Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/9/1995

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die Sitzung. Wir setzen die Haushaltsberatungen - Punkt I der Tagesordnung - fort: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996 ({0}) - Drucksachen 13/2000, 13/2593 - ({1}) Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses ({2}) Ich rufe den Einzelplan 09 auf: Einzelplan 09 Bundesministerium für Wirtschaft - Drucksachen 13/2609, 13/2626 Berichterstattung: Abgeordnete Kurt J. Rossmanith Dr. Wolfgang Weng ({3}) Manfred Hampel Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor. Ich weise darauf hin, daß wir über einen Änderungsantrag im Anschluß an die Aussprache namentlich abstimmen werden. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Manfred Hampel.

Manfred Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000798, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, die Besetzung auf der Regierungsbank ist ein Beleg dafür, welche Bedeutung die Bundesregierung der Wirtschaftspolitik beimißt. ({0}) - Ich sprach von der Besetzung der Regierungsbank. Es braucht nicht immer nur einer anwesend zu sein. Die Beratungen zum 96er Haushalt sind im Berichterstattergespräch und bei der Beratung des Einzelplanes - ({1}) - Kollege Rossmanith, ich wollte gerade sagen, daß die Beratungen in einer sachlichen und guten Atmosphäre verlaufen sind. Nun konterkarieren Sie das bitte nicht. Ich meinte das Berichterstattergespräch und auch die Beratungen des Einzelplanes. Am Ende haben sie jedoch eine Wende genommen, die es schwermacht, zur Tagesordnung überzugehen und eine „ganz normale" Haushaltsrede zu halten. Was uns für die Bereinigungssitzung vorgelegt wurde, war eine Desavouierung des Parlaments und ein Setzen auf die Zeitschiene nach dem Prinzip Hoffnung. Die Zukunft wird diese Bundesregierung einholen. Um dies zu sagen, muß man kein Prophet sein. Die Prognosen des Bundeswirtschaftsministers mußten für 1995 und auch für 1996 deutlich nach unten korrigiert werden. Trotz einer optimistischen Grundannahme im Sommer dieses Jahres hat der Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums bluten müssen. Rechnet man den Ersatz des Kohlepfennigs in Höhe von 8 Milliarden DM aus dem Haushalt heraus - das muß man, wenn der Vergleich mit früheren Jahren realistisch ausfallen soll -, sinkt der Haushalt im Vergleich zum Vorjahr um rund 20 Prozent. Dies geschieht zu einer Zeit, in der gestaltende Wirtschaftspolitik dringend nötig wäre. ({2}) Der Haushalt 1996 bietet keine ausreichenden Lösungsansätze für die wirtschaftlichen ZukunftsaufManfred Hampel gaben, insbesondere für die Aufgabe des Aufbaus der Entwicklung der Wirtschaft in den neuen Ländern. In einem Bericht verschiedener Wirtschaftsforschungsinstitute an das Bundeswirtschaftsministerium werden gravierende Strukturdefizite der ostdeutschen Wirtschaft aufgezeigt. Nach wie vor nimmt die Zahl der Insolvenzen zu, und die Existenz vieler mittelständischer Unternehmen ist auf Grund von nicht ausreichendem Eigenkapital gefährdet. Mit ein paar Beispielen will ich aufzeigen, wie weit wirtschaftliche Notwendigkeiten und wirtschaftspolitisches Handeln dieser Bundesregierung auseinanderfallen. ({3}) Erstes Beispiel: Im Jahre 1994 wurden nur knapp 70 Milliarden DM an Waren und Dienstleistungen außerhalb der neuen Bundesländer abgesetzt, davon 30 Milliarden DM in die alten Bundesländer. Dem standen Bezüge von 290 Milliarden DM gegenüber. Mit 220 Milliarden DM ist die Differenz erschreckend groß, bringt die Bundesregierung aber nicht zu der Schlußfolgerung, Absatzförderung in gleicher oder gar erweiterter Höhe zu betreiben. Die Förderung des Absatzes ostdeutscher Produkte wird statt dessen von 60 Millionen DM auf 40 Millionen DM gesenkt. Wie paßt dies zusammen? Zweites Beispiel: Eine Schwachstelle des Wachstumsprozesses ist die Situation von Forschung und Entwicklung. Sie ist für den Aufbau der Wirtschaft von großer Bedeutung. Ausgerechnet in diesem Bereich ist der Arbeitsplatzabbau in den neuen Ländern dramatisch gewesen. Von den Anfang 1990 rund 86 000 Beschäftigten im Bereich Forschung und Entwicklung waren Ende 1994 nur noch knapp 16 000 tätig. Das ist ein Rückgang um 80 Prozent, dem wir nicht tatenlos zusehen sollten. ({4}) Die Schaffung der Konkurrenzfähigkeit und die erfolgreiche Behauptung auf den Absatzmärkten verlangt von den Unternehmen, neue bzw. verbesserte Produkte und Verfahren einzuführen. Die Vernachlässigung von Forschung und Entwicklung erschwert dies erheblich. Die Förderprogramme der vergangenen Jahre vermochten diesen Problemen trotz vielfältiger positiver Wirkungen nicht ausreichend zu begegnen. Das heißt aber, daß eine Reduzierung oder gar Beendigung der Innovationsförderung jetzt nicht zur Diskussion stehen dürfte. Das Gegenteil muß der Fall sein. Wie verhält sich nun die Bundesregierung vor diesem Hintergrund? Die im Etat eingeplanten Mittel für das Sonderprogramm FuE neue Länder werden kurzerhand um 72 Millionen DM gekürzt. ({5}) Zwar hat sich die Koalition letztlich doch noch aufgerafft, den Baransatz um 60 Millionen DM aufzustokken. Trotzdem bleibt eine Absenkung um 12 Millionen DM in einem Bereich, der zu einem Wachstumsmotor entwickelt werden müßte. Meine Damen und Herren, lassen Sie sich sagen: Das ist nun wirklich am falschen Ende gespart. ({6}) Drittes Beispiel: Nach mehr als fünf Jahren deutscher Einheit besteht nach wie vor ein grundlegender struktureller Unterschied zwischen Ost und West. Nach allen vorliegenden Erkenntnissen ist der Aufbau einer neuen Wirtschaftsbasis nur in solchen Branchen und Unternehmen gelungen, die für regional begrenzte Märkte produzieren. Im industriellen Sektor ist es bisher nicht gelungen, ausreichend international wettbewerbsfähige Arbeitsplätze zu schaffen. Eine gesunde industrielle Basis ist aber unbedingt notwendig, um auf Dauer die neu entstandenen Dienstleistungsarbeitsplätze zu sichern und letztlich die Transferleistungen aus dem Westen abzubauen. Der Weg zu einer stabilen industriellen Beschäftigungsbasis erweist sich trotz gewachsener Investitionen im verarbeitenden Gewerbe als außerordentlich schwierig. Die wirtschaftswissenschaftlichen Institute warnen in ihrem Herbstgutachten ausdrücklich vor dem Trugschluß, erstens sei den wirtschaftlichen Aspekten der deutschen Einigung weitgehend Rechnung getragen, zweitens sei der Aufholprozeß in Ostdeutschland damit auf die Schiene gesetzt und demzufolge stünde drittens einem Abbau der öffentlichen Transfers von West nach Ost nichts mehr im Wege. Allzuleicht, so heißt es im Gutachten weiter, entstehe der Eindruck, Ostdeutschland sei eine besonders dynamische Region, weil sie die höchsten Wachstumsraten in Europa aufweise. Dieser Eindruck ist jedoch falsch, da man allein aus hohen Wachstumsraten noch nicht zwangsläufig auf eine eigenständige Dynamik schließen kann. ({7}) Im Gegenteil, so die Institute: Sollten die Transferleistungen abgebaut werden, werde sich die ostdeutsche Wirtschaft als zu schwach für einen selbsttragenden Aufschwung erweisen. ({8}) Wie reagieren nun die Bundesregierung und die Regierungskoalition auf diese Warnungen? Die Mittel für die Zuweisungen an die neuen Länder im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" wurden im Entwurf von 3,75 Milliarden DM auf 3,25 Milliarden DM zusammengestrichen. Die Koalition legte noch eines drauf, indem in der Bereinigungssitzung die Mittel um weitere 50 Millionen DM gekürzt wurden. Noch schlimmer sieht es in der mittelfristigen Finanzplanung aus. Bis zum Jahr 1999 sollen diese Mittel um rund 2,9 Milliarden DM auf 855 Millionen DM zurückfallen. ({9}) Dies ist für uns Sozialdemokraten nicht hinnehmbar. Vielmehr ist eine Verstetigung in einer Höhe erforderlich, die den wirtschaftlichen Notwendigkeiten in Ostdeutschland ausreichend Rechnung trägt. ({10}) Angesichts der dramatischen Haushaltslage auch der Länder darf das Bund-Länder-Verhältnis bei der Gemeinschaftsaufgabe „Ost" kein Tabu sein. Durch die hohen Steuerausfälle auf Länderebene werden die Länder künftig ihren Anteil nicht in vollem Umfang kofinanzieren können. Die Folge: Ein Teil der Mittel fließt nicht ab, und dringend notwendige Investitionen unterbleiben. Die Kofinanzierungsquote sollte deshalb alsbald zugunsten der Länder verändert werden. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir an dieser Stelle eine Bemerkung, die nichts direkt mit dem Haushalt zu tun hat; ich habe auch lange überlegt, ob ich sie hier bringen soll. Aber ich denke, sie paßt in das allgemeine Bild und muß gesagt werden. In einem Artikel im „Münchner Merkur" vom 3. November 1995 unter der Überschrift „Keine DM für PDS-Wähler" wird der Landesvorsitzende der Jungen Union in Bayern, Markus Söder, mit den Worten zitiert: Wer die PDS wählt, braucht keine D-Mark. Es geht nicht an, ständig über den Westen zu schimpfen und die PDS-Fuzzis zu wählen, aber gleichzeitig den Aufbau vor Ort allein aus dem Westen mit dem Solidaritätszuschlag zu finanzieren. Herr Söder fügte dann noch hinzu, nun sei die Schmerzgrenze erreicht. Meine Damen und Herren, solche Äußerungen sind ein Skandal. ({11}) Ich hätte auf dieses Zitat gern verzichtet, wenn irgendein kleines Licht in der CDU/CSU dies gesagt hätte. Aber es handelt sich immerhin um den Landesvorsitzenden der Jungen Union in Bayern. ({12}) Mit ihrer verfehlten Wirtschaftspolitik und den daraus resultierenden sozialen Unsicherheiten hat diese Bundesregierung der PDS schon viel zuviel Wähler in die Arme getrieben. ({13}) Wenn Sie wollen, daß noch mehr Menschen PDS wählen, dann müssen sich nur solche Stimmen mehren. ({14}) Aber zurück zum Haushalt und zu meinem vierten Beispiel. Auch am Beispiel der Förderung von Fernwärmeanlagen läßt sich die Dissonanz zwischen wirtschaftlicher Notwendigkeit und dem wirtschaftspolitischen Handeln dieser Koalition demonstrieren. Gerade unter den Aspekten der Modernisierung der Energieversorgung und des notwendigen ökologischen Umbaus der Industrie sind die Sanierung und der Ausbau der Fernwärme ein wesentlicher Beitrag. ({15}) Wir haben mit einem Erhöhungsantrag von 100 Millionen DM die notwendige Fortführung des Fernwärmesanierungsprogramms über 1995 hinaus wenigstens teilweise sichern wollen. Dies wurde von der Regierungskoalition natürlich prompt abgelehnt. Meine Damen und Herren von der Koalition, etwas mehr Sensibilität in der Energie- und Umweltpolitik würde auch Ihnen gut anstehen. ({16}) Meine Damen und Herren, ich möchte auch ein paar positive Beispiele nennen, die in den Berichterstattergesprächen und den Haushaltsberatungen erzielt werden konnten. Das ist die Erhöhung erstens der Kosten der Beteiligung des Bundes an ausländischen Messen und Ausstellungen im Bereich der gewerblichen Wirtschaft von 60 auf 65 Millionen DM, zweitens der Pflege der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland von 55 auf 57 Millionen DM, drittens der Förderung von Lehrgängen der überbetrieblichen und beruflichen Bildung im Handwerk von 67,5 auf 69,5 Millionen DM. Letztlich will ich auch die Erhöhung des Sonderprogramms FuE neue Länder um 60 Millionen DM erwähnen, wobei der Wermutstropfen allerdings ist, daß 50 Millionen DM dieser Erhöhung aus der Gemeinschaftsaufgabe „Ost" geschnitten wurden. Positiv will ich auch anmerken, daß die Einrichtung von Umwelt-Area-Managern bei den Außenhandelskammern durch die Bereitstellung von Mitteln ermöglicht wird. Ausdrücklich begrüße ich, daß sich die Bundesregierung bei der Durchführung der Weltausstellung Expo 2000 durch Beteiligung an der Betreibergesellschaft und an der Schaffung eines Generalkommissariats finanziell engagiert. ({17}) Dieses Generalkommissariat ist jedoch trotz der privatrechtlichen Konstruktion Zuwendungsempfänger. Nach der Vorlage von sehr globalen Wirtschaftsplänen im Anfangsstadium erwarte ich für 1996 und die nachfolgenden Jahre detaillierte Wirtschaftspläne und Abrechnungen. Meine Damen und Herren, ein Dorn im Auge ist mir auch der Sitz des Büros in Berlin. Das Gegenargument lautet, man könne die organisatorischen Leistungen für die Expo 2000 ebensogut von Berlin aus erbringen. Ich denke aber: Der Sitz des Generalkommissariats hat für die Expo eine gewisse symbolische Bedeutung. Sie findet nun einmal nicht in Berlin, sondern in Hannover statt. Deshalb gehört das Büro dorthin. Außerdem könnte ich mir vorstellen, daß die Organisation der Veranstaltung von Hannover aus wesentlich kostengünstiger zu bewältigen ist. Dabei denke ich nur an die Posten „Mieten" und „Reisekosten". Meine Damen und Herren, in diesem Jahr sind die Zinszuschüsse für die Schiffswerften als Verpflichtungsermächtigung in die Haushalte 1997 und 1998 eingestellt worden. Die Bundesregierung ist dabei von einer hälftigen Finanzierung durch Bund und Länder ausgegangen. Der Sache nach handelt es sich um eine Reederhilfe, die seit jeher zu 100 Prozent Aufgabe des Bundes war. Unseren diesbezüglichen Antrag hat die Koalition abgelehnt. In den letzten Tagen hat es eine Entwicklung gegeben, die es notwendig macht, über das Thema Werftenhilfe erneut zu reden. ({18}) Das OECD-Abkommen wird wahrscheinlich nicht, wie ursprünglich geplant, Ende dieses Jahres in Kraft treten. Die USA und Japan haben dieses Abkommen nämlich noch nicht ratifiziert. Weiterhin läuft die 7. EU-Schiffsbau-Beihilfe-Richtlinie nicht Ende des Jahres aus, sondern ist um neun Monate verlängert worden. Die Bundesregierung muß schnellstens handeln, damit die deutsche Werftindustrie nicht weitere Wettbewerbsnachteile hinnehmen muß. ({19}) Meine Damen und Herren, in diesem Jahr werden in den Bundeshaushalt erstmals Mittel für den Ersatz des Kohlepfennigs eingestellt. Eine steuerliche Gegenfinanzierung ist am Widerstand der F.D.P. gescheitert. Dies hat zur Folge, daß die Strompreise für die Verbraucher in Westdeutschland niedriger geworden sind. In Ostdeutschland waren die Strompreise durch den riesigen investiven Nachholbedarf der Energieversorgungsunternehmen ohnehin schon höher. Durch den Wegfall des Kohlepfennigs ist die Differenz und damit auch der Wettbewerbsnachteil der ostdeutschen Industrie größer geworden. Eine schnelle Lösung ist dringend erforderlich. Da stehen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, in der Verantwortung. ({20}) Meine Damen und Herren, ich bin mir durchaus bewußt, daß alle meine Beispiele auf Erhöhungsanträge hinauslaufen, die in der derzeitigen Haushaltssituation und ohne grundlegende strukturelle Änderungen im Bundeshaushalt nicht realisierbar sind. Deshalb haben wir auf konkrete Anträge in der zweiten Lesung verzichtet. Nur: Wenn es diese kritische Situation nun einmal erfordert, hätte die Bundesregierung, insbesondere aber der Bundesfinanzminister, den Mut zu einer Ergänzungsvorlage haben müssen, ({21}) bei der es von A wie Absatzförderung ostdeutscher Produkte bis Z wie Zuschüsse für die Steinkohleindustrie keine Tabus geben darf. Leider hat Sie der Mut offenkundig verlassen, oder besser: Sie hatten ihn eigentlich noch nie.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weng?

Manfred Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000798, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Hampel, Sie haben gerade gesagt, Sie hätten auf eine eigene Vorlage zur strukturellen Veränderung des Haushalts verzichtet. Man kann natürlich als Opposition auf Mitwirkung verzichten; das haben Sie mehrfach gezeigt. Die Frage, ob das sinnvoll ist, überlasse ich der Bewertung durch die Öffentlichkeit. Gestehen Sie mir aber zu, daß Ihre Fraktion an all den Stellen, an denen die Koalition im Augenblick strukturverbessernde gleich ausgabensenkende, zum Teil natürlich auch sozialen Überhang egalisierende Gesetze auf den Weg gebracht hat, diesen Gesetzen widerspricht? ({0})

Manfred Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000798, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Weng, Sie haben die Antwort auf diese Frage eigentlich schon selbst gegeben, indem Sie vom sozialen Überhang gesprochen haben. Ich weiß nicht, wo in der Bundesrepublik nach dem Abbau von Sozialleistungen in erheblicher Größenordnung noch ein Überhang besteht. ({0}) Ich denke, Sie disqualifizieren sich mit dieser Frage, Herr Kollege Weng, selbst. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie noch eine Zusatzfrage?

Manfred Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000798, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung. In meinem Beitrag habe ich eine strukturelle Veränderung gefordert. Damit habe ich eine Forderung von Ihnen aufgegriffen, die Sie vor der Bereinigungssitzung erhoben haben. Sie müßten genauso wie ich dazu stehen. Wir sollten uns alle zusammensetzen und sagen, daß der Haushalt in dieser Form nicht realisierbar ist und wir in vielen Bereichen Einschnitte machen müssen. ({0}) Da fällt Ihnen nur der soziale Bereich ein. Es gibt eine ganze Menge anderer Bereiche, in denen das ebenso notwendig wäre. ({1}) Wenn wir das, Herr Kollege Weng, nicht gemeinsam schaffen und wir weiter wursteln wie bisher, dann werden wir - das sieht man, wenn man sich die Wirtschaftsprognosen des kommenden und der nachfolgenden Jahre ansieht -, nicht aus den roten Zahlen herauskommen. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Hampel, unterstellt, daß strukturelle Änderungen ohne Eingriffe in Transferleistungen, also in Sozialgesetze, nicht möglich sind - beim Gewerkschaftstag der IG Metall vorige Woche ist man zu dieser Überzeugung gekommen; Sie sagen, daß in vielen anderen Bereichen solche Möglichkeiten gegeben seien -: Warum machen Sie dann keinen einzigen Vorschlag, der in den finanziellen Dimensionen tatsächlich solche notwendigen Einsparungen aufzeigt? Warum verweigern Sie sich bei der Gesetzgebung?

Manfred Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000798, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Weng, erstens steht die Regierung in der Bringpflicht, und zweitens habe ich auch Ostthemen angeschnitten, als ich gesagt habe: von A wie Absatzförderung ostdeutscher Produkte. Ich meine nicht, daß bestimmte Tabus von vornherein existieren dürfen, sondern man muß über alle Ebenen kritisch an die Etatansätze herangehen; dann darf es keine Tabus geben, weder im steuerlichen noch im sozialen Bereich. Wenn wir es nicht alle gemeinsam schaffen, diesen Haushalt zu konsolidieren, dann wird es in Zukunft eine wirtschaftliche Entwicklung, die es ermöglicht, soziale Leistungen wieder anzuheben, nicht geben.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Hampel, eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Mosdorf.

Siegmar Mosdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hampel, wären Sie bereit, dem Kollegen Weng mitzuteilen, ({0}) daß wir im Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages zehn konkrete Änderungsanträge gestellt haben, um die Außenwirtschaftspräsenz der deutschen Wirtschaft zu erhöhen - bei den Kammern, bei den Messen und anderen Gelegenheiten -, und daß dies leider von der Koalitionsmehrheit abgelehnt worden ist? ({1}) Wären Sie bereit, ihm mitzuteilen, daß wir ein Innovationsprogramm im Wirtschaftsausschuß vorgelegt haben, das ebenfalls konkrete Förderungen vorgesehen hat, zum Beispiel beim Handwerk und beim Mittelstand, und daß dies ebenfalls von der Koalitionsmehrheit abgelehnt worden ist? Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Bereitschaft erklären könnten. ({2})

Manfred Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000798, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Mosdorf, natürlich erkläre ich gerne diese Bereitschaft, aber diese Beispiele kennt Herr Kollege Weng alle, denn wir haben sie alle in der Beratung des Einzelplanes in den Haushaltsausschuß eingebracht und ausführlich besprochen. ({0}): Und wie hat er da abgestimmt?) Ich möchte zum Schluß kommen. Trotz der wenigen Positivbeispiele, die ich genannt habe, überwiegen die Fehler und die strukturellen Mängel dieses Haushalts. Deswegen lehnen wir Sozialdemokraten diesen Einzelplan ab. Schönen Dank. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Kollege Kurt Rossmanith. ({0})

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte an sich, lieber Herr Kollege Schwanhold, gerne diese Debatte über den Haushalt des Bundesministers für Wirtschaft wieder damit begonnen, allen Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß für die faire und sachliche Beratung des Einzelplanes zu danken. Aber ich kann leider Gottes diesen Dank nur auf den ersten Teil der Beratungen beziehen, einfach deshalb, weil die Opposition durch ihren spektakulären Auszug aus der Bereinigungssitzung - sie hat jedenfalls gemeint, es wäre spektakulär - diesen Dank nicht verdient hat. Der Dank wäre vielleicht insofern angebracht, als die Beratungen in der Bereinigungssitzung dadurch wesentlich schneller vonstatten gingen. Nachtsitzungen bis zwei, drei Uhr morgens haben wir uns erspart, was auch ein Stück Ökonomie darstellt und von daher auch im Hinblick auf den Einzelplan des Bundesministers für Wirtschaft durchaus sinnvoll ist. Wie gesagt, für die Zeit bis zur Bereinigungssitzung mein Dank an alle Kolleginnen und Kollegen, und ab diesem Zeitpunkt, leider Gottes, muß ich sagen, kann ich nur noch den Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen danken. ({0}) Ich habe keinerlei Verständnis für dieses Verhalten der Opposition; denn bis zu diesem Zeitpunkt haben wir uns von allen Seiten wirklich ernsthaft, ehrlich und konstruktiv um eine Haushaltsgestaltung bemüht. Ein Boykott ist kein Ersatz für eine solide Haushaltspolitik. Jede Schätzung, und eben auch eine Steuerschätzung, ist mit einem Element der Unsicherheit behaftet. ({1}) Deshalb hat es ja auch in den früheren Jahren immer Abweichungen von diesen Schätzungen gegeben, Frau Kollegin. Die Gründe, warum die Abweichung in diesem Jahr besonders groß war, sind ja bereits ausführlich im Laufe dieser Woche dargelegt worden. Ich möchte sie deshalb nicht wiederholen. Der Bundesminister der Finanzen hat verantwortungsbewußt reagiert und sehr schnell Deckungsvorschläge vorgelegt, was in dieser kurzen Zeit wirklich eine anerkennenswerte Leistung darstellt, für die ich mich ausdrücklich bedanken möchte. ({2}) Aber anstatt darüber im Haushaltsausschuß zu diskutieren, haben Sie, meine verehrten Damen und Herren von der Opposition, es eben vorgezogen, den Saal zu verlassen und sich aus dieser Debatte - gerade daran teilzunehmen wäre Ihre Verantwortung gewesen - auszuklinken. Ich weiß zwar nicht, was Sie damit bezwecken wollten, aber was Sie in der Öffentlichkeit erreicht haben, ist der nachhaltige Eindruck, daß Sie offensichtlich nicht in der Lage waren, in dieser schwierigen Haushaltssituation einen eigenen konstruktiven Beitrag zu leisten. Das hat sich ja bis heute gezeigt. ({3}) Ein anschauliches Beispiel für das widersprüchliche haushaltspolitische Verhalten der SPD bietet ja auch der heute zu beratende Einzelplan 09 des Bundesministers für Wirtschaft. Während Sie auf der einen Seite lauthals das hohe Defizit auf Grund der Einnahmeausfälle beklagen, haben Sie andererseits noch für die Bereinigungssitzung Erhöhungsanträge allein für diesen Haushalt in Höhe von 310 Millionen DM für das Jahr 1996 gestellt, ohne daß Sie auch nur, lieber Kollege Hampel, einen einzigen Deckungsvorschlag mit unterbreitet hätten. Da drängt sich natürlich schon die Frage auf: Weiß denn in der SPD tatsächlich nicht mehr die Linke, was die Rechte tut? Seit Monaten hat man diesen Eindruck, daß es in der Tat so ist. ({4}) - Ja sicher, es sind ja in der Zwischenzeit Linke und Rechte. Man wird draußen schon gefragt - aber das ist nicht mein Thema -, ob die SPD noch eine Partei ist oder ob es sich da schon um mehrere, zumindest um zwei Parteien handelt. Ich will mich hier aber auf den Haushalt des Bundeswirtschaftsministers beschränken und nicht auf parteitaktische Fragen eingehen. ({5}) Lieber Kollege Schwanhold, unsere Meinungen sind in vielen Bereichen sehr ähnlich, wenn nicht sogar deckungsgleich. Ich komme darauf noch zu sprechen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Rossmanith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hampel?

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Manfred Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000798, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Rossmanith, können Sie mir zustimmen, daß in dem Einzelplan des Bundeswirtschaftsministers so wenig Luft ist, daß man aus diesem Einzelplan nur schwer Deckungsvorschläge bringen kann, und daß, wenn ich von strukturellen Änderungen gesprochen habe, damit gemeint ist, daß im gesamten Bundeshaushalt Änderungen vorgenommen werden müssen?

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nur, lieber Herr Kollege Hampel, 60 Milliarden DM Defizit bleiben 60 Milliarden DM Defizit, die über alle Haushalte auszugleichen sind, Ich kann jetzt nicht sagen: Da machen wir nichts, und dort machen wir mehr. Ich werde im Laufe meiner Ausführungen noch darauf eingehen, wo nach meiner Meinung und nach Meinung der Regierungsfraktionen strukturelle Änderungen notwendig sind. Daß strukturelle Änderungen in diesem Haushalt natürlich erforderlich sind, darin sind wir uns einig. Aber wo sie vorgenommen werden müssen, da sind wir, glaube ich, unterschiedlicher Meinung.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Rossmanith, gestatten Sie eine weitere Frage des Kollegen Weng?

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Kollege Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Rossmanith, zur Logik dessen, was wir gerade zu dem einen Einzelplan gehört haben: Wenn die SPD bei jedem einzelnen Einzelplan sagt, in dem könne nicht gespart werden, dann aber erklärt, beim Gesamthaushalt müßten enorme Einsparanstrengungen gemacht werden, ist das logisch?

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich danke Ihnen, Herr Kollege Dr. Weng. Ich habe versucht, deutlich zu machen, daß hier keine Logik zu erkennen ist und daß es eine Zwiespältigkeit innerhalb der SPD gibt, wenn sie sagt: Immer beim anderen. ({0}) Bundesminister Blüm hat das einmal treffend ausgedrückt: Bei der SPD kommen die ein paar Jahre später auch auf den Gedanken; jeder redet vom Sparen und fummelt am Gürtel des anderen herum; der solle ihn enger schnallen. ({1}) Aber in dem bestimmten Bereich muß noch draufgesattelt werden. So geht es halt nicht. ({2}) So sieht auch nicht verantwortungsvolle und verantwortungsbewußte Haushaltspolitik aus. Es war immer eine Stärke gerade der Haushälter - wenn ich das jetzt einmal so sagen darf -, daß wir uns alle auch bei unterschiedlichen Meinungen bei dem Geld, das wir den Steuerzahlern Jahr für Jahr abverlangen, verantwortungsbewußt gezeigt haben. ({3}) Ich glaube, daß der Bundeshaushalt 1996, auch dieser Einzelplan für den Bundesminister für Wirtschaft, aufzeigt, daß die Konsolidierungspolitik konsequent fortgesetzt wird. Die Gesamtausgaben sind insgesamt rückläufig. Ich habe Ihnen, lieber Kollege Hampel, in meiner Antwort schon aufgezeigt: Wir sind mit der Nettoneuverschuldung knapp unter 60 Milliarden DM geblieben. Aber das ist natürlich zuviel. Natürlich muß die Neuverschuldung in Zukunft weiterhin abgebaut werden. In der mittelfristigen Finanzplanung ist das auch vorgesehen. An vielen Stellen würden wir gerne sagen: Da könnte man und sollte man die Sache vielleicht etwas lockerer betrachten. Aber unter dem Zwang, daß wir nur ganz knappe Finanzmittel haben, ist es erforderlich, daß wir uns darüber Gedanken machen, was wirklich notwendig ist. Das ist die große Herausforderung der Zukunft für die Wirtschafts- und für die Finanzpolitik. Denn nur mit einer Rückführung der Staatsverschuldung und einer weiteren Senkung der Abgabenquote können wir Voraussetzungen für mehr Wachstum und Beschäftigung schaffen und damit die künftige Entwicklung des Wirtschaftsstandortes Deutschland sichern. Gerade in der Wirtschaftspolitik muß man bei der Bewältigung dieser zentralen Aufgabe insbesondere der Globalisierung der Märkte mit Rechnung tragen. Mit immer leistungsfähigeren Transport-, Kommunikations- und Informationsmitteln wächst die Weltwirtschaft zunehmend enger zusammen. Deutschland kann ebensowenig wie andere Industrieländer darauf bauen, daß sein bisheriger Vorsprung in Technik und Produktivität schlicht und einfach den weiteren Wohlstand sichert. Immer mehr Produkte sind dem internationalen Kostenwettbewerb ausgesetzt. Kapital kann heute problemlos rund um den Globus verschickt werden. Neue Arbeitsplätze entstehen eben dort, meine Damen und Herren, wo den Investoren die günstigsten Rahmenbedingungen geboten werden. ({4}) Das bedeutet aber: Nur wer auch international wettbewerbsfähig ist, kann Arbeitsplätze und Wohlstand sichern. ({5}) Die Bundesregierung ist mit ihrer wirtschaftspolitischen Konzeption auf dem richtigen Weg. Das heißt Senkung der Abgabenquote, Abbau von Investitionshemmnissen, Reform der Unternehmensbesteuerung, Stärkung der Privatinitiative und Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt. ({6}) Das sind, liebe Frau Kollegin Fuchs, im Moment und in dieser Situation die Gebote der wirtschaftspolitischen Vernunft. ({7}) - Genau das sind sie, wenn wir weiterhin auf dem internationalen Markt unsere Position behaupten wollen. ({8}) Zu einer solchen modernen Wirtschaftspolitik gibt es eben keine Alternative. Sehen Sie, Frau Fuchs, das hat auch Ihr niedersächsischer Kollege Ministerpräsident Schröder erkannt. Er hat vor einiger Zeit Ihrer Partei ins Stammbuch geschrieben, es gebe keine sozialistische oder sozialdemokratische und keine konservative Wirtschaftspolitik, sondern es gibt eben eine moderne und eine unmoderne Wirtschaftspolitik. Hören Sie doch gelegentlich auch auf ihn! Manchmal bringt er in der Tat auch durchaus vernünftige Vorschläge. ({9}) - Ich würde mich freuen, wenn sich diese Erkenntnis, die er zum Ausdruck gebracht hat, bei Ihnen insgeKurt J. Rossmanith samt durchsetzen würde, denn gerade Ihr Zwischenruf, Frau Kollegin Fuchs, zeigt ja wieder, daß die Verteilungspolitik, die Sie weiterhin auf Ihre Fahnen schreiben, kein Ersatz für Wirtschaftspolitik sein kann. Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wird gerade in den kommenden Jahren die besondere Aufmerksamkeit unserer Wirtschaftspolitik verlangen. Dazu gehört auch die Stabilisierung des Aufholprozesses der ostdeutschen gegenüber der westdeutschen Wirtschaft. ({10}) - Also lieber Kollege Diller, ich würde Ihnen empfehlen: Hören Sie doch zu! Wenn Sie schon aus dem Haushaltsausschuß ausziehen und hier keinen Lernerfolg hatten, dann hören Sie wenigstens jetzt einmal zu, wenn über moderne Wirtschaftspolitik gesprochen wird. Wenn Sie schon Ihrem Parteikollegen Schröder nicht zuhören wollen, dann hören Sie vielleicht in diesem Hohen Hause zu. Ich bin überzeugt, Sie können das eine oder andere noch dazulernen; Sie sollten nicht mit Zwischenrufen nun ablenken wollen. ({11}) - Ich weiß, es tut weh, was ich Ihnen sagen muß. ({12}) - Ertragen Sie es doch mit Gelassenheit! Setzen wir uns hinterher wieder zusammen! Denn die Bilanz, die wir jetzt nach fünf Jahren Wiedervereinigung vorlegen können, ist in vielfacher Hinsicht positiv, insbesondere auch, glaube ich, im wirtschaftspolitischen Bereich. Dennoch - das muß man natürlich auch kritisch sagen - ist der Wettbewerbsrückstand der Wirtschaft in den neuen Bundesländern immer noch erheblich. Staatliche Förderprogramme, vor allem Anreize für private Investoren, sind deshalb - ich sehe das ebenfalls so - weiterhin erforderlich. ({13}) Dies wird ja auch von den wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten in ihrem Herbstgutachten so gesehen. Allerdings weisen diese Institute mit Recht darauf hin, daß die Effizienz des Mittelansatzes gerade angesichts knapper Kassen erhöht werden sollte. Ich möchte hinzufügen, daß auch die neuen Länder verstärkt in diesem Bereich Verantwortung übernehmen müssen, zumal ja ihre Finanzausstattung in den letzten Jahren ganz erheblich verbessert worden ist. ({14}) So stellen im Haushalt des Bundesministers für Wirtschaft die Hilfen für die neuen Länder mit rund 5,5 Milliarden DM nach wie vor einen besonderen Schwerpunkt dar. Ich weiß, daß sich manche, auch aus den eigenen Regierungsfraktionen, noch höhere Beträge gewünscht hätten. Aber angesichts der Haushaltssituation war nicht alles, was wünschenswert ist, auch realisierbar. Immerhin ist es in den abschließenden Beratungen ja noch gelungen, die Mittel für die Forschungsförderung für die neuen Bundesländer um 60 Millionen DM aufzustocken ({15}) und damit eine Reduzierung gegenüber dem Niveau des laufenden Jahres 1995 zu vermeiden. ({16}) Das Entstehen wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstrukturen hängt nicht zuletzt von leistungsfähigen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten ab. Der starke Abbau dieser Kapazitäten in den neuen Ländern unmittelbar nach der Wiedervereinigung konnte inzwischen mit Hilfe der staatlichen Fördermaßnahmen gestoppt werden. Aber nach wie vor wenden ostdeutsche Unternehmen im Vergleich zum Westen viel weniger Geld für Investitionen auf. Dabei ist die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren eine entscheidende Voraussetzung für die Überlebensfähigkeit der Betriebe. Deshalb ist es gut und richtig, für eine Übergangszeit noch gezielte finanzielle Anreize für den Aus- und Aufbau der Industrieforschung in den neuen Ländern zu gewähren. Ein weiterer kritischer Punkt in diesem Zusammenhang ist natürlich die Eigenkapitalschwäche vieler Unternehmen in den neuen Bundesländern. Hier setzt das Eigenkapitalhilfeprogramm an, das auch im nächsten Jahr in einem angemessenen Rahmen fortgeführt werden kann. Sicherheitshalber hat die Koalition die Verpflichtungsermächtigung für dieses Programm noch etwas erhöht, damit kein Antrag wegen fehlender Mittel abgelehnt werden muß. ({17}) Ein besonderer Schwerpunkt bleibt die Investitionsförderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", auch wenn das hohe Fördervolumen der Jahre 1993 und 1994 nunmehr schrittweise zurückgeführt wird. Ich halte diese Rückführung auch für gerechtfertigt, zumal die Infrastruktur in den neuen Ländern inzwischen gut ausgebaut ist und die Mittel vermehrt auf gewerbliche Investitionen konzentriert werden können. Einschließlich der Länderanteile und der EU-Mittel steht im nächsten Jahr ein Bewilligungsvolumen von rund 7,2 Milliarden DM - ich sage es noch einmal: 7,2 Milliarden DM! - zur Verfügung. Damit können erfahrungsgemäß Investitionen der gewerblichen Wirtschaft in der Größenordnung von etwa 35 Milliarden DM unterstützt werden. Die Gemeinschaftsaufgabe leistet deshalb unverändert einen herausragenden Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Unternehmen sowie zur Schaffung und Sicherung der Arbeitsplätze. Der Gesamthaushalt des Bundeswirtschaftsministers umfaßt rund 18,5 Milliarden DM. Wesentlich mehr als die Hälfte davon, rund 10 Milliarden DM, entfallen allein auf die Hilfen für den Steinkohlebergbau. Natürlich mußte nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine andere Lösung als bisher gefunden werden; der Kohlepfennig konnte so nicht mehr beibehalten werden. Daß sich dies im Haushalt niederschlagen mußte, schmerzt uns natürlich. Auf der anderen Seite sehe ich darin aber auch eine Chance: Einer breiten Öffentlichkeit wird jetzt erstmals deutlich gemacht, welche Hilfen allein für den Steinkohlebergbau nötig sind. Ich glaube, daß hier auch die Revierländer gefragt sind und sie ihre besondere Verantwortung für den Bergbau und seine Beschäftigten wahrnehmen müssen. Diese Förderungen dürfen auf Dauer nicht allein vom Bund aufgebracht werden müssen. Wir müssen diese Politik insofern fortsetzen, als wir diese Hilfen, degressiv gestaltet, auch weiterhin gewähren. ({18}) Auch im Bereich von Bildung und Ausbildung haben wir Wesentliches geleistet. Wir haben allen Wirtschaftsunternehmen, insbesondere dem Handwerk, für ihre Ausbildungsbereitschaft zu danken. ({19}) Derzeit werden über 600 000 Lehrlinge im Handwerk ausgebildet. Die Zahl der neuen Lehrverhältnisse in diesem Jahr hat in den alten Bundesländern die des letzten Jahres um 5 Prozent übertroffen, in den neuen Bundesländern sogar um 17 Prozent. Damit zeigt das Handwerk Verantwortungsbewußtsein; es bildet über den eigenen Bedarf hinaus aus. Deshalb war es sicher richtig, daß wir - wiederum alle Fraktionen im Haushaltsausschuß einvernehmlich - die Mittel für die überbetriebliche Lehrlingsunterweisung im Handwerk nochmals aufgestockt haben, um wenigstens ansatzweise dem Handwerk eine weitere Hilfe zu geben, damit es nicht alle Ausbildungslasten im überbetrieblichen Bereich allein zu tragen hat. ({20}) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang das Meister-BAföG ansprechen. Ich verstehe nicht ganz, daß der Bundesrat in erster Lesung dieses Gesetz mit der Maßgabe abgelehnt hat, das solle der Bund alleine tragen. Ich halte die Zweidrittel/EindrittelRegelung auch beim Meister-BAföG für berechtigt. Wenn wir in der Tat das ernst nehmen, was wir ständig gefordert haben - auch hier wieder das ganze Haus -, nämlich daß wir die berufliche Aufstiegsfortbildung der akademischen Bildung gleichsetzen wollen, kann sich das Meister-BAföG nur am StudentenBAföG orientieren und muß ähnlich gestaltet werden. ({21}) Lassen Sie mich zum Schluß noch ein paar Worte zu zwei aktuellen Problembereichen anfügen: die Schiffbauindustrie auf der einen und die Luft- und Raumfahrtindustrie auf der anderen Seite. Was die Werften betrifft, so begrüße ich natürlich das OECD- Abkommen, das einen Abbau der Subventionen vorsieht. So soll die siebte EU-Schiffbaurichtlinie am 31. Dezember dieses Jahres auslaufen. Dafür haben wir im Haushalt 1996 die notwendigen Weichen gestellt. ({22}) Nach Meldungen aus Brüssel ist jedoch zu befürchten, daß die strengeren OECD-Kriterien doch noch nicht ab dem 1. Januar 1996 Gültigkeit haben sollen. Wir würden das sehr bedauern und müßten für diesen Fall natürlich neue Überlegungen anstellen. Ähnliches gilt - Schreckensmeldungen Tag für Tag - auch für die Luft- und Raumfahrtindustrie, die Arbeitsplatzabbau vornehmen muß. Dazu will ich sagen, daß wir als Gesetzgeber die Rahmenbedingungen verändern müssen. Wir haben das 600 Millionen DM-Programm für die gesamte Luft- und Raumfahrtindustrie aufgelegt, und zwar nicht nur für Großunternehmen, sondern gerade für die in diesem Bereich sehr aktiv tätigen mittelständischen und kleineren Unternehmen. Wir müssen das weiterführen; aber auch die Tarifparteien - die Industrie auf der einen und die Arbeitnehmer auf der anderen Seite - haben ihren Beitrag zu leisten. Insgesamt ist der Haushalt für den Bundesminister für Wirtschaft, wie der gesamte Haushalt 1996 konsequent zeigt, zustimmungswürdig; davon bin ich überzeugt. Wir haben den Sparwillen. Ich möchte Sie um diese Zustimmung bitten und möchte am Schluß meinen Dank an das Bundesministerium für Wirtschaft und an das der Finanzen, an die Kolleginnen und Kollegen und an alle, die daran mitgewirkt haben, aussprechen. Ich danke Ihnen. ({23})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Hans Büttner.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Kollege Rossmanith hat mit Recht in seiner Rede darauf hingewiesen, daß die Effizienz des Mittelansatzes für die neuen Bundesländer verbesserungsfähig ist, weil diese Mittel inzwischen immer mehr zu einer Vermögensbildung mit Steuermitteln einiger weniger Kapitalbesitzer im Westen verkommen auf Kosten und zu Lasten derer, die den Solidarzuschlag in ganz Deutschland aufbringen. Ich möchte das an drei Beispielen erläutern. Die Bundesregierung fördert die Verlagerung westdeutscher Betriebe nach Ostdeutschland erheblich. Ein Beispiel: Wenn ein Arbeitgeber im Erzgebirge 200 Arbeitsplätze neu schafft, der gleiche Unternehmer in Westdeutschland 615 Arbeitsplätze abbaut, dann durch Verlagerung von Arbeitsplätzen Hans Büttner ({0}) nach Indien diesen Abbau mit weiteren Fördermitteln, also mit Hilfe der Bundesregierung, betreiben darf und das Ganze als Förderung der Wirtschaft darstellt, dann finde ich das lächerlich, dann ist das nichts anderes als ein Programm zum Abbau von Arbeitsplätzen in Deutschland zugunsten einiger Kapitaleigner in diesem Land. ({1}) Ein Zweites: Wenn diese Bundesregierung über den dritten Förderweg den Luxuswohnungsbau im Osten für westdeutsche Kapitaleigner fördert und gleichzeitig Mieten, die der Normalbürger nicht bezahlen kann, durch Mietzuschüsse heruntersubventionieren läßt, ist das auch eine Förderung der Vermögensbildung der Reichen im Land zu Lasten der kleinen Steuer- und Abgabenzahler in diesem Land. ({2}) Ein Großteil der Kapitalförderung und steuerlichen Abschreibungsbedingungen ist ein Beitrag zur Änderung der Vermögensverhältnisse einiger weniger im Westen und nicht zugunsten der Menschen im Osten. ({3}) Es kommt nicht von ungefähr, daß 94 Prozent des Produktionskapitals in den neuen Ländern inzwischen allein in den Händen westdeutscher Kapitaleigner ist. Die reinen Lasten, die für die Menschen im Osten aufgenommen werden, kommen zum größten Teil wiederum von den Menschen, die hier im Westen arbeiten, den kleinen Arbeitern und Angestellten, über ihre Beiträge zur Sozialversicherung. ({4}) Ihr Förderprogramm zur Solidarität ist keines von West nach Ost, sondern es ist eine Förderung einer unanständigen Vermögensbildung in den Händen einiger weniger Reicher hier im Westen, die sich der Steuer damit entziehen und weitgehend mit Ihrer Politik die Vermögensumverteilung noch erhöhen. Eine solche Politik können wir nicht mittragen. ({5})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste spricht die Kollegin Antje Hermenau.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorhin das war Kurt, ohne Lenkrad, ohne Gurt. Herr Kollege Rossmanith, haben Sie nicht genug Phantasie, um sich vorzustellen, daß wir, vielleicht gerade weil wir zwei Monate lang sehr intensiv gearbeitet hatten, keine Lust mehr hatten, uns am letzten Tag vergackeiern zu lassen? Es bestand kein Zwang zur Eile. Wir hätten also in aller Ruhe über eine Nachtragsvorlage reden können. Sie hätte noch nachgereicht werden können, und wir hätten das vor Abschluß des Jahres geschafft. Aber Sie meinten, Sie müßten das am nächsten Tag durchziehen. ({0}) Sie bewegen sich im Prinzip in Gemeinplätzen über den Wirtschaftsstandort Deutschland ungefähr auf demselben Niveau wie der Wirtschaftsminister, dessen größter Wurf im Anpacken des „Jahrhundertproblems" Ladenschluß die ganze deutsche Wirtschaft von seiner Kompetenz überzeugt hat. ({1}) Wollen wir doch mal über den real existierenden Branchensozialismus in den alten Bundesländern sprechen und darüber, daß der deutsche Steuerzahler immerhin pro Jahr jeden Arbeitsplatz in der Steinkohle mit 106 000 DM subventioniert, in der Landwirtschaft mit 57 000 DM und im Schiffsbau mit 17 000 DM. ({2}) Es dominieren dadurch also Erhaltungssubventionen, die sich seit 1988 praktisch nicht mehr verändert haben. Daß kleine Unternehmen ziemlich gnadenlos dem Konkurs preisgegeben werden, während bestimmte Großbetriebe in veralteten Branchen an Tröpfen öffentlicher Subventionen hängen, gehört meiner Meinung nach zu den größten Fehlern nicht nur der deutschen, sondern auch der europäischen Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik, die diesen Namen nicht mehr verdient. Das ist keine Wettbewerbspolitik mehr. ({3}) Die Deutschen betreiben das sogar noch umfänglicher als die Franzosen und die von Herrn Waigel so schmählich behandelten Italiener, aber vielleicht deswegen, weil Subventionstatbestände kein. Konvergenzkriterium sind. Die Gruppe Bündnis 90/Die Grünen hat in der letzten Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Subventionskontrolle eingebracht, der hier aber keinen Anklang gefunden hat. Es geht nicht darum, die Großbetriebe so zu unterstützen, wie wir es gerade in den letzten Wochen erlebt haben, als die DASA die ganze Republik vor sich hertrieb. Es geht vor allen Dingen darum, den Mittelstand zu fördern, weil dort nämlich, wie wir denken, das Innovationspotential und die hohe Flexibilität liegen, die wir jetzt eigentlich brauchen. Wenn die Großindustrie zum Beispiel eine bemannte Raumfahrt haben will, dann soll sie auch eigenes Kapital investieren. Die Studien haben gezeigt, daß der Technologietransfer aus der Raumfahrtforschung in die Industrie ausgesprochen mager ist und überhaupt nicht rechtfertigt, daß der Staat mit soviel Geld dabei ist. ({4}) Auch Herr Henkel vom BDI sieht ein Problem in der Tatsache, daß die Deutschen größtenteils mit Auslauf- oder ausgereiften Produkten handeln und daß es eigentlich viel wichtiger wäre, mit neuen Produkten auf den Markt zu kommen. ({5}) Dabei ist natürlich die Markteinführungsphase entscheidend. Wir im Osten merken das alles viel schärfer als Sie, weil wir die Konkurrenz viel härter erleben als Sie im Moment, da Sie im Prinzip schon sichere Märkte haben. Wir müssen unsere erobern. Herr Henkel verweist darauf, daß zum Beispiel die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Bruttoinlandsprodukt in Japan, in der Schweiz, in Schweden, in den USA viel höher liegen als in Deutschland. Ich denke, zu diesem Problem sollten wir uns eine Frage stellen, wenn sogar schon die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft überlegen, wie sie die Industrieforschung in den fünf neuen Ländern verstärken können. Sie wollen nachfrageorientierte Datenbanken einrichten oder Hospitantenstellen anbieten. Kurze Entwicklungszeiten neuer Produkte und schnelle Markteinführung bringen wahrscheinlich sogar mehr als 10 bis 15 Prozent der Versuche von Lohnnebenkostensenkungen. Mit dieser Meinung stehe ich nicht allein. Herr Haussmann hat hier gestern eine große Rede geschwungen, daß die Globalisierung, die Mammutunternehmen und die Medialisierung kämen, die ganze Welt ein Dorf werde und wir Deutschen hinterherhetzen müßten, weil Homo oeconomicus wieder einmal nicht auf dem Berg sei. Bestimmte Betriebsgrößen werden sich den politischen Vorgaben der Bundesrepublik Deutschland aber entziehen. Das kann man unmoralisch finden, das kann auch volkswirtschaftlich fatal sein; aber betriebswirtschaftlich ist es für diese Dimensionen, für diese Betriebsgrößen logisch. Sie werden sich trotz exorbitanter Branchensubventionen, vielleicht mit zeitlicher Verzögerung, aus Deutschland absetzen, wenn sie das wollen. Dann ist das Geld weg, das wir eigentlich Jahr für Jahr kontinuierlich für kleinere Strukturen, für grenzüberschreitendes Wirtschaften in einem angestrebten Europa der Regionen hätten nutzen können. ({6}) Gerade weil wir eine Globalisierung der Wirtschaft erleben, gewinnt die Förderung kleinerer Strukturen in gewerblicher Wertschöpfung und unternehmensbezogenen Dienstleistungen an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund steht auch der Antrag, den wir gestellt haben, die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe zugunsten von Infrastrukturmaßnahmen in den fünf neuen Ländern aufzustocken. Alle Abgeordneten aus den fünf neuen Ländern können über deren Notwendigkeit nach ihrer Einschätzung entscheiden. Man wirft dem Osten Subventionsmentalität vor. Bevor ich mit diesem Märchen aufräume, möchte ich einen kurzen Exkurs zum Thema „politische Zementierung der Subventionsmentalität" machen. Mehr Industrie im Osten würde den Nährboden für eine solche Mentalität brechen. Zur Zeit ist das ohne Subventionen noch - das möchte ich betonen - nicht zu leisten. Streichen Sie die Subventionen unkontrolliert, dann verhelfen Sie der PDS, einer Partei, die für ein subventioniertes, bewegungsarmes und unemanzipiertes Leben an sich steht, zu Wahlergebnissen, die es Ihnen unmöglich machen werden, an ihr vorbeizuregieren. ({7}) Damit wiederum zementieren Sie auf Grund der Vorstellung der PDS zur subventionierten Wirtschaftspolitik genau diese Subventionsmentalität im Osten auf lange Zeit. ({8}) Die kleinen und mittleren Unternehmen in den fünf neuen Ländern brauchen sehr gezielte Subventionen für den Wandel; denn sie schaffen die Arbeitsplätze, indem sie Monostrukturen überwinden. Diese Subventionsziele sind zum Beispiel die Förderung der regionalen Strukturentwicklung, der Aufbau eines breiten Mittelstandes oder auch die Förderung von Exportunternehmen. Die Bundesregierung gibt in ihrem Bericht zum Aufbau Ost selber zu, daß dieses Ziel „bei weitem noch nicht erreicht" ist. Nun kommen wir zu dem Märchen vom Faß ohne Boden, das „fünf neue Länder" heißt. Von den rund 89 Milliarden DM Bruttotransferausgaben des Bundes - West nach Ost - decken die fünf neuen Länder 1996 selbst schon zirka 52 Milliarden DM aus eigenen Kräften. Das heißt, die Nettotransferleistung West/Ost beläuft sich auf zirka 37 Milliarden DM. Wenn man den gesamten Bruttotransfer von 89 Milliarden DM mit dem Gesamthaushalt vergleicht, stellt man fest, daß dieser Transfer ungefähr 20 Prozent des Bundeshaushaltes und damit dem Bevölkerungsanteil der fünf neuen Länder entspricht. Wer kann da noch von einer Bevorteilung und überproportionalen Bedienung der fünf neuen Länder sprechen? Ich finde das unverantwortlich. ({9}) Die fünf neuen Länder werden für den Haushalt 1996 einen Konsolidierungsbeitrag leisten. Ich finde, er ist sogar zu weit gegangen: Man hat bestimmte Investitionsausgaben zu stark gekürzt, zum Beispiel in der Gemeinschaftsaufgabe, zum Beispiel in der Fernwärmesanierung - eine völlig widersinnige Streichung - oder zum Beispiel auch in der Industrieforschung. Es heißt, die Fördermittel seien nicht abgeflossen. Ich sage Ihnen, was mir die Bürgermeister erzählen, wenn ich durch Sachsen reise: Wir würden es ja gerne tun; wir haben viele Probleme. Aber wir wissen nicht, wie wir bei so vielen Maßnahmen - über 700 auf Länder-, Bundes- und EU-Ebene - durchblikken sollen. - Wir hätten die Maßnahmen viel besser bündeln müssen, statt sie zu streichen. ({10}) Hätten wir uns erlaubt, für die nächsten zwei Jahre 200 Millionen DM für die Fernwärme einzusetzen, hätten wir eine Verminderung des CO2-Ausstoßes von jährlich zirka 200 000 Tonnen erreichen können - allein durch das Abdichten des undichten Netzes in Ostdeutschland. Aber Ihre Vorgaben zur CO2- Reduktion sind Ihnen selber auch nicht so wichtig. Sie haben sich viel Zeit gegeben: bis 2005. Man wird sehen, was daraus noch erwächst. Wie richtungsweisend Ihre Entscheidungen im Energiebereich sind, wissen wir sowieso schon. Sie schippern im Fahrwasser der ökonomischen und energiepolitischen Kurzsichtigkeit, wie auf dem Energiegipfel in Tokio schon deutlich geworden ist, wo man meinte, sämtliche Energieträger - fossile Energie genauso wie Kernenergie und erneuerbare Energie - seien einzusetzen, keine dürfe aus ideologischen Gründen ausgeschlossen werden. Mein Gott, das sind doch keine ideologischen Gründe; das sind Gründe im Umweltbereich, das sind volkswirtschaftliche Gründe, das sind energiepolitische Gründe. ({11}) Auf diesem Energiegipfel wurde tatsächlich gefordert, daß die Industrieländer mehr Kernenergie und andere technisch anspruchsvolle Energien nutzen und die Entwicklungsländer im wesentlichen mit dem 01 zurechtkommen sollten. Ich mache Ihnen dazu eine volkswirtschaftlich interessante Gegenrechnung auf, die Sie indirekt in der Haushaltsberatung bereits bestätigt haben. Wir hätten uns viel stärker auf das Problem der Photovoltaik, auf die Entwicklung von billigen und gut nutzbaren Solarzellen verlegen müssen. Heute leben 50 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern, die von Energieimporten abhängen, und in vier Jahren werden bereits 80 Prozent der Bevölkerung in energieimportierenden Ländern leben. Es stellt sich daher die Frage: Wer wird die Energie exportieren, und wer wird die Technik für Energieerzeugung exportieren? Da könnten wir mit erneuerbaren Energien, mit Solarzellen einen wirklichen Beitrag in diesem „globalen Dorf" leisten. Aber die Koalitionsfraktionen haben den Titel für die Photovoltaik nur von 5 Millionen auf 18 Millionen DM erhöht, um somit ihr Programm der 1 000 Dächer abzusichern. ({12}) - Immerhin. Es wäre wirklich mehr möglich gewesen. ({13}) Ich komme zum Schluß. Diese Gesellschaft kann sich die Animositäten beim Anerkennen der Veränderungen in der Welt nicht mehr leisten. Vielleicht können wir Ostdeutsche einen gesamtdeutschen Beitrag leisten, indem wir eine Erfahrung zur Verfügung stellen: Es war in den letzten sechs Jahren nicht immer einfach - auf den Tag genau vor sechs Jahren ist die Mauer gefallen -, und wir sind zum Teil über das zweierlei Maß zornig, das in Deutschland existiert. Aber wir wissen, daß man nicht stirbt, wenn um einen herum die alten Dinge zusammenbrechen und vage neue Zeiten beginnen. Wir haben uns gefürchtet, aber wir sind nicht zugrunde gegangen. Wir wissen, wie schmerzhaft es wird, wenn man bis zum bitteren Ende in der Hoffnung immer weiterwurschtelt, irgendwann wird ein Deus ex machina die Sache in letzter Sekunde retten. Diese irrige Hoffnung muß ich Ihnen leider nehmen: Man muß handeln. Danke schön. ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der langjährige Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission Erhard Eppler hat vor wenigen Wochen Johannes Gross einen der Gescheitesten unter den demokratischen Rechten genannt. Gross schreibt in seinem neuesten Buch: Noch mag keine Regierung, keine Partei sich zu der Einsicht verstehen, daß es in den entwickelten Industriegesellschaften künftig keine Vollbeschäftigung mehr geben wird und daß Vollbeschäftigung als Ziel staatlicher Politik nicht mehr ernst genommen werden kann. Aus ganz anderer Richtung äußert sich Henning Voscherau, Hamburger Bürgermeister: Wir müssen den Sozialstaat, die Demokratie retten vor diesem neuen globalen Kannibalismus ohne Regeln, ohne Kontrolle, ohne Verantwortung. ({0}) Dieser Kannibalismus frißt Einzelschicksale, Lebensordnungen und Demokratien. Das ist erst der Anfang, was wir sehen. Es tut sich ein Abgrund auf. ({1}) Es ist schade, daß man solche Debatten nicht hier im Hause führen kann. An Herrn Voscherau gerichtet möchte ich nur soviel sagen: Auf die Globalisierung der Märkte, die keiner von uns verhindern kann, müssen wir mit der Globalisierung des Handels- und Wettbewerbsrechts antworten. Die Europäische Union ist eine richtige Teilantwort, ebenso die Europäische Währungsunion, meine Damen und Herren von der SPD. ({2}) Aber immer wichtiger wird die WTO, die Welthandelsorganisation, werden multilaterale Ordnungen. Die Bundesregierung muß ihnen mehr Kraft widmen als bilateralen Abkommen. Die Attacke auf „vaterlandslose Spekulanten" - so nennt Bürgermeister Voscherau zum Beispiel Margarete Schreinemakers und Franz Beckenbauer ({3}) mag publikumswirksam sein. ({4}) - Ich zitiere doch Ihren Bürgermeister, Ihren Parteigenossen, liebe Frau Matthäus-Maier. Keine Aufregung! Mir liegt die Umfrage einer Beratungsfirma bei 250 Automobilzulieferern vor. Jedes zweite Unternehmen beabsichtigt, innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre eine Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland. Sind das auch vaterlandslose Spekulanten? Der BMW-Konzern - wahrlich eine deutsche Firma - beschäftigt heute mehr Arbeitnehmer im Ausland als in Deutschland. Wollen wir das nicht endlich zur Kenntnis und ernst nehmen? Daß Steuerbelastung zur Abwanderung von Kapital führt, begreifen Sozialdemokraten immer noch nicht. Ihr Altvater August Bebel, verehrte Kollegen von der SPD, hatte das begriffen. ({5}) Er riet in seinem Testament seiner Tochter zum Wohnsitzwechsel aus Zürich, und zwar wegen der hohen Steuerbelastung dort. Seine sozialdemokratischen Nachfahren haben dafür gesorgt, daß sich dieser Zustand zugunsten Zürichs und zuungunsten Deutschlands geändert hat. ({6}) Zu Johannes Gross, meine Damen und Herren. Gehen wir vielleicht durch das Tal der zweiten industriellen Revolution, durch das Tal zur Informationsgesellschaft? Dann werden Erinnerungen an die erste industrielle Revolution wach. Deren menschliches Elend darf sich nicht wiederholen. Andererseits scheint es mehr und mehr klarzuwerden: Wir, jedenfalls die Westdeutschen - das will ich Frau Hermenau ausdrücklich sagen: die Westdeutschen -, haben die goldenen 40 Jahre dieses Jahrhunderts wohl hinter uns. Sie sind vorbei, und sie werden so schnell auch nicht wiederkommen. Trotz alledem sage ich: Verzagtheit ist nicht angebracht, trotziges Festhalten an sogenannten Errungenschaften auch nicht. Besitzstandswahrung, Marktabschottung, Entsendegesetz - ich fand es gespenstisch, wie diese Debatte gestern ablief, daß Sie wirklich glauben, es könnte etwas helfen ({7}) - dann müssen Sie auch gleich die ausländischen Arbeitnehmer von deutschen Schiffen vertreiben -, ({8}) Sozial- und Umweltklauseln im Handelsrecht, das alles hilft nicht, das schadet nur und führt am Ende zu Brüchen mit der Gefahr politischer und ökonomischer Destabilisierung. ({9}) Mit Defensivhaltung ist für unser Land nichts gewonnen. Wir müssen in die Offensive. Wir müssen uns ändern. Das - das will ich ausdrücklich bestätigen - hat der IG Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel offensichtlich begriffen. Das hat er verstanden, die SPD allerdings immer noch nicht. ({10}) Oder doch? Die Vorschläge zum SPD-Parteitag zeigen neue Denkansätze. Allerdings hat sich das noch nicht bis in die Fraktion herumgesprochen. Den gestrigen Bemerkungen Herrn Scharpings zur Wirtschaftspolitik war das keineswegs zu entnehmen. Ein Satz, der ihn übrigens in die Nähe von Joschka Fischer rückt: „Was ist das für eine Politik, bei der der Staat neugegründete Unternehmen nicht mit ausreichendem Eigenkapital ausstattet?" In dem Staat, den Herr Scharping da aufzeigt, möchte ich Unternehmer sein!

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sofort. Ich möchte nur den Gedanken zu Ende bringen. Oder der Satz von Joschka Fischer: „Ich hatte im Jahre 1993 die Verantwortung für ein Unternehmen." Er meint die Hoechst AG. Das ist die Verwechslung von Staat und Wirtschaft. Bevor jemand Joschka Fischer die Verantwortung für ein solches Unternehmen überträgt, geht ein Kamel durchs Nadelöhr! ({0}) Bitte sehr.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lambsdorff, Sie haben bereits gestern - wie viele andere - immer wieder auf Herrn Zwickel verwiesen, Sie haben ihn allerdings immer nur kurz und falsch zitiert. Sie haben nämlich eines weggelassen: Voraussetzung für diesen Pakt, den Herr Zwickel vorgeschlagen hat, ist die Rücknahme der Kürzungsmaßnahmen durch die Bundesregierung. ({0}) Würden Sie mir zugestehen, daß eine solche Verkürzung von vornherein die Zurückweisung eines solchen Paktes darstellt? ({1})

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, glauben Sie denn im Ernst, ich würde mich darauf beschränken, diesen einen Satz zum Thema IG Metall und Klaus Zwickel zum besten zu geben? Nehmen Sie Platz! Ich sage Ihnen dazu noch einiges. Ich bin dabei. ({0}) Meine Damen und Herren, selbstverständlich hat der IG Metall-Vorsitzende in einer Zeit des Mitgliederschwundes auch die Organisationsinteressen seiner Gewerkschaft im Blick. Das kann ihm auch niemand verdenken. Aber ebensowenig darf man es uns verdenken, wenn wir sagen: Wer durch die Türe gehen will, darf sie nicht nur einen Spalt öffnen. Arbeitszeitkonten, Verzicht auf reale Lohnerhöhungen, Einstiegstarife für Langzeitarbeitslose - das zielt richtig. Aber sind flächendeckende Tarifabschlüsse ohne die Beweglichkeit durch Öffnungsklauseln zu halten? Ich denke, daß sich ohne solche Hilfen die Schwächung der Organisationen beider Tarifvertragsparteien fortsetzen wird. Sie werden weiter Mitglieder verlieren. Die IG Metall verlangt das Ende des Sozialabbaus. ({1}) - Der Beifall ist immer billig und schnell gegeben. - Aber wie schaffen wir dann die Entlastung der Arbeitskosten von Steuern und Abgaben? ({2}) Deren Höhe treibt doch Arbeitsplätze ins Ausland. Sie hindert doch ausländische Investitionen in Deutschland. Selbstverständlich gehört dazu der Abbau von Subventionen. ({3}) Genau das, was Frau Hermenau zum Thema große und kleine Unternehmen bei der Subventionsveranstaltung gesagt hat, habe ich hier in der DASA- Debatte vorgetragen. Nur, da haben die Vertreter der Grünen etwas anderes erzählt. Das hängt mit der wechselnden Sprecherrolle zusammen. Ich begrüße es ja, daß Herr Bundesminister Bohl gestern erklärt hat, die Steinkohleförderung sei finanziell nicht weiter durchzuhalten. Auch späte Erkenntnisse, verehrter Kollege Bohl, werden gutgeheißen und gerne zur Kenntnis genommen. Aber was geschieht denn in der Wirklichkeit? Die Europäische Kommission - um nur ein Beispiel zu nennen - ist dabei, der Chemiefaserindustrie gegen ihren Willen eine europäische Beihilfe aufzuzwingen. Die will das gar nicht, aber weil alle eine Beihilfe bekommen sollen, soll dieser Industriezweig sie auch nehmen. Das ist ein unglaublicher Vorgang, und ich frage die Bundesregierung, was sie dagegen tut. Die Kürzung der Arbeitslosenhilfe ist für manchen bitter. Aber ich frage: Wie soll es denn anders gehen, wie denn bitte? ({4}) - Sie wollen immer nur nach dem Motto verfahren: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß! Das ist nicht so zu haben. ({5}) Aber wie soll es denn wohl anders gehen? Das wird und es darf auch leider nicht der letzte Schritt sein. ({6}) Im übrigen trägt dies ja auch zur Sicherung des Bundeshaushalts bei; ich vermeide selbstverständlich das schnöde Wort Haushaltssicherungsgesetz. ({7}) Im Hause des Gehängten spricht man nicht vom Strick, und den Strick nennen wir jetzt ja auch Stabilitätspakt. ({8}) Meine Damen und Herren, Beschäftigungsgarantien verlangt die IG Metall. Die Verbände sagen, sie könnten ihre Mitglieder nicht rechtlich binden. Das stimmt ja auch, und das weiß auch Herr Zwickel. Selbst ein Unternehmen wird eine solche Zusage nur selten wagen. Was soll es denn tun, wenn Aufträge ausbleiben? Für Nichtstun Löhne zahlen bis zur Konkursreife? So geschehen in der DDR! Fazit: Der Vorstoß der IG Metall führt zu vielen Fragen. Das ist keine nur kritische Anmerkung; im Gegenteil. Wenn es zu einer realitätsbezogenen Diskussion kommt, dann sieht die F.D.P. hier eine bessere Chance für bessere Lösungen für Millionen von Menschen, die Arbeit suchen. ({9}) Praktischer Sinn und Nüchternheit sind gefragt, nicht die Weltuntergangsszenarien, aber auch nicht das Hoffen auf Wunder. Die erreicht man nämlich nur durch eigene Anstrengungen. Das haben wir in den Nachkriegsjahren erfahren und hoffentlich nicht alle vergessen, obwohl Ihre Einwürfe etwa zur Finanzierung von Wohnungsbau unter Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen dies nahelegen; ({10}) denn das war beim Wohnungsbau das Rezept, mit dem Ludwig Erhard dieses vollständig zerstörte Land wieder aufgebaut hat. ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Graf Lambsdorff, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Fischer?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte sehr!

Andrea Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002652, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Lambsdorff, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie an dem Angebot der IG Metall die befristeten Einstiegstarife und die Lohnzurückhaltung für gut halten, die anderen Punkte des Pakts, den die IG Metall vorgeschlagen hat, aber für gröblichen Unfug halten?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin weit davon entfernt, von gröblichem Unfug zu sprechen. Nehmen Sie bitte das ernst, was ich hier gesagt habe: Das ist ein Angebot für ein Gespräch, das sind neue Denkansätze, das zeigt Offenheit für Wege, die wir gemeinsam beraten und besprechen müssen. Aber die Schritte, die hier vorgeschlagen werden, sind nicht groß genug. Wir können uns nur daran orientieren: Wie schaffen wir mehr Arbeitsplätze für Arbeitslose und Arbeitssuchende? Es gibt keinen anderen Maßstab. ({0}) Die größte soziale Ungerechtigkeit ist die Arbeitslosigkeit und nicht die Frage, ob einer ein paar Mark mehr oder ein paar Mark weniger bekommt. Das ist der entscheidende Punkt, und darüber muß gesprochen werden. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Graf Lambsdorff, es gibt weitere Wünsche nach Zwischenfragen. Zunächst vom Kollegen Schwanhold.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wer auch immer, bitte schön.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Graf Lambsdorff, Sie haben gesagt, der Schritt, den die IG Metall angeboten habe, sei zu kurz. Dann bitte ich Sie sehr herzlich, zu präzisieren, wie lang der Schritt nach Ihrer Meinung sein müßte, um die Grenze in Frankfurt an der Oder zwischen 3,50 DM und 38,50 DM beim Lohn zu benennen. Dann sagen Sie doch einmal, wo der Punkt ist, an dem es nach Ihrer Auffassung bei uns wieder geht. Seien Sie nicht so nebulös! Bitte benennen Sie es gegenüber denjenigen, die Ihnen zuhören! ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schwanhold, ich bedanke mich für die Frage. Ich kann nur das wiederholen, was ich vor Monaten genau zu diesem Thema hier gesagt habe. Die neue Entwicklung internationaler Arbeitsmärkte, die neue Arbeitsteilung, die sich insbesondere bei den Arbeitseinkommen zwischen Zentral- und Osteuropa und uns ergeben hat, stellt uns vor ganz neue Fragen und Probleme, die nicht dadurch gelöst werden können und sollen, daß wir auf das heutige Einkommensniveau von Polen, Ungarn und der Tschechei zurückgehen können und wollen. ({0}) - Warten Sie doch einmal ab! Es kann Ihnen heute niemand eine Zahl in Prozentsätzen sagen. Außerdem bin ich nicht eine Tarifvertragspartei. Sie verwechseln dauernd den Staat mit den Tarifvertragsparteien. ({1}) - Moment mal! Wer tritt denn für die Festlegung gesetzlicher Mindestlöhne ein, die noch 2 DM über dem untersten Tariflohn der Facharbeiter der Metallindustrie liegen? Das sind doch wohl Sie, nicht ich. Ich bin gegen solche gesetzlichen Mindestlöhne. ({2}) - Natürlich wollen Sie das. Wenn Sie den Gesetzentwurf aus Berlin nicht kennen, dann reden Sie hier nicht über Tatsachen, von denen Sie keine Ahnung haben. Entschuldigen Sie vielmals. So geht es ja nun nicht. ({3}) Hier gibt es nur eine Möglichkeit: daß wir Arbeitsplätze entwickeln, und zwar über Innovationen, über eine engere Anbindung der Ergebnisse der Wissenschaft an die Unternehmen und über eine schnellere Umsetzung neuer Produkte. ({4}) Wir müssen Arbeitsplätze entwickeln, die sich mit einem hohen Einkommensniveau und einem hohen Sozialniveau vertragen. Dann stellt sich die jedenfalls für uns sehr entscheidende Frage: Was machen Sie mit den Menschen - das alles habe ich hier schon einmal vorgetragen -, die den Ansprüchen hochqualifizierter Arbeitsplätze nicht standhalten können? Nicht können, nicht weil sie es nicht wollen; um diejenigen habe ich keine große Sorge. Da kommt die Überlegung, die die F.D.P. unter dem Stichwort negative Einkommensteuer oder Bürgergeld in die Diskussion gebracht hat. Es ist wirklich zu überprüfen, wie man jemandem hilft, der einen Teil seines Einkommens durch eigene Leistungen erwerben kann und den anderen Teil vom Staat erhält, so daß er seine Existenz fristen kann, damit nicht ein so großer Teil von Menschen durch den Rost der Gesellschaft fällt und dauerhaft arbeitslos bleibt. ({5}) Das sind zwei Denkansätze, neben dem Abbau der Sozialausgaben, neben dem Abbau der hohen Sozialbelastungen, neben dem Abbau der hohen Steuern, neben dem Abbau der Überregulierung in Deutschland. Das sind die Ansätze, die wir verfolgen müssen. Ich sehe keinen anderen Weg, um wenigstens eine Besserung - nicht eine Beseitigung der Arbeitslosigkeit - zu erreichen. Ihre Positionen verfestigen die Arbeitslosigkeit, und dem werden wir nicht folgen. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lambsdorff, müßte nicht die Bundesregierung nach dem Vorschlag von Herrn Zwickel mit großen Schritten auf die IG Metall zugehen, um zu einem Konsens zu kommen, damit man die Kräfte bündeln kann, um den globalen Herausforderungen entgegenzutreten? Statt dessen wird das gemacht, was hier schon kritisiert worden ist: weiterer sozialer Abbau. Soweit ganz offensichtlich sozialer Abbau betrieben wird, werden sich die Fronten doch verhärten. Sie werden erleben, daß die Gewerkschaften dann nicht mehr bereit sind zusammenzuarbeiten. Die Bundesregierung vertut hier eine Chance. Das halte ich für unmöglich. ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Urbaniak, erstens will ich, obwohl das wieder Ihre Proteste hervorrufen wird, ausdrücklich sagen: Ich begrüße es, daß wir inzwischen zur Ehrlichkeit zurückgefunden haben und nicht nur vom sozialen Umbau sprechen, sondern zugeben, daß es ohne ein gewisses Maß an Abbau nicht geht. Ein Drittel des Bruttosozialprodukts geben wir wie kaum ein anderes Land der Welt für soziale Aufgaben aus. Wir werden das in Zukunft nicht durchhalten können. ({0}) - Liebe Frau Fuchs, auch das haben wir hier das letzte Mal besprochen: daß die dauernd anziehende Abgaben- und Steuerquote die Arbeitslosigkeit erhöht, weil die Unternehmen abwandern. Dann gibt es neue Arbeitslose, und es werden wieder die Steuern erhöht. ({1}) In dieser Schraube befinden wir uns, wenn wir diese Politik fortsetzen und wenn wir diesen Weg nicht endlich einmal durchbrechen. Wir müssen da heraus. ({2}) Zweitens, meine Damen und Herren: Machen gerade Sie von der SPD-Fraktion der Bundesregierung doch nicht den Vorwurf, daß sie als erstes zum Sozialabbau schreitet. Wer greift eigentlich stärker in soziale Besitzstände und soziale Einrichtungen ein als ausgerechnet Ihr früherer wirtschaftspolitischer Sprecher, der Ministerpräsident von Niedersachsen? Das haben wir gestern hier vorgelesen bekommen; ich will das gar nicht alles wiederholen. ({3}) Herr Urbaniak, das Angebot, das Herr Zwickel gemacht hat, ist ein Angebot an die Tarifvertragsparteien. Werfen Sie nicht dauernd durcheinander, daß in der Tarifautonomie die Tarifvertragsparteien miteinander reden. Herr Zwickel hat Forderungen an den Staat, an die Bundesregierung gestellt. Das ist eine Woche alt. Dazu ist längst erklärt worden, daß man sich zusammensetzen und mit ihm darüber sprechen wird. Natürlich wird die Bundesregierung solche Gespräche führen. Das ist auch sehr vernünftig. Aber die Verantwortlichkeiten und die Zuständigkeiten sollten dabei nicht verwischt werden.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Graf Lambsdorff, es besteht der Wunsch nach einer letzten Zwischenfrage von Frau Professor Luft.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte sehr.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr verehrter Graf Lambsdorff, darf ich Sie bitte zu der vor zwei oder drei Tagen geäußerten These von Herrn Bregger, CDU- Mitglied und Vorsitzender der CDU-Mittelstandsvereinigung, nach Ihrer Meinung fragen? Er hält es für dringend geboten, die reinvestierten Gewinne steuerlich günstiger als die entnommenen Gewinne zu stellen. Er sieht darin - so habe ich ihn jedenfalls verstanden - ein Mittel, um Arbeitslosigkeit abzubauen. Er ist ein Unternehmer. Sie meinen, daß mit Anhebung der Steuern für reinvestierte Gewinne Kapital aus Deutschland vertrieben würde. Mich würde dazu Ihre Auffassung interessieren.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Tatsache, daß man Unternehmer ist, bedeutet nicht immer gleichzeitig, daß man gesamtwirtschaftlich und ökonomisch gut, treffend und richtig denkt. ({0}) In dieser Frage bin ich, was Herrn Bregger anbelangt, sehr zurückhaltend. Ich zweifle, ob das der richtige Ansatz ist. Was tun Sie denn, wenn Sie solche Steuervergünstigungen gewähren? Sie sperren den Gewinn, Sie sperren das Kapital in der Gesellschaft ein, in der es erwirtschaftet worden ist, und hindern es, dorthin zu gehen, wo die wirtschaftlichsten und wettbewerbsfähigsten Arbeitsplätze entwickelt werden könnten. Kapital muß dahin gehen, wo diese Voraussetzungen erfüllt werden. Mit solchen Anreizen sperrt man Kapital ein. Deswegen ist im Grunde der Denkansatz falsch. Für eine vorübergehende Zeit haben auch wir das in den neuen Bundesländern gemacht. Dann kann man das vertreten. Aber ich warne davor, das zu einer Dauereinrichtung zu machen und gar zu glauben, dies würde die Wirtschaftsstruktur am Standort Deutschland verbessern. Das wird es nicht tun. Die weltweite Wende 1989/90 hat - wir sehen das auch an dieser Diskussion - viele Risiken gebracht. Aber sie hat auch riesige Chancen für eine wettbewerbsfähige Volkswirtschaft gebracht. Wir müssen sie nur nutzen. Wir brauchen Mut statt Mißmut. Wir brauchen Liberalisierung statt Regulierung. Wir brauchen offene Märkte statt Protektionismus. Wir brauchen Wettbewerb statt Marktabschottung. Wir brauchen eine freiheitliche, eine marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik. Das will die F.D.P.-Bundestagsfraktion. Darin unterstützt sie den Bundeswirtschaftsminister. Darin unterstützt sie die Bundesregierung. Deshalb stimmt sie dem Haushalt 09 zu. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Peter Dreßen.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Lambsdorff, Sie haben mehrmals Klaus Zwickel erwähnt. Ich möchte einfach einmal der Ehrlichkeit halber die Passagen ins Protokoll bringen, die Klaus Zwickel auf dem Gewerkschaftstag zu diesem Thema vorgetragen hat: Ich schlage der Bundesregierung sowie den Unternehmern und ihren Verbänden ein Abkommen auf Gegenseitigkeit vor, zur Schaffung von Arbeitsplätzen, ein „Bündnis für Arbeit". Dieses „Bündnis" umfaßt auch einen eigenen Beitrag. Daran sind Voraussetzungen und Bedingungen geknüpft. Das heißt nicht, wie Sie es meinten, daß dies nur für Tarifpartner gilt. Ich will einmal die Forderungen an die Adresse der Bundesregierung vorlesen: . wenn die Bundesregierung verbindlich erklärt, bei der Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes auf die Kürzung des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe zu verzichten und die Sozialhilfekriterien nicht zu verschlechtern, eine Regelung zur Gewährleistung des Ausbildungsplatzangebotes entsprechend der Nachfrage zu schaffen, Betriebe, die nicht oder zuwenig ausbilden, zum Lastenausgleich heranzuziehen, dann werde ich mich dafür einsetzen, .. . Hier haben wir noch Hausaufgaben zu machen, wenn wir ein Bündnis gegen die Arbeitslosigkeit wollen. ({0}) Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit noch zwei Punkte, die ebenfalls erwähnt worden sind und die ich für unsere Politik für wichtig halte, aus seiner Rede vortragen: Energieeinsparung und Verkehrsvermeidung müssen gefordert und gefördert werden. Dazu soll eine sozial-ökologische Steuerreform Anstöße und Anreize bieten. Sie soll den Faktor Arbeit finanziell entlasten und den Energie- und Umweltverbrauch verteuern. Deshalb fordern wir von der Bundesregierung eine aufkommensneutrale ökologische Steuerreform, die technische Innovation und Effizienzsteigerung beschleunigt. Ich begrüße die entsprechende Initiative der SPD-Bundestagsfraktion. ({1}) Er konnte leider nichts zur Koalition sagen, weil von ihr nichts vorliegt. Nun lassen Sie mich noch einen Punkt erwähnen, nämlich die versicherungsfremden Leistungen. Hierzu sagt Zwickel folgendes: Die versicherungsfremd en Leistungen, insbesondere im Rahmen der deutschen Einheit, müssen aus Steuermitteln finanziert werden! Er sagt in diesem Zusammenhang: Die Finanzierung der Sozialversicherung ist aber ausschließlich an Lohnkosten geknüpft. Die Diskussion um einen „Wertschöpfungsbeitrag" muß wieder geführt werden. Sie sehen, daß in der Rede einiges enthalten ist. Das letzte, was er in der Rede erwähnt hat und was man auch einmal nennen sollte, weil gestern die CDU darauf immer sehr gepocht hat: Bundeskanzler Kohl verspricht vieles, hält jedoch wenig, aber, Kolleginnen und Kollegen - und das ist das politisch Fatale - am Wahlverhalten ändert sich nichts! Wer eine andere Politik will, muß auch anders wählen. Dem kann ich nur beipflichten. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Herr Kollege, was Sie vorgelesen haben, kannten wir. Es hat in allen Zeitungen gestanden, und man konnte es auf dem Kongreß der IG Metall verfolgen. Man konnte auch verfolgen - jedenfalls haben mir das Teilnehmer berichtet -, daß die Delegierten diese Erklärung mit fassungslosem Erstaunen bis Entsetzen zur Kenntnis genommen und tief Luft geholt haben, bis sie am Ende zugestimmt haben. Ich will nur auf einen Punkt, den Sie vorgelesen haben, eingehen, der als kritische Anmerkung übrigens nicht nur in Richtung IG Metall oder SPD geht. Immer wieder heißt es, die versicherungsfremden Leistungen müßten aus den Sozialsystemen herausgenommen werden. Richtig, zutreffend. Immer wieder heißt es dann, sie müßten steuerfinanziert werden, wenn man sie aufbringen will. Auch richtig. Aber eines ist doch wohl völlig klar: Wir haben das Geld da nicht, und wir haben das Geld dort nicht. Wer sie abbauen will, muß sagen, daß auch gekürzt und daß das Geld gespart wird. ({0}) Das Umschaufeln alleine bringt uns überhaupt keinen Schritt weiter. ({1}) Sie trauen sich nicht, das zu tun, was wirklich geschehen muß, weil das bekanntermaßen weh tut. ({2}) - Aber Sie werden Schulden zu Hause doch auch nicht los, indem Sie sie von einem Topf in den anderen schaufeln. Sie haben sie dann immer noch.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Rolf Kutzmutz.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutlicher als in den Reden zum Haushalt kann der Unterschied in der Betrachtung zur gegenwärtigen und künftigen Situation in Deutschland kaum gemacht werden. Herr Schäuble sagte gestern: Wir sind mit dem Haushalt 1996 in einer guten Lage. Herr Struck begründete die Enthaltung der Fraktion der SPD zu Änderungsanträgen damit, daß dieser Haushalt mit Änderungen nicht zu retten sei. In der Tat, der Etat, den die Koalition in dieser Woche durchdrücken will, wird nicht nur ein Monument unsolider, abenteuerlicher Haushaltspolitik, Stoff für akademische Dispute unter Staatsrechtlern und Volkswirten sein. Nein, er wird vor allem auch verheerende Folgen im Alltag vieler Menschen haben. Mit den Folgen Ihrer Beschlüsse, Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und F.D.P., werden Sie das Vertrauen in die von Ihnen gepriesene Soziale Marktwirtschaft, die sich dabei immer mehr unsozial zeigt, nachhaltig erschüttern. Sicher wird auch heute wieder davon geredet, wie viele neue Gewerbe insbesondere im Osten Deutschlands entstanden sind, und keiner will diese Zahl kleinreden. Wer es nicht schafft - so neulich ein Kollege der Koalition - ist halt kein Unternehmertyp. Aber so einfach kann man es sich nicht machen. Sie können doch niemandem erklären, warum der Bäcker oder der kleine Händler, der irgendwo in einer Stadt in Ostdeutschland sein Gewerbe selbst bei all den restriktiven Maßnahmen der DDR hat erhalten können, jetzt, wo er die große Freiheit hat, plötzlich pleite geht. Das können Sie keinem erklären. Genausowenig können Sie dies jemandem erklären, der sich jetzt ein Gewerbe schafft, dann ständig vor neuen Hindernissen steht, sie überwinden will und es nicht kann. Ich will Ihnen ein Beispiel eines 28jährigen Geigenbaumeisters aus Markneukirchen nennen. Er hat sich mit seinen Ersparnissen und Hilfe der Eltern selbständig gemacht und eine kleine Werkstatt übernommen. Er produziert Geigen für den Weltmarkt, insbesondere für Japan. Seine Instrumente sind begehrt, der Absatz solcher Luxusgüter ist jedoch höchst konjunkturanfällig. Dennoch will er jetzt ein seit Jahren verfallendes Hinterhaus mieten, selbst herrichten und einen Lehrling, später vielleicht noch einen Gesellen einstellen. Alle Förderkriterien treffen zu. Mit 50 000 DM Zuschuß aus der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" würde sein Vorhaben Wirklichkeit werden - ein Vorhaben, das eigentlich die halbe Regierungsbank glücklich machen müßte. Aber ich fürchte, der junge Geigenbauer könnte bei der zuständigen Sächsischen Aufbaubank weniger Glück haben, weil die Regierungskoalition einen unverantwortlichen Fördermittelabbau betreibt. Schon im ersten Etatentwurf haben Sie - das muß hier immer wiederholt werden - die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" in Ostdeutschland um 500 Millionen DM zurückgefahren, um dann klammheimlich nach der Abschlußberatung im Wirtschaftsausschuß noch weitere 50 Millionen DM wegzukürzen. Dies geschieht zu einer Zeit, wo niemand außer vielleicht Herr Krüger von der CDU, der eine sich ständig bessernde Wirtschaftssituation in Ostdeutschland ausgemacht hat, ernsthaft behaupten wird, in den neuen Ländern trage sich die wirtschaftliche Entwicklung bereits selbst. Der gleiche Herr Krüger hat noch am 29. Oktober in der „Freien Presse" erklärt, „daß es in den ostdeutschen Landesgruppen Unmut über das Vorgehen von Fraktionskollegen aus den alten Ländern gebe und der Fraktionsfrieden damit gefährdet werde". Gestern war in seiner Rede davon nichts zu hören. Meine Damen und Herren vom Kabinett und von der Koalition, Sie beschneiden eines der wenigen Förderinstrumente, das nicht auf abstrakte Investitionssummen, sondern auf konkrete Arbeitsplatzzahlen abstellt. Herr Bregger von der CDU-Mittelstandsvereinigung - er wurde hier schon zitiert - hat vor drei Wochen eine Bindung der Fördermittelvergabe an die Schaffung von Arbeitsplätzen gefordert. Das verlangen wir demokratischen Sozialisten bekanntlich schon seit drei Jahren. Aber warum schreibt Herr Bregger nur offene Briefe an den Haushaltsausschuß? Wie reagieren seine Vereinsmitglieder im Bundestag? Da war für mich die Antwort von Herrn Lambsdorff interessant. Offensichtlich - das war meine Überzeugung schon vorher - reicht das CDU- Mitgliedsbuch nicht aus, um sich wirtschaftspolitisch durchsetzen zu können. Aber bei dem Vorsitzenden einer Mittelstandsvereinigung hätte ich schon mehr erwartet als das, was als Reaktion von seinen eigenen Kollegen kommt. ({0}) - Sie nicht! Ich habe mich nur auf Ihre Einschätzung von Herrn Bregger bezogen, Herr Lambsdorff. Als wir eine Aufstockung der Mittel der Gemeinschaftsaufgabe für Westdeutschland um 50 Millionen DM und die faktische Rücknahme der Kürzungen bei den neuen Ländern beantragten, stimmte uns die christdemokratische Fraktion im Wirtschaftsausschuß nieder. An dieser Stelle möchte ich mich im übrigen bei den Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen dafür bedanken, daß sie in dieser für die wirtschaftliche Entwicklung großer Regionen in Ost und West lebenswichtigen Frage über ihren parteipolitischen Schatten sprangen und einem Antrag, der „nur" von der PDS kam, ihre Stimme gaben. Liebe Frau Kollegin Hermenau, trotz Ihrer offensichtlichen PDS-Allergie, wir werden diesem Antrag, den Sie heute zur namentlichen Abstimmung stellen, selbstverständlich zustimmen, da es ja unser Antrag ist. ({1}): Ich beobachte Sie! Das ist alles!) Gespannt bin ich im übrigen auf die Kollegen Schulz ({2}) und Türk; leider habe ich sie heute hier im Hause noch nicht gesehen. Sie haben vor zwei Wochen auf den Titelseiten ostdeutscher Tageszeitungen einen Entrüstungssturm entfacht, als die nachträgliche weitere Kürzung der GA-Mittel ruchbar wurde. Ich will hier deutlich sagen: Es reicht nicht aus, in den Heimatzeitungen großen Lärm zu schlagen; da ist man relativ sicher. Man muß sich auch in seiner eigenen Fraktion durchsetzen und das hier öffentlich wiederholen. ({3}) Sollten Sie sich in dieser Debatte noch zu einem entsprechenden Entschließungsantrag aufraffen oder jenen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mittragen, unsere Zustimmung hätten Sie gewiß! 50 Millionen DM mehr bleiben bei Waigels Dampfwalze zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, sie wären aber ein kleiner Schritt auf dem richtigen Weg, einem Weg, der konsequent beschritten werden muß, um die Zahl der Opfer der Privatisierungs- und Subventionspolitik dieser Regierung zu begrenzen und Perspektiven für die demnächst Arbeitslosen von Vulkan Wismar bis DASA Speyer zu entwickeln, um nur zwei aktuelle Beispiele zu nennen. Ich will hier auch gleich sagen: Wir sollten endlich aufhören, immer nur zu sagen, es sei kein Geld da. Dieser Weg scheitert nicht am Geld. Man braucht nur in den Etat des Wirtschaftsministers zu schauen: Da leistet sich diese Republik eine sogenannte Bundesrohölreserve, die seit mindestens fünf Jahren wegen der radikal veränderten weltpolitischen Lage nicht mehr vonnöten ist. Mindestens 1 Milliarde DM Nettoerlös ruht in den Kavernen bei Wilhelmshaven. Der Unterhalt der mittlerweile offensichtlich altersschwachen Anlagen soll nächstes Jahr 18 Millionen DM betragen, 2,5 Millionen DM mehr als noch 1994. Aber das Wirtschaftsministerium stellt sich stur. Seine sogenannte Aufzeichnung vom 13. September 1995 atmet den Zeitgeist von 1961 oder 1971. Von „unveränderten Versorgungsrisiken durch abrupte Lieferunterbrechungen", „Notstandsreserven" und „Flexibilität im Krisenmanagement" wird da geschwafelt. Glaubt in Bonn wirklich jemand, in einem globalen Konflikt - nur dann käme hierzulande kein Tropfen Öl mehr an - sei es noch wichtig, ob hier 120 oder nur 100 Tage lang alle Räder weiterrollen können wie bisher? Wann wird das flüssige Gold bei Wilhelmshaven endlich schrittweise in Friedensdividende umgemünzt? Oder hat man im Auge, wenn man wieder einmal landwirtschaftliches Gerät irgendwohin exportieren will, gleich den Sprit dazu zu liefern? Meine Damen und Herren, der Fragwürdigkeiten in diesem Haushalt gibt es noch viele weitere, von der Art der Steinkohlesubvention über die Subventionierung künftiger Auslandsfertigung der DASA, der Förderung erneuerbarer Energien im Feigenblattformat bis zu den Millionen für die Selbstbeweihräucherung des Wirtschaftsministeriums in den Medien, um nur Stichworte zu nennen. BDI-Präsident Henkel sagte am Wochenende einen Nachkriegsrekord der Firmenpleiten voraus. Im Bundeswirtschaftsministerium müßten die Alarmglocken klingeln. Statt dessen hält man unverdrossen an einem Haushalt fest, mit dem man einer Pleite besonderer Dimension einen großen Schritt näherkommt: dem Staatsbankrott. Diesem Abenteuer 1996 des Bundeswirtschaftsministers werden die demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten ihre Stimme verweigern. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kurt Rossmanith. Gleichzeitig kündige ich an, daß dies die letzte Kurzintervention in dieser Debatte sein wird. Wir sind damit 29 Minuten über die Zeit. - Wir wollen Kurzinterventionen in der Kerndebatte. Ich wollte das nur rechtzeitig ankündigen.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nur einige Sätze zu der Einlassung des Kollegen Kutzmutz zum Investitionsförderungsprogramm für die neuen Bundesländer im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" sagen. Erstens. Der Ansatz dafür beträgt im Bundeshaushalt 1996 3,2 Milliarden DM. Zweitens. Mit dem Länderanteil und den EU-Mitteln sind für dieses Programm Mittel in Höhe von 7,2 Milliarden DM vorgesehen. Drittens. Dies bedeutet, daß Investitionen von insgesamt rund 35 Milliarden DM getätigt werden können. Viertens. Wir haben im Haushaltsausschuß einvernehmlich klargestellt, daß für den Fall, daß die Mittel in der Tat nicht ausreichen sollten, Ausgabeermächtigungen bereitgestellt werden, damit kein vernünftiger und berechtigter Antrag abgelehnt werden muß. Natürlich können all das diejenigen, die die Abschlußberatung im Haushaltsausschuß boykottiert haben, nicht wissen. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt.

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeshaushalt 1996 setzt auf Steuersenkung und Ausgabenbegrenzung. Er bereitet uns auf die europäische Wirtschafts- und Währungsunion vor. Der Einzelplan 09, der Einzelplan des Bundeswirtschaftsministeriums, fügt sich in dieses Konzept ein. Er hat ohne die Verstromungshilfen ein Minus von 15 Prozent zu verzeichnen. Aber, Herr Kollege Hampel, das ist nicht etwa eine Vernachlässigung der Wirtschaftspolitik, sondern geht, wie Sie wissen, auf das Auslaufen bestimmter Einmalausgaben, unter anderem im Zusammenhang mit der Errichtung von Wohnungen für die abgezogenen sowjetischen Streitkräfte und anderes mehr, zurück. Meine Damen und Herren, knappe Kassen bedeuten nicht, in der Wirtschaftspolitik keine Akzente zu setzen. Bei der Stärkung des Mittelstands haben wir das hohe Niveau halten können. Bei der Fortführung des Aufbaus im Osten haben wir nach wie vor riesige Ressourcen zur Verfügung. Wir bereiten uns auf eine Konzentration der Förderung vor allem auf das verarbeitende Gewerbe nach 1996 vor. Bei Forschung und Entwicklung und bei Innovation haben wir ebenfalls das Niveau halten können. In der Außenwirtschaftspolitik und in der Energiepolitik haben wir an vielen wichtigen Stellen sogar etwas drauflegen können. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich den Berichterstattern des Haushaltsausschusses dafür danken, daß dieser Haushalt so verabschiedet werden kann. Sie haben an unendlich vielen Stellen geholfen, daß wichtige Projekte weitergeführt und andere Projekte angestoßen werden können. Dieser Dank richtet sich an die Berichterstatter aller hier im Hause vertretenen Parteien. Meine Damen und Herren, unsere größte Herausforderung liegt in der Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit. Die Lage am Arbeitsmarkt ist schlechter als erwartet. Auch zweieinhalb Jahre nach der Überwindung der Rezession hat sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht gebessert. Die Zahlen der Nürnberger Anstalt belegen das. Ich muß hier ausdrücklich sagen, daß es eine solche Entwicklung in der Vergangenheit nicht gegeben hat. In der Aufschwungphase war es immer gelungen, den Arbeitsmarkt in stärkerem Umfang zu entlasten, als wir es heute beobachten. Ich füge hinzu: Selbst wenn wir die Wachstumsraten nicht um ein halbes Prozent hätten revidieren müssen, wenn das Wachstum also bei 3 Prozent geblieben wäre, hätten wir den Arbeitsmarkt nicht nachhaltig und durchgreifend entlasten können. ({0}) - Meine Damen und Herren, ich habe es nie belogen. Herr Schwanhold, Sie sagen das und wissen die Unwahrheit. Ich habe immer gesagt, wir machen die richtige Politik. Aber die Arbeitsmarktprobleme können wir nur dann lösen, wenn wir die Strukturprobleme angehen. ({1}) Sie sind diejenigen, die sich immer wieder verweigern, wenn es darum geht, wirkliche Strukturprobleme anzupacken. Dann sind Sie diejenigen, die dagegenhalten, meine Damen und Herren. ({2}) Ich darf hier in aller Ruhe und Gelassenheit - Herr Schwanhold, da können Sie noch so viel schreien - sagen: Wir gehen unseren Weg weiter, und wir werden die Probleme strukturell angehen. Wir werden das, was wir allein machen können, allein machen. In anderen Punkten müssen wir mit Ihnen reden, und dann wird sich vor den Wählern, vor dem deutschen Volk zeigen, ob Sie bereit sind, das, was Sie immer vollmundig verkünden, auch in politische Realität umsetzen, meine Damen und Herren. Das wird sich dann zeigen. Wir werden im Januar, spätestens Anfang Februar, ein umfassendes Maßnahmenpaket für Wachstum und Beschäftigung vorlegen. Es werden viele Projekte sein, die sich in der Pipeline als Bestandteil unseres Standortpaketes befinden. Es sind andere Projekte aus dem Standortpaket, die eines erneuten Anstoßes im Bereich der Deregulierung, der Steuersenkung, im Bereich der Innovation und in anderen Bereichen, auch beim kostensenkenden Umbau unserer Sozialsysteme, bedürfen. Die Bundesregierung meint es ernst und setzt alles daran, mit diesem wichtigen Problem, diesem zentralen Problem fertig zu werden, für dessen Lösung Sie, meine Damen und Herren, noch nie eine Alternative zu unserer Politik geboten haben. ({3}) Neben klaren Haushaltslinien ist für mich das Aufbrechen verkrusteter Strukturen in der Tarifpolitik ebenso wichtig. Ich begrüße daher ausdrücklich die Initiative von Herrn Zwickel unter der Überschrift „Bündnis für Arbeit". Sein Angebot an den anderen Tarifpartner, sein Angebot an uns alle sollte aufgenommen werden. Es ist ein bemerkenswertes Angebot, weil der Zusammenhang zwischen Löhnen und Beschäftigung ausdrücklich anerkannt wird. Es ist in dieser Form noch nie von seiten der IG Metall gemacht worden, daß der Wiedereinstieg von Langzeitarbeitslosen tarifpolitisch unterstützt werden soll. Aber, meine Damen und Herren, Arbeitszeitflexibilisierung, Lohnzurückhaltung und Einstiegstarife für Langzeitarbeitslose sind zwar die richtige Richtung, aber wir dürfen Arbeitszeitflexibilisierung nicht verwechseln mit Arbeitszeitverkürzung, und das bei vollem Lohnausgleich. Die Zeit dafür ist vorbei. Ich bin froh, daß nunmehr alle gesellschaftlichen Gruppen, auch die Gewerkschaften, deutlich und klar sagen, wo es langgehen muß. Wir brauchen mehr Flexibilität. Bei kürzeren Arbeitszeiten kann nur weniger verdient werden. Wenn mehr gearbeitet wird, wird man mehr verdienen. Den vollen Lohnausgleich kann sich unsere Volkswirtschaft in der Form, wie es jahrzehntelang betrieben worden ist - zu einem guten Teil lange Zeit auch zu Recht -, nicht mehr leisten. Ich bin froh, daß Herr Zwickel das in dieser Deutlichkeit in diesen Tagen gesagt hat. Meine Damen und Herren, unsere nationalen Bemühungen um Wachstum und Beschäftigung werden zusätzliche Schubkraft durch die Wirtschafts- und Währungsunion erhalten. Die Wirtschafts- und Währungsunion ist nicht nur ein politisches und europapolitisches Thema, nein, es ist auch ein betriebswirtschaftliches Thema. Das muß hier mit Deutlichkeit gesagt werden. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßen?

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Ja, bitte.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, wenn Sie das schon dauernd als gute Initiative bezeichnen: Wann ist die Bundesregierung bereit, nachdem sie entsprechende Gesetze zur Kürzung der Arbeitslosenhilfe vorhat, wo Klaus Zwickel fordert, daß das nicht kommt, einiges zu tun, zum Beispiel im Sozialhilferecht, zum Beispiel um die Betriebe heranzuziehen, die nicht ausbilden? Wann wollen Sie initiativ werden, um den zweiten Teil auch umzusetzen? Denn es kann ja nicht sein, daß Sie sich nur die Rosinen aus dem Kuchen heraussuchen und anderen den Rest übriglassen.

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Zunächst noch einmal: Das Angebot von Herrn Zwikkel ist insbesondere ein Angebot an den anderen Tarifpartner. ({0}) - Warten Sie doch nur einmal ab. Unabhängig davon müssen wir natürlich auch im Bereich der Sozialgesetzgebung Dinge anpacken, in bezug auf die Arbeitszeitflexibilisierung und das Arbeitszeitgesetz; wir müssen auch die verschiedensten Sozialbereiche angehen. Beim Gesundheitswesen beispielsweise sind wir ja mitten in dieser Diskussion. Was die Frage der sogenannten versicherungsfremden Leistungen angeht, so werden wir diese Diskussion - ich habe eben von einem Maßnahmenbündel für Januar, Februar gesprochen - führen und werden zu Ergebnissen kommen, die wir dann auch mit Ihnen zu besprechen haben werden, weil wir in vielen Bereichen Ihre Zustimmung, zumindest über den Bundesrat, benötigen. Für uns - das hat jedenfalls meine Partei gesagt - gibt es in dieser Diskussion, die zum Ziel hat, die Lohnnebenkosten zu senken und damit dazu einen Beitrag zu leisten, daß die deutschen Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben und daß die Arbeitsplätze erhalten bleiben und neue geschaffen werden können, kein Tabu.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Der Kollege Mosdorf möchte eine weitere Zwischenfrage stellen.

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Ja, bitte.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Mosdorf.

Siegmar Mosdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, das war jetzt doch ein bemerkenswerter Satz. Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie den Vorschlag von Klaus Zwickel als einen an die Tarifvertragsparteien gerichteten Vorschlag verstanden haben und nicht als einen Vorschlag auch an die Bundesregierung? ({0}) Der Bundeskanzler sieht das nämlich anders.

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Herr Kollege Mosdorf, ich habe gerade gesagt - das hätten Sie mitbekommen, wenn Sie richtig hingehört hätten -: Das ist sowohl ein Vorschlag an den Tarifpartner wie auch an die Politik, sich mit bestimmten Fragen zu befassen. Das habe ich deutlich und klar zweimal gesagt, Herr Mosdorf. ({0}) Wenn Sie so nett wären, würde ich jetzt zur Wirtschafts- und Währungsunion noch einmal das betriebswirtschaftliche Element hervorheben, das neben dem europapolitischen Argument steht und das so wichtig für die Erhaltung der Arbeitsplätze ist. Durch die Wirtschafts- und Währungsunion werden Wechselkursschwankungen nicht mehr in Europa in der Weise in Erscheinung treten wie bisher. Das bedeutet Planungs- und Kalkulationssicherheit; das bedeutet, daß Investitionsentscheidungen auf einer soliden Grundlage getroffen werden können; das bedeutet, daß Transaktions- und Kurssicherungskosten entfallen und daß damit der europäische Binnenmarkt erst richtiggehend vollendet und abgeschlossen ist. Dies bedeutet, daß sich Unternehmen in Deutschland nicht mehr mit der Problematik herumschlagen müssen, die aus der permanenten Abwertung von Währungen in unseren Nachbarländern resultieren. Es gibt die Weichwährungsproblematik nicht mehr. Große Unternehmen werden 70, 80, 90 Prozent ihrer Umsätze in einer Währung abwickeln können. Das ist ein unerhörter Vorteil für diese Unternehmen. Auch deshalb brauchen wir so schnell wie möglich die Wirtschafts- und Währungsunion, damit unsere Unternehmen im Wettbewerb besser bestehen können. ({1}) Wir werden an dem Beginn 1. Januar 1999 festhalten. Für uns steht doch fest - Sie wissen das ganz genau -, daß wir an den Konvergenzkriterien nicht rütteln lassen. Deshalb warne ich erneut vor populistischen Kampagnen. Diese populistischen Kampagnen, die mit Ängsten spielen, stehen im übrigen außerhalb der Tradition der deutschen Politik in diesen europapolitischen Fragen. Mit diesen Ängsten zu spielen und daraus billig politisches Kapital zu schlagen, das halte ich für im höchsten Maße unverantwortlich. Ich würde sagen: Es ist beschämend, so etwas zu machen, ({2}) ob es aus diesem Hause oder aus Niedersachsen kommt. Das ist eine Politik, die auch darauf hinausläuft, daß Arbeitsplätze gefährdet werden. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Darf ich um mehr Ruhe im Saal bitten? Es ist wahnsinnig unruhig.

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Mit einer Wirtschafts- und Währungsunion ist schlechterdings auch unvereinbar die Abschottung der nationalen Strom- und Gasmärkte. Gestern ist darüber gesprochen worden. In Kürze steht in Brüssel die Binnenmarktrichtlinie Strom im Energierat an. Ich sage: Ich bin an einer Liberalisierung bei Strom und Gas in höchstem Maße interessiert. Das ist der letzte große Sektor, der nicht im Wettbewerb ist, der sich nicht in wettbewerblichen Strukturen befindet. Ich kann meine Zustimmung in Brüssel aber nur dann geben, wenn sichergestellt ist, daß es substantielle Fortschritte bei Wettbewerb und Integration gibt und daß es vor allem eine gleichgewichtige Öffnung in allen Mitgliedstaaten gibt. Es genügen die bisherigen Vorschläge der spanischen Präsidentschaft nicht. Mir ist es lieber, daß wir im Dezember keine Lösung haben, ({0}) als einen faulen Kompromiß zu machen. ({1}) Ein fauler Kompromiß im Dezember kommt nicht in Betracht. Frankreich, das sich bisher einer stärkeren Öffnung seiner Märkte verschließt, muß ganz klar noch über seinen Schatten springen. Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, sich an der Bewältigung der vor uns liegenden Herausforderungen sachgerecht zu beteiligen. Ich kann hier in zehn Minuten nicht auf all die wichtigen Fragen eingehen, die beispielsweise in der Außenwirtschaftspolitik, im Zusammenhang mit der Deregulierung oder auch im Sozialbereich zu behandeln sind. Die Zeit gibt das nicht her. Der Haushalt 1996, mein Haushalt, löst nicht alle Probleme. Er ist aber eine solide Grundlage für eine Politik zur Stärkung des Standorts Deutschland. Wir werden unsere wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Verantwortung tatsächlich nur wahrnehmen können, wenn alle daran mitwirken. Wenn wir dies tun und wenn wir in der Umsetzung unseres Standortprogrammes so fortfahren wie bisher, dann bin ich sicher, daß der Standort Deutschland unverändert eine gute Zukunft hat. Schönen Dank. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Kollege Ernst Schwanhold.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß der Wirtschaftsminister eingesteht, daß die Entkoppelung von Wachstum und Entlastung am Arbeitsmarkt eine neue Erkenntnis für ihn ist, disqualifiziert ihn von vornherein. ({0}) Dies ist in allen Wachstumsphasen in der Vergangenheit schon so gewesen, und dies hätten Sie auch angesichts der hohen Ausgangslage von Arbeitslosigkeit und angesichts der Entwicklung auf den Weltmärkten sehen müssen. ({1}) Deshalb sage ich Ihnen von hier aus: Sie haben den Deutschen Bundestag und das deutsche Volk belogen. ({2}) Denn Sie haben gesagt, Sie werden mit zwei bis drei Prozent Wachstum Entlastung am Arbeitsmarkt schaffen, obwohl Sie es besser wußten. ({3}) In der Analyse sind wir uns einig, Graf Lambsdorff; dies will ich ausdrücklich sagen. Ihre Rede war ja bemerkenswert; sie war nämlich eine Kritikrede gegenüber der Politik der Bundesregierung in 13 Jahren und keine gegenüber der Opposition. Wir schließen uns in den Kritikpunkten ausdrücklich an. ({4}) Sie haben beklagt, daß wir zu hohe Lohnnebenkosten haben. Dies ist eine Folge 13jähriger Regierungsverantwortung von Ihnen. ({5}) Sie haben beklagt, daß wir zu lange Genehmigungsverfahren haben. Was ist in den 13 Jahren geschehen, um Genehmigungsverfahren zu verkürzen? ({6}) Sie haben gesagt, daß die administrativen Kosten, die auf die Unternehmen durchschlagen, zu hoch sind. Was haben Sie in den 13 Jahren gemacht? Außer Luftblasen überhaupt nichts! ({7}) Der analytische Teil wird von uns ausdrücklich unterstrichen. Nun kommt die Frage: Wie bewerte ich dieses? Setze ich auf die eine Komponente, wo an der einen oder anderen Stelle Veränderungen notwendig sind - dies hat Klaus Zwickel gesagt, dies hat die Sozialdemokratie seit langer Zeit gesagt -, oder setze ich andere Schwerpunkte ebenso? Dann ist es doch bezeichnend, daß dieser Bundeswirtschaftsminister kein Wort - wirklich kein Wort! - und keinen Gedanken daran verschwendet hat, wie zukünftig Arbeitsplätze in die Bundesrepublik Deutschland hineinzubringen sind, wie wir mit Zukunftstechnologien umgehen, was notwendig ist, um diese hier zu halten, sie anzusiedeln und auszubauen. ({8}) - Entschuldigung, es ist das Ergebnis der Politik der letzten Regierung, daß der einzige Solarzellenhersteller, der in der Bundesrepublik war, weggegangen ist, nicht, weil es hier keine Produktionsgrundlagen gibt, sondern weil nicht geholfen worden ist, Märkte dafür zu schaffen, obwohl wir weltweit in Forschung und Entwicklung einen Vorsprung gehabt haben. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. ({9}) Wo bleibt die konzertierte Aktion dafür, daß wir uns mit denen, die sich in der Forschung und Entwicklung von Biotechnologien - und dies sage ich ausdrücklich in Abgrenzung zu tief eingreifenden Gentechnologien - an einen Tisch setzen, um zu sagen: Dies ist die Maßnahme eins, um Biotechnologie hierzuhalten, dies ist Maßnahme zwei, um Biotechnologie hierzuhalten, damit wir wenigstens in diesem Zukunftsfeld dem Zweig Chemieindustrie eine Chance in der Bundesrepublik Deutschland eröffnen. Wo ist die Initiative des Wirtschaftsministers? Der tut so, als ob er nichts damit zu tun hätte, sondern er redet mal darüber und setzt sich nicht mit den verhandelnden Wirtschaftsakteuren an einen Tisch, um die Rahmenbedingungen herzustellen. Das ist Versäumnis Ihrer Politik! ({10}) - Entschuldigung, Graf Lambsdorff, der DIHT hat es Ihnen doch in der Herbstumfrage gerade ins Stammbuch geschrieben: Pessimismus, weil nicht zu erwarten ist, daß Ihnen die Rahmendaten der Wirtschaftspolitik, Ihrer Wirtschaftspolitik, die Zukunftsaussichten geben, hier zu investieren. Der DIHT hat es Ihnen ins Protokoll geschrieben, nicht wir alleine! ({11}) Ich meine, Sie sollten wenigstens die Kritik von Herrn Schoser ernst nehmen und nicht so tun, als ob dies alles bei der Sozialdemokratie abzuladen wäre. Wir sind eine mächtige Partei, dies ist keine Frage. ({12}) - Wir werden es im Gegensatz zu Ihnen auch bleiben! ({13}) Schauen Sie sich mal an, welche Wahlerfolge Sie in den Ländern haben, wo Sie Regierungsverantwortung tragen! Schieben Sie bitte nicht alles auf die Sozialdemokratie, sondern kehren Sie in Ihrem eigenen Laden, dann haben Sie ausreichend zu tun. ({14}) Ich fordere also von Ihnen einen Pakt für Zukunftstechnologien in diesem Land, indem wir Unternehmer, Arbeitnehmer, Banken und Versicherungsgesellschaften, die über viel Kapital verfügen, auffordern, Kapital, das nicht in Köpfe und Technik investiert wird, sondern in Boden und Beton, umzulenken. Der Wirtschaftsminister ist dazu aufgefordert. Ich will Ihnen einen zweiten Punkt sagen, bei dem nichts, aber auch wirklich nichts gekommen ist. Sie reden immer vom Mittelstand. Noch nie ist der Mittelstand in der Politik so allein gelassen worden wie von Ihnen, noch nie! ({15}) Und das, was Sie zu Existenzgründungen sagen, muß Konsequenzen haben. Wir werden nicht über öffentliche Haushalte die alleinige Kapitalausstattung organisieren können, wir müssen privates Geld dahin organisieren. Wo sind Ihre Initiativen, um zu sagen, wir holen privates Geld in Investitionen, damit wir Eigenkapitalersatz zur Verfügung stellen können? ({16}) - Natürlich dürfen wir das. Wir warten täglich auf Ihre Initiative. Wir haben Ihnen einen Antrag dazu vorgelegt, Sie haben ihn noch nicht einmal aufgegriffen. Sie versuchen, ihn im Wirtschaftsausschuß abzubügeln. Lassen Sie mich Ihnen zum Mittelstand noch einen weiteren Punkt sagen. Dies wirft ein Schlaglicht auf die Debatte. Der Bundeswirtschaftsminister hat in der vergangenen Periode seinen Verbleib im Amt an das Rabattgesetz gekoppelt. Das hat er mehrfach gesagt, und er ist damit auf die Nase gefallen oder, wie Berliner sagen - und der Wirtschaftsminister hat ja in Berlin gelebt und gearbeitet -, auf die Schnauze gefallen, dies übernehme ich gerne. Ich sage Ihnen: Es wird ihm mit dem Ladenschlußgesetz ganz genauso gehen, ({17}) aus folgendem Grund: Erstens hat er die Interessen des Mittelstands nicht im Auge, ({18}) zweitens hat er die Interessen der Beschäftigten nicht im Auge, ({19}) und drittens befaßt er sich mit der Fußnote zur Wirtschaftspolitik „Schöner einkaufen löst die Schwierigkeiten beim Arbeitsmarkt". ({20}) Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sollten sich zu den Währungsfragen äußern, Sie sollten sich zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit äußern und nicht diese Republik ein Jahr lang mit dem Ladenschlußgesetz beschäftigen. ({21})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Friedhelm Ost, CDU/CSU.

Friedhelm Ost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001659, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesen Tagen ist der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Robert Lucas vom Komitee mit dem Nobelpreis 1995 ausgezeichnet worden, und zwar für die Entwicklung und Anwendung der Hypothese rationaler Erwartungen auf Grund der Inanspruchnahme aller Fakten und Daten unter Vermeidung aller systematischen Fehler. Lieber Herr Kollege Schwanhold - ich wende mich aber auch an andere Redner der Opposition, die ich in dieser Haushaltsdebatte gehört habe -, Sie haben weder die rationalen Erwartungen richtig eingeschätzt noch die Fakten zur Kenntnis genommen. Zudem haben Sie systematische Fehler gemacht. Das muß man Ihnen in der Tat bescheinigen. ({0}) Sie sind also weit weg davon, verdächtig für den Nobelpreis zu sein. ({1}) - Liebe Frau Kollegin Fuchs, wer brutto nicht von netto unterscheiden kann, sollte sich nicht als Währungspolitiker betätigen. ({2}) Auch Ihr „norddeutscher Hackethal" in der Währungspolitik sollte lieber seine eigenen Finanzen anschauen. Wer nicht das Landesliga-Nord-Niveau erreicht, sollte sich nicht als großer Coach für die Europäische Währungsunion empfehlen. ({3}) Mit Ihrem dümmlichen Gerede über die Währungsunion haben Sie viele Millionen Menschen in unserem Land verunsichert. Sie haben unseriösen Vermögensberatern Wasser auf die Mühlen gegossen, und Sie schaffen Verunsicherung in der Wirtschaft. Herr Schröder rühmt sich ja seiner besten Beziehungen zu den „big shots" der deutschen Industrie. Ich zitiere einmal den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Olaf Henkel: Ich habe schon seit einiger Zeit befürchtet, daß irgendein Rattenfänger aus der rechtsradikalen Ecke sich dieses Themas bemächtigt, um Angst zu schüren und Stimmen einzufangen. Ich hoffe nicht, daß es auch in der SPD Leute gibt, die meinen, damit könne man sich aus dem Stimmungstief herausretten. Das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben. Sie sollten vor allem auch auf das hören, was der Präsident des Europäischen Parlaments, Herr Hänsch, oder Frau Wulf-Mathies Ihnen ins Stammbuch geschrieben haben. Lieber Herr Kollege Schwanhold, Sie versuchen immer wieder, eine Doppelstrategie zu verfolgen. Sie sagen, Sie wollten die große Innovationsinitiative - dafür sind wir ja alle -, ({4}) nur, Sie bremsen doch alle Innovationen aus. ({5}) Jetzt beschwören Sie die umfassende Verwendung der Solarenergie und machen massiv Front gegen die Kernenergie, die in der Tat eine Innovation ist, mit der wir Arbeitsplätze sichern können. ({6}) Aber Sie wissen doch ganz genau, daß die Kerntechnik weltweit eine wesentlich größere Bedeutung hat, auch wenn die Solarenergie wichtig ist. Sie betreiben hier eine gigantische Dampfplauderei. Sie sind die größten Bremser, wenn es um die Durchsetzung von Innovationen, wenn es wirklich um praktische Produkte und Arbeitsplätze geht. ({7}) Es war ja kein Zufall, daß ein bedeutender SPD- Politiker kürzlich gesagt hat, die SPD habe zum letztenmal offenen Herzens einer wirklichen Innovation zugestimmt, als es um die Einführung des Farbfernsehens ging. Das ist die Wirklichkeit. ({8}) - Liebe Frau Kollegin Fuchs, auch beim Haushalt des Bundeswirtschaftsministers wird mit einer Doppelstrategie gearbeitet. Es wird beklagt, daß ein Rückgang zu verzeichnen ist, wenn man die Kohlehilfen herausrechnet. Gleichzeitig aber gehen Herr Rau, Herr Clement und Herr Lafontaine durch das Land und verkünden: Wir stehen zur Kohle. ({9}) Wenn es aber darum geht, die Zeche allein bei der Kokskohle zu bezahlen, dann verlagern Sie das Problem auf die Unternehmen, auf die Belegschaften. Nein, Sie müssen dann auch springen. Sie dürfen nicht nur große Reden halten und im Wald pfeifen. Sie bremsen auf vielen Feldern, auch im Bereich der Gentechnologie, der Biochemie, wo es wahrlich große Chancen gäbe. Sie bremsen in den Ländern alles aus.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Ost, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwanhold?

Friedhelm Ost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001659, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich habe eine so kurze Redezeit. Ich möchte meine Rede zu Ende führen. ({0}) Diese Doppelstrategie müssen Sie aufgeben. Herr Eichel zum Beispiel spricht sich im hessischen Wahlkampf gegen den Solidaritätszuschlag aus. Dabei sollten wir - gerade am heutigen Tage; denn auf den Tag genau ist es heute sechs Jahre her, daß die Mauer gefallen ist - hier auch einmal eine positive Bilanz ziehen und bedenken, was in Ostdeutschland wirtschaftspolitisch erreicht worden ist, was die Menschen in den neuen Bundesländern bei diesem Gemeinschaftswerk geleistet haben. ({1}) Dies gehört eben auch zu einer vernünftigen Bilanz. Natürlich laufen Sie von der Opposition - Grüne wie SPD - mit Ökosteuerplänen durch die Gegend: Arbeit verbilligen, Energie verteuern. Das hört sich alles gut an. Aber Sie können keine Rechnung vorlegen, die aufkommensneutral oder belastungsneutral ist. Wenn Sie die Ökosteuer einführen und wenn die Menschen kräftig Energie sparen, dann geht doch das Steueraufkommen zurück. Wollen Sie dann jede Woche eine andere Steuer weiter heraufsetzen? ({2}) - Ja, jede Woche passen Sie den Steuersatz an. Je stärker die Leute sparen, um so höher setzen Sie die Steuer an. ({3}) Nachdem Sie vorher die Arbeit verbilligt haben, sagen Sie hinterher: Liebe Arbeitnehmer, liebe Arbeitgeber, die Sozialversicherungsbeiträge müssen wir anheben; ihr seid schön blöd, so kräftig zu sparen. ({4}) Das machen wir nicht mit. Das sind falsche Signale in einer sicherlich schwierigen Phase der wirtschaftlichen Entwicklung. ({5}) Lieber Herr Kollege Schwanhold, ich sage Ihnen ganz offen: Die Wachstumspolitik der Bundesregierung ist richtig; sie muß verstärkt werden. Ohne Wachstum werden wir nämlich nicht einmal den Beschäftigungsstand stabilisieren können. Ohne Verstärkung des Wachstums werden wir auch keine zusätzlichen Arbeitsplätze schaffen können. Wir müssen neue Wachstumssignale geben, vor allem im Bereich der Unternehmensteuerreform. Die Gewerbekapitalsteuer gehört endgültig abgeschafft. ({6}) Die Gewerbeertragsteuer muß gesenkt werden. Wir müssen Veränderungen bei der Vermögen- und Erbschaftsteuer vornehmen, damit vor allem mittelständische Betriebe eine gute Zukunft haben und Arbeitsplätze gesichert werden. ({7}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich wundere mich immer, wenn Sie sagen, die Gewerbekapitalsteuer sei eine Steuer nur für Großbetriebe. 350 000 Betriebe sind davon betroffen. Zählen Sie mir die 350 000 Großbetriebe einmal auf. Da kommen Sie nach der Nummer zehn schon ins Stottern. Positiv ist die Initiative der IG-Metall, die von Herrn Zwickel, gewürdigt worden. Ich bin sehr dafür, daß auch die Arbeitgeber, wie sie das schon signalisiert haben, das Gespräch aufnehmen. Zum erstenmal ist doch damit von Gewerkschaftsseite ein Schritt in diese Richtung getan worden. Sie leugnen das immer noch, obwohl Sie jetzt Ihr Programm für den Mannheimer Parteitag ein wenig umschreiben müssen. Bislang haben Sie in die „Hörzu" geguckt und glaubten, das reiche für Ihre Programmatik schon. ({8}) Zum erstenmal wird anerkannt, daß die Lohnpolitik, daß die Tarifpolitik enorme Auswirkungen auf den Grad der Beschäftigung, auf den Arbeitsmarkt hat. Das sollten wir auch von der politischen Seite positiv begleiten, aber mit den richtigen Signalen. ({9}) Lieber Herr Kollege Schwanhold, Sie haben dafür geworben - ({10}) - Ja, eine neue Kultur der Selbständigkeit, wie der Kanzler es gesagt hat, wollen wir unterstützen. Das spielt in die Frage des Risikokapitals hinein. Die Frage des Risikokapitals lösen Sie aber nicht dadurch, daß Sie gen Himmel gucken, sondern indem Sie sich steuerpolitisch bewegen, indem Sie die Betriebe entlasten und steuerlich begünstigen. ({11}) Ich möchte noch eins sagen, weil in diesem Zusammenhang von Gerhard Schröder kleinkariert Kritik geübt worden ist. Wir brauchen eine Stärkung der Außenwirtschaftspolitik. Wir sollten vor allem den Botschaften, den Wirtschaftsattachés und auch den Auslandskammern sehr für ihr Engagement für die deutsche Außenwirtschaft danken. Da sind Wege geebnet worden; da sind Türen geöffnet worden. Da sollte man nicht kleinkariert als Gelegenheitstourist Kritik üben. ({12}) Mit den drei großen K der SPD - mit Krise, Katastrophe und Kritik - ist kein Staat und schon gar keine gute Wirtschaftspolitik zu machen. ({13}) Deshalb setzen wir auf die drei großen M - auf Mut, Mitverantwortung und Mittelstand -, um die Zukunft zu gestalten und zu gewinnen. Vielen herzlichen Dank. ({14})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Anke Fuchs, SPD.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik ist so wichtig, daß ich zur Sache zurückkommen möchte. Was Herr Ost uns hier geboten hat, war schon eine Zumutung. Er sollte im übrigen einmal unser Parteiprogramm lesen. ({0}) Graf Lambsdorff, das Kernthema lautet: Weltwirtschaft und Arbeitsplätze. Ich wollte wie Sie den Hamburger Bürgermeister zitieren; ich tue dies, weil ich ihm zustimme, denn er hat gesagt, meine Damen und Herren: Wir müssen den Sozialstaat, die Demokratie retten vor diesem neuen globalen Kannibalismus ohne Regeln, ohne Kontrolle, ohne Verantwortung. Dieser Kannibalismus frißt Einzelschicksale, Lebensordnungen und Demokratie. ({1}) Recht hat Henning Voscherau, wenn er das feststellt. Er sagt weiter: Der Staat muß Strategien entwickeln gegen Steuerflucht und unproduktive Finanzanlagen in Steueroasen. Er muß das vaterlandslose Spekulantentum eines Teils der reichen Oberschicht bekämpfen. ({2}) Dazu gehören diejenigen, die ins Ausland gehen, um weniger Steuern zu bezahlen. Es ist kein unabwendbares Schicksal, wenn wir in Europa eine Steueroase dulden müssen. Recht hat Henning Voscherau, meine Damen und Herren. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Austermann?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Kollegin Fuchs, ist das der gleiche Kollege Voscherau, der zur Zeit erwägt, in Hamburg die Gewerbesteuer um 20 Punkte zu erhöhen? ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist einer jener Ministerpräsidenten, die unter der Finanzpolitik dieser Bundesregierung leiden, die die Lasten immer wieder auf die Länder verschiebt, meine Damen und Herren. ({0}) Es geht hier um diesen globalen Ansatz.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Fuchs, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Janz?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Ilse Janz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, mit der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft hat diese Bundesregierung auch die Einführung des Zweitregisters begründet, unter anderem auch damit, daß dann weniger ausgeflaggt würde. Können Sie mir bitte sagen, wie Sie die jetzt vorgeschlagene Ausflaggungswelle der Hapag-Lloyd-Reederei mit dem Verlust von mehr als 400 qualifizierten Arbeitsplätzen in der Seeschiffahrt beurteilen? ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Weltwirtschaft und Arbeitsplätze, Frau Kollegin, bedingen - das ist der Grund, warum wir hier Regeln schaffen - sich. Sie haben völlig recht: Wir haben davor gewarnt zu meinen, mit dem zweiten Schiffsregister Arbeitsplätze erhalten zu können. Wir haben immer dafür plädiert, daß man die steuerliche Entlastung deutscher Seeleute auf die Tagesordnung setzt und nicht Lohndumping betreibt. ({0}) Es ist unerträglich, daß wir Millionen von Subventionen geben, daß wir aber mit Hü und Hott und mangelnder Berechenbarkeit die Schiffahrtsbeihilfen so gestaltet haben, daß jetzt ein Unternehmen wie Hapag-Lloyd zur Ausflaggung berechtigt zu sein glaubt. Es ist unerträglich, wenn wir weiter und immer wieder staatliche Zuschüsse nicht von Arbeitsplatzgarantien abhängig machen, meine Damen und Herren. ({1}) Weiter zum Thema Weltwirtschaft und Arbeitsplätze: Meine Folgerung daraus ist - lassen Sie uns darüber bitte konzeptionell nachdenken -, daß wir Regeln brauchen. Wir müssen die Frage beantworten: Wie sollen gesittete Staaten mit ihren Volkswirtschaften untereinander umgehen? Es reicht doch nicht zu sagen: Marktwirtschaft wird alles richten. - Nein, wir wissen: Marktwirtschaft ist blind für soziale Gerechtigkeit, ({2}) Marktwirtschaft ist blind für ökologische Verwerfungen. Deswegen müssen wir auch im internationalen Wettbewerbsbereich dafür sorgen, daß es kein Lohndumping gibt, daß es kein Umweltdumping gibt. Das ist die Herausforderung, die die Weltwirtschaft uns jetzt aufträgt, meine Damen und Herren. ({3}) Wir brauchen ein Entsendegesetz, weil klar ist, daß hier keine Regeln vorhanden sind. Ich hätte sie auch lieber europäisch. Aber ich werde nicht einsehen, daß portugiesische Bauarbeiter bei uns nicht das gleiche verdienen können wie deutsche Bauarbeiter. Wenn es nicht geht, brauchen wir dafür ein Gesetz. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf Lambsdorff?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Fuchs, darf ich daran erinnern, daß ich vor 30 Minuten gesagt habe, wir bräuchten ein internationales Wettbewerbsrecht und ein internationales Handelsrecht. Darf ich Sie gleichzeitig darauf aufmerksam machen, daß der schärfste Widerspruch gegen die Position, die Sie ins Feld geführt haben, von den Entwicklungsländern kommt, weil Sie denen mit solchen Bestimmungen die Entwicklungsmöglichkeiten nehmen. Sind Sie sich im klaren darüber, daß die von Ihnen vertretene Position der nackte Egoismus gegenüber den Ärmsten in dieser Welt ist? ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Graf Lambsdorff, wenn ich über Weltwirtschaft und Arbeitsplätze rede und sage, daß wir von uns aus Strukturen hinsichtlich der internationalen Bereiche, des Binnenmarkts Europa verändern müssen, um gegenüber den Bereichen Asien und Nordamerika wettbewerbsfähig zu sein, dann stellt sich natürlich die Frage: Was hat das für Auswirkungen auf Chancen der Entwicklungsländer? Wir müssen die Entwicklungs-, Wirtschafts- und Finanzpolitik natürlich so gestalten, daß diese Länder endlich Chancen haben, auf eigenen Füßen zu stehen und in einem fairen Welthandel mit uns zu konkurrieren. ({0}) Darum geht es doch: ihnen zu helfen, damit sie die Chance haben, in einem fairen Welthandel ihre Produkte auf den Markt zu bringen, um nicht mit Sozial- und Ökodumping auf dem Weltmarkt bestehen zu müssen. Das sind zwei Seiten derselben Medaille. ({1}) Das Thema „Weltwirtschaft und Arbeitsplätze" bietet keinen Grund, abzuwarten und zu sagen: Es wird sich alles richten. Ich habe zum Entsendegesetz bereits etwas gesagt. Das Thema „Weltwirtschaft und Arbeitsplätze" bietet keinen Grund, in dieser Republik gar nichts mehr zu tun. Deswegen ist es an der Zeit, daß wir uns endlich den sozialversicherungspflichtigen Teilzeitarbeitsplätzen zuwenden. Keine Weltwirtschaft hindert uns daran, endlich dafür zu sorgen, daß auch die Verkäuferinnen und die im Gaststättengewerbe Tätigen einen vernünftigen Arbeitsplatz bekommen. ({2}) Es besteht auch angesichts der Herausforderungen der Weltwirtschaft überhaupt kein Grund, darauf zu verzichten, alles zu tun, um Arbeitsplätze zu schaffen Anke Fuchs ({3}) und zu sichern. Wir haben eine Menge zu tun, um die Scheinselbständigkeit abzubauen und illegale Beschäftigung zu bekämpfen. ({4}) Heute morgen war wieder viel von den hohen Lohnnebenkosten die Rede. Es wurde gesagt, die IG Metall habe einen guten Vorschlag gemacht. Ich wiederhole, was mein Kollege gesagt hat: Voraussetzung ist, daß Sie die Kürzung bei der Arbeitslosenhilfe zurücknehmen. ({5}) Daran möchte ich noch einmal erinnert haben. Zu den hohen Lohnnebenkosten möchte ich noch ein paar Bemerkungen machen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr, Herr Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Fuchs, Sie haben in Ihrer Rede vor allen Dingen auf die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge verwiesen, aber auch die Bedeutung der Selbständigen zumindest in einem Satz unterstrichen. Ihr Kollege Schwanhold hat vorhin die Bedeutung des Mittelstandes besonders erwähnt. Deshalb gestatte ich mir die Frage an Sie, wie Sie es deuten, wenn einer Ihrer Kollegen, der heute unter uns sitzt und von der Wirtschaft wirklich etwas versteht - das habe ich bei verschiedenen Diskussionen feststellen können -, sagt: Das große Problem der Selbständigen war und ist, daß die Sozialdemokraten immer glauben, daß Selbständige Ausbeuter sind, die in dieser Partei nichts zu suchen haben. Ich hätte gerne eine Antwort auf diese Aussage, die einer Ihrer Kollegen, den ich jetzt nicht bloßstellen möchte, in einem bedeutenden deutschen Wirtschaftsblatt gemacht hat.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sagen Sie ruhig, wer das ist. Herr Kollege Hinsken, Sie kennen doch sicherlich unser Regierungsprogramm, das ich Ihnen übrigens zu lesen empfehle. Darin sprechen wir viele Themen an, zum Beispiel die Flexibilisierung. Wir setzen auf den Mittelstand. Wir setzen auf die Selbständigkeit. Herr Kollege Hinsken, beim Thema Ladenschluß bin ich der Auffassung, daß wir sehr darauf achten müssen, daß nicht der Mittelstand und der Einzelhandel die Benachteiligten in einer solchen Frage sind. ({0}) Von daher können Sie sicher sein, daß wir Mittelstandspolitik und Selbständigkeit sehr ernst nehmen. Wir wollen eine Gründungswelle unterstützen. Das ist in diesen Tagen deutlich geworden. Ich will zu den Lohnnebenkosten kommen. Wir haben es doch vorgemacht; Herr Solms ist nicht mehr da, sonst würde ich meine Handbewegung wiederholen. Ich sage es trotzdem noch einmal: Wir wollen die Lohnnebenkosten senken, indem wir Arbeitslosenversicherungsbeiträge senken, und zwar um 2 Prozent. Das bringt für die Arbeitnehmer netto mehr und entlastet die Arbeitgeber von Lohnnebenkosten. Das ist der richtige Weg. Wenn Sie das fordern: Warum machen Sie es dann nicht? ({1}) Herr Solms, Sie haben es verstanden. Ich finde, es war eine gute Debatte, weil Sie am nächsten Tag zugegeben haben, daß Sie es verstanden haben. Dabei ging es um die Frage: Umwelt belasten, Arbeit entlasten. Ich will diesen Diskussionsprozeß festhalten, weil ich glaube: Wer die ökologische Erneuerung der Industriegesellschaft will, weil sie die Chance ist, auf diesem veränderten Weltmarkt unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, der muß sich fragen, mit welchen konkreten Projekten er an diesen Umdenkungsprozeß herangehen will. Wir sagen: Umwelt belasten, in diesem Fall die Energie, und Arbeit entlasten. Wir nehmen durch eine moderate Erhöhung der Strompreise, durch eine moderate Erhöhung der Mineralölsteuer genug Geld ein, um die Arbeitnehmer und die Unternehmer zu entlasten. Rufen Sie also nicht immer nach einem Senkungsprogramm für die Lohnnebenkosten, sondern folgen Sie unseren Vorstellungen einer ökologischen und sozialen Veränderung der Industriegesellschaft. ({2}) Dann hätten wir das erreicht, worüber auch in den Sozialausschüssen diskutiert wird, nämlich die Arbeitsmarktpolitik wenigstens zum Teil steuerfinanziert zu betreiben. Es wird gelegentlich davon geredet, daß die Sozialversicherung geplündert wird, indem ihr versicherungsfremde Leistungen aufoktroyiert werden. Wir müßten dann bei der Bundesanstalt für Arbeit ansetzen. Es ist nicht die Aufgabe der Arbeitnehmer und Unternehmer allein, vernünftige Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, sondern dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deswegen ist es auch richtig, die Lohnnebenkosten zu senken und mit einer Erhöhung der Energiepreise zugleich Luft zu schaffen, um arbeitsmarktpolitische Instrumente aus Steuermitteln zu finanzieren. Das ist eine sehr vernünftige Sache. ({3}) Herr Minister, ich bin dankbar, daß Sie sagten, Sie wollen dieser Richtlinie so nicht zustimmen. Wir werden im Wirtschaftsausschuß mit den Kolleginnen und Kollegen darüber zu diskutieren haben. Graf Lambsdorff, diese Richtlinie zur Energiepolitik fällt ja nicht Anke Fuchs ({4}) vom Himmel; sie kommt nur zustande, wenn die Bundesregierung zustimmt. Wir ermuntern Sie, nicht zuzustimmen, weil sie in der jetzigen Fassung für uns Wettbewerbsnachteile bringt, weil sie die Umweltstandards nicht vernünftig harmonisiert und weil die kommunalen Energieträger davon negativ betroffen sind. Ich bin froh und appelliere an meine Kolleginnen und Kollegen im Wirtschaftsausschuß: Paßt auf, ob das, was er hier gesagt hat, auch in die Tat umgesetzt wird. Ich habe meine Zweifel daran; deshalb halte ich das hier noch einmal fest. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Vor den Abstimmungen haben die Kollegen Hampel und Kolbe sowie die Kollegin Hermenau Gelegenheit zu Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung. Bitte, Herr Kollege Hampel.

Manfred Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000798, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erkläre zur Abstimmung: Angesichts der katastrophalen Lage des Haushalts und des ungedeckten Schecks in zweistelliger Milliardenhöhe sehen wir uns nicht in der Lage, für die zweite Lesung eigene Anträge zu stellen. Wir haben deswegen darauf verzichtet. Das bedeutet natürlich, daß wir auch Anträgen, die uns inhaltlich sympathisch sind oder mit denen wir inhaltlich voll übereinstimmen, oder Anträgen, die wir im Haushaltsausschuß gleichlautend oder in ähnlicher oder größerer Höhe gestellt haben, wie das zum Beispiel beim Antrag für die GA Ost gewesen ist, ({0}) nicht zustimmen können, sondern uns hier enthalten werden. Das haben wir so am Dienstag praktiziert, als wir über die Nicaraguahilfe abgestimmt haben. Das haben wir am Mittwoch so praktiziert, als wir über den Eurofighter abgestimmt haben. Das werden wir auch heute so praktizieren, wenn wir über die Anträge der Grünen zur Photovoltaik und die GA Ost abstimmen. Ich werde mich der Stimme enthalten, und ich hoffe und denke, meine Kollegen werden mir folgen. Durch die roten Karten, die die Koalitionskollegen aus dem Osten für den Antrag der Grünen einwerfen werden - ich gehe zumindest fest davon aus -, ({1}) werden wir den Wortbruch erkennen. Wir werden auch erkennen, wie sie gegen ihre eigenen Forderungen, die sie noch vor Tagen und Wochen erhoben haben, stimmen werden. Schönen Dank. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Jetzt hat der Kollege Manfred Kolbe, CDU/CSU, das Wort.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kollegen! Für die Gruppe der CDU-Abgeordneten aus den östlichen Bundesländern ({0}) gebe ich eine Erklärung zur Abstimmung ab, und zwar zum Antrag der Grünen betreffend Aufstokkung der Gemeinschaftsaufgabe „Ost" um 50 Millionen DM. Es ist ja kein Geheimnis, daß wir dieses Mal Probleme mit den investiven Titeln des Einzelplans 09 hatten. Dem einen oder anderen konnten wir anfänglich nicht zustimmen. Tatsache ist aber auch - davon sollte auch die Opposition Kenntnis nehmen -, daß wir nach sehr engagierten Diskussionen in unserer Fraktion in drei entscheidenden Punkten Verbesserungen für den Aufbau Ost durchgesetzt haben. ({1}) - Frau Fuchs, nicht nur 3,80 DM, sondern erstens 60 Millionen DM bei der Industrieforschung, zweitens Eigenkapitalförderung: plus 70 Millionen DM Verpflichtungsermächtigung, drittens Verbesserungen bei der Gemeinschaftsaufgabe „Ost". Hinsichtlich der Gemeinschaftsaufgabe „Ost" gab es bis zum Schluß Diskussionen, weil wir uns in der Tat mit der Kürzung nicht abfinden wollten. Frau Fuchs, was uns dann aber aus dem Rennen genommen hat, war der Mittelabfluß 1994. Jetzt hören Sie einmal ganz genau zu: 1994 sind leider 361 Millionen DM, davon alleine 265 Millionen DM in Sachsen-Anhalt, nicht abgeflossen. ({2}) Dort stellen Sie die Regierung. In den unionsregierten Ländern Sachsen und Thüringen ist alles abgeflossen. ({3}) Dieses Mal wollten wir hart bleiben, aber dieser Mittelabfluß hat uns natürlich aus dem Rennen genommen. Herr Hampel, vielleicht können Sie in Ihrem Land dafür sorgen, daß der Mittelabfluß etwas besser wird. ({4}) Wir haben deshalb in unserer Fraktion folgendes beschlossen: Die CDU/CSU-Fraktion nimmt zustimmend zur Kenntnis, daß für die Gemeinschaftsaufgabe Ost 1996 genügend Mittel zur Verfügung gestellt werden und daß ein über den Haushaltsansatz hinausgehender Mehrbedarf durch die Bereitstellung von Ausgaberesten finanziert wird, wobei die Deckung aus dem Gesamthaushalt erfolgt. Von Wortbruch kann also überhaupt nicht die Rede sein. Im Gegenteil. Wir haben dieses Mal wichtige Mittelansätze für den Aufbau Ost durchgesetzt. Deshalb ist Ihr Antrag, verehrteste Frau Kollegin Hermenau, leider überflüssig. ({5}) Noch ein abschließendes Wort, und zwar in Abwandlung eines vielzitierten Satzes: Diesmal als Tiger gestartet und aufrechten Hauptes durchs Ziel gegangen! ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Jetzt hat die Kollegin Antje Hermenau vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte die Hoffnung nicht aufgeben, vielleicht doch noch ein paar Kolleginnen und Kollegen davon überzeugen zu können, daß wir den Einzelplan 09 ablehnen müssen und daß wir einen Antrag stellen müssen. ({0}) - Dies ist eine Erklärung zur Ablehnung des Einzelplans 09. - Die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" werden um 500 Millionen DM - um eine halbe Milliarde - gesenkt. Das Haushaltsloch, das wir seit Wochen bekritteln, besteht auch in den Ländern. Die Landeshaushalte in den fünf neuen Ländern versuchen jetzt im Prinzip, mit demselben Problem fertig zu werden wie wir. Wir reden von einer aktuellen neuen Problematik.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin, hören Sie mir bitte einen Augenblick zu! - Sie müssen aus formalen Gründen begründen, warum Sie wie folgt abstimmen. Dann müssen Sie so verfahren wie die anderen Fraktionen auch und sagen, Sie gingen davon aus, daß dem viele aus Ihrer Fraktion folgen werden. So ist die Praxis hier. ({0})

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir haben zwar keinen Fraktionszwang, aber ich gehe davon aus, daß viele aus meiner Fraktion meinem Abstimmungsverhalten folgen werden, und zwar aus folgendem Grund. Die fünf neuen Länder kämpfen jetzt mit demselben Problem wie der Bund, nämlich mit einem Haushaltsloch. Sie haben jetzt zum Teil Sperren über den Ausgaberest 1994 verhängt, oder sie versuchen es mit Budget-Lösungen wie Sachsen. Das heißt, da die Haushalte der neuen Bundesländer noch in einer Größenordnung von ca. 30 Prozent flexibel sind - das ist anders als in den alten Bundesländern -, werden im nächsten Jahr die Investitionsprogramme heruntergefahren und in diesem Jahr wahrscheinlich nicht ausgeschöpft werden. Das heißt weiterhin, daß wir verpflichtet sind, einen Puffer einzubauen, und wenn er nur in 50 Millionen DM besteht, um die Gemeinschaftsaufgabe zu stärken. Hätten wir die Haushaltsberatungen in Ruhe zu Ende gebracht und die neue Situation bedacht, hätten wir auch dieses Problem besprechen können. Jetzt zwingen Sie uns zu einem solchen Hauruckantrag, und ich bedauere sehr, daß wir deswegen auch den Einzelplan 09 in Bausch und Bogen ablehnen müssen. - Aber ich glaube nicht, Herr Kollege Kolbe, daß ich als Tigerin gestartet und als Bettvorleger gelandet bin. Danke. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen, zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/2938. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Urnen besetzt? - Das scheint der Fall zu sein. Ich eröffne die Abstimmung. - Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.*) Darf ich bitten, Platz zu nehmen. Wir fahren mit den Abstimmungen fort und kommen zum Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 13/2897. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei unklarem Abstimmungsverhalten der PDS und bei Enthaltung der SPD abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/2937? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den *) Seite 5918 B Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt. Über den Einzelplan 09 in der Ausschußfassung können wir erst abstimmen, wenn das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vorliegt. Wir setzen daher jetzt die Beratungen fort. Ich rufe auf: Einzelplan 11 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung - Drucksachen 13/2611, 13/2626 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Ina Albowitz Dietrich Austermann Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und zwei Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. ({0}) - Darf ich noch einmal um Ruhe bitten. Das gilt auch für Mitglieder der Regierung. Solange sie stehen, sind sie Abgeordnete. ({1}) Das Wort hat die Kollegin Dr. Konstanze Wegner, SPD.

Dr. Konstanze Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn möchte ich einige kurze Ausführungen über die Zukunft des Sozialstaats machen, und anschließend möchte ich gezielt auf einige Probleme unseres Sozialhaushalts im Einzelplan 11 eingehen. Die Debatte um den Sozialstaat, das heißt, um seinen Abbau oder um seinen Umbau, wird zur Zeit, wie mir scheint, häufig in einer ritualisierten Form geführt, nämlich mit Schlagworten, die nicht weiterhelfen und die höchstens die Politikverdrossenheit verstärken werden. Viele Unternehmer, verstärkt von der F.D.P. und Teilen der CDU/CSU, bringen gebetsmühlenartig ihre Klagen vor: die Löhne seien zu hoch, die Arbeitszeit zu kurz, die Gesetzgebung zu kompliziert und wir hätten zu viele Feiertage. SPD, Gewerkschaften, die Wohlfahrtsverbände und Teile der Kirchen weisen diese pauschalen Vorwürfe dann meist ebenso pauschal zurück und verweisen in der Regel auf Fehler des Managements und auf die Verantwortung der Tarifparteien. Klaus Zwickel von der IG Metall, der in diesem Raum schon oft zitiert worden ist, hat dieses Ritual durchbrochen und einen Denkanstoß gegeben. Ich denke, man sollte aber die ganze Rede Zwickels zur Kenntnis nehmen und sich nicht nur die Teile heraussuchen, die einem passen. ({0}) Was die Debatte um den Sozialstaat häufig so einseitig erscheinen läßt, ist die Tatsache, daß es dabei fast immer nur um die zugegebenermaßen hohen Kosten des Sozialstaats geht. Von den Kritikern des Sozialstaats wird jedoch niemals thematisiert, was wir in Deutschland dem modernen Sozialstaat auch verdanken. Ich bin fest überzeugt, daß ein funktionierender Sozialstaat die Grundvoraussetzung einer stabilen Demokratie ist. ({1}) Ohne unser ausgefeiltes System der sozialen Sicherung hätten wir heute in Deutschland angesichts der hohen Arbeitslosigkeit vermutlich Zustände wie in der Endphase der Weimarer Republik, nämlich fortgesetzte Regierungswechsel und die Reps als Massenpartei in den Parlamenten. Natürlich müssen wir den Sozialstaat reformieren, wenn wir ihn auch in Zukunft erhalten wollen. Die Zukunft der Arbeit zu sichern heißt für den Staat einerseits, die Rahmenbedingungen für die Entstehung neuer Arbeitsplätze in der Wirtschaft zu schaffen und andererseits, die Folgen der Arbeitslosigkeit dort, wo sie nicht zu verhindern ist, abzumildern. Konkret heißt das - ich knüpfe an das an, was der Kollege Schwanhold gesagt hat -: Wir brauchen eine Stärkung des Mittelstands, der im Unterschied zur Großindustrie die meisten Innovationen und die meisten Arbeits- und Ausbildungsplätze bietet. Der Mittelstand braucht Steuererleichterungen, Steuervereinfachungen und den Transfer von Technologie- und Risikokapital. ({2}) - So ist es. Wir brauchen ausreichend Ausbildungsplätze und auch eine verbesserte Qualität der Ausbildung. Nach Aussagen des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Jagoda, ist die deutsche Wirtschaft ihrer Zusage, mehr Ausbildungsplätze in diesem Jahr anzubieten, bisher nicht nachgekommen. ({3}) Nicht auszubilden, aber möglichst viele Mitarbeiter auf Kosten der Rentenversicherung in den Vorruhestand zu schicken und anschließend über Facharbeitermangel zu jammern, so wie die Großindustrie das tut, ist kein Ausweg aus der Krise. ({4}) Wir brauchen, liebe Kollegin Albowitz, ein kreatives Management - übrigens auch in der Politik -, das Mitarbeiter auch in der Politik zu motivieren versteht und das nicht an Produkten festhält, die heute andere viel billiger und genau so gut wie wir herstelDr. Konstanze Wegner len. Wir brauchen ganz gewiß eine intelligente Neuverteilung und Flexibilisierung der Arbeit. Wir brauchen die Nutzbarmachung des kreativen Potentials, das Frauen in unserer Gesellschaft darstellen, auch und gerade in der Wirtschaft. ({5}) Angesichts der Massenarbeitslosigkeit muß es aber auch eine aktive Arbeitsmarktpolitik des Staates geben, wie es zum Beispiel die SPD in ihrem großen Entwurf für ein Arbeits- und Strukturförderungsgesetz dargestellt hat. Die staatliche Arbeitsmarktpolitik muß die staatlichen Mittel nicht nach dem Stopand-go-Prinzip, sondern geregelt und verläßlich zur Verfügung stellen. Über den wirksamsten Einsatz dieser Mittel muß dann dezentral, das heißt vor Ort mit den Verantwortlichen und möglichst noch unter Bündelung der Ressourcen, entschieden werden. Ich glaube durchaus: Viele Arbeitnehmer in diesem Land wären zu weiteren Einschränkungen bereit - viele haben sie schon hinnehmen müssen, das wird immer vergessen -, ({6}) wenn dadurch ihre Arbeitsplätze wirklich langfristig gesichert würden. Für den Standort Deutschland ist meines Erachtens die entscheidende Frage, ob diejenigen, die in diesen Bereichen Verantwortung tragen, endlich einmal bereit sind, auf die eingefahrenen Rituale zu verzichten und sich der Probleme unvoreingenommen anzunehmen. Zwickel hat hier den Anfang gemacht. ({7}) Wie sehen nun die Antworten der Regierung auf die sozial- und gesellschaftspolitischen Fragen und Herausforderungen aus? Die Regierungsparteien geben dem Bildungs- und Forschungsministerium einen neuen, einen hochtrabenden Namen, „Zukunftsministerium", und einen neuen, allerdings etwas bläßlichen Minister, aber sie geben ihm kaum mehr Geld. Unter Flexibilisierung verstehen Sie einseitig die Ausweitung der Samstags- und Sonntagsarbeit. Damit erschweren Sie die Bedingungen für ein Familienleben, das Sie doch sonst in Ihren Sonntagsreden so hochhalten. ({8}) Die CDU verhindert in ihrer eigenen Partei durch reaktionäre Beschlüsse die Anwendung sinnvoller Gleichstellungsmaßnahmen für Frauen, wie die Einführung der Quote, und Sie zementieren damit die männliche Vorherrschaft in Ihrer eigenen Partei und in der Politik insgesamt. ({9}) Was tut die Regierung eigentlich, um die vielbeklagten Kosten des Sozialstaats zu senken? Sie lassen - es wurde in der Debatte zum Wirtschaftshaushalt gesagt - seit Jahren zu, daß die Kosten der Einheit wesentlich über die Sozialversicherungssysteme finanziert werden, und Sie erhöhen damit die beklagten Lohnnebenkosten der Arbeit. Ein weiterer Punkt. Nach Ansicht von Fachleuten könnte mehr Prävention im Bereich berufsbedingter Krankheiten jährlich Milliarden einsparen. Die hierzu vorgesehenen Mittel im Sozialhaushalt fließen jedoch kaum ab. Hier muß der Bundesminister aktiver werden. Es genügt nicht, daß man die Schuld immer nur auf die Länder schiebt. ({10}) Bevor ich mich einigen Schwerpunkten des Etats zuwende, möchte ich mich beim Ministerium für das zügige Übersenden der angeforderten Unterlagen und bei meinen Mitberichterstattern und Mitberichterstatterinnen für die kollegiale Zusammenarbeit bedanken. Zurück zur Arbeitsmarktpolitik. Von der Schönfärberei und den Fehlplanungen, die Waigels Haushaltsentwurf 1996 charakterisieren, war und ist auch der Einzelplan 11 in hohem Maße betroffen. Man kann sagen, Blüm ist sozusagen das Opfer von Waigels und Rexrodts falschen Zahlen geworden. ({11}) - Hören Sie nur bis zu Ende zu! - Dank rosiger, aber krottenfalscher Arbeitsmarktprognosen sollte die Bundesanstalt für Arbeit für 1996 ohne Zuschüsse auskommen, und der Ansatz für die Arbeitslosenhilfe mit 14,8 Milliarden DM war viel zu niedrig angesetzt. Sie haben das, Kollege Austermann, zwar in der Schlußphase der Beratungen korrigiert ({12}) - das weiß ich; ich hatte Ihre Anträge gesehen -, ({13}) aber ob die entsprechenden Aufstockungen ausreichen werden, steht in den Sternen. Ihr hehres Einsparziel von 10 Milliarden DM im Sozialetat haben Sie jedenfalls weit verfehlt. Mit dem neuen Gesetz zur Reform der Arbeitslosenhilfe werden sich meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich der Sozialpolitik noch im einzelnen auseinandersetzen. Der Kern der sogenannten Reform, mit der die Regierung insgesamt 3,4 Milliarden DM einsparen will, ist eine Bestrafung der Betroffenen und eine weitere Belastung der Gemeinden. ({14}) Als Beweis für den angeblichen Mißbrauch der Arbeitslosenhilfe führt der Arbeitsminister immer den Ingenieur an, der angeblich schon seit 20 Jahren Arbeitslosenhilfe erhält. Eine Anfrage der Grünen hat nun ergeben, daß es in Deutschland ganze elf Personen gibt, auf die das zutrifft. Es sind zehn Männer und eine Frau. Unter diesen befindet sich offenDr. Konstanze Wegner bar auch Blüms Lieblingsingenieur, mit dem das ganze Vorhaben begründet wird. ({15}) - Da müßt ihr ihn selber fragen. Wie sehen denn nun die konkreten Zahlen aus? Der monatliche Durchschnittsbetrag der Arbeitslosenhilfe betrug im ersten Quartal 1995 984 DM in den alten und 776 DM in den neuen Bundesländern. Fast 25 Prozent der Frauen in Westdeutschland, die Arbeitslosenhilfe beziehen müssen, erhalten weniger als 600 DM; in Ostdeutschland liegt der Anteil bei 31 Prozent. Was sollen wir hier eigentlich noch einsparen? Ich glaube, daß eine Politik, die hier noch etwas wegnehmen will, in der Tat jeden Bezug zur Realität verloren hat. ({16}) Darüber hinaus legen Sie mit diesem Verschiebemanöver zu Lasten der Kommunen die Axt an die Wurzel der kommunalen Selbstverwaltung. Wie sollen denn die Kommunen ihre Pflichtaufgaben erfüllen und darüber hinaus noch weitere freiwillige Leistungen zur Steigerung der Lebensqualität in den Städten erbringen, wenn die Sozialhilfekosten derart explodieren? Sie explodieren nicht nur wegen der wachsenden Armut in unserem Lande, sondern vor allem deshalb, weil in erster Linie der Bund, bisweilen aber auch die Länder die Sozialhilfe fortgesetzt mit neuen wesensfremden Aufgaben belasten, für die sie eigentlich überhaupt nicht gedacht war, nämlich mit Kosten der Langzeitarbeitslosigkeit, mit Kosten für Bürgerkriegsflüchtlinge, mit Kosten für Pflege. Ich frage Sie: Wo bleibt Ihre gesamtstaatliche Verantwortung? Die haben Sie nämlich auch! ({17}) Die Bundesanstalt für Arbeit befindet sich mit ihrer Organisationsreform „Arbeitsamt 2000" auf dem richtigen Weg. Sie sollte ihn zügig weitergehen trotz des Beharrungsvermögens vieler großer Abteilungen, die es in derartigen Großunternehmen immer gibt. Einvernehmlich haben die Berichterstatter den Baustopp für neue Arbeitsämter aufgehoben, weil er vor Ort vielfach zu Unzuträglichkeiten und überteuerten Ersatzlösungen geführt hat. ({18}) - Jawohl, es war unsere Initiative. Aber es ist einvernehmlich getragen worden, und ich bin froh, daß es so ist. Die etwas unglücklich formulierte Empfehlung des Bundesrechnungshofs, Arbeitsämter unter 200 Beschäftigten in sogenannte Nebenstellen umzuwandeln, hat viel Unruhe an der Basis ausgelöst. Sie ist vom Rechnungsprüfungsausschuß vernünftig interpretiert und anwendbar gemacht worden. Unnötige Verwaltungswasserköpfe sollen demnach entfallen. Das Serviceangebot vor Ort soll aber dezentraler und kundennäher ausgestaltet werden. Insgesamt sehe ich die Arbeit des Präsidenten Jagoda, soweit ich sie von außen beurteilen kann, durchaus positiv. Er bemüht sich nicht, vorhandene Mißstände zu vertuschen, sondern er bemüht sich, sie aufzuklären und, wo er kann, abzustellen. - Hier dürfen Sie ruhig einmal klatschen; das ist ein Mann Ihrer Richtung! ({19}) Im Einzelplan 11 ist fast alles gesetzlich festgelegt. Viel Spielraum für Umschichtungen besteht nicht. Handlungsbedarf, der mit geringen Mitteln zu befriedigen wäre, sehe ich im Bereich der Aussiedler. Diese Gruppe, die ja von den Regierungsparteien jahrzehntelang zur Rückkehr ins deutsche Vaterland ermuntert wurde und dort zunächst auch mit guten sozialen Leistungen empfangen wurde, droht jetzt ins soziale Abseits zu geraten. Die sozialen Leistungen wurden stark gekürzt, und der Sprachunterricht wurde auf sechs Monate beschränkt. Die Beherrschung der Landessprache ist aber die zentrale Voraussetzung für erfolgreiche Integration. Deshalb sollten die Sprachkurse wieder auf acht Monate verlängert und ihre Qualität verbessert werden. ({20}) Das Institut für deutsche Sprache in Mannheim hat dazu entsprechende vernünftige Vorschläge unterbreitet. Auch für Ausländer soll und muß der Sprachunterricht aus den gleichen Gründen weitergeführt werden. Die Tatsache, daß die Koalition den Vertrag mit dem Sprachverband, der gute Arbeit geleistet hat, statt wie bisher für zehn jetzt nur noch für vier Jahre verlängern will, ({21}) darf nicht der Einstieg in den Ausstieg aus der Sprachförderung sein. ({22}) - Das hätte ich gerne im Protokoll gehabt. ({23}) Wer an den Integrationsleistungen zu sehr spart, drängt die betroffenen Menschen in ein Randgruppendasein und schafft damit sozialen Sprengstoff für die Zukunft. ({24}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Minister Blüm hat als Motto des Entwurfs des Sozialhaushalts den Satz „Sparen und gestalten" gewählt. Mit dem Sparen wurde es nichts Rechtes. Die Regierung mußte unter dem Druck der Realität wieder draufsatteln, und das Gestalten erweist sich vornehmlich als Verschiebemanöver zu Lasten der Schwächsten in unserer Gesellschaft. Auch in diesem Einzelplan bleiben zahlreiche Haushaltsrisiken. Das wahre Motto dieses Haushaltsplans lautet also nicht „Sparen und gestalDr. Konstanze Wegner ten", sondern „Löcher stopfen und Gesellschaft spalten". Einem solchen Haushalt können wir nicht zustimmen. Ich danke Ihnen. ({25})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Fuchtel, CDU/CSU-Fraktion.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute den Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich darf Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, dabei wieder herzlich unter uns begrüßen. Ich sage dies vor dem Hintergrund, daß Sie exakt vor der Beratung dieses Haushalts im Haushaltsausschuß das Feld geräumt haben und sich damit dieser Aufgabe nicht stellten. Uns kam das vor wie im Kindergarten: Wenn die Aufgabe schwierig ist, sind wir als Kinder ebenfalls davongelaufen. Nicht anders haben wir Ihren Auszug empfunden. Damals haben wir Ihnen gemäß Herbert Wehner zugerufen: Wer hinausgeht, kommt auch wieder herein. ({0}) Wir haben recht behalten; Sie sind heute wieder da. Schon aus diesem Grund gilt: 1: 0 für diese Koalition. ({1}) Meine Damen und Herren, die bundesdeutsche Öffentlichkeit muß dies einmal erfahren: Als es darum ging, über die Fragen der Rentenversicherung, des Arbeitsmarktes, der Versorgung der Kriegsopfer, der sozialen Sicherheit und der Zukunft des Sozialstaates zu beraten, sind Sie verschwunden. Sie haben mit uns im Haushaltsausschuß keinen einzigen Antrag diskutiert. ({2}) Statt Kärrnerarbeit an Kapiteln des Haushaltsplans im Ausschuß betreiben Sie Kaspereien vor den Kameras. So ist zur Zeit die Arbeitsverteilung. ({3}) Die SPD Rudolf Scharpings ist eben nicht mehr die SPD von Willy Brandt und Helmut Schmidt, wie man auch an diesem Beispiel deutlich sieht. ({4}) Wir stehen mit dieser Beurteilung nicht allein da. Die IG Metall hat jüngst auf ihrem Kongreß deutlich zum Ausdruck gebracht, daß die SPD derzeit konzeptionslos ist und von ihr keine Impulse ausgehen. Genau diesen Eindruck haben Sie in der Haushaltsdebatte bei diesen wichtigen Fragen der Sozialpolitik vermittelt. Meine Damen und Herren, auch die Rede von Frau Dr. Wegner hat gezeigt: Zur Zeit geht es in der Debatte weniger um Einzelfragen, sondern um eine Grundsatzfrage. Diese Grundsatzfrage heißt: Sind wir bereit, die Herausforderungen der jetzigen Zeit anzunehmen, oder begnügen wir uns mit neuen Klageliedern? Ich habe in diesem Zusammenhang gerade wieder einige Kleinigkeiten gehört. Frau Dr. Wegner, Sie haben gefordert, die Sprachkurse für Aussiedler zeitlich zu verlängern. Wir haben schon jetzt 1,5 Milliarden DM in diesem Etat zu verzeichnen. Das kostet nämlich Geld. Sie müssen uns schon sagen, wo wir dies wieder einsparen können. Das aber haben Sie nicht getan. ({5}) Vor diesem Hintergrund wiederhole ich, daß Sie in diese Debatte völlig konzeptionslos hineingegangen sind. So werden Sie wahrscheinlich auch wieder herausgehen. ({6}) Es geht eben nicht, daß Sie überall nur Besitzstände verteidigen. Wir müssen vielmehr akzeptieren, daß sich die Situation gewandelt hat. Der Sozialstaat muß umgebaut werden. ({7}) Dies heißt eben auch, daß der Sozialhaushalt seinen Beitrag dazu leisten muß.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Fuchtel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit Vergnügen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fuchtel, können Sie bestätigen ({0}) - Sie wissen doch noch gar nicht, was ich sagen möchte; das ist dekuvrierend -, daß die Bereitstellung der notwendigen Mittel für die Sprachförderung unmittelbar mit dem Wunsch der Koalition zusammenhängt, daß jedes Jahr 220 000 Auslandsdeutsche in die Bundesrepublik kommen? ({1})

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Was ist denn hier die Frage? Die Frage ist doch: Sind wir bereit, Deutsche, die nach dem Grundgesetz das Recht auf Zuwanderung haben, im Rahmen eines bestimmten Kontingents aufzunehmen? Und da sage ich Ihnen: Diese Leute nehme ich erheblich lieber auf, als daß ich mich einer hemmungslosen Zuwanderung von Asylbewerbern öffne. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe Zeit. Natürlich.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fuchtel, meine Frage ist nicht beantwortet. Das war nicht die Frage; der Folge des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes haben wir ja zugestimmt. Die Frage war, ob Ihnen, wenn Sie das machen, klar ist, daß diese Leute Sprachkurse in der erforderlichen Länge brauchen, nämlich für acht Monate, und daß das entsprechende Kosten verursacht. ({0})

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hier stelle ich wieder fest, wie undifferenziert Sie argumentieren. Es gibt Leute, da würden keine 15 Monate reichen, und es gibt Leute, da reichen drei Monate. Meine Damen und Herren, wir können doch nicht hergehen und sagen: Wer hier mehr bietet, der macht die bessere Politik. Wir müssen das differenziert angehen. Man kann durchaus darüber reden, ob über die jetzt gefundene Lösung hinaus weitere Sprachkurse angeboten werden können, dann aber vielleicht am Abend und nicht unbedingt voll zu Lasten des Steuerzahlers. Wir meinen, daß wir mit den Haushaltsmitteln sehr effektiv umgehen müssen und das nicht einfach so pauschal betreiben können. Dies ist ein typischer Punkt, an dem Sie wieder zeigen, daß Sie nach dem Motto „Wer bietet mehr?" auch in der jetzigen Zeit nichts weiter zu bieten haben als dieses „Immer noch mehr". Nein, meine Damen und Herren, unser Hauptthema der Sozialpolitik heißt: Wie können wir mehr Arbeitsplätze schaffen, wie können wir die bisherigen erhalten? ({0}) Gerade angesichts der unbefriedigenden Situation auf dem Arbeitsmarkt nenne ich diese Herausforderung ganz oben; ihr müssen wir uns stellen. Das geht nicht, ohne daß wir uns erstens auf eine Begrenzung der Ausgaben des Haushaltes insgesamt und zweitens auf eine Begrenzung der Lohnzusatzkosten verständigen. Darüber haben wir heute schon mehrfach diskutiert; ich möchte das nicht wiederholen. ({1}) Wir sagen das schon seit Jahren, Herr Kollege Schreiner. Wir haben in den letzten Jahren im verbissenen Kleinkampf immerhin Milliarden eingespart gegenüber den Beträgen, die wir noch vor Jahren aufzubringen hatten. Wir haben das in aller Regel gegen Ihren Widerstand getan. Sie müssen hier erst einmal dazulernen, bevor Sie sich an die Spitze derjenigen setzen, die etwas zu Lohnzusatzkosten zu sagen haben. Meine Damen und Herren, ich nenne hier noch einmal den Bereich der Arbeitslosenhilfe, der von Ihnen so kritisiert wird. Die Ausgaben des Bundes hierfür stiegen in den letzten Jahren rasant auf fast 18 Milliarden DM an. ({2}) Der Bundeszuschuß an die Rentenversicherung erreichte über 76 Milliarden DM. Dies sind riesige Größenordnungen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, wenn wir die Dynamik stoppen und etwas zur Begrenzung dieser Beträge tun wollen. Meine Damen und Herren, dieser Sozialhaushalt hat ein Volumen von 27 Prozent des Gesamthaushaltes. Wie wollen Sie eigentlich der bundesdeutschen Öffentlichkeit klarmachen, daß Sie diese 27 Prozent völlig unverschont lassen möchten, wenn es darum geht, insgesamt zu konsolidieren? Das ist unsere Aufgabe! ({3}) Erstmalig seit langer Zeit gelingt es uns wieder, die Sozialkosten zu stoppen, ja sogar zu reduzieren. Wir hatten letztes Jahr im Sozialhaushalt 128,8 Milliarden DM. Wir haben jetzt noch 124,5 Milliarden DM. Es ist zwar richtig, Frau Dr. Wegner, daß wir uns noch mehr Einsparungen vorgenommen haben. Aber wir haben, als wir die neuesten Zahlen zur Entwicklung der Konjunktur bekommen haben, die Bereitschaft aufgebracht, nach unserer Meinung erforderliche Mittel wiedereinzustellen und dadurch nicht ganz den Spareffekt zu erreichen, den wir uns vorgenommen hatten. Aber unter dem Strich gilt es festzuhalten: Von uns wird verlangt, daß wir die Sozialkosten endlich einmal stoppen. Das ist unter Führung von Norbert Blüm in diesem Jahr nach langer Zeit erstmals wieder erreicht worden. Das ist ein großer Erfolg unserer Arbeit. ({4}) Meine Damen und Herren, der Sozialstaat wird umgebaut, und das nicht, um die Armen ärmer zu machen und die Reichen reicher, sondern um mit den vorhandenen Mitteln mehr Treffsicherheit zu erreichen und demjenigen zu helfen, der wirklich der Hilfe bedarf. Was haben Sie dem eigentlich entgegenzusetzen? Ich möchte mich hier in dieser Runde nur mit diesem Kernproblem auseinandersetzen. Sie haben zunächst einmal das Lieblingsthema, daß wir höhere Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit brauchen. Ihr Sprecher, Herr Diller - ich sehe ihn jetzt gerade nicht hier im Raum -, hat in den letzten Jahren immer wieder bedeutungsvolle Prognosen abgegeben. Wieviel Stunden hat uns dieser Mann im Haushaltsausschuß mit seinen Hinweisen darauf gelangweilt, welches Drama in Deutschland eintreten würde. Tatsache ist: 1993 hat er prognostiziert, daß wir für 1994 25 Milliarden DM brauchen. Im Haushalt 94 war es dann so, daß wir 10 Milliarden DM brauchten. Dann hat er wieder vorgerechnet: 15 Milliarden DM werden gebraucht. Tatsächlich haben wir 8 Milliarden DM gebraucht. In diesem Jahr hat er uns vorrechnen wollen, daß das, was wir eingestellt haben, wieder nicht reicht. Wir haben gesagt: Es reicht. Wir werden das Jahr 1995 wahrscheinlich hinbekommen. Die Fehlerquote in bezug auf die Prognosefähigkeit belief sich auf bis zu 150 Prozent. Wer sich dreimal so täuscht, der sollte sich im vierten Jahr ({5}) - Sie sind auch so eine Spezialtäuscherin - eine Prognoseauszeit nehmen und so fair mit uns umgehen, daß wir das einmal ohne neue Prognosen von Ihrer Seite durchziehen können. ({6}) Wenn Sie dann feststellen, daß wir falsch liegen, dann dürfen Sie das im nächsten Jahr, bitte schön, gern wieder kritisieren. Im Augenblick haben Sie dazu auf jeden Fall keine Veranlassung. Was haben Sie denn unseren Vorschlägen weiter entgegenzusetzen? Wo sind Ihre Vorstellungen, wie man die Haushaltslücke schließt? - Wissen Sie, wenn Sie eine gute Opposition gewesen wären, dann wären Sie nicht aus dem Haushaltsausschuß ausgezogen. Vielmehr hätten Sie, nachdem Sie uns vorher schon die Ohren dazu vollgelabert haben, was Sie alles an negativer Entwicklung erwarten, Vorsorge getroffen und Vorschläge erarbeitet, wie man diese Situation angeht. ({7}) Aber da kam nichts. Da kam nur weißes Papier. Ja, da war nicht einmal Volumen durch körperliche Anwesenheit. Und diese Leute wollen uns sagen, wie es künftig weitergeht. Dazu kann ich nur sagen: Wer so wenig zur Schließung von Haushaltslücken beiträgt, der ist in seiner Gesamtpolitik konzeptionslos. ({8}) Meine Damen und Herren, es reicht eben nicht, Gegensätze einfach nur drastisch zu beschreiben, und das auf eine Weise, daß man sich manchmal wundert und fragt, ob diese Leute nicht auf einem anderen Stern wohnen. Vielmehr müssen wir vorangehen. In Vorlagen zu Ihrem Bundesparteitag lesen wir - ich zitiere -: „Vieles Wünschenswerte ist nicht mehr finanzierbar." Ja, Nachtigall, ich höre dich trapsen. So langsam dämmert es auch den Sozialdemokraten - leider viel zu spät -, daß man wohl den Kurs verfolgen muß, den wir eingeschlagen haben. Worüber ich besorgt bin, ist, daß bei Ihnen jetzt eine Strategie angedacht wird, den Neid in der Gesellschaft zu schüren. ({9}) Meine Meinung dazu ist: Wenn sich der Sozialismus in dieser Gesellschaft nicht mehr in Reinkultur sehen lassen kann, zieht er das Mäntelchen des Neides an und wandelt damit durch die Gesellschaft. Das ist Ihre Strategie, und das ist das absolut Falsche in dieser Zeit. Das Füllhorn ist leer. Und das ist dann eben nicht die Stunde der SPD, weil sie immer noch mehr vom Ausgeben versteht als vom Sparen. Meine Damen und Herren, Sie haben also auch, was den strategischen Ansatz betrifft, nichts zu bieten, um mit dieser Situation fertigzuwerden. Ich erinnere mich immer wieder daran, daß Sie, als Ihr früherer Bundeskanzler Helmut Schmidt gesagt hat „Wir müssen noch mehr ins soziale Fleisch schneiden", aufgeschrien haben; Sie haben seitdem nichts dazugelernt. Sie haben die Meinung, es gehe so weiter, ohne den Realitäten ins Auge sehen zu müssen. Damit aber kann man in dieser Zeit in Deutschland keine Politik zur Sicherung des Industriestandorts gestalten. ({10}) Meine Damen und Herren, ich bin immer noch bei der Frage: Was haben Sie als Alternativen zu bieten? Sie haben keine Möglichkeit, den Beitragssatz zu erhöhen. Das will niemand; das scheidet also aus. Wir können nicht den Ausweg über höhere Schulden nehmen. Wir können auch nicht einfach Umschichtungen aus anderen investiven Bereichen des Bundeshaushalts vornehmen; denn wir brauchen Mittel für Investitionen mehr denn je in diesem Bundeshaushalt. Ich frage Sie allen Ernstes: Was bleibt eigentlich anderes übrig, als mit dem vorhandenen Geld auszukommen und auch im Sozialbereich eine vernünftige Sparpolitik durchzusetzen? Genau dies tun wir. ({11}) Da werden wir uns nicht beirren lassen, weil wir überzeugt sind, daß wir dies auch im Blick auf die Zukunft unserer Kinder tun müssen. Wir können doch nicht in einer Zeit, in der die Konjunktur einigermaßen läuft, so viel vervespern, daß für die uns Nachfolgenden nichts anderes übrigbleibt, als Schulden zu bezahlen. Deswegen müssen wir jetzt diesen vernünftigen Mittelweg bei den Sparmaßnahmen gehen. Ich bitte dafür um Unterstützung. ({12}) Meine Damen und Herren, wir werden bei den nächsten Themen, die anstehen, sehen, ob Sie lernfähig sind. Ich spreche hier nur einmal das Thema Frührente wegen Arbeitslosigkeit an. ({13}) - Natürlich haben wir die eingeführt, und zwar in einer Zeit, in der wir dieses arbeitsmarktpolitische Instrument dringend benötigten, um bestimmte Probleme im Zusammenhang mit der Einheit überhaupt bewältigen zu können. Wir müssen aber auch darüber reden, wie wir solche Instrumente abändern können. Ich bin gespannt, ob Sie den Weg mitgehen, beim Umbau des Sozialstaates große Veränderungen vorzunehmen, die Möglichkeiten auf diesem Gebiet sehr stark einzuschränken mit der Folge, daß die Tarifpartner für die Zukunft andere Lösungen finden müssen. Das soll nicht heißen, daß wir künftig weniger jungen Leuten den Weg auf den Arbeitsmarkt eröffnen möchten, ({14}) sondern das soll einfach heißen, daß es andere Herausforderungen an die Tarifpartner und wahrscheinlich auch an die Bundespolitik gibt. Wir müssen Wege finden, wie wir mit weniger Mitteln diese Probleme bewältigen. Beim Schlechtwettergeld, bei dem man uns von vielen Seiten beschimpft hat, ist uns ein solcher Weg gelungen. Obwohl wir von allen Seiten beschimpft wurden, ({15}) möchte ich mich jetzt bei den Tarifpartnern dafür bedanken, daß es gelungen ist, entsprechende Regelungen zu treffen. Sie haben einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, daß ein Umbau des Sozialstaates im positiven Sinne möglich ist. ({16}) - Zur Initiative gezwungen; da gebe ich Ihnen recht, Herr Kollege. Wir müssen als Parlament die Tarifpartner zur Initiative zwingen, wenn sie nicht selber initiativ werden. Auch das ist eine Führungsaufgabe der Politik. Der stellen wir uns gerne. Mit diesem Haushalt leisten wir dazu einen Beitrag. Vielen Dank. ({17})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Andrea Fischer, Bündnis 90/Die Grünen.

Andrea Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002652, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem IG-Metall-Vorsitzenden müssen in den letzten Tagen wirklich die Ohren geklungen haben. Ich weiß nicht, ob in der Geschichte der Bundesrepublik jemals ein Gewerkschaftsvorsitzender soviel Lob bekommen hat wie Klaus Zwickel in den letzten Tagen. Dabei war ganz erstaunlich, von welchen Seiten das Lob kam. ({0}) - Nein, ich stelle das nur fest. Ich will mich jetzt auch nicht mit der Kakophonie des Lobs bei den Arbeitgebern, die inzwischen nur noch wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen durch die Gegend laufen, beschäftigen; das ist hier nicht unser Thema. Aber alle Politiker in diesem Hause - heute haben wir das wieder gehört - haben sich lobend zu der Initiative von Herrn Zwickel geäußert: der Kanzler gestern, Herr Seehofer vorgestern und Herr Blüm hat schon am Sonntag einen Kommentar dazu geschrieben. Ich bin noch relativ neu in der Politik, Minister Blüm. Ich staune einfach, wie man so gute Nerven haben kann, mit der Arbeitslosenhilfereform auf den IG-Metall-Gewerkschaftstag zu gehen, sich dort hinzustellen und zu sagen: Liebe Leute, das habt ihr gut gemacht; ihr macht Zugeständnisse. Aber dann wird so getan, als hätte man selber damit nichts, aber auch gar nichts zu tun. Dieses Bündnis der IG Metall ist ein Bündnis auf Gegenseitigkeit. Das hat sich auch an die Politik gerichtet. ({1}) Sie legen uns hier aber einen Haushalt vor, mit dem Sie sagen: Gut, ihr von der IG Metall könnt hier Zugeständnisse machen, noch und nöcher, aber wir lassen uns davon überhaupt nicht beeindrucken. Im Gegenteil, Sie haben in diesen Haushalt bereits die Ergebnisse, die Sparergebnisse eines Gesetzes hineingeschrieben, das wir erst morgen in erster Lesung hier behandeln. Da fühle ich mich als Parlamentarierin doch ziemlich merkwürdig behandelt. ({2}) Noch einmal: Die IG Metall ist mit ihrem Angebot befristeter Einstiegstarife und tarifpolitischer Zurückhaltung wirklich über ihren eigenen Schatten gesprungen. Ob das ökonomisch wirklich dazu führt, daß mehr Leute eingestellt werden, ist unsicher. Die IG Chemie verfügt noch nicht über eine systematische Auswertung der Ergebnisse ihrer Tarifverträge, aber es zeichnet sich ab, daß die Ergebnisse nicht so beachtlich sind, wie sie das gerne hätte und wie auch wir das selbstverständlich gerne hätten. Daß die Gewerkschaft so weit geht und über ihren eigenen Schatten springt, zeigt doch, welche Bedeutung sie der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beimißt. Aber Sie lassen die ausgestreckte Hand der IG Metall in der Luft hängen. Sie ignorieren, wie großmütig dieser Schritt ist. Statt dessen planen Sie die Mittel, die mit der Arbeitslosenhilfereform und der Kürzung der aktiven Arbeitsförderung freigesetzt werden, zum Stopfen von Haushaltslöchern fest ein. Bei dieser 3,4-Milliarden-DM-Arbeitslosenhilfereform streichen Sie die originäre Arbeitslosenhilfe. Das lassen Sie finanzieren von Asylbewerbern, die jetzt insgesamt drei Jahre von den berüchtigten sogenannten Freßpaketen leben müssen. Sie senken die Leistungen ab, d. h. Sie lassen die Erwerbslosen selber zahlen. Kollegin Wegner hat schon darauf hingewiesen, daß das Argument, mit dem Herr Blüm das immer vorträgt, offensichtlich nicht sehr stichhaltig ist. Und selbstverständlich - darauf hat die Kollegin Wegner ebenfalls hingewiesen - sanieren Sie den Bundeshaushalt auf Kosten der Kommunen. Dann kommt noch eins drauf: Sie verschärfen die Zugangsbedingungen zur aktiven Arbeitsförderung, und das heißt am Ende nichts anderes, als daß die jetzigen Arbeitslosengeldbezieher von jetzigen Arbeitslosenhilfebeziehern verdrängt werden. Darf ich Sie daran erinnern, daß aktive Arbeitsförderung Andrea Fischer ({3}) Umschulung und Qualifizierung - einen guten ökonomischen Grund hat, nämlich den „Marktwert" von Arbeitslosen, an dem Ihnen sonst immer so viel liegt, zu erhalten? ({4}) Wir hatten erst vor wenigen Wochen in diesem Haus eine Sozialhilfedebatte. Die Sozialhilfereform geht von der Prämisse aus - die Bundesregierung hat sie an den Anfang ihres Gesetzentwurfs geschrieben -, Sozialhilfebedürftigkeit sei nicht vermeidbar. Das bestreite ich ohnehin schon entschieden. Das hatten wir hier vor ein paar Wochen. Aber was Sie jetzt tun, ist, systematisch den Sozialhilfebezug herzustellen. Also sagen Sie den Arbeitslosen: Wir haben euch aufgegeben, wir schreiben euch ab, wir schieben euch ab in das Sozialhilfesystem. Ihr interessiert uns nicht mehr, ihr sollt möglichst billig sein und euch mit dem Mindesten zufriedengeben, was unsere Gesellschaft euch zur Verfügung stellt. ({5}) Jahrelang sind die Gewerkschaften denunziert worden. Sie haben immer von Arbeitsplatzbesitzern geredet, die sich gegen die Ansprüche derjenigen abschotten würden, die keinen Arbeitsplatz haben. Das großmütige Angebot der IG Metall widerlegt diese Denunziation. Es zeigt, daß die Gewerkschaften hier durchaus offen sind. Deswegen sind Sie, Herr Blüm, jetzt am Zug. Sie können nicht mit der Haushaltskeule kommen und damit Ihr Nichtstun rechtfertigen wollen. Der Kollege Fuchtel hat gerade ausführlich begründet, wie konzeptionslos die Opposition sei. ({6}) Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Anträge der Bündnisgrünen-Fraktion lenken. Wir fordern erstens die Erhöhung der Arbeitslosenhilfegelder, wir fordern zweitens eine weitere Erhöhung der aktiven Arbeitsförderungsmittel. Das sind muntere 7 Milliarden DM. ({7}) - Wir haben eine lange Liste mit Streichvorschlägen vorgelegt. ({8}) - Nein, das ist nicht wahr. Wir haben Anträge vorgelegt - ({9}) - Frau Kollegin, Sie sind doch viel länger in der Haushaltspolitik als ich. Sie wissen doch, daß das in verschiedenen Anträgen läuft und nicht in einem. ({10}) - Frau Kollegin Albowitz, das ist doch falsch und demagogisch, was Sie hier sagen. Es gibt auch andere Anträge, in denen Sie finden können, wo wir streichen. Jetzt erzählen Sie hier keine Lügen! Im übrigen will ich darauf hinweisen, daß wir alle unsere Anträge mit Deckungsvorschlägen versehen haben. Ich will Sie exemplarisch darauf hinweisen, daß unter anderem eine Subvention gekürzt wird, die Entfernungspauschale, moderat, damit es sozial verträglich ist. Das macht über 1 Milliarde DM aus und greift die wegweisende Idee der IG Metall auf, daß nämlich die Beschäftigten Solidarität mit den Beschäftigungslosen zu üben haben. Deshalb finde ich, daß Sie sich dies durchaus als Beispiel dafür nehmen müssen, daß auch in Zeiten knapper Kassen Solidarität möglich und notwendig ist. ({11}) Ich möchte noch zu einem weiteren Beispiel für die konzeptionslose Politik der Bundesregierung kommen. Arbeitsminister Blüm ist seit vielen Jahren als die „Glucke der Sozialversicherung" bekannt. Sein Lieblingskind hätschelt und pflegt er. ({12}) Ich habe noch einmal genauer hingeschaut, was der Hüter der Beitragszahlergelder in den Jahren seit der deutschen Einheit mit ihnen gemacht hat. Seit 1991 sind die Rentenversicherungsbeiträge dreimal gesenkt worden, wenn auch nicht deshalb, weil die Rentenversicherungskassen übergequollen wären. ({13}) - Entschuldigung, Kollege Louven, wir sind hier jetzt nicht im Dialog. Entweder stellen Sie mir eine Zwischenfrage, oder Sie lassen mich reden. ({14}) Sie haben 1991 den Beitragssatz um einen Prozentpunkt gesenkt. Damit wurden aus der Rentenkasse muntere 14 Milliarden DM genommen. Das ist aber nicht deshalb gemacht worden, weil es da so gut aussah, sondern damit die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler nicht merken, daß gleichzeitig der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung erhöht wurde. Diese Operation machte man insgesamt dreimal; jetzt sind die Rücklagen aufgezehrt. Deswegen steigen Anfang nächsten Jahres die Rentenversicherungsbeiträge. Das Altersübergangsgeld haben Sie in den letzten drei Jahren von 13,5 Milliarden DM auf 2,5 Milliarden DM gekürzt. Diese Lasten entfallen jetzt auf die Rentenversicherung. Ferner haben Sie vorgesehen - um bei der Arbeitslosenhilfe zu entlasten -, daß ältere Arbeitslose vorzeitig in Rente gehen sollen. Diese Lasten gehen gleichfalls in die Rentenversicherung. Andrea Fischer ({15}) Schließlich haben wir letzte Woche einen Gesetzentwurf verhandelt mit der Folge, daß der Zugang zu Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten erschwert wird. Diese Lasten werden dann bei der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe anfallen, weil, so das Argument, die Rentenversicherung für das Risiko der Arbeitslosigkeit nicht zuständig sei. Wenn man das alles zusammennimmt, muß ich feststellen: Uns ist nicht ganz klar, was Sie denn nun wollen. Es wirkt, als würde permanent nur verschoben. Ich komme noch einmal auf den längst beklagten Skandal der Finanzierung der Einheitskosten in der Sozialversicherung zu sprechen. Ich will in diesem Zusammenhang zwei kritische Anmerkungen zu den versicherungsfremden Leistungen, die wir alle ständig kürzen wollen, machen. Wir alle sind uns einig, daß da etwas geschehen muß. Erstens gibt es, wie ich finde, einen sehr besorgniserregenden Zungenschlag in dieser Debatte. Ich weise darauf hin, daß die Sozialversicherung bewußt einen Unterschied zur Privatversicherung aufweist. Die Beitrag-Leistung-Äquivalenz ist hier nicht komplett möglich und auch nicht gewollt; denn der Sinn der Sozialversicherung liegt unter anderem eben auch in der Gewährung sozialen Ausgleichs. Diesen möchte ich auch in der Debatte über versicherungsfremde Leistungen nicht denunziert wissen. ({16}) Zweitens finde ich das Wehklagen darüber, daß wir versicherungsfremde Leistungen abbauen müssen, inzwischen auch deswegen ein bißchen ermüdend, weil von seiten der Bundesregierung meines Erachtens überhaupt keine vernünftigen Vorschläge kommen. Man müßte dafür ja Gelder in unglaublicher Höhe aufwenden. Im bündnisgrünen Ökosteuerkonzept ist vorgesehen, aus dem Aufkommen der Ökosteuer im Laufe von zehn Jahren 80 Milliarden DM für die Senkung der Beitragssätze zu verwenden. 80 Milliarden DM sind - das wissen wir alle - sechs Beitragssatzpunkte. Vom heutigen Standpunkt aus ist das irre viel. Es zeigt aber auch, wieviel Mut und wieviel Gestaltungswillen man aufbringen muß, damit so etwas überhaupt gelingen kann. ({17}) Jetzt komme ich noch zu einer letzten Sünde - der Kollege Fuchtel hat davon schon gesprochen -, der Frühverrentungsdebatte. Der frühere Zugang zur Rente ist ja erst vor wenigen Jahren von dieser Bundesregierung eingeführt worden. Begründung: hohe Arbeitslosigkeit; die Jungen sollen eine Chance haben, in den Arbeitsmarkt zu kommen; dann können doch die Älteren ein bißchen früher gehen. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist bekanntlich unverändert. Also, was passiert jetzt, wenn wir hinten wieder dichtmachen? Dann sind entweder die Jungen die Blöden, weil sie nicht in den Arbeitsmarkt hereinkommen, oder die Betriebe denken sich andere Gründe aus, um die Alten zu entlassen. Herr Minister Blüm, natürlich ist es in hohem Maße ärgerlich, daß die Arbeitgeber erst ihre Betriebe mit Hilfe der Möglichkeit der Frühverrentung verschlanken und sich am nächsten Tag darüber beklagen, daß der Sozialstaat zu teuer sei. Aber darüber muß man doch eine politische Auseinandersetzung führen, anstatt mit diesem Nullsummenspiel die Arbeitslosigkeit zwischen den Generationen zu verschieben. ({18}) Wenn man sich die Politik insbesondere im Bereich der Sozialversicherung in den letzten Jahren anschaut, dann stellt man fest, daß man so tut, als sei die Massenarbeitslosigkeit ein neues, überraschendes Phänomen, das uns gerade überkommen hat, so daß man deshalb hektisch immer neue Verschiebungen vornehmen müsse. Dieses Phänomen ist alt; wir beklagen es auch schon sehr lange. Aber das rechtfertigt um so weniger, in diesem Bereich mit hektischen Operationen Haushaltsmittel hin- und herzuschieben. Ich glaube, ich konnte eben deutlich machen, daß in den vergangenen vier, fünf Jahren einiges hin- und hergeschoben wurde, ohne daß man ein Konzept für die Sozialversicherung gestaltet hat, mit dem sie mit dieser Situation fertig wird. Natürlich müssen wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Aber gleichzeitig müssen wir die Tatsache zur Kenntnis nehmen, daß die Sozialversicherung auch darauf ausgerichtet werden muß, daß Menschen über längere Zeiträume erwerbslos sind. Sie dürfen nicht damit bestraft werden, daß wir sie aus diesem System hinausdrängen. Das kann nicht der Sinn der Sozialversicherung sein. Deswegen rufe ich Sie zu einer seriösen Reformdebatte auf, die diese Probleme einbezieht und die mit den jungen Menschen redet - mit ihren permanenten Manövern verunsichern Sie diese nämlich nur -, damit die vielen Fragen an die Zukunft der Sozialversicherung beantwortet werden. Der Haushaltsplan 11 geht garantiert den falschen Weg. Wir lehnen ihn ab und empfehlen die bündnisgrünen Anträge der Regierung zum Nachsitzen. ({19})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Ina Albowitz, F.D.P.-Fraktion. ({0})

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- Ich erzähle dir gleich etwas von deinem Arbeitsamt in Trier. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Fischer, ich glaube, es ist ein ziemlich ungewöhnlicher Vorgang, wenn Sie in diesem Hause eine andere Kollegin der Lüge bezichtigen. ({0}) Ich sage Ihnen das, und ich nehme das sehr ernst. Ich möchte Ihnen keine Nachhilfe in Parlamentarismus geben. Wir sind heute nicht mehr in der Haushaltsausschußberatung, sondern in der zweiten Lesung zum Bundeshaushalt. Ich empfehle Ihnen wirklich dringend - das gebe ich Ihnen als guten Rat, das andere sehe ich Ihnen nach -, sich Ihre beiden Anträge anzugucken. Da steht nicht ein einziger Satz zu einem Deckungsvorschlag drin. ({1}) Sie machen dem Bundesfinanzminister die ganze Woche Vorwürfe wegen angeblich fehlender Mittel, die noch zur Deckung des Haushalts gebraucht würden. Und dann schlagen Sie hier heute zusätzliche Ausgaben von 6,9 Milliarden DM ohne Deckung vor.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Albowitz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Metzger?

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, ich habe das vorhin auch nicht gedurft, Herr Präsident. Der Kollege Metzger hat diese Woche schon genug in Populismus gemacht. Das reicht mir. Meine Damen und Herren, wir verhandeln heute über den größten Einzeletat des Bundeshaushaltes; das sind knapp 30 Prozent. Damit wird der Löwenanteil des Gesamtetats für Sozialpolitik ausgegeben. Daß wir durch gesetzliche Maßnahmen, über die in diesem Hause noch debattiert werden muß, nämlich morgen, 3,5 Milliarden DM weniger etatisieren, ist zwingend notwendig. Trotzdem hat das mit Sozialabbau oder dem abgegriffenen, nicht zutreffenden Scheinargument „Den Reichen geben, den Armen nehmen" nichts zu tun. ({0}) Ich komme zu Ihnen noch, Frau Matthäus-Maier, keine Sorge! Die Opposition in diesem Hause scheint vergessen zu haben, daß wir das Geld, das wir ausgeben, bei den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes über Beitragszahlungen und Steuern, die viel zu hoch sind, erst abkassieren müssen. Da sind Sie ja munter mit dabei. Wir kommen einfach nicht daran vorbei, das soziale System in toto zu überprüfen, denn nicht mehr alle wünschenswerten Leistungen sind finanzierbar. ({1}) Es kann nichts nützen, den Bürgern strahlende Halogenlampen zu versprechen, wenn man weiß, daß man nur Taschenlampen finanzieren kann. ({2}) Dabei kann ich nur hoffen, daß Ihnen von der Opposition endlich ein Licht aufgeht. Allerdings ist es aus der Sicht der Opposition ihr gutes Recht, Dinge zu fordern, für die sie letztendlich nicht in die Verantwortung genommen werden kann. Die abschließenden Beratungen im Ausschuß haben unter medien- und schlagzeilenträchtiger Nichtteilnahme der Opposition stattgefunden. Dabei hätte hier - wo eine Oppositionspartei den Begriff „sozial" sogar im Namen führt und die andere das Füllhorn als Parteiemblem zu haben scheint - konstruktive Zusammenarbeit mehr gebracht als Ihr albernes, kindisches Verhalten. Im übrigen hätten Sie durchaus Gelegenheit gehabt, in dieser Ausschußsitzung sowohl den Bundesarbeitsminister als auch den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit ausführlich zu befragen. Diese Gelegenheit haben Sie nicht genutzt. ({3}) Lassen Sie mich einige grundsätzliche Bemerkungen machen. In den meisten anderen Ländern dieser Welt wäre man glücklich, wenn ein dermaßen hoher Betrag für soziale Belange zur Verfügung stünde. Bei uns dagegen wird von „Sozialabbau", von „Politik auf dem Rücken der kleinen Leute" - fern jeder Realität - gesprochen; Angstpsychosen werden geschürt. Damit Sie das nicht mißverstehen: Die Probleme, die wir mit der zu hohen Arbeitslosigkeit haben, die Probleme mit der Tatsache, daß auch Wirtschaftswachstum die Arbeitslosenzahlen nicht bedeutend drücken konnte, die Probleme mit dem demographischen Kegel, der die Zahl der Rentenanspruchsberechtigten immer weiter wachsen läßt, ohne daß die Finanzierenden nachwachsen - all das übersehen wir nicht. Aber gerade an einem Tag wie heute, am 6. Jahrestag der Maueröffnung, sollte doch jedes Mitglied dieses Hauses die intellektuelle Fähigkeit haben, die wahren Gründe für die Probleme in dem gewaltigen Umstrukturierungsprozeß zu erkennen, die die gottlob erfolgte deutsche Einheit auch beim Sozialhaushalt mit sich gebracht hat. ({4}) Die großen Ausgabenblöcke, die der Bund im Einzelplan 11 zu bestreiten hat, sind nahezu unverändert geblieben. Hier schlagen die Sozialversicherung mit 81 Milliarden DM, die Ausgaben für den Arbeitsmarkt mit knapp 30 Milliarden DM und der Kriegsopferhaushalt mit knapp 13 Milliarden DM zu Buche. Die Ausgaben sind zu 90 Prozent gesetzlich festgelegt. Mit dem ursprünglichen Entwurf des Einzelplanes hatte sich die Bundesregierung ein ehrgeiziges Ziel gesteckt, nämlich die Reduzierung um 10 Milliarden DM. Dieses Ziel konnte nicht erreicht werden. Darüber freuen wir uns kein bißchen. Vielmehr entstand ein Mehrbedarf für die Arbeitslosenhilfe sowie für einen Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit. Diese beiden Posten zusammen belaufen sich auf 6,5 Milliarden DM. Dabei will ich darauf hinweisen, daß der Zuschuß an die Bundesanstalt von 24,4 Milliarden DM im Jahr 1993 kontinuierlich auf jetzt 4,3 Milliarden DM reduziert werden konnte. Wer in diesem Hause jetzt in Panik macht, handelt unverantwortlich. Natürlich hätten wir lieber eine Reduzierung auf Null gehabt. Natürlich hätten wir auch lieber VollbeIna Albowitz schäftigung in Deutschland. Aber das ist eben der Unterschied zwischen Opposition und Regierungspolitik in Deutschland: Die einen träumen, und die anderen stellen sich den Realitäten. ({5}) - Ja, so ist das. Die Probleme, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen wesentlich tiefer, als es uns die hier anwesenden Vertreter von planwirtschaftlichem Sozialbudget und Vollkaskostaat glauben machen wollen. ({6}) Es sind in den letzten Tagen aus der SPD allerdings erstaunliche Töne zu hören gewesen, die in neue Richtungen gehen: Sozialausgaben sind nur möglich, wenn sie finanziert werden können, hat man dort erkannt. Ich hoffe, das ist ein neuer Wind, Herr Kollege Schreiner, und nicht nur ein laues Lüftchen in Ihrem sozialdemokratischen Sauerstoffzelt. ({7}) Eine effektive Sozialpolitik will nämlich finanziert sein. Sie haben daran mitgearbeitet, entnehme ich Ihrem Antrag zum Parteitag. ({8}) Meine Damen und Herren, wir brauchen dringend eine Senkung der Lohnnebenkosten in Deutschland. Wir brauchen eine ernsthafte Reform zur Senkung der Arbeitskosten. Wir brauchen günstige Standortfaktoren für die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen. Wir brauchen eine Entlastung der Sozialversicherung von versicherungsfremden Leistungen, und wir brauchen eine Reform der Vorruhestandsregelung. ({9}) Wir müssen dringend überdenken, wie wir Langzeitarbeitslose durch noch konkretere Maßnahmen an den Arbeitsmarkt heranführen. ({10}) Mit dem Arbeitsmarkt - ({11}) - Das ist wie bei Ihnen auch. Herr Kollege, ich glaube, ich habe Ihnen in diesem Hause schon einmal gesagt: Hochmut kommt vor dem Fall. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre und mich von 61 auf 27 Prozent heruntergewirtschaftet hätte, ({12}) würde ich so nicht reden. ({13}) Mit dem Arbeitsmarkt verhält es sich ähnlich wie mit der Börse: 50 Prozent sind Politik, und 50 Prozent sind Psychologie. Die Unternehmen in Deutschland müssen davon überzeugt werden, ihre Arbeitsplätze im Inland zu belassen, statt sie ins Ausland zu verlagern. Der Unternehmer muß wieder merken, daß der Staat ihn als Produzenten und als Wirtschaftsfaktor haben will und nicht als Melkkuh. ({14}) Diejenigen, die sich seit längerer Zeit in der Arbeitslosigkeit befinden, müssen merken, daß der Staat an ihrer Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß interessiert ist, statt sie durch gelegentliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ruhigzustellen. Ein Rechtsanspruch auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen hätte nur zur Folge, daß sich Arbeitslosengeld und ABM in Serie abwechseln. Ebenso notwendig sind Maßnahmen, die verhindern, daß die für die Behebung von Arbeitslosigkeit erforderlichen Mittel durch unnötige Frühverrentung oder Vorruhestandsregelungen aufgezehrt werden. In diese Zeit passen dagegen so gar nicht die immer mal wiederkehrenden Versuche, Herr Minister, die Axt an die sogenannten 580-DM-Jobs zu legen. Wer das versucht, muß sich darüber im klaren sein, daß er die Menschen förmlich in die Schwarzarbeit treibt. ({15}) Außerdem spiegelt er den Betroffenen auch eine Versorgungssicherheit vor, die bei einer Sozialversicherungspflicht nie gegeben wäre. Mit einem Anspruch von 86 Pfennigen pro Erwerbsmonat gleich 13 DM im Jahr für ein Jahr Arbeit wird eine Vision vorgegaukelt, die sich als Seifenblase entpuppt. ({16}) Ich komme noch einmal auf den Leitantrag der SPD zu ihrem Parteitag zu sprechen. Hier äußert man sich erstaunlicherweise positiv gegenüber dem bisher immer diffamierten sogenannten Dienstmädchenprivileg. Frau Matthäus-Maier, dies ist im übrigen ein erbärmlicher Ausdruck, wie Sie mit Menschen, mit Frauen in diesem Land umgehen, für den Sie persönlich verantwortlich zeichnen. ({17}) Wenn die SPD jetzt die Meinung vertritt, die Maschinenlaufzeiten müßten sich ändern, die Arbeit müßte finanziell entlastet werden, so höre ich diese Botschaft wohl, allein, mir fehlt der Glaube. Also warten wir in Ruhe den Parteitag ab.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin Albowitz, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Matthäus-Maier?

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. ({0}) Ich habe bereits erwähnt, daß über 90 Prozent der Mittel gesetzlich gebunden sind und daher nicht als Manövriermasse zur Verfügung stehen. ({1}) Um so bemerkenswerter ist es, daß der Haushaltsansatz für den Titel zur Förderung der Erprobung neuer Wege in die Arbeitsmarktpolitik in diesem Jahr um 12 Millionen DM aufgestockt werden konnte. Wir versprechen uns einiges davon. Ich denke, hierin sind sich nicht nur die Berichterstatter der Koalition, sondern auch der Opposition einig. Die Rentenversicherung bereitet uns weiterhin Sorgen. Auch bei ihr waren Mehrausgaben gegenüber dem ursprünglichen Haushaltsentwurf, bedingt durch die Beitragsanhebung 1996, notwendig. Dies führt zwangsläufig zu der Erkenntnis, daß eine schnelle Entscheidung zur Rentenreform getroffen werden muß, mit der auch die Kassen entlastet werden können. Der demographische Wandel unserer Gesellschaft geht an die finanzielle und an die gesellschaftliche Substanz. Die Zeitbombe tickt. - Daß sich die Situation der Rentner in den neuen Bundesländern inzwischen deutlich verbessert hat, ist erfreulich. In der Gesamtschau ist der Einzelplan des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ein Zeichen bewußt maßvollen Handelns. Dabei gibt es aber immer wieder unausweichliche Notwendigkeiten, die finanziert werden müssen. So gibt es einen bestimmten Sockel, unter den die Ausgaben nicht gedrückt werden können. Die Koalition ist sich ihrer sozialen Verantwortung bewußt. Gleichermaßen sieht meine Fraktion aber die Notwendigkeit, gerade die Sozialausgaben neu zu durchdenken und effektiver zu gestalten. Wenn 37 Behörden 152 verschiedene Sozialleistungen genehmigen und auszahlen, schreit der Sachverhalt förmlich nach Reformen. Die F.D.P. will das Bürgergeld als große Reform des Sozialstaats. ({2}) Das wäre ein echter Sozialumbau; denn der Griff in die verteilungspolitische Mottenkiste nutzt nichts -auch wenn die eine Seite dieses Hauses dieses Instrument immer wieder gern spielt. Ich verleugne für meine Fraktion nicht, daß uns der Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vor Probleme stellt. Doch selbst mit den jetzt eingestellten Mehrausgaben ist der Haushalt ausgewogen, die Reduzierung gegenüber dem laufenden Haushalt verantwortbar und vertretbar. Ich danke Ihnen. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Matthäus-Maier, Sie wissen, ich bin kein Freund von Ordnungsrufen. Ich schlage vor, Sie bringen das in Ordnung und sagen mir Bescheid, wenn es in Ordnung ist. Dann vergessen wir das. - Bringen Sie es persönlich in Ordnung, oder machen Sie es öffentlich? - Bitte.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, dem Präsidenten ist entgangen, daß ich auf einen Zwischenruf des Kollegen Austermann geantwortet habe. ({0}) - Entschuldigen Sie! Dann könnte sich netterweise der Kollege melden, der den Zwischenruf gemacht hat. Es wurde nämlich dazwischengerufen: „Die Frau Matthäus-Maier beschäftigt zu Hause nicht Dienstmädchen, sondern Dienstmännchen!" Daraufhin habe ich in dem Glauben, es sei der Kollege Austermann gewesen, gerufen: „Der Kollege ist dumm!" Ich nehme das zurück, weil er es gar nicht war, sage aber: Der Kollege, der es gesagt hat, ist vielleicht nicht dumm, macht aber dümmliche Zwischenrufe. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schlage vor, daß Sie den Dialog beenden und zu einer Debattenform zurückkehren, die zeigt, daß wir uns in der Sache streiten, daß wir hier aber nicht sitzen, um uns wechselseitig persönlich zu verletzen. ({0}) Jetzt hat das Wort zu einer Kurzintervention der Kollege Metzger, Bündnis 90/Die Grünen.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Albowitz, eine Bemerkung vorab: Zum Parlamentarismus gehört für mich als jemanden, der erst ein Jahr dabei ist, auch, daß man, wenn man am Rednerpult steht - vor allem als erfahrene Kollegin wie Sie -, die Gelassenheit besitzt, Zwischenfragen zuzulassen. ({0}) Punkt zwei. Belehrungen der Opposition zum Thema „Auszug aus dem Haushaltsausschuß" haben wir gerade von Ihnen nicht nötig. Sie haben vier Tage vor den abschließenden Beratungen in „Bild am Sonntag" getönt, daß die F.D.P. diesen Deckungsvorschlägen nicht zustimmen wolle und daß ein Haushaltsbegleitgesetz erforderlich sei. Sie selber haben insbesondere kritisiert, daß die Erlöse aus dem Verkauf der Postbank und der Wohnungsbaugesellschaften nicht realisierbar sind. Sie sind am Mittwoch und Donnerstag der vorletzten Woche umgefallen. ({1}) Punkt drei. Frau Albowitz, Sie waren nach meiner Erinnerung am Dienstag mittag zugegen, als ich hier in der Auftaktdebatte zum Einzelplan 08 Deckungsvorschläge unserer Fraktion genau für die von Frau Fischer vorgelegten Erhöhungsanträge in Sachen Arbeitslosenhilfe und aktive Arbeitsmarktpolitik vorgetragen habe. ({2}) - Dann sage ich es Ihnen jetzt. Die Drucksache wird morgen in Form eines Entschließungsantrags von uns im Haus verteilt sein. Beispielsweise wird die verkehrsmittelwahlunabhängige Entfernungspauschale - künftig sollen es nur noch 50 Pfennige pro Entfernungskilometer sein -, die natürlich von Leuten bezahlt wird, die Arbeitsplatzbesitzer sind, weil sie nur dann Werbungskosten geltend machen können, einen Abbau bei Einkommensteuervergünstigungen von 2,8 Milliarden DM bedeuten. ({3}) Weiterhin zum Thema „soziale Symmetrie": Wir wollen auch vorschlagen, daß die Berücksichtigung der Bewirtungskosten künftig nur noch auf Betriebsfeste von Arbeitnehmern konzentriert wird, was dem Steuerhaushalt des Bundes 1 Milliarde DM brächte. Wir wollen darüber hinaus die Ausdehnung der steuerlichen Erfassung von Spekulationsgewinnen auf Grundstücke auf fünf Jahre und bei Wertpapierspekulationsgeschäften auf ein Jahr, was 1 Milliarde DM einbrächte. Was ich damit sagen will, ist folgendes: Die Gegenfinanzierung, die ich jetzt genannt habe, macht schon fast 5 Milliarden DM aus. Wir haben Streichungsanträge durch die Einzelpläne gestellt, die 4,5 Milliarden DM umfassen, so daß wir unterm Strich gegenüber dem Haushaltsentwurf der Regierung, wenn Sie unseren Änderungsanträgen zustimmen würden, im Saldo den Bundeshaushalt um netto 6 Milliarden DM reduziert hätten. Das ist ein Wort. Ich möchte die Fraktion hier im Bundestag sehen, die hingeht und auch den eigenen Wählerinnen und Wählern Steuervergünstigungs- und Subventionsabbau zumutet. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gegenrede, Frau Albowitz.

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich muß Ihnen wirklich nicht erklären - das tue ich auch nicht -, daß wir heute über Etats diskutieren und entscheiden, die dann Bestandteil des Gesamthaushaltes sind. Von den Anträgen, von denen Sie am Dienstag geredet haben, habe ich wohl gehört, aber wir haben sie bis heute nicht vorliegen. Heute jedoch stimmen wir ab, wir befinden uns nicht mehr nur in der Diskussion. Heute habe ich zu dem Etat von Ihnen nur Erhöhungsanträge vorliegen. Die Anträge für morgen habe ich noch nicht vorliegen. Die werden Sie uns wohl morgen in der dritten Lesung vorlegen, aber heute sind sie noch nicht da. ({0}) - Lieber Gott, in diesem Hause wird soviel geredet. Wenn ich das alles wirklich ernst nehmen würde, dann kämen wir aus dem Beschließen gar nicht mehr heraus. Da der Kollege Diller mich zitiert hat, möchte ich jetzt, Herr Metzger, dazu etwas sagen. Er bezog sich auf eine Äußerung, die ich in der „Bild am Sonntag" vor fast drei Wochen, übrigens nicht in der vorigen Woche, gemacht habe. ({1}) - Frau Kollegin, wissen Sie, Sie reden auch so viel. Lassen Sie mich jetzt mal reden. Ich nehme mir das gute Recht heraus, auch den Finanzminister zu kritisieren und seine Vorschläge zu hinterfragen. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege, ziehe ich dann, wenn der Finanzminister im Haushaltsausschuß ist, nicht aus, sondern ich nutze die Gelegenheit und mache mich sachkundig, um hinterher zu sagen: Ich kann dem zustimmen oder nicht. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege Peter Dreßen.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Albowitz, ich finde es merkwürdig, wie Sie einerseits eine Kollegin im Bundestag angehen und andererseits, wenn sie sich dann zu Wort meldet, die Frage nicht zulassen. Das ist aus parlamentarischer Sicht sehr wichtig, und das sollte man einmal festhalten. Heute morgen habe ich mit Aufmerksamkeit zugehört, wie Herr Lambsdorff hier das Thema Entsendegesetz angeschnitten hat. Ich habe Ihnen zugehört, ob Sie das Thema ansprechen. Ich bin empört, wie Sie mit Nonchalance mit Arbeitsplätzen umgehen; denn Sie haben doch dem Bundesarbeitsminister die Kriterien diktiert, die in diesem Entsendegesetz stehen, falls die Presse richtig darüber berichtet hat. Sie haben erstens diktiert, daß das Entsendegesetz auf nur zwei Jahre befristet wird. Das heißt, daß Sie es schon vorzeitig zum Auslaufmodell machen. Zweitens steht darin, daß Sie durch die Forderung nach einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung der Tarifverträge das Ganze schon im voraus wertlos machen, weil Sie wissen, daß sie gar nicht zustande kommt. Drittens beschränken Sie das Gesetz auf das Bauhauptgewerbe. Ich habe wirklich erwartet, daß Sie dazu etwas sagen. Sie lassen jedoch erkennen, daß Sie von der Materie sehr wenig verstehen, weil im Baunebengewerbe und in der Metallindustrie genau dieselben Probleme bestehen. Viertens finde ich es bemerkenswert, daß Sie keinerlei Kontrolle im Entsendegesetz vorsehen. Das ist gerade so, als wenn man ein Strafgesetzbuch macht und die Polizei und die Justiz abschafft. Dann ist das ganze Gesetzbuch nichts wert. Fünftens. Durch das Entsendegesetz, Frau Albowitz, entsteht folgendes: Sie haben von der Entlastung von Sozialkosten gesprochen. Sie belasten aber die Sozialkosten, weil durch das Lohndumping die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter erhöht wird. Statt zu entlasten, entlassen Sie Bauarbeiter in die Arbeitslosigkeit. Für meine Fraktion stelle ich fest, daß Sie die deutschen Arbeitsplätze nicht schützen, sondern daß Sie gerade dabei sind, durch das Entsendegesetz in diesem Jahr Hunderttausende von Arbeitsplätzen zu vernichten. Leider werden durch Ihre sture Haltung in den nächsten Jahren weitere Arbeitsplätze folgen. Wer so handelt, meine ich, handelt verantwortungslos. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Albowitz, Gegenrede!

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich weiß nicht, in welcher Veranstaltung Sie in der letzten Viertelstunde waren. Jedenfalls können Sie nicht hier gewesen sein. Ich habe nicht ein einziges Wort zum Entsendegesetz gesagt, ({0}) sondern ich habe zum Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung gesprochen. Das andere werden wir morgen debattieren, und dann werden Sie schon hören, was wir dazu zu sagen haben. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Jetzt kommt - das sage ich vorsorglich - die letzte Kurzintervention. Frau Hermenau, bitte.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist nur eine sachliche Richtigstellung. Ich möchte klarstellen, daß die Fraktion Bündnis 90/Grüne in der besagten Haushaltssitzung, als Herr Waigel versuchte, seine Deckungsvorschläge verbal zu untermauern, anwesend war und ich sogar Fragen dazu gestellt habe. Wenn Sie einen Kollegen davon ausnehmen, heißt das nicht, daß die Fraktion Bündnis 90/ Grüne nicht anwesend gewesen wäre, als Herr Waigel mit seinem Wisch bei uns im Haushaltsausschuß auftauchte und uns innerhalb von einer Stunde erklären wollte, wie es weitergeht.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte, Frau Albowitz.

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, nur ganz kurz. - Ich habe eben nicht die Fraktion Bündnis 90/ Grüne angesprochen. Der Kollege Metzger hatte mich persönlich angesprochen, und auch ich habe den Kollegen Metzger persönlich angesprochen. Denn er war nicht da.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Wir fahren jetzt fort. Das Wort hat die Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner, Gruppe PDS.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muß schon sagen, Frau Albowitz, daß es mir ganz schön unter die Haut geht, wenn ich hier hören muß, mit welcher Kälte Sie über Millionen Menschen in dieser Gesellschaft reden, die durch Ihre Sozialpolitik außerhalb dieser Gesellschaft zu geraten drohen. ({0}) Wenn die Meinungsforschungsinstitute nach den größten und wichtigsten Problemen fragen, stehen seit Jahren zwei Themen obenan: Arbeitslosigkeit und Sicherheit des Arbeitsplatzes. Im völligen Gegensatz zu den Sorgen der Menschen wird der Einzelplan 11 und hier insbesondere das Kapitel Arbeitsförderung zum Sparschwein der Nation. Trotz der Last-Minute-Korrekturen sinken die Ausgaben des Sozialhaushaltes erstmals absolut, und mit knapp 6,5 Milliarden DM erwirtschaftet der Kollege Blüm ausgerechnet im Bereich der Arbeitsförderung den Rückgang der Gesamtausgaben. Wer soll sich da noch über die zunehmende Politikverdrossenheit und über die sinkende Wahlbeteiligung wundern? Deutlicher als durch diesen Haushalt läßt sich doch nicht demonstrieren, wie weit die Politik inzwischen vom Alltag und von den Lebensinteressen der Menschen in diesem Land entfernt ist. ({1}) Wer seine parlamentarische Tätigkeit ernst nimmt und sie seinen Wählerinnen und Wählern erklären will, muß Einzelplan 11 eigentlich ablehnen. Wie wollen Sie den Menschen das Nachlassen der Arbeitsmarktpolitik erklären, wo doch die Arbeitslosigkeit gar nicht nachläßt, was uns erst neulich wieder durch die aktuellen Zahlen bewiesen wurde? Wer dem Einzelplan 11 zustimmt, kann sich im übrigen am Freitag bei der ersten Lesung des Arbeitslosenhilfereformgesetzes verabschieden und braucht sich auch nicht mehr damit zu beschäftigen, ob die originäre Arbeitslosenhilfe wirklich abzuschaffen ist und die Asylbewerber und Flüchtlinge auf Jahre unter das Existenzminimum gedrückt werden sollen. Der Einzelplan 11 setzt gesetzliche Grundlagen voraus, die im Bundestag überhaupt noch nicht beschlossen sind. Wer sich von der Bundesregierung nicht entmündigen lassen will, muß alleine schon deswegen diesem parlamentarischen Erpressungsmanöver seine Zustimmung versagen. ({2}) Die PDS akzeptiert dieses Vorgehen nicht und fordert deshalb, den Ansatz für die Arbeitslosenhilfe um 3,4 Milliarden DM heraufzusetzen, die ganze Summe also, unabhängig davon, daß Sie inzwischen erkannt haben, daß Ihre ursprünglichen Streichungsabsichten nicht durchzuhalten sind - nicht deshalb, weil unsere Anträge so eindrucksvoll sind, sondern weil Sie sehen müssen, daß Ihre Annahmen sich schon jetzt als erdrückend falsch erwiesen haben. Wir werden morgen noch Gelegenheit haben, zur Arbeitslosenhilfe inhaltlich zu reden. Fest steht nur, daß Sie wieder einmal den Arbeitslosen als den Schwächsten in unserer Gesellschaft schamlos das Geld aus der Tasche ziehen. Bevor Sie sich hier noch künstlich darüber aufregen: Ich weiß natürlich, daß ein Teil des bei Arbeitslosenhilfekosten eingesparten Betrages dadurch zustande kommen soll, daß die Arbeitslosenhilfebezieher verstärkt in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vermittelt werden sollen. Doch die Sache hat einen entscheidenden Haken: Die Zahl der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erhöht sich nicht. Wo also bleiben Ihre Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosenhilfe? Ich kann es Ihnen sagen: In einem perfiden Nullsummenspiel verdrängen Sie so Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld aus den Arbeitsförderungsmaßnahmen, und zwar ausschließlich, um die Ausgaben des Bundeshaushaltes zu senken und sie der Bundesanstalt aufzubürden. ({3}) Sie spielen die Arbeitslosen gegeneinander aus. Spalten ist weiterhin angesagt, bisher schon erfolgreich praktiziert durch Ihre unappetitliche Mißbrauchskampagne. Aber es kommt noch schlimmer; denn die Ausgaben der Bundesanstalt für das Arbeitslosengeld werden sich durch diese Politik zwangsläufig etwa um 1 Milliarde DM erhöhen. Ob dann alles das aufgeht, was Sie sich vorgestellt haben, ist höchst zweifelhaft. Das ist auch einer der Gründe, warum der Einzelplan 11 absolut unseriös ist. Schon deshalb fällt der jetzt eingestellte Zuschuß an die Bundesanstalt mit 4,3 Milliarden DM absehbar zu niedrig aus. Was Sie veranlaßt, nicht einmal den von der Bundesanstalt selber errechneten Bedarf in Höhe von 4,6 Milliarden DM einzustellen, das müssen Sie mir schon erklären. Die Bundesanstalt bezieht sich zumindest auf die vorgelegten Wirtschaftsdaten, und die belegen, daß sich die Arbeitsmarktlage nicht nur im vergangenen Monat verschlechtert hat, sondern sich auch noch im nächsten Jahr zuspitzen wird. Produktivitätssteigerungen und weitere Rationalisierungen fressen die möglichen Beschäftigungseffekte des wirtschaftlichen Wachstums auf. Das ist auch der Grund dafür, daß die Zahl der Erwerbstätigen heute immer noch um 720 000 Personen niedriger als zu Beginn des Aufschwungs ist, und das widerlegt auch Ihr Argument, daß in Zeiten einer sich erholenden Wirtschaft Arbeitsplätze neu entstünden. Heute morgen schaute der Wirtschaftsminister mit großen Kinderaugen und sagte: Komisch, das haben wir immer gedacht, und jetzt tritt es gar nicht ein. Die Ihrem Haushalt zugrundeliegenden Prognosen ignorieren nicht nur diese Tatsache, sondern sie gehen von einem ungetrübten Konjunkturoptimismus aus. Der Deutsche Industrie- und Handelstag ist da ganz anderer Auffassung. „Die konjunkturelle Zuversicht vom Jahresanfang", heißt es in dieser Woche, „ist verflogen". Die Wachstumsrate wird nun sogar auf 2 Prozent heruntergerechnet. Ein knappes Viertel der befragten Unternehmen in Ostdeutschland und ein Drittel in Westdeutschland, also deutlich mehr als vor einem Jahr, äußerten die Absicht, ihre Belegschaftszahlen im Jahr 1996 zu reduzieren. Dies sind weitere Anzeichen dafür, daß der eingestellte Bundeszuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit in höchstem Maße unseriös ist und dringend einer Erhöhung bedarf. Bereits heute entlastet die aktive Arbeitsmarktpolitik den Arbeitsmarkt um rund 320 000 Personen weniger als vor einem Jahr. Diese Entwicklung wird sich 1996 aus Gründen fortsetzen, die nur zum Teil im Einzelplan 11 erscheinen, nämlich allein schon dadurch, daß der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderausgaben weniger Mittel für Maßnahmen nach § 249h AFG zur Verfügung stehen und damit weitere 25 000 bis 28 000 Menschen in diesen Beschäftigungen um ihren Arbeitsplatz bangen müssen. Mit unserem zweiten Änderungsantrag zum Einzelplan 11 wollen wir mit Mehrausgaben in Höhe von netto 7,2 Milliarden DM rund 190 000 arbeitslose Menschen zusätzlich in Arbeitsförderung einbeziehen, und zwar etwa zu gleichen Teilen in AB-Maßnahmen und Fortbildung. 190 000 Arbeitslose sind gerade einmal 5 Prozent der offiziellen Arbeitslosen, aber es sind eben auch 190 000 Menschen. Angesichts der arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen wahrlich ein bescheidenes Ziel! Vertretbar ist es in unseren Augen nur dadurch, daß es mit strukturellen Verbesserungen wie der offensiven Einbeziehung arbeitsloser Sozialhilfeberechtigter, der Verteilung der Mittel nach der Höhe der Frauenarbeitslosigkeit und der Langzeitarbeitslosigkeit und der Einleitung einer neuen Form der Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen verbunden ist, bei der der Bund dafür einsteht, daß die Mittel auch dort verbraucht werden, wo die Arbeitslosigkeit tatsächlich am höchsten ist. Ich komme zum Schluß, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn Sie den Änderungsanträgen der PDS zustimmen, haben Sie die ganz große Chance, einen Teil Ihrer Vorleistungen des von Klaus Zwickel vorgeschlagenen Bündnisses für Arbeit zu erfüllen. Sie könDr. Heidi Knake-Werner nen ihn nicht nur da zitieren, wo es Ihnen in das Konzept paßt. Ich sage Ihnen, Sie sollten diesen Vorschlägen auch deshalb zustimmen, weil Sie mit Ihren Vorstellungen zum Ladenschlußgesetz weitere Arbeitslose produzieren werden. Hier sollten Sie vielleicht einfach einmal in die HBV-Materialien schauen. Aber diese Gewerkschaft zitieren Sie ja nicht so gerne; die paßt Ihnen gegenwärtig nicht in den Kram.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Darf ich bitte noch einen Satz sagen?

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Einen!

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ihre Gedanken bewegen sich allein in die Richtung, wo und wie weitere Sozialleistungen gestrichen werden können - im Namen eines Wirtschaftsstandortes, der Millionen von Menschen nichts zu bieten hat außer Arbeitslosigkeit und damit verbundener Perspektivlosigkeit. Wir werden diesem Haushalt nicht zustimmen. Danke schön. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Austermann, CDU/CSU-Fraktion.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wäre in der Tat ein Treppenwitz, wenn wir von denen, die Industrieschrott hinterlassen haben, Vorschläge für den zweiten Arbeitsmarkt, den sie ja über 40 Jahre praktiziert haben, übernehmen würden, um diese dann in die Tat umzusetzen, ({0}) Vorschläge von den Leuten, liebe Kolleginnen und Kollegen, die zu der Zeit, als die DDR die Menschen unterdrückt hat, im Westen in der DKP am Tropf von Honecker gehangen haben. Es kann ja wohl nicht Ihr Ernst gewesen sein, daß wir solche Vorschläge annehmen. Ich möchte mich mit dem auseinandersetzen, was Diskussionslage auf der SPD-Seite ist, nämlich mit den Fragen, wie es um den Arbeitsmarkt im kommenden Jahr voraussichtlich bestellt ist und welche Maßnahmen wir dazu ergreifen. Ich kann es mir dabei nicht verkneifen, zu wiederholen, daß sich in der entscheidenden Diskussion im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages, als die Debatte mit dem Bundesarbeitsminister stattfinden sollte und auch stattgefunden hat, die SPD mit den Grünen und der PDS abgemeldet hat. Die Opposition war geschlossen abwesend, als die Fragen des Arbeitsmarktes diskutiert worden sind. ({1}) Deswegen ist es richtig, zu unterstreichen, daß die positiven Entscheidungen, die in dieser Sitzung getroffen wurden, von Ihnen nicht mitgetragen worden sind. Dazu gehört, daß wir die Arbeitslosenunterstützung erhöht haben. Dazu gehört, daß wir durch die Erhöhung des Bundeszuschusses für die Bundesanstalt für Arbeit ermöglicht haben, die aktive Arbeitsmarktpolitik auszubauen. Dazu gehört, daß wir die Zuschüsse des Bundes für die Rentenversicherung erhöht haben. Ich glaube, diese drei wesentlichen Ansätze machen deutlich: Das, was im Haushaltsausschuß ohne die SPD beschlossen worden ist, geschah in voller Verantwortung für die sich zur Zeit abzeichnende Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. ({2}) Meine Damen und Herren, es paßt gut, daß man, wenn hier und dort von Untätigkeit gesprochen wird, hört, was die eigenen Genossen zu dieser Frage sagen. Da nachher sicher der Kollege Schreiner sprechen wird, möchte ich ihm jetzt ein Zitat des ehemaligen Kollegen Niggemeier aus der „Welt am Sonntag" vom 15. Oktober entgegenhalten, den man jetzt natürlich nicht mehr kennen möchte. Aber ich sage Ihnen: Auch Friedhelm Farthmann - er ist jetzt wieder Kollege - vertritt die gleiche Auffassung. In der Überschrift heißt es: „Die SPD-Führung ignoriert die Sorgen der Arbeiter." Es heißt weiter: Was ... in ... „Arbeiterquartieren" im Klartext gesprochen wird, das wird in SPD-Führungskreisen ignoriert . . . Er gibt eine ganze Reihe von Beispielen, mit denen das belegt und unterstrichen wird. Ich brauche das hier im einzelnen nicht aufzuführen. Das Zitat spricht meines Erachtens für sich selbst. Wir haben in den Beratungen des Haushaltsausschusses den Haushalt des Bundesarbeitsministers gegenüber dem Regierungsentwurf um 5,5 Milliarden DM erhöht. Das heißt, wir stellen mehr Geld für eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Verfügung, wobei aus unserer Sicht bei jeder Gelegenheit unterstrichen werden muß, daß das Thema Arbeitsmarkt in erster Linie eine Aufgabe nicht des Arbeitsministers, sondern der Tarifparteien ist, daß wir hier bloß korrigieren, ergänzen und zusätzlich helfen können. Subsidiarität ist in dieser Frage angebracht. ({3}) Wenn der Haushalt in manchen Bereichen tatsächlich nicht so stark gewachsen ist, hängt das damit zusammen, daß Altersübergangsgeld und Vorruhestandsgeld in den neuen Bundesländern auslaufen und daß keine neuen Fälle mehr hinzukommen. Meine Damen und Herren, es ist richtig, daß in der Bundesanstalt für Arbeit beim Selbstverbrauch gespart wird. Das Konzept „Arbeitsamt 2000" muß natürlich Folgen haben, auch für die Zahl der Mitarbeiter. Wenn wir so wirtschaften, wie wir das erwarten, gehe ich davon aus, daß dort bis zum Jahr 1998 von den 54 500 Plätzen im Westen etwa 5 200 einDietrich Austermann gespart werden können und auch eingespart werden müssen. Wir lassen uns auch in der Frage einer aktiven Arbeitsmarktpolitik und der Sorge der Menschen um Arbeitsplätze von niemandem übertreffen. Das, was hier vorgesehen ist, zeigt ein hohes Maß an Verantwortung für die Menschen, die Arbeit haben möchten, aber auch für die Menschen, die Arbeit haben. Berufliche Fortbildung im nächsten Jahr: 17,9 Milliarden DM; Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen: 9,6 Milliarden DM. Entscheidend ist, glaube ich, die Tatsache, daß auch die Zahl der Beschäftigten in die Betrachtung einbezogen wird. Ich werde nicht bestreiten - es wäre auch falsch, es zu bestreiten -, daß infolge der Rezession von 1993 die Zahl der Beschäftigten zurückgegangen ist. Aber Tatsache ist auch, daß zur Zeit im Westen, in den alten Bundesländern, die Zahl der Beschäftigten um 2,2 Millionen über der des Jahres 1983 liegt. Das bedeutet 2,2 Millionen mehr Menschen in Arbeit, die Arbeitslosenversicherung zahlen, die Steuern zahlen, als 1983. Im Osten, in den neuen Bundesländern, sind es zum heutigen Zeitpunkt 250 000 Menschen mehr als vor drei Jahren. Sie können dann einzeln hingehen und immer wieder den Eindruck erwecken, es wende sich alles zum Schlechten. Ich glaube, wir haben den Wendepunkt, auch was die Beschäftigung angeht, in positiver Hinsicht durch diese zusätzlichen Maßnahmen erreicht. ({4}) ({5}) Ich will sie stichwortartig umschreiben. Erstens. Neues Langzeitarbeitslosenprogramm 1996: 750 Millionen DM. Das ist doppelt soviel wie in diesem Jahr. Dadurch werden 180 000 Einstellungen von Langzeitarbeitslosen möglich. Zweitens. Förderung der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit durch Arbeitslose mit Überbrückungsgeld. Dafür werden 700 Millionen DM bereitgestellt. Drittens. Neue Wege zur Erprobung neuer Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik. Hier sollen die einzelnen Arbeitsämter, auch kleinere Arbeitsämter, ihre Kreativität beweisen können. Dafür stellen wir 30 Millionen DM bereit. Ich möchte hier anregen, Herr Minister, daß im Zusammenhang mit der Diskussion um die Wirksamkeit von Arbeitsmarktprogrammen einmal überlegt wird, ob es nicht doch richtig sein kann, auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen - so sie denn mindestens ein halbes Jahr existieren - Zuschüsse aus Arbeitsmarktprogrammen vorzusehen. Könnte nicht in der Diskussion, die Sie mit dem Wirtschaftsminister und mit anderen bis zum Januar oder Februar 1996 führen, doch überlegt werden, ob man nicht Arbeitslosengeld, vielleicht auch Arbeitslosenhilfe, als Lohnzuschuß zuwenden kann? Ich habe das Thema der Befristung deshalb angesprochen, weil wir wissen, daß inzwischen aus der Arbeitslosigkeit heraus etwa 40 bis 45 Prozent in neue Arbeitsverhältnisse übernommen werden, die befristet sind. Dann ist es, glaube ich, richtig, wenn wir stärker unterstützend tätig werden. Viertens. Ein weiterer Weg ist das seit einiger Zeit eingeschlagene START-Programm. Hier haben inzwischen eine ganze Reihe von Mitbürgern auf dem Weg der Arbeitnehmerüberlassung zusätzlich Arbeit gefunden. Interessanterweise erfolgt dies seit einiger Zeit auch mit Zustimmung des DGB, wenn auch nicht mit Zustimmung der SPD. Fünftens. Produktive Arbeitsförderung: Hier stehen im kommenden Jahr 3 Milliarden DM bereit. Ob und wieweit Dritte, insbesondere die Bundesländer, ihre Verantwortung wahrnehmen, steht noch offen. Wir müssen an die Bundesländer den Appell richten: Nehmen auch Sie Ihre Verantwortung in diesem Bereich wahr! ({6}) Es reicht nicht aus, daß die Länder das Geld der Bundesanstalt für Arbeit über angeblich eigene Programme ausgeben, es gewissermaßen rot anstreichen und dann sagen: Schaut einmal, was wir Tolles zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten. Dabei wird dann das Geld aus dem Landeshaushalt geschont. Ich will auch kurz auf die zwei gesetzgeberischen Maßnahmen hinweisen: Schlechtwettergeld und Neuerung bei der Arbeitslosenhilfe. Jeder, dem es am Herzen liegt, daß wir Änderungen und zusätzliche Motivation erreichen, kann sich doch nicht ernsthaft gegen die vorgesehenen gesetzlichen Maßnahmen wenden, zumal nach unserer Entscheidung dafür Sorge getragen ist, daß die Kommunen und die Länder dabei finanziell nicht schlechter fahren. Wir wollen, daß die Menschen, die Arbeit haben wollen, aber außen vor sind, stärker, soweit es erforderlich ist, motiviert werden. Keineswegs planen wir, die Arbeitslosenhilfe künftig Jahr für Jahr um 5 Prozent zu senken, wie das immer wieder behauptet wird. Die SPD hat in ihrem Resolutionsantrag, der erst morgen vorgelegt werden soll und zur zweiten Lesung nicht zur Debatte steht - das ist auch richtig, denn es steht kein einziger konkreter Ausgabenbetrag oder Ansatz darin -, versucht, einen Spagat zu machen. Wenn man den Antrag genau liest, dann stellt man fest, daß dort wieder Wünsche nach neuen Anspruchsgrundlagen geäußert werden, daß neue Programme gefordert werden, daß die Menschen in einzelnen Bereichen noch mehr Zuschüsse erhalten. Im Antrag für den SPD-Bundesparteitag liest sich das etwas anders. Da heißt es nämlich: Wir wollen dafür sorgen, daß nicht mehr alles finanziert wird, was finanzierbar war. - Wie paßt das zu den ständigen Behauptungen vom Sozialabbau, die hier immer wiederholt werden? Man muß einfach feststellen, Sie sagen in Ihrem Antrag zum Parteitag, den keiner liest: ({7}) „Es ist nicht mehr alles finanzierbar, die Ansprüche an den Staat müssen zurückgenommen werden." Im Entschließungsantrag hier heißt es dann: Die Anspruchsgrundlagen müssen ausgeweitet werden. Dieser Spagat zerreißt Ihre Partei und erklärt, weshalb in letzter Zeit die Mitglieder in größerem Maße die SPD fluchtartig verlassen. ({8}) Meine Damen und Herren, wir geben im kommenden Jahr 46 Milliarden DM für aktive Arbeitsmarktpolitik aus. Für 1,5 Millionen Bürger werden in stabilem Finanzrahmen viele Wege für neue Arbeitsplätze geschaffen. Das heißt, es gibt neue Hoffnung auf Beendigung von Arbeitslosigkeit. Das spricht gegen den Vorwurf der Untätigkeit. Deswegen wird es niemanden wundern, daß wir dem Entwurf des Haushalts des Arbeitsministers in der durch den Haushaltsausschuß geänderten Form zustimmmen. Ich sage Ihnen das auch deshalb, weil damit bestätigt wird, was eine jüngste Umfrage zeigt: Bundesarbeitsminister Blüm gehört zu den Ministern mit der höchsten Zustimmung in der Bevölkerung. Die Arbeit, die wir miteinander leisten, hat dazu sicher entscheidend beigetragen. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat der Abgeordnete Ottmar Schreiner. ({0})

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Fuchtel, nachdem Sie sich gleich zu Beginn bemerkbar machen: Ich finde es nicht sehr lohnend, auf Ihren Beitrag einzugehen; dies auch schon deshalb, weil in der SPD-Fraktion gemunkelt wird, Sie seien Vizepräsident des nordschwarzwälderischen Kamelzüchtervereins. Ihre verdienstvolle Tätigkeit scheint allmählich auf Sie selbst zurückzuwirken. Das merkt man zumindest an Ihren Beiträgen. ({0}) Aber ich will das nicht weiter ausführen. ({1}) Sie haben das provoziert, lieber Kollege Fuchtel. Ab und zu ist es wichtig, daß man das Wasser halten kann, sonst wird die Hose naß. Sie sollten sich das hinter die Ohren schreiben, Herr Kollege Fuchtel. Meine Damen und Herren, hier wird oft erzählt, der Sozialstaat sei nicht mehr finanzierbar. Sie wissen sehr genau, daß wir keine Probleme der Finanzierung des Sozialstaats haben, sondern daß wir zwei Kernprobleme haben, an deren Lösung Sie sich hier ständig vorbeizumogeln versuchen. Das eine Kernproblem sind die extrem hohe Arbeitslosigkeit, die höchste in der Nachkriegsgeschichte, und die damit verbundenen gesamtfiskalischen Kosten. Das zweite Problem sind die hohen Sozialkosten, die mit der Art und Weise, wie Sie den Prozeß der deutschen Einheit gestaltet haben, sehr eng verbunden sind, und deren Finanzierung. Das sind die zentralen Probleme. Das ganze Gerede, der Sozialstaat sei nicht finanzierbar, geht völlig an den wirklichen Problemen vorbei. ({2}) - Ich werde Ihnen eine ganze Menge sagen, mehr, als Ihnen gut tut. In der „Süddeutschen Zeitung" von gestern war zu lesen, daß die Arbeitslosigkeit in Deutschland Ende Oktober/Anfang November 1995 höher ist als im Vorjahr. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit führt das ausweislich der „Süddeutschen Zeitung" von gestern unter anderem darauf zurück, daß sich die Kürzungen bei der Arbeitsmarktpolitik, Herr Blüm - auch Sie, Herr Austermann, haben es eben angesprochen -, besonders negativ auswirkten. Der Leiter des Forschungsinstituts der Bundesanstalt befürchtet in demselben Artikel, daß Anfang 1996 die Arbeitslosenzahl wieder an die 4 Millionen heranreichen könnte. Ich sehe dort den ruhmreichen Bundeswirtschaftsminister sitzen; er macht sich verdienstvolle Notizen. Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben im Jahreswirtschaftsbericht Anfang dieses Jahres prognostiziert, daß 1995 die Arbeitslosigkeit in Deutschland um 370 000 Menschen geringer sein werde als 1994. Eine derart schwere Fehlkalkulation habe ich seit Jahren nicht mehr erlebt. ({3}) Es ist denkbar, daß die Zielgrößen im Jahreswirtschaftsbericht nicht ganz exakt sind. Aber sich um 370 000 zu verschätzen ist schon ein Dokument der völligen politischen Unfähigkeit und der Schönfärberei, das Sie sich auf diesem Feld geleistet haben. ({4}) Ich will zu drei Aspekten etwas sagen. Der erste Aspekt: „Bündnis für Arbeit". Einige Redner und Rednerinnen haben auf diesen Gesichtspunkt hingewiesen. Die Bundesregierung hat bis zur Stunde nicht erklärt, was sie genau will. Der Vorsitzende der IG Metall hat der Bundesregierung sowie den Unternehmern und ihren Verbänden ein Abkommen auf Gegenseitigkeit vorgeschlagen. Der Vorsitzende der IG Metall ist damit über einen riesengroßen Schatten gesprungen, wenn man die Beschlußlage der IG Metall sieht. ({5}) Der Vorsitzende der IG Metall erwartet - das ist das Gegenseitigkeitsprinzip: geben und nehmen - von der Bundesregierung, daß sie für ein „Bündnis für Arbeit" bereit ist, die vorgesehenen Streichungsmaßnahmen im Bereich der Arbeitslosenhilfe zurückzunehmen. Nun möchte ich gern wissen, wie die Bundesregierung, die immer wieder gefordert hat, daß die Tarifparteien aus ihren Schützengräben herauskommen, die immer wieder gesagt hat, der Kampf gegen Arbeitslosigkeit geht alle an - die Regierung, die Tarifparteien, die Gewerkschaften usw. -, zu dem Vorschlag der IG Metall steht. Ich möchte das hier wissen. ({6}) Bundeswirtschaftsminister Rexrodt hat heute morgen in der Debatte den Vorschlag der IG Metall noch einmal ausdrücklich begrüßt. Derselbe Bundeswirtschaftsminister Rexrodt hat ausweislich der „Frankfurter Rundschau" vom 6. November dieses Jahres gesagt, er halte von Abkommen im großen überhaupt nichts: „Da geht die Marktwirtschaft kaputt." Ich habe den Eindruck, .Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie eher bereit sind hinzunehmen, daß die Arbeitslosen kaputtgehen, als daß Sie sich ein solches „Bündnis für Arbeit" vorstellen können. ({7}) Nun will ich wissen, was die Haltung der Bundesregierung ist. Kanzleramtsminister Bohl hat vor wenigen Tagen erklärt: Die Bundesregierung lehnt den auf sie bezogenen Teil des Vorschlags von Zwickel ab. ({8}) Von Blüm habe ich bisher überhaupt nichts gehört. Der scheint sich in der Deckung verschanzt zu haben. ({9}) - Sie waren auf dem Kongreß; aber Sie haben zu dieser Frage nicht einen einzigen Piepser gesagt! Ich habe die Rede nachgelesen. Ich weiß, wovon ich rede. ({10}) - Dann gebe ich Ihnen, lieber Kollege Blüm, jetzt die Möglichkeit, im Rahmen einer Zwischenfrage die Haltung der Bundesregierung zu erklären. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, es sind keine Dialoge zwischen Regierungsbank und Rednerpult erlaubt. Das hat auch gute Gründe. Wenn der Abgeordnete Blüm eine Zwischenfrage stellen will, muß er zum Mikrophon gehen. Das hat den Grund, daß die Regierung sich anhören soll, was das Parlament sagt.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist kein weiter Weg, Frau Präsidentin. Er kütt! Ich bin gespannt, was er jetzt sagt.

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Abgeordneter Schreiner, können Sie es erwarten, bis ich meine Rede an diesem Pult gleich vortrage? ({0})

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Haben Sie Ihre Rede mit Ihrem Kollegen Rexrodt abgestimmt?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Abgeordneter, fahren Sie bitte fort!

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich vermute sehr stark, daß uns Minister Blüm in seinem nachfolgenden Redebeitrag nichts Neues verkünden, sondern die bisher erkennbare Haltung der Bundesregierung bestätigen wird, daß sie an einem „Bündnis für Arbeit" nicht interessiert ist, weil sie nicht bereit ist, einen eigenen Beitrag beizusteuern. Das entspricht auch ganz der ideologischen Linie der treibenden Kräfte der Koalition. Die treibenden Kräfte der Koalition haben an einem solchen Bündnis überhaupt kein Interesse. Die treibenden Kräfte dieser Koalition begreifen den Sozialstaat inzwischen in wachsendem Maße nur noch als einen lästigen Kostenfaktor. Das ist die Wahrheit. Das bestätigen alle Maßnahmen, die Sie in den letzten Jahren hier vertreten haben. Ein zweiter Punkt, zu dem ich einige Bemerkungen machen will. Es ist immer wieder, auch heute vormittag, über das Verhältnis vergleichsweise hoher Lohnnebenkosten zum Beschäftigungsvolumen in Deutschland gestritten worden. Unstreitig ist, daß die Bundesregierung einen solchen Zusammenhang zwischen Beschäftigungsniveau und Lohnnebenkosten seit Jahren behauptet und beklagt. Unstreitig ist, daß die enormen Steigerungen der Sozialversicherungsbeiträge in den letzten Jahren nicht gerade beschäftigungsfördernd gewirkt haben. Unstreitig ist schließlich auch, daß sich viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fragen, was ihre eigene Leistung wert ist, wenn die Abgabenquote schon jetzt nahezu die Hälfte des Bruttoeinkommens wegfrißt. - Das sind die unstreitigen Sachverhalte. Die sozialdemokratische Fraktion in diesem Haus hat seit Frühjahr 1991 immer wieder kritisiert, daß die Finanzierung der Sozialkosten der .deutschen Einheit im wesentlichen über erhöhte Lohnnebenkosten in Gesamtdeutschland erfolgt ist. Diesen Aspekt haben wir seit diesem Zeitpunkt immer wieder betont. Verteidigungsminister Rühe hat in diesem Zusammenhang vor drei Jahren von einer Gerechtigkeitslücke in Deutschland gesprochen. Der ehemalige Bundespräsident von Weizsäcker hat vor einiger Zeit vergeblich an den Lastenausgleich nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Dieser Lastenausgleich erfolgte zugunsten der Heimatvertriebenen und wurde nicht über eine Erhöhung der Lohnnebenkosten, der Sozialversicherungsbeiträge oder über einen Sozialabbau finanziert, sondern im wesentlichen über eine Vermögensabgabe. Es wurde von denjenigen, die viel haben, zugunsten derjenigen, die aus der Heimat vertrieben wurden, umverteilt. Das war das Kernelement des Lastenausgleichs nach dem Zweiten Weltkrieg. Von Weizsäcker hat nicht ohne Grund an diesen Lastenausgleich erinnert. Er wollte uns dafür sensibel machen, daß es andere, solidarische, gerechtere Wege zur Aufbringung der Mittel für die Finanzierung der deutschen Einheit gibt ({0}) als den Weg, den die Bundesregierung seit dem Frühjahr 1991 hemmungslos verfolgt, nämlich eine Finanzierung über die Erhöhung der Lohnnebenkosten und einen Sozialabbau. Das war der Kern der Erinnerung von Herrn von Weizsäcker. ({1}) - Lieber Kollege Weng, ich komme jetzt auf die Wege zu sprechen. Seien Sie mit Ihren Zwischenrufen vorsichtig. ({2}) Wäre es, anknüpfend an die Überlegungen Herrn von Weizsäckers, des ehemaligen Bundespräsidenten, nicht auch aus der Sicht der F.D.P. wesentlich leistungsgerechter, bei der Finanzierung der deutschen Einheit einen deutlich progressiver verlaufenden Tarif bei der Erbschaftsteuer als Instrument mit einzubeziehen? ({3}) Wäre das nicht ein klassisches F.D.P.-Thema? Ich will Ihnen ein Zitat von Herrn Stefan Baron nicht vorenthalten, der vor einiger Zeit in der „Wirtschaftswoche" folgendes geschrieben hat: Will die FDP nicht Leistung stärker belohnen? Würde dieser erstrebenswerten Absicht nicht ein Konzept besonders gerecht, in dem Lohn- und Einkommensteuer deutlich niedriger sind als heute, ... dafür aber der Erbschaftsteuertarif deutlich progressiver verläuft - wie etwa in England oder den USA? Dann zitiert er einen der Väter der Sozialen Marktwirtschaft mit folgendem Satz: ,Die erbliche Startungleichheit ist das wesentlichste institutionelle Strukturelement, durch das der Feudalismus in der Marktwirtschaft fortlebt und sie zur Plutokratie, zur Reichstums-Herrschaft macht', so Alexander Rüstow, einer der Väter unserer Wirtschaftsordnung. Meine Damen und Herren, da hätten Sie andere Wege der Finanzierung. Sie in der Koalition fordern genau das Gegenteil. Sie erwägen die komplette Abschaffung der Vermögensteuer. Von einer Reform der Erbschaftsteuer ist überhaupt keine Rede. Das einzige, was Ihnen angesichts der Finanzierungsprobleme einfällt, sind Sozialabbau und Erhöhung der Lohnnebenkosten. Im Bereich der Lohnnebenkosten tun Sie genau das Gegenteil dessen, was Sie ständig predigen. Auch das will ich Ihnen deutlich machen. Die Sozialabgaben werden im nächsten Jahr auf über 40 Prozent steigen. Im „Handelsblatt" hieß es dazu vor wenigen Tagen: Den Unternehmen steht ein neuer, nicht von der Tarifpolitik induzierter Lohnkostenschub bevor. Man müßte ergänzen: Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern steht eine Entwicklung bevor, die den Abstand zwischen Brutto- und Nettoeinkommen über erhöhte Sozialversicherungsbeiträge noch krasser macht, als das gegenwärtig bereits der Fall ist. Das „Handelsblatt" schreibt weiter: Daß die Sozialversicherung-Beiträge im nächsten Jahr um 1,5 Prozentpunkte steigen, steht bereits fest: 0,7 Prozentpunkte in der Pflege-, 0,5 in der Renten- und 0,3 in der Krankenversicherung. Damit wird die magische 40-Prozent-Grenze überschritten. Im Bundesgesundheitsministerium - so wird hier zitiert hält man sogar einen Sprung um zwei Prozentpunkte nicht für ausgeschlossen. ({4}) Demgegenüber hat der Bundesarbeitsminister auf dem IG-Metall-Kongreß folgendes erklärt: Ich habe es nicht gern, daß sonntags über die Lohnnebenkosten gejammert und werktags alles gemacht wird, daß die Beiträge steigen. Diese Bewußtseinsspaltung macht Norbert Blüm nicht mit. Er redet von sich immer in der dritten Person. Sie sind ein pausenloses Opfer dieser Bewußtseinsspaltung. Ich habe Ihnen gerade die Entwicklung des nächsten Jahres vorausgesagt, Herr Blüm. ({5}) Nun kommt das Allerdollste: Der Bundeswirtschaftsminister ist nicht das Opfer F.D.P.-inszenierter Bewußtseinsspaltungsprozesse, sondern sein eigenes Ministerium organisiert seine Bewußtseinsspaltungsprozesse; denn das Arbeitslosenhilfeverschlimmerungsgesetz hat zu einer Transferverschiebung von 1,8 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt hinein in die beitragsfinanzierte Bundesanstalt für Arbeit geführt. ({6}) Und damit hat es potentielle Lohnnebenkostenerhöhungen provoziert. Sie machen genau das Gegenteil dessen, was notwendig wäre, wenn man das ArguOttmar Schreiner ment ernst nimmt. Die Lohnnebenkosten sind das wirkliche Problem. Sie machen genau das Gegenteil. Die Zahl von 1,8 Milliarden DM stammt nicht von mir, sondern von Dr. Siegers, einem Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und alternierender Vorsitzender der Selbstverwaltung der Bundesanstalt für Arbeit. Meine Güte, was soll man von diesem Possenspiel, von dieser komischen Bundesregierung halten, die pausenlos das Gegenteil dessen veranstaltet, was sie hier im Parlament an öffentlichen Vorträgen hält? ({7}) Dritter Punkt. Ich will noch einige Bemerkungen zu der sogenannten Entsenderichtlinie machen. Das Problem ist bekannt. Auf Grund der im europäischen Binnenmarkt seit 1992 vorhandenen Freizügigkeit von Kapital, Dienstleistung und Arbeit haben wir es in Deutschland inzwischen damit zu tun, daß hier in 100 000facher Weise Arbeit angeboten und verrichtet wird: zu erheblichen Teilen ohne Arbeitsverträge, zu erheblichen Teilen ohne feste Löhne, mit einem schlichten Taschengeld abgespeist. Und das Ergebnis ist, daß im gleichen Umfange einheimische Arbeitskräfte, die diesen Lohndumpingangeboten nicht mehr standhalten können, aus dem Arbeitsprozeß in die Arbeitslosigkeit verdrängt werden. Ich sage Ihnen: Wenn wir diese Entwicklung nicht aufhalten, werden wir ein außerordentlich gefährliches Ressentiment gegen den europäischen Einigungsgedanken bekommen. Wir werden zumindest bei den Betroffenen eine Haltung der Renationalisierung erleben. ({8}) Nun fragt man sich: Wieso ist die Bundesregierung nicht in der Lage, dieses Problem angemessen zu lösen? Ich sage Ihnen, warum Sie nicht in der Lage sind, das Problem zu lösen: weil treibende Kräfte dieser Koalition über die Entsendeproblematik völlig andere Ziele ansteuern. Graf Lambsdorff hat sich heute morgen als Schutzmacht des portugiesischen Arbeitnehmers in Deutschland aufgespielt. Das war nichts anderes als die purste Heuchelei. Die Kräfte um Lambsdorff und entsprechende Kräfte in der CDU/CSU verfolgen mit der Entsendeproblematik ein völlig anderes Ziel. Dazu zitiere ich Ihnen Graf Lambsdorff aus dem „Handelsblatt" vom 26. Juli dieses Jahres: Lambsdorff ist der Meinung, daß die in der Bundesrepublik praktizierte Tarifautonomie nicht länger Bestand haben könne. Und weiter: Natürlich gehöre ein Arbeitnehmer-Entsendegesetz zur Konsequenz der Tarifautonomie ... Im Umkehrschluß: Wenn ich eine Entsenderegelung verweigere, zerstöre ich mittelfristig die in Deutschland herrschende Tarifautonomie. Das sind die wahren Ziele von Lambsdorff und Co. und der sie begleitenden Kräfte in der CDU/CSU. ({9}) Sie wollen, meine Damen und Herren, wenn Sie diesen Kurs nicht korrigieren, in Wahrheit eine andere Republik. Hier sind in der Tat radikale Kräfte am Werk. Sie begreifen den europäischen Binnenmarkt als eine einmalige Chance, über 100jährige Bemühungen um einen fairen Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit zu unterwandern und auf die Müllkippe zu bringen - das ist das eigentliche Ziel

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- mein letzter Satz, Frau Präsidentin - und die Menschen in einen ungehemmten Manchester-Kapitalismus des vorigen Jahrhunderts zurückzuführen. Wer das verhindern will, braucht eine starke SPD. Schönen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es spricht jetzt der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm. Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst bei den Berichterstattern aus allen Fraktionen für die Bearbeitung unseres wichtigen Einzelplanes bedanken. Ich hatte leider nicht die Gelegenheit, mit der SPD im Haushaltsausschuß ausführlich alle Probleme zu besprechen, die bei den wichtigen sozialen Fragen zu besprechen sind. Es ist gar keine Frage: Wir haben Probleme. Ich stelle mich doch hier nicht hin und tue so, als hätten wir nicht große Aufgaben zu meistern. Ich mache das jetzt im 13. Jahr. Vorhin habe ich mir überlegt, worin denn die Gemeinsamkeit liegt. Die Gemeinsamkeit dieser 13 Jahre Haushaltsberatungen besteht darin, daß die SPD jeweils gesagt hat: Morgen bricht der Sozialstaat zusammen - 13 Jahre lang! Die Rede, die Herr Schreiner heute gehalten hat, hätte er auch schon 1982 halten können; er hätte nur ein paar Sachen auswechseln müssen. Es ist immer dasselbe. Ich will noch einmal betonen: Ich sage nicht, es gebe im Sozialstaat keine Probleme. Aber können Sie nicht einmal in Proportionen denken und reden? Sie reden so, als sei der Sozialstaat morgen am Ende. Viele Tausende und Millionen Menschen, die auf ihn angewiesen sind, denken, wenn sie Ihre Reden hören: Morgen wird keine Rente mehr gezahlt; es gibt kein Arbeitslosengeld mehr. Ich frage Sie: Wollen Sie das wirklich verantworten? Diese KatastroBundesminister Dr. Norbert Blüm phenspezialisten und Untergangsprofis ruinieren das Vertrauen in unseren Sozialstaat. ({1}) Ich denke nicht nur in Zahlen. Es werden hier ja immer die Zahlen wie Kohorten von feindlichen Heeren angeführt. ({2}) Ich denke an die Rentner; ich denke an die Behinderten, an die Arbeitslosen, auch an die Pflegebedürftigen. Hinter all den Zahlen und den Milliarden, mit denen wir um uns werfen, stehen menschliche Schicksale. Seid doch ein bißchen vorsichtig, daß ihr mit eurem Katastrophentremolo nicht die Menschen verunsichert! ({3}) - Doch. Ich hab es doch heute morgen gehört. „Schamlos" ist gesagt worden. Ich zitiere doch nur. Soll ich einmal all das zitieren, was Sie heute morgen gesagt haben? ({4}) Ich denke nicht nur an die Rentner, die Kriegsopfer und die Arbeitslosen; ich denke auch an die Beitragszahler, wenn sie ihre Lohnzettel lesen. Ich denke ebenfalls an manchen Schlaumeier, der sich tagsüber die Unterstützung abholt und abends Taxi fährt. Das hat mit „unappetitlich" nichts zu tun. Es ist hier nämlich gesagt worden, die Mißbrauchskampagne sei unappetitlich. Nach meinem Geschmack ist es nicht, wenn die Solidarkassen ausgenutzt werden; das habe ich nicht gern. ({5}) Das ist das Geld der Arbeitnehmer.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Bitte schön; aber natürlich.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da ich Ihnen ausdrücklich darin zustimme, daß Sozialmißbrauch unappetitlich ist und daß er bekämpft werden muß, möchte ich Sie fragen: Würden Sie mir nicht beipflichten, daß erstens Steuerhinterziehung und Subventionsmißbrauch in diesem Lande zu sehr viel höheren Schäden führen als der Sozialmißbrauch und daß zweitens die Bundesregierung auf diesem Gebiet bisher weiß Gott sehr wenig getan hat, was gerade Sie als Sozialminister dringend ändern müßten? ({0})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Verehrte Frau Kollegin, Mißbrauch ist Mißbrauch, egal wer ihn betreibt. ({0}) Deshalb muß er überall bekämpft werden; deshalb unterstütze ich Sie auch sehr, wenn Sie bei Ihren Landesfinanzministern - da liegt ja eine Hauptverantwortung, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen ({1}) einmal anfragen, wie oft dort die Betriebe überprüft werden. Also: jeder auf seinem Feld. ({2}) Das war schon wieder eine große Übereinstimmung. Jetzt aber noch einmal zu den Zahlen, auch für die Mitbürgerinnen und Mitbürger. 150 Milliarden DM werden in diesem Bundeshaushalt für soziale Zwecke ausgegeben - das sind 34 Prozent des Gesamthaushalts -, davon allein 125 Milliarden DM im Einzelplan 11. Da sollte man einmal die Proportionen beachten. Das sage ich auch an Sie, Frau Kollegin Fischer. Es ist ein Brocken sozialer Verpflichtung, den ich verteidige. 81 Milliarden DM werden für die Sozialversicherung ausgegeben. Das sollte man nennen, wenn wir hier schon Zahlen anführen. ({3}) 30 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt werden für den Arbeitsmarkt ausgegeben. Ich habe heute morgen gehört, daß so getan wurde, als täten wir für den Arbeitsmarkt nichts. Allein 45 Milliarden bekommt die Bundesanstalt für Arbeit; für die Kriegsopfer stehen 12 Milliarden DM zur Verfügung. Ich stelle fest: Der Sozialstaat läßt die Hilfsbedürftigen nicht im Stich. Das will ich doch einmal festhalten. ({4}) Ich sage ja ausdrücklich, daß es Probleme gibt. Ich stelle die Welt nicht so dar - soll ich das noch einmal wiederholen? -, als sei sie ohne Probleme. Ich denke nur, unser Sozialstaat verdient eine ausgewogenere Darstellung. Ich komme zu dem, was ich heute morgen als Generalphilosophie gehört habe - das hat gestern schon Herr Scharping gesagt -: Die Lohnzusatzkosten sind zu hoch, und die Sozialleistungen sind zu niedrig. Das ist ungefähr so wie die Aussage: Es wird zuviel Futter gegeben, aber sie verhungern. Mit weniger Geld mehr auszugeben, das ist das Betriebsgeheimnis der sozialdemokratischen Mathematik. Weniger Beiträge und mehr Ausgaben! ({5}) Herr Scharping hat gestern bedauert, daß die Soziallastquote in Westdeutschland - sonst nirBundesminister Dr. Norbert Blüm gendwo in ganz Europa - gesunken sei. Das hat er gestern hier bedauert, und Sie haben geklatscht. ({6}) Anschließend hat er gesagt, die Sozialleistungen seien zu niedrig. Man kann doch nicht beides beklagen: erstens zu hohe Beiträge und zweitens das Sinken der Soziallastquote. Man kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen. Sie müssen sich entscheiden, auf welcher Hochzeit Sie tanzen. ({7}) Ich beklage mit Ihnen, Herr Schreiner, die hohe Beitragslast. Wir müssen unsere Anstrengungen wirklich verstärken, diese Beitragslast zu senken. Aber wir wollen auch hier die Proportionen richtig setzen. Die Beitragserhöhung in der Rentenversicherung - so schmerzlich und so bedauerlich sie ist - führt zu einem Rentenbeitrag, der dem Rentenbeitrag von vor zwölf Monaten entspricht. Liebe Frau Fischer, die Rentenkasse ist keine Sparkasse. Hätten wir die 8 Milliarden DM behalten sollen? Wenn wir diesen Betrag nicht an die Beitragszahler zurückgegeben hätten, hätten das auch die Rentner gemerkt; denn wir haben eine Nettolohnrente. Insofern müssen wir die Beiträge senken, damit die Rentenanpassung höher ausfällt. ({8}) In der Pflegeversicherung haben wir auch kompensiert. Um 4 Milliarden DM - das dürfen Sie nicht einfach streichen - wird dadurch die Krankenversicherung entlastet. Sie haben recht, Herr Schreiner: Wir haben 35 Milliarden DM an einigungsbedingten Ausgaben. Das sind 28 Prozent - ich mache nicht gern dieses Zahlenspiel; aber es wird ja gewünscht - für die deutsche Einheit. Meine Damen und Herren, trotzdem, denke ich, sollten wir nicht so diskutieren, als wäre der Transfer eine anonyme Tauschaktion. Das ist die beste Sache dieses Jahrhunderts, die wir mit unserem Geld finanzieren. Wir haben schon hundsmiserable Sachen finanziert. Das ist die beste Ausgabe. ({9}) Ich denke einmal an den Rentner im Osten - Sie können so viele Statistiken vorweisen, wie Sie wollen -: Vor ein paar Wochen hielt in Linz am Rhein vor den Rheinterrassen ein Bus, aus dem 60 von der Arbeiterwohlfahrt ausstiegen - das ist kein CDU- naher Verein, auch kein Freundeskreis. Sie erzählten mir mit Stolz, daß sie eine Rheinfahrt gemacht haben. Sie erzählten mir mit Stolz, an welchen Orten in Europa sie schon waren. Und ich habe es Ihnen gegönnt. Es waren keine reichen Leute: verhärmte Gesichter, abgearbeitete Hände. Sie haben sich zum erstenmal große Reisen leisten können. Ich gönne es ihnen! Sie hatten besseres Geld in der Hand, als sie jemals in der DDR in der Hand hatten. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schreiner?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Ja, bitte.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß vermutlich niemand in diesem Haus diesen eben von Ihnen beschriebenen Menschen diese Reise mißgönnt? Sind Sie gleichermaßen bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Reisen dieser und ähnlicher Art - das ist unsere Kritik - überwiegend über die Beitragsleistungen der Arbeitnehmerschaft finanziert werden, während ich als Abgeordneter und Sie als Minister keinen einzigen Pfennig beisteuern? ({0})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Schreiner, für diese Kritik habe ich Verständnis. Ich habe aber kein Verständnis, daß 'Sie den ganzen Morgen miesgemacht haben. Sie hätten doch einmal sagen können: Den Rentnern geht es im allgemeinen gut. In der ganzen Debatte hat sich niemand getraut, zu sagen: Den Rentnern geht es in Deutschland im allgemeinen gut. Dann können Sie alles mögliche kritisieren. ({0}) Sie können mit mir über die Finanzierung diskutieren. Aber es soll doch niemand bestreiten, daß wir hier eine Rentenversicherung haben, wie es sie in der Welt nicht zum zweitenmal gibt. Die Zahl der Sozialhilfebedürftigen in der älteren Generation hat sich seit 1970 halbiert: Nur noch 2,1 Prozent brauchen im Westen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt, im Osten 0,3 Prozent. Ist das kein Erfolg? Kann denn über Klagen, Meckern und Miesmachen hinaus hier auch einmal etwas Gutes über die Sozialpolitik gesagt werden? ({1}) Ich würde über jedes Detail mit Ihnen diskutieren. Es gibt ja auch Argumente. Ich sage nicht, daß alle Ihre Argumente schwach wären. Aber springen Sie doch einmal über Ihren eigenen Schatten, und geben Sie zu, daß unser Sozialstaat verteidigenswert ist. ({2}) - Wenn mich die Opposition nicht lobt, muß ich das selber machen; das ist doch klar. ({3}) Lassen Sie mich jetzt noch etwas zum Zwickel sagen. In der Tat, dem Thema Arbeitslosigkeit weiche ich gar nicht aus. Herr Schreiner, ich habe das auf dem Delegiertentag der IG Metall dargestellt, nicht hier, daß beim Gesetz über die Arbeitslosenhilfereform von den 2,1 Milliarden DM 1,5 Milliarden DM für den Arbeitsmarkt drin sind. Mein lieber Herr Schreiner, das waren einmal Beitragszahler, die bekommen verstärkt ABM. Ich finde, die Langzeitarbeitslosen verdienen es als erste, Hilfen vom Arbeitsmarkt zu bekommen. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Nein, jetzt bin ich so schön in Fahrt, sie kommt gleich dran, jetzt muß doch erstmal mein Kollege Schreiner eine Antwort bekommen. ({0}) Oder bitte schön - aber ich komme auf Zwickel zurück. ({1})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister, Sie waren jetzt auch so schön in Fahrt, ich möchte noch einmal auf das vorige zurückkommen, und zwar habe ich eine konkrete Frage. Wir haben den Bundestagswahlkampf gehabt, den Berliner Wahlkampf, in beiden Wahlkämpfen haben - leider ein bißchen mißbraucht - die Rentenfragen eine Rolle gespielt. Aber alle Parteien haben festgestellt, es muß - Sie haben ja eben nur Bezug genommen auf den Westen - auch im Osten im Korrekturgesetz etwas getan werden. Es gibt aber - über die Allgemeinheit könnten wir diskutieren - eklatante Überführungslücken und Strafrecht. ({0}) Wann gedenken Sie, da etwas zu machen? ({1})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Auch gerade auf Drängen und Vorschlag unserer Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, die aus den neuen Ländern kommen, sind wir durchaus bereit, zu überprüfen, wie man das noch gerechter machen kann. Dabei glaube ich, die absolute Gerechtigkeit gibt es nicht. Ich werde Sie enttäuschen: Jede Begrenzung wegzunehmen, das würde aus meiner Sicht das Gerechtigkeitsgefühl derjenigen verletzen, die unter denen gelitten haben, die sonst überhohe Renten beziehen würden. ({0}) Aber jetzt muß ich doch zu Zwickel zurück. Also noch einmal die Arbeitslosenhilfe. Wir diskutieren in diesem Parlament, wir bringen es ja morgen ein. Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß die Debatte auch hier etwas ungleichgewichtig ist. 1,5 Milliarden DM Hilfe für die Langzeitarbeitslosen - nicht zu vergessen, daß wir ein 3-Milliarden-DM-Langzeitarbeitslosenprogramm aufgelegt haben! Was Sie, Frau Fischer, nebenbei als Verschiebebahnhof beklagen: Es ist ein uralter Grundsatz, daß Sozialversicherungsleistungen vor Sozialhilfe kommen. Insofern ist es richtig, daß ein Arbeitslosenhilfebezieher, wenn er regulär Rentenzugang hat, diesen Rentenzugang - das ist nichts Neues - in Anspruch nehmen muß. Das ist etwas ganz anderes, als wenn sich Betriebe über Sozialpläne einen gekonnten Zugang zu Renten schaffen. Aber wir wollen jetzt nicht in die Einzelheiten gehen. Ich bleibe dabei, das läßt sich auch im Gespräch mit der IG Metall mit Argumenten begründen. Zu diesem Gespräch sind wir bereit. Im übrigen ist es nichts Neues. Die Arbeitslosenhilfe nach geltendem Recht hatte bereits diese Neubewertung, und ich habe die IG Metall gegen diese Art von Neubewertung, die im geltenden Recht war, nie protestieren hören. Insofern glaube ich, daß dem argumentativen Austausch noch viel Spielraum gegeben wird. Das wird nicht an Unbeweglichkeit der Bundesregierung scheitern. ({1}) Allerdings muß dann auch gesagt werden, wo die Alternativen sind; denn daß wir sparen müssen, muß auch eine Arbeitnehmerorganisation einsehen. Wenn wir nicht sparen würden, würden wir die Preise hochtreiben und die IG Metall in große lohnpolitische Verlegenheiten bringen. Also ist es sogar eine Hilfe. ({2}) Was die IG Metall jetzt macht - ich kann ja gar nicht alles aufführen, es ist ja hier gesagt worden -, das sind alles Sachen, lieber Herr Schreiner, wofür Sie mich von diesem Pult hier jahrelang beschimpft haben, ({3}) wegen der Einstiegstarife, es sind alles Sachen, wogegen Sie frontal angelaufen sind. Sie haben Lohnpolitik immer mit der Kaufkraftpolitik verbunden. Lieber Herr Schreiner, ich bin ja ganz stolz, daß meine IG Metall, der ich seit über 40 Jahren angehöre, ({4}) die SPD überholt hat. Ich hätte nie geglaubt, daß die SPD von der IG Metall überholt wird. ({5}) Jetzt stelle ich mir voller Mitleid ein Mitglied einer SPD-Betriebsgruppe vor, das am Montag Flugblätter gegen Einstiegstarife verteilen muß, gegen Nullrunden und am Mittwoch als IG-Metall-Vertrauensmann dann das entgegengesetzte Flugblatt verteilen muß. Ich schlage vor: Wechselt die Portale, damit die Leute euch nicht erkennen und sehen, daß es dieselben sind. Das ist ja peinlich. ({6}) Deshalb Modernisierer! Wenn es da einen Wettbewerb gibt, dann ist die IG Metall weiter als die SPD. ({7}) Das ist ein Geschwindigkeitsunterschied wie der zwischen Rennpferd und Dackel. ({8}) Es bleibt dabei, daß sich dieser große Koloß endlich bewegt. Ich finde, das ist doch auch ein Gegenstand, daß wir uns bei aller Kritik heute morgen nicht wechselseitig vorrechnen, wer etwas Besseres weiß, sondern daß wir versuchen, dort, wo es Gemeinsamkeiten gibt, auch in dieser Debatte, in dieser harten Auseinandersetzung, trotzdem die Brücken von Gemeinsamkeiten nicht abzubrechen. Den Sozialstaat rettet nicht einer allein, und auch den Arbeitslosen hilft nicht einer allein. Dazu brauchen wir Unternehmer, die etwas riskieren. ({9}) Dazu brauchen wir eine unternehmerische Gesinnung und Unternehmer, die auch in schweren Zeiten durchhalten. „Heuern und feuern" entspricht nicht unserer Sozialtradition. So mancher Großbetrieb könnte sich da eine Scheibe abschneiden vom kleinen Handwerksmeister, ({10}) der auch in schweren Zeiten durchhält. In diesen schweren Zeiten müssen Brücken gebaut werden. Wir dürfen nicht eine kleinkarierte Buchhalterdiskussion führen. Das würde uns allen gemeinsam - ich schließe mich ein - guttun. Deshalb lade ich dazu ein, nicht nur für den Sozialstaat zu werben, sondern auch für ihn zu arbeiten. Er ist kein Klotz am Bein des Standort Deutschlands. Er ist ein Stabilitätspfeiler, der uns - Frau Wegner hat dies heute morgen gesagt - einen geordneten Staat garantiert und politischen Extremismus erspart. Er hat aus diesem Land mit seinen vielen Problemen einen Staat gemacht, in dem die Menschen sozial abgesichert leben können.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Andres?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Bitte.

Dr. h. c. Gerd Andres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, einmal abgesehen davon, daß mir - dies war Ihr Einstieg - viele Passagen Ihrer Rede auch sehr bekannt vorkommen: Ich würde gerne die konkrete Frage meines Kollegen Schreiner wiederholen wollen, auch angesichts der Tatsache, daß Sie hier vom Verteilen von Flugblättern bis sonst wohin fabuliert haben. Klaus Zwickel hat wörtlich gesagt, man müsse darauf achten, bei der Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes auf die Kürzung des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe zu verzichten und die Sozialhilfekriterien nicht zu verschlechtern. Ich war leider nicht auf dem IG-Metall-Kongreß. Aber ich habe Ihre salbungsvollen Ausführungen zum Arbeitslosenhilfegesetz gehört. Ich möchte einmal ganz konkret wissen, was Sie als Arbeitsminister zu diesem Angebot der IG Metall sagen und wie Sie sich in diesem konkreten Punkt verhalten. ({0})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Wir sind immer zu Gesprächen bereit. ({0}) - Mein Gott, seid ihr wirklich so kleinkariert? Laßt mich doch einmal ausreden. Wenn man Gespräche führt, darf man keine Vorbedingungen stellen. Aber an der Tatsache, daß gespart werden muß, führt auch für die IG Metall kein Weg vorbei. Ich bleibe allerdings dabei: In dem Gesetz, das wir morgen verabschieden, sind nicht nur Abstufungen enthalten, sondern auch massive Hilfen für die Arbeitslosenhilfebezieher. Die Abstufung, die beklagt wird, ist schon im geltenden Recht vorhanden. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bedauere, daß auch ich mich ab und zu wiederholen muß, und entschuldige mich beim Kollegen Andres dafür. Sozusagen strafmildernd will ich nur erwähnen: Wenn Sie immer dieselben Phrasen dreschen, muß ich Ihnen auch immer dieselben Antworten geben. ({2}) Das ist nun einmal mein Schicksal. Auch ich würde gerne etwas variieren. Trotzdem - Streit hin, Streit her -: Macht den Sozialstaat nicht so schlecht, daß die vielen Menschen, die auf ihn vertrauen, die Hoffnung verlieren. Sie zeichnen ja ein Szenarium wie kurz vor dem Weltuntergang. Das tut dem Sozialstaat nicht gut, das tut vor allen Dingen denen nicht gut, die auf ihn vertrauen. Sie können auch weiterhin auf ihn vertrauen. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 13/2895? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Grüne und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/2896? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit demselben Stimmenverhältnis abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/2935? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses abgelehnt worden, mit Ausnahme der PDS, die dafür gestimmt hat. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/2936? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Grüne und PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt worden. Wer stimmt für den Einzelplan 11 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 11 ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Bevor ich nun den Einzelplan 16 aufrufe, kommen wir zum Einzelplan 09 zurück. ({0}) - Moment, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen noch über den Einzelplan 09 abstimmen. Ich bitte deswegen, noch für einen kurzen Moment Ruhe zu halten. Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/2938 bekannt. Abgegebene Stimmen: 635, mit Ja haben gestimmt: 75, mit Nein haben gestimmt: 332, Enthaltungen: 228. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 635; davon: ja: 75 nein: 332 enthalten: 228 Ja SPD Thomas Krüger Christoph Matschie Markus Meckel Christian Müller ({1}) Gerhard Neumann ({2}) Dr. Edelhert Richter Gisela Schröter Gert Weisskirchen ({3}) BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gila Altmann ({4}) Elisabeth Altmann ({5}) Volker Beck ({6}) Angelika Beer Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({7}) Joseph Fischer ({8}) Rita Grießhaber Kristin Heyne Ulrike Höfken Dr. Manuel Kiper Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Vera Lengsfeld Dr. Helmut Lippelt Kerstin Müller ({9}) Cem Özdemir Gerd Poppe Simone Probst Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({10}) Wolfgang Schmitt ({11}) Ursula Schönberger Werner Schulz ({12}) Rainder Steenblock Christian Sterzing Manfred Such Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({13}) Margareta Wolf ({14}) PDS Wolfgang Bierstedt Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({15}) Rosel Neuhäuser Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Gerhard Zwerenz Nein CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({16}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Rudolf Braun ({17}) Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({18}) Hartmut Büttner ({19}) Dankward Buwitt Manfred Carstens ({20}) Peter Harry Carstensen ({21}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann Anke Eymer Ilse Falk Dr. Kurt Faltlhauser Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf Fink Dirk Fischer ({22}) Leni Fischer ({23}) Klaus Francke ({24}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Dr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma Glücklich Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund Horst Günther ({25}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({26}) Gerda Hasselfeldt Rainer Haungs Otto Hauser ({27}) Hansgeorg Hauser ({28}) Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({29}) Ulrich Junghanns Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Peter Keller Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein ({30}) Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler ({31}) Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus Wolfgang Krause ({32}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Karl Lamers Dr. Karl A. Lamers ({33}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach Walter Link ({34}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({35}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({36}) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Erich Maaß ({37}) Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten Dr. Martin Mayer ({38}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Rudolf Meyer ({39}) Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({40}) Engelbert Nelle Bernd Neumann ({41}) Johannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({42}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau Helmut Rauber Peter Harald Rauen Otto Regenspurger Christa Reichard ({43}) Klaus Dieter Reichardt ({44}) Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder Dr. Erich Riedl ({45}) Klaus Riegert ({46}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({47}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer ({48}) Ortrun Schätzle Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({49}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({50}) Andreas Schmidt ({51}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz ({52}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte ({53}) Gerhard Schulz ({54}) Frederick Schulze Diethard Schütze ({55}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Michael Stübgen Egon Susset Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({56}) Gert Willner Bernd Wilz Willy Wimmer ({57}) Matthias Wissmann Simon Wittmann ({58}) Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller SPD Johannes Singer Helmut Wieczorek ({59}) F.D.P. Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({60}) Günther Bredehorn Jörg van Essen Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher Joachim Günther ({61}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Detlef Kleinert ({62}) Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Heinz Lanfermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Uwe Lühr Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({63}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Wolfgang Weng ({64}) Enthalten SPD Brigitte Adler Gerd Andres Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig Lilo Blunck Dr. Ulrich Böhme ({65}) Arne Börnsen ({66}) Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury Hans Büttner ({67}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Lothar Fischer ({68}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({69}) Katrin Fuchs ({70}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Dr. Peter Glotz Günter Graf ({71}) Angelika Graf ({72}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold Hiller ({73}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({74}) Frank Hofmann ({75}) Ingrid Holzhüter Erwin Horn Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({76}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({77}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({78}) Winfried Mante Dorle Marx Ulrike Mascher Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Ulrike Mehl Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({79}) Ursula Mogg Michael Müller ({80}) Jutta Müller ({81}) Volker Neumann ({82}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Rudolf Purps Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter Günter Rixe Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Dieter Schloten Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({83}) Ursula Schmidt ({84}) Dagmar Schmidt ({85}) Wilhelm Schmidt ({86}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({87}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({88}) Brigitte Schulte ({89}) Reinhard Schultz ({90}) Volkmar Schultz ({91}) Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({92}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Bodo Seidenthal Lisa Seuster Horst Sielaff Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Günter Verheugen Ute Vogt ({93}) Karsten D. Voigt ({94}) Hans Georg Wagner Hans Wallow Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({95}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({96}) Heidi Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley Nun frage ich: Wer stimmt für den Einzelplan 09 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 09 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden. Jetzt rufe ich auf: Einzelplan 16 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Drucksachen 13/2616, 13/2626 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart Kuhlwein Kristin Heyne Dr. Wolfgang Weng ({97}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und vier Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erstes hat der Abgeordnete Eckart Kuhlwein das Wort.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Vorgang anfangen, der die notwendige globale Umweltpolitik genauso betrifft wie die Bemühungen dieses Hauses um die Einhaltung der Menschenrechte. Gestern erreichte uns die Meldung, daß in Nigeria die Todesurteile gegen den Träger des alternativen Nobelpreises Ken Saro-Wiwa und acht seiner Freunde vom Stamme der Ogoni bestätigt worden sind. Die Betroffenen haben seit Jahren öffentlich gegen die Ausbeutung und ökologische Zerstörung ihrer erdölreichen Heimatregion und damit gegen die Zerstörung ihrer Existenzgrundlage protestiert. Ihnen wird Anstiftung zum Mord vorgeworfen. Ken Saro-Wiwa hat stets seine Unschuld beteuert und das nigerianische Militärregime für die Morde verantwortlich gemacht. Viele Menschenrechtsorganisationen und internationale Beobachter geben ihm Recht. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und dringend darum bitten, daß sich der Deutsche Bundestag noch in dieser Woche mit diesem Thema beschäftigt, um ein weiteres Verbrechen gegen Mitglieder des Volks der Ogoni in Nigeria zu verhindern. ({0}) Ich appelliere deshalb an alle Fraktionen und Gruppen dieses Hauses, sich zu einer solchen Initiative zusammenzufinden. Wir können nicht tatenlos zusehen, wenn in Nigeria weiter gemordet wird, wir können nicht mehr tatenlos zusehen, wenn in Nigeria im Zusammenspiel von multinationalen Ölkonzernen und einer korrupten Militärregierung einem ganzen Volk die Lebensmöglichkeiten genommen werden. Ich erwarte auch von den Ölkonzernen, die dort tätig sind, daß sie ihren eigenen Einfluß geltend machen, um das Leben der Betroffenen zu retten, und daß sie künftig nicht mehr die Lebensgrundlagen der Menschen in der Dritten Welt zerstören, um skrupellos Gewinne zu machen. ({1}) Ich sage ganz deutlich: Es gibt genügend engagierte Menschen in der ersten Welt, die alle Möglichkeiten nutzen werden, lernunfähigen Konzernen das Handwerk zu legen. ({2}) Meine Damen und Herren, wenn ich mich in der heutigen Debatte um den Haushalt des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf die Kommentierung des Zahlenwerks beschränken wollte, könnte ich die Rede aus der ersten Lesung wiederholen. Die Umweltpolitik leidet weiter an finanzieller Erosion. Die zuständige Ministerin darf das gelegentlich durch verbale Kunststücke kompensieren, und die Bundesregierung macht im alten Trott weiter, als wäre nichts gewesen. Als treue Vasallin ihres Bundeskanzlers hat die Umweltministerin die Taktik übernommen, Politik durch „Man müßte mal ..." zu ersetzen. ({3}) Die Eckwerte des Einzelplans 16 haben die Beratungen im Haushaltsausschuß fast unverändert überdauert. Die Mittel für Umweltforschung werden leicht gekürzt, die Pilotprojekte werden zum Stopfen von Löchern mißbraucht, die Atompolitik wird unbeirrbar fortgesetzt. Es ist auch dabei geblieben, daß der Umwelthaushalt zur Finanzierung des Kohlebergbaus nach dem Wegfall des Kohlepfennigs und zur Subventionierung einiger deutscher Großunternehmen durch die Planung einer Transrapid-Strecke von Hamburg nach Berlin herangezogen wird. Frau Ministerin Merkel hätte sich gegen solchen Unsinn eigentlich zur Wehr setzen müssen. ({4}) Ich will nicht verschweigen, daß wir gemeinsam einige Kleinigkeiten repariert haben: Für gesamtstaatlich repräsentative Naturschutzgroßprojekte haben wir aus anderen Titeln Mittel zusammengekratzt, um wenigstens die 40 Millionen DM von 1995 wieder zu erreichen. ({5}) Das wird allerdings trotzdem nicht genügen, um alle gut begründeten Anträge finanzieren zu können. Wir haben beim Bundesamt für Naturschutz die Personallage verbessert und beim Institut für Wasser, Boden- und Lufthygiene für die Beschäftigten ein höheres Maß an Absicherung ausgehandelt. Dies alles soll nicht geringgeschätzt werden. Aber als Beitrag der Koalition zur notwendigen Neuorientierung der Umweltpolitik erscheint mir das etwas dürftig. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderungen" hat in der vergangenen Woche sein Jahresgutachten 1995 übergeben. Frau Merkel und ihr Kollege Rüttgers waren sich daraufhin einig, daß Deutschland beim Umweltschutz weiterhin eine Vorreiterrolle spielen solle. Sie bemühten einmal mehr als Beleg die vollmundigen Ankündigungen des Bundeskanzlers vom Berliner Klimagipfel. Der Beirat hat indes festgestellt, daß eine Verminderung der Treibhausgasemissionen aller Industrieländer dringend erforderlich sei. Das ist nicht neu. Aber es ist notwendig, daß es immer wieder aufs neue gesagt wird. Es ist ebenfalls nicht neu, daß die Bundesregierung Vorschläge der WisEckart Kuhlwein senschaft „sympathisch" findet, wie das Frau Merkel ausgedrückt hat, um sich ein ökologisches Alibi zu schaffen. Ebensowenig neu ist, daß die Bundesregierung nach solchen politischen Höhenflügen wieder zur Tagesordnung übergeht. Was wir der Bundesregierung auch auf Grund unserer Erfahrungen mit dem Berliner Klimagipfel immer vorgeworfen haben, hat der Beirat bestätigt: Deutschland selbst hat bei der globalen Umweltpolitikformulierung bisher nur in wenigen Teilbereichen eine herausragende Rolle gespielt; faktisch wurde auch manche Chance der Einflußnahme vertan. Helmut Kohls vielfach glorifizierter Auftritt auf dem Klimagipfel ist damit auf Normalmaß reduziert worden. ({6}) Er hat international wenig bewegt und national nicht die erforderlichen Konsequenzen gezogen. Noch immer gibt es keine Wärmenutzungsverordnung. Noch immer gibt es keine ausreichenden Mittel für die Förderung von Fernwärme und Energieeinsparung, noch immer gibt es keine Grundentscheidung für erneuerbare Energien, noch immer gibt es kein Hunderttausend-Dächer-Programm für die Förderung von Solarstrom, noch immer gibt es kein ökologisch verträgliches System der Kraftfahrzeugbesteuerung, noch immer gibt es kein Tempolimit auf Autobahnen, ({7}) und noch immer gibt es keine Flugbenzinsteuer. Die Liste Ihrer Versäumnisse, meine Damen und Herren auf der rechten Seite dieses Hauses, ließe sich beliebig verlängern. ({8}) Nun lassen Sie uns einmal über die wirklich notwendige Modernisierung reden. Meine Partei ist die einzige Partei, die bisher ein schlüssiges Konzept zur notwendigen ökologischen Modernisierung der Industriegesellschaft vorgelegt hat. ({9}) Wir wollen ökologische Erneuerung und wirtschaftliche Entwicklung miteinander verbinden. Wir wollen damit den Wirtschafts- und Lebensstandort Deutschland sichern und verbessern. Dafür muß die Politik ökologisch verantwortbare Rahmenbedingungen setzen. Zu diesen Rahmenbedingungen gehören wirksame Anreize für eine Wirtschaft, die Ressourcen schont und wenig Abfälle produziert, für eine immer effizientere Energienutzung, für einen Durchbruch zur Solarwirtschaft, für eine hohe Material- und Stoffproduktivität, Anreize zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Ökosysteme und zu einer umweltgerechten und energiesparenden Umgestaltung des Verkehrssystems. Ein für diese Modernisierung notwendiges Instrument ist eine ökologische Steuerreform. ({10}) Dabei ist unser Leitmotiv: Entlastung der Bürger bei Steuern und Abgaben auf der einen und schrittweise Anhebung der Preise für den umweltschädlichen Energieverbrauch über höhere Energiesteuern auf der anderen Seite. Wer sich umweltverträglich verhält, soll materielle Vorteile erhalten. Wer mit Energie und Rohstoffen verschwenderisch umgeht, muß mehr Abgaben zahlen. Das ist marktwirtschaftlich logisch, könnte den Produktionsfaktor Arbeit entlasten ({11}) und dazu beitragen, daß durch gesenkte Lohnnebenkosten der Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb sicherer wird. Wir haben Ihnen außerdem bereits Ende vergangenen Jahres ein Klimaschutzprogramm vorgelegt, mit dem wir den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2005 um wenigstens ein Viertel verringern könnten. Dieses Programm enthält die wichtigsten Energie-, Umwelt- und Verkehrsmaßnahmen, mit denen gezielte Anstoßwirkungen für Innovationen im Umweltbereich und die Markteinführung von umweltgerechten Technologien erreicht werden könnten. Sie haben unsere Vorschläge bis heute abgelehnt, ohne ihnen ein überzeugendes eigenes Konzept entgegensetzen zu können. Sie wollen nicht erkennen, was notwendig ist. Oder das, was notwendig ist, ist in der Koalition nicht mehrheitsfähig. Das kann man an vielen mißglückten Versuchen der F.D.P., CDU und CSU, sich zu einigen, ablesen, zum Beispiel bei der CO2-Steuer. Sie sind als Koalition in diesen Fragen nicht mehr handlungsfähig. ({12}) Es nützt auch nichts, einen „Zukunftsminister" zu installieren, wenn dessen Hauptaufgabe darin besteht, vergangenes Denken zu verwalten. ({13}) Sie haben in diesem Haushalt die Mittel für die Umweltschutzpilotprojekte weiter gekürzt. Dies unterstreicht unsere These von der mangelnden Zukunftsfähigkeit Ihrer Politik. Ich will die Anträge, die nicht mehr finanziert werden können, benennen. Dahinter stecken Verfahrens- und Produktinnovationen, die unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten könnten: zum Beispiel innerbetriebliche Abwasserbehandlung nach dem Membrantrennverfahren, zum Beispiel Recycling von Problemschrott, zum Beispiel Stickoxydminderung in einer Glashütte, zum Beispiel Herstellung von Platten aus industriellen Reststoffen und nachwachsenden Rohstoffen, zum Beispiel Energieeinsparung und geringerer Materialeinsatz beim Brennen von Mauerziegeln. Der integrierten Umweltpolitik gehört die Zukunft, meine Damen und Herren. In diesem Bereich könnten wir Vorreiter werden, wenn die Kreativität der Menschen, die hinter diesen Konzepten steht, durch eine finanzierbare Umsetzung unterstützt würde. Aber diese Kürzungen in diesem Etat sind beispielhaft dafür, daß in diesem Bereich von Ihnen ein Stück Zukunft verspielt wird. ({14}) Ich will in der Kürze der Zeit nicht noch ausführlich auf die Kapitel zur Reaktorsicherheit eingehen. Gerichtsentscheidungen zu Morsleben und Gorleben mögen die Position der Bundesregierung juristisch stärken; politisch sind sie deshalb noch lange nicht auf der richtigen Seite. Wir haben mit Interesse gelesen, daß die Neigung der Stromwirtschaft nachläßt, Gorleben als Endlager für radioaktive Abfälle auszubauen. Die Bundesregierung sollte sich trotz der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hüten, weitere Milliarden in dieses Loch zu schaufeln. Sie wird spätestens vor Inbetriebnahme des Endlagers eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchführen müssen. Die Eignung des Salzstocks bleibt bis heute umstritten. Wer nicht rechtzeitig Alternativen untersucht, vergrößert die ohnehin schon unerträglichen Lasten für künftige Generationen. ({15}) Zum Schluß möchte ich die Bundesregierung auffordern, sich mit ihren Ministerien und den nachgeordneten Behörden am Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung nach der EG-Öko-Audit-Verordnung und nach dem deutschen Umweltauditgesetz zu beteiligen. ({16}) Auch wenn die EG-Verordnung vor allem die Unternehmen der produzierenden Industrie, des verarbeitenden Gewerbes und die Unternehmen der Energieerzeugung und Abfallwirtschaft zur freiwilligen Teilnahme auffordert, ist die Einbeziehung des Dienstleistungsbereichs durchaus möglich und erwünscht. Wir wollen mit diesem Antrag, der dem Bundestag gesondert vorliegt, erreichen, daß der Bund Vorbild bei der Einhaltung der Umweltvorschriften und bei der kontinuierlichen Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes wird. Die Bundesregierung sollte wenigstens im eigenen Bereich die Vorgaben erfüllen, die sie anderen gesetzt hat. Meine Damen und Herren, mir bleibt noch der Dank des Hauptberichterstatters an alle an der Beratung des Einzelplans 16 Beteiligten und dabei insbesondere an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums und seiner nachgeordneten Behörden. Ich verspreche Ihnen allen: Wenn die Koalition uns im nächsten Jahr für die Beratung des Bundeshaushalts ausreichend Zeit läßt und der Kanzler das Parlament nicht wieder dazu zwingt, den Terminplan um drei Wochen zu kürzen, weil er eine China-Reise plant, werden wir noch tiefer schürfen und genügend Zeit haben, an allen Einzelplanberatungen und Bereinigungssitzungen teilzunehmen. Denn dann können wir damit rechnen, daß wir rechtzeitig vernünftige Papiere für kurzfristige Entscheidungen auf den Tisch bekommen und nicht so verfahren müssen, wie das in der vorletzten Woche im Haushaltsausschuß notwendig wurde, weil Sie über Nacht 20 Milliarden DM mit einem einzigen Wisch umschichten wollten und von uns verlangt haben, uns damit ernsthaft zu beschäftigen. ({17}) Der Einzelplan 16 ist alles in allem ein Zeugnis umweltpolitischen Stillstands. Niemand wird sich wundern, wenn ich für meine Fraktion erkläre: Wir lehnen ihn ab. ({18})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Arnulf Kriedner.

Prof. Dr. h. c. Arnulf Kriedner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den Ausführungen, die der Kollege Kuhlwein gemacht hat, ist zunächst einmal aufgefallen, daß er eine Liste von Ladenhütern an den Anfang seiner Rede gestellt hat, ({0}) die nicht einmal in Ihrer eigenen Partei unumstritten sind. Herr Kollege Kuhlwein hat zum Beispiel ungeachtet meiner Mahnung, das nicht zu tun, das Thema Transrapid aufgebracht. Ich erinnere noch einmal an das Abstimmungsverhalten seiner eigenen Fraktion im Haushaltsausschuß, als dieses Thema auf der Tagesordnung gestanden hat. Wir hatten das seltene Vergnügen zu erleben, daß die Mehrheit der SPD- Fraktion entweder mit der Koalition gestimmt hat oder gar nicht im Raum war, was auch eine Art des Abstimmungsverhaltens ist. Nur wenige waren der Meinung des Kollegen Kuhlwein. ({1}) - Was den Transrapid angeht, war das ganz eindeutig so. Ihr Abstimmungsverhalten war so, wie ich gesagt habe. ({2}) - Kollege Kuhlwein, wir können ja einmal nachsehen, wer von Ihrer Fraktion alles im Raum war und sich an der Abstimmung beteiligt hat. Zweitens sollten Sie einige Ihrer Projekte, von denen Sie hier gesprochen haben, die nur von einem gewissen Flügel der SPD unterstützt werden und im Grunde genommen Anträge für Ihren in Kürze stattArnulf Kriedner findenden Parteitag sind, nicht als Meinung Ihrer Fraktion oder der SPD hinstellen. Zum Beispiel wird Ihnen der niedersächsische Ministerpräsident bei einigen Fragen ganz erheblich widersprechen. ({3}) Es ist doch eine selektive Wahrnehmung, die Sie betreiben, wenn Sie behaupten, daß im Bereich Umweltschutz in der Bundesrepublik Deutschland ein Stillstand eingetreten sei. Sie sind ja schon in Ihrer Aussage gereift; denn Sie haben nicht gesagt, wir machten permanent Rückschritte. Das muß man Ihnen schon als positive Aussage unterstellen. Daß wir einen Stillstand haben, bestreite ich allerdings. Ich bestreite auch ganz energisch das, was Sie zur Frage von großen internationalen Konferenzen ausgesagt haben. Sie alle kennen doch die Abläufe. Es ist ganz wichtig, daß sich ein großes Industrieland wie die Bundesrepublik Deutschland erst einmal hinter Anliegen stellt und sie beispielhaft betreibt. Sie leugnen, daß die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Maßstab - das erkennen merkwürdigerweise Sozialisten, wo immer sie regieren, in allen anderen Ländern an - eine Vorreiterrolle in vielen Punkten des Umweltschutzes spielt und nicht etwa hinten liegt. ({4}) - Das ist keine Legende. Ich weiß nicht, ob der Kollege Wagner anwesend ist. Wenn Sie einmal wie er die Gelegenheit hatten, auf einer Auslandsreise dabeizusein und sozialdemokratische oder sozialistische Umweltminister zu treffen, dann werden Sie merken, daß diese die Rolle der Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich anerkennen und sagen, daß in Deutschland eine Spitzenreiterfunktion wahrgenommen wird. ({5}) Das als Legende abzutun ist eine Sache, die dem normalen Oppositionsverhalten entspricht. Es entspricht aber nicht den Tatsachen. Wenn Sie die Behauptung einführen, Herr Kollege Kuhlwein, die Energiewirtschaft habe die Neigung, Abfälle künftig nicht mehr nach Gorleben zu verbringen ({6}) - es nicht mehr als Endlager zu benutzen -, so ist das eine kühne Behauptung. Natürlich haben Sie mit Ihrer Art der Politik dazu beigetragen, daß die Endlagerdiskussion endlos geführt wird. ({7}) - Der Beifall, den Sie ironisch klatschen, zeichnet Sie in dieser Frage nicht aus, weil Sie, die in der Mitte dieses Hauses sitzen, die Grünen, die Antwort darauf schuldig bleiben, was Sie angesichts der Abfälle, die entstehen, tun wollen. Darauf bleiben Sie die Antwort schuldig, aber Sie applaudieren an der falschen Stelle. Ich habe Ihnen bei der Einbringung des Haushalts schon einmal vorgehalten, daß Sie keinerlei Konzeption haben, wenn es um internationale Verpflichtungen der Bundesrepublik in Sachen Reaktorsicherheit geht. Hierzu unternehmen Sie nichts, hierzu stellen Sie nur Nullanträge und tun so, als ob dieses Problem überhaupt nicht existiere. Ich sage Ihnen: Da ist die SPD einen Schritt weiter. Zumindest was das Internationale anbetrifft, macht sie vernünftige Politik mit.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt?

Prof. Dr. h. c. Arnulf Kriedner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, aber wenn Sie hier fragen, verbessert das Ihre Position auch nicht. ({0}) - Ich sage das, weil ich die Fragen kenne. Ich bin doch tolerant. Ich lasse doch Fragen zu. Was wollen Sie denn?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Einen Moment! Herr Kollege, eine Zwischenfrage zuzulassen, aber sie vorher abzuwerten, ist kein guter Stil.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß Bündnis 90/Die Grünen auch bei den Energiekonsensgesprächen immer wieder erklärt haben, daß wir bereit sind, die Verantwortung für die Endlagerung von Atommüll zu übernehmen? Wir haben lediglich eine - sehr wichtige - Voraussetzung genannt, unter der wir bereit sind, diese Verantwortung zu übernehmen: daß die Menge des Restmülls durch einen genau definierten Atomausstieg begrenzt bleibt, damit man genau weiß, welche Mengen an Atommüll noch zu verbringen sind. Dann, haben wir gesagt, sind wir bereit, die Verantwortung zu übernehmen, aber vorher übernehmen wir keine Verantwortung für die Weiterbetreibung von Atomkraft. ({0})

Prof. Dr. h. c. Arnulf Kriedner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, Sie haben offensichtlich nicht zugehört. Ich habe hier zum Ausdruck gebracht, daß es die Politik etwa in Niedersachsen gewesen ist, die bisher verhindert hat, daß Atommüll überhaupt verbracht wird. Ich habe dann einen Kontext zu den Anträgen hergestellt, die Ihre Fraktion im Haushaltsausschuß eingebracht hat, wo Sie es abgelehnt haben, jegliche internationale Verantwortung, die die Bundesrepublik in großem Umfang - im größten Umfang gemessen an den Industriestaaten - wahrnimmt, mitzutragen, indem sie Nullanträge gestellt haben. Das habe ich hier gesagt, und bei dieser Aussage bleibe ich. Deshalb, Frau Präsidentin, habe ich, auch wenn es nicht sehr gefällig gewesen sein mag, gesagt: Da ich die Tendenz der Zwischenfrage, wie sie mir ja schon in der letzten Debatte gestellt worden ist, kenne, kann jetzt nichts Neues kommen. Genau aus diesem Grunde habe ich das gesagt. Um es einmal sehr deutlich zu sagen: Sie stellen etwa in der Frage von Tschernobyl permanent Nullanträge, ohne zu sagen, was Sie denn eigentlich wollen, was Sie eigentlich mit dem gigantischen Restmüll, der dort steht, anstellen wollen. Sie tun so, als ob die Bundesrepublik da Geld verschleudere. Ich behaupte: Sie leistet einen ganz wichtigen, essentiellen Beitrag zur internationalen Vermeidung von Gefährlichkeiten. Das ist das Entscheidende, das ich hier zum Ausdruck bringen will. Herr Kollege Kuhlwein, wenn in der Debatte so getan wird, als ob die Bundesrepublik Deutschland beim Umweltschutz nichts täte, dann erinnere ich einmal an eine ganze Reihe von Maßnahmen etwa im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung. Eine Großmaßnahme war beispielsweise die Reduzierung der Versalzung von Werra und Weser. Dieses Projekt wird von Ihnen nie erwähnt, weil es sehr erfolgreich abgeschlossen worden ist. Es hat dazu geführt, daß die Salzfracht binnen vier Jahren auf ein Zehntel der früheren Salzfracht gesunken ist. ({0}) - Auch das ist ein Irrtum, Herr Kollege. Sie wissen, daß es dort zwei Kalistandorte gibt. Der eine produziert voll, der andere in der Tat nicht mehr. Wenn wir einmal genau rechnen, müßte damit also allenfalls um zwei Drittel reduziert worden sein, es ist aber auf ein Zehntel reduziert worden. Also stimmt Ihre Annahme nicht. Ich darf Ihnen einmal sagen, was an Mitteln dafür eingesetzt worden ist, damit Sie nicht Ihre falsche Argumentation weiterverbreiten. ({1}) - Frau Kollegin, was hatten Sie aus seliger Vergangenheit, als diese Fracht in die Flüsse hineingebracht wurde, beizutragen? Das würde mich doch einmal interessieren. ({2}) - Herr Kollege Fischer, Sie sind ja im benachbarten Hessen zu Hause. Bisher sind dort 150 Millionen DM eingesetzt worden, und im nächsten Jahr werden weitere 77 Millionen DM eingesetzt. Die Thüringer Landesregierung rechnet damit, daß das Programm der Entsalzung von Werra und Weser Ende des Jahres 1996 abgeschlossen sein wird. Ein Erfolg, den sich diese Bundesregierung auf ihre Fahnen schreiben kann. ({3}) - Ganz eindeutig, so ist es. Im internationalen Bereich haben wir nicht etwa nur bei der Vermeidung von Gefährdungen durch mangelnde Reaktorsicherheit etwas getan, sondern die Bundesrepublik Deutschland geht bei ihren internationalen Verpflichtungen weit darüber hinaus. Ich nehme jetzt ganz bewußt den Bereich der GUS-Staaten heraus. Weil die GUS-Staaten durch die sogenannte sozialistische Wirtschaft in einer vergleichbaren Situation wie die frühere DDR waren, gibt es jetzt eine Reihe von Projekten, die die Bundesrepublik massiv unterstützt. Beispielsweise läuft in Sankt Petersburg ein Programm, bei dem es um die Abwasser- und Abfallbeseitigung geht. Im Rahmen der Haushaltsberatungen haben wir - ich bin übrigens dafür dankbar, daß Sie dem auch zugestimmt haben - eine weitere Sanierungsmaßnahme eingeleitet, bei der es um die Erneuerung der völlig desolaten Kanalisation in dieser Großstadt geht. Solche Vorhaben stehen der Bundesrepublik Deutschland nicht nur gut an, sondern stärken auch international unsere Reputation als ein Land, das den Umweltschutz verantwortlich praktiziert. Herr Kollege Kuhlwein, Sie haben hier etwas zu den Einsparungen gesagt, die im Haushalt vorgenommen worden sind. Wir beide sind uns ja Gott sei Dank in einer ganzen Reihe von Punkten einig. Ich selbst habe bei der Einbringungsrede kritisiert - dabei bleibe ich auch -, daß bei den Naturschutzmaßnahmen nicht mehr getan worden ist. Wir sind uns auch darüber einig gewesen, wenigstens den alten Ansatz wiederherzustellen, was immerhin eine nicht ganz einfache Operation war. Aber wir haben sie gemeinsam durchgeführt. In diesem Zusammenhang habe ich die ganz herzliche Bitte an das Bundesfinanzministerium, zu erkennen - ich wiederhole mich da -, daß das Umweltministerium zu den Ministerien gehört, denen die Bezeichnung Zukunftsministerium gebührt; denn ich bin der Meinung - das ist auch Mehrheitsmeinung in meiner Fraktion -, daß Zukunft ({4}) - das werden sie schon noch tun, wie ich sie kenne - mit Umweltschutz sehr viel zu tun hat. ({5}) - Sehen Sie, wenn Herr Fischer klatscht, habe ich immer den Verdacht, etwas falsch gemacht zu haben. Aber es steht auch so in meinen Unterlagen. ({6}) - Ja, ich habe leider nicht Ihre tiefe Stimme. Meine Damen und Herren, es gibt ein paar Probleme, die ich heute gerne noch ansprechen möchte, auch wenn das vielleicht nicht ganz so werbewirksam wie manche großartige Ankündigung ist. Einige dieser Probleme betreffen das Ministerium selbst. Ein Ministerium, das an fünf oder sechs Stellen untergebracht ist, ist meiner Ansicht nach kaum in der Lage, eine vernünftige und gedeihliche Arbeit zu leisten. Der Ausschuß - Kollege Weng, wir haben das ja auch noch einmal gemeinsam vorgetragen - hat gesagt: Wenn es zur Leistungsfähigkeit dieses Ministeriums beiträgt, ist es selbstverständlich, daß es konzentriert an einer Stelle untergebracht wird. Wir erwarten, daß uns bei den nächsten Haushaltsberatungen dazu ein vernünftiger, in sich schlüssiger und vor allen Dingen abgestimmter Entwurf vorgelegt wird. ({7}) Das zweite Problem: Es gab eine ganze Reihe von Personalfragen, die uns bei den Berichterstattergesprächen berührt haben. Der Kollege Kuhlwein ist kurz darauf eingegangen, und ich hätte es auch nicht verstanden, wenn es anders gelaufen wäre. Das eine betraf die Gleichbehandlung von Personal, das in nachgeordneten Behörden des Bundesumweltministeriums tätig war, und von Personal, das beim Gesundheitsministerium tätig war. Wir haben dafür Sorge getragen, daß die Betroffenen in Bad Elster und in zwei anderen kleinen Einrichtungen auf vernünftigen Stellen weiterbeschäftigt werden können. Das nächste Problem: Für uns war völlig unverständlich, wieso die Stellen, die beim BAFe untergekommen waren und auf denen für den Naturschutz gearbeitet wurde, nicht weiterexistieren sollten. Ein Wink des Haushaltsausschusses hat genügt; die Verwaltung hat reagiert. Diese Leute können Aufgaben erfüllen, die im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von europäischen Gesetzen von großer Bedeutung sind. Aber wir haben auch noch auf ein paar andere Punkte hingewiesen. Ich möchte sie heute nicht unterschlagen; denn ich meine, das ist eine sehr wichtige Angelegenheit. Der erste Punkt betrifft den Umzug des Umweltbundesamts nach Dessau. Ich sage noch einmal ganz deutlich: Der Deutsche Bundestag erwartet - ich nehme an, ich spreche für alle im Hause -, daß dieses Projekt, das ein wichtiges gesamtdeutsches ist, mit Priorität und mit dem nötigen Maß durchgeführt wird. Wir erwarten zusätzlich - ich glaube, auch da stoße ich im Hause auf Widerhall -, daß der Umzug einer solchen Institution umweltverträglich vonstatten geht, ({8}) das heißt, daß man, was die Ausgestaltung dieses Amtes in Dessau betrifft, auf die Umwelt Rücksicht nimmt. Das nächste ist ebenfalls ein ostdeutsches Problem; ich möchte es hier gerne ansprechen. Das ist die Grundsanierung der internationalen Naturschutzakademie auf der Insel Vilm. Viele von uns haben sich davon überzeugt, daß dort eine ganz hervorragende Arbeit geleistet wird, auch im internationalen Bereich. Wir sind nicht der Meinung - die einzelne vortragen -, daß man jetzt einen Umzug auf die Insel Rügen vornehmen sollte, der zum einen eine ganze Menge Geld kosten und zum zweiten meines Erachtens die Arbeitsfähigkeit nicht verbessern würde. Wir sind der Ansicht, daß dieses Institut auf der Insel Vilm weiter betrieben werden sollte. Wir erwarten auch dazu eine vernünftige Konzeption. ({9}) Der dritte Punkt ist der Neubau einer Meßstelle in Westerland. Sie haben am Ende Ihrer Rede Hoffnungen an den nächsten Haushalt gerichtet - auch ich tue das -, weil wir das Ganze andiskutiert hatten. ({10}) - Lieber Herr Kollege Fischer, bei diesem Thema sollten Sie Ihre Ungeduld zügeln; denn es ist an sich, meine ich, ein essentiell grünes Thema, über das wir jetzt reden. Aus diesem Grund verstehe ich gar nicht, warum Sie so nervös werden. Ich habe hier einige Einzelprojekte genannt, die für den Umweltschutz in unserem Land einige Bedeutung haben. Das Umweltbundesamt hat, meine ich, einige Bedeutung. ({11}) - Peanuts? Sie halten das für Peanuts? Das Umweltbundesamt halten Sie für Peanuts? Entschuldigen Sie, ich halte das Umweltbundesamt für eine wichtige Einrichtung. Ich werde dem neuen Präsidenten vermitteln, daß Sie es für Peanuts halten. ({12}) Das sollten Sie ihm bei Gelegenheit sagen und nicht auf den Rang dieses Instituts abheben, wenn Sie irgend etwas veröffentlichen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin nach wie vor der Meinung - da würde ich mich mit dem Kollegen Kuhlwein nicht anlegen -, ({13}) daß der Umweltschutz einen ganz wichtigen Stellenwert hat. Was mich an der Debatte allerdings immer stört, ist, daß hier so getan wird, als ob Umweltschutz einzig und allein eine Angelegenheit des Bundes wäre. Beim Umweltschutz - so ist unsere Verfassungslage - sind vor allen Dingen die Bundesländer in der Verpflichtung. Die Länder sind im gesamten Maßstab sozusagen Ausführungsbehörde. Aus diesem Grund können Sie nicht so tun, als ob die Regelungsbehörde, der Bund, all das tun würde, was eigentlich die Länder tun müßten. Ich erwarte, daß sich die Bundesländer in dieser Frage in einer anderen Weise einbringen. Ich erwarte ferner, daß sich die Opposition, die in vielen Ländern, Herr Kollege Kuhlwein, die Verantwortung hat, auch für die entsprechenden Ministerien - übrigens sind auch eine ganze Menge Grüne dabei -, dieser Verantwortung in anderer Weise stellt, als immer nur mit gespitzen Fingern nach Bonn zu zeigen. Das erwarte ich von den Bundesländern. Man kann versuchen, die Politik der Bundesregierung anzugreifen, ohne die Verantwortung derer zu haben, die ein wesentliches Maß mittragen. Auch das sollte hier einmal zur Sprache gebracht werden. Ich will zusammenfassen. Zufriedenstellen, Herr Fischer, kann ein abgesenkter Haushalt ohnehin nicht, insbesondere nicht die Fachleute, die sich damit befassen. Nichtsdestotrotz ist dieser Haushalt, was die Reaktorsicherheit betrifft - jetzt komme ich zu einem Teil, der Ihnen nicht liegt -, ein außerordentlich wichtiger Haushalt. ({14}) Ich appelliere an diejenigen, die so tun, als ob die Reaktorsicherheit für unser Land keine Bedeutung hätte, ihre für meine Begriffe weltfremden Vorstellungen einmal zu überdenken. ({15}) - Ja, auch ich glaube, dieser Appell ist hoffnungslos. ({16}) - Die Bundesregierung kann gar nicht gemeint sein; denn sie hat ihre Ansätze gebracht. Ich meine schon diejenigen, Herr Fischer, die in den Haushalt Nullansätze hineinschreiben wollen. Das sind Sie. Sie meine ich, ganz genau Sie. ({17}) Ich kann mich aus der Verantwortung doch nicht dadurch herausstehlen, daß ich bei einem vorhandenen Problem einen Nullbetrag in den Haushalt hineinschreibe und dann so tue, als ob ich damit das Problem nicht mehr hätte. ({18}) - Das ist ein Ansatz, der auch durch lautes Schreien ein falscher Ansatz ist. Sie bekommen das auch durch lautes Schreien nicht weg. Ich sage noch einmal: In sich ist dieser Haushalt ausgewogen. Wir wollen bei einer ganzen Reihe von Bereichen im Jahr 1996 ein bißchen mehr. Ich habe die Schwerpunkte genannt. Ich danke den Berichterstattern für eine trotz allem auch bei gegensätzlichen Standpunkten sehr faire Beratung. Ich danke Ihnen, Frau Ministerin, und Ihren Mitarbeitern. Ich danke vor allen Dingen auch denen im Bundesfinanzministerium, die uns insbesondere bei den Personalfragen - ich darf das einmal so sagen - entgegengekommen sind und erkannt haben, daß es wichtig war, zu handeln. Ich hoffe, Sie werden sich doch noch überzeugen lassen - so wie es die Koalitionsfraktionen sicher tun werden, ohne der F.D.P. etwas vorwegnehmen zu wollen -, sich unserem Antrag anzuschließen und diesen Haushalt anzunehmen. Vielen Dank. ({19})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt spricht die Abgeordnete Kristin Heyne.

Kristin Heyne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002676, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sparsame Haushaltsführung ist das Gebot der Stunde. Damit sind sehr interessante Dinge verbunden, zum Beispiel die Frage: Wo ist in diesem Einzelplan das Sparschwein? Beim Einzelplan 16 sind es die Investitionen zur Verminderung von Umweltbelastungen. Im Vergleich zum Vorjahr wurden sie um 38 Prozent gekürzt. Verglichen mit dem Haushalt 1994 wurde dieser einzelne Posten sogar um 53 Prozent gekürzt. Im Berichterstattergespräch haben wir die Auskunft bekommen, daß das bedeutet, daß überhaupt kein neues Projekt in diesem Bereich begonnen werden kann. Das bedeutet vor allem, daß es keine Projekte zum Bereich des integrierten Umweltschutzes geben wird. Gekürzt wird also gerade bei einem dringend notwendigen Schritt der Umweltpolitik: weg vom Ende des Schornsteins, hin zu einer Produktionsweise, die die Belastung der Umwelt schon in der Produktion so gering wie möglich hält oder ganz zu vermeiden sucht. Ich denke, das ist ein bemerkenswertes Signal hinsichtlich der Innovationskraft dieses Haushaltes. ({0}) Interessant ist natürlich ein Vergleich. Wenn man sich einmal die Verhältnisse in vergleichsweise dinosauriermäßigen Bereichen und Technologien anschaut, zum Beispiel im Bereich Atomkraft, dann findet man unter dem Titel „Sicherheit der kerntechnischen Einrichtungen und Strahlenschutz" mit verläßlicher Stetigkeit wachsende Titelansätze. Die Investitionen für Umweltbelastungen sind mit dem Haushalt 1996 zum erstenmal von den Ausgaben für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz überflügelt worden. Ich denke, der Schwerpunkt dieses Ministeriums ist damit wieder einmal eindrucksvoll deutlich gemacht worden. Der größte Ausgabenbereich im Einzelplan 16 ist der für die Endlagersuche. Der Kollege Kriedner hat es angesprochen, und die Kollegin Hustedt hat darauf schon reagiert. Wir sind allerdings der Meinung, daß dies Fehlausgaben sind, weil seit über 30 Jahren weltweit versucht wird, sichere Endlagerstätten zu finden. Sie werden nicht gefunden. Ihre Suche ist ein reines Alibi für den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken. Dieses Alibi wollen wir nicht stützen. ({1}) Wir sind erst bereit, auf Endlagersuche zu gehen, wenn wir ein klares, kurzfristiges Ausstiegsszenario haben. Dann müssen wir die Restmenge berechnen und schauen, wo wir sie lassen. Das wird mit Sicherheit eine schlechte Endlagerung werden. Sie kennen das Bild: Die Atomkraft ist wie ein Flugzeug, das ohne Landebahn gestartet ist. Eine glatte Landebahn wird es für die Atomkraft nicht geben. Es wird eine Bruchlandung auf dem Acker sein. Diese wollen wir so sanft wie möglich ausfallen lassen. ({2}) In diesem Zusammenhang möchte ich kurz Stellung nehmen zu den Anträgen der PDS. Wir haben Anträge gestellt, ebenso die PDS. Zum Teil überschneiden sie sich, zum Teil gehen unsere Anträge weiter, zum Teil haben wir andere Schwerpunkte gesetzt. Ich glaube, jeder von uns hat sein Profil deutlich gemacht. Wir sehen da viel Richtiges. Aber wir halten unsere Anträge natürlich für die besseren. Deswegen werden wir uns bei Ihren Anträgen enthalten. Eine klare Schwerpunktsetzung des Ministeriums gibt es auch in einem weiteren Bereich, der heute schon angesprochen wurde, bei den Beratungs- und Investitionshilfen für die MOE-Staaten. Bezeichnenderweise finden sich diese Titel nur im Kapitel 16 04, Reaktorsicherheit und Strahlenschutz. Im Kapitel 16 05, Umweltbundesamt, ist davon nichts zu finden. Im Berichterstattergespräch wurde uns erläutert, daß sich die Bundesrepublik entschieden habe, ihren Beitrag zur Förderung der Energiegewinnung in den MOE-Staaten im Bereich der Atomenergie zu leisten, und andere könnten andere Aufgaben übernehmen. Da muß man sich einmal fragen: Wer denn? England und Frankreich haben schließlich auch eine Atomindustrie, die will auch beschäftigt sein. Wer wird da etwas machen? Es ist völlig unbestritten - wir haben das bei einer Berichterstatterreise noch einmal bestätigt bekommen -, daß die Energieeinsparpotentiale in den MOE-Staaten ungeheuer hoch sind. Der Verbrauch an Energie pro Wertschöpfungseinheit liegt bis zum Zehnfachen über dem westlichen Standard. Gemessen am westlichen Status quo gibt es bei der Primärenergie Einsparpotentiale von 50 bis 70 Prozent. Trotzdem beschränken sich die Beratungs- und die Investitionshilfen der Bundesrepublik wie auch der EU fast ausschließlich auf den Bereich der Atomenergie. Es kann aus unserer Sicht nicht darum gehen, in oft riskanter und auf alle Fälle immer kostenintensiver Weise an den Atomkraftwerken sowjetischer Bauart in den MOE-Ländern herumzubasteln. Die allererste Hilfe Anfang der 90er Jahre mag in mancher Hinsicht noch Sinn gehabt haben. Was da heute an Nachrüstung versucht wird, ist in der Bundesrepublik, zum Beispiel in Greifswald, nicht gemacht worden, weil man es für zu riskant hielt. In den MOE-Staaten wollen Sie das aber machen. Das ist ein Beschäftigungsprogramm für die Atomindustrie. ({3}) Kollege Kriedner, Sie beklagen, daß es von uns keine Vorlage gibt. Wir haben dieses Thema im Ausschuß ausführlich beraten. Wenn Sie sich jetzt unsere Anträge ansehen, dann werden Sie feststellen, daß wir keine Streichung des Tschernobyl-Programms und keine Streichung der Gelder für die MOE-Staaten vorsehen. Vielmehr fordern wir, daß über diese Verträge neu verhandelt wird, daß Sie den MOE- Staaten Know-how und auch Investitionshilfe in dem Bereich Energiesparen und in dem Bereich regenerativer und konventioneller Energieerzeugung anbieten. Natürlich ist es so, daß es auch in den MOE- Staaten nach wie vor einige recht großkotzige Herren gibt, die sich auf Großtechnologie im Atombereich verlassen und immer noch auf das Zauberwort Elektrifizierung vertrauen. Aber solange wir eine Situation schaffen, in der die Atomindustrie ständig sagen kann: „Ik bün all dor", werden die Stimmen in den MOE-Staaten, die sich für rationelle Energieerzeugung aussprechen, nicht durchdringen können. Die Entscheidungen, die jetzt in den MOE-Staaten für die Zukunft getroffen werden - das sind Entscheidungen, die auch unsere Zukunft betreffen -, sind natürlich auch von dem Angebot abhängig, das der Westen macht. Wir fordern daher, die Mittel für die MOE-Staaten umzuwidmen und beim Umweltbundesamt zu etatisieren und dorthin auch die Federführung für die Beratungs- und Investitionshilfen zu geben. Es ist eigentlich eine ziemlich merkwürdige Situation, daß diese Zuordnung für die Umweltministerin nicht selbstverständlich gewesen ist. Die Zuständigkeit der Umweltministerin für die Atomenergie einerseits und die Zuständigkeit des Wirtschaftsministers für die Förderung regenerativer Energien andererseits ist auf den ersten Blick eigentlich eine verkehrte Welt. Umgekehrt würde eher ein Schuh daraus, sollte man meinen. Die Förderung umweltfreundlicher Technologien sollte ein originäres Anliegen der Umweltministerin sein, während der Wirtschaftsminister sicher manchmal auch ein Interesse daran hat, eine umweltpolitisch problematische, aber einträgliche Industrie zu fördern. Bei näherem Hinsehen erweist sich diese Vorstellung als zu kurz gedacht. Umweltpolitisch problematische Industrien können von der Umweltministerin viel wirkungsvoller gefördert werden als vom Wirtschaftsminister. Der Segen der Umweltministerin zerstreut Bedenken und Zurückhaltung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Die Tragödie um die Ozongrenzwerte - ein Beispiel für die Anti-Spielverderber-Rolle der Umweltministerin - hat das deutlich gezeigt. Wir haben ihre Fürsorge für die Autonutzer und die Autohersteller erleben können. ({4}) Im diesjährigen Sommerloch wurde eine weitere Aufführung des Spiels geboten, das ich nennen möchte „möglichst lange begutachten und am Ende hinreichend vage Ergebnisse vorstellen". Nach fünf Jahren gutachterlicher Beschäftigungstherapie im Bereich der Getränkeverpackungen wurde nun endlich eine Studie vorgelegt. Es handelt sich dabei um eine Studie, mit der ein Vergleich der Verpackungssysteme im Milchbereich und im Bierbereich angestellt wird. Beim Bier war die Überlegenheit des Mehrwegsystems gegenüber Dosen und Einwegflaschen eindeutig. Auch bei der Milch erweist sich das Mehrwegsystem ökologisch überlegen gegenüber Giebelverpackungen und gegenüber Blockverpakkungen. Lediglich bei den Schlauchverpackungen wird bei langen Distributionswegen eine Überlegenheit des Schlauches für möglich gehalten. Milch über lange Strecken zu transportieren ist sowieso ökonomischer wie auch ökologischer Unsinn. Also sollte man meinen, die Studie hat ein eindeutiges Ergebnis gehabt, und mit der gezielten Förderung von Mehrwegverpackungen auch auf der Bundesebene kann es jetzt endlich losgehen. Weit gefehlt! Was wir vorfinden konnten, war eine merkwürdig verklausulierte Schlußfolgerung der Umweltministerin. Sie heißt: „Förderung von Mehrwegverpackungen ist auch weiterhin vertretbar". Nun muß man sich fragen: Vertretbar gegenüber wem? Gegenüber den Herstellern von Getränkedosen und Blockverpackungen? Wem gegenüber fühlt sich diese Ministerin eigentlich verantwortlich? Fühlt sie sich der Verpackungsindustrie gegenüber verantwortlich oder den Menschen gegenüber, die in diesem Lande leben, den Kindern gegenüber, die zunehmend an Atemwegserkrankungen und Hauterkrankungen leiden? Die primäre Frage der Umweltministerin sollte doch wohl sein, ob der hohe und weiter steigende Anteil an Getränkedosen und Blockverpackungen noch länger vertretbar ist. Auf diese Frage gibt die Studie eine eindeutige Antwort. Deshalb ist die Umweltministerin gefordert, eindeutig zu handeln. ({5}) Statt dessen spricht sie unter dem Mäntelchen von differenzierter Betrachtung von weiteren Untersuchungen - nach fünf Jahren Untersuchung! Die Nachricht, die im Sommerloch sehr breit und effektiv verbreitet wurde, hieß in den Überschriften „Mehrweg ist nicht immer vorteilhaft". So etwas bleibt bei den Leuten hängen: Es gibt einen winzig kleinen Bereich, in dem es möglicherweise nicht vorteilhaft ist, aber einen riesengroßen Bereich, in dem es vorteilhaft ist. Die Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich bisher darum bemüht haben, vernünftige Einkaufswege zu finden, Gemeinschaften zu bilden, um zum Beispiel das Problem des schweren Transports - der Transport ist häufig schwieriger bei Mehrwegverpackungen - zu lösen, werden sich gemütlich zurücklehnen und sagen: Okay, wir brauchen uns nicht weiter darum zu kümmern! Unter dem Strich ist alles nicht so schlimm! Macht weiter wie bisher; Milch in Pappverpackungen, Bier in Dosen, und fertig ist die Sache! Das ist es, was bei dieser differenzierten Betrachtungsweise wirklich rübergekommen ist. Herrn Rexrodt hätte das niemand so ohne weiteres geglaubt. Aber wenn die Umweltministerin das sagt - -! Frau Merkel, ich muß zugestehen, daß Sie in der Förderung bestimmter Wirtschaftszweige Erfolge zu verbuchen haben. Nur bleibt für mich natürlich die Frage: Wer kümmert sich dann noch um die Umwelt? ({6}) Die Umweltpolitik dieser Regierung hat zu oft die falschen Vorzeichen. Auch dieser Haushalt hat zu oft die falschen Vorzeichen. Wir werden ihn deswegen ablehnen. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Tagen hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung sein drittes Jahresgutachten vorgelegt, das eindringlich zeigt - ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte, lassen Sie die Abgeordnete jetzt anfangen und in Ruhe reden! ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich lasse mich vom Kollegen Lennartz nicht stören. Er darf das ruhig. Das bin ich von ihm gewöhnt. Das macht nichts. Dieses Jahresgutachten zeigt, daß die Klimaschutzpolitik richtigerweise ein politischer Schwerpunkt in unserer Umweltschutzpolitik ist und auch bleibt. Um seiner Verantwortung als führendes Industrieland gerecht zu werden, hat sich die Bundesregierung verpflichtet, bis zum Jahre 2005 die CO2Emissionen um 25 Prozent zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, ist ein ganzes Maßnahmenbündel, das an verschiedenen Stellen einsetzt, notwendig. Da das größte CO2-Einsparpotential im Gebäudebereich liegt, hat die F.D.P. schon frühzeitig gefordert, mit einem Förderprogramm Maßnahmen zur Senkung der CO2-Belastung durch Sanierung des Altgebäudebestandes zu ergreifen. Die Bundesregierung hat dies aus Anlaß der Berliner Klimakonferenz beschlossen und zusätzliche Fördermittel für das CO2-Minderungsprogramm bereitgestellt. Gefördert werden zum Beispiel Wärmeschutzmaßnahmen an bestehenden Gebäuden und der Einbau besonders effizienter Heizkessel in den alten Bundesländern. Das Fördervolumen beträgt innerhalb von fünf Jahren 1 Milliarde DM, womit ein Investitionsvolumen von rund 10 Milliarden DM erreicht wird. Auch im Rahmen der neuen Wohnungsbauförderung wurde eine ökologische Komponente aufgenommen. Schon vor der Klimakonferenz in Berlin hatten wir die Förderung von energiesparenden Bauweisen gefordert. Damals fehlte - man muß sagen: leider - noch die notwendige Sensibilität und Einsicht auch im Finanzministerium. Um so erfreulicher ist es, daß im Rahmen der Vereinbarung über die Wohnungsbauförderung die Einsicht eingekehrt ist, nun wärmedämmende und energiesparende Maßnahmen an selbstgenutzten Häusern über eine Zulage zu fördern. ({0}) An dieser Stelle möchte ich aber auch deutlich sagen, daß zur Zielerreichung weitere große gemeinsame Anstrengungen nötig sein werden. Die F.D.P. ist zu diesen Anstrengungen bereit. Mit den herkömmlichen Mitteln des Ordnungsrechts allein werden wir dies nicht schaffen. Daher setzt sich die F.D.P. für eine Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft zu einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft ein. ({1}) Eine der Grundlagen ist die konsequente Umsetzung des Verursacherprinzips. Das, liebe Kollegen von der SPD, sei hier einmal deutlich gesagt: Eine erfolgreiche Umweltpolitik muß sich dadurch auszeichnen, daß sich die Kosten des Umweltschutzes in den Bilanzen und Konten der Verursacher wiederfinden und nicht im Bundeshaushalt. ({2}) Nur so kann das Interesse dafür geweckt werden, Vorsorge gegen Umweltschädigungen zu treffen. Daher will die F.D.P. den Energieverbrauch in Deutschland über weitere finanzielle Anreize senken. Die F.D.P. will eine Politik, bei der heute die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um Zukunftschancen für die junge Generation zu sichern. Dabei aber gilt es, mehrere Ziele aufeinander abzustimmen. Die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland ist hier für die F.D.P. von zentraler Bedeutung. Deshalb wollen wir die viel zu hohe Steuer- und Abgabenlast sowie die Lohnzusatzkosten senken. Wir wollen aber auch jedem einzelnen mehr persönliche Entscheidungsfreiheit geben. Deswegen müssen leistungsfeindliche, direkte Steuern gesenkt werden. In diesem Gesamtkonzept ist die ökologische Weiterentwicklung des Steuersystems ein wichtiger Punkt. Das ist in die beschriebene Strategie zur Steuersenkung einzubinden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte gerne erst einmal mein Konzept entwickeln. Wenn ich das getan habe, kann die Frau Kollegin gern ihre Zwischenfrage stellen. ({0}) Wir wollen das Steuersystem weiterentwickeln. Unser Ziel ist es, innerhalb des Steueraufkommens eine Umschichtung vorzunehmen. Das bedeutet: Wir wollen einen Abbau ökologisch kontraproduktiver Regelungen im Steuerrecht und die Nutzung von Steuern zur Erreichung ökologischer Ziele. In diesem Sinne wird die F.D.P. in Kürze ihr Konzept vorlegen. ({1}) Dies beinhaltet auch die Einführung einer Klimaschutzsteuer bei strikter volkswirtschaftlicher Aufkommensneutralität. Das heißt: Kein Pfennig des Steueraufkommens darf im Haushalt verbleiben. Wir fordern die komplette Rückgabe dieses Aufkommens an die Steuerpflichtigen. Bei einer intelligenten Verknüpfung können wir mehrere Ziele erreichen. Deswegen wollen wir durch die Anhebung der bestehenden Verbrauchsteuer für leichtes Heizöl, Gas und Benzin sowie die Einbeziehung des Stroms Anreize setzen, mit der Energie sparsam umzugehen. ({2}) Unser Konzept wird die Wirtschaft im Rahmen der von ihr eingegangenen Selbstverpflichtungen integrieren. Die Einbeziehung der deutschen Wirtschaft in eine Energiesteuer im Rahmen eines nationalen Alleingangs kommt für die F.D.P. allerdings nicht in Frage. ({3}) Dies wäre nämlich angesichts der eingegangenen Selbstverpflichtungen und mit Blick auf die dringend notwendige Sicherung von Arbeitsplätzen unverantwortlich. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Caspers-Merk?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Da ich das Konzept insoweit entwickelt habe, bitte schön. ({0})

Marion Caspers-Merk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000325, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Homburger, wir alle waren sehr gespannt auf Ihr Konzept. Ganz am Anfang haben Sie einen kleinen Schlenker gemacht, indem Sie sagten, daß Anreize gesetzt werden müßten. Sind mit Anreizen Subventionen gemeint? Wenn ja: Für welche Industriebereiche sollen diese gelten? Haben Sie schon Vorschläge für diese Anreize im Haushaltsplan vorgelegt? Man hat doch den Eindruck, daß Sie die Industrie auf der einen Seite mit einer ökologischen Steuer nicht belasten, auf der anderen Seite aber offensichtlich durch neue Subventionen entlasten wollen. Wie soll dieses Konzept aussehen?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe das Konzept doch gerade entwickelt. Ich habe gesagt: Das Aufkommen soll an die Steuerpflichtigen weitergegeben werden. Das ist für den Bereich des Gebäudebestandes und den Bereich des Verkehrs vorgesehen, gilt also für die Mineralölsteuer, aber auch für eine ganze Reihe anderer Maßnahmen. So soll beispielsweise die Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer umgelegt und eine Entfernungspauschale eingeführt werden. Wir beabsichtigen nicht, diejenigen, die keine Steuern zahlen, irgendwie zu entlasten. Bei einem Gesamtkonzept ist aber zu beachten, daß die Steuer- und Abgabenlast und auch die Unternehmenssteuern in der Bundesrepublik Deutschland ein entscheidendes Hemmnis für die Arbeitsplätze sind. Deswegen muß die Steuerlast insgesamt gesenkt werden. Das ist das Konzept. Das ist ein Gesamtkonzept. Wir können nicht immer nur Teilbereiche herausnehmen, sondern es geht weiter. Wir sagen: In unser Konzept einer Steuersenkung gehört eine Umschichtung im Sinne einer ökologischen Orientierung des Steuersystems. Das müssen wir schaffen, und dann werden wir den Anforderungen gerecht, die an uns gestellt werden. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Homburger, ist Ihnen bekannt, daß durch den Wegfall des Kohlepfennigs zum 1. Januar 1996 die Strompreise um bis zu 10 Prozent sinken werden? Wäre dies nicht eine Chance gewesen, nicht immer nur von einem Konzept, das Sie irgendwann einmal - das sagen Sie seit Jahren - vorlegen werden, zu reden, sondern noch in diesem Herbst in diesem Bundestag eine Energiesteuer zu verabschieden, wo es doch das mindeste gewesen wäre, diese gegen eine ökologische Energieeinsparung gerichtete Absenkung der Strompreise zu verhindern?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, dieser Tatbestand ist mir selbstverständlich bekannt. Ich will Ihnen eines sagen. Es war Konsens unter allen Mitgliedern in der F.D.P.-Fraktion, auch bei den Umweltpolitikern, daß wir die Subventionen für die Kohle, die die höchsten CO2-Emissionen hat und einen großen Beitrag zu den CO2-Emissionen, die wir reduzieren wollen, leistet, abbauen wollen. ({0}) Wenn wir das wollen, dann schaffen wir das nicht, indem wir eine Steuer als Ersatz für den weggefallenen Kohlepfennig einführen; denn dann hätten wir die Situation, daß wir eine Steuer haben, die immer wieder erhöht wird, und ein Druck zum Abbau der Subventionen für eine klimaschädliche Energie nicht da ist. Deswegen muß das aus dem Haushalt finanziert werden. Deswegen haben wir eine Kohlepfennigersatzsteuer abgelehnt. Aber das eine und das andere sind zwei unterschiedliche Paar Stiefel. ({1}) Wir haben schon bei unserem Beschluß zur Ablehnung einer Kohlepfennigersatzsteuer im vierten Punkt - Sie können das nachlesen; es ist veröffentlicht worden - klar und deutlich gesagt, daß wir eine Klimaschutzsteuer wollen und ein solches Konzept vorlegen werden. ({2}) Ich komme noch einmal darauf zurück, daß es für die Arbeitsplätze unverantwortlich ist, wenn wir die Wirtschaft voll einbeziehen. Hier möchte ich den Grünen schon sagen, daß das genau ihre Politik ist. Herr Fischer hat sich tatsächlich gestern hierhergestellt und das Konzept Ihrer Fraktion für eine ökologisch-soziale Steuerreform verteidigt. Sie wollen also mit 52,5 Milliarden DM Ökosteuern einsteigen und sich in zehn Jahren auf 264,2 Milliarden DM steigern. Deswegen muß hier klar und deutlich gesagt werden, daß die Grünen eine Steuermehrbelastung allein bei den ökologischen Steuern im Bereich des Klimaschutzes von jährlich 21 Milliarden DM am Anfang und 68 Milliarden DM in zehn Jahren planen. Da frage ich mich, was das eigentlich sollte, daß sich Herr Fischer im Sommer öffentlich hingestellt und gejammert hat, daß bei der Steuerlast Oberkante Unterlippe erreicht sei und eine ökologische Steuerreform den Bürger nicht weiter belasten dürfe. Das sagt die F.D.P. schon lange, aber viel konsequenter als die Grünen, und wir setzen das auch um. ({3}) Bei der ersten Lesung des Bundeshaushaltes habe ich wohl Herrn Fischer etwas voreilig wegen dieser sommerlichen Aussage als lernfähig bezeichnet. Gestern mußte ich bei seiner Rede leider erkennen, daß er nach dem Motto handelt: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? Sie haben gestern erklärt, daß Sie einen guten Teil des Aufkommens von Ökosteuern für andere Maßnahmen verwenden wollen. Das heißt im Klartext: Steuererhöhungen für die Bürgerinnen und Bürger usw. Sie reden immer von der Zukunft, aber Konzepte zur Gestaltung haben Sie keine. ({4}) Draußen, meine Damen und Herren von den Grünen, außerhalb dieses Parlaments versucht Herr Fischer, den Menschen den bürgerlich gewordenen Grünen mit Bauch und Jackett vorzuspielen, und hofft, daß keiner merkt, daß Sie hier in diesem Parlament Steuererhöhungen in erheblichem Umfang fordern. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rainder Steenblock?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kollegin Homburger, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Grünen natürlich in Ihrem Ökosteuervorschlag deutlich gemacht haben, daß auch sie - wie auch Sie gesagt haben - dafür sind, die Abgaben- und Steuerlast in diesem Lande nicht zu erhöhen, daß wir eine Rückgabe des Volumens, das Sie gerade angesprochen haben, nach 10 Jahren 264 Milliarden DM, vorsehen durch die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge in einer Größenordnung von 6 Prozent, 3 Prozent für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, 3 Prozent für die Arbeitgeber, ({0}) durch eine Einkommensteuerreform, die eine soziale Komponente hat in einem Volumen von über 100 Milliarden DM, durch einen sozialen Transfer in Richtung Wohngeld, was die Bezieherinnen und Bezieher von Sozialhilfe, von Rente, von BAföG angeht, durch eine soziale Komponente, daß also das Geld, das wir einnehmen, auch tatsächlich wieder an die Verbraucherinnen und Verbraucher zurückgegeben wird, ({1}) daß aber eine ökologische Steuerung in einer Größenordnung vorgesehen ist, die tatsächlich Lenkungseffekte hat und die auch in diesem Bereich eine marktwirtschaftliche Steuerung ist, die nicht versucht, in diesem Bereich eine gewisse Kosmetik zu erzeugen, wie das die F.D.P. macht?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, Herr Kollege, daß ein mehrfacher Widerspruch zu den Aussagen Ihres Kollegen Fischer oder zu anderen öffentlichen Äußerungen von Ihnen vorliegt. Ich kann nur sagen: Wenn Sie das wirklich wollen, was Sie gerade hier vorgetragen haben, dann handeln Sie entsprechend. Bis jetzt liegen mir Ihr Konzept und Ihre Erklärungen aus dem Sommer vor, wonach Sie einen Teil des Aufkommens zurückgeben wollen, aber mitnichten alles. Wenn Sie dazugelernt haben sollten, soll es mir recht sein. Ich habe das schon einmal angenommen. Gestern hat Herr Fischer etwas anderes verkündet. ({0}) Schauen wir uns allerdings im Vergleich dazu das Modell der SPD an, so werden wir feststellen, daß es zwar moderater, aber an den entscheidenden Stellen inkonsequent ist. Die SPD, die sonst immer von Arbeitsplätzen redet, will die Wirtschaft in die Besteuerung einbeziehen, wenn auch mit ermäßigten Steuersätzen. Wenn man allerdings Arbeitsplätze in Deutschland nicht gefährden will und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie erhalten will, dann ist auch eine geringere Mehrbelastung eine Zusatzbelastung, die diese Ziele gefährdet. ({1}) Das Konzept der F.D.P. ist nicht nur darauf ausgelegt, Arbeitsplätze zu sichern, sondern auch darauf, im Bereich der Umwelttechnologie durch umweltpolitische Maßnahmen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Eine Vielzahl umweltpolitischer Maßnahmen hat in der Vergangenheit schon zur Schaffung von Arbeitsplätzen in diesem Bereich geführt. Ich greife hier einmal das Beispiel der Abwasserentsorgung auf. Die Bundesrepublik Deutschland ist an dieser Stelle weltweit führend. Der internationale Markt ist ein Wachstumsmarkt. Dennoch drohen deutsche Firmen dort den Anschluß zu verlieren, und das liegt daran, daß im Ausland vielfach längst erkannt wurde - das wollen Sie immer noch nicht wahrhaben -, daß nämlich die Privatisierung der Abwasserentsorgung Spielräume zur Kostenreduktion schafft. ({2}) - Dann informieren Sie sich einmal. Ich hätte Sie gern auf meine Informationsreise mitgenommen, wenn Sie sich vorher gemeldet hätten. Da allerdings in Frankreich und England - das müssen Sie sich schon anhören - die private Abwasserentsorgung seit langem praktiziert wird, haben Firmen aus diesen Ländern große Erfahrungen und zahlreiche Referenzanlagen. Da es an größeren Referenzanlagen in der Bundesrepublik Deutschland fehlt, scheitern deutsche Firmen oft bereits in der Vorauswahl. Wenn wir hier Vorschläge unterbreiten, wie die Bedingungen deutscher Firmen bei der privaten Abwasserentsorgung verbessert werden können, packen Sie sofort jedes Mal wieder Ihre Ideologie von vorgestern aus, daß der Staat doch alles besser selber mache. Das darf so nicht weitergehen, und deswegen enthält das Konzept, das wir vorschlagen, bei der Reduzierung umweltpolitisch kontraproduktiver Maßnahmen im Steuerrecht weiterhin die Forderung einer steuerlichen Gleichstellung öffentlich- rechtlicher und privater Abfall- und Abwasserentsorgungsanlagen. ({3}) Wir werden auch bei der Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes die nötigen Vorschläge unterbreiten. Dann wird sich zeigen, wie ernst Sie es mit Arbeitsplätzen meinen, die in Deutschland über den Export von Umwelttechnologien geschaffen werden sollen. Bisher jedenfalls haben Sie sich nur dadurch ausgezeichnet, daß Sie alle chancenreichen neuen Entwicklungen ablehnten. Das gilt nicht nur für die private Organisation von Abwasser- und Abfallentsorgung; das gilt eben auch für die Bereiche Gentechnik und Transrapid. Mit diesem Verhalten verspielen Sie die Zukunftschancen der jungen Generation. In diesem Duktus - wir haben das heute ja schon gehabt - sind auch die Änderungsanträge der Grünen zum Bundeshaushalt gehalten. Sie wollen alle Mittel zur Errichtung von Anlagen des Bundes zur Sicherung und Endlagerung radioaktiver Abfälle aus dem Haushalt streichen. Das heißt in der Konsequenz, daß es Sie überhaupt nicht interessiert, wo die derzeit existierenden radioaktiven Abfälle abgelagert werden. ({4}) Wollen Sie etwa exportieren, oder was wollen Sie eigentlich damit machen? Wer hier allen Ernstes Anträge dieser Art stellt und nicht gleichzeitig sagt, welche Alternative er zu den zirka 30 Prozent Energie aus Kernkraftwerken im deutschen Energiemix hat, handelt unverantwortlich. Ich kann nur sagen: Das ist Verweigerungspolitik. ({5}) Diese Verweigerungspolitik gibt es auch im Bereich der Abfallwirtschaft. Im Oktober nächsten Jahres tritt das Kreislaufwirtschaftsgesetz in Kraft, das Fortschritte bringt und das wir auch gegen den Widerstand einiger hier durchgesetzt haben. Allerdings wird die Zeit knapp, um das Regelwerk zu schaffen, mit dem das Gesetz vollziehbar wird. Deshalb fordert die F.D.P. die Bundesregierung auf, die nötigen Verordnungsentwürfe bald vorzulegen; denn die Vollzugsbehörden und auch die Wirtschaft brauchen einen Vorlauf, um sich darauf einzustellen. Für die F.D.P. ist dabei wichtig, daß diese Vollzugsverordnungen auf das Notwendige beschränkt werden und zur Vereinfachung und Beschleunigung behördlicher Verfahren beitragen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ihre Redezeit geht zwar schon zu Ende, aber gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Marion Caspers-Merk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000325, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Homburger, Sie haben eben gesagt: Die F.D.P. fordert die Bundesregierung auf. Ist es nicht so, daß Ihr eigener Minister, nämlich der Wirtschaftsminister, die Vorlage von Verordnungen zum Vollzug des Kreislaufwirtschaftsgesetzes bewußt seit einem Jahr behindert ({0}) und daß die freiwilligen Vereinbarungen, die auch in den Schubladen Ihres Ministeriums, nämlich des Wirtschaftsministeriums, liegen, nicht vorgelegt werden und deshalb ein Vollzugschaos droht, wenn nächstes Jahr im Oktober das Kreislaufwirtschaftsgesetz ohne die notwendigen Verordnungen in Kraft tritt? ({1})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Caspers-Merk, solches ist mir nicht bekannt. Ich kann Ihnen aus Gesprächen mit dem Kollegen Dr. Rexrodt sagen, daß er die Umsetzung der Verordnungen und die Umsetzung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes mitträgt und konstruktiv daran mitarbeiten wird, das, was wir hier gemeinsam wollen, auch umzusetzen. Er war konstruktiv bei der Verabschiedung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes, und es wird auch zukünftig eine gute Zusammenarbeit auf diesem Feld geben. ({0}) Das heißt - meine Damen und Herren, meine Redezeit geht zu Ende -, daß wir auch im Bereich der Abfallwirtschaft weitere große Aufgaben vor uns haben, die wir gemeinsam lösen müssen und lösen werden. Wir sind hier ja auf einem guten Weg. Es muß auch im Bereich des Boden- und Naturschutzes, den ich heute weiter nicht angesprochen habe, weil wir das erst vor kurzem hier diskutiert haben, weitere Fortschritte geben. Lassen Sie mich abschließend sagen: Die F.D.P. hat ein Gesamtkonzept zur Sicherung der Zukunftschancen der jüngeren Generation. Dazu gehört auch die ökologische Marktwirtschaft. Dafür werden wir uns weiter einsetzen. - Und wir stimmen natürlich diesem Bundeshaushalt zu. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Der geplante Umwelthaushalt 1996 enthält auch nach Abschluß der Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuß keinerlei Anzeichen für eine Wende der Bundesregierung in Richtung einer integrierten zukunftsträchtigen Umweltschutzpolitik. An der Struktur der Ausgaben wurde im Vergleich zum Regierungsentwurf ein wenig herumgewerkelt, der Gesamtumfang um 5,7 Millionen DM gekürzt. Mit nunmehr 1,318 Milliarden DM liegt der Umwelthaushalt 1996 um 3,4 Prozent unter dem Soll des laufenden Jahres. Die im Vergleich zum Regierungsentwurf vorgenommenen Kürzungen in den Kapiteln Reaktorsicherheit und Strahlenschutz sowie Bundesamt für Strahlenschutz sind marginal. Die geringe Aufstokkung im Titel Zuweisungen zur Errichtung und Sicherung schutzwürdiger Teile von Natur und LandEva Bulling-Schröter schaft mit gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung wurde vorwiegend durch Kürzungen in anderen Bereichen von Umwelt und Naturschutz erkauft. Der Umwelthaushalt 1996 beträgt damit weiterhin nicht einmal 3 Prozent des Gesamthaushaltes und ist zu fast 50 Prozent ein Strahlenschutzhaushalt. Dagegen sind in diesem Einzelplan 16 lediglich etwas mehr als 100 Millionen DM, also nicht einmal 8 Prozent, für direkte Umweltinvestitionen und Ausgaben zur Errichtung von Schutzgebieten vorgesehen. Nun sind selbstverständlich nicht alle Ausgaben für die Umwelt im Haushalt des Umweltministeriums enthalten. Der Umwelthaushalt ist damit nur im Zusammenhang mit den anderen Einzelplänen zu beurteilen. Wenn beispielsweise der Einzelplan 16 zu Lasten der Atomwirtschaft zusammengestrichen und dafür dem nachhaltigen Umweltschutz verpflichtete Titel in anderen Einzelplänen entsprechend angehoben worden wären, so könnten wir dem folgen. Dies ist aber nicht der Fall. Beispielsweise werden in der Energiepolitik der neuen Bundesländer gegenwärtig die Weichen für den CO2-Ausstoß der nächsten 50 Jahre gestellt. Alte, verrottete Heizungssysteme werden gegen neue ausgetauscht. Sowohl Stadtwerke wie auch Privathaushalte stehen also vor weitreichenden Investitionsentscheidungen. Sind diese erst einmal auf Grund der gegenwärtig niedrigen Gas- und Ölpreise gegen die energetisch vorteilhaftere Fernwärme gefallen, so sind wieder einmal Chancen vertan. Niemand wird in fünf oder zehn Jahren seinen neuen Öltank oder eine kürzlich gelegte Gasleitung herausreißen, um mit Fernwärme einen Beitrag gegen den Klimakollaps zu leisten. Es wäre also ein Gebot der Stunde, das Fernwärmeprogramm Ost über das Jahr 1995 hinaus zu verlängern. ({0}) Die dafür benötigten 150 bis 200 Millionen DM sind aber angeblich im Haushalt des Wirtschaftsministeriums nicht aufzutreiben. Es stellt sich die Frage: Wo sind die konkreten Taten nach den großen CO2-Minderungsvisionen der Regierung? Etwa im Verkehrshaushalt, wo im Vergleich zum Regierungsentwurf der Bundesautobahn- und Straßenbau mit zusätzlich 263 Millionen DM ausgestattet wurde? Oder in den gigantischen 2,4 Milliarden DM zusätzlicher Verpflichtungsermächtigungen, die noch zu den 3,8 Milliarden DM des Regierungsentwurfs hinzukommen und die im Zusammenhang mit der privaten Vorfinanzierung des Straßenbaus sowohl die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler als auch die Umwelt bis weit ins nächste Jahrtausend belasten werden? Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie verbetonieren hier eine Summe, von der man fünf Jahre lang den gesamten Umwelthaushalt finanzieren könnte. Unter dem Strich läßt sich eine ökologische Bilanz des Gesamthaushalts gegenwärtig kaum erstellen. Die einzige Aufstellung der tatsächlichen oder angeblichen Maßnahmen mit umweltverbessernden Wirkungen aller Einzelpläne findet sich lediglich auf drei Seiten des Finanzberichts, selbstverständlich ohne Erläuterungen. Die geringe Aussagekraft dieser Seiten wird noch zusätzlich geschmälert durch eine Reihe von absurden Zuordnungen auf das Umweltschutzkonto. Dazu zählen Schallschutzmaßnahmen an Bundesstraßen, die ja in der Regel erst durch den umweltzerstörenden forcierten Autobahnbau notwendig werden. Gleichzeitig sind in dieser Aufstellung - wie im Einzelplan 16 - die Ausgaben für Absicherung der Atomwirtschaft aufgelistet. Aus Sicht des Umweltschutzes werden also Soll und Haben miteinander vermischt. ({1}) Die PDS kann deshalb nur die Forderung von Herrn Dr. Rochlitz, Bündnis 90/Die Grünen, aus der ersten Lesung unterstützen, zur Vorbereitung von Haushaltsberatungen endlich eine aussagekräftige Ökobilanz aufzustellen, sozusagen ein Öko-Audit des Bundeshaushalts durchzuführen. ({2}) Dies wäre mit Sicherheit ein unbequemes Unterfangen, würde doch damit das ganze Ausmaß der kurz-, mittel- und langfristigen Umweltzerstörung unserer Wirtschaftsweise auch zahlenmäßig greifbarer, hätte konsequente Umweltpolitik einen statistischen Verbündeten. Die Zuschüsse für alternative Energien, Investitionen in ökologische Zukunftstechnologien, Ausgaben für öffentliche Arbeitsplätze im Umweltsektor würden plötzlich nicht nur abstrakt volkswirtschaftlich, sondern auch in der Haushaltsrechnung rentabler. In der Koalition scheint solch eine Denkrichtung allerdings auf wenig Gegenliebe zu stoßen. So hat Herr Weng von der F.D.P. im Berichterstattergespräch doch tatsächlich gefordert, die eben genannte mangelhafte Zusammenstellung im Finanzbericht künftig nicht mehr erarbeiten zu lassen. Und zwar nicht etwa auf Grund des schlechten Aussagewertes dieser drei Seiten, nein, die spärliche Zusammenstellung sollte witzigerweise deshalb verschwinden, weil sie von der Opposition immer wieder zur Kritik an der Bundesregierung mißbraucht würde. Wahrlich, eine liberale Einstellung, Herr Weng. Nun gut, die Berliner Wahlen haben gezeigt, daß sich die F.D.P. über die Rechte der Opposition vielerorts tatsächlich keine Gedanken mehr zu machen braucht. Zur Privatisierung in der Wasserwirtschaft würde mich interessieren, was die F.D.P. all den Umweltverbänden sagt, die immer wieder davor warnen. Leider war hier dazu kein Wort zu hören. Meine Damen und Herren, der Gruppe der PDS ist vollkommen klar, daß sich vieles in unserer natürlichen Umwelt niemals mit Geld bewerten lassen wird. Was kostet die weitgehende Vernichtung der nord- und südamerikanischen Wälder, das Aussterben der Wale oder auch nur der Lärm an der Autobahn? Fest steht jedoch - darüber besteht inzwischen wohl allgemeiner Konsens -: Niemand bezahlt auch nur annähernd die Kosten, die die Nutzung der Natur einschließlich der Folgewirkungen tatsächlich verursacht. Insofern ist es mehr als unverständlich, warum der Bundesfinanzminister - auch angesichts steigender Schuldenberge - zur Finanzierung dringend notwendiger ökologischer Umbauprogramme nicht endlich die vielfach beschworene ökologische Steuerreform in Angriff nimmt. Die Verteuerung des Naturverbrauchs würde im übrigen auch viele neue Arbeitsplätze schaffen, und das nicht nur deshalb, weil sich der Faktor Arbeit auch ohne Senkung der Lohnnebenkosten relativ verbilligen würde. Neue Arbeitsplätze werden auch durch überproportional steigende Transportkosten entstehen, die eine Regionalisierung der Wirtschaftskreisläufe erzwingen werden. Wir haben Anträge gestellt. Wir werden diesem Einzelplan 16 natürlich nicht zustimmen. Auch wenn sich einige Anträge inhaltlich überschneiden, werden wir den Anträgen der Grünen zustimmen. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Angela Merkel.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Spätestens seit der Konferenz in Rio im Jahre 1992 ist das Leitbild der Umweltpolitik die nachhaltige, das heißt die dauerhafte und zukunftsfähige Entwicklung. Spätestens seit diesem Zeitpunkt wissen wir auch, daß es ein Spannungsverhältnis gibt zwischen den globalen Anforderungen an Umweltpolitik und unseren nationalen Handlungsnotwendigkeiten. Wir sagen oft schlagwortartig: Global denken, lokal handeln. Dieses Motto beschreibt aber eigentlich nur die eine Seite der Medaille; die Sache ist weitaus komplizierter. Deshalb, Herr Kollege Kuhlwein, finde ich es schon außerordentlich bedauerlich, wenn Ihnen zu dem Thema internationaler Übereinkommen und Konferenzen nichts weiter einfällt, als das mieszumachen, herunterzureden und zu kritisieren. ({0}) - Der wissenschaftliche Beirat hat ein sehr ausgewogenes Urteil abgegeben. ({1}) Sie haben da etwas herausgerissen. Sie haben die allgemein anerkannte Rede des Bundeskanzlers auf der Klimakonferenz niedergemacht, um anschließend zu sagen, wir würden im allgemeinen sowieso fast nichts tun. Ich weiß nicht, ob dies der neue Stil der Außenpolitik der Oppositionsfraktionen ist, ob Sie sich auch international in allen Bereichen so verhalten wollen. Ich hielte das für bedauerlich. Herr Kuhlwein, ich bin noch Präsidentin der Klimakonferenz und fahre nächste Woche nach Jakarta. ({2}) - Das freut mich. Leider begleitet mich kein Abgeordneter von Ihnen, da Sie Parteitag haben. ({3}) - Entschuldigung. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Die Frage der Reisebegleitung ist geklärt.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Ich entschuldige mich. Mir ist das leider nicht genau in Erinnerung gewesen. Ich freue mich auf unsere gemeinsame Reise. Ich freue mich vor allen Dingen darauf, daß Sie mich konstruktiv unterstützen werden. ({0}) - Ich tue etwas. Schöner wäre nur, wenn wir gemeinsam etwas tun würden. ({1}) Das verstärkt unsere Bemühungen. Wir kommen als Regierung natürlich auch alleine zurecht, aber noch schöner ist es, wenn wir die Opposition auf unserer Seite haben. ({2}) Auch bei der dritten wichtigen Konferenz, der Konferenz in Wien zum Montrealer Protokoll, hat die Bundesregierung - auch durch erhebliche finanzielle Aufwendungen - gezeigt, daß sie sich für den globalen Umweltschutz einsetzt. Das Gesamtvolumen der globalen Umweltfazilität für den Dreijahreszeitraum von 1995 bis 1997 beträgt 240 Millionen DM. Damit trägt die Bundesregierung 12 Prozent zu dem Gesamtaufkommen dieser globalen Umweltfazilität bei. Auch das ist ein Beitrag zur Umweltpolitik, der heute hier noch überhaupt nicht erwähnt wurde. ({3}) Hinzu kommen im Zeitraum von 1994 bis 1996 73 Millionen US-Dollar im Rahmen des Montrealer Protokolls zur Unterstützung der Entwicklungsländer. Ich glaube, dieses Engagement ist wichtig und muß weitergeführt werden. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Der Beirat für globale Umweltveränderungen hat dem Kollegen Rüttgers und mir sehr deutlich gesagt: Wir haben Schneisen geschlagen in der internationalen Umweltpolitik und müssen die globalen Institutionen stärken. Er hat in keiner Weise eine absolute Kritik deutlich werden lassen. Wir unterstützen insbesondere auch die mittel- und osteuropäischen Länder durch den Kläranlagenbau in Swinemünde und Gubin, durch Rauchgasentschwefelungsanlagen in der Tschechischen Republik. Natürlich unterstützen wir auch die Verbesserung der nuklearen Sicherheit in Mittel- und Osteuropa. Ich kann nur sagen: Dies ist eines der dringendsten und drängendsten Felder von Tschernobyl bis Kozloduj. Deshalb ist mir völlig unverständlich, warum Sie sich - gerade auf der Seite von Bündnis 90/ Die Grünen - in den Haushaltsberatungen in einer solchen Weise diesen Plänen verweigern. ({4}) Dies ist wirklich eine Herausforderung für uns alle. ({5})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kalb?

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Ja.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Kollege Kuhlwein hatte Sie ja vorhin aufgefordert, Alternativen zum Standort Gorleben für ein radioaktives Endlager erkunden zu lassen. Können Sie in diesem Hohen Hause bestätigen, daß die Bundesregierung am Standort Gorleben festzuhalten gedenkt, daß deswegen keine anderen Standorte erkundet werden sollen, daß daher auch die Kampagnen um den sogenannten Saldenburger Granit jeder Grundlage entbehren und wider besseres Wissen von verschiedenen Gruppen betrieben werden?

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Kollege Kalb, ich kann zunächst einmal sagen, daß sich die Bundesregierung selbstverständlich nicht nur um die Sicherheit der Kernkraftwerke in Mittel- und Osteuropa kümmert, sondern sich auch um eine sichere Endlagerung auf nationalem Gebiet bemüht. Wir halten es für vordringlich, daß das Endlager Gorleben fertiggestellt wird. Alle bisherigen Erkenntnisse weisen darauf hin, daß dieses Endlager geeignet ist, wenngleich die Eignung natürlich erst in einigen Jahren abschließend festgestellt werden kann. Auf unserem Weg hat uns auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes begleitet. Sie sagen, juristisch sei die Sache auf unserer Seite. Sie müssen einmal überlegen - wenn ich das kurz einfügen darf -, wie Sie hier argumentieren. Es ist doch außerordentlich bedauerlich, daß wir uns um die juristische Lage - um die Rechtslage, die uns eigentlich einen sollte - immer noch streiten müssen. Die Bundesregierung hat ihrem Auftrag entsprechend eine Literaturstudie angefertigt, welche theoretisch denkbaren anderen Formationen sowohl im Salz als auch im Granit für Endlager geeignet erscheinen. Die Bundesregierung sieht aber zum augenblicklichen Zeitpunkt keinen Anlaß, irgendeinen der dort genannten Standorte in eine nähere Betrachtung für ein Endlager zu ziehen, weil die Arbeiten in Gorleben vernünftig und gut voranschreiten. Das gilt auch für das von Ihnen genannte Territorium.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Der Kollege Kuhlwein würde auch gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Bitte.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte an die Frage des Herrn Kollegen Kalb anknüpfen. Frau Bundesministerin, trifft es zu, daß eine von Ihnen in Auftrag gegebene Studie auch andere Standorte in anderen Bundesländern als Niedersachsen für möglicherweise geeignet hält? ({0}) Wie beurteilen Sie eigentlich die Tatsache, daß es einige Landesregierungen gibt, die zwar begeisterte Anhänger der Nutzung der Kernenergie sind, aber die Standortsuche für Endlager auf ihrem Territorium bisher strikt verweigert haben?

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Dazu muß man erst einmal sagen, daß diese Studie nahezu alle Bundesländer umfaßt hat. Niemand hat irgend etwas verweigert; es ist nämlich niemand zu den Standorten hingegangen, weil es eine Studie über Erkenntnisse ist. ({0}) - Ich würde sagen: Überlassen Sie das einmal den CSU-Abgeordneten. Zweitens hat die Bundesregierung - dazu bekennen sich alle Koalitionsfraktionen - gesagt: Wir brauchen, insbesondere nach der deutschen Einheit, eine Übersicht über mögliche geologische Konstellationen, in denen theoretisch Endlager eingerichtet werden könnten. Aber ich muß Sie darauf hinweisen, Herr Kollege Kuhlwein - als Berichterstatter zum Haushalt wissen Sie das ja -, daß die Erkundung des Bergwerkes Gorleben bis jetzt über 1 Milliarde DM gekostet hat. Das sind Kosten, die letztendlich dem Stromverbraucher aufgebürdet werden. Es gibt nicht einen einzigen logischen Grund, parallel mehrere solcher Standorte zu erkunden, wenn man einen hat, bei dem alle Erkenntnisse darauf hindeuten, daß er als Endlager geeignet ist. Das ist unsere Haltung; das ist unsere Position: Vorsorge auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite keine unnötigen Ausgaben, weil wir bereits an einem Punkt arbeiten. Wenn wir an diesem Punkt so vorankommen würden, wie wir es wollen, dann könnten wir nämlich jetzt schon, Frau Heyne, zeigen, daß es ein Endlager gibt. Aber es wird ja immer wieder mit aller Kraft von verschiedenen Seiten verhindert, daß wir die Eignung möglichst schnell feststellen. Ich jedoch will das.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Bundesministerin, der Kollege Behrendt möchte auch noch gerne eine Frage stellen.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Das ist dann aber die letzte. Danach möchte ich gerne weitermachen.

Wolfgang Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, der Kollege von der CDU/CSU-Fraktion hat mit seiner Zwischenfrage schnell von dem für Sie sicherlich heiklen Thema der Reaktorsicherheit in den mittel- und osteuropäischen Ländern abgelenkt. ({0}) Sie haben erklärt, Sie täten viel für die Reaktorsicherheit in diesem Bereich. Deshalb habe ich die Frage, ob Sie sich der Einsicht verschließen können, daß alle Ihre Bemühungen höchst unzulänglich sind und durchaus nicht in ausreichendem Maße für Sicherheit sorgen. Es müßte doch auch in Ihrem Sinne viel vernünftiger sein, in diesen Ländern etwas stärker auf Energieeffizienz, Energieeinsparung und alternative Formen der Energiegewinnung hinzuwirken.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Der Einsicht verschließen, daß meine Bemühungen nicht erfolgreich sind, könnte ich mich. Sie haben gefragt, ob ich mich der Einsicht verschließen könnte. Das kann ich. Andersherum gesprochen: Ich glaube, daß unsere Bemühungen wichtig sind, daß sie unverzichtbar und notwendig sind. Ich glaube auch, daß sie nicht in jedem Falle von Erfolg gekrönt sind. Das erleben wir sehr schmerzlich, gerade bei dem Kernkraftwerk Kozloduj. Ich sage Ihnen auch, daß die Alternativen, die Sie theoretisch aufzählen, in dem Maße überhaupt nicht gegeben sind. Natürlich sind wir daran interessiert, auch dort Fernwärmeprojekte vernünftig durchzuführen. ({0}) Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Bemühungen, gerade aus dem Bereich der Industrie, die bei „joint implementation" eine interessante Variante sein könnten, über sicherere Gasleitungen und vieles mehr. Aber schauen Sie doch nach Tschernobyl, schauen Sie nach Kozloduj, schauen Sie vor allen Dingen nach Armenien: Wieviel Versorgungsmöglichkeiten sind dort überhaupt vorhanden? Wieviel Möglichkeiten gibt es denn auszuweichen? Deshalb ist es wichtig, daß wir es in den bestehenden Kernkraftwerken schaffen, dort die Sicherheit so weit zu gewährleisten, daß man die Sache einigermaßen ruhig angehen kann. Daran arbeiten wir. Dafür haben wir erhebliche Mittel eingesetzt. Es sind grade zu Tschernobyl von der G-7-Gruppe wieder intensivste Verhandlungen geführt worden. Ich lade jeden ein, sich dort zu informieren und zu beteiligen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Müller, die Frau Bundesministerin hat abgelehnt, weitere Fragen zu beantworten. - Bitte fahren Sie fort.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Kuhlwein hat davon gesprochen, daß es einen Stillstand in der Umweltpolitik gebe. Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß es eigentlich außerordentlich interessante Entwicklungen in der Umweltpolitik gibt, die wir ernst nehmen sollten und die sich zum Teil auch auf europäischer Ebene abspielen. Wir haben in diesem Jahr den gemeinsamen Standpunkt zur Richtlinie zur integrierten Verminderung und Vermeidung von Umweltverschmutzungen in Brüssel verabschiedet. Das Interessante an dieser Richtlinie ist, daß zum erstenmal ein medienübergreifender Umweltschutz versucht wird und allgemeine europäisch harmonisierte Standards eingeführt werden. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland an vielen Stellen eine sehr sektorale Betrachtungsweise. Wir haben den Stand der Technik im Bereich der Luftreinhaltung, wir haben unter anderem die allgemein anerkannten Regeln der Technik im Bereich Wasser, wir haben für den Bodenschutz eigentlich nur Gefahrenabwehr und arbeiten jetzt an einem Bodenschutzgesetz. Was das Spannende in der Zukunft sein wird, ist, diese Dinge integriert und miteinander zusammenhängend zu betrachten und zu fragen: Was ist eigentlich das Wesentliche? Was sind die Prioritäten im Umweltschutz? Welche Ziele müssen wir in absehbarer Zeit erreichen? Ich glaube, daß wir deshalb die Diskussion um die Ziele verstärkt führen müssen. Ich sage hier auch ganz eindeutig, daß ich in diesem Zusammenhang die Studie des Wuppertal-Instituts im Auftrag von BUND und Misereor begrüße, weil sie ein wichtiger Beitrag zu dieser Diskussion über Umweltziele ist, ({0}) wenngleich ich nicht alle diese Ziele teile. Ich glaube, daß wir die Prioritätensetzung intensiv miteinander betreiben müssen und sagen müssen, was wir wollen und welche Auswirkungen welche umweltpolitische Tat hat. Denn es hat keinen Sinn, im Luftbereich etwas Gutes zu tun, aber anschließend Abfälle auf den Boden zu bringen, deren Beseitigung vielleicht erhebliche Kosten verursacht. Deshalb ist es ganz wichtig, daß wir die Frage stellen: Was ist für eine nachhaltige Entwicklung wirklich prioritär? Wir haben im CO2-Minderungsbereich ein solches Ziel festgelegt und haben die Erfahrung gemacht, daß dieses CO2-Minderungsziel eigentlich von allen gesellschaftlichen Gruppen akzeptiert wird und daß alle diese Gruppen erhebliche Beiträge zur Erreichung dieses Ziels leisten. Wenn wir uns auf solche Umweltziele verständigen, wird auch die Diskussion über die Instrumente, die wir anwenden wollen, von erheblicher Bedeutung sein. Das Ordnungsrecht wird seinen Stellenwert behalten, wird aber auch wesentlich durch andere Instrumente ergänzt werden müssen. Es ist heute schon über marktwirtschaftliche Anreize gesprochen worden. Marktwirtschaftliche Anreize sind von Subventionen zu unterscheiden. Wenn wir ein Wärmedämmungsprogramm auflegen und die Kreditanstalt für Wiederaufbau die Mittel dort verdoppelt - dazu sind sehr wohl Ansätze im Bundeshaushalt enthalten, nämlich im Haushalt des Bundesbauministers -, ist das keine Subvention, sondern ein Anreiz für Investitionen in die richtige Richtung, also eine vernünftige Lenkung. Genauso konnten wir mit einer emissionsbezogenen Kfz-Steuer und ähnlichem hier vorankommen. Wir werden natürlich auch weiter die Frage der CO2-/Energiebesteuerung diskutieren. ({1}) - Ja, Frau Hustedt, ich weiß: Wir sollen nicht nur diskutieren, wir sollen es auch machen. Das Allerwichtigste und Allerbeste wäre, wir bekämen im Raum der Europäischen Wirtschaftsunion eine europäische Regelung. Die Diskussionen werden im ECOFIN-Rat geführt. Sie sind gerade an einer spannenden Stelle. Man muß die, die verhandeln - das ist unter anderem der Bundesfinanzminister -, unterstützen, damit wir möglichst viele Länder in das Boot bei der CO2-/Energiebesteuerung bekommen. ({2}) Wenn uns das nicht gelingt, werden wir national weiterdenken müssen. Das ist doch klar. Wir vergeben uns aber erst einmal international etwas, wenn wir von vornherein sagen: Es interessiert uns nicht, was unsere Nachbarländer machen; in den Bereichen der Wirtschaft und der Umwelt macht jeder, was er will. ({3}) Das haut nicht hin und bringt uns in Schwierigkeiten. Um unsere Umweltziele bewerten zu können, brauchen wir natürlich auch Maßstäbe. Frau Heyne, Sie haben die Ökobilanz über die Getränkeverpakkungen aus einer relativ einseitigen Sicht dargestellt. Ich meine, die Ergebnisse sind so klar und so konkret, wie man sich das eigentlich nur vorstellen kann. Dazu gehört auf der einen Seite: Schlauchverpakkung ist unter bestimmten Bedingungen gleichwertig mit der Mehrwegflasche. Warum soll ich das der Bevölkerung verschweigen, wenn es doch so ist, auch wenn wir uns irgendwann einmal in den Kopf gesetzt haben, daß eine Einwegverpackung - auch wenn sie verwertbar ist, wenn sie recycelbar ist - etwas Schlechtes und eine Mehrwegverpackung per se etwas Gutes ist? Ich sehe darin keinen Grund. ({4}) Die Studie hat auf der anderen Seite gezeigt, daß sich die Ökobilanz bei Büchsen, insbesondere bei Bierdosen, deutlich schlechter darstellt als bei Mehrwegflaschen. Wenn Sie mir im Sommerloch zugehört hätten, als Sie alles so aufmerksam verfolgt haben, dann hätten Sie auch gewußt, daß ich gesagt habe, wir müßten etwas tun, um den Mehrweganteil zu erhöhen. Ich habe vorgeschlagen, einmal eine Zertifizierungslösung in Betracht zu ziehen. Eine Zertifizierungslösung - das tut mir leid - ist in Europa mit rechtlichen Schwierigkeiten verbunden. Diese prüfen wir zur Zeit sorgfältig, um keine Bauchlandung vor dem Europäischen Gerichtshof zu machen. Sie werden mir zugestehen, daß das richtig ist. Viele rufen in dieser Frage nach Pfand, zum Beispiel auch meine Kollegen in den neuen Bundesländern. Ich kann an dieser Stelle nur warnen, Mehrwegsysteme durch Pfandlösungen zu unterstützen; denn wenn die Leute im Laden die Wahl zwischen Pfanddose und Pfandflasche haben, bleibt unklar, wofür sich die Leute entscheiden werden. Das wird das Problem gerade nicht lösen. ({5}) Die Diskussion hat noch nicht so überzeugende Regelungen aufgezeigt, daß wir sie durchführen könnten. Deshalb müssen wir den Mehrweganteil erhöhen, vor allen Dingen aber erhalten; das ist überhaupt keine Frage. Die Gefahrenmomente sind da. Wir diskutieren über eine Zertifikatslösung. Eine Pfandlösung lehne ich ab. Wer sonst noch tolle Ideen hat, ist herzlich willkommen. ({6}) Wir werden das in einem Bund-Länder-Arbeitskreis diskutieren, genauso wie wir die Verpackungsverordnung novellieren werden, um Trittbrettfahrern keine Chance zu geben und mehr Wettbewerb in das Duale System zu bringen, was dringend notwendig ist. Fazit: Diese Ökobilanz ließ in der Tat lange auf sich warten. ({7}) - Ich weiß nicht, ob man mit Abgeordneten, die einem etwas zurufen, aber keine Fragen stellen, kommunizieren darf. ({8}) Zertifikate sind alt. Sie werden immer wieder gerühmt. Diese Lösung ist noch nie verwirklicht worden. Es wäre ein spannendes Beispiel: Wenn es europarechtlich nicht geht, muß man in Europa die Gesetze eben ändern. Das kann dauern. Dann würde ich erst einmal wieder Abstand nehmen. Das muß ich so sagen. Ökobilanzen sind eine Möglichkeit, zu Entscheidungen zu kommen. Sie müssen besser standardisiert werden, damit sie schneller aufgestellt werden können und nicht jedesmal eine so lange Debatte notwendig ist. Trotzdem glaube ich, daß darin ein erhebliches Potential liegt, um den gesellschaftlichen Streit über den richtigen umweltpolitischen Weg in bestimmten Fragen auf einer vernünftigen Grundlage zu führen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Bundesministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Mehl?

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Ja.

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Merkel, es ist Ihnen sicherlich bekannt, daß das Gesetz über die Errichtung des Umweltbundesamtes Grundsätze für die Prüfung der Umweltverträglichkeit öffentlicher Maßnahmen des Bundes enthält. Wir sind gerade bei diesem Thema. Darin steht, daß das Bundesumweltamt bei sämtlichen Maßnahmen der Behörden des Bundes sowie bundesunmittelbarer Körperschaften, Anstalten usw. die Umweltverträglichkeit zu prüfen hätte, auch im Bereich von Programmen, Plänen für öffentliche Anlagen usw. Das ist ziemlich umfangreich und betrifft auch den Haushalt. Inwieweit ist bisher das Umweltbundesamt bezüglich Umweltverträglichkeitsprüfung von öffentlichen Maßnahmen eingeschaltet worden, und wie wird es zukünftig bei den Maßnahmen, die morgen über den Haushalt beschlossen werden, eingebunden? ({0})

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Was ist eine öffentliche Maßnahme? Da gibt es verschiedene Antworten. ({0}) - Ja, aber es gibt sozusagen keine umfassende rechtliche Verpflichtung, daß jede Tat des Bundes, egal, wo sie stattfindet, vom Umweltbundesamt zu überprüfen ist. ({1}) Ich fände es auch traurig, wenn die 1 000 Mitarbeiter des Umweltbundesamtes sich in dieser Art und Weise beschäftigen würden. Das ist in diesem Gesetz auch gar nicht so gemeint. Zum zweiten möchte ich sagen, daß in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien natürlich festgehalten ist, daß die gesamten Beschlüsse der Bundesregierung auf ihre Umweltverträglichkeit und ihre umweltpolitische Relevanz zu überprüfen sind. Das tun wir durch Ressortabstimmungen; daran ist das Umweltministerium zu jedem Zeitpunkt beteiligt. Deshalb glaube ich, daß wir dort auf einem guten und vernünftigen Weg sind. Lassen Sie mich abschließend etwas zu der Frage des Naturschutzes sagen. Ich freue mich darüber und bedanke mich bei allen, die mitgewirkt haben, dafür, daß wir in den Haushaltsberatungen den Titel für die Naturschutzgroßprojekte wieder auf 40 Millionen DM aufstocken konnten. ({2}) Ich glaube, wir haben den richtigen Schwerpunkt gesetzt. Wir mußten woanders etwas wegnehmen, aber trotzdem haben wir aus meiner Sicht den richtigen Schwerpunkt gesetzt. Es zeigt auch, daß wir dem Naturschutz und der Erhaltung der Artenvielfalt in den nächsten Jahren eine größere Bedeutung zumessen wollen. Ich halte das für ein zentrales Problem. Wir haben darüber in den letzten Wochen im Vorfeld der Jakarta-Konferenz miteinander debattiert, und ich glaube, es ist wichtig, daß wir weiter vorankommen, nicht nur international, sondern auch national. Deshalb werden wir in Kürze eine Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz vorlegen. ({3}) - Ja, ich sage es immer wieder, weil es so dringend ist. Ich bin relativ sicher, daß ich das tue, und Sie werden sich sicherlich intensiv an den Diskussionen beteiligen. Abschließend möchte ich den Berichterstattern herzlich danken. Obwohl es in der Debatte heute nicht so deutlich geworden ist, haben wir ganz verträglich für die Sache des Umweltschutzes zusammengearbeitet. Die Berichterstatter der Koalitionsfraktionen konnten unsere Politik, die wir für richtig halten, durch- und umsetzen. Ich freue mich ganz besonders über den Erfolg beim Naturschutz und bedanke mich fürs Zuhören. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Michael Müller, jetzt haben Sie das Wort.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundesministerin, ich mache eine Bemerkung zu Ihren Ausführungen zum radioaktiven Abfall. Ich glaube, daß es in der Frage des Entsorgungskonzeptes dringend notwenMichael Müller ({0}) dig ist, bald parteiübergreifend zu reden. Wir wissen, daß in Ihrem Hause neue Überlegungen angestellt werden und Sie zunehmend unter Druck geraten, insbesondere von seiten der Wirtschaft. Das Gespräch scheint mir sehr dringend zu sein; denn es geht nicht nur um die Entsorgungsproblematik, es geht auch um die Verwendung der erheblichen Finanzsummen aus den Rückständen. Ich sehe nicht ein, daß sie für alles mögliche verwandt werden, aber nicht für die Energiepolitik selbst. ({1}) Wir sind sehr daran interessiert, daß wir über diese Frage auch zwischen den Parteien und unabhängig von der formalen Beratung in den Ausschüssen reden. Hier sind in der Tat eine Reihe von Handlungsmöglichkeiten gegeben, die wir für eine Modernisierung unserer Energiepolitik nutzen sollten. Deshalb: Unser Angebot, darüber in absehbarer Zeit gemeinsam zu reden, ist da. Die heutige Haushaltsdebatte fällt auf das Datum, an dem die Bundesumweltministerin ein Jahr im Amt ist. Wir müssen leider feststellen, daß dieses Jahr kein Jahr des umweltpolitischen Fortschritts, sondern ein Jahr des Rückschritts war. ({2}) Trotzdem sage ich: Unser Vorwurf geht nicht isoliert an die Umweltministerin. Tatbestand ist vielmehr, daß die Umweltpolitik in der Bundesregierung insgesamt deutlich an Konjunktur verloren hat. Wir erleben jetzt erneut den Mechanismus, daß vor Bundestagswahlen auch von seiten der Regierungsfraktionen viel zum Thema Umwelt versprochen wird. Kaum ist die Bundestagswahl vorbei, wird alles zurückgedreht. Diesen Mechanismus haben wir auch in diesem Jahr erlebt. ({3}) Darum sagen wir - wenn die Umweltpolitiker der Union ehrlich sind, geben sie dies auch zu -, daß die Umweltpolitik in der Bundesregierung an Bedeutung verloren hat. ({4}) - Herr Friedrich, sollen wir hier bitte einmal die grünen Bemerkungen zitieren, die beispielsweise Ihr Fraktionsvorsitzender Schäuble noch im Sommer gemacht hat, und das mit dem vergleichen, was er gestern gesagt hat? Das war doch wie Tag und Nacht. Sie sind auf dem Rückmarsch. Geben Sie es doch zu! Im Sommer haben Sie taktisch überlegt, wie Sie grüne Wähler gewinnen können. Jetzt sind Sie der Meinung, Sie gewinnen dort nicht viel. Deshalb drehen Sie es wieder um. ({5}) Das Umweltthema wird bei Ihnen taktisch behandelt und nicht inhaltlich. Im August haben Sie gesagt: Spätestens im September oder Oktober liegt das Ökosteuerkonzept vor. Wo ist es denn? ({6}) Sie können sich nicht einigen. Sie sind auf die Fresse gefallen. Seien Sie doch ehrlich! Ehrlich zu sein ist ja nicht schlimm. Aber lassen Sie uns offen darüber reden. ({7}) - Es ist wirklich schlimm. ({8}) - Das ist klar. Ich kann die Situation, in der Sie sind, nachvollziehen. Wir sind als Umweltpolitiker in unserer Fraktion auch öfters in der Minderheit. Nur, wir haben uns dann durchsetzen können. Sie haben außer Ankündigungen nichts zuwege gebracht. Das eigentliche Problem der Umweltpolitik ist der eklatante Widerspruch zwischen den Ankündigungen, die überall gemacht werden, und dem, was real, wenn es darauf ankommt, dabei herauskommt: nämlich nichts. Dafür haben in der Tat die Regierungsfraktionen die Verantwortung. Ich hätte es gut gefunden, wenn sich die Umweltpolitiker von CDU/CSU und F.D.P. stärker auf die Seite von Frau Merkel gestellt hätten. Ich habe beispielsweise auf die Unterstützung der CDU-Umweltpolitiker bei dem katastrophalen Ozongesetz gewartet, bei dem - wir wissen es - Frau Merkel sehr viel mehr wollte. Wo waren Sie da eigentlich? Sie sind weggetaucht. ({9}) Sie sind weggetaucht, Herr Friedrich, weil Sie Schiß hatten, in Ihrer Fraktion die Wahrheit sagen zu müssen

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, überlegen Sie sich einen anderen Ausdruck.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- Entschuldigung, ich nehme es zurück -, weil Sie aus übergeordneten Interessen, die keiner nachvollziehen kann, nicht zum Konflikt bereit waren. ({0}) Meine Damen und Herren, das ist die Wahrheit. Beim Naturschutzgesetz haben Sie gekniffen. Bei fast allen Gesetzen, bei denen es darauf ankommt, Ankündigungen in die Tat umzusetzen, sind Sie abgetaucht, hat man von Ihnen nichts gehört. Im Kabinett hat Frau Merkel alleine gestanden, und auch Sie haben sie nicht in dem Maße unterstützt, wie das notwendig gewesen wäre. ({1}) - Nein, das stimmt nicht. - Im Gegensatz zu Ihnen haben wir beispielsweise in der SPD-Debatte über die Modernisierung der Volkswirtschaft nie den Mund gehalten. Uns kann keiner nachweisen, daß wir eingeknickt wären. Die Umweltpolitiker haben in der Fraktion zu ihrer Sache gestanden, und nur desMichael Müller ({2}) halb ist es beispielsweise möglich gewesen, daß die SPD ein Ökosteuerkonzept hinbekommen hat. Davon sind Sie noch weit entfernt. ({3}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf einen zweiten Punkt zu sprechen kommen. Die Bilanz dieses einen Jahres ist leider traurig. Was ich in dieser ganzen Debatte schlimm finde - das ist nicht im engeren Sinne eine parteipolitische Sicht -, ist, daß wir durch die Art und Weise, wie die Umweltthemen behandelt werden, die großen Chancen, die mit diesem Thema verbunden sind, verspielen. Das Thema der ökologischen Modernisierung ist eben kein Thema, das man neben anderen in die Politik einspielt, sondern hier geht es um die zentrale Frage, wie wir in Zukunft die Wirtschaft, die Gesellschaft, unser Zusammenleben gestalten. ({4}) Frau Merkel, Sie haben völlig recht, wenn Sie darauf hinweisen, daß die Studie ,,Zukunftsfähiges Deutschland" wichtig ist. Auch ich finde in dieser Studie viele Schwächen. Ich kann beispielsweise nicht nachvollziehen, daß man intensiv die InputSeite und die Emissionsseite auflistet, aber über die eigentlich wichtigen Fragen, nämlich über die Umwandlungsprozesse, über den Materialeinsatz, über den Energieprozeß usw., kaum etwas sagt. Insofern ist die Studie ein bißchen dünn. Aber das Entscheidende ist, daß diese Studie nicht von der Politik gekommen ist. Darüber müssen wir nachdenken. Wieso werden solche Debatten nicht von denen angestoßen, die in der Bundesregierung die politische Verantwortung haben? Warum bringt beispielsweise die Opposition über die Enquete-Kommission und andere Initiativen sehr viel mehr in die Debatte „zukunftsfähiges Deutschland" als die Bundesregierung ein? Darüber machen wir uns Sorgen. Wir sehen, daß durch diese nur rhetorische Aufarbeitung von Bedrohungen mit anschließender Folgenlosigkeit unser Land nicht geeinigt wird für die große Herausforderung des ökologischen Umbaus, die ansteht und an der wir uns nicht vorbeidrücken können. Entscheidend für die nächsten Jahre wird sein: Meldet sich die Politik aus diesen großen Zukunftsfragen ab - dies tut sie heute weitgehend -, oder ist sie wenigstens einmal so mutig, Ansätze eines ökologischen Strukturwandels praktisch zu erproben? Das ist die eigentliche Herausforderung. ({5}) Machen wir uns nichts vor! Angesichts der Globalisierung der Ökonomie und der ökologischen Grenzen des Wachstums ist vor allem Politik gefordert. Wir müssen aus der Kommentierung von gesellschaftlichen Entwicklungen herauskommen. Wir reden darüber, wie wichtig die „dauerhafte Entwicklung" ist. Aber das wird von uns doch nicht erwartet. Von uns wird erwartet, daß wir die Strukturen in der Gesellschaft ändern, um eine dauerhafte Entwicklung tatsächlich möglich zu machen. Es paßt nicht zusammen, auf der einen Seite die Durchökonomisierung der Gesellschaft durch die totale Überziehung von betriebswirtschaftlichen Kriterien in allen gesellschaftlichen Bereichen zu wollen und auf der anderen Seite von dauerhafter Entwicklung zu reden. ({6}) Dauerhafte Entwicklung ist nämlich zuerst volkswirtschaftliche Vernunft und erst dann die Verfolgung von einzelwirtschaftlichen Interessen. Das ist der entscheidende Knackpunkt zu den heutigen Standortforderungen. Meine Damen und Herren, wir bleiben bei unserem Angebot, das wir auch bei der letzten Diskussion gemacht haben. Lassen Sie uns versuchen, über die Fraktionen hinweg an dieser, wie ich finde, entscheidenden Wegscheide unserer Gesellschaft, wo es darum geht, ob wir fähig sind, in der Epoche der Globalisierung Politik wiederherzustellen, Gemeinsamkeiten unbeschadet parteipolitischer Unterschiede zu suchen. Wir werden die Ökosteuer, die Effizienzrevolution oder auch die Stoffwirtschaft nicht mit knappen Mehrheiten durchsetzen können, sondern wir brauchen dafür einen Grundkonsens in der Gesellschaft. Lassen Sie uns gemeinsam für diesen Grundkonsens kämpfen! ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Friedrich.

Dr. Gerhard Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002657, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal auf einige Vorredner eingehen, zuerst auf die Kollegin Homburger. Bei der Kollegin Homburger muß ich immer aufpassen, daß ich nicht anschließend das gleiche sage, weil wir uns immer so einig sind. Natürlich gibt es in der F.D.P. unterschiedliche Meinungen, und ich hoffe auch, daß wichtige F.D.P.-Politiker die Rede von Frau Homburger lesen und entsprechend handeln. ({0}) - Moment! Wir sollten uns davor hüten, Spott zu vergießen. Das gleiche Problem haben wir in der Union, und das gleiche Problem haben Sie in der SPD. Was Ihr erster Redner hier verkündet hat, nehmen doch Ihre Wirtschaftspolitiker gar nicht ernst. Mit dem Berichterstatter für den Umwelthaushalt reden doch Ihre Wirtschaftspolitiker nicht. Herr Kollege Kuhlwein, ich habe gerade im „Kürschner", in dem Bundestagshandbuch, nachgeschaut. Bei Ihnen stehen sechs Sterne, bei der Kollegin von den Grünen nur ein Stern. Aber bei den Reden hatte ich den Eindruck, daß Sie und nicht die Kollegin von den Grünen der Anfänger sind. Ihr habe ich zugehört. Da war nicht alles richtig; aber ich nehme diese Kollegin ernst. Was Sie aber hier aufgeregt von sich gegeben haben, das nehmen wir nicht ernst. ({1}) - Herr Kollege Kuhlwein, versuchen Sie doch einmal, das, was Sie hier verkündet haben, als Antrag dem SPD-Parteitag vorzulegen. Da bekämen Sie doch allenfalls 5 Prozent der Stimmen. Man soll nicht so persönlich werden, aber ich habe vorhin im „Kürschner" gelesen, daß Sie in Erlangen ausgebildet worden sind. Ich vertrete den Wahlkreis Erlangen. Ich muß einmal mit den Professoren der Uni Erlangen reden; die haben bei Ihrer Ausbildung versagt. ({2}) Dann komme ich zur Kollegin von der PDS. Ich möchte Ihnen nur sagen - das gleiche Mißverständnis liegt übrigens auch bei Herrn Kuhlwein vor -: Sie erkennen nicht, daß das Umweltministerium ein Gesetzgebungsministerium ist. ({3}) Umweltschutz ist in Deutschland keine staatliche Aufgabe. ({4}) - Die Finanzierung von Umweltschutz. Ich nenne Ihnen ein Beispiel - Sie wissen das aber doch -: Der Umweltetat beträgt zur Zeit etwa 1,3 Milliarden DM. ({5}) DSD gibt jährlich 4 Milliarden DM aus. Das heißt, eine Änderung der Verpackungsverordnung bewegt mehr Geld in Deutschland als eine Streichung oder Erhöhung im Umweltetat. Das müßten Sie doch endlich einmal zur Kenntnis nehmen. ({6}) Eine der wenigen staatlichen Aufgaben des Bundes ist die Endlagerung nuklearer Abfälle. Darum ist dafür relativ viel Geld im Umweltetat. Wenn wir die nukleare Endlagerung vielleicht eines Tages privatisieren, dann ist das Geld zwar weg, aber die Aufgaben werden weiter erfüllt. Diese Zusammenhänge sollten Sie eigentlich kennen. Auf Herrn Kuhlwein gehe ich momentan nicht länger ein. Das, was Kollege Müller gesagt hat, fand ich sehr viel wichtiger. Herr Kollege Müller, wenn Sie Ihre Rede vor der Bundestagswahl gehalten hätten, wäre ich etwas in Deckung gegangen. Sie dürfen - jetzt sage ich es einmal offen - Herrn Töpfer und Frau Merkel nicht völlig gleichsetzen. ({7}) Frau Merkel kann nicht noch etwas ankündigen; das ist doch in den letzten vier Jahren alles schon angekündigt worden. ({8}) - Ich bin noch nicht fertig. Ob Sie noch in zwei Jahren jubeln werden, weiß ich nicht. Ich habe das ganz bewußt gesagt. Die Frage ist doch, ob Frau Merkel in zwei Jahren vieles von den angekündigten Projekten umgesetzt hat. ({9}) Ich bin seit neun Jahren Umweltpolitiker, unter anderem hier im Parlament. Wir hatten noch nie eine so gute Zusammenarbeit mit einem Umweltminister wie mit Frau Merkel. ({10}) Ich bin sicher, Frau Merkel wird in den nächsten eineinhalb Jahren viele der angekündigten Projekte umsetzen. Ich nenne Ihnen einen weiteren Unterschied. Jetzt plaudere ich halt einmal aus dem Nähkästchen. Frau Merkel wird in München und von den Spitzenpolitikern der CSU ganz allgemein als eine kompetente Gesprächspartnerin ({11}) und als eine verläßliche Verhandlungspartnerin angesehen. ({12}) - Jetzt lassen Sie mich bitte ausreden. Regen Sie sich doch nicht so auf. Es ist wirklich so, wie ich es sage. Ministerpräsident Stoiber ist der Auffassung: Mit Frau Merkel kann man ein Bundesnaturschutzgesetz novellieren. Er ist ferner der Auffassung: Mit Frau Merkel kann man ein Bodenschutzgesetz erlassen. Deshalb werden wir das bald in den Bundestag einbringen. Wir schauen einmal, ob Sie in eineinhalb Jahren noch so lachen wie jetzt.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Dr. Gerhard Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002657, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Bitte, Herr Kollege.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Friedrich, haben Sie eine Erklärung dafür, daß Ihre Rede Frau Ministerin Merkel zu besonderer, Heiterkeit veranlaßt? ({0})

Dr. Gerhard Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002657, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn sich die Ministerin über unsere Unterstützung freut, dann ist das etwas Selbstverständliches, Herr Kollege Schily. ({0}) Jetzt möchte ich doch noch ein paar Anmerkungen zu den Ausführungen des Kollegen Müller machen. Das Ozongesetz war für mich - das darf ich Ihnen ehrlich sagen - ein relativ unwichtiges Gesetz. ({1}) Es gibt Probleme, die automatisch schrumpfen. ({2}) Wer die Prognosen zu den Stickoxiden kennt, der weiß, daß wir den Rückgang der Stickoxide beschleunigen müssen, daß das aber insgesamt ein schrumpfendes Problem ist. ({3}) - Ich möchte gerne noch zwei, drei Sätze sagen. Dann können Sie gerne eine Zwischenfrage stellen. Herr Kollege Müller, es gibt Unterschiede zwischen Ihrer Partei und der Union. Natürlich gibt es bei uns Meinungsverschiedenheiten zwischen Wirtschaftspolitikern, Finanzpolitikern und Umweltpolitikern. Wenn Sie in der Zeitung dazu jetzt nicht allzuviel lesen, dann glauben Sie, daß wir sie nicht austragen. Das ist ein Irrtum, Herr Kollege Müller. Ich meine, wenn ich gewisse Dinge nicht öffentlich austrage, ist meine Chance, zum Kompromiß zu kornmen, besser. Wir beschimpfen uns nicht so öffentlich wie die Leute in der SPD. ({4}) Der Haushaltsberichterstatter der SPD hat heute gesagt, die Union einige sich in Sachen Klimapolitik nicht. ({5}) - Ja, einen Moment. Ich sage es Ihnen doch gerade. Heute früh um drei Viertel acht Uhr haben wir uns getroffen: Frau Merkel, Herr Repnik und der Staatssekretär aus dem Bundesfinanzministerium. Ich muß Ihnen sagen, wir waren uns einig, was wir im nächsten Jahr machen. ({6}) Der Kollege Repnik wird es in den nächsten ein bis zwei Tagen der Öffentlichkeit in Form einer Presseerklärung mitteilen. ({7}) Es stimmt nicht, Herr Kuhlwein, daß wir nicht handlungsfähig sind. Ich kann sagen, was zum Beispiel unser Problem war. Heute vormittag hat jemand gesagt: Wir müssen in das Papier noch folgenden Satz einfügen: Mit einem Konzept, das in den drei Lebensbereichen Verkehr, Wohnen und Arbeit/Produktion ansetzt, wird eine gezielte Lenkung im Umweltbereich auch mit dem Instrument der Steuer angestrebt. Daraufhin haben wir gesagt: Jawohl, das ist ein Papier aus dem Finanzministerium. Der Satz aber ist völlig richtig. Diesen schreiben wir in das Papier noch hinein. Darum muß es neu geschrieben werden. ({8}) Dann wird es der Kollege Repnik der Öffentlichkeit bekanntgeben.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Lennartz, ich kann den Redner mit der Frage nach einer Zwischenfrage nicht mehr unterbrechen. Er ist schon weit über seine Redezeit. Ich kann ihn nur noch unterbrechen, um ihm zu sagen: Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Gerhard Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002657, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir müssen das im Ausschuß noch einmal fortsetzen. Ich habe nicht meine ganze Rede halten können, aber es gibt noch andere Gelegenheiten. Vielen Dank. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Behrendt.

Wolfgang Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich fand einige Passagen der Rede des Kollegen Dr. Friedrich schon höchst interessant und aufschlußreich. Daß Sie uns hier so ganz offiziell noch einmal bestätigt haben, daß die Politik des Amtsvorgängers von Frau Merkel, des Herrn Töpfer, im wesentlichen aus Ankündigung bestanden hat, war ein erstaunlicher Mut zur Ehrlichkeit und zur Offenheit. ({0}) Nur, Herr Kollege, es wäre schön gewesen, wenn Sie, statt unqualifiziert anderen Kollegen anderer Fraktionen Zensuren zu erteilen, deutlich gemacht hätten, wie Sie eigentlich nun Frau Merkel dabei unterstützen wollen, diese Ankündigungen ihres Vorgängers in die Praxis umzusetzen. Daran hapert es nämlich bei Ihnen. ({1}) Auch wenn ich die Äußerungen des Kollegen Kriedner gehört habe, habe ich nicht den Eindruck bekommen, daß die Fraktion - mein Kollege Müller hat schon darauf hingewiesen - wirklich ihre Ministerin nachhaltig und vehement bei der Umsetzung umweltpolitischer Ziele unterstützt. Wenn Sie sich nun dahin flüchten, Herr Kriedner, daß Sie uns zum wiederholten Male erklären, allenthalben in Europa werde die Bundesrepublik nun doch als Spitzenreiter in der Umweltpolitik gesehen, dann, muß ich sagen, ist diese Aussage allenfalls richtig, wenn man sich an den umweltpolitisch Fußkranken in Europa orientiert. ({2}) Es gibt wirklich andere Länder, die uns auch im Umweltbereich einiges vormachen und an denen wir uns ein Beispiel nehmen könnten. Wenn Sie - sicherlich zu Recht - sagen, das Umweltministerium sollte auch als Zukunftsministerium gesehen werden, dann reicht es nicht aus, dem Ministerium ein Etikett aufzukleben, sondern es geht auch darum, die umweltpolitischen Inhalte durchzusetzen. Das wäre Ihre Aufgabe als Regierungsfraktion.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Behrendt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kriedner?

Wolfgang Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Prof. Dr. h. c. Arnulf Kriedner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001217, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich wäre Ihnen, weil Sie sagen, wir seien die politisch Fußkranken, sehr dankbar, wenn Sie uns die politisch Fußgesunden in Europa nennen und das mit Anteilen an den Haushalten in den jeweiligen Ländern belegen. Erinnern Sie sich daran - ich habe es bei meiner letzten Rede gesagt -, daß die Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der Schweiz von allen Ländern in Europa das meiste Geld für den Umweltschutz ausgibt? Können Sie uns Länder nennen, bei denen mehr ausgegeben wird, und wie belegen Sie das?

Wolfgang Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe nicht gesagt, wir seien die Fußkranken, sondern ich habe gesagt, daß Sie sich, wenn Sie zu der Meinung kommen, daß wir die Spitzenreiter seien, im wesentlichen an den umweltpolitisch Fußkranken in Europa orientieren. Auch Sie sind leider den Beweis schuldig geblieben, warum wir Spitzenreiter sind. Sie hätten das vielleicht einmal im einzelnen ausführen können. Es würde sicherlich den Rahmen sprengen, wenn ich das jetzt darlegte. Ich mache das gern einmal in einem Privatissimum. ({0}) Das Kriterium, das Sie eben genannt haben, die Höhe des Betrags, den man für umweltpolitische Zwecke ausgibt, kann nicht alleiniges Kriterium sein. Vielmehr geht es darum, das Geld für sinnvolle Dinge auszugeben. Ich will Ihnen einmal sagen, was ich für sinnvoll halte. Ich glaube, diese Debatte hat deutlich gemacht, daß die Umweltpolitik hier weiter auf der Stelle tritt und daß dies - ich will Ihnen konkrete Beispiele nennen - auch für den Bereich der Energiepolitik zutrifft. Die Bundesregierung verschließt sich hartnäckig einer vernünftigen Strategie, die unsere Umweltpolitik nach vorne führen würde. Wir brauchen vor allem drastische Energieeinsparungen, wir brauchen eine massive Stärkung alternativer Energien, und wir brauchen damit verbunden auch den Ausstieg aus der lebensbedrohenden Kernenergie. Es macht keinen Sinn, aus dem anthropogenen Treibhauseffekt ein Argument für die Kernenergie abzuleiten, wie das von Ihrer Seite gern gemacht wird, denn es macht keinen Sinn, ein lebensbedrohendes Risiko durch ein anderes zu ersetzen. Die Kernenergie ist die Speerspitze eines harten Energiepfades, den Sie verfolgen, der bislang das atomare als auch das Treibhausrisiko verschärft. Gerade wenn wir uns für Klimaschutz einsetzen, müssen wir auch mit der Atomenergie verantwortlich umgehen, das heißt hier den Ausstieg praktizieren und statt dessen eine Gegenstrategie fahren, nämlich die Bereiche Energieeinsparung, effiziente Energienutzung und erneuerbare Energien zu Schwerpunkten unserer umweltpolitischen Arbeit machen. ({1}) Das ist von der Enquete-Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" im Grunde hinlänglich bestätigt worden. Sie alle wissen das, Sie alle haben die Berichte der Enquete-Kommission gelesen. Wir treten eindeutig für einen schnellstmöglichen Austritt aus der Kernenergie ein, weil wir meinen, daß Reaktorkatastrophen nicht mit Sicherheit auszuschließen sind, auch wenn Frau Merkel gesagt hat, daß die Reaktorsicherheit in der Bundesrepublik einen besonders. hohen Stand hat. Aber dies schließt weitere Risiken nicht aus, weil die Gefahr des illegalen internationalen Handels mit waffenfähigen Kernbrennstoffen wächst - das wissen wir aus dem Untersuchungsausschuß - und weil die Entsorgung weltweit nicht gesichert ist. Gerade beim Punkt der Entsorgung, denke ich, zeigen sich besondere Schwachstellen in der Politik der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen. Sie haben es bisher immer noch nicht vermocht, ein wirklich tragfähiges und aus der Sicht der Umweltpolitik verantwortbares Endlagerkonzept zu erstellen. ({2}) Dazu gehört vor allem, daß man die Mengen des radioaktiven Mülls endlich absehbar und begrenzt definiert, daß alle denkbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse und Möglichkeiten herangezogen und aufgegriffen werden. Die Bundesrepublik und die Bundesregierung leben entsorgungspolitisch von der Hand in den Mund. Das in den 70er Jahren entwickelte Entsorgungskonzept ist bisher immer noch nicht auch nur in Ansätzen verwirklicht. Alles deutet darauf hin, daß in den kommenden Jahrzehnten ganz entschiedene Entsorgungsengpässe eintreten werden. Alle drei Entsorgungsstandorte, die jetzt im Gespräch sind - Morsleben, Gorleben und auch Schacht Konrad -, muß man mit erheblichen Fragezeichen versehen. ({3}) Die Bundesregierung setzt sich leichtfertig über alle Bedenken hinweg. Angesichts der ganz offensichtlichen Sicherheitsmängel im Endlager Morsleben ist es, denke ich, nicht verantwortbar, die fachliche Diskussion und den tatsächlichen Nachweis ausreichender Sicherheit durch eine Politik rein verfahrenstechnischer Weisungen zu ersetzen. Die Bundesregierung setzt nur deswegen auf Morsleben, denke ich, weil sie sonst keine entsorgungspolitischen Aktiva aufweisen könnte.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Wolfgang Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Ich möchte das jetzt im Zusammenhang vortragen. - Deshalb können wir Ihre Haushaltsansätze für die Endlagerprojekte auch nicht akzeptieren, zumal Sie an Gorleben als einzig möglichem Standort für ein atomares Endlager hochradioaktiver Abfälle festhalten und gar nicht daran denken, alternative Standorte zu untersuchen. Das ist in der Debatte noch einmal deutlich geworden. Wir haben deshalb die Einstellung eines neuen Titels in Einzelplan 16 zur Erkundung von neuen Standorten und zur Sicherung und Endlagerung radioaktiver Abfälle gefordert. Ein neues Endlagerprogramm - das hat sowohl die politische, vor allem aber die internationale wissenschaftliche Diskussion der vergangenen Jahre gezeigt - ist überfällig. Es kann nicht sein, daß sich Entsorgungsanlagen auf ein Bundesland konzentrieren. Eine Lastenaufteilung zwischen den Bundesländern ist nötig. Wer im Süden als Ministerpräsident das Hohelied der Kernenergie singt, der muß sich auch gefallen lassen, daß in seinem Land Endlagerstätten erforscht werden. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, noch ein Kollege möchte gern eine Zwischenfrage stellen.

Wolfgang Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. - Daher wollen wir Endlagerstandorte in ganz Deutschland und in verschiedenen geologischen Formationen untersuchen und auf keinen Fall zulassen, daß Zwischenlager zu faktischen Endlagern werden. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, war das ein Ja oder ein Nein?

Wolfgang Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das war ein Nein. Meine Damen und Herren, wir appellieren hier noch einmal an das Verantwortungsbewußtsein der Regierungsfraktionen. Sorgen Sie dafür, daß wir einen vernünftigen Weg aus der Problematik der Endlagerung finden! Meine Damen und Herren, die Umweltpolitik bestimmt in hohem Maße unsere Zukunft. Der Bundeshaushalt 1996 läßt nicht erkennen, daß die Regierung die Zeichen der Zeit erkannt hat. Sie hat kein Konzept dafür, wie der Wirtschaftsstandort Deutschland gesichert und zukunftsträchtige neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Der Einzelplan 16 zeigt keinen Ansatz eines grundlegenden Umsteuerns in der Umweltpolitik. Wir können ihm daher unsere Zustimmung nicht geben. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Grill.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Behrendt, ich will zu dem, was Sie hier zur Endlagerfrage fälschlicherweise dargestellt haben, eine Bemerkung machen. Erstens. Ich halte einmal fest, daß der Endlagerstandort Gorleben eine Entscheidung ist, die von der sozialliberalen Koalition gefällt worden ist, und daß sich an der Voraussetzung, unter der diese Entscheidung gefällt worden ist, nach den wissenschaftlichen Standards, die wir zur Verfügung haben, bis heute überhaupt nichts geändert hat. ({0}) Zweitens. Es ist nicht richtig, daß es kein Entsorgungskonzept gibt. Das, was im Rahmen des Energiekonsenses für die Entsorgung festgeschrieben worden ist, ist letztendlich das, was diese Bundesregierung glaubwürdigerweise auch nach draußen vertritt. Drittens. Ich würde Ihrer Argumentation durchaus folgen können, daß diejenigen, die Kernenergie fordern, auch die Frage des Endlagers mit beantworten müssen. Aber ich zeige Ihnen die andere Seite der Medaille: Diejenigen, die am meisten dafür plädieren, daß Gorleben nicht geeignet ist und daß auch Konrad nicht geeignet ist, sind diejenigen, die aus der 20-Standort-Alternative von Frau Merkel bisher jeden Standort in ihrem Bundesland vehement abgelehnt haben - bis hin zu Harald B. Schäfer und Dieter Spöri, die Frau Griefahn und Herrn Schröder ohne jeden Abstrich mitgeteilt haben: In Baden-Württemberg gibt es keine alternative Standortuntersuchung mit den Sozialdemokraten! Wenn Sie Gorleben und Konrad nicht für geeignet halten, dann sagen Sie uns, wo wir bei Ihnen einen Standort suchen können, und machen Sie es nicht so wie die SPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, die gesagt hat: Wir wollen nicht Atomklo werden! Das Problem ist nicht parteipolitisch zu lösen. Eine letzte Bemerkung, gerade weil Sie Konrad genannt haben. Ich zeige Ihnen gern den einstimmigen Beschluß vom 30. Oktober 1990, dem die Ministerpräsidenten der SPD unter Führung von Herrn Rau zugestimmt haben, mit dem die SPD den Bund - Frau Merkel bzw. damals Herrn Töpfer - aufgefordert hat, Konrad schnellstmöglich in Betrieb zu nehmen. Sie halten Konrad für geeignet, und deswegen sollten Sie dies endlich auch einmal öffentlich im Deutschen Bundestag bekennen! ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Behrendt zur Replik.

Wolfgang Behrendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002626, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, zu Ihrer ersten Frage muß ich sagen: Im Gegensatz zu Ihnen sind wir bereit, aus neuen Erkenntnissen neue Schlußfolgerungen zu ziehen. ({0}) Wenn Sie glauben, mit aller Gewalt an Beschlüssen festhalten zu können, obwohl neuere Erkenntnisse Sie zu mehr Nachdenklichkeit bewegen müßten, zeigt das nur ein gewisses Maß an Engstirnigkeit. Sie sind nicht bereit, vernünftig und sachbezogen an die Lösung von Problemen heranzugehen. Lassen Sie mich zweitens sagen: Natürlich wird es immer landesspezifische Egoismen geben, aus einem bestimmten regionalen Interesse heraus bestimmte Dinge etwas zurückhaltender zu betrachten. Ich denke aber, wir als Bundestagsfraktionen haben hier die Aufgabe, eine möglichst objektive, sachbezogene Lösung anzustreben. Dafür habe ich plädiert. Wenn Sie hier sagen, daß die Entscheidung für die Kernenergie die Verantwortung einbezieht, die Endlagerungsproblematik zu lösen, dann gilt das, so denke ich, in besonderem Maße für Sie; denn Sie treten ja für die Kernenergie ein. Ich frage Sie, warum Sie, wenn Sie sich dieser Verantwortung bewußt sind, dann nicht unseren Vorschlägen zustimmen, durch entsprechende Maßnahmen im Haushalt zu gewährleisten, daß möglichst viele Standorte umfassend erkundet werden. Dann nämlich hätten wir die Gewähr, daß eine vernünftige, sachgerechte Lösung der Endlagerungsproblematik, soweit das überhaupt möglich ist, angestrebt werden kann. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Wir befinden uns bezüglich der großzügigen Handhabung von Kurzinterventionen noch in der Versuchsphase. Es gibt in unserer Geschäftsordnung eine Vorschrift, die heißt: Rede und Gegenrede werden zugelassen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Frau Kollegin CaspersMerk ihrem Kollegen widersprechen will. ({0}) - Auch der Kollege Kalb meldet sich zu Wort. Es wäre besser, wenn ich zuerst ihm das Wort erteilte; denn dann hätten wir wieder einen Wechsel bezüglich der Fraktionen. Bitte, Herr Kollege Kalb.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da Herr Kollege Behrendt vorhin keine Zwischenfrage zugelassen hat, muß ich ihn jetzt so darauf hinweisen, daß der seinerzeitige Beschluß zwischen Bund und Ländern über die Frage der atomaren Entsorgung zum einen gemeinsam zustande gekommen ist und zum anderen zum Bestandteil hatte, daß in Niedersachsen die Endlagerung vorgenommen werden sollte und die Wiederaufarbeitungsanlage in Bayern gebaut werden sollte. ({0}) - Ja, in Wackersdorf. Sie haben gerade in Ihrer Rede im Unterton anklingen lassen, die südlichen Länder kämen ihren Verpflichtungen nicht nach. Darf ich daran erinnern, daß Bayern ohne Wenn und Aber zu diesem Teil des Beschlusses gestanden hat? ({1}) - Gut, der Bürgermeister der Gemeinde Wackersdorf, SPD-Mitglied, hat diese Sache mitgetragen, nicht aber der dortige SPD-Landrat. Das möchte ich hier noch anfügen. ({2}) Ich darf aber festhalten: Bayern hat zu dieser Aufgabe gestanden. Bayern hat es nicht zu verantworten, daß die Energiewirtschaft von dem Projekt Wakkersdorf Abstand genommen und es somit zu Fall gebracht hat. Das geschah aus ganz anderen Gründen. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin CaspersMerk.

Marion Caspers-Merk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000325, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich stelle-auch für die SPD fest, daß wir uns nicht der Verantwortung für die sichere Endlagerung von radioaktivem Müll entziehen. Aber - das ist immer unsere Bedingung gewesen - wir wollen wissen, für welche Mengen dies erfolgt. Wir wollen ein konkretes Ausstiegsszenario, weil man nur dann sicher und verantwortlich planen kann. - Das ist meine erste Bemerkung. Meine zweite Bemerkung: Wir vertrauen dem Wort von Frau Umweltministerin Merkel, die nach der Untersuchung des Instituts für Geowissenschaften und Rohstoffe festgestellt hat, daß der Standort Baden-Württemberg für ein Endlager aus geothermischen Gründen nicht geeignet sei. Wenn sie hier etwas anders haben will, muß sie das sagen. Das aber waren ihre offiziellen Verlautbarungen. Dritter Punkt: Wer hier ein „burden-sharing" verlangt, der muß dies auch für die Reihen der CDU in Baden-Württemberg einfordern, lieber Herr Kollege Grill. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, daß beispielsweise Herr Schäuble vehement für einen Standort in Baden-Württemberg eingetreten ist. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 13/2893? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der Antragsteller und der PDS bei Enthaltung der SPD-Fraktion von den Koalitionsfraktionen abgelehnt worden. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 12/2894? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wir kommen zu den vier Änderungsanträgen der Gruppe der PDS. Wer stimmt für die Drucksache 13/2931? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Drucksache 13/2931 ist abgelehnt. Wer stimmt für die Drucksache 13/2932? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Drucksache 13/2932 ist abgelehnt. Wer stimmt für die Drucksache 13/2933? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch die Drucksache 13/ 2933 ist abgelehnt. Wer stimmt für die Drucksache 13/2934? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Drucksache 13/2934 ist abgelehnt. Wer stimmt für den Einzelplan 16 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Einzelplan 16 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt den Saal verlassen, um Platz für diejenigen zu machen, die an der Debatte über die nächsten Einzelpläne teilzunehmen wünschen, dies so schnell wie möglich zu tun, damit wir mit den Beratungen fortfahren können. Ich rufe die Einzelpläne 07 und 19 auf: Einzelplan 07 Bundesministerium der Justiz - Drucksachen 13/2607, 13/2626 Berichterstattung: Abgeordnete Gunter Weißgerber Manfred Kolbe Dr. Wolfgang Weng ({0}) Oswald Metzger Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht - Drucksachen 13/2618 ({1}), 13/2626 Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Dr. Wolfgang Weng ({2}) Gunter Weißgerber Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Damit besteht offensichtlich Einverständnis. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Gunter Weißgerber das Wort.

Gunter Weißgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002464, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan 07 als einer der kleinsten Einzelpläne überhaupt ist denkbar ungeeignet für pauschale Reduzierungen oder gar den Rasenmäher. Ich habe das zwar schon vor einem halben Jahr gesagt, aber ich denke, es muß weiterhin gesagt werden, weil ich auch diesmal das Gefühl hatte, daß doch das Verlangen groß ist, pauschal auch an einen solch kleinen Haushalt heranzugehen. Zur Größenordnung: Ich wohne in Leipzig, am Rande eines Einkaufszentrums, das mit einem Investitionsvolumen von 1 Milliarde DM errichtet wurde. Der Haushalt des BMJ hat in der Summe 300 Millionen DM weniger. Da kann man sich vorstellen, wie klein der Haushalt ist und wie gefährlich es ist, dort einfach bloß hineinzugreifen, wie groß die Gefahr ist, dabei Schaden anzurichten. Ich mahne dies an; das gilt für die nächsten Jahre genauso: nicht mit dem Rasenmäher, bitte schön. ({0}) - Der Haushalt ist überproportional um 1,9 Prozent gegenüber dem Entwurf gekürzt worden; andere Haushalte sind nicht in dieser Größenordnung gekürzt worden. Das, um auf diesen Zwischenruf zu reagieren. Lassen Sie mich zu einigen Dingen, die konkret mit dem Haushalt etwas zu tun haben, und, etwas weiter entfernt, Allgemeines zur Justiz sagen. Für den Täter-Opfer-Ausgleich sind im 96er Haushalt 150 000 DM - noch gesperrt - bereitgestellt. Bis 1995 waren 300000 DM dafür vorgesehen. Auf Grund von Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern wurde dieser Ansatz aufgeteilt: Der Bund trägt ab 1996 150 000 DM und die Länder 150 000 DM. Ich bin der Meinung - die Mehrheit der Berichterstatter war ebenfalls dieser Meinung -, daß dies so in Ordnung geht. Denn auch ich habe immer wieder das Gefühl, daß die Länder doch recht ordentlich zulangen und daß sie wenig an andere, an die Kommunen beispielsweise, durchreichen. Diese 150 000 DM aufzubringen ist ganz einfach zu leisten. SachsenAnhalt steht da beispielsweise mit 2 000 DM zu Buche. Das sind Summen, über die man nicht zu diskutieren braucht. Die Länder sind hier in der Pflicht, und das wird ja auch allgemein als etwas Gutes anerkannt. ({1}) Da muß sich halt jeder beteiligen, nicht nur der Bund. Zu dem Umzug des Bundesverwaltungsgerichts: Dazu steht natürlich noch nichts im Haushalt 1996 drin. Aber zum Glück hat sich ja die Bundesregierung dieses Jahr im Sommer aus der Deckung gewagt. Es gibt nun einen Gesetzentwurf für den geplanten Umzug des Bundesverwaltungsgerichts nach Leipzig. In diesem Gesetzentwurf ist aber ein Mangel erkennbar. Die Wehrdienstsenate, die sich derzeit in München befinden und die zum Bundesverwaltungsgericht gehören, werden von diesem Gesetzentwurf nicht mit erfaßt. Ich weiß, es hat ursprünglich eine Vorlage von der Bundesregierung gegeben, in der sie mit erfaßt wurden. Ich muß an der Stelle in Erinnerung rufen: Das Bundesverwaltungsgericht ist ja in Berlin installiert worden. Die Wehrdienstsenate konnten damals wegen der alliierten Vorbehaltsrechte nicht mit in Berlin installiert werden. Wir haben heute den 9. November; sechs Jahre ist es her, daß die Mauer gefallen ist. Also, es ist ja mittlerweile bekannt, daß Berlin nicht mehr alliierten Vorbehaltsrechten unterliegt. Da also das Bundesverwaltungsgericht nach Leipzig umziehen wird, kann es doch keinen Hinderungsgrund geben, daß auch die zwei Wehrdienstsenate aus München nach Leipzig ziehen. Ich als Leipziger erwarte das und hoffe auch auf eine Mehrheit in diesem Haus dafür. Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist die Reichsgerichtsbibliothek. Das beschließen wir nicht im Bundestag, aber es liegt sehr wohl im Geschäftsbereich der Bundesministerin. Wer sich an die damaligen Diskussionen in der Föderalismuskommission und auch im Bundestag erinnert, weiß, daß der Bundesgerichtshof nicht nach Leipzig umziehen sollte, weil der Bundesgerichtshof angeblich nichts mit Leipzig und dem Reichsgericht zu tun hat. Aber die Reichsgerichtsbibliothek befindet sich zur Zeit in Karlsruhe beim Bundesgerichtshof. Ich bin der Meinung - und als Leipziger erwarte ich das auch -, daß die Bibliothek des ehemaligen Reichsgerichts natürlich an den Standort des ehemaligen Reichsgerichtes zurückkehrt, also nach Leipzig. ({2}) Wenn der Bundesgerichtshof nichts mit dieser Bibliothek zu tun hat: Was steht dem entgegen, daß die Bibliothek dorthin zurückkehrt, wo sie hergekommen ist? ({3}) Das hat übrigens nichts mit einer Wertung des Reichsgerichtes zu tun; ich weiß sehr wohl, wie facettenartig das zu beurteilen ist und wie schlimm auch speziell die zwölf Jahre 1933 bis 1945 waren. Das ist alles klar. Aber wer den Bundesgerichtshof nicht nach Leipzig schaffen wollte, darf auch keinen Anspruch darauf erheben, daß die Reichsgerichtsbibliothek ausgerechnet in Karlsruhe verbleiben soll. ({4}) Ein weiteres Stichwort: die Mauergrundstücke. Ich habe gerade den 9. November 1989 genannt. Ich bin natürlich der Meinung: Jeder in diesem Haus ist gut beraten, nicht nur an diesen 9. November 1989, sondern auch im besonderen an den 9. November 1938 zu denken; denn beide Daten sind untrennbar miteinander verbunden. Ohne das Dritte Reich und die Naziherrschaft hätte es keine deutsche Teilung, keine Mauer und keinen Mauerfall gegeben. Zu den Mauergrundstücken selbst: 40 Jahre lang war die Sache für jeden in diesem Hause, der damals schon hier war, Unrecht. Es war ja auch Unrecht. Heute hat der Bund, hat die Regierung plötzlich auf Grund der Einnahmelöcher Interesse, diese Grundstücke zu versilbern. Sie gehören den ehemaligen Eigentümern. Es war doch Unrecht. Wir können jetzt nicht, nur weil das Geld fehlt, aus Unrecht Recht machen. Einige letzte Worte zur Kritik, die manchmal am Bundesverfassungsgericht laut wird. Mich betrübt das. Je nach Urteil kommt aus verschiedenen politischen Richtungen Kritik am Bundesverfassungsgericht. ({5}) Das sage ich zum gesamten Haus, auch zu meiner Fraktion. Ich bin der Meinung, wir schaden dem Bundesverfassungsgericht, wenn wir es je nach Urteilslage einer Kritik unterziehen. Wir müssen mit Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts leben, ob Sie uns nun passen oder nicht. Zum Abschluß möchte ich mich bei meinen Mitberichterstattern sowie bei der Justizministerin und ihren Mitarbeitern für die Zusammenarbeit herzlich bedanken. ({6})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Manfred Kolbe, Sie haben das Wort.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haushaltsdebatten zu den Einzelplänen Justiz und Bundesverfassungsgericht stehen immer im Spannungsfeld von Gerechtigkeit und Geld. ({0}) Dabei sind wir sicher alle der Überzeugung, daß Gerechtigkeit nicht in Mark und Pfennig aufzuwiegen ist. Der Rechtsstaat darf uns nicht zu teuer sein. Dieser Rechtsstaat ist für die Bundesrepublik Deutschland konstitutiv. Er ist die Grundlage unseres friedlichen Zusammenlebens, unseres wirtschaftlichen Wohlstandes und hat uns - nach der schrecklichsten Katastrophe der deutschen Geschichte von 1933 bis 1945 - wieder zu Ansehen in der Welt verholfen. ({1}) Dennoch müssen wir in einer Haushaltsdebatte dem steuerzahlenden Bürger natürlich auch Rechenschaft über die Kosten dieses Rechtsstaates und der Justiz geben. Meine Damen und Herren, es ist ähnlich wie bei der Gesundheit. Die Gesundheit ist unbezahlbar; trotzdem muß der Kollege Seehofer gelegentlich darauf achten, daß sie nicht tatsächlich unbezahlbar wird. Das gilt ganz besonders vor dem Hintergrund des Konzepts vom „schlanken Staat", das in meiner Fraktion zu Recht vertreten wird. Wir müssen die Verschlankung des Staates betreiben, um den Wirtschaftsstandort Deutschland attraktiver zu machen, der ohne einen entsprechend effektiv organisierten staatlichen Bereich Gefahr läuft, weiter an Attraktivität zu verlieren. ({2}) Man muß mit einem gewissen Erstaunen registrieren, Frau Bundesjustizministerin - ich habe mich diesem Thema „Kosten der Justiz" in den letzten Wochen etwas gewidmet -, daß es überaus schwierig ist, einen Überblick über die Kosten der Justiz in Deutschland zu bekommen. Wir haben hier den Bundeseinzelplan mit 700 Millionen DM Ausgaben. In ihm sind aber auch eine Reihe justizfremder Ausgaben enthalten, etwa die des Patentamtes. Umgekehrt sind eine Reihe von Justizausgaben, das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht in ihm nicht enthalten. Ähnlich ist die Lage in den Ländern. Die Justizhaushalte der Länder haben ein Volumen von 16 Milliarden DM, enthalten aber viele Kosten auch nicht, etwa die ganzen Gebäudekosten oder die Pensionslasten und in einigen Ländern die Verwaltungs- und die Finanzgerichtsbarkeit. Wir wissen also nicht - um es einmal betriebswirtschaftlich zu formulieren, auch wenn das natürlich nicht alles betriebswirtschaftlich gesehen werden darf -: Was kostet beispielsweise ein erstinstanzliches Zivilverfahren in Deutschland? Ich meine, da müssen wir einmal Tatsachenmaterial bekommen. Wir brauchen eine Aufstellung der Kosten der Justiz, die man vielleicht in Ihrem Haus erarbeiten kann, um Transparenz zu gewinnen und der Öffentlichkeit einen Überblick zu geben; denn eine einerseits unbedingt rechtsstaatliche - das betone ich noch einmal -, andererseits aber auch effiziente Justiz ist ein wichtiger Standortfaktor. In Deutschland häufen sich leider die Klagen über zu lang andauernde Verwaltungs- und Gerichtsverfahren und zu hohe Personalkosten. Wir müssen bei dieser Bestandsaufnahme auch einmal einen Blick über unsere Grenzen werfen. Ziehen wir einmal einen Vergleich mit Japan! Es ist ein ähnlich attraktiver Wirtschaftsstandort wie die Bundesrepublik Deutschland. ({3}) Wir haben in Deutschland heute rund 75 000 zugelassene Rechtsanwälte, beschäftigen 20 600 Richter, 5 000 Staatsanwälte und 12 500 Rechtspfleger. Ein vergleichbarer Industriestaat wie Japan kommt bei einer Bevölkerungszahl von 120 Millionen mit 14 000 zugelassenen Rechtsanwälten, 2 800 Richtern und 1 200 Staatsanwälten aus. ({4}) Ich sage jetzt nicht, daß wir überall Japan als Modell nachempfinden müssen, aber wir müssen einmal untersuchen, warum das dort anders geht. Japan ist unbestrittenermaßen kein Hort des Verbrechens, und die Wirtschaft hat dort in den vergangenen Jahrzehnten auch floriert. Mit dieser kurzen Einleitung möchte ich keinesfalls, Frau Ministerin, einer rein betriebswirtschaftlichen Sicht der Justiz das Wort reden, aber die Ökonomie darf auch nicht völlig außen vor bleiben, denn wie die gesamte andere öffentliche Verwaltung hat sich auch die Justiz der Standortdebatte zu stellen. Dabei braucht die deutsche Rechtsordnung keinesfalls Untersuchungen oder Vergleiche zu scheuen; denn gerade in den letzten fünf Jahren hat sie eine große Bewährungsprobe bestanden, und zwar sowohl auf dem Gebiet der Gesetzgebung, auf dem Gebiet des Gerichts- und Behördenaufbaus als auch auf dem Gebiet der Rechtsprechung. ({5}) Der Deutsche Bundestag hat - beginnend mit dem Mammutwerk des Einigungsvertrages - die Rechtsangleichung zwischen Ost und West bewältigt. Während der Ausgangsgrundsatz des Vermögensgesetzes im Osten Deutschlands nach wie vor umstritten bleibt, werden die nachfolgenden Gesetze, zum Beispiel das Sachenrechtsbereinigungsgesetz, das Schuldrechtsbereinigungsgesetz und das Entschädigungsgesetz, überwiegend als sachgerechter Interessenausgleich empfunden und jetzt auch vollzogen, ohne daß größere Probleme auftreten. Besonders begrüße ich es auch, daß wir mit dem jüngsten Regierungsentwurf vom 2. November die Änderung des Rehabilitierungsgesetzes herbeiführen und die Antragsfrist um zwei Jahre verlängern, damit die Opfer der SED-Diktatur ausreichend Gelegenheit haben, die nicht ganz einfachen Antragsformulare zu lesen und noch rechtzeitig die Anträge zu stellen. Es ist ja allgemein in diesem Hause anerkannt, daß die Haushaltspolitiker am meisten arbeiten. ({6}) Aber die Rechtspolitiker haben in den letzten fünf Jahren einen guten zweiten Platz belegt. ({7}) Zum Aufbau der Justiz in den östlichen Ländern: Auch dort wurde in den vergangenen Jahren Großes geleistet. Ich darf einige Zahlen aus Sachsen nennen. Seit Beginn der Personalhilfe im Jahre 1990 bis jetzt, zum Sommer 1995, waren im Wege der Abordnung insgesamt 1 007 Richter und Beamte aus den westlichen Bundesländern beim Aufbau der Justiz in Sachsen tätig. Den Entsendeländern, in Sachsen überwiegend Bayern und Baden-Württemberg, sei hiermit ganz herzlich für diese Aufbauhilfe gedankt, und auch der Bund hat sich mit 300 Millionen DM daran beteiligt. ({8}) Mittlerweile haben wir in Sachsen sogar in einigen Bereichen die Vorreiterfunktion, die wir bis zum Kriege einmal hatten, wiedergewonnen. Die meisten wissen vielleicht nicht, daß der Herr Schönfelder ein sächsischer Amtsgerichtsrat war, der 1938 die Loseblattsammlung erfunden hat, mit der heute alle Juristen arbeiten. ({9}) - Ja, das Nachsortieren ist eine Last, das stimmt, da gebe ich Ihnen recht. Heute haben wir auf einem Gebiet diese Vorreiterfunktion wiedergewonnen, das ist das elektronische Grundbuch. Dessen Echtbetrieb wurde zum 1. August 1995 beim Grundbuchamt Dresden aufgenommen. ({10}) Als erstes deutsches Land speichert Sachsen die Grundbuchdaten in einer entsprechend gesicherten Datenzentrale mit elektronischer Direktverbindung zu allen sächsischen Grundbuchämtern, was große Vorteile für Notare, Kreditinstitute und Behörden bringt. ({11}) - So ist es, Herr Geis. Herr Kollege Weißgerber hat dann die Verlagerung der Bundesgerichte angesprochen. Endlich sind die Gesetzentwürfe dazu von der Bundesregierung eingebracht worden. Das Bundesarbeitsgericht wird nach Erfurt umziehen, das Bundesverwaltungsgericht und BGH-Senate nach Leipzig. In bezug auf die Bibliothek des ehemaligen Reichsgerichts in Leipzig kann ich mich den Ausführungen des Kollegen Weißgerber nur ausdrücklich anschließen: Die Bücher sind Kunstgegenstände. Die Bibliothek enthält - wir haben uns das angeschaut - bibliophile Handschriften, die für die tägliche Arbeit des Bundesgerichtshofs keine notwendige Voraussetzung sind. Diese Kunstgegenstände wurden in Leipzig zusammengetragen und gehören auch wieder nach Leipzig. Frau Ministerin, wir werden die Verlagerung mit aller Entschiedenheit betreiben. Ich hoffe sehr auf Ihre Unterstützung, damit die Bibliothek wieder am historischen Sitz in Leipzig ihren Platz bekommt. Denn sie hat nichts mit der täglichen Arbeit des Bundesgerichtshofes zu tun. - Wenn Sie, Herr Bohl, dem auch noch zustimmen, ist es noch besser. ({12}) Die deutsche Rechtsordnung hat ihre Bewährungsprobe nicht nur im Inland bestanden; sie genießt auch über die deutschen Grenzen hinaus Anerkennung. Insbesondere in den neuen Staaten Mittel- und Osteuropas ist sie heute vielerorts Vorbild. Um die Zusammenarbeit zu befördern, wurde 1992 vom damaligen Bundesjustizminister Kinkel die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit e. V. gegründet, die seitdem insgesamt 359 Projekte im Bereich der Gesetzgebungsberatung und der Aus- und Fortbildung von Juristen durchgeführt hat. Besonders erfolgreiche Projekte waren das Zivilgesetzbuch der Russischen Föderation, das zum 1. Januar 1995 in Kraft getreten ist und sich am kontinentaleuropäischen, insbesondere am deutschen Recht orientiert, und das estnische Handelsgesetzbuch. In bezug auf Letzteres werden die beiden anderen baltischen Staaten wohl folgen. ({13}) Bisher wurden für diese Stiftung Projektkosten in Höhe von 7,13 Millionen DM verausgabt, von denen ein knappes Viertel von der Wirtschaft aufgebracht wurde. ({14}) Die Arbeit dieser Stiftung erachten alle Berichterstatter - ich glaube, ich kann da auch für den Kollegen Weißgerber und die beiden anderen sprechen - als äußerst bedeutsam, weil in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion der demokratische Rechtsstaat leider keinerlei Tradition besitzt und deshalb ein großes Interesse an der Vermittlung europäischer Rechtstraditionen besteht. Wir müssen die Demokraten in diesen Ländern unterstützen, damit es keinen Rückfall in faschistoide oder kommunistoide Herrschaftssysteme gibt. ({15}) - Man fragt sich in der Tat, wozu Herr Schirinowski gehört. ({16}) Die Kosten einer Lage erneuter militärischer Spannung wären um das Hundert- bis Tausendfache höher als die relativ geringen Kosten dieser Stiftung. ({17}) Selbst wenn diese Stiftung noch einige Jahre arbeitet, kostet sie weniger Geld als ein einziger Flügel des Eurofighters. ({18}) Deshalb sollten wir an dieser Stiftung festhalten und sie - das ist meine persönliche Meinung - auch durchaus als eine längerfristige Einrichtung in Betracht ziehen. Die Berichterstatter haben den kw-Vermerk jedenfalls zunächst einmal von 1998 auf 1999 verschoben, wobei wir nicht verhehlen, daß wir uns eine noch stärkere Beteiligung der Wirtschaft wünschen, bis zu der ursprünglich angedachten hälftigen Kostenbeteiligung. ({19}) Damit sind wir beim Einzelplan 07 des Bundeshaushalts angelangt. Sein Ausgabevolumen beträgt 698 Millionen DM. Davon sind 379 Millionen DM durch eigene Einnahmen gedeckt. Der Einzelplan entspricht 0,14 Prozent des Gesamthaushalts. Damit läßt sich der Bundeshaushalt natürlich nicht strukturell verändern - der Kollege Weißgerber hat das schon gesagt -; wir haben aber einen Beitrag erbracht: Wir haben die Einnahmen um 4,5 Prozent erhöht und bei den Ausgaben 1,9 Prozent eingespart. Trotzdem verliefen die Verhandlungen in freundschaftlicher Atmosphäre. Ich darf mich bei allen Beteiligten bedanken. Es hat keine größeren Meinungsverschiedenheiten gegeben. Aber die großen Streitfragen der bundesdeutschen Finanzpolitik haben natürlich auch in diesem kleinen Haushalt ihren Niederschlag gefunden, etwa das Bund-Länder-Verhältnis. Als Bundesfinanzpolitiker müssen wir feststellen, daß der Bund im Laufe der letzten Jahrzehnte gegenüber den Ländern Terrain verloren hat. 1960 standen dem Bund 53 Prozent der Steuereinnahmen zu, den Ländern 29 Prozent. 1996 stehen dem Bund noch 43 Prozent zu, den Ländern 39 Prozent. Aus einem Abstand von über 20 Prozent zugunsten des Bundes ist also in über 30 Jahren nahezu ein Gleichstand geworden. Die Länder haben folglich dem Bund Terrain abgenommen, zuletzt in den Solidarpaktverhandlungen 1993. Als Berichterstatter müssen wir deshalb alle darauf achten, daß der Bund nicht Länderaufgaben finanziert. An dieser Stelle spreche ich das Servicebüro für Täter-Opfer-Ausgleich der Deutschen Bewährungshilfe e. V. in Bonn an, das Sie, Herr Kollege Weißgerber, erwähnt haben. Die Arbeitsaufnahme fand 1992 statt. Der Bund hat drei Jahre lang die Anfangsfinanzierung in Höhe von 300 000 DM übernommen. Jetzt meinen wir, eine hälftige Finanzierung sei angebracht. Der Bund hat seine Hälfte eingestellt, aber - man höre und staune - einige Länder machen nicht mit. Das Saarland verweigert eine Beteiligung in Höhe von 1935 DM. Vielleicht rufen Sie einmal Herrn Lafontaine an, Herr Weißgerber. Die Hansestadt Hamburg verweigert eine Beteiligung von 3 700 DM; und auch Hessen verweigert seine Beteiligung. Herr Beck, auch Sie werden diesen Zustand nachher sicherlich beklagen. Ich frage Sie: Wer ist Justizminister in Hessen? Vielleicht rufen Sie nach Ihrer Rede dort einmal an. ({20}) Wir vom Bund sind gerne bereit, dieses Büro weiter zu unterstützen, aber auf der Grundlage hälftiger Beteiligung. Sie können hier nicht einerseits die Nichtfinanzierung beklagen, wenn sich dann andererseits Ihr Kollege, der Justizminister in Hessen, weigert. Das gleiche gilt hinsichtlich des Bund-Länder-Verhältnisses beim Institut für Ostrecht München. Auch dort haben wir eine Finanzierungsbeteiligung des Sitzlandes, die im Augenblick noch nicht ausreichend ist. Wir müssen auch da zu einer prozentualen Beteiligung Bayerns kommen. Die Berichterstatter stellen sich 25 Prozent vor; deshalb haben wir einen entsprechenden Ansatz gesperrt. Damit möchte ich schließen. Ich bitte Sie, diesem Einzelplan 07 zuzustimmen. Mit ihm leisten wir einen Beitrag zur finanziellen Konsolidierung und zur Stärkung des Bundes. Ebenfalls bitte ich, dem Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - zuzustimmen, wozu meine beiden Nachfolgeredner aus der Union sicherlich noch einige Worte sagen werden. Vielen Dank. ({21})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem sächsisch-badischen Streit will ich als Kölner nicht Stellung nehmen; deshalb zu einem anderen Thema: Uns ist der jüngste Kreuzzug noch frisch in Erinnerung, als Christlich-Soziale und Christdemokraten wacker gegen das Kruzifix-Urteil ins Feld zogen. Uns wurde nachdrücklich vor Augen geführt, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, daß viele von Ihnen bereit sind, für den vermeintlich rechten GlauVolker Beck ({0}) ben die Rechtsordnung mit Füßen zu treten. Nun liegen Sie schon wieder im Schützengraben vor Karlsruhe, aufgerüstet zur politischen Verteidigungsschlacht, wild entschlossen, die Soldaten mit Zähnen und Klauen vor den gefährlichen Pazifisten zu beschützen. Das läßt nichts Gutes ahnen. Angesichts der Aufgeregtheit über Kruzifix- und Soldatenurteil verwundert es schon fast, daß niemand von Ihnen auf die Idee gekommen ist, das Bundesverfassungsgericht gleich aus dem Bundeshaushalt herauszustreichen. Schließlich könnten Sie damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Endlich könnte man Probleme allein nach politischen Mehrheiten entscheiden, wo Ihnen doch jetzt die Verfassung zunehmend lästiger wird. Außerdem käme noch ein bißchen Geld in Waigels schwarze Löcher. Ich weiß, so weit wollen Sie doch nicht gehen, und ich will Sie hier keinesfalls auf dumme Gedanken bringen. Jetzt im Ernst: Wer gegen das Soldatenurteil ein neues Trommelfeuer der Kritik entfacht, muß sich die schlichten Fakten vorhalten lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Soldaten keineswegs für vogelfrei erklärt. Es geht nicht darum, ob ein Satz über Soldaten richtig oder falsch ist; es geht darum, ob ein solcher Satz bestraft werden kann. ({1}) Die Entscheidung stellt klar, daß das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht nur für die Auffassungen Geltung beanspruchen kann, die auch des Kanzlers Wohlgefallen finden. Die Botschaft lautet: Man darf in Deutschland nicht nur Pazifist sein, man darf dies auch zeigen und - auch drastisch - sagen. Das Bundesverfassungsgericht gibt die Erlaubnis dazu, weil sonst die Meinungsfreiheit nicht viel wert wäre. Meine Damen und Herren, der demokratische Gehalt eines Gemeinwesens bestimmt sich darin, welchen Schutz politische und gesellschaftliche Minderheiten genießen. Bürgerrechte und Gerechtigkeit werden hier aber zunehmend als Kostenfaktor angesehen, als Luxus, der in Zeiten leerer Kassen beliebig disponierbar ist. Ein Rechtsstaat, der seinen Namen verdient, ist aber nicht zum Nulltarif zu haben. Rechtsstaatlichkeit und Demokratie haben ihren Preis. ({2}) Rechtsstaatliche Entscheidungen kosten auch Zeit. Die Koalition will das immer weniger wahrhaben. Sie steht damit aber leider nicht allein. Viele Justizminister der Länder üben einen immensen Druck auf den Bund und auch auf den Rechtsausschuß des Bundestages aus und rufen ständig nach mehr „Rechtspflegeentlastung". Die diskutierten „Therapiemaßnahmen" wie etwa weitere Einschränkungen des Beweisantragsrechts oder einschneidende Änderungen im Rechtsmittelrecht - sie alle taugen nichts. „Verkürzungen" und fixere Urteile sind sicherlich technisch realisierbar, aber um welchen Preis? Verkürzte Prozesse sind gefährlich nah am kurzen Prozeß. Ich sage hier klar und deutlich: Bündnis 90/Die Grünen werden gegen weitere Einschnitte in das Strafprozeßrecht entschiedenen Widerstand leisten. ({3}) Lassen Sie uns lieber gemeinsam nach rechtsstaatlich sauberen Lösungen zur Justizentlastung suchen. Dazu zählen: Vereinfachungen im Zivil- und Verwaltungsrecht, die Stärkung außergerichtlicher Einigung und Alternativen zum Strafrecht. Aber hier zeigt sich die Regierung schlichtweg denkfaul. Wie oft haben wir schon organisatorische Veränderungen im Justizwesen gefordert, die nicht zugleich Einschränkungen des Rechtsschutzes beinhalten! Hiermit meinen wir nicht etwa nur die Anschaffung von ein paar Computern, sondern eine grundlegende Reform der Arbeitsabläufe im Justizbereich. ({4}) Das Kienbaum-Gutachten hat auf vielfältige Mißstände hingewiesen. Und was geschieht nun damit? - Nichts! Nichts davon ist auch nur ansatzweise umgesetzt. Meine Damen und Herren, wir Grüne haben die Bundesregierung x-mal aufgefordert, eine Bestandsaufnahme über die Auswirkungen der Gesetzgebungsverfahren der letzten Jahre vorzunehmen. Aber da stellen Sie sich taub. Wenn wir Sie etwa zu den Auswirkungen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes befragen, bekommen wir auf jede zweite Frage stereotyp zu hören: „Erkenntnisse hierüber liegen der Bundesregierung nicht vor". So ist das nämlich: Sie wissen gar nicht, ob Ihre bisherigen Maßnahmen irgend etwas bewirkt haben. Und jetzt schreien viele aus dem Regierungslager schon wieder nach neuen Einschnitten in das Rechtssystem. Das ist Rechtspolitik ins Blaue hinein. Das ist schlichtweg unverantwortlich. ({5}) Meine Damen und Herren, wir Bündnisgrünen sind durchaus für Justizentlastung, solange sie intelligent ist. Sobald es aber gilt, eine innovative Rechtspolitik zu erproben, verläßt auch die liberale Justizministerin gänzlich der Mut. Meine Partei hat konkrete - erste - Schritte vorgeschlagen, wie zum Beispiel Bagatellkriminalität sanktioniert werden kann, ohne gleich zur Strafrechtskeule zu greifen. Wir wollen, daß Wiedergutmachung Vorrang vor Strafe erhält. Wir wollen eine Entschärfung der Drogenproblematik durch einen humaneren Umgang mit Abhängigen. Zusammen mit einer Vielzahl von Fachleuten und Praktikern aus der Drogenhilfe fordern wir die Freigabe weicher und die kontrollierte Abgabe harter Drogen. ({6}) Aber die Bundesregierung blockt jeden sachlichen Dialog über Drogen- und Kriminalpolitik ab. Sie könVolker Beck ({7}) nen nur die Ängste der Bürgerinnen und Bürger schüren. ({8}) Meine Damen und Herren, mit Ihrer Verweigerungsstrategie betreiben Sie die Vergeudung von Ressourcen bei Polizei und Justiz. Und noch schlimmer: Sie nehmen aus ideologischen Gründen die massenhafte Verelendung von Drogenabhängigen bewußt in Kauf. Das gesamte Sanktionenrecht bedarf dringend einer Überprüfung. In Deutschland wird wieder viel zu lang und zu oft verhaftet. Der Täter-Opfer-Ausgleich muß ausgebaut und auf eine sichere rechtliche Grundlage gestellt werden. Doch gerade diesem einzigen innovativen Instrument der Rechtspolitik drehen Sie nun den Geldhahn zu. Die Bundesregierung sieht sich nicht in der Lage, das Koordinationsbüro für den Täter-Opfer-Ausgleich weiterhin mit läppischen 300 000 DM zu finanzieren. - Ich muß Ihnen sagen: Im Täter-OpferAusgleich tragen die Länder die Hauptlast, sie finanzieren nämlich die Träger des Täter-Opfer-Ausgleichs. - Das ist fürwahr ein Armutszeugnis. Ich hoffe aber gleichwohl auf eine konzertierte Rettungsaktion der Länder. Wenn Sie, Herr Kolbe, vielleicht Herrn Stoiber anrufen, dann werde ich es einmal bei Herrn von Plottnitz versuchen. Vielleicht kommen wir dann beide zu einem guten Ergebnis für den Täter-Opfer-Ausgleich. ({9})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Beck, möglicherweise will sich der Kollege Kolbe nach dem Inhalt des Anrufs erkundigen. Er will eine Frage stellen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Beck, wenn schon der Betrag von 300 000 DM, den der Bund bereitstellen soll, läppisch ist, darf ich Sie fragen, warum das Land Hessen, dem es nicht viel schlechtergeht als dem Bund, nicht bereit ist, den noch läppischeren Betrag von 10 845,00 DM bereitzustellen. Das Land Hessen gehört zu den sechs Ländern, die sich noch nicht dazu bereit erklärt haben; zehn andere haben sich bereit erklärt. Sie wissen auch, wer Justizminister in Hessen ist.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kolbe, ich habe diese Frage gerade angesprochen. Ich werde mich dafür einsetzen, daß dieser Betrag bereitgestellt wird. Wir mußten erst einmal abwarten, wie der Bundeshaushalt ausgeht. ({0}) Sie wissen, daß Bayern einen langen - und meines Erachtens sogar richtig begründeten - Brief an den Bund geschickt hat, in dem steht, warum die Länder eigentlich nicht unbedingt Geld bereitstellen müssen. Es geht darum, daß der Täter-Opfer-Ausgleich von den Staatsanwaltschaften nur angenommen wird, wenn wir bei den Trägern gewisse Standards und in der Praxis des Täter-Opfer-Ausgleichs auch eine gewisse Rechtseinheitlichkeit gewährleisten. Diese Koordinierungsaufgabe ist auf Bundesebene zu leisten und nicht von den Ländern; denn das Problem stellt sich nun einmal bundesweit. Die Länder müssen ohnehin schon unheimlich viel investieren. Ich habe kürzlich mit Frau Riedel aus SachsenAnhalt gesprochen. Dabei ging es darum, wieviel das Land Sachsen-Anhalt investieren muß, damit der Täter-Opfer-Ausgleich durchgeführt werden kann. Das ist eine Menge Geld, die da in dieses Instrument investiert werden muß. Im Verhältnis dazu sind die 300 000 DM tatsächlich läppisch. Ich verstehe nicht, warum wir um 150 000 DM ringen. Am Ende wird vielleicht noch ab 1. Januar die Existenz des Büros durch Ihren Sperrvermerk, den Sie hinzugefügt haben, überhaupt in Frage gestellt. Das finde ich wirklich gefährlich; denn dann hat man im Verbrechensbekämpfungsgesetz in diesem Punkt totes Recht geschaffen. Bei anderen Punkten dieses Gesetzes würde ich das wesentlich leichter verkraften. Aber bei diesem Punkt wäre mir schon daran gelegen, das innovative Element auszubauen und die Staatsanwaltschaften durch Einheitlichkeit zu motivieren, dieses Instrument anzunehmen und davon Gebrauch zu machen, weil dadurch ein zivilerer Umgang mit Straftätern möglich ist als mit dem Strafrecht, um einen Ausgleich für Täter und Opfer zu finden. ({1}) In diesem Sinne hoffe ich, daß wir beide, Herr Kolbe, vorankommen. Meine Damen und Herren, das ist nicht der einzige Punkt, der meiner Meinung nach zeigt, daß es in der Rechtspolitik der Liberalen ziemlich finster aussieht. Inzwischen zeigt sich auch, daß offensichtlich rechtsstaatswidrige Instrumentarien wie Kronzeugenregelung und Hauptverhandlungshaft von der F.D.P. selbst forciert werden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, sind Sie bereit, auch eine Frage des Kollegen Schauerte zu beantworten?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Beck, Sie haben gerade mit so großer Wärme und Verständnis von dem Urteil gesprochen, nach dem gesagt werden darf, Soldaten seien Mörder. Ich möchte Sie unter Bezugnahme auf dieses Urteil und auf das Tucholsky-Zitat fragen: Was sagen Sie dazu, wenn Soldaten sagen „Verfassungsrichter sind Rufmörder"? Und was sagen Sie dazu, wenn ich sage „Grüne sind Mörder"?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Werter Kollege, solche Beschimpfungen haben wir schon aushalten müssen. Wir haben sie überstanden; wir haben sie verkraftet. Durch dergleichen Ausgrenzungen sind wir immer stärker geworden. Ich bin prinzipiell, obwohl auch ich Vertreter einer Minderheit in dieser Gesellschaft bin, gegen Meinungsstrafrecht. Ich finde es ganz schwierig, da vernünftige Abgrenzungen zu finden. Mir wäre weitaus wohler, wenn wir als Gesetzgeber selber zurückbauen würden, anstatt neue Straftatbestände zu schaffen. Es gibt in dieser Gesellschaft doch andere Möglichkeiten, zu reagieren, um unmögliche Äußerungen zurückzuweisen, als das immer nur durch den Strafrichter zu tun. ({0}) Wir haben doch alle eine Stimme. Ich halte die pauschale Verurteilung „Soldaten sind Mörder" nicht für tragbar. ({1}) Ich teile diese Ansicht nicht. Trotzdem, so finde ich, muß man das aus einer bestimmten radikalpazifistischen oder einer christlich-religiösen Überzeugung sagen dürfen, die nicht alle teilen müssen, die es aber gibt. ({2}) Für Menschen dieser Überzeugung ist jede Tötung, egal aus welcher Motivation heraus, Mord. Wenn das ihre innerste Überzeugung ist, bin ich dafür, daß sie das sagen dürfen, auch wenn ich ihre Ansicht nicht teile und sie mit Ihnen zurückweise, weil ich das zu pauschal finde. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Der Kollege Eylmann möchte eine Frage stellen.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Beck, ich habe gerade gelesen, daß in den Schulen in Norwegen das Pflichtfach Höflichkeit eingeführt wird. Könnte es nicht sein, daß der um sich greifende rüpelhafte Ton in unserem Lande, insbesondere was die politische Auseinandersetzung angeht, ({0}) auf Dauer gefährliche Auswirkungen auf das Funktionieren unserer Demokratie hat?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin sicher mit Ihnen dafür, daß wir in diesem Hause gesittet und höflich miteinander umgehen und somit vorbildhaft für die gesamte Gesellschaft wirken. Das ist leider nicht immer der Fall. Ich weiß aber nicht, ob ein Pflichtfach Höflichkeit bei Jugendlichen Entsprechendes bewirken wird. Ich bin dafür, daß wir in dieser Gesellschaft lernen, uns gegenseitig mit unseren unterschiedlichen Ansichten, sofern es sich um demokratische Ansichten handelt, zu respektieren. Ich bin dafür, daß wir lernen, auszuhalten, daß wir nicht immer einer Meinung sind und manchmal ganz andere Weltsichten haben. Ich bin dafür, daß wir nicht anfangen, in bestimmten Bereichen mit dem Strafrecht die Meinung der Mehrheit zu einem geschützten Rechtsgut zu erklären und damit die Meinung der Minderheiten in die Strafbarkeit zu drängen. Das sehe ich so bei dem Soldatenurteil. Das sehe ich genauso bei der Frage des Gotteslästerungsparagraphen, bei dem wir sicher auch ganz unterschiedliche rechtspolitische Anschauungen haben, über die wir demnächst hier noch diskutieren werden. Solche Sachen haben im Strafrecht nichts zu suchen. Ich denke, die Gesellschaft muß darauf reagieren. Darüber, ob das Vorhaben in Norwegen das geeignete Mittel ist, müssen wir im Fachausschuß noch einmal reden. Dazu habe ich noch keine abschließende Meinung, dahinter setze ich aber ein großes Fragezeichen. ({0}) Ich möchte jetzt etwas zur Hauptverhandlungshaft sagen. - Zu den Instrumenten Hauptverhandlungshaft und Kronzeugenregelung bekennt sich die F.D.P. in der Zwischenzeit offensichtlich mit Verve. - Herr Hirsch hat in der letzten Woche zu meiner großen Verblüffung die Hauptverhandlungshaft zu einem „Kernstück liberaler Rechtspolitik" erklärt, obwohl ich sie als rechtsstaatswidrig erachte. ({1}) Da hat Ihr Kollege Hirsch einen kapitalen Bock geschossen. ({2}) Von liberaler Rechtspolitik keine Spur mehr. So schnell kann man gar nicht wegschauen, wie Sie überall umfallen. Das gleiche Spiel scheint sich leider auch beim großen Lauschangriff anzubahnen. ({3}) - Ich kann Ihnen das nicht ersparen, Frau Albowitz. Meine Damen und Herren von der F.D.P., was Sie betreiben ist Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Pech nur, daß Ihnen niemand nachtrauern wird. ({4}) Frau Leutheusser-Schnarrenberger, was machen Sie denn, wenn sich Herr Gerhardt nach der Mitgliederbefragung an die Spitze der Lauscherbewegung stellt? Dann müssen Sie doch eigentlich Ihre Koffer packen! Volker Beck ({5}) Noch ein Wort an Herrn Gerhardt: Geben Sie sich keine Mühe! An Ihren Vorgänger mit den großen Ohren reichen Sie einfach nicht heran. Da können Sie noch so eifrig lauschen, lauschen und lauschen. Nicht nur zwischen F.D.P. und Union verwischen sich die Grenzen, auch die SPD fällt zunehmend als Rechtsstaatspartei aus. Die Sozialdemokratie sucht inzwischen lieber krampfhaft nach „nationalen Themen", die SPD stimmt ein in den Law-and-orderChor. Da kämpft zum Beispiel die Große Koalition in Baden-Württemberg an vorderster Front für den großen Lauschangriff. Da schlägt die SPD ein dubioses Vermögenseinziehungsgesetz vor, das die Polizei ohne gerichtliche Verurteilung zur Beschlagnahme ermächtigt. Ein weiterer Sündenfall der SPD: In seiner letzten Sitzungswoche hat der Bundesrat mit vielen Stimmen aus SPD-Ländern einen Gesetzentwurf zur Korruptionsbekämpfung beschlossen. Er enthält erweiterte Telefonüberwachung, Strafbarkeitsausweitungen, und auch die Kronzeugenregelung ist vorgesehen. Das hat mich sehr verblüfft. Ich finde es pikant, daß die SPD-Bundestagsfraktion mit uns so heftig gegen die Kronzeugenregelung kämpft, in den Ländern aber ganz anderes geschieht. Der Kollege Professor Meyer hat vor wenigen Wochen im Bundestag völlig zutreffend ausgeführt, daß es des Rechtsstaates unwürdig ist, einen Handel mit Kriminellen einzugehen, deren Glaubwürdigkeit zudem gering ist, weil sie zur Erlangung der Straffreiheit ihre ehemaligen Komplizen belasten müßten. Lieber Kollege Meyer, können Sie dieses Argument nicht auch Ihren SPD-Freunden in den Ländern nahebringen? Die brauchen da, glaube ich, dringend Nachhilfe. ({6}) Außer der Tatsache, daß man bei der SPD selten weiß, woran man ist, offenbart dieser Bundesratsentwurf hauptsächlich eines: Das Strafrecht soll weiterhin als Hauptsteuerungselement gegen gesellschaftliche Fehlentwicklungen mißbraucht werden. Sie können doch nicht ernsthaft so tun, als sei Korruption im wesentlichen auf unzureichende Strafbestimmungen zurückzuführen. Ansatzpunkt muß doch die Vorbeugung sein! Hierzu bedarf es zunächst einmal organisatorischer Veränderungen. Da gibt es noch jede Menge Reformpotential. Zum Schluß, meine Damen und Herren: Wir lehnen den Justizhaushalt ab. Wir sind gegen eine Politik, die den Ausverkauf des Rechtsstaates betreibt. Auch wenn die F.D.P. in Torschlußpanik einen rechtspolitischen Winterschlußverkauf veranstaltet: Grundrechte wie die Unverletzlichkeit der Wohnung oder rechtsstaatliche Grundsätze wie die Unschuldsvermutung dürfen nicht auf dem Wühltisch landen. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Kollegen Detlef Kleinert das Wort.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Eine neue strategische Grundidee ist offenbar - wie manches andere - in Kreisen der Grünen schriftlich mitgeteilt worden. Aber wir machen uns schon unsere eigenen Gedanken und sind in der glücklichen Lage, dabei auf eine etwas längere Tradition - zwar mit einigen Fehlentwicklungen, aber mit mehr Verdiensten für den Rechtsstaat, als Sie sich je erwerben können - zurückblicken zu können. ({0}) Für uns kommt es in erster Linie darauf an, daß wir - wissend, daß wir in einer langen Tradition der Rechtsentwicklung stehen - versuchen, mit der Bundesjustizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, für eine behutsame Weiterentwicklung des Rechts zu sorgen und Brüche, die wirklich diesen Namen verdienen, zu verhindern. Auch wenn der hier mehrfach erwähnte Herr von Plottnitz seinen Verpflichtungen nicht nachkommt - die Mittel dafür könnte er durch Personaleinsparungen im Bereich des grünen Personalkarussells in Hessen gewinnen -, so läßt er es sich andererseits nicht nehmen, Rundschreiben an die Richter und Staatsanwälte zu schicken und anzuregen, daß sie doch möglichst oft von der Möglichkeit Gebrauch machen, erst gar nicht zur Anklage bzw. zur Verurteilung zu kommen. Das ist für einen Justizminister ein reichlich ungewöhnliches Verhalten, und zwar unter mehreren Gesichtspunkten. ({1}) Hierzu kann er sich dann auch mal in seinem Kollegenkreis Rat holen. Ich glaube nicht, daß wir uns heute im einzelnen mit den soeben - auf diese Weise, Herr Beck, kommen Sie sicher am besten zurecht - hingeworfenen beleidigenden Angriffen zu dieser und jener Rechtsfrage beschäftigen sollten. Wir werden das in den Einzeldebatten zu den Vorschlägen, die hier gemacht worden sind, die eingebracht worden sind, in aller Ruhe tun. Wir sind ganz sicher, daß wir Ihnen sehr wichtige Hinweise dazu geben können, was wirklich in rechtsstaatliche Ordnungen gehört und was dem Rechtsstaat als Ganzem - wohlverstanden: ganzheitlich betrachtet - dient. Darum werden wir uns wie das Bundesministerium der Justiz auch weiterhin bemühen. Ich bin dankbar, daß Herr Kolbe bei der allgemeinen sächsischen Begeisterung nicht auch gleich noch den „Sachsenspiegel" vereinnahmt hat. Denn damals hieß das Gebiet des Landes Sachsen noch nicht so. Es handelt sich um eine Entwicklung des Herrn Eike von Rebgow, die sich auf niedersächsischem Kernboden zugetragen hat. Das muß bei der Gelegenheit gesagt werden. ({2}) Aber Sie haben es ja auch nicht versucht, obwohl der Name - das räume ich ein - dazu hätte verleiten können. Detlef Kleinert ({3}) Der Einzelplan 07 ist mit 0,14 Prozent des gesamten Haushaltsvolumens, wie wir hier gelernt haben, nun wahrlich eine sehr bescheidene Position. Wie alle Jahre wieder wollen wir dennoch den im Ministerium tätigen Beamten, der Frau Bundesjustizministerin und natürlich auch ihrem Staatssekretär - wenn er nun da ist ({4}) sehr herzlich für diese besondere Sparsamkeit danken. ({5}) Aber unser Dank gilt weniger diesem finanziell nun wirklich nicht überzubewertenden Vorgang, sondern der Arbeit, die dort im Sinne dessen geleistet wird, was ich eben schon auszuführen mich bemüht hatte: einer behutsamen Weiterentwicklung des Rechts. Nichts in der Rechtspolitik ist hier Stunde Null. Verbrechensbekämpfungsvorschriften, einzelne Bestimmungen, um besonderen Situationen begegnen zu können, sind doch nicht erst in dieser Koalition zwischen CDU/CSU und F.D.P. eingebracht worden. Auch in der sozialliberalen Koalition mußten einige Maßnahmen getroffen werden, die uns gar nicht gut gefallen haben. Ich erinnere nur an die lange und schwierige Auseinandersetzung um die Kontaktsperre, bei der sich alle Beteiligten viel Mühe gegeben haben und mit der man eigentlich nie zufrieden sein konnte. Ich weiß noch, Herr Schily, daß wir uns darüber zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Fasanenstraße vor einem größeren und ziemlich aufgeregten kollegialen Publikum unterhalten haben. Es hat allen keine Freude gemacht; es mußte sein. Und der Rechtsstaat ist nicht zerbrochen, weil man sich bei den Umständen des Vorgehens sehr wohl bewußt war, wofür wir alle gemeinsam hier stehen. Wenn wir bei Gemeinsamkeiten sind, dann möchte ich - ganz im Sinne dessen, was Herr Eylmann hier schon in der Zwischenfrage anklingen ließ - nur eines anfügen: Es ist mit dem Strafrecht als Ultima ratio wirklich so eine Sache, gerade wenn es um die Art geht, in der wir mit unseren Mitmenschen umgehen. Beleidigung und Verleumdung als Straftat sind eine Ultima ratio. Es wäre viel besser, alle würden sich so benehmen, wie man sich eben benimmt. ({6}) Im krassen Gegensatz zur ständigen Verniedlichung, Verweichlichung und Euphemisierung aller möglichen Berufsbezeichnungen - ich will das hier gar nicht ausführen; das Beispiel „Raumpflegerinnen" ist ja nur eines von vielen bekannten - haben wir es in der politischen Diskussion mit ständiger Verschärfung in der Auseinandersetzung zu tun, ohne daß sichtbar wäre, daß dadurch irgendein Gedanke klarer zum Ausdruck käme. Sonst hätte man ja sofort Verständnis für die Grobheiten, die nun neuerdings auch noch als ein besonders hehres Verfassungsrecht dargestellt werden sollen. Die Einzelheiten des in Rede stehenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts sind sehr sorgfältig zu berücksichtigen und abzuwägen. Aber die grundsätzliche Bemerkung muß doch gestattet sein: Es würde uns allen besser tun, wenn wir in der Sache sauber, deutlich und klar miteinander sprächen. Warum das in rüpelhafter Weise geschehen muß und warum dieser Eindruck in der Öffentlichkeit erweckt werden muß, das ist eine ganz andere Frage. Sie wird uns nicht zum letzten Mal beschäftigt haben, wie ich fürchte. Nachbessern müssen wir an den Dingen, die inzwischen geschehen sind. Es gibt einige Fragen zum Verbrechensbekämpfungsgesetz. Aber noch gibt die Bundesregierung Ihnen keine Auskunft, Herr Beck, weil seriöserweise eine gewisse Zeit abgewartet werden muß, bis Erfahrungen vorliegen. Doch wenn man Erfahrungen hat, muß auch nachgebessert werden. Das gilt auch für das Geldwäschegesetz. Das gilt für die neuerdings so gravierend aufgetretenen Korruptionsdelikte. Da werden wir uns im eingangs dargestellten Sinne sorgfältig bemühen weiterzukommen: ganz pfleglich und behutsam. Was sein muß, muß sein, aber mehr auch wirklich nicht! ({7}) Das gilt auch für die anderen hier angesprochenen Dinge. Um so dankenswerter ist es, wenn nun wieder einmal ein recht umfangreiches Gesetzgebungsvorhaben vom Bundesjustizministerium vorgelegt wird, bei dem es sich um die umfassende Aufarbeitung seit langem angewachsener Probleme im Kindschaftsrecht handelt. Ich finde den Entwurf, der jetzt in das Bundeskabinett eingebracht werden soll und den wir in absehbarer Zeit zu beraten haben werden, nicht nur wichtig und im wesentlichen gut, sondern ich finde ihn auch deshalb bemerkenswert, weil er zeigt, daß man nach einer längeren Zeit unter geänderten gesellschaftlichen Bedingungen den Mut zur Reform hat. Daß uneheliche Kinder unter gesellschaftlich mißbilligten Verhaltensweisen ihrer Eltern - früher wohl mehr als heute - schon von der Bezeichnung angefangen ihr ganzes Leben leiden sollen, ist beim besten Willen nicht mehr einzusehen. ({8}) Daß sich dieser Umstand in ihre Rechtsverhältnisse hinein fortsetzt - beim Erbrecht, beim Sorgerecht usw. - und daß wir die Verantwortung der mündigen Bürger gerade an dieser wichtigen Stelle nicht ansprechen, ist genausowenig einzusehen. Ich möchte ausdrücklich dafür danken, daß das jetzt umfassend angegangen wird. ({9}) Danken möchte ich eigentlich auch für die Einladung, die eine Reihe der hier Anwesenden für heute abend bekommen haben. Die Gastfreundschaft des Landes Sachsen-Anhalt und seiner Justizministerin ist uns wertvoll. Es hätten allerdings diejenigen, die Detlef Kleinert ({10}) sich heute abend dort zu versammeln gedenken, auch schon Gelegenheit gehabt, hier Platz zu nehmen und die Diskussion bereits einleitend mit uns gemeinsam zu führen. ({11}) Deshalb weiß ich nicht recht, ob die Einladung heute abend so erfolgversprechend sein wird. Warum soll ich mich nicht einmal Herrn Beck anschließen und sagen: Wir haben nun mehrfach und deutlich an dieser Stelle erklärt, daß man sich das Kienbaum-Gutachten nicht nur unter das Kopfkissen legen soll, sondern möglichst auch vor die Nase nehmen und anschließend in den Ländern nach dem Rechten schauen soll. Die Haupttätigkeit der Länderjustizminister sollte sich nicht in Bonn abspielen, in Form umfangreicher Darlegungen darüber, was wir alles im Gesetzentwurf noch zu regeln hätten, sondern in den Ländern mit tatkräftigen Werken zur Verbesserung der Gerichtsorganisation. ({12}) Deshalb hält sich unsere Dankbarkeit an Frau Ministerin Schubert heute abend in gewissen Grenzen. Wir werden uns an diesem und einigen anderen Orten ganz geradlinig weiter so verhalten, wie wir das bisher in diesen und anderen Bereichen getan haben. Wir werden uns nicht überreden lassen, verzweifelt Mittel im Gesetzgebungsverfahren zu ergreifen, nur damit Versäumnisse in den Landesjustizverwaltungen zugedeckt werden können. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Professor Jens Heuer das Wort.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Bemerkung vorweg: Die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland, einschließlich der persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit der Richter, ist für mich ein wesentlicher Vorzug des Staates Bundesrepublik gegenüber dem Staat DDR. ({0}) Die Instrumentalisierung des Rechts und der Justiz für politische Zwecke war zweifellos der Hauptmangel der Rechtsordnung der DDR. Ich muß aber mit Sorge feststellen, daß in den fünf Jahren, die ich im Bundestag verbracht habe, zunehmend Versuche gemacht worden sind, auch hier die Justiz zu instrumentalisieren und die erreichten rechtsstaatlichen Standards auf manchen Feldern der Rechtspflege abzubauen. Ich trete gegen die in den letzten Monaten von konservativer Seite geübte und jetzt wieder anschwellende heftige Schelte des Bundesverfassungsgerichts nicht in erster Linie deshalb ein, weil mir die gescholtenen Urteile gefallen, sondern weil ich um die Gewaltenteilung fürchte, deren Einebnung immer vorrangig der Exekutive nutzt. Ich stimme dem, was Herr Weißgerber und vor allem Herr Beck gesagt haben, zu. Ich möchte auch Herrn Kleinert darauf hinweisen, daß allein die These, daß man lange Traditionen auf diesem Gebiet hat, jemanden nicht berechtigt, heute von diesen Traditionen abzuweichen. ({1}) Tucholskys Formulierung „Soldaten sind Mörder" war nicht grob oder rüpelhaft. Das möchte ich ausdrücklich sagen. Vielmehr entstammte sie einer tiefen Besorgnis vor dem deutschen Militarismus. Ich will die Problematik des schwierigen Wechselverhältnisses von Politik und Justiz im bürgerlichen Rechtsstaat an einem aktuellen politisch-juristischen Problem erläutern. Zu den Versuchen, die Gerichte zu politischen Zwecken zu instrumentalisieren, gehört auch die politische Strafverfolgung von Ostdeutschen. Die heutige Haushaltsdebatte findet nur wenige Tage vor dem ersten Verhandlungstag der 27. Strafkammer des Landgerichts Berlin gegen Egon Krenz und andere Mitglieder des Politbüros der SED „wegen Totschlags und anderem" statt. Diese Verhandlung wird wohl zum Höhepunkt der juristischen Abrechnung der Bundesrepublik mit der untergegangenen DDR und zugleich zum Höhepunkt bei der Verletzung zwingenden Völker- und Verfassungsrechts sowie der rückwirkenden Umdeutung, Verbiegung und Verletzung des DDR-Strafrechts führen. Ich nutze den Anlaß der heutigen Debatte, weil über den Einzelfall dieser Hauptverhandlung hinaus diese Verfahren gegen ehemalige Hoheitsträger der DDR bedeutsam sind, weil ihre Fortführung nach meiner Ansicht die Rechtskultur in diesem Lande dauerhaft zu beschädigen droht. Es fing alles ganz harmlos an: Der Einigungsvertrag regelte - rechtsstaatlich korrekt -, daß nur die nach dem Recht der DDR am 2. Oktober 1990 bestehenden Strafansprüche mit dem Beitritt der DDR auf die Bundesrepublik übergehen. Das entsprach dem Völkerrecht, den rechtsstaatlichen Grundsätzen und dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 des Grundgesetzes. Wäre es dabei geblieben, wäre eine Verfolgung von DDR-Hoheitsträgern nur in wenigen Ausnahmefällen möglich gewesen. Das war aber der politischen Führung der Bundesrepublik offenbar nicht genug. Jedenfalls formulierte der damalige Justizminister Klaus Kinkel am 23. September 1991 auf dem 15. Deutschen Richtertag die Forderung, es müsse der Justiz gelingen, die DDR zu delegitimieren. Kinkel hat dort übrigens auch an die politische Treuepflicht der Richter erinnert. Damit war der Justiz eine Aufgabe gestellt, die sie nur unter Verletzung oder Umgehung geltenden Rechts bzw. von Eingriffen in rechtsstaatliche Errungenschaften in Angriff nehmen konnte. Ich erinnere an die Ruhensregelung zur Verjährung, die wir hier beschlossen haben, und an die Verjährungsverlängerung, die in einem unbeschreiblichen Tempo durch den Bundestag gepeitscht wurde. Der Einigungsvertrag durfte die allgemeinen Regeln des Völkerrechts nicht ändern, und er hat dies auch nicht getan. Daher ist auch nach dem Völkerrecht strikt zu beachten, daß die DDR mit der vertraglichen Einführung des § 315a in das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch nur die Befugnis auf die Bundesrepublik übertragen wurde, diejenigen Handlungen zu bestrafen, die in der DDR tatsächlich verfolgt worden sind oder verfolgt worden wären. Obwohl die Volkskammer der DDR am 1. Juli 1990 das Strafrecht umfassend änderte, hat sie natürlich nicht das pflichtgemäße Handeln ihrer Hoheitsträger unter Strafe gestellt. Der Bundesgerichtshof hat unter Bezugnahme auf die Radbruchsche Formel erklärt, die Schußwaffengebrauchsbestimmung des § 27 des Grenzgesetzes der DDR sei kein geltendes Recht gewesen. Uwe Wesel hat dies am 13. Oktober 1995 in der „Zeit" zutreffend als eine „heikle Geschichte" bezeichnet und darauf hingewiesen, daß die überwiegende Meinung der deutschen Staatsrechtler die ist, daß diese Urteile verfassungswidrig sind. ({2}) Ich komme nun zum Prozeß gegen Egon Krenz und andere. Die Staatsanwaltschaft II beim Landgericht Berlin hat 1 550 Seiten für eine Anklage gebraucht. Sie hat dabei beispielsweise den Art. 7 der DDR-Verfassung übersehen: „Die Staatsorgane gewährleisten die territoriale Integrität der Deutschen Demokratischen Republik und die Unverletzlichkeit ihrer Staatsgrenze." Allerdings ist die Anklageschrift in einem Punkt bemerkenswert. Meines Wissens werden in ihr zum erstenmal die ökonomischen und politischen Umstände behandelt, die zur Absperrung der Grenze 1961 und zur Aufrechterhaltung dieser Absperrung geführt haben. Die Anklageschrift räumt ein, daß die Grenzschließung angesichts des existenzbedrohenden Auswanderungsstroms Ausdruck eines „Staatsnotstandes" gewesen sei. Sie behauptet dann allerdings, daß bei Abwägung der betroffenen Rechtsgüter „Leben der fluchtwilligen DDR-Bürger" einerseits und „Selbsterhaltungsrecht" der DDR andererseits der Schutz des Lebens eindeutig Vorrang vor dem Selbsterhaltungsinteresse des Staates genossen habe. Wenn sich diese Ansicht der Staatsanwaltschaft in der Rechtsprechung durchsetzen sollte und wenn dies als allgemeiner Rechtssatz und nicht nur wieder rückwirkend für die DDR gelten sollte, dann stellen sich interessante Fragen. Beispielsweise käme auch die Bundesregierung in Schwierigkeiten. Schließlich nimmt sie, wenn sie Bundeswehrsoldaten zu „out of area" -Einsätzen entsendet, deren Tod oder Verwundung und den Tod anderer billigend in Kauf. Wenn nicht einmal das Selbsterhaltungsinteresse eines Staates dies rechtfertigen würde, welches höherrangige Rechtsgut erlaubt dann diese billigende Inkaufnahme des Todes von Bundeswehrsoldaten? Ich sage mit allem Nachdruck, daß die politische Führung der DDR nicht genügend für die Beseitigung dieses „Staatsnotstandes" und seiner für viele Menschen schlimmen Konsequenzen getan hat. Einmal entstanden, stand die Mauer nicht mehr zur Disposition, weil die notwendige Reform, die sie hätte überflüssig machen können, ausblieb. Diese historisch-politische Delegitimierung der Mauer berührt aber nicht die zweifelhaften Rechtsgrundlagen der heutigen Strafverfolgung. Es handelt sich in diesen Fällen in meinen Augen um politische Justiz. Ihr Dilemma besteht darin, daß politische Ziele mit juristischen Mitteln so durchgesetzt werden sollen, daß diese Ziele verborgen bleiben. Das Verfahren soll als juristisches Verfahren die politische Intention unkenntlich machen und zugleich legitimieren. Das ist im Rechtsstaat ihr Problem. Otto Kirchheimer hat in seinem Buch „Politische Justiz" 1965 geschrieben: Daran, daß jemand zwischen politischen und anderen Delikten keinen Unterschied sieht, kann man mit Sicherheit erkennen, daß er ein Hitzkopf oder ein Dummkopf ist. Die Politik der Bundesregierung hat die Justiz in diese Sackgasse hineingeführt. Sie muß sie auch wieder herausführen, indem sie durch ein Schlußgesetz, durch ein Strafverfolgungsbeendigungsgesetz, wie es die PDS hier vor kurzem eingebracht hat, die politische Strafverfolgung in Ostdeutschland beendet. Noch ein allgemeines Wort zur Haltung der Exekutive zur Justiz dieses Landes. Der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Kinkel, hat sich gestern in die von der CSU angeführte Reihe der Kritiker der Justiz mit den Worten „Unsere Soldaten sind kein Freiwild für Verhöhnung" eingereiht. Ich weiß nicht, was ihn dazu treibt, sich auch noch zum Verteidigungsminister, besser: zum Weltpolizeiminister machen zu wollen. Ich denke aber, daß es heute eine ausgezeichnete Gelegenheit für die Bundesjustizministerin wäre, hier etwas aus liberal-rechtsstaatlicher Sicht geradezurücken. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Dr. Susanne Tiemann.

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Daß der Justizhaushalt klein ist, wurde von meinen Vorrednern schon verschiedentlich betont. Ich möchte daran anschließen: Er steht im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Bedeutung der Rechtspolitik. ({0}) Die Rechtspolitik hat keine ganz leichte Aufgabe zu erfüllen. Es gibt kaum etwas Sensibleres als das Recht. Der Rechtspolitiker muß sein Ohr ständig an der gesellschaftlichen Wirklichkeit haben, und das Recht muß die Realität widerspiegeln. Anderenfalls wird es zum Fossil und zur inhaltsleeren Hülse. Wenn sich gesellschaftliche Gegebenheiten grundlegend wandeln, dann muß die Rechtspolitik dem Rechnung tragen, darf sich gleichzeitig aber nicht als Spielball beliebiger gesellschaftlicher Strömungen mißbrauchen lassen. Wir tun deshalb gut daran, wenn wir hierauf reagieren, wenn wir in einer Welt größerer Mobilität zum Beispiel das Staatsangehörigkeitsrecht den veränderten Integrationsbedürfnissen von Ausländern und ihren Familien anzupassen suchen. ({1}) Freilich darf das nicht zu einer Doppelstaatsangehörigkeit führen, denn wir wollen keine Wahrnehmung von Bürgerrechten à la carte, sondern wir wollen die Entscheidung für die Verwurzelung in einer Staatsangehörigkeit. ({2}) Es ist auch richtig, daß wir die Novellierung des Ausländerrechts in Angriff nehmen. Wir tun gut daran, das Kindschaftsrecht auf die gewandelten gesellschaftlichen Verhältnisse zu überprüfen. Es ist nur folgerichtig, so meine ich, heute, wo wir die Ehe eindeutig als Verbindung selbstbestimmter Partner definieren, Gewalt in der Ehe so zu bestrafen wie außerhalb der Ehe. ({3}) Wir müssen auch in der Rechtspolitik sehr viel mehr über die Grenzen blicken. Wir müssen der Entwicklung einer europäischen Rechtsordnung noch sehr viel mehr Rechnung tragen, dürfen ihr nicht passiv gegenüberstehen, sondern müssen aktiv an ihr mitwirken. Durch den Freizügigkeitsgrundsatz, durch andere europäische Grundsätze wird auf unsere Rechtsordnung Einfluß genommen, und es entstehen ganz neue Rechtsgrundsätze, ein neues europäisches Gesellschaftsrecht, ein konvergentes europäisches Sozialrecht. Das muß die Bundesrepublik Deutschland maßgeblich mit prägen. Hier muß sie auf dem Plan sein. ({4}) Bei aller Anpassungsfähigkeit, meine Damen und Herren, muß das Recht aber verläßlich sein, Ordnung schaffen und Halt geben. Es muß die richtige Balance finden, auf die Aktualität zu reagieren und trotzdem Ankerfunktion zu erfüllen. Das heißt, es muß wertbezogen sein, und es muß auch tradierte Werte bewahren. Wir sollten ruhig einmal ganz offen aussprechen, daß dies die Funktion einer vernünftigen Rechtspolitik ist. ({5}) Die Werteordnung unseres Grundgesetzes gibt uns doch eigentlich ganz fest umrissene Aufträge. Ich nenne nur ein Beispiel: Unsere Rechtspolitik wird bei aller Anpassungsnotwendigkeit nicht davon abgehen können, daß unser Grundgesetz Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt. Wie viele andere Ausformungen des menschlichen Zusammenlebens es auch geben mag - jeder kann sich zum Beispiel für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft entscheiden; die Freiheit hat er -, aber den besonderen Schutz des Rechts können diese nicht ebenso wie Ehe und Familie genießen. Auch die Minderheiten, meine Damen und Herren, müssen wir in einem freiheitlichen Rechtsstaat schützen. Es darf aber in unserer Rechtsordnung nicht so weit kommen, daß letztlich die Mehrheit vor den verschiedensten dominierenden Minderheiten geschützt werden muß. Diesen Eindruck vermitteln aber manche Entwicklungen unseres Rechts. Individuelle Freiheitsrechte werden zunehmend in einer Weise interpretiert, die mit der Rücksichtnahme auf die Belange der Allgemeinheit bzw. der gesellschaftlichen Umwelt, in die sie eingebettet sind, nicht mehr viel zu tun haben. Jetzt komme ich zu den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, meine Damen und Herren. Ich meine hier zum Beispiel die Interpretation individueller Entfaltungsrechte, wenn das Bundesverfassungsgericht Sitzblockaden nicht als Gewalt bezeichnet, obwohl jeder Unbefangene in der Verhinderung des Zugangs zu Gebäuden durch sitzende Menschen Gewalt sehen wird, ({6}) oder wenn das Bundesverfassungsgericht das Kruzifix, das Signum nicht allein des christlichen Glaubens ist, sondern darüber hinaus unserer gesamten christlich geprägten Kultur und Gesellschaftsordnung, zum Störfaktor für Anders- bzw. Nichtgläubige deklariert. In diesen Zusammenhang sind die Urteile zu stellen, die die Bezeichnung von Soldaten als Mörder als freie Meinungsäußerung höherstellen als die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen. ({7}) Ich meine, daß die Betroffenen auch in der großen Gruppe aller Soldaten schutzwürdig sind. ({8}) Immerhin verlangen wir von ihnen Dienstpflicht und Wehrpflicht. Kann die Rechtsordnung, so frage ich Sie ernsthaft, tolerieren, daß gerade solche Staatsbürger mit besonderer Pflichtigkeit ungestraft als Mörder beschimpft und beleidigt werden? ({9}) Ich habe kein Verständnis dafür, wenn man diese Problematik auf die leichte Schulter nimmt, Herr Beck. Das möchte ich Ihnen persönlich sagen. Das Strafrecht ist nun einmal da, um die Werte in unserer Gesellschaft wirksam zu schützen und sie überhaupt wirksam werden zu lassen. Der Wert, der hier zu schützen ist, ist das menschliche Persönlichkeitsrecht. Hier geht es überhaupt nicht um die Frage der Mehrheits- oder Minderheitsmeinung. Hier geht es darum, wie die Freiheit der Meinungsäußerung einDr. Susanne Tiemann gebettet ist in die Rechte anderer und wie sie auf die Rechte anderer Rücksicht nehmen muß. Meine Damen und Herren, wenn wir in unserer Rechtsordnung Lücken entdecken müssen, dann - das sage ich ganz offen als meine Meinung - ist der Gesetzgeber aufgerufen, aktiv zu werden und für unsere Soldaten einen besonderen Ehrenschutz zu schaffen. Wenn die geltende Rechtsordnung diese Lücken aufweist, müssen wir derartige Verunglimpfungen unserer Soldaten, wie sie jeder für sich selbst ganz klar empfinden würde, verbieten. ({10}) Außerdem, meine Damen und Herren, halte ich es immer mit dem großen Rechtspolitiker Gustav Radbruch, demzufolge beim deutschen Richter auf ein Lot Jurisprudenz auch ein Zentner soziales und psychologisches Verständnis kommen sollte. Ich denke, das sollten wir wieder betonen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber selbstverständlich.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es gibt ja unschöne Bemerkungen und Parolen in unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Lagern. Wenn Sie meinen, man müßte für den Gebrauch des Ausdrucks „Soldaten sind Mörder" eine Strafrechtsvorschrift schaffen - das haben Sie diese Woche schon angekündigt -, möchte ich Sie fragen, ob Ihrer Meinung nach auch andere Ausdrücke, die ich zum Teil in meinem Büro in Briefen lese, wie zum Beispiel „Abtreibung ist Mord", strafbar sein sollen. Damit ist schließlich in gleicher Weise beabsichtigt, die Frau, die sich zum Abbruch einer Schwangerschaft entschließt, zu diffamieren. Das gilt ebenso für das ärztliche und medizinische Personal, das sich an einer Abtreibung beteiligt. Meinen Sie, daß alle Wertentscheidungen, die uns nicht gefallen und die geeignet sind, die Persönlichkeitsrechte von Menschen abstrakt anzugreifen, in jedem Fall unter Strafe gestellt werden sollten?

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Beck, wenn Sie mir zugehört hätten, dann hätten Sie vernommen, daß ich betont habe, daß wir von unseren Soldaten auf der einen Seite die Ableistung besonderer Pflichten, nämlich Wehr- und Dienstpflicht, verlangen, auf der anderen Seite aber ihre Ehre nicht dem strafrechtlichen Schutz unterstellen. Ich habe also eine besondere Unterscheidung bezüglich dieser besonderen Pflichtigkeit gemacht. Wenn es nötig sein sollte, in unserer Gesellschaft noch andere besondere Tatbestände auszumachen, die des besonderen Schutzes bedürfen, dann müßten wir dies tun. Momentan aber sehe ich diese nicht. Ich sehe nur, daß das Bundesverfassungsgericht bei seiner Interpretation der Grundrechte im Zusammenhang mit den heutigen sozialen und gesellschaftlichen Verhältnissen an ein Urteil aus dem Jahre 1958 anknüpft. Ich meine, daß wir eine etwas moderne Interpretation der Grundrechte bräuchten. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Graf von Einsiedel?

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch er darf mich fragen. Bitte schön.

Heinrich Einsiedel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002645, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr verehrte Frau Kollegin, ich habe zwei Fragen. Erste Frage: Ist Ihnen bekannt, daß Tucholsky bereits vor dem Ersten Weltkrieg häufig die Sätze „Soldaten sind Mörder", „Krieg ist Mord" usw. gebraucht hat und daß selbst das Kaiserreich, selbst Wilhelm II., dies hingenommen hat, ohne dafür die Gerichte in Anspruch zu nehmen? Darf ich Ihren Aussagen entnehmen, daß Sie also in die Zeit vor Kaiser Wilhelm II. zurückgehen wollen? Eine zweite Frage: Der berühmte Jagdflieger des Ersten Weltkrieges, The Red Baron Manfred von Richthofen, hat gesagt: Der erfolgreiche Jagdflieger kommt überraschend aus der Sonne, ohne daß ihn der Gegner, den er abschießen will, vorher bemerkt. Ich bin zwar kein Jurist, weiß aber, daß es bestimmte Voraussetzungen gibt, die zum Tatbestand des Mordes gehören. Eine Voraussetzung ist zum Beispiel die Heimtücke. Man muß also möglichst überraschend kommen. Dann stellt sich die Frage nach den höheren oder niederen Beweggründen. Sehr oft - ich war selber Jagdflieger und weiß, wie anfällig man dafür ist - liegt der niedere Beweggrund der Ordensgeilheit, des Ehrgeizes und des persönlichen Auszeichnungswillens vor. Das ist doch sehr dicht am Mord. Ein anderes Beispiel dafür ist die Bombardierung von Städten sowohl von der Luftwaffe der Deutschen wie auch von der Luftwaffe der anderen, wobei Hunderttausende von Zivilisten erschlagen worden sind.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Entschuldigen Sie, Graf von Einsiedel, Sie müssen eine Frage stellen.

Heinrich Einsiedel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002645, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, ich frage, wie sie sich dazu stellt. Ich habe gefragt, ob sie in die Zeit vor Wilhelm II. zurückgehen will.

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst einmal, Herr Kollege, scheinen Ihre Ausführungen genau das zu bestätigen, was ich fordere. Eine von Ihnen in dieser Weise erfolgte Interpretation, in der Sie auch noch detailliert begründen, warum man Soldaten als Mörder ansehen könnte, zeigt, wie notwendig ein solcher Ehrenschutz ist. ({0}) Außerdem: Es gibt nicht nur die Zeit des Kaiser Wilhelm und die Zeit davor; es gibt auch noch eine Zukunft. Ich schaue sehr viel lieber in die Zukunft. Ich möchte eine Interpretation der Grundrechte, die unserer heutigen, modernen Gesellschaft entspricht. Die Verhältnisse des Kaiserreichs sind für mich kein Argument.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, Herr Professor Heuer möchte noch eine Zusatzfrage stellen. Sind Sie einverstanden?

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Bitte schön.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Kollegin, Sie haben gesagt, daß das Strafrecht dazu da ist, Werte zu schützen. Die Frage ist aber, wie Sie die Werte auswählen. Darf man zum Beispiel die PDS als rotlakkierte Faschisten bezeichnen? Ist das zulässig? Wonach wählen Sie aus, welche Gruppen der Gesellschaft diesem Schutz unterliegen? ({0}) Ich habe noch eine Frage zu der Bemerkung, die Graf Einsiedel gemacht hat. Sie wissen genau, daß im Urteil nicht gesagt worden ist, daß die Soldaten der Bundeswehr Mörder sind. Im Urteil ist erklärt worden, daß man als Pazifist sagen darf, Soldaten sind Mörder. Meinen Sie nicht, daß Sie da eine falsche Frontstellung aufgebaut haben?

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Genau diese Unterscheidung habe ich in meinen Ausführungen gemacht. Ich meine, daß Soldaten auch in der großen Masse aller Soldaten schutzwürdig sind. Das Schutzgut, der Wert, den ich hier sehe, ist das Persönlichkeitsrecht, die Menschenwürde unserer Soldaten, dieser Bürger, von denen wir Pflichtigkeit verlangen. Zu Ihrer anderen Frage: Entschuldigen Sie bitte, es sperrt sich in mir etwas, die Soldaten und die PDS in einem Atemzug zu beurteilen. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen feststellen, daß das Bundesverfassungsgericht in immer mehr Fällen die Linien zukünftiger Gesetzgebung vorzeichnet. Es ist in einem Rechtsstaat ein ganz normaler Vorgang, daß Gesetze einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung unterworfen werden. Das oberste deutsche Gericht hat den Grundsatz der richterlichen Selbstbeschränkung früher als eines seiner Hauptprinzipien gehandhabt und auch offiziell verkündet. Man muß den Eindruck haben, daß es heute von diesem Grundsatz Abstand genommen hat. In immer mehr Fällen ist dies gegeben. Nehmen Sie den § 218; nehmen Sie die steuerliche Freistellung des Existenzminimums; nehmen Sie die Einheitswertbesteuerung. Ich glaube, daß wir zur richterlichen Selbstbeschränkung zurückkehren sollten. ({1}) Es ist nicht nur eine Frage, wie schnell der Gesetzgeber jeweils in der Lage war und ist, auf veränderte Verhältnisse mit den geeigneten Maßnahmen zu reagieren. Es geht ganz grundsätzlich um die Stellung der Verfassungsorgane und der Gewalten zueinander, die auf dem Prüfstand stehen muß. Es kann nicht einem Wettlauf der Verfassungsorgane untereinander überlassen werden, ob das Bundesverfassungsgericht letztlich zum Supergesetzgeber wird. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, es tut mir leid, daß Sie eine weitere Zwischenfrage provoziert haben. Herr Kollege Schily möchte eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das macht nichts, Herr Präsident.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Bitte schön.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, ich bin einigermaßen überrascht, daß Sie die rechtspolitische Debatte weitgehend zur Schelte auf das Bundesverfassungsgericht mißbrauchen. Wenn Sie nun schon meinen, beim § 218 des Strafgesetzbuches sei das Bundesverfassungsgericht über die ihm gezogenen Grenzen hinausgegangen, dann glaube ich, mich richtig zu erinnern, daß das Bundesverfassungsgericht aus Ihren Reihen zu dieser Frage angerufen worden ist. Würden Sie dann in Ihrer Kritik auch so weit gehen, daß es ein Fehler war, daß in Karlsruhe ein entsprechendes Verfahren in Gang gesetzt worden ist?

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber selbstverständlich alles andere als das. Wie Sie richtig sagen, ist von unserer Seite das Bundesverfassungsgericht angerufen worden, um eine Regelung zu verhindern, die unserer Auffassung nach gegen den Schutz des ungeborenen Lebens verstoßen hätte. Dies konnte man mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Gott sei Dank verhindern. Dies ändert nichts daran, daß das Bundesverfassungsgericht auch in seiner Rechtsprechung zum § 218 die Linien einer zukünftigen Gesetzgebung sehr detailliert vorzeichnet. Wenn man solche Rechtsgrundsätze darstellt, kann man das nicht à la carte machen und in einem Fall, wo es einem paßt, sagen, das war richtig, in einem anderen Fall aber sagen, da war es nicht richtig. Ich spreche hier von einem durchgehenden Rechtsprinzip der richterlichen Selbstbeschränkung. ({0}) Ich denke, das muß man einmal tun können, ohne gleich als Gerichtsschelter hingestellt zu werden. Ich denke, daß man als Angehöriger der Legislative, einer Gewalt, sehr wohl sachlich über die Befugnisse und Kompetenzen der anderen Gewalt sprechen kann.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Bachmaier möchte eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn die Kollegen so gerne Zwischenfragen stellen, bitte schön.

Hermann Bachmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000072, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich mache es ganz kurz und möchte noch einmal das zuspitzen, was Herr Schily schon gesagt hat. Frau Kollegin Tiemann, Sie haben sich während Ihres gesamten Beitrages ausschließlich kritisch mit dem Bundesverfassungsgericht befaßt. Halten Sie es für angemessen, die Debatte über den Justizhaushalt zu einem Tribunal gegen das Bundesverfassungsgericht, gegen ein anderes Verfassungsorgan umzufunktionieren? ({0})

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst einmal habe ich mich nicht nur mit dem Bundesverfassungsgericht befaßt, sondern habe auch etwas zur Anpassungsfähigkeit des Rechts gesagt. Vielleicht waren Sie am Anfang meiner Rede noch nicht da. Dort habe ich dazu etwas gesagt. ({0}) Zum anderen, denke ich, ist die Haushaltsdebatte - da werden Sie mir doch sicher zustimmen - dazu da, die Rechtspolitik und die Aufgabe der Rechtspolitik zu beleuchten. Ich denke, der Umgang mit dem Bundesverfassungsgericht und der Einfluß, den die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung auf die Gesetzgebung nimmt, sind wesentliche Punkte der zukünftigen Rechtspolitik. ({1}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn das Recht aber verläßlich sein soll, dann muß es als originäre Staatsaufgabe schlechthin die innere Sicherheit bewahren und ausgestalten können. Ich denke, inneren Frieden gibt es nur, wenn der Bürger diese Verläßlichkeit des Rechtsstaats auch Tag für Tag erlebt, wenn er den Schutz des Staates vor Gewalt einfordern kann. Hier bleibt, so meine ich, noch einiges zu tun, gerade im Bereich der Eigentumsdelikte, ganz aktuell besonders bei den Wohnungseinbrüchen, um hier wirksam gegenzusteuern. Das Gewaltmonopol des Staates muß uneingeschränkt wahrgenommen werden, damit wir nicht auf eine Gesellschaft der Selbstjustiz bzw. der Zweiklassensicherheit zutreiben. In diesem Zusammenhang ist der Kampf gegen die Korruption eine ganz wesentliche und vordringliche Aufgabe, damit der Bürger sicher sein kann, daß das geltende Recht auch tatsächlich angewandt wird und daß gleiches Recht für alle gilt. In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich den Entwurf der CDU- bzw. CSU-regierten Länder im Bundesrat, den wir, so meine ich, allerdings noch etwas mit Maßnahmen anspecken müssen, die über das Strafrecht hinausgehen. Ich werde Ihnen in jeder Haushaltsdebatte sagen - wie der alte Cato die Zerstörung Karthagos in jeder seiner Reden gefordert hat -, daß wir immer wieder einen neuen Anfang machen müssen, um die Zahl der Gesetze zu verringern und um klarere, für den Bürger verständlichere Gesetze zu schaffen. Wir dürfen nicht nur Juristenrecht schaffen; wir müssen Bürgerrecht schaffen, ({2}) das von den einzelnen Bürgern akzeptiert wird. ({3}) Wenn ich mir all diese Aufgaben ansehe, die das Recht zwischen Flexibilität und Reaktion auf die gesellschaftlichen Verhältnisse einerseits und seiner Ankerfunktion für die Werte in der Gesellschaft andererseits zu erfüllen hat, so, glaube ich, werden die immensen und wichtigen Aufgaben der Rechtspolitik deutlich. Wenn wir uns dann den Haushalt mit seinen 698,5 Millionen DM ansehen, dann meine ich in der Tat, daß er ein Musterbeispiel dafür ist, wie mit wenig finanziellen Mitteln Großes geleistet werden kann. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es überhaupt nicht vorwerfbar, daß wir uns heute in der rechtspolitischen Haushaltsdebatte auch mit dem Bundesverfassungsgericht befassen, und zwar einfach deshalb, weil wir in der Tat auch diesen Einzelplan lesen. Nur, meine Damen und Herren, wir sollten dann nicht nur die Urteile des Bundesverfassungsgerichts spitz anschauen und bewerten, so wie das jetzt gerade durch Frau Dr. Tiemann oder vorher durch Herrn Beck von einer ganz anderen Seite geschehen ist; vielmehr geht es dann natürlich auch um die Kritik am Bundesverfassungsgericht und um die Ausführungen, die weit mehr als Kritik sind, die völlig unannehmbar sind. ({0}) Es geht dann natürlich auch um die Frage, was der Bundestag dazu tun kann, damit in der Tat das Verhältnis zwischen Bundesverfassungsgericht und Gesetzgebung wieder in - lassen Sie mich das einmal so ausdrücken - normale Bahnen gerät. Da ist ja nicht nur in den letzten Monaten, sondern auch schon in den letzten Jahren einiges aus dem Lot geraten. Ich glaube, daß es gut ist, das hier einmal festzuhalten. Ich nehme jetzt einmal das Kruzifix-Urteil. Was wird denn darin entschieden? Darin wird entschieden - das ist der Kernsatz -, daß Eltern das Recht haben, über die religiöse Erziehung ihrer Kinder zu befinden, und nicht die Bayerische Staatsregierung. Daß das parteipolitisch und auch unter dem Aspekt, ob es sich eine Landesregierung leisten kann oder leisten darf, daß sie verliert, zu einem erheblichen Maß an zusätzlichen Anwürfen geführt hat, das habe ich sehr bedauert. Nur, ich habe noch mehr bedauert, daß auch die Einsichtigen unter Ihnen diesen Unterschied nicht herausgearbeitet haben. ({1}) Herr Kollege Eylmann, Sie haben gerade den Kopf geschüttelt. Ich darf Ihnen sagen: Weder Ihr Land noch meines, Baden-Württemberg, kannte oder kennt eine vergleichbare gesetzliche Regelung über die Kruzifixe wie Bayern. Sie werden mir zustimmen: Sie erziehen Ihre Kinder in Ihrer religiösen Auffassung. Ich nehme mir das Recht für die meinen. In Baden-Württemberg und in Niedersachsen gibt es weder weniger noch schlechtere Christen als in Bayern. Das ist das eine, was man hier festhalten muß. ({2}) Jetzt lassen Sie mich noch eines sagen - ich weiß nicht so ganz, wie Sie, Frau Dr. Tiemann, das gemeint haben -: Grundrechte sind immer individuelle Rechte. Menschen- und Grundrechte sind einklagbare, mit Rechtsschutz und Rechtsanspruch versehene Menschenrechte. Ihr Wesen ist es, daß man darüber nicht abstimmen kann und daß der Satz, daß Mehrheiten vor Minderheiten gehen, hier nicht stimmt. ({3}) Meine Bitte ist: Lassen Sie uns daran keinen Zweifel zulassen, übrigens auch dann - ich habe das gesagt, und ich glaube, ich sollte das hier wiederholen - wenn gerade bei einem solchen Urteil sicherlich ein bißchen mehr an Sensibilität in der Formulierung erwartet werden dürfte, als dieses vor der Korrektur sichtbar war. Wenn ich das vergleiche mit dem, was an Reaktionen auch aus Ihren Reihen kam, dann kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, wie jemand hier Karlsruhe kritisieren kann, ohne zu sagen, daß der Aufruf demokratisch gewählter Politiker zum Widerstand, zur Nichtbefolgung eine Schande ist. ({4}) Es ist eine Schande, die unserem Rechtsstaat viel mehr schadet als beispielsweise die von Ihnen und uns gemeinsam verdammten Chaostage von Hannover. Das geht nicht. Ich hätte mich gefreut, wenn hierüber Klarheit geschaffen worden wäre. ({5}) Jetzt kommen wir zu dem Urteil zu dem Satz „Soldaten sind Mörder". Dieses Tucholsky-Zitat ist schon wegen seiner Pauschalität heute für jeden intelligenten Menschen, der es in den Mund nimmt, eine Dummheit. Wenn Sie mich gefragt hätten, wie ich es beurteilen würde, wenn Sie gesagt hätten: „Politiker oder Grüne sind Mörder", dann, verehrter Herr Kollege, hätte ich an Ihrer Geistesstärke zweifeln müssen. Das täte ich sehr ungern. Pauschale Urteile sind immer von Übel. Nur, liebe Frau Dr. Tiemann, klarstellen muß man hier auch einmal - es hat mich in den vergangenen Tagen geärgert, daß das nicht erfolgt ist -, daß Karlsruhe sehr deutlich gesagt hat: Wer diesen Pauschalsatz in Richtung Bundeswehr oder deutsche Soldaten sagt, ist strafbar, und wer das nicht tut, der nicht; er ist vielleicht dumm, er ist vielleicht unbedacht, er ist vielleicht dieses oder jenes, aber strafbar ist er nicht. Meine Damen und Herren, es ist doch so, daß die Pauschalität von irgendwelchen Sätzen unter diesem Gesichtspunkt, vor dem Hintergrund genau dieser Grenzlinie, beurteilt werden muß. Natürlich haben Sie recht: Unsere Soldaten und die Bundeswehr mit Mördern zu vergleichen wäre unmöglich. Das lassen wir auch nicht zu. Das läßt niemand zu. Tun Sie doch bitte nicht so, als müßten Sie die Bundeswehr vor dem Bundesverfassungsgericht in Schutz nehmen! Ihre Aufgabe wäre es, das Bundesverfassungsgericht vor unglaublichen Anwürfen aus Ihren Reihen in Schutz zu nehmen. ({6}) Ihre Aufgabe wäre dann auch, nicht neue Pauschalierungen und neue Verallgemeinerungen zuzulassen. Wenden Sie das Tucholsky-Zitat einmal auf Herrn Mladic oder auf die Mörder von Srebrenica an, die doch auch Soldaten waren oder sind. Dann wissen Sie, daß die Pauschalität in dieser Frage außerordentlich dumm und überhaupt nicht anzuwenden ist. Der dritte Punkt, meine Damen und Herren, ist die Sache mit dem Demonstrations- bzw. dem 240erUrteil. Da, Frau Dr. Tiemann, habe ich einfach die Bitte, daß Sie folgendes noch einmal überlegen: Wenn, wie das in den Ausgangsfällen der Fall war, Menschen mit freundlichem Gesicht, für kurze Zeit in jeder Weise ohne Aggressivität ein Hindernis bereiten, für kurze Zeit - ich darf das wiederholen - ein Hindernis bereiten, dann ist das keine Gewalt. Das ist ein Hindernisbereiten. Dafür gibt es Ordnungswidrigkeitenvorschriften, die im übrigen sehr nachdrücklich angewandt werden. Doch ich kann Sie nur warnen, hier den Sachverhalt anders darzustellen, weil Karlsruhe sehr deutlich gemacht hat, daß hier natürlich irgendwann der Umschlag in Gewalt erfolgen kann. Ich kann Sie nur warnen, jetzt durch Gesetze ständig alles als Gewalt beurteilen zu wollen. Es wird nämlich nichts glaubwürdiger in der Haltung, die unser Rechtsstaat gegenüber wirklicher Gewalt einnimmt, wenn man Fälle, die keine Gewalt sind, und zwar eindeutig nicht, trotzdem gewaltsam - weil es einem ideologisch paßt oder opportun erscheint - in eine Strafrechtsvorschrift packt. Das geht nicht. ({7}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen anderen Punkt nennen. Ich bin der Meinung, daß das Verhältnis zwischen Legislative, Bundestag und Bundesverfassungsgericht wieder geklärt werden muß. Ich ärgere mich bisweilen über Urteile, weil ich der Meinung bin: Einige der Richterinnen und Richter dort halten sich für bessere Gesetzgeber. Im Fall des § 218 habe ich hinzugefügt, manchmal hätte man den Eindruck, sie halten sich nicht nur für die besseren Gesetzgeber, für die besseren Ärzte, für die besseren Beraterinnen, sondern möglicherweise auch noch für die besseren Schwangeren. ({8}) - Ja, Kritik überlasse ich nicht nur Ihnen, lieber Herr Geis. Kritik ist völlig in Ordnung, aber Hetze ist nicht in Ordnung. ({9}) Dieser feine Unterschied ist uns, glaube ich, wohl allen geläufig. Der Punkt ist: Es gibt auch beim AWACS-Urteil eine ganze Reihe von Ausführungen, die ich dort lieber nicht gesehen hätte, obwohl ich weiß, daß es Karlsruhe mit uns gutmeint. Aber ich mag weder diese unglaublich große Detailfreude noch dieses eher paternalistische Gehabe, daß man uns so ein bißchen unter Kuratel nimmt. Das alles können wir selber, auch wenn ich mit vielem, was die Regierungsmehrheit hier macht, überhaupt nicht einverstanden bin. Nur, vergessen wir doch bitte nicht, daß vieles von dem, was Karlsruhe entscheiden muß, vom Bundestag selber mit veranlaßt wurde, entweder dadurch, daß einige, die hier unterlegen sind - ich nehme hier niemanden aus -, nach Karlsruhe rennen, sogar einige, die Mitglieder der Regierung sind, sich aber nicht trauen, selbst eine sinnvolle Entscheidung zu treffen oder sie sich zuzumuten, oder auch deshalb - das ist einer der Punkte, die mich im Zusammenhang mit den Regelungen zum Asyslrecht wirklich plagen; ich will das hier einmal sagen -, weil man sich nicht zutraut, eine Reihe von Gesetzen, die erlassen worden sind, im Bundestag auf den Prüfstand zu stellen und zu überprüfen: Ist es eigentlich das, was wir wollten, oder ist es das nicht? Wenn man wartet, bis Karlsruhe einige Entscheidungen treffen muß, und Karlsruhe dann nach Grundrechtsschutz- und nach Grundgesetzbestimmungen entscheidet, dann ist hinterher leicht prügeln. All dies, meine Damen und Herren, könnte der Bundestag selber machen. Sie wissen, ich engagiere mich in dieser Frage sehr. Ich tue es, und Gott sei Dank tun es auch einige aus Ihren Reihen. Übrigens, Herr Beck, daß außerhalb der Grünen jeder fehlbar ist, das wissen wir mittlerweile. Nur - lassen Sie es mich noch einmal sagen - es muß einfach einmal hinzugefügt werden: Es gibt Fehler oder Fehleinschätzungen auch bei den Grünen, ({10}) und ich glaube, das sollte uns alle ein bißchen bescheidener machen. ({11}) - Also, das war einmal erforderlich. Sie glauben das nicht? Na gut, wenn Sie es nicht glauben, dann will ich mich nicht so lange damit aufhalten. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Asylrecht zurückkommen. Es steht doch fest, daß die Regelung zu den Bürgerkriegsflüchtlingen einfach deshalb noch nicht umgesetzt wurde, weil der Bundesinnenminister und seine Innenministerkollegen mit den Kosten nicht klarkommen. Ein großer Teil der Asylbewerber kommt aus dem Bereich der Bürgerkriegsflüchtlinge und wird in ein Verfahren hineingeschickt, das überhaupt nicht für sie da ist. Die Zahlen werden dadurch in die Höhe getrieben, und jeder von uns weiß, daß die Verfahren mit Bürgerkriegsflüchtlingen mit einer Nichtanerkennung ausgehen müssen. Das muß doch nicht sein. Die Umsetzung dieses Teils des Asylkompromisses muß man anmahnen; das ist doch gar keine Frage. ({12}) Das zweite ist: Ich hätte es ganz gerne, daß auch der ansonsten von mir sehr geschätzte Herr Seiters, der hier vollmundig über diese Angelegenheiten redet, selbst einmal zu der Flughafenzone in Frankfurt ginge, um zu schauen, ob das, was dort in der Praxis gegenüber Menschen exekutiert wird, menschlich ist oder nicht. Ich sage Ihnen: Wenn er dort nicht nur mit dem Sozialdienst und mit den Menschen, die eingesperrt sind, sondern auch mit dem Bundesgrenzschutz und mit den Außenstellen von Zirndorf redet, wird seine Haltung ähnlich sein wie meine. Wenn Sie in eine Abschiebehaftanstalt gehen und feststellen, daß dort mittlerweile Tausende von Menschen sitzen, die keine Straftat, kein kriminelles Unrecht begangen haben, dann werden Sie mir zustimmen, daß es eigentlich des Deutschen Bundestages würdig wäre, sich selbst mit diesen Problemen zu befassen und die Regelungen über die Abschiebehaft und die Regelungen über die Abschiebegründe wirklich zu durchdenken. Ich freue mich sehr, daß zum Beispiel der ehemalige bayerische Innenminister Lang - genauso wie ein paar Kollegen von Ihnen - das auch so sieht. Ich möchte Sie nur auffordern, die Augen aufzumachen. Ich habe den Eindruck, es ist wichtig, daß wir das tun. Noch einmal zurück zu Karlsruhe. Wenn wir die Kontrolle von Gesetzen - ich könnte x andere anfühDr. Herta Däubler-Gmelin ren - nicht selbst vornehmen, dann nützen auch richtige Anmahnungen wie die von Herrn Beck - ich muß auch etwas Nettes zu Ihnen sagen -, die aus allen Teilen des Hauses kommen, überhaupt nichts. Wir müssen die beschlossene Gesetzgebung kontrollieren. Wenn die Bundesregierung dies nicht anregt, dann machen wir es halt selbst. Das wird dazu führen, daß wir uns Entscheidungsräume und Handlungsräume gegenüber dem Bundesverfassungsgericht zurückerobern, die auf Grund unserer eigenen Veranlassung an Karlsruhe gingen. Es hat keinen Sinn, darauf zu schimpfen. Wir als Bundestag müssen unsere eigenen Vollmachten, unsere eigenen Rechte mehr in Anspruch nehmen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Däubler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schulze?

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber sicher.

Frederick Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich freue mich, daß mir meine schwäbische Kollegin Gelegenheit gibt, eine Frage zu Karlsruhe zu stellen. ({0}) - Wenn Sie sonst keine Probleme haben, sind Sie sorgenlos. Sie haben vorhin das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu dem berühmten Tucholsky-Zitat, das mit 5 : 3 Stimmen gefällt wurde, dargestellt. Ich weiß nicht, ob Sie am Großen Zapfenstreich hier in Bonn teilgenommen haben. Aber ich finde es schon eigenartig, daß es eine Alternativveranstaltung gegeben hat - an der auch Angehörige dieses Hauses teilgenommen haben -, aus der heraus Chaoten ({1}) die Bundeswehrsoldaten, unsere Wehrpflichtigen, mit dem Ausruf „Mörder, Mörder, Mörder!" beleidigt haben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie dieses gutheißen wollen. ({2}) Ich glaube, daß dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichtes dem durchaus einen gewissen Vorschub geleistet hat. Ich meine jedenfalls, wir müssen Klarheit in diesem Bereich schaffen. ({3}) - Diese gebetsmühlenartig vorgetragenen Zwischenrufe verbessern die Qualität Ihrer Argumente nicht. ({4}) Jedenfalls meine ich, daß wir unsere Wehrpflichtigen da heraushalten müssen. Wir sollten uns selber fragen, ({5}) ob es richtig ist, daß sich einige aus diesem Haus mit diesen Chaoten solidarisieren. ({6}) Stimmen Sie meiner Auffassung zu? ({7})

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Schulze, ich bedanke mich sehr für die Frage am Schluß. Aber ich hatte schon verstanden, um was es Ihnen geht. Ich halte es für völlig richtig: Wenn irgend jemand eine Gruppe oder einen einzelnen - sei dies die Bundeswehr, seien es Soldaten, seien es Politiker, seien Sie es oder sei ich es - als „Mörder" bezeichnet, muß dies strafbar sein. Das heißt, man braucht die Frage, ob man sich solidarisiert, überhaupt nicht zu stellen. Selbstverständlich machen sich solche Menschen strafbar. Nur, Herr Schulze, Sie sollten auch sehen: Was ich hier sage, könnte ich vollständig mit dem Zitat des Bundesverfassungsgerichtes belegen. ({0}) Mich ärgert, daß man so tut - dies zieht sich bis in den letzten Debattenbeitrag der geschätzten Kollegin Dr. Tiemann hinein -, als wären Soldaten Betroffene dieses Urteils. Sie sind es nicht. ({1}) Das Ergebnis dieser Debatte kann eigentlich nur sein - diese Bitte richte ich an Sie, Kollege Schulze -, das Urteil noch einmal sehr sorgfältig zu lesen. ({2}) Denn es beantwortet Ihre Frage an mich ebenso deutlich, wie ich sie beantwortet habe. ({3}) Wenn Sie hinausgehen und die Menschen, die Sie treffen, über das informieren, was Karlsruhe gesagt hat, dann sind wir schon einer mehr.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage von Herrn Schulze?

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte schön.

Frederick Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie können davon ausgehen, daß ich mich mit der Materie sehr gut befaßt habe.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin nicht sicher, ob ich davon ausgehen kann. ({0})

Frederick Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist richtig: Das ist Ihr Problem. Können Sie sich vielleicht vorstellen - als ich noch die Uniform anhatte, ist mir das nämlich auch so gegangen -, wie sich der einzelne Soldat fühlt, wenn er, angetreten bei einer öffentlichen Veranstaltung, sich von irgendwelchen Chaoten „Mörder, Mörder!" heißen lassen darf? Können Sie sich vorstellen, was in dem Soldaten vor sich geht, der sich dann auch noch sagen muß: Für diese Chaoten muß ich im Ernstfall vielleicht mein Leben lassen? Das ist nicht ganz einfach zu verkraften, aber vielleicht ist das der Wert unserer Freiheit.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Entschuldigen Sie, ich darf noch einmal sagen - ich glaube, es ist doch Ihr Problem und nicht meines -: Wenn irgend jemand irgendeinen anderen Menschen - ob Bundeswehrsoldat, ob Bundeswehr als Einheit, ob Sie oder ob mich, ob einen Polizeibeamten, den er nicht mag, oder einen Kollegen, den er nicht mag - einen Mörder schimpft, so muß derjenige das keineswegs hinnehmen. Dann brauchen Sie niemand hier im Haus die Frage zu stellen, ob er sich solidarisiert. Das ist dann ein Straftäter. Die Bitte, Herr Schulze, die ich an Sie richte - ich wiederhole sie - ist, daß Sie jetzt bitte schön so freundlich sind und das Urteil noch einmal lesen. Dann werden Sie nämlich feststellen, daß es keineswegs notwendig ist, die Soldaten vor dem Bundesverfassungsgericht in Schutz zu nehmen, was Sie in der Öffentlichkeit fälschlicherweise tun. Vielmehr müssen Sie das Bundesverfassungsgericht vor den irrigen Auslegungen und irrigen Interpretationen - offensichtlich auch einiger Ihrer Kollegen - in Schutz nehmen. Das ist viel wichtiger. ({0}) In der restlichen mir verbliebenen Zeit möchte ich sehr gerne an den rechtspolitischen Teil der Haushaltsdebatte von vor acht Wochen anknüpfen. Wir haben damals angemahnt, daß wir das Gesetz über die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe vorgelegt bekommen. Wir haben es. Ich will das anerkennen, auch wenn ich es für sehr bedauerlich halte, daß Sie die Strafverfolgung eines Vergewaltigers in einer Ehe davon abhängig machen, daß das Opfer der Strafverfolgung zustimmt. Ich finde das deswegen besonders bedauerlich, weil offensichtlich alles das an Fortschritt, was Sie bereit sind, mit uns gemeinsam durchzusetzen, wieder weggenommen wird. Meine Bitte ist - ich weiß, Sie haben gewisse Probleme, sich das Ganze lebhaft vorzustellen; gerne tue auch ich das nicht, denn es gibt Schöneres als über vergewaltigte Frauen und Straftaten nachdenken zu müssen; aber es muß halt sein -, daß Sie sich einmal folgendes vor Augen führen: Die Frauen, die vergewaltigt werden, sind keine starken Frauen. Das sind keine durchsetzungsfähigen Frauen, denen man eine solche Zustimmung zur Strafverfolgung nach einer Vergewaltigung zumuten könnte. Die Männer, die ihre Frauen vergewaltigen, sind keine Gentlemen, mit denen man in irgendeiner Weise Abkommen treffen könnte, sondern sie sind üble Gewalttäter. Deshalb stimmt der Weg, den Sie bisher eingeschlagen haben, nicht. Meine Bitte ist, daß Sie das noch einmal sehr sorgsam überdenken. Ich sehe, daß sich der Kollege Lanfermann zu einer Zwischenfrage meldet. Wir hatten ja eine kleine Auseinandersetzung bei dem Thema über die Zuweisung der Ehewohnung. Ich habe daher gleich eine Bitte an Sie: Ich fände es sehr gut, wenn wir nicht nur die Anhörungen mit sogenannten Sachverständigen, die dann hoffentlich auch welche sind, durchführten, sondern wenn jeder von uns die Gelegenheit ergreifen würde, bis zur weiteren Gesetzesberatung zum Beispiel in einem Frauenhaus mit Opfern, mit solchen geschlagenen und vergewaltigten Frauen, selbst zu reden. Diese Einsicht in die soziale Situation, in das Leiden dieser Frauen und in die unglaubliche Abhängigkeit würde Ihnen, glaube ich, die gemeinsame Durchsetzung dessen, was vernünftigerweise sein müßte, erleichtern. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, der Kollege Lanfermann möchte eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin DäublerGmelin, da Sie vorhin so sehr viel Wert auf Genauigkeit gelegt haben, ist mir bei dem Wort „Zustimmung" die Frage eingefallen, ob Sie mir zustimmen, daß in dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen nicht die Strafverfolgung von der Zustimmung der Frau abhängt, sondern daß umgekehrt die Strafverfolgung unter besonderen Umständen dann eingestellt werden kann, wenn die Frau widerspricht?

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Man kann es noch präziser fassen. Ich danke Ihnen dafür, daß Sie den Versuch dazu gemacht haben. Der Unterschied - das werden Sie mir zugestehen, verehrter Kollege - ist nahezu gleich Null. Der Punkt ist, daß diese Abhängigkeit zwischen vergewaltigter Frau und Gewalttäter, zwischen einem Brutalo und einer Frau, die sich nicht wehren konnte, diese enorme Kluft berücksichtigt werden muß. Ich denke, das ist ein sachgerechtes Argument. Wenn Sie ein paarmal mit solchen Frauen reden, werden Sie sicher nicht der Ansicht sein, wir meinten, es ginge in allen deutschen Ehen so zu. Das meinen wir nicht. Sie werden dann auch sehen, daß die Überlegungen, hier zu einer vernünftigen Regelung zu kommen, richtig und korrekt sind.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich.

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Da Sie meine Frage nicht beantwortet haben, Frau Kollegin: ({0}) Es ging um eine Rechtskonstruktion, und Sie hatten sehr viel Wert auf Genauigkeit gelegt. Wenn Sie sagen, die Verfolgung hänge von der Zustimmung der Frau ab, könnte es keine Verfolgung geben, wenn sie nicht zustimmt. In Wahrheit handelt es sich bei dem Gesetzentwurf um ein ganz normales Verfahren - Offizialdelikt -, das nur unter besonderen Umständen, beim Widerspruch des Opfers, eingestellt werden kann, und dies auch nur dann, wenn die entsprechende Stelle - wir können uns noch darüber unterhalten, welche das am Ende sein soll - kein besonderes öffentliches Interesse feststellt. Es kommt mir sehr darauf an, daß wir hier juristisch klar definieren, unter welchen Voraussetzungen Strafverfolgung stattfindet bzw. beginnt, aber auch wieder beendet werden kann. Stimmen Sie mir insofern zu, daß ich jetzt den Gesetzentwurf der Koalition in diesem Punkt korrekt wiedergegeben habe? ({1})

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist doch gar keine Frage. Daß ich von Ihnen, lieber Kollege Lanfermann, im strafrechtlichen Umgang mit vergewaltigten Frauen ganz besonders auf Belehrungen angewiesen bin, möchte ich Ihnen noch einmal unterstreichend sagen. ({0}) Das Problem an der Geschichte ist doch - reden Sie nicht drumherum -: Ihnen paßt die gesamte Geschichte nicht. - Kollege Lanfermann, Sie dürfen übrigens gerne stehen bleiben, einfach wegen der „political correctness". ({1}) - Das Problem, daß Sie manchmal nicht zuhören, habe ich bisweilen bei Ihnen vermutet, gerade bei diesen Fragen. Ich hatte sowieso den Eindruck - das meine ich ganz ernst -, daß auch bestimmten Mitgliedern der F.D.P.-Fraktion bestimmte Fragenkreise und Ihnen besonders der vergewaltigter Frauen einfach fremd sind. Es geht viel weniger darum, ob Sie einen technischen Widerspruch nach eingeleitetem Ermittlungsverfahren von der Frau verlangen oder eine Zustimmung zur Strafverfolgung, sondern es geht darum, daß im gesamten Sachverhalt die Abhängigkeit der vergewaltigten Frau, des Opfers, von einem Ehemann, der sie vorher vergewaltigt hat, in einer Lebenssituation, die so geschildert ist, sich nicht auf das Verfahren auswirken sollte. Ich hoffe, ich habe mich jetzt so konkret ausgedrückt, daß wir eine weitere Verständigungsmöglichkeit haben, Herr Kollege Lanfermann. Meine Damen und Herren, noch weitere Dinge: In den letzten sechs Wochen haben wir Fortschritte in weiteren Fragen leider nicht erzielt. Frau Bundesjustizministerin, Sie haben vom Kindschaftsrecht gesprochen. Ich sage Ihnen: Wir warten. Das Kindschaftsrecht muß vorgelegt werden. Unsere Bitte ist, daß Sie wirklich nicht mehr lange warten. Angekündigt worden ist es schon ziemlich häufig. Das zweite ist eine Bitte an die Regierungskoalition, an die Mehrheit im Bundestag. Ich halte es nachgerade für einen Skandal, daß eine vernünftige, klare, sofort praktizierbare Entschädigungsregelung für die Deserteure des Zweiten Weltkriegs noch immer nicht auf dem Tisch liegt. ({2}) Es ist eine bedauerliche und, wie ich finde, schandbare Situation. Ich glaube, die Bundesregierung hätte hier schon längst hilfreicher sein können, als sie es bisher gewesen ist. Das geht nicht an. Ich darf noch einmal an Sie appellieren - ich habe es hier wirklich schon x-mal gesagt -: Die wenigen Menschen - es sind nicht mehr als 400 - werden immer älter. Jeder Monat des Zuwartens ist ein Monat des Unrechts mehr. ({3}) Diese alten Menschen sterben. Es müßte Ihnen eigentlich zu denken geben, daß jetzt schon wieder ganz falsche Zungenschläge in die Begründung dessen, daß man das Ganze eigentlich doch nicht wolle, hineinkommen. Besonders mißfällt mir, daß es plötzlich irgendwelche Universitätsprofessoren von Bundeswehrhochschulen gibt, die so tun, als könne sich die Bundeswehr auf Traditionen der Wehrmacht berufen. Genau das tut sie nicht, genausowenig wie sich unsere rechtsstaatliche Justiz auf Traditionen der Kriegsgerichtsbarkeit beruft. Es hat auch mit dem Wehrwillen oder der Wehrdienstbereitschaft junger Menschen nichts zu tun, wie die Kriegsgerichte in Hitler-Deutschland und im Krieg mit den Deserteuren umgegangen sind. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wir haben als Konsequenz dieser unmenschlichen Behandlung und der Tatsache, daß es sich um einen verbrecherischen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gehandelt hat und daß sich die Menschen, die als Soldaten dort verheizt wurden und mitmachen mußten, nicht dagegen wehren konnten, in unserem Grundgesetz mit dieser Haltung gebrochen, ein rechtsstaatliches System errichtet und die Bundeswehr, über die wir uns gerade unterhalten haben, extra auf demokratischen, auf rechtsstaatlichen Grundlagen aufgebaut. Ihr wäre ein Verhalten wie damals zu Zeiten HitlerDr. Herta Däubler-Gmelin Deutschlands überhaupt nicht gestattet. Wir sind stolz darauf, daß das nicht geht. Auch das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist ein Grundrecht. Ich finde es sehr bedauerlich, wenn man gerade in dieser Frage die Argumente durcheinanderwirft; das tut niemandem gut. Im übrigen halte ich es für außerordentlich bedauerlich, daß die Wehrbeauftragte, die von diesem Haus gewählt wurde, die Zivildienstleistenden leichtfertig in einer Weise tituliert - übrigens auch pauschal -, als seien das Leute, die sich drücken. Wir alle haben außerordentlich viele Möglichkeiten, uns mit jungen Bundeswehrsoldaten und mit Zivildienstleistenden zu unterhalten. Dabei können wir feststellen, daß es unter den Zivildienstleistenden Leute gibt, die unglaublich viel Verantwortung tragen und die ganz ungewöhnlich viel tun. ({4}) Das sage ich nicht nur deshalb, weil ich meinen Sohn ein ganzes Jahr lang als Rettungssanitäter beim Deutschen Roten Kreuz beobachten konnte. Dabei handelt es sich um eine Tätigkeit, ohne die ganze Sozialdienste bei uns zusammenbrächen und die einen Tag-und-Nacht-Einsatz sowie Verantwortungsbewußtsein für junge Leute mit sich bringt. Soviel zu pauschalen Urteilen - auch von Leuten, die unser Bundestag wählt. ({5}) Lassen Sie mich noch ein letztes Memento anbringen. Wir alle wissen: Die innere Sicherheit und die Kriminalitätsbekämpfung in unserem Land - auch das habe ich in diesem Haus schon x-mal angemahnt - müssen besser werden. Es ist zwar keineswegs so, daß die Zahlen ins Unermeßliche steigen; aber die Probleme in den Brennpunkten, der jungen Leute und in besonders schwierigen Gebieten, kennen wir alle. Meine Bitte ist - auch dieses hat sich leider Gottes seit der letzten Justizdebatte nicht verändert -, doch endlich den verhängnisvollen Kreislauf zu stoppen, den wir in England oder auch in den Vereinigten Staaten jeden Monat deutlicher sehen können. Dieser Kreislauf beruht auf einer falschen Gesellschaftspolitik, die in der Spaltung der Gesellschaft immer weitere Fortschritte macht und die Keile hineintreibt, immer Reichere, aber auch immer Ärmere, Randgruppen und Armut produziert, was dazu führt, daß Gewalt, Drogen und Waffen in immer stärkerem Maße aufkommen. Er beruht zudem auf einer Regierung, die auf Grund einer Mischung von liberalistischen - nicht liberalen - Werten und konservativer Hilflosigkeit meint, nur noch dadurch helfen zu können, daß sie immer härtere Strafen formuliert und nach immer stärkeren Gesetzen ruft. Diese können die eigentlichen Ursachen der Kriminalität aber gar nicht mehr erfassen. Deswegen können sie höchstens dazu beitragen, diesen schrecklichen Kreis zu schließen und immer schneller zu drehen. Unsere Bitte ist: Sie müssen mit uns endlich dafür sorgen, daß in unserem Land nicht immer mehr Randgruppen geschaffen werden, daß nicht immer mehr Kinder - heute ist es schon jedes siebte Kind - von Sozialhilfe leben müssen, daß die Zahl der Obdachlosen sinkt, die Zahl der Ausbildungsplätze steigt und daß die Zahl der Arbeitslosen nicht steigt. Denn Sie alle wissen: Dadurch wird der Nährboden für Randgruppenexistenzen, für Ausgrenzung und damit für Kriminalität nur noch angereichert. Diese Kriminalität können Sie mit Gesetzen nicht mehr bekämpfen. Wir bitten Sie deshalb nochmals, Frau Bundesjustizministerin, sich auch in die Debatten der anderen Herren Minister stärker einzuschalten, ob das nun im Bereich Arbeit und Soziales, im Bereich des Innern oder in anderen Zuständigkeitsbereichen ist. Wir werden Ihren Haushalt jedes Mal zum Anlaß nehmen müssen, diese Widersprüche nicht nur anzumahnen, sondern Sie aufzufordern, mit uns beides zu tun, nämlich die Kriminalität und ihre Ursachen zu bekämpfen. Die Kriminalität zu bekämpfen muß bei uns heißen: Ursachen bekämpfen und die Prioritäten richtig setzen. Das unterbleibt leider Gottes in einem außerordentlich bedauerlichen Maße. Frau Justizministerin, ich meine, wir werden uns auch weiterhin auseinandersetzen müssen. Ich rechne aber schon sowohl ein bißchen mit Ihrer Unterstützung als auch mit der Unterstützung vieler Kollegen dieses Hauses. Danke schön. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Eylmann das Wort.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin Däubler-Gmelin, meine Kritik an den letzten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts war differenzierter als Ihre Kritik an meiner Kritik. Das Bundesverfassungsgericht hat keineswegs entschieden, daß das Elternrecht dem Recht des Staates bei der religiösen Erziehung vorgeht. Hätte es so entschieden, hätte ich kein Wort der Kritik gesagt. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Das Gericht hat entschieden, daß das kleine Kreuz neben der Tür - mag es noch so klein sein - einen unzumutbaren Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern darstellt. ({0}) Es hat gesagt, es sei eine unzumutbare Beeinflussung der Kinder. ({1}) Diese Entscheidung halte ich für lebensfremd. Die Römer hatten für eine solche auf die Spitze getrieHorst Eylmann bene Gerechtigkeit ein schönes Wort: Summum ius summa iniuria. Ich habe viele getroffen, die zum Christentum und zum Kreuz eine sehr neutrale Beziehung haben, die dennoch gesagt haben: Wir verstehen nicht, wie Richter sagen können, das sei eine unzumutbare Beeinflussung der Kinder. Das ist meine Kritik gewesen. Darüber kann man sich auseinandersetzen. Ich glaube aber nicht, daß sie undifferenziert war. Im übrigen habe ich mit großem Nachdruck gesagt, Frau Kollegin, daß auch Urteile, die ich für falsch halte, respektiert werden müssen. Ein Wort zum ,,Soldaten-sind-Mörder"-Beschluß. Ein Fall, der dort entschieden wurde, war folgender: Junge Soldaten haben einen Informationsstand auf einer Ausstellung. Vor diesem Stand wird ein Transparent entrollt und bleibt dort, auf dem steht: Soldaten sind potentielle Mörder. Selbst in diesem Fall - sagt das Bundesverfassungsgericht - müsse überlegt werden, ob nur die Soldaten der Bundeswehr gemeint seien oder das Soldatentum schlechthin. Wenn das richtig ist, dann kann ich mir keinen Fall mehr vorstellen - es sei denn, die militanten Pazifisten sind ziemlich blöd und sagen zu dem Soldaten: Sie sind ein Mörder -, bei dem es strafrechtlich noch relevant sein soll, in Gegenwart von Soldaten der Bundeswehr zu sagen: Soldaten sind Mörder. ({2}) Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung. Zu sagen, wir können uns wehren, ist ein billiges Argument, Herr Beck. Man kann sich mit Worten wehren. Aber da stehen junge. Wehrpflichtige, und das sind nicht Männer und Frauen des Wortes wie wir. Diese jungen Wehrpflichtigen lassen wir im Stich, verlangen aber von ihnen einen Dienst für unseren Staat. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau DäublerGmelin, Sie können darauf antworten.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Eylmann, es wäre außerordentlich bedauerlich, wenn Sie den Eindruck hätten, ich hätte Sie persönlich gemeint. Das habe ich überhaupt nicht. ({0}) - Nein, in einem anderen Zusammenhang. Wenn Sie das Protokoll nachlesen, werden Sie das sehen. Im Gegenteil: Ich teile Ihre inhaltliche Kritik nicht, auch nicht die Auffassung, daß das Urteil lebensfremd sei. Ich finde aber, Sie gehören zu denjenigen in der Union, die ganz sicher ihre Anforderungen gegenüber anderen, sich nicht rüpelhaft zu benehmen, selber befolgen. Deswegen bin ich der Auffassung, daß jede Auseinandersetzung mit Ihnen ein Gewinn ist. Zu den Einzelheiten: Das Kruzifix-Urteil hat sehr deutlich das Elternrecht auf religiöse Erziehung herausgestellt. Dazu gehört auch, daß jetzt die Frage entschieden werden mußte, ob die bayerische Staatsregierung per Recht, per ganz klarer allgemeinverbindlicher rechtlicher Grundlage ein Kreuz in einem Klassenzimmer anordnen kann, ja oder nein. Diese Anordnung, verehrter Kollege Eylmann - jetzt wende ich mich in der Tat an Sie -, durch Rechtsverordnung oder Gesetz hat Karlsruhe außer Kraft gesetzt und gesagt: Das geht nicht; wenn Kreuze in Klassenzimmern hängen sollen, müssen die Eltern das wollen bzw. damit einverstanden sein. Ich denke, Sie werden mir zustimmen, daß es genügend Möglichkeiten und genügend Wege gibt, eine vernünftige religiöse Erziehung von Kindern in diesem Sinne mitzuverwirklichen. Jetzt zum Soldaten-Urteil. Ich darf noch einmal sagen: Ich teile Ihre Interpretation hierzu genauso wenig wie die Interpretation zur BAG-Rechtsprechung. Ich bin auch sehr gerne bereit, mich mit Ihnen im Detail darüber auseinanderzusetzen. Aber jetzt so zu tun, als wären die Bundeswehrsoldaten Betroffene, als gäbe es irgendeinen Zweifel daran, daß Karlsruhe gesagt hat, wer diesen Satz auf Bundeswehr oder Soldaten anwendet, macht sich strafbar, halte ich schlichtweg nicht für zulässig. Das ist der Grund, warum ich mich noch einmal gemeldet habe. In der Sache setze ich mich gerne mit Ihnen auseinander. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort dem Kollegen Norbert Geis.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Däubler-Gmelin, wenn sie das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts verteidigen, müssen Sie bedenken, daß dasselbe Verfassungsgericht die christliche Gemeinschaftsschule, die nach der Verfassung des bayerischen Staates möglich ist, sanktioniert, also akzeptiert und als mit der Verfassung konform erklärt hat. Dasselbe Bundesverfassungsgericht hat auch das Schulgebet sanktioniert und als mit der Verfassung konform erklärt. Daher dürfen Sie sich nicht darüber wundern, daß sich die Bevölkerung wundert, wenn das Symbol der christlichen Gemeinschaftsschule, die sehr wohl verfassungskonform ist, nämlich das Kreuz, nun nicht mehr aufgehängt werden kann. Das wird von weiten Teilen der Bevölkerung einfach nicht verstanden. Und ich sage Ihnen: Ich verstehe es auch nicht. ({0}) Das gleiche gilt auch für die Entscheidungen zum Tucholsky-Zitat vom August des letzten Jahres und vom letzten Dienstag. Auch sie stoßen in der Bevölkerung auf Unverständnis. Es ist nämlich nicht so, wie Sie sagen. Heute kann jemand in der Bundesrepublik Deutschland fast ohne argumentativen AufNorbert Geis wand sagen: Die Soldaten sind Mörder. Wen meint er denn? Er meint doch nicht Soldaten irgendwo in Afrika, sondern er meint doch die Soldaten in der Bundesrepublik Deutschland. Wen denn sonst? Zumindest meinen die Soldaten hier, daß sie gemeint sind. Und die Bevölkerung meint auch, daß diese Soldaten gemeint sind. Deswegen stoßen diese Entscheidungen auf Unverständnis in der Bevölkerung. Ich habe Verständnis für dieses Unverständnis. ({1}) Es ist ja richtig, daß man differenzieren muß und daß diese Entscheidung auch einiges hergibt. Es ist ja auch richtig, daß man - wenigstens in diesem Forum - nicht pauschal das wiederholen kann, was die Bevölkerung draußen empfindet. Die Bevölkerung kann sich natürlich nicht im einzelnen so damit beschäftigen, wie wir das vielleicht tun sollten. Aber es ist schon wahr, daß das Ansehen des Bundesverfassungsgerichtes gelitten hat, und zwar nicht wegen der Kritik an den Beschlüssen, sondern weil es Entscheidungen gefällt hat, die von der Bevölkerung einfach nicht verstanden worden sind. Deswegen hat das Ansehen des Bundesverfassungsgerichtes gelitten. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin ja auch Ihrer Meinung, daß sich das Verfassungsgericht nicht zum Sprachrohr der Volksmeinung machen kann und daß es seine Urteile nicht nach demoskopischen Umfragen fällen kann. Da bin ich natürlich Ihrer Meinung. Die Verfassungsrichter müssen unabhängig sein. Sie brauchen diese Unabhängigkeit, um das sein zu können, was sie sein müssen, nämlich Wächter der Wertordnung, die in unserer Verfassung zugrunde gelegt ist. Paul Kirchhof, selbst Verfassungsrichter, sagt: Die Aufgabe des Verfassungsgerichtes ist es, daß das Verfassungsgericht im Wertewandel darauf achtet, daß die festgeschriebenen Werte - die Wertfestschreibungen, wie er wörtlich sagt - eingehalten werden. Die Wertfestschreibungen finden wir in unserer Verfassung zunächst einmal in den Grundrechten. Das zentrale Grundrecht unter unseren Grundrechten ist die Würde des Menschen. Zur Würde des Menschen gehört ganz unbestritten der Ehrenschutz. Das haben schon die alten Römer so abgeleitet, und das steht auch so im Preußischen Allgemeinen Landrecht.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heuer?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich beende erst den Satz. Einen Moment, bitte. Auch das Verfassungsgericht - das haben Sie zu Recht herausgestellt - anerkennt ja grundsätzlich den Ehrenschutz. Aber das Gericht wird doch in den Auswirkungen seiner Urteile seinem eigenen Maßstab und auch dem Maßstab unserer Verfassung nicht gerecht. Seit dem Lüth-Urteil aus dem Jahr 1958 haben wir doch eine Verschiebung zu Lasten des Ehrenschutzes und zugunsten der Meinungsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht begründet dies ja auch. Es sagt, die Meinungsfreiheit sei das vornehmste Recht, es sei konstitutiv für die Demokratie, es sei das Freiheitsrecht schlechthin. Ich will das auch anerkennen. Nur, die Meinungsfreiheit ist doch erst möglich, wenn derjenige, der seine Meinung frei äußert, auch die Sicherheit hat, daß er dafür nicht an den Pranger gestellt und in den Dreck gezogen wird. Denn sonst würde er es ja lassen; dann sagt er nicht so schnell frei seine Meinung. Wenn dies aber auf Grund der Rechtsprechung möglich ist, weil seit dem Lüth-Urteil von 1958 der Ehrenschutz zugunsten der Meinungsfreiheit eingeschränkt wird - so ist es ja; es gibt insoweit eine ganze Reihe von Urteilen -, dann ist dies, wie ich meine, ein falscher Weg. Wir müssen wieder eine Balance zwischen Ehrenschutz und Meinungsfreiheit finden. Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen, daß die Würde des Menschen - aus ihr folgert der Ehrenschutz - das erste Grundrecht ist. Wenn dieses gewahrt wird, dann ist Meinungsfreiheit erst richtig möglich. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Gestatten Sie nun die Zwischenfrage?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Heuer.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Werter Herr Kollege Geis, meine Frage ist folgende: Wenn jemand der Auffassung ist - um diese Auffassung geht es ja -, daß Soldaten berufsmäßig zum Töten, zum Krieg ausgebildet werden, und wenn er den Krieg grundsätzlich ablehnt, dann ist das eine radikale Position, die sich gegen den Krieg und gegen die Ausbildung von Menschen zum Töten anderer Menschen im Krieg richtet. Meinen Sie nicht, daß eine solche Position vertreten werden kann und darf? Das ist doch wohl auch der Inhalt des Urteils. ({0})

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerade diese Ihre Äußerung, mit der im übrigen Frau Däubler-Gmelin überhaupt nicht übereinstimmt - insofern sind wir hier einer Meinung, um gar keinen falschen Zungenschlag aufkommen zu lassen -, rechtfertigt ja gerade meine Aussage, daß wir uns Gedanken darüber machen müssen - Frau Tiemann hat das ja schon gesagt -, wie wir in dieser Auseinandersetzung dem Schutz der Ehre der Soldaten wirklich gerecht werden können. Sie müssen auch einmal die psychologischen Rückwirkungen solcher Meinungsäußerungen auf die Soldaten selbst sehen. Wir haben es ja bei dem Großen Zapfenstreich miterlebt; vorhin hat Herr Schulze das auch erwähnt. Es sind ja nicht übersehbare psychologische Folgen, denen die Soldaten ausgesetzt sind. Sie müssen sich ja lächerlich vorkommen, wenn sie sich gegen solche Vorwürfe nicht wehren können. ({0}) Eine Unterlassungsklage ist ja ohne jegliche Aussicht auf Erfolg. Die Soldaten müssen sich vorkommen, als stünden sie am Rande unserer Gesellschaft. Das zersetzt doch auch die Wehrkraft, das mindert doch unsere Verteidungsfähigkeit, das schwächt das Ansehen der Bundeswehr. Das kann doch nicht in unserem Interesse sein. Deswegen müssen wir Wege finden, wie wir hier wieder einen Ausgleich schaffen können. Ich gebe ja zu, daß dies dem Bundesverfassungsgericht vielleicht schwerer als dem Gesetzgeber fallen wird.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Gysi?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eigentlich möchte ich zum Ende kommen, aber bitte sehr, Herr Gysi. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege, da wir ja zum Beispiel hinsichtlich dieser Rechtsprechung auch schon Opfer waren, möchte ich Sie nur auf die Gefahren hinweisen, die damit verbunden sind, daß es dann - ({0}) - Nun warten Sie doch einmal ab; es wird Sie ja vielleicht sogar begeistern. Als der Bundeskanzler die PDS-Mitglieder pauschal als „rotlackierte Faschisten" bezeichnet hat - ({1}) - Ja, jetzt kommen Sie nämlich in Schwierigkeiten. - Dann hat uns eine Zeitung pauschal als „Mörderpartei" bezeichnet. Wir haben versucht, dagegen juristisch vorzugehen, und es ist interessanterweise mit genau demselben Argument erwidert worden: Wenn es sich gegen ein einzelnes Mitglied gerichtet hätte, dann könnten wir selbstverständlich juristisch etwas unternehmen, weil ja nachprüfbar ist, ob es stimmt oder nicht. Da es sich aber pauschal gegen eine große unbestimmte Gruppe richtet, ist eben nicht die Würde des einzelnen verletzt und die Frage der „einzelnen Ehre" nicht berührt. Vielmehr geht das in den Bereich der Meinungsfreiheit hinüber. Wir hatten dazu natürlich eine andere Auffassung, wie Sie sich vorstellen können. Ich möchte nur auf eines hinweisen - das ist meine Frage -: Wenn Sie das aufweichen, weichen Sie das ja für alle Kollektive auf. Das würde dann die gesamte Art und Weise des Umgangs miteinander verändern, weil Sie dann natürlich pauschale Urteile überhaupt nicht mehr fällen dürften, wenn Sie immer auf den einzelnen zurückbezogen werden könnten. Darin würde doch auch eine Gefahr bestehen, oder sehen Sie das anders?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Gysi, ich antworte mit einem einzigen Satz: Der Mord an der Mauer war Mord. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich in der mir noch verbleibenden Zeit kurz auf das Problem der Vergewaltigung in der Ehe eingehen, das Frau Däubler-Gmelin aufgeworfen hat. Wir haben - Herr Lanfermann hat das schon gesagt - das Widerspruchsrecht vorgesehen. Das ist ein starkes Recht für die Frau. Die Frau kann damit erstens ihre Ehe retten, wenn sie das will. Sie kann damit zweitens auch ihre Kinder schützen, weil sie unter Umständen kein Interesse daran haben kann, daß der Vater ihrer Kinder wegen Vergewaltigung als Verbrecher verurteilt wird. Sie kann sich zum dritten auch selbst schützen, indem sie das, was ihr geschehen ist, nicht aktenkundig macht. Das ist ja im Interesse vieler Frauen. Ich glaube also schon, daß das Widerspruchsrecht ein starkes Recht ist. Aber ich gebe Ihnen recht: Wir müssen uns gemeinsam Gedanken darüber machen, wie wir eine gesetzliche Regelung finden, um den Druck, der durchaus entstehen kann - der im übrigen auch bei der Aussagebereitschaft einer Frau, die ja als Zeugin auftreten muß, entsteht; der auch bei der Versöhnungsklausel entsteht -, kanalisieren bzw. transparent machen zu können. In der Folge könnten wir dann zu dem Ergebnis kommen: Der Mann muß doch verurteilt werden. Dann wäre das Widerspruchsrecht nach unserer Regelung tatsächlich kein Widerspruchsrecht. Ein Wort noch zum Asyl. Wir haben zusammen in diesem Haus die Asylgesetzgebung verabschiedet. Das war eine große Leistung im Interesse unseres Volkes, weil wir damit starken extremistischen Strömungen Widerstand leisten konnten. Das wollen wir nicht abschwächen. Ich bin ja dafür, daß wir uns Gedanken machen, ob die eine oder andere Regelung ganz greift oder glücklich ist. Ich möchte aber ein Wort für die Abschiebehaft sagen. Wenn Leute hier kein Asyl finden können, sofern dies gerichtlich festgestellt ist, dann müssen wir eine Möglichkeit finden, diese abzuschieben. Das geht nicht ohne Abschiebehaft. Deswegen verteidige ich diese. Meine sehr verehrten Damen und Herren, angesichts der begrenzten Zeit kann ich keine Ausführungen zur gesamten Rechtspolitik machen. Das ist auch schon geschehen. Im übrigen wird Frau Bundesjustizministerin noch Ausführungen machen. Ich bedanke mich für die loyale und sehr gute Zusammenarbeit im Ausschuß über die Parteigrenzen hinweg. Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit mit dem Justizministerium und der Justizministerin. Ich hoffe, daß wir in Zukunft so weiterarbeiten können. Danke schön. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger das Wort.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich auch mit einem Dank an die Berichterstatter beginnen, die sich sehr um den - wenn auch mit geringem finanziellem Volumen versehenen - Justizhaushalt verdient gemacht haben. Denn gerade geringe Einschnitte und Kürzungen in diesem Etat wirken sich noch gravierender aus, als das bei umfangreicheren Etats der Fall ist. Selbstverständlich werden wir trotz schmerzlicher Personalkürzungen künftig alles tun, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Justizministeriums Ihnen im Rechtsausschuß und in den mitberatenden Ausschüssen die Arbeit soweit wie möglich erleichtern können, Sie unterstützen können und vor allen Dingen auch Ihren Berichtswünschen rechtzeitig, umfassend und vollständig entsprechen können. ({0}) Ich hätte mir gewünscht, daß im Mittelpunkt der Debatte zur Justizpolitik nicht so sehr das Bundesverfassungsgericht steht, sondern die Rechtspolitik, die wir hier gestalten wollen: einmal natürlich die Parlamentarier, aber auch die Bundesregierung, also die Exekutive. Ich entnehme diesem Umstand, daß in den wesentlichen Vorhaben, die sich die Koalition in dieser Legislaturperiode vorgenommen hat, weitgehend Übereinstimmung besteht. Ich darf die Reform des Kindschaftsrechts erwähnen, Frau Däubler-Gmelin, die natürlich kommt, wenn mir die Länder, die eine Frist bis zum 30. Oktober hatten, jetzt endlich ihre Stellungnahmen schicken. Ich werde nicht beliebig warten, sondern ich werde, auch wenn die Stellungnahmen nicht vorliegen, sehen, daß ich die Kindschaftsrechtsreform noch in diesem Jahr als Entwurf in das Bundeskabinett einbringe. Bayern hat uns seine Zustimmung zu wesentlichen Punkten des Gesetzgebungsvorhabens schon mitgeteilt; sonst sieht das leider noch nicht so doll aus. Ich glaube, es ist ganz deutlich, daß wir hier den Erwartungen der Rechtspolitiker und natürlich der Politiker in anderen Ausschüssen gerecht werden. Es ist ein Vorhaben, das zu Recht den Namen Reform verdient; denn wir reagieren nicht nur auf gesellschaftliche Veränderungen und Entwicklungen, sondern wir zeigen auch Wege auf, wie mit den vorgeschlagenen Regelungen weitere Entwicklungen aufgegriffen werden können. Das betrifft gerade die Stellung der Kinder. Das betrifft auch die Verantwortung der Eltern. Das betrifft zum Beispiel unser Verständnis von Verantwortung der Eltern gegenüber Kindern, auch wenn die Eltern nicht mehr oder nicht verheiratet sind. Frau Däubler-Gmelin, Sie haben in einem Punkt, und zwar die innere Sicherheit betreffend, dargelegt, daß nach Ihrem Verständnis Kriminalitätsbekämpfung immer Ursachenbekämpfung heißt. Das ist bestimmt mit ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Kriminalitätsbekämpfung. Deshalb setzen wir, gerade was die Korruptionsbekämpfung angeht, sehr entscheidend auf Prävention, ganz entscheidend darauf, daß zum Beispiel im Bereich der Vergabeordnung klargemacht wird, daß dann auch einmal Unternehmen für bestimmte Zeiten ausgeschlossen werden können. Aber gerade deshalb sind wir nicht mit dem Vorschlag einverstanden - wie übrigens zusammen mit der bayerischen Staatsregierung, ich will das hier einmal betonen -, die Unrechtsvereinbarung im Bestechungstatbestand als Voraussetzung für strafbares Verhalten entfallen zu lassen. Ich halte das für einen falschen Weg, gegen Korruption vorzugehen. Ich hoffe, wir sind uns in diesem Kreis einig, daß in diesem Punkt eine Korrektur der uns erreichenden Vorschläge notwendig ist. Ich möchte aber auch einen weiteren Bereich ansprechen, nämlich die Inititative des Landes Baden-Württemberg, die jetzt im Bundesrat eingebracht worden ist. Es ist selbstverständlich, daß ich das zur Frage der Bekämpfung der Kriminalität anspreche, insbesondere der organisierten Kriminalität. Darin ist eigentlich nicht viel von Ursachenbekämpfung die Rede, sondern darin geht es darum, konzentriert und konsequent Grundrechte einzuschränken. Da geht es um Art. 14 des Grundgesetzes und um ganz empfindliche Änderungen in der Beweislastfrage. Das ist eine Beweislastumkehr. Die Unschuldsvermutung steht in diesem Vorschlag auf dem Prüfstand. Ich darf hinzufügen: Auch hinsichtlich Art. 13, Unverletzlichkeit der Wohnung, ist eine Einschränkung vorgesehen. Ich glaube, das stimmt mit den Forderungen, die Sie erheben, nicht überein, daß Kriminalitätsbekämpfung in erster Linie Ursachenbekämpfung sein muß und nicht immer weitere Veränderungen im Bereich des Strafrechts mit Auswirkungen auf die Verfassung nach sich ziehen darf.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Däubler-Gmelin?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Ja, bitte.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Bitte schön.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Justizministerin, wenn Sie schon beim Aufzählen von bestimmten bedenklichen Vorschriften sind: Haben Sie bemerkt, daß in § 16 des BundeskriminalamtsgeDr. Herta Däubler-Gmelin setzes - so der Entwurf - der große Lauschangriff weit über der Eigenverteidigung der Beamten des Bundeskriminalamtes steht? Findet das eigentlich Ihre Billigung?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Frau Däubler-Gmelin, in diesem Paragraphen des Gesetzentwurfes zum Bundeskriminalamtgesetz ist eine Regelung enthalten, die man mit dem sogenannten kleinen Lauschangriff umschreiben könnte. Es ist bekannt, daß nicht nur die F.D.P.-Fraktion, sondern gerade auch ich meine Bedenken - auch im Kabinett - gegen diesen Punkt und einige andere Punkte deutlich gemacht habe. Deshalb stehen diese Punkte im Mittelpunkt der noch notwendigen Beratungen zu diesem Gesetzentwurf.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Bitte.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, ich habe davon gehört, daß die Freie Demokratische Partei demnächst dem Willen ihrer Mitglieder lauschen will. Wie werden Sie sich verhalten, wenn bei dieser Mitgliederbefragung ein solcher Lauschangriff für notwendig gehalten wird?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Herr Schily, wir machen eine Mitgliederbefragung zu diesem Thema. Die SPD hat sich sehr schnell über ihre eigentlich gute Tradition hinweggesetzt und in einem Gesetzentwurf eine Einschränkung dieses Grundrechts vorgesehen. Ich glaube nicht, daß heute .zur Debatte steht, wie ich mich oder wie sich andere verhalten, wenn das Ergebnis des Mitgliederentscheides vorliegt. ({0}) Das warten wir ab. Das wird Anfang Dezember der Fall sein. Die Mitglieder werden ihre Stimme auf Grund sachlicher Gesichtspunkte und nicht irgendwelcher anderen Gründe abgeben. Im Lichte des Ergebnisses dieses verbindlichen Mitgliederentscheides wird dann jeder für sich sehen, wie er mit dem Ergebnis am besten umgeht. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Ministerin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Ja, bitte.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zunächst einmal, Frau Ministerin, darf ich darauf hinweisen, daß es keinen Entwurf der SPD dazu gibt. Es gibt einen Entwurf aus dem Land Baden-Württemberg. ({0}) - Das wird in unserer Bundestagsfraktion kritisch zu diskutieren sein. Ich sage Ihnen das mit allem Freimut, damit auf Ihrer Seite gar keine Mißverständnisse entstehen. Welche Empfehlung haben Sie denn als in einer herausgehobenen Position tätige Politikerin ihren Mitgliedern für diese Entscheidung gegeben?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Herr Schily, ich glaube, daß das bekannt ist. Es ist wahrscheinlich noch mehr als amtsbekannt. ({0}) Denn es liegt den Mitgliedern nicht nur ein Antrag, sondern es liegen ihnen zwei Anträge vor, die beide Positionen deutlich machen und Argumente enthalten. Ich habe mich bei der Willensbildung in meiner Partei auf Grund meiner Überzeugung selbstverständlich gegen das Abhören in Wohnungen und gegen eine Einschränkung - meiner Meinung nach eine ganz massive Einschränkung - des Art. 13 des Grundgesetzes ausgesprochen. Es ist gut, wenn wir uns innerhalb der F.D.P. - ich freue mich, daß ich etwas zur F.D.P. sagen kann, wo ich doch die Rechtspolitik der Bundesregierung noch sehr viel ausführlicher darlegen wollte - sehr argumentativ und sehr sachlich mit dieser Frage auseinandersetzen. Aber ich mache überhaupt kein Hehl daraus, wie meine persönliche Meinung in dieser für mich wirklich wichtigen Sachfrage ist. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Koppelin?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Ja, bitte.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, da Sie eine Auffassung vertreten, die ich teile - Sie sind gegen diesen Lauschangriff -, darf ich Sie fragen, ob es Bedenken gibt, wenn man Ihre Stellungnahme auch an Nicht-F.D.P.-Mitglieder weitergibt? Wenn ja, wäre ich bereit, sie dem Kollegen zur Verfügung zu stellen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Herr Koppelin, das ist öffentlich. Das unterliegt nicht irgendwelchen Beschränkungen und ist auch nicht mit „Dienstlich/Vertraulich" versehen. Von daher kann ich Ihre Frage nur mit einem uneingeschränkten Ja beantworten. ({0}) Meine Damen und Herren, innere Sicherheit - es sind nur einige Teilaspekte angesprochen worden Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bedarf wirklich nicht nur des Denkens in Veränderungen und Verschärfungen von Gesetzen. Da kann es immer wieder Lücken geben, auf die entsprechend reagiert werden muß. Liberale reagieren da mit Sicherheit sehr viel behutsamer als jemand, der generell mehr Vertrauen in das Strafrecht setzt. Gerade deshalb spreche ich mich dafür aus, Herr Beck, die Bilanz der Gesetze, die in der letzten Legislaturperiode verabschiedet worden sind, sehr sorgfältig zu erarbeiten. Ich glaube, Sie werden mit mir darin übereinstimmen, daß ein Jahr, das noch nicht einmal ganz vergangen ist, nicht ausreichen kann, um schon heute eine abschließende Bilanz oder umfassende rechtstatsächliche Erkenntnisse aus den Ländern zu haben, die wir Ihnen vorlegen können. Wir werden eine solche Bilanz in dieser Legislaturperiode sehr sorgfältig erstellen; denn wir wollen sehen, was sich von dem, was wir verabschiedet haben, bewährt und was nicht. Dann werden wir daraus Konsequenzen ziehen, meiner Meinung nach auch in großer Verantwortung gegenüber unserer Verfassung und den Grundrechten, die dort verankert sind. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Beck?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Bitte!

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, teilen Sie womöglich auch meine Auffassung, daß man, solange diese Auswertung nicht seriös vorgenommen worden ist, auf das Beschließen von Gesetzen wie die Einführung der Hauptverhandlungshaft verzichten sollte, die ja gerade damit begründet wird, daß man ahnt, es könnte bei der Anwendung mancher gesetzlichen Regelung, die in diesem Paket enthalten ist, gewisse Schwierigkeiten geben, so daß wir als Gesetzgeber seriöserweise auf die Auswertung durch das Justizministerium warten und den Gesetzentwurf der Koalition bis dahin im Rechtsausschuß liegen lassen sollten?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Herr Beck, es gibt in den Gesetzen, die wir verabschiedet haben, nichts Vergleichbares wie die Hauptverhandlungshaft, so daß wir auch nicht Bilanz ziehen können zu etwas Ähnlichem, weil es gar nicht in Gesetzen enthalten ist. Die Hauptverhandlungshaft ist ein Bestandteil des Gesetzespakets, gerade mit der Vorstellung und der Absicht, nicht kurzen Prozeß zu machen, sondern zu ermöglichen, daß die Hauptverhandlung mit den Rechten, die jeder Beschuldigte, Angeklagte, Angeschuldigte hat, möglichst zügig durchgeführt wird. Von daher bin ich der Meinung, daß man über dieses Vorhaben sehr wohl gesondert beraten kann, ohne daß man die komplette Bilanz, die wir zum Verbrechensbekämpfungsgesetz und zu vielen Bestimmungen in diesem Gesetz nach hoffentlich guter Mitwirkung der Länder ziehen werden, vorliegen hat.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Beck?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Ja.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist Ihnen bekannt, daß der Koalitionsantrag in dieser Frage - es ist ja kein Antrag aus Ihrem Hause - damit begründet wird, daß die Möglichkeiten zum beschleunigten Verfahren von den Gerichten nicht ausreichend genutzt werden und daß man deshalb in diesem Zusammenhang die Hauptverhandlungshaft bräuchte? Insofern besteht doch ein gewisser Zusammenhang zu bestimmten gesetzlichen Regelungen aus der letzten Wahlperiode, die, wie Sie richtig sagen, noch nicht seriös ausgewertet werden konnten.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Minister:in)

Politiker ID: 11001336

Herr Beck, wir haben das beschleunigte Verfahren auf der Grundlage dessen, was schon lange in der Strafprozeßordnung verankert ist und was im Gesetz zur Verbrechensbekämpfung geändert worden ist. Wir haben neben den Erleichterungen, die dort vorgesehen sind und von denen die Justiz Gebrauch machen kann, gesagt: Dazu paßte auch die Hauptverhandlungshaft. Der Antrag entspricht vom Gesetzestext her genau dem, was damals im Verbrechensbekämpfungsgesetz enthalten war. Wenn wir diesen Antrag jetzt beraten und noch einmal die Experten dazu hören, dann kann man mit diesem Vorschlag in Ruhe umgehen. Wir sollten ihn auch gar nicht so in den Mittelpunkt stellen; sonst entsteht der Eindruck, das sei das einzige, was wir uns im Zusammenhang mit dem Strafrecht oder dem Verfahrensrecht überlegen. Wir überlegen ja sehr wohl - Herr Kleinert hat das gesagt -, nicht weiterzumachen auf dem Weg, den wir bisher beschritten haben, nämlich immer nur nach Wegen und Möglichkeiten zur Einschränkung der Inanspruchnahme von Verfahren zu suchen. Das wollen wir nicht. Wir wollen die Beschwerdesummen und die Berufungssummen nicht immer noch etwas anheben und quasi in dem Bereich, der am weitesten abgegrast ist, noch ein l-Tüpfelchen draufsetzen. Im Zweifel führt das auch nicht zur Entlastung der Justiz, sondern geht eher zu Lasten gerade der Menschen, die mit geringeren Streitwerten vor das Gericht ziehen. Das wollen wir denen nicht zumuten. Deswegen kämpfen wir alle hier im Bundestag gemeinsam dafür, die Vorhaben, die uns von den Ländern vorgelegt werden, meist einstimmig, so nicht auch Gesetz werden zu lassen. Ich freue mich, daß wir hier in den Grundzügen im wesentlichen eine Meinung und eine Auffassung vertreten. ({0}) Ich möchte selbstverständlich auch ein Wort zum Bundesverfassungsgericht sagen, und zwar auch zur Kritik am Bundesverfassungsgericht. Dabei möchte ich einen Gesichtspunkt zu Beginn hervorheben: Wenn Kritik an Verfassungsorganen dazu führt, sich deutlich zu machen und bewußt zu werden, wo welBundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger che Kompetenzen liegen, gerade in der Abgrenzung zwischen Rechtsprechung und Gesetzgebung, dann ist das ein positiver Beitrag. Ich kann einen der Punkte, die Sie, Frau DäublerGmelin, genannt haben, voll unterstreichen. Auch ich bin der Meinung, daß der Gesetzgeber durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts so wenig wie möglich in seiner politischen Entscheidungs- und Handlungsfreiheit eingeschränkt werden möchte, sei es im Steuerrecht, sei es in Fragen der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Ich glaube, wir sollten uns künftig mehr mit der Frage beschäftigen: Wohin führt eine Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die die Grundrechte immer mehr als Anspruchsrechte des einzelnen auf ein ganz bestimmtes Handeln des Staates versteht? Das nämlich verschiebt die Gewichtung zwischen Gesetzgebung und den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. - Das ist die eine Ebene. Die zweite Ebene bezieht sich auf den Umgang mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Wir alle sind uns darüber im klaren, daß eine sachliche Kritik und Auseinandersetzung sehr wohl möglich und erlaubt ist. Für mich ist entscheidend, daß die Autorität und die Bedeutung von Verfassungsorganen, gerade auch des Bundesverfassungsgerichts, nicht in Frage gestellt werden dürfen. ({1}) Das ist ganz entscheidend; denn in einer Zeit, in der wir über Werteverlust und Wertemangel klagen, dürfen wir nicht die Institutionen, die auf Grund unserer Verfassung wirklich unverzichtbar sind, in Frage stellen. Es ist wichtig, daß wir durch unsere hier stattfindenden Debatten versuchen, dazu beizutragen, in der Bevölkerung, bei den Bürgerinnen und Bürgern, Mißverständnisse bezüglich des Verständnisses und der Bedeutung von Entscheidungen auszuräumen. Ich möchte jetzt nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Thema „Soldaten sind Mörder" zitieren. Dann aber würde deutlich, daß das Bundesverfassungsgericht in dieser schwierigen Situation mit der Meinungsfreiheit auf der einen Seite und dem Persönlichkeits- und dem Ehrenschutz auf der anderen Seite behutsam und moderat umgegangen ist. ({2}) Ich finde es gut, wenn wir uns hier über diese Fragen sachlich verständigen; denn im Zweifel stärkt genau das die Menschenwürde und die Meinungsfreiheit. Das wäre das, was wir wirklich brauchen. Dazu sollten wir unseren Beitrag leisten. Vielen Dank. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Einzelplan 07, Bundesministerium der Justiz. Wer für den Einzelplan 07 in der Ausschußfassung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann ist der Einzelplan 07 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht. Ich bitte diejenigen, die für den Einzelplan 19 in der Ausschußfassung stimmen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Einzelplan mit wenigen Gegenstimmen und Stimmenthaltungen seitens der Gruppe der PDS angenommen worden ist. Dann rufe ich Tagesordnungspunkt I 23 auf: Einzelplan 25 Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - Drucksachen 13/2621, 13/2626 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Pützhofen Jürgen Koppelin Dr. Rolf Niese Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und sechs Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Rolf Niese.

Dr. Rolf Niese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001610, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesbauminister setzt die Folge der wohlklingenden Verlautbarungen in gewohnter Manier fort. Mißt man diese Folge der Ankündigungen aber an Umsetzungserfolgen, so erweist sie sich nahezu - und das muß ich als Mathematiker sagen - als Nullfolge. ({0}) Geändert hat sich an seiner Politik nichts. Noch immer folgen seinen hehren Worten kaum Taten. Noch immer fehlen zwischen 1,5 Millionen und 2 Millionen Wohnungen zu bezahlbaren Mieten. Und das ist das Entscheidende. ({1}) Herr Minister, es reicht nicht, dauernd mit großem öffentlichen Getöse Anläufe zu unternehmen, sie müssen endlich auch einmal springen. ({2}) Nun will ich dem Bundesbauminister nicht den Willen zum Springen absprechen, aber der Bundeskanzler, der Finanzminister, dann der kleine Koalitionspartner halten auf Grund der verfehlten Finanzpolitik den Stock immer höher und häufig genug auch zwischen die Beine. Aber eine Ausnahme hat es gegeben. Einmal sind Sie sogar völlig ohne Anlauf gesprungen. Der Absprung fand im Umweltministerium statt, aber die Landung unversehens im Bauministerium. Dabei hat Ihnen der Bundeskanzler kräftig den Schwung zum Sprung gegeben. Die Politik der folgenlosen Verlautbarungen wurde auch bei den Ausschußberatungen über den Einzelplan 25 deutlich. Bewegung bei den Koalitionsfraktionen gab es selbst dann nicht, wenn zur Grundlage von Anträgen die Absichtserklärung der Bundesregierung aus dem vergangenen Jahr gemacht wurde. Meine Fraktion hat den Rahmen des Finanzplanes des Bundes, der jetzt noch gültig ist, nämlich von 1994 bis 1998 gilt, für die Anträge zur Städtebauförderung und zum sozialen Wohnungsbau genommen. Dementsprechend moderat fielen die jeweiligen Erhöhungsbeträge aus. Aber sämtliche Anträge wurden von den Regierungsfraktionen abgelehnt, obwohl diese Fraktion das zugrunde liegende Finanztableau vor Jahresfrist selbst noch gutgeheißen hat. Dieses ist der Abschied vom Gestalten in der Politik. ({3}) Nicht nur die Bauwirtschaft klagt seit langem darüber, daß die Konjunktur im Bausektor inzwischen deutlich nach unten zeigt. Der Rückzug des Bundes aus den investiven Etatposten ist das falsche Signal, vor allem das falsche beschäftigungspolitische Signal. Angesichts dieser Entwicklung sollte man nun eigentlich annehmen, daß Minister Töpfer die Ärmel aufkrempelt und zur Tat schreitet. Schaut man dann jedoch in den Einzelplan 25, erkennt man sehr schnell: Auch im kommenden Jahr wird sich an der Wohnungssituation in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur nichts ändern, sie wird sich auch verschlechtern. Beispiele: Das Programm „Sozialer Wohnungsbau in Ballungsgebieten" wird von einem Finanzrahmen in Höhe von 150 Millionen DM auf Null gekürzt. Darüber hinaus werden generell beim sozialen Wohnungsbau 500 Millionen DM im Finanzrahmen zusammengestrichen. Ich will Ihnen das einmal deutlich machen: 1994 hatten wir einen Finanzrahmen für den sozialen Wohnungsbau von 3,4 Milliarden DM, 1995 von 2,8 Milliarden DM, und 1996 sinkt er auf 2,2 Milliarden DM. Sie kommen hier nicht daran vorbei, daß Sie sich Zug um Zug aus dem sozialen Wohnungsbau zurückziehen. ({4}) Nichts anderes geschieht bei der Städtebauförderung. 1996 sind an Kassenmitteln für neue Projekte in den alten Ländern gerade noch 4 Millionen DM und für neue Projekte in den neuen Bundesländern lediglich 26 Millionen DM vorgesehen. Diese Handlungsweise ist um so unverständlicher, als selbst die Bundesregierung im Finanzplan des Bundes folgendes feststellt: Die mit Bundesfinanzhilfen geförderten Investitionen in städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsgebieten bewirken hohe öffentliche und private Folgeinvestitionen sowie Nachfrage nach Gütern und Leistungen. Dieser Anstoßeffekt der Städtebauförderung ist allgemein anerkannt und durch Untersuchungen verschiedener Forschungsinstitute belegt. Eine besondere Bedeutung ist darüber hinaus der beschäftigungspolitischen Wirksamkeit der Städtebauförderung zuzumessen. Die Untersuchungen bestätigen hohe, regional gestreute Beschäftigungseffekte, und zwar sowohl hinsichtlich einer kurzfristigen Beschäftigungsbelebung als auch langfristig wirksamer Beschäftigungs- und Wachstumsimpulse. Diese Feststellung teile ich voll. Daher ist aber in einer Zeit, in der die Schaffung von Arbeitsplätzen höchste Priorität haben sollte, der Rückzug des Bundes aus dem sozialen Wohnungsbau und der Städtebauförderung skandalös. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Braun?

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie lassen es ja nun nicht an Deutlichkeit fehlen: „Es ist skandalös, wie im Bundeshaushalt die Ansätze für den sozialen Wohnungsbau zurückgehen." Würden Sie die Güte haben, werter Herr Kollege, uns darüber zu informieren, wie es denn mit den Wachstumsraten bezüglich des sozialen Wohnungsbaus in den von der SPD regierten Ländern steht? ({0})

Dr. Rolf Niese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001610, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine ganz kurze Anmerkung dazu. In der Höhe der Mittel, die wegen des Rückzuges des Bundes nicht mehr zur Verfügung stehen, müssen sich die Länder aus den Projekten, die sie auf Grund der 50:50-Regelung mit dem Bund gemeinsam hätten finanzieren sollen, zurückziehen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal von der Kollegin Rönsch?

Dr. Rolf Niese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001610, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Hannelore Rönsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001870, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Niese, ich gehe einmal davon aus, daß, wenn die SPD die Regierungsverantwortung hätte, sie alles anders machen würde. Ich frage Sie: Wieso tut sie es nicht dort, wo sie Regierungsverantwortung hat? ({0}) In Niedersachsen, Herr Kollege, hat der Herr Ministerpräsident Schröder 1990 angekündigt, jährlich 15 000 Wohnungen fördern zu wollen. 1996 sind es noch 4 100. ({1}) - Es sprach eben der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, und der müßte es besser wissen, Herr Kollege Wieczorek. Es weckt mein Interesse, wenn man sieht, ({2}) wie die Förderung von 1990 bis 1996 zurückgegangen ist. ({3}) Meine Frage ist, was die SPD tun würde, wenn sie die Regierungsverantwortung hätte. Wir hören hier nur Angriffe, und dort, wo sie in der Regierungsverantwortung ist, tut sie gerade das Gegenteil von dem, was sie hier fordert. Ich frage Sie, Herr Dr. Niese, wie Sie sich das erklären.

Dr. Rolf Niese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001610, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir würden keine Finanzpolitik betreiben, die vor allen Dingen die Gemeinden finanziell immer weiter austrocknet ({0}) und damit den Gemeinden die Möglichkeit nimmt, dem Wohnungsbedarf durch öffentliche Investitionen gerecht zu werden und durch diese öffentlichen Investitionen dann auch beschäftigungspolitische Impulse zu geben. Das wäre unsere Politik. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? - Bitte schön.

Volkmar Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002792, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Niese, die Frau Kollegin Rönsch hat eben behauptet, daß überall, wo die Sozialdemokraten die Verantwortung hätten, sie das Gegenteil von dem täten, was sie behaupten. Können Sie, Herr Kollege Niese, bestätigen, daß das Land Nordrhein-Westfalen, von der SPD jetzt mit einem grünen Koalitionspartner regiert, aber auch schon vor dieser Koalition, kontinuierlich eine sehr hohe öffentliche Förderung mit über 30 000 Wohneinheiten pro Jahr gehabt hat und dies auch in Zeiten knapper Kassen fortsetzt? Können Sie das bestätigen? ({0})

Dr. Rolf Niese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001610, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann für viele Länder bestätigen, daß sie nicht nur sozialen Wohnungsbau im Rahmen der Bundesförderung der 50 : 50-Finanzierung betreiben, sondern darüber hinaus ihrer wohnungspolitischen Verantwortung gerecht werden. ({0}) Es ist schon erstaunlich, daß die Koalitionsabgeordneten mit den Zwischenfragen kommen und sich nicht zu der Aussage stellen, ob sie der Einschätzung der Bundesregierung über die Wirkung von sozialem Wohnungsbau und Städtebauförderung für zielgerichtete, regionalgestreute Beschäftigung folgen oder nicht. ({1}) Ich hatte eher den Eindruck, daß sie durch die Zwischenfragen davon ablenken und schnell übertünchen wollen, daß selbst die Bundesregierung diese beschäftigungspolitisch wichtige Maßnahme Städtebau niedergelegt hat. Das ist, glaube ich, der Punkt. ({2}) - Ich hatte ein wörtliches Zitat gebraucht, das die Bundesregierung aufgeschrieben hat. Ich finde sehr interessant, daß Sie sagen: Es war sehr viel Falsches darin. Das müssen Sie mit Ihrer Regierung abmachen. Besonders bezeichnend für die Politik der Regierungskoalition ist in diesem Zusammenhang folgender Vorgang: Zur Finanzierung der grundsätzlich zu begrüßenden Lehrstelleninitiative Ost müssen etliche Einzelpläne ihren Beitrag leisten. Der Einzelplan 25 muß seinen Beitrag dergestalt leisten, daß der soziale Wohnungsbau in den alten und in den neuen Ländern gekürzt wird. Hier werden diejenigen, die Lehrstellen suchen, gegen die, die bezahlbaren Wohnraum suchen, ausgespielt. Das ist das Markenzeichen Ihrer Politik: Mißachtung des Gebots der sozialen Gerechtigkeit. ({3}) Ist Ihnen nicht ein einziges Mal der Gedanke in den Sinn gekommen, das Lehrstellenprogramm aus den horrend hohen Titeln Öffentlichkeitsarbeit zu decken? ({4}) Aber damit überhaupt ein wenig Glanz auf die Politik der Bundesregierung fällt, müssen natürlich Hochglanzbroschüren her. ({5}) Meine Damen und Herren, der Wohnungsmarkt ist auf die Errichtung preiswerten Wohnungsraums angewiesen. Gegenüber diesen Anforderungen ist die derzeit gültige Praxis steuerlicher Förderung blind. Sie ermöglicht um so höhere Steuerersparnisse auf der Investorenseite, je aufwendiger und teurer das Wohnobjekt gestaltet wird, insbesondere bei Luxusmodernisierungen. Dies führt heute schon in Einzelfällen dazu, daß luxusmodernisierte Wohnungen leerstehen, ({6}) während wir einen Mangel an bedarfsgerechtem Wohnraum festzustellen haben. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Niese, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Rolf Niese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001610, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin gerne bereit, weitere Zwischenfragen zuzulassen. Aber lassen Sie mich einmal eine Bemerkung zu unserer Arbeitsbelastung machen. Wir haben anschließend noch weitere Einzelpläne zu diskutieren. Wir haben bereits jetzt eine Verzögerung von fast drei Stunden. Wir müssen auch einmal an die Kolleginnen und Kollegen denken, die noch in den nachfolgenden Debatten ihre Beiträge leisten. ({0}) Aus diesem Grunde bitte ich darum, jetzt auf Zwischenfragen zu verzichten. Dem Ziel, preisgünstige Wohnungen zu errichten und ein von vielen Seiten gefordertes kostengünstiges Bauen zu ermöglichen, läuft diese steuerliche Praxis diametral entgegen. Erfahrungen machen hinlänglich deutlich - ich komme jetzt zum preiswerten Bauen -, daß dieses in allen Sektoren, ob im Mietwohnungsbau, im frei finanzierten Wohnungsbau oder im Eigentumswohnungsbau, möglich ist. Man weiß viel über das kostengünstige Bauen, und zwar mehr, als umgesetzt wird. Die Zusammenarbeit von Architekten, Genehmigungsbehörden, Bauträgern und Ausführenden kann unter den geltenden Rahmenbedingungen verbessert werden. Für industriell gefertigte Bauteile gibt es doch kein Verbot. Daß Bauzeiten reduziert werden können, zeigen uns unsere holländischen Nachbarn. Das Wissen ist vorhanden, aber ich glaube, am Willen der Beteiligten - ich muß sagen, aller Beteiligten - scheint es zu hapern. Doch angesichts der Baukostenexplosion ist und bleibt die Kostenreduzierung ein Gebot der Stunde. ({1}) Sie käme vielen Beteiligten entgegen, den Mieterinnen und Mietern, die auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind, den Eigentümern, wenn es sich um Eigentumsmaßnahmen handelt, nämlich den Eigentümern im mittleren Einkommensbereich, und auch der öffentlichen Hand. Hier gilt es umzudenken. Die steuerliche Förderung muß zielgenauer für die Errichtung preiswerter Wohnungen eingesetzt werden. Meine Damen und Herren, wir brauchen die Wohneigentumsförderung. Von nahezu allen Sachverständigen und Verbänden wurde daher ausdrücklich begrüßt, daß die bisherige progressionsabhängige Wohneigentumsförderung nach § 10e des Einkommensteuergesetzes durch die vom Bundestag beschlossene Neuregelung in einen für alle Bürger gleich hohen Förderbetrag umgewandelt werden soll; der Bundesrat wird ja wohl zustimmen. Dies ist nicht nur gerechter, es ist auch wohnungspolitisch vernünftig, weil dadurch gerade bei Familien mit mittleren Einkommen der Förderbetrag steigt und so der Eigenheimbau oder der Erwerb von Wohneigentum erleichtert bzw. überhaupt erst möglich gemacht wird. Wenigstens in dieser Frage hat sich die Regierungskoalition nach vielen Jahren endlich auf die Forderung der SPD-Fraktion zubewegt. Dieser Schritt ist zu begrüßen. Besonders erfreulich ist die einheitliche Neubauförderung von 5 000 DM und die Bestandsförderung von 2 500 DM für die Dauer von acht Jahren. ({2}) - Pro Jahr für acht Jahre. Das Baukindergeld ist zu begrüßen, und auch die beiden Öko-Komponenten, die eingebaut worden sind, sind zu begrüßen. Das ist ein großer Schritt zur Förderung privaten Wohneigentums mittlerer Einkommensschichten. Herr Minister Töpfer, ich möchte auf meine Aufforderung an Sie zurückkommen, nicht immer nur Anläufe zu nehmen, sondern auch zu springen. ({3}) - Hören Sie zu! Bei der eben angesprochenen Neuregelung zur Wohneigentumsförderung ist Ihnen das gelungen, aber nur, weil Sie sozialdemokratische Positionen als Sprungbrett benutzt haben! ({4}) Hieran sollten Sie bei Ihren weiteren Anläufen und Sprungversuchen denken. ({5}) Es gibt allerdings keine Bereitschaft der Bundesregierung, die lange zugesagte Wohngeldverbesserung auch im Haushalt finanziell abzusichern. Unser Antrag im Bauausschuß, der eine Novelle zum 1. September 1996 ermöglichen sollte, wurde abgelehnt. Dies grenzt an Wortbruch, hatte die Bundesregierung doch zugesichert, daß die Wohngeldnovelle, wenn nicht ganz, so doch in Teilen bereits 1996 wirksam werden soll. Mit der abermaligen Verschiebung der Wohngeldnovelle auf das übernächste Jahr stellt sich die Bundesregierung ein Armutszeugnis aus. ({6}) Angesichts der näherrückenden Weihnachtszeit könnte man sagen, der Gabensack vom Nikolaus Töpfer ist leer. Die Mieterinnen und Mieter wissen, was diese weitere Verschiebung für sie bedeutet. Das Wohngeld deckt einen immer geringeren Teil der gestiegenen Miete ab. Die Einkommen halten mit der Mietenentwicklung nicht Schritt, so daß die Mietbelastungsquote kontinuierlich steigt. Allen Fachleuten ist diese Entwicklung bekannt. Der Deutsche Mieterbund und auch die Wohnungswirtschaft fordern deshalb seit Jahren eine Anpassung des Wohngeldes und der Miethöchstbeträge an diese Entwicklung. Noch beim Beschluß zum Mietenüberleitungsgesetz hatte daher der Bundestag gefordert, daß eine Novelle bereits 1996 wirksam werden soll, aber das ist für die Koalition heute schon Schnee von gestern. Der Bundesbauminister sollte endlich wieder dafür sorgen, daß das Wohngeld seinem sozialen Zweck gerecht wird. ({7}) Wann dies der Fall sein wird, ist völlig offen. Die ständige Verschiebung der Wohngeldnovelle durch die Bundesregierung weckt vielmehr die Befürchtung, daß nach dem Motto gehandelt wird: Aufgeschoben ist aufgehoben. ({8}) Die Entdeckung des 20-Milliarden-DM-Steuerlochs durch die Koalitionäre soll unter anderem dazu führen, daß neben nebulösen Luftbuchungen und sozialen Kahlschlägen durch Schuldenminister Waigel die Bundesregierung auch ihr Familiensilber verscherbeln will. Konkret bedeutet dies den Verkauf der Beteiligungen des Bundes an der Frankfurter Siedlungsgesellschaft und der Gemeinnützigen Deutschen Wohnungsbaugesellschaft. Betroffen sind 49 000 Wohnungen. Wegen dieser Verkäufe wurde im Haushaltsausschuß die entsprechende Einnahmeposition - über den Daumen gepeilt - zwar kräftig erhöht, aber beim Titel „Gewinne aus Beteiligungen an wohnungswirtschaftlichen Unternehmen" wurden nicht die entsprechenden fortfallenden Einnahmen berücksichtigt. ({9}) Dies ist zwar ein kleines, aber bezeichnendes Beispiel für die chaotische Haushaltspolitik dieser Regierung. ({10}) Ein Großteil der besagten Wohnungen dienten bisher der Wohnungsfürsorge des Bundes. Mit diesem Verkauf stiehlt sich die Bundesregierung aus der sozialen Fürsorgepflicht für die Bediensteten. Die Privatisierung der Wohnungen wird ohne Not zu weiteren Spekulationen, zu Mitnahmeeffekten und damit für die Betroffenen zu weiteren Mietsteigerungen und zu Verunsicherungen wegen drohender Umwandlungen in Eigentumswohnungen führen. Schauen Sie sich einmal an, welche Leute in diesen Wohnungen leben. Das sind in der Regel nicht diejenigen, die sich auf einen Schlag - wenn das nur irgendwelche Investoren wünschen - diese als Eigentumswohnungen kaufen können. Das wird zu einer großen Verunsicherung führen. Das geht nicht. ({11}) Nun hat Bundesbauminister Töpfer bereits am 5. Juli 1995 dem Bundesfinanzminister - laut Pressemitteilung Ihres Hauses - mitgeteilt, der Bund müsse auf Dauer nicht an Wohnungsbaugesellschaften beteiligt sein. Im Auftrag des Bundes werde, so Töpfer weiter, ein Investmentbanker die Marktsondierung übernehmen. Außerdem werde der Bund mit den Käufern nur unter Bedingungen abschließen, die die Interessen des Bundes - das heißt langfristiges Engagement des Investors, Belegungsbindung - und die Interessen der in den Bundeswohnungen lebenden Mieter wahren. Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. ({12}) Diesem „erstklassigen Bewerber", wie Sie ihn nennen, der die gewünschten Zusagen verbriefen kann, wird man sein Engagement wohl erst noch kräftig vergolden müssen. ({13}) Denn den potentiellen Erwerber allein mit dem Verkaufsargument zu locken, daß es sich bei den Bundesbediensteten in der Regel um sehr ruhige Mieter handelt, dürfte wohl nicht ausreichen. ({14}) Wie kann man noch von Wohnungsfürsorge sprechen, wenn der alleinige Maßstab das Stopfen von Haushaltslöchern ist? ({15}) Sie setzen damit eine Politik fort, die die Wohnung zur Handelsware macht und alles dem Renditedenken der Wohnungsbesitzer unterwirft. ({16}) Begreifen Sie endlich - vor allem Sie von der F.D.P. -, daß Wohnungen keine x-beliebige Ware, sondern Grundlage menschenwürdigen Daseins sind! ({17}) Ziel muß gesichertes und für die Menschen bezahlbares Wohnen sein. Ein Trauerspiel ganz besonderer Art hat inzwischen leider schon fast Tradition. Ich meine den Beitrag des Bundes zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit. Unsere Position dazu ist unverändert: Die Finanzierung eines Programms zu Lasten des öffentDr. Rolf Niese lich geförderten Wohnungsbaus, wie Sie es vorsehen, machen wir nicht mit. Es kann nicht angehen, daß die Wenigverdienenden zugunsten der Ärmsten verzichten sollen, während den Reichen auf Grund der durch die Koalition verantworteten Steuerpolitik noch weiter gegeben wird. ({18}) Da wir gerade bei Trauerspielen sind: Seit nunmehr fast zwei Jahren harren wir einer Lösung der Frage, was mit dem vom Weihnachtshochwasser 1993 überfluteten Schürmann-Bau geschehen soll - mehr als 700 Tage, die gekennzeichnet sind von Konzeptionslosigkeit, ({19}) einem atemberaubenden Verwirrspiel über die Zuständigkeiten, dem unrühmlichen Abgang einer Bauministerin und dem Amtsantritt eines neuen Bauministers, der den Bau vollenden will, aber über das Wollen nicht hinausgekommen ist. ({20}) Wo ist denn eigentlich die ehemalige Bauministerin, um sich hier im Bundestag gegenüber der Öffentlichkeit ihrer politischen Verantwortung für diesen Skandal zu stellen? ({21}) Denn es ist ein Skandal, daß die Bundesregierung seit fast zwei Jahren die Ruine weiter vor sich hingammeln läßt. Und es ist eine teure Ruine: Es entstehen laufende Stillstandskosten von monatlich 278 000 DM an der Baustelle und Kapitalkosten für die bis zum Schadensereignis ohne jeglichen bisherigen Nutzen investierten 370 Millionen DM. Auf Nachfragen der Berichterstatter für den Einzelplan 25 zur Höhe dieser Kapitalkosten antwortete das Bauministerium: Die Kapitalkosten ergeben sich aus den jeweiligen Refinanzierungsbedingungen des Bundes. Woraus denn sonst, Herr Töpfer? Was ist das für eine Informationspolitik? Herr Minister Töpfer, verschleiern Sie nicht weiter die Fakten! ({22}) Informieren Sie das Parlament endlich mit einer ausführlichen Vorlage, wie es mit dem Schürmann-Bau weitergehen soll! Legen Sie schlüssig dar, daß die Deutsche Welle zum 1. Juli 1997 umziehen kann! Informieren Sie über die haushaltspolitischen Auswirkungen! Bundeskanzler Kohl, Kanzleramtsminister Bohl, Finanzminister Waigel und Bauminister Töpfer tragen die weitere politische Verantwortung für die Beendigung des Schürmann-Bau-Skandals, ({23}) denn diese vier haben in mehreren Spitzengesprächen die Angelegenheit zu ihrem Thema gemacht, aber nicht vorangebracht. Ein letzter Satz. Häufig werde ich in meinem Wahlkreis gefragt: Können Sie einmal ganz kurz Ihre Einschätzung zur Politik der Bundesregierung geben? Ich antworte dann den Bürgerinnen und Bürgern: Ganz einfach! Fahren Sie nach Bonn, schauen Sie sich die Baustelle des Schürmann-Baus an, und Sie erhalten ein umfassendes Bild von der Politik der Bundesregierung. ({24}) Meine Damen und Herren - ({25}) - Ja, aber diesen muß ich noch sagen. Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt den Einzelplan 25 ab. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich jetzt eine Minute überzogen habe. ({26})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es spricht jetzt der Abgeordnete Dieter Pützhofen.

Dieter Pützhofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001759, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Obwohl der Haushalt des Bundesbauministers vom Gesamtvolumen her eigentlich zu den kleinen Haushalten gehört, hat er - anders als manch großer Haushalt - direkten, unmittelbaren Einfluß auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Land. Ausreichend und zu verträglichen Bedingungen Wohnraum schaffen steht deshalb nicht ohne Grund hier oder an anderer Stelle im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Das ist auf allen politischen Ebenen so, das ist auch im Haushaltsausschuß so. Das ist gut so. Leider sah das in diesem Jahr etwas anders aus. Sie haben auf die Diskussion des Einzelplanes 25 aus bekannten, aber, wie ich meine, unverständlichen Gründen verzichtet, Herr Kollege Niese. Ich bedaure das sehr. Da fehlt einem ja das Salz in der Suppe. Jedenfalls aus meiner Sicht ist es viel schöner, nach dem Streitgespräch mit Ihnen im Haushaltsausschuß eine Mehrheit zu bilden, als das ganz ohne Widerspruch zu tun. Vor allen Dingen ist es aber deshalb bedauerlich gewesen, weil wir in diesem Jahr - ich wollte Sie gerne in diese Diskussion einbeziehen und von Ihnen eine Antwort dazu hören -, anders als in den Jahren 1993 und 1994, das Wünschenswerte im Städtebau und in der Wohnungsbaupolitik mit den Zwängen der Haushaltspolitik auf einen Nenner bringen mußten. Sie haben ja nicht ohne Grund bei diesen Beratungen gekniffen. ({0}) Das Auf-einen-Nenner-Bringen ist schon in der Schule eine Schwierigkeit. Das fällt einigen schon in der Schule schwer. ({1}) In diesem Zusammenhang Wünschenswertes und die Zwänge der Haushaltspolitik auf einen Nenner zu bringen ist schwierig. Hier hieß das - ich sage das in aller Offenheit - Einschnitte, Einschränkungen bei Förderungen und auch Abwehr von Wünschen. Dazu muß man stark sein. Da kann man nicht ausziehen. Daß viele Wünsche existieren - zum Teil zu Recht -, kann ich Ihnen als jemand, der in der Kommunalpolitik ein ordentliches Paket mitzutragen hat, gerne bestätigen. ({2}) Aber wir sitzen hier nicht als Lobbyisten. Ich sehe meine Aufgabe jedenfalls nicht darin, ohne Abwägung gesamtstaatlicher Belange einseitig Stellung zu nehmen. Die Zeit, in der wir mit einem Füllhorn über die Fluren streiften und Wohltaten ausbreiteten, ist vorbei. Um dieses Thema kommen auch Sie nicht herum. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß der Bürger das begreift. Man muß es ihm nur einmal klar sagen. ({3}) Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht führt kein Weg an der Konsolidierung des Haushalts vorbei. Das ist sogar in diesem Hause relativ unbestritten, und das heißt schon eine ganze Menge. Was aber gesamtwirtschaftlich richtig ist, nämlich Konsolidierung, kann für die Bauwirtschaft dann nicht falsch sein. Wir wissen: Es besteht eine hohe Abhängigkeit des Wohnungsbaus von den Bedingungen des Kapitalmarktes. ({4}) Wir wissen, daß eine gesamtwirtschaftlich positive Entwicklung und günstige Bedingungen auf dem Kapitalmarkt Investitionen auslösen werden. Das wiederum bedeutet Bautätigkeit. Das bedeutet Belebung der Bauwirtschaft, und das heißt Sicherung der Arbeitsplätze und damit erneute Nachfrage im Wohnungsbau. Es ist also im Interesse aller Beteiligten - der Wohnungsuchenden wie der Wohnungschaffenden -, daß aktuelle Einzelerwartungen an den Haushalt hinter gesamtwirtschaftlichen Betrachtungen zurücktreten. Anders ausgedrückt, Herr Kollege Niese: Was nützen die ursprünglich von der SPD vorgetragenen Millionenforderungen für die verschiedensten Förderwege oder für den Städtebau, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dadurch anschließend nicht mehr stimmen? Natürlich weiß ich wie Sie, daß der Einzelplan 25 nicht die Konsolidierung des Gesamtbudgets bringen kann, aber er kann seinen Beitrag dazu leisten, und er muß es. Blickt man insgesamt auf das Ausgabevolumen des Etats des Bauministers im nächsten Jahr, dann stellen wir nur einen geringfügigen Rückgang gegenüber dem diesjährigen Volumen fest. Aber wer den Einzelplan 25 kennt, der weiß, daß die Ansätze im aktuellen Haushalt nur die eine Seite der Medaille sind; die eigentliche Musik, die Dynamik, die Bedeutung steckt in den Verpflichtungsermächtigungen für den sozialen Wohnungsbau und für die Städtebauförderung. ({5}) Eine begrenzte Absenkung bei diesen Verpflichtungsermächtigungen im sozialen Wohnungsbau war im Blick auf die geschilderten Gesamtprobleme des Haushalts unvermeidlich, wenn auch schmerzlich. Allerdings sind diese Absenkungen vor dem Hintergrund der massiven Steigerungen der Förderung in den letzten fünf Jahren zu werten. Dazu, Herr Kollege, haben Sie natürlich in Ihrem Beitrag nichts sagen wollen. ({6}) - Sehr richtig. Der Kollege Braun hat zu Recht die Glaubwürdigkeit der Opposition angesprochen und zu Recht darauf hingewiesen, daß es eine ganze Menge Länder gibt, in denen Sie die Verantwortung tragen und in denen die Mittel für den Wohnungsbau rückläufig sind. Wenn Sie gleichzeitig sagen, das liege an der Bundesregierung, dann müssen Sie im Falle der Länder, wo die Mittel erhöht worden sind, sagen, das liege auch an der Bundesregierung. Offensichtlich ist es doch auf Länderebene möglich, so oder so zu entscheiden. In Hessen sind die Mittel von 534 Millionen DM im Jahre 1994 auf 360 Millionen DM im Jahre 1995 zurückgegangen, Herr Kollege Niese. In Niedersachsen sind sie von 562 auf 260 Millionen DM, also auf noch nicht einmal die Hälfte, zurückgegangen. Es gibt Länder, in denen das anders aussieht. Das gebe ich gerne zu. Nordrhein-Westfalen ist ein solches Land, Bayern ist eine solches Land, Thüringen ist ein solches Land. Natürlich gibt es solche Länder. Dennoch ist hier die Glaubwürdigkeit der Opposition angesprochen, wenn Sie sagen, hier müsse man mehr Mittel fordern, aber dort, wo Sie Verantwortung tragen, das nicht in gleicher Weise tun. Oder nehmen Sie sich einmal die SPD-Forderungen zum Jahressteuergesetz vor. Sie haben mit der Forderung nach Senkung der Abschreibungen erreicht, daß wir weniger frei finanzierten Wohnungsbau haben werden. Das ist eine zwangsläufige Folge der Reduzierung der AfA. Ich möchte aber auch einmal deutlich machen, daß eine Absenkung der Verpflichtungsermächtigungen nicht zwangsläufig eine geringere Zahl von geförderten Wohnungen zur Folge hat, ({7}) wenn die zur Verfügung stehenden Mittel gezielt eingesetzt werden. Das Stichwort heißt „einkommensorientierte Förderung", die nicht nur gerechter ist, sondern zugleich dafür sorgt, daß je Förderung deutlich weniger öffentliche Mittel eingesetzt werden müssen. ({8}) Deshalb liegt der Schwerpunkt der Bundesfinanzhilfen bei den Zuschüssen für die vereinbarte und einkommensorientierte Förderung. Wer in diesem Hause beides im Auge hat - einerseits die Wirkung der Förderwege in unseren Städten und Gemeinden, insbesondere des ersten und zweiten Förderweges, und andererseits die Entwicklung der öffentlichen Haushalte auf allen politischen Ebenen -, der weiß doch, daß wir uns auf Dauer keine Fördersysteme mehr leisten können, in denen erstens Riesensummen versacken, mit denen zweitens für Bevölkerungsgruppen gebaut wird, die es möglicherweise in dieser Einkommensform nicht mehr in dem Umfang geben wird wie bisher, und die drittens letzten Endes auch noch kostentreibend wirken. Wir sind alle aufgefordert, Regierungskoalition und Opposition, an der grundlegenden Reform des sozialen Wohnungsbaus mitzuarbeiten, die die Bundesregierung zur Zeit vorbereitet - und das nicht nur im Neubaubereich, sondern auch im Bereich des Bestandes. Wer Kritik an der Wohnungspolitik dieser Bundesregierung übt, sollte sich tatsächlich noch einmal die Rekordzahlen im Wohnungsbau der vergangenen Jahre und dieses Jahres ansehen. Das sind Zahlen, Herr Kollege Niese, die es in den letzten 20 Jahren nicht mehr gegeben hat. ({9}) Die cirka 660 000 fertiggestellten Wohnungen werden ihre Entspannungswirkungen am Wohnungsmarkt haben. Wir wissen alle, daß solche Rekordzahlen auf Dauer nicht zu halten sind und auf Dauer auch nicht gebraucht werden. Es gibt weiteren Bedarf; das ist richtig. Aber es geht darum, die Wohnungsbauzahlen auf diesen Bedarf hin mit dem notwendigen Volumen zu verstetigen. ({10}) Wer das will, der muß über den sozialen Wohnungsbau hinweg die Instrumente der Wohnungspolitik im Auge haben. Als Beispiel nenne ich die erfolgreich zu Ende geführte Reform der Eigentumsbildung im Wohnungsbau. Sie ist nicht nur unter familienpolitischen, vermögenspolitischen oder sozialpolitischen Gesichtspunkten von elementarer Bedeutung; sie ist auch das Feld mit dem größten Nachholbedarf und damit den größten Entwicklungschancen. Die Verstärkung der Wohnungseigentumsbildung ist ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung der Wohnungsbaupolitik und zur Verstetigung des Baugeschehens. Das Schwergewicht der Finanzhilfen liegt, gemessen an dem Bevölkerungsanteil, auch im sozialen Wohnungsbau nach wie vor zu Recht in den neuen Bundesländern. Das gilt in noch stärkerem Maße für die Städtebauförderung. Wir haben für die Städtebauförderung im kommenden Jahr rund 600 Millionen DM bereitgestellt. Davon gehen 520 Millionen DM in die neuen Bundesländer. Der dortige Bedarf ist unverändert hoch. Da die Städtebauförderungsmittel in großem Maße private Investitionen auslösen, hat die Städtebauförderung in den neuen Ländern ganz besonders deutliche Erfolge gebracht. Dennoch wissen wir, daß die immensen Erneuerungsaufgaben auch in Zukunft der Unterstützung bedürfen. Deshalb werden wir weiter, neben den Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen, den städtebaulichen Denkmalschutz in den neuen Bundesländern ({11}) und vor allen Dingen die städtebauliche Weiterentwicklung der großen Neubaugebiete fördern. Zu meinem Wunschkatalog gehört auch eine Verstärkung der Städtebauförderung in den alten Bundesländern. Das ist überhaupt keine Frage. ({12}) Die Wiederanhebung der Städtebauförderungsmittel über die 80 Millionen DM hinaus, die wir bereitgestellt haben, bleibt deshalb, jedenfalls für mich, auf der Tagesordnung. Obwohl das für 1996 aus gesamtwirtschaftlicher Sicht nicht möglich war, haben wir Flexibilität doch insofern geschaffen, als aus dem Verpflichtungsrahmen für das Förderprogramm 1996 bis zu 70 Millionen DM für den sozialen Wohnungsbau in städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen eingesetzt werden können. Darüber hinaus haben wir mit einem entsprechenden Vermerk - wie im vergangenen Jahr - dafür gesorgt und deutlich gemacht, daß 50 Millionen DM aus dem Verpflichtungsrahmen und an Hilfen des Bundes für die Bekämpfung der Obdachlosigkeit eingesetzt werden sollen. Ich möchte noch einmal betonen, daß das Thema Obdachlosigkeit nicht nur eine Frage der Wohnungspolitik ist. Es ist schon überhaupt keine Frage, die sich nur auf Bundesebene stellt. Eine Lösung dieser Frage ist nur vor Ort in den Kommunen möglich. Der größte Einzelposten im Haushalt des Bundesbauministers bleibt 1996 das Wohngeld mit einem Volumen von 3,1 Milliarden DM. Wir haben in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses die Wohngeldmittel der wahrscheinlichen Entwicklung angepaßt. Bedauerlich ist, daß selbst im Haushaltsausschuß zu diesem Thema Fensterreden mittlerweile in der Form Usus werden, daß höhere Haushaltsansätze für Titel gefordert werden, die einer rechtlichen Regel folgen. Auf Wohngeld besteht ein Rechtsanspruch, der nicht durch Anpassungen der Ansätze im Haushalt verändert werden kann. Mehranforderungen ohne Gesetzesänderung gehören also in die Abteilung Showgeschäft. ({13}) Neu im Haushalt des Bundesbauministeriums ist 1996 das Förderprogramm zur Reduzierung von CO2-Emissionen. Das zeigt, daß wir uns trotz der Enge des Haushaltes neuen Aufgaben stellen und sie auch im Etat berücksichtigen. Für Berlin werden 1996 erhebliche Mittel bereitgestellt. Hier spiegelt der Einzelplan die konsequente Umsetzung der Parlaments- und Regierungsbeschlüsse zum Umzug und zum Bonn-Ausgleich wider. Wenn wir die Mittelbereitstellung für die Wohnungsfürsorge in Berlin - ich erinnere mich: einvernehmlich - noch mit einem Prüfvorbehalt versehen haben, dann nicht, um die Wohnungsfürsorge zu vernachlässigen, zu bremsen oder gar zu blockieren. Der Sperrvermerk soll lediglich sicherstellen, daß Regierung und Parlament bei der Wohnungsfürsorge in gleichem Maße fürsorglich behandelt werden und nicht die eine Seite mehr als die andere. ({14}) - Es ist doch nicht so, als oh Sie heute zum erstenmal etwas von der Privatisierung gehört haben. Wir diskutieren darüber seit Jahren im Haushaltsausschuß. Wenn Ihnen Ihre Kollegen aus dem Haushaltsausschuß das nicht berichtet haben, ist das deren Problem. Wir haben diese Meinung immer wieder vertreten. Was die Frage der Belegungsbindung anbetrifft, haben wir beim Verkauf der Aachener Bergmann- und Siedlungsgesellschaft gezeigt, daß wir durchaus eine Belegungsbindung damit verbinden. Das ist also überhaupt keine Frage der Mieter. Die Frage ist, ob öffentlicher Wohnungsbau in der hygienischen Verpackung einer Bundesregierung angeboten werden soll oder ob man das nicht besser Privatleute machen läßt. ({15}) Bei dieser Frage sehen Sie mich ganz eindeutig auf der Seite der Privaten. Das ist eine sozialdemokratische Denkweise: Alles muß in der hygienischen Verpackung der öffentlichen Verwaltung angeboten werden. Wenn das nicht der Fall ist, funktioniert die ganze Sache nicht. ({16}) Sie werden erleben, daß wir diese Gesellschaft privatisieren, daß wir sie verkaufen, daß wir die Belegungsrechte beibehalten und daß wir anschließend den Mietern damit überhaupt nichts Böses getan haben. ({17}) Ich habe soeben mit meinen Kollegen darüber gesprochen: Natürlich erfüllt der Haushalt 1996 nicht alle wohnungs- und städtebaulichen Wünsche, in unserer Fraktion nicht, schon gar nicht bei Ihnen. ({18}) Es hat ein hartes Ringen um einzelne Positionen bei uns in der Fraktion und in der Regierungskoalition gegeben. Das gebe ich offen zu. Letztlich haben aber gesamtwirtschaftliche Überlegungen und stabilitätspolitische Vorgaben das Ergebnis bestimmt. Ich glaube, daß wir mit diesem Ergebnis vor den Bürger treten können. Mit Blick auf die Stabilitätspolitik, lieber Kollege Vorredner, möchte ich Sie bitten, mit der gleichen Verve, wie Sie es im Bundestag tun, auch bei den Ländern und Gemeinden Entsprechendes zu fordern. Herr Minister, ich möchte mich bei Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Hilfe bei den Etatberatungen bedanken. Der gleiche Dank geht an die Damen und Herren des Finanzministeriums. Herzlichen Dank. ({19})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es spricht jetzt die Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Töpfer! Frau Karwatzki! Wir haben soeben eine Trauerrede auf den Einzelplan 25 gehört. ({0}) Ich kann das nur bestätigen und vielleicht ein wenig deutlicher sagen: Wir haben eine wohnungs- und städtebaupolitische Bankrotterklärung vor uns liegen. Viel mehr braucht man dazu gar nicht zu sagen. Es ist Fakt: Die Städtebauförderung ist völlig am Ende. Das halte ich für eine ganz große Tragödie. Die Wohnungsbauförderung ist fast am Ende; wir brauchen nur noch ein paar Jahre zuzuwarten, die Verpflichtungsermächtigungen kennen wir ja. Die Franziska Eichstädt-Bohlig Finanzierung der Wohngeldnovelle ist überhaupt nicht in Sicht. Das ist das Fazit dieses Etats. ({1}) Der einzige Töpfer-Etat, der momentan wächst, ist der Umzugsetat. Wir haben dazu einen Antrag gestellt, daß wir eine eindeutige Kostenkontrolle und ein Verfahren, das aufpaßt, daß aus diesem Etatwachsen kein Wuchern wird, erhalten. Wir sind gespannt, wie über diesen Antrag abgestimmt wird. Aber ansonsten, denke ich, ist es überhaupt nicht mehr nötig, über den Einzelplan 25 zu reden. Wir müssen vielmehr darüber reden, daß der eigentliche Bauminister Herr Waigel ist. Ich sehe folgende Aspekte, und die halte ich für sehr wichtig: auf der einen Seite Sparpolitik, auf der anderen Seite Gießkannensubventionen und das Zerschlagen des Sparschweins an der falschen Stelle, nämlich beim Verkauf der bundeseigenen Wohnungen bzw. der Gesellschaftsanteile, nach wie vor große Verschwendungen in der Steuersubventionspolitik. Auch hierzu möchte ich etwas sagen. Zunächst noch einmal zum Verkauf der Anteile. Ich habe mir die Mühe gemacht und einmal ausgerechnet, welche Kostenbelastung entsteht, wenn man diese 49 000 Wohnungen, das Stück zu 100 000 DM, verkauft. Man käme dann auf etwa 4 Milliarden DM. Wenn man einen Zinsanteil von 8 Prozent ansetzt, ergibt sich - egal, wie das finanziert wird, das ist zunächst noch offen - eine Wohnkostenbe- lastung zwischen 7,50 DM und 8,50 DM. Das heißt, Sie kommen auf eine Kaltmiete von etwa 13 DM, die für diese Wohnungen finanziert werden muß. Vorhin wurde erwähnt, wer in diesen Wohnungen wohnt. Das sind nicht alles Leute, die diese Luxusmieten bezahlen können. Da ist kein Geld für eine umfassende Erneuerung eingerechnet, und da ist auch keine Gewinnspanne für die Gesellschafter eingerechnet. Das ist die bare Kostenmiete. Ich frage Sie, wie Sie zu diesem Preis die Belegrechte sichern wollen. Lügen Sie uns doch nichts in die Tasche! ({2}) Entweder Sie bekommen nur die Hälfte des Geldes, nämlich 2 Milliarden DM, heraus - dann können Sie auch noch über die Sicherung von Belegrechten und verträgliche Mieten reden -, oder es wird genauso, wie Herr Niese eben gesagt hat: Sie verkaufen die Wohnungen zu Bedingungen, die eine Kapitalverwertung erzwingen, und dann kommt es zu Mieterhöhungen, zu einem Vertreiben der ansässigen Mieter, und zur Eigentumsumwandlung. Erzählen Sie mir, die ich in den letzten Jahren in Berlin Zehntausende von Privatisierungen nach dem Altschuldenhilfegesetz erlebt habe, nicht, daß das bei bundeseigenen Wohnungen sauberer läuft, als es in Berlin läuft. Das glaube ich Ihnen beim besten Willen nicht. ({3}) - Wir werden es sehen. Aber ich darf das einmal so voraussagen. ({4}) Wir werden über kurz oder lang Gelegenheit haben, das zu prüfen. Jetzt möchte ich gerne auf die Verschwendung zu sprechen kommen. In diesem Zusammenhang sind mir drei Punkte wichtig. Einen davon möchte ich ausführlicher ansprechen. Ich finde es sehr wichtig, daß endlich über den Skandal der Altschuldenfinanzierung diskutiert werden darf. Bisher war das ja ein völliges Tabu. Hier gehen viel zuviel Zinslasten hinein, hier ist den privaten Banken viel zuviel öffentliches Geld in den Rachen geworfen worden. ({5}) Das müssen wir alle, die Steuerzahler, die Mieter und die Kommunen, mitbezahlen. Das ist skandalös. Darüber werden wir ausführlicher reden. Nun zum zweiten Punkt. Ich sage es nach wie vor - ich habe es bereits in der letzten Sitzungswoche gesagt -: Ich halte die Wohneigentumsförderung für überzogen. Zu viele Haushalte im Hocheinkommensbereich werden subventioniert. Das ist nicht nötig, und es ist angesichts der Probleme bei Wohngeld, Obdachlosigkeit, Wohnungsnot, Städtebauförderung skandalös. Den dritten Punkt möchte ich heute noch etwas genauer ausführen. Er betrifft das Fördergebietsgesetz Ost, das im Zuge des Jahressteuergesetzes 1996 leicht modifiziert bis 1998 fortgeschrieben worden ist. Sie wissen, ich komme aus Berlin. In diesem Falle ist es inzwischen wirklich bekannt, daß es sich nicht oder in höchstens 30 Prozent der Fälle um eine Förderung des Aufbaus Ost handelt und daß ein Großteil dieser Subventionen Übersubventionen sind für die Berliner und Leipziger Büroleerstände, für überhöhte Preise, für Verbrauchermärkte, für Gewerbeparks, die niemand braucht. Zu großen Teilen sind dies also eher kontraproduktive Subventionen, die dem Aufbau Ost mehr schaden als nutzen. Ich fordere Sie dringend auf, über dieses Gesetz noch einmal im Sinne unseres Antrags, den wir im Juni gestellt hatten, nachzudenken und die Förderung gezielt auf kleines und mittleres Gewerbe und auf eine Förderung der ostdeutschen Wohnungswirtschaft zu konzentrieren und nicht auf diesen Vermögenstransfer von Ost nach West. ({6}) Wir unterstützen den Aufbau Ost und auch eine nachhaltige Förderung des Aufbaus Ost mit allen Mitteln und mit allen Instrumenten, aber nicht mit einer solchen Fehlsubvention. Um es in Zahlen zu sagen: Nach Ihren Angaben, die Sie uns zum Jahressteuergesetz gemacht haben, kostet diese Förderung rund 9 Milliarden DM. Bei unserem Modell, das wir dagegengerechnet haben, würden Bund, Länder und Franziska Eichstädt-Bohlig Gemeinden zusammen 2,6 Milliarden DM sparen, der Bund alleine 1,4 Milliarden DM. Von daher fordere ich Sie dringend auf, diese Verschwendungssubvention endlich zur Debatte zu stellen und nicht herumzulamentieren, daß wir kein Geld mehr haben für die Städtebauförderung. Es ist doch völlig klar: Das ist wie bei kommunizierenden Röhren. Die Steuermindereinnahmen hängen doch damit zusammen, daß den Zahnärzten das Geld hinterhergeworfen wird. Ich komme zum Schluß. Wir alle haben die Zahlen zur Städtebauförderung, zum Wohngeld, zum Wohnungsbau zur Genüge gehört. Es ist im wesentlichen Herrn Kansy zu verdanken, daß bescheidene 40 Millionen DM für die Bekämpfung der Obdachlosigkeit durch einen Haushaltsvermerk reserviert' werden. Diese kleine, bescheidene Summe steht, wenn ich den Bundesanteil nehme, letztlich den mehr als 7 Milliarden DM für die Eigenheimzulage und den 9 Milliarden DM für Maßnahmen nach dem Fördergebietsgesetz gegenüber. Ich halte es für einen Skandal, für verschiedene gesellschaftliche Gruppen so extrem unterschiedlich Geld bereitzustellen. Trotzdem möchte ich mich bei Herrn Kansy bedanken, daß es immerhin gelungen ist, diesen Ansatz durchzusetzen; denn ich weiß, wie schwer das ist, und ich weiß auch, wie sehr die Länder sich sträuben, die bescheidenen Mittel in diesem Sinne einzusetzen. Wir müssen uns aber Mühe geben, daß die Proportionen im Etat - insbesondere im Steueretat, nicht nur im Einzelplan 25 - anders werden. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort zur Kurzintervention erhält der Abgeordnete Kansy.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie wird tatsächlich, Frau Präsidentin, sehr kurz. - Frau Eichstädt-Bohlig, ich finde es unfair, wie Sie das Thema Obdachlosigkeit dargestellt haben, selbst wenn Sie mich jetzt mittelbar gelobt haben. Wir hatten hier im Plenum und vielfach in den Ausschüssen darüber eine ausführliche Diskussion, und wir haben, jedenfalls was meine Fraktion betrifft, klar gesagt, daß dies keine Bundesaufgabe ist. Wir haben nun einmal eine föderal gestaltete Verfassung mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten. Wenn wir allerdings ein Zeichen setzen, dann kann dies in einer Zeit, in der von früh bis spät auch von Ihrer Fraktion - Ihr Kollege Metzger sitzt ja gerade neben Ihnen - Neuverschuldung, Schuldenstand, Steuern und alles mögliche beklagt werden, nicht zu hohen neuen Ausgabeansätzen führen. Es geht dann nur durch Teilen. Unser Ansatz bei der Obdachlosigkeit war: Da wir keinen Pfennig mehr bekommen, nehmen wir aus dem vorhandenen Volumen als sichtbares Zeichen diese 50 Millionen DM. Das haben wir auch in diesem Jahr wieder durchgesetzt, und das halte ich für richtig. Nachdem ich schon einmal das Wort habe, Frau Kollegin, lassen Sie mich anfügen: ({0}) Sie haben Ausführungen zur Neuordnung der steu- erlichen Eigentumsförderung gemacht, die ich so nicht stehenlassen kann. Bei Ihnen klang es, als würden Leute beglückt und gegenüber anderen Gruppen bevorzugt, wenn sie diese Förderung in Anspruch nehmen. Der Bau einer Sozialwohnung - Berlin ist da in einer jammervollen Spitzenposition - kostet zwischenzeitlich die Steuerzahler 200 000 bis 300 000 DM, und jeder, der mit eigener Kraft und eigenem Geld - bei einer Förderung von vielleicht 60 000, 70 000 DM durch den Bund - eine Wohnung baut, entlastet den Markt, entlastet die Haushalte und leistet einen wesentlichen Beitrag zur Lösung des Wohnungsproblems in Deutschland. ({1}) Deswegen ist es eine vernünftige Politik, daß wir den Gesetzentwurf so verabschiedet haben, wie wir es gemacht haben. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zur Antwort Frau Eichstädt-Bohlig.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kansy, stimmen Sie mir erstens zu, daß in die Wohneigentumsförderung - ich beziehe mich jetzt auf die Steuermindereinnahmen des Bundes - 7,3 Milliarden DM fließen sollen? ({0}) - Als Summe bei Bund, Ländern und Gemeinden 17,3 Milliarden DM und als Bundesanteil 7,3 oder 7,2 Milliarden DM. Stimmen Sie mir zweitens zu, daß im Haushalt 1996 auf, wie gesagt, unsere gemeinsame, aber letztlich Ihre Initiative 50 Millionen DM des bestehenden Ansatzes für den sozialen Wohnungsbau für Maßnahmen gegen Obdachlosigkeit gebunden werden? Halten Sie drittens diese beiden Zahlen für der Öffentlichkeit und vor allem den Haushalten mit Niedrigeinkommen und den Haushalten an der Grenze zur Wohnungslosigkeit vermittelbar? Darin liegt das Problem. Das Problem liegt des weiteren darin - um Ihren Vorwurf hinsichtlich der Übersubvention zu erläutern -: Bei der Wohneigentumsförderung wird bei Ehepaaren bis zu einem Einkommen von 240 000 DM gefördert. Es leben unendlich viele Haushalte in diesem Land, für die ein Einkommen von 240 000 DM überhaupt nicht vorstellbar ist und die große Wohnungsprobleme haben. Ich werde weiterhin auf diesen Widerspruch in unserer Wohnungspolitik, der zwischen der Steuerpolitik und dem, was im Einzelplan 25 steht, sichtbar wird, aufmerksam machen. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nein, Sie können die Fragen leider nicht beantworten, weil man nicht zweimal eine Kurzintervention machen kann. ({0}) - Aber es werden sich sicher Kollegen aus der Fraktion finden, die noch antworten können. ({1}) Der Minister wird ja auch noch reden. ({2}) Jetzt hat der Abgeordnete Hildebrecht Braun das Wort.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wertes Präsidium! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich wäre es gar nicht unfair, wenn ich aus den Reden des Sprechers der Opposition zum jeweiligen Haushalt des Bauministeriums der letzten Jahre zitierte. Es wäre gewiß eine lustvolle Geschichte, die aber wohl zum kollektiven Mißvergnügen der Opposition ausfallen würde. ({0}) Jahrelangem pflichtgemäßem Wehklagen über die angeblich so schlechte Baupolitik der Bundesregierung steht nämlich eine beispielhafte Entwicklung der Fakten in den Jahren von 1990 bis 1995 gegen- über. ({1}) Ich möchte es noch deutlicher sagen: Zwei Bauminister haben in dieser Zeit Verantwortung getragen, nämlich Frau Schwaetzer und Herr Töpfer. Beide waren und sind ein Segen für dieses Land, ({2}) und zwar insbesondere für die Mieter. ({3}) Die Bauwirtschaft war die Konjunkturlokomotive schlechthin. Zehntausende von Arbeitsplätzen wurden geschaffen. Eine hocherwünschte neue Struktur von Betrieben im Bauhauptgewerbe und im Baunebengewerbe hat sich in den neuen Bundesländern etabliert. Tausende von Ausbildungsstellen haben jungen Menschen eine Perspektive gegeben. In sechs Jahren wurden zwei Millionen Wohnungen gebaut. ({4}) Die Folge: Die Neuvermietungsmiete ging in den vergangenen zweieinhalb Jahren landesweit um zirka 20 Prozent zurück. Die Preise für den Kauf von Wohnungen und von Eigenheimen sind stabil geblieben oder gar gesunken. ({5}) Millionen Menschen haben zu vertretbaren Preisen eine Wohnung gefunden. Wir wissen nach den Zeiten wirklicher Wohnungsnot in den Ballungszentren Anfang der 90er Jahre, daß dies alles nicht selbstverständlich ist. ({6}) Die Wohnung ist ein ganz besonderes Gut. Sie ist für die eigene Lebensführung so unabdingbar wie Essen und Trinken. Weil uns das bewußt ist, konzentrieren wir uns voll und ganz auf die eine zentrale Aufgabe der Wohnungspolitik, nämlich dafür zu sorgen, daß unserer Bevölkerung qualitativ hochwertige Wohnungen in ausreichender Zahl preiswert zur Verfügung gestellt werden können. ({7}) Das ist unser Ziel und kein anderes. Insgesamt läßt sich feststellen: Die auf Expansion, auf Stärkung der Kräfte des Marktes gerichtete Baupolitik der letzten Jahre hat einen großen Beitrag zur Bewahrung des sozialen Friedens in unserem Land leisten können. ({8}) Nach mehreren Gesetzen der letzten Legislaturperiode, die alle dem Ziel der Erleichterung des Wohnungsbaus dienten, wurden im letzten Jahr neue Akzente gesetzt. Zunächst das Mietenüberleitungsgesetz: Es ging zwei wichtige Schritte nach vorn in Richtung Woh- nungsmarkt auch in den neuen Bundesländern. Zugleich wurde uns aber von der SPD ein Schritt zurück aufgezwungen, der auch aus heutiger Sicht keine Freude auslösen kann: Zwei unselige neue Kappungsgrenzen haben das Mietrecht nicht vereinfacht. Sie wirken sich nicht zugunsten der Mieter und insbesondere nicht zur Verbesserung der Wohnungssituation in den neuen Bundesländern aus. ({9}) Das Gesetz war sicherlich im § 12 Abs. 1 schlecht formuliert, so daß jetzt der von mir schon damals mit Nachdruck vorhergesagte Reparaturbedarf eingetreten ist. Wir werden uns in wenigen Wochen der peinlichen Prozedur einer Gesetzesänderung unterziehen müssen, damit das, was wir gemeinsam politisch gewollt haben, auch beim einzelnen Bürger so ankommt und nicht durch eine entgegengesetzte Rechtsauslegung der Gerichte verändert wird. ({10}) Aber nicht die Richter sind hier zu kritisieren; denn Gesetze sollen einfach und verständlich sein. Dies gilt ganz besonders für Gesetze, die den engsten Lebensbereich der Menschen regeln, zum Beispiel also das Mietverhältnis. Der Bundestag und insbesondere die Wohnungsbauminister der neuen Bundesländer hatten nicht den Mut, wenigstens die Mindereinnahmen, die durch die Verpflichtung zur Bedienung der AltschulHildebrecht Braun ({11}) den für die großen Wohnungsgesellschaften entstanden, durch eine entsprechende Mietanhebung auszugleichen. Dies führte zu betrüblichen Einschnitten bei den Investitionsvorhaben der kommunalen Wohnungsgesellschaften und der Genossenschaften. Die Leidtragenden sind die Mieter und die Nutzungsberechtigten selbst. Vor wenigen Wochen haben wir nun gemeinsam mit der SPD die Wohneigentumsförderung auf neue Füße gestellt. Es wird uns gelingen, mit dem neuen Fördermodell neue Schichten unseres Volkes für das Wohneigentum zu erschließen. Das ist gesellschaftspolitisch von großer Bedeutung und wird sich langfristig positiv auswirken. Die Vereinfachung der Förderung, die Verbesserung der Familienkomponente, die neugestaltete, sehr einfache Bürgschaftsregelung in den neuen Bundesländern und die Wiederbelebung des Bausparens sind ebenso Aktivposten wie die Förderung des Erwerbs von Genossenschaftsanteilen, sofern - aber auch nur dann - diese in Wohneigentum umgewandelt werden können. ({12}) Der Wohnungsmarkt ist ausgeglichen. Soweit Leerstände durch Neubau entstanden sind, halten sie sich in einem durchaus akzeptablen Rahmen. Jede dritte Wohnung in den neuen Bundesländern ist mittlerweile modernisiert. Die staatlichen Hilfen haben gegriffen. ({13}) Der Standort Deutschland-Ost hat auch von der Wohnungsseite her betrachtet enorm gewonnen. ({14}) So zufrieden wir die Entwicklung des Wohnungsbaus der letzten fünf Jahre betrachten können, so sorgenvoll müssen wir die Zukunft sehen: Die Herabsetzung des Abschreibungssatzes für den Mietwohnungsbau von 7 auf 5 Prozent ist aus der Sicht der F.D.P. viel zu stark ausgefallen. ({15}) Wir befürchten, daß diese Veränderung den Mietwohnungsbau einbrechen lassen wird. Die Zusagen für Hypothekendarlehen im frei finanzierten Wohnungsbau sind in den vergangenen neun Monaten um 20,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen, im öffentlich geförderten Wohnungsbau um 8,9 Prozent. Bei Eigenheimen und Eigentumswohnungen verzeichnen wir gar einen Rückgang von 25,1 Prozent, während bei den alten, bis heute geltenden Abschreibungssätzen der Mietwohnungsneubau nur um 6,6 Prozent weniger Darlehenszusagen aufweist. Die Bauindustrie teilt uns nun mit, daß die Auftragseingänge beim Wohnungsbau vom Januar bis August 1995 gegenüber dem Vorjahr um 16,6 Prozent zurückgegangen sind. Das gilt für Westdeutschland, während zu unserer großen Freude in den neuen Bundesländern noch ein Anstieg um 21,4 Prozent zu verzeichnen ist. Insgesamt werden wir in diesem Jahr dennoch einen Rückgang im Bereich der Bauin- dustrie um 1 Prozent erleiden. Das ist eine neue Entwicklung, die uns natürlich stutzig machen muß. Die Bauindustrie kritisiert auf diesem Hintergrund die finanz- und haushaltspolitischen Entscheidungen des Bundes als prozyklisch und investitionsfeindlich. Ganz falsch liegt sie damit nicht, da die Investitionskürzungen von insgesamt 5,3 Milliarden DM, die überwiegend für den Straßenbau beschlossen werden, die Abschwungtendenzen dramatisch verstärken werden. Zirka 3 700 Konkurse in der Bauwirtschaft im Jahr 1995 sprechen eine deutliche Sprache. Die Alarmglocken werden immer deutlicher vernehmlich. Es ist unsere Aufgabe, für die richtigen Rahmenbedingungen zu sorgen, damit eine kontinuierliche Bauentwicklung gesichert wird, die nicht nur für Beschäftigung der am Bau Beteiligten sorgt, sondern die auch den Bau der benötigten Zahl von Wohnungen in der Zukunft sicherstellt. Ausreichender Wohnungsbau ist die Form des Mieterschutzes, die wir von der Koalition für vordringlich halten. Vielen Dank. ({16})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt spricht der Abgeordnete Klaus-Jürgen Warnick.

Klaus Jürgen Warnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002824, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit diesem Haushalt und seinen Prioritäten zeigt die Bundesregierung, daß sie nicht gewillt ist, ernsthaft gegen den zunehmenden Mangel an bezahlbaren Wohnungen vorzugehen, daß sie die wachsende Zahl der von Wohnungs- und Obdachlosigkeit bedrohten und betroffenen Menschen weiter im Regen stehen lassen will. Frau Eichstädt-Bohlig hat es schon deutlich gemacht: Es erübrigt sich eigentlich, viel zu diesem Haushalt zu sagen. Denn schlechte Bedingungen für den Mietwohnungsbau, mangelhafte Finanzausstattung der Städte und Gemeinden, massenhafter Verlust der Mietpreis- und Belegungsbindungen bei Sozialwohnungen sowie das beabsichtigte Auslaufen des erweiterten Kündigungsschutzes in Ostdeutschland zum 31. Dezember 1995 sprechen für sich. Aber zu den einzelnen Details trotzdem ein paar Worte: Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau sollen reduziert werden. Statt dessen wäre nach unserer Meinung ganz eindeutig eine Erhöhung notwendig gewesen. Auch kann ich das Argument nicht akzeptieren, daß nicht genug Geld da ist. Zu sagen, der Haushalt hat nur 450 Milliarden DM, und diese 450 Milliarden DM kann man nur einmal verteilen, kann ich so nicht akzeptieren. Es ist ein völlig falscher Ansatz. Man müßte erst einmal aufzeigen, wo der Staat ungerechtfertigt bei einigen wenigen in diesem Land auf riesige Steuereinnahmen verzichtet. Nennen will ich nur die Wohneigentumsförderung für Leute, die 20 000 DM im Monat verdienen - da noch etwas zu geben ist für meine Begriffe völliger Unsinn -, das Dienstwagenprivileg, die Besteuerung von Grundstücksspekulationsgeschäften, die SteuerKlaus-Jürgen Warnick hinterziehung. Es gibt eine Menge, Menge Möglichkeiten, in diesem Land zu mehr Geld zu kommen, wenn man es nur will. ({0}) Dann müßte man überlegen, was man mit diesen 30 oder 40 oder vielleicht auch 50 Milliarden DM macht. Das wäre der richtige Ansatz und der richtige Weg. Aber dann müßte man an diejenigen heran, die Geld haben, und nicht an die Kleinen. Es ist viel einfacher, an die Kleinen heranzugehen, die sich weniger wehren können, und bei der Arbeitslosenunterstützung, bei den Sozialhilfeleistungen zu sparen. Ich sage Ihnen: Dieses Land ist reich genug. Der Reichtum ist nur ungleich verteilt. Das ist das Problem. ({1}) Der Etatansatz für das Wohngeld soll ebenfalls reduziert werden. Auch hier lügt sich Herr Waigel in die eigene Tasche, denn Wohngeld ist eine Pflichtaufgabe. Ein Nachtragshaushalt ist hiermit schon vorprogrammiert. Für jeden ist ersichtlich, daß schon der Ansatz für 1995 nicht ausreicht. Der Grund: mehr Arbeitslose, spürbare Mieterhöhungen. Darüber hinaus ist eine Anpassung des Wohngelds West zum 1. Januar 1996 dringend überfällig. Von uns liegt ein Gesetzentwurf vor; Dr. Niese hat vorhin etwas dazu gesagt. Ich bin gespannt, wie sich die SPD zu diesem Gesetzentwurf verhält. ({2}) Wie unehrlich und widersprüchlich die Politik der Bundesregierung ist, zeigt sich besonders beim Wohngeldprinzip. Die Koalition lobt immer ihr Konzept der Verringerung der Objektförderung und der Vermehrung der Subjektförderung - so ihre oft wiederholte Aussage. Und sie sagt, dies sei auch sozial gerechter. Wie sieht es in der Realität aus? In Wirklichkeit wird beides gekürzt, die Objekt- und auch die Subjektförderung. Damit können sie dieses Konzept in den Mülleimer werfen. Es ist pure Augenwischerei. Mit welchen völlig untauglichen Instrumenten die Lücken im Haushalt 1996 wenigstens oberflächlich kaschiert werden sollen, zeigt der beabsichtigte Verkauf von 44 000 bundeseigenen Wohnungen. Dieser Verkauf zusätzlich zu den 300 000 Wohnungen, die in Ostdeutschland sowieso zwangsprivatisiert werden sollen, ist eine der vielen kleinkarierten finanzpolitischen Dummheiten, die sich in der Zukunft noch bitter rächen werden. Kein Geschäftsmann, der für sich den Anspruch erhebt, einigermaßen vorausschauend und solide zu arbeiten, wird heute sein Tafelsilber verkaufen, wenn er weiß, daß er es morgen wieder dringend braucht. Nur drei Tage im voraus zu denken reicht eben nicht aus, Herr Waigel. ({3}) Im übrigen scheint in der Regierungskoalition niemand einen Gedanken daran zu verschwenden, daß in diesen Wohnungen über 100 000 Menschen leben. Erzählen Sie mir bitte nicht irgend etwas von Mieter- rechten ({4}) oder davon, daß sich für die Mieter überhaupt nichts ändern würde. Da liegen leider völlig andere Erfahrungen der Mietervereine vor. Es gibt einen auffälligen Kontrast der Streichung von Mitteln für das Wohngeld, die Städtebauförderung und den sozialen Wohnungsbau zum Förderprogramm des Berlin-Umzugs. Hier gibt es keine Abstriche. Wieso für 5 000 Wohnungen für Bundesbedienstete in Berlin 790 Millionen DM bereitgestellt werden sollen, bleibt ein Geheimnis der Bundesregierung. Das sind immerhin 158 000 DM pro Wohnung. Ich habe bisher noch keine zufriedenstellende Antwort darauf erhalten, wozu Geld in dieser Größenordnung notwendig ist. Hier bestätigt sich immer wieder: Viele sind gleich, einige sind aber gleicher. Ich komme zu unserem Antrag zur Umwidmung der Mittel zum Abriß des Palastes der Republik in Mittel zur Sanierung und zum Erhalt. Es gab eine Expertenkommission. Zehn von zwölf Experten haben sich in der Anhörung dafür ausgesprochen, den Palast zu erhalten. Im Berliner Wahlkampf haben sich alle Parteien für den Erhalt des Palastes der Republik ausgesprochen. Warum gibt es dann keinen eigenen Antrag von einer dieser anderen Parteien? Oder war es doch nur ein Wahlversprechen, und ist es nach der Wahl schon wieder vergessen? Gespannt bin ich vor allem auf das Verhalten der F.D.P., die noch vor kurzem hier im Parlament erklärt hat, sie sei für den Erhalt. Ich bin wirklich gespannt, wie sie sich zu unserem Änderungsantrag verhalten wird! Sollten unsere Änderungsvorschläge keine Mehrheit finden, lehnen die Demokratischen Sozialisten den Einzelplan 25 aus den vorgenannten Gründen ab. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es spricht jetzt der Minister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Klaus Töpfer.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann aus dieser Diskussion zunächst eine erfreuliche Feststellung ableiten: Am 29. März dieses Jahres haben wir den letzten Haushaltsplan verabschiedet. Auch da sprach der Kollege Niese. Damals beendete er seine Rede mit dem Hinweis, er lehne diesen Haushalt mit Entschiedenheit ab. Heute hat er ihn nur noch abgelehnt. Wir sind also einen wesentlichen Schritt vorangekommen, meine Damen und Herren. ({0}) Bundesminister Dr. Klaus Töpfer Hätte er die Argumente, die nach seiner Rede hier vorgetragen worden sind, vorher gewertet, hätte er den Haushaltsplan vielleicht gar nicht mehr abgelehnt. In der Zwischenzeit, Herr Kollege Niese, ist nämlich konkret wirklich vieles gemacht worden. An manchen Stellen ist das sogar der Opposition auf gefallen. Daß Fortschritte natürlich nur möglich sind, wenn sie das Sprungbrett darstellen, ist aus dem Selbstbewußtsein heraus irgendwo auch verständlich. Was ist an Fakten festzustellen?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wagner?

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Mit großer Freude.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Töpfer, teilen Sie meine Empörung über die Äußerung des CSU-Kollegen Friedrich bei der Beratung des Einzelplans 16, Sie hätten in Ihrer ganzen Amtszeit nichts anderes getan als angekündigt, und zwar vier Jahre lang, und Frau Merkel müsse jetzt diese Versprechungen mühsam abarbeiten? Ich nehme an, daß Sie meine Empörung über diese Äußerung teilen. ({0}) Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Ich bin auch gern bereit, Herr Kollege Wagner, Ihnen noch ein Taschentuch für die Tränen anzubieten, die Sie gerade vergießen, damit Sie nicht Ihren kostbaren Anzug bekleckern; das wäre ganz schlimm. Ich kann einen Punkt natürlich überhaupt nicht teilen: daß es nur vier Jahre gewesen seien. Ich bin nämlich siebeneinhalb Jahre Bundesumweltminister gewesen, ({1}) und von daher werden wir diese große Empörung mit Gelassenheit weiter behandeln. ({2}) Ich finde es schön, daß man beim Kollegen Wagner auf manche Dinge setzen kann. Es gibt einen gewissen Pawlow; lesen Sie mal nach, was der gemacht hat! Das paßt nämlich ganz genau. - Also herzlichen Dank für diese dienst- und hilfreiche Frage! Ich komme zurück zu meinem Haushalt und sage noch einmal ganz herzlich Respekt und Anerkennung für die Arbeit, die Frau Schwaetzer geleistet hat. ({3}) Sie hat nämlich dazu beigetragen, daß wir im letzten Jahr und zum Teil auch in diesem Jahr neue Wohnungsbaurekorde in der Bundesrepublik Deutschland erzielt haben. ({4}) Dies ist ein Faktum. Zumindest da waren es keine Ankündigungen, sondern Taten, Herr Kollege Wagner. Ich sage Ihnen noch eines dazu: Ich empfinde es als eine gute Sache, daß wir damit sehr vernünftig und sehr wirksam auf die deutschen Einigungsprozesse mit der Wanderungsbewegung und mit der Nachfrage am Wohnungsmarkt reagiert haben. Das ist eine hervorragende Entwicklung gewesen. Wir haben außerdem in der Zwischenzeit wichtige zusätzliche gesetzliche Regelungen getroffen. Das Mietenüberleitungsgesetz ist schon erwähnt worden. Es enthält, Herr Kollege Niese und meine Damen und Herren, eine Neuregelung des Sonderwohngelds für die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern. Das ist eine, wie ich meine, ganz wichtige Entwicklung, die wir auch wieder gemeinsam getragen haben. Also auch hier wieder: nicht eine Ankündigung, sondern Fakten. An manchen Stellen ist es im übrigen immer wieder faszinierend zu sehen, wie schnell das, was man als Konzeption vorgestellt hat, als Ankündigung mißverstanden wird. Hat man keine Konzeption, ist es aber auch nicht recht. Also werden wir das in aller Gelassenheit und Ruhe so weitermachen. Zum zweiten möchte ich sagen, daß wir die Ent- wicklung bei der Anwendung des Mietenüberleitungsgesetzes natürlich sehr genau verfolgen. Wir sollten genausoviel Klarheit schaffen, wenn es Schwierigkeiten gibt, und dann hoffentlich wieder über die Fraktionsgrenzen hinweg - ich glaube, es wird so sein - eine entsprechende Änderung vornehmen. Drittens, meine Damen und Herren, haben wir in der Zwischenzeit ein Eigenheimzulagengesetz verabschiedet. Deshalb ist es für mich nicht nachvollziehbar, daß der Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig noch immer nicht klar ist, daß die Veränderung aufkommensneutral erfolgt ist, und zwar eindeutig zugunsten der Bezieher niedriger Einkommen. ({5}) Wenn bei einer aufkommensneutralen Veränderung eine Gruppe bevorzugt wird, müssen wohl andere Gruppen entsprechend weniger bekommen. ({6}) Nehmen Sie einmal die „Wirtschaftswoche" zur Hand; ich habe sie gerade hier liegen. Darin steht ganz eindeutig: Bei der neuen Wohneigentumförderung verlieren vor allem Bauherren, die besonders gut verdienen. Das ist doch etwas, was uns eher vorgehalten wird. Uns wird nämlich gesagt: Möglicherweise entmutigt Bundesminister Dr. Klaus Töpfer ihr damit jetzige Bauherren, könnt aber die anderen, die bauen sollten, nicht genug ermutigen. Deshalb nehmen Sie doch bitte den Neidkomplex aus Ihrer Argumentation. Er hilft niemandem, weder den Familien mit Kindern noch denen mit niedrigem Einkommen. ({7}) Das ist doch der Sache nicht dienlich. Wir haben sogar eine vernünftige Ökokomponente vorgesehen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Selbstverständlich, Frau Eichstädt-Bohlig weiß, daß ich mich auf Ihre Frage freue. Ich möchte nur zuerst meinen Satz zu Ende führen. Es sind auch die Genossenschaften mit aufgenommen worden. Das Baukindergeld ist verbessert worden. - All das ist innerhalb eines Jahres erreicht worden. Wir haben vernünftige Arbeit geleistet. Ich glaube, allen Anlaß zu haben, den Baupolitikern der Fraktion herzlich dafür zu danken, daß sie den Weg so konsequent mitgegangen sind. ({0}) Bitte schön, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Töpfer, es ist mir völlig bewußt, daß das Eigenheimzulagengesetz gegenüber der bisherigen Förderung nach § 10e eine eindeutige Verbesserung ist, auch in bezug auf die Verschiebung der Förderung in Richtung der Schwellenhaushalte. Trotzdem muß ich Sie fragen, ob Sie die Proportionen zwischen der jetzt geltenden Eigenheimzulage und dem, was im Gegenzug dafür an Steuermindereinnahmen vorgesehen ist, einerseits und dem Wohngeldetat, insbesondere unter dem Druck einer Wohngeldnovelle, dem Städtebauförderungsetat und dem Etat des sozialen Wohnungsbaus andererseits für richtig halten oder der Meinung sind, daß in diesen Etats deutlich aufgesattelt werden müßte, weil dort die wichtigen wohnungspolitischen Aufgaben der Gegenwart und Zukunft liegen.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, zunächst einmal danke ich Ihnen dafür, daß Sie gesagt haben, dies sei eine wesentliche Verbesserung. Halten wir das einmal fest: Es ist eine wesentliche Verbesserung. ({0}) Ich hoffe, daß viele Familien mit Kindern und Familien mit niedrigem Einkommen diese Chance nutzen und jetzt ihren eigenen Wohnungsbau in Angriff nehmen. ({1}) Zweitens greife ich das auf, was der Kollege Dietmar Kansy vorhin gesagt hat. Wenn Sie sich einmal anschauen, wie spezifisch gefördert wird - er hat das am Beispiel des sozialen Wohnungsbaus und der Kosten für eine Wohnung deutlich gemacht -, dann muß klar sein, daß wir - Herr Kollege Niese, schreiben Sie das schon einmal unter „Ankündigungen" auf, damit Sie es nicht vergessen -, eine Novelle des sozialen Wohnungsbaus brauchen. Dabei müssen wir einkommensorientiert vorgehen, damit wir mit den verfügbaren Mitteln möglichst große soziale Effekte erreichen. Dann haben wir auch Ihr Ziel mit erreicht. Ich hoffe, daß wir den sozialen Wohnungsbau dann so novellieren werden, daß sogar Bündnis 90/Die Grünen dieser Reform zustimmen können. Das wäre doch eine prima Sache. ({2}) - Frau Präsidentin, ich bin gerne bereit, dem Kollegen Diller jede Frage zu beantworten. Er soll dann aber bitte aufstehen und seine Frage ordnungsgemäß stellen. ({3}) - Deswegen sage ich das ja. Herr Kollege Niese hat doch gerade gesagt, man solle keine Zurufe in Frageform machen, damit andere nicht zu kurz kommen. Darauf will ich zurückkommen. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen ganz konkret sagen, daß wir diese einkommensorientierte Förderung im sozialen Wohnungsbau brauchen. Ich zitiere noch einmal - das habe ich zwar schon einmal getan, vielleicht hat aber niemand richtig zugehört -: Wir werden die bisherigen Förderprogramme durch ein sozial ausgewogenes ... Modell einer einkommensabhängigen Förderung ergänzen. So können die Sozialmieten flexibel an die Entwicklung der Einkommen der Mieterinnen und Mieter angepaßt werden. Ich habe aus diesem Zitat nur eine Stelle ausgelassen, nämlich den Hinweis, daß dies ein nordrheinwestfälisches Modell ist. Das heißt: Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Herr Rau, kündigt genau das an, was ich sage. Wenn ich es sage, kritisieren Sie es als Ankündigung. Wenn es Herr Rau sagt, ist es offenbar die richtige Politik. Wir werden dies durchsetzen und können Herrn Rau dies schon sagen. Ich hoffe, daß er dann im Bundesrat zustimmen wird. Das ist viel wichtiger. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Braun?

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Gerne.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Wohneigentumsförderung hat mit dem Wohngeldhaushaltsansatz eine ganze Menge zu tun; denn wie wir hier schon in mehreren Reden gehört haben, ist die Förderung des Wohneigentums die preiswerteste Form, überhaupt zu mehr Wohnungen zu kommen. Deswegen meine Frage an Sie: Herr Minister Töpfer, ist es richtig, daß durch die Förderung des Wohneigentums die Zahl der Wohnungen in einem solchen Maß gesteigert werden kann, daß dadurch indirekt das Angebot an Mietwohnungen mit der Folge niedrigerer Mieten deutlich verbessert wird und mit der weiteren Folge einer geringeren Notwendigkeit, Wohngeld in Anspruch zu nehmen?

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Herr Kollege Braun, ich kann das nachhaltig bestätigen. So steht es auch im Expertengutachten. Die Experten sprechen von dem sogenannten Filtereffekt, der besagt, daß, wo jemand auch mit mittlerem oder niedrigem Einkommen Wohneigentum schafft und eine Mietwohnung nicht in Anspruch nimmt, die Nachfrage nach Mietwohnungen geringer wird. Genau dieser Prozeß ist damit verbunden. Deswegen sind natürlich alle Ansätze, die wir haben, ob Wohngeld, ob sozialer Wohnungsbau oder die Förderung des Wohneigentums, immer miteinander verbunden zu beurteilen. Ich glaube, das kann man mit großem Nachdruck sagen. Aber lassen Sie mich, meine Damen und Herren, die mir noch verbleibende Zeit nutzen, um klarzumachen, daß wir alles daransetzen müssen, um die Entwicklung in der Bauwirtschaft mit sehr großer Genauigkeit nicht nutzlos zu verfolgen, sondern um auch positive Signale zu ihrer Stabilität zu setzen. Die Zahlen sind genannt worden. Wir haben in den Jahren 1994 und 1995 Rekordjahre erreicht. Aber wir werden, was den Wohnungsbau betrifft, einen deutlichen Rückgang gerade in den alten Bundesländern bekommen. Rückgänge bei den Wohnungsbauaufträgen von über 15 Prozent sind Größenordnungen, die Schwierigkeiten für die Bauwirtschaft mit sich bringen. Daß nach den Rekordzahlen eine Normalisierung kommen mußte, ist sicher richtig. Aber wir müssen alles daransetzen, daß diese Reaktion nicht zu weit geht; denn dann würden wir gerade ein entscheidendes Konjunkturmoment in Frage stellen. Ich glaube, daß wir uns dies angesichts der hohen Bedeutung der Bauwirtschaft für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nicht leisten können. Deswegen noch einmal meine dringende Bitte, daß wir die neue Regelung der Eigenheimzulage nicht zerreden, sondern möglichst vielen Mut machen, jetzt ihren Bauantrag zu stellen, damit eine zusätz- liche Nachfrage der Bauwirtschaft ermöglicht wird. ({0}) Dies, meine Damen und Herren, muß natürlich mit allen Möglichkeiten kostengünstigeren Bauens verbunden sein. Wir haben das aufgegriffen. Wir bemühen uns in Expertenrunden, Lösungen zu finden, um durch kostengünstigere Produkte, kostengünstigere Wohnungen und Häuser das zu unterstützen, was wir mit der Förderung verbessern wollen. Meine Damen und Herren, auch dazu möchte ich ergänzend eines sagen. Konjunktur am Bau hat auch etwas mit Arbeitsplätzen zu tun. Das möchte ich ganz klar sagen. Deswegen will ich an dieser Stelle noch zwei, drei Sätze zur Frage der Entsenderichtlinie sagen. Ich glaube, daß uns das Thema allen sehr, sehr ernst sein sollte. Man kann sich zwar lange darüber unterhalten, welches der noch bessere Weg ist, aber ich bin dringend daran interessiert, daß das, was die Bundesregierung als Gesetz vorgelegt hat, bald verabschiedet wird, damit wenigstens jetzt das Signal stimmt, und daß man nicht noch Wochen oder Monate darüber redet, wie man es noch besser machen könnte, mit dem Ergebnis, daß der schlechte Zustand von heute bleibt. ({1}) Das wäre mir ein Anliegen. Meine intensive Bitte geht an die sozialdemokratisch regierten Bundesländer und damit auch an Ihre Fraktion, Herr Kollege Struck, dies zu bedenken, damit jetzt ein Signal gesetzt wird. Alles, was später kommt, wird es enorm erschweren, überhaupt bei anderen noch ein Mitverständnis zu finden. Ich sage das, meine Damen und Herren, auch und gerade in Kenntnis der Tatsache, daß die Bauwirtschaft und auch die jetzt durch Fusion neu entstandene Gewerkschaft eine bemerkenswerte Leistung erbracht haben. Wenn man sich einmal überlegt, meine Damen und Herren, welche Diskussionen wir bis zu Großdemonstrationen über das Schlechtwettergeld gehabt haben, dann ist es zu begrüßen, daß die Tarifpartner eine saubere, eine vernünftige Anschlußregelung gefunden haben. Das ist eine großartige Sache. ({2}) Ich will auch an dieser Stelle allen, die daran mitgewirkt haben, herzlich Dank sagen, auch dem jetzt ausgeschiedenen Vorsitzenden der IG Bau-SteineErden, Herrn Köbele, dafür, daß er diesen Schritt bis hin zu den Jahreseinkommen mitgemacht hat. Alles das sind Dinge, die wir nicht nur in der Bauwirtschaft, sondern auch an anderen Stellen brauchen werden. Auch darüber sollten wir, Herr Kollege Niese, ein gut Stück gemeinsam miteinander reden, und wir sollten nicht nur darüber reden, daß man alte, schöne Abziehbilder, Herr Kollege Wagner, weiterträgt. Es geht nicht um die Frage, was wir in idealer Weise machen können; vielmehr geht es darum, was wir in der Realität des Jahres 1995 mit Blick auf stabile Staatsfinanzen tun können. Ein konsolidierter Bundesminister Dr. Klaus Töpfer Haushalt war das entscheidende. Dazu wird auch der Bauminister seinen Beitrag leisten. ({3}) Ich kann zum Wohngeld genau das wiederholen, was wir gesagt haben. Wir werden das Gesetz so novellieren, daß es noch im Jahr 1996 wirksam wird. Das haben wir an dieser Stelle fünfmal gesagt. Wenn Sie es zum sechstenmal hören wollen, habe ich das damit jetzt gesagt. ({4}) Ein letztes - hören Sie zu -: Ich möchte mich bei den Berichterstattern sehr herzlich bedanken. Wir haben, wie Herr Pützhofen gesagt hat, weiß Gott nicht alle unsere Wünsche erfüllt bekommen. Es ist vieles gestrichen und verändert worden. Ich freue mich, daß Herr Koppelin, Herr Pützhofen, Herr Niese, Herr Metzger und andere an dem Einzelplan mitgewirkt haben. Diese kollegiale Arbeit ist eine gute Basis für die Zukunft. Ich danke Ihnen sehr herzlich. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete Otto Reschke das Wort. Otto Reschke ({0}): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war wieder einmal ein Tag der Verkündung von Herrn Töpfer, genau wie am 11. Oktober, als er verkündet hat, der Schürmann-Bau werde saniert und weitergebaut, ein außergerichtlicher Vergleich ohne Belastung des Bundes sei erreicht, die Deutsche Welle solle das Gebäude nutzen, im übrigen solle Kaaf als Generalunternehmer fungieren. So ausweislich des Protokolls der 60. Sitzung. Aber ich sage ganz deutlich: Wichtige haushaltsrechtliche Fragen stellen sich, die auch heute vom Minister bedauerlicherweise mit keinem einzigen Wort erwähnt worden sind. Herr Minister: Welcher Vergleich hat stattgefunden? Wie sieht er aus? Es geht schließlich um 600 Millionen DM Bundesmittel und um Vermögenswerte von fast 1 Milliarde DM. Wie kam man dazu, die Kaaf-Gruppe auszuwählen? Das möchte ich als Parlamentarier langsam wissen. Besteht ein Vorvertrag mit Kaaf? Und: Wie weit sind die Verhandlungen mit dem Generalunternehmervertrag gediehen? Ich weiß, die Kaaf-Gruppe hat Ihnen im Mai mehrere Angebote übergeben. Die Angebote sind übrigens unter Beteiligung der HBW entstanden, eines der Hauptschädiger am Schürmann-Bau, wie ja mittlerweile festgestellt worden ist. Die Baudirektion hat übrigens, wie ich erfahren habe, diese Unterlagen geprüft - warum legen Sie den Bericht der Öffentlichkeit nicht vor? - und in einer Stellungnahme an Töpfer erstens festgestellt - ich zitiere aus dem Bericht -: Es ist ... inakzeptabel, daß der HBW im Rahmen der Bemühungen um die Unterbringung der Deutschen Welle offenkundig eine bestimmte Rolle eingeräumt wird, die ihr nicht zusteht und dem Erfolg in der Sache eher geschadet hat. Wieso beauftragen Sie den Schädiger mit, ein Gutachten zu erstellen? ({1}) Ich zitiere, Herr Minister, mit Genehmigung der Präsidentin aus dem Bericht zweitens: ({2}) Was die Kaaf-Gruppe prädestinieren soll ... eine projektfördernde Organisationsrolle übernehmen zu sollen, ist nicht erkennbar. Die Qualität der vorliegenden Angebotsunterlagen ... lassen erhebliche Zweifel aufkommen ... ob das Büro dieser zugedachten Rolle gerecht werden kann. ({3}) Ich komme zu einem dritten Zitat, und das wird Ihnen noch weniger gefallen, und zwar zu der Zusammenarbeit der Kaaf-Gruppe als Generalunternehmer mit dem Hauptschädiger, mit dem Architekten und mit den Planungsbüros. Ich zitiere wieder aus dem Bericht der Bundesbaudirektion: Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß dem Schädiger gewollt oder ungewollt Arbeitsergebnisse und Strategien des Bundes zur Kenntnis kommen, die der Gegenseite im Beweisverfahren oder ... bei einem nicht auszuschließenden Prozeß von Vorteil sein können. Es bestehen berechtigte Zweifel, ob eine solche Handlungsweise mit dem Auftrag dieser Büros noch in Einklang zu bringen ist. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Minister, nach diesem vernichtenden Urteil hätte ich zumindest gedacht, daß Sie ein Wort zu dem gesagt hätten, was der Kollege Niese an Aufklärung gefordert hat.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, Herr Kollege, nein, nein!

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zu einem letzten Punkt, und auch das wird Ihnen nicht gefallen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Abgeordneter, ich bitte Sie jetzt einmal zuzuhören. Die Kurzintervention darf höchstens drei Minuten dauern, und ich bin gehalten, das ganz strikt einzuhalten. Diese Zeit haben Sie überschritten. Das zweite ist, daß das Instrument der Kurzintervention eigentlich nicht für schriftlich vorbereitete Beiträge gedacht ist; ({0}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer vielmehr soll man mit ihm auf Reden reagieren. Das ist sehr wichtig, weil wir uns viel dabei gedacht haben, dieses Instrument zur Belebung und nicht zur Verlängerung der Debatten einzuführen. ({1}) Ihre Redezeit ist leider abgelaufen.

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich bitte um Entschuldigung. Ich habe aus Unterlagen zitiert und nicht aus einem vorbereiteten Beitrag. Ich darf jetzt wenigstens zum Schluß kommen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nein, die Zeit ist vorbei. Es tut mir leid. Herr Töpfer, auch Sie dürfen als Minister keine Kurzinterventionen machen, sondern nur als Abgeordneter. ({0}) - Wollen Sie antworten? - Bitte.

Prof. Dr. Klaus Töpfer (Minister:in)

Politiker ID: 11002335

Frau Präsidentin! Ich habe hier in zehn Minuten einen Haushaltsentwurf in zweiter und dritter Lesung abschließend zu kommentieren gehabt. Das habe ich getan. ({0}) Fragen dieser Art, die wichtig sind, meine Damen und Herren, werden wir im Ausschuß und an anderen Stellen gerne umfassend und, wie ich glaube, auch sehr überzeugend beantworten. ({1}) Außerdem freue ich mich ganz herzlich darüber, daß der Kollege Reschke mit so viel Engagement und Sachkenntnis für den Weiterbau des SchürmannBaus eingetreten ist und uns sicherlich mit gleichem Engagement auch in Zukunft begleiten wird. Ich danke Ihnen sehr herzlich. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/2891? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der SPD abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/2892? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit denselben Stimmenverhältnissen abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/2943? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Zustimmung der PDS abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/2944? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltung der SPD abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/2945? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Zustimmung der Gruppe der PDS abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/2946? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Zustimmung der PDS sowie bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/2947? - Gegenprobe! - Enthaltun- gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Zustimmung der PDS und Enthaltung der SPD abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/2948? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD und Zustimmung der PDS abgelehnt. Wer stimmt jetzt für den Einzelplan 25 in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 25 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen worden. Ich rufe auf: Einzelplan 13 Bundesministerium für Post und Telekommunikation - Drucksachen 13/2613, 13/2626 Berichterstattung: Abgeordnete Gerhard Rübenkönig Antje Hermenau Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster hat der Abgeordnete Gerhard Rübenkönig das Wort.

Gerhard Rübenkönig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002767, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als bei der vergangenen Haushaltsberatung Herr Minister Bötsch das Wort ergriff, sagte er: Es ist bereits Mitternacht, und der Posthaushalt wird wieder im Dunkeln beraten. - Es ist heute wieder dunkel, aber es ist noch nicht Mitternacht. Ich hoffe für uns alle, daß unser Finanzminister Theo Waigel in dieser Dunkelheit nicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ganz plötzlich die Postbank verkauft. ({0}) Die bisherigen Diskussionsbeiträge haben eindeutig bewiesen, meine Damen und Herren, daß Finanzminister Waigel ein Milliardenhaushaltsloch zu verantworten hat, das in der Geschichte dieses Bundeshaushalts seinesgleichen sucht. Ich denke, wir müssen hier erkennen, daß die Finanzen des Bundes nicht mehr in Ordnung sind. ({1}) Der Posthaushalt, meine Damen und Herren, stellt einen reinen Verwaltungshaushalt dar, der nur noch die Einnahmen und Ausgaben veranschlagt, die zur unmittelbaren Erledigung der gesetzlich festgeleg- ten Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Post und Telekommunikation erforderlich sind. Im Gegensatz zu anderen Ressorts enthält er keine Investitionen, Zuwendungen oder Zuschüsse größeren Umfangs. Insofern war die Beratungslage der Berichterstatter nicht sehr kompliziert, und ich denke, sie war auch sehr einvernehmlich. Dennoch, Herr Minister, so sauber und solide das klingt, die Ansätze für Telefongebühren, Porto, Reisekostenvergütung - In- und Ausland - sind auch unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Personalstärken in anderen vergleichbaren Haushalten in dieser Höhe nicht vorhanden. Die Mittel für Dokumentation, Forschung und Sachverständige konkurrieren mit dem Wissenschaftsinstitut für Kommunikationsdienste. Um hier doppelte Ausgaben zu vermeiden, ist es erforderlich, denke ich, daß eine sehr gute Koordinierung vorgenommen wird. Herr Minister, von Ihnen stammt der Satz: „Die Post vor Ort ist für viele Menschen so wichtig wie die Kirche oder die Schule. " Ich kann das nur unterstützen. Und damit das so bleibt, fordere ich Sie eindringlich auf, die Erfüllung des Infrastrukturauftrages sicherzustellen. Mit der angestrebten Privatisierung der Postbank AG, deren Erlös auch zur Sanierung des Haushalts herhalten soll, schlägt Bundesfinanzminister Theo Waigel einen völlig neuen Weg ein. Kolleginnen und Kollegen, hierzu gleich eine klare Feststellung. Die Veräußerung der Aktien der Deutschen Postbank AG ist nicht etatfähig, da der Bund von 1995 bis 1999 jährlich 0,31 Milliarden DM zur Finanzierung der Unterstützungskassen aufzubringen hat und auch über 1999 hinaus diese Verpflichtung in einer noch nicht kalkulierten Größenordnung übernehmen muß. Hinsichtlich des tatsächlichen Wertes der Postbank schwanken die Zahlen zwischen 4 und 6 Milliarden DM. Die Londoner Bank Investment Banking Schroders soll nun bis zum Januar 1996 ein entsprechendes Gutachten erstellen mit dem Ziel, bei der Privatisierung von Post und Postbank die Wettbewerbsfähigkeit der beiden Unternehmen zu fördern und die Zukunft von Post AG und Postbank AG sicherzustellen. Ein weiteres entscheidendes Kriterium ist der vom Grundgesetz geforderte Infrastrukturauftrag, also die flächendeckende Präsenz. Leider ist diese renommierte Londoner Bank erst jetzt beauftragt worden, ({2}) nachdem von den Ministerien und den Unternehmen selbst schon die unterschiedlichsten Vorstellungen geäußert wurden und damit unter der Belegschaft und in der Öffentlichkeit erhebliche Unruhe entstanden ist. ({3}) Innerhalb der Koalition besteht keine Einigkeit über die Zielrichtung des Verkaufs. ({4}) - So ist das. - Die F.D.P. hat sich festgelegt, daß für sie ein „feindlicher Verkauf" an ein Konsortium unter Führung der Gelben Post nicht in Frage kommt. Die ach so liberale F.D.P. ist im Koalitionsstreit um die Privatisierungen als Löwe gestartet, aber in der Kabinettsdisziplin dann doch wieder als Bettvorleger gelandet. ({5}) Die Luftbuchung des Finanzministers und die damit verbundene überhastete und konzeptionslose Haltung der Bundesregierung haben also nur den einen Effekt - ich sage das ganz bewußt -: Sie schafft Unruhe unter den Belegschaften, spaltet die Postbediensteten und belastet die Zusammenarbeit der auf Kooperation angewiesenen Unternehmen Gelbe Post und Postbank. ({6}) Dies wurde deutlich, Herr Minister Bötsch, als in diesen Tagen eine Delegation der Postbank Ihrem Staatssekretär Herrn Dr. Laufs eine kritische Resolution zum gegenwärtigen Verhandlungspoker überGerhard Rübenkönig gab. Denn sie traf dort auf eine bestellte Gruppe von wütenden Gegendemonstranten der Gelben Post. ({7}) Die SPD verurteilt eine solche Interessenpolitik auf dem Rücken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das Personalproblem wird auch in Verbindung mit dem Erhalt der Filialen gesehen. Nach einem Papier der Gelben Post sollen 15 000 Postfilialen abgesichert werden, mit dem Ziel einer fünfstelligen Zahl eigenbetriebener Filialen, mindestens jedoch eines 50prozentigen Anteils am Gesamtnetz bis zum Ende des Jahrzehnts. Bei dieser Rechnung, die auf einem Anteil von 50 Prozent gründet, gibt es mittlerweile zwei Basiszahlen, die kleiner sind als 17 000: 15 000 nach diesem Papier, und Sie, Herr Bötsch, gehen von zirka 10 000 aus. Ich glaube, im Interesse der Belegschaften der Post und der Postbank zu sprechen, wenn ich Sie, Herr Bötsch, jetzt auffordere, für Klarheit zu sorgen und die Arbeitsplätze an allen Schaltern abzusichern. Aber auch die möglichen Interessen der Partner des geplanten Vertriebsverbundes von Post und Postbank stehen auf dem Prüfstand. Neben dem Branchenriesen im Kreditgewerbe, der Deutschen Bank, ist der vorgeschlagene Überraschungspartner aber die Schweizerische Rückversicherungsgesellschaft. Beide Partner könnten ihren erwarteten Anteil nur bis zu einer Börsenplazierung halten, um ihn dann, ganz oder in Stücken, weiterzuverkaufen. Abnehmer könnten Konsortialbanken, Großanleger, aber auch andere Erstversicherer sein, die mit der Postbank ins Geschäft kommen wollen, oder die Gelbe Post selber, die damit ihren Anteil auf sichere 55 Prozent anheben könnte. Deutsche Bank und Schweizer Rück würden sich lediglich an der Differenz zwischen Erwerbs- und Verkaufspreis bei der Börseneinführung bereichern. Die Kapitalbeteiligung, Herr Minister Bötsch, muß die Eigenständigkeiten beider Unternehmen sichern und neue Perspektiven durch einen institutionell abgesicherten Vertriebsverbund für die Beschäftigten eröffnen. ({8}) Deshalb fordert die SPD, daß die Kapitalbeteiligung deutlich oberhalb der Sperrminorität und unterhalb der Beherrschung liegen muß. Die Postreform II war nach unserer Auffassung dringend notwendig, um die Unternehmen der Deutschen Bundespost für die zukünftigen Herausforderungen, Risiken und Chancen, die in einem zunehmend liberalisierten Post- und Telekommunikationsmarkt liegen, wettbewerbs- und somit konkurrenzfähig zu machen. Denn nur der Wettbewerb wird schließlich die nötigen Kräfte und Ressourcen entfalten helfen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu behaupten und zum globalen Mitspieler zu werden. Wir werden gemeinsam die Bestandsaufnahme der Londoner Investmentbank Schroders sorgfältig prüfen, um dann zu entscheiden, welches der richtige Weg ist. Mit unserer Entscheidung muß sichergestellt werden, daß die Schalterauslastung dauerhaft verbessert und damit die stationäre Versorgung der Bevölkerung mit flächendeckenden, angemessenen und ausreichenden Dienstleistungen im Bereich des Postwesens sichergestellt wird. ({9}) Außerdem versprechen wir uns davon, daß der Börsengang beider Unternehmen erleichtert wird. Herr Bötsch, wir lehnen Ihren Haushalt hiermit ab. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein.

Carl Detlev Hammerstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000797, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ({0}) - Gott sei Dank! Weil er immer ein bißchen rücksichtsvoll und zurückhaltend ist, muß man das so akzeptieren. Aber, Herr Diller, da Sie mich gerade ansprechen; Sie haben uns ja des öfteren vorgehalten, den Nachtrag zum Haushalt auf einem Zettel vorgelegt zu haben. Wissen Sie, auf einem Zettel dieser Größe ist schon einmal die amerikanische Verfassung geschrieben worden, die über 200 Jahre für eine Viertelmilliarde - ({1}) - Lieber Herr Diller, wenn Sie nicht ausgezogen wären, dann hätten Sie in der Bereinigungssitzung auf Grund dieses Zettels mit seinen Zahlen sehr sorgfältig und gewissenhaft alles klären können, ({2}) sowohl die Einnahmen- als auch die Ausgabentitel. Nun muß ich meinem Kollegen Gerd Rübenkönig widersprechen, weil er sagte, wir seien nicht in der Lage, die Postbank zu verkaufen. Ich wette heute schon mit der SPD-Fraktion, daß es unserem Minister gelingt - wenn wir ihn nicht in Zugzwang bringen; das brauchen wir nicht -, im nächsten Jahr mehr, als auf diesem Zettel stand, nämlich 3 Milliarden, für den Verkauf der Postbank zu erzielen. Es gibt genug Interessenten, die ein großes Interesse haben, die Postbank zu kaufen. Ich darf aus „Capital" zitieren. Die Postbank hat zur Zeit „zwölf Millionen Kunden, mit einem Einlagevolumen von 55 Milliarden" . Im Direktgeschäft hat sie 700 000 Kunden. Sicherlich werden sehr, sehr Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein viele von Ihnen in Zukunft hören, wer sich alles an dem Kauf der Postbank beteiligen wird. Jedenfalls können wir davon ausgehen, daß ein Teil dieses Zettels unseres Finanzministers im nächsten Jahr verwirklicht wird. Herr Dr. Bötsch, nach dem, was in den letzten Tagen auch aus den Reihen der SPD zu vernehmen war, befinden Sie sich mit dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf auf einem guten Weg. Ich hoffe, daß Sie mit dem ehrgeizigen Zeitplan, den Sie sich für dieses Gesetzeswerk gesteckt haben, erfolgreich sein werden. Dies wäre ein erfreuliches Signal für die gesamte Wirtschaft dieses Landes. Jedoch auch dann, wenn diese Klippe genommen sein wird, können die Hände nicht in den Schoß gelegt werden. Parallel zum Telekommunikationsgesetz haben bereits die Arbeiten an einer Liberalisierung des Postgesetzes begonnen. Im Zusammenhang mit beiden Vorhaben wird erfahrungsgemäß auch eine große Zahl an Änderungen oder Begleitmaßnahmen im übrigen Bundesrecht folgen müssen. Nach all dem beginnt dann die hoffentlich erfolgreiche Arbeit in der nunmehr zu schaffenden Regulierungsbehörde, die einen erheblichen Teil der Aufgaben übernehmen soll, die heute noch im Bundesministerium für Post und Telekommunikation ausgeübt werden. Was dies im einzelnen ist, wird sorgfältig abzuwägen sein; denn manches von dem, was heute ministerielle Aufgabe ist, wird dies auch künftig bleiben müssen. Für all diese Aufgaben, lieber Wolfgang Bötsch, Ihrem Haus ein gutes Gelingen bei der Gestaltung dieser Zukunftsaufgaben. Ich darf mich - sicher für alle Berichterstatter - ganz herzlich für die loyale Zusammenarbeit mit Ihnen und mit Ihrem ganzen Haus bedanken. Sie können sich vorstellen, daß wir als CDU/CSU-Fraktion dem Einzelplan 13 zustimmen werden. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manuel Kiper.

Dr. Manuel Kiper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002697, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das ist heute der Tag, an dem man eigentlich dem Bundespostminister geradezu gratulieren muß, daß es ihm gelungen ist, im Rahmen der Postreform III ({0}) die SPD nicht nur über den Tisch, sondern sogar unter die Regierungsbank zu ziehen. ({1}) Heute morgen ist die Vereinbarung zum Telekommunikationsgesetz geschlossen worden. Herr Bury, Sie waren doch dabei. Das ist jetzt unter Dach und Fach. ({2}) Es ist ganz klar, daß die SPD hier natürlich nicht die Mehrheit, die sie im Bundesrat und auch im Postregulierungsrat hat, dazu eingesetzt hat, maßgeblich an diesem Telekommunikationsgesetz und der geplanten Postreform III etwas zu ändern, ({3}) sondern es ist darauf hinausgelaufen, daß das Telekommunikationsgesetz im Entwurf des Bundespostministeriums Anfang Dezember nunmehr unverändert eingebracht werden wird. Das Einknicken der früher großen Oppositionspartei ist bedauerlich, ({4}) aber hat Methode. Meine Damen und Herren, die großkoalitionäre „politische Vereinbarung zum neuen Telekommunikationsgesetz" entwickelt in gewisser Weise das, was Herr Bötsch zuerst vorgelegt hat, nämlich ein Telekomstrafgesetz, jetzt weiter zu einem EVU-Fördergesetz mit einer asymmetrischen Lizenzierung. War es am Anfang das, was Sie, Herr Bury, immer angegriffen haben, die asymmetrische Regulierung, die auch wir angegriffen haben, daß in Zukunft einseitig die Telekom mit Universaldienstlasten belegt werden sollte, so wird es zukünftig so sein, daß kein fairer Wettbewerb gegeben ist. Denn Sie haben heute morgen in der Vereinbarung mit der Regie- rungskoalition festgeschrieben, daß zukünftig gerade die interessanten DECT-Frequenzen für drahtloses Telefonieren bundesweit tätigen Anbietern, den Telekommunikationsgesellschaften der großen monopolistischen EVUs, reserviert werden, so daß - ich zitiere - „andere Anbieter zunächst von der Vergabe von Frequenzen ausgeschlossen bleiben". Damit sind, ähnlich wie in der vereinbarten Rundfunkpolitik zwischen Bayern und Nordrhein-Westfalen, auch in der Telekommunikationspolitik die Länderinteressen, die Telekom-Interessen der EVUs zum Maßstab der Politik der SPD-Fraktion geworden. Die habem da die Hand geführt. Ich kann nur sagen: Statt einen fairen Wettbewerb und eine Marktöffnung zu ermöglichen, wird eine Marktbeschränkung vorgenommen. Nach unserer Auffassung sollten vielfältige Telekommunikationsnetze und Telekommunikationsdienste lizenziert, einheitlich reguliert und anteilsmäßig zur Ausweitung und Finanzierung eines Universaldienstes herangezogen werden. Mit der Beschränkung auf Sprachtelefondienst und Notrufmöglichkeiten fällt die heute morgen geschlossene Vereinbarung - was die Universaldienstauflage anbelangt - sogar noch hinter die von Herrn Bundespostminister vorgelegte Universaldienstleistungsverordnung zurück. ({5}) - Der Zeitrahmen, Herr Bury, für das Wirksamwerden von Lizenzauflagen wie der vorgeschriebene VersorDr. Manuel Kiper gungsgrad bleiben undefiniert, die Tarifeinheit im Raum bleibt bei dieser Vereinbarung unberücksichtigt. Die Frage einer unabhängigen Regulierungsbehörde wurde sogar ausgeklammert. ({6}) - Herr Börnsen, auch Sie wissen, daß der F.D.P. noch die Chance eingeräumt wird, ihre Schmalspurlösung - Regulierungsabteilung des Bundeskartellamts - einzuführen. Diese Schmalspurlösung ist noch immer im Gespräch. Sie möchten sie vielleicht nicht; das weiß auch ich. Der F.D.P. wird hier aber diese Chance noch eingeräumt. Damit hat die SPD mit der CDU/CSU die Chance verschlafen, über eine zukunftsweisende Ausgestaltung des Universaldienstes einen sozialen und demokratischen Weg in die Informationsgesellschaft zu eröffnen. Universaldienstauflagen zum kostengünstigen Anschluß von Schulen, Bibliotheken und anderen öffentlichen Einrichtungen, entsprechend der Praxis des Liberalisierungsvorbildes USA, wird es in Deutschland bedauerlicherweise nicht geben. Darüber hinaus gibt es noch eine Menge zur Postpolitik zu sagen. Insbesondere muß natürlich über die soziale Schieflage der augenblicklichen Liberalisierung gesprochen werden. Wenn wir uns das Telekomtarifkonzept 1996 ansehen, stellen wir fest: Es wird überdeutlich, daß es im Zuge der Liberalisierung auch Verlierer gibt. Es ist ganz klar: Sozial Schwache, Arme, Behinderte, aber auch Kinder werden die Benachteiligten dieser Liberalisierung sein. Das Tarifkonzept 1996 muß deshalb nach Auffassung unserer Fraktion sozialer komponiert werden. Weiterhin ist festzuhalten, daß den Kommunen von Regierungskoalition und SPD zwar die Vermarktung ihrer eigenen Netze zugestanden wird, die Wegerechte aber enteignet werden. Die Postreform III sollte demgegenüber so angelegt werden, daß sie die Kompensation von Wegerechten mit dem kostengünstigen bzw. kostenlosen Anschluß öffentlicher Einrichtungen an die Datenautobahnen ermöglicht bzw. in die Gänge leitet. Zum Verkauf der Postbank ist schon vom Kollegen Rübenkönig einiges gesagt worden, was ich unterstützen will. Ich möchte noch ein Wort zu dem sagen, was mit dem Tarifkonzept 1996 bedauerlicherweise in die Wege geleitet worden ist. Auf dem Weg in die Informationsgesellschaft werden Stolpersteine gelegt. Man kann fast sagen: Es werden geradezu Nagelbretter auf die Datenautobahn gelegt. Das wird noch vielfältige Proteste hervorrufen, genauso wie die soziale Schieflage der zukünftigen Tarife und die geplante Benachteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen. Die SPD scheint mir jetzt über den Tisch oder unter die Regierungsbank gezogen zu sein. Die Grundzüge der Postreform III sind damit zementiert. Wir bedauern das. Wir können jetzt nur darauf setzen - und damit möchte ich schließen -, daß sich Protest gegen diese Art von Regulierung im Lande erheben wird, so daß auf diese Weise noch einige Korrekturen an der geplanten Postreform möglich werden. ({7}) Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Max Stadler.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu Recht war neulich im „Spiegel" die Rede davon, daß es eine völlig irrige Meinung wäre, wollte man das Amt des Bundespostministers als bequemen politischen Austrag für einen verdienten ehemaligen CSU-Landesgruppenchef betrachten. Vielmehr stehen wir vor dem Paradoxon, daß die Bedeutung dieses Amtes umgekehrt proportional zur noch verbleibenden Dauer seiner Existenz zu sehen ist. ({0}) Demgemäß besagt es auch wenig, daß wir es beim Einzelplan 13 mit dem kleinsten Teilhaushalt zu tun haben. Vielmehr steht die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung des Bereichs Post und Telekommunikation manchem klassischen Ressort keineswegs nach. Bei dieser Ausgangslage verwundert es nicht, daß sich in den wenigen Wochen seit der ersten Lesung des Haushalts zu einigen wichtigen Fragen der bevorstehenden Reformen eine heftige öffentliche Diskussion ergeben hat. Bekanntlich vertritt die F.D.P. dabei sehr dezidiert eigenständige Positionen. Wir registrieren mit Befriedigung die Zustimmung, die wir hier vielfach aus der Fachwelt und der Publizistik erhalten. ({1}) Lassen Sie mich einige wichtige Aspekte kurz beleuchten: Erstens. Für die F.D.P. gilt die Devise: Soviel Markt wie möglich, soviel Regulierung wie nötig. Dieser Grundsatz hat für den Telekommunikationsbereich besondere Bedeutung; denn es geht darum, in diesem entscheidenden Wirtschaftssektor neue wettbewerbsfähige Arbeitsplätze in Deutschland entstehen zu lassen. Ein preisgünstiges und qualitativ gutes Angebot an Telekommunikation setzt aber Wettbewerb voraus, der insbesondere dem Mittelstand seine Chance eröffnet. Daher ist für uns die Organisation der Regulierung mehr als eine bloße Kompetenzfrage. Unsere sachlich begründete Skepsis gegenüber einer eigenen Regulierungsbehörde ist nicht nur vom Präsidenten des Bundeskartellamts unterstützt worden, ({2}) der als Leiter einer unabhängigen Behörde ({3}) Dr. Max Stadler sehr wohl das Recht hat, zu Fragen des Wettbewerbs in Deutschland Stellung zu beziehen, sondern diese Skepsis ist auch von der unabhängigen Publizistik - Sie können das in der letzten Ausgabe der „Welt am Sonntag" nachlesen - eindrucksvoll unterstrichen worden. ({4}) Wir werden uns in der Koalition einigen, aber keinesfalls darf es dazu kommen, ausgerechnet in einer Zeit, in der der „schlanke Staat" als Zielsetzung allgemein anerkannt ist, eine sehr große, neue oberste Bundesbehörde zu installieren. Zweitens. Die Postreformen I und II waren notwendig und erfolgreich. Die F.D.P. hat daher erhebliche ordnungspolitische Bedenken dagegen, die gewollte Trennung von Postdienst und Postbank de facto durch eine beherrschende Kapitalbeteiligung der Deutschen Post AG an der Postbank wieder rückgängig zu machen. Professor Möschel, Mitglied der Monopolkommission, sprach in diesem Zusammenhang in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 24. Oktober 1995 sogar von einer „ordnungspolitischen Posse". Auch wir von der F.D.P. verkennen selbstverständlich den Nutzen und die Synergieeffekte einer Kooperation zwischen der Deutschen Post AG und der Postbank nicht. Auch wir stehen zum Infrastrukturauftrag des Art. 87f des Grundgesetzes. Ich sage das als Politiker, der aus einem Flächenstaat kommt, in dieser Debatte ganz bewußt. Es mag auch durchaus zutreffen, daß dieser Infrastrukturauftrag nur in der Kooperation von Post AG und Postbank hinreichend erfüllt werden kann. Daraus folgt aber noch nicht zwingend die Notwendigkeit einer 40prozentigen Kapitalbeteiligung der Deutschen Post AG an der Postbank. Die Lösung kann, wie - im Gegensatz zum Modell Frankreich - das Beispiel zahlreicher anderer europäischer Länder zeigt, durchaus auch im Abschluß eines langfristigen Kooperationsvertrags liegen. Wir erwarten, daß die bevorstehende Gutachtenserstattung durch eine Investmentbank der Politik die maßgebliche Entscheidungshilfe liefern wird. Letztlich bleibt die Lösung dieser Frage aber eine politische Entscheidung. Drittens. Die Öffnung der Telekommunikationsmärkte setzt klare ordnungspolitische Rahmenbedingungen voraus, damit die Macht einzelner Großunternehmen durch Wettbewerb beschränkt wird und Innovationen sich lohnen. Es ist erfreulich, daß die interfraktionellen Verhandlungen zu dieser Frage gestern und heute einen entscheidenden Fortschritt erbracht haben. Die vorliegende Vereinbarung zum neuen Telekommunikationsgesetz ist eine Grundlage, mit der wir jetzt zügig in das Gesetzgebungsverfahren gehen können. Ich überlasse es dem Kollegen Bury, der sich heute dazu schriftlich schon sehr umfänglich ausgelassen hat, auf die Kritik des Kollegen Kiper im Detail einzugehen. Das ist ja ein Wettbewerb innerhalb der Oppositionsfraktionen. Lassen Sie mich an einem kleinen - wirtschaftlich aber nicht unbedeutenden - Beispiel zeigen, wie wichtig der Wettbewerb in diesem Sektor ist: Der Noch-Monopolist Telekom hat eine neue Tarifstruktur ab 1. Januar 1996 vorgesehen, welche die Nutzung der Online-Dienste erheblich verteuert. Zu Recht hat sich der Regulierungsrat auf seiner letzten Sitzung am 23. Oktober 1995 auf Initiative meines Parteifreundes Rainer Brüderle sowie des Kollegen Bury gegen diese unverständliche Tarifgestaltung gewandt. Ein anderes Ereignis, das in die Zeit zwischen erster und zweiter Lesung dieses Haushaltes gefallen ist, ist dagegen mit großer Befriedigung zur Kenntnis zu nehmen: die Entscheidung der EU-Kommission, die geplante Kooperation von France Télécom und der deutschen Telekom - Projekt „Atlas" - genehmigen zu wollen. Lassen Sie mich in der verbleibenden kurzen Redezeit noch auf ein relativ neues Thema eingehen, das meiner Überzeugung nach künftig stärker in den Blickpunkt der Diskussion rücken wird, nämlich die Abgrenzung, welche neuen Techniken als „Rundfunk" im herkömmlichen Sinne anzusehen sind und welche neuen Techniken dem Bereich „Fernmeldewesen" zuzuordnen sind. Die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten hat am 10. Oktober 1995 in Stuttgart die Befürchtung geäußert, die Kompetenzen und Interessen der Bundesländer würden im Hinblick auf die Konzessionierung von Rundfunk und gleichgestellten Diensten durch das neue Telekommunikationsgesetz beeinträchtigt. Mir erscheint umgekehrt die Befürchtung berechtigt, daß eine allzu weite Ausdehnung des Rundfunkbegriffs die Entwicklung neuer Dienste den schwerfälligen Entscheidungsmechanismen der Bundesländer, insbesondere der Bundesländer untereinander, aussetzt, so daß dadurch eine vielversprechende wirtschaftliche Entwicklung gehemmt werden könnte. ({5}) Hier sehe ich die Lösung freilich eher in einer engen Definition des Rundfunkbegriffs als in der Ansiedlung der Landesmedienanstalten bei der Regulierungsbehörde, wie dies Kollege Börnsen kürzlich vorgeschlagen hat. ({6}) Wir sehen: Vieles ist noch im Fluß. Insgesamt stimmt aber die Richtung der Post- und Telekommunikationspolitik. Die F.D.P. wird daher dem Einzelplan 13 zustimmen. Vielen Dank. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt spricht der Kollege Gerhard Jüttemann.

Gerhard Jüttemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002693, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gab Zeiten, da stellte die Post für den bundesdeutGerhard Jüttemann schen Staat eine wahre Goldgrube dar. 10 Prozent ihrer Einnahmen mußten jährlich an den Bund abgeliefert werden. In den achtziger Jahren waren das immerhin über 5 Milliarden DM pro Jahr. Jetzt sind durch die unseriöse Finanzpolitik der Bundesregierung Haushaltslücken von rund 20 Milliarden DM entstanden. Da ist für Sie das Tafelsilber aus altem Familienbesitz ein wahrer Glücksfall - zum Verschleudern. Zum Beispiel die Postbank: Minister Waigel will 6 Milliarden dafür, Minister Bötsch nur die Hälfte. Diese Differenz beweist nur, wie unseriös das Ganze ist; inhaltlich ist sie fast belanglos. Wenn ein Taxifahrer sein Auto verkauft, um seine Schulden zu begleichen, macht es kaum einen Unterschied, ob er nun 10 000 DM oder 20 000 DM dafür bekommt. Das Wesentliche ist, daß er sich der Grundlage beraubt, in Zukunft seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Genauso verantwortungslos handeln Sie. Und noch etwas kommt hinzu: Sie verlieren in Ihrem Deregulierungs- und Totalausverkaufswahn nach und nach Ihren Einfluß auf die Wirtschaft und schließlich auch auf die Politik. Es war unter anderen Kurt Schumacher, der nach 1945 genau das Gegenteil gefordert hat, nämlich die Sozialisierung der Schlüsselindustrien. Er hat dafür nicht in erster Linie wirtschaftliche Erfordernisse geltend gemacht. Aber er hat die Notwendigkeit erkannt, jene Wirtschaftsgiganten, die in ihrem ungezügelten Macht- und Herrschaftsstreben schon für zwei Weltkriege in diesem Jahrhundert verantwortlich waren und sind, unter Kontrolle zu bringen. ({0}) Diese Einsicht ist Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, mehrheitlich leider schon lange abhanden gekommen. Aber zurück zur Post! ({1}) Nachdem Sie vor dem Beschluß zur Postreform II monatelang die Notwendigkeit der Trennung von Telekom, Post und Postbank mit deren Ausbau zu modernen, flächendeckenden und konkurrenzfähigen Unternehmen begründet haben, fällt Ihnen nach der Trennung nun urplötzlich ein, daß Post und Postbank nur im Verbund eine Chance haben können. Wir haben Ihnen das schon vor der Postreform gesagt; Sie sollten hin und wieder auf uns hören. Aber das konnten Sie selbstverständlich nicht. Denn es geht ja nicht nur um den Verbund von Post und Postbank. Wie man jüngst erfahren konnte, geht es um nichts Geringeres als die Interessen der Deutschen Bank, die das vakante Tafelsilber allzu gerne in ihre goldenen Tresore schließen möchte. Wenn es um Geld geht, sorgen Sie sich rührend um die Millionen- und Milliardeninteressen der Banken und Konzerne. Und nicht zu vergessen: vor allem auch um ihre eigenen. ({2}) Während Sie die Menschen der unteren Hälfte der sozialen Stufenleiter - und unter denen vor allem die ohnehin schon Ärmsten - auch mit diesem Haushalt noch ärmer machen, füllen Sie sich die eigenen Taschen mit 12 Millionen DM, ({3}) obwohl die von Ihnen geplante Diätenerhöhung politisch und moralisch gescheitert ist - nicht nur am Bundesrat, sondern eindeutig auch in der öffentlichen Meinung. Aber für die interessieren Sie sich ja schon seit langem nur noch an Wahltagen. ({4}) Wer sorgt sich noch um die Interessen der Millionen Menschen in diesem Land? In seinen Sonntagsreden vergißt kein Politiker, die ständig anwachsende Arbeitslosigkeit zu verurteilen. Aber dann wird von Montag bis Freitag Politik gemacht, in deren Ergebnis immer weitere Heerscharen von Beschäftigen auf die Straße gesetzt werden. Das gilt auch für die Telekom - und jetzt komme ich zur Sache -: ({5}) Zunächst hieß es, das Personal müßte mittelfristig um 30 000 Menschen reduziert werden. Faktisch über Nacht hat sich diese Zahl dann verdoppelt. Aber natürlich alles sozialverträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen - so hieß es. Inzwischen werden auch diese nicht mehr ausgeschlossen, wenn die Gewerkschaften ({6}) nicht völlig unannehmbare Gegenforderungen wie Verschlechterungen bei der betrieblichen Altersversorgung, bei den jährlichen Einkommensanpassungen oder bei denkbaren Arbeitszeitverkürzungen akzeptieren. Zu befürchten ist, daß es sowohl diese Verschlechterungen als auch die betriebsbedingten Kündigungen als Ergebnis Ihrer Politik geben wird. Recht schönen Dank. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Abgeordnete Elmar Müller das Wort.

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem der Kollege von den Grünen den Herrn Minister nun ausführlich für das Ergebnis des heutigen Tages gefeiert und gelobt hat, kann ich mir das ersparen, zumal unser Fraktionsvorsitzender ohnehin gelegentlich sagt, es gebe zuviel Lobhudelei in diesem Bereich. ({0}) Elmar Müller ({1}) - Ja, gut, wir machen das an anderer Stelle. Herr Kollege Rübenkönig, ich möchte kurz auf Ihren Beitrag eingehen. Sie haben am Ende erklärt, daß Sie diesem Haushalt nicht zustimmen. Es mag für eine Opposition sinnvoll sein, wenn sie zu einem Investitionshaushalt sagt, sie sei mit dem einen oder anderen nicht einverstanden und lehne ihn deshalb ab. Wir haben hier aber einen Haushalt des Postministers, der ausschließlich ein Personalhaushalt ist, also ein Haushalt, mit dem vor allem auf der Grundlage des möglichst mit Ihnen gemeinsam einzubringenden Gesetzentwurfes eine solide Arbeit geleistet werden soll. Das erwarten die Bürger, das erwartet die Wirtschaft. Deshalb bitte ich Sie, Herr Kollege Bury - oder wer auch immer von Ihnen in der nächsten Runde das Wort ergreift -, dazu etwas zu sagen. Ich bin nämlich umgekehrt der Meinung: Wir sollten uns als Postpolitiker inzwischen wirklich dagegen wehren, daß wir in einem Bereich tätig sind, in dem wir Sorge haben müssen, daß wir alle qualifizierten Mitarbeiter bis zum Ende des Gesetzgebungsverfahrens noch im Postministerium halten. Deshalb wäre es außerordentlich wichtig, daß wir gemeinsam dafür Sorge tragen, daß die qualifizierten Mitarbeiter in diesem Haus bleiben. ({2}) Meine Damen und Herren, nachdem in den vergangenen Wochen klargeworden ist, daß die SPD mit ihrem ursprünglichen Modell der Regulierung nicht mehr landen kann, und nachdem vor allem auch das Modell Nordrhein-Westfalens, nämlich das Regionallizenzmodell, letztendlich Gott sei Dank vom Tisch ist, denke ich, daß wir das, was wir in den letzten Wochen von der SPD an Drohungen und immer wieder vorgetragenen Wünschen gehört haben, nach dem heutigen Tag ad acta legen können. Ich sage ausdrücklich, Herr Kollege Börnsen und Herr Kollege Bury: Was wir heute gemeinsam auf den Weg gebracht haben, das sollten wir in der Tat nicht zerreden. Vielmehr sollten wir an dem weiterarbeiten, was wir heute morgen auf den Weg gebracht haben. Ich glaube, daß aller Anlaß dazu besteht, Kollege Börnsen, dieses Gesetz vor allem in der zeitlichen Abfolge so zu gestalten, daß wir diesen wichtigen Bereich am Ende des Jahres 1996 - möglicherweise auch schon mit Lizenzierungen, vor allem aber mit gestaltenden Ergebnissen - umsetzen können. ({3}) Meine Damen und Herren, für die CDU/CSU-Fraktion ist es entscheidend, daß auch leistungsfähige mittelständische Anbieter künftig in diesem Bereich tätig sein können. ({4}) Darum haben wir in den letzten Wochen gerungen. Ich bin wirklich dankbar dafür, Herr Minister, daß Sie und die, die in diesen Verhandlungen an Ihrer Seite gestanden haben, nicht eingeknickt sind, daß wir wirklich gekämpft haben und daß wir jetzt bei diesem Ergebnis sagen können: Wir haben es geschafft, daß in diesem Markt künftig nicht nur sogenannte Global Players tätig sind, sondern daß hier auch kleinere und mittlere Unternehmen Beschäftigungsmöglichkeiten und vor allem ihre intelligenten Produkte anbieten können. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kiper?

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne, Herr Kollege Kiper.

Dr. Manuel Kiper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002697, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Müller, da Sie jetzt deutlich gemacht haben, wie sehr Sie für die kleinen Anbieter eintreten, möchte ich die Frage an Sie richten, wie die politische Vereinbarung zum Telekommunikationsgesetz zu verstehen ist, also das, was Sie heute gemeinsam mit der SPD beschlossen haben. Darin heißt es doch, daß „in Gebieten mit Frequenzknappheit", was sich auf die DECT-Technologie bezieht, die besonders zukunftsträchtig ist, weil sie nicht darauf angewiesen ist, noch einmal bis zum letzten Haus neue Leitungen zu verlegen, „prioritär diejenigen" - ({0}) - Das ist die Frage. Vielleicht haben Sie es nicht verstanden. Die Frage ist, ob Sie nicht sehen, daß das, was Sie heute beschlossen haben, daß nämlich „prioritär diejenigen Lizenznehmer Frequenzen zugeteilt bekommen, die als bundesweite Anbieter tätig werden" , Ihrer soeben gemachten Aussage widerspricht. Ich frage Sie zusätzlich: Bundesweite Anbieter, sind das die kleinen und mittleren Unternehmen, von denen Sie eben gesprochen haben?

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Kiper, wenn Sie alle zehn Punkte dieser Erklärung lesen, dann bitte ich Sie, vor allem den Punkt 3 zu berücksichtigen. Der Punkt 3 dieser Vereinbarung spricht ausführlich darüber, daß wir kleine und mittlere Betriebe sehr wohl prioritär einsetzen wollen und diese vor allem dort begrüßen würden, wo es um intelligente Angebote geht. Dort, wo Ressourcen - das sind Frequenzen - gebraucht werden, liegt es allerdings, denke ich, im gemeinsamen Interesse, den Wettbewerb schnell zu befördern. Den Wettbewerb schnell zu befördern heißt, daß vor allem im Bereich bis zum Endverbraucher möglichst bundesweite Angebote durch die Lizenzierung von Funknetzen nach dem DECT-Standard ermöglicht werden. Bundesweite Anbieter werden also bevorzugt, aber nur dort, wo es um Frequenzen, also um knappe Ressourcen, geht. Ansonsten ist der Markt offen: Jeder kann eine Lizenz "beantragen. Selbst eine lokale Lizenz ist - so ist aus dieser Erklärung herauszulesen - möglich. Es wird lokale, regionale und bundesweite Elmar Müller ({0}) Lizenzen geben. Ich denke, das ist eine vernünftige Regelung. ({1}) Wir wissen bis heute nicht - um das abzuschließen -, wie die Frequenz im Bereich dieser 1880/1900 Megahertz aussieht. Das müssen uns die Techniker im Lauf der nächsten Jahre noch vorgeben. Ich bin guter Hoffnung, daß wir dort Lizenzen ermöglichen, die also nicht nur die Großen bedienen, sondern daß wir in diesem Lizenzbereich in Zukunft sogar kleine, regionale, lokale Lizenznehmer haben werden. Wir wissen, daß hinter diesem DECT-Standard bereits neue technische Möglichkeiten sind, die in anderen Frequenzbereichen diesen sogenannten local loop zulassen. ({2}) Ein weiterer für den Wettbewerb zentraler Bereich, der ebenfalls zu einem Schwerpunkt der zukünftigen Regulierung zu zählen ist, ist der Netzzugang und die sogenannte Interconnection. Wenn die Regulierung hier versagt - das sage ich jetzt ausdrücklich, Herr Kollege Dr. Stadler, in Richtung F.D.P. -, werden wir tatsächlich kurz oder mittelfristig nur große, das heißt bundesweite Anbieter haben. Dies zeigen die Beispiele, die wir in Großbritannien studieren konnten. Das, denke ich, dürfte auch von Ihnen in der F.D.P. nicht gewollt sein. Deshalb brauchen wir eine starke unabhängige Regulierung, ({3}) eine Regulierung, die nicht unbedingt - das betrifft Ihren Vorwurf, Herr Dr. Stadler - eine Einrichtung sein muß, die auf längere Zeit gebraucht wird, sondern eine Regulierung, die stark ist. Darin unterscheiden wir uns ganz ungeheuer von der F.D.P. Ich kann nicht mit dem Postulat eines schlanken Staates gleichzeitig verlangen, daß ich eine starke Regulierung gegenüber einer Telekom habe. Ich bin auf die erste Auseinandersetzung zwischen einer schlanken Regulierungsbehörde und einem Monopolisten Deutsche Telekom gespannt. Sie werden schon in der ersten Runde erleben, daß ein schwacher Regulierer einfach in die Knie gehen wird, weil er dieser Erfahrung und dieser Kompetenz dieses alten, großen und auch in Zukunft bedeutenden Unternehmens einfach nichts entgegenzusetzen hat. Deshalb, denke ich, daß wir in den Gesprächen der nächsten Wochen sicherlich zu einem vernünftigen Ergebnis kommen werden. Aber es bleibt dabei: Wir wollen eine starke unabhängige Regulierungsbehörde für eine Übergangszeit. Dann sehen wir weiter. Vor allem im Bereich der Preisregulierung ist es dringend notwendig, daß diese Regulierungsbehörde stark und unabhängig bleibt. Wir haben das aus den Behörden der Nachbarländer und vor allem dort, wo privatisiert und dereguliert wird, gelernt. Wir haben in Amerika gesehen: Bei FCC gibt es riesige Behörden, aber nicht nur bei FCC. Ohne den technischen Unterbau gibt es insgesamt allein dreieinhalbtausend Mitarbeiter in den verschiedenen Behörden in Amerika. Das wollen wir nicht. Wir wollen eine Behörde, die aus einem Guß und in einem Bau diese Aufgaben übergangsweise bewältigt. Deshalb denke ich, daß wir auch mit Ihnen, wenn Sie noch einmal kräftig darüber nachdenken, zu dieser unabhängigen Regulierungsbehörde kommen werden. Nachdem wir den Traum der SPD - das war euer erster Vorschlag -, den Markt schön, einfach und übersichtlich zu gestalten, abgelehnt haben, haben wir einen Markt vor uns, der tatsächlich das erfüllt, was wir in der zweiten Linie, nachdem wir nämlich die Regulierung vorbereitet haben, auch erwarten dürfen. Schön, einfach und übersichtlich bei der SPD bedeutet: möglichst nur ein, zwei, maximal drei dieser Unternehmen. Diese Regulierung, diese Liberalisierung ist Ausgangspunkt eines künftigen Marktgeschehens, der mit Multimedia nur ungenau umschrieben wird, der aber die Basis dafür ist, daß unsere Wirtschaft, unsere Industrie, die künftigen Anwender, aber auch die Verbraucher diesen Markt nutzen können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Regulierung, so wie wir sie heute auf den Weg gebracht haben und wie sie überwiegend, soweit ich das gesehen habe, positiv kommentiert ist, ist ein guter Ansatz. Ich möchte aber zu einem zweiten Teil noch kurz reden dürfen, und zwar zu den zwei Töchtern des Bundes, Deutsche Postbank und Deutsche Post, die in diesen Tagen zu nahezu feindlichen Schwestern wurden. Sie haben, Herr Kollege Rübenkönig, darüber geredet. Ich denke, wir sollten das, was wir auf den Weg gebracht haben, nämlich die Begutachtung und Bewertung durch die Schroders-Bank aus England, in Ruhe abwarten. Wir sind aber nach wie vor der Meinung, daß die Postbank ihre Unabhängigkeit bewahren muß. Wir müssen uns offenhalten, wie wir das gestalten. Wir sollten vor allem darauf achten, daß aus der Postbank eben nicht eine Bank wird, die im Interessenkonflikt einiger Großer am Ende auf der Strecke bleibt. Beide Unternehmen sind aufeinander angewiesen, sie brauchen einander. Sie brauchen vor allem ihr Filialnetz von derzeit insgesamt 17 000 Filialen. Die Debatte voraussichtlich im Januar nächsten Jahres sollten wir auf der Grundlage einer Begutachtung beider Modelle führen, ob sie dem entsprechen, was wir erwarten; die Bewertung des Kapitals ist eine andere Frage. Damit sorgen wir dafür, daß die Mitarbeiter die Chance haben, in beiden Unternehmen vor Ort auch weiterhin für den Bürger tätig zu sein. Sowohl das Telekommunikationsgesetz als auch das Eckpunktepapier der Gelben Post, das jetzt auf dem Tisch liegt, läßt uns, glaube ich, in zwei Jahren Elmar Müller ({4}) sagen, daß es Zeit wird, das Ministerium feierlich in den Ruhestand zu versetzen und aufzulösen. Bis dahin müssen wir unsere Gesetze so gemacht haben, daß der Markt von sich aus funktioniert und die Verbraucher sowohl im Bereich der Telekommunikation wie auch bei den Angeboten der Postprodukte wirklich Unternehmen vor sich haben, die eine Zukunft haben, eine Zukunft auch im Verhältnis zu dem, was andere große Unternehmen in der Welt von diesen beiden Unternehmen erwarten. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Hans Martin Bury.

Hans Martin Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000312, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte heute abend hat heute im Morgengrauen schon einmal eine wichtige Rolle gespielt. Da stand nämlich in der achten Verhandlungsrunde über das Telekommunikationsgesetz alles auf Messers Schneide. Meine Ankündigung, daß wir, wenn wir es heute nicht hinbekommen, heute abend eine fröhliche Debatte führen, hat eine gewisse Wirkung gezeigt. Zwar ist der Bundespostminister bekanntermaßen kein Kind von Traurigkeit, aber die Fröhlichkeit, die ich meinte, hätte ihm heute abend dann doch nicht gefallen. Wir haben dann doch mit viel gutem Willen und vereinten Kräften den Knoten durchgehauen und haben eine Vereinbarung über das Telekommunika- tionsgesetz und die Grundsätze der Lizenzierung getroffen, von der ich glaube, daß sie wirklich einen vernünftigen Rahmen und eine vernünftige Grundlage für die weiteren Entscheidungen darstellt. Es ist ein Konsensmodell, mit dem auch unsere Hauptziele erreicht werden. Erstens wird der Universaldienst bundesweit flächendeckend im Wettbewerb angeboten. Das heißt, daß die Kunden echte Wahlmöglichkeiten haben und in Zukunft weder einem Monopolisten noch einem zwangsweise zum Universaldienst verpflichteten Anbieter ausgeliefert sind. Herr Kiper, in Ihrer Argumentation übersehen Sie gerne, daß die Bürgerinnen und Bürger, die Verbraucher, im Mittelpunkt unserer Überlegungen stehen. Für sie soll möglichst rasch ein flächendeckendes Angebot an hochwertigen und preisgünstigen modernen Telekommunikationsdienstleistungen zur Verfügung stehen. Dafür schafft die heutige Vereinbarung die Voraussetzung. ({0}) Ein weiteres Hauptziel, das ebenfalls erreicht wird, ist ein industriepolitisches.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kiper?

Hans Martin Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000312, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gerne. Vielleicht lernt er noch etwas.

Dr. Manuel Kiper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002697, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bury, meine Frage gibt Ihnen natürlich Gelegenheit, dieses Thema noch ein wenig auszubreiten. Aber meinen Sie wirklich, daß mit der Vereinbarung, die Sie heute morgen abgeschlossen haben, das gewährleistet ist, was Sie uns eben verkauft haben? In der Vereinbarung heißt es doch, daß der Zeitrahmen, in dem der Universaldienst gegeben sein muß, erst noch zu definieren ist und daß auch der Versorgungsgrad noch zu definieren ist. Meinen Sie nicht, daß diese Offenheit der Formulierung angetan ist, das, was Sie uns hier als Erfolg angekündigt haben, in ganz weite Ferne zu rücken?

Hans Martin Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000312, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, Herr Kiper. Das Gegenteil ist der Fall. Das Ziel aller Beteiligten - Sie haben sich an den Verhandlungen ja zum großen Teil nicht beteiligt, auch dort nicht, wo Sie die Gelegenheit gehabt hätten; dann ist es natürlich leichter, hinterher herumzulamentieren - ist, sehr rasch flächendeckend Universaldienstleistungen im Wettbewerb anzubieten. Wir haben verschiedene Möglichkeiten diskutiert, was die Frage des Zeitraums und der Festlegung des Flächendeckungskriteriums angeht. Das ist eine sehr komplexe Geschichte. Dazu muß es sicherlich noch eine Anhörung des Ausschusses geben, um in der Kombination aus gesetzlicher Vorschrift und Lizenzauflage zu einer Lösung zu kommen, die praktikabel ist und optimal sicherstellt, daß dieses gemeinsame Ziel erreicht wird. Daß wir keine exakten Zeiträume und Prozentzah- len angegeben haben, ist nicht der Ausdruck dafür, daß wir das verschieben wollen, sondern zeigt, daß wir noch auf der Suche nach der exakten Formulierung sind, die dazu beiträgt, daß dieses Ziel möglichst rasch und effektiv erreicht wird. Das Gegenteil Ihrer Annahme ist also der Fall. Wir haben von den zwei Hauptzielen der SPD mit diesem Konsensmodell nach unserer Überzeugung auch das zweite erreicht, nämlich industriepolitisch, daß sich die Deutsche Telekom AG zu einem der führenden Global Players auf dem Weltmarkt entwikkeln kann, weil sie nicht mit unangemessenen einseitigen Belastungen versehen wird. Es können sich aber neben der Telekom auch weitere marktstarke Wettbewerber etablieren, die hier in Deutschland in Infrastruktur investieren und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Wir haben das ursprünglich schiefe Wettbewerbsmodell, wie es noch im Frühjahr in den Eckpunkten des Bundespostministers zum Ausdruck kam, in zentralen Punkten geradegerückt. Wir haben es insbesondere geschafft, das Marktbeherrschungskriterium, das dort vielfach als Anknüpfungspunkt vorgesehen war, durch ein eher symmetrisches Modell zu ersetzen. Das gilt sowohl für das Angebot des Universaldienstes, das nicht mehr zwangsweise einem Unternehmen auferlegt wird, sondern wo wir davon ausgehen, daß der Wettbewerb dies sicherstellen wird. Das gilt auch für die wichtige Frage der Zusammenschaltung Hans Martin Bury der Netze, die schon angesprochen worden ist, wo ebenfalls nicht nur ein Anbieter, sondern alle Betreiber zur Zusammenschaltung verpflichtet werden. Und das gilt genauso für den Verbraucherschutz, für das Widerspruchsrecht des Regulierers bei den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, das für alle gleichermaßen gelten soll. Da ist es besonders deutlich. Ein Telefonkunde ist ja nicht weniger schützenswert, wenn er bei RWE Telliance oder bei Vebacom Kunde ist, als wenn er bei der Telekom Kunde ist. Deswegen ist es wichtig, durchgesetzt zu haben, daß die Kunden gleichermaßen gut geschützt werden. In einem Punkt wird es befristet weiterhin eine Asymmetrie geben; das ist richtig. Das betrifft die Preisregulierung der Telekom. Ich bin in der Zwischenzeit der Überzeugung, daß es richtig und sachgerecht ist, diese Preisregulierung zum Zwecke der Marktöffnung befristet vorzusehen. Zu dieser Erkenntnis hat nicht zuletzt die Telekom selber mit ihrem Verhalten in der jüngeren Vergangenheit kräftig beigetragen. Der Kollege Stadler hat das Thema Tarife von Online-Diensten bereits angesprochen, wobei man fairerweise ergänzen muß, daß die Tariferhöhung natürlich vom damals allein zuständigen Regulierer, dem Bundespostminister, genehmigt worden ist, allerdings schon 1994. Wir haben an diesem Beispiel alle miteinander gesehen, wie dynamisch sich die Märkte entwickeln, so daß wir nachsteuern müssen. Wir haben im Regulierungsrat - leider bei Enthaltung der CDU-Kollegen - beschlossen, daß die Tarife für die Nutzer von Online-Diensten wieder sinken sollen, und die Telekom ist aufgefordert, jetzt endlich einen vernünftigen Vorschlag dafür auf den Tisch zu legen. Wir haben auch den wesentlichen Fortschritt erreicht, Herr Kollege Kiper, daß die Universaldienstdefinition deutlich erweitert worden ist und daß wir jetzt eine moderne, eine dynamische und eine nachfragegerechte Definition für den Universaldienst haben, nicht mehr den analogen Telefondienst, den es schon seit mehr als hundert Jahren gibt, sondern den Sprachtelefondienst mit ISDN-Leistungsmerkmalen, der im übrigen, wie gesagt, weiterentwickelt werden soll. Wir werden auf der Grundlage dieser Vereinbarung unserer Fraktion vorschlagen, den Gesetzentwurf gemeinsam einzubringen. Wir werden natürlich bei den weiteren Beratungen im Ausschuß sorgfältig darauf achten, daß unsere heutige Grundsatzvereinbarung im Verfahren sauber umgesetzt wird, sowohl ins Gesetz als auch in die Lizenzauflagen. Deswegen, Herr Bötsch, halte ich es für entscheidend wichtig, daß Sie, wie angekündigt, hier Ihre Absicht wiederholen, alles zu tun, um die Musterlizenzen rechtzeitig vor Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens dem Bundestag und dem Bundesrat vorzulegen, weil wesentliche Fragen dort geklärt werden. Wenn das gelingt, sollte es uns möglich sein, das Gesetz bis Mitte 1996 einvernehmlich zu verabschieden. Das ist auch für die Frage der alternativen Netze wichtig. Wir machen damit den Weg in die Informati- onsgesellschaft frei. Einen Stein müssen allerdings zunächst die Koalitionäre selbst aus dem Weg räumen; das betrifft die Frage der Regulierungsbehörde. Hier habe ich schlicht den Eindruck, daß zum Beispiel Herr Rexrodt oder auch der geschätzte Kollege Lambsdorff den Begriff der Telekommunikation oft sehr wörtlich nehmen, nach dem Motto: Je weiter man, was den Sachverstand angeht, von der Sache entfernt ist, um so besser läßt sich darüber reden. Ich glaube, daß die F.D.P. einfach nicht begriffen hat, welche Funktion der Regulierer beim Übergang von der Monopol- zur Wettbewerbssituation wahrnehmen muß. Professor Witte hat mehrfach sehr eindrucksvoll ausgeführt, daß am wenigsten Bedarf an Regulierung in einer Monopolsituation besteht. Dieser ist ebenfalls relativ gering - das ist unsere Auffassung -, wenn man sich in einem funktionsfähigen Wettbewerb befindet. Aber beim Übergang vom Monopol zu einem funktionsfähigen Wettbewerb ist ein Schiedsrichter notwendig, der dafür sorgt, daß die dominanten Anbieter ihre marktbeherrschende Position nicht wettbewerbswidrig ausnutzen. ({0}) In Großbritannien etwa wird die OFTEL gerade von den neuen, kleinen Anbietern, die in den Markt wollen, als „champion of competition" bezeichnet, also als die Institution, die gewährleistet, daß neue Anbieter eine Chance haben, in den Markt zu gelangen. Herr Stadler, Sie haben hier einen interessanten Punkt angesprochen. Sie haben sich auf einen ganz hervorragenden Vorschlag von Herrn Börnsen bezogen. Er beinhaltet, daß wir uns gemeinsam dafür einsetzen sollen, die rundfunkrechtlichen Fragen beim Bund, und zwar beim Regulierer, zu bündeln. Damit würden wir einem Modell folgen, das mit der FCC in den USA vergleichbar ist. Stellen Sie sich aber ernsthaft vor, die rundfunkrechtlichen Fragen beim Bundeskartellamt anzusiedeln? Oder sind Sie nicht auch der Meinung, daß wir als Regulierer, der für das Zusammenwachsen von Medien, von innovativen Diensten und Anwendungen der Telekommunikation die entscheidende Rolle des Marktöffners spielen muß, indem er sicherstellt, daß der Infrastrukturauftrag erfüllt wird und daß es einen fairen Wettbewerb gibt, eine regierungsunabhängige, starke, aber zugleich auch schlanke Regulierungsbehörde brauchen? ({1}) Ich hoffe, daß die F.D.P. da noch zu Erkenntnissen kommt, die ihrem Anspruch zur Ehre gereichen. Der Kollege Kiper hat hier eine nette Show abgezogen, indem er erklärt hat, Börnsen und ich hätten uns unter Tische oder Regierungsbänke ziehen lassen. Ich kann Ihnen versichern: Beides war nicht der Fall. Wir haben vielmehr energisch dazu beigetragen, daß die anderen Partner die ganze Zeit über am Tisch geblieben sind. Mit diesen Verhandlungen haben wir meines Erachtens eine Menge erreicht. Der ProHans Martin Bury test in der Bevölkerung, von dem Sie, Herr Kollege Kieper, geredet haben, ist bisher jedenfalls nicht zu sehen. Wenn Sie sich die Kommentierungen und Reaktionen, die es gegeben hat, anschauen, sehen Sie, daß die Grünen wieder einmal die einzigen sind - da folgen Sie Ihrer schlechten Tradition -, die die Entwicklung in die Informationsgesellschaft bremsen und verzögern wollen. ({2}) Nach der letzten Haushaltsdebatte und Ihrem Beitrag dort dachte ich, das sei nicht mehr nach unten steigerungsfähig. Ich muß mich aber korrigieren: Ich habe selten jemanden in so kurzer Zeit soviel Blödsinn reden hören, wie Sie es vorhin getan haben. Das wurde zum Beispiel deutlich, als Sie von dem Liberalisierungsvorbild USA schwadroniert haben. Ich weiß, daß Sie mehrfach dort waren; aber offensichtlich haben Sie nicht sonderlich viel an Erkenntnis mitgenommen. Dort gibt es noch lokale Monopole. Es bestehen große Schwierigkeiten beispielsweise für europäische Unternehmen, sich im Markt zu betätigen. Die USA sind nicht das Liberalisierungsvorbild. Es gibt dort interessante Ansätze, zum Beispiel in Kalifornien. Es war sehr eindrucksvoll, wie Reed Hundt, der Chef der FCC, beim Münchner Kreis geschildert hat, daß für ihn mit der bewegendste Augenblick seiner Amtszeit der Moment gewesen sei, als er gemeinsam mit Bill Clinton und Al Gore und 30 Vorstandsmitgliedern privater Unternehmen eine Initiative verkündet habe, nach der alle Schulen in Kalifornien in den nächsten Jahren kostenlos an das Netz angeschlossen und mit der notwendigen Hard- und Software ausgerüstet werden sollen. Das ist eine Initiative, die der Staat moderiert und initiiert hat, die aber nicht auf Grund gesetzlicher Bestimmungen oder Lizenzauflagen, sondern auf Grund von „private public partnership" zustande gekommen ist. Dies ist eine Sache, die wir auch hier fördern müssen. Wir müssen dies allerdings nicht ins Gesetz aufnehmen. Ich halte das für einen hochinteressanten Weg. Die Rahmenbedingungen, um dies auch bei uns möglich zu machen, haben wir mit unserer Vereinbarung geschaffen. Ich denke, daß sich damit private Markteinführungsstrategien von Unternehmen und deren gesellschaftliche Verantwortung nutzbringend für alle verbinden lassen. Deswegen halte ich es für sinnvoll, daß wir weiter miteinander reden, verhandeln und dann auch handeln und nicht einfach herumlamentieren, wie es geschehen ist. Ich sehe in dem Erreichten einen erheblichen Fortschritt für Wirtschaft und Bevölkerung. Wir haben damit für potentielle Investoren Planungssicherheit erreicht und Perspektiven für die Beschäftigten, die in der langen Phase, in der nicht klar war, wie die Marktöffnung vollzogen werden sollte und welche Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden sollten, verunsichert waren. Ich plädiere ebenfalls dafür, diesen Weg konsequent weiterzugehen. Herr Kiper, Sie sind eingeladen, im Zuge der Aus- schußberatungen an den noch zu definierenden Punkten Ihre Vorstellungen konstruktiv mit einzubringen. Ich hoffe, daß Sie das tun. Ich glaube, wir können miteinander eine Menge schaffen, wenn wir den Weg weitergehen. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch das Wort. ({0})

Dr. Wolfgang Bötsch (Minister:in)

Politiker ID: 11000228

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur zur Aufklärung: An meinem Platz, an dem ich sonst sitze, zieht es wie Hechtsuppe. Das ist die hervorragende Architektur dieses Hauses. Deshalb habe ich mich etwas seitwärts gesetzt, um dem Zug ein wenig zu entgehen. ({0}) - Der Staatssekretär ist vielleicht nicht so empfindlich. ({1}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zunächst ein Wort zum Haushalt sagen. Ich möchte mich bei den Berichterstattern und dem Haushaltsausschuß insgesamt bedanken; denn ich habe dieses Mal im Gegensatz zum Haushalt 1995 eigentlich keinen Grund zum Klagen. Ich möchte mich ausdrücklich dafür bedanken, daß Sie meinem Haus und mir Gelegenheit geben, die noch vor uns liegenden Aufgaben tatsächlich auch mit dem nötigen Personal durchzuführen. Herr Rübenkönig, im Zusammenhang mit Ihrer Sorge um meinen Reiseetat und um die Öffentlichkeitsarbeit kann ich Sie beruhigen: Der Etat reicht. Ich reise mit kleiner Entourage. Wenn ich reise, trage ich meinen Koffer und meine Reisetasche selbst. ({2}) Was die Öffentlichkeitsarbeit angeht, so kann ich diese allein bewältigen. Meine Sacharbeit spricht für sich. Da brauche ich keine künstlichen Öffentlichkeitsinszenarien durchzuführen. ({3}) Wir haben jetzt vieles gehört, unter anderem, was man, Herr Kollege Jüttemann von der PDS, in eine Rede zum Posthaushalt alles an Absurditäten hineinpacken kann. Es war wirklich schon erstaunlich, was wir hier gehört haben. ({4}) Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch - Na, gute Rede; da kann man Sie aber leicht befriedigen. Das muß ich schon sagen, Frau Kollegin, wenn Sie dies für eine gute Rede halten. ({5}) Wie Sie wissen, meine Damen und Herren Kollegen, befinden wir uns im Bereich der Post und Telekommunikation in einer Phase tiefgreifenden Umbruchs. Nach der Privatisierung der Postunternehmen im letzten Jahr stehen heute wichtige grundsätzliche Entscheidungen über die Gestaltung des künftigen ordnungspolitischen Rahmens im Bereich von Post und Telekommunikation an. Sie wissen, unser Telekommunikationsstandort muß den Voraussetzungen für das nächste Jahrhundert und den Erfordernissen angepaßt werden. Wir wollen den Markt gemeinsam - ich betone nach dem heutigen Vorlauf: gemeinsam! - wettbewerblich organisieren. Wir sind heute übereinstimmend, glaube ich, in den Fraktionen dieses Hauses - zum Herrn Dr. Kiper komme ich noch - der Überzeugung, daß der Wettbewerb die beste Garantie für eine dynamische Entfaltung der Innovationskräfte moderner Telekommunikation ist, und zwar zum Wohle der Nutzer, meine Damen und Herren, ({6}) gleichgültig, ob es private oder geschäftliche Nutzer sind. ({7}) - Mich wundert das nur. Die SPD kann sogar lärmen, ohne daß sie der Kollege Struck dazu auffordert. Das ist natürlich schon toll. Meine Damen und Herren, wir erreichen damit, daß die deutschen Telekommunikationsanbieter, und zwar sowohl die Deutsche Telekom als auch Newcomer, für den internationalen Wettbewerb gerüstet sind. Der Kollege Stadler hat das Projekt Atlas und die Zusammenarbeit der Deutschen Telekom mit France Télécom als positiv herausgestellt. Ich möchte mich bei allen im Hause bedanken, die an dieser Entwicklung mitgewirkt haben. Ich habe damit ja etwas mehr zu tun gehabt, als möglicherweise in der Zeitung stand. Ich bedanke mich auch bei der SPD dafür, daß sie signalisiert hat - das hat sie heute nochmals getan -, daß sie der Freigabe alternativer Netze zum 1. Juli 1996 ebenfalls zustimmt. Eine Voraussetzung für die Genehmigung des Projektes Atlas war, daß ich das gegenüber der EU-Kommission erklären konnte. Meine Damen und Herren, Sie werden sich erinnern, daß ich vor einem halben Jahr einen Diskussionsentwurf in Form von Eckpunkten vorgestellt habe; im Sommer haben wir einen Referentenentwurf erstellt. Nun, Herr Kollege Dr. Kiper, Sie waren zunächst ja zu den Gesprächen immer mit eingeladen. Aber da Sie da wie der steinerne Gast bei „Don Giovanni" nur dabeigesessen haben und anschließend Presseerklärungen abgegeben haben, haben wir gedacht: Wir machen es mit den entscheidenden Kräften. ({8}) Sie haben heute leider bewiesen, daß Sie das System immer noch nicht durchschaut haben. Selbst bei den Passagen, wo Sie mich gelobt haben, haben Sie das bewiesen. ({9}) Man muß ja immer aufpassen, daß man nicht von der falschen Seite gelobt wird. Sie haben ja das Gegenteil gehört: Kollege Bury hat hier ausführlich seine Heldentaten dargelegt. Er muß das noch etwas ausführlicher tun; ich brauche das nicht so zu machen, weil - der Güte Gottes soll man zwar keine Grenzen setzen - voraussichtlich meine politische und parlamentarische Laufbahn schon etwas näher dem Ende ist als die des Kollegen Bury, so daß ich mich hier nicht derartig ausdrücklich selber loben muß. Ich will nur einen Satz sagen, weil Sie das Problem mit DECT angesprochen haben. Es gibt natürlich auch andere Techniken in der Zukunft. Sie merken ja, daß das durchaus offen diskutiert wird und wir geschrieben haben: „... sind demnächst zunächst ausgeschlossen" . Die Formulierung macht natürlich Sinn. Bezüglich der Frage, wie die anderen ins Geschäft kommen sollen, verweise ich darauf, daß das Mittel der Interconnection, der Notwendigkeit der Zusam- menschaltung für alle, ganz wichtig ist. Aber auch das kann man natürlich nur anwenden, wenn die Regulierung vernünftig gestaltet wird. Das läuft natürlich nicht von allein. Deshalb brauchen wir auch - ich will das jetzt nicht näher ausführen; der Kollege Müller hat das Nötige gesagt - eine unabhängige Regulierungsbehörde, erstens, um den Wettbewerb in Gang zu bringen, und zweitens, um natürlich die flächendekkende Grundversorgung zu gewährleisten. ({10}) Ich will auch noch auf etwas eingehen, was der Kollege Rübenkönig in sehr breiter Form angesprochen hat, was auch von anderen Rednern erwähnt wurde, nämlich auf die Kooperation zwischen Post und Postbank. Sie haben einen Ansatz gewählt, als ginge es hier um die Frage: Was kommt in die Kasse? Sie haben immer den Kollegen Waigel angesprochen. Das war schon etwas nach der Methode: Apropos Holz: Wie geht es deinem Kopf? ({11}) Wir müssen doch sehen, wo der Ansatz dafür ist. Der Ansatz für die Diskussion heißt doch: Wie kann ich auch in Zukunft eine flächendeckende Versorgung mit Postdienstleistungen gewährleisten, entsprechend Art. 87 f der Verfassung, den wir ja im letzten Jahr gemeinsam in das Grundgesetz hineingeschrieBundesminister Dr. Wolfgang Bötsch ben haben? Das ist mein Ansatzpunkt, und sonst überhaupt nichts. ({12}) Mit welchen Mitteln das dann zu erzielen ist, das müssen wir untersuchen. Ein Mittel könnte die Kapitalverflechtung sein. Wenn es zu einem vernünftigen Schalterverbund kommt, kann das ein anderes Mittel sein. Ich bin jetzt dafür, in Ruhe die Untersuchung der Schroders-Bank abzuwarten. Da wird sowohl das Angebot der Post als auch das der Postbank untersucht, und es werden in dem Zusammenhang auch andere Überlegungen angestellt. Zu großer Auf regung ist im Augenblick jedenfalls kein Anlaß. Da machen wir es so, wie man es bei uns zu Hause in bezug auf die Würscht sagt: Wir essen eine nach der anderen. Wir lösen ein Problem nach dem anderen. ({13}) Meine Damen und Herren, Post und Telekommunikation sind entscheidende Standortfaktoren für die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Deshalb will ich nur noch einige Bemerkungen zur Frage der Postregulierung machen. Wir haben nicht nur die Telekom, sondern seit dem 1. Januar 1995 auch die Post-Aktiengesellschaft privatisiert. Der nächste Schritt wird die Liberalisierung sein. Wir haben schon Eckpunkte vorgelegt. Allerdings werden wir nach meinen Vorstellungen hier etwas langsamer vorgehen müssen als bei der Telekom, und zwar deshalb, weil es kaum einen internationalen Wettbewerb gibt. Ich habe vorgesehen, daß es zunächst noch übergangsweise eine Exklusivlizenz für die Post AG geben soll. Aber desungeachtet wird mit dem neuen Post- wie mit dem neuen Telekommunikationsgesetz zum 1. Januar 1998 ein weiterer Schritt in Richtung Wettbewerb zu erfolgen haben. ({14}) Meine Damen und Herren, es ist schon gesagt worden, daß der Haushalt im Grunde genommen der kleinste Haushalt ist, weil er ein reiner Personalhaushalt ist und damit natürlich einige Sachleistungen verbunden sind. Bei den Ausgaben ergibt sich eine Absenkung um insgesamt 3,2 Prozent - das hängt mit weniger Bauinvestitionen zusammen - auf nunmehr 365 Millionen DM. Mit dem nochmaligen Dank an die Berichterstatter des Haushaltsausschusses bitte ich Sie um Zustimmung zu dem Haushalt des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation. Vielen Dank. ({15})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die für den Einzelplan 13 in der Ausschußfassung stimmen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Ein- zelplan 13 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden ist. ({0}) Ich rufe den Einzelplan 12 auf: Einzelplan 12 Bundesministerium für Verkehr - Drucksachen 13/2612, 13/2626 Berichterstattung: Abgeordnete Hans Georg Wagner Bartholomäus Kalb Kristin Heyne Es liegen drei Änderungsanträge der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Der Änderungsantrag auf Drucksache 13/2949 - Mehrzweckschiff „Mellum" - ist zurückgezogen worden. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Hans Georg Wagner.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner Mitberichterstatterinnen und -berichterstatter danke ich sehr herzlich für das so schnell gestiegene Interesse am Einzelplan 12. Wir haben das zu dieser Stunde gar nicht mehr erwartet. Ich hoffe, daß Sie bis zum Ende der Beratungen durchhalten, damit die Mehrheitsverhältnisse dann noch stimmen. Vielen Dank. ({0}) - Das ist ja unbestritten. Wenn ich die Zeit der Beratung des Haushaltsplans an mir vorüberziehen lasse oder wenn ich daran denke, wie der Bundesfinanzminister vor der Sommerpause, lachend wie immer, ({1}) den Haushalt vor den Fernsehkameras verkündet und erklärt hat, daß nun ein Entwurf der Bundesregierung vorgelegt sei und daß dies eine tolle Sache sowie eine großartige Leistung sei - ({2}) - Ich spreche von seinem Kollegen. Zu ihm komme ich noch gesondert. Ich habe ihm heute schon einmal in einer Terminsache geholfen. Deswegen bin ich jetzt einverstanden, wenn er noch ein paar Minuten Hans Georg Wagner mit seinem Kollegen redet. Den sieht er wahrscheinlich nicht so oft. Meine Damen und Herren, als Theo Waigel vor der Sommerpause, lachend wie immer, den Haushalt 1996 vorgelegt hat, da hieß es: Es ist alles in Ordnung, es ist solide finanziert, und es gibt keine Probleme. Wir legen einen Haushalt vor, den kein anderer fertigbringt als wir, diese Koalition. ({3}) Dann war die erste Lesung Anfang September. Minister Waigel hat hier gesagt: Es ist alles solide finanziert, es ist alles korrekt; aber ein paar Risiken stekken noch drin. Er hat nicht genau gesagt, was das wäre. Dann sind die tapferen Kolleginnen und Kollegen der Koalition zu uns in den Haushaltsausschuß gekommen und haben Position für Position durchberaten. Sie haben da 700 bis 800 Millionen DM Einsparungen zusammenbekommen. Einen Tag vor der entscheidenden Sitzung, nämlich vor der Bereinigungssitzung, kommt er morgens und sagt seinen Koalitionskollegen: Hier ist ein Papier - wir haben es dann Waigel-Wisch genannt -, und mittags im Ausschuß war es zusammengefaßt eine Seite. Kein Mensch wußte, was dahintersteckt, am allerwenigsten seine Kolleginnen und Kollegen. Dann ging es los: Jetzt ist endlich der Durchbruch erzielt worden. Wenn ich mir die F.D.P. ansehe, Herr Kollege Kop- pelin, dann stelle ich fest: Sie sind ein dankbares Opfer. Von dem geschätzten Kollegen Weng nehme ich an, daß er von Ihnen am meisten vom Haushalt versteht. Kollege Weng hat einen Tag nach Ihrem „erfolgreichen" Abschluß der Berlin-Wahl, bei der Sie noch etwas erfolgreicher gewesen sind als wir, einen Brief ans Präsidium geschrieben. Ich habe jetzt ernsthafte Bedenken, schrieb er, daß dieser Haushaltsplan seriös finanziert werden kann. Ich bitte um Beratung im Präsidium. ({4}) Das hat er dann auch getan. Tags zuvor hatten sich zwei wesentlich bedeutendere Persönlichkeiten der Zeitgeschichte schon öffentlich geäußert. Das war einmal Herr Graf Lambsdorff, der ja neulich bei der aktuellen Aussprache in der Toilette eingesperrt war. Er hat gesagt, was in dieser Überschrift steht: „Lambsdorff rechnet mit Waigel ab. " ({5}) Waigel zitterte in Bayern, seine Irene mußte ihn trösten. Dann hat Frau Ina Albowitz gesagt: Wir brauchen endlich ein Haushaltssicherungsgesetz. Ohne das Gesetz geht es überhaupt nicht mehr. Der Haushalt ist nicht mehr zu finanzieren. Die Präsidumssitzung war vorbei; Frau Albowitz konnte nicht dort sein, Herr Lambsdorff war nicht dort. Aber man hat gesagt: Wir wollen einmal sehen, wahrscheinlich müssen wir ein Haushaltssicherungs- Besetz machen. Dann kamen Herr Waigel mit seinem Wisch und Herr Gerhardt, der vom Haushalt nach meiner Einschätzung soviel versteht wie eine Kuh vom Klavierspielen. ({6}) Er hat nach Durchsicht des Papiers - wobei er nicht wußte, was eigentlich in den einzelnen Positionen steht - erklärt: Jetzt ist aber wirklich alles in Ordnung. Originalton Gerhardt. - Da war es klar, daß der Haushalt wiederum eine Mehrheit finden wird wie immer, weil die F.D.P. wie immer das macht, was sie am besten kann, nämlich umfallen. ({7}) Ich frage in diesem Zusammenhang: Warum sind denn der Bundesregierung die Einnahmeverbesserungsmöglichkeiten durch Privatisierung nicht etwas früher eingefallen? Man hätte doch viele Probleme der Koalitionäre lösen und ihnen das Magendrücken nehmen können, wenn man im Juni gesagt hätte: Hier gibt es noch Privatisierungsmöglichkeiten von 9 Milliarden DM. Aber da gibt es ja noch immer diesen gewissen Grafen Lambsdorff, der heute morgen - heute morgen! -, 8.14 Uhr, verbreiten ließ: ... zudem seien die Deckungsvorschläge von Bundesfinanzminister Theo Waigel ({8}) diskussionswürdig. Eine großzügige Geste, diskussionswürdig sind sie zumindest. Es sei nicht sicher, daß die Erlöse aus den geplanten Privatisierungen von - jetzt nur zum Verkehrshaushalt Lufthansa ... und Bahn auch tatsächlich in den Etat 1996 einfließen könnten. Lambsdorff schloß aber eine höhere Netto-Kreditaufnahme zur Dekkung des Haushalts aus. Stichwort Lufthansa. Da wollte man privatisieren und stellte einen Betrag von 1,7 Milliarden DM in den Haushalt ein, nicht bei Herrn Wissmann, was dem gut täte, denn er soll damit etwas machen dürfen, nein, in den Einzelplan 60, den der Finanzminister verwaltet. Das heißt, das Geld ist weg, wenn es kommt. Aber, Herr Kollege Rossmanith, Sie wissen doch auch, wie das mit der Lufthansa zusammenhängt. Wenn es außereuropäischen Anlegern gelänge, an die Aktien der Lufthansa heranzukommen, dann wäre die Lufthansa erledigt. Wenn keiner ausschließen kann, daß irgendwelche Geldwäscher in der Weltgeschichte herumfahren und ihre Vasallen zum Ankauf der Aktien veranlassen, dann endet die LuftHans Georg Wagner hansa nämlich als eine Luftblase, und wir haben keine nationale Fluggesellschaft mehr. ({9}) Das steckt hinter dieser Sache. Wir haben damals gesagt, es sei doch undenkbar, daß man einfach von heute auf morgen etwa die Wohnungen aus dem Eisenbahnvermögen verkaufen kann, weil dort viele Menschen wohnen, Menschen aus kleinen Verhältnissen - wir wissen ja, daß ein Eisenbahner nicht gerade zu den höheren Gehaltsgruppen gehört -, daß man ihnen jetzt, zwei Monate vor Weihnachten, sagt: Eure Häuschen werden an irgend jemanden verhökert, der Luxussanierungen macht, und ihr müßt dann irgendwann ausziehen. ({10}) - Damit Sie, Herr Koppelin, wegen der Aufregung der F.D.P. etwas Ruhe bekommen, wende ich mich jetzt nur an die Kollegen der CDU, nicht der CSU: Ich entsinne mich noch ganz genau des Wahlkampfes 1983. Da hat Herr Geißler, damals Generalsekretär, bundesweit ein Plakat kleben lassen: Schulden, Pleiten, Arbeitslosigkeit - nie mehr SPD. ({11}) Jetzt will ich einmal die Zahlen nennen. Angesichts der Zahlen heute können wir bei Ihnen in Anleihe gehen: „Schulden, Pleiten, Arbeitslosigkeit - nie wieder CDU", das wird unser nächstes Plakat sein. ({12}) Damals, am 31. Dezember 1982, betrugen die Schulden der öffentlichen Hand 588,9 Milliarden DM. Jetzt sind es 2 000 Milliarden DM Schulden. Das ist fast eine Vervierfachung der Schulden. Sie haben damals davon geredet, wegen der Schulden, Pleiten und Arbeitslosigkeit uns nie wieder zu wählen! ({13}) - Beruhigen Sie sich. Ich rede zunächst einmal zum Haushalt. Aber ich erfülle Ihnen den Wunsch; ich komme später dazu. Lassen Sie mich jedoch erst einmal noch das eine oder andere zum Verkehrshaushalt sagen. Damals gab es 15 876 Pleiten; jetzt nähern sie sich der 25 000-Grenze. Das heißt, es gibt auch fast eine Verdoppelung der Anzahl der Pleiten. ({14}) Zum letzten Punkt, der Arbeitslosigkeit: Seinerzeit gab es 1,8 Millionen Arbeitslose, für Ende 1996 sind fast 4 Millionen prognostiziert. Da lachen Sie noch, wenn ich sage: Ihr Plakat damals war eine Verhöhnung der Wählerinnen und Wähler? ({15}) Nun zum Haushalt selber. ({16}) - Wieso wollen Sie etwas zum Saarland hören? Das hat doch nichts mit dem Einzelplan 12 zu tun. ({17}) - Sie drängen mich doch zu anderen Themen. Sie wollen doch unbedingt etwas zum Saarland hören. Aber ich garantiere Ihnen: Sie hören noch etwas zum Saarland. ({18}) Die Investitionen im Einzelplan 12 befinden sich im Sturzflug. ({19}) Eine Verringerung um 2,5 bis 3 Milliarden DM bedeutet, daß die Bauinvestitionen entfallen und die Arbeitslosigkeit steigt. Das ist das Ergebnis dieses Haushalts. ({20}) Die Mittel für die Bundesstraßen haben Sie etwas aufgestockt, um wenigstens halbwegs Ihre Versprechen zu erfüllen. ({21}) Sie als Koalition erzählen ständig in der Gegend herum, daß Ortsdurchfahrten, daß dies und jenes gebaut werden würde. Das wäre mit der Kürzung der Mittel, die die Bundesregierung in ihrem Haushaltsentwurf vorgesehen hat, nicht zu realisieren gewesen. Hinsichtlich der Schieneninvestitionen sind Sie ja wirklich auf einer großartigen Spur. Zunächst einmal haben Sie eine Senkung vorgenommen mit der Begründung: Sie geben das Geld nicht aus. Dann versuchen Sie etwas anderes, sagen aber: Der Transrapid muß kommen. Das ist die höchste technologische Leistung, die in Deutschland je erbracht worden ist. ({22}) Minister Wissmann hat sich neulich richtig zu den transeuropäischen Netzen im Schienenverkehr geäußert. Er weiß natürlich, daß die Schienen des Hans Georg Wagner TGV in Frankreich nicht auf die des ICE bei uns passen. Das sind alles Probleme, die noch zu lösen sind. ({23}) Wenn das alles fertig ist, wenn das transeuropäische Netz von Stockholm bis nach Neapel, von Madrid bis Warschau steht, fahren die Züge aneinander vorbei. ({24}) - Ich will noch zum Saarland kommen; dafür brauche ich ein paar Minuten. Wenn man auf der Fahrt von Hamburg nach Berlin aus dem ICE aussteigt, sieht man parallel den Transrapid vorbeirauschen. Das ist dann eine touristische Attraktion. Denn es ist doch wohl gesichert, daß dieser Parallelverkehr zustande kommt und Wettbewerbsverzerrungen entstehen. Ich gehe davon aus, daß Sie neben den Ihnen bekannten Druckerzeugnissen noch andere lesen, etwa die Zeitschrift „Geo" vom Oktober 1995. Dort steht unter der Überschrift „Geschoß auf Schienen": Die Amerikaner haben ein Zugsystem entwickelt, das die gleiche Geschwindigkeit hat wie der Transrapid und mit dem bestehenden Schienennetz auskommt. ({25}) Das ist die modernste Technologie der Welt. Trotzdem sagen Sie: Im Jahre 1996 fangen wir aber end- lich an, den Transrapid auf die Strecke Hamburg - Berlin zu setzen, wohl wissend - das ist festgeschrieben -, daß genau 56,8 Prozent der Investitionen aus dem Haushalt des Verkehrsministers kommen. ({26}) Alle anderen innerdeutschen Investitionen - bei der Umwelt, im Sozialbereich - werden gerupft, zugunsten des Transrapids, der überhaupt nicht kompatibel ist mit dem europäischen Schienennetz, der als Exot in der Landschaft herumfährt. ({27}) Aber, Herr Koppelin, ich habe nichts dagegen, wenn Sie zu Ihrer Freude jeden Tag von Hamburg nach Berlin und wieder zurück fahren. ({28}) Letzter Punkt in diesem Bereich, Herr Minister. Gestern las ich in der „Süddeutschen Zeitung" einen hochinteressanten Bericht, der nicht Ihren unmittelbaren Zuständigkeitsbereich, sondern den der Bahn betraf und der den Lehrter Bahnhof in Berlin anging. Wenn die Planungen so kommen, wie sie dort beschrieben werden, dann sind sie ein Schuß in den Ofen. ({29}) Ich möchte Sie dringend bitten, der Bahn zu sagen, daß das so nicht geht. Es wird viele interessieren, daß alle Züge an diesem Punkt zusammenkommen, daß es aber nur ein einziger Aufzug ermöglicht, von einem Geschoß zum anderen zu kommen. Da kann man sich vorstellen, was passiert, wenn drei ICEs gleichzeitig einlaufen. Wie wollen dann all die Leute über einen Aufzug zum nächsten Zug kommen? ({30}) - Ich spreche die ganze Zeit zum Haushalt. ({31}) - Die Präsidentin hat vorgestern aufgerufen: Beratung des Bundeshaushalts 1996. ({32}) - Wieso denn? Das ist der Bundeshaushalt. Wie kann man denn erklären, daß die Bundesregierung in ihrem Entwurf für die Seeschiffahrt nur 40 Millionen DM einstellt? Wir stellen einen Antrag, Bündnis 90/Die Grünen stellt einen Antrag. Erst dann, nach langer Verunsicherungsphase, stellt auch die Koalition einen Antrag, auf 100 Millionen DM aufzustocken, mit dem Ergebnis, daß eine erhebliche Verunsicherung der Reeder eingetreten ist, wie man bei Hapag-Lloyd sieht, wo schon Ausflaggungen aller 16 Schiffe nach Singapur geplant sind. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, Ihrer Wackelpolitik. ({33}) Der Bundesverkehrswegeplan ist meiner Ansicht nach Makulatur. Es wäre ehrlich und offen, wenn Sie den Bundesverkehrswegeplan öffentlich den Realitäten des Haushaltes anpassen würden. Es geht nicht an, daß Sie den Leuten nur vorgaukeln, irgendeine Maßnahme zu realisieren. Die Wahrheit ist doch, daß in 1996 in den westlichen Ländern überhaupt nichts begonnen werden kann. Das ist doch die Realität. Sagen Sie doch auch in Ihren Wahlkreisen einmal, wie sich das verhält. ({34}) - Gut, wenn Sie das so gerne wollen und sich praktisch selbst bestrafen wollen, will ich zum Saarland kommen. Das mache ich sehr gerne. Der Schuldenstand des Saarlandes betrug am 10. April 1985 - an diesem Tag wurde Oskar Lafontaine nach Erreichen der absoluten Mehrheit zum erstenmal zum Ministerpräsidenten vereidigt -7,8 Milliarden DM. Das war der Schuldenhaushalt der CDU und der F.D.P. im Saarland. Durch Zins und Zinseszinsen ist dieser Haushalt zu einer Verschuldung von fast 14 Milliarden DM aufgelaufen. Die SPD-geführte Landesregierung, die noch heute mit absoluter Mehrheit regiert - was auch gut ist; zumindest dem Saarland tut das einmal gut -, hat beschlossen: Wir müssen eine Teilentschuldung unseres Landes erreichen. Sie mußte beim BundesHans Georg Wagner verfassungsgericht klagen. Dies hat am 27. Mai 1992 dem Saarland und Bremen recht gegeben. ({35}) Dann wurde eine Teilentschuldung gemacht, für die wir auch all jenen sehr dankbar sind, die an dieser Teilentschuldung mitgewirkt haben. Das heißt, daß wir noch dabei sind, die Altlasten der CDU und der F.D.P. im Saarland abzutragen. Das ist nämlich die Wahrheit. ({36}) Fragen Sie den Kollegen Schäuble auch, er hat damals mit der Landesregierung verhandelt, und fragen Sie andere, die das bestätigen können, weil es eben so ist. ({37}) Wenn Sie nicht eine ganze Bevölkerung durch Unwahrheit bestrafen wollen, dann bitte ich Sie wirklich, zu unterlassen, die Unwahrheit zu verbreiten. Denn Kollege Waigel als Bundesfinanzminister war in seiner Erwiderungsschrift auf die Anklageschrift des Bundesverfassungsgerichts wesentlich ehrlicher. Herr Waigel hat damals - er wollte ja Kosten vom Bund abwehren, was seine Pflicht ist - geschrieben: Es ist nicht bestreitbar, daß seit 1985 große Erfolge in der Umstrukturierung der saarländi- schen Wirtschaft eingetreten sind ({38}) und daß eine Teilentschuldung gar nicht notwendig ist, weil das Saarland auf dem richtigen Weg in die richtige Entwicklung ist. So Herr Waigel im Originalton im Oktober 1992. Ich kann dem nichts hinzufügen. Ich bin froh, daß man im bürokratischen Bereich ehrlich miteinander umgeht. ({39}) - Ich habe damit nie Probleme gehabt; das wird jeder bestätigen können. Sie haben den zweitgrößten Investitionshaushalt im Bundeshaushalt heruntergefahren. Sie haben die dadurch ausgelöste Arbeitslosigkeit zu verantworten. Sie sind dafür verantwortlich. Schönen Dank. ({40})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich möchte das Haus daran erinnern, daß für diese Debatte eineinhalb Stunden vorgesehen sind, so daß Sie nicht die gesamten vorhandenen Emotionen in den ersten 15 Minuten verbrauchen müssen. ({0}) Damit erteile ich dem Abgeordneten Bartholomäus Kalb das Wort. ({1}) Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie sehen, diese harte Kritik ist uns in Mark und Knochen gefahren. Wir zittern jetzt so richtig. Herr Kollege Wagner, zum Thema Saarland würde uns eine ganze Menge einfallen. ({2}) Aber ich denke, wir sollten es unterlassen. Vielleicht nur so viel dazu: Als Mitglied des Haushaltsausschusses wissen Sie, wieviel wir in den letzten Jahren zugunsten des Saarlandes vom Bund aus unternommen haben. ({3}) Aber wir reden über den Verkehrshaushalt. Ich habe gedacht, der allgemeine Schlagabtausch hätte schon gestern oder vorgestern stattgefunden, so daß wir uns als Berichterstatter für den Einzelplan 12 auf diesen Einzelplan konzentrieren könnten. Dieser Einzelplan ist mit 23 Milliarden DM an investiven Ausgaben nach wie vor der größte Investitionshaushalt, wenn wir auch zugeben müssen, daß wegen des allgemeinen Zwangs zum Sparen natürlich auch hier Kürzungen unvermeidbar waren. Dies ist auch für die Baukonjunktur von besonderer Bedeutung. Wir hören im Moment eine Menge von durchaus sehr ernstzunehmenden Signalen, was die Baukonjunktur betrifft. Deswegen bin ich froh darüber, daß wir einen hohen Investitionsanteil halten konnten. Gerade bei der großen Abhängigkeit des Tiefbaus von öffentlichen Aufträgen scheint mir das besonders wichtig zu sein. Investitionen in den Ausbau von Schienenwegen, Wasserstraßen und Bundesfernstraßen sind Investitionen in die Infrastruktur und damit Investitionen für die Zukunft. Investitionen in diese genannten Bereiche sind nach wie vor ein wichtiger Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes, ja des Standortes Deutschland insgesamt. ({4}) Eine gute Verkehrsinfrastruktur ist nach meiner Überzeugung wichtigste Voraussetzung für eine gute wirtschaftliche Entwicklung aller Regionen, auch der ländlichen und peripheren Gebiete. ({5}) Ich selbst komme aus einer Gegend, die sich über Jahrzehnte hinweg in einer absoluten Randlage befunden und die als sogenanntes strukturschwaches Gebiet gegolten hat. Daher glaube ich, mir ein Bild machen zu können, welche Wirkungen die Bartholomäus Kalb Bereitstellung der Verkehrsinfrastruktur auf die regionalwirtschaftliche Entwicklung hat. So wichtig und bedeutsam steuerliche Maßnahmen und einzelbetriebliche Förderungen sein mögen, erst mit der Anbindung an das überörtliche Fernstraßennetz hat zum Beispiel in meiner Heimatregion Niederbayern eine kräftige wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung eingesetzt, ({6}) verbunden mit einem erfreulich starken Zuwachs an wohnortnahen Arbeitsplätzen. Auf Grund dieser persönlichen und ganz hautnah gemachten Erfahrung bin ich der Überzeugung, daß dies auch die wichtigste Voraussetzung für die weitere Aufwärtsentwicklung in den neuen Ländern ist. ({7}) Insofern ist es richtig und konsequent, daß die Bundesregierung und die Koalitionsparteien am Vorrang für die Projekte „Deutsche Einheit" festhalten. Wer sich die Mühe macht, in die neuen Länder zu fahren, kann feststellen, daß bereits viel geschehen ist, daß andererseits aber auch noch viel zu tun bleibt. Er kann ebenfalls feststellen, wie der Erschließung die Entwicklung folgt, wie sich Verkehrsadern zu Lebensadern entwickeln, wie sie zu Schlagadern wirtschaftlichen Aufschwungs werden. ({8}) Eigentlich möchte man meinen, daß zumindest im Grunde Übereinstimmung über die Notwendigkeit des weiteren Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur besteht. In Wirklichkeit ergibt sich aber ein völlig anderes Bild. Die SPD, wie wir soeben gehört haben, hält ihn schon für notwendig, aber nicht in dem erforderlichen Maße. Die Grünen wollen erheblich weniger Straßen, dafür aber mehr Schienen, ({9}) dann aber wiederum keine neuen Strecken- und Trassenführungen ({10}) und schon auf gar keinen Fall neue Technologien. Der Bund Naturschutz wollte gar alle Straßenbauprojekte aus dem Bundesverkehrswegeplan ({11}) gestrichen gesehen. Wieder andere fordern zwar allgemein mehr Verkehrsinvestitionen, sind aber vor Ort als mögliche Betroffene dagegen. Wieder andere sind aus tiefer Überzeugung gegen eine weitere Ver- siegelung der Landschaft, halten aber die ihrem Wohlbefinden dienliche auf der anderen Seite des Ortes geplante Ortsumgehungsstraße und die Befestigung der Zufahrt zum eigenen Anwesen für die letzte umweltverträgliche Baumaßnahme. Manchmal geht es bei diesen Fragen ganz munter drunter und drüber. ({12}) Verschiedentlich wurden die Kürzungen beim Kapitel Eisenbahnen des Bundes kritisiert. Das ist soeben wieder passiert. Ich bin der Überzeugung, daß durch die Verbesserung auf der Einnahmenseite ein ausreichend hohes Investitionsniveau im Schienenwegeausbau erzielt bzw. gehalten werden kann. ({13}) Alle Erfahrungen der Jahre 1994 und 1995 sprechen für diese Annahme. Ein sparsamer und effizienter Mitteleinsatz muß auch bei den Bahninvestitionen in unserem gemeinsamen Interesse liegen. ({14}) Durch die vor kurzem verabschiedeten Gesetze und die ausgebrachten Haushaltsansätze ist dafür Sorge getragen, daß der Transrapid in Deutschland nicht nur entwickelt werden konnte, sondern auf der Strecke zwischen Hamburg und Berlin als hochleistungsfähiges Verkehrsmittel auch zum Einsatz gelangen kann. ({15}) Mit diesen Entscheidungen wurde auch die Chance eröffnet, den Technologievorsprung, den Deutschland auf diesem Sektor noch hat, zu halten und im internationalen Wettbewerb zur Geltung zu bringen. Leider mußten und müssen diese Entscheidungen gegen einen Großteil der Opposition durchgesetzt werden. Im übrigen war ich angenehm überrascht, in welch professioneller Art und Weise Methoden entwickelt und angewendet werden, die es erlauben, schon in einem sehr frühen Planungsstadium Belange des Naturschutzes und der Siedlungsentwicklung einzubeziehen und zu berücksichtigen. Davon konnten wir uns in einem persönlichen Gespräch überzeugen. Gegenstand besonders ernster und intensiver Beratungen innerhalb der Koalition war der Bundesfernstraßenbau. ({16}) - Lieber Kollege Diller, ein freier und unabhängig gewählter Abgeordneter hat keinen Chef, Gott sei Dank. ({17}) Wenn es trotz der allgemeinen Entwicklung und dem selbstgesteckten Ziel weiterer Einsparungen und der Einhaltung der Eckwerte gelungen ist, den Bartholomäus Kalb Straßenbauplan effektiv um rund 400 Millionen DM aufzustocken, ({18}) ist das, meine ich, eine ganz besondere Leistung. ({19}) Ich danke auch allen Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsarbeitsgruppe, die als Berichterstatter für andere Einzelpläne in ihren Bereichen zum Teil erhebliche Kürzungen vertreten mußten, daß sie diese Maßnahme unterstützt und mitgetragen haben. ({20}) Sie haben damit dafür Sorge getragen, daß im wesentlichen alle in Aussicht genommenen und zugesagten Maßnahmen in diesem und im nächsten Jahr in Angriff genommen und die laufenden Maßnahmen mit vertretbaren Streckungen fortgeführt werden können. Ich betrachte diese Mittelerhöhung als wichtige und großartige Gemeinschaftsleistung der Koalitionsarbeitsgruppe. Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen nochmals sehr herzlich für die Unterstützung. ({21}) Wir tragen damit auch Sorge dafür, daß das Vertrauen der Bürger in die Zusagen, die von Politik und Verwaltung gegeben wurden, nicht enttäuscht wird und daß Bürger, die oft seit Jahrzehnten unter zum Teil unerträglichen Belastungen und Gefahren zu leiden haben, nicht für unbestimmte Zeit auf Entlastungen warten müssen. Das wollte ich Ihnen von den Grünen auf Ihren Einwurf zu der Betonlobby hin gern sagen. Fragen Sie mal die Leute, die seit mehr als zehn Jahren darauf warten, den Innerortsverkehr rauszubekommen. ({22}) - Es ist geradezu zynisch und unmenschlich, was Sie dazwischenrufen. Ich weiß, daß es mancher gern gesehen hätte, wenn wir im Haushaltsausschuß noch das eine oder andere Konzessionsmodell beschlossen hätten. Wir hatten das ernsthaft erwogen. Beides, Mittelaufstockung und Ausweitung der Konzessionsmodelle, schien uns jedoch nicht vertretbar zu sein. ({23}) - Hören Sie zu. Ich gebe offen zu, daß ich von den sogenannten Privatfinanzierungsmodellen nicht sehr begeistert bin. ({24}) Die Bedenken des BMF, des Rechnungshofes, aber auch von Teilen der Opposition sind durchaus nicht unbegründet. ({25}) - Ich komme gleich darauf. - Auch mir ist eine saubere Haushaltsfinanzierung wesentlich sympathischer. Wir haben uns seinerzeit, in der Sondersituation nach der Wiedervereinigung, nach reiflicher Überlegung und aus guten Gründen für eine ausgewählte und begrenzte Zahl von privat finanzierten oder vorfinanzierten Maßnahmen entschieden. Dabei sollte es auch, wenn irgend möglich, bleiben. Wir haben mit großen Anstrengungen alle Neben- und Sonderhaushalte zusammengeführt und in den Bundeshaushalt integriert, so daß es nicht vernünftig wäre, an dieser Stelle wieder eine Art Nebenhaushalt aufzubauen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Kalb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt?

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit Rücksicht auf die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt noch die Aufmerksamkeit aufbringen, will ich das nicht tun. Vorgestern habe ich ohnehin mehrere Zwischenfragen zugelassen. Das knappe Geld gibt mir Anlaß, an alle an Planung und Durchführung von Verkehrsprojekten Beteiligten für einen sparsamen und effizienten Mitteleinsatz zu appellieren. Damit rede ich nicht irgendwelchen abgemagerten, risikoträchtigen Sparversionen mit Sonderquerschnitten und ähnlichem das Wort. Vielmehr sehe ich erhebliche Einsparpotentiale bei den Forderungen und Anforderungen. Übertriebene Forderungen von Betroffenen, auch betroffenen Kommunen, werden wir uns in Zukunft nicht mehr leisten können. Auch so manche Fachbehörde wird zurückstecken müssen. Nur so wird es möglich sein, kostengünstigere Trassenführungen wählen zu können. Aber auch auf dem Gebiet der Anforderungen an Material, Gestaltung und Bauabwicklung und der verstärkten Berücksichtigung von Alternativ- bzw. Nebenangeboten scheinen noch beachtliche Einsparmöglichkeiten zu liegen. Das alles gilt, wohlgemerkt, meines Erachtens nicht nur für den Bereich des Straßenbaus. In der öffentlichen Diskussion besteht weitestgehend Übereinstimmung darin, daß mehr Verkehr, insbesondere Güterverkehr, auf Schiene und Wasserstraße verlagert werden muß. Angesichts der erwarteten enormen Zunahme des Güterverkehrs bleibt Bartholomäus Kalb uns wohl keine andere Wahl. Im Haushaltsausschuß bestand in den zurückliegenden Jahren jeweils große Übereinstimmung hinsichtlich der Notwendigkeit des weiteren Ausbaus der Binnenwasserstraßen. Ich erinnere mich gut daran, wie sich der frühere SPD-Kollege Waltemathe als Berichterstatter dafür engagiert hat. Wenn die Frau Kollegin Faße den Umzug von Bonn nach Berlin auf dem Wasserweg durchführen möchte, will sie damit wohl ganz besonders auf die Bedeutung der Binnenwasserstraßen hinweisen. ({0}) - So ist das, ich danke Ihnen vielmals für diesen Einwurf. Wir hatten vor wenigen Wochen hier eine Aussprache zu einem Antrag der SPD für einen ökologisch verantwortlichen Ausbau der Donau. Da ich seinerzeit zu diesem Antrag sprechen konnte, will ich heute nicht näher darauf eingehen. Wir sind uns sicher sehr schnell in der Forderung nach einem ökologisch verantwortlichen Ausbau einig. Die Frage wird aber sein: Was ist der ökologisch verträglichere und verantwortlichere Ausbau? Diese Frage wird nicht nur zwischen einigen örtlichen SPD-Vertretern und mir unterschiedlich beantwortet, sondern auch innerhalb der SPD in höchst unterschiedlicher Weise, wie man hier im Hause weiß. Normalerweise kann man derzeit nicht über die Verkehrspolitik sprechen, ohne auf das Thema Ökosteuer einzugehen. ({1}) Leider kann ich das nicht mehr in der notwendigen Breite tun. Im Interesse einer vernünftigen Entwicklung aller Landesteile und im Interesse der vielen Menschen, die nicht alle Besorgungen zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erledigen können, aber auch im Interesse derer, die in Zukunft noch einen sicheren Arbeitsplatz haben wollen, sollten wir bei diesem Thema die Kirche im Dorf lassen. ({2}) Wir liegen bei der Mineralölsteuer im europäischen Vergleich schon jetzt in der Spitzengruppe. Die von der Bundesregierung und von der Koalition vorgeschlagene Umstellung der KfZ-Steuer scheint mir richtig und sinnvoll zu sein. Darüber hinaus wäre es sehr wünschenswert, wenn in Zukunft Flugbenzin besteuert werden könnte. ({3}) - Ja, ja. Hören Sie nur gut zu. - Es liegt aber auf der Hand, daß dies nicht im nationalen Alleingang möglich ist, ({4}) sondern nur gesamteuropäisch, wenn nicht sogar durch die WTO in Angriff genommen werden müßte. Nebenbei bemerkt: GATT hätte hier eine viel dankbarere Aufgabe gehabt, als über Jahre hinweg nur auf den Bauern herumzutrampeln. ({5}) Ich muß leider zum Abschluß kommen und darf der Frau Kollegin Heyne und dem Kollegen Wagner, auch wenn er heute sehr impulsiv gesprochen hat, für die trotz mancher in der Sache begründeten unterschiedlichen Auffassungen, für die gute und angenehme Zusammenarbeit im Ausschuß danken. Dem Kollegen Jürgen Koppelin und allen Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsarbeitsgruppe danke ich für die tatkräftige Unterstützung. Ich möchte es aber auch nicht versäumen, Ihnen, Herr Minister Wissmann, und allen Ihren Mitarbeitern für die faire Art der Zusammenarbeit herzlich zu danken. Ich wünsche viel Erfolg bei der Umsetzung dieses Haushalts. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Kristin Heyne.

Kristin Heyne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002676, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Verkehrshaushalt reiht sich ein in eine jahrelange Tradition der Bevorzugung der Straße gegenüber der Schiene. Schon im Entwurf wurde die Schiene mit Einsparungen von 2,2 Milliarden DM gegenüber der ursprünglichen Finanzplanung belastet, die Straße dagegen nur mit 500 Millionen DM Einsparungen. Für die 2,2 Milliarden DM weniger im Schienenbau wurde eine recht windige Deckung über den Verkauf nicht bahnnotwendiger Grundstücke geboten. Dieser Grundstücksverkauf hat im vergangenen Jahr ganze 105 Millionen DM eingebracht. Die Drohung aber, im Straßenbau bei einem Gesamtvolumen von 10 Milliarden DM 500 Millionen DM, also etwa 5 Prozent einzusparen, hat die Haushälter der Unionsfraktion allesamt auf Trab gebracht. Die vereinte Suche hat dann in der Bereinigungssitzung immerhin noch 400 Millionen DM zusätzliche Ausgaben für den Straßenbau gebracht. Somit gibt es da nur eine Kürzung um 100 Millionen DM, also eine Kürzung von 1 Prozent gegenüber 20 Prozent bei der Schiene. So sehen die Vergleichszahlen aus. Nach der Bereinigungssitzung kündigte Herr Wissmann dann an, daß für den Schienenbau weitere 800 Millionen DM zur Verfügung stünden. Eine binKristin Heyne dende Beschlußvorlage gibt es darüber aber nicht. Selbst wenn dieses Geld zur Verfügung steht, bleibt immer noch eine Lücke von 1,5 Milliarden DM, verglichen mit 100 Millionen DM bei der Straße. Trotz mehrfachen Nachfragens haben wir als Berichterstatter für den Einzelplan Verkehr wie auch als Haushaltsausschuß keinerlei Auskunft darüber bekommen, welche Pläne aus dem Dreijahresplan Schiene denn jetzt verändert werden, was zurückgestellt wird und welche Strecken noch gebaut werden. Wir wissen aber, daß diese Planungen intern sehr wohl bestehen und daß vor allem im Bereich des Güterverkehrs so starke Einschnitte vorgesehen sind, daß eine wirkliche Konkurrenz der Schiene mit der Straße nicht mehr stattfinden wird. Ein ernsthaftes Bemühen dieser Bundesregierung, den Umweltbedürfnissen entsprechend den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen, können wir nicht mehr feststellen. ({0}) Nachdem wir jetzt in den Haushaltsplanberatungen gemerkt haben, daß der Straßenbautitel absolut sakrosankt ist, befürchten wir eine weitere Einschränkung des Schienenbaus mit dem Baubeginn des Transrapid. Dieses finanzpolitisch absolut abenteuerliche Projekt wird zu einem erheblichen Anteil aus dem Einzelplan 12 zu zahlen sein. Den Straßenbau werden Sie dafür mit Sicherheit nicht ankratzen. Entgegen Ihrer Vorlage, die sich gerade in der Beratung befindet, gibt es keinen Bedarf für eine Transrapidstrecke zwischen Hamburg und Berlin. Eine ICE-Strecke über Uelzen ist als Verbindung möglich, und, Herr Waigel - ich glaube, er hätte jetzt lieber hierbleiben sollen; denn dies ist für ihn auch eine wichtige Information; es ist schade, daß er jetzt weg ist - sie würde nur einen Bruchteil der Kosten verursachen, wäre kompatibel und brauchte nicht mehr Zeit. ({1}) Sie wollen die Strecke Hamburg-Berlin gerne als Referenzstrecke für den Transrapid; das wurde ja auch offen so gesagt. Nur, die erhofften Exportchancen lassen sich durch nichts belegen. Im Gegenteil, die Erfahrungen mit dem Export des ICE deuten darauf hin, daß eine so teure Technologie mit derart hohem Investitionsaufwand, der sich daraus ergibt, daß der Motor in der Schiene enthalten ist, im Moment nicht mehr zu verkaufen ist und auch in Zukunft nicht zu verkaufen sein wird. ({2}) Das Transrapid-Abenteuer wird den Haushalt in bisher unkalkulierbarer Höhe belasten. Er wird für die Anwohner eine unnötige Verschandelung ihrer Umgebung sein. Er wird wertvolle Landschaft zerstören und außerhalb der Stadt eine erhebliche Lärmbelästigung darstellen. Ich fordere Sie dringend auf: Trennen Sie sich von dieser Schnapsidee! Noch hält sich der Schaden in Grenzen. Sie haben schon in diesem und im kom- menden Jahr erhebliche Schwierigkeiten, den Haushalt zu finanzieren. Der Transrapid wird mit Sicherheit eine erhebliche und unsinnige Belastung für die zukünftigen Haushalte sein. Ziehen Sie die Notbremse und steigen Sie aus diesem Projekt aus, das absehbar in die Pleite rast! ({3}) Zweifel an der finanzpolitischen Verantwortbarkeit dieses Einzelplans ist auch an einer anderen Stelle anzumelden. Weitere 4 Milliarden DM sind im Haushaltsplan 1996 für den Straßenratenkauf, die sogenannte Privatfinanzierung von Straßen, vorgesehen. Der Rechnungshof hat sich jetzt noch einmal intensiv damit auseinandergesetzt und ist zu dem Schluß gekommen, daß Ihr Modell eindeutig höhere Kosten erzeugt. Die Grundannahme Ihrer Vergleichsberechnungen, Herr Wissmann, besagt, daß der Straßenbau aus Haushaltsmitteln ausschließlich durch aufgenommene Gelder finanziert wird, daß aber die Ratenzahlungen für die privat finanzierten Straßen dann aus laufenden Mitteln beglichen werden. Das ist nicht haltbar, aber nur mit dieser Grundannahme können Sie Ihre Vergleichsrechnungen schönrechnen. Aber es gibt noch weitere interessante Aspekte. Der Rechnungshof stellt weiterhin fest, daß zukünftige Haushalte nicht nur durch die Abzahlung der Investitionskosten für die jetzt geplanten Baumaßnahmen eingeengt werden, sondern zusätzlich auch die Finanzierungskosten aus dem Einzelplan zu tragen sein werden. Damit wird sich der Handlungsspielraum für künftige Planungen noch weiter verengen. Das Modell der Privatfinanzierung verletzt darüber hinaus den Anspruch auf Haushaltsklarheit, weil hier Investitionskosten und Finanzierungskosten vermischt werden. Die Verpflichtungsermächtigungen für die private Vorfinanzierung von Straßen sind unter 8er Titeln, also unter Investitionstiteln, eingestellt. Nur bei diesen Titeln haben Sie die Möglichkeit, Kosten über Kredite zu finanzieren. Das heißt, Sie könnten die Ratenzahlungen über Kredite abwickeln. Das Grundgesetz sagt aber in Art. 115, daß Kredite nur für Investitionsausgaben zulässig sind. Sie eröffnen sich hier also eine Hintertür für eine weitere Verschuldung, die grundgesetzwidrig ist. ({4}) Es ist sehr bedauerlich, daß sich auch die SPD in dieses Agieren in der Grauzone des Haushaltsrechtes hat einbinden lassen. Dafür, daß sie sich hat einbinden lassen, hat sie die Zusage für einige Straßenbauten bekommen, die von ihr sehr gewünscht waren. Im Bereich des Straßenbaus sind die Begehrlichkeiten bekanntlich ziemlich hoch, und dafür werden dann die Ansprüche an Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit auch einmal nach hinten geschoben. Kristin Heyne Wer nun den ersten Schritt mitgemacht hat, kann natürlich beim zweiten Schritt schwerlich noch einmal laut aufschreien. Denn noch dreister ist der jetzt vorliegende Plan zur Privatfinanzierung der ICE-Strecke München-Nürnberg über Ingolstadt. Die Kosten für diese Strecke erscheinen nicht einmal mehr im Einzelplan 12, sondern nur noch in § 28 des Haushaltsgesetzes. Ich bedauere noch einmal, daß der Finanzminister nicht hier ist und sich dies mit anhört; denn ich glaube, daß in diesem Punkt das Haushaltsgesetz nicht tragbar ist. ({5}) - Gut, dann ist es ja die richtige Adresse. ({6}) - Ich akzeptiere den Ersatz. ({7}) Diese ICE-Strecke taucht im Einzelplan nicht mehr auf. Sie ist somit auch bei der Beratung des Einzelplans Verkehr überhaupt nicht diskutiert worden, sondern sie ist still und leise in der Bereinigungssitzung im trauten Kreis der Koalition durchgewunken worden. Einer Sachdebatte hätte diese Strecke in keiner Weise standhalten können. ({8}) Ein eigens im Auftrag der DB AG, also der Bundesbahn, erstelltes Gutachten - also nicht irgendein Gutachten - belegt, daß der Zeitvorteil der Streckenführung über Ingolstadt, realistisch berechnet, auf 20 Sekunden gesunken ist. Frühere Untersuchungen haben einmal glauben gemacht, daß es eine Differenz von 20 Minuten gebe. Aber sie ließen unberücksichtigt, daß auf der Strecke über Ingolstadt nur auf 55 Kilometern volle Geschwindigkeit gefahren werden kann, auf der Strecke über Augsburg dagegen auf 123 Kilometern. So berechnete sich dieser höhere Zeitvorteil. Diese 20 Sekunden Zeitvorteil sollen mit sage und schreibe 2 Milliarden DM bezahlt werden. 2 Milliarden DM - das ist die Hälfte des diesjährigen Etats für den Schienenbau überhaupt. Sie reichen aber nicht für diese Strecke. Sie reichen nur für die 20 Sekunden. Die gesamte Strecke wird nach dem Dreijahresplan Schiene 4 Milliarden DM kosten. Das entspricht dem gesamten Etat für den Schienenbau in diesem Jahr, wenn man die Nachholinvestitionen in den neuen Bundesländern nicht berücksichtigt; ich glaube, das ist berechtigt. § 28 des Haushaltsgesetzes ist zu entnehmen, daß bis zur Fertigstellung dieser Strecke der Preis mit den Finanzierungskosten auf 7 Milliarden DM steigt. Diese 7 Milliarden DM sollen in 25 Jahresraten à 622 Millionen DM gezahlt werden. Das heißt, der Endpreis für diese eine Strecke wird 15 625 000 000 DM betragen. ({9}) Dieses Geld - ich glaube, das ist ein wichtiger Aspekt bei dem ganzen Thema - wird in Raten zwischen dem Jahre 2003 und dem Jahre 2028 zu zahlen sein, daß heißt ({10}) - meine Damen und Herren, wenn Sie mir noch einmal Ihr Ohr leihen -, ({11}) wir alle bis auf die Angehörigen der Pizza-Connection und die Gleichaltrigen werden es nicht mehr erleben, daß diese Strecke abbezahlt ist. ({12}) Ich fürchte, genau das ist der Grund dafür, daß eine so bodenlos unverantwortliche Entscheidung möglich war. ({13}) Herr Minister Wissmann, in den Nischen Ihres Haushaltsentwurfes verbergen Sie durch Grundstücksverkäufe, durch die Privatfinanzierung von Straßen und durch die Privatfinanzierung des ICE zusätzliche Ausgaben in Höhe von 20 Milliarden DM. 20 Milliarden DM haben hier in der letzten Sitzungswoche eine erhebliche Rolle gespielt. Diese 20 Milliarden DM sind gut versteckt. Darin sind Sie ein Meister. Ich halte das für völlig unverantwortlich. Deswegen wird meine Fraktion diesem Haushalt nicht zustimmen. ({14})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Horst Friedrich das Wort. Horst Friedrich ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bin immer noch bis ins tiefste Mark erschüttert von der Dampfplauderei, die wir bisher gehört haben. ({1}) Lieber Herr Kollege Wagner, was man in 20 Minuten alles nicht sagen kann, haben Sie wirklich nachhaltig demonstriert. ({2}) Es ist wirklich zum Heulen. Ich will Sie einmal an etwas erinnern, damit Sie es nicht vergessen: Der Haushaltsausschuß des letzten Bundestages hat die Finanzierungsvereinbarungen und die Beschlüsse zum Transrapid einstimmig genehmigt. ({3}) Es war der Vorsitzende dieses Haushaltsausschusses, Rudi Walther - der nach meiner Kenntnis immer noch Mitglied der SPD ist -, ({4}) der auf Werbeplakaten von Thyssen Henschel, die flächendeckend in Hessen und anderswo aushingen, abgebildet war. Es war nicht zuletzt der hochgeschätzte Kollege Klaus Daubertshäuser, der in einem weniger beachteten Buch mitgeteilt hat, ({5}) daß das die Technik des entsprechenden Jahrtausends sei. ({6}) Man sollte sich dann, wenn es ernst wird, einmal an die Aussagen der Vorväter erinnern, ({7}) und nicht, wenn es darauf ankommt, kneifen. Wenn man dann die Relation sieht und sich überlegt, über was wir eigentlich beim Transrapid debattieren, ist festzustellen: ({8}) Es kommen derzeit die Finanzierungskosten für die Magnetschwebebahnplanungsgesellschaft in den Haushalt. Darin ist nicht eine Mark Investitionskosten enthalten, weil sie noch gar nicht notwendig sind. Sie reden bereits über ungelegte Eier, die noch gar nicht im Haushalt stehen. Wenn Sie ihn gelesen hätten, dann wüßten Sie es vielleicht. Weil Sie auch noch die Lufthansa angesprochen haben und hier Freuden- und Jammertränen vergossen haben: ({9}) Die SPD hat sich nun die gemeinsame Währung Europas als nationales Wahlkampfthema vorgenommen. Der Vorsitzende der Lufthansa hat erklärt: Wenn die Währungsparitäten zwischen England und Deutschland genau andersherum wären, als sie derzeit seien, würde die Lufthansa bei gleicher Leistung wie derzeit ihr Ergebnis um sage und schreibe 850 Millionen DM pro Jahr verbessern können. Damit wäre sie die höchstrentierliche Fluggesellschaft der Welt. Deswegen hat uns Jürgen Weber, weil er etwas davon versteht, händeringend gebeten, um Gottes willen nicht von den Konvergenzkriterien und von dem Weg zur gemeinsamen Währung abzuweichen. Sie machen genau das Gegenteil. Das ist die Politik, die der Lufthansa hilft, und nicht Ihre Krokodilstränen, die Sie hier vergießen. ({10}) Ich möchte nicht versäumen, meinem Kollegen Koppelin für die Arbeit im Haushalt des Verkehrs des Einzelplanes 12 zu danken; denn er hat mit Barthel Kalb dafür gesorgt, das alles das, was in der ersten Lesung von uns verkündet worden ist, auch umgesetzt werden konnte. Auf den Straßenhaushalt komme ich später. Ich möchte mich ein bißchen mit der Seeschiffahrt bef assen, weil auch dazu in letzter Zeit einiges behauptet worden ist. Man kann es, meine Damen und Herren von der SPD, kurz zusammenfassen: Wenn die Regierungskoalition alles das gemacht hätte, was Sie vorgeschlagen haben, gäbe es nicht ein einziges Schiff mehr unter deutscher Flagge. ({11}) Dann könnten wir uns alle Probleme der Seeschifffahrt schenken, weil es nämlich dann wirklich kein einziges Schiff mehr gäbe. Was hat sich der hochgeschätzte Kollege Manfred Richter und die Kollegen, die mit ihm zusammen das Zweitregister eingeführt haben, alles anhören müssen? Ich sage Ihnen hier und heute ganz klar: Das Zweitregister ist mit Sicherheit nicht alles, aber ohne Zweitregister gäbe es nicht ein einziges deutsches Schiff mehr. Dann hätten Sie auch keinen einzigen deutschen Seemann mehr, zumindest keinen mehr, der unter deutscher Flagge fährt und in Deutschland Steuern bezahlt. Das muß man endlich einmal akzeptieren. ({12}) Horst Friedrich Ich füge allerdings hinzu - das darf man als Politiker auch einmal deutlich sagen -: Die Hapag-Lloyd hat natürlich zu einem Zeitpunkt Beschlüsse bekanntgegeben - ({13}) - Nein, sie passen nicht ins Konzept. Das ist letztendlich eine unternehmerische Entscheidung. Man muß sich nur überlegen, was man macht und wie man es macht. Ich kann nicht auf der einen Seite beim Bundestag vorstellig werden und die Erhöhung der Finanzbeiträge einfordern - was wir gemacht haben -, um auf der anderen Seite zu erklären, das kratzt uns alles nicht. Dann braucht man sich auch nicht zu wundern, wenn bestimmte Quotierungen anders aussehen. Ich sage noch einmal: Es ist die unternehmerische Entscheidung eines jeden einzelnen. Nur, man muß dann auch die Konsequenzen tragen. ({14}) Wenn ich statt 3 Milliarden DM Kosten bei einem Schiff unter deutscher Flagge und mit deutscher Besatzung nur 1 Milliarde DM Kosten habe, wenn ich es komplett ausflagge, und 1,7 Milliarden DM, wenn ich es im Zweitregister anmelde, dann muß ich als Unternehmer zumindest nachdenken, weil ich auch eine Kapitaleignerseite zu bedienen habe. Aber man sollte sich zumindest überlegen, ob im Wettbewerb nicht auch das Zweitregister greifen kann. Allerdings - das füge ich hinzu -: Die Schiffahrtspolitik der F.D.P. hat sich nie immer nur auf die Finanzbeiträge bezogen. ({15}) - Diese harmlosen Zwischenrufe von den billigen Plätzen machen es von Ihrer Seite aus auch nicht besser. Liebe Freunde von der SPD, Sie haben es nun langanhaltend bewiesen, daß Sie es nicht können. Wir sind noch dabei, das Finanzministerium zu überzeugen, daß wir auch noch einen Montageerlaß für Seeleute brauchen. Das, was bei den Bauarbeitern schon gang und gäbe ist, das, was für deutsche Seeleute gilt, die auf ausländischen Schiffen fahren, wenn sie 180 Tage nicht in Deutschland sind, das muß auch für deutsche Seeleute möglich sein, die unter deutscher Flagge 180 Tage nicht in Deutschland arbeiten, sondern auf See sind. ({16}) - Ich weiß, daß Sie das nie begreifen werden. Trotzdem bleibe ich dabei: Das ist der richtige Weg. ({17}) - Wir arbeiten daran, liebe Kollegin Ferner. Wir set- zen auch das um. Wir haben bisher alles umgesetzt, was wir zugesagt haben. Zweifeln Sie nicht daran. Auch das wird hier noch laufen. „Der Haushalt 12, der Verkehrshaushalt, ist einer der großen Haushalte. " Mit „47 Prozent Investitionen" ist er „ein sehr wichtiger Haushalt", der „relevante Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat", sagte der Berichterstatter der SPD im Haushaltsausschuß, Hans-Joachim Hoffmann, in der Schlußdebatte zum Haushalt 1984 am 6. Dezember 1983. Wenn Sie sich die Daten des jetzigen Haushaltes anschauen, werden Sie feststellen, daß die Parameter im wesentlichen die gleichen sind. Nur Herr Wagner erzählt, das sei ein Armutszeugnis. Auch da sollte man vielleicht ab und zu in der Vergangenheit nachsehen, was gesagt worden ist. 1 Milliarde DM Investitionen sichert und erhält rund 15 000 Arbeitsplätze. Das ist das Ziel der F.D.P. bei den investiven Teilen des Verkehrshaushaltes. Wir sind von dieser Betrachtung ausgehend aus meiner Sicht zu einem angemessenen und ausgewogenen Mix gekommen. Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Die Bahn hat es bisher nicht geschafft, die ihr zur Verfügung gestellten Mittel auszugeben. Der anwesende Parlamentarische Staatssekretär Nitsch hat vor kurzem gesagt, es werden noch gewaltige Anstrengungen der Bahn nötig sein, um die ihr zur Verfügung gestellten Mittel auch tatsächlich auszugeben. Ich sage Ihnen voraus: Die 1995 der Bahn zur Verfügung gestellten investiven Mittel können, wenn über- haupt, nur unter großen Schwierigkeiten ausgegeben werden. Ich glaube es erst, wenn es geschehen ist. Liebe Kollegen von der SPD, Sie haben der Bahnreform zugestimmt. Wenn man sich den Haushalt des Verkehrsministers anschaut, dann wird man feststellen, daß 30 Milliarden DM von 51 Milliarden DM der Bahn zur Verfügung gestellt werden. Die Bahnreform kostet natürlich Geld. Ich kann nicht so tun, als wenn die 30 Milliarden DM, die zur Verfügung gestellt worden sind, und die Entschuldung am 1. Januar 1994 mit 70 Milliarden DM so einmal schnell aus der Hosentasche bezahlt werden können. Das muß eingestellt werden, das muß solide finanziert werden. Das kann man nicht, wie es manche getan haben, als hohles Geschwätz oder als Aufgabe der Politik des Vorrangs für die Schiene bezeichnen. Das ist doch alles blanker Unsinn. ({18})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Friedrich - Horst Friedrich ({0}): Nein. Was hätte es denn für Konsequenzen, wenn wir der Bahn heute den doppelten investiven Haushalt zur Verfügung stellen würden? Wäre dann tatsächHorst Friedrich lieh eine einzige Strecke mehr und schneller fertig gebaut? Nein. Eines ist auch klar. Die ganze Debatte über die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene, die teilweise sehr scheinheilig geführt wird, ist, wenn man die Potentiale und die tatsächliche Verteilung der Verkehre betrachtet, doch mehr oder weniger fürs Papier. Dreiviertel aller Verkehre, die in Deutschland stattfinden, sind Verkehre unterhalb der Nahverkehrsgrenze. Das ist auch nach eigener Einsicht der Bahn ein Verkehr, der nicht auf die Schiene verlagert werden kann. Ich kann der Bahn nicht par ordre du mufti oder durch andere Regularien Verkehre aufdrängen, die sie nicht bewältigt, sondern das Betriebsergebnis und das wirtschaftliche Ergebnis noch schlechter machen. Die Bahnreform war und ist ein richtiger Schritt. Sie ist noch lange nicht am Ende. Sie muß im Zweifel 1996 nach Einführung der Regionalisierung und nach entsprechender Betrachtung noch einmal auf den Prüfstand. Es wird mit Sicherheit noch einiges zu ändern sein, ob das nun die Fahrweg AG, das Netzmonopol oder die technische Ausstattung insgesamt betrifft. Eine Frage, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, muß die Bahn selbst beantworten. Wenn Herr Dürr erklärt - was aus meiner Sicht begrüßenswert ist - daß er bis 1998 25 Milliarden DM in Schienenfahrzeuge investieren will, dann ist das ein hehres Ziel. Aber das bedeutet auch, daß er pro Jahr rund 8 Milliarden DM ausgeben will. Wenn er sie nicht durch Neuverschuldung oder anderswo herbekommen will, muß er sie aus dem Cash-flow verdienen. Im Vergleich dazu hat die Lufthansa für die nächsten zehn Jahre ein Investitionsprogramm von 27 Milliarden DM, was einen Cashflow von 2,7 Milliarden DM pro Jahr bedeutet. Jürgen Weber denkt darüber nach, daß er den vielleicht nicht verdienen kann. Angesichts dieser Tatsache und bei einem Vergleich der Bilanz der Lufthansa mit der ersten Bilanz der Bahn stellt sich angesichts bestimmter Aussagen der Bahnleitung und des Managements die Frage, wo das Geld denn herkommt. Die F.D.P. wird dem vorgelegten Verkehrshaushalt mit den von ihr maßgeblich mit beeinflußten Änderungen zustimmen. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, Sie sollten es dem jeweiligen Redner nicht so schwer machen. Erstens könnte es beim nächsten Mal Sie selbst treffen. Zweitens riskieren Sie, daß die Debatte verlängert wird, und so lustig ist das nun auch wieder nicht. Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Winfried Wolf.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Oppositionsparteien, darunter die PDS, haben spätestens nach dem Eingeständnis der neuen 20-MilliardenDeckungslücke vor drei Wochen erklärt, daß der Etat von Herrn Waigel nicht seriös sei. Das läßt sich Einzeletat für Einzeletat und im folgenden für den Verkehrsetat auf drei Ebenen dokumentieren. Ganz obenauf, Herr Wissmann, haben Sie die Parole gestellt: Vorrang Schiene. Das hat natürlich, wie meine Kollegin Dagmar Enkelmann in der ersten Lesung schon gesagt hat, bereits bei dem ursprünglichen Verkehrsetat nicht gestimmt, weil konsequent Äpfel mit Birnen verglichen wurden. Jetzt verantworten Sie in der zweiten und dritten Lesung einen erneut erheblich umgebauten Verkehrsetat. Es erfolgten Kürzungen in einem Ausmaß, daß der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel, laut „Handelsblatt" von einem „Federstrich im Bereich der Verkehrsinfrastruktur" sprach, mit dem „rund 40 000 Arbeitsplätze aufs Spiel gesetzt" würden. Die „Deutsche Verkehrszeitung" bilanzierte am 31. Oktober, daß die gesamten Kürzungen im Verkehrsetat „von 2 Milliarden DM weniger als 1995 .. . bei der Bahn an Investitionsmitteln aus Bonn ... eingespart werden" sollen. Gleichzeitig stünden - so ebenfalls dieses Blatt - „für den Fernstraßenbau insgesamt 400 Millionen DM mehr, als im ursprünglichen Plan für 1996 vorgesehen, zur Verfügung". ({0}) Unsere Kollegin Elke Ferner hat den Griffel gespitzt und kommt zu dem Ergebnis: „Nur noch 4 Milliarden DM stehen für Neuinvestitionen in die Verbesserung der Schieneninfrastruktur zur Verfügung, für den Ausbau des Bundesfernstraßennetzes gibt es dagegen 8 Milliarden DM." Also: 1 : 2 „Vorrang Straße" bei den Investitionen und 1:0 „Vorrang Schiene" bei den Kürzungen. Mehr Investitionen in die Schiene soll es nur dann geben, wenn es noch mehr soziale Missetaten in diesem Bereich gibt, mehr Privatisierungen von Bahnwohnungen, noch mehr Belegschaftsabbau bei der Bahn und damit am Ende mehr Erwerbslose und steigende Mieten. Eine solche Politik, Herr Wissmann, schlägt sich in der realen Verkehrsentwicklung nieder. In diesem Bundestag postulierte einmal ein Verkehrsminister: „Immer mehr Güter rollen über die attraktiv gewordene Schiene." Das war Georg Leber 1968. Wie verlief die reale Entwicklung? Wir haben heute, im Jahre 1995, im vereinigten Deutschland ein Güterschienenverkehrsaufkommen von 59 Milliarden Tonnenkilometern, das sind 20 Prozent weniger als die Tonnenkilometerleistung im Jahr 1970 im wesentlich kleineren Westdeutschland. Auf der Straße erlebten wir jedoch im gleichen Zeitraum allein im Güterfernverkehr eine Verdreifachung der Transportleistung. Diese ständig zugunsten der Straße veränderte Verkehrsaufteilung wird auch mit dem 1996er Etat betrieben. Dr. Winfried Wolf Zur zweiten Ebene. Mit Ihrem Einzeletat, Herr Wissmann, werden gezielt Projekte finanziert, die sich nicht rechnen und die sich zum Teil als Investitionsruinen erweisen werden. Stichwort: Magnetbahn - dazu hat die Kollegin Kristin Heyne genug gesagt. Stichwort: Berlins Lehrter Zentralbahnhof - dazu wird hier noch viel zu sagen sein. ({1}) Stichwort: die 13,7 Milliarden DM teure Hochgeschwindigkeitsstrecke Nürnberg-Erfurt-Leipzig, mit der die weit preiswertere Alternative des Einsatzes von Neigetechnik und des Ausbaues bestehender Strecken gemieden, der Thüringer Wald zerschnitten und nebenbei, wie uns eben bestätigt wurde, mehrere Nebenstrecken in eben diesem Bereich ausgetrocknet und stillgelegt zu werden drohen, so Ilmenau-Großbreitenbach, Suhl-Schleusingen und Orlamünde-Pößneck. Doch greifen wir uns hier das neueste Lieblingsprojekt von Verkehrsminister Wissmann heraus: „Stuttgart 21". Stuttgarts Hauptbahnhof soll ein „Tuning" bekommen und für 5 Milliarden DM wie ein Opel Manta tiefergelegt werden, genau 12 Meter unter Normalnull. Begründet wird das unter anderem mit „Kapazitätsengpässen im jetzigen Kopfbahnhof" und mit „Zeitersparnissen". Damit, Herr Wissmann, verdummen Sie unseren gemeinsamen Volksstamm der Schwäbinnen und Schwaben. ({2}) Es freut mich, daß das kleine Buch, das unter anderem auch von mir zu „Stuttgart 21" soeben vorgelegt wurde, bereits beim Bahn-Vorstand eifrig diskutiert und studiert wird. Der heutigen Ausgabe der Ulmer „Südwestpresse" können Sie meine Stellungnahme dazu auch in Kurzfassung entnehmen. Sie lautet: Die Zeitgewinne, die angeblich mit „Stuttgart 21" verbunden sind, bewegen sich im Bereich von 0 bis 3 Minuten - dann, wenn beim Vergleich nicht der jetzige Zustand, sondern korrekterweise ein optimierter Kopfbahnhof gewählt wird. Was die Behauptung in bezug auf die Kapazitätsengpässe anbetrifft, so hat Ihr CDU-Parteifreund, gleichzeitig Mitautor unseres Buchs, Andreas Kleber, belegt: Im Jahre 1963, im ausgehenden Dampfeisenbahnzeitalter, gab es im Stuttgarter Kopfbahnhof noch 663 Zugbewegungen werktäglich. Heute sind es noch gut ein Drittel. Das heißt: Mehr als die Hälfte der Kapazitäten müßte frei sein. Ihr Ministerium hat dies soeben in Beantwortung meiner Kleinen Anfrage bestätigt. Dennoch sollen unter dem Stuttgarter Hauptbahnhof 5 Milliarden DM vergraben und in Beton gegossen werden, darunter Mittel aus dem Fonds des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes. Dritte und letzte Ebene: So gut wie alle Verkehrsprojekte im Wissmannschen Etat laufen auf vorgebliche Zeitersparnisse hinaus: Transrapid, Telematik, Hochgeschwindigkeit. Der Aufwand wird aber immer disproportionaler. Die „Süddeutsche Zei- tung" konstatierte für die Hochgeschwindigkeitsstrecke München-Nürnberg: „Jede Minute kostet 1,5 Milliarden". Die Kollegin Kristin Heyne nannte soeben noch krassere Zahlen: mehr Geld für wenige Sekunden Zeitgewinne. Nun ist es im realen Leben so, daß die Durchschnittsgeschwindigkeit in vielen Bereichen eher sinkt: Der schnelle Jet wird in Warteschleifen, das High-Tech-Auto im Stau und der Transrapid durch Langsamfahrt vom Stadtrand ins Zentrum entzaubert und entschleunigt. Es verhält sich wie beim Katalysator: Zuerst werden viele Gifte bzw. viel Geschwindigkeit produziert. Dann wird mit viel Aufwand gefiltert bzw. ausgebremst. Dabei geht es auch einfacher, vor allem umweltfreundlich und, nebenbei gesagt, preiswerter. Um dies von der passenden Stelle gesagt zu bekommen, sollten Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Christenpartei und sehr geehrter christlich-sozialer Kollege Kalb, bei Misereor anrufen. Dort liegt druckfrisch die heute bereits in der Umweltdebatte diskutierte Studie „Zukunftsfähiges Deutschland" vor. Ein zentraler Aspekt darin ist die Forderung nach einer Entschleunigung der Gesellschaft. Das Prinzip des „immer schneller" wird von Misereor als zerstörerisch und umweltunverträglich kritisiert. Jede weitere Inanspruchnahme von Verkehrsflächen müsse, so die Studie, gestoppt werden. Auch müßten Straßen teilweise zurückgebaut oder in Fahrrad- und Schienenwege umgewidmet werden. Doch was dokumentiert statt dessen der Verkehrsetat? Im Haushalt 1996 sind allein im Fernstraßenbereich Neubauvorhaben mit einer Gesamtlänge von, wenn wir richtig gezählt haben, 2 899 Kilometern vorgesehen. Zusammengerechnet mit dem Straßenausbau sind es sogar 4 943 Kilometer, die aus- bzw. neuzubauen sind. Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident Burkhard Hirsch! Wie einigen von Ihnen aus meiner letzten Rede im Plenarsaal zum Thema Magnetbahn erinnerlich, ist die russische Bezeichnung für diejenigen, welche in Sachen Verkehrsbetonpolitik die Mehrheitsauffassung durchsetzen, mit der Würde dieses Hauses nicht vereinbar. Der entsprechende Ordnungsruf, den ich hier entgegennehmen mußte, soll natürlich unkommentiert bleiben. Ich möchte jedoch am Ende meiner Rede den Verkehrsplaner Walter Molt zitieren, der schrieb: Der Beton, der sich über die Landschaft ergießt, hat sich längst in den Köpfen der für Verkehr Verantwortlichen festgesetzt. Zu ergänzen ist hier nur: Aus einer solchen Betonpolitik besteht das bröselnde Mengengerüst des Verkehrsetats 1996. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Das Wort hat nun der Bundesminister für Verkehr, Matthias Wissmann. Matthias Wissmann, Bundesminister für Verkehr ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Verkehrshaushalt bleibt auch im Jahre 1996 mit über 23 Milliarden DM an Investitionen und einer Investitionsquote von fast 46 Prozent größter Investitionshaushalt des Bundes. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder, der gerade die Bedeutung der Verkehrsinvestitionen für Arbeitsplätze und bauwirtschaftliche Entwicklung in einer schwierigen baukonjunkturellen Phase kennt, weiß, wie wichtig es ist, daß es auch dank der Beratungen im Haushaltsausschuß gelungen ist, die Investitionen gegenüber dem Ansatz noch zu erhöhen. Mein erster Dank gilt heute den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuß, insbesondere den Berichterstattern - ich betone: aller Fraktionen -, natürlich aber auch den Kollegen im Verkehrsausschuß. Ich fand, daß wir eine kollegiale Arbeit gemacht haben. Ich danke auch meinen tüchtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Verkehrsministerium, ({2}) die heute abend um 22.40 Uhr aus allen wichtigen Abteilungen präsent sind. Sie verstehen sicher, daß man ohne eine gute Mannschaft auch keine gute Politik machen kann. ({3}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Haushaltsentwurf spricht eine deutliche Sprache. Für die Eisenbahnen des Bundes geben wir 30 Milliarden DM aus, davon 7,7 Milliarden DM für Investitionen, die wir noch durch besondere Maßnahmen erheblich verstärken. Für Bundesfernstraßen geben wir 10 Milliarden DM aus, davon 8,1 Milliarden DM für Investitionen. Für Bundeswasserstraßen geben wir 2,8 Milliarden DM aus, davon 1,1 Milliarden DM für Investitionen. Für die Verbesserungen der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden haben wir nahezu ausnahmslos Investitionen in Höhe von 6,3 Milliarden DM. Mit anderen Worten: Wir setzen bei leichten Einbußen die Investitionspolitik der letzten Jahre auf hohem Niveau fort. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mancher mag sich vielleicht in diesem Kreis daran erinnern, daß wir vor etwa genau sechs Jahren um etwa dieselbe Stunde, etwa um 20.40 Uhr, im Wasserwerk zusammen waren, um, beeindruckt vom Moment der Maueröffnung, gemeinsam das Deutschlandlied zu singen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, daß wir sagen können, daß wir nicht nur im Verkehrsbereich, aber natürlich auch im Verkehrsbereich den Gedanken des Zusammenwachsens unseres Landes auch in den konkreten Zahlen und Fakten des Haushaltes gerecht werden. Die Verkehrsprojekte deutsche Einheit, der Aufbau der Verkehrswege in den neuen Bundesländern haben im Haushalt meines Vorgängers Günther Krause, haben aber auch in den gesamten letzten Haushalten eine herausragende Rolle gespielt. Ich sage hierzu, sie werden auch in kommenden Jahren die herausragende Rolle bei den Verkehrsinvestitionen des Bundes bilden. Mehr als 50 Prozent unserer Gelder für Schienen-, Straßen- und Wasserwege gehen in den kommenden Jahren in die neuen Bundesländer. Damit werden wir dem Anspruch gerecht, den wir uns damals vor sechs Jahren geschworen haben, ({5}) nämlich alles zu tun, um das Zusammenwachsen Deutschlands zu ermöglichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das bedeutet für den Schienenbereich, daß wir den Dreijahresplan Schiene 1995, 1996, 1997 in dem vorgesehenen Umfang angehen. Das heißt konkret: Wir werden noch vor Ende des Jahres das dritte Schienenprojekt deutsche Einheit für den Verkehr freigeben. Alle drei Projekte, die dann fertig sein werden, sind Schienenprojekte. ({6}) Wir werden, liebe Kolleginnen und Kollegen, bis zur Mitte des kommenden Jahres das letzte nicht begonnene Schienenverkehrsprojekt deutsche Einheit - Nürnberg, Erfurt, Halle, Leipzig - endlich, sage ich, im Bau beginnen können, weil wir wissen, daß es eine strategische Verkehrsverbindung für ganz Deutschland ist. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn es Widerstände gibt: So wie ich mich zu den Schienenprojekten bekenne, bekenne ich mich auch zu den wichtigen, ökologisch verträglichen Straßenbauprojekten. ({8}) Es wird vor Ende des Jahres den Baubeginn der Ostseeautobahn in Vorpommern geben. ({9}) Wir werden bis zur Mitte des kommenden Jahres den Baubeginn der Waldautobahn in Thüringen erleben. Mir kommt es darauf an, daß wir nicht nur reden, sondern daß wir handeln, weil wir wissen: Die Infrastruktur ist die Bedingung des weiteren wirtschaftlichen Aufbaus. Eine ökologisch verträgliche InfraBundesminister Matthias Wissmann strukturentwicklung muß am Ende auch durchgesetzt werden, selbst wenn es Widerstände gibt, ({10}) von denen ich sehr wohl weiß, daß wir sie immer wieder erleben werden. Bei den Schieneninvestitionen haben wir bei allen planerischen Unwägbarkeiten die Finanzierung im Kern gesichert. Die Bundesregierung wird die Schieneninvestitionen in den kommenden Jahren durch folgende Maßnahmen erheblich verstärken. Erstens. Durch Investitionseinsparungen und Erlöse bei der Bahn AG in den Bereichen Telekommunikation und Bahnstrom werden wir über eine Mehrjahresstrecke in Milliardenhöhe zusätzliche Investitionen mobilisieren können, übrigens eine Möglichkeit, die wir ohne die Bahnreform nie gehabt hätten. Zweitens. Durch Mehrerlöse aus dem Verkauf nicht bahnnotwendiger Immobilien durch die DB AG werden wir ebenfalls einen wesentlichen Beitrag zur Investitionsverstärkung leisten können. Drittens. Durch Verwendung außerordentlicher Erträge der Bahn AG werden wir ebenfalls die Investitionen verstetigen. Ich kann heute sagen: Mit dieser Strategie sichern wir die Verwirklichung aller wesentlichen Teile des Dreijahresplans Schiene für die Jahre 1995 bis 1997 und stehen damit zu den eingegangenen Zusagen. ({11}) Ich sprach schon von den Straßeninvestitionen. Wenn gegen die Straßeninvestitionen gelegentlich polemisiert wird, dann muß man wissen, daß weit mehr als die Hälfte aller Straßeninvestitionen in Ortsumgehungen, in den Lärmschutz für betroffene Bürger geht. Wenn ich dank der Entscheidungen des Haushaltsausschusses, die im Endeffekt 400 Millionen DM Verstärkung der Straßenbaumittel gegenüber dem ursprünglichen Ansatz bedeuten, in über 30 Fällen die Möglichkeit schaffen konnte, den für 1995 und 1996 vorgesehenen Baubeginn durchzuführen - ich bin den Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen für die große Unterstützung in dieser Frage mehr als dankbar -, dann hat das dann am Ende, wenn wir gebaut haben werden, auch konkreten Bürger- und Lärmschutz zur Folge. ({12}) Ich finde, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, Sie sollten nicht nur vor Ort die einzelne Ortsdurchfahrt fordern und dann, wenn sie kommt, feiern, sondern Sie sollten mit uns am Ende auch hier bereit sein, den Kopf hinzuhalten für den Straßenbau, dann, wenn der Wind weht, und nicht nur dann, wenn vor Ort der Beifall erschallt. Ich jedenfalls bin froh, daß wir beispielsweise die Mehreinnahmen aus der von uns durchgesetzten Lkw-Gebühr unmittelbar nach der Entscheidung des Haushaltsausschusses bis zu einer Höhe von 100 Millionen DM für die Verstärkung der Straßenbauinvestitionen nutzen können. Ein besonders aktueller Punkt, der heute angesprochen worden ist, ist die Schiffahrtsförderung. Hier hat der Haushaltsausschuß in der Tradition früherer Jahre eine Verstärkung der Mittel von 40 auf 100 Millionen DM vorgenommen und damit einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, in einem hart umkämpften Weltmarkt die deutsche Flagge unter schwierigsten Bedingungen auch in Zukunft zu sichern. Ich will hier nicht an den kritischen Fragen vorbeigehen und will sagen: Der Fall Hapag-Lloyd, der vorhin angesprochen worden ist, Herr Kollege Wagner, hat zwei Seiten. Einerseits - das sage ich auch hier ganz klar; das haben wir in den letzten Tagen auch den Firmenvertretern klar gesagt - sind wir der Meinung, daß die Firmen sehr genau überlegen sollten, was sie in einer Situation, in der alle Anstrengungen der Politik darauf gerichtet sind, Schiffahrtsförderung bei knappen Mitteln zu ermöglichen, tun können, um die Flagge zu sichern. Auf der anderen Seite - das muß aber mit der gleichen Deutlichkeit gesagt werden - kann man nur begrüßen, wenn jetzt Stimmen aus dem DGB und der ÖTV - ich sage: endlich - bereit sind, sich auf das Angebot des Zweitregisters, das wir gegen heftigen Widerstand geschaffen haben, einzulassen ({13}) und damit die deutsche Flagge auch bei einem Unternehmen wie Hapag-Lloyd in der Zukunft zu sichern. Ich sage es ganz klar für die Bundesregierung: Unser Ziel ist, daß es nicht zur Ausflaggung kommt, sondern daß dort, wo notwendig, die Chance des Zweitregisters ergriffen wird, um auch in Zukunft unter deutscher Flagge Schiffahrt betreiben zu können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, daß auch die großen Technikprojekte umstritten bleiben. Wir haben das in früheren Debatten gespürt. Aber ich frage auch: Was für eine Politik, was für eine Industriepolitik, was für eine Wirtschaftspolitik und was für eine Verkehrspolitik, Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von den Grünen, stehen eigentlich hinter der Vorstellung, das Transrapid-Projekt doch noch abtöten zu wollen? Vor wenigen Wochen hörten wir aus Japan die Nachricht, daß die Japaner jetzt alle Anstrengungen darauf richten, einen Probebetrieb einer Magnetschwebebahn vorzubereiten. Sie nahmen und nehmen insgesamt fast 5 Milliarden DM in die Hand, um ein Magnetschwebebahnprojekt voranzubringen. Wir haben 20 Jahre lang geforscht, wir haben getestet und entwickelt, wir haben gemeinsam zweieinhalb Milliarden DM aus Industrie und Politik in den Transrapid gesteckt. Es wäre ein Schildbürgerstreich, Bundesminister Matthias Wissmann wenn wir in einem internationalen Wettbewerb um Schienen- und Magnetbahnsysteme jetzt nicht den Mut hätten, ein Projekt zwischen Hamburg und Berlin in die Realität umzusetzen. ({14}) Die Entscheidung wäre industrie- und beschäftigungspolitisch kontraproduktiv. Die letzte Frage dieser Art haben wir schon einmal in einer früheren Debatte diskutiert: Wie will die Sozialdemokratie eine neue, eine aufgeschlossene und eine unter der Flagge der Modernisierung laufende Wirtschaftspolitik glaubwürdig begründen, wenn Herr Voscherau für den Transrapid votiert und arbeitet, wenn die Bundestagsfraktion bis heute keine klare und eindeutige Position zu diesem wichtigen technischen Projekt beschlossen hat? ({15}) Meine Damen und Herren, wenn Sie im Grundsatz zur Technik ja sagen, ({16}) aber immer dann, wenn Ihnen der innerparteiliche Wind um die Ohren pfeift, kneifen, dann werden Sie keine glaubwürdige wirtschafts- und industriepolitische Strategie entwickeln können. ({17}) Ich kann nur sagen: Lernen Sie von Tony Blair aus Großbritannien, der in seiner eigenen Partei um eine modernere wirtschaftspolitische Ausrichtung kämpft! Wenn Sie vor den Fragen, die in Ihren eigenen Reihen gestellt sind, immer wieder kneifen, um das kleinste gemeinschaftliche Vielfache in den eigenen Reihen zu formulieren, dann versagen Sie vor der riesigen wirtschaftspolitischen Aufgabe, für Beschäftigung und Arbeitsplätze große Technikprojekte durchzusetzen. ({18}) Wir bleiben bei dieser Linie. Wir sehen Verkehrspolitik in ihrem wirtschafts- und umweltpolitischen Zusammenhang. Wir wissen, daß der größte Investitionshaushalt des Bundes sich dieser Herausforderung auch in Zukunft stellen muß. ({19})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Annette Faße.

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister! Ich habe mit Erstaunen festgestellt, daß es Ihre recht große Presseabteilung nicht geschafft hat mitzuteilen, daß Sie neue Nebenerwerbsquellen gefunden haben. Ich habe ebenfalls festgestellt, daß Sie jetzt zu den Zauberern und Wahrsagern gehören. Ich denke, das wäre bei Ihrer großen Presseabteilung eine Botschaft gewesen. Sie haben gezaubert: 400 Millionen DM für den Straßenbau. Sie sind für mich ein Wahrsager angesichts der Einnahmen, die Sie für die nächsten Jahre angekündigt haben. Es ist schon erstaunlich, daß die jahrelange Forderung der SPD nach Geldern für Lärmschutz Ihre Fähigkeiten nicht zum Vorschein gebracht hat. Das wäre doch einmal etwas gewesen. ({0}) Meine Damen und Herren, die Verkehrswegepläne sind hoffnungslos unterfinanziert, und diese Koalition hat nicht den Mut, eine realistische Planung vorzulegen, und das nur, damit kein Abgeordneter ohne Verkehrsprojekt nach Hause fährt. Wahrheiten helfen uns weiter, Verschleierungen überhaupt nicht. Wir haben im Verkehrsausschuß Vorschläge gemacht, wie der Verkehrsetat auf eine solide Grundlage zu stellen ist. Wir wollen, daß der Etat des Verkehrsministeriums von den Belastungen befreit wird, z. B. von der Refinanzierung privat finanzierter Verkehrsprojekte. ({1}) Wir wollen, daß ein Teil der Folgekosten der Bahnreform in den allgemeinen Verwaltungshaushalt des Bundes gebracht wird, wo er richtigerweise hingehört. Wir wollen die Aufstockung der Schienenbaumittel, um wirklich und ehrlich für die Bahn einzutreten, und wir wollen einen Teil davon endlich für die Lärmsanierung an bestehenden Schienenstrecken haben. ({2}) Dazu wurden ausreichend Deckungsvorschläge von uns gemacht. ({3}) Das ist also nicht aus der hohlen Hand gegriffen: Sparsamkeit bei den sächlichen Verwaltungsaufgaben, Streichung der Propagandamittel für die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit", Streichung der Mittel für Transrapid und nicht zuletzt der Verzicht auf einen zweiten Parlamentarischen Staatssekretär. ({4}) Es ist nicht seriös, den Verkehrshaushalt auf dem Rücken künftiger Generationen zu finanzieren. Das sieht nach einem Minister auf Durchreise aus, der nach dem Motto verfährt: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern in meinem Job von morgen." ({5}) Die Privatfinanzierungen der Straßenprojekte sind verantwortungslos. Das hat Ihnen der Bundesrechnungshof hinter die Ohren geschrieben. ({6}) Annette Faße Die Streckungen der Verkehrspläne auf den SanktNimmerleins-Tag erzeugen Erwartungen, die Sie überhaupt nicht erfüllen können. Legen Sie doch endlich einen realistischen Dreijahresplan zum Schienenwegeausbau vor! ({7}) Die Beamten Ihres Ministeriums sind sehr wohl in der Lage, für jedes einzelne Projekt eine Beurteilung abzugeben. Sie hätten Ihrem Staatssekretär einen mehr als peinlichen Auftritt in unserer Fragestunde ersparen können. ({8}) Das wäre wirklich sehr menschlich gewesen. Aber es ist für uns unredlich, wenn auf diesem Plan beharrt und einfach argumentiert wird: Dann machen wir danach einen neuen Fünfjahresplan. - Wir wollen jetzt konkret wissen, was mit den einzelnen Maßnahmen geschieht, und wir werden Sie da auch nicht aus der Verantwortung lassen. ({9}) Vielleicht ist ja Ihre große Pressestelle eifrigst damit beschäftigt, Ihnen vorzugaukeln, daß nun alles mit Erfolg gesegnet ist, und vielleicht wäre es ganz sinnvoll, so eine Art Minister-Controlling einzuführen. Ich dachte, der Kanzler wäre heute schon das Minister-Controlling, weil er anwesend war und genau aufpassen mußte, was Sie tun oder was Sie nicht tun. Ich meine, das war ein Zeichen, daß Sie dieser Richtung vielleicht gar nicht so abgeneigt sind. Es wäre schon mal wichtig zu überprüfen, wann welche Aussagen eintreffen. Jetzt bin ich natürlich bei der Seeschiffahrt. Sie - der Minister - haben sich ins Zeug gelegt und sogar eine Aufstockung der Mittel auf 120 Millionen DM gefordert. Und dann stehen im Haushaltsentwurf nur noch 40 Millionen DM, die schließlich nach gemeinsamen Bemühungen aller Fraktionen wieder auf 100 Millionen DM hochgesetzt werden. ({10}) Es kann doch nicht notwendig und sinnvoll sein, daß wir hier jedes Jahr wieder um die Höhe der Finanzhilfen kämpfen müssen. Die deutsche Seeschiffahrt braucht einen festen Rahmen. Sie muß wissen, woran sie sich binden und wonach sie sich richten kann. ({11}) Dieses Spiel ist im nächsten Jahr nicht zu wiederholen. Hier gilt es frühzeitig Signal zu geben. Die deutsche Seeschiffahrt darf nicht zur Disposition stehen. Das kann nicht wahr sein. Die maritime Wirtschaft hat eine Schlüsselposition in Deutschland, und es gilt, sie zu unterstützen. Und schließlich, Herr Minister, Sie kennen ja auch die Entschließung des Bundesrates und des Verkehrsausschusses des Bundestages und den Expertenbericht zur Sicherung der Standortbedingungen der maritimen Wirtschaft in Deutschland. Sie kennen auch den einstimmigen Beschluß des Verkehrsausschusses. Ich erwarte, daß wir nun alle gemeinsam diesen Entschließungsantrag auch einbringen werden. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, die steuerlichen Wettbewerbsnachteile gegenüber konkurrierenden Handelsflotten nachhaltig abzubauen, die Finanzbeiträge im Jahre 1996 mit 120 Millionen DM weiter zu gewähren, Lohnsteuerermäßigungen für Seeleute zu überprüfen, die Förderung der deutschen Handelsflotte vom Führen der deutschen Flagge abhängig zu machen und mehr für die Ausbildung des seemännischen Nachwuchses zu tun. Die Menschen an der Küste, Herr Minister, verstehen dieses Hin und Her nicht. Sie brauchen Zuverlässigkeit in der Schiffahrtspolitik. Sonst können wir die deutsche Handelsflotte vergessen. ({12}) Ich glaube, es wäre zu einfach - wir machen es Ihnen auch nicht so einfach - zu sagen: Das ist eine unternehmerische Entscheidung von Hapag Lloyd. Hier geht es um die deutsche Handelsflotte. Wenn wir im Lohnsteuerbereich nicht umgehend handeln, dann hat diese Handelsflotte in unserem Land keine Chance mehr. ({13}) Auch das Zweitregister wird sie nicht retten. ({14}) Ich fordere Sie auf zu handeln, ganz besonders bei den Lohnsteuersenkungen für die Schiffahrt. Herr Wissmann hat am 5. September, also vor der ersten Lesung des Haushalts, angekündigt, er bereite eine Steuersenkung vor. Am 4. November war das alles natürlich nichts mehr. Kaum Hoffnung für Reeder. Dieses Thema werde die Bundesregierung erst dann aufgreifen, wenn Finanzhilfen und Steuervergünstigungen für die Seeschiffahrt auslaufen oder wegfallen. Herr Friedrich, ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Sie haben uns an Ihrer Seite beim Einsatz für einen Montageerlaß. ({15}) Nun zu einem Punkt, der mich seit gestern abend langsam vom Hocker geholt hat. Die SPD begrüßt das Zeichen, für die Charterung eines leistungsfähigen Hochseeschleppers 3 Millionen DM einzustellen. Das war sehr mühevoll. Die Politiker von der Küste mußten ganz schön ackern, um überhaupt dieses Zeichen zu bekommen. Jetzt kann man sich ja einmal überlegen, ob das reicht. Ich sage: Es reicht nicht für die ganzjährige Versorgung mit einem Hochseeschlepper. Dafür brauchen wir mindestens 6 bis 7 Millionen DM. Annette Faße Vielleicht zaubern Sie diesen Betrag ja noch hervor. Bei 400 Millionen DM in einem anderen Bereich hat es geklappt; vielleicht geht es auch bei dieser Summe. Mit den 3 Millionen, die im Haushalt eingestellt sind, könnte man ein Schiff chartern, das nur im Frühjahr und im Herbst zum Einsatz kommt; es handelt sich nämlich genau um die Hälfte der Summe, die nötig wäre. Oder könnte es vielleicht sein - dies ist bei einem gecharterten Schiff schon jetzt der Fall -, daß diese Regierung auf die Idee kommt, Schiffe aus dem internationalen Zweitregister national einzusetzen? Die Idee ist ja nicht so weit hergeholt. Das Schiff „Manta" ist im internationalen Zweitregister eingetragen und für die Bundesrepublik im Einsatz. ({16}) Ich habe angesichts dieser Praxis große Sorgen, aus rechtlichen Gründen. Es fährt unter internationalem Register. Das heißt, daß das Schiff die überwiegende Zeit im internationalen Verkehr fahren muß. Das geht nicht, wenn der Schlepper ganzjährig vor unserer Küste eingesetzt ist. Das aber erwarte ich. Bei der „Manta" mag das dieses Jahr noch aufgehen; ich weiß nicht, wer den Zuschlag bekommen wird. Aber wir von der Küste legen Wert darauf, daß ein Schiff gechartert wird, das im Erstregister eingetragen ist und die Sicherheit an der Küste ganzjährig garantiert. Ich hoffe, daß das Ministerium in diesem Sinne entscheiden wird. ({17}) Es ist klar, daß die Binnenschiffahrt bei meinem Thema nicht zu kurz kommen darf. Das 100-Millionen-Programm des Verkehrsministers ist längst eine Sterbehilfe für die Binnenschiffahrt geworden - ein peinlicher Mißerfolg. ({18}) Die Ausbildungskomponente wurde auf EU-Ebene sehr schnell geopfert. Die Partikuliere haben keine Chance, überhaupt mit Anträgen aufzuwarten. Ein Antrag - mit einem Volumen von 4,7 Millionen DM - ist bisher behandelt worden. Die Banken machen für die Partikuliere zu. Herr Waigel wird sich freuen, wenn er das Geld zurückbekommt. Unseren Partiku-lieren ist damit aber nicht geholfen. Ich stelle an dieser Stelle noch einmal die Frage nach der Abwrackaktion auf EU-Ebene. Es ist völlig unverständlich, warum dieses Land gegen EU-Mittel für die Binnenschiffahrt zum Abwracken gestimmt hat. Die Antwort würde mich schon sehr interessieren. Herr Minister, das war alles nicht viel. Die Binnenschiffer sind tief enttäuscht. Die 100 Millionen DM an Soforthilfe, womit Sie durchs Land gezogen sind, können Sie dann dem Waigelschen Haushalt zuführen. Von Innovation für die Binnenschiffahrt ist nichts zu merken. Vielleicht denken Sie auch darüber einmal nach. Wir alle vermissen schmerzlich, daß auch dieser Haushalt wieder keine Trendwende ist und daß er auf Kosten der zukünftigen Generationen aufgestellt worden ist. Wir sehen nichts von einem Gesamtverkehrskonzept mit ökologischen Kriterien. Wenn die Vernunft nicht Ihr Ratgeber ist, dann sollte es wenigstens die Haushaltsknappheit sein, die Sie zum Nachdenken und Umdenken zwingt. Ein „Weiter so" ist mit uns nicht machbar. ({19})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun bekommt der Abgeordnete Dr. Hermann Kues das Wort.

Dr. Hermann Kues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Faße, Sie kommen genauso wie ich aus Niedersachsen. Ich glaube, man kann heute nicht mehr ernsthaft Politik in der Weise machen, daß man sich hinstellt und sagt: Hierfür müßten noch ein paar Millionen her, dafür müßten noch ein paar Millionen her. Ich glaube, die Kunst ist doch eigentlich, daß man, wenn man begrenzte, wenn man knappe Mittel hat, damit eine vernünftige Politik macht. ({0}) Was Sie vorgetragen haben, kann ich deswegen nicht ernst nehmen, weil ich glaube, die gesamte verkehrspolitische Debatte leidet an Scheinheiligkeit. ({1}) Wenn Sie einmal einen Blick nach Niedersachsen werfen, dann erkennen Sie - es lohnt sich ja immer, über konkrete Dinge zu reden -, daß die ÖPNV-Mittel des Landes auf Null zurückgefahren worden sind. ({2}) Wenn Herr Ministerpräsident Schröder durchs Land zieht und beispielsweise in Bad Bentheim - das ist zufällig auch mein Wahlkreis - ein Güterzentrum einweiht und dafür Fördermittel in Höhe von 7,9 Millionen DM in Aussicht stellt, dann sind das ohne jede Ausnahme Fördermittel aus dem GVFGTopf des Bundes. Niedersachsen hat seine Mittel auf Null zurückgefahren. ({3}) An sich wollte ich mich mit dem ersten Redner beschäftigen, der sehr schnell gesprochen hat. Ich werde versuchen, etwas langsamer zu reden und mich dadurch mit dem einen oder anderen Gedanken verständlich zu machen. Ich glaube, es lohnt, sich bei jedem Fachbereich zu vergegenwärtigen, Dr. Hermann Kues worauf es eigentlich ankommt. Es kommt auf folgendes an - das ist die Kernfrage -: Wie schaffen wir es bei knappen Mitteln, unsere Angelegenheiten so zu organisieren, daß wir ohne wesentliche Einschränkungen unserer Mobilität einen auch ökologisch zu verantwortenden Verkehr hinbekommen. Es hat wenig Zweck, hier Glaubenskriege zu führen und den Eindruck zu erwecken, als könne man heute noch ernsthaft über Schiene oder Straße diskutieren oder als könne man ernsthaft über ÖPNV oder Individualverkehr streiten. ({4}) Die Kunst ist doch, daß man wirtschaftliche Aspekte - Verkehr hat eine wirtschaftliche Bedeutung - und ökologische Aspekte zusammenführt. Das fängt eigentlich erst dort an, wo man Konzepte entwickelt, die nicht nur für den Ballungsraum tragfähig sind, sondern auch für den ländlichen Raum passen. ({5}) Eine ungeordnete, drastische Erhöhung der Mineralölsteuer wäre für den ländlichen Raum sowohl wirtschaftlich wie auch von den Lebensverhältnissen her eine Katastrophe. ({6}) Ich weiß - das wird keiner bestreiten können -, daß in den vergangenen Jahrzehnten der Verkehr rapide, ja fast explosionsartig zugenommen hat. Gerade deshalb glaube ich auch, daß es bei der bisherigen Entwicklung nicht bleiben darf, sondern daß neue Wege beschritten werden müssen. Um so unverständlicher ist es, daß Sie sich etwa auf neue Entwicklungen wie den Transrapid nicht einlassen. Ich komme aus einer Region, wo der Transrapid eine Achterschleife dreht. ({7}) Sie glauben doch nicht ernsthaft, daß man einem ausländischen Interessenten, der nach unserem Konzept fragt, klarmachen kann, daß wir den Transrapid haben, der in einer Achterschleife läuft, wir das Transrapid-Projekt aber nicht realisieren wollen. So können Sie keinem klarmachen, daß das eine lohnende Technologie ist, die wir auf dem Weltmarkt auch vermarkten und verkaufen wollen. ({8}) Ich glaube, daß niemand die Augen davor verschließen kann, daß in Deutschland mittlerweile der Umweltschutz integraler Bestandteil der Verkehrspolitik geworden ist. Das kann man auch mit Zahlen belegen. Die Jahresbeträge, etwa für Bepflanzungs-, Ausgleichs- und Aufforstungsmaßnahmen an Bundesfernstraßen, belaufen sich ein- schließlich der Mittel für die Grün- und Biotoppflege mittlerweile auf Hunderte von Millionen DM. Ich zähle dazu auch den Radwegebau an Bundesfernstraßen. Auch dieser gehört zu den umweltrelevanten Maßnahmen. Bis heute sind immerhin fast 1,5 Milliarden DM aus dem Verkehrshaushalt dort hineingeflossen. Ich weiß nicht, ob dies alles ausreicht, um den Ansatz zur Bewahrung der Schöpfung wirklich umzusetzen. ({9}) Aber ich denke, wir müssen an diese Aufgabe herangehen, um dem Auto und dem Individualverkehr eine sichere Zukunft zu geben, nicht um sie weiter zu verteufeln, zumal es sehr viel Scheinheiligkeit gibt. Längst nicht alle, die diese Fragestellungen thematisieren, sind in ihrem persönlichen Verhalten entsprechend konsequent. ({10}) Ich könnte das weiter präzisieren und erläutern. Der eine oder andere weiß, was ich damit meine. ({11}) Man kann Verkehr auch nicht unbedingt nur aus der Zahl der zugelassenen Autos ablesen. Der Stau als besondere Form des ruhenden Verkehrs bewirkt in Deutschland pro Jahr das Verbrennen von nahezu 14 Milliarden Litern Benzin, und zwar nutzlos. Diese Verbrennung produziert viele Tonnen Kohlendioxid und Kohlenmonoxid. Aber ich sage auch: Wir können diesen Stau vermeiden, ({12}) wenn es uns gelingt, den Verkehr flüssig zu halten. ({13}): Ja, mit mehr Straßen!) Dazu gehören an bestimmten, als neuralgisch erkannten Punkten ({14}) auch neue und breitere Straßen. ({15})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, ich muß Sie einen Augenblick unterbrechen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es hat so keinen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Sinn. Sie geben dem Redner keine Chance, hier seine Gedanken wirklich auszuführen. Ich muß Sie um etwas mehr Ruhe bitten.

Dr. Hermann Kues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu Straßenlücken machen. Straßenlücken sind haushälterisch ein Stück hinausgeworfenes Geld auf Zeit. Nur teilweise fertiggestellte Abschnitte sind immer auch ein Stück Investitionsruine. Ich meine deshalb, daß Projekte, die begonnen worden sind, auch zügig zu Ende geführt werden müssen. ({0}) Ich kann die Belastungen der Menschen sehr gut nachempfinden, weil ich die Situation aus meinem Wahlkreis kenne, in dem die Lückenschließung bei der A 31 schon meine Vorgänger beschäftigt hat. Beinahe täglich erlebe ich vor Ort Beispiele, wie negativ sich das fehlende Autobahnstück auf den Wirtschaftsstandort der Region auswirkt. Als Niedersachse bin ich froh, daß wenigstens der Bund sich für die verkehrliche Entwicklung dort verantwortlich fühlt, wo die Landesregierung unter Herrn Schröder nahezu gar nichts anbietet und man dies nur als eine Kombination aus Desinteresse und Roßtäuscherei bezeichnen kann. ({1}) Ich habe das Beispiel ÖPNV genannt. Von rund 450 Millionen DM an GVFG-Mitteln kommen gerade noch 100 Millionen DM dem kommunalen Straßenbau zugute. Der ländliche Raum ist mehr oder weniger völlig abgekoppelt. ({2}) Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zum Thema Wasserstraßen. Ich halte es für erforderlich, daß in Zukunft über das jetzige Maß hinaus der weitere Ausbau des Kanalnetzes bedacht wird. ({3}) Besonders die Nord-Süd-Achse verdient nach meiner Meinung mehr Aufmerksamkeit. Ich plädiere deshalb auch an dieser Stelle nachdrücklich für das Offenhalten der Option des Ems-Seitenkanals in Verbindung mit dem Ausbau der Ems-Achse zu einem transeuropäischen Verkehrskorridor. Die transeuropäischen Strecken, wie sie jetzt geplant sind, berücksichtigen nach meiner Ansicht nur ungenügend die entwicklungsträchtigen Regionen Nordwestdeutschlands. Im europäischen Verkehrsnetz gibt es diese Regionen praktisch gar nicht. Alle Lösungsvorschläge zur Verkehrsvermeidung - angefangen bei der Mineralölsteuer bis hin zu anderen Vorschlägen - sind dann zum Scheitern verur- teilt, wenn sie die spezifischen Probleme der Fläche nicht berücksichtigen. Ich fordere nachdrücklich eine differenzierte Betrachtung von Ballungsräumen und ländlichen Räumen ein. ({4}) Ich meine, daß der Haushaltsausschuß die schwierige Aufgabe hatte, trotz des allgemeinen Sparzwanges einen zielgerichteten Haushalt zu verabschieden und Prioritäten zu setzen. Ich finde, daß dieses so gut gelungen ist, daß normalerweise auch Sie von der Opposition sich überlegen müßten, ob Sie dem Haushalt nicht zustimmen. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit schließe ich diese außerordentlich lebhafte Aussprache. Wir kommen nun zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu den drei Änderungsanträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Zuerst stimmen wir über den Änderungsantrag auf Drucksache 13/2889 ab. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD abgelehnt. Dann kommen wir zum Änderungsantrag auf Drucksache 13/2890. Wer für diesen Änderungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Änderungsantrag mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt worden ist. Dann kommen wir zur Drucksache 13/2924. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Änderungsantrag mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt worden ist. Wir stimmen nun über Einzelplan 12 in der Ausschußfassung - Drucksache 13/2612 ({0}) und 13/ 2626 - ab. Wer dem Einzelplan in dieser Fassung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Einzelplan 12 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen worden ist. Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Ich möchte nicht schließen, ohne daran zu erinnern, daß an diesem Tage in vielen Orten der Bundesrepublik die Menschen der Ereignisse gedacht haben, die am 9. November in diesem Jahrhundert unsere Geschichte geprägt haben. Für uns war es ein Arbeitstag. Ich finde, das ist nicht die schlechteste Art, diesen Tag zu begehen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf morgen, Freitag, den 10. November 1995, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.