancen des in der Geschäftsordnung verankerten Europaausschusses
Gebrauch zu machen, zum wiederholten Male zunichte gemacht worden. Das ist unerträglich.
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In dem Aktionsprogramm geht es um die Chancengleichheit in einer sich verändernden Wirtschaft und um die Förderung einer gleichberechtigten Teilhabe von Männern und Frauen an Entscheidungsprozessen. Die Bundesrepublik hat dies schon die ganze Zeit als einziges Land blockiert. Die Bundesregierung hat gesagt, die Rechtsgrundlage stimme nicht. Nun hat ihr die Kommission nachgewiesen, daß die Rechtsgrundlage stimmt. Jetzt wird auf Initiative von Bundesminister Waigel an den Finanzen geknapst. Auf diese Art und Weise wird das Programm so zusammengestrichen, daß es im Grunde unwirksam wird.
Meine Kollegin von der CDU wird anschließend sicher sagen: Der Europaausschuß hat gesagt, es geht nur um die Hälfte der Finanzmittel, weil das andere in nationaler Zuständigkeit liegt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe noch nie gesehen, daß die Mittel zugunsten der Frauen, die in Europa eingespart worden sind, national zugunsten der Frauen eingesetzt worden wären.
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Der Finanzminister wird es auch nie tun.
Damit Sie den Finanzumfang sehen - ich wende mich insbesondere an die Mitglieder des Frauenausschusses aus CDU/CSU und F.D.P. und auch an die Frauen in diesen Fraktionen -: Geplant waren von der Kommission für fünf Jahre 120 Millionen DM zugunsten der Frauenförderung, das heißt 25 Millionen DM in einem Jahr.
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Das sind 8,3 Millionen DM für die Bundesrepublik.
Zum Vergleich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Allein für die Tabakmarktordnung, für die Subventionierung des Tabakanbaus, gibt die Bundesrepublik doppelt soviel aus, wie sie für die Frauenförderung einsetzen will.
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Jetzt kommt auch noch Waigel und sagt, es müsse nochmals um die Hälfte reduziert werden.
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51 % der europäischen Bevölkerung sind Frauen. Sie sind überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen. Sie haben Einkommen, die um 25 % niedriger sind als die der Männer. Sie haben um ein Drittel niedrigere Renten. Frauenförderung ist auf europäischer Ebene wie auch national dringend notwendig.
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Das hatte der Frauenausschuß über alle Fraktionsgrenzen hinweg auch so gesehen. Die Mitglieder der CDU/CSU und der F.D.P. im Europaausschuß haben verhindert, daß es eine entsprechende Stellungnahme nach der Geschäftsordnung gegenüber der Bundesregierung
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zu der Abstimmung am 5. Dezember gibt.
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Wir möchten Sie deshalb bitten, sich dem Votum des Frauenausschusses anzuschließen und mit der Aufsetzung dafür zu sorgen, daß es eine klare Orientierung für die Bundesregierung in Richtung auf 120 Millionen DM für die Frauenförderung in fünf Jahren gibt. Das ist auch eine Frage des Selbstbewußtseins des Deutschen Bundestages.
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Wir, der Deutsche Bundestag, wirken in Fragen der Europäischen Union an der Willensbildung mit. Jeder, der das immer wieder aufs neue unterläuft ({9})
ich weise darauf hin: ein Jahr lang hat es für den Europaausschuß keine Möglichkeit gegeben, von dieser verfassungsrechtlichen Regelung Gebrauch zu machen -, der versündigt sich an dem, was das Verfassungsgericht bei der Entscheidung über Maastricht gesagt hat: daß es diese Chance der Mitwirkung geben muß.
Frau Kollegin Rita Süssmuth hat in der Debatte am 26. Oktober gesagt - damit schließe ich ab -:
... ein Europa ohne Zuständigkeiten und Gleichberechtigung für Frauen ist für uns Frauen kein Europa.
Deshalb fordere ich Sie auf: Stimmen Sie für das volle Votum des Frauenausschusses, für die Aufsetzung, und auch für die Annahme unseres Antrags.
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Ebenfalls zur Geschäftsordnung spricht die Abgeordnete Editha Limbach.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, was man alles erzählen kann, ohne die Wahrheit zu
verlassen, und trotzdem die Wahrheit nicht überzubringen.
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Frau Wieczorek-Zeul, wir, CDU/CSU und F.D.P., können wirklich nichts dafür, daß Sie im Europaausschuß gegen die Unterstützung des vierten Aktionsprogramms gestimmt haben.
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Ich sehe überhaupt nicht ein, daß wir heute über ein Thema beraten sollen, zu dem Sie im Europaausschuß, sich auf eine alte Vorlage vom Juni berufend - die aber nicht mehr existiert, weil sie zurückgezogen wurde -, die neue Vorlage vom November nicht akzeptieren wollten.
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Ich wiederhole das noch einmal: Sie verlangen hier, daß wir über ein Papier, das es gar nicht mehr gibt, beraten, weil Sie das Papier, das es gibt und das den vierten Aktionsplan zur Chancenverbesserung und zur Gleichstellung von Männern und Frauen betrifft, im Europaausschuß abgelehnt haben. Sie drehen das hier völlig um. Sie sagen, wir hätten es abgelehnt. Was wir abgelehnt haben, war folgendes - ich will das auch sagen, damit die Kolleginnen und Kollegen, die nicht im Europaausschuß sind, das auch verstehen -: Der Frauenausschuß hatte noch auf der Grundlage des Papiers von Juni beraten und eine Empfehlung erarbeitet. Wenn Sie nicht mitbekommen haben, daß es inzwischen eine neue Empfehlung gibt, weil nämlich sechs Staaten, die das erste Papier so nicht akzeptieren wollten - nicht nur ein Staat, sondern sechs, unter denen allerdings die Bundesrepublik war -, ein neues erarbeiten ließen, das dann akzeptiert wurde, dann ist das nicht unsere, sondern Ihre Schuld.
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Ich will das nicht weiter ausdehnen, sondern möchte nur noch einmal festhalten: Sie haben gesagt, nach § 93 hätte entschieden werden müssen. Das ging überhaupt nicht im Europausschuß,
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weil wir kein mitberatendes Votum hatten, weil sich der Frauenausschuß auf ein Papier bezogen hatte, das es inzwischen nicht mehr gibt. Wir können doch nicht über irgend etwas abstimmen, was überhaupt nicht mehr vorhanden ist.
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Man sollte bei solchen Programmen, die wichtig sind und die von uns unterstützt werden, dennoch bei der Realität bleiben, und die Realität ist: Der Europaausschuß hat mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition die Bundesregierung aufgefordert, diesem Aktionsprogramm beizutreten und dort mitzumachen, und zwar im Rahmen von 30 Millionen ECU. Sie haben das abgelehnt. Es bleibt dabei: Was Sie einmal abgelehnt haben, können Sie nicht durch die Hintertür hier wieder zurückholen.
Wir beraten über vorliegende Anträge und vorliegende Papiere. Das haben wir getan. Wir haben dem zugestimmt. Wir wünschen Frau Nolte und der Bundesregierung viel Erfolg bei der Umsetzung dieses Programms.
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Das Wort zur Geschäftsordnung hat die Abgeordnete Rita Grießhaber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist wirklich erstaunlich, wie man hier Dinge verdrehen kann.
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Ich sage Ihnen: Da wurde schlicht und ergreifend die Geschäftsgrundlage für dieses ganze Aktionsprogramm vollkommen geändert. Wenn Sie plötzlich ein Programm halbieren und die Grundlage für alle nationalen Aktivitäten herausstreichen, wobei der federführende Ausschuß davon nichts wußte und dies auch nicht zur Beratung hatte, wenn Sie dann hingehen und dem halbierten Programm zustimmen, die SPD es aber ablehnt, diesem Programm noch zuzustimmen, und wenn Sie dann sagen, sie hätte gegen das Programm gestimmt, so ist das etwas Unverschämtes. Es ist unmöglich, es dann hier so hinzustellen, als hätte man es anders gemacht.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Vorgang zeigt, wie wichtig es wäre, daß sich dieses Haus noch einmal in einer gründlichen Debatte mit dem Thema befassen kann, denn der federführende Ausschuß, der Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, hatte nicht die Gelegenheit, auf der Grundlage, daß das Programm nun halbiert wird, zu debattieren. Wenn der federführende Ausschuß, wenn die Frauen nicht die Gelegenheit hatten, darüber zu beraten und abzustimmen, dann gehört es einfach noch einmal hier ins Haus, damit wir die Gelegenheit bekommen.
({2})
Wollen Sie denn unsere Mitbeteiligung herausstreichen? Wollen Sie uns auskegeln und sagen: Damit hat der Frauenausschuß gar nichts mehr zu tun? Ich frage Sie: Welchen Stellenwert geben Sie denn der Frauenpolitik in diesem Hause noch?
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Denjenigen, die noch keine Gelegenheit hatten, sich damit zu befassen, was in diesem Programm für Punkte enthalten sind, kann ich nur sagen, daß es genau diejenigen Punkte sind, die Sie hier in den Sonntagsreden herunterbeten. Es ist der Punkt Vereinbarkeit von Familie und Beruf, den Sie doch draußen hervorheben und von dem Sie sagen, daß wir dafür etwas tun müssen. Dann lassen Sie uns doch etwas tun, und streichen Sie nicht die Mittel dafür!
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Wenn Sie dann noch sehen, daß ein Hauptelement dieses Aktionsprogrammes ist, wie Frauen in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden können, dann kann ich nur sagen: Es würde bedeuten, daß wir schlicht und einfach unsere Hausaufgaben machen, wenn wir hier im Parlament darüber reden könnten.
Danke schön.
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Ebenfalls zur Geschäftsordnung hat das Wort der Abgeordnete Heinz Lanfermann.
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Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn die Regie einmal aufhören könnte, das Pult dauernd hochzufahren, dann wäre ich dankbar. - Vielen Dank. Wir Liberalen sind für Selbstbestimmung, und deswegen machen wir das hier am Pult lieber selber.
Es ist ja schon erstaunlich, wie man zu früher Stunde hier eine solche Aufregung produzieren kann. Offensichtlich sind einige von Ihnen nicht nur wegen der Diätendebatte, die ja eigentlich jetzt stattfinden sollte, so früh gekommen.
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- So kann ich nicht sprechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte doch um etwas Ruhe für den Redner.
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- Ansonsten muß ich die Zeit stoppen.
Frau Präsidentin, ich bitte darum, mir die Zeit gutzuschreiben, die jetzt vergangen ist, ohne daß ich sprechen konnte.
Jetzt können Sie beginnen.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, wie die Vorrednerinnen von SPD und Grünen versucht haben, Verwirrung zu stiften.
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Wir befinden uns in einer kurzen Aussprache über einen Geschäftsordnungsantrag; so ist es jedenfalls angekündigt worden. In dieser Geschäftsordnungsdebatte geht es darum, ob heute ein neuer zusätzlicher Punkt entgegen allen Verabredungen der Geschäftsführer, an denen Sie ja auch beteiligt waren, auf die Tagesordnung gesetzt werden soll. Es geht um diesen Punkt und nicht um die Ausführungen zur Sache, die wir hier zuerst gehört haben. Es scheint mir auch weniger um das Selbstbewußtsein des Parlaments als vielmehr um das der ersten Rednerin heute morgen zu gehen.
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Ich will das ja in der Sache gern erläutern, damit Klarheit hineinkommt. Es gibt einen Beschluß des Europaausschusses, der sich für das Programm, das hier erwähnt worden ist, ausspricht; es soll allerdings, was die Höhe angeht, begrenzt werden.
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- Nun warten Sie doch bitte in Ruhe ab, damit Sie sich nicht über eine Sache aufregen, die es nicht wert ist.
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- Frau Kollegin, Sie hatten vorhin fünf Minuten Zeit zu sprechen. Sie haben weniger zur Geschäftsordnung als zur Sache gesprochen, um hier doch etwas zu produzieren, und jetzt sollten Sie wenigstens die Geduld haben, mir zuzuhören.
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Der Familienausschuß hat sich in seiner letzten Sitzung ausführlich mit diesem Punkt beschäftigt, und alle Fraktionen, auch ich als Sprecher der F.D.P.-Fraktion in diesem Ausschuß, waren sich darin einig, daß wir aus familien- und frauenpolitischer Sicht die Bundesregierung bitten wollen, sich so wie die anderen Regierungen in der Europäischen Union auch voll für dieses Programm einzusetzen.
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- Ja, es ist ja alles in Ordnung; Sie haben ja die Aufregung - das sagte ich schon - künstlich produziert.
Wir haben gesagt, daß die Bedenken, die dort geäußert worden sind und die ja mit etwas komplizierteren Themen rechtlicher Art, unter anderem auch der Subsidiarität
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- ja, es ist nun einmal so -, und komplizierten europarechtlichen Vorschriften zu tun haben, vielleicht überwunden werden könnten, damit die Bundesrepublik, so wie an den vorherigen drei Programmen, auch an diesem Programm nicht nur voll teilnimmt, sondern damit es auch durch die Haltung der Bundesregierung unterstützt wird.
Da die Kommunikationswege so schlecht nicht sind, weiß das Frau Nolte als zuständige Ministerin, und ich denke, auch an anderer Stelle der Bundesregierung ist das bekannt. Es gibt also in der Sache überhaupt keinen Anlaß zur Aufregung,
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nur weil in einem Ausschuß, der nicht federführend ist, etwas beschlossen wird und später im federführenden Ausschuß dann eine Empfehlung ausgesprochen wird.
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Weil das alles - man konnte das auch aus Ihrem Beitrag, Frau Kollegin, heraushören - sehr viel mit Europa zu tun hat, wird das in der europapolitischen Debatte nächste Woche hier behandelt werden.
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Das ist so verabredet, und das, was Sie so aufgeregt hat, ist bekannt. Auch die Stellungnahme des Familien- und Frauenausschusses ist bekannt; deswegen weiß die Bundesregierung, worum es geht.
Daß Sie versuchen, uns plötzlich noch eine Debatte, die nächste Woche sowieso stattfinden wird, aufzuzwingen, ist nicht in Ordnung. Es war genau sichtbar, daß das alles nur einen Zweck hat, nämlich hier zur Sache zu sprechen, obwohl es um die Geschäftsordnung geht.
Deswegen unterstützt die F.D.P.-Fraktion diesen Antrag nicht. Wir meinen, daran, wie es vorher verabredet worden ist, sollte man sich halten. Wir werden das nächste Woche besprechen.
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Soweit es jetzt möglich und nach Ihrem Beitrag leider auch nötig ist, habe ich etwas vorweggenommen und Ihnen gesagt, wie wir inhaltlich dazu stehen. Damit können Sie doch zufrieden sein.
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Deswegen werden wir dem Antrag nicht zustimmen.
Vielen Dank.
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Zur Geschäftsordnung spricht jetzt die Abgeordnete Petra Bläss.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Warum, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, organisieren Sie sich diese Geschäftsordnungsdebatte? Heute, das heißt vor der Beschlußfassung im Europarat am 5. Dezember ein eindeutiges und klares Votum des Bundestages zum ungekürzten vierten mittelfristigen Aktionsprogramm zur Chancengleichheit in Europa abzugeben, wäre doch gerade die Chance für Sie von der Regierungskoalition, alle Zweifel und Ihrer Meinung nach ungerechtfertigten Vorwürfe über die diesbezügliche Haltung der Bundesregierung aus dem Weg zu räumen.
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Die Bundesministerin Nolte hat erst am vergangenen Mittwoch vor der Abschlußsitzung des nationalen Vorbereitungskomitees zur 4. Weltfrauenkonferenz und auch im Unterausschuß für europäische Angelegenheiten betont, daß die Bundesregierung nächste Woche der Durchführung des vierten Aktionsprogramms zustimmen wird. Ich frage mich, weshalb Sie sich so wehren, jetzt einfach Farbe zu bekennen.
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Es ist ohnehin ein starkes Stück, wie Sie jetzt Ihre skandalöse Blockadehaltung vom September leugnen oder gar so uminterpretieren, daß Sie nun als Retter oder sogar Initiator des Programms dastehen. Wir wollen doch nicht vergessen, daß es die Bundesregierung war, die seinerzeit als einzige rechtliche Vorbehalte im Ministerrat geltend gemacht und damit für die Verzögerung gesorgt hat.
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Ich frage Sie: Soll der federführende Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der sich einstimmig zum Aktionsprogramm bekannt hat, zur Alibiinstitution erklärt werden? Denn immerhin hat die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Dempwolf nach diesem Votum betont, daß Frau Nolte damit als Frauministerin der Rücken gestärkt wird.
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Immerhin ist es im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung durch den Widerstand der Koalitionsfraktionen gegen ein wie auch immer geartetes festge6594
schriebenes Pro zum Aktionsprogramm nicht einmal zur Annahme der von meinen SPD-Kolleginnen vorgeschlagenen Kompromißvariante gekommen.
Im EU-Ausschuß haben sich bekanntlich mit denkbar knapper Mehrheit die Regierungsparteien durchgesetzt und für eine Begrenzung des Finanzrahmens auf 30 Millionen ECU gestimmt. Nach den vollmundigen Lippenbekenntnissen in Sachen Gleichberechtigungspolitik und der Unterschrift der Bundesregierung unter die auf der 4. UN-Weltfrauenkonferenz verabschiedete Aktionsplattform ist dieses wochenlange Hickhack um die Zustimmung zum vierten Aktionsprogramm nicht nur völlig unverständlich, sondern auch höchst peinlich und leider für den tatsächlichen Stellenwert bezeichnend, den Maßnahmen zur Herstellung der Chancengleichheit der Geschlechter in Ihrer Regierungspolitik haben.
Auch wenn das Aktionsprogramm noch weit davon entfernt ist, Strukturen zu verändern, das heißt, patriarchale Unterdrückungsverhältnisse und geschlechtsspezifische Diskriminierung von Frauen anzugehen
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- ich weiß, mit solchen Begriffen können Sie gar nichts anfangen
Frau Abgeordnete, einen Moment. Sie müssen zur Geschäftsordnung sprechen.
- das tue ich doch; das ist doch nur die Begründung -, sind die in ihm genannten Punkte unverzichtbare Mittel zur Förderung der gesellschaftlichen und ökonomischen Partizipation von Frauen.
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Wenn Sie also zu Ihren eigenen Worten stehen wollen, dann stimmen Sie jetzt der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunktes und dann bitte schön auch noch dem Entschließungsantrag der SPD zu.
Ich danke.
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Wir kommen damit zur Abstimmung. Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der SPD? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Aufsetzungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
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- Wir haben uns hier im Präsidium darüber geeinigt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 und die Zusatzpunkte 6 bis 8 auf:
16. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten
- Drucksache 13/3121 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1})
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
ZP6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Gerald Häfner, Werner Schulz ({2}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Abgeordnetenbezüge für den Deutschen Bundestag und das Europäische Parlament
- Drucksache 13/3139 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({3})
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
ZP7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Jörg van Essen und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes
- Drucksache 13/3154 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({4})
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
ZP8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerald Häfner, Werner Schulz ({5}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Vermeidung von Interessenkollisionen und Doppelalimentationen bei Bundestagsabgeordneten
- Drucksache 13/3137 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({6})
Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat das Wort der Abgeordnete Andreas Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was lange währt, wird endlich gut. Es ist gut, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir heute in erster Lesung einen Gesetzentwurf zur Neuregelung - ({0})
Einen Moment, Herr Abgeordneter. - Ich denke, wir sollten jetzt erst einmal etwas Ruhe im Saal herstellen. Auch weil es um unsere eigenen Angelegenheiten geht, sollten Sie zuhören.
Vielen Dank. Ich will Ihnen ausdrücklich zustimmen, Frau Präsidentin. Es geht um unsere Angelegenheiten. Wir sollten das in allem Ernst miteinander beraten und diskutieren.
Ich sage noch einmal: Es ist gut, daß wir heute einen Gesetzentwurf zur Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten vorlegen. Er bietet die Chance, daß wir nunmehr auch den dritten Teil der Parlamentsreform einer Realisierung zuführen. Ich will ausdrücklich daran erinnern, daß wir immer gesagt haben: Wir versuchen ein Gesamtpaket bei der Parlamentsreform umzusetzen. Der erste Punkt war die Verbesserung der Struktur und Darstellung der parlamentarischen Arbeit in diesem Haus. Dies haben wir abgeschlossen. Wir haben uns zweitens verständigt, den Bundestag zum Jahr 2002 zu verkleinern. Es geht jetzt nur noch um das Wie der Verkleinerung und nicht mehr um das Ob. Auch hier haben wir einen klaren Beschluß gefaßt. Die Reformkommission hat ihre Arbeit aufgenommen und wird bereits im nächsten Jahr erste Ergebnisse vorlegen.
Der dritte, nicht unwesentliche Teil dieses Gesamtpakets ist die Rechtsstellung der Abgeordneten. Auch dies gehört zum Reformpaket und muß dringend einer Realisierung zugeführt werden.
Wir Abgeordnete haben uns in der Vergangenheit und auch noch in der Gegenwart heftiger Kritik, teilweise polemischer Kritik ausgesetzt gesehen. Als Abgeordnete müssen wir uns dieser Kritik stellen; das ist klar. Aber ich finde, zu unserem Selbstverständnis muß auch gehören, daß wir Mut demonstrieren, unberechtigter Kritik zu widersprechen.
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Wir schlagen eine maßvolle mehrstufige Diätenerhöhung zunächst bis 1998 auf 12 875 DM vor. Dies ist alles andere als Abkassieren, und es ist auch keine Selbstbedienung. Es ist nichts anderes als ein Schritt hin zur Erfüllung eines Verfassungsgebots. Art. 48 des Grundgesetzes sagt:
Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung.
Die Kissel-Kommission hat bereits im Jahr 1993 mit vielen Sachverständigen gesagt: Eine angemessene Entschädigung müßte sich eigentlich auf 14 000 DM im Monat belaufen. Ich finde, wir müssen uns hier einmal an die eigene Brust schlagen. Ich glaube, der Bundestag hat durch eine falsche opportunistische Zurückhaltung das Verfassungsgebot einer angemessenen Entschädigung in der Vergangenheit aus
den Augen verloren. Hier sind wir ein Stück selbst schuld.
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Meine Damen und Herren, wenn wir uns die Diäten- im Vergleich zu Lohnsteigerungen anschauen, dann wird deutlich, wie die Abgeordneten entgegen dem Verfassungsgebot zurückgefallen sind. In dem Zeitraum von 1977 bis 1995 sind die Löhne der leitenden Angestellten um 143 Prozent, die Löhne der Angestellten in Industrie und Handel um 115 Prozent, die Löhne im öffentlichen Dienst um 89 Prozent und die Diäten um 38 Prozent gestiegen. Das sind Fakten, mit denen man eine kritische Diskussion führen kann. Wären die Diäten ab 1977 so gestiegen wie die Renten, würden die Diäten heute nicht 10 366 DM, sondern 13 675 DM betragen.
1977, als zum erstenmal die Vollalimentation der Abgeordneten beschlossen wurde, haben wir Diäten in der Größenordnung des Einkommens eines Oberbürgermeisters einer mittleren Großstadt oder eines Richters an einem obersten Bundesgericht erhalten. Heute liegen die Gehälter der Abgeordneten um ungefähr 4 000 DM hinter den Gehältern eines Oberbürgermeisters einer mittleren Großstadt in Deutschland oder eines Richters an einem obersten Bundesgericht.
Ich finde, auch dies sollte man mit allem Selbstbewußtsein sagen: Ein Abgeordneter arbeitet nicht weniger als ein Oberbürgermeister; ein Abgeordneter hat auch nicht weniger Verantwortung als ein Richter an einem obersten Bundesgericht.
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Ich finde, auch dies gehört zur Wahrheit: In einer Demokratie dürfen Mitglieder eines höchsten Verfassungsorgans nicht weniger wert sein als ein Oberbürgermeister oder ein Richter.
Wenn wir uns den Landtag in Hessen anschauen, dann müssen wir sagen, daß wir auch nicht weniger als ein hessischer Landtagsabgeordneter wert sind. Wir bekommen zur Zeit 10 366 DM. Die hessischen Landtagsabgeordneten werden ab 1996 11 266 DM bekommen. Ich finde, es ist im wahrsten Sinne des Wortes „eichelartig", wie einige deutsche Ministerpräsidenten sich vor dem Hintergrund dieser Tatsache in der Vergangenheit verhalten haben.
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Die Neiddiskussion, der wir uns ausgesetzt sehen, schadet natürlich dem Ansehen der Demokratie. Die Neiddiskussion verkennt aber die Bedeutung einer angemessenen Entschädigung. Denn die Entschädigung ist nicht nur Lohn, Ausgleich für die geleistete Arbeit, die wir hier täglich tun. Vielmehr kommt es auch darauf an, welche Kompetenz, welcher Sachverstand und welche Berufserfahrung sich zukünftig in diesem Deutschen Bundestag werden versammeln können. Auch dafür ist die Entschädigung eine wichtige Voraussetzung.
Andreas Schmidt ({4})
Mit der Gesetzesvorlage schaffen wir zum erstenmal eine gesetzliche Definition der Angemessenheit der Entschädigung, indem wir uns an R 6 oder B 6 orientieren. Wir bleiben damit bei der Zielvorgabe und der Struktur des 18. Änderungsgesetzes, das wegen nicht erfolgter Verfassungsergänzung nicht in Kraft treten kann. Mit der Definition der Angemessenheit schaffen wir einen objektiven Vergleichsmaßstab und verhindern eine willkürliche Festsetzung der Diäten. Ich finde, daß wir mit den Stufen wirklich angemessen vorgehen und damit verantwortungsbewußt handeln.
Ich will aber auch sagen: Wir beschließen auch Einschnitte. Der Zeitraum für Übergangsgeld wird von bisher 36 auf 18 Monate gekürzt. Eine Anrechnung anderer Einkünfte soll bereits ab dem zweiten Monat erfolgen. Die Altersversorgung von 75 Prozent nach 18 Jahren auf jetzt 69 Prozent nach 23 Jahren zurückgeschnitten.
Meine Damen und Herren, wir führen in diesem Zusammenhang eine weitere Diskussion unter dem Titel „gläserner Abgeordneter". Ich finde - ich will das hier ganz deutlich sagen -: Wir brauchen keinen gläsernen Abgeordneten, sondern kompetente und verantwortungsbewußte Abgeordnete. Man kann nicht auf der einen Seite für Datenschutz in allen Bereichen sein, man kann sich nicht für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in allen gesellschaftlichen Bereichen aussprechen und gleichzeitig den gläsernen Abgeordneten wollen. Auch der Bundestagsabgeordnete hat Anspruch auf Datenschutz und das Steuergeheimnis.
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Aber - auch dies will ich ausdrücklich sagen - mögliche Interessensverknüpfungen zwischen Mandat und anderen Tätigkeiten müssen für den Wähler offengelegt werden.
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Deswegen gibt es die Verhaltensrichtlinien, die wir ja schon beschlossen haben: Nebentätigkeiten, die nach der Mandatsübernahme aufgenommen worden sind, müssen im Handbuch des Deutschen Bundestages veröffentlicht werden. Die Transparenz ist bereits heute gegeben.
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Es geht aber nicht, daß der Bäckermeister, der sich entschließt, deshalb für eine Zeitlang seinen Betrieb zu verlassen und einen anderen Meister einzusetzen, gezwungen wird, seine Umsätze und seine Bilanzen hier zu veröffentlichen. Wieviel Brötchen er backt, hat nun wirklich nichts mit seinem Mandat zu tun. Außerdem schaffen Sie damit nicht mehr Transparenz. Meine Überzeugung ist: Sie schaffen mehr Eintönigkeit in diesem Parlament. Sie holen weniger Selbständige ins Parlament. Sie verstärken den Hang zum Beamtenparlament.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gansel?
Sofort, Herr Gansel. - Ich will nur noch hinzufügen: Ich finde, wir sollten Kollegen, die noch ihren Beruf ausüben, nicht verunglimpfen.
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- Im Gegenteil. Wenn wir ein Parlament von Berufspolitikern sind, wird das Parlament ärmer. Wir sollten uns diesem Hang zum Berufsparlament widersetzen.
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Bitte schön, Herr Kollege Gansel.
Herr Abgeordneter Schmidt, können Sie mir irgendein Mitglied dieses Hauses nennen, das die Forderung erhoben hat, ein Bäckermeister - es könnte übrigens auch eine Bäkkermeisterin sein -, der Mitglied des Bundestages wird, müsse seinen Umsatz oder seine Bilanz offenlegen? Sind Sie bereit, zuzugeben, daß es ausschließlich um die Frage der Einkünfte aus Nebentätigkeiten geht,
({0})
und sind Sie in der Lage, uns mitzuteilen, wie hoch die Nebeneinkünfte von Oberbürgermeistern und obersten Bundesrichtern sein dürfen, mit denen Sie die Abgeordneten in bezug auf die Einkommensskala verglichen haben?
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Herr Kollege Gansel, wenn ich die Vorlagen richtig verstehe - auch die des Kollegen Häfner -, soll es so sein, daß zum Beispiel ein Anwalt, der seinen Beruf neben dem Mandat ausübt, offenlegen muß, was er mit seiner Kanzlei verdient.
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- Das ist ähnlich wie beim Bäckermeister. Ich finde, das geht nicht, weil das eine mit dem anderen nichts zu tun hat.
Mir kommt es darauf an, daß mögliche Interessenkonflikte offengelegt werden. Diese Offenlegung geschieht, indem bekannt wird, daß er neben seinem Mandat tätig ist. Das ist der entscheidende Punkt. Aber es kommt nicht darauf an, ob er 5 000 oder 6 000 DM dafür bekommt. Entscheidend ist, daß eine mögliche Interessenverknüpfung offengelegt wird. Dies ist bereits jetzt der Fall. Deswegen sollten wir nicht über neue Gesetze reden, sondern vielleicht darüber nachdenken, ob man die Verhaltensrichtlinien des Deutschen Bundestages klarer fassen kann. Darüber kann man reden. Aber wir sollten nicht den Eindruck erwecken, daß hier Interessenverknüpfungen verschleiert werden sollen.
Der Herr Kollege Gansel möchte eine zweite Zwischenfrage stellen. Sind Sie bereit, diese zuzulassen?
Ja, bitte schön.
Danke sehr. - Herr Kollege, Ihnen ist doch der Unterschied zwischen Verdienst und Umsatz bekannt. Warum unterläuft Ihnen der Fehler, daß Sie beides ausgerechnet dann gleichsetzen, wenn es um Rechenschaftspflichten von Abgeordneten geht?
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Herr Kollege Gansel, mir ist natürlich der Unterschied zwischen Umsatz und Verdienst bekannt. Mir ist auch der Unterschied zwischen Netto und Brutto bekannt.
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Ich finde nur, daß der Verdienst eines Freiberuflers nicht hier veröffentlicht werden muß, weil das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Das ist meine Meinung, und dafür kämpfe ich auch, weil ich glaube, daß wir sonst eine andere Qualität des Parlaments bekommen.
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Ich will zum letzten Satz kommen. Ich glaube, daß wir den Gesetzentwurf gemeinsam mit der SPD in großer Verantwortung vorgelegt haben. Ich wünsche mir, daß wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages den Inhalt des Gesetzentwurfes vor der deutschen Öffentlichkeit selbstbewußt vertreten.
Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wilhelm Schmidt.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eine Schmidt-Runde, wie eben gerufen wurde, gibt es nicht nur zu dieser Stunde vor dem gesamten Hause, sondern ab und zu auch zwischendurch. Ich bedanke mich ausdrücklich bei dem Kollegen Andreas Schmidt für die gute Zusammenarbeit in vielen Gesprächsrunden, die wir im Auftrag unserer Fraktionen wahrgenommen haben.
Für die SPD-Bundestagsfraktion stelle ich vorab klar, daß sich eine große Mehrheit für die Einbringung des heute vorgelegten Gesetzentwurfs ausgesprochen hat, daß sich allerdings auch eine starke Minderheit dagegen geäußert hat. Die Argumente dieser Kolleginnen und Kollegen werden respektiert; sie haben aber keinen grundsätzlichen Meinungswandel gegenüber der bisher verfolgten Linie herbeigeführt, die im September mit 507 Stimmen in diesem Hause für richtig gehalten worden war. Mit dem 19. Änderungsgesetz zum Abgeordnetengesetz bleiben wir also in der Kontinuität unserer Beschlüsse. Ich meine, das ist logisch, und das ist dem Selbstverständnis dieses Parlaments angemessen.
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Die Veränderungen der Bestimmungen über die Rechtsstellung der Abgeordneten bleiben ein wichtiger Teil der Parlamentsreform. Wir bekräftigen auch in einem zur dritten Lesung vorgelegten Antrag, daß wir an der Verkleinerung des Parlaments festhalten wollen, daß die schon begonnene Arbeit der Reformkommission einen wichtigen Meilenstein in dieser Richtung darstellt und daß wir diesen Schritt von daher auch weiterhin eindrücklich und ausdrücklich verfolgen werden.
In der Frage der Rechtsstellung, speziell bei der Diätenreform, haben die Initiatoren jedoch auch gelernt; das ist in die Neuregelung eingeflossen. Offensichtlich sind die Bürgerinnen und Bürger mit einigen Vorschlägen in ihrem Verständnis überfordert worden. Wir respektieren dies. Aber in die im September eingeflossene Medienkampagne sind eine Bewegung und ein Zungenschlag hineingekommen, die wir nicht als angemessen ansehen.
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Diese Kampagne ist zum Teil unter ziemlich populistischen Aspekten der Ausgangspunkt für die Ablehnung des Bundesrates gewesen. Wir haben dies zunächst einmal als Verfassungsgebot anzusehen. Wir müssen aber gleichzeitig feststellen, daß der Bundestag eine eigene Entscheidung zu treffen hat.
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Der Lernprozeß unter den Verfassungsorganen könnte übrigens - ich deute das nur an - eine über diesen Vorgang hinausgehende Bedeutung erlangen. Eine Grundgesetzänderung wird nicht mehr verfolgt. Die Bindung an die Bundesrichterbesoldung wird nicht mehr in das Gesetz geschrieben. Wir schreiben eine Orientierung hinein. Diese Orientierung erfaßt neben den Bundesrichtern die kommunalen Wahlbeamten auf Zeit. Ich finde, das ist sehr angemessen, zumal wir dadurch - bei anderen Verfassungsorganen erfolgt es in ähnlicher Weise - nicht automatisch zu Beamten werden, was uns immer wieder unterstellt wird.
Außerdem - auch das ist wichtig; Kollege Schmidt von der CDU/CSU hat es gesagt -: Das Aufholen der Nachteile aus den vergangenen Legislaturperioden wird in angemessenen, in kleineren Schritten durchgeführt. Wir haben außerdem eine geringe Rückwirkung und vor allen Dingen eine Wirkung nur für diese Wahlperiode miteinander verabredet. Ich glaube, auch das ist sehr angemessen und kennzeichnet diesen Lernprozeß.
Wenn wir von zur Zeit 10 366 DM zunächst auf 11 300 DM gehen, liegen wir am 1. Januar des kommenden Jahres übrigens genau um 34 DM über den
Wilhelm Schmidt ({3})
Diäten der hessischen Abgeordneten. Auch dies muß im Vergleich deutlich gesagt werden.
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- Aber in diesem Fall ist Hessen kein schlechter Vergleich, weil es die Position dieses Hauses durchaus kennzeichnet. Deswegen weise ich mit Nachdruck darauf hin.
Diese stufenweise Anhebung halten mittlerweile - wenn man den Blätterwald richtig deutet - sogar unsere fundamentalistischen Kritiker für in Ordnung.
Schließlich gab es mindestens für die vergangenen drei Jahre einen Nachholbedarf. Außerdem wird durch diese Regelung eine Form gewählt, die gleichzeitig auch die nächsten drei Jahre regelt, so daß wir dies, ausgehend von 24 Prozent Anhebung, für einen sechsjährigen Zeitraum umrechnen müssen. Das sind pro Jahr 4 Prozent. Ich meine, dies ist in Anbetracht der Gesamtsituation nicht unangemessen.
Dennoch will ich nicht verhehlen, daß auch diese Schritte für einige Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion und im ganzen Hause zuviel sind, für andere allerdings noch immer zu wenig. Beide Positionen haben sich in den vergangenen Wochen in den Diskussionen immer wieder gestoßen. Wir finden, daß wir mit dem Gesetzentwurf, der hier vorgelegt wird, eine angemessene Antwort geben.
In diesem Zusammenhang will ich auf die anderen Reden verweisen, die wir in der Vergangenheit gehalten haben. Wir müssen einmal selbstbewußt fragen: Was ist dieses Parlament dem Bürger wert? Einschließlich der Kosten für die Bundestagsverwaltung muß der Bürger übrigens pro Monat gerade mal 1 DM aufbringen, meine Damen und Herren. Ich denke, das ist nicht übertrieben. Diesen Wert sollte man einmal in den Raum stellen.
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Ich will auch nicht näher darauf eingehen, daß im Windschatten unserer Diskussionen in den vergangenen Wochen und Monaten sechs Länderparlamente ihre Diäten angehoben haben, und zwar in einem Rahmen von 2,7 bis 12 Prozent für eine Stufe. Dies muß man, so glaube ich, in die richtige Relation setzen.
Interessant dürfte für die Öffentlichkeit auch sein, daß die Bezahlung der Mitglieder der Länderkabinette und des Bundeskabinetts ebenso wie viele andere Bereiche des öffentlichen Dienstes an die Beamtenbesoldung geknüpft ist. Ich kann nur darauf hinweisen - Herr Kollege Schmidt von der CDU/CSU hat einige Vergleiche angeführt; ich will zusätzlich noch zwei nennen -, daß wir in diesem Hause in den letzten 18 Jahren im Vergleich zum Volkseinkommen, das um 122 Prozent gestiegen ist, und zum Unternehmereinkommen, das um 157 Prozent gestiegen ist, beileibe keine unangemessenen Regelungen gefunden haben.
Wir bleiben also dabei: Die Richtung stimmt. Gleichzeitig kürzen wir die Versorgungs- und Übergangsregelungen nicht unwesentlich. Daß wir bei der Kostenpauschale bleiben, ist eine lange diskutierte Tatsache.
In diesem Zusammenhang müssen wir auch auf den Zugang zum Abgeordnetenmandat für viele andere Berufsgruppen achten. Wir sollten uns selber einer stärkeren öffentlichen Kontrolle und Diskussion stellen, auch bei dieser Diätenreform. Ich finde, daß wir ganz nachdrücklich über die Frage diskutieren sollten, ob und in welcher Form Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte in diesem Parlament offener behandelt und dargestellt werden sollten, als das bisher der Fall ist.
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Das sogenannte Hauruckverfahren, das nicht den Vorwürfen gerecht wird - das will ich zum Schluß sagen -, ist nun seit neun oder zehn Monaten im Gange. Es ist schade, daß die anderen Fraktionen ihre Gesetzentwürfe erst in den letzten zwei Tagen vorgestellt haben. Hier ist ein populistischer Ansatz zu sehen, den ich nicht im entferntesten respektieren und akzeptieren kann. Das erfolgt nach der Methode: Laut protestieren, leise kassieren. Dies machen wir nicht mit.
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In diesem Sinne werden wir uns in den folgenden Ausschußberatungen mit den Argumenten aller Seiten auseinandersetzen. Ich hoffe, daß wir nächste Woche zu einem angemessenen Abschluß kommen.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gerald Häfner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Diätencoup, der in diesem Hause noch vor kurzem beschlossen worden ist, ist gescheitert. Das ist gut so. Damit wird es die Rolltreppe, die gebaut worden ist, damit die Diäten Jahr für Jahr wie von selbst unaufhaltsam nach oben fahren können, nicht geben, bzw. sie wird nicht in Betrieb genommen werden.
Die Grundgesetzänderung, die von einer Mehrheit in diesem Hause noch vor kurzem beschlossen worden ist, ist gescheitert. Auch das - wir mögen das unterschiedlich beurteilen - ist gut so.
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Viele haben vergessen - es wundert mich, daß sie das vergessen haben -, daß unsere Verfassung nicht einfach vom Bundestag alleine zu eigenen Zwecken verändert werden kann, sondern daß hierfür ein Zwei-Schlüssel-Prinzip gilt: Bundestag und Bundesrat. An diesem Prinzip ist die Verfassungsänderung in eigener Sache zu Recht gescheitert.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?
Immer gerne.
Herr Kollege Häfner, sind Sie bereit, der erstaunten Öffentlichkeit mitzuteilen, daß auch Sie selber längere Zeit eine Verfassungsänderung in diesem Bereich für denkbar und vielleicht sogar für begrüßenswert gehalten haben?
Es tut mir leid, Herr Wiefelspütz. Ich würde alles zugeben, wenn es stimmte. Dies stimmt in der Sache nicht. Wir haben, wenn Sie das meinen sollten, im Zuge der deutsch-deutschen Vereinigung eine Reihe von Verfassungsänderungen für nötig gehalten und waren verärgert darüber, daß diese in Bausch und Bogen vom Tisch gewischt worden sind. In der Frage der Diätenerhöhung haben wir tatsächlich niemals eine Verfassungsänderung für sinnvoll, für zulässig oder für angezeigt gehalten.
Zurück bleibt ein desavouierter Bundestag, bleibt eine Parlamentsmehrheit, die dem Parlament keinen Gefallen getan hat, bleibt eine erneute Beschädigung des Parlamentes in der Öffentlichkeit und bleibt ein Gesetz, das vom Bundestag beschlossen worden ist, das aber, wie ich schon damals in der Debatte gesagt habe, ohne die Verfassungsänderung auszukommen hat, die gleichzeitig mit beschlossen worden war und mit Sicherheit verfassungswidrig ist und deshalb im Moment beim Bundeskanzler liegt, der freundlicherweise zunächst darauf verzichtet hat, dieses Gesetz zu unterschreiben. Wie Sie wissen, ist das ein unübliches Verfahren, ein Verfahren, das man nicht allzu häufig betreiben kann.
Deshalb müssen wir schnellstmöglich zu einer vernünftigen, zu einer angemessenen und zu einer auch in der Öffentlichkeit akzeptablen Lösung in der Diätenfrage kommen. Aber statt auf unseren schon damals gemachten Vorschlag einzugehen, haben Sie in CDU/CSU und SPD ganz schnell einen neuen Vorschlag aus dem Hut gezaubert, der, das möchte ich sagen, dem alten Vorschlag fatal ähnlich sieht.
Erneut ist die Grundlage das Richtergehalt R 6, nur daß die Steigerung etwas langsamer geht. Vor allem soll künftig alle vier Jahre im voraus für eine gesamte Legislaturperiode die Anhebung der Diäten Jahr für Jahr beschlossen werden. Ich weiß nicht, wer sich das ausgedacht hat.
Ich halte das für einen überaus problematischen Vorschlag. Das bedeutet, daß wir ohne jede exakte Orientierung mit der Stange im Nebel stochern; denn wie wollen wir wissen, wie sich das Richtergehalt innerhalb der nächsten vier Jahre entwickelt? Schlimmer noch: Jede Erhöhung wird als eine Prognose des Bundestages über die zukünftige Entwicklung der Einkommen und damit auch über die wirtschaftliche und soziale Entwicklung im Land mißverstanden.
Schon jetzt spekulieren die Zeitungen darüber, daß die vom Bundestag festgesetzten Steigerungen in Zukunft eine entscheidende Größe bei den Tarifverhandlungen sein könnten. Ich frage mich: Wollen wir das? Haben Sie über dieses Problem nachgedacht und darüber, welche Signale wir hier setzen?
Wenn der Bundestag die Steigerung der Entschädigung zu hoch ansetzt, sagen wir bei 3 bis 4 Prozent, dann wird es einen Aufschrei geben: Abkassierer und Selbstbediener, wie wir das kennen. Wenn er sie zu niedrig ansetzt, sagen wir bei einem halben Prozent, dann wird das als Mißtrauen in die eigene Politik sowie in die soziale und wirtschaftliche Entwicklung im Land aufgefaßt. Die Arbeitnehmer werden sich bedanken für einen solchen Vorschlag. Nein, der Vorschlag ist weiß Gott kein guter Vorschlag. Er ist, was die Steigerung betrifft, zu hoch ausgefallen und, was das Verfahren angeht, untauglich und unpraktikabel.
Die Höhe der Diäten ist weiß Gott eine sensible Frage. Sie wissen, das Grundgesetz fordert, daß die Abgeordneten eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung erhalten. Immer wieder stehen wir erneut vor der Frage: Was ist angemessen? Der ständige Vorwurf der Selbstbedienung ist polemisch und mit der Zeit auch infam; denn die Abgeordneten sind gezwungen, über ihre Diäten selbst zu entscheiden, und ich halte das so für richtig.
Aber was ist der Maßstab für die Diätenerhöhung? Sie darf nicht zu hoch sein; denn wer den anderen zum Maßhalten, Einsparen und Verzicht ermahnt, darf nicht selbst Wein trinken, während er Wasser predigt. Die Diätenerhöhungen dürfen aber auch nicht zu niedrig sein; denn Demokratie und gute Abgeordnete haben ihren Preis. Wir wollen, daß allen Berufsgruppen der Zugang zu diesem Mandat offensteht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Conradi?
Sehr gern.
Bitte.
Herr Kollege Häfner, sollte der Versorgungsskandal eines hessischen Spitzenbeamten Ihrer Partei Sie nicht allmählich veranlassen, vom hohen Rößlein Ihrer Selbstgerechtigkeit herunterzusteigen?
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Lieber Peter Conradi, ich danke ganz herzlich für die Frage; denn ich werde auf diesen Punkt zu sprechen kommen. Es ist mir fast das wichtigste Anliegen dieser Debatte, wenn man von der persönlichen Wertung, die in Ihrer Frage liegt, absieht.
Ich werde deshalb darauf zu sprechen kommen, weil ich meine, daß die Frage der Doppelalimentation, die Frage der Kumulierung von öffentlichen Versorgungsleistungen und die Frage der exorbitanten Versorgungsleistungen, die heute auch solchen Menschen, die nur wenige Wochen oder Jahre ein öffentliches Amt bekleidet haben, gewährt werden, Fragen sind, die dringend einer Lösung bedürfen. Wenn Sie die Anträge für den heutigen Tag gelesen haben, so werden Sie gemerkt haben, daß meine Fraktion genau hierzu einen Antrag vorgelegt hat. Ich fahre in meiner Rede fort und komme gleich auf diesen Punkt zu sprechen.
Ich habe gesagt, Demokratie hat auch ihren Preis, das heißt, Bündnis 90/Die Grünen werden den platten Populismus, den es in dieser Frage auch gibt, nicht mitmachen. Wir stellen uns der Verantwortung und haben deshalb einen eigenen Vorschlag gemacht.
Die Frage ist die nach dem Maßstab für die Erhöhung, für die Anpassung der Diäten. Abgeordnete sind Vertreter des ganzen Volkes, das heißt auch, daß sie an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilnehmen sollen. Sie sollen keine Privilegien, aber auch keine Benachteiligung erfahren. Die Diäten sollen nicht mehr, aber auch nicht weniger steigen als der Durchschnitt der Einkommen im jeweiligen Bezugsjahr. Wir wollen uns also nicht an den jeweiligen Beamten orientieren, sondern an den Einkünften aller Beschäftigten in der freien Wirtschaft, im öffentlichen Dienst, aber auch an den Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern. In unserem Gesetzentwurf schlagen wir daher vor, einen Index zu bilden aus der Entwicklung der Löhne, der Tarife im öffentlichen Dienst, der Beamtengehälter und auch dem Sozialhilfesatz und dann entsprechend dieser durchschnittlichen Einkommensentwicklung die Diäten Jahr für Jahr anzuheben, allerdings nicht rückwirkend, sondern ab dem 1. Januar 1996, in diesem Fall um 2,4 Prozent.
Aber, meine Damen und Herren, das genügt nicht. Eine viel größere und berechtigte Empörung in der Öffentlichkeit rufen die eben genannten Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte und insbesondere die Mehrfachbezüge aus öffentlichen Kassen hervor. Gerade Übergangsgelder sind dazu gedacht, eine vorübergehende Berufslosigkeit auszugleichen und dafür zu sorgen, daß Menschen, gerade wenn sie nicht, wie das bei Beamten der Fall ist, eine Garantie zur Rückkehr in den vorigen Beruf haben, eine Zeit haben, in der sie aufholen können, um wieder in ihrem erlernten oder einem neuen Beruf Tritt zu fassen. Das halte ich für sinnvoll und zu verteidigen. Aber Übergangsgelder und Versorgungsbezüge sind nicht gedacht als Zubrot, als Dreingabe zu ohnehin exorbitanten Einkünften. Lassen Sie mich, Herr Conradi, weil Sie das angesprochen haben, deutlich sagen: Ich habe eine Hochachtung vor dem Kollegen Müntefering, der seinerseits auf diese Gelder verzichtet hat.
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Es ärgert mich, daß unsere Partei nun zum erstenmal
ebenfalls ein solches Problem bekommen hat. Deshalb müssen wir im Deutschen Bundestag dies ändern, und wir dürfen dies nicht nur im Bundestag ändern, sondern wir haben in unseren Antrag hineingeschrieben: Die Bundesregierung wird aufgefordert, mit den Ländern in Verhandlungen darüber einzutreten, daß alle Übergangsgelder und Versorgungsbezüge untereinander angerechnet werden, damit es nicht mehr zu dieser Kumulierung von Versorgungsleistungen und -bezügen aus öffentlichen Kassen kommt, für die niemand ein Verständnis haben kann.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hermann Otto Solms.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die F.D.P. legt erneut einen eigenständigen Gesetzentwurf zur Diätenregelung vor, und zwar den gleichen, den sie bei dem ersten Gesetzgebungsvorgang vorgelegt hat. Ich will gleich zu Anfang sagen: Wir tun das nicht, um uns mit schlankem Fuß aus der Verantwortung vor der Diätenerhöhung zu stehlen, im Gegenteil:
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Wir schlagen ja selbst, Herr Schmidt, Diätenerhöhungen vor, die sich kaum von dem unterscheiden, was Sie vorschlagen.
Ich will es auch in Mark und Pfennig sagen: Wir schlagen vor, die Diäten in dieser Wahlperiode in zwei Schritten zu erhöhen, und zwar zum 1. Januar 1996 auf 11 200 DM und zum 1. Juli 1997 auf 12 000 DM. Sie enden in einem späteren Schritt bei 12 800 DM. Das ist kein Unterschied, über den man keine Einigung erzielen könnte. Darum geht es also nicht. Es geht um andere, grundsätzliche Fragen, die schon beim ersten Gesetzgebungsvorgang eine Rolle gespielt haben.
Wir wenden uns auch nicht - das will ich nebenbei sagen - grundsätzlich gegen eine Verkleinerung des Deutschen Bundestages, nur wollen wir sichergestellt wissen, wie ich höre, auch Sie, daß dies nicht mit einer Manipulation am Wahlrecht verbunden wird.
Sie wissen sehr gut, daß, wenn Sie über ein konkretes Modell zur Verkleinerung des Bundestages reden, dies zwangsläufig zu einer Veränderung der Zuschnitte der Wahlkreise führt und daß vor Ort eine äußerst widersprüchliche Diskussion entsteht: Nützt diese Änderung des Wahlkreises mir oder eher dem Konkurrenten? Können wir auf eine solche Verkleinerung nicht verzichten? Das heißt, können wir das Wahlrecht nicht anders gestalten, damit wir diese Veränderung der Wahlkreiszuschnitte vermeiden können? Ich sage hier noch einmal dezidiert: Wir wenden uns nicht gegen eine Verkleinerung des Parlamentes, sondern wir wollen sichergestellt wissen,
daß, wenn sie eintritt, das Wahlrecht, so wie es ist, erhalten bleibt. Das ist unsere grundsätzliche Position in dieser Frage.
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Meine Damen und Herren, wo sind die Unterschiede? Herr Conradi, beim ersten Gesetzgebungsvorgang war das noch deutlicher zu sehen. Wir haben verfassungspolitische Bedenken dagegen erhoben, daß die Diäten an die Besoldung eines Richters oder eines Beamten gebunden bzw. dazu in Beziehung gesetzt werden. Wir glauben nicht, daß es richtig wäre, den Abgeordneten in eine direkte Beziehung zu der Position eines Beamten bzw. eines Richters zu setzen. Denn das ist ein anderes Amt, eine andere Aufgabe. Ein Abgeordneter ist eben nicht Beamter, ist nicht Mitglied des staatlichen Apparates und ist nicht dem Staat zu Dienst verpflichtet. Ich will es einmal ganz persönlich sagen: Ich will kein Beamter sein, ich will Abgeordneter sein. Ich will als Abgeordneter tätig sein, frei von den Verpflichtungen eines Beamten.
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Ich will auch nicht, daß bei Außenstehenden durch eine solche Regelung der Eindruck entsteht, daß man es bei einem Abgeordneten eher mit einem Teil des Staatsapparates zu tun hat. Deswegen meine ich, daß es falsch ist, daß Sie in Ihrem zweiten Gesetzentwurf, der die verfassungspolitische Frage gelöst hat - dafür bin ich dankbar; das, finde ich, ist ein Fortschritt; das war im wesentlichen ein Ansatzpunkt unserer Kritik -, an der Orientierung an der Richterbesoldung festhalten, und daß man dem nicht folgen sollte.
Der zweite Unterschied liegt im Verfahren der Anpassung der Diäten. Sie wissen, daß wir darüber schon im Frühjahr in gemeinsamen Gesprächen ernsthaft diskutiert haben und daß wir damals den Vorschlag gemacht haben, eine unabhängige Kommission beim Bundespräsidenten einzurichten, die diese Vorschläge mit eigenem Initiativrecht dem Parlament vorlegen soll, über die das Parlament allerdings zu debattieren und frei zu entscheiden hätte.
Dieser Vorschlag ist - auch öffentlich - auf Kritik gestoßen, die mich eigentlich überrascht hat. Denn schließlich ist das keine neue Idee. Mein Kollege Dr. Hirsch hat in einer früheren Debatte vorgetragen, daß Kollege Genscher für die F.D.P.-Fraktion bereits 1968 einen entsprechenden Vorschlag im Bundestag eingebracht hatte. Was aber wichtiger ist: In nahezu der Hälfte aller Bundesländer gibt es solche Diätenkommissionen. Auch die angelsächsischen Staaten gehen den Weg der Einrichtung und Anhörung einer Kommission.
Was aber noch wichtiger ist: Die Verfassungskommission, die der Deutsche Bundestag zusammen mit dem Bundesrat eingerichtet hatte, hat sich mit dieser Frage sehr intensiv befaßt. Damals haben alle Berichterstatter - auch die von CDU/CSU und SPD - für eine solche unabhängige Kommission beim Bundespräsidenten plädiert. Diese Kommission sollte die
Diäten für den Bundestag sogar verbindlich festlegen.
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Zum Beispiel der Kollege Norbert Geis und der damalige Kollege Soell von der SPD hatten sich dafür ausgesprochen. Es war im übrigen eine Lieblingsidee Ihres damaligen Parteivorsitzenden Jochen Vogel. Daran kann ich mich gut erinnern. Es gab zwar keine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit; aber es gab eine klare Mehrheit in der Verfassungskommission dafür. Herr Häfner, auch der Kollege Ullmann vom Bündnis 90 hatte sich für eine solche Kommission ausgesprochen.
Ich sage das nur zur Erinnerung. Deswegen konnte man überrascht sein, als diese Kommission in der Diskussion eine vehemente Ablehnung erfahren hat.
Selbst das Bundesverfassungsgericht hat sich für eine solche Kommission ausgesprochen. Aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Parteienfinanzierung ist beim Bundespräsidenten eine Kommission für die Parteienfinanzierung eingerichtet worden, die ihre Arbeit schon seit langem aufgenommen hat.
Meine Damen und Herren, in den anderen Punkten - Altersentschädigung, Kostenpauschale und Übergangsgeld - unterscheidet sich der Gesetzentwurf der CDU/CSU und der SPD nicht wesentlich von unserem. Ich will nur auf einen mir problematisch erscheinenden Punkt hinweisen. Das ist der Vorschlag zur Alters- und Hinterbliebenenversorgung.
Nachdem Sie Ihren ursprünglichen Vorschlag zur Diätenerhöhung zurückgenommen haben, können Sie schwerlich bei der Halbierung der Versorgungsanpassung, die Sie aus dem alten Vorschlag übernommen haben, bleiben, weil die Basis für diesen Vorschlag ja verändert ist.
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Das scheint mir gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, die seit Jahren Mitglied dieses Hauses sind, nicht fair zu sein.
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Für die Zukunft wollen auch wir deutliche Einschnitte bei Übergangsgeld und Versorgung. Aber die ehemaligen Abgeordneten im Rentenalter und die Hinterbliebenen haben mit uns gemeinsam schon seit Jahren auf eine Erhöhung der Bezüge verzichtet, ohne die Chance gehabt zu haben, an der Willensbildung mitzuwirken.
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Nullrunden bei Renten und Pensionen waren ja nicht gewollt, sondern wir wollten die Nullrunden für uns.
Ich glaube, daß hier ein gewisser Korrekturbedarf besteht; aber das müssen Sie selbst erwägen. Denn hier ist tatsächlich eine Differenz zwischen Ihrem ersten Vorschlag und dem jetzigen Vorschlag entstanden, wobei nicht ausreichend Rücksicht auf die Versorgungsempfänger genommen wurde. Ich schlage also vor, daß wir darüber im Ausschuß noch einmal reden.
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Im übrigen bin ich der Meinung, es wäre gut gewesen, wenn wir in den Gesprächen vorher etwas stärker die Argumente gegenseitig angehört und respektiert hätten.
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Dann hätte man diesen Leerlauf des ersten Gesetzgebungsverfahrens vermeiden können.
Abschließend noch einmal: Auch die F.D.P. ist dafür, daß die Diäten angemessen angehoben werden. Nichts anderes ist die Wahrheit. In diesem Punkt unterscheiden wir uns von dem Mehrheitsvorschlag nur in geringfügigen Markbeträgen, die keinen Anlaß für ein eigenständiges Votum bieten. Anlaß dafür sind vielmehr die grundsätzlichen Erwägungen.
Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dagmar Enkelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Daß die Abgeordneten des Bundestages angemessen entschädigt werden sollen, darüber besteht, wenn man den Medien glauben darf, in unserem Volke weitgehend Einvernehmen. Allerdings wollen immer mehr Leute wissen, für welchen Schaden die Abgeordneten eigentlich entschädigt werden müssen:
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für den Schaden, den sie haben, oder für den Schaden, den sie anrichten.
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Zugegeben, das ist nicht von mir, sondern aus dem Satiremagazin „Eulenspiegel". Aber in jeder Satire steckt doch immer ein Körnchen Wahrheit.
Ich war gestern bei der Aktion der „Lebenshilfe" hier vor der Bonner Kunsthalle. Es waren verschiedene Behindertenwerkstätten vertreten, es stellten sich verschiedene Projekte vor, es waren Heimerzieher, Altenpfleger usw. da. Viele von denen müssen in den kommenden Jahren mit drastischen finanziellen Kürzungen rechnen. Wissen Sie, was mir da am meisten wehgetan hat? Die Vorsitzende der „Lebenshilfe" hat dort gesagt: Wir haben Verständnis für Sparmaßnahmen der Bundesregierung. Sie hat aber gleichzeitig nachdrücklich, an die Adresse der Abgeordneten des Bundestages gerichtet, dazu aufgefordert: Denken Sie auch an uns! Ich denke, das ist in den letzten Monaten hier viel zuwenig passiert.
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Ich meine, eine Entscheidung über die Entwicklung der Diäten darf nicht von dem getrennt werden, was sonst in diesem Hohen Hause passiert. In diesen Tagen wird in den Ausschüssen über drastische Kürzungen der Arbeitslosenhilfe beraten. Herr Blüm hat jetzt gerade einen neuen Vorschlag eingebracht, die Arbeitslosenhilfe für ältere Langzeitarbeitslose ebenfalls zu kürzen.
Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wird zunehmend in Frage gestellt. Unter Verweis auf das Lohnabstandsgebot sollen Sozialhilfesätze faktisch abgesenkt werden. Ab Januar 1996 werden die Sozialzuschläge für Tausende Rentnerinnen und Rentner in den neuen Bundesländern abgebaut. Öffentlich wird bereits über Studiengebühren diskutiert. Aus dem Kabinett war in dieser Woche zu hören, es dürfe keine Tabus für das kommende Jahr geben.
Dieser massive Sozialabbau unter demagogischem Verweis auf die ach so brisante Haushaltslage wurde und wird hier mit aller Macht durchgesetzt.
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Die Krokodilstränen, die Sie dabei hier vergießen, können Sie sich schenken; die nimmt Ihnen sowieso keiner mehr ab.
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Sie greifen einem Teil der Bevölkerung tief in die Taschen. Gleichzeitig öffnen Sie Ihre eigenen Taschen ganz weit in Erwartung eines klingelnden Weihnachtssegens.
Im Gegensatz zu Arbeitslosen, zu Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern, zu Behindertenprojekten usw. haben Sie ausgesprochene Sozialfürsorge für Abgeordnete bewiesen, indem Sie vorsorglich in den Haushalt 1996 die Mittel für ansehnliche Diätenerhöhungen eingestellt haben.
39 000 Menschen soll zum 1. Januar 1996 die originäre Arbeitslosenhilfe gestrichen werden, und 672 Abgeordnete bedenken Sie mit einem monatlichen Plus von rund 1 000 DM. Bei allem Selbstbewußtsein, das kann ich nach außen niemandem vermitteln.
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Kollege Schmidt, um auf Ihren Vorwurf einzugehen: Sie haben vorhin gesagt „laut protestieren und leise kassieren". Ich danke Ihnen sehr für diesen Vorwurf, weil mir das die Chance gibt, etwas dazu zu sagen.
Die PDS-Abgeordneten zahlen ein Drittel ihrer Entschädigung in diverse Fonds ein. Wir haben unter anderem einen Spendenfonds in der Gruppe, aus dem Gelder an Initiativen und Projekte gehen, die von der Bundesregierung nichts zu erwarten haben. Unter anderem haben wir gespendet für StudienfahrDr. Dagmar Enkelmann
ten Jugendlicher nach Auschwitz und Ravensbrück, für internationale Kinderferienlager mit Kindern aus Polen und Tschechien, für die Miete eines Lokals für Obdachlose und Menschen mit Sozialpaß, für einen Lkw-Konvoi nach Bihac, für Beratungsstellen und vieles mehr. Ich muß Ihnen sagen: Es gehen bei uns so viele Anträge ein, daß wir leider nicht auf alle positiv antworten können.
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Ich kann nur auffordern, daß sich alle Fraktionen einer solchen Initiative anschließen. Bei uns wird sich nichts ändern - vielleicht nur eines: Die Mittel werden dank der Diätenerhöhung größer werden.
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Nun meinen einige Kolleginnen und Kollegen der großen Fraktionen, es gebe keinen Beratungsbedarf mehr, es gebe nur noch Entscheidungsbedarf. Es tut mir leid, ich sehe das anders. Es sind hier viele Punkte angesprochen worden, über die in den Ausschüssen, meine ich, gründlich zu beraten ist.
Nach wie vor stellt sich die Frage einer angemessenen Entschädigung. Was ist denn der richtige Maßstab? Ist der Maßstab „Bundesrichter" wirklich der angemessene Maßstab?
Es gibt sicher unterschiedliche Maßstäbe. Man kann den Maßstab „Manager eines großen Unternehmens" ansetzen. Einer wird in diesem Zusammenhang immer wieder genannt, nämlich der Chefredakteur vom „Spiegel".
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- Nein, nicht von Ihnen. Das kommt von einer anderen Seite.
Es ist aber durchaus auch denkbar, als Maßstab das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung zu nehmen oder auch den Vorschlag aufzugreifen, der von Eduard Wöhrmann, dem Beauftragten der Evangelischen Kirche Deutschlands für Fragen der Arbeitslosigkeit, gemacht worden ist, nämlich die jährliche Erhöhung der Diäten an die Entwicklung der Sozialhilferegelsätze zu koppeln. Ich denke, das ist ein Vorschlag, den man aufgreifen könnte. Vielleicht gehen wir dann hier im Bundestag auch etwas verantwortungsvoller mit den Betroffenen um.
Es gibt also eine ganze Reihe von Fragen, über die in den Ausschüssen zu beraten ist. Es geht um nicht mehr, aber auch nicht weniger als das Ansehen dieses Parlaments. Deswegen bitte ich um gründliche Beratung in den Ausschüssen und vielleicht um einen anderen Vorschlag.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulla Burchardt.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Da es in Entscheidungsprozessen nichts Rationaleres gibt, als die eigenen Interessen offenzulegen, will ich das tun. Mein Motiv zur Beteiligung an der Arbeit der Rechtsstellungskommission, an der Reform des Parlaments und der Rechtsstellung von Abgeordneten war, die spezifischen Sichtweisen und Erfahrungen einzubringen, die mir - ich bin jetzt im fünften Jahr Mitglied des Bundestages, also noch nicht ganz so langgedient - häufig dann zu kurz zu kommen scheinen, wenn es um die Beratung von Angelegenheiten von Abgeordneten geht.
Ich gehöre zu denjenigen, die ihren Job hier im Bundestag als Vollzeitjob ohne Nebentätigkeit und ohne Nebeneinkünfte tun. Ich habe keine parlamentarischen Funktionen, die irgendwelche Zusatzausstattungen mit sich bringen. Ich gehöre zu denen, die keine Rückversicherung durch ein Beamtenverhältnis haben; ich bin vielmehr mit Mitte Dreißig aus einem gutbezahlten abhängigen Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden, habe auf berufliche Weiterentwicklung verzichtet und bin damit das Risiko einer ungewissen beruflichen Zukunft nach dem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag eingegangen. Schließlich vertrete ich eine Minderheit in diesem Hause, die Kindererziehung und Familienarbeit nur deshalb mit dem Mandat vereinbaren kann, weil der Partner auf Teile seines Einkommens und seiner eigenen Alterssicherung verzichtet. Ich sage Ihnen das, damit Ihnen klar wird, warum ich dabei mitgemacht habe, warum ich für vieles stehe und welche Positionen ich habe.
Vor diesem Hintergrund lag und liegt mir an einer Reform der Rechtsstellung der Abgeordneten, die zukünftig eine Zusammensetzung des Parlaments gewährleistet, die repräsentativer ist, die eine größere Vielfalt an beruflicher Erfahrung und beruflicher Qualifikation mit einbringt, aber auch mehr Erfahrungen im Bereich von Familienverantwortung,
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und die vor allen Dingen dazu führt, daß eine zeitlich begrenzte Übernahme eines Mandats für jüngere, qualifizierte Menschen in Zukunft interessanter sein kann, als es zur Zeit der Fall ist.
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Ich wollte eine Reform, die in bezug auf den Status von Abgeordneten angemessen ist, die aber auch angemessen ist - es wird verschiedentlich danach gefragt, was denn die persönlichen Angemessenheitskriterien sind -, indem sie die Arbeitsbelastung und die Arbeitszeit von Bundestagsabgeordneten berücksichtigt, die über der tariflichen Arbeitszeit liegt und die auch mit dem Verzicht auf soziale Beziehungen und kulturelle Teilhabe verbunden ist. Ich wollte und will eine Regelung, die im Hinblick auf die unterschiedlichen Bedingungen der Mitglieder des Hauses und auch unter Berücksichtigung der Lebens- und Einkommensverhältnisse in der Gesellschaft gerechter ist und die schließlich und nicht zuletzt der Stellung des Parlaments im demokratiUrsula Burchardt
schen Gemeinwesen entspricht. Wir können nicht die Büßertruppe der ganzen Nation sein.
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Diesen Zielen ist das Achtzehnte Änderungsgesetz sehr nahe gekommen.
Jetzt fällt mir gerade noch ein, wo ich Frau Enkelmann sehe: Frau Enkelmann, wir haben die verschiedenen Beratungen in der Rechtsstellungskommission zusammen durchgeführt. Herr Schulz ist in der neuen Runde nicht mehr dabeigewesen. Ich hatte den Eindruck, daß ich mit meinen Zielvorstellungen nicht alleine dastand und gerade von Ihnen, aber beispielsweise auch von Herrn Schulz vom Bündnis 90/ Die Grünen immer wieder mit unterstützt worden bin. Ich hatte von daher angenommen, daß man bei der Beratung des Achtzehnten Änderungsgesetzes zu einer großen Übereinstimmung kommen könnte, wenn auch mit Modifikationen.
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Ich muß sagen: Auch das gehört zu den Erfahrungen, die ich hier gemacht habe, daß das, was in Gremien besprochen worden ist, möglicherweise im Vertrauen darauf, daß man sich darauf verlassen kann, im nachhinein, wenn es hier zur öffentlichen Debatte kommt, dann auf einmal anders aussieht.
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Ich habe Ihnen meine Zielvorstellungen vor meinem persönlichen Hintergrund genannt. Diesen Zielen ist das Achtzehnte Änderungsgesetz sehr nahe gekommen. Wir bereiten heute deshalb ein Aufhebungsgesetz vor, weil die öffentliche Diskussion geprägt war von den nicht offengelegten Interessen der lautesten und heftigsten Kritiker. Politikerbeschimpfung und antiparlamentarische Ressentiments steigern offensichtlich Auflagenstärke und Einschaltquoten.
({5})
Sie eignen sich als Bestseller zur Erhöhung von Professoreneinkommen.
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Leider haben auch Mitglieder dieses Hauses zur eigenen Popularitätssteigerung dabei mitgemischt. Herr Häfner und Frau Enkelmann haben eben noch ein Beispiel dafür gegeben, daß sie die Stichwortgeber für die Vergiftung des demokratischen, kulturellen und politischen Klimas in dieser Gesellschaft sind.
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Vieles von dem, was da an Kritik geäußert wurde, kann man nur als Projektion erklären: Weil man das Böse in sich selber nicht ertragen kann, muß man ein klares Feindbild haben, und die Bösen sind dann immer die anderen.
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Das dominante Konzert von Demagogie, Doppelmoral und gelegentlich auch Dummheit hat die Stimmen sowohl im Parlament als auch bei den Journalisten übertönt, die sich auf Sachargumente und Fakten konzentrierten und glaubten, eine rationale Debatte über die angemessene Abgeordnetenausstattung und damit den Stellenwert des Parlaments im demokratischen Staat sei möglich.
Was viele von uns in den letzten Wochen erlebt haben, hatte eher etwas mit Mobbing zu tun. Was da an Diffamierungen von hochbezahlten und privilegierten Journalisten, Professoren und Politikern verbreitet wurde, hat für viele das erträgliche Maß überschritten. Das muß an dieser Stelle wirklich einmal gesagt werden.
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Eine solche Kampagne - zu der Sie mit beigetragen haben -, die die Mindestregeln des Respekts vor Andersdenkenden mißachtet, ist zutiefst antidemokratisch.
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Sie führt im Ergebnis dazu, daß qualifizierte und selbstbewußte Menschen zukünftig mit Abscheu Abstand davon nehmen werden, Mitglied des Deutschen Bundestages zu werden, weil die Übernahme eines Mandats offensichtlich mit der Übernahme des Etiketts „faul und korrupt" - und was weiß ich noch alles - verbunden ist.
Die Grünen - darauf ist schon hingewiesen worden - haben die Erfahrung gemacht: Wenn man sich zum Bannerträger einer vermeintlich höheren Moral macht, kann man schnell Opfer des eigenen Populismus werden. Ulrich Wickert ist zwischenzeitlich auch geoutet.
({11})
Ich sage ganz offen: Ich bin mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf nur zum Teil zufrieden. Ich halte ihn für gut und gerecht in bezug auf die Regelungen zum Übergangsgeld und zur Altersversorgung. Wie viele meiner Fraktionskolleginnen und -kollegen halte ich ihn bei der Erhöhung der Bezüge für unzulänglich. Ich kann das jetzt angesichts der Zeit im Detail nicht mehr begründen.
Die Abkoppelung der Abgeordneteneinkommen von der allgemeinen Einkommensentwicklung der letzten 18 Jahre ist damit nicht aufgehoben. Von dem Vergleichsmaßstab - wer immer Vergleichsmaßstäbe fordert: das Parlament hat sich 1977 einen gegeben; tun Sie nicht so, als müßten wir nach einem neuen suchen; das gab es alles schon - kommunale Wahlbeamte - B 6 ist das gleiche wie R 6 - sind wir noch weit entfernt. Wenn wir jetzt vier Schritte angeben
und deutlich machen, wir wollen zu diesem Ziel hinkommen, dann hat das etwas mit größerer Transparenz zu tun. Damit ist nämlich auch klar: Wir wollen an diesem Ziel festhalten, weil es angemessen ist, weil es gerecht ist und weil es sozial verantwortlich ist. Die Zahlen sind von den beiden Kollegen Schmidt und Schmidt deutlich genannt worden. Damit ist auch klar: Wir wollen überhaupt erst einmal die Ankopplung an die allgemeine Einkommensentwicklung erreichen. Im Jahre 1998 werden wir mit dem, was an Jahresbeträgen vorgesehen ist, immer noch 25 000 DM unter dem Jahreseinkommen von hauptamtlichen Bürgermeistern in B 6 bleiben. Wer da noch den Vorwurf erhebt, das sei ungerecht und unangemessen, der will vermutlich überhaupt keine Einigung.
Ich sehe, ich habe meine Redezeit überschritten. Ich würde Ihre Zwischenfrage aber gerne zulassen. Vielleicht hilft mir das ja.
({12})
Ich stoppe die Zeit für Sie.
Ich freue mich, wenn ich noch Gelegenheit bekomme, und bedanke mich dafür.
Frau Kollegin, sind Sie bereit, einzuräumen, daß zumindest die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erstens einen eigenen Vorschlag gemacht hat, der eine Anhebung der Diäten mit sich bringen würde - maßvoll, wie wir meinen -, und sich zweitens von dem platten Populismus, den Sie uns eben in die Schuhe zu schieben versucht haben, abgesetzt hat? Ich habe deutlich gesagt: Demokratie hat ihren Preis; gute Abgeordnete haben ihren Preis. Sind Sie drittens bereit, mir zuzugeben, daß Antiparlamentarismus gerade auch dadurch gefördert werden kann, daß man Privilegien und Versorgungsbezüge, die in ihrer Kumulierung nicht zu rechtfertigen sind, beibehält und nicht endlich zu einem auch in der Bevölkerung akzeptablen Verfahren der Anhebung von Diäten kommt, wie wir es vorgeschlagen haben?
({0})
Lieber Kollege Häfner, ich weiß überhaupt nicht, an welchen Stellen Sie noch gegen uns argumentieren. Sie müßten eigentlich selber festgestellt haben: Es gibt strukturelle Einschnitte bei der Altersversorgung, die wir abermals mit vorgeschlagen haben. Wir haben drastische Kürzungen beim Übergangsgeld. Wir haben dort - was ich unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit für richtig halte - die Anrechnung von sonstigen Einkünften drin. Wir haben in allen Beratungen deutlich gemacht, wie das mit dem Vergleichsmaßstab ist und warum deshalb diese Erhöhungsvorschläge gemacht werden. Ich weiß nicht, was Sie eigentlich noch wollen. Was Sie hier vorschlagen, ist doch alles nicht mehr originell.
({0})
Sie haben uns vorgeworfen - damit will ich zum Schluß kommen -, die Verfassung zu brechen, als wir eine Klarstellung in der Verfassung wollten. Gucken Sie sich Ihren eigenen Entwurf zur Offenlegung von Nebentätigkeiten an! Dort fordern Sie, um möglicherweise Eingriffe in die Grundrechte von Abgeordneten abzusichern, zu prüfen, ob nicht Klarstellungen in der Verfassung notwendig sind. Wenn es etwas an Heuchelei und Doppelmoral gibt, dann ist es das.
({1})
Ich komme zum Schluß. Werte Kolleginnen und Kollegen, nur wer eine eigene Position hat, wer die klar und deutlich vertritt und auch dazu steht, kann Kompromisse schließen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Kompromiß. Er ist ein Angebot für einen breiten Konsens innerhalb und außerhalb dieses Hauses. Ich kann an Sie alle nur appellieren: Es ist im Interesse der demokratischen Kultur in diesem Lande, wenn Sie sich einen Ruck geben und ihm zustimmen.
({2})
Das Wort hat jetzt die Präsidentin des Deutschen Bundestages, Dr. Rita Süssmuth.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten zum drittenmal in diesem Jahr im Parlament die Rechtsstellung des Abgeordneten und haben ein Paket zur Parlamentsreform und zur Verkleinerung des Bundestages verabschiedet. Wir führen nun den dritten Teil zu Ende, weil die 18. Novelle am Einspruch des Bundesrates gescheitert ist.
Ich halte, wenn ich von einer Sache überzeugt bin, nichts davon populistisch denjenigen nachzugehen, die Einspruch erheben. Ich möchte auch hier noch einmal sagen: Ich halte die 18. Novelle für in sich stringent; es war eine in sich konsistente Reform.
({0})
Die heutige Debatte zeigt mir erneut, daß wir wieder anfangen, über die Angemessenheit von Entschädigungen zu diskutieren. Das tun wir nun seit 1976. Wir können ja so weiter machen und dann den Index des Statistischen Bundesamtes heranziehen; das habe ich in den jährlichen Diätenberichten nun auch sechs Jahre gemacht, und wir haben immer wieder darüber beraten. Aber genau das hat dazu geführt, daß in den letzten 18 Jahren neun Nullrunden stattgefunden haben. Wenn ich etwas in den Debatten der letzten Wochen gelernt habe, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann kann ich Ihnen nur
raten, zu diesem Instrument der Nullrunden nie mehr Ihre Zuflucht zu nehmen.
({1})
Denn ich kann nicht feststellen, daß in der öffentlichen Diskussion diese Nullrunden, auch die der Jahre von 1992 bis zum Herbst 1995, in irgendeiner Weise honoriert oder überhaupt als Nullrunden in die Betrachtung gezogen würden.
({2})
Hätten wir uns im Jahre 1977 nur den jährlichen oder zweijährlichen gesetzlichen Anpassungen der Renten angeschlossen, würden wir heute Diäten von 13 657 DM erreicht haben. Ich weiß nicht, welche Diskussion wir dann in diesem Hause geführt hätten. Nur: Wenn wir von Indexsteigerungen sprechen, dann müssen wir irgendwann entscheiden, was wir denn für angemessen halten.
Deswegen sage ich noch einmal: Ob ich nun von dem R-6-Bezug oder von dem B-6-Bezug im Bereich der Kommunen spreche, wichtig ist, daß wir keine andere Richtgröße in das Gesetz eingeführt haben, als sie seit dem Verfassungsgerichtsurteil 1975/77 hier diskutiert wird
({3})
und immer zur Grundlage gemacht worden ist. Und heute tun wir so, als würden wir einen willkürlichen Maßstab einführen!
({4})
Ich kann zukünftigen Parlamenten nur wünschen, daß sie sich endlich an eine Richtgröße halten;
({5})
denn es wird noch lange dauern, bis sie diesen Maßstab erreicht haben. Dann können wir an eine Indexierung gehen.
Lieber Kollege Solms, es ist nicht so, daß die unabhängige Kommission eine Neuerfindung wäre. In der Verfassungskommission ist sie gescheitert, weil es hieß, daß wir dann eine Verfassungsänderung brauchen würden und das Parlament keinen Spielraum mehr hätte.
Wenn das Parlament auch zukünftig den Spielraum behalten soll, dann ergeht es zukünftigen Kommissionen nicht anders als der Leber-Kommission und der Kissel-Kommission. Die eine hat für 1990 eine monatliche Entschädigung von 13 000 DM, die andere 1993 für 1995 eine solche von 14 000 DM vorgeschlagen. Wir konnten uns nicht zur Übernahme einer der beiden Vorschläge entscheiden, und wir stecken in demselben Dilemma, in dem wir vorher gesteckt haben.
({6})
Das wollte ich uns hier noch einmal bewußt machen.
Wir haben uns jetzt in Form eines Kompromisses auf die vier Steigerungsstufen bis 12 875 DM geeinigt, aber Tatbestand ist, daß wir die Annäherung an diese Größenordnung seit 1977 weiter verlangsamt haben.
Das zweite, was ich noch einmal sagen möchte: Ich stelle immer wieder fest - das ist mein nächster Appell an dieses Parlament -: Wie wir uns selbst nach außen äußern, bei aller Verschiedenheit der Standpunkte, entscheidet maßgeblich mit über das Ansehen unseres Parlaments.
({7})
Ich jedenfalls kenne keine Debatte etwa in dem Sinne, daß die Ministerpräsidenten eine ähnliche Auseinandersetzung über die Höhe ihrer Bezüge im Bundesrat geführt hätten.
({8})
Es mag ja hoffentlich auch die eine oder andere interne Diskussion darüber geben, wie das denn mit der Ankoppelung ihrer Bezüge an den öffentlichen Dienst ist. Aber eine öffentliche Diskussion dazu vernehme ich nicht.
Ich muß sagen: Wir führen unsere Debatten mit großer Transparenz. Aber ich lege auch Wert darauf, festzustellen: Es genügt nicht, zu sagen, daß die Abgeordneten unabhängig sein und angemessen entschädigt werden sollen. Wir müssen viel mehr darüber reden - denn das ist in der Öffentlichkeit unbekannt -, was in diesem Parlament und in den Wahlkreisen geleistet wird. Erstens nimmt die Öffentlichkeit an, wir würden sowieso ein Gehalt von 13 000 DM beziehen; zweitens nimmt sie an, daß wir ein 13. Monatsgehalt, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld bekommen und daß wir unsere Entschädigungen nicht versteuern. Über all das muß mehr geredet werden. Man nimmt auch an, daß wir die Pauschale, mit der die Unkosten im Wahlkreis und im gesamten Mandatsgebiet Bundesrepublik beglichen werden müssen, dem Gehalt zuschlagen.
Deswegen fordere ich auch hier dazu auf: Achten wir auf höchste Qualität unserer Debatten; zeigen wir, daß die Situation in der Bundesrepublik seit 1949 ausschlaggebend durch die Entscheidungen unserer Parlamente geprägt worden ist, ob es sich um den äußeren Frieden oder den inneren Frieden handelt, ob es sich um die Entwicklung des Wohlstands oder Umweltfragen handelt. Es geht nicht um eine Reduktion des Politischen, sondern es geht um eine Darstellung des Politischen im parlamentarischen Entscheidungsprozeß.
({9})
Ich habe in der öffentlichen Diskussion der letzten Wochen erlebt, daß die Arbeit unserer Parlamentarier im Wahlkreis so gut wie unbekannt ist. Man kann sich nicht vorstellen, daß im Jahr 2000 und mehr Bürgerbriefe bei Abgeordneten eintreffen. Man
kann sich nicht vorstellen, was es bedeutet, bei den Verbänden und den verschiedensten Organisationen präsent zu sein. Es ist ebenfalls nicht bekannt, daß wir aus der Entschädigung Spenden für viele Bereiche, etwa für Behinderte, leisten.
Deswegen glaube ich, daß wir bei aller Sparsamkeit des Parlaments in bezug auf den Etat für die Öffentlichkeitsarbeit schon etwas mehr brauchen, um uns selbst öffentlich darzustellen.
({10})
Wir führen keine Klage darüber, daß unsere Tätigkeit mit einem hohen Zeitaufwand verbunden ist; niemand hat uns dazu gezwungen. Es werden aber ständig Vergleiche zu Rentnern oder Sozialhilfeempfängern gezogen. Ich weiß nicht, welche andere Berufsgruppe auf die Idee kommen würde, sich mit Personen zu vergleichen, deren Probleme in der Sache anders gelagert sind.
({11})
Es gibt eine Gesamtverantwortung und Fürsorgepflicht. Der Staat hat sozial ausgleichend zu wirken und der Gerechtigkeit verpflichtet zu sein. Aber ich finde, wir selbst dürfen die Maßstäbe nicht ständig durcheinanderbringen.
({12})
Deswegen sage ich abschließend: Ich folge dem Kompromiß, den CDU/CSU und SPD erarbeitet und vorgelegt haben. Aber ich bitte auch diejenigen, die in der Rechtsstellungskommission waren, endlich aufzuhören, Worte wie „Schweinsgalopp" oder „Diätencoup" zu gebrauchen.
({13})
Länger, als wir diese Fragen beraten haben, kann man sie nicht beraten. Ich frage: Was soll denn bei einer weiteren Beratung über eine angemessene Entschädigung herauskommen?
({14})
Das ist rauf- und runterdiskutiert worden. Deswegen stimmt, was Herr Wiefelspütz in der Rechtsstellungskommission gesagt hat: Wir haben nicht weiteren Beratungs-, sondern Entscheidungsbedarf.
({15})
Ich glaube auch, daß wir uns sehr wohl fragen müssen, ob wir nicht wichtigere Dinge zu tun haben, als diese Beratungen noch zu verlängern, ohne daß dies zu anderen Ergebnissen führt.
({16})
Ein Weiteres: Wir haben den Vorwurf der Selbstbedienung nicht ausräumen können; das haben wir gewollt. Ich erinnere übrigens daran, daß 75 Prozent unserer europäischen Nachbarstaaten, Mitgliedstaaten der Europäischen Union, eine Ankoppelung haben.
Nun kann man sagen: Wir sind gescheiter als die. Aber es gibt unterschiedliche Gründe dafür, zu sagen, dies soll aus dem jährlichen Streit herausgehalten werden. Das Verfassungsgerichtsurteil sagt etwas anderes; deswegen war es ganz wichtig, daß der Maßstab im Gesetz verankert wurde. So kommen wir aus der ständigen Kritik der Willkür und aus dem Vorwurf, wir hätten keine Maßstäbe, heraus.
({17})
Wenn wir uns darüber einigen könnten, daß wir einen Maßstab brauchen, um nicht immer wieder neu ins Gerede zu kommen, wären wir schon ein großes Stück weitergekommen.
Ich möchte Sie auffordern: Wir stellen uns der Öffentlichkeit, auch der öffentlichen Kritik. Vieles muß unserer Bevölkerung erklärt werden. Das Parlament ist, wenn ich die jüngste Patzelt-Studie nehme, offenbar noch immer das unbekannte Wesen. Deswegen: Dank an alle, die über viele Monate hinweg erneut Fragen der Rechtsstellung, der Parlamentsreform und der Verkleinerung des Parlaments, die wir beschlossen haben, beraten haben. Ich hoffe, daß wir in der nächsten Woche diese Beratungen im Deutschen Bundestag endlich beenden können.
Ich danke.
({18})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Conradi.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der zweiten Lesung des Achtzehnten Änderungsgesetzes zum Abgeordnetengesetz hat das Haus einen Änderungsantrag von Norbert Gansel und mir sowie 150 weiteren Abgeordneten zur Offenlegung der Einkünfte von Abgeordneten mit 377 Nein-Stimmen gegen 251 Ja-Stimmen bei 16 Enthaltungen abgelehnt. Norbert Gansel ist jetzt im Auswärtigen Ausschuß, sonst wäre er natürlich hier.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat nun beschlossen, diesen Änderungsantrag auf Drucksache 13/2343 auch zum Neunzehnten Änderungsgesetz in die Ausschußberatungen einzubringen. Wir behalten uns vor, den Antrag bei der zweiten Lesung erneut zur namentlichen Abstimmung zu stellen.
Wir erwarten, daß der Geschäftsordnungsausschuß und der Rechtsausschuß den Antrag diesmal etwas sorgfältiger beraten als beim Achtzehnten Änderungsgesetz. Pauschal zu erklären, der Antrag sei nicht verfassungsgemäß, erscheint als eine zu einfache Ausrede derer, die eine Offenlegung - aus welchen Gründen auch immer - keinesfalls wollen.
({0})
- Zu prüfen, Herr Abgeordneter Schäuble, ist die Frage der Verhältnismäßigkeit einer solchen gesetzlichen Regelung, nämlich ob diese Einschränkung eines Grundrechts, des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, durch den Gewinn des Parlaments an Transparenz und Integrität gerechtfertigt ist.
Eine differenzierte, die Besonderheiten bestimmter Berufsgruppen berücksichtigende Regelung ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht von vornherein ausgeschlossen, sagen uns die gewiß vorsichtigen Juristen des Bundestages.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weng?
Aber mit Vergnügen.
Bitte.
Herr Kollege Conradi, haben Sie in Ihrem Entwurf Sicherungen dafür eingebaut, daß die Rechte von Ehepartnern nicht negativ berührt werden?
Der Entwurf sieht vor, daß die steuerpflichtigen Einkünfte des Abgeordneten oder der Abgeordneten nach § 2 Einkommensteuergesetz veröffentlicht werden, das heißt, nicht die Einkünfte des Ehepartners. Das ist auch in der Begründung enthalten, und ich habe in der Debatte dazu klar gesagt, daß es wirklich nicht verfassungsgemäß wäre, wenn jemand, der mit uns verheiratet ist, nur durch die Tatsache, daß wir Abgeordnete sind, zur Offenlegung seiner Einkünfte verpflichtet würde.
({0})
Zu prüfen wäre - darüber müssen wir diskutieren -, ob sich das angestrebte Ziel nicht mit geringeren Eingriffen erreichen ließe. Zum Beispiel hat eine Kollegin gesagt, sie habe ein Haus geerbt und beziehe nun Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, und daraus sei sicher nicht auf eine Interessenverknüpfung mit der Ausübung ihres Mandats zu schließen. Da hat sie gewiß recht.
Wir haben vorgeschlagen, alle Einkünfte offenzulegen, und umgehen damit die Frage, was mandatsrelevant ist und was nicht. Wir sollten darüber sprechen, ob mit einem geringeren Eingriff nicht unter Umständen dasselbe Ziel erreicht werden kann.
({1})
- Da die Frau Präsidentin nichts sagt, Herr Kollege, gestatte ich die Zwischenfrage.
({2})
Herr Kollege Conradi, ist sichergestellt, daß zumindest Einkünfte aus öffentlichen Kassen - ich denke zum Beispiel an Pensionen ehemaliger Innenminister in Nordrhein-Westfalen oder ehemaliger Umweltminister in Hessen - offengelegt werden?
Der Meinung bin ich allerdings, denn das Volk hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, wer solche Einkünfte von uns bezieht. Allerdings neige ich der Auffassung von Herrn Häfner zu, daß während der Tätigkeit im Parlament Einkünfte aus anderen öffentlichen Kassen eigentlich ausgeschlossen gehören. Etwas anderes sind nachher die Versorgungsbezüge.
({0})
Eine Interessenverknüpfung ist bei Einkünften aus selbständiger oder unselbständiger Tätigkeit sicher nicht auszuschließen. Dazu kommt, daß es sich hier um Tätigkeiten neben dem Mandat handelt und der Wähler wohl einen Anspruch darauf hat, zu erfahren, ob der Abgeordnete seine ganze Arbeitskraft dem Mandat widmet oder ob er nebenher noch andere Tätigkeiten ausübt und dann neben seiner Mandatsentschädigung auch noch andere Entschädigungen bekommt.
Herr Conradi, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Solms?
Aber natürlich.
Herr Conradi, im Anschluß an die vorherige Zwischenfrage: Würden Sie bestätigen, daß die Versorgungsansprüche von ehemaligen Ministern öffentlich sind, weil sie im Gesetz vorgeschrieben und deswegen errechenbar sind?
Das ist wohl der Fall. Aber die Öffentlichkeit ist sich bei vielen Abgeordneten nicht darüber im klaren, daß irgend jemand, zum Beispiel ein Mitglied Ihrer Fraktion, vor vielen Jahren einmal Innenminister des Landes NordrheinWestfalen war. Es steht zwar so im Gesetz, aber wir wollten das deutlicher machen.
({0})
Im Kern ist es nicht eine Frage des Neids oder der Peep-Show oder daß man hier genau wissen will, was einer verdient. Es geht darum, festzustellen, ob es mandatsbezogene Einkünfte gibt, das heißt eine Überschneidung zwischen Interessen anderer, die hier vertreten werden, und der Ausübung des Mandats.
Einige von Ihnen haben zu Recht darauf hingewiesen, es gebe das Problem unternehmerischer Tätigkeit, die im Wettbewerb mit anderen möglicherweise beeinträchtigt würde, würden die Einkünfte offengelegt. Ich habe schon das letzte Mal gesagt: Wenn es
schutzwürdige Interessen gibt, wenn Unternehmer unter uns sagen, sie haben schutzwürdige Interessen, dann können wir in den Ausschüssen auch über mögliche Ausnahmeregelungen reden.
Ein weiteres Problem, das bisher vornehm verschwiegen worden ist, sind die beratenden Berufe, vor allem die Rechtsanwälte, die unter Hinweis auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach der Zivilprozeß - ordnung von den Verhaltensregeln weitgehend ausgenommen sind. Ich halte das für lebensfremd. Der amerikanische Kongreß hat gesagt, gerade die Anwälte sind gefährdeter als alle anderen Berufsgruppen, in einen Interessenkonflikt zwischen Mandat und ihrer Anwaltstätigkeit zu geraten. Deswegen hat der amerikanische Kongreß für sie besonders strenge Regelungen festgelegt. Der Deutsche Bundestag sagt umgekehrt, für die, die am stärksten gefährdet sind, werden keine Verhaltensregeln festgelegt. Das kann so wohl nicht bleiben.
Das britische Unterhaus hat kürzlich auf Grund der Empfehlungen der Nolan-Kommission in strittiger Abstimmung beschlossen, daß Zahlungen, die Abgeordnete für die parlamentarische Vertretung von Interessen anderer erhalten, offengelegt werden müssen. Nolan hat diese Forderung folgendermaßen begründet - ich zitiere -:
Ein Mitglied, das als parlamentarischer Berater 1 000 Pfund im Jahr bekommt, wird durch die Aussicht, dieses Geld zu verlieren, weniger beeinflußt als ein Abgeordneter, der 20 000 Pfund im Jahr erhält.
Es kommt also sehr wohl auch auf die Höhe an.
In diesem Zusammenhang, Herr Häfner, habe ich mit Erstaunen gelesen, daß in Ihrer Drucksache bei den Nebeneinkünften von einer „Bagatellgrenze" von 30 000 DM die Rede ist.
({1})
Ich jedenfalls und die meisten Mitglieder meiner Fraktion würden 30 000 DM Nebeneinkünfte im Jahr nicht als „Bagatelle" betrachten. Ich entnehme daraus, daß die Grünen inzwischen zu den von ihnen früher so heftig beschimpften etablierten Parteien gehören.
({2})
Zurück zum Nolan-Report:
Wir sind der Überzeugung, daß die Öffentlichkeit, insbesondere die Wähler im Wahlkreis des Abgeordneten, ein Recht haben zu wissen, welche finanziellen Vorteile ihr Abgeordneter als Konsequenz seiner Wahl bekommt ... Wir halten es für richtig, daß in diesen Fällen die Zahlungen offengelegt werden.
Darum geht es, nicht um mehr, aber auch nicht um weniger. Es geht um die Integrität des Parlaments und das Vertrauen unserer Wähler. Wir haben mit unserem Offenlegungsantrag diese Diskussion angestoßen. Ich versichere Ihnen, die Antragsteller werden an diesem Thema so lange weiterarbeiten, bis es eine gesetzliche Regelung gibt, die dem hohen Anspruch gerecht wird, den dieses Parlament an sich selbst zu stellen hat.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/3121, 13/3139, 13/3154 und 13/3137 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich an den Rechtsausschuß vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Miethöhe
- Drucksache 13/3083 ({0})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({1})
- Drucksache 13/3176 Berichterstattung:
Abgeordnete Iris Gleicke
Hildebrecht Braun ({2}) Dr. Michael Luther
Roll Rau
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3177 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Können wir so verfahren? - Ich sehe keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster spricht der Kollege Dr. Dietmar Kansy.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag hat am 18. Mai dieses Jahres mit den Stimmen von CDU/ CSU, SPD und F.D.P. das Mietenüberleitungsgesetz mit dem Ziel beschlossen, in den neuen Bundesländern einen den besonderen Verhältnissen dieser Länder angepaßten Übergang in das allgemeine Mietrecht zu ermöglichen. Dieses Gesetz, das nach einer sehr langen Zeit der Beratung zwischen den Fraktionen dieses Hauses, aber auch zwischen dem Haus und den neuen Bundesländern zustande kam, hat sich in seiner Gesamtheit gut bewährt.
Bei einem Punkt allerdings ist es bald nach der Verkündung des Gesetzes zu Auseinandersetzungen gekommen, die nicht nur Unsicherheit bei Mietern und Vermietern ausgelöst haben, sondern auch mehr als Kopfschütteln bei uns im Deutschen Bundestag über manche Gerichtsurteile und auch ein Stückchen
Krise im Vertrauen zwischen einigen Verbandsfunktionären und diesem Parlament.
Was war passiert? § 12 Abs. 1 Satz 2 Miethöhegesetz bestimmt in sprachlicher Anlehnung an die Grundmietenverordnung folgendes - ich zitiere -:
Der Erhöhungssatz - der Mieten ermäßigt sich um 5 vom Hundert bei Wohnraum, der nicht mit einer Zentralheizung und einem Bad ausgestattet ist.
Meine Damen und Herren, meine lieben Kolleginnen und Kollegen aus dem Bauausschuß dieses Parlaments, als wir damals berieten, haben verschiedene Mitglieder bereits darauf hingewiesen, daß diese Formulierung von Interessengruppen, die eine höhere Mieterhöhung wünschen oder die verzögern wollen, falsch ausgelegt werden könnte, sogar bewußt. Wir schlugen vor, deutlich in das Gesetz zu schreiben, was jeder normale Mensch versteht, nämlich daß eine fünfprozentige Ermäßigung stattfindet, wenn die Zentralheizung oder das Bad oder beides fehlt. Wir wurden damals von Rechtsberatern dieses Hauses informiert, daß das nicht nötig sei, weil die vorgesehene Fassung in langer Rechtspraxis gehärtet sei. So findet sich nur im Ausschußbericht - Drucksache 13/1386; übrigens auch jedem Amtsrichter zugänglich - folgende Klarstellung:
Der Spielraum für Mieterhöhungen reduziert sich um 5 v. H., wenn eines der in Satz 2 genannten Ausstattungsmerkmale oder beide fehlen. Die Reduzierung soll dem niedrigeren Wohnwert einer nicht mit Zentralheizung und Bad ausgestatteten Wohnung Rechnung tragen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit das klar ist: Wir tragen die politische Verantwortung; wir haben dieses Gesetz beschlossen. Wir wollen uns da nicht rausmogeln. Aber darum geht es schon nicht mehr. Denn bereits kurz nach der Beschlußfassung wurde von einem wohnungswirtschaftlichen Verband, der bis dato eigentlich als seriöser Ratgeber galt und der bei dem Ringen um dieses Gesetz mit eingebunden war, die falsche Auslegung dieses Gesetzes mit dem Ergebnis verbreitet, daß sich eine Reihe von Wohnungsunternehmen zu hohe Mietforderungen genehmigten und viele Prozesse in Gang kamen.
In diesen Prozessen haben verschiedene Amtsgerichte unterschiedliche Urteile gefällt. Das führt zu weiterer Verunsicherung. Es droht ein Flächenbrand in den neuen Bundesländern, was die Auseinandersetzung um diesen winzigen Paragraphen betrifft. Besonders schlimm ist: Eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung kann deswegen nicht stattfinden, weil der Streitwert „zu gering" und ein Rechtsentscheid bei einem Oberlandesgericht nicht möglich ist.
Angesichts dieser Entwicklung erscheint es jetzt dringend geboten, schnellstens die eingetretene Rechtsunsicherheit durch eine Klarstellung des Gesetzestextes zu beseitigen. Zu einigen Details wird mein Kollege aus der CDU/CSU-Fraktion
Dr. Luther noch etwas sagen. Ich möchte noch zwei andere Feststellungen treffen.
Erstens. In dieser „verjuristeten Gesellschaft" ist es Rechtsexperten, Amtsrichtern und Verbandsfunktionären offensichtlich möglich, den eindeutig artikulierten Willen der großen Mehrheit des Deutschen Bundestages, des Gesetzgebers, gewollt oder ungewollt, genau ins Gegenteil umzukehren.
({0})
Das lassen wir uns nicht gefallen, auch wenn sie noch so laut schreien.
({1})
So ein bißchen erinnert mich das an einen Ausspruch von Bärbel Bohley: „Wir haben Gerechtigkeit gesucht und den Rechtsstaat bekommen."
({2})
Zweitens. Ein wohnungswirtschaftlicher Verband, dem der Deutsche Bundestag bisher über Fraktionsgrenzen hinweg großes Vertrauen entgegengebracht hat, ist dabei, dieses Vertrauen zu verspielen.
({3})
Denn während wir vorgestern im Ausschuß berieten, kam schon wieder eine neue Ankündigung - das ist in diesem Faxzeitalter ja möglich -, nämlich daß der Verband einen Professor beauftragt habe, der demnächst ein Verfassungsgutachten vorlegen werde, in dem er zum Schluß kommt, daß das, was wir heute beschließen, verfassungsfeindlich sei.
({4})
- Der Zwischenruf „Ungeheuere Sauerei! " ist an der Grenze der Zulässigkeit im Parlamentarismus, trifft aber leider zu.
({5})
Wir haben dies noch einmal vom Verfassungsreferat des Bundesjustizministeriums prüfen lassen. Man hat uns bestätigt, daß das, was wir im Gesetz machen, verfassungsrechtlich möglich ist.
Ich bitte Sie deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesem gemeinsamen Gesetzesantrag von CDU/CSU, SPD und F.D.P. zuzustimmen, damit wir die Kuh vom Eis bekommen.
Danke schön.
({6})
Als nächste spricht die Kollegin Iris Gleicke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich darf zunächst daran erinnern, daß wir als Parlamentarier
lange um die Einführung des Vergleichsmietensystems gerungen haben und daß Koalition und SPD nach langen und schwierigen Verhandlungen zu einem im großen und ganzen fairen Kompromiß gefunden haben.
Der Mieterbund, die SPD und selbstverständlich auch die Bundesregierung haben sich in breit angelegten, aufwendigen Kampagnen durchaus erfolgreich darum bemüht, die Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland über die Details dieses umfangreichen Gesetzeswerkes zu unterrichten. Ich selbst habe zu denjenigen gehört, die bei den Mieterinnen und Mietern für das neue Recht geworben haben.
Ich habe in diesen Gesprächen erlebt, daß die Betroffenen ein großes Maß an Einsicht und Bereitschaft bewiesen haben, für ein jetzt und in Zukunft qualitativ verbessertes Zuhause auch mehr Miete zu bezahlen.
Wir alle wissen, daß die Kosten für Miete und andere Lebenshaltungskosten in Ostdeutschland schneller gestiegen sind als die Löhne und Gehälter. Angesichts dessen darf man solche Einsicht wohl mit Fug und Recht als einen sichtbaren Vertrauensbeweis werten. Heute müssen wir leider feststellen, daß ein Teil dieses Vertrauens leichtfertig verspielt worden ist.
Daß wir heute das Mietenüberleitungsgesetz in einem seiner vielen Details klarstellen müssen, ist in diesem Sinne alles andere als ein Ruhmesblatt für den Deutschen Bundestag.
({0})
Es ist wahrlich aber auch kein Ruhmesblatt für die bundesrepublikanische Gesellschaft im Jahre fünf der deutschen Einheit, daß der eindeutige Wille des Gesetzgebers durch spitzfindige Wortakrobatik von Juristen und Verbandsfunktionären und mit Hilfe deutscher Amtsgerichte unterlaufen worden ist.
({1})
Denn bei der Klarstellung, die heute erfolgen muß, geht es in der Tat um eine geradezu atemberaubende Wortakrobatik. Ich darf an dieser Stelle anmerken, daß ich Bauingenieurin bin und keine Germanistin oder Juristin. Auf dem Bau sprechen wir eine recht deutliche Sprache. In deutschen Gesetzestexten ist das leider nicht immer der Fall. Im besonderen Fall des Mietenüberleitungsgesetzes hat das dazu geführt, daß sich außerordentlich kluge und gebildete Menschen eingehend mit der großen Bedeutung des kleinen Wörtchens „und" auseinandergesetzt haben und dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind.
Worum geht es konkret? Bei der Ausformulierung des Mietenüberleitungsgesetzes war es der erklärte Wille des Gesetzgebers, die Mieterhöhung bei schlechter ausgestatteten Wohnungen zu begrenzen. Bei einer Wohnung, in der es keine Zentralheizung gibt, und ebenso bei einer Wohnung, in der es kein Bad gibt, sollte sich der Spielraum für Mieterhöhungen um 5 Prozent vermindern. Auch bei Fehlen von Bad und Zentralheizung sollte sich dieser Spielraum nur um 5 Prozent vermindern.
Hierum geht es im mittlerweile schon fast berüchtigten § 12 Abs. 1 Satz 2. Wir von der SPD haben im Ausschuß mehrfach vorgeschlagen, die entsprechende Passage wie folgt zu formulieren:
Der Erhöhungssatz ermäßigt sich um 5 vom Hundert bei Wohnraum, der nicht mit einer Zentralheizung und/oder einem Bad ausgestattet ist.
Diese Formulierung war bestimmt nicht schön, nach unserer Meinung aber eindeutig.
Dann schlug die Stunde der Sprachkünstler. Die hochrangigen Juristen des Bundesjustizministeriums belehrten uns, das „und/oder" gehöre nicht zur Gesetzessprache. Richtig müsse es vielmehr heißen, der Erhöhungssatz ermäßige sich „um 5 vom Hundert bei Wohnraum, der nicht mit einer Zentralheizung und einem Bad ausgestattet" sei. Man erklärte uns, eine Wohnung sei dann nicht mit Bad und Zentralheizung ausgestattet, wenn das Bad oder die Zentralheizung oder beides fehle. Leider haben wir uns damals dazu breitschlagen lassen, auf unser zugegebenermaßen häßliches, aber eindeutiges „und/oder" zu verzichten.
Wir haben nämlich wirklich nicht damit gerechnet, daß sich deutsche Amtsgerichte nur kurze Zeit später sehr ernsthaft mit der spannenden Frage beschäftigen würden, ob sich der Erhöhungssatz nur dann um 5 Prozent ermäßigt, wenn die Wohnung weder über eine Zentralheizung noch über ein Bad verfügt; denn in der Begründung zum Gesetz hatten wir es wirklich ganz eindeutig formuliert. Ich wiederhole das, was schon Herr Dr. Kansy zitiert hat:
Der Spielraum für Mieterhöhungen reduziert sich um 5 Prozent, wenn eines der in Satz 2 genannten Ausstattungsmerkmale oder beide fehlen. Die Reduzierung soll dem niedrigeren Wohnwert einer nicht mit Zentralheizung und Bad ausgestatteten Wohnung Rechnung tragen.
Viel klarer geht es eigentlich gar nicht mehr.
Das hat einzelne Vermieter nicht daran gehindert, von den Mietern die volle Erhöhung zu verlangen. Es hat auch einzelne Amtsgerichte nicht daran gehindert, diesen Vermietern recht zu geben. Dagegen haben andere Amtsgerichte entschieden, dieses sei nicht gerechtfertigt.
Das Ganze hat natürlich zu einem völligen Wirrwarr, zu Wut und zu Verunsicherung bei den betroffenen Mietern geführt, vor allem auch deshalb, weil es auf Grund des zu geringen Streitwerts keine Chance gibt, eine höhere Instanz anzurufen.
Deshalb müssen wir heute ein Gesetz klarstellen, das wir erst vor ein paar Monaten verabschiedet haben. Wir haben die Pflicht, dies so zu tun, daß den betroffenen Mietern kein Schaden entsteht. Im einzelnen heißt das, daß der von mir schon in verschiedenen Variationen zitierte § 12 Abs. 1 Satz 2 des Miethöhegesetzes die folgende endgültige und nun eindeutige Fassung erhält:
Der Erhöhungssatz ermäßigt sich auf 15 vom Hundert bei Wohnraum, bei dem die Zentralheizung oder das Bad oder beide Ausstattungsmerkmale fehlen.
Diese Klarstellung erstreckt sich auch auf laufende
Mieterhöhungsverfahren und gerichtliche Verfahren.
Alle Mieter, die einer Mieterhöhung um den überhöhten Satz bereits zugestimmt haben, erhalten ein Widerrufsrecht und haben Anspruch auf Erstattung der bereits zuviel gezahlten Miete. Die betroffenen Mieter haben bis zum 31. März 1996 Zeit, ihre Zustimmung zu widerrufen. Wir werden sehr genau darauf achten, daß die Mieter über diese Möglichkeit informiert werden.
Sie sehen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, es ist ein erheblicher Aufwand nötig, um diese sprachliche Schlamperei zu korrigieren; denn um eine Schlamperei handelt es sich ganz gewiß.
({2})
Ich verzichte an dieser Stelle ganz bewußt darauf, aus zwei einander widersprechenden Gutachten der Gesellschaft für deutsche Sprache zu zitieren. Ich möchte auch nicht näher auf ein Schreiben der Bundesjustizministerin eingehen, das sich recht ausführlich mit der Bedeutung des Wortes „und" auseinandersetzt.
Kleines „und" - große Wirkung, könnte man sagen.
Das alles trüge auch eindeutig die Züge einer überaus gelungenen Satire, wenn es dabei nicht um die konkreten Belange von Menschen ginge. Es ist völlig aberwitzig, daß ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz zu Rechtsungleichheit und Verwirrung führt. Ich denke, Sie alle werden mir beipflichten, wenn ich feststelle, daß so etwas eigentlich nicht passieren darf.
({3})
Bei aller Kritik bleibt eines festzuhalten: Keiner der Verantwortlichen hat das gewollt. Ich bin mir leider keineswegs sicher, ob sich solche Fehler in Zukunft mit absoluter Sicherheit vermeiden lassen; denn man muß sich doch fragen, ob sich immer und an jeder Stelle eine Formulierung finden läßt, die ausgekochter juristischer Spitzfindigkeit standhält.
Eines macht doch sehr nachdenklich: Offenbar ist im vereinten Deutschland eine Mentalität verbreitet, die darauf hinausläuft, auch noch die kleinste Lücke im Gesetz gnadenlos zum eigenen Vorteil auszunutzen. Wer sich einen cleveren Anwalt leisten kann, der holt eben noch mehr raus als andere. Die Vermieter, die wegen 5 Prozent Mietermäßigung vor Gericht gezogen sind, haben sich nicht die Bohne dafür interessiert, was der erklärte und eindeutige Wille des Gesetzgebers gewesen ist. Ihnen ging es einfach nur ums Geld.
({4})
Was diese Vermieter gemacht haben, ist sicherlich
legal. Gleichzeitig aber ist es schlicht erbärmlich
und abstoßend. Auch die Ankündigung der BBU - da gebe ich Ihnen, Herr Dr. Kansy, absolut recht - finde ich in gleichem Maße erbärmlich und abstoßend.
Ich bin froh darüber, daß wir diesem kaltschnäuzigen Verhalten heute einen Riegel vorschieben werden.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Helmut Wilhelm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Grüne erklären ausdrücklich, daß wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen und der SPD einverstanden sind.
({0})
Der vorgelegte Gesetzentwurf zur Klarstellung ist notwendig und sinnvoll; denn § 12 Abs. 1 Satz 2 des Mietenüberleitungsgesetzes in seiner jetzigen Form hat wegen der unklaren Formulierung eine Flut von Rechtsstreitigkeiten ausgelöst, die von Amtsgerichtsbezirk zu Amtsgerichtsbezirk zu unterschiedlicher Gesetzesauslegung und damit zu unterschiedlichen Urteilen geführt haben.
Tatsächlich ist die bisherige Formulierung in diesem Punkt unklar und kompliziert. Bereits im Gesetzgebungsverfahren im Ausschuß haben wir Grüne darauf hingewiesen, daß sich das Mietenüberleitungsgesetz zu einem „Arbeitsbeschaffungsprogramm für Juristen" entwickeln könnte. Genau dies ist eingetreten.
Eines der wenigen positiven Elemente des Mietenüberleitungsgesetzes, nämlich die schwache Differenzierung der Miethöhe nach Wohnstandard, muß endlich klar geregelt werden. Die Korrektur ist daher notwendig.
Was an diesem Entwurf verfassungswidrig sein soll, wie es jetzt plötzlich aus der Versenkung hochkommt, ist zumindest für mich als ehemaligen Richter an einem Verfassungsgericht eines deutschen Bundeslandes nicht nachvollziehbar.
Das heißt natürlich nicht, daß wir Grüne uns zwischenzeitlich mit dem Mietenüberleitungsgesetz als Ganzem abgefunden hätten. Ich will hier nicht nachtarocken. Eine kurze Bemerkung sei mir aber dennoch gestattet: Das Mietenüberleitungsgesetz insgesamt ist sozial unverträglich und zur Überleitung des Mietensystems nicht geeignet. Mehr denn je galoppieren die Mieten der Einkommensentwicklung im Osten davon. Das Versprechen einer nur schrittweisen Anhebung unter Berücksichtigung der Einkommensentwicklung ist leider nicht eingehalten worden.
Helmut Wilhelm ({1})
Auf eine diesbezügliche Korrektur zielt Ziffer 2 unseres Entschließungsantrages.
Danke schön.
({2})
Ich erteile dem Kollegen Hildebrecht Braun das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist peinlich, wenn man einen Fehler macht, aber noch peinlicher, wenn man ihn nicht sofort ausräumt.
Der Bundestag hat am 18. Mai bei der Verabschiedung des Mietenüberleitungsgesetzes Ost eine Differenzierung der Miethöhe vornehmen wollen. Die Miete für Wohnungen mit Bad und Zentralheizung sollte zum 1. August 1995 um 15 Prozent angehoben werden können. Für Wohnungen, die diesen Standard jedoch nicht aufweisen, sollte die Miete um 10 Prozent steigen können.
Die gewählte Formulierung für die Umsetzung dieses einfachen Gedankens in Gesetzesform ging nun gründlich daneben. Was gewollt war, war gut. Es war gut gemeint, aber gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. Viele Politiker haben hier wieder nur den Amtsrichtern vorgeworfen, sie hätten das Gesetz nicht richtig ausgelegt, sie hätten nämlich nicht die Gesetzesmaterialien zu Rate gezogen.
Meine Damen und Herren, diese Entlastungsangriffe auf die Justiz gehen voll daneben. Nicht der Ausschußbericht erlangt Gesetzeskraft, sondern das Gesetz, das wir beschlossen haben. Nicht die Richter sind schuld, wenn sie die von uns gemachten Gesetze so auslegen, wie sie formuliert sind. Vielmehr haben wir Politiker allen Anlaß, uns bei Millionen ostdeutschen Mietern, bei den Vermietern und auch bei den Richtern dafür zu entschuldigen, daß wir Formulierungen beschlossen haben, die mißverständlich waren.
Ich schließe mich selbst mit ein, weil ich die Formulierungen schließlich mitgetragen habe, obwohl ich davor, im Gegensatz zum Beispiel zu den Grünen, die jetzt plötzlich entdecken, daß auch sie opponiert hätten, mit Nachdruck versucht hatte, die Formulierungen, um die es heute geht, anders gefaßt zu bekommen. Das hat sogar dazu geführt, daß der Kollege Warnick von der PDS, der eigentlich immer wieder nach Gelegenheiten sucht, die F.D.P. als die Inkarnation des Bösen hinzustellen, mich in diesem Zusammenhang nach zwei Monaten heftig gelobt hat.
Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist es, Gesetze so zu formulieren, daß jedermann weiß, was gemeint ist. Wir schulden klare Gesetze und keine Anwaltsbeschaffungsprogramme.
({0})
Doch es ist schwieriger, als man denkt, die Klarheit
der Sprache und speziell die rechtliche Unangreifbarkeit der zu treffenden Regelung tatsächlich zu
bewirken. Vielleicht sollten wir uns dabei mehr auf juristische Praktiker in den eigenen Reihen verlassen, die als Anwälte in ihrer täglichen Praxis Mandanten Formulierungen nahebringen und mehr oder weniger gelungene Gesetze auslegen, als blind auf die Formulierungsgabe von Sprachartisten aus den Ministerien zu vertrauen.
Heute beschließen wir das Gesetz, das Millionen Mieter in Ostdeutschland so stellen soll, wie wir, die Gesetzgeber, es von Anfang an gewollt haben, wenn wir es nur richtig ausgedrückt hätten. Wir wollen den Mietern die Möglichkeit geben, ihre damaligen Zustimmungserklärungen rückgängig zu machen und so zu der Miethöhe zu kommen, die schon vor Monaten beabsichtigt war.
Leider müssen wir nun feststellen, daß das politische Wollen wieder nicht frei von Rechtsrisiken ist. Die rückwirkende Beseitigung von geschlossenen Mietverträgen kann grundrechtlich geschützte Eigentumspositionen der Vermieterseite tangieren. Aber obwohl wir diese Gefahr sehen, und im Ausschuß stundenlang darüber diskutiert haben, wie wir diese Gefahr ausschließen können, bleibt ein Restrisiko. Wir wollen dennoch gemeinsam den vorgeschlagenen Wortlaut beschließen.
Ich darf hier ausdrücklich an die Genossenschaften und an die kommunalen Wohnungsunternehmen appellieren,
({1})
darüber nachzudenken, ob sie wirklich neuerlich die Gerichte anrufen und gegebenenfalls gar bis zum Bundesverfassungsgericht gehen wollen. Lassen Sie doch endlich Rechtssicherheit und damit Frieden in die Haushalte in Ostdeutschland einkehren! Verhindern Sie, daß Menschen wieder in Angst und Unsicherheit gestürzt werden!
({2})
Zwar geht es durchschnittlich nur um 15 DM pro Wohnung und pro Monat, aber 15 DM sind für viele, speziell für alte Menschen, viel Geld. Zerren Sie nicht Menschen, die an unseren Formulierungsfehlern wirklich unschuldig sind, wieder vor Gericht! Die Menschen in den neuen Bundesländern würden es nicht verstehen, wenn weiter Monate und Jahre darüber gestritten werden müßte, ob den Mietern das zustehen soll, was der Bundestag mit übergroßer Mehrheit wiederholt als seinen politischen Willen ausgedrückt hat.
Vielen Dank.
({3})
Ich erteile dem Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Braun, ich möchte Ihr Weltbild von der PDS nicht erschüttern, sonst würde ich Ihnen erzählen, wie oft ich dieses Beispiel
in Mieterbundversammlungen positiv dargestellt habe.
({0})
Wir stimmen diesem Gesetzesantrag natürlich zu, weil wir diese Änderung schon lange für dringend notwendig halten. Wir sind aber der Meinung, daß diese Debatte vermeidbar gewesen wäre. Schon 14 Tage nach der Verabschiedung des Mietenüberleitungsgesetzes haben wir im Bauausschuß darüber beraten. Damals hat man leider nicht den Mut gehabt, diesen Fehler einzugestehen; denn schon damals wäre die heutige Regelung möglich gewesen und hätte dazu geführt, daß der Schaden wesentlich begrenzt worden wäre.
Ich möchte ganz kurz aus einer Anfrage von uns an die Bundesregierung vorlesen:
Was wird die Bundesregierung angesichts der Tatsache tun, daß im Widerspruch zu den Zusicherungen des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Professor Dr. Klaus Töpfer, in einem Brief an alle ostdeutschen Mieterhaushalte mit einem Urteil des Potsdamer Amtsgerichts vom 28. 9. 1995 Mieter zur Anerkennung einer 15prozentigen Mieterhöhung nach dem Mietenüberleitungsgesetz verurteilt wurden, obwohl die Wohnung nicht mit Bad und Zentralheizung ausgestattet ist?
Da wurde mir geantwortet:
Bundesminister Professor Dr. Klaus Töpfer hat in seinem Brief an die ostdeutschen Haushalte zum Mietenüberleitungsgesetz keine Zusicherungen zur Auslegung dieses Gesetzes gegeben.... Das Amtsgericht Potsdam hat ... lediglich ein Versäumnisurteil gegen den klagenden Vermieter erlassen. Da somit erst ein Urteil vorliegt, das dem Willen des Gesetzgebers ... widerspricht, sieht die Bundesregierung zur Zeit keinen Handlungsbedarf .. .
Das war am 11. Oktober.
Am 21. November 1995 kommt der Gesetzentwurf, in dem es heißt:
Dieser Entwicklung kann der Gesetzgeber nicht tatenlos zusehen, vor allem deswegen, weil sie dem Rechtsbewußtsein der Bürger im Beitrittsgebiet und deren Verständnis vom Rechtsstaat im hohen Maße abträglich ist.
Das kann ich nur bejahen. Das sehe ich ganz genauso.
Aber einen Tag später, am 22. November 1995, wurde im Deutschen Bundestag die Frage gestellt:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß ausgerechnet die bundeseigene TreuhandLiegenschaftsgesellschaft mbH ... bei Mieterhöhungen ... nur dort zu einer geringeren Mieterhöhung von 10 Prozent anstatt 15 Prozent bereit ist, wo sowohl Zentralheizung als auch Bad fehlen ...?
Darauf antwortet der Staatssekretär:
Die Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft mbH .. . hat die Frage, ob Mieten bei Wohnungen mit Bad oder Zentralheizung um 10 oder 15 v. H. zu erhöhen sind, sorgfältig geprüft. Schon angesichts potentieller Schadensersatzforderungen von Restitutionsberechtigten ist die TLG gehalten, Mieterhöhungsspielräume auszuschöpfen .. . Diese Entscheidung mußte kurzfristig gefüllt werden, da ... wirksame Mieterhöhungserklärung dem Mieter zuzustellen ({1}); die Bundesregierung hält diese Entscheidung der TLG für sachgerecht.
Was soll man davon halten? Einerseits sagt man: „Dieser Entwicklung kann der Gesetzgeber nicht tatenlos zusehen ..." Andererseits heißt es, daß Bundesminister Töpfer keine Zusicherungen zur Auslegung dieses Geseztes gegeben habe. Auf was soll ein ostdeutscher Bürger noch vertrauen, wenn in Millionen Miethaushalten ein Schreiben des Ministers kommt? Kann man dem Wort eines bundesdeutschen Ministers nicht mehr vertrauen? Was soll ein einfacher Bürger denn tun? Da entsteht für mich, wenn der Minister zu einem bestimmten Handeln auffordert, die Frage - die Bürger haben sich auf den Minister verlassen; es ist zu Gerichtsurteilen gekommen, und sie wurden verurteilt -: Wer bezahlt die Gerichtskosten? Im Gesetzentwurf ist zwar geregelt, daß die zuviel gezahlte Miete zurückzuzahlen ist. Aber was ist mit den Gerichtskosten? Im Vertrauen auf das Wort des Ministers gehandelt zu haben und jetzt dafür finanziell bestraft zu werden, das geht doch wohl zu weit.
Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken und zu dem Schreiben der BBU will ich gar nichts sagen. Da schließe ich mich den Worten meines Vorredners an.
Der politische Wille, den wir in Gesetzen formulieren, ist juristisch sehr schwierig zu formulieren. Das haben wir hier eindeutig gesehen. Für mich ergibt sich daraus die Frage: Wie soll Ausschußarbeit in Zukunft noch vernünftig gestaltet werden? Soll ich rechts und links von mir einen Verfassungsrichter sitzen haben und die immer konsultieren? Dabei ist ja nicht ausschließen, daß der rechts von mir etwas anderes sagt als der links von mir.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Ende. - Ich halte die Verrechtlichung politischer Arbeit für nicht mehr akzeptabel. Ansonsten können wir politische Arbeit überhaupt nicht mehr vernünftig machen.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Michael Luther.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor der Sommerpause haben wir in diesem Haus das Mietenüberleitungsgesetz verabschiedet. Es wurde mit großer öffentlicher Resonanz diskutiert. Ich glaube, wir haben den Weg für die Einführung des Vergleichsmietensystems erfolgreich bereitet. Die Katastrophe, meine Damen und Herren vom Bündnis 90/Die Grünen, Herr Wilhelm, ist ausgeblieben. Es gibt bei den Mietern eine große Akzeptanz dieses Gesetzes. Die prognostizierte Klageflut - ich schätze das ganz anders ein als Sie - ist ausgeblieben, weil dieses Gesetz für die Mieter nachvollziehbar ist, weil sich die Wohnungswirtschaft und die Vermieter in der Regel sehr verantwortungsvoll verhalten haben und die Mieter es gelernt haben, mit den Mietrechtsinstrumentarien umzugehen. Diesbezüglich möchte ich der Bundesregierung, den Länderregierungen sowie den Mieter- und Vermieterverbänden für ihre Aktivitäten, für ihre Aufklärung recht herzlich danken.
Meine Damen und Herren, ich möchte ein Zitat vortragen: „Im Freistaat haben wir deutlich bessere Zahlen als in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern." So Uwe Albrecht, Direktor des Verbandes sächsischer Wohnungsunternehmen in einem Interview vom 24. November 1995. Bei einem Bestand von 630 000 Wohnungen sei es lediglich bei 1 bis 2 Prozent der Haushalte zu Problemfällen gekommen. In den nördlichen Bundesländern liege die Quote doppelt so hoch. - Das ist das Problem.
Wir im Bundestag waren einhellig der Meinung, daß 15 Prozent mehr Miete nur dann erhoben werden können, wenn eine Wohnung mit Bad und Zentralheizung ausgestattet ist. Das steht so auch im Gesetz. Wir haben im Rechtsausschuß noch einmal darüber debattiert und sind der Meinung, daß das Ganze unzweifelhaft ist.
In diesem Zusammenhang, Herr Wilhelm, weise ich Ihren Entschließungsantrag zurück. Dieser Entschließungsantrag ist aus meiner Sicht von Unterstellungen gekennzeichnet.
Ich danke den Vernünftigen. Der Weg, den der sächsische Verband der Wohnungswirtschaft eingeschlagen hat, ist richtig. Uwe Albrecht dazu: „Wir wollten ein Vertrauensverhältnis zu den Mietern aufbauen." Aber, meine Damen und Herren, die Uhren scheinen in Brandenburg anders zu gehen. Wir beraten heute eine Lex Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, weil es aus unserer Sicht sehr eigenartige Interpretationen des § 12 Abs. 1 Satz 2 des Miethöhegesetzes gibt. Und - das ist das Bedauerliche -: Auf hoher See und vor deutschen Gerichten befindet man sich offensichtlich in Gottes Hand. Amtsgerichte, besonders in Brandenburg, haben das, was im Gesetz steht, recht unterschiedlich ausgelegt.
Nun stehen wir vor dem Problem, daß das nicht umkehrbar ist. Es gibt auf Grund der Streitwertgrenze keine Möglichkeit, in einer Berufungsinstanz ein übergeordnetes Urteil zu fällen. Auch das Instrument des Rechtsentscheides, das eine Klärung der Auslegung des Gesetzes durch Oberlandesgerichte ermöglichen würde, kommt wegen der Streitwertgrenze nicht in Betracht. Damit bleibt uns nur der Weg, eine Reparatur an einer gesetzlichen Regelung vorzunehmen, die - daran möchte ich Sie alle erinnern - praktisch zu 99 Prozent abgeschlossen ist. Der 1. August dieses Jahres ist nun einmal vorbei. Sie können sich vorstellen, daß sich bei mir alles dagegen sträubt. Aber wir müssen diesen Weg gehen. Ich halte ihn auch für sehr richtig, und zwar im Interesse der Mieter und der vernünftigen Vermieter. Wir müssen durch diese Regelung heute Rechtsfrieden schaffen.
Die Lösung umfaßt drei Elemente:
Erstens. Wir erreichen eine Klarstellung des § 12 Abs. 1 Satz 2 des Miethöhegesetzes. Das heißt, wir stellen klar, daß eine Ermäßigung der Miete um 5 Prozent nur dann in Frage kommt, wenn Bad oder Zentralheizung bzw. beides fehlt.
Zweitens. Wir stellen klar, daß sich diese Regelung auch auf noch schwebende Verfahren erstreckt. In diesem Zusammenhang möchte ich an die Länder appellieren, die Mieter nicht auf den Gerichtskosten sitzenzulassen.
Drittens. Wir führen ein Widerrufsrecht der Mieter ein, die einer im Sinn des Gesetzes überhöhten Mieterhöhung zugestimmt haben, und räumen ihnen einen Erstattungsanspruch ein.
Hier besteht allerdings das Problem - darauf möchte ich kurz eingehen -, daß es nach § 17 des Miethöhegesetzes auch freiwillige Vereinbarungen über die Miethöhe gibt. Ich gehe jedoch davon aus, daß es sich dann, wenn die Mieterhöhung nach § 12 des Miethöhegesetzes eingefordert worden ist und wenn sie entgegen dem Sinn dieses Gesetzes verlangt wurde, um ein Mieterhöhungsverlangen auf falscher Rechtsgrundlage handelt. Dann ist der Widerruf sicherlich statthaft.
Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle noch einmal an Bund, Länder sowie an Mieter- und Vermieterverbände appellieren, die Mieter über ihre Rechte zu informieren.
Noch ein weiterer interessanter Gedanke: Wir haben versucht, ein einfaches Gesetz zu formulieren. Durch das, was uns deutsche Gerichte beschert haben, haben wir im Gesetzentwurf nun einen sehr komplizierten Paragraphen. Diesmal sind wir also nicht an der Verkomplizierung des Gesetzes schuld.
Den Entschließungsantrag vom Bündnis 90/Die Grünen weise ich mit Entschiedenheit zurück. Ich hoffe, daß wir mit diesen Regelungen Rechtsfrieden schaffen können.
Ich danke Ihnen.
({0})
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurf zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Miethöhe, Drucksache 13/3083. Der
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau empfiehlt auf Drucksache 13/3176, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in zweiter Lesung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einmütig angenommen worden ist.
Dann kommen wir zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden ist.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3177. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Antragsteller und der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist.
Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
Rückkehr zur Demokratie in Nigeria - Drucksache 13/3178 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Helmut Jawurek.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor mehr als drei Wochen haben sich die Entwicklungspolitiker aller Fraktionen sehr schnell und in sehr kurzer Zeit auf einen gemeinsamen Entschließungsantrag zur Situation der Menschenrechte in Nigeria geeinigt.
Die Bundestagspräsidentin hat hier im Deutschen Bundestag in einer sehr klaren Stellungnahme am 10. November um 9 Uhr morgens einen sehr eindringlichen Appell zur Freilassung der zum Tode Verurteilen vorgetragen. Für diese spontane und sehr kurzfristige Intervention danke ich Frau Professor Süssmuth sehr herzlich.
({0})
Meine Damen und Herren, wir alle hofften damals noch, daß das brutale Militärregime in Lagos durch internationale Proteste zu beeindrucken wäre. Aber weder Appelle von zahlreichen Menschenrechtsgruppen und vielen Staatsoberhäuptern noch die angedrohte Aussetzung der Mitgliedschaft im Commonwealth haben Diktator Abacha davon abhalten können, mittels eines fragwürdigen Sondergerichts blutige Rache an den Regimegegnern zu nehmen. Der oppositionelle Schriftsteller Ken Saro-Wiwa, dem 1994 der Alternative Nobelpreis verliehen wurde, wurde zweieinhalb Stunden nach der Intervention unserer Parlamentspräsidentin noch am gleichen Tag gnadenlos mit seinen Mitstreitern hingerichtet - und dies, obwohl Tage vor dem Urteilsspruch sich zwei der Hauptzeugen von ihren Aussagen vollständig distanzierten. Sie haben öffentlich, auch in den Medien in Nigeria und vor laufenden Kameras, eingestanden, daß ihre Geschichte frei erfunden war, daß sie für ihre Aussagen viel Geld, ein Haus und eine feste, gutbezahlte Anstellung bekommen haben. Aber all dies beeindruckte die abkommandierten Richter des Sondertribunals nicht weiter.
Dieses brutale und äußerst barbarische Vorgehen reiht sich in eine lange Kette von systematischen Menschenrechtsverletzungen in Nigeria ein, seit General Sani Abacha im November 1993 die Macht an sich gerissen hat.
Die internationale Staatengemeinschaft und auch die Bundesrepublik Deutschland haben diesem menschenverachtenden Treiben der Militärs schon lange nicht mehr tatenlos zugesehen. Kontakte westlicher Politiker zu Mitgliedern des Regimes sind seither äußerst zurückgefahren worden. So hat beispielsweise die Europäische Union im November 1993 beschlossen, keine offiziellen Kontakte mehr zuzulassen. Zuletzt haben auch wir Entwicklungspolitiker aller Fraktionen im Juli 1995 mit unserer kurzfristigen Absage einer Delegationsreise ein demonstratives Zeichen zu setzen versucht. Aber gerade die jüngsten Vorfälle belegen, daß die Zeit der stillen Diplomatie längst vorbei ist.
({1})
Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika haben erste, vollkommen richtige, aber noch nicht ausreichende Schritte eingeleitet: ein Waffenembargo und die Beschränkung der Visaerteilung für Regimeangehörige. Unser Bundesminister Spranger hatte schon zuvor durch sehr konsequentes Handeln die entwicklungspolitische Zusammenarbeit sofort eingestellt. Auch Außenminister Dr. Kinkel hat unseren Botschafter sofort zurückgerufen und bei der EU-Außenministerkonferenz am Montag letzter Woche sehr weitreichende Forderungen gestellt, für die er - ich hoffe: noch - keine Mehrheit gefunden hat.
Mancher von uns wird sich heute die Frage stellen: Was wäre, wenn wir, der sogenannte reiche Westen, schon früher und noch entschiedener reagiert hätten?
({2})
Aber vor der Hinrichtung Ken Saro-Wiwas hatten
viele auf die stille Diplomatie gesetzt, zum Beispiel
auch Nelson Mandela. Stille Hilfe für Inhaftierte und
politisch Verfolgte ist genauso wichtig wie die öffentliche und lautstarke Einmischung. Diese muß sein, denn nichts fürchten Diktatoren und Unterdrücker mehr, als daß ihre Untaten in der Weltöffentlichkeit angeprangert werden.
Trotz aller eingeleiteter Maßnahmen zeigt sich das Militärregime in Lagos vollkommen uneinsichtig. Dies fällt Diktator Abacha auch nicht sonderlich schwer, sorgen doch jährlich Milliarden von Petrodollars für satte Einnahmen, von denen nicht nur er und sein Regime großzügigst leben. Auch ausländische Firmen heben den Reichtum des Landes, das Öl, und verdienen damit ganz gut ({3})
und dies zudem zu Lasten der Umwelt.
Gerade diese Firmen trifft die moralische Verantwortung, die Folgen der Erdölförderung zu bedenken. Es klingt wie blanker Hohn, wenn der ShellKonzern, der 60 Prozent des Öls in Nigeria fördert, vor wenigen Tagen verlautbaren ließ, daß ein EU-Waffenembargo einer Rückkehr Nigerias zur Demokratie „nicht förderlich" sei.
({4})
Was denken sich die Konzernbosse in London und Amsterdam? „Business as usual"? Wir dürfen nicht zulassen, daß die sozialen und ökologischen Menschenrechte auf dem Altar des Kommerzes geopfert werden.
({5})
Das einzige, was die Machthaber in Lagos wirklich beeindrucken wird, ist ein Abdrehen des Geldhahns. 80 Prozent des Staatshaushaltes werden aus Erdöleinnahmen gedeckt. Die Ölexporte gehen zu 40 Prozent in die USA und zu 50 Prozent in die Europäische Union. Die Bundesrepublik Deutschland hat im ersten Halbjahr 1995 knapp 5 Prozent seiner Erdölimporte aus Nigeria bezogen. Meine Damen und Herren, hier muß man den Hebel ansetzen, um Veränderungen für die Menschen in diesem sehr wichtigen westafrikanischen Land zu bewirken.
({6})
In einem potentiell äußerst wohlhabenden Land wie Nigeria lebt weit über ein Drittel der Menschen deutlich unterhalb der Armutsgrenze. Mancher von uns mag unken, ein solcher Schritt träfe die Falschen, die Geschundenen im Land. Doch seit Jahren ist zu beobachten, daß die Milliarden von Dollar vollkommen am Volk vorbei in den dunklen Kassen der Herrscherclique verschwinden.
({7})
- Ja, wir wissen, wo. Die gesamte nigerianische Opposition und die nigerianischen Menschenrechtsgruppen fordern unisono diesen Ölboykott.
Meine Damen und Herren, schon fünf Tage nach der Hinrichtung der neun Ogoni-Aktivisten hat der Shell-Konzern eine enorme Neuinvestition für Nigeria beschlossen: den Bau einer Mammutnaturgasanlage mit einem Wert von 6 Milliarden DM. Dies ist die größte industrielle Investition in der Geschichte Schwarzafrikas, wie ich meine, ein vollkommen falsches Signal für das Regime in Lagos, während weltweit nach effektiven Sanktionsmaßnahmen gesucht wird.
({8})
Doch der Schrecken in Nigeria nimmt kein Ende. 19 weiteren Mitgliedern des Ogoni-Volkes droht ein Todesurteil nach gleichem Strickmuster wie vor Wochen. Auch der frühere nigerianische Präsident Obasanjo - einer der wenigen Präsidenten Schwarzafrikas, der nach freien Wahlen freiwillig zurückgetreten ist, der beinahe sogar UN-Generalsekretär geworden wäre; wenige Stimmen haben seine Wahl verhindert - ist von einem solchen noch nicht vollstreckten Todesurteil bedroht.
Es ist daher dringend an der Zeit, deutliche Signale zu setzen. Es freut mich, daß es in zahlreichen Gesprächen doch noch gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen zu formulieren. Das Ergebnis ist nicht ein kleinster gemeinsamer Nenner, sondern, wie ich meine, ein sehr deutliches Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten in diesem westafrikanischen Staat.
Ich möchte mich bei allen bedanken, die mitgewirkt haben - es war sehr mühevoll -, besonders bei meiner Kollegin Ingrid Becker-Inglau, die maßgeblich zu diesem gemeinsamen Antrag beigetragen hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Diktatoren dieser Welt setzen auf die Vergeßlichkeit derer, die mit ihren Staaten im Geschäft bleiben wollen. Setzen wir ein Zeichen dagegen!
Danke schön.
({9})
Ich erteile der Abgeordneten Ingrid Becker-Inglau das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich ganz herzlich für das Lob, das ich gerade erhalten habe, bedanken. Aber ich glaube, dieses gilt all denjenigen, die daran beteiligt waren; denn es war zeitweilig etwas schwierig, diesen gemeinsamen Antrag hinzubekommen.
({0})
Ken Saro-Wiwa und seine acht Ogoni-Mitstreiter sind tot. Nahezu zeitgleich zu den Vollstreckungen der Todesurteile an dem nigerianischen Schriftsteller, Bürger- und Menschenrechtler und Umweltschützer Ken Saro-Wiwa und seinen Mitstreitern durch den Militärdiktator Sani Abacha hat die Präsidentin unseres Hohen Hauses am 10. November im Namen des Bundestages noch einen Appell an das Militärregime gerichtet, die Todesurteile auszusetzen. Dieser Appell hat wie viele andere weltweit das menschenverachtende Regime in Nigeria nicht davon abgehalten, den Justizmord zweieinhalb Stunden später zu vollenden.
Es hat leider drei Wochen gedauert, bis wir gestern abend endlich einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen dieses Hauses zustande bringen konnten, der eine Ächtung dieses Regimes und Sanktionen gegen dieses Regime enthält. Zeitweilig kamen den beteiligten, Gott sei Dank beharrlich gebliebenen Formulierern dieses Antrags schon Zweifel an der vielerorts erhobenen Forderung nach der Einhaltung der Menschenrechte, Zweifel daran, ob sie wirklich immer ernst gemeint sind oder nur dann und wann, wenn es uns paßt, als Flaggschiff ausgefahren werden.
({1})
Aber wir wollen an dieser Stelle keine hausinternen Vorgänge anprangern, obwohl dieser Vorgang sicherlich dem einen oder anderen schon zu denken geben mußte und müßte, was die Schlagkräftigkeit und die Schnelligkeit der Reaktionsmöglichkeiten dieses Hauses angeht.
({2})
Heute, denke ich, geht es noch um viel mehr. Es geht nämlich um das Ringen, um Möglichkeiten zu finden, einem menschenverachtenden Militärregime deutlich zu machen, daß sein verabscheuungswürdiges Vorgehen, das außerhalb jeder Humanität liegt, spürbare Folgen hat.
({3})
Das Ogoni-Volk, eine kleine Minderheit von zirka 500 000 Menschen innerhalb des fast 100 Millionen Menschen zählenden nigerianischen Volkes, versucht, sich gegen die Zerstörung seines Landes im Nigerdeltabereich und gegen seine eigene Vernichtung durch das Militärregime und die Ölmultis Shell, Agip und Elf zu wehren. Ken Saro-Wiwa hat an der Spitze der „Bewegung für das Überleben des OgoniVolkes", MOSOP, für den Schadenersatz und den Ausgleich der Umweltzerstörung und der Landverluste sein Leben verloren. Er und die Wortführer wurden mundtot gemacht.
Er hat sein Leben verloren durch den Urteilsspruch eines Sondergerichts, das allen rechtsstaatlichen Belangen widerspricht. Ken Saro-Wiwa hat sein
Leben verloren durch ein unrechtmäßig an die Macht gekommenes Regime. Er hat sein Leben verloren durch die nachvollziehbare Arroganz eines Machthabers, der unbeeindruckt von Appellen des Auslandes innenpolitisch seine Macht stabilisieren mußte - wie sonst ist der Zeitpunkt der Vollstreckung der Todesurteile zwei Tage vor der Commonwealth-Konferenz in Neuseeland überhaupt erklärbar? - und nach dem Motto handelte: Ich spanne den Bizeps und mache nach innen klar, daß mich die Außenwelt samt ihren Reaktionen nicht interessiert. Oder kam dem Machthaber diese Commonwealth-Konferenz und die zu erwartende Suspendierung aus dem Commonwealth durch die Konferenz am Ende gerade recht, um der Organisation der Islamischen Konferenz eine neue Chance zu bieten, Nigeria dort als Mitglied aufzunehmen?
Das ist vielleicht etwas, was wir im Auge behalten sollten, weil es für die Entwicklung in Westafrika insgesamt von Bedeutung sein könnte.
Aber wir müssen uns auch fragen, welche Maßnahmen, welche Sanktionen, die wir national oder in Gemeinschaft mit den Partnern der EU oder in den Vereinten Nationen einfordern, das Militärregime überhaupt treffen können. Die politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Nigeria sind seit der Machtübernahme durch das Militär 1993 und der Errichtung einer Diktatur eh abgekühlt. Die fortdauernden Menschenrechtsverletzungen an Oppositionellen und den Vertretern des Ogoni-Volkes haben dazu geführt, daß die entwicklungspolitischen Maßnahmen und die EZ eingefroren und zurückgefahren worden ist. Eine für Juli dieses Jahres geplante AWZ-Delegationsreise - mein Kollege hat das schon erwähnt - nach Nigeria fand nicht statt, weil man befürchtete, daß der Machthaber Abacha diesen Besuch nutzen würde, seine Position medienwirksam auszubauen.
Diese Sanktionen haben für den gewaltlosen Streiter Ken Saro-Wiwa und andere Ogonis keine lebenserhaltende Wirkung gehabt. Die weltweite Empörung über die Todesurteile haben ebenfalls keine Wirkung gehabt. Sind wir also ohnmächtig, wenn wir national, europa- oder weltweit Forderungen an dieses Regime stellen, die Menschenrechte einzuhalten - wie wir sie in unserem Antrag gefordert haben -, den vor 1993 begonnenen Demokratisierungsprozeß fortzusetzen, politisch inhaftierte Oppositionelle zu amnestieren, die Unterdrückung der Ogonis zu beenden, die Umweltzerstörung durch die Ölförderung gemeinsam mit den Ölmultis zu beheben? Oder verfährt dieses Regime weiterhin nach dem Motto: Was stört es den Mond, wenn der Hund ihn anbellt, weil unsere Sanktionen keine Wirkung auf dieses Regime haben?
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, Südafrika und Bosnien sollten uns ermutigen, unsere Ohnmacht selbstbewußt zu überwinden: für die Menschen, die unter diesem Regime leiden und die Veränderung wollen.
({4})
Ken Saro-Wiwa und seine 8 Mitstreiter wurden mundtot gemacht. Ich habe die Hoffnung, daß die heutige Debatte den Erfolg hat, die noch mindestens 21 Inhaftierten vor dem Schicksal Ken Saro-Wiwas zu bewahren.
Deshalb appelliere ich an den Außenminister - Herr Schäfer, Sie werden es sicherlich weitergeben -, alle seine Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Verurteilungen zum Tode und die Hinrichtungen dieser Menschen zu verhindern.
({5})
Um auf unsere Sanktionsmöglichkeiten zu kommen: Wir sollten alles daransetzen, mit dem Waffenembargo, dem Einreiseverbot für Angehörige dieses Regimes, mit der Sperrung der Auslandskonten von Angehörigen dieses Regimes und dem von diesem Regime am meisten gefürchteten Ölembargo das Militärregime zu isolieren und es zur Rückkehr zur Demokratie zu zwingen.
({6})
Ich gehe davon aus, daß wir Nigeria auf der Tagesordnung behalten werden müssen. Deshalb bin ich dafür, von der Bundesregierung zu fordern, im März 1996 über das, was bisher geschehen ist, einen Bericht zu geben.
Ich denke, daß wir es nicht dabei belassen können, mit der heutigen Debatte dieses Thema als erledigt zu betrachten, sondern wir werden uns an vielen Stellen darauf verständigen müssen, in diesem Parlament das, was in Diktaturen vorgeht, zum Wohle der Menschen mehr als bisher zu beobachten und gegebenenfalls Forderungen zu stellen.
Vielen Dank.
({7})
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Christa Nickels.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einem Jahr sind die Studenten der Anglistischen Fakultät in Aachen an meine Kollegin Edith Müller und an mich als zuständige Wahlkreisabgeordnete herangetreten und haben uns sehr bedrängt, uns für Ken SaroWiwa einzusetzen. Ich muß zugeben, daß ich ihn nicht kannte. Ich bin auch keine Afrika-Expertin. Ich habe mich dann mit den Studentinnen und Studenten sehr oft zusammengesetzt und mich auf einen Prozeß eingelassen. Es ist eine Riesenarbeit geworden, aber auch ein riesengroßer Erkenntnisprozeß.
Ich habe in einem Jahr gelernt, daß Ken SaroWiwa und seine Mitstreiter trotz dieses furchtbaren Regimes in Nigeria unter Einsatz ihres Lebens - obwohl sie ihr Leben lieben und nicht leichtfertig damit umgehen -, trotz der fehlenden wirklichen Solidarität der westlichen Länder weiter die Demokratie und die Menschenrechte hochhalten und unglaublich zäh kämpfen, indem sie versuchen, eine freie Presse zu erhalten, indem sie dem Leiden der Bevölkerung und der Menschen vor Ort eine Stimme geben, die weltweit gehört wird. Damit repräsentieren sie sehr eindrücklich, was ein einzelner ohnmächtiger Mensch doch in Bewegung setzen kann, wenn er die Macht nutzt, die ihm zur Verfügung steht.
Wir haben dann in dieser Zeit - das wissen Sie, Herr Schäfer; wir sind Ihnen vielleicht manchmal lästig gworden - viele Anfragen formuliert und viele Briefe geschrieben und haben unsere Regierung aufgefordert, endlich etwas Durchgreifendes zu tun.
Als das Todesurteil verkündet war, haben wir unglaubliche Angst bekommen, weil wir in dem einen Jahr gelernt haben, was die Fratze dieser Diktatur bedeutet und auch, was die Fratze eines ungebändigten Kapitalismus, einer Firma, für ein Unheil und absolutes Elend für ein ganzes Volk bedeutet. Wir haben unglaublich gezittert, alle Hebel in Bewegung gesetzt und noch eine Anhörung am 12. Oktober 1995 durchgeführt.
Es war heute vor drei Wochen, zur gleichen Zeit, 11.30 Uhr, als wir erfahren haben, daß Ken SaroWiwa hingerichtet worden ist. Als wir es gehört haben, waren wir alle wie betäubt, wie erschlagen. Wir haben unglaublichen Schmerz, sehr große Ohnmacht und Ekel empfunden, einen riesengroßen Ekel vor der Politik, vor diktatorischen Regimen, die sich Regierungen nennen, aber auch vor den westlichen Regierungen, die als Partner von Verhandlungen und Wirtschaftsbeziehungen die Regierung Nigerias schließlich akzeptiert haben.
Wir haben auch Ekel vor uns selbst bekommen, vor unserer eigenen Politik. Ich will Ihnen auch sagen, warum, Herr Schäfer. Man muß doch diese Folterer ernst nehmen. Man muß doch ernst nehmen, wenn Menschen umgebracht, wenn sie vernichtet werden. Das kann man doch nicht wie einen Fernsehfilm behandeln, der vor einem abläuft und dann irgendwann vorbei ist.
Wir müssen doch wissen, daß diesen Folterern und diesen Terrorregimen mit Appellen, mit Protesten, mit Bekenntnissen, mit Demarchen und mit Demonstrationen nicht beizukommen ist. Das ist denen schnurzpiepegal. Die verstehen nur eine einzige Sprache: wenn man ihnen den Geldhahn, das heißt hier den Ölhahn zudreht.
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Ich kam mir nach diesem Urteil und seiner Vollstreckung vor wie auf einem Hühnerhof, wo der gesamte Westen wie aufgeschreckt, weil er den Schatten des Adlers gesehen hat, der niederstürzen will, angefangen hat, zu lamentieren und sich laut zu empören. Ich sage Ihnen eines, Herr Schäfer: Herr Minister Kinkel ist stellvertretender Regierungschef, er ist Außenminister eines sehr mächtigen Landes. Dieses Land, seine Regierung und sein Parlament können doch wohl mehr als nur demarchieren und appellieren und protestieren. Ich bitte Sie! Das ist
doch eine Ohnmachtserklärung, die den tatsächlichen Gegebenheiten überhaupt nicht entspricht.
Wir haben doch wirklich Mittel und Möglichkeiten. Ich frage: Warum werden sie denn nicht eingesetzt? Warum legt uns das Wirtschaftsministerium in dieser Woche, als wir um diesen Antrag gerungen haben, schon wieder ein Gutachten vor - Sie wissen das, Frau Becker-Inglau -, das besagt: Das EU-Recht läßt es nicht zu, daß man als einzelner Staat ein Ölembargo verhängt oder auch nur die Auslandskonten sperrt? Ich frage Sie: Warum wendet das Wirtschaftsministerium Finesse auf, um so etwas zu beweisen? Warum wenden Sie nicht alle Kraft und Finesse auf, um nach Mitteln und Wegen zu suchen, wie man das in der internationalen Staatengemeinschaft durchsetzen kann?
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Es sitzen noch viele in nigerianischen Gefängnissen. Erneut sind 19 Menschen eingesperrt worden, denen im Januar ein Unrechtsprozeß gemacht wird. Herr Jawurek, ich bin Ihnen äußerst dankbar, daß Sie hier so gesprochen haben und sich für diese Leute eingesetzt haben; ich danke auch Frau BeckerInglau und allen Kolleginnen und Kollegen, die sich engagieren. Aber wir dürfen nicht auf den Bericht im März 1996 warten. Wir müssen alle Kräfte, die wir haben, anspannen, um unsere Regierung zu treiben, damit sie die Menschenrechte durch die machtpolitischen Instrumente auch durchsetzt, die wir haben. Wir können uns doch nicht ohnmächtiger als diese Menschen stellen, die der Gewalt nackt ausgesetzt sind und die trotzdem erreichen, daß ihre Stimme gehört wird. Wir haben doch Einfluß. Den müssen wir nutzen. Die zu treffenden Maßnahmen sind in dieser Debatte aufgezeigt worden.
Ich erwarte, daß Herr Kinkel das, was er begrüßenswerterweise angekündigt hat, daß er sich nämlich international einsetzen will, auch durchhält und offensiv in der Außenministerrunde, auf höchster Ebene, versucht, das endlich durchzukämpfen. Er wird jede Unterstützung durch dieses Parlament haben; da bin ich mir absolut sicher.
Ich möchte auch noch einmal sagen: Ich komme mir - ich glaube, auch die Kolleginnen und Kollegen - sehr hilflos vor, und das, obwohl wir einen Abgeordnetenstatus haben. Ich möchte, daß Sie wissen, daß Sie in diesem Parlament sehr bedeutend sind. Wichtiger, als eine Konferenz abzusagen, ist es, eine Mehrheit dafür zu bekommen, daß man die Regierung treibt und daß wirklich etwas effektiv gemacht wird.
Ich möchte zum Schluß zitieren, was Ken SaroWiwa aus dem Gefängnis heraus gesagt hat. Ich muß gestehen: Ich hätte die Kraft dazu nicht. Er hat im Mai 1995 geschrieben:
Ob ich lebe oder sterbe, ist unerheblich. Es reicht mir, daß ich weiß, daß Menschen Zeit, Geld und Energie einsetzen, um gegen ein Übel unter vielen anzukämpfen. Wenn sie nicht heute Erfolg haben, so werden sie morgen erfolgreich sein. Wir müssen weiter kämpfen, damit die Welt ein besserer Ort für die Menschheit wird. Und jeder
kann seinen Teil dazu beitragen. Ich begrüße alle diese Menschen.
Ich bedauere unendlich - ich und wir alle sind furchtbar traurig -, daß diese Menschen sterben mußten, daß Ken Saro-Wiwa tot ist. Aber sein Vermächtnis soll uns, wenn wir uns schäbig und ein Stück ohnmächtig fühlen, auch ermutigen, daß wir die Macht, die wir haben, auch wirklich gebrauchen und daß wir nicht kneifen.
Ich danke Ihnen.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Roland Kohn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Ermordung des nigerianischen Schriftstellers Ken Saro-Wiwa und acht weiterer Vertreter des Ogoni-Volkes stellt einen besonders brutalen Schlag gegen die Menschenrechte dar. Wir alle wissen, daß der Prozeß vor einem Sondergericht, vor dem die Menschenrechtler abgeurteilt wurden, in keiner Weise rechtsstaatlichen Anforderungen entsprach und eine reine Farce war.
Alle Versuche, im Vorfeld durch stille Diplomatie Einfluß auf die Machthaber zu nehmen, um die Ermordung des Schriftstellers und seiner Mitstreiter in letzter Minute doch noch zu verhindern, sind gescheitert. Damit hat sich das Militärregime in Nigeria in menschenverachtender Weise über alle internationalen Bemühungen zur Rettung hinweggesetzt.
Diese Hinrichtungen stellen einen tragischen Höhepunkt der Entwicklung in Nigeria dar, die mit der Machtübernahme durch das Militär im Jahre 1993 begann und mittlerweile zur Isolierung Nigerias in der internationalen Staatengemeinschaft führte.
Ich möchte heute Bundesaußenminister Kinkel dafür danken, daß er auf die Ermordung des Bürgerrechtlers unverzüglich reagiert hat und den scharfen Protest der Bundesrepublik Deutschland auch öffentlich unmißverständlich zum Ausdruck gebracht hat. Ich füge hinzu: Die Haltung des Außenministers steht hier in wohltuendem Kontrast zu der kleinmütiger beamteter und politischer Bedenkenträger, die in viel zu großer Zahl durch Bonner Flure und Amtsstuben schleichen.
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Auf Drängen der Bundesaußenministers haben sich die EU-Außenminister schnell auf Sanktionsmaßnahmen gegenüber dem Militärregime geeinigt. Ich zähle hierzu die Verschärfung der Visarestriktionen gegenüber Mitgliedern des nigerianischen Regimes, die Verhängung eines umfassenden Waffenembargos sowie die Suspendierung der EU-EntwicklungsRoland Kohn
hilfe, soweit sie nicht direkt der Bevölkerung zugute kommt. Hinzu kommt: Die Bundesrepublik Deutschland hat die bilaterale Entwicklungspolitische Zusammenarbeit eingestellt.
Bisher habe ich nicht den Eindruck, als ließen sich die Machthaber in Nigeria von den genannten Maßnahmen schon beeindrucken. Deshalb fordere ich: Wir müssen diese Herrschaften dort treffen, wo es ihnen wirklich weh tut. Anscheinend können nur drastische Maßnahmen die Militärs in Nigeria stoppen.
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Tatsache ist: Nigeria erzielt 97 Prozent seines Exporteinkommens durch Öleinfuhren. 45 Prozent des Öls importieren die USA, 40 Prozent gehen nach Europa. Ein weltweites oder europäisches Ölembargo, wie es Außenminister Kinkel mehrfach gefordert hat, würde bei Herrn Abacha und seinen Kumpanen Wirkung zeigen.
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Ich bedaure es außerordentlich, daß die EU-Außenminister am 20. November in Brüssel keine Einigung darüber erzielen konnten. Es gehört zur Wahrheit und Klarheit in diesem Hause, daß man auch ausspricht, daß ein gemeinsamer Beschluß vor allem am Widerstand Großbritanniens, Frankreichs und der Niederlande scheiterte.
Ich möchte Außenminister Kinkel für seinen bisherigen Einsatz in dieser Frage danken und ihn zugleich dringend bitten, sich auch weiterhin vehement für ein europaweites, möglichst weltweites Ölembargo einzusetzen.
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Ich halte auch die Sperrung der Auslandskonten von Angehörigen des nigerianischen Regimes für eine geeignete Maßnahme, um die nigerianische Führung zu treffen. Ich weiß, daß Außenminister Kinkel auch in dieser Frage im europäischen Ministerrat eindeutig Stellung bezogen hat.
Ich fordere die Bundesregierung auf, sich weiterhin mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln für ein abgestimmtes europäisches Vorgehen einzusetzen. Ich füge hinzu: Sollte das nicht möglich sein, müssen wir notfalls auch bereit sein, zu nationalen Maßnahmen zu greifen.
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Herr Kollege Kohn, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Ingrid Matthäus-Maier?
Aber gerne.
Da ich Ihre Meinung teile und für Ihre Äußerung dankbar bin, frage ich
Sie: Teilt auch Wirtschaftsminister Rexrodt diese Meinung?
Ich habe mit Herrn Minister Rexrodt über diese Frage noch nicht sprechen können, weil er, wie Sie wissen, zunächst aus Brasilien zurückkommen muß. Die Stellungnahme, die mir aus seinem Hause bekannt wurde, enthält eine Position, die ich für falsch halte.
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Meine Damen und Herren, Nigeria darf nicht gleichgesetzt werden mit dem ganzen afrikanischen Kontinent. Entgegen der Tendenz zu sonst üblichen Solidarisierungseffekten wird das blutige Vorgehen der nigerianischen Militärmachthaber von der großen Mehrheit der afrikanischen Staaten, allen voran Südafrika, verurteilt.
Die Zeit drängt, wir müssen schnell handeln. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß weitere Verfahren drohen. Menschenleben sind bedroht. Darüber hinaus sind in den letzten Wochen zirka 300 Personen im Ogoni-Land ohne Angabe von Gründen festgenommen worden.
Ich fordere die Bundesregierung auf, ihre bisher verfolgte Politik eines Ölembargos und der Forderung nach Sperrung von Auslandskonten konsequent fortzusetzen und den Deutschen Bundestag zeitnah darüber zu unterrichten.
Korruption und schrankenlose Selbstbereicherung der Machthaber haben Nigeria an den Rand des wirtschaftlichen und politischen Ruins gebracht. Nur der Aufbau demokratischer Strukturen bietet eine realistische Chance, neben den politischen auch die wirtschaftlichen Verhältnisse in Nigeria langfristig auf eine tragfähige Basis zu stellen. Nur so kann Nigeria auch wieder den Platz in der internationalen Völkergemeinschaft einnehmen, der ihm gebührt.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Willibald Jacob.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erinnere mich an das Hearing des Ausschusses für Entwicklungszusammenarbeit am Mittwoch, in dem eine Teilnehmerin sagte: Das Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit sollte eigentlich das Zukunftsministerium sein bzw. es ist das Zukunftsministerium. Ich sage das deshalb, weil die Zusammenhänge, in denen die Situation in Nigeria entstanden und der Mord begangen worden ist, für uns alle, was das Verhältnis von Politik und Ökonomie angeht, durchschaubar gemacht werden müßten.
Obwohl die PDS an der Erarbeitung des gemeinsamen Antrags nicht beteiligt worden ist, finde ich ihn
gut; ich werde ihn unterstützen. Dennoch möchte ich fragen, ob nicht viel stärker betont werden müßte, daß ökonomische Zusammenhänge, Marktzusammenhänge dazu führen, daß Menschenrechte verletzt werden und Menschen auf diese brutale Art und Weise zu Tode kommen.
Ich kann nur an das anknüpfen, was ich schon gestern abend gesagt habe.
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Der Marktwert der Menschenrechte ist immer wieder in Frage gestellt, weil wir in einer Warenwelt leben, in der auch die Menschenrechte zu Waren werden. Im Falle Nigerias könnten wir auch in unsere Kinderstube zurückkehren und uns noch einmal die Wildweststory mit ihren Mitspielern ansehen: die Bauern - die Ogonis -, die Regierung - General Abacha - und die Ölbohrer, in diesem Falle Shell und andere multinationale Konzerne. Die verbrecherischen Ölbohrer siegen. Die Regierung wird zum Handlanger. Der Held, Ken Saro-Wiwa, und seine Freunde werden ermordet.
Die Briefe von Herrn Peter Duncan, die er uns wohl allen, jedenfalls mir, geschickt hat, lassen erkennen, daß er nicht in Zusammenhängen zu denken vermag. Die Betroffenheit eines Ölmultis ist schwer nachvollziehbar, sofern sie psychologisch gemeint ist.
In dem Hearing am Mittwoch ist darauf hingewiesen worden, daß eine Reflexion über Zusammenhänge und Strukturen nötig ist. Erfahrungen und Reflexionen gehören zusammen. Wenn nun schon die multinationalen Konzerne Betroffenheit als letzte Alternative zeigen, dann wird es wohl Zeit, zu fragen: Wie wirkt Interessengebundenheit? Was ist Abhängigkeit lokaler Bevölkerungen? Welche Art Ausbeutung wirkt heute? Was wären die Gegenmaßnahmen, wenn Konkurrenz tödlich wirkt?
Ich unterstütze, was im Antrag gesagt wird, und mache darauf aufmerksam, daß die Regierung Nigerias zu 58 Prozent an der nigerianischen Shell-Gesellschaft beteiligt ist. Es erscheint notwendig, die Boykottmaßnahmen international im Rahmen der UNO zu verankern. Dafür sollte sich die Bundesregierung einsetzen.
Danke sehr.
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Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Graf von Waldburg-Zeil.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der große Augustinus hat eine zeitlos gültige Definition dessen gegeben, was ein Staat dann wird, wenn er Recht weder wahrt noch durchsetzt: eine Räuberbande. Verzeihen Sie mir diese Härte: Diese Definition trifft auf den staatlichen Zustand Nigerias zu.
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Im November 1993 hat der damalige Verteidigungsminister Abacha die Macht im Land übernommen. Er hat sofort damit begonnen, die meisten demokratischen Institutionen außer Kraft zu setzen oder aufzulösen. Die Europäische Union hat schon damals versucht, durch Sanktionen das Militärregime zur Aufgabe zu bewegen und zur Demokratie zurückzukehren, vergeblich zwar, aber man muß es sagen, damit nicht der Eindruck entstünde, als wäre erst jetzt reagiert worden.
Leider haben sich die Berichte aus diesem Land nicht gebessert. Das Hauptziel der Machthaber Nigerias scheint sich darauf zu konzentrieren, die Staatskasse zu plündern und die Opposition auszulöschen. Fast 20 Milliarden DM, die das Land zwischen 1990 und 1994 aus dem Verkauf von Erdöl verdient hat, sind auf Spezialkonten verschwunden, die von Regierungsmitgliedern im Ausland eingerichtet worden sind.
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Ende 1994 ist das Fundament der britischen Tradition, der Demokratie- und Menschenrechtstradition, die „Habeas Corpus"-Schutzvorschrift gegen willkürliche Verhaftungen außer Kraft gesetzt worden. Die Kriminalität blüht im Lande, die Nigeria-Mafia kann sich munter offizieller Adressen bedienen.
Man kann nicht sagen, die Staatengemeinschaft im allgemeinen und die Bundesrepublik im besonderen hätten nicht reagiert. Im Sommer dieses Jahres wurde der Botschafter Nigerias in das Auswärtige Amt einbestellt, wo Staatsminister Schäfer die Verhaftung des früheren Staatspräsidenten verurteilte und dessen sofortige Freilassung forderte. Aber weder der Bonner Protest noch der des Präsidenten Mandela von Südafrika, noch der des Papstes, noch der des amerikanischen Präsidenten, noch der der Europäischen Union fruchteten. Mit der Hinrichtung Ken Saro-Wiwas und seiner Leidensgefährten erreichte die Verzerrung des Rechtsstaates ihren vorläufigen traurigen Höhepunkt.
Audiatur et altera pars, wie verteidigen sie sich? Der Herr Abacha hat gesagt, er verbitte sich, was Herr Mandela zu sagen habe. Der habe wohl im Gefängnis nicht mitbekommen, wie man eine moderne Demokratie führe. Das charakterisiert diesen Mann.
Was tun? Die internationale Staatengemeinschaft hat das Potential an Warnungen und Sanktionen nahezu ausgeschöpft. Zwei möglicherweise wirksame wären noch übrig: die Konten zu sperren - meines Erachtens das wirksamste - und ein Erdölembargo zu verhängen. Beide Maßnahmen müssen treffen und müssen die Richtigen treffen. Eine Sperrung der Konten muß international abgesichert sein. Beim Ölembargo muß darauf geachtet werden, daß nicht letztlich 120 Millionen Menschen das Opfer sind statt ihre Unterdrücker. Hier muß ich einen Gedanken bezüglich der derzeitigen Anklage gegen Großbritannien, Frankreich und die Niederlande hinzufügen. Der Sohn Ken Saro-Wiwas hat selber gesagt, daß diese Gefährdung für die 120 Millionen MenAlois Graf von Waldburg-Zeil
schen besteht. Also muß man das insofern auch ernstnehmen.
Ich fürchte allerdings, daß die Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit und zur Demokratie, die wir nun in diesem schönen, gemeinsamen Antrag fordern, noch nicht genügen wird. Nigeria ist ein Bundesstaat und zentralistisch nicht zu führen. Wer dächte bei der „Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes" und ihrer brutalen Bekämpfung nicht an die Schlagzeilen der Biafra-Tragödie? Die Aushöhlung des föderalistischen Prinzips ist die eigentliche Grundlage der ganzen Tragödie. Früher haben die Gebiete, aus denen das Erdöl kommt, 45 Prozent des Ertrages erhalten. Das war noch im Jahre 1970 der Fall. Heute sind es 1,5 Prozent. Da liegt das eigentliche Elend und, politisch gesehen, die Übermacht der nördlichen Regionen und ihrer islamistischen Führer gegenüber der Marionettenregierung, die dort herrscht.
In Nigeria leben ungeheuer unterschiedliche Völker und Kulturen zusammen. Das Ansehen des Landes wird international um so höher werden können, je demokratischer, je föderaler seine Strukturen sind und je konsequenter das Subsidiaritätsprinzip gilt.
Ich danke Ihnen.
({2})
Ich erteile dem Staatsminister Helmut Schäfer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es bedarf hier keiner Debatte, um den Ekel, den Abscheu und die tiefe Betroffenheit zum Ausdruck zu bringen, die wir alle angesichts der Hinrichtung von Ken Saro-Wiwa haben. Es bedarf auch sicher der geforderten Maßnahmen - Graf WaldburgZeil, Sie haben völlig recht -, um die Herstellung demokratischer Verhältnisse in Nigeria zu beschleunigen. Die Ankündigung des Diktators, er werde das bis zum 1. Oktober 1998 stufenweise durchführen, ist einfach grotesk. Wir können nicht drei Jahre lang auf Versprechungen eines Mannes setzen, der bisher keine seiner Versprechungen eingehalten hat.
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Was die Nigeria-Politik angeht, bin ich Ihnen für den Hinweis dankbar, daß auch ich in dieser Angelegenheit schon längst vorher tätig geworden bin und dem Botschafter in aller Deutlichkeit gesagt habe: So kann es nicht mehr weitergehen. Ich erinnere mich an meine zweistündigen Gespräche mit dem damaligen Präsidenten von Nigeria Babangida vor drei Jahren über den Übergang zur Demokratie in seinem Land. Er hat mir damals auf meine Frage, was er denn selber machen würde - ich hatte damals gewisse Zweifel, ob er denn bereit sei, aus seinem Amt so schnell auszuscheiden, wie er es vorgab - gesagt: Ich ziehe mich ähnlich wie Julius Nyerere zurück, und ich werde dann internationale Tagungen der Ebert-Stiftung und anderer Stiftungen besuchen. Ich werde nicht mehr politisch tätig sein, und ich werde das Amt einem demokratisch gewählten
Nachfolger übergeben. - Allerdings hatten wir schon damals Sorge, weil nur zwei Parteien zugelassen waren. Aber immerhin, das war ein Fortschritt in Nigeria.
Als dann der eine Präsidentschaftskandidat aus den zwei Parteien gewählt worden war, wurde er sehr schnell wieder von der Macht entfernt. In der Folge wurde sehr, sehr deutlich: Auch Herr Babangida hat uns damals nicht die Wahrheit gesagt.
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Als dann schließlich Abiola, der gewählte Präsident, von der Macht entfernt war, kam es zu dem Militärputsch des Herrn Abacha.
Aber ich glaube, wir müssen ein bißchen vorsichtiger sein, wenn wir uns mit Afrika beschäftigen, Frau Nickels und Frau Matthäus-Maier. Nicht alle Ihre im westeuropäischen Denken entwickelten Vorstellungen lassen sich so ohne weiteres auf Afrika übertragen. Ich bin noch nicht einmal sicher, Frau Kollegin Nickels, ob die Bevölkerung Nigerias dann, wenn es zu einer Volksabstimmung käme, mehrheitlich die Auffassung des Ogonivolkes vertritt. Man muß wissen, daß dieses Land enorm groß ist und daß es große Gegensätze gibt. Also, machen wir es uns bitte nicht zu einfach.
Noch viel schlimmer finde ich es, wenn Sie hier so tun, als hätte die Bundesregierung - aber das ist ja Ihre Übung - „durch Einsetzung von Machtmitteln", so haben Sie gesagt, verhindern können, daß es zu den schrecklichen Ereignissen gekommen ist. Ihr Parteitag, der ja vor der Haustür steht, wird Klarheit geben, welche Machtmittel Sie in Zukunft einsetzen wollen, um die Menschenrechte durchzusetzen.
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Die Machtmittel, die Sie und eine Reihe anderer uns empfohlen haben - Herr Fischer ist ja schon anderer Auffassung; ich begrüße das -, reichen nicht aus. So einfach, wie Sie sich das vorstellen - die Bundesregierung entscheidet, und wenn Herr Rexrodt der Meinung eines anderen Ministers ist, dann folgt die nigerianische Regierung -, geht das nicht. Diese Vorstellungen sind schlechthin grotesk. So einfach ist es leider nicht.
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Herr Staatsminister - Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Ich möchte jetzt einige Gedanken zu Ende führen; Frau Nickels hat das vorhin sehr deutlich gesagt.
Wenn hier der Eindruck vermittelt wird, man könnte mit bestimmten Maßnahmen, die Sie nicht näher umschreiben,
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Staatsminister Helmut Schafer
solche Morde verhindern, dann muß ich Ihnen entgegnen: Wir vertreten bei der Regierungskonferenz im Jahr 1996 ganz klar die Auffassung, daß die europäische Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Zukunft durch Mehrheitsentscheidungen geprägt sein muß.
Dann müssen Sie, Herr Kollege, in der Konsequenz leider auch zur Kenntnis nehmen, daß es eben nicht immer geht, unsere Auffassungen durchzusetzen. Wir konnten uns zum Beispiel mit der Forderung eines Ölboykotts, die der Bundesaußenminister im Europäischen Rat erhoben hat, und mit einer Forderung nach Sperrung der Auslandskonten der Nigerianer nicht durchsetzen. Sie müssen das zur Kenntnis nehmen. Wir können Partnerländer nicht einfach zwingen, so zu verfahren, wie wir es gerne hätten. Auch das ist Europa heute.
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Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen, ob Ihnen das gefällt oder nicht. Es gibt eben Konten in Staaten, die nicht einverstanden sind, daß diese Konten gesperrt werden. Das ist doch nicht der erste Fall, in dem es um afrikanische Konten im Ausland geht. Ich erinnere nur an Herrn Mobutu. Fragen Sie einmal nach, was aus den Forderungen geworden ist, Herr Fischer! Wir haben jahrelang gefordert, hier durchzugreifen. Aber es ist eben nicht möglich, jeden europäischen Staat zu dieser Auffassung zu bringen.
Bei aller Empörung, die ich ja teile: Sie täuschen doch nun wirklich die Öffentlichkeit, wenn Sie sagen, es läge nur an uns, wenn wir wollten, sei das alles schon wunderbar zu regeln, dann trete Herr Abacha schon zurück. Sie haben recht: A bas mit Abacha! Aber so leicht, wie Sie glauben, werden Sie das Ziel nicht erreichen. So einfach geht es nun leider nicht. Der Versuch ist unternommen worden.
Ich darf noch einmal sehr deutlich zum Ausdruck bringen: Wir haben den Antrag gestellt, die Konten zu sperren, und wir haben uns für ein Ölembargo eingesetzt. Aber wir haben uns damit in der Europäischen Union nicht durchgesetzt. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Wir können das hier gemeinsam beklagen, aber das ist die Realität.
Meine Damen und Herren, wir werden nicht nachlassen, alles zu tun, auch diese Möglichkeiten auszuschöpfen. Wir werden auch im Hinblick auf das, was noch drohen kann, nämlich weitere Hinrichtungen, alles tun, um schärfere Maßnahmen der Europäischen Union durchzusetzen. Sie können sicher sein, daß wir das tun. Für den März 1996 ist unser Bericht für Sie vorgesehen.
Ich bin selbstverständlich bereit, aufzuzählen, welche Maßnahmen inzwischen eingeleitet worden sind. Es gibt keinen Gegensatz zwischen den Forderungen der Bundesregierung und irgendeiner Gruppe in diesem Haus. Wir sind uns einig, daß es so nicht weitergehen kann in diesem Land. Aber die Vorschläge, die Sie hier machen, müssen natürlich auch durchsetzbar sein. Daran kranken wir doch. Es geht nicht darum, daß wir es nicht wollten, sondern darum, daß es international nicht ohne weiteres durchsetzbar ist. Das ist die Situation.
Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß sagen: Bei allem Entsetzen über die Vorgänge in Nigeria müssen wir natürlich ganz klar sehen, daß Entwicklungen, wie sie in Nigeria erfolgt sind, in Afrika keineswegs die einzigen sind, und daß es immer wieder zu solchen Entwicklungen kommen kann. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns rechtzeitig sagen würden, was wir dagegen tun können.
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- Frau Nickels, der Westen ist für mich ein Begriff, den Sie mir viel zu breit anlegen. Auch Ihre westlichen Vorstellungen werden in Afrika nicht von allen Menschen geteilt - bedauerlicherweise -, weil viele noch nicht soweit sind, wie Sie glauben.
Bei allem Verständnis für Ihre Kritik: Sie dürfen es sich nicht zu einfach machen. Seien Sie bitte bereit, mit uns gemeinsam über neue Machtmittel nachzudenken, die Ihre Partei bisher verweigert hat. Vielleicht kommen wir dann weiter.
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- Wir sind uns völlig einig, daß auch nichtmilitärische Machtmittel angestrebt werden müssen; darum geht es gerade. Sie werden die Menschenrechte in bestimmten Fällen - das hat Herr Fischer sehr deutlich zum Ausdruck gebracht - aber nicht nur mit solchen Mitteln schützen können, leider nicht. Wir würden es gern tun.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Abgeordneten Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatsminister, da Sie mich persönlich angesprochen haben, will ich Ihnen sofort und stehenden Fußes antworten. Ich habe die Debatte verfolgt. Obwohl ich kein Experte in Afrika-Fragen bin, war ich sehr beeindruckt von der von allen Fraktionen und der Gruppe dieses Hauses getragenen Ablehnung der brutalen Ermordung der Bürgerrechtler in Nigeria, des Justizmordes, von der Verurteilung dieses staatlichen Terrors und dem Bekenntnis zur Demokratie. Ich bedauere sehr, daß Sie dieser Debatte eine Richtung gegeben haben, zu der ich Ihnen direkt antworten muß.
Herr Kollege Schäfer, ich möchte Sie als Angehörigen der Bundesregierung darauf hinweisen: Wir streiten uns aus sehr guten Gründen darüber, ob ange- sichts des Wiederauftauchens von Völkermord - und nur in diesem Falle - der Einsatz von militärischer Gewalt als Ultima ratio legitim ist oder nicht. Ich sage Ihnen nochmals: Ich habe - obwohl ich anderer MeiJoseph Fischer ({0})
nung bin als andere in meiner Partei - den höchsten Respekt vor pazifistischen Grundüberzeugungen. In der deutschen Geschichte wäre vieles besser gelaufen, wenn es in Deutschland mehr und nicht weniger Pazifismus gegeben hätte.
Eines möchte ich dieser Bundesregierung entgegenhalten, Herr Schäfer. Die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung mit dieser Grundfrage zu verbinden, halte ich für ein starkes Stück.
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Man muß es ja nicht so weit treiben, daß man nach China fährt und als Bundeskanzler seinen Diener vor dem chinesischen Militär macht. Man muß es auch nicht so weit treiben, daß man beste Beziehungen zum Iran unterhält. Herr Kollege Schäfer, diese Debatte haben Sie begonnen; deshalb müssen Sie sich das vorhalten lassen: Die Wirtschaftsbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland und vor allen Dingen der deutschen Wirtschaft zu manchem diktatorischen Regime bedürfen der kritischsten Überprüfung. Daß die Bundesregierung ihre Möglichkeiten des zivilen Drucks auf Diktaturen wirklich ausnützt, bezweifle ich nachdrücklich.
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Deswegen, Herr Schäfer, möchte ich Ihnen folgendes sagen: Die Menschenrechtspolitik, die Verbindung von Geschäft und Menschenrecht, ist eine der ganz, ganz schlimmen Schwachstellen der Politik dieser Bundesregierung. Das sollten Sie nicht mit dieser Grundsatzfrage, die wir zu diskutieren und zu lösen haben, verknüpfen.
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Zu einer zweiten Kurzintervention erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Werner Schuster.
Herr Schäfer, ich möchte kein Öl ins Feuer schütten und bin froh, daß nachher eine einstimmige Resolution zustande kommt. Wir haben im Bundestag natürlich Erfahrungen mit einstimmigen Beschlüssen in ähnlicher Angelegenheit. Sie erinnern sich an die Diskussion Ruanda-Burundi vor vier Monaten.
Wir stellen heute fest, daß es natürlich erhebliche Umsetzungsdefizite gibt - aus welchen Gründen auch immer. In diesem Fall gibt es sie konkret von Nigeria. Ich habe verstanden, daß Herr Minister Kinkel auf europäischer Ebene keine Chance hatte. Könnten Sie sich nicht vorstellen, daß sich dann, wenn das Bundeskabinett diese Forderung übernähme und Bundeskanzler Kohl sie an diesem exemplarischen Beispiel zur Chefsache machte, in Europa doch etwas bewegen würde? Nur darum bitten wir Parlamentarier.
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Herr Staatsminister Schäfer, Sie können darauf entgegnen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kurzintervention des Kollegen Fischer zwingt mich noch einmal an das Rednerpult.
Ich glaube, ich habe in meiner Rede sehr deutlich gesagt, was wir von dem Vorgehen der nigerianischen Regierung halten. Die einzige Stimme, die in dieser Debatte von unserer Übereinstimmung, alles zu versuchen, um in Nigeria eine Veränderung der Verhältnisse zu erreichen, abgewichen ist, war die von Frau Kollegin Nickels. Dies geschah aus Erregung. Sie, Frau Nickels, kannten einen der Hingerichteten.
Sie haben auch Ihre Meinung zum Ausdruck gebracht, wir seien in der Lage, unsere Vorstellungen in einer Situation, in der andere Staaten nicht bereit sind, solche Vorstellungen zu übernehmen, rückhaltlos durchzusetzen. Das ist eine maßlose Überschätzung der Möglichkeiten jedweder Bundesregierung. Das wissen auch die Mitglieder früherer Bundesregierungen und die Afrikaexperten, die hier sitzen.
Ein Öl-Embargo kann auf Grund unserer europäischen Situation nicht national durchgesetzt werden. Selbst wenn wir dies allein täten, würde dies gerade 4 Prozent der Ölausfuhren betreffen. Über die 96 Prozent aber, auf die es ankommt, können Sie leider nicht entscheiden.
Sie, Herr Kollege Schuster, meinen, zur Chefsache gemacht, würde dies die Haltung der europäischen Nachbarstaaten verändern. Bei aller Hochachtung, die Sie hiermit für den Bundeskanzler an den Tag legen: Ich bin nicht so ganz davon überzeugt. Wenn es um sehr wesentliche wirtschaftliche Fragen geht, ist mancher Staat auch durch Herrn Kohl nicht mehr zu überzeugen. Das muß ich hier deutlich sagen; das wissen Sie aber auch selber.
Wir können doch nicht davon ausgehen, daß es uns gelingt, eine weitergehende Forderung, die wir aufgestellt und im Europäischen Rat in Gestalt des Außenministers vertreten haben, durchpeitschen zu können. Das ist leider nicht die Realität.
Herr Kollege Fischer, ich habe den Hinweis auf Ihre Partei ganz bewußt gebracht, und zwar nicht nur wegen Nigeria, sondern weil Sie dabei sind, sich in einer internen Debatte mit genau dem zu beschäftigen, was Frau Nickels hier ins Spiel gebracht hat, nämlich mit der Frage: Reichen die Machtmittel eines so mächtigen Staates nicht - das hat sie so fast wörtlich gesagt -, um etwas verändern zu können?
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- Das haben Sie gesagt, Frau Nickels. Darauf bin ich eingegangen. Das ist eine Frage, die Sie intern, innerhalb Ihrer Partei, zu klären haben. Das steht nicht im Zusammenhang mit Nigeria. Es ist vielmehr eine ganz generelle Frage.
Ich finde, es darf einfach nicht sein, daß hier moralische Ansätze in den Raum gestellt und Forderungen erhoben werden und die Bundesregierung für Verbrechen von Diktatoren schuldig gesprochen wird, die wir wie Sie ablehnen. Sie machen sich unglaubwürdig, wenn Sie nicht anfangen, über diese Machtmittel intensiver nachzudenken.
Soweit mein Hinweis, der deutlich macht, Herr Kollege Fischer, daß wir gar nicht so weit voneinander entfernt sind. Das darf ich hier noch einmal festhalten.
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- Ich sehe hier keine Gegensätze, Herr Kollege Bindig. Wir haben in der vergangenen Woche ein großes Menschenrechtsseminar durchgeführt, an dem eine Reihe von Mitgliedern des Unterausschusses teilgenommen haben. Dort sind sehr deutliche Worte gesprochen worden. Wir waren uns auch mit den Menschenrechtsorganisationen über unsere Politik weitgehend einig.
Ich lasse mir aber nicht gefallen, daß immer wieder der Versuch gemacht wird, Verbrechen, die in anderen Staaten vorkommen, im nachhinein der Bundesregierung anzulasten. Dagegen darf ich mich doch wohl als Vertreter dieser Bundesregierung noch wehren.
Vielen Dank.
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Ich muß den Kollegen, die sich jetzt noch zu Wort gemeldet haben, sagen, daß dies keine Wiedereröffnung der Debatte war, deren kurze Zeit Sie gemeinsam vereinbart haben. Es handelte sich vielmehr um die Entgegnung auf zwei Kurzinterventionen. Wenn die Debatte verlängert werden soll, muß das zwischen den Fraktionen vereinbart werden. - Ich sehe nicht, daß dies der Fall ist.
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Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. auf Drucksache 13/3178. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß dieser Antrag einstimmig angenommen worden ist.
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Ich drücke die Hoffnung des ganzen Hauses aus, daß die Bundesregierung die Einstimmigkeit dieser Annahme international nutzen wird, um ihren Einfluß in diesem Sinne geltend zu machen.
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Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. Dezember 1995, um 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.