Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Zu Beginn der Sitzung möchte ich zunächst nachträglich unserem Vizepräsidenten Dr. Burkhard Hirsch ganz herzlich zum Geburtstag gratulieren. Er wurde am 29. Mai 65 Jahre alt.
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Mein Glückwunsch gilt auch dem Kollegen Wolfgang Lohmann ({1}), der seinen 60. Geburtstag ebenfalls am 29. Mai feierte. Herzliche Glückwünsche des gesamten Hauses!
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Zusatzpunkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt.
1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Verwendung von Steuergeldern bei der Deutschen Zentrale für Tourismus e. V. im Zusammenhang mit Vorwürfen des Rassismus und der Verletzung von Aufsichts- und Fürsorgepflichten ({3})
2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ludger Vollmer, Wolfgang Schmitt ({4}), Dr. Uschi Eid und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rolle der G-7-Gruppe bei der Reform des Weltwirtschaftssystems
- Drucksache 13/1545 3. Vereinbarte Debatte: Kennzeichnungspflicht gentechnisch hergestellter oder manipulierter Lebensmittel und Lebensmittelzusatzstoffe
4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Lilo Blunck, Dr. Marliese Dobberthien, Wolf-Michael Catenhusen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Einsatz der Gentechnik und anderer neuartiger biotechnologischer Verfahren in der Lebensmittelproduktion
- Drucksache 13/1549 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Kaspereit, Christian Müller ({5}), Dr. Uwe Jens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Wiedereinbeziehung des ostdeutschen mittelständischen Handels in die Investitionszulagenregelung - Drucksache 13/1541 6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken-Deipenbrock, Joseph Fischer ({6}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verletzung internationaler Walfang-Vereinbarungen durch Norwegen
- Drucksache 13/1543 7. weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({7})
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und des Straßenverkehrsgesetzes - Drucksache 13/1524 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi Lemke, Ulrike Höfken-Deipenbrock, Gila Altmann ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aufhebung des Anbauverbotes von Hanf und Förderung des Anbaus von THC-armen Hanfsorten als nachwachsende Rohstoffe - Drucksache 13/1425 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Willibald Jacob, Andrea Lederer, weiteren Abgeordneten und der Gruppe der PDS: Völkerrechtswidrigkeit der Androhung des Einsatzes und des Einsatzes von Kernwaffen - Drucksache 13/1465 Überweitungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({9}) Verteidigungsausschuß
8. weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({10})
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches - 3. SGBÄndG - Drucksachen 13/1205, 13/1559 -
9. a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Jahressteuergesetzes 1996 - Drucksachen 13/901, 13/1558, 13/...-
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({11})
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien vom Jahr 1996
zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Für einen gerechten, verfassungsgemäßen und unbürokratischen Familienleistungsausgleich
zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Andrea Fischer ({12}), Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Soziale und gerechte Einkommensteuerreform 1996
- Drucksachen 13/381, 13/16, 13/936, 13/1558 -
c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes - Drucksachen 13/698, 13/1558 -
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({13}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zwischenbericht der Bundesregierung über die Möglichkeit, die Kraftfahrzeugsteuer für Kraftfahrzeuge mit einem verkehrsrechtlich zulässigen Gesamtgewicht zwischen 12 t und 16 t im
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Zusammenhang mit der Einführung einer Autobahngebühr ab 1. Januar 1995 abzusenken
- Drucksachen 13/725 Nr. 58, 13/1558 -
e) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Senkung der Mineralölsteuer für erdgasbetriebene Fahrzeuge
- Drucksachen 13/1071, 13/1558 ({14})
10. Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vermögensgesetzes - Drucksachen 13/202, 13/.. .
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Außerdem soll über die Einsetzung der EnqueteKommissionen, Tagesordnungspunkt 14 a, und über die Sammelübersicht 26 zu Petitionen, Tagesordnungspunkt 14 d, unmittelbar nach Abschluß der Beratung zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes abgestimmt werden.
Die weiteren Tagesordnungspunkte ohne Aussprache werden vor der Fragestunde aufgerufen.
Sind Sie mit den Änderungen und Ergänzungen einverstanden? - Das ist offenbar der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Beitrag der deutschen Heimatvertriebenen zum Wiederaufbau in Deutschland und zum Frieden in Europa
Dazu liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., der Fraktion der SPD, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Gruppe der PDS vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Wir können so verfahren.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler, Dr. Helmut Kohl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir würdigen heute in dieser Sitzung des Bundestages den Beitrag der deutschen Heimatvertriebenen zum Wiederaufbau in Deutschland und zum Frieden in Europa.
Unter uns leben noch viele, die durch persönliche Erinnerung an Flucht und Vertreibung unmittelbar und nachhaltig betroffen und geprägt sind. Ihre Heimat waren der damalige deutsche Osten oder andere Gebiete in der Mitte, im Osten und Südosten Europas, in denen Deutsche seit Jahrhunderten siedelten und lebten.
Nur Unbelehrbare können bestreiten, daß die erste Ursache jener Tragödie im 30. Januar 1933 zu suchen ist.
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Eindeutig ist auch die Verantwortung für den Angriffskrieg im Osten, zuerst gegen Polen, dann gegen die Sowjetunion. Wer etwas anderes behauptet, hat nichts, aber auch gar nichts aus der Geschichte gelernt.
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Wir müssen aber auch jenen nachdrücklich widersprechen, die in der Erinnerung an das Leid der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge einen Akt kleinlicher Aufrechnung oder gar einen Ausdruck von Revanchismus sehen wollen.
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Weder wird deutsche Schuld durch das Unrecht der Vertreibung auch nur um ein Jota gemindert, noch hebt deutsche Schuld das Unrecht der Vertreibung auf.
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Die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge haben einen Anspruch darauf, daß wir vor der Tragik ihres persönlichen Schicksals nicht die Augen verschließen, sondern auch das an ihnen verübte Unrecht beim Namen nennen. Dazu gehört vor allem, daß wir uns den Ablauf und die bis in unsere Zeit reichenden Folgen jener Tragödie bewußt machen. Ich halte dies für eine selbstverständliche menschliche Pflicht.
Schon im Winter 1944/45 hatte die Flucht eines Teils der deutschen Bevölkerung vor der Roten Armee begonnen: aus Ostpreußen, Danzig und Westpreußen, aus Pommern, Ostbrandenburg und Schlesien - eine Flucht hauptsächlich von Frauen, Kindern und alten Menschen; denn die jüngeren Männer waren zumeist an der Front, gefallen oder in Kriegsgefangenschaft.
Für die jüngere Generation ist das alles schon sehr ferngerückt. Für die, die es selbst erlebt haben, wurde es oft zum Trauma, einem Trauma, das bei vielen bis heute nachwirkt. Das Elend der endlosen Trecks, der Hunger und die eisige Kälte auf dem langen Weg nach Westen, die Angriffe aus der Luft auf ungeschützte Kolonnen der Zivilisten, das Feuer sowjetischer Panzer, die die Trecks überrollten - dies alles forderte vieltausendfach tödlichen Tribut.
Heute ist von den einzelnen Geschehnissen jenes Massenexodus die Flucht über das zugefrorene Haff, fast eine Art Binnenmeer an der ostpreußischen Küste, noch am ehesten zum Begriff geworden. Am nachdrücklichsten hat sich aber wohl die Versenkung der „Wilhelm Gustloff" in das Gedächtnis eingebrannt. 5 000 Flüchtlinge sind damals in der Ostsee ertrunken, darunter 3 000 Kinder.
Wir werden und wir wollen über all dem aber auch nicht vergessen, daß die ersten Kriegsflüchtlinge Polen waren, die vor deutschen Angreifern flohen. So begannen die Leiden des polnischen Volkes, das das erste Opfer von Hitlers Vernichtungsfeldzug wurde. Ich erinnere heute auch an das Schicksal jener Polen, die am Ende dieses Krieges von Stalin gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen. Auf der
Potsdamer Konferenz wurde die Vertreibung der Polen und der Deutschen bestätigt. In Potsdam wurde vereinbart, daß die Umsiedlungen, wie es hieß, „in geregelter und humaner Weise" vor sich gehen müßten. Doch die Praxis sprach allen humanen Grundsätzen Hohn.
So kam es zur Geschichte der Vertreibung, wie die Deutschen sie im Osten erlebten: die Schrecken der Lager, in denen Tausende an Hunger, Mißhandlungen und Seuchen starben, die Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen, das Elend der Todesmärsche wie der Evakuierungstransporte.
Es ist ein erschütternder Korrespondentenbericht über die Zwangsevakuierung der Sudetendeutschen erhalten, den Willy Brandt im Dezember 1945 für die norwegische Arbeitspresse verfaßte. Er schreibt dort u. a.:
Ich kann ... nicht verheimlichen oder totschweigen, was jetzt an der Tagesordnung ist . . ., selbst wenn es Leute geben sollte, die mir dies als „Mitleidspropaganda" auslegen.
Ausdrücklich nimmt Willy Brandt dabei für sich in Anspruch, daß er im Krieg schonungslos „über die deutschen Übergriffe in Norwegen" aufgeklärt habe. Gerade dies gebe ihm das Recht, die Wahrheit auch über das Leid der Vertriebenen auszusprechen.
In der Tat: Wer von bestimmten Erfahrungen und Leiden nichts hören will, der wird für den, der sie in ihrer ganzen Schrecklichkeit erleben mußte, weniger glaubwürdig. Wir müssen deshalb in diesen Wochen und Monaten auch der vielen Deutschen gedenken, die bei Flucht und Vertreibung ums Leben kamen. Natürlich läßt sich die Verantwortung aller Deutschen für Hitler nicht teilen in die jener im Westen und die jener im Osten. Die im Osten aber mußten unter den Folgen doppelt leiden. Zwischen allen demokratischen Parteien der Bundesrepublik war deshalb von Anfang an unstreitig, daß es „eine deutsche Gesamthaftung gegenüber den Vertriebenen" gebe, wie Kurt Schumacher es schon 1949 formuliert hat.
Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten. Darum müssen auch hier die Tatsachen klar benannt werden.
Bis Ende 1950, dem Ende der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen, waren in das damalige Bundesgebiet über 8 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene gelangt, in das Gebiet der DDR über 4 Millionen, von denen dann in den kommenden Monaten und Jahren noch viele nach Westen weiterzogen. Was bei dieser Völkerwanderung wider Willen geschah, kommt in einer einzigen Zahl zum Ausdruck: Bei Flucht und Vertreibung sind über 2 Millionen Deutsche ums Leben gekommen.
Trotz aller eindringlichen Fernsehberichte über das Kriegsende können sich die Heutigen kaum eine Vorstellung mehr von dem Chaos jener Zeit machen. Wie sah das Land aus, in das die über 12 Millionen Überlebenden aus dem Osten kamen, elend, oft halb verhungert? Die Industrie war zerbombt, die Verwaltung lahmgelegt, die Verkehrsverbindungen zerstört.
In den westdeutschen Besatzungszonen z. B. lebten von den 40 Millionen Einheimischen rund die Hälfte, 20 Millionen, in Notunterkünften, in Lagern und Baracken.
Zu den Heimatvertriebenen kamen noch 5 Millionen Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft hinzu. Ihnen mußte aus gutem Grund schnell geholfen werden, wie auch Millionen von Einheimischen, die vor den Bombenangriffen evakuiert waren. Die Versorgungslage war schwierig, viele litten Hunger. Bis 1948 war die Lebensmittelzuteilung streng rationiert und je nach Arbeitsleistung abgestuft.
Stalin hatte mit dieser Entwicklung nicht nur gerechnet, er hatte sie seinem politischen Kalkül zugrunde gelegt. Im vertrauten Kreise hatte er damals geäußert, daß die Angst vor deutschem Revanchismus Deutschlands Nachbarn im Osten auf lange Frist zu einem festen Block mit der Sowjetunion zusammenzwingen würde. Insbesondere aber setzte Stalin darauf, daß die Deutschen aus dem Osten im Westen Deutschlands sozialen Sprengstoff bilden würden, der Westdeutschland politisch destabilisieren und auf die Dauer dem Sog der in Europa übermächtigen Sowjetunion ausliefern würde.
Die Voraussetzungen dafür, meine Damen und Herren, daß diese zynische Rechnung aufgehen könne, waren gegeben. Flüchtlinge und Vertriebene mußten ja als erstes ein Dach über dem Kopf haben. Die verheerendsten Zerstörungen an Wohnraum waren aber durch die Bombenangriffe in den Städten angerichtet worden. Also wurden viele der Neuankömmlinge aufs Land umgeleitet. Hier konnte man sie zwar, wenn auch nur notdürftig, unterbringen; aber dafür gab es zuwenig Arbeitsplätze. Noch im Jahr 1950 waren von den Vertriebenen in Westdeutschland doppelt so viele arbeitslos wie bei der gesamten Bevölkerung.
Wie wurden diejenigen, die ihre Heimat verloren hatten, von denen aufgenommen, die jedenfalls ein Zuhause hatten? Es gab Hilfsbereitschaft; das ist wahr. Es gab viele Zeichen von selbstlosem Einsatz bei den Einheimischen. Aber es gab auch viel Mißtrauen, Gleichgültigkeit und Ablehnung. So sahen sich die, die alles verloren hatten, in der neuen Heimat, die für viele lange Zeit die Fremde blieb, als sozial Deklassierte.
Es wäre doch verständlich gewesen, wenn diese Menschen sich radikalisiert hätten, wenn sie Demagogen gefolgt wären. Beispiele für solche Radikalisierung bis hin zur Gewalttätigkeit gab und gibt es ja auch heute noch in unserer Welt. In Deutschland aber verabschiedeten die Heimatvertriebenen schon im Jahr 1950 ihre ,,Stuttgarter Charta". Sie trugen damit entscheidend dazu bei, die Voraussetzungen für eine friedliche Entwicklung der Beziehungen Deutschlands zu seinen östlichen Nachbarn zu schaffen, und auch dazu, daß die Rechnung Stalins nicht aufging.
({4})
Als diese Charta formuliert wurde, war das Elend der Vertreibung noch allgegenwärtig. Doch schon damals, 1950, wiesen die Vertriebenenverbände feierlich jeden Gedanken an Vergeltung für millionenfach erlittenes Unrecht von sich. Ich zitiere:
Dieser Entschluß ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche Leid, welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat. Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.
Ich gestehe ganz offen: Ich verstehe nicht, warum jene Charta der Heimatvertriebenen nicht häufiger als ein Musterbeispiel politischer Kultur herausgestellt wird. Sie war und bleibt ein Werk des Friedens.
({5})
Die Bundesrepublik Deutschland, ja Europa hat den Heimatvertriebenen für diese Charta zu danken. Sie haben millionenfach das damals gegebene Versprechen eingelöst. Ich zitiere wieder:
Wir werden durch harte, unermüdliche Arbeit teilnehmen am Wiederaufbau Deutschlands und Europas.
„Die Vertriebenen", so hat Kurt Schumacher 1949 gefordert, müßten „Bestandteile der deutschen Parteien und des politischen Lebens" werden. Daß dies so gut gelang, verdanken wir vielen, nicht zuletzt hervorragenden Führungspersönlichkeiten in den Vertriebenenverbänden - oft kantige, nicht immer einfache Persönlichkeiten.
({6})
- Ich sage dies mit Respekt, und Sie sollten den Respekt einer späteren Generation diesen Männern nicht verweigern.
({7})
Ich nenne hier stellvertretend für viele unsere früheren Bundestagskollegen Wenzel Jaksch und Herbert Czaja.
Neben der politischen gibt es eine weitere entscheidende Leistung der Vertriebenen zum Aufbau eines freiheitlichen Staatswesens auf deutschem Boden: Das ist ihr gar nicht hoch genug einzuschätzender wirtschaftlicher Beitrag. Die Heimatvertriebenen hatten oft Land, Haus und Hof verloren. Viele kamen ohne jegliche Habe. Aber alle brachten etwas mit, was ihnen niemand nehmen konnte: ihr Wissen, ihr Können, ihre allgemeine wie ihre spezielle berufliche Ausbildung. Das, zusammen mit dem Fleiß und dem Willen, sich wieder hochzuarbeiten, für ihre Kinder eine neue Zukunft zu schaffen, wurde zu einem gewaltigen, außerordentlichen Gewinn für den Wiederaufbau unserer deutschen Volkswirtschaft.
({8})
Zur Integration der Vertriebenen haben der Lastenausgleich und andere Fördermaßnahmen gewiß erheblich beigetragen. Dies war ein erster großer Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft. An einen wirklichen Ausgleich der im Osten erlittenen Verluste war nicht zu denken. Immerhin umfaßten die Leistungen in den Anfangsjahren bis zu einem Viertel des damaligen Bundeshaushalts. Auf diese solidarische Bewältigung von Kriegsfolgen können die Deutschen, wie ich denke, durchaus stolz sein.
Heute, meine Damen und Herren, fünf Jahre nach dem Ende der kommunistischen Diktaturen, lebt Deutschland in guter Nachbarschaft mit den Staaten, aus denen so viele Deutsche vertrieben wurden. Ich möchte hier besonders das gute Verhältnis würdigen, das uns mit Polen verbindet. An dieser Entwicklung haben viele in beiden Ländern und Völkern Anteil. 1970 hat Bundeskanzler Willy Brandt in Warschau ein wichtiges Zeichen gesetzt. Die Kirchen in beiden Ländern haben schon früh den Weg zur Aussöhnung gewiesen. Eine wichtige Botschaft des Friedens und der Achtung von Menschenwürde und Menschenrechten wurde eine gemeinsame Erklärung polnischer und deutscher Katholiken zum 1. September 1989, also zum 50. Jahrestag des deutschen Angriffs auf Polen. Diese Erklärung, die Menschenverachtung, Gewaltherrschaft und Terror des Nationalsozialismus geißelte, aber auch das Leid von Millionen deutscher Heimatvertriebener beklagte, trägt die Unterschriften von Tadeusz Mazowiecki und Wladyslaw Bartoszewski.
Der Grenzvertrag vom 14. November 1990, in dem das wiedervereinigte Deutschland die bestehende Grenze mit Polen anerkannte, erinnert in seiner Präambel „an das schwere Leid, das dieser Krieg mit sich gebracht hat". Er nennt insbesondere auch den von zahlreichen Deutschen und Polen erlittenen Verlust ihrer Heimat durch Vertreibung oder Aussiedlung. Dies sei Mahnung und Herausforderung zur Gestaltung friedlicher Beziehungen zwischen den beiden Völkern und Staaten.
Wir alle erinnern uns mit Dankbarkeit an die noblen Worte des polnischen Außenministers Bartoszewski vor wenigen Wochen von dieser Stelle aus.
({9})
Ziel meiner Reise nach Polen in wenigen Wochen, Anfang Juli, soll sein, dieses gute Verhältnis weiter zu festigen.
Meine Damen und Herren, auch unser Verhältnis zu unseren tschechischen Nachbarn wollen wir im Geist der guten Nachbarschaft und des friedlichen Miteinanders gestalten. Was bei der Vertreibung der Deutschen dort geschah, war Unrecht. Ich bin Präsident Havel und Ministerpräsident Klaus für ihre Worte dazu dankbar. Wir wollen und werden die ausgestreckte Hand ergreifen. Auf der Grundlage beiderseitiger Wahrhaftigkeit läßt sich eine gute ZuBundeskanzler Dr. Helmut Kohl
kunft für die Menschen in beiden Ländern gewinnen und sichern.
({10})
Wir wollen und werden in diesem Geiste mit Tschechien zu vernünftigen Regelungen kommen. Ich hoffe, dies wird bald möglich sein.
Es leben auch heute noch Deutsche in Polen, in Tschechien und anderen Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas. Auch zum Schutz der Minderheiten sind mit praktisch allen in Frage kommenden Staaten Nachbarschafts- und Partnerschaftsverträge geschlossen worden. Zuerst gelang dies in einer mustergültigen Weise mit Ungarn, dem wir Deutsche für seine Hilfe im Jahre 1989 immer dankbar bleiben werden.
({11})
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit besonderem Nachdruck und, so glaube ich, erfolgreich dafür eingesetzt, daß jetzt endlich ein Übereinkommen des Europarats zum Schutze nationaler Minderheiten vorliegt. Wie wenig selbstverständlich solche Regelungen sind, wird uns derzeit täglich ins Bewußtsein gerufen. Jeden Tag werden wir durch das Fernsehen Zeugen der grausigen Realität auf dem Balkan. „Ethnische Säuberung", ein Begriff aus dem Wörterbuch der Unmenschlichkeit, gehört leider immer noch nicht endgültig der Vergangenheit an.
Die Vereinten Nationen haben bekanntlich das Recht kodifiziert, das eigene Land zu verlassen. Angesichts der Erfahrungen der jüngeren und der jüngsten Vergangenheit scheint es mir an der Zeit, daß die Völkergemeinschaft noch ein anderes Menschenrecht festschreibt, nämlich das Recht, im eigenen Land zu bleiben.
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Meine Damen und Herren, wir blicken auf 700 Jahre deutsche Geschichte im Osten zurück. Die großartigen steingewordenen Zeugnisse aus jener Zeit sind zum großen Teil mit den deutschen Städten im Krieg vernichtet worden. Manches davon haben gerade die Polen - um ein Beispiel zu nennen - mit bewundernswertem Können und Einfühlungsvermögen wieder aufgebaut oder restauriert. Städte und Dörfer aber, in denen die Heimatvertriebenen und ihre Vorfahren zu Hause waren, tragen nun natürlich ein anderes Gesicht.
Was die Flüchtlinge und die Vertriebenen retten konnten, sind ihre Traditionen, ihre Kultur, ihre oft sehr persönlichen Erinnerungen - Erinnerungen auch an die großen Söhne und Töchter jener Landschaften. Ich möchte nur einige nennen: Immanuel Kant oder Lovis Corinth aus Ostpreußen, den Gründer des Weltpostvereins Heinrich von Stephan aus Pommern, Joseph von Eichendorff und Gerhart Hauptmann aus Schlesien.
Doch - das frage ich bewußt - was ist mit dem Astronomen Kopernikus aus Thorn? Er wird auch von den Polen als einer der ihren reklamiert. Ich denke, wir sollten die Gelehrten streiten lassen.
Ich komme aus einem Ort nicht weit von der französischen Grenze. Ich muß dabei an einen anderen Streit denken, an den um Karl den Großen. Jahrhundertelang haben sich Deutsche und Franzosen darüber ereifert, wem er nun eigentlich gehört. Heute nimmt diesen Disput eigentlich keiner mehr richtig ernst. Man hat sich stillschweigend geeinigt: Als Karl der Große für die Deutschen, als Charlemagne für die Franzosen gehört er eben beiden. Wir sollten es mit Kopernikus genauso halten und ihn als gemeinsames Erbe betrachten: für die Polen, für uns Deutsche und für ganz Europa.
({13})
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir wollen und wir dürfen den Schmerz und die Tränen dieses Jahrhunderts nicht vergessen. Das schulden wir den Opfern. Nur so kann - wenn überhaupt - die Erfahrung des damals allgegenwärtigen Leidens einen Sinn ergeben und uns Mahnung sein. Den kommenden Generationen müssen wir die alles entscheidende Lehre weitergeben: Friede beginnt mit der Achtung der unbedingten und absoluten Würde des einzelnen Menschen in allen Bereichen seines Lebens.
Wir haben jetzt, wenige Jahre vor dem Ende dieses Jahrhunderts, die Chance zum Bau einer Friedensordnung, die sich auf die uneingeschränkte Achtung der Menschenrechte und des Völkerrechts gründet. Ich bin sicher, kommende Generationen werden uns danach fragen und beurteilen, wie wir in unserer Zeit, in unseren Tagen die praktischen und die moralischen Herausforderungen bewältigen, um Frieden und Freiheit heute und - was noch wichtiger ist - für kommende Generationen zu sichern.
Unsere Kinder und Enkel sollen hineinwachsen in eine Welt, in der nie wieder Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden. Sie sollen hineinwachsen in eine Welt, in der die Völker - um dieses wegweisende Wort der „Stuttgarter Charta" noch einmal aufzunehmen - „ohne Furcht und Zwang leben können".
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Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Als nächster spricht der Kollege Dr. Peter Glotz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Auftrag der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion bringe ich in dieser Debatte um Vertreibung die Übereinstimmung mit der Bundesregierung in einigen Grundsätzen zum Ausdruck.
Zur Vertreibung selbst: Die gewaltsame Vertreibung von Menschen von dem Stück Erde, auf dem sie leben, auf dem ihre Vorfahren gelebt haben oder wo die Gräber ihrer Vorfahren liegen, ist ein Verbrechen. Wir stimmen auch zu, wenn hervorgehoben wird, daß die 12 Millionen vertriebenen Deutschen sich auf dem verbliebenen Territorium unseres Landes rasch integriert haben, daß ihre große Mehrheit versöhnungsbereit war, wie die Charta von 1950 zeigt, und daß sie einen maßgeblichen Beitrag zum Wiederaufbau des zerstörten Deutschlands geleistet haben.
({0})
Als Vertriebener füge ich hinzu: Dank gehört auch denen, die uns Flüchtlingen, die damals von außen gekommen sind, ein Dach über dem Kopf gegeben haben.
({1})
Die Fraktion der CDU/CSU und die Fraktion der SPD zitieren in ihren Entschließungen denselben Satz des Bundespräsidenten, in dem er eine Aufrechnung von Verbrechen und Leid ablehnt. Diese Feststellung ist in der Tat unverzichtbar.
Wenn wir 50 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges an die Opfer der Vertreibung erinnern, dann nicht um deutsche Schuld, härter gesagt: um deutsche Verbrechen in irgendeiner Weise vergessen zu machen.
({2})
Die Vertreibung von Millionen Deutschen aus ihrer Heimat geschah, weil die Deutschen vorher viele Millionen anderer Menschen aus ihrer Heimat vertrieben hatten, und zwar in einem Angriffskrieg. Deshalb darf diese Debatte kein Anlaß zu irgendeiner Relativierung sein. Wir wollen heute nicht über die Vertreibungsopfer reden, um die Opfer des Angriffskriegs vergessen zu machen, sondern wir reden über sie, weil wir über die ganze Wirklichkeit in all ihren Facetten reden wollen und reden müssen.
({3})
Der Deutsche Bundestag kann, 50 Jahre nach dem Kriegsende und der deutschen Kapitulation, auch deshalb - ohne Mißverständnisse bei unseren Nachbarn aufzustören - über die Vertreibung von Deutschen reden, weil Deutschland seither eine Politik der Verständigung nach Osten und nach Westen betrieben hat. Wir wollen in der Rückschau nichts verkleistern. Diese Politik hat sich nicht selbstverständlich ergeben; sie war umkämpft. Wir Sozialdemokraten haben uns erst 1960 auf die Grundlage der Adenauerschen Politik der Öffnung zum Westen gestellt. Es war nötig, daß wir uns auf diese Grundlage gestellt haben. Später hat die Fraktion der CDU/CSU die ebenso notwendige Ostpolitik des Bundeskanzlers Brandt zuerst bekämpft, dann aber fortgeführt.
Ich erwähne diese Irrungen und Wirrungen, weil ich davon überzeugt bin: Wir können heute nur deshalb unbefangen über die Vertreibung von Deutschen reden, ohne Mißverständnisse bei Engländern, Holländern, Tschechen oder Polen auszulösen, weil Konrad Adenauer die Bundesrepublik in den Westen integriert hat und weil Willy Brandt durch die Anerkennung der Grenzen dafür gesorgt hat, daß kein Revisionismus aufkommen kann. Beide Seiten sind zu betonen.
({4})
Damit wir uns nicht mit feierlichen Reden in die Tasche lügen, füge ich hinzu: Es ist richtig, daß der Bundeskanzler heute auch die Leistung der Vertriebenenverbände bei der Integration der Vertriebenen und beim Wiederaufbau hervorgehoben hat. Viele Männer und Frauen aller Parteien haben in diesen Verbänden Vorbildliches geleistet. Wie der Bundeskanzler will ich an unseren früheren Kollegen Wenzel Jaksch erinnern, auch weil ich aus der gleichen Gegend komme, aus der er gekommen ist. Wir haben aber nicht vergessen, meine Damen und Herren, daß es auch Vertriebenenfunktionäre gab, die mit absurden Parolen gegen die Ostpolitik Willy Brandts gehetzt haben. An irgendwelchen Wänden stand damals auch: „Brandt an die Wand". Auch das gehört zu einer vollständigen Erinnerung, zu der wir uns heute verpflichtet fühlen.
({5})
Denn jedem von uns sollte es heute genauso um Gegenwart und Zukunft gehen wie um die Vergangenheit. Man darf die Vertreibungen von gestern nicht rechtfertigen, weil man sonst die Vertreibungen von heute rechtfertigen würde. Wir müssen mit dem Prinzip brechen, das seit dem Vertrag von Lausanne 1923, seit dem sogenannten Bevölkerungsaustausch von Hunderttausenden von Griechen und Türken in Europa, immer schamloser angewendet worden ist.
Deswegen sage ich: Die Menschheit läßt sich nicht fein säuberlich in Nationen aufgliedern. Die Menschen leben nebeneinander, miteinander. Sie überschichten sich, sie vermischen sich. Wie viele Menschen sind im 20. Jahrhundert umgesiedelt, rückgesiedelt, vertrieben, umgevolkt, verschleppt, germanisiert, polonisiert, russifiziert worden - nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa allein 20 Millionen: Polen, Tschechen, Slowaken, Ukrainer, Weißrussen, Litauer, Ungarn und 14 Millionen Deutsche. Es muß endlich und endgültig Schluß damit sein!
({6})
Ja, in den letzten Jahrzehnten haben die Völker dieser Welt erste zaghafte Schritte zur Überwindung der Idee des einnationalen Staats zurückgelegt: durch Minderheitenverträge, die der Völkerbund früher kontrollieren und verbürgen sollte, durch einen Weltmenschenrechtspakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte, durch die
Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarats von 1950, durch die Kopenhagener Beschlüsse der KSZE von 1990, durch die wachsende Wirksamkeit internationaler Gerichtshöfe.
Aber wo es hart auf hart geht, meine Damen und Herren, stehen alle diese Regelungen immer noch nur auf dem Papier. Was wird mit den Kurden in der Türkei, den Türken und Pomaken in Bulgarien, den Magyaren in der Slowakei, den Serben in Kroatien, den Albanern in Serbien, den Türken in Westthrazien? Wir haben die unbeschränkte nationale Souveränität Schritt für Schritt durch Völkerrecht begrenzt. Jetzt müssen wir darangehen, dieses Völkerrecht bindend zu machen und Einrichtungen zu begründen, die in der Lage sind, diesem Recht auch Gültigkeit zu verschaffen, es durchzusetzen.
({7})
Im übrigen müssen wir logisch bleiben. Unsere Ablehnung von Vertreibung hat eine Kehrseite. Wer Vertreibung ablehnt, muß Vermischungen akzeptieren. Das bedeutet den Abschied vom Ideal einer einheitlichen, homogenen Gesellschaft.
({8})
Das kann nicht heißen, daß der Staat Werber an seine Grenzen schickt, die Fremde hineinwinken, aber es muß bedeuten, daß man eingesessene Minderheiten als eigene Nationen akzeptiert, die einen wichtigen Teil ihres Lebens selbständig regeln, und daß man sich von der unmenschlichen Idee der Entmischung, der „Purifizierung" des „Volkskörpers", wie das bei den Nazis hieß, endgültig trennt.
({9})
Wer für die deutsche Minderheit in Polen eintritt,
was sicher notwendig ist, der muß auch für die türkische Minderheit in Berlin eintreten- und umgekehrt.
({10})
Oder: Die Kinder eines mährischen oder nordböhmischen Zuwanderers, den es 1945 nach Westböhmen, ins frühere Sudetenland, verschlagen hat, empfinden Westböhmen genauso als ihre Heimat wie die Kinder jener Sudetendeutschen, deren Familien dort Jahrhunderte gelebt haben. Da dürfen wir nicht anfangen, die Einwurzelung mit dem Rechenschieber zu bestimmen: Braucht es eine, zwei, drei Generationen? Die Trennung von der Vorstellungswelt des einnationalen Staates wird eine gewaltige Kraftanstrengung von uns fordern. Aber wir werden in Europa Frieden nur bekommen, wenn wir uns diese Anstrengung zumuten.
({11})
Machen wir uns bitte nichts vor, dieses Thema ist nicht abgehakt. Ich habe gerade von Tschechen und Sudetendeutschen gesprochen. Dieses Beispiel zeigt,
daß wir alle miteinander noch viele Schritte gehen müssen, um den Haß zu überwinden, in diesem Fall den Haß, der vor einem halben Jahrhundert gesät wurde: 1938, beim Münchener Diktat, bei der Zerschlagung der Tschechoslowakei, der deutschen Besetzung und bei der Vertreibung.
Niemals habe ich das deutlicher gespürt als bei einem Brief, den ich neulich von Mylos Hajek, einem der führenden Männer der Charta 77, bekommen habe. Hajek ist in den 40er Jahren von einem deutschen Sondergericht zum Tode verurteilt worden. In den 70er Jahren haben ihn die Kommunisten arbeitslos und rechtlos gemacht. Ich hatte ihn oft besucht, auch schon zur Zeit der kommunistischen Herrschaft. Jetzt, nachdem ich einen Artikel über die Vertreibung publiziert hatte, schrieb er mir:
Es ist mir nicht angenehm, mit Ihnen zu polemisieren. Unsere persönlichen und politischen Beziehungen waren doch die besten.
Er schreibt weiter:
Ich persönlich habe die Entscheidung der tschechoslowakischen Regierung
- er meint die Vertreibung und der alliierten Regierungen als nicht weise charakterisiert.
Aber dann fügt er hinzu:
Ich halte die gewaltsame Aussiedlung der Sudetendeutschen für eine barbarische Antwort auf die Barbarei. Aber ihre Bezeichnung als Verbrechen kann ich nicht akzeptieren. Verbrechen setzt Verbrecher voraus. Waren Churchill, Roosevelt und Bene§ Verbrecher? Einen verbrecherischen Krieg hat das Dritte Reich geführt.
Ich hatte in meinem Artikel - sehr mit Absicht - einen bedeutenden demokratischen Politiker zitiert, Winston Churchill. Er hat im Dezember 1944 im Unterhaus gesagt:
Die Vertreibung ist, soweit wir in der Lage sind,
es zu überschauen, das befriedigendste und dauerhafteste Mittel, es wird keine Mischung der Bevölkerung geben, wodurch endlose Unannehmlichkeiten entstehen, z. B. im Falle Elsaß-Lothringen. Reiner Tisch wird gemacht werden.
Es hat keinen Zweck, gegen Äußerungen recht behalten zu wollen, die ein halbes Jahrhundert zurückliegen. Heute aber müssen wir gelernt haben: Churchills reiner Tisch war nicht rein. Deswegen habe ich meinem tschechischen Freund geantwortet:
Natürlich bezeichne ich Churchill nicht als Verbrecher, aber als einen Staatsmann, der neben seinen großen Leistungen beim Kampf gegen den Faschismus auch Verbrechen mitverantwortet hat.
Ich stehe zu dieser Antwort. Wir alle müssen uns aber klarmachen, daß solche Auffassungen noch längst nicht Allgemeingut sind, noch nicht einmal in unserem Erdteil Europa. Lassen Sie uns gemeinsam darum kämpfen, daß sie Schritt für Schritt wirklich Allgemeingut werden!
({12})
Wir können dazu beitragen, z. B. durch eine zielgerichtete Versöhnungspolitik mit den Nachbarvölkern.
Ich bleibe bei den Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen. Herr Bundeskanzler, Ihre Regierung hat das Verhältnis zu unseren polnischen Nachbarn gepflegt und verbessert. Ihr Auftritt in den Niederlanden vor wenigen Tagen verdient die Zustimmung des ganzen Hauses.
({13})
Aber daß Ihre Regierung auf die beeindruckende Rede von Václav Havel von 1990 fünf Jahre lang keine offizielle Antwort gegeben hat, war ein großer politischer Fehler.
({14})
Herr Bundeskanzler, das Verhältnis zu unseren tschechischen Nachbarn hat Ihre Regierung leider verschlampen lassen.
({15})
Es sieht inzwischen so aus, als ob Sie das selbst erkannt hätten. Das entnehme ich auch Ihrer Regierungserklärung und den Hinzufügungen zum schriftlichen Text. Das begrüßen wir.
Unserer Überzeugung nach sind jetzt zwei Schritte notwendig: Der erste muß von uns Deutschen gegangen werden. Meine Damen und Herren, wir müssen das De-facto-Junktim zwischen den Entschädigungsforderungen von Sudetendeutschen und einer Entschädigung der NS-Opfer endgültig aufgeben.
({16})
Wir müssen endlich gegenüber den Tschechen, die in deutschen Konzentrationslagern und Zuchthäusern gesessen haben, genauso handeln wie gegenüber Polen oder gegenüber Russen. Nur eine derartige Geste kann das Eis brechen, und wir müssen das Eis brechen, meine Damen und Herren!
({17})
Im zweiten Schritt ist ein ungeschminkter Dialog ohne Vorbedingungen zwischen Deutschen, und zwar einschließlich der Sudetendeutschen, und Tschechen notwendig. Das Ergebnis eines solchen Dialogs könnte eine Stiftung sein, auf die Zukunft gerichtet, um gemeinsame Projekte beider Völker voranzutreiben. Sie sollte - ich sage jetzt: ungeachtet
der juristischen Wertung der sogenannten Beneš-Dekrete - auch für die Opfer der sogenannten wilden Vertreibung im Sommer 1945 Entschädigungen vorsehen. Wenn Sie eine solche Politik betreiben, Herr Bundeskanzler, werden Sie die volle Zustimmung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion haben.
Ich habe hier über die deutschtschechische Politik gesprochen, weil man nicht abstrakt über Vertreibung reden kann. Massenvertreibungen setzen sich aus den Schicksalen einzelner Menschen zusammen. Ich zitiere ein Beispiel, das am letzten Wochenende in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" aufgegriffen worden ist:
Wladimir N. wurde 1943 als Zwölfjähriger aus Südrußland deshalb nach Sachsen verschleppt, weil Himmlers Rasseprüfer seine wolgadeutsche Großmutter entdeckt, ihn als „rückdeutschungsfähig" eingestuft und ihm daher die deutsche Staatsbürgerschaft auf Widerruf verliehen hatten. Sowjetische Geheimpolizisten verhafteten N. 1946 in Leipzig und „repatriierten" ihn - nach Sibirien. Seit vier Jahren leben N. und seine gleichfalls russische Frau in Berlin - zwei Deutsche im Sinne des Grundgesetzes, gebrochen und entwurzelt.
Meine Damen und Herren, unsere Generation wird daran gemessen werden, ob wir aus dieser Vergangenheit gelernt haben. Ich halte mich nicht mit Klagen gegen die auf, die vor uns waren. Ich sage nur: Wir müssen gutmachen, was noch gutzumachen ist. Es ist eh nicht mehr viel gutzumachen.
({18})
Wir müssen dafür sorgen, daß in der Gegenwart nicht das gleiche geschieht, was in der Vergangenheit geschehen ist. Und da haben wir viel zu tun, weil es jeden Tag geschieht.
({19})
Wenn diese Debatte dazu einen Beitrag leistet, dann können wir alle mit dieser Debatte ungeheuer zufrieden sein.
Herzlichen Dank.
({20})
Als nächster spricht der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dankt Ihnen, Herr Bundeskanzler, für Ihre Regierungserklärung, in der Sie an die Leiden der Vertriebenen und an ihren BeiDr. Wolfgang Schäuble
trag zum Aufbau Deutschlands und eines friedlichen Europas erinnert haben.
({0})
Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten Wochen in vielfältiger Weise an die Zeit vor 50 Jahren gedacht, an die dunkelsten Stunden deutscher Geschichte: an Nazi-Terror, an Konzentrationslager, an unsagbares Leid, Elend, Tod und Zerstörung durch einen Krieg, wie ihn die Welt zuvor nicht gekannt hat.
Zu dem Schrecklichen jener Zeit gehören Flucht und Vertreibung. Nicht nur für die, die das erleben mußten, werden schreckliche Erinnerungen wieder lebendig; auch bei den Jüngeren, die damals kaum oder noch gar nicht geboren waren, rufen die Bilder heute noch Entsetzen hervor: die Bilder der brennenden Dörfer und Städte in Ostpreußen und Pommern, in Schlesien und den Sudeten, die Bilder der erschlagenen, der mißhandelten, der gequälten Menschen, die Bilder der endlosen Flüchtlingstrecks, die sich durch Eis und Schnee zu den letzten freien Ostseehäfen oder nach Westen durchzuschlagen versuchten.
Das alles hat seinen Ausgangspunkt am 30. Januar 1933. Die Verantwortung des nationalsozialistischen Deutschland für den Angriffskrieg und für die qualvolle Folge von Terror, Morden, Verfolgung, Flucht und Vertreibung ist unbestreitbar. Aber menschliches Leiden läßt sich nicht gegeneinander aufwiegen. Unser Bundespräsident Roman Herzog hat bei der Gedenkfeier zum 50. Jahrestag der Zerstörung Dresdens gesagt:
Leben kann man nicht gegen Leben aufrechnen, Schmerz nicht gegen Schmerz, Todesangst nicht gegen Todesangst, Vertreibung nicht gegen Vertreibung, Grauen nicht gegen Grauen, Entwürdigung nicht gegen Entwürdigung. Menschliches Leid kann man nicht saldieren, es muß gemeinsam überwunden werden durch Mitleid, durch Besinnung und durch Lernen für die Zukunft.
Ob wir die richtigen Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben, was unseren Beitrag zur politischen Stabilität und zu einem friedlichen und toleranten Zusammenleben in Europa anlangt, ist der entscheidende Maßstab, an dem wir uns immer wieder messen lassen müssen.
({1})
Wir Deutschen dürfen dankbar sein für das, was in den 50 Jahren seit Kriegsende erreicht werden konnte. Aus Trümmern und Ruinen ist der Wiederaufbau mit einem vorher nicht gekannten Maß an wirtschaftlichem Wohlstand und sozialer Sicherheit möglich geworden. In Deutschland ist eine stabile Demokratie gewachsen. Die Heimatvertriebenen hatten an dieser Entwicklung einen entscheidenden Anteil. Sie haben unser Gemeinwesen wirtschaftlich, kulturell und politisch wesentlich mitgeprägt. Es ist nicht zuviel gesagt: Ohne die Leistung der über 12 Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen wäre die
Bundesrepublik Deutschland nicht geworden, was sie heute ist.
({2})
Diese Entwicklung war alles andere als selbstverständlich, wenn man an die elende Lage erinnert, in der sich die Heimatvertriebenen im Westen wiederfanden: meist auf wenigen Quadratmetern Wohnraum in zugigen Baracken oder Bauernkaten zusammengepfercht, versehen nur mit dem, was sie in einem Rucksack oder Koffer vielleicht noch retten konnten, mangelhaft ernährt, ohne Arbeit und Perspektive. Sie hatten alles verloren, und sie mußten noch einmal ganz von vorne und von unten anfangen. Die Eingliederung in der neuen Heimat verlief auch nicht so reibungslos, konnte sie auch gar nicht, wenn man sich das Ausmaß an Not, Elend und Zerstörung auch im Westen vorstellt und die Zahlen von Flüchtlingen, Vertriebenen, Kriegsheimkehrern, Kriegsversehrten, Witwen und Waisen bedenkt, an die der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung eben erinnert hat.
Daß Stalins Kalkül dennoch nicht aufging, ist das Verdienst einer beispiellosen Aufbau- und Eingliederungspolitik mit Millionen neuer Wohnungen und einer international einmaligen Lastenausgleichsgesetzgebung auf der einen Seite und der verantwortungsvollen Haltung der Vertriebenen und ihrer Sprecher, die jeder Radikalisierung wehrten, auf der anderen Seite. Die Stuttgarter Charta der Vertriebenen ist als wahrhaft historisches Dokument zum vergangenen Wochenende vom Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Jose Ayala Lasso, zu Recht als beispielhaft und vorbildlich gewürdigt worden.
({3})
Zur Wahrheit dieser 50 Jahre gehört auch, daß die Situation für die Heimatvertriebenen in der ehemaligen DDR ganz anders war. Mehr als vier Jahrzehnte waren sie dort eine totgeschwiegene Minderheit. Das Bekenntnis zu ihrer Herkunft und ihrer Geschichte war ihnen verboten. Sie durften sich nicht landsmannschaftlich organisieren, die Pflege ihres heimatlichen Kulturgutes war ihnen verwehrt.
Erst nach der Wende und nach der Wiedervereinigung ist der Weg wenigstens für eine politisch-moralische Rehabilitierung der Heimatvertriebenen in den neuen Ländern frei geworden. Weil sich viereinhalb Jahrzehnte später die Probleme von Eingliederung und Entschädigung ganz anders stellen als Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre im Westen, läßt sich heute in den neuen Ländern nicht mehr an die Lastenausgleichsgesetzgebung von 1952 anknüpfen. Aber mit der Einmalzahlung nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz haben wir zumindest einen symbolischen Beitrag zur politischmoralischen Anerkennung von Unrecht geleistet, das die Heimatvertriebenen in den neuen Bundesländern mehr zu tragen hatten als selbst die, die im Westen Aufnahme gefunden hatten.
Zur Wahrheit dieser 50 Jahre gehört auch, daß die Heimatvertriebenen, ihre Landsmannschaften und ihre Sprecher auch bei uns im Westen von vielen über lange Jahre und Jahrzehnte ausgegrenzt und als Revanchisten diffamiert worden sind.
({4})
Wenn das heute besser zu werden scheint, dann ist auch das ein Teil des Guten, was die gemeinsame Erinnerung an den 8. Mai 1945, an die Zeit davor und danach bewirkt hat. Aber ausgesprochen muß es schon noch werden, weil auch insoweit Erinnern und Wahrheit Voraussetzungen für eine bessere Zukunft sind.
({5})
Wir Deutsche haben 1990 unsere Einheit in Frieden und Freiheit wiedererlangt. Das ist ein Geschenk der Geschichte, an das viele nicht mehr glaubten. Ich will in dieser Stunde auch dankbar daran erinnern, daß gerade viele Heimatvertriebene einen von vielen oft als unbequem empfundenen Beitrag immer wieder unbeirrbar dazu geleistet haben, daß die deutsche Frage gegen alle Mutlosigkeit und gegen alle Versuche zur Anpassung offengehalten worden ist.
({6})
Zur Wiedererlangung der deutschen Einheit in Frieden und Freiheit, zu der die Heimatvertriebenen also einen wesentlichen Beitrag geleistet haben, gehörte ebenfalls, daß die Grenze zwischen Deutschland und Polen als endgültig anerkannt werden mußte. Niemand sollte den Menschen, die ihre Heimat verloren haben, verdenken, daß sie angesichts dieses Opfers auch heute noch Schmerz, Bitterkeit und Trauer empfinden. Aber weil sich das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen läßt, bleibt die Entscheidung von 1990 richtig. Erst wenn über Grenzen nicht mehr gestritten wird und wenn jeder Zweifel daran beseitigt ist, können sie ihren trennenden Charakter verlieren. Wir wollen in Europa nicht mehr den Verlauf von Grenzen ändern, sondern wir wollen die trennende Wirkung von Grenzen beseitigen. Das ist der bessere Weg für eine Zukunft in Frieden und Freiheit.
({7})
Indem wir Grenzen öffnen, können wir sie abbauen, und nur so erreichen wir Aussöhnung und Verständigung über Grenzen hinweg.
Die Richtigkeit dieser Politik beweist sich seit 1990 zunehmend. Deutsche und Polen, Deutsche und Tschechen und Slowaken sind sich nach Jahrzehnten des Mißtrauens und der Feindschaft nähergekommen. Der Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaftssysteme in den Staaten Mittel- und Osteuropas hat auch eine unbefangenere Auseinandersetzung aller mit dem deutschen Vertreibungsschicksal möglich gemacht. Fast auf den Tag vor vier Wochen hat der polnische Außenminister Bartoszewski von diesem Platz aus daran erinnert, daß sich gerade die Polen als ein Volk, das die Tragödie von Zwangsumsiedlungen mit den damit verbundenen
Gewalttaten und Verbrechen kennengelernt hat wie kein anderes, daran erinnern, daß davon auch unzählige Deutsche betroffen waren und daß zu den Tätern auch Polen gehörten. Wenige Tage später hat der tschechische Ministerpräsident Vaclav Klaus in Furth im Wald erklärt, niemand in Tschechien könne die Untaten an den ehemaligen deutschen Mitbürgern ohne Bedauern erwähnen. Ich erwähne auch voller Respekt und Sympathie den Aufruf „Versöhnung 95", in dem vor wenigen Wochen dafür plädiert wurde, daß sich Sudetendeutsche und Tschechen die Hand reichen und einen gemeinsamen Schlußpunkt unter die Geschichte setzen.
Die Zeit, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist reif für Heilung, für Versöhnung. Heilung und Versöhnung gibt es aber nur, wenn wir nach vorne, wenn wir in die Zukunft blicken. Wir Deutsche wollen gemeinsam mit unseren Nachbarn im Osten den Weg beschreiten in eine Zukunft der Aussöhnung, der guten Nachbarschaft, der Freundschaft, des Friedens.
Als 1945 der Zweite Weltkrieg mit all seinen Verwüstungen, all seinem Leid zu Ende war, war den politisch Weitsichtigen im Westen klar, daß sich dergleichen niemals mehr wiederholen durfte. Es sollte niemals mehr Feindschaft, niemals mehr Krieg zwischen den europäischen Staaten geben. Dieser Gedanke beseelte die Väter des europäischen Einigungswerkes. Er wurde zur Grundlage eines zusammenwachsenden Europas.
Die Vertriebenen haben sich den Europagedanken von Anfang an zu eigen gemacht. Bereits in ihrer Stuttgarter Charta von 1950, an die der Bundeskanzler erinnert hat, wurde darauf hingewiesen:
Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines vereinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.
Die Vertriebenen haben das europäische Einigungswerk von Anfang an als ein Werk des Ausgleichs und des friedlichen Miteinanders erkannt.
Der Zusammenbruch des Sowjetimperiums, der Fall des Eisernen Vorhangs hat auch die Heimatvertriebenen, ihre Kinder und Enkel ihrer alten Heimat wieder ein Stück nähergebracht, weil die Grenzen nicht mehr so trennen. Polen, die Tschechei, die Slowakei und andere Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas sind auf dem Weg „zurück nach Europa". Auch sie wollen wieder an die für Jahrzehnte abgerissene Tradition gemeinsamer europäischer Kultur und Geschichte anknüpfen. Damit verbindet sich das Bekenntnis zu den europäisch-abendländischen Werten und Überlieferungen, das Bekenntnis zu Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, das über Jahrzehnte durch ein auch unmenschliches Zwangssystem unterdrückt werden sollte.
Wir setzen uns nachdrücklich dafür ein, daß unsere Nachbarn so rasch wie möglich Aufnahme in Europäische Union und NATO finden. Die jungen Demokratien brauchen unsere partnerschaftliche Hilfe bei der Überwindung der Folgen von Teilung und Diktatur. So wie Deutschland ohne die Einbindung in Europa,
I in die Atlantische Allianz, in die Wertegemeinschaft des Westens insgesamt nicht geworden wäre, was es heute sein darf, so sind heute Polen, Ungarn, Tschechen und die anderen auf die stabilisierende Kraft angewiesen, die ihnen nur eine Öffnung nach Europa und zum Westen gewähren kann.
({8})
Teilhabe an einem in Freiheit geeinten Europa, Mitgliedschaft in der Europäischen Union bedeutet auch Verpflichtung auf die Grundfreiheiten, die Europa seinen Bürgern gewährt. Dazu gehören Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit für Bürger anderer Mitgliedstaaten, aber auch für Deutsche. Warum sollen nicht auch Deutsche eines Tages wieder - so sie es denn wollen - in Schlesien oder Böhmen leben und arbeiten können? Was wir schaffen wollen, ist ein Europa der Vielfalt, in dem Völker und Volksgruppen mit ihren unterschiedlichen Kulturen und Traditionen einträchtig zusammenleben können: unter Rückbesinnung auf historische Gemeinsamkeiten, bei wechselseitiger Achtung und Förderung der jeweiligen Identität.
Aussöhnung und Verständigung zwischen den Völkern Europas muß auch die am härtesten Betroffenen, die Heimatvertriebenen wie die in ihren Siedlungsgebieten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa verbliebenen Deutschen einbeziehen.
({9})
Die Heimatvertriebenen leisten mit ihren vielfältigen Kontakten zu den Menschen in ihrer alten Heimat, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs enorm ausgeweitet werden konnten, einen wertvollen Beitrag zu dieser Verständigung und Versöhnung. Dafür gebührt ihnen Dank und Anerkennung. Gerade die Heimatvertriebenen sind berufen, Brücken zu unseren Nachbarn im Osten zu bauen und Botschafter der Verständigung und der Aussöhnung zu sein.
({10})
Für eine Zukunft des Friedens in Europa ist die Lage der Volksgruppen und Minderheiten von entscheidender Bedeutung. Wir betrachten Minderheiten in Europa heute fast überall als Brücke zu unseren Nachbarn und begreifen ihre Identität als Bereicherung unserer Kultur und als Schlüssel zum Verstehen unserer Nachbarn. Die einzelnen Volksgruppen können dieser Rolle um so eher gerecht werden, je weniger ihre kulturellen, sprachlichen, religiösen und ethnischen Ausdrucksformen behindert werden. Das ist aber nur in einer föderalen Ordnung möglich, in einer Ordnung, in der der Staat nicht in alle Lebensbereiche eingreift, sondern die Autonomie lokaler und regionaler Gemeinschaften respektiert.
Was die Lage der deutschen Minderheiten in Polen, Tschechien, Ungarn, Rumänien und anderswo im Osten Europas anbelangt, hat sich seit 1989 für unsere Landsleute vieles verbessert - im Hinblick auf Rechtsstellung und politische Vertretung ebenso wie
im Hinblick auf Pflege von Kultur und Sprache. Der Demokratisierungsprozeß, etwa in Polen, hat für unsere Landsleute zu erheblichen Erleichterungen geführt. Sie schöpfen neue Zuversicht.
Wir wollen, daß unsere Landsleute auch weiter in ihrer angestammten Heimat bleiben können. Wir wollen helfen, ihre Lebensverhältnisse so zu verbessern, daß sie dort weiter eine Zukunft für sich und ihre Kinder sehen können. Aber die Entscheidung, zu bleiben oder auszusiedeln, müssen die Menschen selber treffen. Wer als Deutscher nach Deutschland kommen will, für den bleibt auch in Zukunft das Tor offen.
({11})
Dies war in der Vergangenheit unsere Position, und dies wird sie auch in der Zukunft bleiben.
Wir haben die Zuwanderung aus dem Osten seit Anfang der 90er Jahre auf jährlich rund 200 000 Aussiedler verstetigen können. Das ist nicht zuviel im Vergleich zu den 10 Millionen Deutschen, die in den ersten Nachkriegsjahren in den Westen kamen und dort aufgenommen worden sind und sich dort unter so viel schwierigeren Umständen als heute integriert haben, wo wir im Wohlstand und in einem eher überperfektionierten Sozialstaat leben. Wir würden uns ein Armutszeugnis ausstellen, würden wir von unserer Obhuts- und Fürsorgepflicht für jene abrücken, die zu uns kommen, weil sie als Deutsche unter Deutschen leben wollen.
({12})
Mit Abstammungsprinzip, Ius sanguinis und dergleichen, hat dies wenig zu tun. Es geht um etwas anderes:
({13})
Es geht darum, Herr Duve, daß wir in einer Verantwortungsgemeinschaft für die Vergangenheit stehen und deshalb zur Solidarität gegenüber denen verpflichtet sind, die an den Folgen von Krieg und Naziherrschaft, von Vertreibung und Deportation, von Unterdrückung, Intoleranz und Anfeindung am schwersten zu tragen hatten. Wer es ernst meint mit der Verantwortungs- und Haftungsgemeinschaft für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, der kann sich nicht aus der Solidarität für diejenigen davonstehlen, die schwerer an den Folgen dieser Vergangenheit getragen haben als sich das die meisten im Westen heute auch nur noch vorstellen können.
({14})
Toleranz gegenüber Minderheiten - das ist die eine Lehre, die Europa aus den Schrecknissen der Vergangenheit ziehen muß. Das bedingungslose Eintreten für die Menschenrechte ist eine zweite Lehre, die es zu ziehen gilt. Das „Principiis obsta", das „Wehret den Anfängen", ist die dritte Lehre.
Mitten in Europa, eine Stunde Flugzeit von uns entfernt, werden heute wieder Städte und Dörfer zerstört, werden unschuldige Menschen terrorisiert und getötet, aus ihrer Heimat vertrieben. Im ehemaligen
Jugoslawien ereignen sich vor unser aller Augen Dinge, von denen wir geglaubt haben, daß sie wenigstens bei uns in Europa längst der Vergangenheit angehören, die wir niemals mehr dulden wollten.
Niemanden kann die große Not, das Leiden und die Verzweiflung der Menschen ungerührt lassen. Es ist wirklich beschämend, daß wir mehr oder weniger hilflos zusehen müssen, wie auf dem Balkan die Menschenrechte mit Füßen getreten werden und daß die Völkergemeinschaft bei ihrem Versuch, schlichtend einzugreifen und Gewalttaten zu verhindern, in unerträglicher Weise vorgeführt wird. Das muß ein Ende haben.
({15})
Die Erfahrung der NS-Vergangenheit lehrt uns, daß Unrecht nur verhindert werden kann, wenn man ihm rechtzeitig entgegentritt. Menschenwürde, Frieden und Freiheit sind nichts Naturgegebenes. Sie müssen immer wieder von neuem verteidigt werden. Frieden und Freiheit gibt es nicht zum Nulltarif. Deshalb dürfen auch wir Deutsche unseren Beitrag zur gemeinsamen Sicherung von Frieden und Freiheit nicht verweigern.
Wenn uns der Weiterbau Europas zu einem geeinten Kontinent nicht gelingen sollte, dann wird der Krieg auf dem Balkan vielleicht nicht der letzte in Europa gewesen sein. Also müssen wir jetzt, gerade jetzt Europa weiterbauen - mutig, entschlossen, durch Rückschläge und Widerstände unbeirrbar. Wir müssen die Europäische Union zur einer wirklichen politischen Union weiterentwickeln. Wie soll denn sonst der Gedanke der europäischen Einheit die Menschen überzeugen können, wenn dieses Europa nicht in der Lage ist, Krieg mitten in Europa zu verhindern?
({16})
Ich bin sicher, der europäische Weg ist der richtige Weg in die Zukunft. Der europäische Weg ist der Weg zur Rückkehr der rückkehrwilligen Deutschen in ihre alte Heimat. Der europäische Weg ist der Weg zur Verwirklichung der Minderheitenrechte, auch für die dort noch lebenden Deutschen. Der europäische Weg ist der Weg zur Stärkung regionaler Zusammenschlüsse über Grenzen hinweg, zwischen Deutschen und Polen, zwischen Deutschen und Tschechen und Slowaken. Der europäische Weg ist der Weg zur Aussöhnung der Völker, zur Zusammenarbeit, zum Frieden.
Am Ende dieses Jahrhunderts, das von so viel Leid, Tod und Zerstörung begleitet war, eröffnet sich für unseren alten Kontinent die Aussicht auf eine friedliche Zukunft in einem geeinten Europa. Wir können alte Gegensätze und Teilungen überwinden. Die Heimatvertriebenen haben dazu einen großen Beitrag geleistet. Dafür danken wir ihnen. Wir wollen den Weg der Aussöhnung und der Einheit weitergehen. Das ist das Beste, was wir tun können, wenn wir unsere Vergangenheit - im Guten wie im Bösen - als Erbe und Auftrag begreifen. Diesem Auftrag wollen wir uns stellen.
({17})
Als nächste spricht die Kollegin Dr. Antje Vollmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es stimmt: Die Vertreibungen gehören zu den großen Traumata dieses Jahrhunderts. Die ethnischen Säuberungen, das Vertreiben der Menschen, die doch einmal Nachbarn waren, standen am Anfang der größten Verbrechen, die dieses Jahrhundert prägen wie kein anderes zuvor. Es kennzeichnet eine Epoche großer Seelenverfinsterungen, die keine Toleranz, keine kulturelle Symbiose, keine friedliche Nachbarschaft der Völker mehr ertrug. Was ist da bloß passiert?
Die Uridee der europäischen Stadtkultur war Vielfalt, war das Nebeneinander der Regionen, die fruchtbare Kreativität einer Mischung verschiedener Kulturen. Was hat die Menschen dazu gebracht, das für jene Wahnidee aufzugeben, ein Volk und eine Bevölkerung sei nur mit sich selbst und ihresgleichen am glücklichsten, allein auf unendlichem Raum?
Die Wurzeln dieser Allmachtsphantasien reichen ins 19. Jahrhundert zurück, in die Phase der verschärften nationalen Konflikte unter den europäischen Mächten, die alle gleichzeitig nach Expansion und Weltgeltung strebten. Auch das Massenschicksal gehört dazu, das ganze soziale Schichten in den großen Modernisierungswellen des Industrialismus in gewaltige Existenzkrisen stürzte. Aber der Gipfel dieser tödlichen Obsessionen, die kalte und künstliche Konstruktion der menschlichen Gemeinwesen nach den Gesetzen der Monokultur, war Adolf Hitler und den deutschen Nationalsozialisten vorbehalten.
Alles, was dieser Größenwahn anfaßte, wurde zu nichts: vernichtet die Bürgergesellschaften mit ihren sensiblen kulturellen und wirtschaftlichen Gleichgewichten; zerstört die traditionsreichen europäischen Städte mit ihrem Völker- und Sprachengemisch; überrollt auch der erste hoffnungsvolle und so stolze Versuch der jungen Demokratien in der Tschechoslowakei, in Polen, in den baltischen Staaten.
Wer aber von Verlust und Trauer über all das redet, was damals vernichtet wurde, der muß immer und zuerst über die Vertreibung der Juden aus ganz Mitteleuropa reden.
({0})
Weil das so ist, ist auch der erste und wichtigste Satz beim Gedenken an die verlorenen Heimaten der, daß es die jüdischen Stadtviertel nicht mehr geben wird, nie wieder das jüdische Stettl, nie wieder die jüdischen Kulturen in Böhmen und Galizien. Alles, was dieser Hitler angepackt hat, Menschen, Völker und Kulturen, hat er zu Asche, Staub und LeiDr. Antje Vollmer
chenbergen gemacht. Ein Zufall ist es keineswegs, daß genau diese Radikalität und diese gigantomanische Monokultur einen Ideologen wie Stalin so sehr fasziniert hat, daß die beiden Regime fast zu schwarzen Zwillingen wurden.
Mit dem Tod Hitlers und mit dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus hatte das Vertreiben noch kein Ende. Das gerade macht es für uns zum Gegenwartsthema - bis zur bosnischen Tragödie. Zwischen 1945 und 1989 - da könnte vielleicht auch die rechte Seite des Hauses einmal zuhören - war die Vertreibung ein Thema, das die politische Welt fein säuberlich in Lager trennte. Es war vor allem ein innenpolitisches Thema, ein Kampfthema.
Für die Konservativen markierte es das Terrain einer stabilen Stammwählerschaft von großer nationaler Treue und Verläßlichkeit. Für die politische Linke war es weitgehend ein Tabuthema, besetzt von vermeintlich Ewiggestrigen, die partout die gerechte Strafe der Geschichte über die deutsche Gewaltherrschaft nicht akzeptieren wollten. Auch dieses Wegsehen - das möchte ich heute sagen - war kein Ruhmesblatt in der Aufarbeitung historischer Wahrheiten, obwohl es auch seine Gründe hatte, Herr Schäuble. Auch Sie wissen, daß es in diesem Milieu massive rechte und radikale Kräfte gegeben hat.
Aber das Wegsehen war auch mitleidslos gegenüber den Menschen, die ohne Schuld wiederum Opfer von Gewalterfahrungen wurden. Das war noch nicht einmal politisch besonders klug; denn Heimatvertriebene sind nicht per se als Besitzstand irgendeines politischen Lagers geboren.
Nein, beide Interpretationen wurden letztendlich dem Einzelschicksal und der Vielfalt der Biographien nicht gerecht.
So unvollkommen und interessengeleitet auch immer das Problem der Vertreibung begriffen wurde, im Alltag und in der Praxis der jungen Bundesrepublik fand ein lautloses Integrieren und Assimilieren statt. Das war tatsächlich eine gewaltige soziale Integrationsleistung.
Das begreift man erst angesichts der großen innenpolitischen Spannungen bei der Integration der Einwanderer in die heute doch so viel reichere Gegenwartsrepublik. Das begreift man auch angesichts der erheblichen Spannungen und Irritationen im Prozeß der deutschen Einheit.
Es war wirklich erstaunlich: Ein zerstörtes Land mit seiner zerschlagenen, schuldbeladenen Nachkriegsbevölkerung schaffte keine Flüchtlingslager und keine landsmannschaftlichen Gettos, sondern integrierte 12 Millionen Flüchtlinge und Heimatvertriebene.
Auch umgekehrt: 12 Millionen Vertriebene gründen keine militanten Freikorps, die sich an den Gefühlen der Gekränkten und Zukurzgekommenen mästen. Sie gründen auch keine Untergrundarmee. Sie wurden nicht zum sozialen Sprengstoff - wie Stalin es wollte -, sondern sie verzichteten früh auf Rache und wurden damit zu etwas wie sozialem Sauerteig.
Sie beginnen sich Stück für Stück aus den Minderwertigkeitsgefühlen gegenüber den glücklicheren Einheimischen zu befreien, ringen denen einen Lastenausgleich ab, schlucken den Groll über die Alltagsdemütigungen herunter, vertrauen auf ihre eigene Kraft und werden damit zum eigentlichen Motor einer gewaltigen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Modernisierung ihrer ganzen Umgebung.
({1})
Im Rückblick wurde es dann doch noch zu einem Glücksfall: Wahrscheinlich ist damals mit der erzwungenen Völkerwanderung und der geglückten kulturellen Integration der Grundstein für jene multikulturelle und liberale Gesellschaft gelegt worden, die die alte Bundesrepublik so liebenswert und so offen gemacht hat.
Das war nämlich nicht angelegt in den deutschtümelnden, dumpfen Nazigesellschaften. Das war ein Prozeß, der ein Moment vom jungen Amerika hatte. Menschen, denen das Schicksal keine großen Erbschaften und keine traditionsreichen Heimaten in den Schoß warf, können zu Zeiten ein unglaubliches Vertrauen in die eigene Kraft und eine erstaunliche Kreativität entwickeln, mit teilweise erstaunlichen Karrieren. Nicht wahr, Joschka Fischer?
({2})
Soviel zur Vergangenheit.
Kommen wir zur Gegenwart. Seit 1989 ist eines klar: Das letzte Wort zum Thema Vertriebene ist noch nicht gesprochen. Daß es aber drei konservativen Regierungen - in Bonn, in Prag und in München - nicht gelingen will, ein paar vergleichsweise kleine Gegenwartsprobleme zu lösen, das kann doch wohl nicht wahr sein!
({3})
Eine Lösung zeigt auch nicht der ziemlich karge Absatz, den Sie, Herr Bundeskanzler, den Problemen mit den Tschechen gewidmet haben.
Es geht um den Wiederaufbau jener europäischen Bürgergesellschaften der Toleranz, der kulturellen Symbiose und der friedlichen Nachbarschaft der Völker, und es geht um die Versöhnung mit unseren unmittelbaren Nachbarn im Osten, vor allem mit den Tschechen, den Slowaken und den Polen.
Hier haben die Vertriebenen durch eine Gunst
der Stunde eine einmalige Schlüsselrolle. Sie können den Weg frei machen, aus den alten Fesseln von Vergangenheitsansprüchen, elenden Junktims und Wenn-aber-Erklärungen herauszukommen. Sie könnten sogar Geschichte machen, Herr Dregger. Aber das geht nur jetzt, nicht irgendwann. Sonst droht nämlich diese Geschichte über sie hinwegzugehen. Das klingt hart, aber, ich glaube, es ist wahr.
Für die Versöhnung mit unseren unmittelbaren Nachbarn im Osten haben wir schon viel Zeit verloren, fast ein halbes Jahrhundert. Niemand sollte diese Zeit um weitere nutzlose Jahre verlängern. Niemand hat ein Recht dazu.
An dieser Stelle ein Wort zu dem für die Vertriebenen so wichtigen Recht auf Heimat, so wie ich es am letzten Wochenende interpretiert gehört habe. Ja, es stimmt: Menschen brauchen eine Heimat so wie Brot und Luft zum Atmen und Freiheit. Wenn aber das Recht auf Heimat als immerwährender materieller Eigentums- und Wiedererstattungsanspruch verstanden wird, wenn das Recht auf Heimat für Enkel und die Kinder der Enkel reklamiert wird, die längst in anderen Heimaten geboren wurden, wenn das Recht auf Heimat nicht anerkennt, daß in den ehemaligen deutschen Gebieten heute neue Heimatrechte entstanden sind, die auch berücksichtigt werden müssen, dann liegt kein Segen darauf.
({4})
Dann würde es selbst zum zerstörerischen Moment für die Zukunftsperspektiven der nächsten Generationen. Es ist gerade das Problem, daß es dieses statische, ewige, immerwährende gleiche Heimatrecht so nicht geben kann.
Ganz konkret zum Thema Recht auf Heimat: Herr Bundeskanzler, da sind Sie diesem Parlament noch eine Erklärung schuldig. Im Mai 1991 hatte Präsident Havel Ihrer Regierung die erleichterte Erlangung
) der Staatsbürgerschaft für die ehemaligen Bürger der Tschechoslowakischen Republik angeboten. Damals gab es noch eine Mehrheit für dieses Angebot im tschechoslowakischen Parlament; damals gab es dort noch die doppelte Staatsbürgerschaft.
Die Bedingungen für wirklich Rückkehrwillige wären damals, im Mai 1991, glänzend gewesen. Bis heute habe ich weder von Ihnen noch vom Außenministerium eine stichhaltige Erklärung gehört, warum die Bundesregierung auf diesen Vorschlag nicht einmal eingegangen ist. Oder war es die reine Ironie der Geschichte, daß es in diesem Fall Deutsche gewesen wären, die eine doppelte Staatsbürgerschaft dringend angestrebt hätten?
Es ist keine Zeit mehr zu verlieren. Präsident Havel hat sich 1989 für die Vertreibung der deutschen Mitbürger aus der Nachkriegstschechoslowakei entschuldigt. Alle führenden Politiker der Tschechischen Republik reden in dieser Frage mit einer Stimme und sind zu großen politischen Schritten bereit, allerdings nur, wenn Sie nicht die eigentliche staatliche Existenz und den sozialen Frieden in dieser Republik gefährden, was doch selbstverständlich ist; niemand von Ihnen würde anders handeln.
Die deutsche Politik hat keine Ausrede mehr dafür, jetzt nicht ihrerseits das Richtige zu tun, und zwar schnell, um das Verhältnis zwischen den Deutschen und den Tschechen so zu gestalten, daß die nächste Generation damit endlich wieder Zukunftspolitik machen kann.
Deswegen ein konkreter Vorschlag - auch weil wir uns in dieser Woche zwischen zwei großen Treffen der Heimatvertriebenen befinden -: Aus diesem Haus sollte und muß ein Appell an das Sudetendeutsche Treffen am Pfingstwochenende ausgehen. Er muß lauten: Schlagen Sie diese Chance für das richtige Wort zur richtigen Zeit nicht aus! Verzichten Sie endlich auch öffentlich auf verunsichernde Beiträge, auf unrealistische Eigentumsansprüche, von denen Sie alle genau wissen - das äußern Sie in privaten Gesprächen auch -, wie unerfüllbar sie sind! Erkennen Sie an: Nicht jene sind Ihre Freunde, die Ihnen weiterhin schöne, illusionäre Versprechen machen, die sie doch nicht halten werden und auch gar nicht halten können! So sind nämlich die Realitäten.
In der Wahrheit leben heißt auch, in der real existierenden Gegenwart mit ihren politischen Möglichkeiten und ihren politischen Fesseln anzukommen.
({5})
Die Zukunft ist zu kostbar, als daß wir weiterhin in vergangenheitsbezogenen Luftschlössern leben und darin alte Gespenster füttern dürften.
Meine Damen und Herren, nach allem, was Europa erlebt hat, haben wir heute wieder eine große, ja, eine einmalige Chance, eine neue mitteleuropäische Kultur aufzubauen, die in der friedlichen Nachbarschaft vieler großer und kleiner neuer Demokratien begründet ist. Wenn es uns dann gelänge, diese neue mitteleuropäische Kultur aufzubauen, die wieder an den Gesetzen der Toleranz, der kulturellen Symbiosen orientiert ist, dann könnte sie vielleicht das eine oder andere Mal doch noch an das alte Europa erinnern, das es vor den großen Vertreibungen einmal gegeben hat.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort nimmt jetzt unsere Kollegin Ina Albowitz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Menschen in der Bundesrepublik, im Osten und im Westen Europas haben Sehnsucht nach Frieden, die Bürger in Frankreich oder in Belgien genauso wie in Polen oder der Tschechischen Republik. Die Tatsache der Vertreibung von Millionen Deutschen aus ihrer mittel- und osteuropäischen Heimat am Ende des Zweiten Weltkrieges zwingt uns allerdings heute dazu, hier nicht auf der Basis geschichtswissenschaftlicher Forschung zu diskutieren, sondern ihre ganz persönlichen Schicksale ganz konkret vor Augen zu haben.
Sie wollten und sie wollen nach 1945 ein neues Zeitalter beginnen und nicht in regelmäßigen Abständen Kriege miteinander führen, weder mit WafIna Albowitz
fen noch mit Worten. Sie wollten und sie wollen friedliche Initiativen entfalten, damit sie, ihre Kinder und Enkelkinder miteinander in einem dauerhaft friedlichen Europa leben und arbeiten können.
({0})
Ein altes chinesisches Sprichwort sagt: Auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. In den vergangenen 50 Jahren sind viele Schritte gemacht worden, große und kleine, kurze und lange. Manchmal ging es gut und manchmal weniger gut voran, manchmal trat man auch auf der Stelle.
Das politische Schicksal Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg wollte es, daß wir die Aussöhnung mit dem Westen angehen und verwirklichen konnten, lange bevor uns dies mit unseren Nachbarn im Osten möglich war. Nach den gewaltigen politischen Umwälzungen in Osteuropa ist jetzt, in der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts, die Zeit gekommen, mit großer Energie, am besten mit großen festen Schritten die letzten Stolpersteine auf dem Weg der Beziehungen zu den Staaten Osteuropas zu beseitigen.
({1})
Der Beitrag der Heimatvertriebenen zum Wiederaufbau in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ist unbestreitbar und auch unbestritten. Ohne sie hätten der Wiederaufbau und auch unser Wirtschaftswunder so nicht stattgefunden. Zwölf Millionen Heimatvertriebene mußten sich einer enormen Herausforderung stellen. Die Bewertung der Leistung, die die Heimatvertriebenen vollbracht haben, kann aber nicht nur unter politischen Gesichtspunkten erfolgen.
Die psychologischen Aspekte sind beachtlich. Da waren Menschen, die entweder alles verloren hatten oder nur einen geringen Teil ihrer Habe retten konnten. Sie mußten noch einmal ganz von vorn anfangen, und das oftmals ohne ihre im Krieg zu Tode gekommenen Angehörigen. Und sie leisteten einen entscheidenden Beitrag bei der Wiedererrichtung von Politik und Gesellschaft, von Wirtschaft und Industrie in einem von einer Diktatur geschundenen Land.
Welche Lehren sind 50 Jahre danach aus dem gro-Ben Leid, aus dem Schicksal von Vertreibung und Flucht, aus dem Verlust der Heimat und der jahrzehntelang gelebten sozialen Bindungen zu ziehen? In vielen Reden und Aufsätzen zum 50. Jahrestag des Kriegsendes stand und steht ein Gedanke immer wieder im Vordergrund: Die Vertreibung kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern sie ist eine Folge des von Hitlerdeutschland vom Zaune gebrochenen Zweiten Weltkrieges. Letztlich ist sie eine Folge der Machtergreifung der Nazis im Jahre 1933.
Die Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten im Osten als Reaktion auf das Unrecht, das von Deutschland durch die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges verübt wurde, ist Unrecht. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Ayala Lasso, hat im Grußwort an den Bund der Vertriebenen in
der letzten Woche die Vertreibung von Menschen aus ihrer Heimat als völkerrechtswidrig bezeichnet und das Recht, nicht aus der Heimat vertrieben zu werden, als fundamentales Menschenrecht definiert.
Es besteht kein Zweifel daran, daß den Völkern Zentral- und Mitteleuropas unter nationalsozialistischer Besetzung und im Rahmen der menschenverachtenden Ideologie der Nazis unglaubliches Leid zugefügt worden ist. Die schmerzlichen Folgen aus Vertreibung und Flucht, die 12 Millionen Deutsche getroffen haben und in deren Verlauf ca. 2 Millionen Menschen zu Tode kamen, haben auf beiden Seiten tiefe Wunden gerissen, die lange Zeit die Versöhnung zwischen den Völkern erschwert haben.
Zu einer Versöhnung gehört aber auch die Fähigkeit der Menschen, sich zu verzeihen. Es braucht seine Zeit - wir haben dies nicht zu kritisieren -, bis sich diese persönliche Fähigkeit, bis sich die Kraft und die Souveränität dazu herangebildet haben. Gerade für den besonders empfindlichen Bereich des Umgangs mit geschehenem Unrecht durch Kriege und ihre Auswirkungen muß gelten, daß sich keine Seite in den Teufelskreis aus Rache und Vergeltung begibt.
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Man darf nicht Leid gegen Leid und Unrecht gegen Unrecht aufrechnen. Man darf nicht aus - vielleicht menschlich sogar verständlicher - Verbitterung über das eigene Schicksal die Chancen verpassen, die eine sich wandelnde Welt den Völkern bietet. Man darf nicht kalkulierend oder buchhalterisch eine Atmosphäre der Vorleistungspflichten konstruieren.
Bei einer Bewertung der Politik der Vertriebenenverbände im Nachkriegsdeutschland erkennen wir an, daß' sie vor dem Hintergrund des anhaltenden Schmerzes über den Verlust der Heimat ernsthafte Anstrengungen unternommen haben, die Aussöhnung mit unseren mittel- und osteuropäischen Nachbarn voranzutreiben. Ein Riesenschritt in Richtung einer Normalisierung zwischen den Völkern war die „Charta der Vertriebenen" aus dem Jahre 1950 mit ihrer Erklärung des „Verzichts auf Rache und Vergeltung" sowie mit der Festschreibung eines dauerhaften Friedens in Europa.
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Aber zur Wahrheit gehört ebenfalls: Es gab auch Felsbrocken auf der Straße zur Aussöhnung. Die starre Haltung der Vertriebenenverbände zu den Ostverträgen Anfang der 70er Jahre hatte zu einer Verschärfung des politischen Klimas in Deutschland, aber auch zur Verstimmung bei unseren Nachbarn im Osten geführt.
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Ebenso war das Motto des Schlesiertreffens im Jahre
1985 eine Belastungsprobe, wo mit dem letztendlich
nur widerwillig geänderten Spruch „Schlesien bleibt
unser" längst geschlossen geglaubte Gräben wiederaufzubrechen drohten.
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Aber Veränderungen in Osteuropa nach 1989 haben zu einem neuen Klima von Freiheit, Toleranz und Verständnis im Umgang der Völker miteinander geführt. Die Öffnung der Grenzen hat auch eine Öffnung und Hinwendung der Menschen zueinander mit sich gebracht. Diese Haltung hat auch die Vertriebenenverbände erfaßt.
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Anläßlich der Gedenkstunde in Frankfurt am letzten Sonntag sagte der Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, unser ehemaliger Kollege Wittmann:
Das große Aufbauwerk in Osteuropa bietet genug Arbeit für gemeinsame Leistungen, in der gegenseitiges Vertrauen wachsen kann für ein friedliches Nebeneinander.
Die dort aufgestellte Forderung, daß die junge Generation die Konsequenzen des friedlichen Zusammenlebens ziehen solle, unterstütze ich aus vollem Herzen.
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Wir sind froh, daß die Vertriebenenverbände ihren Blick auf die Zukunft richten.
Auch bei unseren östlichen Nachbarn gibt es ermutigende Signale für eine Normalisierung des Verhältnisses. Die Bewertung der Beziehungen zwischen unserem Land und unseren Nachbarn im Osten kann und muß sich an den bedeutungsvollen Äußerungen des tschechischen Präsidenten Havel und des polnischen Außenministers Bartoszewski ausrichten. Sie haben mit ihren großherzigen Gesten den Weg in Richtung von Versöhnung und Verzeihen gewiesen. An ihren Äußerungen kann man ermessen, wie sehr sich die Verhältnisse in den letzten Jahren gewandelt haben. Unsere Partner in Mittel- und Osteuropa sind heute demokratisch gewählte Regierungen und Parlamente, die eine intensive Zusammenarbeit mit uns wünschen.
Ein zusammenwachsendes Europa unter Einschluß der Staaten Osteuropas schafft die Voraussetzungen für eine weitgehende Beseitigung der Kriegsfolgen im zwischenstaatlichen Bereich. Ich finde diese Entwicklung beeindruckend; sie weckt Hoffnungen und erfüllt Träume. Ein geeintes Europa mit seinen Möglichkeiten an Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit gibt uns die Chance, weg von territorialem Denken und hin zu einer Neudefinition von Heimat als dem Ort des Wohlbefindens ohne Vertreibungsangst zu kommen. Noch vor einigen Jahren, in den Zeiten der Blockbildung, des Eisernen Vorhangs, des Ost-West-Vergleichs, in den Zeiten staatlicher Unvereinbarkeiten und gegenseitiger Berührungsängste, war das undenkbar.
Im neuen europäischen Staatengefüge brauchen wir europäische Lösungen, um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden. Europa wird wirtschaftlich keinen Bestand haben, wenn es nicht auf vielfältige Art zusammenwächst. Nur ein in Frieden geeintes Europa kann die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der gesamten Welt erhalten. Die Umweltprobleme machen an keiner Grenze halt und brauchen europäische Lösungen. Es gibt keine nationale Energiepolitik mehr, weil alle aufeinander angewiesen sind. Das betrifft die Sicherheit der Kernkraftwerke ebenso wie die Kohle- und Stromversorgung und die Gas- und Ölkapazitäten. Eine Verkehrspolitik oder moderne Informations- und Kommunikationssysteme und -netze auf nationale Grenzen einzuengen ist undenkbar.
Europa wird es aber nur geben, wenn ethnische und nationale Egoismen oder religiöse Intoleranz beendet werden.
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Unser positiver Beitrag ist - in aller Bescheidenheit - die Chance, die Menschen in Europa zusammenzuführen. Wir sollten sie nutzen.
Meine Damen und Herren, der Bund der Vertriebenen hat mehrmals zur Verständigung mit Osteuropa aufgerufen. Der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag aus dem Jahr 1991 hat sich bewährt; das deutsch-polnische Verhältnis entspannt sich zusehends, seit wir wieder die Möglichkeit haben, nach Osteuropa zu reisen. Natürlich sind nicht alle Schwierigkeiten ausgeräumt. Dies konnte man, glaube ich, auch so schnell nicht erwarten. Wenn auch mit Polen die meisten der gravierenden Probleme aus der Welt geschafft sind, bleibt noch einiges zu tun. Freundschaften muß man pflegen, um sie zu bekommen, aber vor allem, um sie zu erhalten.
Meine Damen und Herren, mit großer Sorge betrachten ich und meine Fraktion die Frage unseres Verhältnisses zur Tschechischen Republik. Es ist ein schwieriges Thema. Nach Ansicht des tschechischen Botschafters in Bonn ist es „keine juristische und finanzielle, sondern schon fast eine psychotherapeutische Frage" . In der Tat ist es durch die Schatten der Vergangenheit immer noch belastet. Wir wissen, daß die Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrages vom Februar 1992 nicht alle offenen Fragen gelöst hat.
Ich stelle fest: Es gibt auf beiden Seiten, auf tschechischer und auf deutscher, immer noch Schwierigkeiten, normal miteinander umzugehen. Auch hier spielen subjektives Empfinden und das eben schon angesprochene Verzeihen eine große Rolle. Wer aber legt fest, wie schnell oder langsam, wie leicht oder schwer jemand die Greuel von Krieg und Besatzung, von Willkürherrschaft und Unterdrückung oder auch von Flucht und Vertreibung vergessen und vergeben kann?
Der tschechische Premierminister Klaus hat bekräftigt, daß die Vertreibung der Sudetendeutschen ausdrücklich zu bedauern sei. Wer die tschechische Seele ein wenig kennt, weiß, was das für ein großer
Schritt auf dem Wege zur Versöhnung gewesen ist. Doch auch hier wirkt die Vertreibungsproblematik noch nach, und unser Verhältnis ist noch nicht spannungsfrei.
Dennoch, meine Damen und Herren: Wir sind auf einem guten Wege. Die Antwort der Bundesregierung vom September 1994 zur Entwicklung des deutsch-tschechischen Verhältnisses zeigt ja beeindruckend auf, in wie vielen Bereichen es inzwischen eine beiderseits fruchtbringende Zusammenarbeit gibt. Dies gilt für die Erleichterungen beim Reise- und Fremdenverkehr und für den Ausbau von Kommunikationsverbindungen. Maßnahmen im Geflecht der europäischen sicherheits- und abrüstungspolitischen Strukturen gehören ebenso dazu wie der Warenverkehr und gegenseitiger Sprachunterricht. Der Pflege des Kulturguts gebührt ein besonderer Stellenwert.
Nichtstaatliche Organisationen in beiden Ländern wie Parteien, Gewerkschaften, Kirchen oder Sportverbände pflegen unmittelbare Kontakte und Zusammenarbeit. Ich würde mir wünschen, daß sich das deutsch-tschechische Verhältnis durch private Kontakte der Menschen auf Reisen, durch verstärkte Städtepartnerschaften oder gemeinsame Initiativen bald genauso gut entwickelt, wie es uns bei den deutsch-französischen Beziehungen genau durch diese Initiativen vorgemacht worden ist.
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Der tschechische Botschafter, um ihn noch einmal zu zitieren, schätzt die Chance für eine Aussöhnung zwischen den Deutschen und den Tschechen als „deutlich verbessert" ein. Ich hoffe und wünsche beiden Ländern, daß er recht hat. Eines möchte ich allerdings ganz klar sagen: Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir eine schnelle und angemessene Lösung für die noch nicht entschädigten NS-Opfer.
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Hier darf keine Zeit mehr verloren werden. Ich halte es für ebensowichtig, die Sudetendeutschen in die Lösungsüberlegungen einzubeziehen, ohne daß hier ein Junktim bestünde.
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Ein gern gebrauchtes Zitat deutscher Außenpolitik der letzten Jahre heißt: Nichts ist so stark wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Die Zeit für den großen, vielleicht für den letzten Brückenschlag ist gekommen. Wir sollten die schwierigen Schritte, die auf diesem Weg noch vor uns liegen, gemeinsam gehen.
Sich heute schon vorzustellen, wie nach der vollständigen Beseitigung aller Probleme, die wir noch haben, Deutsche und Tschechen gemeinsam in einem Beisel in Pilsen oder in Radeberg sitzen und feststellen, wie dumm es war, jahrelang Mißtrauen und Angst voreinander zu haben, ist für mich ein wunderbarer Gedanke.
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Meine Damen und Herren, es gibt auch heute noch überall auf der Welt dramatische Krisenherde und Orte offener Aggression, wo sogenannte ethnische Säuberungen und Vertreibungen von Menschen aus ihrer angestammten Heimat an der Tagesordnung sind. Wir Deutschen hatten die Gelegenheit und die Chance, aus unseren Fehlern und deren Folgen zu lernen. Wir sollten ein gut Teil unserer Kraft, unseres politischen Einflusses und unseres Wollens darauf verwenden, solchen Entwicklungen in Europa und weltweit entgegenzuwirken.
Ich danke Ihnen.
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Als nächste spricht die Abgeordnete Ulla Jelpke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schwer zu ertragen, mitzuerleben, wie heute von der Bundesregierung und den Funktionären der Sudetendeutschen Landsmannschaft mit dem sogenannten Dialog zwischen Tschechen und Sudetendeutschen umgegangen wird. Diese Dialogbereitschaft ist offenbar allerorten anzutreffen, angeblich sei Bewegung in die deutsch-tschechischen Beziehungen geraten, egal ob im Münchner Domizil der Sudetendeutschen Landsmannschaft, bei der bayerischen Landesregierung oder bei der Bundesregierung. Selbst der knallharte Rechtsextremist aus dem Witikobund führt zuerst das Wort „Dialog" im Mund, bevor er zum eigentlichen Kern seines revanchistischen Anliegens kommt.
Der Sachverhalt ist klar: Es geht nicht um die zur Schau gestellte Bereitschaft zum Dialog, sondern es geht um die Grundlage, auf der man den Dialog führen will. Und da hat sich meines Erachtens auch nach der bisherigen Debatte heute nicht viel Neues ergeben. Die Bundesregierung hält nach wie vor in unverschämter Weise daran fest, daß sie die Entschädigung der tschechischen NS-Opfer mit einer Entschädigung der Vertriebenen verknüpft.
Dies ist der tatsächliche Skandal. Auch 50 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus ist die Bundesregierung nicht willens, vorab und ohne jegliche Bedingungen die tschechischen Opfer der Nazibarbarei zu entschädigen. Es ist geradezu eine Verhöhnung, wenn Außenminister Kinkel in der Debatte am 17. März 1995 erklärte, der Bundeskanzler und er bemühten sich „wahrhaftig und mit großem Ernst um eine Lösung". Tatsache ist vielmehr, daß die Lösung nach wie vor ausgesessen wird. Tatsache ist weiter, daß auch heute weiterhin von einer Gleichartigkeit der Kriegspolitik des NS-Staates und der Befreiung ausgegangen wird.
Nicht nur in diesem Punkt ist der Gleichklang zwischen Bundesregierung und Vertriebenenfunktionären unüberhörbar. Der Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Neubauer, formuliert diese Maxime bundesdeutscher Politik so: Es müsse eine „gleichwertige Entschädigung für deutsche Opfer gleichartiger Gewalt- und Unrechtstaten, die von tschechischer Seite begangen wurden", geben.
Hier wird die Aufhebung der Einmaligkeit der NS-Verbrechen zur Staatsdoktrin erhoben, und - schlimmer noch - es wird erpresserisch versucht, den Regierungen unserer östlichen Nachbarstaaten dies aufzuzwingen. Der tschechische Ministerpräsident Václav Klaus hat allemal recht, wenn er unmißverständlich erklärt, daß man in diesem Punkt „keine Gleichstellung dulden" könne und diese Haltung der Bundesregierung eine Schande sei.
Für die Bundesregierung ergibt sich aus ihrer Politik automatisch die Übernahme der weiteren Bedingungen der Vertriebenenverbände für den Dialog, so der Forderungen nach Aufhebung der Beneš-Dekrete, also Aufhebung der Enteignungen der Grundstücke und des Vermögens der Sudetendeutschen oder doch zumindest deren moralische Verurteilung durch die tschechische Regierung, Verurteilung der Amnestieregelungen durch die tschechische Regierung, Recht auf Ansiedlung der Sudetendeutschen als Volksgruppe - ich betone: ein Heimatrecht als Volksgruppe -, Verurteilung der aktuellen Rechtsprechung des tschechischen Verfassungsgerichtes zu den Beneš-Dekreten. Im Prinzip stellt die Bundesregierung damit die Nachkriegsordnung, wie sie im Potsdamer Abkommen festgelegt worden ist, in Frage.
Meine Damen und Herren, das sind die Forderungen, die die Bundesregierung an die tschechische Seite stellt, um einen „wahren Dialog" führen zu können, wie dies Herr Kinkel zu formulieren beliebte. Die Frage ist nun: Was bringt die Bundesregierung außer diesen Forderungen an eigenen Vorstellungen in den Dialog ein? Die Antwort ist einfach: nichts. Es gibt nicht einmal die Bereitschaft, sich als eine der ersten Maßnahmen von den Rechtsextremisten in den Vertriebenenverbänden zu trennen. Ebensowenig beabsichtigt die Bundesregierung, den Vertriebenenverbänden die Mittel zu streichen, mit denen Rechtsextremisten auf Veranstaltungen oder in Zeitungen ihre Inhalte verbreiten.
Wenn hier heute der Beitrag der Heimatvertriebenen für den Frieden in Europa durch die Bundesregierung abgefeiert wird, dann stelle ich mir gestandene Vertriebenenpolitiker wie Hupka, Czaja und andere mit ihrer revanchistischen Politik à la „Schlesien bleibt unser" und „Verzicht ist Verrat"
VOL
Frau Jelpke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Irmer?
Nein.
Vor diesem Hintergrund ist die Lobhudelei durch die Bundesregierung makaber. Mehr noch: Die Pressemeldungen der letzten Tage sind voll davon, daß die Bundesregierung selber Angst davor hat, daß die Vertriebenenfunktionäre mit ihren einschlägig bekannten revanchistischen Parolen die gegenwärtigen geheimen Verhandlungen mit den tschechischen Regierungsstellen stören könnten. Sie hofft darauf, daß der 46. Sudetendeutsche Tag ausnahmsweise - ich betone dies - einmal etwas ruhiger verläuft.
Das heißt: Sie wissen sehr wohl, daß es die Vertriebenenverbände sind, die mit ihren markigen Forderungen und Parolen die Verständigung in Europa torpedieren und die Regierungen und die Bevölkerung unserer Nachbarstaaten beschimpfen.
({0})
Die tschechische Presse hatte durchaus recht, als sie nach der letzten Regierungerklärung von Außenminister Kinkel feststellte, daß die Bundesregierung den - Zitat - „Chefs der Landsmannschaften gehorcht".
Die Bundesregierung ist nicht einmal bereit oder traut sich nicht, gegen antisemitische, rassistische und neofaschistische Positionen in den Verbänden vorzugehen, weil dies ihr Verhältnis zu jenen Verbänden trüben könnte.
({1})
Hier einige Beispiele dafür, was sich Funktionäre der Vertriebenenverbände unangetastet erlauben können: Das „Ostpreußenblatt" kann die Ermordung von 6 Millionen Jüdinnen und Juden genauso wie die Existenz von Gaskammern in NS-Vernichtungslagern anzweifeln. Das „Ostpreußenblatt" hat nach dem Anschlag auf die Lübecker Synagoge 1994 den damaligen Chef der rechtsextremen Republikaner, Schönhuber, gegen den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Bubis, in Schutz genommen. Der Rechtsextremist Schodruch, der damalige Stellvertreter Le Pens im Europaparlament, konnte auf dem Deutschland-Treffen der Landsmannschaft Ostpreußen 1994 in Düsseldorf offiziell als geladener Redner auftreten. Funktionäre des Witikobundes, der nationalen Gesinnungsgemeinschaft in der Sudetendeutschen Landsmannschaft, konnten sich unverhohlen antisemitisch äußern wie beispielsweise der CDU-Politiker Rüdiger Goldmann, der einen Zusammenhang zwischen der jüdischen Abstammung des deutsch-französischen Publizisten Alfred Grosser und dessen Kritik an der Politik der Vertriebenenverbände hergestellt hat. Der „Witiko-Brief" hat Initiativen aus Kreisen der Sudetendeutschen Landsmannschaft für eine deutsch-jüdische Versöhnung ungestraft als „Trittbrettfahrer im zeitgenössischen Holocaust-Express" diffamiert. Der stellvertretende Vorsitzende des Witikobundes, Übelacker, Träger des Großen Ehrenabzeichens der Sudetenlandsmannschaft, bezeichnete das Massaker der SS in Lidice als „völkerrechtlich übliche Sache" und titulierte die Politik der tschechischen Regierung als „Raubsicherungspolitik". Der
Bundesvorsitzende dieses Bundes, Walter Staffa, drohte den Polen damit, daß das „grausame Geschehen einer Vertreibung ... die Vertreiber selbst treffen" kann.
Es bleibt festzustellen, daß die Bundesregierung die Duldung dieser Vertriebenenpositionen in den Dialog mit der tschechischen Regierung einbringt. Sie will oder kann gegen diese Kreise nicht vorgehen, weil einige der Regierungsvertreter und Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion selbst in den Vertriebenenverbänden aktiv sind oder weil, laut „Spiegel" vom letzten Montag, 16 % der Wählerinnen und Wähler in der Bundesrepublik Deutschland entweder Vertriebene sind oder von Vertriebenen abstammen.
Meine Damen und Herren, auch wenn Sie unserem Antrag nicht zustimmen werden, so bitte ich Sie doch eindringlich darum, die von mir hier und in der Vergangenheit in Kleinen Anfragen vorgetragenen Fakten über die rechtsextreme Durchsetzung der Vertriebenenverbände zu prüfen und alles zu unternehmen, damit diesen Verbänden die politische und finanzielle Förderung durch die Bundesregierung entzogen wird.
Ich danke.
({2})
Es spricht jetzt der bayerische Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber.
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine sehr verehrten Herren! Zum Gedenkjahr 1995 - das kam in fast allen Beiträgen zum Ausdruck - gehört die Erinnerung an das Kriegsende, die Erinnerung an die Leiden, Schrecken und Greuel, die von Deutschen über die Völker Europas gebracht wurden. Wir gedenken aller Opfer der Nazidiktatur und trauern um sie. Kein Jota deutscher Schuld haben wir in Abrede gestellt.
Zum Gedenkjahr 1995 gehört aber auch die Erinnerung an Flucht, Vertreibung, Deportation und Zwangsarbeit von Millionen von Landsleuten. Die Deutschen aus dem Osten sind jener Teil unseres Volkes, der an den Folgen des von Hitler-Deutschland vom Zaun gebrochenen Krieges am meisten zu leiden hatte. Je östlicher sie wohnten, um so härter war ihr Lebens- und Leidensweg. Weit über 15 Millionen Deutsche wurden davon betroffen, über 2 Millionen von ihnen starben. Auch das ist Teil unserer gemeinsamen Geschichte. Das werden wir nicht verdrängen und vergessen. Wir erinnern an dieses Geschehen. Der Toten gedenken wir mit Trauer. Ich danke dem Bundeskanzler für die Regierungserklärung und für das, was er darin zum Ausdruck gebracht hat, und auch für den Zeitpunkt.
({1})
1954 übernahm Bayern - deswegen erlaube ich mir, hier das Wort zu nehmen - die Schirmherrschaft Tiber die Sudetendeutschen. In der Urkunde heißt es, daß die Bayerische Staatsregierung „die sudetendeutsche Volksgruppe als einen Stamm unter den Volksstämmen Bayerns" betrachtet und sie „bei der Wahrnehmung der heimatpolitischen, kulturellen und sozialen Aufgaben ideell und finanziell fördern wird". Das gilt unverändert fort. In dieser Tradition stehe ich.
({2})
Das wird darin sichtbar, daß Bayern uneingeschränkt an der gesetzlichen Verpflichtung festhält, das Kulturgut des deutschen Vertreibungs- und Siedlungsgebietes im Bewußtsein unseres Volkes zu erhalten und dafür auch eine entsprechende Förderung zu gewährleisten. Die Bayerische Staatsregierung entzieht sich nicht, wie so manch andere Länderregierungen, dieser Verpflichtung.
({3})
Wir halten an § 96 des Bundesvertriebenengesetzes uneingeschränkt fest.
Als Ministerpräsident des Schirmlandes der Sudetendeutschen, des Patenlandes der Ostpreußen und als Ministerpräsident eines Landes, das an Tschechien angrenzt und das unmittelbar die Folgen des Eisernen Vorhanges und die Teilung des europäischen Kontinents gespürt hat, liegt mir daher das Verhältnis zu den östlichen Nachbarn besonders am Herzen.
Wir leben leider im Jahrhundert der Vertreibungen. Der Blick in viele Regionen der Welt zeigt Millionen von flüchtenden und vertriebenen Menschen. Nur eine gute Flugstunde von München entfernt, im ehemaligen Jugoslawien, vor unseren Augen in Europa, erfahren wir tagtäglich von - wenn man das Wort überhaupt in den Mund nehmen will - „ethnischen Säuberungen". Deswegen kann unsere eindeutige Aussage nur lauten: Vertreibung ist und bleibt Unrecht. Jede andere Aussage wäre menschenverachtend und den Opfern gegenüber beleidigend.
Wenn ein Teil unseres Volkes, der nicht mehr Verantwortung für die Greuel der Nazis trägt als alle Deutschen, unter den Folgen des Krieges in besonderer Weise gelitten hat, dann fordert es unsere nationale Solidarität und Pflicht, die geschlagenen Wunden zusammen mit den Betroffenen zu heilen.
({4})
Dazu gehörte zunächst die Bewahrung des inneren, des sozialen Friedens in schwieriger Zeit in Deutschland. Der Lastenausgleich und der Aufbauwille der Heimatvertriebenen wie der Heimatverbliebenen ließen das großartige Werk der Integration gelingen. Es war eine insgesamt außerordentliche Leistung des deutschen Volkes. Mit der Aufnahme von zehn Millionen Vertriebenen und Aussiedlern wurde die Bundesrepublik Deutschland das Vaterland der Heimatvertriebenen und der Heimatverbliebenen.
Für die Bayerische Staatsregierung waren die Heimatvertriebenen über die fünf Jahrzehnte hinweg nie ein störendes Element bei der Suche nach Ausgleich mit den östlichen Nachbarn ({5})
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber ({6})
auch in den 70er und 80er Jahren nicht, wo sie von manchen politischen Kräften auf der linken Seite des Hohen Hauses als ein solches empfunden wurden.
({7})
Von Wunschvorstellungen geleitete und ideologisch verbrämte Politik gegenüber den kommunistischen Staaten des Ostens vernebelte den Blick auf die Realitäten.
({8})
Diese Politik vernachlässigte in starkem Maße die Interessenlage der Heimatvertriebenen. Sie wurden als Radikale, als Hitzköpfe, als Revanchisten - ich könnte hier eine Fülle von Zitaten bringen ({9})
diffamiert. Aber sie waren das Gegenteil davon.
Ich möchte hier meinen Vorvorgänger im Amt zitieren. Franz Josef Strauß hat - das stimmt auch heute noch - 1985 auf einem der großen Vertriebenenkongresse gesagt:
Die Heimatvertriebenen huldigen keinem Revanchismus, sondern sie leisten einen wesentlichen Beitrag zur politischen Moral, zur Erhaltung von Freiheit und Recht.
Das stimmt, meine sehr verehrten Damen und Herren, heute genauso, wie es vor zehn Jahren gestimmt hat.
({10})
Heute ist aber allen klar: Nachbarschaftliche Probleme und offene Fragen löst man nicht dadurch, daß man die Betroffenen ausgrenzt, sie beiseite schiebt und ihre berechtigten Anliegen negiert. Wahre Verständigung kann doch nur durch Einbeziehen und Beteiligen der Betroffenen gelingen. Die Heimatvertriebenen haben dafür selbst einen Grundstein, gerade aus ihrer bitteren Erfahrung heraus, gelegt. Bereits fünf Jahre nach dem Vertreibungsgeschehen haben sie dem deutschen Volk und der Weltöffentlichkeit ihre Charta präsentiert - der Kollege Schäuble hat hier mit Recht besonders darauf hingewiesen, daß diese Charta viel zuwenig im Bewußtsein liegt -, in der sie für den Ausgleich und für eine gerechte Friedensordnung in Europa eintraten.
({11})
Dies blieb nicht nur Theorie. Wieviel wirksame Hilfe wurde doch von vielen Vertriebenen im stillen in den Jahren der kommunistischen Diktatur für die östlichen Nachbarvölker geleistet!
Freilich: Leugnen, Vergessen und Verharmlosen des erlittenen Unrechts nahmen sie zu Recht nicht hin. Die Bayerische Staatsregierung stand ihnen hier immer zur Seite. Von den kommunistischen Diktaturen war jedoch die Annahme der historischen Wahrheit und ein Bekenntnis zum begangenen Unrecht nicht zu erwarten. Wir haben das ja gerade wieder gehört.
({12})
Verständigung mit Deutschland war gewiß nicht ihr Anliegen. In der DDR war die Vertreibung ein Tabuthema, in Prag und in Warschau wurde sie gerechtfertigt. Das Feindbild Deutschland wurde - auch zur Stabilisierung der eigenen Machtverhältnisse - nur zu gerne gepflegt.
Heute, sechs Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, vernehmen wir endlich Signale aus Tschechien, auf die wir lange gewartet haben.
({13})
Ich erinnere an die jetzt aufbrechende intellektuelle Diskussion in Tschechien und zwischen Sudetendeutschen und Tschechen. Ich erinnere an die jüngsten Reden und Interviews der führenden tschechischen Politiker, wenngleich die zu uns kommenden Aussagen, Herr Kollege Glotz, noch erhebliche Widersprüche in sich tragen. Lesen Sie nach, was gestern der Präsident des tschechischen Parlaments gesagt hat. Er hat bei der Betrachtung der Beneš-Dekrete eine sehr skeptische Haltung an den Tag gelegt. Das sind doch Dinge, die wir vor zehn, zwanzig und dreißig Jahren von Verantwortlichen überhaupt nie hören konnten. Deswegen ist heute eine neue Situation eingetreten.
({14})
Gleichwohl gilt: Wir sind dem Dialog, dem Ausgleich so nahe wie nie in den vergangenen 50 Jahren. Deswegen muß diese Chance genutzt werden.
Bei der Entwicklung der Beziehungen zwischen Deutschland und den östlichen Nachbarländern ist das Verhältnis zu Tschechien jenes, das bisher am wenigsten vorangekommen ist. Sie machen es sich zu einfach, Frau Vollmer und Herr Glotz, wenn Sie dies so pauschal in den Verantwortungsbereich der deutschen Bundesregierung schieben.
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Hier scheinen Sie wirklich nicht auf den Grund gehen zu wollen. Es dient dem weiteren Ausbau der Beziehungen nicht - da hat der tschechische Außenminister Zieleniec völlig recht -, die Probleme einfach weiter brodeln zu lassen, sie auf die lange Bank zu schieben und darauf zu hoffen, daß sie sich von selbst lösen. Wir verlangen nicht mehr, als jene Fragen anzugehen, die der deutsch-tschechoslowakische Vertrag von 1992 offengelassen hat. Damals floß in den Vertrag nur ein, was seinerzeit geregelt werMinisterpräsident Dr. Edmund Stoiber ({16})
den konnte. Die Lösung der im Briefwechsel angesprochenen offenen Fragen wurde bewußt auf spätere Zeiten verschoben. Diese Zeit ist meines Erachtens jetzt gekommen.
Ich habe seit 1993 als Schirmherr der Sudetendeutschen mehrmals erklärt: Ich stehe für einen offenen, an keine Vorbedingungen geknüpften Dialog. Ich bin für die Überwindung der Sprachlosigkeit. Deswegen habe ich mich relativ rasch nach meinem Amtsantritt mit dem Ministerpräsidenten der Tschechischen Republik, Václav Klaus, getroffen und stundenlang auch über die Probleme, die Sie bestens kennen, gesprochen und sie in einem offenen Dialog erörtert. Ich habe mich damals als bayerischer Ministerpräsident als Gesprächspartner, als Moderator, als was weiß ich zwischen den Sudetendeutschen und den Tschechen angeboten. Dieses Dialogangebot wurde von der tschechischen Seite niemals aufgegriffen. Selbst der von der tschechischen Seite 1993 angebotene Gesprächsfaden auf Parteienebene wurde sehr schnell wieder gekappt, als man darauf zu sprechen gekommen ist.
Die Sprachlosigkeit, Herr Kollege Glotz, die Sie in Ihrem offenen Brief beklagen, liegt doch nicht auf unserer Seite. Die Sprachlosigkeit lag doch bis zum Frühjahr dieses Jahres hinein, wenn man von Václav Havel absieht,
({17})
bei den tschechischen Politikern. Ich muß doch vor diesem Haus nicht zitieren, was Václav Klaus über sein Verhältnis zur Vergangenheit, speziell zur sudetendeutschen Vergangenheit, bis zu seiner Rede in Furth im Wald am 6. Mai gesagt hat. Leider war dieser Tage wieder zu lesen, daß er nicht einmal für eine „moralische Verurteilung" der Beneš-Dekrete seine Hand heben werde. Ich gehe aber davon aus, daß das, was er in Furth im Wald gesagt hat, gültig bleibt.
Sprachlosigkeit sollte es in der Mitte Europas 1995 eigentlich nicht mehr geben.
Deswegen sage ich von dieser Stelle aus erneut: Treten wir, Deutsche und Tschechen, jetzt endlich ein in Gespräche, Verhandlungen, in den Dialog. Jede Seite kann dabei das einbringen, was aus ihrer Sicht einem Ausgleich im Wege steht.
Ich wiederhole abermals - darin besteht auch Konsens mit der Bundesregierung -: Die Betroffenen sind zu beteiligen. Zu den Themen - ich sage nicht: zu den Ergebnissen - gehören dabei gewiß die BenešDekrete, die erhobenen Forderungen nach Aufhebung oder Distanzierung. Ferner gehört vor allem die Aufhebung des Amnestiegesetzes vom 8. Mai 1946 dazu, das die während der wilden Vertreibung begangenen Verbrechen für rechtmäßig erklärt hat und das auf keinen Fall Bestand haben kann, weil das, meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Hausordnung der Europäischen Union gehört. Und daran müssen wir uns alle halten.
({18})
Es gehören zur Diskussion weiterhin das Heimatrecht der Sudetendeutschen und die Vorschläge zur Staatsangehörigkeit. In diesem Zusammenhang - ich will es noch einmal erwähnen -ist die j ängste Kritik des Parlamentspräsidenten Milan Uhde an den Beneš-Dekreten zu nennen. Was gestern von ihm dazu im tschechischen Parlament gesagt wurde, ist ermutigend.
({19})
Herr Ministerpräsident, die Kollegin Vollmer würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber ({0}): Bitte sehr.
Bitte, Frau Kollegin.
Herr Ministerpräsident, Sie haben gesagt, die Aufhebung des Amnestiegesetzes gehöre dazu. Weil alle diese Fragen in der Tschechischen Republik sehr genau gehört werden und nicht immer richtig verstanden werden,
({0})
möchte ich Sie bitten, genauer zu sagen, was Sie darunter verstehen, denn auch wir wissen ja, daß es Aufhebungen von Amnestien nicht geben kann. Es ist gerade das Merkmal von Amnestien, daß man sie nicht aufheben kann.
({1})
Sie meinen doch vermutlich etwas anderes als die Aufhebung der Amnestie für die Betroffenen, oder?
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber ({2}): Frau Kollegin, ich meine genau das, was ich gesagt habe. Es wird häufig nicht unterschieden zwischen den Beneš-Dekreten auf der einen Seite - das sind ja viele zu den unterschiedlichsten Fragen, und man muß sie differenziert betrachten, keine Frage - und dem von mir genannten Amnestiegesetz vom 8. Mai 1946 auf der anderen Seite, das spezifisch die Verbrechen, die bei der wilden Vertreibung im Sommer 1945 passiert sind, für rechtmäßig erklärt hat. Dies kann so nicht stehenbleiben. Nicht mehr und nicht weniger fordere ich.
({3})
Damit durch die Unterbrechung kein falscher Sachzusammenhang entsteht: Natürlich gehört in ganz besonderem Maße die Entschädigung von NS-Opfern dazu, zu der ich selbstverständlich stehe und der ich nie widersprochen habe.
Aber wir dürfen die Geschichte nicht verkürzen. Die Sudetendeutschen wurden kollektiv von der Vertreibung betroffen, und sie waren dabei schlimmen Exzessen ausgesetzt. Daran gibt es nichts zu leugnen.
({4})
Herr Ministerpräsident, die Kollegin Vollmer würde gern eine zweite Frage stellen. - Bitte.
Herr Ministerpräsident, es ist mir immer noch nicht klar: Möchten Sie eine moralische Erklärung, die die Beneš-Dekrete verurteilt und dafür eintritt, daß man Verbrechen auch Verbrechen nennen muß, oder möchten Sie eine politisch-juristische Aufhebung von Amnestien? Das ist ein großer Unterschied, und das hätte natürlich ganz erhebliche soziale Folgen.
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber ({0}): Ich habe gesagt, daß das zu den Themen gehört, die besprochen werden. Ich fordere eine Aufhebung dieser Amnestiegesetze, aber ich sage auch ganz deutlich, daß wir in dieser Frage noch ein Stück Verhandlungsspielraum brauchen.
Angesichts des beiderseits erfahrenen Leids schlage ich, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie auch andere das schon getan haben, einen gemeinsamen Versöhnungsfonds vor, der ein gemeinsames Versöhnungswerk in Gang setzt. Aus diesem Fonds könnten individuell Opfer bedacht werden, die heute noch besonders unter den Folgen des damals begangenen Unrechts leiden. Daneben könnten gemeinsame Projekte im Sozial-, Kulturoder Jugendbereich gefördert werden.
Der Blick in die Vergangenheit versperrt nicht, sondern öffnet den Weg in die Zukunft.
({1})
Ich will noch einmal sagen, was wir in Berlin und in Bonn, in vielen, vielen Städten im Zusammenhang mit den Gedenkfeiern um den 8. Mai gehört haben: Um Zukunft gestalten zu können, muß man sich erinnern. Das gilt natürlich nicht nur in einem speziellen Punkt, sondern das gilt generell. Nur wer weiß, woher er kommt, der weiß auch, wohin er will. Deswegen gehört dies hier angesprochen.
({2})
Ein banaler Schlußstrich, den manche fordern, wäre eine Respektlosigkeit, eine Beleidigung der Lebenden gegenüber den Opfern. Verdrängung von historischer Wahrheit und Schuld trägt die Wurzeln künftiger geistiger Auseinandersetzungen. Auf solch vergiftetem Boden kann gute Nachbarschaft nicht wachsen. Ein Bekenntnis zur Schuld - das ist doch unsere eigene Nachkriegserfahrung - verschenkt nichts - im Gegenteil: Wir haben erst dadurch Freunde in Europa und in der Welt gewonnen. Ich will das nur in den Raum stellen, um in gemeinsamem Interesse auch Entwicklungsprozesse in der Tschechischen Republik - in der Slowakei sind wir schon weiter - zu erreichen.
({3})
Weil die Vertriebenen unter den Folgen des Krieges in besonderer Weise gelitten haben, sind wir alle es ihnen aus nationaler Solidarität schuldig, mit ihnen zusammen das Ausgleichswerk in Europa zu vollenden, um die geschlagenen und noch nicht vernarbten Wunden zu heilen.
Bartoszewski, der heute oft und mit Recht zitiert worden ist, mahnte von dieser Stelle aus, die durch den kalten Krieg und die verwehrte Möglichkeit des Dialogs verlorene Zeit möglichst schnell aufzuholen.
Es ist wichtig, daß sich die aussöhnen, die selbst am meisten gelitten haben. Wer selbst gelitten hat, versteht auch das Leid des anderen und weiß um die Notwendigkeit der Versöhnung. Meiner Meinung nach reden hier zu viele davon, die selber nicht in dem Maße wie manch andere gelitten haben.
({4})
Auch deshalb müssen die Betroffenen einbezogen werden; denn erst dann ist es eine ehrliche, eine aufrichtige Versöhnung. Wir wollen dieses 50. Jahr nach Kriegsende, nach Flucht und Vertreibung nicht ungenutzt vorübergehen lassen.
({5})
Das Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn hat sich in den vergangenen fünf Jahren grundlegend verändert und zum Guten gewendet. Ich meine, es fehlen noch zwei Bausteine in der Mitte Europas. Es fehlt die Aufnahme der Tschechischen Republik und der anderen demokratischen Reformstaaten im Osten in die Europäische Union und in die NATO. Dafür ist Bayern stets eingetreten. Außerdem fehlt die grundlegende Bereinigung des sudetendeutsch-tschechischen Verhältnisses. Bayern und die Sudetendeutschen wollen einen wahrhaften Ausgleich mit unserem Nachbarland. Aus voller Überzeugung strecken wir die Hand nicht nur hier, sondern auch am Sonntag zur Versöhnung aus.
Ich halte gar nichts davon - auch das sage ich ganz offen -, Dinge nur am Sonntag anzusprechen und nicht in diesem Hohen Hause. Damit jeder weiß, wo wir stehen, müssen wir bei jeder Gelegenheit dieselbe Meinung vertreten. Wenn das jeder tut, sind wir gut beraten.
Danke schön.
({6})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Freimut Duve.
Herr Präsident! Herr Ministerpräsident! Versöhnungswerk - sind wir dabei? Zum Versöhnen gehört auch die Tonlage. Sie, Herr Ministerpräsident, haben hier Bedingungen gestellt. Sie haben zwar immer nachgeschoben, es seien nur Themenvorschläge, aber Sie haben auch immer gesagt: Ich verlange, ich fordere, ich verlange, ich fordere. Ich habe es nicht gezählt, aber es war sehr oft. Ich
denke, in dieser Lage, in einer solchen Debatte, auch in einem solchen Jahr 1995 - Gedenkjahr, haben Sie gesagt - ist die Form, die Sie hier gewählt haben, der sehr diffizilen Lage nicht angemessen.
({0})
Sie haben gesagt, es habe keine tschechische Stimme gegeben. Es gab doch die Stimme des Präsidenten Václav Havel im Jahr 1990. Darauf ist jedoch nicht in angemessener Weise reagiert worden. Auch der Bundeskanzler hat heute nur ganz wenig zu dem Thema gesagt, verhalten und vorsichtig. Ansonsten war es eine interessante und gute Regierungserklärung. Aber in diesem Punkt fehlte vieles. Es fehlte eigentlich alles, daß man jetzt sagen könnte: Nun kann man wirklich das machen, was mein Kollege Peter Glotz gefordert hat: Laßt uns die beiden Themen voneinander trennen.
Ich denke, wir sollten zum Schluß von dem Versuch, dies etwas dramatisch zuzuspitzen, zum Grundcharakter der Debatte zurückkommen. Frau Jelpke, ich muß Ihnen sagen: Wenn man bei der Rede einer Bürgerin unseres Landes nicht an einer Stelle spürt, daß das Drama des Vertreibens sie irgendwann einmal angerührt hat, wenn sie nur aus dem Drama des Vertreibens immer ihre Neofaschismusnachweise sucht, das geht doch nicht. Das ist doch auch nicht Ihr Leben. Das geht doch nicht.
({1})
Das ist doch eine ungeheure Tragödie mitten unter uns, die wir, ich will nicht sagen, gemeinsam bewältigt haben, aber mit der wir gelernt haben umzugehen und aus der etwas sehr Fruchtbares entstanden ist, was Antje Vollmer hier sehr treffend dargestellt hat. Das geht nicht, bei niemandem von uns, daß er einfach sagt: Das ist ein wunderbares Futter für mein antifaschistisches Material. - Das geht nicht. Das ist ein Mißbrauch des Leidens.
({2})
Ich will noch einmal etwas zitieren:
Die Loslösung von der Heimat war ein sehr schmerzlicher Vorgang. Übermächtig ist die Entwicklung der Verhältnisse über uns gekommen, aber nicht auf einmal, sondern langsam, Schritt für Schritt. Und gerade das war das Zermürbende.
Diese Predigt eines katholischen Flüchtlings, des Kapitalvikars Piontek in Peine, richtete sich 1946 an Geflohene ebenso wie an die damaligen Bürger in Westdeutschland. Er bittet die Einheimischen um Geduld und Nachsicht mit den Dazugekommenen. Er richtet sich und seine Gemeinde auf ein langes, auf ein endgültiges Miteinander ein. Das war 1946 in einer öffentlichen Predigt in einer Kirche. Genau dies, Frau Jelpke, ist heute, 50 Jahre danach, gelungen, nämlich dieses endgültige Miteinander in einer fruchtbaren Weise.
({3})
In bezug darauf glaube ich, Herr Ministerpräsident, wäre es gut, wenn die bayerische Landesregierung noch einmal überprüfen würde, ob die Schirmherrschaft, die sie übernommen hat, angesichts von Begriffen wie „Stamm" - Sie haben es zitiert -, „Volksgruppe" und „Recht auf Heimat in der Tschechei" nach einer solchen Integrationsleistung nicht eine andere, neue Formulierung braucht, ob möglicherweise die Grundurkunde der Schirmherrschaft, die zu übernehmen richtig war, heute zwar nicht anders geschrieben, aber zumindest anders gelesen werden müßte.
({4})
Ich will die Namen einiger Kollegen nennen. Unser Kollege Sielaff aus der SPD-Fraktion ist ein Vertriebenenkind. Jetzt ist er Abgeordneter aus Rheinland-Pfalz. Unser Kollege Peter Glotz ist Vertriebener und Abgeordneter aus Bayern. Unser früherer Kollege Sauer - ich weiß nicht, ob er heute da ist -,
({5})
mit dem ich in dieser Sache sehr gut in der letzten Legislaturperiode zusammengearbeitet habe, ist 1945 auf der Flucht geboren worden. Er hat mir einmal erzählt, daß von den zehn während dieses Trecks geborenen Babys nur zwei überlebt haben und acht gestorben sind. Er hat dann natürlich in Niedersachsen gelebt und ist dort aufgewachsen. Aber dieses hat ihn doch nie verlassen, die Umstände, ja die Tragödie seines Zur-Welt-gekommen-Seins auf einer Flucht. Darin liegt das, was wir leisten müssen. Das ist nicht Rückkehranspruch, sondern er sagt: Hört mir zu, ganz still, das steckt in mir drin, das steckt in meiner Familie drin; das haben wir damals durchgemacht. - Die Liste ließe sich verlängern.
Daß diese deutschen Opfer der Vertreibung damals in dem kleiner gewordenen Land ihre neue Heimat fanden, ist ja vielleicht die größte Leistung unserer Eltern und all dessen, was wir uns angewöhnt haben auf den Begriff „Wirtschaftswunder" zu reduzieren.
Viele hatten den Kummer und das Leid fest in sich eingeschlossen und nicht darüber gesprochen. Bis zum Sterbebett haben Zehntausende Frauen über das geschwiegen, was ihnen zugefügt worden ist. Ich habe einen Brief eines Mannes bekommen, der 1946 geboren wurde und erst jetzt herausbekommen hat, unter welchen Umständen er gezeugt worden ist. Er bittet mich, ihm zuzuhören, was das für ihn - ein Bürger der Bundesrepublik - und seine Mutter bedeutet hat.
Es ist - auch vom Bundeskanzler - gesagt worden, daß die Vertreibung 1933 anfing. Am Anfang waren es der öffentliche Druck und die öffentliche Hetze, die Juden und Oppositionelle ins Exil zwangen. Später gab es die systematische, von der Verwaltung bis ins einzelne organisierte Vertreibung. Mit dem polizeilichen Ausdruck „abgeholt" benannten die Menschen in dem Etagenhaus meiner Kindheit das, was einer Familie aus diesem Etagenhaus damals gescheFreimut Duve
hen war: Die Familie Kohn ist abgeholt worden. Die Trecks nach Osten waren auch in den 30er Jahren jedermann bekannt; es waren Güterwagen mit Menschenlast.
Dann kamen die Millionentrecks aus dem Osten in den Westen. Die Wohnungen wurden aufgeteilt: eine Familie pro Zimmer und vier oder fünf Familien pro Küche. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie bei meiner Oma diese Familien immer ihre halbe Stunde für die Küche hatten.
Wir Westdeutschen konnten die Kriegswunden in einem sehr langen und schmerzlichen Prozeß durch die Wirtschaftswunder-Friedensjahre und -jahrzehnte heilen. In der DDR ist es zu dieser Diskussion und zu dieser Art des Prozesses nicht gekommen. Deshalb bin ich sehr dankbar dafür, daß ein Teil der in den neuen Ländern neugegründeten Vertriebenenverbände sehr fruchtbar und sehr positiv an dieser Aufgabe mitarbeitet. Das möchte ich hier besonders zum Ausdruck bringen.
({6})
Dieser schwierige Prozeß war sehr viel dramatischer als Sie, Herr Stoiber, das hier dargestellt haben. Im Kampf gegen die Ostpolitik wurden Menschen massiv angegriffen. Gerade die Menschen, die dies nicht mitgemacht haben, sind heute in diesem Verband tätig. Es ist ein anderer Verband geworden. Das haben Sie, Frau Albowitz, auch gesagt.
Heute ist es unsere Aufgabe daran mitzuwirken, daß neuer Vertreibungsterror geächtet, Vertreiber verfolgt und neue Vertriebene menschlich aufgenommen werden.
({7})
Das ist unsere Aufgabe. Das Signal muß sein: Spannungen und Konflikte dürfen niemals als Anlaß dafür genommen werden, daß sich eine Gruppe das Recht anmaßt, die Mitglieder einer anderen Gruppe zu vertreiben. Dies ist für uns Deutsche eine Art Grundgesetz, weil wir wissen, was dies heißt, und zwar sowohl als Täter wie als Opfer.
({8})
Aber es wird und wurde nicht nur mit Waffen vertrieben. Vertreibungsterror fängt im Kopf an, und zwar sogar da, wo nach Bedingungen des Friedens gesucht wird. Ich erinnere an das, was Götz Aly kürzlich in der „FAZ" in bezug auf die europäische Friedensordnung 1919/1920 gesagt hat: Hier wurde schon damals die völkisch differenzierende „Wanderung in der Hand des Staates" versucht.
Wie die Vertreibungen Folgen von Diktatur und Krieg waren, sind die falschen Hoffnungen - Peter Glotz hat es gesagt - auf homogene Gesellschaften gefährliche Quellen von Vertreibungsphantasie.
({9})
Herr Stoiber, deshalb müssen wir den Begriff „Stamm" auch noch einmal überdenken.
Die Umsiedlung als Ordnungs- und Gestaltungsidee ist von beiden totalitären Diktaturen massenhaft organisiert worden. Ich zitiere aus dem wichtigen Dokument des Vertriebenenministeriums aus dem Jahre 1961. Ich habe mir vor zwei Jahren diese 14 Bände mit in die Ferien genommen. Man muß dies wissen. Ich zitiere aus Band V:
Es fügte sich in die Pläne einer „ethnischen Flurbereinigung" , daß diese Volksdeutschen unter dem äußeren Anschein der Freiwilligkeit in das Reichsgebiet umgesiedelt, während die andersnationalen Einwohner vertrieben oder in den Osten zwangsverpflanzt wurden.
Im Jugoslawienband ist geschildert, wie es angefangen hat.
„Bessere Trennungslinien" hatte Hitler 1939 gefordert.
Mit dem Ideal des ethnisch möglichst homogenen Nationalstaats
- das ist wieder Zitat 1961/Bundesregierung wurde die Entwurzelung Tausender von Volksdeutschen, Slowenen, Kroaten usw. gerechtfertigt. Damit wurde das Vorbild von Bevölkerungsverschiebungen großen Ausmaßes nachahmungsbereiten Kräften vor Augen geführt. Durch diese Unbedenklichkeit, mit der mit beliebigen Zahlen von Menschen je nach Konzeption der nationalsozialistischen Führung manipuliert wurde, wurden ... ideelle und stimmungsmäßige Voraussetzungen für die Vertreibung ({10}) Minderheit geschaffen.
So warnten 1961 die Autoren des Berichts der Bundesregierung vor dem falschen „Ideal des ethnisch möglichst homogenen Nationalstaats".
Wir alle erleben im ehemaligen Jugoslawien und ahnen in vielen Staaten der ehemaligen Sowjetunion: Das ist die zentrale Herausforderung an die demokratische Gesellschaft in der postkommunistischen Welt für uns alle.
Meine Generation, Kinder des Kalten Friedens, glaubte Europa künftig verschont von Vertreibung. Aber Vertreibung ist wieder da, und ihre Opfer leben mitten unter uns. Gehen Sie, meine Damen und Herren, in irgendeines der vielen Lager für Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland. In jeder Stadt, überall, von Flensburg bis Konstanz, werden wir Menschen begegnen, die nicht allein vor dem Krieg aus Bosnien geflohen sind, sondern die gezielt aus ihren Häusern, aus ihren Wohnungen, aus ihren Dörfern vertrieben wurden.
Ich will Ihnen eine kleine Geschichte sagen. Das begann vor drei Jahren. Am Samstag, 16. Mai 1992, kamen in das kleine bosnische Dorf Zaklopaca morgens um vier Uhr serbische Reservisten. Sie umstellten das Dorf und warteten bis fünf Uhr nachmittags. Dann kamen sie ins Dorf - unter ihnen auch serbische Nachbarn aus dem Dorf Milici. Die Nichtregulären unter den Eindringlingen hatten sich Masken übergezogen. Als Haso Hadjic, ein Moslem, versuchte zu fliehen, wurde er erschossen. Er war der erste. Dann ging alles sehr schnell. Am späten
Abend des 16. Mai 1992 gab es keine Menschen muslimischer Herkunft mehr im Dorf. Wenige Wochen später erreichten die Überlebenden des Massakers - 50 Frauen und Kinder - die Stadt Zagreb, wo die meisten von ihnen heute noch als Bürgerkriegsflüchtlinge leben.
Solcher Vertreibungsterror in Hunderten von Dörfern bestimmt wieder das Gesicht Europas; Serben aus Dörfern der Krajina - das dürfen wir auch nie vergessen -, Moslems aus Dörfern und Städten Bosniens.
Als ich von meiner ersten Reise nach Bosnien zurückkam, hatten mich die Gespräche mit Vertriebenen in den Lagern der eingeschlossenen Stadt Tuzla überzeugt. Wir brauchen eine deutlichere, weltweite und strafbewehrte Ächtung der Vertreibung als Verbrechen ({11})
ein Verbrechen, für das es immer Schuldige gibt.
Oft fängt dieses Verbrechen ganz harmlos an. Irgend jemand zieht eine Linie auf der Landkarte, strichelt eine bestimmte Fläche, verwandelt diese Fläche in einen Prozentsatz und versucht, darüber ein Abkommen zu erzielen. Soviel Prozent für die einen, soviel für die anderen. Schon ist Heimat abgeschnitten. Schon entsteht der Druck der Vertreibung. Manche nennen das dann verharmlosend Bevölkerungsaustausch - zuweilen auch ohne böse Absicht. Das kann sogar Menschen bei Friedensverhandlungen passieren, die dann, ob sie es wollen oder nicht, zu Schreibtischtätern werden.
Darum kam damals der Vorschlag meiner Fraktion: Laßt uns eine Kampagne beginnen, die Vertreibung als Verbrechen international wesentlich deutlicher brandmarkt als bisher.
({12})
Schon wer sich gedanklich auf den Irrweg der Homogenisierung macht, wer an Apartheid glaubt und Bantustans in Europa als Friedensinseln erträumt, was vielleicht als ein logischer Traum erscheinen mag, der muß zunächst zu Vertreibung und zu Umsiedlung bereit sein und ist dann zum Schluß auch zu Verbrechen bereit. Der Teufelskreis der 30er Jahre würde dann von vorne beginnen.
Wir haben das Konzept einer „Konvention gegen Vertreibung" gemeinsam mit den anderen Fraktionen beraten - da haben Herr Sauer und ich gemeinsam als Berichterstatter gearbeitet - und waren doch erstaunt, auf wieviel spitzfindige Abwehr, Herr Bundeskanzler, wir im Auswärtigen Amt stießen; nicht im Bundeskanzleramt, obwohl Sie das ja meistens alles in der Hand haben, aber im Auswärtigen Amt.
(
Sie halten mich schon für einen Übermenschen!)
- Nein, ich weiß, daß Sie das meinen. Ich schätze Sie, aber ich habe Sie noch nie für einen Übermenschen gehalten,
(
Hoffentlich! - Heiterkeit)
und ich hoffe, daß das auch niemand anderes tut. Der einzige Mensch, dem ich das zubillige, ist Ihre Frau. Die kann Sie für einen Übermenschen halten. Sonst aber niemand.
({0})
- Das ist jedenfalls das, was auch ich meiner Frau zubillige.
Wir haben uns damals im Ausschuß auf eine gemeinsame Fassung der Beschlußempfehlung geeinigt. Übereinstimmung bestand darüber - ich zitiere aus dem Schlußbericht -,
daß der Antrag geeignet ist, aus Vergangenheit und Gegenwart richtige Lehren zu ziehen
- das haben wir gemeinsam gemacht und ein erster Schritt zu einem Instrument zu sein, durch den Vertreibung, Verschleppung oder Deportation als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder als Kriegsverbrechen bewertet, ver- folgt und geahndet werden können.
Die Bundesregierung wurde beauftragt, einen Bericht über den Stand der Bemühungen vorzulegen.
Das 20. Jahrhundert und gerade die letzten fünf Jahre haben gezeigt: Es geschehen immer noch und immer wieder Diskriminierung und Drangsalierung, viele kleine Nadelstiche, um das Leben von Menschen an einem bestimmten Ort schwierig zu machen - mit der Absicht, daß sie dann „freiwillig" weggehen, und, wenn dies alles ohne Wirkung bleibt, Zwangsumsiedlung, Vertreibung, das Wegjagen von Menschen.
Noch 1989 - ich will nur in Erinnerung rufen - ging der rumänische Diktator Ceaucescu daran, seine Idee der „agro-industriellen Zentren" zu verwirklichen und dafür Tausende von Dörfern in ihrer gewachsenen vielfältigen Lebensform zu zerstören. Viele deutschstämmige Rumänen sahen keine Alternative zur Auswanderung mehr und beantragten damals die Übersiedlung, weil es so einen Plan gab.
Die Abmarschbefehle können sehr verschieden sein, aber letztlich geht es immer wieder um die Irrhoffnung der Politik, homogene Verhältnisse zu schaffen. Nicht ohne Grund beginnt die Konvention der Vereinten Nationen gegen Völkermord mit der Beschreibung von Vertreibungsterror.
Meine Damen und Herren, am vergangenen Montag kam eine Gruppe von Schülern und Studenten aus Bosnien zu mir bei einem Vortrag in Wetzlar. Sie hatten sich sorgfältig vorbereitet, und die Sprecherin fragte: Was können wir tun, damit nicht auch wir wieder - wir jetzt 20jährigen - in den Teufelskreis des Terrors geraten, damit wir nicht anfangen, von der Gewalt zu träumen?
Ich hatte nur eine sehr zögerliche Antwort: Sehen Sie Ihr Leben hier bei uns als Bürgerkriegsflüchtlinge als Chance. Wir können Ihnen die Rückkehr nicht garantieren, aber wir können Ihnen helfen, diese Zeit hier als Chance, um etwas zu lernen, und als Auftrag zu nutzen, künftig für Ihre Heimat etwas zu tun - ob von hier aus oder zu Hause, das können wir jedenfalls allein nicht bestimmen. Aber es war bestimmt keine befriedigende Antwort.
Dabei mitzuhelfen, das zumindest sind auch wir den neuen Opfern der Vertreibung schuldig, dabei mitzuhelfen, daß die Bürgerkriegsflüchtlinge hier und in ganz Westeuropa eine Chance bekommen und nicht gezwungen werden, sozusagen neben der Gesellschaft zu leben.
Hier brauchen wir endlich eine gemeinsame Politik aller westeuropäischen Länder, der Europäischen Union vor allem. Es gab immer wieder Versuche - und das muß ich auch positiv bewerten - von Bundesminister Kinkel, schon von Bundesminister Genscher -, daß es zu einer gemeinsamen Haltung der Europäer in der Behandlung der Bürgerkriegsflüchtlinge kommt, und wir haben es bisher nicht erreicht. Das ist ein Thema, bei dem man immer auf Distanz geht.
Ich hoffe, Herr Präsident - das, was ich jetzt sage, wollte ich eigentlich der Präsidentin sagen -, daß die Form des Gedenkjahres - vielleicht ist es ja heute ein gewisser Abschluß -, die wir Deutschen gefunden haben, die der Bundeskanzler bei seinem Besuch in Holland und anderen Auftritten gefunden hat, etwas sein kann, was vielleicht auch anderen Ländern zeigt, was es eigentlich bedeutet, stolz darauf zu sein, zu einem Land zu gehören.
Ich habe es immer als Aufgabe empfunden, für meine Generation, für unsere Generation zu sagen, wir hören auf mit dem ausschließlichen Blick darauf, wo wir Opfer waren und die anderen die Barbaren. Wir trauern über das, was auch uns zugefügt worden ist, aber wir verschweigen nicht, wenn barbarische Taten in unserem Namen geschehen sind. Wir stilisieren uns nicht zu Helden und die anderen nicht zu Barbaren.
So verstehe ich den Text, den wir gemeinsam an der Neuen Wache vorn angebracht haben, der dies zum Ausdruck bringt. So verstehe ich das, was wir alle gemeinsam in diesem Gedenkjahr bisher an Stil mitgeschaffen haben. Ich hoffe sehr, daß das eine Ausstrahlung zu unseren Freunden und Nachbarn hat - überall.
Danke.
({1})
Frau Kollegin Erika Steinbach, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stehen fast am Ende einer sehr ernsthaften Debatte und Diskussion.
Einige Sätze zu dem, was die Kollegin Jelpke von der PDS gesagt hat: Wer so mit der Tragödie von 15 Millionen Menschen umgeht, begibt sich des Rechtes und verwirkt das Recht, künftig das Wort Menschenrechte noch glaubwürdig in den Mund zu nehmen.
({0})
Denn wer das als hohle Phrase dann benutzt, wenn es politisch ins Kalkül paßt, weiß nicht, was Menschenrechte bedeuten, kennt auch nicht das menschliche Leid im einzelnen Schicksal.
({1})
Herr Duve, ich darf Ihnen ganz ausdrücklich danken, daß Sie sich in dieser Frage eben zum Anwalt derer, die Flucht und Vertreibung persönlich erlebt haben, gemacht haben und diesen Mangel an Menschlichkeit bei unserer Kollegin auch angeprangert haben.
Ich selbst bin Flüchtlingskind. Meine Mutter war hellauf entsetzt, daß wir seinerzeit keinen Platz mehr auf der Wilhelm Gustloff bekommen haben. Es war unser Glück. Aber sie hatte die große Sorge und die Furcht, daß sie mit meiner Schwester und mir aus Westpreußen nicht mehr herauskommen könnte. Es ist uns dennoch gelungen, wie auch vielen anderen Millionen Menschen die Flucht gelungen ist. Aber wieder andere haben dieses Schicksal nicht überlebt. Wir trauern insgesamt in unseren Herzen darüber.
Sofern das Gewissen der Menschheit jemals wieder empfindlich werden sollte, werden diese Vertreibungen als die unsterbliche Schande aller derer im Gedächtnis bleiben, die sie veranlaßt oder sich damit abgefunden haben.
Das sagte und das verurteilte der Brite Victor Gollancz. So beschrieb er die Vertreibung der Deutschen ohne jegliche Beschönigung im Jahre 1946.
Es kann kein Zweifel daran bestehen: Die Vertreibung, die Deportation und auch die Flucht Millionen Deutscher aus der Heimat war in Art und Umfang ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit von ganz einzigartigem Ausmaß.
({2})
- Die Ursachen, Frau Kollegin, bestreitet doch keiner; das ist heute doch mehrfach gesagt worden. Das bestreiten auch nicht die Flüchtlinge, auch nicht die Vertriebenen.
Etwas genauso Einzigartiges - diesen Punkt möchte ich bewußt hervorheben - ist nach dieser Menschenvertreibung geschehen: Die Millionen entwurzelten Flüchtlinge und Vertriebenen wurden in dem zerstörten Deutschland nicht zum Sprengsatz, sondern zu Bausteinen hier in unserem Vaterland. Sie haben sich nicht jammernd und klagend und verzagt in die Ecke, abseits gestellt, und sie haben sich - was geradezu ein Wunder ist - nicht gewaltbereit zusammengerottet. Vielmehr haben sie das eigene Geschick überwunden, sie haben es gemeistert und das zerstörte Deutschland aus Trümmern, aus Schutt und
aus Asche wieder mit aufgebaut. Nicht das Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn" bestimmte das Handeln der Vertriebenen, sondern es war vom Versöhnungsgedanken geprägt.
1950, zu einer Zeit, als noch alle, wirklich alle Wunden blutend offengelegen haben, wurde mit der mehrfach genannten Charta der Vertriebenen - das kann man nicht oft genug wiederholen - der Teufelskreis eines immer neu angetriebenen Hasses zwischen den Völkern durch die Vertriebenen selber aufgebrochen. Wir müssen uns das heute immer wieder vor Augen führen. Man kann sich da schwer hineinversetzen. Der ausdrückliche Verzicht auf Rache und Vergeltung war eine damals fast übermenschliche Leistung, eine übermenschliche Größe. Dieser Verzicht war einer der Grundsteine für unsere europäische Friedensordnung. Dessen sind sich heute die allermeisten Deutschen gar nicht mehr bewußt, bzw. sie haben noch nie in sich aufgenommen, daß das einer der wesentlichen Bausteine zu einem inneren europäischen Frieden gewesen ist. Nicht das Denken in den Kategorien eines Michael Kohlhaas, sondern der Wille, die Hand zur Versöhnung auszustrecken, bestimmte das Handeln der Vertriebenen und ihrer Repräsentanten. Dafür gebührt ihnen allen unser Dank.
({3})
Man stelle sich vor, die Haltung Millionen entwurzelter Deutscher wäre anders gewesen. Ich sage Ihnen: Deutschland stünde heute nicht da, wo es jetzt in der Mitte Europas steht, mit Freunden rundherum. Das wäre ohne die Versöhnungsbereitschaft Millionen entwurzelter Menschen gar nicht machbar gewesen.
Die Vertriebenen haben darüber hinaus etwas anderes getan, etwas, was noch nicht im Bewußtsein der Deutschen verankert war, auch nicht im Bewußtsein vieler anderer Völker Europas. Sie haben schon 1950 ihren Blick hoffnungsvoll auf ein geeintes Europa gerichtet. Die Formulierung „die Schaffung eines geeinten Europas, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können" war eine der wichtigsten Forderungen - nicht nur ein Wunsch, eine Hoffnung - der Vertriebenen neben der Verwirklichung des Rechtes auf die Heimat.
Europa ist mit dem Bruch des Eisernen Vorhanges in positive Bewegung geraten. Die Freundschaft zu unseren westlichen Nachbarn muß durch Partnerschaft und Freundschaft auch zu unseren östlichen Nachbarn ergänzt werden.
({4})
Vieles gestaltet sich in diesen Beziehungen auch aus der Sicht Vertriebener heute positiv, konstruktiv. Nach Jahren des Leugnens, des Verschweigens, des Rechtfertigens durch die östlichen Nachbarn haben uns jetzt vermehrt Signale des Verstehens und des Erkennens erreicht, die sehr wohl auch von den Vertriebenen und ihren Organisationen positiv aufgenommen werden.
Möge der Weg unserer östlichen Nachbarn in die Europäische Union Hand in Hand gehen mit der Erfüllung der UNO-Menschenrechtsresolution aus dem Jahre 1994, wonach es das Recht von Flüchtlingen und Vertriebenen ist, in Sicherheit und Würde in ihr Heimatland zurückkehren zu können.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn es wahr ist, daß nur das Erinnern verhindert, daß grausame Verbrechen ein zweites Mal geschehen, dann haben wir Deutsche eine besondere Verpflichtung, der Flucht und der Vertreibung vieler Millionen Landsleute zu gedenken, diese Erinnerung wachzuhalten; denn wer weiß, welch unendliches Leid damit verbunden ist, wenn Menschen aus ihrer Heimat verjagt werden, wird alles daransetzen, daß so etwas, wer auch immer die Betroffenen sein mögen, niemals wieder geschieht.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Es ist beantragt worden, die Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS auf den Drucksachen 13/1566, 13/ 1567 und 13/1536 zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß zu überweisen.
Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/1539 soll zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
a) - Zweite und dritte Beratung eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({0})
- Drucksachen 13/1301, 13/1395 -({1})
- Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({2})
- Drucksachen 13/65, 13/101 ({3}) ({4})
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
({5})
- Drucksachen 13/80, 13/101 ({6}) ({7})
Vizepräsident Hans Klein
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({8})
- Drucksache 13/1553 Berichterstattung:
Abgeordnete Elisabeth Altmann ({9})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr.-Ing. Rainer Jork
bb) Berichte des Haushaltsausschusses ({10}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksachen 13/1554, 13/1555, 13/ 1556 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Schanz Steffen Kampeter
Antje Hermenau
Jürgen Koppelin
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Ludwig Elm und der Gruppe der PDS
Anpassungen der Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz an die Lebenshaltungskosten der Studierenden
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Möglichkeit einer Erhöhung der Bedarfssätze nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz ({12}) im Jahre 1995 sowie über Änderungsbedarf im Recht der Ausbildungsförderung unter Einbeziehung der beruflichen Aufstiegsfortbildung
- Drucksachen 13/784, 13/735, 13/1553 Berichterstattung:
Abgeordnete Elisabeth Altmann ({13})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr.-Ing. Rainer Jork
Zum Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie zwei Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor. Zum Bericht der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über einen Änderungsantrag namentlich abstimmen werden.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Dr. Jürgen Rüttgers.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute in zweiter und dritter Lesung das 17. BAföG-Änderungsgesetz.
Ich habe gerade einmal überlegt, wie oft ich in dem halben Jahr, seitdem ich das Amt des zuständigen Ministers übernommen habe, zu diesem Thema hier bereits am Rednerpult gestanden habe.
({0})
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es vier- oder fünfmal gewesen ist, daß wir hier das Thema BAföG diskutiert haben. Ich würde es eigentlich gar nicht erwähnen, wenn ich wüßte, daß es heute das letzte Mal wäre.
Nun hat sich im Rahmen der Beratungen sowohl zum Gesetzentwurf der Bundesregierung wie auch zum parallelen Entwurf des Bundesrates und zum Entwurf der Koalitionsfraktionen herausgestellt, daß es, obwohl die Lage eigentlich recht übersichtlich ist und die BAföG-Erhöhung keiner besonderen Kunst der Berechnung oder Beurteilung bedarf, dennoch nicht möglich sein wird, dieses Verfahren heute abzuschließen.
Dies hat etwas damit zu tun, daß zumindest die SPD-Bundestagsfraktion darauf drängt, daß der Bundesrat den Vermittlungsausschuß anruft. Nun, das werden wir abwarten müssen.
({1})
Eigentlich ist der Sachverhalt relativ klar.
({2})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen, Frau Kollegin Odendahl, warum Sie dazwischenrufen. Es ist doch ganz einfach. Die Sache ist ziemlich übersichtlich. Es geht um die Frage, wie hoch die BAföG-Erhöhung ist, wie wir sie aus dem Haushalt finanzieren können.
({3})
- Die Frage, wie lange es sich verzögert hat, haben wir auch schon dreimal diskutiert, Frau Kollegin Odendahl. Es hilft den Studentinnen und Studenten überhaupt nichts, wenn wir noch zwei Jahre weiter darüber diskutieren und es immer wieder verzögern.
Entscheidend ist doch, meine Damen und Herren, daß wir uns mindestens schon einmal darüber hätten einigen können: Zum Herbst gibt es eine BAföG-ErBundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
höhung, die den Studentinnen und Studenten zugute kommt. Wenn wir diese Einigung erzielt hätten, wären wir schon einen entscheidenden Schritt weiter.
({4})
Ich habe an diesem Rednerpult schon einmal gesagt - und dazu stehe ich nach wie vor -, daß man, wenn es anders gelaufen wäre, auch zu früheren Zeiten BAföG-Erhöhungen hätte machen können.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Professor Glotz?
Ja, eine Frage des Kollegen Professor Glotz immer.
Herzlichen Dank, Herr Bundesminister. Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die SPD-Bundestagsfraktion gestern im Ausschuß in Anwesenheit Ihres Staatssekretärs Neumann angeboten hat, bei den 4 % zu bleiben, wenn Sie den Studienstandsnachweis aus dem Gesetz nehmen, daß dies aber unter besonderer Aktivität Ihres Kollegen Lenzer und leider auch von der F.D.P. abgelehnt worden ist?
({0})
Ich bin natürlich immer bereit, alles zur Kenntnis zu nehmen, aber ich finde es wichtig, daß man dann auch den gesamten Sachverhalt vorträgt, verehrter Herr Kollege Glotz. Wären Sie denn auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen - um mit dieser rhetorischen Frage Ihre Frage zu beantworten -, daß es dann ganz leicht gewesen wäre, sich hier zu einigen, wenn Sie der entsprechenden Entschließung, die die Koalitionsfraktionen vorgelegt haben, zugestimmt hätten?
Darüber rede ich gerade. Das ist genau der Punkt. Sie sagen in der Zeitung: „Wir wollen eine BAföG-Erhöhung", und die Koalitionsfraktionen legen einen entsprechenden Gesetzentwurf vor. Jetzt frage ich mich: Was sollen eigentlich die Studentinnen und Studenten denken, warum es dann, wenn es um die Frage Entschließung oder nicht Entschließung oder um andere Streitpunkte geht, nicht möglich ist, zu einem Einvernehmen zu kommen? Und das, verehrter Herr Glotz, bei einem Punkt, nämlich Studienstandsnachweis, bei dem die SPD-Bundestagsfraktion im vorherigen Vermittlungsverfahren bereits zugestimmt hat, daß dieser im Gesetz bleibt! Insofern ist das keine Grundsatzfrage, die das Herzstück sozialdemokratischer Bildungspolitik betrifft.
({0})
Das wäre der letzte Versuch, an Sie zu appellieren, dem Gesetzentwurf hier zuzustimmen und dafür zu sorgen, daß die Studentinnen und Studenten die vierprozentige BAföG-Erhöhung bekommen und von der Erhöhung der Freibeträge profitieren. Denn man könnte - das will ich uns jetzt im Zuge der Vergangenheitsbewältigung ersparen - hier jetzt messerscharf darlegen, daß alle diese Zahlen, so wie sie von Ihnen artikuliert worden sind, so wie sie im Gesetzentwurf stehen und so wie sie im Gesetzentwurf des Bundesrates stehen, letztlich zum selben Ergebnis führen.
Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung zu dem gerade von Herrn Kollegen Glotz angesprochenen Thema Studienstandsnachweis machen. Ich glaube, daß es neben der Frage, was man damit erreichen will - die man sicherlich diskutieren kann -, ein Grundsatzproblem gibt, nämlich das Grundsatzproblem - das hat mit Ihrem Antrag zu tun, den ich mit großem Interesse gelesen habe -, ob sich dieser Bundestag dahin gehend verständigen kann, daß er die wenigen Mittel, die er im Bereich der Bildungspolitik nun einmal hat - das ist die verfassungsmäßige Vorgabe; das haben wir gerade vor wenigen Jahren im Rahmen der Verfassungsreform diskutiert und haben es so gelassen, wie es seit der Großen Koalition war -, einsetzt. Wäre es nicht eine Form des Verzichts auf Politik, verehrter Herr Glotz, wenn wir diese wenigen Mittel nicht einsetzten, um Hochschulstrukturreformen durchzusetzen?
Es ist wohl wahr, daß wir eigentlich nur drei Ansatzpunkte haben: Wir haben die BAföG-Gesetzgebung, wir haben die Mittel für den Hochschulbau, und wir haben die Hochschulsonderprogramme, über deren verfassungsmäßige Zulässigkeit man in einigen Punkten, wie jeder hier weiß, durchaus noch diskutieren kann.
Wenn ich Ihren Antrag lese, stelle ich fest, daß die SPD in Ziffer 5 zu allen Überlegungen, die mein Ministerium im Rahmen des Berichtes zur Ausbildungsförderung vorgelegt hat, sagt: Wir lehnen ab. Dabei geht es um die Regelstudienzeiten, die erneute Einschränkung der Förderung von Zweitstudien, die Förderung bei Fachrichtungswechseln, die elternunabhängige Förderung usw. usw. Die Frage, die mich interessiert, lautet: Wenn wir die wenigen Mittel, die wir haben, nicht einsetzen, um inhaltliche Veränderungen im Rahmen der Hochschulstrukturreform zu befördern, macht sich dann nicht dieses Parlament, macht sich nicht der Bund in der Hochschulpolitik handlungsunfähig?
Ich finde, das ist eines der Themen, die wir in den nächsten Wochen und Monaten miteinander diskutieren müssen. Sie wissen, daß ich in den vergangenen sechs Monaten ganz bewußt darauf verzichtet habe, bestimmte sehr strittige Themen in der Hochschulpolitik öffentlich zu thematisieren. Statt dessen habe ich versucht, mich auf das Eckwertepapier von 1993 zu beziehen, in dem sich Bund und Länder auf gewisse Schwerpunkte verständigt haben, um damit einen Ansatzpunkt zu finden, bei dem Bund und Länder etwas für die Hochschulen, für die Studierenden und für die Professoren tun können.
Meine Damen und Herren, jeder hier im Raum weiß, daß wir zur Zeit 1,9 Millionen Studenten auf 990 000 Studienplätzen haben - eine völlig überlaBundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
stete Situation. Ein Wunder, daß dieses System Massenuniversität überhaupt noch funktioniert, und ich führe dies auf das große Engagement der Lehrenden und der Lernenden an den Hochschulen zurück.
Wenn dies aber so ist, meine Damen und Herren, dann kann doch verantwortliche Politik nicht darin bestehen - wie die SPD es hier feststellt -, alle gemeinsam festgelegten Änderungen, die auf ein Ziel zusteuern und nichts anderes als die gemeinsame Vereinbarung von Bund und Ländern im Eckwertepapier zur Grundlage haben, abzulehnen und verhindern zu wollen, daß diese Änderungen in einer BAföG-Novelle umgesetzt werden. Dies ist einer der drei Bereiche, in dem wir Kompetenzen haben.
Diese Haltung führt zu Immobilismus sowie dazu, daß sich die Situation an den Hochschulen nicht ändert. Sie führt auch dazu - das ist meine größte Sorge -, daß die jungen Menschen an unseren Hochschulen nicht mehr verstehen, was hier an konkreter Hochschulpolitik gemacht werden soll.
({1})
- Das ist überhaupt nicht mein Problem. Das ist genauso Ihr Problem, weil Sie Verantwortung in den Ländern tragen.
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Vielleicht müssen Sie einmal aus der parteipolitischen Betrachtung herausspringen und versuchen, wirklich etwas zu bewegen.
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Ich bin fest davon überzeugt, daß es mit gutem Willen möglich gewesen wäre, zu einem Einvernehmen zu kommen. Kollege Gerhardt und auch ich selbst, der Kollege Neumann, der Kollege Lenzer und viele andere haben gesagt, daß wir dies versuchen sollten. Dies ist nicht möglich gewesen, und ich bedauere dies.
Dies wird im weiteren Verfahren dazu führen, daß wir, nachdem wir heute hier einen Gesetzesbeschluß in zweiter und dritter Lesung gefaßt haben werden, abzuwarten haben, ob die Bundesländer nicht sagen, hier handele es sich um einen vernünftigen Vorschlag, dem sie schon einmal im Vermittlungsverfahren zugestimmt hätten und dem sie jetzt auch im Bundesrat zustimmten.
({4})
Dieses Verfahren würde ich mir wünschen, weil es nämlich den Zustand sofort klärte. Die weitere Möglichkeit - das kann ich natürlich nicht ausschließen -, ist, daß wir in ein Vermittlungsverfahren gehen. Ohne Prophet sein zu wollen, bin ich ganz sicher, daß wir es auch aus dem Interesse der Länder heraus, wenn auch mit viel Mühe, noch schaffen werden, eine Lösung für die BAföG-Erhöhung im Herbst hinzubekommen.
Ich bedanke mich.
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Das Wort hat der Kollege Jörg Tauss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Als ich in diesen Bundestag kam, hatte ich mir eigentlich vorgenommen, nachdem ich 13 Jahre lang außerhalb dieses Hauses unter der Politik gelitten habe, über die wir hier gelegentlich streiten, mit Ihnen den Streit in der Sache zu suchen. Ich war allerdings der Auffassung, daß über einen solchen Streit, in dem um Positionen gerungen wird, letztlich eine Verständigung erfolgen könne, die am Wohl des Ganzen orientiert ist. Davon bin ich ausgegangen. Was ich hier aber seit Monaten - zwischenzeitlich kann man ja sagen, Herr Minister Rüttgers: seit Jahren - in diesem Zusammenhang erlebe, belehrt mich eines Besseren. Hier soll auf Kosten der Studentinnen und Studenten Prinzipienreiterei betrieben werden.
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Herr Minister Rüttgers, dieses Einvernehmen haben nicht wir versagt, sondern es erfolgte deshalb nicht, weil Sie mit dieser Prinzipienreiterei den Versuch unternehmen, Ihre bildungspolitischen Vorstellungen mit der Brechstange über das Vehikel BAföG durchzusetzen.
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Das ist die Wahrheit, und eine andere Wahrheit werden Sie weder uns noch den Studentinnen und Studenten in diesem Lande offerieren können.
Herr Gerhardt, ich habe gestern Ihre Pressemeldung mit Interesse zur Kenntnis genommen. Hätte ich sie früher gekannt, wäre ich gestern abend mit Möllemann Bier zapfen gegangen. Ihre Jungen Liberalen haben Ihnen ja angeboten, Ihnen Kissen zu überreichen, damit das Umfallen nicht so weh tut. Ich fürchte, das Kissen, das man Ihnen nach Ihrem Umfall jetzt überreichen müßte, kann gar nicht dick genug sein, damit es Ihnen nicht weh tut.
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- Das ist die Wahrheit!
Wir kommen dann zu dem gestrigen Tag, den Sie pressemäßig so herrlich verarbeitet haben. Ich will Ihnen keine böse Absicht unterstellen, Herr Gerhardt; deswegen gönne ich Ihnen ja auch das Kissen. Aber dieses Angebot zu einem Kompromiß, das gestern in der Debatte stand, Herr Lenzer, war doch nichts anderes als eine Mogelpackung.
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Sie wollten uns zu einer gemeinsamen Entschließung bewegen, die dazu geführt hätte, das, was wir aus gutem Grund ablehnen, in diese BAföG-Novelle hineinzubekommen. Das ist auch ein Punkt, auf den wir hier hinweisen möchten.
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Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Schwächen, Profilneurosen in der Koalition und eine verfehlte Bildungspolitik des Zukunftsministers werden Sie nicht über Entschließungen, die Sie uns im Ausschuß unterjubeln, regeln. Das muß an dieser Stelle auch gesagt werden.
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Dieses Trauerspiel ist nicht akzeptabel, und Sie werden uns nicht vor diesen Karren spannen.
Meine Damen und Herren, es geht aber, Herr Minister, nicht nur um die Frage der Bedarfssätze und der Freibeträge. Es geht um mehr. Im übrigen geht es auch nicht nur um den Studiennachweis.
Zunächst einmal wollen Sie, ebenfalls über die 17. Novelle, die Förderungshöchstdauer im Universitätsbereich auf neun und im Fachhochschulbereich auf acht Semester begrenzen. Beim gegenwärtigen Stand der Umsetzung würde dies bedeuten, daß die bedürftigen Studierenden in den Examensvorbereitungen empfindlich getroffen würden. Sie würden zu erhöhter Verschuldung und, was noch viel schlimmer wäre, in dem einen oder anderen Falle sogar zum Studienabbruch gezwungen. Das ist der Punkt.
Sie können mit uns - nehmen Sie dieses Angebot an! - über Förderungshöchstdauern reden, aber ich sage Ihnen an dieser Stelle auch: nur unter Beibehaltung der bewährten Studienabschlußförderung. Daran wollen wir gleichfalls festhalten.
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Die Förderungshöchstdauern sind sukzessive zu den Fortschritten bei der Verkürzung der Studienzeiten, aber nicht im Vorgriff anzupassen. Warten Sie doch den Bericht der Kultusministerkonferenz in diesem Punkt ab!
Zum zweiten. Sie wollen erneut die Forderung nach einer Abschaffung bzw. nach einer Beschränkung der Zweitstudien erheben. Auch dieser Plan, Herr Minister, ist nichts als schiere Ideologie. Sie wollen der Öffentlichkeit etwas vorgaukeln, so nach dem Motto: Es gibt da Studenten, die sich nichts Schöneres vorstellen können, als von Studiengang zu Studiengang zu hoppeln, und die wollen wir an die Kandare nehmen! - Das ist das, was Sie öffentlich zu diesem Thema sagen wollen.
Zweitstudien werden aber interessanterweise verstärkt auch von der Wirtschaft gefordert. Zweitstudien besonders hochqualifizierter Studentinnen und Studenten tragen dem raschen Strukturwandel unserer Wirtschaft Rechnung. Diese wirtschafts-, zukunfts- und letztlich leistungsfeindliche Forderung, die Sie hier aufgreifen, wird um so unverständlicher, wenn man sieht, worum es sich eigentlich handelt. Es handelt sich nämlich um rund 4 000 Förderfälle mit einem Gesamtaufwand von 38,5 Millionen DM im Jahr. Die von Ihnen in Permanenz steuerlich entlastete deutsche Großbank spricht übrigens bei noch größeren Beträgen von Peanuts.
Problematisch ist zum dritten Ihre Forderung nach einer Einschränkung der Förderung nach einem Fachrichtungswechsel. Selbstverständlich ist es sinnvoll, daß möglichst frühzeitig, wenn ein Wechsel vorgenommen werden soll, ein solcher Wechsel auch möglich ist. Wir wollen nicht jeden beliebigen Wechsel förderungsunschädlich akzeptieren. Dies aber ist in der 12. Novelle befriedigend gelöst worden. Auch wenn die Hochschulrektorenkonferenz einiges zum Thema Fachrichtungswechsel empfohlen hat, müssen wir doch feststellen, daß diese Vorschläge noch nicht so ausgegoren sind, daß sie auch in einem gerichtlich nachprüfbaren Verfahren haltbar wären. Deswegen sollten wir hier noch ein bißchen nachdenken. Was Sie im Moment wollen, ist nichts anderes als mehr Bürokratie. Sie werden die Hochschulen in Rechtsstreitigkeiten in großer Zahl verwickeln. Auch das ist Unfug und sollte daher von Ihrer Seite zurückgenommen werden. Sie haben die Chance, unserem Antrag zuzustimmen.
({7})
Zum vierten. Auch wenn man mit diesem Wort vorsichtig sein sollte, so bezeichne ich das, was Sie, Herr Minister, im Zusammenhang mit der elternunabhängigen Förderung vorhaben, doch schlichtweg als skandalös. Hier werden Auszubildende getroffen, die aus dem zweiten Bildungsweg kommen, junge Menschen, vor denen ich Respekt habe und vor denen wir Respekt haben sollten. Man will gerade diejenigen, die leistungsbereit und leistungsfähig sind, über diese Maßnahmen bestrafen. Ich weiß nicht, was dies soll. Ich glaube, Herr Minister, Sonntagsreden über die Zukunftsfähigkeit dieses Landes verlieren dann ihre Wirkung, wenn man gerade die qualifizierten jungen Menschen, die sich durchbeißen und dazu in der Lage sind, in dieser Art und Weise bestraft. Deswegen bleibe ich in diesem Zusammenhang bei dem Wort „skandalös".
({8})
An dieser Stelle machen Sie übrigens genau das, was Sie uns ständig vorwerfen: Sie schüren Neid, Sie hetzen eine Gruppe junger Leute auf die andere. Es müßte jedem vernünftig denkenden Menschen klar sein, daß ein auf kontinuierliche Ausbildung angelegter Weg über Berufsaufbauschulen oder Fachoberschulen etwas anderes ist als bei jungen Menschen, bei denen die Unterhaltspflicht durch die abgeschlossene Berufsausbildung bereits beendet ist. Diesen Unterschied müßten Sie als Bildungsminister und, wie ich hoffe, auch die Bildungsexperten Ihrer Fraktion zu machen in der Lage sein.
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- Das ist die Frage, Herr Kollege Dreßen. Ich weiß es nicht, habe aber, wie ich eingangs gesagt habe, die Hoffnung nicht aufgegeben, daß auf der rechten Seite dieses Hauses auch einmal ein Prozeß des Nachdenkens erfolgt - statt ein Prozeß der Demagogie, der auf Kosten der jungen Menschen geht und mit dem beabsichtigt wird, die Leute an den Universitäten aus diesem Hause falsch zu informieren.
Dieser Versuch, Herr Minister, schlägt fehl. Sie werden es nicht schaffen, dies zu erreichen. Ich sage Ihnen an dieser Stelle in aller Klarheit: Hochbegabte junge Menschen, die aus sozialen Gründen auf
BAföG angewiesen sind, sind nicht die Sparschweine der CDU/CSU, auf deren Kosten Sie Ihre maroden Haushalte sanieren können. Ich glaube, auch dies sollten wir heute deutlich sagen.
Ich kann Ihnen nur empfehlen: Kehren Sie zu dem, was als Kompromiß sichtbar war, zurück! Sie haben diesen Weg aus ideologischen Gründen verlassen. Herr Zukunftsminister, finden Sie die Kraft, wieder auf diesen Weg zurückzukehren und zu einem vernünftigen Maß zu kommen. Wir sind kompromißbereit. Ihre Vorlage ist kein Beweis dafür, daß Sie kompromißfähig und kompromißbereit sind.
Ich bedanke mich.
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Ich glaube, ich sollte dem Haus sagen, was mir die Kollegin Doris Odendahl zugeraunt hat: Der Kollege Tauss sei zwar keine Jungfrau, dies aber sei seine Jungfernrede gewesen.
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Ich erteile der Kollegin Elisabeth Altmann das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie beklagen, daß Sie heute zum vierten Mal zum Thema BAföG reden. Wir würden auch lieber über eine grundsätzliche Verbesserung der Studiensituation, z. B. über kürzere Studienzeiten und über eine Entfrachtung der Studienpläne, reden anstatt über eine schlichte Erhöhung von durchschnittlich 25 DM für junge Menschen, die studieren und deren Eltern nicht das nötige Kleingeld aufbringen.
Eigentlich sollte es bei diesen Debatten um die menschlichen Ressourcen in diesem Land gehen, um die Entwicklung von Geist und Verstand. Es sollte um die jungen Menschen gehen, die ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten weiterentwickeln wollen und dieses Wissen und Know-how dann der Gesellschaft und der Wirtschaft zur Verfügung stellen sollen.
Bedauerlicherweise, Herr Minister, geht es bei dieser Debatte aber um Politiker, die auf dem Geldsack sitzen, den sie bei anderen, vermeintlich wichtigen Angelegenheiten bereitwillig öffnen. Ich nenne einige Stichwörter: der Forschungsreaktor in Garching, der Transrapid, die Gentechnologie und der neue Eurofighter.
({0})
- Ja, ich könnte noch ein paar nennen.
„Zukunft" heißt Ihr Zauberwort. Das ist allerdings keine Zukunft für junge Menschen. Nein, da wurde in den letzten Jahren heftig gespart. Durch die niedrigen Elternfreibeträge wurden innerhalb von nur zwei Jahren die BAföG-Ausgaben des Bundes um 500 Millionen DM gesenkt.
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Mittlerweile erhalten in den alten Ländern nur noch 24 % der Auszubildenden Ausbildungsförderung, und zwar einen durchschnittlichen Betrag von 570 DM. Anfang der 80er Jahre waren es noch 37 %.
Überhaupt, Herr Minister: Sie sprechen davon, daß wir im Bereich der Bildung nur wenige Mittel zur Verfügung haben - als wäre dies gottgegeben. Der Haushalt für Bildung und Wissenschaft ist in der Tat nur marginal; er beträgt 1,3 % des Bundeshaushaltes. Für Forschung und Technologie kommen noch 1,9 % hinzu. Insgesamt macht dies 3,2 % des Bundeshaushaltes. Das ist eine kleine Zukunft, Herr Minister.
Heute wird also darum gerungen, ob einem Ehepaar mit 1 900 DM netto bzw. einem Alleinerziehenden mit 1 310 DM netto ein um 4 % erhöhter Ausbildungsfreibetrag zugestanden werden kann: statt 1 900 DM bzw. 1 310 DM also nun 1 980 DM bzw. 1 365 DM. Für diese Differenz kann man gerade ein einziges Mal essen oder ins Theater gehen. Sie können sich doch gar nicht mehr vorstellen, mit 1 365 DM als Alleinstehender auszukommen bzw. mit 1 980 DM zu zweit zu leben.
Was sind die Konsequenzen dieser Politik? Viele begabte Menschen verzichten unter diesen Bedingungen auf ein Studium bzw. eine entsprechende Ausbildung, oder sie sind gezwungen, erwerbstätig zu sein und fahren, wie ein Student aus meiner Nachbarschaft, morgens um halb vier Kurierdienst.
60 % der Studierenden arbeiten mittlerweile während der Vorlesungszeit. Was ist die Folge davon? Zwangsläufig verlängert sich dadurch das Studium. Den Eltern mit mittleren Einkommen werden erhebliche Summen abverlangt, was oftmals zu einer für die jungen Menschen nicht erwünschten Abhängigkeit führt. Als Mutter zweier Söhne, die studieren, kann ich von deren Unabhängigkeitsstreben ein Lied singen. Tatsache ist, daß die Fördersätze das letzte Mal vor drei Jahren angehoben wurden. Unsere Forderung ist, daß die BAföG-Sätze wieder zur Behebung sozialer Ungleichheiten greifen müssen.
Es geht der Bundesregierung darüber hinaus offensichtlich nicht nur ums Sparen, sondern um Druck und Restriktionen. Deutlich wird das auch bei dem selbst in ihren eigenen Reihen umstrittenen Studienstandsnachweis nach dem zweiten Semester oder auch bei der Einschränkung des Fachrichtungswechsels, was hier schon erwähnt wurde.
Auch auf Druck zielen die Pläne zum Wegfall der elternunabhängigen Förderung für Studentinnen und Studenten des zweiten Bildungsweges, wie sie sich in der Unterrichtung der Bundesregierung finden. Man kann doch einem Menschen auf dem zweiten Bildungsweg, in der Regel Mitte 20, nicht mehr zumuten, das Geld von seinen Eltern zu erbetteln. In meinem Büro stapeln sich dazu die Nachfragen.
Die Regierung zieht sich nicht nur aus der Ausbildungsförderung zurück, sondern sie baut auch die Förderungsmöglichkeiten aus dem AFG ab. Als Ausgleich soll dann ein Meister-BAföG eingeführt werden. Nichts gegen die Förderung der betrieblichen Ausbildung und die Förderung von Meisterkursen. Im Gegenteil: Mit Kopf und Hand entsteht Verstand.
Aber da entsteht doch hier nichts Neues. Ich sage: Das ist ein Täuschungsmanöver. Man geht hier auf Stimmenfang mit der Behauptung, eine weitere Förderungsmaßnahme im Berufsbildungsbereich zu schaffen.
Die im April veröffentlichten Zahlen des 3. OECD-Bildungsberichts machen deutlich, welche Wertung die Bundesregierung der Bildungspolitik zuweist. Bereits jetzt liegt die BRD bei den Ausgaben pro Studierenden auf Platz 14 der Rangliste der OECD-Länder.
({2})
Bei den Bildungsausgaben, bezogen auf die gesamten Staatsausgaben, ist die Bundesrepublik sogar das Schlußlicht.
({3})
In der Fußballbundesliga wird bei diesem Tabellenstand der Trainer gefeuert, Herr Rüttgers.
({4})
Wir sollten hier zu einem einvernehmlichen Beschluß kommen. Ich appelliere deshalb auch an die Koalition:
Erstens. Sehen Sie von Ihren Plänen zur Erhöhung der Bedarfssätze um 4 % ab! Stimmen Sie dem Änderungsantrag zur Anhebung der Bedarfssätze um 6 % zu!
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Zweitens. Lassen Sie den unsinnigen Studienstandsnachweis fallen!
({6})
Es ist doch so: Lediglich weniger als 1 % der BAföG-Empfänger und -Empfängerinnen würden durch diesen Studienstandsnachweis herausfallen. Das lohnt sich doch gar nicht.
Drittens. Sehen Sie von Ihren Plänen zur Einschränkung des Fachrichtungswechsels ab. Sie entsprechen heutigen Ausbildungsbiographien und der anwachsenden Arbeitslosigkeit in keiner Weise mehr.
Viertens. Denken wir gemeinsam über grundsätzliche Reformen der Ausbildungsförderung nach.
Ihre Redezeit ist zu Ende.
Eine verantwortliche und auf die Zukunft orientierte Politik sollte außer Geld auch noch
Ideen und neue Vorstellungen in die Bildungspolitik investieren.
({0})
Herr Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten die BAföG-Novelle, bei der wir aus meiner Sicht zu einem Einvernehmen hätten kommen können - wenn man es wirklich gewollt hätte.
({0})
Im Kern geht es um zwei Sachverhalte. Niemand diskutiert kontrovers darüber, daß eine Erhöhung der Sätze um 6 % angemessen wäre.
({1})
Nur reden wir offen darüber, daß wir finanzwirtschaftliche Grenzen haben und deshalb die Sätze nur um 4 % steigern können. Das ist nicht kontrovers und hier so festzuhalten.
Wir reden auch darüber, daß die junge Generation in ihrer überwiegenden Zahl das Studium an den Hochschulen nicht verbummelt, sondern es leistungsgerecht mit eigenen Anstrengungen schnellstmöglich abschließen will.
({2})
Ein großer Teil der jungen Generation beklagt sich ja eher darüber, daß die Hochschulen nicht in der Lage sind, ihnen ein Studium anzubieten, das eine vernünftige Studiengestaltung möglich macht.
({3})
- Frau Kollegin Odendahl, wir sollten ganz fair miteinander umgehen: Wir haben Ihnen angeboten, den Studienstandsnachweis aus dem Gesetzentwurf herauszunehmen. Sie wissen wie ich, daß wir Texte vorbereitet hatten - auch sie sind nämlich unstreitig -, nach denen die Hochschulen selbst, in ihrer eigenen Zuständigkeit, im Grundstudium Prüfungen durchführen, jedenfalls Momente finden, um studiensteuernd zu wirken und Studierende durch Prüfungen zu beraten. Wir wollten uns bewußt auf die Hochschulen und deren eigene Entscheidungen verlassen.
Wir hatten einen Text vorbereitet, mit dem wir die Stellungnahme der Hochschulrektorenkonferenz begrüßen: Wir gehen davon aus, daß solche hochschuleigenen Prüfungen entsprechend BAföG als Nachweise gelten. Wir haben ausdrücklich der Hochschulrektorenkonferenz zugestimmt, die diese Nachweise auch im Grundstudium sehen will.
Ich war hocherfreut, daß das alles einvernehmlich war, weil ich mir nichts sehnlicher gewünscht hätte, als das heute so abzustimmen.
({4})
Wenn einer wie ich aus der Deckung tritt, dann müssen aber auch andere aus der Deckung treten. Das ist die Unfairneß Ihres Vorwurfs:
({5})
Ich trete aus der Deckung, mache einen Vorschlag, und Sie bleiben in der Deckung, lehnen den Entschließungsantrag ab und werfen mir heute vor, das sei zu wenig. Ich meine - im Interesse eines geordneten Umgangs miteinander -, wenn man zur Einigung kommen will, muß jeder etwas springen.
({6})
Ich bin den Schritt gegangen,
({7})
aber Sie sind in der Deckung geblieben. Deshalb scheitert heute leider ein Einvernehmen.
Herr Kollege Gerhardt, der Kollege Glotz würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Gerhardt, warum gestehen Sie nicht zu, daß auch wir aus der Deckung gegangen sind - wir waren bereit, von 6 % auf 4 % zu gehen -, und warum in Gottes Namen wollten Sie den Studienstandsnachweis nur dann herausnehmen, wenn wir diesem „Resolutiönchen" zugestimmt hätten, das uns in manchen Elementen eben nicht gepaßt hat? Was war denn der Grund dafür, daß Sie darauf bestanden haben?
({0})
Weil Sie wie wir - das galt auch schon für Ihre Vertreter im Vermittlungsausschuß - den Studienstand durch hochschuleigene Prüfungen feststellen lassen wollten. Wir sind doch in dieser Sachfrage noch nicht einmal kontrovers. Der Gesetzgeber muß einen Hinweis geben, wie er das Element der „eigenen Prüfung" sieht. Das war unstreitig. Ich sage deshalb: Es hätte Sie doch gar nichts gekostet, dieser Entschließung zuzustimmen, weder in der Sache noch in der Form. Ich bedauere es außerordentlich, daß es dazu nicht gekommen ist.
Ich sage aber auch ganz persönlich für die zukünftige Arbeit, Frau Kollegin Odendahl: Ich denke nicht in Lagertheorien. Wir sitzen uns hier nicht feindlich gegenüber, wir müssen nach Kompromissen suchen.
({0})
Aber dazu gehört, daß jeder ein Stück auf den anderen zugeht.
({1})
Ich bedauere außerordentlich, daß die Sozialdemokratische Partei diesen Schritt nicht gemacht hat. Er hätte sie nichts gekostet, er wäre noch nicht einmal gegen Ihre Meinung gewesen, da der Entschließungsantrag Gemeinsames zusammenfaßt.
Ich lasse mich kritisch bewerten, aber ich lasse mir nicht gefallen, daß Sie draußen den Eindruck erwekken, als säße Ihnen eine Koalition gegenüber, die nicht kompromißfähig ist, die heute das Gesetz nicht beschließen wollte. Sie selbst hatten nicht die Kraft, diesen Schritt zu tun. Das bedauere ich für meine Fraktion sehr.
({2})
Wir hätten heute gerne mit Ihnen zusammen das Gesetz verabschiedet; denn im Grunde hätten alle etwas davon, wenigstens die Klarheit über die zukünftige Perspektive des BAföGs, über die Erhöhung von 4 %. Mir tut es außerordentlich leid, daß es dazu nicht kam.
Wir sollten in einem Klima diskutieren, das spätere Regelungen - es stehen ja noch hochschulpolitische Entscheidungen an - nicht verdirbt.
({3})
Ich bin allerdings der Auffassung: Sie müssen intern überlegen, ob Sie in Zukunft die Kraft haben, einmal über Ihren Schatten zu springen.
({4})
Jedenfalls täte das der hochschulpolitischen Debatte ganz gut.
Schlußbilanz: Wir werden alle kritisiert werden, daß wir, obwohl wir im Hause eine weitgehende Mehrheit für ein solches Gesetz haben, nicht fähig und in der Lage waren, es zu verabschieden. Daher lehne ich diesen kleinlichen Schlagabtausch mit Vorwürfen, was wer nicht gemacht habe, ab. Wir müssen uns prüfen, ob die Darstellung von Politik draußen nicht auch deshalb so mißliebig ist, weil wir in dieser Art verfahren.
Ich kann Ihnen persönlich sagen: Ich hätte mich gerne mit Ihnen geeinigt.
({5})
- Nein, ich war mit Herrn Lenzer und mit Bundesminister Rüttgers der gleichen Auffassung. - Als mir mein Mitarbeiter am Montag mitteilte, wir wären uns über einen Text einig, hat sich niemand mehr gefreut als ich. Ich bedaure, daß Sie das nicht durchgehalten haben.
({6})
Das ist der ganze Stand der Debatte.
({7})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich weise darauf hin, daß wir etwa zwischen 12.45 Uhr und 12.50 Uhr zur namentlichen Abstimmung kommen werden.
Ich erteile jetzt dem Kollegen Dr. Ludwig Elm das Wort.
Zu der Eingangsbemerkung von Minister Rüttgers über wiederholte BAföG-Debatten möchte ich bemerken, daß allerdings der Aufwand an Vorlagen und Diskussionen zu diesem Thema zu dem wahrscheinlich absehbaren Ertrag für die Studienförderung der Studenten umgekehrt proportional sein wird. Dieses Mißverhältnis ist kaum zu übersehen.
Ich möchte mich auf drei Bemerkungen beschränken. Erstens. Wenn man den Abstand zwischen Regierungspolitik und Sachverstand in Zahlen ausdrükken will, so hat er sich in der BAföG-Frage innerhalb eines Jahres fast verdreifacht. Für eine BAföG-Anpassung 1994 hielten die Sachverständigen eine Erhöhung der Bedarfssätze und der Freibeträge um mindestens 6 % für unumgänglich. Regierung und Koalition bestritten dies nicht, beharrten aber auf einer Aufschiebung der 1994 fälligen Erhöhung der Bedarfssätze und auf einer jeweils 2%igen Erhöhung der Freibeträge 1994 und 1995.
Der Abstand zwischen Regierungspolitik und Sachverstand betrug 1994, wenn man so will, etwa 2 %. Man konnte das zur Not noch verstehen. Im Vermittlungsausschuß wurde ja zunächst auch ein Kompromiß gefunden. 1995 ist die Differenz zwischen Regierung und Koalition auf der einen Seite und den solide begründeten Vorschlägen und Forderungen der Sachverständigen, z. B. des Deutschen Studentenwerkes, auf der anderen Seite von 2 % auf 5 bis 6 % angewachsen, hat sich also fast verdreifacht.
Wichtiger als diese Zahlen scheint mir der generelle Umstand, daß sich die Hochschulpolitik der Bundesregierung und der Koalition vom Sachverstand verabschiedet hat. Dafür ist BAföG nur ein Beispiel. Die Sprach- und Hilflosigkeit in der Frage der Weiterführung der Hochschulsonderprogramme, der Irrglaube, die Studienstrukturreform mit verschärften Sanktionen vorrangig voranbringen zu können, sind weitere. Der Rückwärtsgang des Ministeriums, sein Verharren im Hergebrachten, mit dem man die Probleme nicht mehr lösen kann, zeigt sich nicht nur in der Hochschulpolitik, sondern auch in Teilen der Forschungspolitik und in der Berufsbildungspolitik.
In bezug auf das BAföG hat die Staatssekretärin Frau Yzer diese Ignoranz durch die Bundesregierung bei der BAföG-Anhörung und bei anderen Presseerklärungen so überzeugend demonstriert, daß man schon meinen könnte, es wäre ein konstitutiver Bestandteil in der Tätigkeit des Ministeriums. Ich nehme das Beispiel des Studienstandsnachweises, dem in der Anhörung von praktisch allen Experten und Sachverständigen eine eindeutige Abfuhr erteilt worden ist. Er wird gelegentlich immer wieder in einer Mogelpackung angeboten, indem man den Studienstandsnachweis als einen ganz spezifischen
Schritt zur Überprüfung zum Zwecke der BAföG-Entscheidung mit Studiennachweisen vermengt, die selbstverständlich reguläre, normale und verbreitete Bestandteile des Hochschulstudiums, der Ausbildung und der Anforderungen an die Studenten sind.
Zweitens. Besonders die Vertreterinnen und Vertreter der Studierenden haben bei der BAföG-Anhörung am 10. Mai nachdrücklich darauf hingewiesen, daß eine relativ isolierte BAföG-Debatte nicht sehr viel bringt. Darauf hat meine Kollegin Maritta Böttcher hier am 11. Mai schon hingewiesen. Ich erinnere an diese studentischen Forderungen: statt endloser BAföG-Debatten eine grundsätzliche Reform der Ausbildungsförderung. Die Juso-Hochschulgruppen verweisen auf einen ihrer Beschlüsse, in dem sie fordern, daß im Rahmen einer sozialen Grundsicherung allen Auszubildenden eine Ausbildungsförderung als elternunabhängiger Vollzuschuß zugute kommen muß. Ich verweise auf ähnliche Stellungnahmen des Arbeitskreises „Soziale Einrichtungen Studierender" und auf Positionen der Liberalen Hochschulgruppen, die in die Richtung zielen, daß ein tatsächlicher Inflationsausgleich erfolgen müsse und so viel BAföG zu zahlen sei, daß die Studenten damit ohne nennenswerte Nebenarbeit ihre Studien planmäßig und als Hauptaufgabe bestreiten können.
Ich möchte drittens auf eine nochmalige Begründung unseres eigenen Antrages verzichten und Ihnen statt dessen in Übereinstimmung damit die sehr kurz gefaßten Forderungen des Studentenparlaments der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/ Oder, als Entscheidungshilfe anbieten:
Das Studierendenparlament fordert: erstens die Erhöhung der Bedarfssätze um 9,8 % zum Herbst 1995, zweitens die Erhöhung der Freibeträge um 9,4 % zum Herbst 1995, drittens die Ost-West-Angleichung der Berechnungszeiträume für die Einkommensermittlung, viertens die Ost-West-Angleichung der Zuschüsse für die Unterbringung, fünftens die unbefristete Verlängerung der Studienabschlußförderung, sechstens den Verzicht auf weitere Leistungsstandnachweise.
Diese studentischen Forderungen sind der Maßstab dafür, ob durch die Politik der Bundesregierung weiterhin die Chancengleichheit in der höheren Bildung effektiv demontiert wird oder ob eine Wende zugunsten der Bewahrung und des Ausbaus des in der Vergangenheit bereits Erreichten eingeleitet werden kann.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Christian Lenzer.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte am Anfang meiner Ausführungen die FestChristian Lenzer
stellung treffen: Eigentlich geht es ganz gesittet und friedlich zu.
({0})
Ich bin auch froh, daß wir heute mit dieser Debatte eine gewisse Zäsur machen, denn ich gehe davon aus, daß die Mehrheit des Hauses diesen Gesetzentwurf am Ende der Beratungen verabschieden wird. Damit kann das parlamentarische Verfahren weitergehen.
Die Kollegin Odendahl, die als letzte Rednerin hiernach das Wort ergreifen wird, wird sicherlich an einer vermeintlichen Verzögerung Kritik üben.
({1})
- Ob berechtigt oder unberechtigt, wer alles mitgewirkt hat, Bundesrat, Vermittlungsausschuß, das steht dahin. Heute wollen wir im wahrsten Sinne des Wortes unsere Schulaufgaben erledigen und dieses Gesetz auf den Weg bringen.
({2})
Worum geht es? Es geht um zwei markante Probleme, und die ganze Dampfplauderei und alle anderen Punkte wollen wir mal außen vor lassen. Es geht erstens um die Erhöhung der Bedarfssätze, Sozialpauschalen usw. in den entsprechenden Verfahren um 4 %. Natürlich hätte man sich mehr vorstellen können, aber wir leben auch haushaltsmäßig in einer realen Welt.
Wenn man sich überlegt, daß diese Maßnahme den Bund bereits im Jahr 1995 96,4 Millionen DM kosten wird, daß die Länder, die eine Quote von 35 % an den BAföG-Aufwendungen finanzieren müssen, weitere 51,8 Millionen DM hinzubuttern müssen, dann versteht man auch, warum bereits in dem Entwurf des Bundesrates, also mit ausdrücklicher Zustimmung der SPD-Finanzminister, von einer Erhöhung von 4 % ausgegangen wurde. Ich weiß gar nicht, wie man da noch streiten konnte.
Vor allen Dingen verstehe ich nicht - das müssen Sie erklären, Frau Odendahl -, wieso Sie heute noch einmal, auch gestern nach vielen anderen Anträgen, einen Entschließungsantrag einbringen, der von einer sechsprozentigen Erhöhung ausgeht.
({3})
- Gut, prima.
Sie haben beklagt - das will ich gleich zu entkräften versuchen -, daß wir uns nicht einigen konnten. Kollege Gerhardt hat dazu treffend festgestellt: Es bestand von uns durchaus das Angebot, zu einer Einigung zu kommen, aber wir waren und sind auch in Zukunft nicht bereit, irgendeinen Blankoscheck zu unterschreiben.
({4})
Am Montag, als die Fraktionsvorstandsgremien der verschiedenen Fraktionen tagten, habe ich keinen Ton von der SPD gehört. Die Angebote lagen auf dem Tisch; es waren ausformulierte Papiere vorhanden, Herr Glotz.
({5})
Herr Glotz, Sie haben dann am Mittwoch im Ausschuß wie eben auch wieder etwas abschätzig geäußert, Sie sollten einem „Resolutiönchen" zustimmen. In diesem „Resolutiönchen" ging es darum, daß wir uns die Grundsätze, die die Hochschulrektorenkonferenz in ihrer 104. Plenarsitzung formuliert hat, zu eigen machen.
Damit komme ich zu dem zweiten Punkt, in dem wir unterschiedlicher Meinung sind: Das ist der sogenannte Studienstandsnachweis.
Herr Kollege Lenzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Odendahl?
Herr Präsident, sofort. Ich möchte nur diesen Gedanken noch zu Ende führen dürfen.
Bitte sprechen Sie nicht von einer Chance der Gemeinsamkeit, die wir verpaßt hätten. Denn auch am Dienstag, während die Arbeitsgruppe unserer Fraktion tagte - für die kann ich das bestätigen -, haben wir aus der SPD-Fraktion, obwohl wir mehrfach telefonisch angefragt haben „Was ist los? Wovon können wir ausgehen?", nicht einen einzigen Ton gehört, nicht ein einziges Kompromißangebot. Wieso kann man eigentlich kompromißbereit sein, wenn man am Mittwoch im Ausschuß ein halbes Dutzend Anträge vorlegt und am Donnerstag, also heute, wieder drei Anträge vorlegt, in denen die Standpunkte so weit auseinanderklaffen, daß Sie doch nicht allen Ernstes annehmen können, daß wir zueinander finden können?
Entschuldigen Sie, Frau Odendahl, daß ich Sie so lange habe stehen lassen.
Das macht nichts. - Herr Kollege Lenzer, eine Bemerkung vorab: Ein halbes Dutzend wären sechs Anträge; wir haben aber nur drei Anträge. Aber das macht auch nichts.
Herr Kollege, sind Sie bereit, diesem Hause gegenüber zu erklären, daß Ihnen bereits in der letzten Sitzungswoche eine Einladung zu einem Berichterstattergespräch für den 29. Mai, also letzten Montag, zugegangen ist, daß die Regierungskoalition - also sowohl CDU/CSU als auch F.D.P. - dieses Berichterstattergespräch aber abgesagt bzw. nicht reagiert hat?
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Frau Kollegin Odendahl, Sie haben uns erst zu Beginn der vorletzten Ausschußsitzung, um die es sich wohl handelt, quasi
als Tischvorlage Anträge vorgelegt, und zwar sehr umfangreiche Anträge. Es waren solche Anträge wie z. B. der auf dem grünen Umdruck von heute, in dem der Teufel an die Wand gemalt wird und der für mich weiter nichts enthält als politische Totschlagargumente in der Tagesauseinandersetzung. Da steht z. B.: „Der Bundestag lehnt es ab ... auf dem Rücken der bedürftigen Studenten ... gegen die Länder ... " usw. usf.
({0})
Wir konnten die Anträge, die Sie zu Beginn der Sitzung vorgelegt haben, noch nicht einmal durchlesen. Vielleicht können Sie schneller lesen als andere. Sie haben sogar ein Votum verlangt. Sie wollten, daß wir die Anträge - praktisch ohne sie richtig gelesen zu haben - durch Abstimmung erledigten. Das ist noch nicht einmal die feine englische Art, geschweige denn, daß wir solche Sitten hier im Deutschen Bundestag einführen sollten.
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Lesen Sie einmal durch, wie viele Anträge Sie eingebracht haben, Frau Odendahl. Heute waren es drei. Lesen Sie in dem Bericht des Ausschusses nach, wie viele Anträge Sie in der Ausschußsitzung eingebracht haben.
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Da haben sieben Katzen keine Maus mehr gefunden vor lauter Durcheinander.
Dieser Antrag strotzt vor Polemik. Er ist eine einzige Beschimpfung der Bundesregierung.
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- Das ist die Aufgabe der Opposition, Herr Glotz? Ihr sollt die Bundesregierung doch loben; sie hat es doch wirklich verdient.
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- Es ist doch nicht schlecht, wenn die Debatte zwischendurch einen heiteren Verlauf nimmt.
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Dazu sollten wir vielleicht öfter gemeinsam beitragen. Dann wären vielleicht mehr Leute hier.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns zurück zum Thema kommen. Ein Thema, in dem wir wirklich anderer Meinung sind und wo ein wirklich unüberwindlicher Dissens besteht - jedenfalls so, wie es jetzt aussieht -, ist der Studienstandsnachweis. Darüber müssen wir ein Wort verlieren. Sie wissen, daß die Hochschulrektorenkonferenz auf ihrer
104. Plenarsitzung diese Empfehlung abgegeben hat. Dort haben Praktiker gesprochen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Hochschulrektoren so etwas empfohlen hätten, wenn sie genau wüßten, daß das nicht durchführbar ist.
Um was geht es denn? Bereits jetzt ist in Art. 48 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vorgesehen, daß nach dem vierten Semester ein Leistungsnachweis erbracht werden muß. Das ist bereits jetzt eine Conditio sine qua non - ohne diesen Nachweis geht es nicht. Man könnte jetzt natürlich sagen: Eine fürchterliche Härte! Wie kann man den armen Leuten nur zumuten, daß sie sich auch noch einer derartigen Überprüfung stellen? Das ist wohl unerhört!
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- Nein. Ich sage das nicht. Ich habe das aber aus Ihrer Ecke mehrfach gehört.
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Lesen Sie sich einmal diesen Antrag durch; da steht das mehrfach drin.
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Da wird BAföG als eine Sozialleistung definiert - als ob sie an keine Vorbedingungen geknüpft wäre, wie etwa bei der Sozialhilfe, wo es Einkommensgrenzen gibt, oder beim Wohngeld. Das hängt auch mit der Leistung zusammen. Nicht ohne Grund ist in § 48 als Vorbedingung für den Weiterbezug der Leistungsnachweis vorgeschrieben.
Es gibt die Feststellung, daß wir nach dem zweiten und bis zum fünften Semester an den Universitäten und Hochschulen bis zu 25 % Abbrecher zu beklagen haben, an den Fachhochschulen sogar bis zu 30 %. Da muß es doch erlaubt sein, zunächst zumindest zu fragen: Wie kommt das? Und zweitens: Gibt es eine Möglichkeit, dies vielleicht durch eine intensivere Beratung gerade zu Beginn des Studiums - eine Verpflichtung dazu würde ich durchaus bei dem Lehrpersonal gegeben sehen - zu vermeiden? Deswegen haben wir uns für diesen Studienstandsnachweis ausgesprochen.
Er hat nichts damit zu tun, daß hier einer herausgeprüft werden soll, daß hier einem noch einmal fachspezifisch auf den Zahn gefühlt werden soll. Darum geht es überhaupt nicht. In bis zu 90 % der Fächer, in Jura, der Medizin, den naturwissenschaftlichen und den ingenieurwissenschaftlichen Fächern, gibt es Praktika und Prüfungen. Das ist überhaupt kein Thema. Da kann man jederzeit feststellen: Ist da einer auf dem richtigen Weg? Oder aber: Hat er sich im ersten Semester nur immatrikuliert und erteilt anschließend - ich habe das einmal an anderer Stelle polemisch formuliert; ich wiederhole das gern, damit Sie etwas zum Lachen oder zum Zähneknirschen haben - Tennisunterricht auf Mallorca? Wohlgemerkt, ich bin der Mannschaftskapitän der Tennismannschaft dieses Hauses. Ich habe nichts gegen Tennis. Aber dazu kann man neben dem Studium noch Zeit finden.
Herr Kollege Lenzer, stehen Sie am Beginn der Beschreibung eines Bildes, oder kann man Sie für eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner unterbrechen?
({0})
Der Kollege macht ein so ernstes Gesicht. Selbstverständlich.
Bitte, Herr Kollege Büttner.
Herr Kollege Lenzer, ich habe nur die Bitte, daß ich von Ihnen als Fachmann eine Aufklärung erhalte. Sie haben gerade gesagt, weil es 25 % und mehr Studienabbrecher gebe, hätten Sie diese Vorschrift bezüglich des Leistungsnachweises nach dem zweiten Semester vorgesehen. Ich frage Sie: Verhält es sich denn so, daß Studienabbrecher, also jene, die ihr Studium offiziell abbrechen - solche werden ja dann registriert - hinterher noch weiter BAföG bekommen?
Herr Kollege, damit wir wissen, worüber wir reden: Nicht, wie Sie es in der Frage formuliert haben, der „Leistungsnachweis" ist hier Gegenstand der Erörterung. Es geht ausdrücklich nicht um einen Leistungsnachweis. Ich habe doch gesagt: Es soll niemandem noch einmal besonders auf den Zahn gefühlt werden, sondern es soll nur einmal gefragt werden: Hat er sein Studium ordnungsgemäß aufgenommen, und ist auf diese Weise zu erwarten, daß er den Leistungsnachweis erbringen wird?
Statt einer langen Antwort gebe ich Ihnen jetzt einmal folgendes Beispiel, das vielleicht die Sache erläutert.
({0})
- Ach, Frau Vorsitzende, ich begrüße Sie herzlich. Auch Sie sind mittlerweile in das Plenum gekommen. Das ist ja schön. Ich sage das, weil sie sich gerade zwischenrufend hervorgetan hat. Da muß man ein wenig Zurückhaltung an den Tag legen.
Lieber Kollege, stellen Sie sich folgendes vor. Diesen Studienstandsnachweis, wenn er einmal in praxi eingeführt sein wird, kann jemand nicht erbringen, weil er nicht an den Veranstaltungen der Uni teilgenommen hat - brigens wollen wir den Studienstandsnachweis für alle, nicht nur für BAföG-Bezieher; ich sage das, damit da kein Zweifel besteht; keiner soll diskriminiert werden -: Dann wird die BAföG-Zahlung für das dritte und vierte Semester eingestellt. Derselbe Student würde wieder BAföG-Leistungen erhalten, wenn er durch ein Wunder den Leistungsnachweis nach dem vierten Semester erbrächte; es gibt vielleicht solche genialen Typen. Das ist doch ein Zeichen dafür, daß wirklich niemand herausgeprüft werden soll und auch niemand, keine besondere Studierendengruppe, diskriminiert werden soll.
Es gibt bereits, wie gesagt, diesen Leistungsnachweis, aber nach dem vierten Semester. Hinzukommen soll der Studienstandsnachweis, der mit Beratung verbunden wird.
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- Die Frage ist doch beantwortet.
Der Kollege möchte noch eine weitere Frage stellen.
Bitte.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Ich warte immer noch auf die Antwort auf meine Frage. Sie haben von 25 % Studienabbrechern gesprochen.
Ja, das ist das mit den Studienabbrechern. Danke für den Hinweis.
Könnten Sie mir sagen, ob sie dann hinterher BAföG bekommen, wenn sie ihr Studium abbrechen, oder was für sie dieser Nachweis bedeutet, wenn sie eh abbrechen?
BAföG bekommt man natürlich nur, wenn man an den Lehrveranstaltungen teilnimmt, solange man immatrikuliert ist und solange man studiert. BAföG ist keine Sozialleistung, die über das Studium hinaus gewährt wird.
Meine Ausführungen zu den Abbrechern haben Sie möglicherweise mißverstanden: Diese verschwinden plötzlich. Es kann sein, daß diese ein anderes Studium an einer anderen Universität beginnen. In einem Gespräch bei der Hochschulrektorenkonferenz habe ich festgestellt, daß die statistischen Unterlagen nicht ausreichen. Es kann zum Teil nicht gesagt werden, wohin der Kandidat X plötzlich verschwunden ist. Es kann sein, daß er längst an einer anderen Universität studiert, und niemand weiß das.
Meine Damen und Herren, mir steht noch eine Redezeit von fünf Minuten zu. Aber ich kann mit gutem Beispiel vorangehen. Ich glaube, die Argumente sind ausgetauscht worden. Es kann niemand behaupten, daß wir uns hierfür nicht genug Zeit genommen hätten. Wir haben über diese Fragen in mehreren Ausschußsitzungen gesprochen. Keiner kann uns nachsagen, wir seien nur so darübergehüpft. Wir haben auch in anderen Gremien darüber gesprochen. Es ist immer wieder diese berühmte Anhörung zitiert worden.
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Da es hier um klingende Münze geht, können Sie natürlich von den Betroffenen nicht erwarten, daß diese sich selbst die Nase aus dem Gesicht schneiden und sagen: Wir brauchen weniger Geld.
Ich möchte am Ende feststellen: Wenn Sie, Herr Kollege Glotz, die Absicht gehabt hätten, hätten Sie immer noch auf der Basis des Bundesratsantrages für die heutige zweite Lesung auch im Sinne dessen, was Herr Gerhardt und auch der Minister am Anfang gesagt haben, einen solchen Entwurf einbringen können. Aber nein! Geben Sie zu - ich nehme es Ihnen nicht übel -, daß Sie uns hier vorführen wollten. Sie haben vorhin gesagt, das sei eine Aufgabe der Opposition. Sie wollten zu Ihrem Lieblingskind, zu dem Antrag auf dem grünen Umdruck, an dem Punkt des Studienstandsnachweises und an dem Punkt der Erhöhung um 4 % - Ihr Antrag basiert auf 6 % - im Rahmen einer Generalabrechnung eine streitige Entscheidung erzwingen. Das ist Ihnen gelungen. Wir schämen uns nicht dafür, sondern stellen uns dem. Wir sehen der weiteren Entwicklung mit Gelassenheit entgegen.
Wenn die Erhöhung im Herbst nicht erreicht werden sollte, weil der Terminkalender das nicht zuläßt, werden wir dann, wenn es das Vermittlungsverfahren gibt und das Gesetz von der zweiten Kammer verschleppt wird, dafür sorgen, daß die Menschen wissen, wohin der Schwarze Peter gehört.
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile der Kollegin Doris Odendahl das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Mein Kollege Jörg Tauss hat in seiner ersten Parlamentsrede sehr anschaulich geschildert, welchen Eindruck die Beratungen der 17. BAföG-Novelle hinterlassen. Zum Glück ist er nicht schreckhaft. Aber er hat recht damit, daß es nicht ermutigend ist, seinen Start mit dem Sortieren eines Scherbenhaufens beginnen zu müssen.
Den Scherbenhaufen haben leider sowohl die Bundesregierung als auch die Koalitionsfraktionen zu verantworten. Andere Sündenböcke werden Sie auch bei größter Mühe nicht vorweisen können.
Nachdem wir in zwei ersten Lesungen - einmal zum Gesetzentwurf der SPD-Fraktion und des Bundesrates und einmal zu dem der Koalitionsfraktionen, weil es die Bundesregierung immer noch nicht geschafft hatte, zu Potte zu kommen - alle Argumente ausgetauscht haben, geht es heute - darin stimme ich Ihnen zu, Herr Kollege Lenzer - im Kern um zwei kontroverse Punkte: erstens um die Anhebung der Bedarfssätze um 4 % oder um 6 % und zweitens um den sogenannten Studienstandsnachweis.
Die Expertenanhörungen und die 14. Sozialerhebung haben deutlich gemacht, daß der tatsächliche Bedarf eine wesentlich höhere Anhebung erfordern würde als die, um die heute hier gestritten wird. Das wissen wir alle. Die SPD-Fraktion begründet ihren Antrag auf Anhebung der Bedarfssätze - das
wollten Sie hören, Herr Lenzer - um 6 % damit, daß die Studierenden durch die Verzögerungsstrategie bei der Beratung schon um ein volles Jahr geprellt wurden.
Bundesregierung und Koalitionsfraktionen räumen auch ein, daß höhere Bedarfssätze zwar wünschbar sind, meinen aber, daß sie vor dem Hintergrund einer strikten Ausgabendisziplin nicht realisierbar seien. Dies ist ein Streit - nehmen Sie mir es nicht übel, Herr Minister - um Waigels Bart - wenn er ihm wächst -;
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abgesehen davon, was der Finanzminister überhaupt unter Ausgabendisziplin versteht und bei wem er sie anwendet; denn die konkreten D-Mark-Beträge sind bei vier- oder sechsprozentiger Anhebung kaum zu unterscheiden.
Bei der Höchstförderung kämen monatlich gerade einmal zwischen 10 und 20 DM mehr heraus - für 1995 also ein Gesamtbetrag von 50 DM. Angesichts des drastischen Rückgangs der Gefördertenquote, den die Bundesregierung seit 1982 konsequent betreibt, und der um ein volles Jahr verzögerten Anpassung finanziert sich diese Anhebung aus sich selbst.
Damit kommen wir zu dem zweiten entscheidenden Streitpunkt, dem sogenannten Studienstandsnachweis. Bis heute ist es der Bundesregierung nicht gelungen, zu erklären, was sie sich eigentlich unter einem solchen Studienstandsnachweis vorstellt.
({1})
Wenn gar ein solcher Nachweis zu BAföG-Entscheidungen herangezogen werden sollte, dann müßte er ja in jedem Fall auch gerichtsfest, sprich wasserdicht, sein. Glauben Sie mir, einen so großen Regenschirm werden Sie gar nicht finden, der Sie dann noch trokken hält.
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Eine weitere rechtliche Barriere haben wir Ihnen aufgezeigt: Solche Leistungsnachweise in die Studien- und Prüfungsordnungen aufzunehmen fällt ausschließlich in die Entscheidungskompetenz der Länder. Zur Begründung der Bundesregierung, hier gehe es darum, Mißbräuchen vorzubeugen, ist sie allerdings den Nachweis nennenswerter Mißbräuche im Grundstudium - und nur um diese ginge es - bis heute schuldig geblieben.
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Dennoch wollen Bundesregierung und Koalitionsfraktionen nunmehr einen zusätzlichen Leistungsnachweis für alle Studierenden - das müssen Sie sich auf der Zunge zergehen lassen - und somit 250 000 zusätzliche Prüfungen und Scheine pro Jahr für die ohnehin mehr als überlasteten Hochschulen. Gigantisch, meine Damen und Herren!
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Es liegt - da stimme ich dem Herrn Kollegen Dr. Gerhardt gerne zu - im Interesse der Hochschulen selber, der Gestaltung eines für alle Studierenden innerhalb der Zeitvorgaben der Studien- und Prüfungsordnungen studierbaren Grundstudiums hohe Priorität einzuräumen und dazu vor allem die Studienberatung und die Studienbetreuung auszubauen und zu verstärken. Auch darüber waren wir uns einig. Das ist der richtige Weg.
Dagegen ist es aus unserer Sicht sinnlos, wenn der Bund versucht, seine Vorstellungen von der künftigen Struktur von Studium und Lehre gegen die Länder durchzusetzen.
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Frau Kollegin, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. - Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie jetzt noch sieben Minuten Geduld aufbringen, dann hat die Kollegin Odendahl die Chance, ihren Vortrag bei einiger Aufmerksamkeit des Hauses zu Ende zu bringen. Dies gilt insonderheit für die Kollegen, die da oben am Rande Gespräche führen. Das ist außerhalb des Hauses leichter möglich.
Bitte, fahren Sie fort.
Mit dem fadenscheinigen Argument der Gleichbehandlung der BAföG-geförderten mit den nichtgeförderten Studierenden wird die Studienstrukturreform verzögert, werden den Hochschulen zusätzliche Belastungen aufgebürdet, werden die Studienbedingungen für alle Studierenden weiter erschwert und vor allem bedürftige Studierende vom Hochschulstudium abgeschreckt.
In der Expertenanhörung waren sich alle Sachverständigen einig, daß eine Anhebung der Bedarfssätze um mehr als 4 % notwendig sei, und alle Sachverständigen unter Einschluß der Hochschulrektorenkonferenz waren sich auch darin einig, daß ein Studienstandsnachweis für alle Studierenden aus dem einzigen Grund der Mißbrauchsverhinderung durch die BAföG-Geförderten unsinnig sei.
Damit hier keine Mißverständnisse entstehen, sage ich: Wir sind für die Überprüfung von Leistungen. Daran sind auch die Studierenden selber interessiert. Aber wir sind ganz entschieden dagegen, daß dies zu Lasten und auf dem Rücken der auf das BAföG angewiesenen Studierenden geschieht.
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Die Ausschußberatungen selbst waren leider viel weniger als Meinungsaustausch und Beratung, sondern eher als Spektakel zu erfahren. Ich wäre dankbar gewesen, Herr Kollege Lenzer, wenn Sie wenigstens bereit gewesen wären, zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie auch nicht an einem Berichterstattergespräch interessiert waren.
Die SPD-Fraktion war bis zur Abschlußberatung im Ausschuß, also bis gestern, kompromißbereit. Wir wollten und wollen auch heute noch diese BAföGNovelle eben nicht zum Gegenstand eines Vermittlungsverfahrens machen. Das Bundesausbildungsförderungsgesetz ist ein Bundesgesetz, und wir sollten als Abgeordnete des Deutschen Bundestages Manns und Frau genug sein, die notwendigen Entscheidungen selbst zu treffen und eben nicht den Weg einer Konfrontation mit den für die Hochschulen zuständigen Ländern zu gehen, auch wenn Ihnen das gegenwärtig reizvoll erscheint, Herr Minister Rüttgers.
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Die Länder haben ihrerseits die Hochschulstrukturreform zügig in Gang gesetzt, auch wenn der Bund seine im Eckwertepapier gemachten Zusagen bis heute nicht erfüllt hat. Aus diesem Grunde haben wir Ihnen gestern auch im Ausschuß als äußersten Kompromiß angeboten, auf die nur 4%ige Anhebung einzugehen, wenn erstens die nächste Anpassung 1996 erfolgt und Sie zweitens auf den Studienstandsnachweis im BAföG verzichten.
Wir wissen, daß es innerhalb der Koalition und auch innerhalb der CDU/CSU-Fraktion darüber unterschiedliche Auffassungen gegeben hat und daß sich einzelne Kollegen sehr bemüht haben, zu einem solchen Kompromiß zu kommen. Deshalb sind wir auch nicht sicher, ob die Hardliner der CDU/CSU-Arbeitsgruppe wirklich in ihren Anträgen dem Rechnung tragen.
({2})
Die F.D.P. hatte bei den Ausschußberatungen, wie dem Protokoll zu entnehmen ist, durch Herrn Dr. Gerhardt erklärt - ich zitiere - ,
man müsse sich nach der öffentlichen Anhörung noch einmal fragen, ob ein Nachweis nach dem zweiten Fachsemester nützlich, ob mit ihm ein Steuerungsmoment verbunden wäre und ob damit am Ende zu viel Arbeit auf die Hochschulen zukomme. Es sei richtig, daß man eigentlich einen Weg gehen sollte, auf dem die Hochschulen selbst ihre eigenen Prüfungen ernst nehmen würden.
Offensichtlich, meine Damen und Herren, haben sich die Fachpolitiker gegen die Hardliner aus den eigenen Reihen nicht durchsetzen können.
({3})
Offensichtlich waren nicht einmal die Argumente des künftigen Parteivorsitzenden des Koalitionspartners so viel wert, wenigstens eine kleine Brücke zu bauen.
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Armer Herr Kollege Gerhardt! Noch nicht einmal gewählt und schon verloren!
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Noch viel ärmere F.D.P.! Nur noch am Tropf und schon gar kein Profil mehr!
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- Oh, ich kann sehr teuer argumentieren, Herr Kollege, wenn Sie das wollen.
Bei der Abstimmung über SPD-Anträge bietet sich eine letzte Gelegenheit, Ihr bildungspolitisches Gesicht zu wahren, wenn Ihnen das überhaupt noch wichtig ist.
({7})
Dies ist keine Frage der Koalitionsdisziplin, sondern hat im Kern mit dem Selbstverständnis der bildungspolitisch Verantwortlichen, mit dem Stellenwert von Chancengleichheit zu tun.
({8})
Darüber hinaus stellt die SPD-Fraktion in ihrem Entschließungsantrag zum Bericht der Bundesregierung ihre eigenen Reformvorschläge, auch wenn Ihnen die zuviel erscheinen, Herr Kollege Lenzer, nicht nur für eine 18. BAföG-Novelle, sondern für eine grundlegende Reform der Ausbildungsförderung zur Abstimmung. Dazu gehören auf mittlere Sicht die Neuberechnung des studentischen Bedarfs, der Wiedereinstieg in die Schülerförderung, die Schaffung förderungsrechtlicher Voraussetzungen für ein Teilzeitstudium und viele Dinge mehr.
Meine Damen und Herren, auf längere Sicht wollen wir eine Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung des Bundes zu einem Fördersystem, das Kindergeld, Kinderfreibeträge, Kinderzuschläge im öffentlichen Dienst und Ausbildungsfreibeträge einbezieht und aus dem elternunabhängig ein Sockelbetrag als Zuschuß für eine bestimmte Zeit gewährt wird.
Um überhaupt zu Reformansätzen an Stelle immerwährender Flickschusterei zu kommen, sind in Zukunft die erheblichen Darlehensrückflüsse zur Finanzierung mit zu verwenden.
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Die SPD-Fraktion will dieses Flickwerk in der 18. BAföG-Novelle, die ja ansteht, die unsägliche Feilscherei um 10 Mark mehr oder weniger bei immer weniger Geförderten, alle Verzögerungstricks und Scheinargumente nicht erneut vorgeführt bekommen.
({10})
Das ist vor allem den Studierenden nicht mehr zumutbar.
Bitte - jetzt wende ich mich an die Hardliner unter Ihnen - begreifen Sie das BAföG als einen Generationenvertrag der Bildung, als den ersten Baustein eines Systems der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung, auch als wichtigen Baustein für jede zukünftige Forschung. Bitte begreifen Sie Chancengleichheit nicht etwa als Bedrohung, sondern als Chance für unsere Gesellschaft.
Stimmen Sie den Anträgen der SPD-Fraktion zu! Für den Änderungsantrag zur Streichung des Studienstandsnachweises auf Drucksache 13/1562 beantragen wir namentliche Abstimmung.
({11})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich rufe den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Entwurf zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, Drucksachen 13/1301 und 13/1553 Nr. I Buchstabe e, auf. Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor.
Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag auf Drucksache 13/1561 ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich weise Sie darauf hin, daß wir nach der namentlichen Abstimmung zahlreiche weitere strittige Abstimmungen vornehmen werden. Sie können sehr zur Beschleunigung des Verfahrens beitragen, wenn Sie nach der Stimmabgabe wieder Ihre Plätze einnehmen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/1562. Die SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. )
({0})
- Meine Damen und Herren, bitte nehmen Sie doch Platz!
Über den Gesetzentwurf können wir erst dann weiter abstimmen, wenn das Ergebnis dieser Abstimmung vorliegt. Deshalb fahren wir zunächst mit anderen Abstimmungen fort.
Unter Nr. I Buchstabe b seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/1553 empfiehlt der Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 13/ 1395 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf der Fraktion der SPD zu einem Gesetz zur Änderung
*) Seite 3222 C
Vizepräsident Hans Klein
des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auf den Drucksachen 13/65 und 13/101. Der Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung empfiehlt auf Drucksache 13/1553 Nr. I Buchstabe c, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf den Drucksachen 13/65 und 13/101 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf den Drucksachen 13/80 und 13/101. Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. I Buchstabe d seiner Beschlußempfehlung, auch diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Anpassung der Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, Drucksache 13/1553 Nr. I Buchstabe e. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/784 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Bericht der Bundesregierung über die Möglichkeiten einer Erhöhung der Bedarfssätze, Drucksachen 13/ 735 und 13/1553 Nr. I Buchstabe f. Der Ausschuß empfiehlt, die Unterrichtung zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt gegen die Beschlußempfehlung? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zum Bericht der Bundesregierung, Drucksache 13/1560. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Der Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. II seiner Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({1})
({2})
Verehrte Kolle- ({0}) Binnen und Kollegen, wir setzen die Beratungen fort
und kommen zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zurück. Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/1562 bekannt. Abgegebene Stimmen: 632; mit Ja haben gestimmt: 308, mit Nein: 324, Enthaltungen: keine. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
({1})
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 630 davon
ja: 307
nein: 323
Ja
SPD
Adler, Brigitte
Andres, Gerd
Bachmaier, Hermann Bahr, Ernst
Barnett, Doris
Barthel, Klaus Becker-Inglau, Ingrid Behrendt, Wolfgang Berger, Hans
Bertl, Hans-Werner Beucher, Friedhelm Julius Bindig, Rudolf
Blunck, Lilo
Böhme ({2}), Dr. Ulrich Börnsen ({3}), Ame Brandt-Elsweier, Anni Brecht, Dr. Eberhard Bulmahn, Edelgard Burchardt, Ursula
Bury, Hans Martin Büttner ({4}), Hans Caspers-Merk, Marion
Catenhusen, Wolf-Michael Conradi, Peter Däubler-Gmelin, Dr. Herta Deichmann, Christel Diller, Karl
Dobberthien, Dr. Marliese Dreßen, Peter
Dreßler, Rudolf
Duve, Freimut
Eich, Ludwig
Enders, Peter
Erler, Gernot
Ernstberger, Petra Faße, Annette
Ferner, Elke
Fischer ({5}), Lothar Fograscher, Gabriele Follak, Iris
Formanski, Norbert Freitag, Dagmar
Fuchs ({6}), Anke Fuchs ({7}), Katrin Fuhrmann, Arne Ganseforth, Monika Gansel, Norbert
Gilges, Konrad
Gleicke, Iris
Gloser, Günter
Glotz, Dr. Peter
Graf ({8}), Günter
Graf ({9}), Angelika Grasedieck, Dieter Großmann, Achim
Haack ({10}),
Karl Hermann Hacker, Hans-Joachim
Hagemann, Klaus Hampel, Manfred Hanewinckel, Christel Hartenbach, Alfred Hasenfratz, Klaus Hauchler, Dr. Ingomar Heistermann, Dieter Hemker, Reinhold Hempelmann, Rolf Hendricks, Dr. Barbara
Heubaum, Monika Hiksch, Uwe
Hiller ({11}), Reinhold
Hilsberg, Stephan Höfer, Gerd
Hoffmann ({12}), Jelena
Hofmann ({13}), Frank Holzhüter, Ingrid
Horn, Erwin
Hovermann, Eike Ibrügger, Lothar Ilte, Wolfgang
Imhof, Barbara
liber, Brunhilde Iwersen, Gabriele Jäger, Renate
Janz, Ilse
Jens, Dr. Uwe
Jung ({14}), Volker Kaspereit, Sabine Kastner, Susanne Kastning, Ernst
Kemper, Hans-Peter Kirschner, Klaus Klappert, Marianne Klemmer, Siegrun Klose, Hans-Ulrich
Knaape, Dr. Hans-Hinrich
Kolbow, Walter Körper, Fritz Rudolf Kressl, Nicolette Kröning, Volker Krüger, Thomas Kubatschka, Horst Kuhlwein, Eckart Kunick, Konrad Kurzhals, Christine Küster, Dr. Uwe
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Labsch, Werner Lange, Brigitte Larcher, von Detlev Lehn, Waltraud Leidinger, Robert Lennartz, Klaus Leonhard, Dr. Elke Lörcher, Christa Lotz, Erika
Lucyga, Dr. Christine
Maaß ({15}), Dieter
Mante, Winfried Marx, Dorle
Mascher, Ulrike Matschie, Christoph Matthäus-Maier, Ingrid Mattischeck, Heide Meckel, Markus
Mehl, Ulrike
Meißner, Herbert Mertens, Angelika Meyer ({16}), Dr. Jürgen Mogg, Ursula
Müller ({17}), Michael Müller ({18}), Jutta Müller ({19}), Christian Neumann ({20}), Kurt Neumann ({21}), Volker Neumann ({22}), Gerhard Niehuis, Dr. Edith
Niese, Dr. Rolf Odendahl, Doris Oesinghaus, Günter Onur, Leyla
Opel, Manfred Ostertag, Adolf Palis, Kurt
Papenroth, Albrecht Penner, Dr. Willfried Pfaff, Dr. Martin Pick, Dr. Eckhart Paß, Joachim
Purps, Rudolf Rehbock-Zureich, Karin Renesse, von Margot Rennebach, Renate Reschke, Otto
Reuter, Bernd
Richter, Dr. Edelbert Rixe, Günter
Robbe, Reinhold Rübenkönig, Gerhard Schafer, Dr. Hansjörg Schaich-Walch, Gudrun Schanz, Dieter Scharping, Rudolf Scheelen, Bernd Scheer, Dr. Hermann Scheffler, Siegfried Schild, Horst
Schloten, Dieter Schluckebier, Günter Schmidbauer ({23}),
Horst
Schmidt ({24}), Ursula Schmidt ({25}), Dagmar Schmidt ({26}), Wilhelm Schmidt-Zadel, Regina Schmitt ({27}), Heinz Schnell, Dr. Emil
Schöler, Walter Schreiner, Ottmar Schubert, Dr. Mathias Schuhmann ({28}),
Richard
Schulte ({29}), Brigitte
Schultz ({30}), Reinhard
Schultz ({31}), Volkmar Schuster, Dr. R. Werner Schütz ({32}), Dietmar Schwall-Düren, Dr. Angelica Schwanhold, Ernst Schwanitz, Rolf
Seidenthal, Bodo Seuster, Lisa
Sielaff, Horst
Simm, Erika
Singer, Johannes Skarpelis-Sperk, Dr. Sigrid Sonntag-Wolgast, Dr.
Comelie
Sorge, Wieland
Spanier, Wolfgang Sperling, Dr. Dietrich Spiller, Jörg-Otto Steen, Antje-Marie Stiegler, Ludwig Struck, Dr. Peter Tappe, Joachim
Tauss, Jörg
Teichmann, Dr. Bodo Terborg, Margitta Teuchner, Jella
Thalheim, Dr. Gerald Thierse, Wolfgang Thieser, Dietmar Thönnes, Franz Titze-Stecher, Uta Tröscher, Adelheid Urbaniak, Hans-Eberhard Vergin, Siegfried Verheugen, Günter
Vogt ({33}), Ute
Voigt ({34}), Karsten D. Vosen, Josef
Wagner, Hans Georg Wegner, Dr. Konstanze Weiermann, Wolfgang Weis ({35}), Reinhard Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Weisskirchen ({36}),
Gert
Welt, Jochen
Wester, Hildegard Westrich, Lydia Wettig-Danielmeier, Inge Wieczorek, Dr. Norbert Wieczorek ({37}),
Helmut
Wieczorek-Zeul, Heidemarie Wiefelspütz, Dieter
Wittich, Berthold Wodarg, Dr. Wolfgang Wohlleben, Verena Wolf ({38}), Hanna Wright, Heide
Zapf, Uta
Zöpel, Dr. Christoph Zumkley, Peter
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Altmann ({39}), Gila Altmann ({40}), Elisabeth
Beck ({41}), Marieluise Beck ({42}), Volker
Beer, Angelika
Beminger, Matthias
Buntenbach, Annelie Dietert-Scheuer, Amke Eichstädt-Bohlig, Franziska Fischer ({43}), Andrea Fischer ({44}), Joseph Grießhaber, Rita
Häfner, Gerald Hermenau, Antje Höfken, Ulrike Hustedt, Michaele Kiper, Dr. Manuel Knoche, Monika
Köster-Loßack, Dr. Angelika Lemke, Steffi
Lengsfeld, Vera Lippelt, Dr. Helmut Nachtwei, Winfried
Nickels, Christa Özdemir, Cem Poppe, Gerd
Probst, Simone Rochlitz, Dr. Jürgen
Saibold, Halo Scheel, Christine
Schewe-Gerigk, Irmingard Schmidt ({45}), Albert Schmitt ({46}),
Wolfgang
Schönberger, Ursula Schoppe, Waltraud
Schulz ({47}), Werner Steenblock, Rainder Steindor, Marina Sterzing, Christian
Such, Manfred Vollmer, Dr. Antje
Wilhelm ({48}), Helmut Wolf ({49}), Margareta
PDS
Bierstedt, Wolfgang Bläss, Petra Bulling-Schröter, Eva
Einsiedel, Heinrich Graf von Elm, Dr. Ludwig Enkelmann, Dr. Dagmar Fuchs, Dr. Ruth
Gysi, Dr. Gregor Heuer, Dr. Uwe-Jens
Höll, Dr. Barbara Jelpke, Ulla
Knake-Werner, Dr. Heidi Köhne, Rolf
Kutzmutz, Rolf Lederer, Andrea Luft, Dr. Christa Lüth, Heidemarie
Maleuda, Dr. Günther Müller ({50}), Manfred Neuhäuser, Rosel Schenk, Christina Warnick, Klaus-Jürgen
Wolf, Dr. Winfried Zwerenz, Gerhard
Nein
CDU/CSU
Adam, Ulrich
Altmaier, Peter
Augustin, Anneliese
Augustinowitz, Jürgen Austermann, Dietrich Bargfrede, Heinz-Günter Basten, Franz Peter Bauer, Dr. Wolf
Baumeister, Brigitte Belle, Meinrad
Bergmann-Pohl, Dr. Sabine Bierling, Hans-Dirk
Blank, Renate
Blens, Dr. Heribert Bleser, Peter
Blüm, Dr. Norbert Bohl, Friedrich
Böhmer, Dr. Maria Börnsen ({51}), Wolfgang
Bosbach, Wolfgang Bötsch, Dr. Wolfgang Brähmig, Klaus
Braun ({52}), Rudolf Breuer, Paul
Brudlewsky, Monika Brunnhuber, Georg Büttner ({53}),
Hartmut
Buwitt, Dankward
Carstens ({54}), Manfred Carstensen ({55}),
Peter H.
Dehnel, Wolfgang Deittert, Hubert
Dempwolf, Gertrud Dell, Albert
Diemers, Renate Dietzel, Wilhelm Dörflinger, Werner Doss, Hansjörgen Dregger, Dr. Alfred Engelmann, Wolfgang Eppelmann, Rainer Eßmann, Heinz Dieter Eylmann, Horst
Eymer, Anke
Falk, Ilse
Faltlhauser, Dr. Kurt Feilcke, Jochen
Fell, Dr. Karl H.
Fink, Ulf
Fischer ({56}), Dirk Francke ({57}), Klaus Frankenhauser, Herbert Friedrich, Dr. Gerhard Fritz, Erich G.
Fuchtel, Hans-Joachim Geiger, Michaela Geißler, Dr. Heiner Glos, Michael
Glücklich, Wilma Göhner, Dr. Reinhard Götz, Peter
Götzer, Dr. Wolfgang Gres, Joachim
Grill, Kurt-Dieter Gröhe, Hermann Grotz, Claus-Peter Grund, Manfred
Günther ({58}), Horst Haschke ({59}),
Gottfried
Hasselfeldt, Gerda Haungs, Rainer
Hauser ({60}), Otto Hauser ({61}), Hansgeorg
Hedrich, Klaus-Jürgen
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Heise, Manfred
Hellwig, Dr. Renate Hinsken, Ernst
Hintze, Peter
Hollerith, Josef
Hornhues, Dr. Karl-Heinz Hörster, Joachim
Hüppe, Hubert
Jacoby, Peter
Jaffke, Susanne
Janovsky, Georg Jawurek, Helmut Jobst, Dr. Dionys Jork, Dr.-Ing. Rainer
Jung ({62}), Michael Junghanns, Ulrich Jüttner, Dr. Egon
Kahl, Dr. Harald
Kalb, Bartholomäus Kampeter, Steffen Kansy, Dr.-Ing. Dietmar Kanther, Manfred Karwatzki, Irmgard Kauder, Volker
Keller, Peter
Klaeden, Eckart von Klein ({63}), Hans Klinkert, Ulrich
Kohl, Dr. Helmut
Köhler ({64}), Hans-Ulrich Kolbe, Manfred
Königshofen, Norbert Kors, Eva-Maria
Koschyk, Hartmut Koslowski, Manfred Kossendey, Thomas Kraus, Rudolf
Krause ({65}), Wolfgang Krautscheid, Andreas Kriedner, Arnulf
Kronberg, Heinz-Jürgen Krüger, Dr.-Ing. Paul Krziskewitz, Reiner Kues, Dr. Hermann Kuhn, Werner
Lamers, Karl
Lamers ({66}), Dr. Karl A.
Lammert, Dr. Norbert Lamp, Helmut
Laschet, Armin
Lattmann, Herbert Laufs, Dr. Paul
Laumann, Karl Josef Lensing, Werner Lenzer, Christian Letzgus, Peter
Limbach, Editha
Link ({67}), Walter Lintner, Eduard
Lippold ({68}), Dr. Klaus W.
Lischewski, Dr. Manfred Lohmann ({69}), Wolfgang
Louven, Julius
Löwisch, Sigrun
Lummer, Heinrich Luther, Dr. Michael Maaß ({70}),
Erich
Mahlo, Dr. Dietrich Marschewski, Erwin Marten, Günter
Mayer ({71}), Dr. Martin
Meckelburg, Wolfgang Meinl, Rudolf
Meister, Dr. Michael Merkel, Dr. Angela Merz, Friedrich
Meyer ({72}), Rudolf Michelbach, Hans Michels, Meinolf
Müller, Dr. Gerd
Müller ({73}), Elmar Nelle, Engelbert
Neumann ({74}), Bernd Nitsch, Johannes
Nolte, Claudia
Olderog, Dr. Rolf
Ost, Friedhelm
Oswald, Eduard
Otto ({75}), Norbert Päselt, Dr. Gerhard Paziorek, Dr. Peter Pesch, Hans-Wilhelm Petzold, Ulrich
Pfeifer, Anton
Pfeiffer, Angelika Pfennig, Dr. Gero Pflüger, Dr. Friedbert Philipp, Beatrix
Pinger, Dr. Winfried Pofalla, Ronald
Pohler, Dr. Hermann Polenz, Ruprecht
Pretzlaff, Marlies
Probst, Dr. Albert Protzner, Dr. Bernd Pützhofen, Dieter Rachel, Thomas
Raidel, Hans
Ramsauer, Dr. Peter Rau, Rolf
Rauber, Helmut
Rauen, Peter Harald Regenspurger, Otto Reichard ({76}), Christa Reichardt ({77}),
Klaus Dieter
Reinartz, Dr. Bertold Reinhardt, Erika
Repnik, Hans-Peter Richter, Roland
Richwien, Roland Rieder, Dr. Norbert
Riedl ({78}), Dr. Erich Riegert, Klaus
Riesenhuber, Dr. Heinz Rönsch ({79}), Hannelore
Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm Rose, Dr. Klaus
Rossmanith, Kurt J. Roth ({80}), Adolf Röttgen, Norbert
Ruck, Dr. Christian Rühe, Volker
Rüttgers, Dr. Jürgen Sauer ({81}), Roland Schätzle, Ortrun
Schäuble, Dr. Wolfgang Schauerte, Hartmut Schemken, Heinz Scherhag, Karl-Heinz Scheu, Gerhard
Schindler, Norbert Schlee, Dietmar
Schmalz, Ulrich Schmidbauer, Bernd Schmidt ({82}), Christian
Schmidt ({83}),
Dr.-Ing. Joachim
Schmidt ({84}), Andreas Schmiedeberg, Hans-Otto Schmitz ({85}), Hans
Peter
Schmude, Michael von Schnieber-Jastram, Birgit Schockenhoff, Dr. Andreas Scholz, Dr. Rupert Schorlemer, Reinhard
Freiherr von Schuchardt, Dr. Erika Schulhoff, Wolfgang
Schulte ({86}), Dr. Dieter
Schulz ({87}), Gerhard Schulze, Frederick Schwalbe, Clemens Schwarz-Schilling,
Dr. Christian Sebastian, Wilhelm-Josef Seehofer, Horst
Seibel, Wilfried Seiffert, Heinz-Georg Seiters, Rudolf
Selle, Johannes Siebert, Bernd Sikora, Jürgen
Singhammer, Johannes Sothmann, Bärbel Späte, Margarete Spranger, Carl-Dieter Steiger, Wolfgang Steinbach, Erika Stetten, Dr. Wolfgang
Freiherr von Stoltenberg, Dr. Gerhard Storm, Andreas Straubinger, Max Stübgen, Michael Susset, Egon
Süssmuth, Dr. Rita Teiser, Michael Tiemann, Dr. Susanne Töpfer, Dr. Klaus Tröger, Gottfried
Uelhoff, Dr. Klaus-Dieter Uldall, Gunnar
Vogt ({88}), Wolfgang Waffenschmidt, Dr. Horst Waigel, Dr. Theodor Waldburg-Zeil,
Alois Graf von
Warnke, Dr. Jürgen
Wetzel, Kersten
Wilhelm ({89}), Hans-Otto Willner, Gert
Wilz, Bernd
Wimmer ({90}), Willy Wissmann, Matthias Wittmann ({91}),
Simon Georg Wöhrl, Dagmar
Wonneberger, Michael Wülfing, Elke Würzbach, Peter Kurt
Yzer, Cornelia Zeitlmann, Wolfgang
Zöller, Wolfgang
F.D.P.
Albowitz, Ina
Babel, Dr. Gisela Braun ({92}),
Hildebrecht Bredehorn, Günther Essen, Jörg van Feldmann, Dr. Olaf Frick, Gisela
Friedhoff, Paul K. Friedrich, Horst Funke, Rainer
Genscher, Hans-Dietrich Gerhardt, Dr. Wolfgang Günther ({93}), Joachim Haussmann, Dr. Helmut Heinrich, Ulrich
Hirche, Walter Hirsch, Dr. Burkhard Homburger, Birgit Hoyer, Dr. Werner Irmer, Ulrich
Kinkel, Dr. Klaus
Kleinert ({94}), Detlef Kohn, Roland
Kolb, Dr. Heinrich L. Koppeln, Jürgen Lanfermann, Heinz Leutheusser-Schnarrenberger, Sabine Lühr, Uwe
Nolting, Günther Friedrich Ortleb, Dr. Rainer
Peters, Lisa
Rexrodt, Dr. Günter Röhl, Dr. Klaus
Schäfer ({95}), Helmut Schmalz-Jacobsen, Cornelia Schwaetzer, Dr. Irmgard Solms, Dr. Hermann Otto Stadler, Dr. Max
Thiele, Carl-Ludwig Thomae, Dr. Dieter Türk, Jürgen
Weng ({96}),
Dr. Wolfgang
Wer stimmt für den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
({97})
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/1557. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der Gruppe der PDS abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 a auf: Abschließende Beratungen ohne Aussprache
Beratung von Anträgen auf Einsetzung von Enquete-Kommissionen
aa) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
Schutz des Menschen und der Umwelt - Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung
- Drucksache 13/1533 -
bb) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit
- Drucksache 13/1535 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Antrag der Fraktion der SPD
Überwindung der Folgen der SED-Diktatur und der unterschiedlichen Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland im Prozeß der deutschen Einheit
- Drucksache 13/1537 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
cc) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
Demographischer Wandel - Herausforderungen unserer Alter werdenden Gesellschaft an den einzelnen und die Politik
- Drucksache 13/1532 Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung, und zwar zunächst zum Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der F.D.P. zur Einsetzung einer Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt - Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung", Drucksache 13/1533.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/1565 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei einzelnen Stimmenthaltungen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt.
Es liegt ein zusätzlicher Änderungsantrag des Abgeordneten Rolf Köhne ({98}) auf Drucksache 13/1587 vor. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den interfraktionellen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen. Damit ist die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt" eingesetzt. * )
Der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. auf Drucksache 13/1535 sowie der Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/1537 zur Einsetzung einer Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur" sollen an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zum Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. zur Einsetzung einer Enquete-Kommission „Demographischer Wandel - Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den einzelnen und die Politik", Drucksache 13/1532.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/1564 vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen dieses Hauses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den interfraktionellen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen. Damit ist die Enquete-Kommission „Demographischer Wandel" eingesetzt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 d auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({99})
Sammelübersicht 26 zu Petitionen - Drucksache 13/1005 -
*) Erklärung zur Abstimmung siehe Anlage 2
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Zu einem in dieser Sammelübersicht angeführten Asylverfahren liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Jedoch hat die Kollegin Dietert-Scheuer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, darum gebeten, eine fünfminütige Erklärung zu ihrem Abstimmungsverhalten abgeben zu können. - Sie haben das Wort.
Die hier zur Abstimmung vorliegende Petition betrifft das Asylgesuch eines Christen aus Pakistan. Mit der Unterstützung von ca. 12 000 Einzelpersonen - vom Universitätsprofessor bis zum Kommissariat der deutschen Bischöfe - bittet er um ein Bleiberecht in der Bundesrepublik. In Pakistan war er inhaftiert und gefoltert worden und befürchtet, im Falle einer Rückkehr nach dem pakistanischen Blasphemiegesetz zum Tode verurteilt zu werden.
Ich möchte erklären, warum meine Fraktion den vorliegenden Änderungsantrag eingebracht hat und ich für diesen Antrag stimmen werde.
Am 13. September 1994 wurde der Asylantrag des Petenten vom Verwaltungsgericht Freiburg als offensichtlich unbegründet abgewiesen. In der Urteilsbegründung findet sich folgende Passage:
Trotz des sympathischen Äußeren und Auftretens des Klägers ... kann er nicht als glaubwürdig angesehen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Täuschungen und Fälschungen in Pakistan - wie auch in anderen orientalischen Ländern - derart häufig verbreitet und üblich sind, daß Unehrlichkeit geradezu als ein sozialtypisches Phänomen zu betrachten ist, welches dort nicht in gleichem Maße einem gesellschaftlichen Unwerturteil unterliegt wie in den von christlichen Traditionen noch stark beeinflußten europäischen Ländern.
Diese Urteilsbegründung hat auch den Petitionsausschuß zu einer scharfen Kritik veranlaßt. Dennoch hat die Mehrheit im Petitionsausschuß es abgelehnt, dem persönlich betroffenen Asylbewerber zu helfen und seine Abschiebung nach Pakistan zu verhindern.
Weder der Petitionsausschuß noch der Bundestag haben die Kompetenz, die Entscheidung eines Gerichts zu korrigieren. Aber auch die Entscheidung des Bundesamtes, dessen Korrektur wir verlangen können, wird dem Petenten in keiner Weise gerecht.
In der sehr umfangreichen Entscheidungsbegründung wird zwar breit ausgeführt, daß Christen in Pakistan angeblich keine generelle Verfolgung droht. Auf das persönliche Vorbringen des Petenten, seine erlittenen Inhaftierungen und Folterungen, wird jedoch überhaupt nicht eingegangen. In dem folgenden Gerichtsurteil, das mangels weiterer Berufungsmöglichkeiten rechtskräftig wurde, wurde das Vorbringen des Asylsuchenden in der eben zitierten Weise gewürdigt.
Wenn unser Antrag heute keine Mehrheit findet, steht dem Flüchtling die Abschiebung nach Pakistan und damit sehr wahrscheinlich erneut Verfolgung und Folter unmittelbar bevor.
Einigen von Ihnen wird möglicherweise ein Fernsehbericht über eine Mission von Amnesty International nach Pakistan in Erinnerung sein. Dort wird in einer längeren Sequenz über Übergriffe von Muslimen auf Christen berichtet, und in einem Gespräch werden Rehmat Masih und sein 14jähriger Sohn Salamat Masih vorgestellt. Sie waren beide von einem pakistanischen Gericht zum Tode verurteilt worden. Hintergrund sind gesetzliche Bestimmungen über Blasphemie, für die die Todesstrafe zwingend vorgeschrieben ist.
Es ist bekannt, daß die Blasphemiegesetzgebung in zahlreichen weiteren Fällen zu Anklagen gegen Christen geführt hat. Es ist auch bekannt, daß es immer wieder zu Übergriffen religiöser Fanatiker gegen Christen sowie gegen Anwälte und Menschenrechtsaktivisten kommt, die sich für Christen einsetzen. Die pakistanische Regierung ist offensichtlich nicht in der Lage, diese Übergriffe zu verhindern. Daß es ihr gelingt, die strenge Gesetzgebung zur Blasphemie zu lockern, ist jüngsten Zeitungsberichten zufolge sehr unwahrscheinlich.
Kollege Roland Kohn von der F.D.P. wird sich an die Antwort des Auswärtigen Amtes auf seine Frage erinnern, mit welchen Schritten auf das Todesurteil gegen Salamat und Rehetat Masih reagiert wird. Ihm wurde Anfang März mitgeteilt, der deutsche Vertreter bei der Menschenrechtskommission in Genf, Herr Baum, habe den pakistanischen Delegierten auf die Urteile angesprochen und die Bestürzung der Bundesregierung übermittelt.
Vielleicht werden sich einige weitere Kolleginnen und Kollegen daran erinnern, daß sie sich im Rahmen einer Eilaktion von Amnesty International für die beiden zum Tode Verurteilten eingesetzt haben.
Salamat und Rehmat Masih wurde in der Zwischenzeit die Einreise in die Bundesrepublik ermöglicht. Ich hoffe auf die Unterstützung insbesondere meiner bisher in dieser Frage engagierten Kolleginnen und Kollegen auch im Falle dieses Petenten. Denn heute geht es nicht darum, welche Schritte die Bundesregierung unternimmt, um gefährdete Christen aus Pakistan zu schützen, heute sind wir als Abgeordnete gefordert.
({0})
Ich weise noch einmal darauf hin, daß Erklärungen zu Abstimmungen persönliche Erklärungen zum eigenen Abstimmungsverhalten sind und andere Erklärungen, wenn eine Aussprache nicht vereinbart worden ist, eigentlich nicht zulässig sind.
({0})
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Wünscht noch jemand eine Erklärung abzugeben? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/1547. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Gruppe der PDS abgelehnt.
({1})
- Habe ich das übersehen? - Und des Abgeordneten Schwarz-Schilling. Ich bitte uni Nachsicht.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen - dort die Enthaltung des Kollegen Schwarz-Schilling - gegen die Stimmen der Fraktion der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Gruppe der PDS ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 5a bis 5 d:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung des Tourismus
- Drucksachen 12/7895, 12/8467 Nr. 1.36, 13/ 1513 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Brähmig Susanne Kastner
Dr. Olaf Feldmann
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halo Saibold und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Imagekampagne Urlaub in Deutschland"
- Drucksache 13/1016 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus ({3})
Innenausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Erhebung statistischer Daten im Bereich des Tourismus
- Drucksachen 13/837 Nr. 2.2, 13/1402 -
Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Gerd Müller
Horst Kubatschka Halo Saibold
d) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Umweltschutz und Tourismus - Drucksache 13/1531-Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus ({5})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Zum Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung des Tourismus liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Olderog, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als erstes möchte ich den Dank meiner Fraktion an die Bundesregierung, insbesondere an die Fremdenverkehrsreferenten Dr. Solveen und Dr. Lhotzky und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter, für die sehr informative Arbeit aussprechen. Dazu eine Bitte und Anregung: Die konzeptionellen Vorschläge sollten das nächste Mal konzentriert zusammengefaßt und deutlicher herausgehoben werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aus dem weiten Feld der Tourismuspolitik eine Problematik herausgreifen, die uns allen große Sorge bereitet. Ich meine die unübersehbare Stagnation der deutschen Tourismuswirtschaft. Während die Zahl der Auslandsreisen steigt, sinkt die Zahl der Inlandsreisen. So stieg der Anteil der Auslandsreisen laut „Urlaub und Reisen" von 64,6 % auf 65,4 %; hingegen sank der Anteil der Inlandsreisen von 35,4 % auf 34,6 %. Zudem ist bei den Inlandsreisen die Zahl der Übernachtungstage von 14,4 auf 14 zurückgegangen.
Von Jahr zu Jahr haben die Ausgaben der deutschen Touristen im Ausland neue Rekordmarken erreicht. 1994 waren es 67 Milliarden DM. Deutschland hat dagegen im Incoming, also von ausländischen Gästen, nur 17 Milliarden DM einnehmen können. Unsere Volkswirtschaft muß mit einem Reisebilanzdefizit von 50 Milliarden DM fertigwerden. Die Prognose für 1995 lautet: 72 Milliarden DM Ausgaben
im Ausland, so daß sich das Defizit sogar dann auf etwa 55 Milliarden DM belaufen wird. Wir fragen uns, wie lange eine Volkswirtschaft ein Defizit in dieser Größenordnung verkraften kann.
Meine Damen und Herren, das herrliche Reise- und Urlaubsland Deutschland hat es, so denke ich, nicht verdient, bei den Inlandsreisen ständig Marktanteile gegenüber den Auslandsreisen zu verlieren. Wo liegen die Ursachen? Da ist zum einen der verständliche Nachholbedarf der Bürgerinnen und Bürger aus den neuen Bundesländern zu nennen. Eine wichtige Rolle spielen auch die relative Preisstabilität in wichtigen Zielländern sowie die Aufwertung der D-Mark bzw. die Abwertung der Währungen dort und die niedrigen Flugpreise, die durch den scharfen Wettbewerb insbesondere bei Fernreisen wie etwa in die USA oder in die Karibik entstanden sind.
Liegt es aber nicht auch daran - das ist die entscheidende Frage -, daß die deutsche Fremdenverkehrswirtschaft längst nicht alle Chancen wahrgenommen hat, Urlaub in Deutschland attraktiv, erlebnisreich und spannend zu machen?
({0})
Haben wir nicht immer wieder auch an dieser Stelle auf die Schwächen und Versäumnisse in der deutschen Fremdenverkehrswirtschaft hingewiesen? Ich erinnere nur an unsere Vorschläge für eine Dach-, eine Imagewerbung für Urlaub in Deutschland, für die Errichtung eines flächendeckenden Informations-und Reservierungssystems
({1})
und für die Schaffung eines Gütesiegels für umweltfreundliche touristische Angebote.
Leider aber - lieber Herr Feldmann, das wissen Sie genauso wie ich - hat sich gar nichts bzw. fast nichts bewegt.
({2})
- Darauf komme ich noch. Wir haben uns bewegt, sonst aber hat sich im Bereich der Tourismuswirtschaft leider nicht viel getan.
Jürgen Werner vom Deutschen Fremdenverkehrsverband hat sich bemüht, uns zu unterstützen. Es scheint aber unglaublich schwer zu sein, die Regionalverbände und die Länder für bundesweite Projekte zu gewinnen. Bei der gegenwärtigen Mentalität, bei der gegenwärtigen Verteilung von Macht, Geld und Kompetenzen scheint mir ein allzugroßer Optimismus nicht gerechtfertigt.
Nun haben wir - Herr Kolb, Sie waren dabei - gestern zum ersten Mal - ich unterstreiche das ({3})
im Fremdenverkehrsausschuß ein Gespräch mit dem Bundeswirtschaftsminister geführt. Mit für mich geradezu beispielloser Deutlichkeit ist er mit der deutschen öffentlich-rechtlichen Fremdenverkehrswirtschaft, ihren Organisationen und Verantwortlichen ins Gericht gegangen. Unsere kritischen Anmerkungen, für die wir manchmal getadelt worden sind, sind lediglich ein Säuseln gegenüber dem Sturm, den der Minister gestern auf die öffentlich-rechtliche Fremdenverkehrswirtschaft in Deutschland niedergehen ließ. Er sprach davon, daß dort insgesamt keine überzeugende Arbeit geleistet werde und es an Kreativität und Spaß fehle.
({4})
- Mein Mitarbeiter Haese und ich haben das alles mitgeschrieben. Wir können Ihnen das zur Verfügung stellen.
Schließlich war die Rede von einer vielfach vorhandenen öffentlich-rechtlich verfaßten Schläfrigkeit. Ich halte mich in den Formulierungen eher etwas zurück, als daß ich sie hier in ihrer ganzen Deutlichkeit ausbreite. Meine Damen und Herren, ich denke, dies ist in der Schärfe etwas überzogen; das mache ich mir nicht zu eigen. Vielleicht aber bedarf es dieser Schärfe, um die deutsche Tourismuswirtschaft aufzurütteln und die notwendigen Diskussionen anzustoßen. Vielleicht ist dies der Weg, zu neuen Ideen, zu neuer Dynamik und Schlagkraft zu kommen. Insofern will ich den Minister ausdrücklich nicht kritisieren.
Herr Präsident, ich sehe gerade, daß die Redezeit abgelaufen ist. Ich meine aber, ich habe acht Minuten Redezeit.
Nein, sieben Minuten.
Eigentlich sollte ich acht Minuten bekommen.
({0})
- Nein, das sollte nur eine Anregung sein. Ich bitte um Prüfung, ob dies richtig ist.
Meine Damen und Herren, was sind die wichtigsten Projekte? Als erstes nenne ich ein flächendekkendes Informations- und Reservierungssystem.
({1})
Die Bundesregierung und der Fremdenverkehrsausschuß haben eine finanzielle Anschubfinanzierung zugesichert. Jetzt sind vor allem die Bundesländer und die Regionalverbände am Zuge. Es ist völlig klar: Es kann nicht Aufgabe des Bundes sein, für die Finanzierung aufzukommen, da er gar keine verfassungsmäßige Kompetenz auf diesem Gebiet hat. Die Kompetenz dafür liegt bei den Ländern.
({2})
Als zweites nenne ich eine flächendeckende Imagewerbung. Wie mit tibetanischen Gebetsmühlen haben wir das immer wieder als Initiativen vorgeschlagen, aber es ist nicht viel passiert. In einer Broschüre hieß es einmal, das sei ein ganz besonders
wichtiges Vorhaben des DFV. Dann ging es wohl ums Geld. Und da gab es das übliche Hickhack. Dann sind die Vorschläge alle wieder verschwunden, und so ist nichts passiert.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen anderen Punkt ansprechen. Das Urlaubsland Deutschland hat eigentlich einen großen Vorteil: Ärzte, in letzter Zeit insbesondere auch Hautärzte, weisen immer wieder darauf hin, daß das milde Klima, das Reizklima, das wechselnde Klima in Deutschland für die Gesundheit und für die Erholung besonders bekömmlich ist. Für mich ist es unverständlich, daß dieses gute Argument in der Werbung fast nicht zum Zuge kommt.
Die Deutschen haben, was man verstehen kann, den Wunsch, möglichst viel Sonne zu bekommen und es warm zu haben. Aber die Mediziner raten davon ab oder empfehlen zumindest, sehr vorsichtig zu sein. Insbesondere Kinder setzen sich leicht der Gefahr von Sonnenbränden aus und sind dadurch gefährdet, später vielleicht sogar Hautkrebs zu bekommen.
Ich begreife nicht, daß das Gesundheitsargument keine Rolle spielt. Stellen Sie sich einmal vor, TUI und NUR hätten ein solch gutes Argument. Sie hätten es natürlich in ihre Werbung einfließen lassen.
Meine Damen und Herren, eine große Schwäche der deutschen Tourismuswirtschaft ist, daß es bisher fast nie gelungen ist, die unterschiedlichen Einschätzungen, Tendenzen, Meinungen und Wünsche der Fremdenverkehrsverbände, der Bundesländer und der Bundesregierung auf einen Nenner zu bringen. Ich denke, das gehört zur Führungsaufgabe des Bundeswirtschaftsministers. Er muß die geistig-politische Führung und die Koordination leisten. Das darf nicht ausschließlich auf seinen Staatssekretär oder seine Beamten delegiert werden, sondern das muß auch Chefsache sein. Der Chef des Wirtschaftsministeriums muß sich mehr als bisher für die Tourismuspolitik engagieren!
Herr Kollege Olderog, jetzt sind Sie zweieinhalb Minuten über der Zeit.
({0})
Die Qualität meiner Argumente führt leider nicht zur Verlängerung der Redezeit. Meine Damen und Herren, es tut mir leid, hier gab es offensichtlich ein Mißverständnis.
Ich wollte nur sagen und kann damit schließen: Gestern haben wir ein erstes Mal einen Dialog mit dem Bundeswirtschaftsminister geführt.
({0})
- Ja, im Ausschuß. Ich fand, das war ein sehr gutes Gespräch. Dieses Gespräch stimmt mich optimistisch, daß wir bei der guten überparteilichen Zusammenarbeit im Fremdenverkehrsausschuß und mit der
Unterstützung des Ministers vielleicht das schaffen, was unsere Fremdenverkehrswirtschaft in Deutschland schon lange braucht, nämlich einen neuen Aufbruch.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Susanne Kastner, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine Tatsache: Der Tourismusbereich wird ein immer wichtigerer Wirtschaftszweig. Dort gibt es über 2 Millionen Arbeitsplätze; 156 Milliarden DM Umsatz, also 5,6 % des Volkseinkommens, erwirtschaftet der Tourismus. In der Tat ist es so, daß davon nicht nur Hotels und Gaststätten profitieren, sondern auch Mittelstandsbetriebe in den Fremdenverkehrsgemeinden sowie diese Gemeinden selbst. Ich würde mich riesig freuen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn dies endlich auch in der Politik des Wirtschaftsministeriums eine Rolle spielen würde.
({0})
Gestern noch hatte ich die große Hoffnung, daß uns das gelingt; da war das Interesse des Wirtschaftsministers groß. Heute ist es nicht mehr ganz so groß, denn der Platz des Wirtschaftsministers ist wieder einmal nicht besetzt.
({1})
- Ja, der zuständige Staatssekretär sitzt dort. Nur, ich frage mich, wie die Kommunikation funktioniert. Ich habe hier meine Zweifel.
Die heutige Diskussion über den Bericht der Bundesregierung muß dazu beitragen, den Tourismus in Deutschland voranzubringen.
Nun zu einigen wichtigen Inhalten: Wichtigster Punkt einer erfolgsorientierten Fremdenverkehrspolitik ist das Gleichgewicht zwischen Ökonomie und Ökologie. Die reine marktwirtschaftliche Lehre kann nicht der Gradmesser sein.
Sie haben in Ihrem Bericht die Erhaltung von Umwelt, Natur und Landschaft als Grundlage des Tourismus besonders herausgestellt. Konkrete Konsequenzen daraus werden aber nur unzureichend gezogen. Es fehlt an weitergehenden umweltpolitischen Zielen und Standards für die Fremdenverkehrszentren. Es fehlt auch an einer flankierenden Maßnahme, um die Fremdenverkehrswirtschaft zur Sicherstellung der ökologischen Zielsetzung besser fördern zu können. Es fehlt an der Definition von umweltpolitischen Ansätzen im Forderungskatalog.
Die Kollegen der Regierungsfraktionen haben dies ja nun dankenswerterweise sogar erkannt.
({2})
- Herr Feldmann, warten Sie doch ab! - Gestern flatterte uns ein Antrag auf den Tisch, der die umweltpolitische Zielsetzung beschreibt. Glückwunsch, liebe Kollegen! Endlich springen Sie auf den fahrenden Zug auf, und zwar sehr halbherzig und kraftlos, aber immerhin, Sie versuchen zu springen.
({3})
Nun müssen Sie aber aufpassen, daß Sie dabei nicht unter die Räder kommen;
({4})
denn bei all den nett formulierten Zielsetzungen häufen sich in Ihrem Antrag Floskeln wie: Wir müssen darauf hinwirken; weiter vorantreiben; im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten unterstützen;
({5})
alle Anstrengungen unternehmen; weiter nachhaltig unterstützen usw.
({6})
Da sind Banalitätenbrabbler an der Arbeit. Aber immerhin, wir haben von Ihrer Seite einen Ansatz für die Diskussion. Was mir bisher fehlt, ist die Vernetzung mit anderen Politikbereichen. Vor allem - dies wird Sie nach dem sagenhaften Ozonkompromiß Ihrer Regierung eigentlich nicht wundern - fehlt mir der Durchsetzungwille.
({7})
Der Fremdenverkehr ist in vielen Regionen, insbesondere im Osten Deutschlands, eine große Chance zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Förderung der Struktur. Hier zeigt der Bericht ebenfalls ein erschreckendes Defizit. Durch eine verfehlte Treuhandpolitik - ich muß Ihnen dies leider wieder einmal sagen - hat die Bundesregierung die Angleichung der Lebensbedingungen in den neuen Ländern auch im Bereich des Fremdenverkehrs behindert.
({8})
Auch daran ist der Herr Wirtschaftsminister Rexrodt nicht ganz unschuldig.
({9})
Wenn der Ausspruch stimmt, daß viele Deutsche auf Reisen eigentlich nicht das fremde Land, sondern Deutschland mit Sonne suchen, dürfen Sie darauf in der Tat ein besonderes Augenmerk richten.
Nun klagen die Verantwortlichen in der Bundesregierung ständig darüber, daß das Ministerium personell zu gering ausgestattet ist - und das stimmt. Um eine aktive Fremdenverkehrspolitik zu gestalten, fehlt es der Bundesregierung an einer schlagkräftigen Verwaltung. Andere Länder haben einen Tourismusminister, wir nicht.
({10})
Ich will Sie nicht abqualifizieren, Herr Staatssekretär Kolb, aber uns reicht in dieser Frage ein Staatssekretär eben nicht aus.
({11})
Die personelle Ausstattung im Wirtschaftsministerium wird der Bedeutung des Fremdenverkehrs nicht gerecht.
({12})
Änderungen herbeizuführen liegt aber in der Kompetenz des Ministers. Der sollte meines Erachtens - Herr Staatssekretär, bitte richten Sie ihm das aus - schleunigst sein Desinteresse ablegen und sich aktiv der Beseitigung dieses Mangels annehmen.
({13})
- Herr Feldmann, bei Ihrem Zwischenruf gilt wohl das Motto: Der getroffene Hund bellt.
({14})
Ein weiteres Stichwort ist der barrierefreie Urlaub. Bei der Privatisierung der Bundesbahn haben Sie die Interessen von Behinderten nur unzureichend berücksichtigt. Sicher schaffen Sie es aber demnächst einmal, uns einen umfassenden Bericht über die Situation von reisefreudigen Behinderten zu geben, damit wir auch darüber beraten können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anregungen des Ausschusses sind in eine gemeinsame Entschließung der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD eingeflossen. Es wird niemanden verwundern, wenn ich hier zugebe, daß nicht alle Punkte unseres Vorschlags in den gemeinsamen Antrag eingeflossen sind. Das liegt allerdings in der Natur von Kompromissen. An diesem Kompromiß ist aber bemerkenswert, daß der Ausschuß damit dokumentiert, daß er zu gemeinsamen Aktionen willens und fähig ist - in der politischen Landschaft kein selbstverständlicher Vorgang. Auch mit Blick auf andere Themen, bei denen wir im Fremdenverkehrsausschuß sehr weit auseinanderstehen, verdient diese gemeinsame Entschließung Beachtung und Zustimmung.
({15})
Ich will freimütig zugeben: In einem für uns sehr wichtigen Punkt konnten wir uns im Ausschuß nicht durchsetzen. Wir hatten vorgeschlagen, auch für geringfügig Beschäftigte eine generelle Rentenversicherungspflicht einzuführen. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, also solche, die von Sozialversicherungslasten befreit sind, begründen oftmals Armut und damit auch Sozialfälle im Alter. In der Fremdenverkehrsbranche sind solche Verträge ein beliebtes Mittel, preiswerte Angebote zu schaffen. Wir erkennen durchaus, daß es in dieser Branche einen Bedarf gibt, einzelne Tätigkeiten rein netto zu vergüten. Auch habe ich kein so großes Problem mit dem Mißbrauch, der mit diesen Möglichkeiten einhergeht. Den wird es immer geben. Unsere Kritik geht dahin, daß eine gegenwärtige eventuelle Notsituation von Beschäftigten ausgenutzt wird. Ausbaden müssen diese Entwicklung dann wieder die Sozialämter und die Kommunen. Wir fordern daher eine generelle Rentenversicherungspflicht.
({16})
Dies würde solche Beschäftigungsverhältnisse nur geringfügig verteuern, würde aber für die Betroffenen im Alter eine bessere Absicherung bedeuten.
({17})
Ebenfalls nicht durchsetzen konnten wir uns mit der Forderung, die Einhaltung der Ausbildungsrichtlinien der Fremdenverkehrswirtschaft besser zu kontrollieren. Ausbildung ist Ländersache. Trotzdem können wir aber auf Bundesebene nicht einfach tatenlos zusehen, wenn Ausbildungsverhältnisse einzig und allein zur Schaffung billiger Arbeitsplätze genutzt werden.
({18})
Jeder Auszubildende, der ein Angebot einer Firma annimmt, muß davon ausgehen können, daß das Unternehmen ein konkretes Interesse an seiner Ausbildung hat und nicht nur ein billiges Arbeitsverhältnis ausbeuten will. Ich will der Branche nicht unterstellen, daß dies generell der Fall ist. Aber es ist schon ein bemerkenswerter Faktor, daß ein hoher Prozentsatz der Auszubildenden den Ausbildungsplatz vor der Beendigung der Ausbildung wechselt.
Das Gastgewerbe bildet mit über 60 000 Ausbildungsverhältnissen eine tragende Säule in der Berufsausbildung in unserem Land. Das entspricht etwa 15 % der Ausbildungsbilanz. Da weit über die Hälfte der Ausbildungsverhältnisse von Frauen eingegangen wird, hat das Gastgewerbe in unserer Gesellschaft auch bei der Entwicklung von gleichen Ausbildungs- und Berufschancen von Frauen eine übergeordnete Bedeutung. Wenn aber ein großer Teil der Auszubildenden seine Ausbildung vor ihrer Beendigung abbricht, dann ist dies ein Indikator für ein gewisses Problem in der Ausbildung. Dem müssen und werden wir uns auch in Zukunft verstärkt widmen.
({19})
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ungeachtet der zwei Schönheitsfehler der Entschließung, haben wir im Ausschuß ein ordentliches Stück Papier zustande gebracht.
({20})
Wir hoffen, daß die Bundesregierung die 16 Punkte der Entschließung aufmerksam beachten wird
({21})
und dem Deutschen Bundestag, wie im letzten Punkt gefordert, bis zum Herbst 1997 einen nächsten „Bericht über die Entwicklung des Tourismus" vorlegen wird. Bis zu dem Bericht, den wir heute debattieren, hat es nämlich 20 Jahre gedauert. Wir wollen zukünftig mindestens einmal in jeder Legislaturperiode - in dieser Frage stimmen Sie mit uns überein - einen Bericht der Bundesregierung zur besonderen Situation dieses für unsere Volkswirtschaft wichtigen Segments. Schließlich ist der Tourismus inzwischen ähnlich stark wie die Automobil- und Chemieindustrie.
Nicht leicht ist die Steuerung der Fremdenverkehrswirtschaft durch den Bund. Deshalb verdient sie eine besondere Fürsorge des Wirtschaftsministeriums.
({22})
Deswegen hätte ich es als anerkennenswert empfunden, wenn der Wirtschaftsminister auch dieser Debatte beigewohnt hätte. Es ist richtig, die Fremdenverkehrswirtschaft hat die volkswirtschaftlich gleiche Bedeutung wie die Automobilindustrie. Aber sie hat eine völlig andere Struktur. Um im Markt der Automobilwirtschaft ordnend tätig zu werden, reicht es aus, wenn die Bundesregierung leicht an der Steuer- und Verordnungsschraube dreht. Wenn wir hingegen eine Fehlentwicklung in der Fremdenverkehrswirtschaft korrigieren müssen, dann müssen äußerst sensibel wirkende Maßnahmen entwickelt werden. Um die Struktur zu beeinflussen, braucht es mehr Kommunikation, mehr Abstimmung mit den Ländern und den Verbänden, also einen größeren, sensibleren Einsatz von seiten des Ministeriums. Eine viel zu kleine Abteilung - ich will mich nicht wiederholen - kümmert sich um die Fremdenverkehrswirtschaft. Weil man im Ministerium eben erkannt hat, daß die Situation vor Ort in der Branche sehr unterschiedlich ist, traut man sich offensichtlich keine weitreichenden Regelungskompetenzen zu und vertraut - wie könnte es bei der F.D.P. auch anders sein - einzig und allein auf die Selbstheilungskräfte des Marktes.
({23})
Dies kann einfach nicht funktionieren. In vielen Gesprächen mit Fremdenverkehrsverbänden, mit Betroffenen haben wir immer wieder heraushören können, man fühlt sich mit seinen Problemen oftmals im Stich gelassen.
({24})
Deshalb zum Schluß noch einmal mein Appell - Herr Kolb, bitte geben Sie dies weiter; ich habe den Eindruck, daß die Kommunikation im Wirtschaftsministerium in der Vergangenheit sehr schwierig war -: Herr Wirtschaftsminister Rexrodt muß die Fremdenverkehrspolitik zur Chefsache machen. Geben Sie den über zwei Millionen direkt Beschäftigten das Gefühl, in ihrer besonderen Situation auch durch die Politik der Bundesregierung unterstützt und gefördert zu werden!
Ich bedanke mich.
({25})
Das Wort hat die Kollegin Saibold.
Sehr geehrte Damen und Herren! Trendforscherinnen und Zukunftsprognostiker verheißen dem Tourismus im nächsten Jahrtausend den quantitativen Sprung an die Spitze der Industrien der Welt. Kein geringerer als Daniel Goeudevert, ehemaliger Topmanager bei Ford und VW, vertritt die Meinung, daß der Tourismus das Thema des nächsten Jahrhunderts sein wird, und er behauptet gleichzeitig: „Es gibt nichts Schlimmeres und Vernichtenderes als den Tourismus.
Nicht zuletzt diese beiden Äußerungen und ebenso die Tatsache, daß die Bundesrepublik das Land der Reiseweltmeister und -meisterinnen ist, machen deutlich, daß der Tourismuspolitik ein weit höherer Stellenwert als bisher zukommen muß. Leider hat die Bundesregierung dazu bislang wenig oder gar nichts beigetragen. Vielmehr ist die Tourismuspolitik des Wirtschaftsministeriums gekennzeichnet von einem Sammelsurium von Absichtserklärungen, von einem heillosen Kompetenzwirrwarr und von trauriger Perspektivlosigkeit.
({0})
Der Tourismusbericht der Bundesregierung ist nach wie vor vom Denken des quantitativen Wachstums geprägt; er ist nur als Nachschlagewerk zu gebrauchen. Er belegt in eindrucksvoller Weise, daß die Diskussionen der letzten zehn Jahre an der Bundesregierung spurlos vorübergegangen sind.
({1})
Beim gestrigen ersten Besuch des derzeitigen Wirtschaftsministers - zu Ihnen kam er überhaupt nicht, Herr Feldmann - wurde ebenfalls deutlich, daß außer kurzfristigen Vorschlägen und Allgemeinplätzen keine konzeptionelle Zukunftsplanung vorhanden ist. Eine solche ist sicherlich von Herrn Rexrodt nicht
mehr zu erwarten. Er glänzt auch heute wieder durch Abwesenheit.
({2})
Er und viele andere haben nach wie vor nicht erkannt, daß ein ökologisch und sozial verantwortbarer Tourismus eine Notwendigkeit und keine neue Marketingstrategie ist.
Meine Damen und Herren und der einsame Herr auf der Regierungsbank, wenn Sie beweisen wollen, daß der soeben geschilderten Problematik zuzustimmen ist, die übrigens auch im Antrag der CDU/CSU dargestellt ist, dann ziehen Sie doch die Konsequenzen daraus! Denken Sie gemeinsam mit uns darüber nach, ob wir in Zukunft nicht ein Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Tourismus brauchen. - Ganz nebenbei gesagt: Die bisherige regierungsamtliche, tatsächlich aber unsägliche Verquickung von Umwelt und Reaktorsicherheit gehört schon längst abgeschafft. ({3})
Mit einer solchen Verschiebung der Zuständigkeiten würde erkennbar, daß Ökologie und Ökonomie in Zukunft keine Gegensätze mehr sein dürfen. Das muß das Ziel sein. Eine nachhaltige Tourismusentwicklung bedeutet, daß ökologische, ökonomische und kulturelle Belange gemeinsam berücksichtigt werden müssen.
({4})
Die vorliegende Beschlußempfehlung reicht uns jedoch nicht ganz aus. Um endlich eine Umorientierung in der Tourismuspolitik zu erreichen, legen wir mit unserem Entschließungsantrag einen Maßnahmenkatalog vor. Wir fordern darin u. a. ein ganzheitliches Konzept für die Tourismuspolitik, das die Umorientierung in Richtung Umwelt- und Sozialverträglichkeit bewirkt und Leitlinien für einen nachhaltigen, zukunftsträchtigen Tourismus beschreibt.
Die Fördermittelvergabe darf in Zukunft nur noch unter dem Primat der Nachhaltigkeit erfolgen. Dies bedeutet z. B., daß Betriebe und Regionen nur dann gefördert werden, wenn sie ein kontrollierbares Leitbild erstellt haben und eine integrierte Durchführung desselben garantieren. Mit solchen Kriterien kann ohne Ausweitung der Bürokratie eine zukunftsfähige Entwicklung eingeleitet werden.
Außerdem fordern wir Maßnahmen zur qualitativen Verbesserung der Ausbildungsgänge sowie die Festlegung neuer touristischer Berufsbilder, Verbesserungen bei der Bahn, die sofortige Besteuerung des Flugbenzins, die Zurückdrängung des Pkw-Verkehrs und vieles andere.
Der Tourismusbericht muß in Zukunft alle zwei Jahre vorgelegt werden und mit überprüfbaren Zielen ausgestattet sein. Außerdem bedarf es einer personellen Verstärkung im Ministerium, damit endlich eine vernünftige Koordination zwischen den einzelnen Ministerien, zwischen Bund und Ländern sowie
eine bessere Verbindung zur EU möglich wird. Es darf in Zukunft nicht mehr vorkommen, das z. B. das Forschungsministerium einen Modellversuch fördert, in dem arbeitslose Lehrer zu Tourismusassistenten umgeschult werden, während gleichzeitig das Sozialministerium arbeitslosen Reisebürofachkräften eine Ausbildung im technischen und sozialen Bereich anbietet.
({5})
Wir fordern darüber hinaus die verbindliche Anerkennung der Charta für einen verträglichen Tourismus, die erst vor kurzem auf der Welttourismuskonferenz auf Lanzarote verabschiedet wurde. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Kolb, ich übergebe Ihnen als Vertreter des noch zuständigen Ministers diese Charta mit der Bitte, sie in allen Wirtschaftsbereichen zu berücksichtigen.
({6})
Ich habe diese Charta aus zwei Gründen auch Herrn
erstens weil der Tourismus generell einen höheren Stellenwert in der Politik erhalten muß und zweitens weil die Inhalte der Charta in die allgemeine Politik mit einfließen müssen. Gerade der Tourismusbereich ist wie kaum ein anderer darauf angewiesen, daß insgesamt eine Politik der Nachhaltigkeit betrieben wird.
Wir fordern in unserem Antrag auf Drucksache 13/ 1016 die Durchführung einer Imagekampagne „Urlaub in Deutschland", weil sich in diesem Punkt Ökonomie und Ökologie treffen. Die Fremdenverkehrswirtschaft leidet unter den zurückgehenden Übernachtungszahlen. Wir möchten erreichen, daß immer mehr Menschen wieder einen „Urlaub der Nähe und der kurzen Wege" entdecken. Angesichts der Klimakatastrophe muß erreicht werden, die Freizeitmobilität zu verringern und die Vorstellung zu hinterfragen, daß das Glück nur in fernen Ländern zu finden sei.
({0})
Ich bin sicher, wir kommen bei der Beratung der vorliegenden Anträge gemeinsam ein gutes Stück vorwärts, wenn der politische Wille dahintersteht.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dr. Feldmann ({0}).
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige verbundene Debatte zeigt wieder einmal die ressortübergreifende Spannweite des Themas Tourismus. Die F.D.P. begrüßt, daß es zu einem gemeinsamen Entschließungsantrag der Koalition mit der SPD gekommen ist. Wir bedauern, Frau Saibold, daß sich die GRÜNEN diesem Antrag nicht angeschlossen haben. Sie haben damit die Chance verpaßt, Ihre Vorstellungen mit einzubringen.
Von der Bundesregierung zu verlangen - Sie haben diese Charta Staatssekretär Kolb gerade übergeben -, wie Sie es in Punkt 21 Ihres Entschließungsantrages tun - aber Sie müssen jetzt telefonieren; das ist natürlich viel wichtiger als zuzuhören -, die auf der sogenannten Weltkonferenz verabschiedete „Charta für einen verträglichen Tourismus" als verbindlich zu erklären, ist doch wohl nicht ernst gemeint. Frau Saibold, Sie wissen doch, wie diese sogenannte Weltkonferenz besetzt war und wie oberflächlich dieses wichtige Thema dort behandelt wurde. Ich empfehle, dieses Thema einmal auf die Tagesordnung unseres Ausschusses zu setzen. Dann können wir uns ernsthaft damit befassen.
Wir wissen, daß der Tourismus ein dynamischer Wirtschaftszweig ist. ({0})
- Die Vorredner haben bereits auf die wirtschaftliche Bedeutung hingewiesen. - Natürlich bringt diese Dynamik auch Belastungen für die Umwelt mit sich. Der Wirtschaftsfaktor Tourismus und der Umweltschutz sind eben zwei Seiten ein und derselben Medaille. Gerade im Tourismus sind ökologische Verträglichkeit und wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven eng miteinander verknüpft. Das Spannungsfeld Ökonomie und Ökologie wird gerade im Tourismus ein Dauerthema bleiben. Das war der Hauptgrund, warum wir zusammen mit der Union einen Antrag zu Umweltschutz und Tourismus vorgelegt haben. Frau Kastner, Sie stimmen mir sicher zu: Das wäre eine eigene Debatte hier im Deutschen Bundestag wert gewesen.
({1})
Die F.D.P. begrüßt, daß der Zielkatalog der Tourismuspolitik der Bundesregierung im Umweltbereich wesentlich erweitert wurde. Wir wollen einen hohen Umweltstandard durch marktwirtschaftliche Anreize und nicht durch Gebote, Verbote und Gängelungen erreichen.
({2})
Der Bundeswettbewerb „Umweltfreundliche Fremdenverkehrsorte " des Deutschen Fremdenverkehrsverbandes ist ein Beitrag hierzu. In einer Anhörung des Fremdenverkehrsausschusses haben wir vor einigen Jahren den Grundstein zu diesem Wettbewerb gelegt.
Umweltpolitische Ziele sind nicht im nationalen Alleingang erreichbar. Dies erfordert europäische Kooperation. Deswegen brauchen wir aber keine eigenständige europäische Tourismuspolitik. Die F.D.P. wendet sich mit Nachdruck gegen eine besondere Kompetenz der Europäischen Union für den Tourismus. Bei allen Gemeinschaftsaktivitäten muß auf strikte Einhaltung des Subsidiaritätsprinzipsgeachtet werden.
Die F.D.P. lehnt den Vorschlag für eine „Richtlinie des Rates über die Erhebung statistischer Daten im Bereich des Tourismus" ab. Er liest sich, wie wir im Ausschuß bereits festgestellt haben, wie ein bürokratischer Horrorkatalog. Sinnvoll ist allenfalls eine Harmonisierung der statistischen Erhebungsmethoden auf europäischer Ebene, um vergleichbare Daten zu erlangen. Wir wollen keine zusätzliche Datenerhebung, weil wir damit mittelständische Betriebe belasten würden, was wir nicht wollen.
({3})
Wir wollen die Vermarktung Deutschlands als Reise- und Urlaubsland verbessern. Ich glaube, dem können alle zustimmen. Der Fremdenverkehrsausschuß hat sich übrigens mit diesem Thema bereits 1988 beschäftigt.
({4})
Die F.D.P. begrüßt deshalb die Bereitschaft der Bundesregierung, ein flächendeckendes, leistungsfähiges Informations- und Reservierungssystem mit anzufinanzieren. Ein solches System muß aber privatwirtschaftlich betrieben werden, und es muß sich auf Dauer selbst tragen.
({5})
- Das ist richtig. Auch wenn es zentral und einheitlich organisiert werden soll, darf es keine Monopolstellung geben. Ich glaube, darin sind wir alle einig.
({6})
Der Zugang muß offen und auch für kleine Anbieter bezahlbar sein. Das ist ja der wichtige Punkt.
Ich hoffe sehr, daß wir mit der gestrigen Aktuellen Stunde einen konstruktiven Anstoß für eine strukturelle und auch konzeptionelle Verbesserung der Ar-belt der DZT gegeben haben. Auch wenn der Bund wohl noch auf längere Zeit die direkte Hauptlast der DZT-Finanzierung trägt, brauchen wir mehr Flexibilität bei der Personalpolitik und eine kaufmännische Rechnungslegung.
Die Zusammenlegung von DZT und DFV, wie Sie, Frau Saibold, es leichtsinnigerweise vorgeschlagen haben, ist irreal; dagegen steht die Verfassung. Aber eine stärkere Zusammenarbeit der beiden Organisationen - da stimme ich Ihnen zu -, vor allem im operativen Bereich, wäre durchaus möglich und müßte bald Wirklichkeit werden.
({7})
Der Bund sollte hier eine koordinierende Mittlerrolle wahrnehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade im Hochlohnland Deutschland muß die Politik bereit sein, die Rahmenbedingungen für die arbeitsplatzintensive Tourismusbranche ständig weiter zu verbessern. Vielleicht stimmen wir darin überein.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Enkelmann ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich aus dem Tourismusbericht einen Problemkreis herausgreife. Ich beginne mit einem Zitat aus einem Prospekt der Internationalen Tourismusbörse Berlin:
Jeder Bürger der Bundesrepublik unternimmt pro Jahr mindestens zwei Flugreisen mit einer Entfernung von mehr als 1000 km. Weltweit befindet sich etwa ein Sechstel der Menschheit ständig in der Luft. Verkaufsschlager der diesjährigen Saison sind die Steppengebiete des Allgäu sowie Surf-Kurse rund um die Nordseeinsel Hamburg. Die Insel Antigua, die Malediven und die Bahamas befinden sich leider nicht mehr im Angebot, da sie wegen Überflutung von der Landkarte gestrichen wurden.
Zugegeben, dieser Prospekt ist natürlich noch nicht geschrieben. Er könnte allerdings schon in wenigen Jahren traurige Realität werden.
Der Urlaubs- und Freizeitverkehr trägt bereits heute in hohem Maße zu einer negativen Umweltbilanz bei. Mehr als 60 % der Urlaubsreisen erfolgen mit dem Pkw, ca. 15 % mit dem Flugzeug.
({0})
- Das sage ich Ihnen hinterher. ({1})
Der Trend zu kürzeren, aber häufigeren Reisen setzt sich fort - und das zu immer weiter entfernten Urlaubszielen. Diese Entwicklung wird durch die Bundesregierung gefördert und subventioniert. Ich denke nur an die ungerechte Kostenverteilung bei der Bahn und beim Flugverkehr - Stichwort: fehlende Besteuerung des Flugbenzins -, so daß Bahnreisen oftmals teurer sind als das Fliegen.
({2})
Dagegen wird in bundesdeutschen Ferienzielen und Naherholungsgebieten der öffentliche Verkehr seit Jahren systematisch vernachlässigt, Regionalbahnen werden stillgelegt, der Busverkehr wird eingeschränkt bzw. ganz eingestellt. Viele Erholungsgebiete sind schon heute nur noch mit dem Pkw zu erreichen. Dies allerdings fördert nicht gerade die Attraktivität der betroffenen Gebiete. Offenkundig sieht dies auch die Bundesregierung so, denn in ihrem Bericht heißt es dazu:
Die Fremdenverkehrsorte befinden sich ... in einem Dilemma. Zum einen sind sie auf die Mobilität ihrer Gäste angewiesen, zum anderen sind es aber gerade das Auto und seine BegleiterscheiDr. Dagmar Enkelmann
nungen, die die touristische Anziehungskraft gefährden können.
Es wäre harmlos, wenn man nur von „gefährden können" sprechen müßte. Laut „Frankfurter Rundschau" vom 10. Dezember 1994 haben 30 % der befragten Feriengäste im Allgäu bereits jetzt angekündigt, daß sie sich künftig von dort fernhalten würden, weil einfach zu viele Autos unterwegs seien. Immerhin sind im Allgäu an Wochenenden rund 30 000 an-und abreisende Urlaubsautos unterwegs. Hinzu kommen noch 20 000 bis 50 000 Wochenendreisende.
Der „Luftkurort" Bad Wildbad im Schwarzwald muß täglich bis zu 15 000 durchfahrende Autos ertragen. In den Alpen hinterlassen die ca. 100 000 Pkw an nur einem Wochenende 150 t Kohlenmonoxyd, 30 t Stickoxyde, 28,3 t Kohlenwasserstoffe und 183,3 t Blei - dies alles mit zunehmender Tendenz.
Die Bundesregierung hat dem entgegenzusetzen: „Forschungsvorhaben, die sich mit den Einsatzmöglichkeiten des ÖPNV für den Freizeitverkehr in touristischen Regionen ... beschäftigen". Forschen Sie noch eine Weile - bald wird es diese touristischen Regionen, diese Kleinode wie z. B. die Insel Usedom mit der Population von Störchen und Graureihern, die in der Bundesrepublik wirklich einmalig ist, nicht mehr geben. Dann können Sie Ihre Forschungsvorhaben vergessen.
({3})
- Ich lade Sie gern auf die Insel Usedom ein, noch ist sie nämlich sehr schön.
Wohlgemerkt, ich gönne jedem seinen Urlaub und meine damit nicht nur den auf „Balkonen". Aber lassen wir nicht zu, daß die natürlichen Grundlagen für Erholung und Tourismus zerstört werden und daß intakte Umwelt nur noch für viel Geld und weit entfernt zu genießen ist.
In ihrem letzten Bericht zur Entwicklung des Tourismus in der 12. Wahlperiode hatte die Bundesregierung bereits festgestellt, daß der Faktor „Ruhe" für eine ganze Reihe von Urlaubern eine zunehmende Bedeutung hat und daß gerade Menschen, die Erholung und Entspannung suchen, auf Lärmeinwirkungen besonders empfindlich reagieren. Das ist Ihnen aber dann egal, wenn es um Ihre militärischen Spielchen - gemeint sind Tiefflüge einschließlich der Nachttiefflüge, und zwar über touristisch relevante Regionen des Harzes, z. B. über den Brocken, oder Mecklenburg-Vorpommerns usw. - geht. Dann fordern gerade Sie den sanften Tourismus. Dies verstehe ich als blanken Hohn.
({4})
Meine Damen und Herren, die Sommerurlaubssaison 1995 hat begonnen. Ich wünsche allen von ganzem Herzen einen erholsamen, streßfreien Urlaub, vielleicht auch mal mit der Bahn und mit dem Fahrrad.
({5})
Gönnen wir uns aber vor allem öfter einmal einen Blick in unsere unmittelbare Umgebung: Denn warum in die Ferne schweifen, sieh, das Gute liegt so nah!
({6})
Das Wort hat der Kollege Wittmann von der CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verkneife es mir, auf meine Vorrednerin einzugehen. Wer sich ständig der Arbeit im Ausschuß verweigert, sollte auch im Plenum keine Beachtung finden.
({0})
- Wir reden hier über den Tourismus, und zu diesem Thema gibt es einen Ausschuß.
Wir sollten die Forderung nach einem Tourismusminister nicht länger erheben. Bei jeder Diskussion über die Kabinettsbesetzung fordern wir einen schlankeren Staat und weniger Minister. Aber jeder, so auch Frau Saibold, fordert ständig neue Ministerpositionen.
({1})
Auch aus Ihren Reihen kommt der Ruf nach einer schlanken Verwaltung. Das bedeutet aber auch, daß man nicht ständig an ihren Ausbau denkt. Wir haben uns darauf geeinigt - das ist auch unsere Meinung -, daß wir eine personelle Verstärkung im Wirtschaftsministerium für den Tourismusbereich brauchen. Ich halte es aber für verfehlt, dies zum Hauptthema zu machen und dies bis hin zu den Ministerposten zu verfolgen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Saibold? - Bitte.
Herr Kollege Wittmann, Sie werden mir aber doch sicherlich zustimmen, daß das Totschlagargument „schlanke Verwaltung" nicht dazu führen darf, daß man überhaupt keine Schwerpunkte mehr setzt, vielmehr kann das doch höchstens bedeuten, daß man sich überlegt, wo ein Abbau erfolgen kann und wo auch eine Verstärkung erfolgen muß, wenn man zukunftsorientierte Politik machen will.
Das ist sicher richtig. Bloß, Frau Kollegin, Sie wissen doch auch, daß wir z. B. nicht mit Frankreich oder mit anderen Staaten vergleichbar sind, weil bei uns die Zuständigkeit für den Ausbau der Infrastruktur und für
Simon Wittmann ({0})
die Förderung des Fremdenverkehrs in erster Linie bei den Bundesländern
({1})
und die Kompetenz für den Bund in der Auslandswerbung, in der Förderung von Pilotprojekten und in der Schaffung von Rahmenbedingungen für die Gastronomie und für andere Fremdenverkehrseinrichtungen liegt. Deshalb kann der Bund schon aus verfassungsrechtlichen Gründen kein eigenes Ministerium hierfür schaffen.
({2})
Ich hielte dies übrigens auch nicht für sinnvoll, weil der Wettbewerb zwischen den Regionen durchaus zu begrüßen ist. Dieser Wettbewerb, z. B. zwischen Bayern und Norddeutschland, ist doch gut, auch wenn er manchmal zu Irritationen führt, weil eine Region ein paar Feriengäste mehr hat. Gerade das wollen wir ja. Wir wollen mehr Wettbewerb, um damit letztlich mehr Gäste für Deutschland zu gewinnen.
({3})
Meine Damen und Herren, heute liegt unser Antrag zum Thema Umwelt und Tourismus vor. Liebe Frau Kastner, das, was Sie an Vorstellungen mit mehr Einschränkungen, mit der völligen Umstellung auf den sanften Tourismus, natürlich mit Umweltverträglichkeitsprüfungen, vortragen, - ({4})
- Das ist eine Zusammenfassung. Ich kann ja jetzt nicht Ihre Rede insgesamt wiederholen.
Die Vorstellungen, die Sie vorgebracht haben, führen nicht zu einem Ausbau des Tourismus, sondern zu einem Abbau. Für qualifizierte Arbeitsplätze - das haben Sie auch angesprochen - brauchen wir natürlich eine gewisse Verdichtung des Tourismus, um solche Arbeitsplätze überhaupt anbieten zu können und um nicht nur mit kurzfristigen Beschäftigungen über die Runden zu kommen.
({5})
Es sind heute viele Berichte eingefordert worden. Wir haben auch dafür gesorgt, daß die regelmäßig erscheinen. Allerdings, nur darauf herumzureiten ist auch nicht sinnvoll. Berichte sind Nachschlagewerke, aber keine Politik.
({6})
- Ich habe zugehört, und deshalb darf ich jetzt auch zu dem heute schon angesprochenen Flugbenzin kommen.
Natürlich ist einer der Gründe für den Rückgang des Tourismus in Deutschland, daß Auslandsflüge billiger werden. Das ist ein Problem. Bloß, das Rezept, Kerosin in Deutschland im nationalen Alleingang zu besteuern, bringt überhaupt nichts. Wir sind von vielen Flughäfen umgeben, die alle in eineinhalb Stunden - ob das Prag, ob das in Österreich, in Frankreich oder in der Schweiz ist - erreichbar sind. Das führt doch bloß zu zusätzlichem Verkehr, nicht aber zu einer Einschränkung des Auslandstourismus, weil man nämlich dann diese Flughäfen entsprechend anfahren wird.
({7})
Wir haben deshalb in unserem Antrag ganz bewußt eine EU-weite Regelung gefordert, und zwar als ersten Schritt für den innereuropäischen Flugverkehr. Wir brauchen dann - das ist noch Zukunftsmusik - für den interkontinentalen Flugverkehr eine weltweite Regelung. Ich glaube, das ist eine sinnvolle Regelung, die wir angehen müssen. Wenn es national sinnvoll wäre, dann hätte ich gar nichts dagegen. Aber wir würden die Situation dadurch eher verschlechtern, weil wir mehr Verkehr erzeugen als vermeiden.
({8})
Lassen Sie mich noch ein Weiteres sagen: Es gibt viele Gedanken über Beschränkungen des Flugverkehrs durch Kontingentierungen und durch andere Möglichkeiten. Ich bin der Meinung, unsere Chance kann nicht darin bestehen, daß wir das, was der Mensch heute an Freiheit auch in der Mobilität gewonnen hat, mit staatlichen Kontingenten beschränken. Wovon kann man es abhängig machen? Vom Preis ({9})
dann reisen die oberen Zehntausend -, oder man macht es vom Zufall abhängig. Deshalb müssen wir dafür sorgen, daß durch die Wettbewerbsfähigkeit unseres Fremdenverkehrs im eigenen Raum, durch den Ausbau dieser Wettbewerbsfähigkeit, durch zusätzliche Infrastrukturmaßnahmen und natürlich auch durch mehr Markt in der Fremdenverkehrswerbung hier etwas in Bewegung gesetzt wird.
Wenn wir eine Bundeszuständigkeit haben - das möchte ich heute einmal ganz deutlich ansprechen -, dann sollten wir die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Nachbarstaaten fördern. Es gibt ja ein wunderbares Projekt - Frau Irber kennt es ja - bei uns in Ostbayern, das „Grüne Dach Europas", und es gibt sicher einige Projekte in Thüringen, an der polnischen Grenze, an der Grenze zu Österreich und zur Schweiz, wo man so etwas machen könnte.
({10})
Simon Wittmann ({11})
Ich glaube, daß wir darauf dringen müssen, dort, wo wir eine Förderzuständigkeit hätten, das in Zukunft aufzugreifen, weil wir mit grenzüberschreitender Zusammenarbeit zusätzliche Angebote aufbauen können und damit auch zusätzliche Feriengäste in Deutschland gewinnen können.
({12})
Eine zweite Bemerkung, weil Sie mir gerade das Stichwort DZT geben. Ich hätte natürlich heute schon erwartet, liebe Frau Kastner, von Ihnen zu hören, welche Vorstellung Sie haben, nachdem Sie gestern ein Konzept entwickelt haben, das durch den heutigen Redebeitrag wieder entwertet wurde. Ich bewundere Sie aber, weil Sie dazugelernt haben.
Vor einigen Jahren haben Sie eine Privatisierung der DZT noch ganz abgelehnt.
({13}) Inzwischen sind Sie dafür.
({14})
Wenn ich eine GmbH will, dann ist das eine Privatisierung, auch dann, wenn der Staat 100 % der Anteile hat.
({15})
- Schön, daß Sie das sagen. Das ist ein Lob für mich, wenn Sie das so ausdrücken.
Ich möchte noch einmal auf das Thema Föderalismus zu sprechen kommen. Ich glaube, wer eine Imagewerbung für Deutschland fordert, der hat sicher recht. Aber die Imagewerbung für Deutschland allein kann die Inlandswerbung nicht ersetzen, son-dem gerade da brauchen wir in den Regionen mehr Wettbewerb, mehr marktwirtschaftlich orientierte Verbände,
({16})
weil Deutschland nur in dieser Vielfalt dargestellt werden kann und nicht durch eine Einheitswerbung, die von Deutschland zentral gesteuert wird.
Lassen Sie mich auch noch eine Lanze für den Campingtourismus brechen!
({17})
Ich glaube, wir haben in den letzten Jahren bei vielen Maßnahmen, die umweltpolitisch sinnvoll gewesen sind, manchmal nicht beachtet, daß wir hier einen Zweig treffen, der letztlich, weil er Naturverbundenheit mit sich bringt, auch zur Umwelterziehung einen großen Beitrag leisten kann, der familienfreundlich ist und der neue Urlauberkreise erschließen kann. Tatsache ist aber, daß derzeit die Zahl der Campingplätze eher zurückgeht als steigt. Darauf müssen wir in Zukunft stärker Rücksicht nehmen.
Herr Kollege Wittmann, Sie müssen auf die Zeit achten.
Ein letzter Satz: Ich bin überzeugt, daß wir trotz aller Gegensätze inzwischen eine Basis gefunden haben - dabei gibt es über Details natürlich noch Streit -, auf der wir die Dinge machen können, die notwendig sind - Auslandswerbung, Inlandswerbung, Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft -, und daß wir nicht zu düster in die Zukunft zu schauen brauchen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Haack, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich nicht an der allgemeinen tourismuspolitischen Debatte beteiligen,
({0})
sondern möchte mich heute mit einem Ausschnitt beschäftigen, der insbesondere der SPD am Herzen liegt, nämlich mit der Situation der Kurorte, Seebäder und Heilbäder. Wir stellen dazu fest, daß im Tourismusbericht von 58 Seiten lediglich auf der Seite 14 ein kurzer Abschnitt über die neuen Bundesländer enthalten ist.
Da ich ein Detailfetischist bin, kann ich Ihnen sagen, daß mir folgendes dabei aufgefallen ist. Da lobt sich die Bundesregierung,
({1})
daß sie eine Initiative gestartet hat, die sich „Soforthilfekonzept für das Kur- und Bäderwesen auf dem Gebiet der neuen Bundesländer" nennt. Dazu darf ich anmerken: Nachdem 1989 die Mauer gefallen war, hat die SPD-Bundestagsfraktion, deren kur- und bäderpolitischer Sprecher ich bin,
({2})
in Bad Salzuflen auf der Bäderkonferenz 1990 beschlossen, ein Soforthilfekonzept zu erarbeiten, und zwar in Abstimmung mit den Vertretern der ehemaligen, damals noch bestehenden DDR. Das war vor dem Einigungsvertrag.
Dann habe ich im Namen der SPD-Fraktion im Gesundheitsausschuß einen entsprechenden Antrag gestellt, und in Abstimmung mit dem Heil- und Bäderverband sind dann 4 Millionen DM als Strukturhilfe in die neuen Bundesländer geflossen. Herr Olderog, da Sie immer die Regierung loben: Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie auch uns einbeziehen würden. Wenn man lobt, dann muß man das, glaube ich, auch sehr detailliert tun.
({3})
Karl Hermann Haack ({4})
Das Ergebnis in den neuen Bundesländern ist sehr gut; es kann sich sehen lassen. Das Strukturhilfekonzept, das wir verabredet haben, hat vor Ort Arbeitsplätze geschaffen, hat vor Ort Ausbildungsplätze geschaffen und hat dazu beigetragen, im Kern mittelständische Strukturen in den Kur- und Heilbädern der neuen Bundesländer zu entwickeln.
Damit bin ich bei einem weiteren Punkt: Die Kur- und Heilbäder in der Bundesrepublik sind ein Wirtschaftsfaktor mit 310 000 Arbeitsplätzen. Darin begründet sich unsere Zielvorstellung, daraus versicherungspflichtige Arbeitsplätze zu machen.
({5})
Die Wertschöpfung in den Kur- und Heilbädern beträgt 20 Milliarden DM. Insgesamt 112 Millionen Übernachtungen sind in den Kur- und Heilbädern der Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnen. Ich denke, das ist ein großer Beitrag zum Tourismus in der Bundesrepublik Deutschland selbst.
Das heißt konkret: Für die SPD sind die Kur- und Heilbäder ein Faktor regionaler Wirtschaftspolitik.
({6})
Sie sind ein Faktor für die regionale Arbeitsmarktpolitik und auch für den regionalen Ausbildungsmarkt. Denn wir sehen darin ein Stück Politik für den Mittelstand, den wir in regional schwachen Gebieten besonders fördern müssen.
({7})
Und was macht diese Regierung? Wir erleben einen Verteilungswettbewerb um die Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung und Rentenversicherung. Es soll gespart werden. Was wird erzählt? Die ambulante Badekur muß abgeschafft werden. Dazu sage ich Ihnen: Die ambulante Badekur kostet die gesetzliche Krankenversicherung 424 Millionen DM. Einige sind dabei, die stationäre Badekur abzuschaffen, die stationäre Rehabilitationskur in Frage zu stellen. Da kommen noch 2,6 Milliarden DM hinzu.
In der öffentlichen Debatte mit Vorverurteilungen gegenüber Kuren zu reden, wie das seitens der Regierung und den Ihnen verpflichteten Verbänden geschieht, ist leichtfertig. So kann man mit dem Mittelstand in der Region nicht umgehen.
({8})
Sie sollten aus dem Gesundheits-Reformgesetz der Ära Blüm gelernt haben, der ja das Dienstleistungsangebot der Kur- und Heilbäder nach dem Motto „Morgens Fango, abends Tango" denunziert hat; Frau Faße war damals dabei. Dieses Gesetz hat zu einem Absturz der ambulanten Badekuren in den Kur- und Heilbädern mit dem Ergebnis geführt, daß Heime, Kurheime, Fremdenverkehrsheime schließen mußten. Es fehlt Ihnen trotz tagespolitischer Ankündigungen schlicht und einfach das Maß an Sensibilität, mit den tatsächlichen Fakten strukturell positiv umzugehen.
({9})
Der Wettbewerb wird über die Qualität laufen. Hinzu treten bei den Kur- und Heilbädern weitere Gefährdungen: Der EG-Bereich kommt als Konkurrent hinzu. Im Umweltbereich tauchen zunehmend die Wasserprobleme auf; Stichwort Heilquellenschutzverordnung und ähnliches. Die Regierung ignoriert dies. Ich denke, Herr Kolb, Sie sollten dazu im umweltpolitischen Teil des Tourismusberichtes das nächste Mal einige Ausführungen machen.
({10})
- Auch der tut ja nichts.
Wir, die SPD, haben eine Konzeption vorgelegt. Als einzige Partei dieses Hauses haben wir kurpolitische Leitlinien verabschiedet, die wir mit den Heilbädern und Kurorten auf der Bäderkonferenz in Bad Salzuflen 1994 beraten haben. Die werden jetzt zu einer Stellungnahme versandt. Ich kündige Ihnen an: Wir werden dazu Ende dieses Jahres eine Große Anfrage machen, um die Regierung zu zwingen, ein eindeutiges Bekenntnis zum Tourismusaspekt von Kur- und Heilbädern abzulegen.
({11})
Es geht beim Tourismus an der Küste, bei den Seebädern, in den Mittelgebirgen, im süddeutschen Raum und im Alpenraum schlicht und einfach um regionale Wirtschaftspolitik und regionale Arbeitsmarktpolitik. Da wollen wir wissen, welche Position die Regierung hat. Wir haben unsere Schularbeiten dazu entsprechend gemacht. Sie bekommen sie noch zugestellt.
({12})
- Nein, das Fatale ist - ({13})
- Da ist es ja noch viel schlimmer mit Ihnen. Wir denken nach, Sie denunzieren die Kur.
({14})
- Natürlich!
({15})
- Nein, ist sie bei Ihnen nicht.
({16})
- Ich lasse mich hier nicht provozieren. Laß das jetzt!
Karl Hermann Haack ({17})
Ich wollte noch einen wesentlichen Punkt bringen, der uns im Tourismusbereich und damit auch den Heil- und Kurorten zu schaffen macht. Die Klientel in den Heil- und Kurorten ist überwiegend die ältere Generation. Hierauf muß hingewiesen werden. Ich danke dem Bundestagsvizepräsidenten Hans-Ulrich Klose, der in der SPD den Anstoß dazu gegeben hat, daß wir uns insbesondere unter dem Aspekt des demographischen Wandels mit einer neuen Kurort- und Bäderkonzeption befaßt haben. Wir werden auch dazu Vorschläge machen, wenn wir nach der Beantwortung unserer Großen Anfrage einen Entschließungsantrag zu Kur- und Heilbädern im Deutschen Bundestag einbringen werden.
Auf einen besonderen Skandal möchte ich hinweisen. Das Stichwort heißt Kofferservice. Wir haben 200 Rückmeldungen aus Orten quer durch die Bundesrepublik erhalten, bezogen auf die Aktivitäten von EMS, einer hundertprozentigen Tochter der Deutschen Bundespost, die einen Haus-zu-HausKofferservice organisieren soll,
({18})
mit katastrophalen Ergebnissen.
({19})
Das werden wir im Ausschuß für Tourismus zu einem Tagesordnungspunkt machen, um darüber zu reden.
({20})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte mich dafür bedanken, daß Sie zugehört haben, und bitte, daß Sie sich trotz Ihrer Zwischenrufe
({21})
mit den Kur- und Heilbädern befassen, damit wir auch für sie im Tourismusbereich zu einem guten Ergebnis kommen.
Vielen Dank.
({22})
Bevor ich die nächste Wortmeldung berücksichtige, darf ich die Kolleginnen und Kollegen darauf hinweisen, daß wir nach den Abstimmungen zur Fragestunde kommen. Für die Fragestunde verbleiben aber nur noch acht Fragen, d. h., es kann sehr schnell gehen, bis der nächste Tagesordnungspunkt aufgerufen wird. Bitte richten Sie sich darauf ein.
Ich rufe jetzt den Kollegen Dr. Päselt, CDU/CSU-Fraktion, auf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf
gleich darauf eingehen: Herr Haack, ich freue mich, daß Sie das Kur- und Bäderwesen in den fünf neuen Bundesländern - ich komme aus einem dieser Länder - so positiv beurteilen. Ich kann das nur bestätigen. Sonst herrscht sicher bei einigen Dingen Dissens.
({0})
- Ich danke Ihnen. Sicher kenne ich mich gut aus. Ich war in Bad Berka - ({1})
- Darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Bei den mittelständischen Strukturen sieht es manchmal ein bißchen anders aus. Ich unterstreiche, was er dazu gesagt hat.
Eines möchte ich klarstellen, damit die Legendenbildung der PDS hier nicht so frei im Raum steht: Es war bereits 1968/69 auf der Insel Rügen nicht mehr möglich, an allen Stellen zu baden, und zwar auf Grund fehlender Kläranlagen, auf Grund fehlender Strukturen in diesem Bereich.
Zweitens. Wer jemals mit der Bahn auf die Insel Usedom gefahren ist, der weiß, wie das mit diesem Vehikel funktionierte. Dorthin wälzte sich auch zu DDR-Zeiten die herrliche Blechlawine. Ich will das dazusagen, damit wir uns nicht vorstellen, daß jetzt erst die bösen Wessis mit ihren Westautos das alles kaputtgemacht hätten. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.
({2})
Ich möchte als besonders günstig für die neuen Länder bezeichnen, daß in der 12. Legislaturperiode im Bundestag erstmals ein Vollausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus eingerichtet wurde,
({3})
der seine Arbeit in der 13. Wahlperiode weiterführen kann. In der vorigen Wahlperiode war ein Großteil der Beratungen dieses Ausschusses den neuen Ländern gewidmet. Auch der uns vorliegende Bericht der Bundesregierung und die Beschlußempfehlung des Ausschusses spiegeln dies wider.
Der vorliegende Bericht wurde vom Ausschuß gefordert. Er beschreibt den Ist-Zustand bis Anfang 1994. Zwar enthält jeder Abschnitt einen Ausblick in die Zukunft, aber der Ausschuß hätte sich für diese Darlegungen einen breiteren Raum gewünscht.
In der einmütig verabschiedeten Beschlußempfehlung wird die Bundesregierung aufgefordert, im Herbst 1997 den nächsten Bericht vorzulegen und über die Erfüllung der in der Beschlußempfehlung erhobenen Forderungen zu berichten.
Der Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung des Tourismus stellt in einem gesonderten Kapitel Aufgaben und Entwicklung der Tourismuswirtschaft in den neuen Bundesländern dar. Der Ausschuß hofft, daß die Entwicklung bis zum Jahre 1997
so erfolgt sein wird, daß sich die Verhältnisse in beiden Teilen Deutschlands weiter einander angenähert haben und eine Darstellung der neuen Länder in einem getrennten Kapitel nicht mehr notwendig ist.
Was stellt nun der Bericht für die Entwicklung des Fremdenverkehrs in den neuen Ländern fest? Vergegenwärtigen wir uns zunächst die Ausgangssituation im Jahre 1990, damit wir dann das bereits Erreichte besser würdigen können. Anfang 1991 schreibt ein Bundesbürger über seine Reiseeindrücke in der ehemaligen DDR - hören Sie gut zu -:
Ich habe noch nie ein Land gesehen, das mitten im Frieden von seiner Regierung so heruntergewirtschaftet und zugrunde gerichtet wurde wie die ehemalige DDR. Das Land sah noch vor einem Jahr
- also 1990 aus, als ob man soeben den Krieg verloren hätte. Er führt weiter aus:
Die Straßen sind oft in einem abenteuerlichen und eines zivilisierten Landes unwürdigen Zustand.
Von der touristischen Branche war ursprünglich erwartet worden, daß sie zu einem Motor des wirtschaftlichen Aufschwungs werden würde. Bei einer sachgerechten Analyse des Ist-Standes gegenüber den alten Bundesländern hätte diese Erwartung gedämpfter ausfallen müssen.
Zu den Problemen des Umfangs und der Qualität der Beherbergungsbetriebe kamen weitere Schwierigkeiten bzw. Hindernisse hinzu. Es fällt mir sehr schwer, eine Rangfolge aufzustellen bzw. eine Wertung vorzunehmen, da sie sich im Einzelfall gleichrangig darstellen.
Beginnen möchte ich mit dem mangelhaften Telefonnetz. Was das bedeutet, kann nur der ermessen, der keines hat. Zu diesen Mängeln kommt die unzureichende bzw. mangelhafte Infrastruktur, kommen mangelhafte Aufenthaltsmöglichkeiten am Urlaubsort, wenig attraktive und damit konkurrenzfähige Kurorte, wenig attraktive Sport- und Freizeitangebote, vielfältige Umweltprobleme und eine unzureichende Urlaubsatmosphäre.
Die Überwindung der angeführten Mängel hätte sich mancher kurzfristiger vorgestellt. Doch bei einer realistischen Betrachtungsweise dürfte klar sein, daß dies einen längeren Zeitraum in Anspruch nimmt. 40 Jahre DDR lassen sich nicht kurzfristig überwinden.
({4})
Am schnellsten wurde der Rückgang an Übernachtungskapazitäten wettgemacht. Im Bericht ist ausgeführt, daß die Privatisierung abgeschlossen worden ist. Die Treuhandanstalt hat die Privatisierung der Einrichtungen auf die Stärkung des einheimischen Mittelstandes ausgerichtet. Existenzgründer aus den neuen Bundesländern wurden besonders gefördert.
Herr Dr. Päselt, Ihre Zeit!
Ich nenne nur noch einmal MBO, Stundung des Kaufpreises usw. Gegenwärtig erfolgt weiterhin die Aufholjagd, und ich kann feststellen, daß das, was vor fünf Jahren angedacht worden ist, jetzt auf einem guten Stand ist. Wir aus den neuen Ländern möchten dafür den alten Bundesländern ausdrücklich danken.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Dr. Enkelmann ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich lasse Ihnen hier nicht alles durchgehen. Anläßlich eines Besuches des Umweltausschusses des Bundestages 1993 in der Schorf-heide im Landkreis Barnim, Brandenburg, äußerten sich Kollegen der Regierungskoalition folgendermaßen: „Frau Kollegin Enkelmann, daß Sie so etwas Schönes hier im Osten haben, hätten wir nicht gedacht.
Was Sie sagen, zeigt Ihre grenzenlose Ignoranz gegenüber Natur- und Umweltentwicklung auch in der DDR.
({0})
Es gibt auch dort, es gibt auch im Osten sehr schöne, gut erhaltene Naturgebiete, die Sie sich ruhig einmal ansehen sollten.
({1})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Kolb.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung wertet die Tatsache, daß wir heute bereits die dritte Tourismusdebatte in diesem Jahr haben, als Anerkennung der besonderen Bedeutung, die dieser Branche unter wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Aspekten zukommt. Die Zahlen sind von Ihnen, Frau Kollegin Kastner, genannt worden: mehr als 5 % Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt,
({0})
mehr als 2 Millionen Beschäftigte. Das unterstreicht diese Bedeutung. Ich will nur darauf hinweisen, daß es hier noch weitere Wachstumspotentiale gibt, die es auch mit Unterstützung der Politik auszuschöpfen gilt.
({1})
Den gemeinsamen Entschließungsantrag von CDU/CSU, F.D.P. und SPD zu dem Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung des Tourismus kann die Bundesregierung in allen Teilen mittragen. Ich möchte hier gerne, soweit es die Zeit zuläßt, einige wichtige Punkte aufgreifen.
Erstens. Wir müssen den Tourismusstandort Deutschland stärken. Der internationale Wettbewerb um den Touristen verstärkt sich ständig. Die Palette neuer Urlaubsdestinationen
({2})
erweitert sich von Jahr zu Jahr. Es ist daher unvermeidlich, daß die traditionellen Urlaubsländer - dazu gehört sicherlich auch Deutschland - intensiver um ihre Position kämpfen müssen.
Der Tourismusstandort Deutschland hat meines Erachtens dann eine Chance, wenn das touristische Angebot international wettbewerbsfähig ist und das Angebot optimal vermarktet wird. Wir brauchen deshalb auch - ich betone das, weil hier vorhin nach dem Staat gerufen wurde - mehr unternehmerisches Handeln und mehr unternehmerische Phantasie in diesem Bereich. Das gilt sowohl für die Produktgestaltung als auch für die Vermarktung des Produktes, wo man sich bisher zu sehr auf Ämter und öffentlich finanzierte Verbände verließ.
Die Länder und Gemeinden besitzen hier Spielräume für die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen im Fremdenverkehr. Diese müssen ausgeschöpft werden,
({3})
damit leistungsfähige, unternehmerisch ausgerichtete Dienstleistungsstrukturen gefördert werden, die dann auch privates Kapital anziehen werden. Beispiele zeigen, daß dieser Weg durchaus Erfolg verspricht. Damit werden nicht nur die öffentlichen Kassen entlastet, sondern es wird auch Platz für die Gründung neuer Existenzen geschaffen.
Die Förderung des Fremdenverkehrs in Deutschland ist nach unserer Verfassung - darauf will ich nur hinweisen - Aufgabe der Bundesländer.
({4})
Die Bundesregierung ist aber bereit - ich sage das sehr gern -, Hilfestellung zu leisten. Wir haben dies z. B. mit dem Angebot getan, uns finanziell am Aufbau eines flächendeckenden und auch vom Ausland zugänglichen gemeinsamen Informations- und Reservierungssystems zu beteiligen
({5})
- angemessen zu beteiligen -, allerdings unter der Bedingung, daß sich die Länder und die letztlich davon profitierende Wirtschaft ebenfalls angemessen daran beteiligen. Wir sind auch dafür, daß vorhandene regionale Systeme in dieses System integriert werden. Dazu ist auch die Bereitschaft des Marktführers erklärt worden. Wir müssen darauf achten, daß die vorgesehene Trägergesellschaft jetzt auf ein breites Fundament gestellt wird, um negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zu vermeiden.
({6})
Ich glaube, ich kann mich zur Unterstützung der Werbung für das Reiseland Deutschland relativ kurz fassen. Wir bekennen uns dazu.
({7})
- Ich glaube, ich kann mich kurz fassen, weil Herr Bundesminister Dr. Rexrodt gestern in der Aktuellen Stunde wesentliche Aussagen getroffen
({8})
und auch Überlegungen für eine Neustrukturierung vorgetragen hat.
({9})
Zweitens. Die Abfederung des Strukturwandels in der Tourismuswirtschaft ist für die Bundesregierung ein essentielles Thema. Wir werden im Rahmen unserer Möglichkeiten dafür sorgen, daß sich der Strukturwandel, den wir nicht aufhalten können und auch nicht aufhalten wollen, in wettbewerblich geordneten Bahnen vollzieht. Wir werden die mittelständischen Unternehmen auch in Zukunft durch ein breitgefächertes Instrumentarium unterstützen.
({10})
Dazu legen wir neben der Investitionsförderung den Schwerpunkt auch auf Qualifikation.
Drittens: Aufbau der Fremdenverkehrswirtschaft in den neuen Bundesländern. Auch auf diesen Bereich wird die Bundesregierung in der Zukunft ihre Aufmerksamkeit lenken. Wir denken, daß sich die Tourismuswirtschaft als nachhaltige Wachstumsbranche bewährt.
({11})
Gerade in den neuen Bundesländern ist die gestiegene Zahl der Auslandsübernachtungen erfreulich. Mit einem Zuwachs von knapp 25 % konnte sogar der weitere Rückgang in den alten Bundesländern kompensiert werden. Vielleicht ist dieser Erfolg nicht zuletzt auch den Bemühungen der DZT zu verdanken, die sich mit großem Nachdruck gerade für die
neuen Bundesländer engagiert hat. Auch dies sollte man hier einmal erwähnen.
({12})
Der vierte Punkt: In der Frage der europäischen Zusammenarbeit bleibt die Bundesregierung bei ihrem Standpunkt der strikten Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips.
({13})
Wir befürworten Gemeinschaftsaktionen in Bereichen, in denen gemeinschaftliches Handeln sinnvoll oder notwendig ist. Für eine Gemeinschaftskompetenz der EU im Bereich Tourismus sehen wir aber weiterhin keinen Bedarf.
({14})
Dennoch wollen wir uns einer Abstimmung der nationalen Tourismuspolitiken auf der Ebene der Gemeinschaft nicht entziehen. Der Tourismus ist für alle Länder der Europäischen Union ein wichtiger, für verschiedene Länder sogar der wichtigste Wirtschaftsfaktor und kann einen wirkungsvollen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit leisten.
Der fünfte und letzte Punkt, meine Damen und Herren, ist das Thema Tourismus und Umweltschutz. Ich glaube, hier muß man zunächst einmal festhalten, daß eine intakte Natur und Kultur die Lebensgrundlagen des Tourismus sind, und dieses „Geschäftskapital" darf nicht aufgezehrt werden.
({15})
Die Verflechtung von Ökonomie und Ökologie bildet einen Schwerpunkt der Tourismuspolitik der Bundesregierung. Im Bericht ist eine Vielzahl von Maßnahmen aufgeführt, die die Bundesregierung mit dieser Zielrichtung durchführt bzw. durchgeführt hat.
Die Bundesregierung sieht in der gemeinsamen Beschlußempfehlung und in dem Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. eine Unterstützung ihrer Politik. Ich will allerdings darauf hinweisen, daß verschiedene Forderungen in die Zuständigkeit der Länder fallen. Hier sind vor allem die Landesplanung und Raumordnung, aber sicherlich auch der Regionalverkehr zu nennen. Schließlich muß man auch darauf hinweisen, daß sich viele begründete Forderungen auf nationaler Ebene zumindest nicht ohne unvertretbare Nachteile für die deutsche Wirtschaft realisieren lassen. Das Stichwort Flugbenzinbesteuerung ist hier vom Kollegen Wittmann angesprochen worden.
({16})
Der auch in den Anträgen geforderte Bundeswettbewerb für umweltfreundliche Fremdenverkehrsorte wird noch in diesem Jahr gestartet. Die Bundesregierung bemüht sich mit Nachdruck um den Ausbau der
internationalen Zusammenarbeit zur Verbesserung des Umweltschutzes im Tourismus. Wir werden uns für die strikte Einhaltung bestehender Vereinbarungen - z. B. des Umweltschutzprotokolls zum Antarktisvertrag - einsetzen; wir werden uns auch mit Nachdruck um eine alsbaldige Fertigstellung des Tourismusprotokolls zur Alpenkonvention bemühen.
({17})
Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist leider, Frau Kollegin Kastner, zu Ende.
({18})
- Ich hätte mir mehr gewünscht. - In der Vergangenheit wurde die Tourismuspolitik der Bundesregierung in den wesentlichen Punkten von einem breiten Konsens im Deutschen Bundestag getragen. Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn dieser Konsens auf der Basis einer kritischen Diskussion zu Einzelfragen im Interesse des deutschen Tourismus beibehalten werden würde.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({19})
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst über Tagesordnungspunkt 5 a: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zum Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung des Tourismus, Drucksache 13/1513. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Noch immer Tagesordnungspunkt 5a: Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf der Drucksache 13/ 1548 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus zu überweisen, zur Mitberatung an mehrere Ausschüsse, nämlich an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, den Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union und den Sportausschuß. Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint so zu sein. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 5 b: Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einer Imagekampagne „Urlaub in Deutschland" auf Drucksache 13/1016 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie auch damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir stimmen ab über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zu einem Richtlinienvorschlag der Europäischen Union über die Erhebung statistischer Daten im Bereich des Tourismus, Drucksache 13/1402. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 5 d: Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. zu Umweltschutz und Tourismus auf Drucksache 13/1531 zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus sowie zur Mitberatung an mehrere Ausschüsse, nämlich den Auswärtigen Ausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Verkehr, den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und den Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union.
Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 sowie die Zusatzpunkte 7 a bis 7 c auf.
13. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zulassung von Umweltgutachtern und Umweltgutachterorganisationen sowie über die Registrierung geprüfter Betriebsstandorte nach der Verordnung ({0}) Nr. 1836/93 des Rates vom 29. Juni 1993 ({1})
- Drucksache 13/1359 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP7 weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({3})
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und des Straßenverkehrsgesetzes
- Drucksache 13/1524 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4})
Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi Lemke, Ulrike Höfken, Gila Altmann ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Aufhebung des Anbauverbots von Hanf und Förderung des Anbaus von THCarmen Hanfsorten als nachwachsende Rohstoffe
- Drucksache 13/1425 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({6})
Innenausschuß
Ausschuß für Gesundheit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Willibald Jacob, Andrea Lederer, weiteren Abgeordneten und der Gruppe der PDS
Völkerrechtswidrigkeit der Androhung des Einsatzes und des Einsatzes von Kernwaffen
- Drucksache 13/1465 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({7}) Verteidigungsausschuß
Es handelt sich urn Beratungen ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14b und c sowie 14e bis h und den Zusatzpunkt 8 auf:
14. Abschließende Beratungen ohne Aussprache
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler
- Drucksachen 13/1174, 13/1497 -({8})
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({9})
- Drucksache 13/1475 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Eva-Maria Kors Jochen Welt
Rezzo Schlauch
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({10}) zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Wiesbaden, ehemaliges Camp Pieri
- Drucksachen 13/1212, 13/1412 -
Berichterstattung: Abgeordnete Karl Diller
Susanne Jaffke Antje Hermenau Jürgen Koppelin
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({11})
Sammelübersicht 34 zu Petitionen
- Drucksache 13/1406 -
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 35 zu Petitionen
- Drucksache 13/1407 -
g) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({13})
Sammelübersicht 36 zu Petitionen
- Drucksache 13/1408 -
h) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 37 zu Petitionen
- Drucksache 13/1409 ZP8 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({15})
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches - 3. SGBÄndG
- Drucksache 13/1205 - ({16})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({17})
- Drucksache 13/1559 Berichterstattung: Abgeordneter Peter Dreßen
Tagesordnungspunkt 14 b: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Änderung des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler. Das sind die Drucksachen 13/1174 und 13/1497.
Der Innenausschuß empfiehlt Ihnen auf Drucksache 13/1475, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalition und der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 14 c: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zur Veräußerung bundeseigener Grundstücke in Wiesbaden, Drucksachen 13/1212 und 13/1412. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Tagesordnungspunkte 14 e bis 14h: Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 13/1406 bis 13/1409. Das sind die Sammelübersichten 34 bis 37. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS angenommen.
Wir kommen zu Zusatzpunkt 8 und stimmen über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Sozialgesetzbuches auf den Drucksachen 13/1205 und 13/1559 ab. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit den Stimmen der Koalition und der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS ist der Gesetzentwurf damit in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit derselben Mehrheit wie in zweiter Beratung angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde
- Drucksache 13/1498 Wir behandeln zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gertrud Dempwolf bereit.
Ich rufe Frage 24 des Abgeordneten Klaus Hagemann auf:
Trifft es zu, daß die Wohlfahrtsverbände für die Einführungskurse der Zivildienstleistenden einen täglichen Aufwand zwischen 80 DM und 100 DM haben, vorausgesetzt, sie unterhalten eigene Häuser und tragen damit nicht noch höhere Kosten, und
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß bei einem derzeitigen Tagessatz von 50 DM durch die öffentliche Hand der Eigenanteil der Träger immer größer wird und gleichzeitig die Einführungsphase im aktiven Wehrdienst voll mid ganz durch die öffentliche Hand getragen wird?
Die Frage des Kollegen Hagemann beantworte ich wie folgt:
Die den Verbänden entstehenden Kosten für Einführungslehrgänge sind der Bundesregierung im einzelnen nicht bekannt. Es kann aber als sicher angesehen werden, daß die Tagessätze je nach dem Träger der Maßnahme stark differieren, wobei das Vorhandensein eigener Tagungshäuser und festangestellter Dozenten einen wichtigen Faktor für eine kostengünstige Durchführung der Lehrgänge darstellen kann. Es kann zutreffen, daß der Tagessatz, wie von Ihnen genannt, zwischen 80 DM und 100 DM liegt.
Das Bundesamt für den Zivildienst beteiligt sich an den Kosten der Durchführung mit einem Tagessatz von zur Zeit 50 DM pro Teilnehmer. Eine Vollfinanzierung der verbandlich geleiteten Lehrgänge durch den Bund stand zu keiner Zeit zur Diskussion.
Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege haben ein erhebliches Eigeninteresse nicht nur am Einsatz von Zivildienstleistenden, sondern auch an deren fachlicher Qualifizierung. Daher bestimmt § 25 a Abs. 2 des Zivildienstgesetzes, daß die Kosten der Lehrgänge in angemessenem Umfang erstattet werden können.
Eine Parallele zu der Grundausbildung von drei Monaten für Wehrpflichtige bei der Bundeswehr läßt sich nicht ziehen, weil der Wehrdienst ausschließlich im Bereich der Bundeswehr stattfindet und andere Kostenträger naturgemäß nicht zur Verfügung stehen. Im Zivildienst dagegen findet die Dienstleistung nur bei gemeinnützigen Einrichtungen, insbesondere bei den Wohlfahrtsverbänden für deren Zwecke statt.
Der Tagessatz des Bundes ist mehrfach den Kostensteigerungen angepaßt worden. Derzeit wird die Möglichkeit der Erhöhung des Tagessatzes geprüft.
Zusatzfrage? Klaus Hagemann ({0}): Ja.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Ich habe eine weitere Frage, die ebenfalls die Tagessätze betrifft. Mir ist bekannt, daß diese in den letzten sieben Jahren nicht angehoben worden sind und, wie von Ihnen berichtet, derzeit bei 50 DM liegen. Bis wann will die Bundesregierung die Anhebung vornehmen - Sie haben angedeutet, daß sie dies vorhat -, wann ist damit zu rechnen?
Das kann ich Ihnen nicht sagen, Herr Kollege. Dies wird zur Zeit geprüft.
Noch eine Zusatzfrage?
Ja, ich habe eine zweite Zusatzfrage.
Trifft es zu, daß die Bundesregierung die Zuschüsse für die Dienststellen der Zivildienstleistenden drastisch gekürzt hat, und wie bewertet die Bundesregierung die dadurch geminderte Qualität in der Betreuung von Zivildienstleistenden?
Herr Kollege, das sind zwei Fragen. Ich kann sie Ihnen jetzt nicht beantworten. Ich würde das überprüfen lassen und Ihnen die Antwort schriftlich geben.
({0})
Nächste Wortmeldung.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, können Sie bestätigen, daß es in sich problematisch ist, daß Wohlfahrtsverbände für junge Menschen, die einen Wehrersatzdienst leisten, der eigentlich einzig und allein ein Dienst ist, der von seiten der Bundesrepublik erbracht werden muß, überhaupt etwas bezahlen müssen?
Ich weiß, daß die Wohlfahrtsverbände die Zivildienstleistenden sehr gerne einstellen und auch für deren Ausbildung zuständig sein wollen.
Weitere Zusatzfragen? - Bitte.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen - dies frage ich im Anschluß an die letzte Frage des Kollegen - bekannt, daß die SPD einen Antrag eingebracht hat, die Bürgersteuer für die Erhaltung der Bundeswehr einzuführen?
Herr Kollege, ich habe davon gehört.
Kollege Fuhrmann.
Frau Staatssekretärin, können Sie bestätigen, daß immer mehr Wohlfahrtsverbände Zivildienstplätze abbauen, weil sie finanziell nicht dazu in der Lage sind, diese Plätze nach wie vor anzubieten?
Das kann sicherlich in dem einen oder anderen Fall zutreffen, aber generell ist es nicht so.
Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Darm rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Johannes Nitsch zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 25 des Kollegen Reiner Krziskewitz:
Trifft es entsprechend der Pressemeldung in der Mitteldeutschen Zeitung vom 6. Mai 1995 zu, daß sich gewünschte Netzergänzungen im Bereich Braunschweig ({0}) und Goslar ({1}) nicht realisieren lassen und daß das Bundesministerium für Verkehr auch das gesamte Bauvorhaben der B 6n in naher Zukunft in Frage gestellt sieht, selbst in der Gefahr, daß das Ausbleiben dieser Strecke als wirtschaftlich lebensnotwendiger Verkehrsanbindung des Nordharzes und als Verbindung des niedersächsischen mit dem sächsischen Wirtschaftsraum für die Region in Sachsen-Anhalt sowie für die benachbarten Räume erhebliche Rückwirkungen auf dem Arbeitsmarkt haben wird?
Sehr geehrter Herr Präsident! Die Frage des Abgeordneten Krziskewitz möchte ich wie folgt beantworten: Die gewünschten
Netzergänzungen im Bereich Braunschweig und
Goslar lassen sich realisieren, sobald die planungsrechtlichen Verfahren rechtsbeständig abgeschlossen sind. Es trifft nicht zu, daß das gesamte Bauvorhaben der B 6 n, das von Goslar/Bad Harzburg bis Dessau reicht und so eine Länge von über 130 km umfaßt, in naher Zukunft in Frage gestellt wird. Auch die Bundesregierung sieht die B 6n als eine wirtschaftlich lebensnotwendige Verkehrsanbindung für den Nordharz an. Sie stellt insbesondere für diese Region in Sachsen-Anhalt die wichtigen Verbindungen zum Land Niedersachsen und zum Freistaat Sachsen her. Daher hat sie die Planungen für dieses Vorhaben auch nachhaltig unterstützt. Dem derzeitigen Stand der Planungen entsprechend wird angestrebt, auf Teilabschnitten mit dem Planfeststellungsverfahren noch 1995 zu beginnen.
Zusatzfrage?
Die erste Zusatzfrage: Sehen Sie ein Junktim zwischen den gewünschten Netzergänzungen und der grundsätzlichen Funktion der B 6n als Bindeglied zwischen dem mitteldeutschen Industrieraum und Niedersachsen? Das heißt, kann es die B 6n nur mit diesen Ergänzungen geben, oder kann man auch nur an eine einfache Erweiterung denken?
Nein, es besteht kein Zusammenhang zwischen den Netzergänzungen im Raum Braunschweig und dem Beginn der Arbeiten auf der B 6n.
Meine zweite Zusatzfrage: Wie beurteilt die Regierung den weiteren Zeithorizont hinsichtlich dieses Projektes?
Dazu möchte ich eine Vorbemerkung machen. Diese äußerst wichtige Straßenverbindung wurde in den vordringlichen Bedarf eingeordnet auf Grund der Bedeutung, die ich gerade erläutert habe, obwohl keinerlei Vorplanungen für diese Trasse existierten, so daß im Moment noch relativ aufwendige Arbeiten notwendig sind. Ich möchte einmal die gesamte Trasse von über 130 km in drei Abschnitte gliedern, weil dort die Vorbereitungsarbeiten unterschiedlich weit gediehen sind.
Im Westabschnitt ist das Raumordnungsverfahren abgeschlossen und die Linienbestimmung im Dezember 1994 erfolgt. Zur Zeit wird am RE-Entwurf gearbeitet, bzw. die Einleitung des Planfeststellungsverfahrens wird für die zweite Hälfte des Jahres 1995 vorbereitet. Bei vorschriftsmäßigem Ablauf könnte der Baubeginn für diesen kleineren Westabschnitt im Jahre 1996 sein.
Im Mittelabschnitt, der von Wernigerode bis an die A 14 im Bereich Bernburg reicht, sind die Arbeiten zur Zeit so weit, daß die Umweltverträglichkeitsstudien Stufe I und Stufe II abgeschlossen sind und das Raumordnungsverfahren für einen Mittelabschnitt innerhalb dieses Abschnitts eingeleitet ist. Es gibt in diesem Bereich unterschiedliche Interessen öffentlicher Belange, die zur Zeit noch nicht zu einem Konsens geführt haben. Sobald diese Konsensherstellung erfolgt ist, wird auch das Linienbestimmungsverfahren eingeleitet werden können.
In dem Ostabschnitt, der von der A 14 im Bereich Bernburg bis nach Dessau, an die A 9, reicht, sind die Verkehrsuntersuchungen abgeschlossen. Die Umweltverträglichkeitsstudie Stufe I ist abgeschlossen. Mit dem Abschluß der Umweltverträglichkeitsstudie Stufe II wird demnächst gerechnet, so daß wir ab Mitte dieses Jahres mit dem Raumordnungsverfahren beginnen können.
Soweit die gewünschten Auskünfte zu diesem relativ komplizierten Verfahren.
Keine Zusatzfragen. - Darm rufe ich die Frage 26 des Kollegen Uwe Hiksch auf:
Sieht die Bundesregierung hinsichtlich der Nutzung bzw. Bedeutung der Bundesautobahn A 73/A 71 einen Unterschied in der Antwort zu Frage 8 der Kleinen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ({0}) und der Antwort zu Frage 3 der Kleinen Anfrage der Fraktion der SPD ({1})?
Herr Präsident, die Fragen 26 und 27 stehen in einem sehr engen Zusammenhang. Darf ich eine gemeinsame Beantwortung vornehmen?
Ja. Dann rufe ich auch die Frage 27 des Kollegen Uwe Hiksch auf:
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Wie erklärt die Bundesregierung die unterschiedliche Betonung der Nutzung der A 73; einerseits als Regionalautobahn, andererseits als Verkehrsweg für den "nationalen landesgrenzüberschreitenden Fernverkehr"?
Verkehrspolitische Zielsetzung und regionalpolitische Bedeutung eines Verkehrsprojektes schließen sich nicht aus. Die angesprochenen Antworten nehmen auf die unterschiedlichen Frageschwerpunkte Bezug. Auch die unterschiedliche Betonung der Nutzung der A 73 ergibt sich aus der jeweiligen Fragestellung.
Das Bundesautobahnnetz ist nach der Definition des Bundesfernstraßengesetzes dem weiträumigen Schnellverkehr zu dienen bestimmt. Dennoch muß immer wieder die besondere regionalpolitische Bedeutung einer Bundesautobahn auch zur Erschließung der durchfahrenen Region für den Fernverkehr - ich konnte das gerade an Hand der in der vorigen Frage angesprochenen Straße darstellen -, insbesondere der früher grenznahen und wirtschaftlich benachteiligten Gebiete und Standorte, betont werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn das, was Sie gerade ausgeführt haben, richtig ist, können Sie mir dann erklären, warum jetzt im Planfeststellungsverfahren bei der A 73 allein im Raum Coburg zwei Anschlußstellen gestrichen wurden?
Es gibt immer mehrere Randbedingungen, unter denen man solche Planungen vorzunehmen hat. Die Gebietskörperschaften hatten acht Anschlußstellen auf einer Streckenlänge von 23 km gefordert. Sie werden mir vielleicht zustimmen können, daß sechs Anschlußstellen auf einer Strecke von 23 km immer noch eine verhältnismäßig dichte Bestückung sind.
Eine weitere Zusatzfrage.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß die Bundesregierung selbst nicht weiß, wofür man die A 73/A 71 überhaupt braucht? Oder wie erklären Sie sich die Tatsache, daß beispielsweise die DEGES, die Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH, in einem in unserer Region verteilten Prospekt schreibt - ich zitiere -:
In ihrer Konzeption ist die A 81/A 73 - früher war die A 71 die A 81 primär eine Regionalautobahn, die entscheidend zur Verbesserung der Infrastruktur in Mittel- und Südthüringen beitragen wird.
- und die Autobahndirektion Nordbayern, die ebenfalls massiv ihre Prospekte in unserer Region verteilt hat, schreibt:
Die A73 hat die Funktion einer Regionalautobahn.
Die Aussage im ersten Teil Ihrer Frage würde ich nicht bestätigen. Die Bundesregierung und das Verkehrsministerium kennen die Bedeutung jeder Autobahn genau und stellen umfangreiche Untersuchungen an, bevor sie in den Bedarf eingeordnet wird.
Die von Ihnen zitierten Formulierungen halte ich nicht für glücklich, weil sie mit den Definitionen des Bundesfernstraßengesetzes nicht in Übereinstimmung stehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir dann erklären, warum mir am 8. Februar 1995 auf die schriftliche Frage 324 vom Januar 1995 geantwortet wurde - ich zitiere aus Ihrem Hause -: ,,Eine vorrangige Bedeutung für die regionale Verkehrserschließung ist damit nicht das Bauziel" der A 73/A 71?
Damit hat sich unser Haus genau an die Definition des Bundesfernstraßengesetzes angeschlossen.
Meine letzte Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß die A 73/A 71 in der Realität einzig und allein für den Fernstraßenverkehr, und zwar für den transnationalen Fernstraßenverkehr, gebaut werden soll, oder wie begründen Sie sonst die Tatsache, daß Ihr Haus massiv versucht hat, die A 73/A 71 in die transeuropäischen Netze aufzunehmen?
Die Aussage im ersten Teil würde ich wieder nicht bestätigen. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Die Aufnahme in die transeuropäischen Netze ergab sich notwendigerweise aus den inzwischen durchgeführten Beratungen zu diesen Gesetzen. Daher haben wir eine bereits in der Planung vorgesehene wichtige Autobahn für diese Zwecke zur Verfügung gestellt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Walter Hirche bereit.
Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Hans-Otto Wilhelm auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über biologische Wirkungen und mögliche Gesundheitsgefahren, wenn in der Umgebung von Hochspannungsleitungen niederfrequente elektrische und magnetische Felder überlagert werden mit hochfrequenten elektromagnetischen Strahlen aus Mobilfunksendern?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage des Kollegen Wilhelm beantworte ich wie folgt: Der Bundesregierung liegen keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor, die additive oder synergistische Wirkungen bei Überlagerungen niederfrequenter oder hochfrequenter elektromagnetischer Felder belegen können.
Wenn Sie einverstanden sind, beantworte ich Frage 29 gleich mit.
Dann rufe ich Frage 29 des Kollegen Hans Otto Wilhelm auf:
Könnten die jeweils für Hochfrequenz und Niederfrequenz getrennt festgelegten Grenzwerte ({0}) sich für den Fall solcher Interferenzen als zu hoch erweisen?
Die Frage 29 beantworte ich wie folgt: Die spezifischen biologischen Wirkungen infolge des Einsatzes niederfrequenter oder hochfrequenter Felder sind grundsätzlich unterschiedlich. Dies wird bei der Festlegung von Grenzwerten berücksichtigt. Eine Überlagerung der biologischen Wirkungen niederfrequenter und hochfrequenter Felder ist wissenschaftlich nicht belegt. Eine Berücksichtigung in Grenzwertempfehlungen ist deshalb nicht erforderlich.
In diesen Tagen hat das BMU den Entwurf einer Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes über elektromagnetische Felder versandt. Auch in diesem Entwurf werden auf Grund der unterschiedlichen biologischen Wirkungen die Bereiche der niederfrequenten und hochfrequenten Felder unterschieden.
Zusatzfrage.
Hält es die Bundesregierung für wünschenswert, bei Interferenzen hochfrequenter und niederfrequenter Felder bzw. Strahlen Wirkungen zu erforschen, die in der Praxis durchaus auftreten könnten?
Herr Abgeordneter, da es keine plausiblen Hinweise auf derartige Wirkungen gibt, wird auch kein Bedarf gesehen, in diesem Bereich Forschungsprojekte zu vergeben.
Die Aussage, die ich eben gemacht habe, wird gestützt durch Betrachtungen und Beratungen sowohl in der Strahlenschutzkommission als auch in internationalen Kommissionen, die über den Schutz vor nichtionisierenden Strahlen beraten haben.
Weitere Zusatzfrage.
Habe ich Sie richtig verstanden, daß ein neuer Verordnungsentwurf sowohl im Bereich der hochfrequenten als auch niederfrequenten Felder bzw. Strahlen in Vorbereitung ist, und würden Sie mir mitteilen, inwieweit sich diese neuen Verordnungen von den alten Verordnungen, vor allen Dingen was Abstandsprobleme anbelangt, substantiell unterscheiden?
Herr Abgeordneter, ich will Ihnen gern zusätzlich zu dem, was ich jetzt sage, noch eine schriftliche Information geben. Aber ich sage vorweg noch einmal, daß in dem Entwurf, der in dieser Woche zusammen mit der Einladung zu einer Anhörung nach § 51 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes an die Bundesländer und an die Verbände verschickt worden ist, für ortsfeste Anlagen Grenzwerte festgelegt werden, die auf den Empfehlungen der Internationalen Kommission zum Schutz vor nichtionisierenden Strahlen und der Strahlenschutzkommission basieren.
Bitte.
Nimmt die Bundesregierung zur Kenntnis, daß trotz der wissenschaftlichen Empfehlungen national und international mehrere Verwaltungsgerichte unter dem Gesichtspunkt der Vorsorge von diesen physikalischen Empfehlungen dahin gehend abweichen, daß sie weitaus größere Sicherheitsabstände empfehlen und für richtig halten?
Herr Abgeordneter, selbstverständlich nehmen wir nicht nur zur Kenntnis, was Abgeordnete in diesem Hause und draußen sagen, sondern auch, was Verwaltungsgerichte feststellen, wobei auch Sie sicher in Ihrer politischen Laufbahn die Erfahrung gemacht haben, daß solche Feststellungen in erster Instanz sich manchmal erheblich von dem unterscheiden können, was nachher im Laufe von Gerichtsverfahren endgültig festgestellt wird.
Weitere Zusatzfrage.
Würden Sie aber einräumen, daß die Wegentwicklung der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit von Ihren Festlegungen zu einer bemerkenswerten Besorgnis bei betroffenen Menschen führt, und beabsichtigen Sie, in Ihren Entwürfen den grundsätzlichen Vorsorgeaspekt des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zugunsten der davon betroffenen Menschen zu beachten?
Walter Hirche, Pari. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Wilhelm, selbstverständlich
halten wir erstens am Vorsorgegrundsatz als Leitprinzip der Umweltpolitik fest, und zweitens gibt es immer einen Anlaß, Besorgnissen von Bürgern, selbst wenn sie objektiv nicht begründet sein sollten, nachzugehen. Denn ein Staat, der Besorgnisse von Bürgern nicht ernst nimmt, würde sich letzten Endes auch nicht damit begnügen können, daß Gesetze oder physikalische Diskussionen etwas aussagen. Hier müssen wir mit demokratischem Verständnis auf diese Dinge eingehen, allerdings im Rahmen belastbarer Daten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen zur Frage 30 der Abgeordneten Ursula Schönberger.
Gibt es einen abgenommenen Endbericht der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, auf den das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit seine Aussage stützt, die Langzeitsicherheit für Morsleben für die nächsten 10 000 Jahre sei von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit nachgewiesen worden?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage der Kollegin Schönberger beantworte ich wie folgt:
Die Antwort ist ein eindeutiges Ja. Ja, das Bundesumweltministerium stützt seine Aussagen zur Langzeitsicherheit des Endlagers für die bis gegebenenfalls zum 30. Juni 2000 eingelagerten radioaktiven Abfälle
({0})
auf die von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit und von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe durchgeführten und in Endberichten dargestellten Untersuchungen.
Bereits am 8. März 1991 ist die Sicherheitsanalyse des Endlagers für radioaktive Abfälle Morsleben, FRAM, vom damaligen Bundesumweltminister Professor Töpfer der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Dieser Bericht kann von jeder interessierten Person erworben werden.
Ferner ist ein weiterführender Bericht zur Langzeitsicherheit mit der Berechnung von Radionuklidtransportvorgängen im Endlager Morsleben vom Dezember 1994 in der Schriftenreihe „Reaktorsicherheit und Strahlenschutz" des Bundesumweltministeriums veröffentlicht worden und somit für jeden erhältlich.
Darüber hinaus werden die Untersuchungen durch die genannte Gesellschaft im Rahmen der Weiterentwicklung des Standes von Wissenschaft und Technik fortgeführt.
Frau Schönberger, Sie dürfen zwei Zusatzfragen stellen.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, daß es einen abgeschlossenen Endbericht der Gesellschaft für Reaktorsicherheit zu Fragen der Langzeitsicherheit im Endlager Morsleben gibt, frage ich Sie: Ist es zutreffend, daß das Bundesamt für Strahlenschutz dem sachsenanhaltischen Umweltministerium schriftlich bestätigt hat, alle Unterlagen zu Morsleben seien dem Umweltministerium vollständig zugeleitet worden? Ist es richtig, daß es einen verfahrensmäßig abgeschlossenen Endbericht der Gesellschaft für Reaktorsicherheit in diesen Unterlagen nicht gibt?
Frau Abgeordnete, es gibt, wie ich gesagt habe, einen vorgelegten Bericht der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, der öffentlich zugänglich ist. Sehen Sie mir bitte nach, daß ich den Schriftwechsel einer nachgeordneten Behörde mit dem Land Sachsen-Anhalt nicht im einzelnen kenne. Ich kann deswegen auf diesen Punkt nicht eingehen. Ich will das aber gem nachprüfen und Ihnen dann Auskunft geben.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Sind Sie mit mir darüber einig, da diese nachgeordnete Behörde bzw. das sachsenanhaltische Umweltministerium den Langzeitsicherheitsnachweis als Grundlage für das Planfeststellungsverfahren beim Endlager Morsleben braucht, daß es um einen verfahrensmäßigen Akt geht und nicht um irgendeine Schrift, die die GRS irgendwo veröffentlicht hat? Sind Sie mit mir der Meinung, daß es von daher nicht unerheblich ist, ob das offiziell, verfahrensmäßig korrekt mit dem sachsenanhaltischen Umweltministerium abgewickelt wird?
Selbstverständlich, Frau Abgeordnete, bin ich Ihrer Auffassung, daß es sich hier um ein formalisiertes, im übrigen von den Gesetzen vorgeschriebenes Verfahren handelt, das anschließend auch der Kontrolle von Verwaltungsgerichten zugänglich sein muß. Das bedeutet, daß in diesem Verfahren Berichte eingeführt werden müssen, die allen Anforderungen, die dieses Hohe Haus in Gesetzen festgelegt hat, genügen müssen. Deswegen geht es nicht darum - wie Sie es formuliert haben; ich will das an dieser Stelle gern aufnehmen -, irgendeinen Bericht vorzulegen, sondern den von den Gesetzen vorgeschriebenen Bericht der Fachbehörde einzuführen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Mir ist die Aussage des Umweltministeriums von Sachsen-Anhalt bekannt, daß ihm vom BMU kein abgeschlossener Bericht der Gesellschaft für Reaktorsicherheit zur Langzeitsicherheit zugeleitet wurde. AndererSteffi Lemke
seits besteht die Aussage, daß die Unterlagen dem Umweltministerium in Sachsen-Anhalt jetzt vollständig vorliegen. Ich finde es schon erstaunlich, daß Sie dazu keine genauere Aussage machen können.
Ich habe eine Frage zur Sicherheit von Morsleben. In der letzten Sitzungswoche haben Sie die intensiveren Einlagerungen in Morsleben damit begründet, daß neuere Erkenntnisse zur Langzeitsicherheit vorlägen. In der letzten Zeit bestand immer Übereinstimmung darüber, daß die gemeinsame Einlagerung von Sondermüll und Atommüll in einem Atomendlager nicht den Sicherheitsanforderungen genügt. Ich möchte gern wissen: Wann ist beabsichtigt, den Sondermüll aus dem Schacht Marie herauszuholen?
Frau Abgeordnete, zum ersten Teil möchte ich sagen, daß es meiner Meinung nach möglicherweise Verwechslungen zwischen zwei Berichten gibt: ob es sich um einen Bericht im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens handelt oder ob es sich um einen Bericht im Zusammenhang mit Untersuchungen außerhalb des Planfeststellungsverfahrens zum Thema Langzeitsicherheit handelt. Zu diesen Aussagen sind die Beurteilungen des sachsenanhaltischen Umweltministeriums nicht von Belang, wohl aber im Zusammenhang mit den Planfeststellungsverfahren. Hier gibt es ja einen Streit darüber, daß von Ihrer Seite nicht akzeptiert wird, daß der Deutsche Bundestag für den Zeitraum bis zum Jahr 2000 ein besonderes, von den üblichen Regelungen des Planfeststellungsverfahrens abweichendes Verfahren gesetzlich fixiert hat. Dieser Streit wird möglicherweise fortbestehen.
Im übrigen darf ich Sie bitten, den Inhalt der zweiten Frage kurz mit einem Stichwort zu wiederholen.
Frau Kollegin Lemke, bei der zweiten Frage, die Sie gestellt haben, kann ich keinen Zusammenhang zu der ursprünglich gestellten Frage erkennen. Von daher weiß ich nicht, ob Sie sie wirklich stellen dürfen. Ihre Frage muß schon einen Zusammenhang mit der Frage 30 der Kollegin Schönberger haben. Anderenfalls braucht sie nicht beantwortet zu werden. Ich bitte Sie, das zu prüfen.
Der Zusammenhang ist ganz einfach über die von uns bestrittene Langzeitsicherheit des Endlagers Morsleben gegeben. Es ist ein Teilaspekt der Langzeitsicherheit, daß nach wie vor Sondermüll zusammen mit Atommüll dort eingelagert ist.
Wiederholen Sie Ihre Frage. Ich stelle anheim, ob sie dann beantwortet werden soll. Aber ein Zusammenhang ist nach meiner Auffassung nicht gegeben.
Es war mir jetzt nicht klar, daß ich die Frage in dem Zusammenhang wiederholen soll.
Das BMU hat seine Aussagen zur Langzeitsicherheit mit neueren Erkenntnissen der Gesellschaft für Reaktorsicherheit begründet. Ich wollte wissen, ob in diesem Zusammenhang die gemeinsame Einlagerung von Sondermüll und Atommüll im Schacht Marie in Morsleben ebenfalls geprüft wurde und ob es Aussagen dazu gibt, wann dieser Sondermüll dort herausgeholt wird?
Frau Kollegin, ich kann keinen Zusammenhang erkennen, nachdem ich die Frage wiederholt bekommen habe.
Vielen Dank. Es gibt keine weiteren Fragen.
Die Fragen 31 und 32 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Bernd Schmidbauer zur Verfügung.
Die Fragen 33, 34, 35 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 36 des Kollegen Frederick Schulze auf:
Hat die Bundesregierung, nachdem in der Presse Ende 1992 ({0}) verschiedentlich von einem Zusammentreffen eines Mitgliedes des PDS-Vorstandes mit einem ranghohen Mitglied des libyschen Geheimdienstes die Rede war, dies zum Anlaß genommen, um diese Kontakte durch den BND zu überprüfen, und welche Erkenntnisse - auch über finanzielle Transaktionen - wurden dabei gewonnen?
Herr Kollege Schulze, in bezug auf den Fragenkreis, den Sie ansprechen, kann ich hier im Plenum wegen meiner Pflicht zur Geheimhaltung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse keine Angaben machen. Ich darf Ihnen aber sagen, daß die zuständigen Behörden und das zuständige Gremium des Deutschen Bundestags über diesen Fragenkomplex, der von Ihnen schon zweimal angesprochen wurde, informiert sind.
Keine weiteren Fragen. Die Fragen 37, 38, 39, 40 aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde angelangt.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Ich rufe auf:
6. a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
21. Weltwirtschaftsgipfel in Halifax am 16. und 17. Juni 1995 - Deutsche Initiative für eine beschäftigungswirksame, nachhaltige und solidarische Entwicklung der Weltwirtschaft
- Drucksache 13/1540 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Dr. Willibald Jacob, Andrea Lederer und der weiteren Abgeordneten der PDS
Sofortiger und vollständiger Schuldenerlaß für die 30 ärmsten Länder
- Drucksache 13/673 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({0})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuß
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Schmitt ({1}), Dr. Uschi Eid, Dr. Angelika Köster-Loßack und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wiederauffüllungsrunde der International Development Association
- Drucksache 13/740 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ludger Volmer, Dr. Uschi Eid, Antje Hermenau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Neue Strategie der internationalen Finanzinstitutionen zur Entschuldung und zur Finanzierung von Umwelt- und entwicklungspolitischen Maßnahmen
- Drucksache 13/1018 -Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({2})
Auswärtiger Ausschuß
Amt für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Amt für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuß
ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ludger Volmer, Wolfgang Schmitt ({3}), Dr. Uschi Eid und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Rolle der G-7-Gruppe bei der Reform des Weltwirtschaftssystems
- Drucksache 13/1545 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Hauchler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr in Neapel haben die Staats- und Regierungschefs der sieben größten Industrieländer beschlossen, sich bei ihrem nächsten Treffen in Halifax auf ein Thema zu konzentrieren - das haben sie wörtlich so formuliert -: Was ist zu tun, damit die Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert für nachhaltige Entwicklung, Beschäftigung und Wachstum sorgt? Und insbesondere: Welche weltwirtschaftlichen Mechanismen und Institutionen müssen verändert werden, um diese Ziele zu erreichen? Das sind in der Tat die Kernfragen, mit denen fast alle anderen Zukunftsfragen verknüpft sind. Soziale Sicherheit, Bewahrung der Lebensgrundlagen, Vermeidung von Gewalt und Krieg, Arbeit und Selbstverwirklichung der Menschen sind zentral bestimmt von der Ordnung, Leistung und Orientierung der Wirtschaft.
Angesichts globalisierter Märkte heißt das aber: Die internationalen Bedingungen bei Produktion und Handel, Finanzen und Währung bestimmen zunehmend unser Schicksal. Die sieben Nationen, die in Halifax an einem Tisch sitzen werden, sind die größten Produzenten, die größten Händler und die größten Finanziers der Welt. Sie sind gleichzeitig die größten Waffenproduzenten und Umweltverbraucher. Bei ihnen konzentrieren sich die transnationalen Unternehmen und die Hochtechnologie.
Zum Teil werden weit mehr als 50 % der Weltproduktion, des Handels, der Finanzen und der Ressourcen von ihnen bewegt. Die Sieben vereinen also ein ungeheures Potential - absolut gesehen und relativ zum sogenannten Rest der Welt. Zu Recht wird deshalb die Frage gestellt, ob sie die Macht, die aus diesem ökonomischen Potential erwächst, in legitimer Weise und im globalen Interesse nutzen. Diese Frage ist wichtig. Sie unterstellt allerdings, daß ökonomisches Potential auch in politische Handlungsfähigkeit umgesetzt wird und umgesetzt werden kann.
Studiert man aber die Geschichte der letzten 20 Weltwirtschaftsgipfel, so wachsen die Zweifel. Die Sieben konnten nicht verhindern, daß das Wachstum in ihren eigenen Ländern erheblich zurückfiel und die Arbeitslosigkeit drastisch zunahm. Sie konnten nicht verhindern, daß Währungen und Zinsen gerade seit dieser Zeit immer drastischer und erratischer in Bewegung kamen und Investitionen und Beschäftigung dämpften. Sie konnten nicht verhindern, daß immer höhere Haushaltsdefizite den politischen Handlungsspielraum einengen.
Die Sieben haben auch nichts bewirkt, um Ressourcen- und Umweltverbrauch entscheidend zu reduzieren. Sie stehen hilflos vor dem Wachstum der Weltbevölkerung, zunehmender Migration und immer mehr Kriegen. Wachsende Kosten bei tendenziell rückläufigem Wachstum haben zu einer strukturellen Finanzkrise der Staaten geführt. Die Sieben reagieren darauf, indem sie die soziale Sicherung einschränken und sich aus der Finanzierung globaler Aufgaben zurückziehen. Was hier derzeit bei uns auf
diesem Gebiet, nämlich Einschränkung der sozialen Sicherung und Rückzug aus multilateralen Engagements, geplant und realisiert wird, ist verantwortungslos.
({0})
- Es kann geklatscht werden. Allerdings stelle ich fest, daß die Mannschaft ein wenig schwach ist.
Ich unterstelle nicht, daß die großen Industrieländer ihre hegemoniale Stellung nicht nutzen wollten. Ich halte auch wenig von der Auffassung, sie hätten sich gar im eigenen Interesse gegen den Rest der Welt verschworen. Ich behaupte vielmehr: Wenn die großen Industrieländer bisher ihrer globalen Verantwortung nicht gerecht wurden, so lag das weniger am guten Willen, teils auch am nicht so guten Willen, aber hauptsächlich daran, daß sie an einer überholten politischen Strategie festhielten, daß sie unfähig waren, die weltwirtschaftlichen Instrumente zu verbessern, daß sie es versäumt haben, die internationalen Institutionen zu stärken.
Was müssen die Sieben tun, damit Strategie, Instrumente und Institutionen der Weltwirtschaft den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts begegnen können? Was bringt die Bundesregierung in dieser Richtung mit nach Halifax? Welches sind ihre Vorschläge? Ich habe bisher nichts gehört. Herr Faltlhauser, Sie können sich nachher dazu äußern. Ich bin gespannt auf das, was Sie für den Weltwirtschaftsgipfel vorschlagen werden, was Sie im Paket, im Koffer haben, um Vorschläge von Ihrer Seite zu unterbreiten, damit sich in diesen Fragen wirklich etwas bewegt.
({1})
Ganz wichtig ist erstens: Die großen Industrieländer müssen ernsthaft damit beginnen, internationale Handels- und Finanzbeziehungen aus ungeordnetem Selbstlauf wieder unter politische - und das heißt auch demokratische - Kontrolle zu bringen.
Zweitens: Sie müssen endlich mithelfen, effiziente und starke internationale Institutionen zu schaffen, um das immer größere Vakuum an politischer Handlungsfähigkeit - diese kann heute nur noch international definiert werden - zu füllen, bevor Konzerne und Finanzkapital endgültig der Politik das Handeln vorgeben.
Zum ersten Komplex: Die weltwirtschaftlichen Mechanismen müssen verbessert werden. Angesichts globalisierter Märkte und wachsender Interdependenzen, die die nationale Handlungsfähigkeit aushebeln, müssen die realwirtschaftlichen und die finanziellen Beziehungen international effizienter geordnet, stabilisiert und politisch gestaltbar werden. Dies ist im Interesse von Wohlfahrt und Beschäftigung in Industrie- und Entwicklungsländern, aber auch im Sinne anderer politischer Ziele. Denn so dringlich direkte Maßnahmen der Umweltpolitik, der Armutsbekämpfung und der Entwicklungszusammenarbeit auch sind - das Herzstück sozialer und ökologischer Politik und eines internationalen Ausgleichs ist und bleibt die weltwirtschaftliche Ordnung, und sie muß reformiert werden.
({2})
Dies gilt zunächst für den internationalen Handel. Auch nach Uruguay wird der internationale Handel gestört und verzerrt - durch Protektionismus und die Monopolmacht transnationaler Unternehmensallianzen. Mit Marktmacht, Subventionswettlauf und Korruption, die bei uns auch noch steuerlich unterstützt wird, werden Markt und Wettbewerb ausgehöhlt, werden negative soziale und ökologische Effekte ausgegrenzt.
Aber nicht nur die Praxis, auch die neoliberale Theorie - von der Sie, gnädige Frau Schwaetzer, so sehr schwärmen - ist ins Gerede gekommen. Die Gewinne des freien Handels aus komparativen Vorteilen werden durch immer höhere Kosten der Strukturanpassung aufgefressen. Die sozialen und ökologischen Folgen werden von der Betriebswirtschaft auf die Volkswirtschaften verlagert. Auch die Rechnung, daß technologische Vorsprünge der hochindustrialisierten Länder eines Tages - eines fernen Tages vielleicht - durch die Entwicklungsländer auf Grund natürlicher Standortvorteile ausgeglichen werden könnten, geht nicht auf - zumindestens für die meisten Länder dieser Welt nicht.
Für große Teile Asiens und Afrikas - also Milliarden von Menschen, und diese Bevölkerung wächst - droht eine dauerhafte weltwirtschaftliche Abkopplung. Die Folgen sind weiteres Bevölkerungswachstum, Migration, armutsbedingte Umweltzerstörung und Kriege. Die Industrieländer werden die Folgen spüren.
In Halifax könnten nun Zeichen gesetzt werden, um die Welthandels- und Investitionspolitik in eine neue Richtung zu lenken. In der Uruguay-Runde hatten vor allem die quantitativen Effekte eines deregulierten Weltmarkts im Vordergrund gestanden. Jetzt ist die Sicherung des Wettbewerbs auf diesem Weltmarkt vordringlich, sollten qualitative Wachstumsimpulse gesetzt, müssen die sozialen und ökologischen Wirkungen von Handel und Investitionen betont werden.
Die neue Welthandelsorganisation WTO stellt dafür einen neuen institutionellen Rahmen bereit. Er sollte unverzüglich genutzt werden. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel wird sich indessen erweisen, ob die Sieben angesichts ihrer schweren eigenen inneren Handelskonflikte das Mandat der WTO stärken werden oder - kaum, daß sie gegründet ist - ihre Autorität schwächen. Da, glaube ich, ist auch die Bundesregierung gefordert, ihren Einfluß geltend zu machen, daß dies nicht geschieht.
Genauso reformbedürftig wie der internationale Handel ist die internationale Finanzordnung. Die großen Industrieländer waren in den letzten 20 JahDr. Ingomar Hauchler
ren, in denen sie sich nun auf höchster Ebene treffen, nicht fähig, das internationale Währungssystem zu ordnen. Die Instabilität ist in dieser Zeit sogar gewachsen.
Die Sieben haben nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems - also nach dem Zusammenbruch des Gold-Dollar-Standards und des Regimes fester Wechselkurse Anfang der 70er Jahre - nicht nur versäumt, den internationalen Handel und die Investitionen durch kalkulierbare Währungsrelationen und durch stetigere Geldpolitik auf niedrigerem Zinsniveau zu stützen und nationales Wechselkurs-dumping zu vermeiden - dies hat übrigens der scheidende Vorstandsvorsitzende von Daimler-Benz, Edzard Reuter, gerade in diesen Tagen heftig kritisiert -, sondern die Industrieländer haben sogar durch ihre eigene Politik die Grundlagen für weiter wachsende Instabilität der Finanzflüsse, der Währungen und der Zinsen gelegt.
Nicht nur durch technologische Innovationen im Finanzsektor und zunehmende Liquidisierung von Kapitalvermögen, sondern auch durch gewollte politische Deregulierung der grenzüberschreitenden Kapitalbewegungen hat sich ein riesiges, weltweit schnell fluktuierendes Finanzkapital etabliert. Ich frage: Was ist bisher von der Bundesregierung getan worden, um hier Initiativen zu ergreifen, damit wir dies in Zukunft besser in den Griff bekommen?
({3})
Ich denke, die Bundesregierung hat sich im Gegenteil am Standortwettlauf, bei der Steigerung unkontrollierter Finanzflüsse, von Derivaten usw., beteiligt, und um Standortfragen willen hat sie ihre Verpflichtung zurückgestellt, an der Stabilisierung des internationalen Finanzsystems mitzuwirken.
({4})
Mit Tagestransfers von bis zu 1 500 Milliarden DM - das entspricht fast der Hälfte des deutschen jährlichen Bruttosozialprodukts - kann mittlerweile jede internationale oder konzertierte Notenbankintervention konterkariert werden. Spekulative Attacken gegen eine Währung können sich heute praktisch ohne effektiven politischen Widerstand selbst erfüllen und zu schwersten Belastungen für Wachstum, Beschäftigung und soziale Sicherheit führen.
Sehen Sie - die Bundesregierung - diese Gefahren nicht? Sehen Sie das nicht, oder wollen Sie das nicht sehen?
({5}) Das erste wäre schlimm, das zweite sträflich.
({6})
Die überfälligen Reformen des internationalen Finanzsystems müssen in verschiedene Richtungen gehen. Die internationalen Kapitalbewegungen müssen einer Kontrolle unterworfen werden, wenn das Gesamtsystem nicht zusammenbrechen soll. Krisen,
wie wir sie in Mexiko erleben und wie sie noch kommen werden, sollten wirklich eine Warnung sein. Ich denke nicht, daß mehrere Krisen dieser Art gleichzeitig vom Finanzsystem aufgefangen werden könnten.
Die nationalen Kreditaufsichtssysteme müssen deshalb durch ein internationales Aufsichtsregime und ein Instrument zur Dämpfung spekulativer Kapitalbewegungen ergänzt werden. Die Veränderungen von Währungsparitäten müssen, sofern sie nicht langfristig fundamentale Veränderungen relativer Preisniveaus widerspiegeln, begrenzt werden. Die Zentralbanken müssen in die Lage versetzt werden, durch schnell funktionierende Absprachen - aber auch wirklich funktionierende Absprachen - und ausreichende Reserven gezielte oder sich selbst nährende Spekulationswellen abzuwehren.
Freiwillige und bilaterale Vereinbarungen reichen dazu nicht mehr aus. Nur bindende gegenseitige Verpflichtungen und ein gezielter Einsatz von ausreichender internationaler Liquidität können der Politik den nötigen Handlungsspielraum zurückgewinnen, um das Finanzkapital aus seiner beherrschenden Rolle zu drängen und dem Geld wieder eine dienende Funktion für die Wirtschaft zu geben, wie es sich gehört
({7})
und wie es eigentlich in der gesamten Weltgeschichte verstanden wurde.
Nur haben wir heute, in unseren Tagen, eine ganz andere Entwicklung. Nicht mehr Realwirtschaft ist das Primäre, sondern die Finanzwirtschaft, und sie begrenzt oder fördert den Spielraum der realen wirtschaftlichen Verhältnisse.
Nur wenn wir also wieder Kontrolle über die internationalen Finanzflüsse gewinnen, so daß sie nicht unkontrolliert, spekulativ laufen, wird das Geld- und Währungssystem seiner Aufgabe gerecht, Handel und realwirtschaftliche Investitionen zu fördern, statt sich zu verselbständigen und die reale Wirtschaftsentwicklung zu hemmen und zu verzerren.
Nur so werden übrigens auch die einzelnen Länder - auch dieses Land - wieder in die Lage versetzt, ihre Geldpolitik zu wachstums- und beschäftigungspolitischen Zielen einzusetzen.
Der zweite Komplex: Wir brauchen effizientere und stärkere Institutionen, die gemeinsam und im globalen Interesse handeln. Der internationale Konferenzzirkus mit zahllosen sich überschneidenden Agenden, schönen, aber folgenlosen und teilweise widersprüchlichen Resolutionen hat wenig vorangebracht. Nicht nur zentrale Wirtschafts-, Sozial- und Umweltfragen, auch andere drängende Probleme blieben ungelöst, seien es die Friedenssicherung - Bosnien ist nur das traurigste Kapitel -, die Entschuldung, kriegstreibender Waffenhandel, die Eindämmung von krasser Armut und Migration. Nichts davon ist gelöst, nichts vorangebracht, auch nicht durch die Weltwirtschaftsgipfel.
Die Vereinten Nationen und die internationalen Finanzinstitutionen arbeiten nicht zusammen. Die Vereinten Nationen haben weder die Kompetenz noch
die Mittel und die Effizienz, um im globalen Interesse wirklich mitsprechen zu können. Obwohl geschwächt und verunsichert, verfolgen IWF und Weltbank eine Politik, die den globalen Herausforderungen weder konzeptionell noch institutionell gerecht wird, und hinter der neuen WTO steht noch ein großes Fragezeichen.
Und die Weltwirtschaftsgipfel der Sieben? - Sie verkleistern bisher eher innere Kämpfe um Standorte und Märkte, als daß sie eigene kurzsichtige Positionsvorteile zurückstellen und gemeinsam handeln, um ihrer globalen Verantwortung gerecht zu werden. Das geht dann nach dem Motto: Intern auf den Gipfeln oder vor den Gipfeln oder hinter den Gipfeln ein Gegeneinander der Sieben, gemeinsam und nach außen aber ein Miteinander. Das muß schiefgehen.
Die Staats- und Regierungschefs müssen in Halifax Anstöße zu einer wirklichen Reform der internationalen Institutionen geben. Sie sollten erkennen, daß sie sich auch im wohlverstandenen eigenen Interesse in ein internationales System einordnen müssen, das wirklich ein globales Gewissen und auch ein globales Wissen repräsentiert.
Die Vereinten Nationen müssen ihre Kompetenz auf Wirtschafts-, Sozial- und Umweltfragen erweitern und gleichzeitig ihre Effizienz wesentlich verbessern. Mehr Kompetenz und Effizienz sind aber nicht zu erreichen, wenn die Finanzmittel weit hinter den Aufgaben zurückbleiben und ein großes Industrieland, wie jetzt die USA, sich Schritt für Schritt aus den internationalen Institutionen finanziell zurückzieht.
Man kann nur hoffen - das ist ein Appell an die Bundesregierung -, daß andere Industriestaaten wie die Bundesrepublik diesem schlechten Beispiel nicht folgen. Allerdings stehen die Zeichen auch dafür schlecht, wenn ich betrachte, welche Politik gegenüber dem Lomé-Abkommen geplant ist - Kürzungen zumindest im realen Bereich -, und wenn ich bedenke, daß darüber gerätselt wird, ob man den USA folgen sollte, auch bei IDA, also dem Fonds der Ärmsten, und der Weltbank zu kürzen. Das wäre, denke ich, ein unverantwortlicher Rückzug der Bundesregierung aus der Verantwortung.
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Drei konkrete Forderungen müssen erfüllt werden, um die Vereinten Nationen zu stärken - ich kann hier natürlich nur das Wichtigste nennen -: Neben dem Sicherheitsrat muß in der UNO ein Wirtschafts- und Umweltrat gebildet werden, der mit den BrettonWoods-Institutionen verzahnt wird.
Die UNO-Organisation muß gleichzeitig transparenter, kohärenter, aber auch schlanker werden. Und: Die Vereinten Nationen müssen Zugang zu einer eigenständigen Finanzierungsquelle gewinnen. Denn dies ist ein Test, ob die internationale Staatengemeinschaft ein Forum, eine Organisation gewinnt, die nicht von dem Willen und den Finanzen der großen Industrieländer abhängig ist und erpreßbar ist.
Wenn dies nicht geschieht, wird diese Weltgemeinschaft nie zu einer Institution zusammenwachsen können, die im gemeinsamen globalen Interesse eine Politik zum Teil auch gegen kurzfristige Interessen der Industrieländer durchführen kann.
Der Internationale Währungsfonds muß auf seine ursprünglichen Aufgaben zurückgeführt werden. Er soll sich aus der Entwicklungsfinanzierung zurückziehen und sich auf die Stabilisierung des Währungs- und Finanzsystems konzentrieren. Er muß zum Zentrum einer internationalen Kreditaufsicht werden. Er muß die Fähigkeit zur Abwehr realwirtschaftlich nicht fundierter Wechselkursschwankungen gewinnen. Weiterhin muß er zur Stabilisierung von Zahlungsbilanzen, Wechselkursen und Zinsen gleichermaßen Überschuß- und Defizitländer, kleine wie große Länder, Entwicklungs- wie Industrieländer verpflichten können.
Die Weltbank muß sich aus den punktuellen Großprojekten zurückziehen und sich darauf konzentrieren, die Fähigkeit ihrer Mitgliedsländer zu stärken, sich wirtschaftlich, sozial und ökologisch eigenständig zu entwickeln. Ihre Programme müssen mit den Aufgaben der Vereinten Nationen verzahnt werden.
Nicht so sehr Produktion und materielle Infrastruktur, sondern deren eigentliche Basis, also Bildung und Technologie, Systeme der sozialen und ökologischen Sicherheit und eine rationale Wirtschaftspolitik müssen Schwerpunkte in der Arbeit der Weltbank werden.
Darüber hinaus muß die Weltbank auch hinsichtlich ihrer eigenen Kredite daran mitwirken, ein Regime zur strukturellen Entschuldung der hochverschuldeten Entwicklungsländer voranzubringen.
Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsgipfel in Halifax ist eine neue Chance, Fortschritte auch in diesen Fragen einzuleiten. Dies wird aber nur gelingen, wenn die großen Industrieländer auch ihre eigene Koordination auf eine solidere Grundlage stellen.
Dazu gehört, daß die Weltwirtschaftsgipfel besser vorbereitet werden, daß ihre Beschlüsse und Vereinbarungen - es sind im Grunde nur Vereinbarungen - konkretisiert und besser ausgearbeitet werden. Dazu gehört auch, daß in regelmäßigen Abständen ein Gipfeltreffen vereinbart wird, auf dem alle Weltregionen adäquat vertreten sind.
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Nicht nur Rußland, sondern eine repräsentative Vertretung aller Weltregionen gehört mit den großen Industriestaaten regelmäßig an einen Tisch.
Meine Damen und Herren, die bisherigen Weltwirtschaftsgipfel waren keine Glanzpunkte internationaler Koordination. Die großen Industrieländer haben nicht genügend Verantwortung gezeigt, gemeinsam zu handeln, gemeinsam im globalen Interesse. Es kann nur besser werden.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Professor Dr. Faltlhauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Herr Kollege Hauchler, wir sind uns in manchen Fragen näher, als Sie hier durch einige sehr überzogene Spitzen deutlich machen wollten. Selbstverständlich sind wir für effektivere internationale Institutionen. Die Effektivität internationaler Institutionen erhöht man jedoch mit Sicherheit nicht dadurch, daß man den Geldbeutel aufmacht und noch mehr Geld zur Verfügung stellt, sondern indem man kritischer prüft, ob das vorhandene Geld wirklich nutzbringend und zielgerichtet aufgewendet wird.
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Wir sind uns auch sicherlich einig, daß manches, was an hehren Zielvorstellungen vor mancher internationalen Konferenz formuliert wurde, besser, zeitnäher und wirksamer in den Ländern umgesetzt werden muß. Dies ist doch im wesentlichen keine Aufgabe dieser internationalen Zusammenkünfte wie jetzt in Halifax; das ist die Aufgabe der nationalen Regierungen und Parlamente.
Ich glaube, wir müßten uns einmal darüber unterhalten, was eigentlich eine derartige internationale Konferenz, eine G-7-Konferenz, kann. Sie ist keineswegs ein weltweites Koordinierungsgremium. Dies wäre ein völlig unrealistischer Ansatz, der zum Scheitern verurteilt wäre und letztlich auch nicht mit dem Demokratieverständnis der Teilnehmer zusammenpaßt.
Es wird in Halifax wie schon bei den vergangenen Gipfeltreffen darum gehen, auf höchster politischer Ebene einen offenen und vertrauensvollen Meinungsaustausch zu zentralen wirtschaftlichen Fragen zu führen. Ziel ist es, durch die Entwicklung gemeinsamer Analysen und Strategien Anstöße für Problemlösungen zu geben, die anschließend in den kompetenten Entscheidungsgremien weiter diskutiert und dort gegebenenfalls umgesetzt werden. Anstöße, keine fertigen Lösungen gewissermaßen aus dem Zauberhut der Mächtigen! Clinton und Kohl kamen, sahen und machten - das ist eine naive Vorstellung von den Machbarkeiten und der Komplexität der Probleme.
Die Gipfeltreffen der letzten Jahre
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- da unterscheide ich mich in der Einschätzung deutlich von Ihnen, Herr Kollege Hauchler - haben wichtige Impulse für die Lösung zentraler Fragen der internationalen Politik gegeben.
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Es geht nicht immer, daß man millimetergenau überprüft, ob das Ziel tatsächlich erreicht wurde. Sie müssen sich in der Politik stets die Frage stellen: Was wäre die Alternative gewesen, wenn diese Zusammenkunft der G 7 nicht stattgefunden hätte? Das ist doch die eigentliche Frage.
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Ich verweise insbesondere auf die Initiativen, die in den letzten Jahren von den Gipfeln zu den Themen Handelspolitik - da ist durchaus etwas geschehen -, Eingliederung der Reformstaaten aus Mittel- und Osteuropa sowie der früheren Sowjetunion in das internationale Handels- und Währungssystem - da ist ebenfalls etwas Konkretes geschehen - und Umweltpolitik - auch da ist Wesentliches angestoßen worden - ausgingen.
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Herr Kollege Hauchler, Sie sagten z. B., wir müßten die Internationale Finanzordnung neu hinbekommen und das sei eine Aufgabe von G 7.
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Die Grundlage des Währungssystems, das uns gemeinsam Sorge macht, ist die wirtschaftliche Lage in den einzelnen Ländern.
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Die Vorstellung, die Sie hier zu verbreiten versuchen, daß man gewissermaßen durch politische Willensbildung von oben herab das Währungssystem draufpappen kann, genau das ist in der Vergangenheit das Katastrophale gewesen. Warum ist es z. B. beim EWS mit dem englischen Pfund schiefgegangen? Weil man aus politischen Gründen eine viel zu hohe Bewertung des Pfunds angesetzt hat.
Die Erfahrung, die gerade wir Europäer mit dem EWS gemacht haben, zeigt in dramatischer Weise, daß alle politischen Festsetzungen, die an den wirtschaftlichen Grunddaten in den einzelnen Ländern vorbeigehen, scheitern müssen und für internationale Währungsturbulenzen gewissermaßen verstärkend wirken.
Das Beispiel Mexiko, das Sie gebracht haben, Herr Kollege Hauchler, ist doch nicht das Problem der internationalen Organisationen. Die internationalen Organisationen haben gut darauf reagiert - vielleicht hätten sie früher reagieren können, das ist eine unserer Zielvorstellungen. Nur ist dort national wirtschaftspolitisch ein massiver Fehler bzw. ein Fehler nach dem anderen gemacht worden. Es gibt nationale Defizite, die durch politische Institutionen, durch Zusammenkünfte der G 7 nicht reparierbar sind. Das wäre eine Illusion.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hauchler?
Aber selbstverständlich.
Herr Staatssekretär, wollen Sie damit sagen, daß die großen Spekulationswellen, die wir erleben und die ganze Währungen, Wachstum und Investitionen gefährden können, ausschließlich mit einer Veränderung wirtschaftlicher Grunddaten zu tun haben?
Ich bin überzeugt davon, daß die entscheidenden Ursachen dieser komplexen Frage tatsächlich mit Divergenzen der wirtschaftlichen Grunddaten der verschiedenen Lander zusammenhängen. Dies ist der Ausgangspunkt.
Erst von diesem Ausgangspunkt aus bewegen sich die Finanzmärkte, und dann gibt es eine Multiplikatorwirkung durch spekulative Vorgänge, die, zugegeben, durch Instrumente wie Derivate in größerem Umfang verstärkt werden.
Wenn ich schon beim Stichwort Derivate bin, das Sie ja auch aufgegriffen haben, sage ich: Auch in der Bundesrepublik Deutschland werden diese Instrumente genutzt, wo sie notwendig sind. Diese Derivate sind ja nicht des Teufels. Sie sind nicht generell abzulehnen; das tun Sie Gott sei Dank auch nicht. In der Bundesrepublik Deutschland werden diese Instrumente besonders sorgfältig und gut überwacht. Wir haben wiederholt gesagt, daß wir diese Überwachung nicht aufgeben, daß wir permanent dranbleiben wollen.
Von diesem Land geht also Beispielhaftes aus, wie wir im übrigen auch in einer sehr ausführlichen Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion deutlich gemacht haben.
Meine Damen und Herren, das zentrale Thema auf dem Gipfel in Halifax ist traditionell die Lage der Weltwirtschaft. Hier werden wir im Gegensatz zu früheren Jahren eine insgesamt sehr positive Bilanz ziehen können. Die Weltwirtschaft befindet sich auf einem soliden Wachstumspfad. Erfreulicherweise beschleunigt sich das Wachstum mehr und mehr auch in den Entwicklungsländern, während sich die Anzeichen für eine Stabilisierung in den Transformationsländern verstärken.
Die Preisentwicklung bleibt weltweit unter Kontrolle. Die Inflationsrate in den Industrieländern ist gegenwärtig so niedrig wie zuletzt Anfang der sechziger Jahre. Diese schlichten Daten, Kollege Hauchler, widersprechen ganz deutlich Ihrem dunklen bis schwarzen Horrorszenario.
Insgesamt bestehen damit gute Voraussetzungen für eine Fortsetzung des weltweiten Aufschwungs. Dieses Bild bestätigt die mittelfristige Strategie, für die sich die Bundesregierung, oft gegen den Widerstand von außen, aber auch von innen und von Ihnen, international immer wieder nachhaltig eingesetzt hat. Die mittelfristige Strategie ist jetzt unumstritten Richtschnur der Wirtschaftspolitik der G-7-Länder.
Die Bundesrepublik braucht sich in Halifax nun wirklich nicht zu verstecken. Ganz im Gegenteil, Deutschland steht heute bei den zentralen volkswirtschaftlichen Meßziffern an der Spitze aller G-7-Länder, und dies - ich betone das ausdrücklich - trotz der außergewöhnlichen Anspannungen und Sonderbelastungen, die wir mit der wirtschaftlichen Integration der neuen Bundesländer zu bewältigen hatten. Das hätte kein Experte gedacht. Die Daten sind im Vergleich mit anderen Ländern auch bei dieser Ausgangslage hervorragend.
Die deutsche Wirtschaft hat die Folgen der Rezession eindeutig überwunden. Mit einem Wachstum von gut 3 % in diesem und wohl auch im nächsten Jahr liegen wir mit an der Spitze der G-7-Länder.
Besonders deutlich werden die Erfolge der Stabilitäts- und Konsolidierungspolitik der Bundesregierung im Bereich der Haushaltspolitik, obwohl wir - das darf ich auch hier sagen - die besonderen Aufgaben der neuen Bundesländer bewältigen mußten. Dies wird international von unseren Partnern und von den internationalen Finanz- und Wirtschaftsorganisationen anerkannt.
({0})
Allerdings würde ich bei einzelnen Daten nicht sagen, sie seien Anlaß zum Jubeln, wenn wir z. B. in der Gesamtverschuldung knapp unter 60 % sind. Wir erfüllen dieses Maastricht-Kriterium; aber zum Jubeln ist da kein Anlaß. Wir müssen uns weiterhin anstrengen, daß der Gesamtprozentsatz weiterhin nach unten geht.
({1})
Sorge bereiten uns die hohe Arbeitslosigkeit und in diesem Zusammenhang insbesondere die strukturellen Probleme auf den Arbeitsmärkten. Dieses Thema stand in den letzten Jahren im Mittelpunkt der G-7-Treffen. Auf der Beschäftigungskonferenz in Detroit im vergangenen Jahr haben wir verschiedene Ansatzpunkte für strukturelle Arbeitsmarktreformen und für eine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte umrissen. Es kommt darauf an, diese Maßnahmen jetzt national umzusetzen.
Die Bundesregierung steht auch hier im internationalen Vergleich gut da. Ich sage nur: 3-MilliardenDM-Programm, durch das rund 180 000 Langzeitarbeitslose in die Beschäftigung zurückgeführt werden, und Maßnahmen zur Flexibilisierung auch der Arbeitszeit. Gerade hier müßte uns die Opposition stärker helfen, damit wir Vorhaben umsetzen können, so wie Sie es theoretisch und allgemein verlangen.
({2})
Auch das gehört zum Thema. Sie können nicht sagen: „Sie haben hehre Grundsätze, aber wo bleibt die Umsetzung", während Sie uns dann, wenn wir unsere Vorhaben umsetzen wollen, in den Arm fallen. Das ist die falsche Konsequenz.
Ein stabiles wirtschaftliches Umfeld ist gleichzeitig der einzige tragfähige Weg, um zur Stabilität in den internationalen Finanz- und Devisenmärkten zu kommen. Ich habe meine Anmerkungen hierzu schon gemacht.
Ich will nur noch eine Anmerkung zu der Tobin-Steuer machen, die auch Herr Kollege Jens aufgegriffen hat. Da bekommt der Finanzpolitiker wirklich leuchtende Augen, wenn er von derart großen Summen - wie Sie, Herr Hauchler, sie genannt haben -, die man da abkassieren könnte, hört. Wenn man da nur kleine Prozentsätze draufsetzt, dann werden alle Nationen reich. Wunderschön! Das ist eine schöne Steuer.
Es ist aber natürlich schlichter Unsinn. Denn wenn Sie die Steuer in einem Land erheben, werden die Kapitalspekulationen im Nachbarland gemacht. Und wenn das Nachbarland die Steuer ebenfalls erhebt, dann geht man in ein drittes Land. Nur wenn die Gesamtheit aller Staaten ohne Ausnahme eine derartige Steuer erheben würde, hätten Sie mit Ihrer Steuer Erfolg.
({3})
Ansonsten ist es eine völlig abstruse Vorstellung, diese Steuer zu erheben.
Wir müssen die internationalen Finanzinstitutionen, IWF und Weltbank stärken. Hier ist insbesondere wichtig, daß das marktwirtschaftliche Denken in diesen Institutionen völlig unbestritten ist, ebenso wie in Europa. Das war vor zehn, fünfzehn Jahren noch nicht der Fall. Ich glaube, daß wir die Stärkung nicht nur mit höheren Margen und mehr Geld erreichen können, sondern auch durch eine Effektivierung dieser Institutionen. Insgesamt glaube ich, daß diese Institutionen wirklich erfolgreich sind.
({4})
Wir haben nicht nur multilateral sehr viel im Rahmen dieser Institutionen getan, sondern auch bilateral durch eine Reihe von Schuldenerlassen gegenüber den am wenigsten entwickelten Ländern und zwar in einem Umfang, der im internationalen Geschäft beispielgebend ist.
Ich glaube, für Halifax gilt: Nur im Geiste der Kooperation wird es auch künftig gelingen, die internationalen Probleme zu lösen. Die Bundesregierung wird dazu auch in Halifax ihren Beitrag leisten.
({5})
Ich erteile dem Abgeordneten Wolfgang Schmitt das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Äußerungen des Staatssekretärs Faltlhauser entlarven ihn als eine Art provinziellen Bedenkenträger. Als provinziell entlarven sie ihn deswegen, weil er sich darauf beschränkt hat, die ökonomische Situation Deutschlands gutzureden, während wir intendiert haben, in dieser Debatte über globale Wirtschaftszusammenhänge zu reden. Als Bedenkenträger hat er sich insofern hervorgetan, weil er die Tobin-Steuer, sicherlich mit vielen Fragezeichen zu versehen, mit einem Federstrich für erledigt erklärt hat. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wenn solche Art des Bedenkentragens in der deutschen Wirtschaft um sich greifen würde, dann wäre es um die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft schlecht bestellt.
({0})
Die Gruppe der Sieben wird sich auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Halifax mit der Reform der internationalen Finanzinstitutionen und Entwicklungsinstitutionen, den sogenannten Bretton-Woods-Organisationen, beschäftigen. Das ist das Thema, um das es heute geht.
Herr Kollege Schmitt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Faltlhauser?
Gerne.
Darf ich Sie als weltweit gebildeten und nicht provinziell denkenden Kollegen, der Sie sind, fragen, wie Sie es verantworten wollen, die internationale Wirtschafts- und Währungsordnung in all ihren Schwierigkeiten zu koordinieren und zu verbessern, wenn man die nationalen Grundlagen, für die wir Verantwortung tragen, nicht präzise und so erfolgreich wie die Bundesrepublik Deutschland sicherstellt?
Ich kann Ihnen nur recht geben, wenn Sie mit mir der Auffassung sind, daß für ein stabiles Weltwirtschaftssystem zunächst einmal die einzelnen Akteure in der Weltwirtschaft ihre ökonomischen Hausaufgaben zu machen haben. Ich gebe Ihnen insofern auch recht, daß auf seiten der G 7, allerdings Deutschland eingeschlossen, noch einiges zu tun ist. Wir sollten nicht ruhen, die Dinge, die wir jeweils zu Hause zu erledigen haben, auch zu erledigen.
Aber das darf nicht dazu führen, daß wir die weltweite Perspektive aus den Augen verlieren. Es gibt immerhin noch Millionen, ja Milliarden von Menschen, die an dem Wohlstand, den wir hier genießen dürfen, nicht partizipieren. Deswegen sei es uns doch erlaubt, auch die entwicklungspolitische Relevanz weltwirtschaftlicher Prozesse hier mit in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen.
({0})
Die Frage, um die es in Halifax u. a. gehen wird, ist im Abschlußkommuniqué des letzten Weltwirtschaftsgipfels so formuliert worden:
Wie können wir sicherstellen, daß die Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts für nachhaltige Entwicklung mit guten Arbeitsplätzen, wirtschaftlichem Wachstum sorgt, um die Prosperität und das Wohlergehen unserer Völker und der Welt zu fördern?
So das Leitmotiv für den bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel in Halifax. Wenig später wird dann die Frage nach den damit verbundenen institutionellen Veränderungen gestellt. Dazu haben wir bislang von der Bundesregierung nichts gehört.
Wir GRÜNEN sagen: Die Vertreter der G 7 allein werden dieser Vorstellung überhaupt nicht gerecht. Es ist ein politischer Anachronismus, daß zwei Drittel der Welt von Verhandlungen ausgeschlossen sind, die ihrem Anspruch nach die Rahmenbedingungen für die internationale Wirtschafts-, Handels- und Geldpolitik zu beeinflussen vorgeben.
Wann, wenn nicht jetzt nach dem Ende des kalten Krieges, wird die Realität einer multipolaren Welt antizipiert, und was heißt das hinsichtlich neuer Formen internationaler Kooperation? Wie wollen die „Gipfelchefs" eigentlich rational begründen, daß weder die sogenannten „emerging economies" wie Brasilien, Indonesien und Malaysia noch so bevölkerungsreiche Staaten wie beispielsweise Indien vertreten sind? Was wird aus der restlichen Welt? Ist es erfolgversprechend, wenn weder die Vereinten Nationen noch andere Mitgliedsländer von IWF und Weltbank an dem Beratungsprozeß teilhaben können, dessen Ergebnisse möglicherweise von großer Tragweite sind?
Nein, dieser Gipfel wird nur sehr eingeschränkt eine reformorientierte, demokratische Debatte über die Zukunft der internationalen Finanzinstitutionen stimulieren.
Nun kann man ja der Meinung sein, daß außer der freudigen Aufnahme von Jacques Chirac in den exklusiven Klub bei diesem Treffen eh nicht viel herauskommen wird. Den gleichen Eindruck mag man gewinnen, wenn man die Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage zum Weltwirtschaftsgipfel in Halifax studiert. Da heißt es tatsächlich:
Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, IWF und Weltbank haben in der Vergangenheit flexibel auf neue Herausforderungen reagiert.
({1}) - Jetzt kommt es!
Die Bundesregierung sieht deshalb keinen Anlaß für ein grundlegendes Reform- bzw. Erneuerungskonzept.
Ich frage Sie: Warum haben Sie dann dieser Tagesordnung für Halifax zugestimmt, wenn Sie keinerlei Anlaß für eine Reformdiskussion sehen?
Meine Damen und Herren, wir erleben momentan eine explosionsartige Ausweitung der Weltwirtschaft. Die Zahl der unabhängigen Staaten seit Gründung von IWF und Weltbank hat sich vervierfacht. Wir erleben atemberaubende Fortschritte auf dem Gebiet der Kommunikationstechnologien. Das Auftreten multinationaler Konzerne, der „global players", gewinnt an Bedeutung. Die Verschuldung ist für viele Entwicklungsländer noch immer eines der zentralen Entwicklungshemmnisse.
Weltbank und IWF zeigen erst jüngst wieder in dem höchst sensiblen Bereich des Verkehrssektors, daß sie verstärkt an Stelle umweltfreundlicher Verkehrssysteme Maßnahmen unterstützen, die die öffentlichen Verkehrssysteme untergraben, z. B. in Ungarn, wo der Internationale Währungsfonds die Hälfte aller Eisenbahnstrecken stillegen will und den Straßenbau forciert, und das Ganze unter dem Signum der Strukturanpassung. Die Bundesregierung sieht jedoch keinen dramatischen Handlungsbedarf bei der Reform der internationalen Finanzinstitutionen. Das kann doch nicht wahr sein.
Im amerikanischen Kongreß tobt die Debatte über Sinn und Nutzen der internationalen Organisationen und insbesondere deren Finanzierung. Nichtregierungsorganisationen haben unter dem Motto „50 Jahre sind genug" vehement gegen den Ist-Zustand von IWF und Weltbank protestiert. Im Bundestag ist der Erfolg multilateraler Entwicklungszusammenarbeit auch in Ihren Reihen höchst umstritten, damit auch der finanzielle Beitrag, den die Bundesrepublik zum Erhalt dieser Institutionen zu leisten hat. Die Weltbank sieht sich genötigt, mit einer großangelegten Werbekampagne auf diese Kritik zu reagieren.
Der Bundestag hat mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen - jetzt hören Sie einmal zu! - einen Antrag zur Reform der Weltbank verabschiedet, für dessen Umsetzung aber noch nichts getan worden ist. Und dann bekommt man allen Ernstes die Antwort, es bestehe kein Handlungsbedarf bei der Reform von IWF und Weltbank.
Ich gehe weiter: Die Strukturanpassungsprogramme insbesondere bei IWF und Weltbank sind in den letzten Jahren schärfster Kritik ausgesetzt. Man sagt, sie hätten eher zur Verschärfung der Armut weiter Bevölkerungskreise in den Entwicklungsländern beigetragen als zu deren Überwindung.
Die Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds hat eine Neudefinition ihrer Aufgaben beraten. Ihr Direktor warnte vor weiteren „Mexikos", forderte neue Instrumente der Einflußnahme, deren es nach Ansicht der Bundesregierung nicht bedarf.
Die Bundesregierung antwortet auf unsere Fragen nach ihrer Strategie für Halifax zusammengefaßt mit einem schlichten „ Weiter so!".
Auf die Frage nach der Verschuldungssituation der Entwicklungsländer antwortet die Bundesregierung, diese sei kein globales Problem und lasse sich im Rahmen der bestehenden Mechanismen lösen - unseres Erachtens eine völlige Fehleinschätzung der Schuldensituation vieler Entwicklungsländer, die wahrscheinlich auch von den Entwicklungspolitikern
der Koalitionsfraktionen so nicht geteilt wird. Der Parlamentarische Staatssekretär Hedrich beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung z. B. verweist im Zusammenhang mit den Diskussionen über die weitere Entschuldung auf dem Weltsozialgipfel auf den, wie er sagt, „psychologischen Erfolg", das Problem der multilateralen Schulden deutlich gemacht zu haben. Also selbst in Ihren Reihen gibt es Kolleginnen und Kollegen, die unsere Problemsicht zumindest teilweise teilen.
Die Gruppe der Sieben sollte sich auf ihrem Gipfel der Tatsache bewußt werden, daß ohne die Bereitschaft zur gemeinsamen Umsetzung eines globalen Entschuldungsprogrammes, das alle Gläubigergruppen umfaßt, also auch die multilateralen Finanzinstitutionen, für viele Entwicklungsländer kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist.
Wie soll z. B. ein Land wie Nicaragua mit einer Verschuldung, die dem Erlös von 50 Exportjahren entspricht, je wieder Boden unter den Füßen gewinnen ohne die Bereitschaft, über eine weitreichende Schuldenstrategie zu verhandeln?
Der Erlaß der Forderungen von IWF und Weltbank zumindest gegenüber den sogenannten hochverschuldeten ärmsten Ländern bedürfte eines Anstoßes, eines Zeichens der G-7-Teilnehmer, eine solche Strategie zu unterstützen.
Ich will den Bogen zur Internationalen Entwicklungsagentur, der IDA, schlagen. Mit der Einbringung unseres Antrages wollen wir zwei Dinge erreichen: erstens, daß wir als Parlamentarier über die Verwendung der Mittel der Entwicklungszusammenarbeit, die immerhin den größten Einzelposten im multilateralen Bereich des Einzelplanes 23 ausmachen, informiert werden, und zweitens, daß wir die Internationale Entwicklungsagentur dazu bringen, ihre Politik in bestimmten Fragen zu ändern, da erheblicher Zweifel an deren entwicklungspolitischem Nutzen besteht.
Herr Kollege Schmitt, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Faltlhauser?
Bitte.
Herr Kollege, Sie haben in Ihrer Rede gerade aus einer Antwort auf eine Anfrage der Abgeordneten Schmitt, Eid und anderer vom 29. Mai zitiert. Sie haben dabei, wie ich sehr gut mitgehört habe, gesagt, daß wir, also die Bundesregierung, geantwortet hätten, die umfangreichen Studien von IWF und Weltbank belegten, daß die Verschuldung kein globales Problem darstelle.
Ich darf Ihnen, wenn Sie gestatten, das Originalzitat vorlesen:
Die umfangreichen Studien von IWF und Weltbank belegen, daß die Verschuldung gegenüber
den internationalen Finanzinstitutionen kein globales Problem darstellt, sondern auf Einzelfälle beschränkt ist.
Meinen Sie nicht, daß Ihr Zitat in diesem Hause eine drastische Verfälschung darstellt? Würden Sie angesichts des Originalzitats Ihre Anschuldigung gegenüber der Bundesregierung zurücknehmen?
Herr Kollege, ich bin nicht bereit, meine Anschuldigung zurückzunehmen, weil ich trotz allem glaube, daß Sie gemeinsam mit IWF und Weltbank der Auffassung sind, daß es sich um lokale und lokal regelbare Probleme handelt. Ich bin mit meiner Fraktion der Meinung, daß sich selbst dann, wenn es sich um ausgewählte Ländergruppen handelt - da haben Sie mit Ihrer Beantwortung sicherlich recht -, die möglichen Folgen einer dramatisierten Schuldenkrise insbesondere in Afrika nicht auf den afrikanischen Kontinent werden beschränken lassen. Die Spätfolgen einer solchen Politik werden z. B. in Gestalt eines erhöhten Migrationsdrucks auch in Europa zu spüren sein. In diesem Sinne behaupte ich weiterhin, daß es sich um globale Auswirkungen handelt, die Sie bei der Art und Weise Ihrer Beantwortung nicht ins Blickfeld genommen haben.
({0})
Gerade vor dem Hintergrund der internationalen Kritik an der multilateralen Zusammenarbeit bietet sich im Rahmen der elften Wiederauffüllung der IDA die Möglichkeit zu überprüfen, welche Forderungen der vorangegangenen Runden erfüllt worden sind und welche nicht. Die Bundesregierung ist in der Pflicht, zu bewerten, ob die IDA ihren eigenen Kriterien der Entwicklungszusammenarbeit, die ich wegen der Kürze der Zeit hier nicht wiederholen will, folgt oder nicht.
Ein letzter Punkt, den ich bereits im Zusammenhang mit der Schuldenfrage angesprochen habe, muß auch bei der Reform der IDA angeführt werden: Es ist aus unserer Sicht absolut inakzeptabel, daß 60 % der konzessionären Mittel, also der besonders günstigen Kreditleistungen der IDA, nur dem Zweck dienen, andere Kredite zurückzuzahlen. Wir halten dies für einen Mißbrauch. Wenn entwicklungspolitisch einzusetzende Mittel lediglich die Finanzausstattung dieser beiden multinationalen Finanzinstitutionen verbessern, werden die besonders hoch verschuldeten armen Länder nicht in den Stand versetzt, ihre eigenen infrastrukturellen Probleme zu lösen. Die Gewährung dieser Mittel dient dann nur dazu, die verfehlte Kreditvergabepolitik der internationalen Finanzinstitutionen in den vergangenen Jahren zu kompensieren. Wir halten das für eine mißbräuchliche Verwendung der Mittel.
Ich komme zum Schluß: Auch diejenigen, die die Internationale Entwicklungsagentur, die IDA, aus entwicklungspolitischer Sicht weiterhin für wichtig halten, verlieren langsam die Geduld und werden auf eine schnelle Umsetzung der von mir skizzierten Reformen drängen.
Ich danke Ihnen.
({1})
Herr Kollege Schmitt, das war Ihre erste Rede in diesem Haus. Deswegen möchte ich Ihnen dazu traditionsgemäß gratulieren.
({0})
- Das ist natürlich ein besonderer Anlaß, Ihnen die Glückwünsche dieses Hauses auszusprechen.
({1})
Ich erteile nun der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Weltwirtschaftsgipfel in Halifax wird in der Tat in einem günstigen Klima stattfinden - in jedem Sinne dieses Wortes. Die Expansion der Weltwirtschaft ist robust, Produktion und Nachfrage nehmen kräftig zu. Dabei sind wir weit davon entfernt, Risiken zu unterschätzen, die sich z. B. aus den Instabilitäten der Devisenmärkte ergeben. So weit, so gut.
Womit ich heute allerdings nicht gerechnet hatte, ist, daß wir hier eine Grundsatzdebatte zwischen den Befürwortern des Marktes und den Skeptikern würden führen müssen. Ich dachte eigentlich, das hätten wir schon überwunden.
({0})
- Wenn Sie das nachlesen, werden Sie feststellen, daß der Herr Kollege Hauchler ein Musterbeispiel dafür war.
Das Hauptthema in Halifax wird Wachstum und Beschäftigung sein; denn immerhin ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit weltweit das Thema Nummer eins. Das muß es auch bleiben. Dabei stehen ganz oben auf der Liste dessen, worüber Einvernehmen erzielt werden soll, interne Reformen, die vor allen Dingen die inneren, die strukturellen Probleme der Industriestaaten angehen sollen. Das, meine Damen und Herren, ist besonders wichtig.
Ich habe - hier greife ich noch einmal das auf, was Sie eben bezweifelt haben - mit wachsender Verwunderung, Herr Hauchler, Ihren Traum von der institutionellen Machbarkeit der Weltwirtschaft gehört. Der Kollege Schmitt hat sich hier angeschlossen.
({1})
Ich bin sehr sicher, daß dies die Probleme nicht löst.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hauchler?
Bitte.
Frau Kollegin Schwaetzer, ist Ihnen als einer Liberalen bekannt, daß der Markt erstens institutionelle Rahmenregelungen braucht und daß zweitens der internationale Markt diese Regelungen nicht hat, wie wir sie etwa mit dem Wettbewerbsrecht national haben? Wie kommen Sie also dazu, mir zu unterstellen, ich würde eine institutionelle Regelung der Weltwirtschaft wollen? Das ist überhaupt nicht der Fall. Ich möchte, daß marktwirtschaftliche Verhältnisse endlich auch weltwirtschaftlich gelten, so wie es bei uns ist.
({0})
Lieber Herr Hauchler, ich habe Ihren Antrag gelesen. Die Forderung Nummer eins in Ihrem Antrag ist die Einrichtung eines neuen Gremiums, eines Beschlußgremiums, das exakt die Probleme wiederholen würde, die wir heute mit den bereits existierenden internationalen, multilateralen Gremien haben, und das mit Sicherheit - angewendet auf wirtschaftliche Probleme - die Weltwirtschaft nicht fördern, sondern im Gegenteil weiter behindern würde.
({0})
Zum Thema Wachstum und Beschäftigung: Für die Lösung des Hauptproblems der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wird Halifax auch - damit rechnen wir fest - noch einmal die Fortführung der multilateralen Handelsliberalisierung auf die Tagesordnung nehmen. Natürlich ist es richtig, daß die Arbeitsgruppen, die zur Umsetzung der Uruguay-Runde in der Welthandelsorganisation ihre Arbeit aufgenommen haben, möglichst rasch auch die für die Entwicklungsländer vorteilhaften Regelungen umsetzen müssen. Aber genauso richtig ist auch, daß nicht die Handelsliberalisierung das Problem ist, sondern daß in den Ländern, die zum Ziel von Finanzspekulationen werden, in vielen Fällen mangelnde interne Stabilisierung und mangelnde interne Abstimmung ein Problem ist.
Deswegen kann es hier nicht darum gehen, neue Institutionen zu schaffen. Es kann auch nicht darum gehen, neue Steuern zu erfinden. Das ist natürlich sehr populistisch und klingt wunderbar: 1,5 Billionen US-Dollar durch eine simple - ({1})
- Nein, Dollar; in der Realität wird es weniger sein, aber die ersten Berechnungen beliefen sich auf Dollar. Das klingt ja ungeheuer gut. Es ist viel besser als eine Gelddruckmaschine.
({2})
Was Sie allerdings nicht berücksichtigt haben, ist zum einen, daß damit eine Bürokratie geschaffen werden müßte, die völlig unübersehbar ist, und daß zum anderen natürlich, wie immer, die Mechanismen greifen würden, um diese Steuern zu vermeiden. Also: Neue Steuern, so populär sie manchmal sein können, gerade wenn sie an die angeblich großen Kapitalsummen herangehen, sind nicht die Lösung.
({3})
Deswegen sind sie auch nicht das, was auf dem Weltwirtschaftsgipfel beschlossen werden muß.
Weil Sie, Herr Schmitt, nachgefragt haben, was die Bundesregierung mit dem Weltwirtschaftsgipfel eigentlich will, sage ich Ihnen: In der Tat ist es notwendig, sich kontinuierlich zu überlegen, wie die Effizienz von Gremien ist. Aber ich unterstreiche ausdrücklich: Wir wollen ein solches Gremium, das klein ist. Wir wollen ein Gremium, das sich im Konsens auf Strategien festlegt, die dann in erster Linie national umzusetzen sind, d. h. die auch von der Selbstverpflichtung und von der Eigenverantwortung ausgehen. Ein solches Gremium ist die richtige Antwort auf die Interdependenz dieser Welt. Wir wollen ein kleines Gremium, weil in einem größeren Gremium Ineffizienz wieder in den Vordergrund rücken würde und auch noch mehr innenpolitische Probleme die Oberhand gewinnen würden. Weshalb wird denn in den USA über die Entwicklungspolitik so diskutiert? Weil sich die Mehrheit im Kongreß geändert hat und dort Tendenzen zu spüren sind, die nicht die weltweite Verantwortung der Vereinigten Staaten wahrhaben wollen, nicht etwa in erster Linie wegen der Ineffizienz der Bretton-Woods-Institutionen, über die sicherlich auch zu reden sein wird.
Die Entwicklungspolitik wird ein wichtiges Thema in Halifax sein. Zentrale Punkte im Kommuniqué sind: Armutsbekämpfung, nachhaltige Entwicklung. Halifax wird unterstreichen, daß die Basis einer nachhaltigen Entwicklung Demokratie, Menschenrechte, transparente und zuverlässige Regierungsführung und die Förderung des Umweltschutzes sind.
({4})
Das trifft sich dann wieder mit unseren Vorstellungen in der Diskussion über die Entscheidung zur Auffüllung der Mittel für die Internationale Entwicklungsagentur, IDA. Hier sind wir alle der gleichen Meinung: daß die Effizienz dieser Institutionen verbessert werden muß. Der Auftrag an Halifax lautete aber nicht so, wie vor allem Sie, Herr Schmitt, das hier eben zitiert haben. Sie haben so getan, als müßten im Grundsatz andere Entscheidungen getroffen werden. Der Auftrag an Halifax lautete: Überprüfung der gegenwärtigen Regelungen und Vorschläge zur Steigerung der Effizienz der multilateralen Organisationen - womit durchaus nicht nur die Entwicklungsorganisation, also die Weltbank, gemeint ist. Es geht um die Vermeidung von Doppelarbeit zwischen unterschiedlichen multilateralen Organisationen insgesamt.
Also, die Reform kann nicht eine völlige Umkehrung einer auf Verbesserung der internen Effizienz zielenden Entwicklungspolitik, einer auf Wachstumsstrategie zielenden Entwicklungspolitik bedeuten. Vielmehr geht es darum, Kriterien zu entwikkeln, um die Einhaltung der Vorgaben besser zu kontrollieren und um die Effizienz der einzelnen Maßnahmen zu steigern.
Natürlich ist die Basis einer nachhaltigen Entwicklung auch finanzieller Handlungsspielraum. Deswegen müssen wir in dem Zusammenhang auch von einer pauschalen Betrachtung, wie das früher so üblich war und wie es in den Statistiken häufig noch gebraucht wird, Abstand nehmen. Wir müssen schon zwischen den ärmsten Entwicklungsländern und den Schwellenländern differenzieren. Richtig ist, daß sich der Ressourcenfluß in die Entwicklungsländer von 1990 bis 1994 mit 137 Milliarden DM vervierfacht hat. Der Ressourcenfluß der öffentlichen Mittel ist gleichgeblieben, so daß die Steigerung der Mittel, die in die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen geflossen sind, im wesentlichen auf den privaten Mitteln beruhte.
({5})Richtig ist, Herr Hauchler, daß private Mittel vorwiegend in Länder mit mittlerem Einkommen fließen. China und Indien sind die einzigen Ausnahmen. Richtig ist auch - da sind wir ja durchaus der gleichen Meinung -, daß die öffentliche Entwicklungshilfe, die heute schon zu drei Fünfteln in Länder mit niedrigem Einkommen fließt, weiter auf diese Länder konzentriert werden muß.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Schuster?
Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, ja.
Es wird Ihnen nicht auf die Zeit angerechnet.
Frau Kollegin, Sie haben gerade Zahlen genannt, die ich dem Grundsatz nach bestätigen kann. Ist Ihnen bewußt, daß der Mittelfluß von Süden nach Norden nach konservativen Schätzungen der OECD mit 250 Milliarden DM deutlich höher ist und die UNDP den Mittelfluß auf 500 Milliarden, fast das Dreifache, schätzt? Oder anders herum: Mit unserer Entwicklungshilfe schmeißen wir nur mit der Wurst nach dem Schinken, um Transferleistungen von Süden nach Norden zu organisieren.
Herr Kollege, wir haben uns darüber ja schon im Ausschuß eine Weile unterhalten; wir werden die Diskussion des Themas sicherlich fortführen. Wenn Sie alle Faktoren, die in dem Zusammenhang eine Rolle spielen, berücksichDr. Irmgard Schwaetzer
tigen, können Sie - gerade nach den letzten Runden des Schuldenerlasses - nicht davon ausgehen, daß der Transfer im Saldo negativ für die Entwicklungsländer ist. Ganz im Gegenteil: Er ist für die Entwicklungsländer positiv.
Der entwicklungspolitische Ausschuß hat der Bundesregierung dazu ja ganz deutliche Vorgaben gemacht. Die Bundesregierung hat sich bei der Aushandlung der Neapel-Konditionen entsprechend verhalten. Es werden weitere zusätzliche Schritte zur Schuldenerleichterung und zum Schuldenerlaß eingeleitet, nach den neuesten Formulierungen der Neapel-Konditionen bis zu 67 % Schuldenerlaß. Das ist auch notwendig; da sind wir uns völlig einig, Herr Kollege. Ich denke, daß wir auf diesem Weg weitergehen müssen.
Was allerdings nicht geht, das ist das, was PDS, aber auch, wissenschaftlich ein wenig besser formuliert, die GRÜNEN beantragen, nämlich eine Schuldenstreichung ohne Konditionen für die innere Anpassung der Länder. Denn das würde nichts anderes bedeuten, als daß der Niedergang immer wieder von neuem losgeht. Bei der PDS kann ich das begreifen. Sie kennen das von ihren Zehnjahresplänen.
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Im übrigen sind wir uns weitgehend darüber einig, daß es zur Strukturanpassung innerhalb der Länder keine Alternative gibt, daß wir die einzelnen Strukturanpassungsprogramme allerdings sehr sorgfältig und besser als in der Vergangenheit auf die besondere Situation der Lander einstellen müssen. Wir müssen auch dort von der Pauschalierung wegkommen. Wir müssen die Situation in den einzelnen Ländern zum Maßstab nehmen.
Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Aber gerne.
Bitte schön.
Frau Kollegin Schwaetzer, wir sind uns doch wohl darüber einig, daß es nicht angehen kann, daß die schwächsten Schichten der schwächsten Länder bei diesen Konsolidierungen noch einmal in ihren ohnehin geringen Lebenschancen getroffen werden?
Herr Kollege, auf dieses Thema wollte ich gleich noch einmal im Zusammenhang mit der besonderen Notwendigkeit, die Rolle der Frauen in diesen Ländern zu berücksichtigen, eingehen. Denn in der Tat ist es so, daß durch die Strukturanpassung die Frauen auf Grund ihrer speziellen Rolle in diesen Ländern besonders betroffen sind. Aber es gibt auch hier zwei Antworten auf solche sozialen Probleme der Strukturanpassung. Man kann zum einen - das ist die Linie, die wir unterstützen - die Strukturanpassung sozial ausgerichtet durchführen, oder man kann - das ist leider etwas, was ich von seiten der Opposition häufiger höre - Ressourcen in zusätzliche Sozialprogramme stecken. Der erste Weg scheint uns in jedem Fall der bessere.
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Ich will noch einmal auf die Rolle der Frauen zurückkommen. Ich denke, daß bei den internationalen Institutionen ein deutlicher Nachholbedarf besteht, die spezielle Rolle der Frauen zu berücksichtigen, sie bei der stärkeren Orientierung der Projekte im Rahmen einer stärkeren Partizipation der Bevölkerung noch mehr mit einzubeziehen, um sicherzustellen, daß die Entwicklungschancen an den Frauen nicht vorbeigehen.
Eine letzte Bemerkung zur Forderung der GRÜNEN, darauf zu verzichten, Infrastrukturprojekte aus öffentlichen, speziell aus IDA-Mitteln zu fördern: Dies scheint mir ein Stückchen schlichte Ideologie zu sein. Es ist falsch. Häfen, Eisenbahnen, Straßen und Energieprojekte sind ein schlichtes Grunderfordernis für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes. Vor allen Dingen in den Schwellenländern kann man sicherlich postulieren, daß eine ganze Reihe dieser Projekte auch privat finanziert werden können. Aber das betrifft eben nur einen relativ kleinen Anteil von Ländern. Dort sollten wir allerdings darauf drängen, daß dies so gemacht wird. In den anderen Ländern wäre es pure Ideologie, aber auch nachteilig für die Menschen in den Ländern, denen wir Entwicklungschancen vorenthalten, wenn wir diese Idee der GRÜNEN aufgriffen.
Ich hoffe, daß wir uns im Ausschuß - heute werden wir die Überweisung in die Ausschüsse beschließen -, wie das in den früheren Jahren auch der Fall gewesen ist, sowohl was die Prinzipien als auch was die Methoden der Entwicklungspolitik angeht, stärker annähern. Ich denke, das wäre im Interesse der betroffenen Menschen.
Danke.
({1})
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Winfried Wolf das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sie haben mich gebeten, mein Jackett anzuziehen. Da ich a) zufällig eines dabei habe und b) dies sicher der Wahrheitsfindung dient, habe ich es gemacht.
({0})
- Damit habe ich die Würde doch gewahrt.
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- Danke schön, Frau Schwaetzer.
Werte Damen und Herren, hier soll im Vorfeld des G-7-Treffs in Halifax von drei Skandalen die Rede sein.
Erster Skandal: Die Schulden der Länder der sogenannten Dritten Welt steigen weiter an - völlig im Gegensatz zu dem, was meine Vorrednerin, Frau Dr. Schwaetzer, gesagt hat. In diesem Jahr 1995 wird der hier aufgetürmte Schuldenberg erstmals die Zahl von 2 000 Milliarden Dollar überschreiten. In einem Jahrzehnt kam es zu rund einer Verdoppelung dieses Schuldenbergs.
Sie alle kennen den Spruch eines Häuslebauers, wonach er sein Haus bei den Banken schon längst mehr als einmal bezahlt habe. Just so verhält es sich mit der Drittweltschuld. Die Länder des Südens haben bei Banken, Regierungen und Institutionen des Nordens zwischen den Jahren 1975 und 1994 2 400 Milliarden US-Dollar für Zins und Tilgung bezahlt, also ein Fünftel mehr, als sie aktuell Schulden haben.
Die Armen alimentieren die Reichen. Susan George errechnete in ihrer neuen Studie „Der Schuldenbumerang" :
In den acht Jahren von 1982 bis 1990 haben die armen Länder
- des Südens allein mit ihrem Schuldendienst den reichen Ländern sechs Marshallpläne finanziert.
Skandal Nr. 2: An diesen Drittweltschulden wird hierzulande doppelt verdient. Die deutschen Geschäftsbanken hatten 1993 Einnahmen aus ihren Drittweltkrediten zwischen 5 und 7 Milliarden DM. Gleichzeitig machten sie ihr großes Geschäft mit den Wertberichtigungen auf Schuldentitel aus Drittweltländern. Diese wirken sich bekanntlich steuermindernd aus.
Walter Eberlei und Thomas Fues von der Nichtregierungsorganisation „Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung - WEED" bilanzierten diesen Skandal wie folgt:
Eine Schätzung, wonach die deutschen Banken durch solche Wertberichtigungen ... seit Beginn der achtziger Jahre einen zusätzlichen Ertrag
- durch Steuerminderzahlungen erwirtschaften konnten, der sämtliche Forderungen an die Länder des Südens bereits übersteigt, wurde - in der Größenordnung - von einem hohen Beamten des
- Bonner - Finanzministeriums bestätigt.
Skandal Nr. 3: Die Bundesregierung rechtfertigt dieses zins-, schweiß- und bluttreibende Geschäft als „business as usual". Ich zitiere aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zu diesem Komplex, Drucksache 12/ 8580:
Es liegt in der Natur jedes Kreditgeschäfts, daß geliehene Mittel zurückbezahlt werden müssen, wodurch zu einem bestimmten Zeitpunkt die Rückzahlungen die neuerhaltenen Kredite übersteigen können.
Es gibt sie nicht, die „Natur jedes Kreditgeschäfts". Beispiel Bundesrepublik Deutschland: Im Jahr 1952 kam es mit dem Londoner Schuldenabkommen zur Streichung des Großteils der deutschen Schulden, die u. a. durch die NS-Politik aufgehäuft worden waren. Festgelegt wurde, daß die Zahlungen auf die verbleibende Auslandsschuld maximal 5 % der Exporteinnahmen ausmachen dürften. Ein höherer Schuldendienst könne - Stichworte „Weimar" und „Versailles" - erneut zu einer Radikalisierung führen.
Doch was zahlt die Dritte Welt auf ihre Auslandsschuld? Im Durchschnitt gehen dort bereits 20 % der Exporterlöse für den Schuldendienst drauf - viermal mehr, als der wirtschaftlich starken Bundesrepublik Deutschland zugemutet wurde.
Nach diesen Erfahrungen läge es völlig in der Natur dieses Kreditgeschäfts mit der Dritten Welt, daß die Schulden weitgehend gestrichen würden, zumal es an die Substanz geht. So berichtet der britische „Economist":
Afrika als Ganzes gibt mehr als viermal soviel für diesen Schuldendienst aus, als es für Gesundheit bezahlen kann.
Nun verweist die Bundesregierung auf eine Diskrepanz zwischen dem planmäßigen Schuldendienst und dem realen. Ich zitiere:
Eine Berechnung ... für 27 ärmere Umschuldungsländer ergab für 1993 einen durchschnittlichen planmäßigen Schuldendienst von 62 % der Exporteinnahmen. Der tatsächliche Schuldendienst lag jedoch bei durchschnittlich 20 %.
Tatsächlich steigt die Schuld des Südens, auch durch Umschuldungen, und dies zum Teil „nur" auf dem Papier. Statt Schulden zu streichen, wird umgeschuldet und ab und an im Stile des aufgeklärten Absolutismus als Gnadenakt ein Teilschuldenerlaß getätigt. Das macht auf zynische Art und Weise auch Sinn. Denn mit den nominellen, nur teilweise eintreibbaren Schulden steigt das politische Erpressungspotential.
Beispiel Mexiko: Nach der sogenannten Tequila-Krise Anfang 1995 erhielt dieses Land allein von der US-Regierung einen neuen 20-Milliarden-DollarKredit. Die Menschen dort zahlen dafür teuer. Darüber hinaus hat sich die US-Regierung wie eine Kolonialmacht abgesichert. Ich zitiere aus der Rede des US-Finanzministers Robert Rubin, in welcher er diesen Sonderkredit vor dem US-Parlament rechtfertigt:
Wir haben ein garantiertes Pfand dank dem Erdöl. Pemex - die staatliche Erdölfirma Mexikos - mußte seinen ausländischen Kunden die Instruktion erteilen, daß sie sämtliche Zahlungen über die Bundesbank in New York abwickeln. Und dieses Geld bleibt in den USA im Falle der Zahlungsunfähigkeit Mexikos.
Ich fürchte, das kann Schule machen. Nach der heutigen Brandrede des bayerischen Ministerpräsidenten an diesem Pult ist vorstellbar, daß die Schuld der Tschechischen Republik demnächst als Hebel wie folgt genutzt wird: Es kommt zu UmschuldungsverDr. Winfried Wolf
handlungen. In deren Rahmen fordern Deutsche Bank, Dresdner Bank und Bayerische Hypobank zusammen mit dem Freistaat Bayern, angefeuert von der Landsmannschaft und geduldet von einem im Sturzflug befindlichen Außenminister Kinkel, als Pfand für die tschechischen Gesamtschulden Boden in den ehemals deutsch besiedelten Gebieten.
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Werte Kolleginnen und werte Kollegen, wir haben einen ganz einfachen Antrag vorgelegt: Sofortige Streichung der Schulden der 30 ärmsten Länder der Welt. Oft ist Schlichtheit Tugend. Wir können viel von der G-7-Tagung in Halifax fordern. Wir erwarten ehrlicherweise wenig.
Daß eine Steuer auf spekulative Geschäfte zu erheben sei: Sie wissen, daß Ihr Kollege Gregor Gysi zu den ersten zählte, der diese Forderung des Nobelpreisträgers Tobin in diesem Haus aufgriff. Wir stimmen ihr zu. Daß die G-7-Staaten in Halifax diese Forderung aufgreifen, daß der Weltwährungsfonds sich vom Saulus zum Paulus wandeln und mit solchen Tobin-Steuer-Gewinnen Armutsbekämpfung - an Stelle der aktuellen Armutsproduktion - in der Dritten Welt betreiben würde, das mag man sich auf Wolke 7 wünschen, daran läßt sich im Diesseits jedoch trefflich zweifeln. Der Schritt einer Schuldenstreichung für die 30 ärmsten Länder ist in diesem Parlament naheliegender.
Um Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen, die üblichen Magenschmerzen bei PDS-Anträgen zu nehmen, haben wir uns in der Formulierung an eine Veröffentlichung der bereits zitierten und vielerseits geschätzten Nichtregierungsorganisation WEED gehalten. Wir verweisen darauf, daß einer solchen Schuldenstreichung in bezug auf andere Gläubiger Signalwirkung zukäme. Diese wäre in des Wortes übertragenem und direktem Sinne nur recht und billig: Die Bundesregierung würde die Streichung aller Schulden der 30 ärmsten Lander jährlich nur knapp 200 Millionen DM kosten. Im Antrag wird dieser Betrag mit einzelnen militärischen Etatposten, die zu streichen wären, verglichen - u. a. mit den Kosten für die Fregattenlieferungen an die Türkei.
Übrigens: Heute morgen hat das griechische Parlament die Forderung nach einer 12-Meilen-Zone um die Inseln der Agäis beschlossen. Die türkische Regierung hat vorab erklärt, dies wäre ein Kriegsgrund. Am 18. Mai habe ich an diesem Pult unsere Forderung nach einem sofortigen Stopp von Rüstungsexporten in die Türkei und nach Griechenland mit dem Hinweis begründet, daß hier ein neuer Krieg drohen könne.
Werte Kolleginnen und Kollegen, ich fordere Sie auf, die Kluft zwischen schönen Worten in Richtung Süden und harten Taten gegen den Süden zu schließen und unserem Antrag zuzustimmen. Sollten Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, noch ausreichend Kraft haben, auf die mächtigsten sieben Staaten der Welt, die Weltbank und den IWF positiv Einfluß zu nehmen, d. h. einige Schweinereien zu verhindern, sind wir natürlich mit voller Kraft dabei.
Danke schön.
({3})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Jürgen Warnke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Opposition hat mit Ratschlägen für die Bundesregierung auf dem Weg nach Halifax nicht gegeizt. Manches davon mag bedenkenswert sein, anderes ist es weniger.
Der Wust der internationalen Einrichtungen und Organisationen ist in der Tat überprüfungsbedürftig: Welthandelsorganisation, Weltbank, Internationaler Währungsfonds, Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung, Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung, Welternährungsorganisation, Internationales Arbeitsamt, regionale Wirtschaftsorganisationen der Vereinten Nationen - sie alle gehören auf den Prüfstand.
({0})
Der Opposition ist das aber offenbar nicht genug an internationaler Bürokratie. Sie schlägt einen Weltwirtschaftsrat gleichgewichtig neben dem Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen vor.
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Auf dem Weg dahin wünschen Sie sich globale Gipfel aus westlichen Industrieländern zusammen mit den Staats- und Regierungschefs aus den anderen Weltregionen und natürlich einen ständigen Ausschuß als eigenen Unterbau für diese Veranstaltungen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Diese rot-grüne Organisationsgläubigkeit teilen wir von der CDU/ CSU und - wie ich sagen möchte - von der Koalition insgesamt nicht.
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Wir brauchen insbesondere im Bereich der Vereinten Nationen nicht mehr Organisationen, sondern mehr Effizienz.
({3})
Ich bedaure es sehr, daß der Kollege Hauchler im Augenblick nicht zu sehen ist;
({4})
denn er ist ein Mann, der viele Jahre lang Erfahrungen mit der Ineffizienz internationaler Organisationen gesammelt hat, so daß ich ihm eigentlich zugeDr. Jürgen Warnke
traut hätte, den Erfahrungsschatz, den er im Dienste des Parlaments sammeln konnte, wirksamer umzusetzen, als es in seiner Wegzehrung für Halifax geschehen ist.
Währungsfonds, Weltbank und internationale Entwicklungsbank IDA haben sich in den vergangenen Jahrzehnten als unverzichtbare Instrumente zur Sicherung des Liquiditäts- und Kreditbedarfs insbesondere der Entwicklungsländer erwiesen. Natürlich muß auch ihr Wirkungsgrad immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Weil es Jahr für Jahr geschieht, ist das eine solche Selbstverständlichkeit, daß man es nicht durch besondere Beteuerungsformeln zu bekräftigen braucht, Herr Kollege Schmitt.
Aber der Vorschlag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Goldbestände des Währungsfonds und die Reserven der Weltbank als Kapital an arme Entwicklungsländer auszureichen, würde allerdings zusammen mit der Abschaffung der bevorzugten Gläubigerstellung der Weltbank genau das Gegenteil des Beabsichtigten bewirken. Es wäre das Ende der Funktionsfähigkeit dieser Einrichtungen. Die Weltbank kann ihrer Finanzierungsaufgabe deshalb gerecht werden, weil sie bevorzugten Zugang zu den Kapitalmärkten hat, weil sie mit dem dreifachen A in der höchsten Bonitätsstufe der Kreditnehmer ist, wenn sie sich refinanzieren muß. Mit dem Verbrauch ihrer Währungsreserven wären die Bonität und damit ihre Stellung als Entwicklungsfinanzier beendet.
Auch der Vorschlag der Opposition, mit der famosen Tobin-Steuer alle grenzüberschreitenden Kapitalbewegungen zu belegen, wäre ein Danaergeschenk auch für die Entwicklungsländer. Kapitalbewegungen ist es nicht anzusehen, ob sie spekulativ sind oder nicht. Eine Kapitalbewegungs-Verhinderungsbehörde wäre das letzte, was wir für eine gedeihliche Entwicklung der Weltwirtschaft brauchen können.
({5})
In dieser Legislaturperiode werden es 20 Jahre sein, daß die Bundesrepublik Deutschland den ärmsten Entwicklungsländern Finanzhilfe nur als Zuschuß gewährt und ihnen die Schulden der Vergangenheit erlassen hat.
({6})
Andere Länder haben sich unserem Beispiel angeschlossen. Die Opposition fordert einen darüber hinausgehenden allgemeinen Schuldenerlaß, also auch gegenüber Weltbank und IDA und indirekt auch gegenüber privaten Kreditgebern für arme und ärmste Entwicklungsländer.
Ein solcher allgemeiner Schuldenerlaß ist nicht praktikabel.
({7})
Er würde zahlungswillige Schuldner demoralisieren.
Er würde den ohnehin schwierigen Zutritt armer und
ärmster Länder zum Kapitalmarkt völlig beenden. Es muß deshalb auch in Zukunft bei dem bewährten Verfahren im Rahmen des Pariser Clubs und des Londoner Clubs bleiben, Fall für Fall Schuldenerleichterungen auszuhandeln, die den Schuldner entlasten, ohne den Zugang zu neuen Mitteln zu verbauen. Unter den armen und ärmsten Entwicklungsländern, die eine solche Schuldenerleichterung anstreben, befindet sich auch eine Reihe von Ländern, die zu Zeiten des Kalten Krieges auf die Sowjetunion und ihre Satelliten gesetzt haben und gegenüber der DDR verschuldet waren. Soweit es sich dabei urn Schulden wegen Waffenlieferungen handelt, sind das Schulden für Gift statt für Medizin für die Entwicklungsländer.
Ich möchte solche Forderungen des deutschen kommunistischen Teilstaates nicht von der demokratischen Bundesrepublik Deutschland eingetrieben sehen.
({8})
Mein Rat an die Regierung ist, diese Forderungen wie beispielsweise bei Nicaragua, Angola oder Mosambik zu erlassen,
({9})
auch dann, wenn es wegen mehrfacher Verwendbarkeit der Lieferung nicht zweifelsfrei nachweisbar, sondern nur möglich ist, daß sie dem militärischen Bereich zuzurechnen war.
Die PDS hat es nun allen Ernstes fertiggebracht, in ihrem Antrag vorzuschlagen, die Erfüllung von NATO-Verpflichtungen zu verweigern, um damit Entwicklungshilfe zu finanzieren. Der Vorschlag der Verquickung von NATO-Austritt und Entwicklungshilfe zeigt, daß die PDS
({10})
aus der Geschichte nichts gelernt hat, sondern immer noch Gefangene der Vergangenheit ist.
({11})
Eines sollten Sie wirklich nicht tun, nämlich hier auch noch die Tschechen herabzusetzen. Sie sind die einzigen, die ihre Schulden beim Internationalen Währungsfonds voll und ganz getilgt haben. Diese hier für ihre abwegigen Gedankengänge als Geiseln vorzuführen, an denen man irgendwie sein Mütchen kühlen sollte, zeugt von schlechtem Stil, ganz abgesehen von mangelndem Verständnis.
({12})
Herr Kollege Warnke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Wolf?
Ja, bitte.
({0})
Herr Kollege Warnke, Sie haben gesagt, daß Sie nicht wollen, daß der demokratische deutsche Staat Schulden aus Waffenlieferungen des früheren kommunistischen deutschen Staates eintreibt. Ist es richtig oder nicht richtig, daß die Bundesregierung in den letzten zwei Jahren Waffenlieferungen in erheblichem Ausmaß aus alten NVA-Beständen an Indonesien getätigt hat, die sogar kreditunterstützt waren? Ist Indonesien ein Land der Dritten Welt?
Sie vergleichen hier Äpfel mit Birnen. Deshalb werde ich auf die Frage, ob das richtig ist oder nicht, nicht eingehen.
Die CDU/CSU-Fraktion bekräftigt das Ziel, 0,7% des Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe aufzubringen.
({0})
- Herr Kollege Jens, wir werden dieses Ziel um so eher erreichen, je schneller wir bei uns im eigenen Lande den Strukturwandel bewältigen, neue Arbeitsplätze schaffen
({1})
und das Bruttosozialprodukt steigern. Genau das erwarten die Entwicklungsländer von uns, und nicht nur die Entwicklungsländer, sondern auch die Staaten Mittelosteuropas und Osteuropas.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Teilen ist heute ein dynamischer Begriff geworden. Sie können es keinem Menschen in den Entwicklungsländern erklären, daß wir hierzulande - in einem Land, das weltweit zu den reichsten gehört -nicht bereit und in der Lage sind, zwei Urlaubstage zu opfern oder die Lohnfortzahlung zu modifizieren, um ohne Erhöhung der Lohnzusatzkosten eine neue Säule der Sozialversicherung zu finanzieren.
({2})
Sozialer Umbau trägt nicht nur - ebenso wie Subventionsabschaffung - zur Schaffung neuer Arbeitsplätze bei uns bei; er ist auch ein Stück dynamisches Teilen. Indem wir uns leistungsfähiger machen, indem wir für Transfers wieder einen größeren Spielraum bekommen und unsere Märkte aufnahmefähiger werden für die Erzeugnisse der Dritten Welt, leisten wir gleichzeitig einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung der weltweiten Armut. Die Opposition ist in der Lage, nicht nur Ratschläge für Halifax zu geben, sondern auch dazu, durch ihr Stimmverhalten im Bundesrat hierzu unmittelbar beizutragen.
({3})
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Klaus-Jürgen Hedrich das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zuerst kurz noch einmal die Position der Bundesregierung zur internationalen Schuldenstrategie und zu den ergänzenden bilateralen Initiativen der Bundesregierung darstellen.
Die internationale Schuldenstrategie beruht auf der engen Zusammenarbeit von Gläubiger- und Schuldnerländern, Gläubigerbanken und internationalen Finanzierungsinstitutionen. Grundprinzip ist dabei, daß Schuldenerleichterungen fallweise - dies ist entscheidend - entsprechend der Reformbereitschaft und den individuellen Bedürfnissen der betroffenen Schuldnerländer gewährt werden. Die Forderung nach einem globalen Schuldenerlaß ist deshalb als nicht sachgerecht abzulehnen. Wenn die Ursachen für eine Überschuldung nicht beseitigt sind, hat eine Entschuldung wenig Sinn. Dies würde nämlich bedeuten, gutes Geld schlechten Projekten hinterherzuwerfen.
({0})
Auch die internationalen Finanzierungsinstitutionen, insbesondere der Internationale Währungsfonds und die Weltbank, spielen bereits seit langem mit Hilfe breitgefächerter Instrumente insbesondere durch die Vergabe hochkonzessionärer Mittel, durch Politikberatung und durch die Bereitstellung finanzieller Hilfen zur Ablösung von kommerziellen Schulden und marktnahen Darlehen eine entscheidende Rolle bei der Lösung der Verschuldungsprobleme der Entwicklungsländer.
Wegweisende Beschlüsse für die Fortentwicklung der internationalen Schuldenstrategie haben die G-7-Staaten in der Vergangenheit bei ihren Gipfeltreffen gefaßt. Ausgehend von den Gipfelbeschlüssen in Neapel hat der Pariser Club, in dem die westlichen Gläubigerstaaten Schuldenerleichterungen für Entwicklungshilfedarlehen und öffentlich garantierte Handelskredite gewähren, für die ärmsten hochverschuldeten Länder erheblich verbesserte Umschuldungsbedingungen beschlossen.
Nunmehr können abschließende Regelungen des gesamten umschuldungsfähigen Schuldenstands mit einer Erlaßquote bis zu 67 % vereinbart werden. Der Vorschlag der Bundesregierung, in wenigen Sonderfällen die Erlaßquote auf bis zu 80 % anzuheben, war im Gläubigerkreis nicht konsensfähig. Die Bundesregierung wird sich aber weiterhin nachdrücklich für
eine Verbesserung der Umschuldungskonditionen in diesem Sinne einsetzen.
({1})
Es ist zu hoffen, daß mit diesen verbesserten Bedingungen eine Reihe von Schuldnerländern endlich aus dem Umschuldungsprozeß herauswachsen können.
Bilateral hat die Bundesregierung den am wenigsten entwickelten Ländern die Entwicklungshilfeschulden erlassen. Dazu zählen auch alle im PDS-Antrag in Bezug genommenen ärmsten Länder mit Ausnahme der Bürgerkriegsländer Afghanistan und Liberia, denen aus gegebenem Anlaß die Schulden aus offensichtlichen Gründen gegenwärtig nicht erlassen werden können.
Darüber hinaus praktiziert die Bundesregierung seit 1993 für weitere Länder sogenannte Schuldenumwandlungen gegen Umweltschutz, bei denen sie auf Entwicklungshilfeforderungen unter der Maßgabe verzichtet, daß das Entwicklungsland eigene Mittel für den Umweltschutz in der eigenen Landeswährung bereitstellt.
Die Geschichte des Gipfeltreffens der G-7-Staaten hat gezeigt, daß aus diesem Anlaß von den großen Industrienationen wichtige Impulse für die internationale Diskussion auch anderer weltwirtschaftlicher Probleme ausgegangen sind. So wurde die Thematik des Protektionismus und seiner Auswirkungen auf die Entwicklungsländer ebenso immer wieder aufgegriffen wie die Notwendigkeit der Strukturanpassung für Industrie- und Entwicklungsländer in einem sich schnell wandelnden Umfeld. Die Welt ist zunehmend mit globalen Problemen wie Umweltkatastrophen, Bürgerkriegen, Flüchtlings- und Migrationsbewegungen konfrontiert, die auf nationaler Ebene allein und mit nationalen Instrumenten nicht mehr bewältigt werden können.
Das dahinterstehende Thema der Armut und der nachhaltigen Entwicklung - lange Zeit ein Thema nur der Entwicklungspolitik - gewinnt damit international zunehmend an Bedeutung und wird künftig auch Gegenstand großer internationaler Foren werden müssen.
Den wachsenden globalen Problemen stehen leider weltweit stagnierende Mittel der Entwicklungszusammenarbeit gegenüber. In dieser Situation ist zu hoffen, daß vom G-7-Gipfel im Halifax Impulse für eine intensivere Geberkoordinierung und eine Steigerung der Effizienz der multilateralen Institutionen ausgehen werden.
({2})
Zum Schluß möchte ich auf die internationale Organisation IDA zu sprechen kommen, zu der Ihnen ebenfalls ein Antrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vorliegt. Im Rahmen der 11. Wiederauffüllung von IDA sieht die Bundesregierung die für die 10. Wiederauffüllung definierten Ziele der Arbeit von
IDA grundsätzlich als weiterhin gültig an. Diese Ziele sind: Armutsreduzierung, Förderung von wirtschaftlichen Reformen und Wachstum sowie Schutz und Erhalt der natürlichen Umwelt.
Die Arbeit in diesen drei Zielbereichen muß vertieft und die Effektivität und Ergebnisorientierung der IDA-Arbeit insgesamt muß gestärkt werden. Die Kreditvergabe von IDA muß sich grundsätzlich an der Leistungs- und Reformbereitschaft und Kreditfähigkeit der Kreditnehmer orientieren. Daher spielen eine Reihe von Kriterien eine besondere Rolle - ich wiederhole, was schon gesagt worden ist -, beispielsweise gute Regierungsführung im Sinne von Berechenbarkeit,
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Transparenz öffentlichen Handelns, Rechtssicherheit und Beteiligung der Bevölkerung an den sie betreffenden Problemen und Programmen ebenso wie die Entwicklungsorientiertheit staatlichen Handelns und die ökologische Nachhaltigkeit der Entwicklung.
Die Unterstützung von wirtschaftlichen Reformen in Entwicklungsländern wird auch weiterhin ein wichtiger Bereich von IDA-Arbeit bleiben; denn die Reformanstrengungen gerade in den ärmsten Entwicklungsländern, die IDA unterstützt, bleiben weiterhin eine Voraussetzung dafür, zu der es, wie ich glaube, keine sinnvolle Alternative gibt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schuster?
Da ich den Werner leiden mag: Ja.
Sie sind frei.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich ausdrücklich für diese öffentlich dokumentierte Form der Zuwendung.
Herr Staatssekretär, das, was Sie ausgeführt haben, findet in großen Teilen meine persönliche Zustimmung. Meine zentrale Frage an Sie ist: Wie stellen Sie sicher, daß das, was Sie hier für die Bundesrepublik vortragen, auch in das Bewußtsein der Leitungsebene des Finanzministeriums rechtzeitig übertragen wird?
({0})
Ich bin ziemlich sicher, daß das, was Kollege Faltlhauser vorhin vorgetragen hat, genau dem entspricht, was die Notwendigkeit von Halifax begründet. Hier gibt es überhaupt keinen Dissens mit dem Finanzminister.
Der einzige Dissens, den wir mit dem Finanzminister haben, ist, daß er zu wenig Geld rausrückt. Aber das ist ja bekannt.
({0})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmitt? - Bitte schön.
Ja, bitte.
Herr Staatssekretär, ich teile mit Ihnen den aufgezählten Kriterienkatalog hinsichtlich der Schwerpunkte und der Ausrichtung der IDA-Arbeit.
Sind Sie mit mir der Auffassung, daß die Praxis der Internationalen Entwicklungsagentur in den letzten Jahren nach wie vor erhebliche Defizite bei der Umsetzung der von Ihnen aufgezählten Zielsetzungen aufweist, und sind Sie ebenfalls mit mir der Auffassung, daß die jetzt in Rede stehende Diskussion um die 11. Wiederauffüllung der IDA eine hervorragende Gelegenheit ist, ein Junktim herzustellen zwischen der Bereitschaft der Bundesregierung, weiterhin diese multilateriale Entwicklungsagentur zu unterstützen, aber nachdrücklich die Einhaltung der selbstgesetzten Regelungen einzufordern?
Herr Kollege Schmitt, Sie werden es nicht glauben: Ich teile Ihre Auffassung.
Es ist in der Tat notwendig,
({0})
daß wir die jetzt vor uns liegende 11. Wiederauffüllung nutzen, um die Mechanismen, die von IDA gerade bei der Reduzierung von Armut und zur Beseitigung von Konflikten angewandt werden, nachhaltiger noch als bisher einzusetzen.
Wir haben aber gesagt, daß die bisherigen Erfahrungen des ja immer noch laufenden 10. IDA-Konzeptes noch nicht abschließend bewertet werden können und daß die Erfahrungen, die wir bisher mit der 10. IDA-Auffüllung gemacht haben, genau auf der Linie der von der Bundesregierung am Anfang der letzten Legislaturperiode entwickelten Kriterien liegen.
Insofern glaube ich, daß unsere Auffassungen hier nicht auseinandergehen, und in diese Richtung wollen wir unsere Politik fortsetzen. Das gilt übrigens auch, wenn Sie mir diese Formulierung noch gestatten - Sie haben vorhin meine Kommentierung des Weltsozialgipfels angesprochen -, was die Verschuldung vieler Länder bei internationalen und multilateralen Organisationen betrifft.
Auch hier können Sie aus den Dokumenten entnehmen, daß sich Halifax mit der Frage, welchen Beitrag die internationalen Finanzorganisationen zur Entlastung der hochverschuldeten Länder leisten können, beschäftigen wird. Ich begrüße dies ausdrücklich, und ich glaube, daß nicht zuletzt die Diskussionen, die wir zwischen dem Fachausschuß und unserem Ministerium geführt haben, dazu ein Beitrag sind.
Herr Präsident, ich möchte unsere Position zusammenfassen: Bei der Diskussion der weiteren Politik von IDA möchte ich das, was die Kollegin Schwaetzer angesprochen hat, noch einmal deutlich machen. Ich glaube nicht, daß die GRÜNEN klug beraten sind, wenn sie sagen: Infrastrukturmaßnahmen dürfen nicht aus IDA finanziert werden. Ich glaube, daß das absolut kontraproduktiv ist.
({1})
Denn der Punkt ist doch genau der - ich darf hier den Gedanken wiederholen -, daß wir diejenigen Länder, in denen privates Kapital zur Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen nicht in einem ausreichenden Maße zu mobilisieren ist und die im Regelfall die Ärmsten der Armen sind, bestrafen würden, wenn wir sagten, daß in diesen Ländern auch aus öffentlichen Mitteln grundsätzlich keine Infrastruktur finanziert werden darf. Das ist nicht sinnvoll.
Deshalb glauben wir, daß auch in Zukunft die Finanzierung von Infrastruktur ein ganz entscheidendes Element von IDA sein muß, weil dieses einen Beitrag dazu leisten wird, daß Länder, die sowieso auf Grund unterschiedlicher Bedingungen benachteiligt sind, wenigstens durch öffentliche Hilfe die Chance haben, im Wettbewerb der Nationen untereinander nicht weiter abzusacken.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Schmitt? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß eine ganze Reihe der bislang von den einzelnen Weltbankentwicklungsetats geförderten Infrastrukturprojekte mehr Fluch als Segen für die jeweiligen Länder gewesen ist und daß unsere kritischen Äußerungen gegenüber Infrastrukturprojekten in dem Sinne zu verstehen sind, daß in Zukunft gerade bei großangelegten Infrastrukturprojekten auch seitens der Bundesregierung stärker darauf zu achten ist, daß sie in die entwicklungspolitische Landschaft passen, daß sie den entwicklungspolitischen Erfordernissen der jeweiligen Länder gerecht werden und nicht, wie es häufig heißt, den Exportinteressen einschlägiger Industrien?
Herr Kollege Schmitt, ich glaube, daß wir auch in diesem Punkt nicht so wahnsinnig weit auseinandergehen.
Ich lehne es ab, grundsätzlich von der These auszugehen: Klein ist prima, groß ist schlecht. Vielmehr muß man sich das jeweilige Infrastrukturprojekt anschauen: Paßt es in die Landschaft eines Landes, überfordert es gegebenenfalls ein Land - ich darf an die Diskussion im Zusammenhang mit Arun erinnern -, oder ist das eine Infrastrukturmaßnahme, die zur weiteren wirtschaftlichen Stabilität eines Landes beiträgt? Ich würde es ablehnen, zu sagen: Eine Infrastrukturmaßnahme ist nur deshalb schlecht, weil sie groß ist. Vielmehr wiederhole ich meine These: Es kommt darauf an, in welchen Kontext eine Infrastrukturmaßnahme eingebettet ist.
Es ist auch völlig unbestreitbar, daß wir uns im Laufe der letzten Jahrzehnte eine Reihe von Flops geleistet haben. Wir können uns alle gemeinsam nur in die Pflicht nehmen, darauf hinzuwirken, daß die Fehlerquote - wenn Sie mir diese schnoddrige Ausdrucksweise gestatten - bei Entwicklungshilfeprojekten und Entwicklungshilfeprogrammen möglichst niedrig gehalten wird.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Schwaetzer?
Auch dies ist selbstverständlich.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß sich vor dem Hintergrund dessen, was der Kollege Schmitt eben in seiner Frage formuliert hat, der Antrag der GRÜNEN, wo es ausdrücklich heißt: „Die Förderung für große Infrastruktur-Projekte ist einzustellen", deutlich relativiert, und begrüßen Sie diese Relativierung gemeinsam mit mir?
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Ich gebe zu, Frau Kollegin, daß ich mir diese Kommentierung im ersten Aufgalopp verkniffen habe. Aber wenn Sie mich schon so fragen, würde ich sagen: In der Tat hat der Kollege Schmitt hier eine gewisse Relativierung vorgenommen.
Das könnte aber auch darauf zurückzuführen sein, daß er sich im Augenblick in einer gewissen persönlichen Hochstimmung befindet. So etwas führt häufig dazu, Dinge gelassener und mit einem größeren Maß von Entgegenkommen gegenüber anderen Meinungen einzuschätzen. In diesem Sinne, glaube ich, ist die Formulierung „Relativierung" angebracht.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Professor Uwe Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei einigen Beiträgen seitens der CDU und F.D.P. hatte ich den Eindruck, Sie haben die neue wirtschaftliche Entwicklung noch nicht ganz begriffen und/oder Sie leben noch immer ein bißchen in den Vorstellungen des Frühkapitalismus.
Meine Damen und Herren, wir verzeichnen zur Zeit eine Entwicklung auf den Märkten, die aus meiner Sicht als deutscher Parlamentarier einerseits Chancen eröffnet, andererseits furchterregend ist. Die Globalisierung schreitet unaufhaltsam voran. Die Finanzmärkte sind international. Das Know-how wird meist weltweit transferiert. Wir sind auf dem Wege hin zu einer Weltmarktwirtschaft - wenn man so sagen will. Aber ich füge hinzu: Wir Sozialdemokraten möchten keine neoliberale Weltmarktwirtschaft nach der Methode „laissez faire", sondern wir wollen sehr wohl die sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen ganz entscheidend mitbestimmen. Das scheint mir wichtig zu sein. Da hapert es leider bei Ihnen. Dafür brauchen wir vielleicht nicht mehr Institutionen, aber auf alle Fälle brauchen wir dringend bessere weltweit agierende Institutionen, als die,
({0})
die wir zur Zeit haben, die ja völlig machtlos und bedeutungslos sind.
Das Problem liegt doch darin, daß wir zwar nationale Politik gestalten können, die Wirtschaft aber international geworden ist und wir keine Möglichkeit haben, international die entsprechenden Rahmenbedingungen zu setzen. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, vor allem Sie von der Regierung.
({1})
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß die ökonomische Bedeutung der Weltwirtschaftsgipfel, die Helmut Schmidt einst ins Leben gerufen hatte, auf Grund der Überlegungen, die ich eben vorgetragen habe, gewaltig gestiegen ist. Wir bräuchten mehr Einfluß seitens der Weltwirtschaftsgipfel, und wir bräuchten vielleicht breitere Gipfel mit mehr Teilnehmern. Aber die politische Bedeutung dieser Gipfel ist auf Grund der Politik dieser konservativen Regierung leider immer geringer geworden. Auch das ist ein Problem, mit dem wir zu kämpfen haben.
Kooperation ist angesagt, international, zwischen den G-7-Ländern, aber auch zwischen den OECD-Ländern. Ich möchte gerne, daß auch große Schwellenländer wie China oder Indien in die Kooperation einbezogen werden; das ist ganz dringend.
Aber Kooperation klappt offenbar nicht einmal auf nationaler Ebene. Gestern habe ich in der Zeitung gelesen, Bundeskanzler Kohl meine, die Auswirkungen der D-Mark-Aufwertung solle die Wirtschaft nicht so furchtbar ernst nehmen; das sei doch zu vernachlässigen. Heute lese ich in der Zeitung, daß die Bundesbank interveniert hat, um den Dollarkurs nach oben zu bringen. Er steht bei 1,41. Es gibt also
auch hier eine Lücke in der Abstimmung. Es wäre sinnvoll, wenn die Regierung mehr auf die Bundesbank hörte und die Bundesbank sich einmal überlegte, ob das, was sie macht, auf den Divisenmärkten aktuell überhaupt zum Erfolg führen kann. Ich wage das zu bezweifeln.
Die Geschwindigkeit der internationalen Arbeitsteilung hat sich erheblich erhöht. Die Entwicklung wird auf Grund sinkender Transaktions- und Informationskosten weitergehen. Das führt aber auch zu einem erheblich verschärften Wettbewerbsdruck auf allen Märkten der Bundesrepublik und weltweit. Zu Beginn der 70er Jahre waren es aus meiner Sicht die Entwicklungsländer, die vor dieser Globalisierung der Märkte Angst hatten. Heute sind es immer mehr die Industrieländer, die sich über diese Globalisierung der Märkte Sorgen machen.
({2})
Gerade Großunternehmen haben sich auf den internationalen Märkten etabliert. Sie sind international Agierende, „global players", wie es so schön heißt. Aus meiner Sicht stellt sich deshalb sehr wohl die Frage: Welche nationale Politik können wir hier eigentlich noch betreiben, und welche können wir nicht mehr betreiben? Ich sage: Eine Industriepolitik für Große ergibt angesichts der neuen Entwicklung wenig Sinn. Vielmehr müssen wir uns überlegen, ob wir nicht Forschungs- und Technologiepolitik, aber auch das Umsetzen von Forschungs- und Technologieergebnissen in marktgängige Produkte, also Innovationspolitik, verstärkt auf kleine und mittlere Unternehmen konzentrieren sollten. Ich glaube, auch national ist es durchaus richtig, daß wir mehr tun, um - ich gebrauche dieses schreckliche Wort - den Faktor Humankapital zu verbessern.
Wir brauchen ganz dringend - das können wir national machen - mehr Qualifizierung. Wir brauchen mehr berufliche Weiterbildung. Wir müssen alles tun, um den Faktor Mensch zu stärken, weil das weltweit und auch national sinnvoll ist.
({3})
Meine Damen und Herren, die Regierung rühmt sich so gern der Politik, die bisher betrieben worden ist. Ich will gern noch einmal festhalten - Sie können das in den Tagesnachrichten des Bundesministeriums für Wirtschaft nachlesen -: Die Politik war nicht so erfolgreich. Wenn Sie sich einmal das Ranking der 20 Industrienationen in bezug auf die Arbeitslosigkeit ansehen, dann stellen Sie fest, daß wir Platz 10 unter den 20 wichtigsten Industrienationen einnehmen. Das ist nicht sonderlich toll. Wenn es um die Preisentwicklung geht, haben wir den Platz 15; das ist noch schlechter.
Ich füge gern hinzu: Wenn wir nichts tun, um z. B. auch das Problem der ständig steigenden D-Mark, der Wechselkursverzerrung in den Griff zu bekommen, wird die OECD recht behalten mit der Voraussage, das Bruttosozialprodukt werde im kommenden Jahr nicht mehr um 3,5 % steigen, wie sie das einmal projiziert hatte, sondern nur noch um 2,7 %. Das ist keine gute Entwicklung. Die Leistungsbilanz ist seit 1991 negativ in Höhe von 40 Milliarden DM. Wir leben, wenn man so will, über unsere Verhältnisse. Auch das gilt es aufzugreifen, und die Bundesregierung muß es möglichst schnell korrigieren.
Ich kann mir vorstellen, daß es durchaus sinnvoll ist zu unterscheiden, was man auf nationaler Ebene noch machen kann und was man auf internationaler Ebene machen muß. Dazu habe ich soeben schon ein paar Sätze gesagt.
Wir als Sozialdemokraten erwarten vom Weltwirtschaftsgipfel nicht etwa, daß dort große Schaumschlägerei betrieben wird, sondern wir wollen mehr Kooperation und Koordination auf internationaler Ebene vorantreiben. Das ist ganz wichtig.
Wenn die neoliberalen Töne, die ich eben aus dem Lager der CDU und der F.D.P. vernommen habe, den Glauben vermitteln sollen, es liefe schon alles ganz von allein, die Weltmarktwirtschaft entwickele sich schon, muß ich Ihnen sagen: Sie irren sich aus meiner Sicht gewaltig, weil die bilateralen Streitigkeiten immer mehr zunehmen werden - siehe Amerika und Japan.
Wenn wir nicht mehr Kooperation und Koordination versuchen, wird der Protektionismus wieder neue Blüten treiben; und das wäre eine schlimme Entwicklung.
({4})
Wir brauchen mehr Kooperation. Wir brauchen nicht mehr Liberalität auf den Finanzmärkten, sondern wir brauchen - darum kümmert man sich seitens der Regierung zuwenig - vor allem mehr Flexibilität auf den Gütermärkten, auch auf den nationalen Gütermärkten.
Der Weltwirtschaftsgipfel ist deshalb dringend notwendig; aber wir brauchen konkrete Ergebnisse und keine Schaumschlägerei. Die neugegründete World Trade Organization in Genf muß alles tun, um internationale Absprachen über ökologische und soziale Mindestbedingungen zu erreichen.
Wir brauchen dringend - darauf müssen wir hinarbeiten - eine Weltkartellbehörde, um zu verhindern, daß die Interessen der Verbraucher völlig unter den Tisch fallen.
Dringend notwendig ist eine international koordinierte Wirtschaftspolitik, um weltweit, aber vor allem auch bei uns mehr Beschäftigung zu schaffen und die Massenarbeitslosigkeit zu vermindern.
Dringend notwendig ist eine Reform der internationalen Wirtschaftsinstitutionen - ich fordere keine neuen, wohl aber eine Reform -, um den weltweiten Herausforderungen, von denen ich soeben gesprochen habe, besser als bisher begegnen zu können.
({5})
Meine Damen und Herren, wir brauchen internationale Ordnungsmuster und unternehmerische Visionen, die uns allen wieder Zuversicht geben. Ohne solche Visionen wirken die Umwälzungen, die wir erleben, auf die Menschen beängstigend und abschreckend.
Dabei wissen wir doch alle: Es gibt zu dieser Entwicklung keine Alternative. Es gibt bei dieser Entwicklung nicht nur Probleme, sondern auch große Chancen. Wir müssen nur ohne ideologische Verklemmung, aber mit Mut und Zuversicht die dargelegten Aufgaben anpacken. Dabei ist mehr internationale Koordination, aber auch mehr Kooperation zwischen Wirtschaft und Politik erforderlich.
Schönen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jochen Feilcke.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist sehr gut, daß wir kurz vor dem Weltwirtschaftsgipfel hier im Deutschen Bundestag über die internationale Schuldenproblematik, oder lassen Sie es mich anders sagen: über Entwicklungspolitik in den großen Zusammenhängen reden. Es ist auch gut, daß ich als letzter Redner hier bin; denn dann kann mir keiner mehr widersprechen.
({0})
Die vorliegenden Anträge der Opposition enthalten teils bestätigende Bemerkungen zur Politik der Bundesregierung, teils in Ansätzen richtige Vorschläge und teils natürlich auch abwegige Forderungen, so daß wir den Anträgen leider bei allem guten Willen nicht zustimmen können, sondern sie heute, wo sie zur Abstimmung stehen, ablehnen müssen.
Die internationale Fachwelt und damit auch die Politik hatten geglaubt, die Schuldenkrise der 80er Jahre sei überwunden. Viele von uns waren der Meinung, daß die globale Schuldenkrise mit dem Brady-Plan, mit den bilateralen Schuldenstreichungen und den neuen Instrumenten des Pariser Clubs endgültig gelöst werden könnte. Dies erweis sich als voreiliges Wunschdenken. Am Beispiel Mexiko, dem Land, von dem 1982 die Schuldenkrise ausging, die sich dann wie ein Flächenbrand in der ganzen Welt ausbreitete, wird jedem klar, auf wie tönernen Füßen der Konsolidierungsprozeß noch immer steht.
Die Gruppe der hochverschuldeten Länder mit mittlerem Einkommen, die sogenannten SIMICs, und die der hochverschuldeten armen Länder, der sogenannten SILICs, waren bei all diesen Strategien immer die Sorgenkinder der Geberländer, ohne jedoch jemals mit spektakulären Problemen in das öffentliche Bewußtsein zu dringen, weil es sich nur um vergleichsweise geringe Beträge handelte, die allerdings in den Ländern zu erheblichen Friktionen geführt haben.
Die Strategie der OECD-Länder, den Anstieg des Sozialprodukts dieser Volkswirtschaften nachhaltig zu unterstützen, damit diese Länder sozusagen aus ihren Schulden herauswachsen können, hat sich als erfolglos erwiesen. Die Gebergemeinschaft ist erneut gefordert. Es muß endlich sichergestellt werden, daß externe Finanzmittel zu mehr Entwicklung und Wachstum und nicht zur Bedienung der Schulden aufgewandt werden. Einige Länder, wie Norwegen, Holland, die Schweiz und natürlich auch die Bundesrepublik Deutschland, haben bereits große Fortschritte bei der Entschuldung der hochverschuldeten Länder mit mittlerem Einkommen und der hochverschuldeten ärmsten Länder gemacht.
Andererseits spielen die multilateralen Finanzierungsinstitutionen eine zunehmend umstrittene Rolle. Ihre Ausleihungen tragen zu erheblicher Neuverschuldung bei. Forderungsverzichte jedoch werden von Weltbank, IWF und den großen regionalen Entwicklungsbanken nicht in Betracht gezogen.
Auch die International Development Agency ({1}) ist ins Gerede gekommen. Einige politisch unsensibel gehandhabte Großprojekte haben den Sinn von Infrastrukturprojekten grundsätzlich in Frage gestellt. Auch die IDA-Mittel haben zur Neuverschuldung erheblich beigetragen und werden häufig zur Reduzierung der Schulden verwandt.
({2})
- Ja, aber die Wahrheit ist nicht immer nur schwarzweiß. Ich werde auf das Thema zurückkommen.
Da diese Mittel zum größten Teil aus Steuereinnahmen der Geberländer gespeist werden, ist es nur zu verständlich, daß ein wirksameres Mitspracherecht bei der Mittelvergabe gefordert wird. Der Grundsatz der Mittelvergabe sollte weiterhin sein, daß die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit niemals übersteigen darf.
Die Bundesrepublik Deutschland hat in diesem Sinne gemeinsam mit anderen bilateralen Gebern eine Pionierfunktion übernommen. Allerdings sind die Spielräume für den weiteren Forderungserlaß aus der finanziellen Zusammenarbeit weitgehend ausgeschöpft. Absolut kontraproduktiv wäre es, Mittel der finanziellen Zusammenarbeit nur noch als nicht rückzahlbare Zuschüsse zu gewähren, auch deshalb, weil hierdurch das Gesamtvolumen der verfügbaren Gelder erheblich reduziert würde.
Natürlich dürfen Entschuldungsmaßnahmen nicht kleinen Gruppen privilegierter Eliten zugute kommen, sondern müssen zur Armutsbekämpfung eingesetzt und in den Dienst umweit- und sozialverträglicher Entwicklungsstrategien gestellt werden.
({3})
Hier kann jedoch keine pauschale Verhaltensrichtlinie formuliert werden, hängt doch der Erfolg vor allem davon ab, ob in dem betreffenden Land die politischen Voraussetzungen dafür bestehen - wie Staatssekretär Hedrich das ausführte -, ob eine entsprechend gute Regierungsführung, eine ausreiJochen Feilcke
chende Entwicklungsorientierung des Staates und übrigens auch der wichtigen gesellschaftlichen Kräfte sowie eine marktfreundliche Wirtschaftsordnung vorhanden sind.
Nur bei Vorliegen dieser Kriterien sollte die Bundesregierung auch weitere bilaterale Schuldenerlasse in Betracht ziehen. Nur dann sind Schuldenerlasse sowohl gegenüber der Bevölkerung des begünstigten Landes als übrigens auch gegenüber dem deutschen Steuerzahler zu rechtfertigen.
Kurz zur Idee des Gegenwertfonds: Wir sollten das sehr sorgfältig prüfen, haben wir als zerstörtes Land nach dem Zweiten Weltkrieg damit doch sehr gute Erfahrungen gemacht. Allerdings ist das Funktionieren des Gegenwertfonds davon abhängig, in welchem Umfange es in dem Lande leistungsfähige Akteure gibt. Nach dem Kriege hat es bei uns funktioniert. Hermann Josef Abs hat im Zusammenhang mit Indonesien immer wieder darauf hingewiesen, der Hauptschwachpunkt bei diesem Lande sei die Schwierigkeit der internen Aufbringung des Schuldendienstes.
Gegenwertfonds müssen also von Fall zu Fall geprüft werden. Ihr Funktionieren hängt von vielen Faktoren ab. Wenn die interne Aufbringungsfähigkeit nicht gegeben wäre, wäre das Entwicklungsland nämlich gezwungen, öffentliche Gelder aus anderen, sozial, ökologisch und wirtschaftlich unverzichtbaren Bereichen abzuziehen.
Die sogenannte Tobin-Steuer - das heißt, Entschuldungsmaßnahmen durch eine Besteuerung spekulativer Kapitaltransfers zu refinanzieren - entspringt einer weit verbreiteten Aversion gegen das Phänomen der Spekulation. Hier werden völlig unrealistische Erwartungen auf das große Geld geweckt. Ein solcher Vorschlag benötigte im übrigen die einstimmige Unterstützung; darauf ist bereits hingewiesen worden. Ohne diese Einstimmigkeit könnte mit der Umsetzung gar nicht erst begonnen werden. Auch sollten wir festhalten, daß der IWF eine währungspolitische Institution ist und nicht zum Hilfsfiskus werden sollte.
Eine Unterscheidung zwischen spekulativen und nicht spekulativen Kapitaltransfers ist überhaupt nicht vorzunehmen.
({4})
Kapitaltranfers lassen sich heute an jedem Ort der Welt organisieren, so daß Ausweichmöglichkeiten, um die sogenannte Tobin-Steuer zu vermeiden, jederzeit gegeben sind.
Schuldenerleichterungen bzw. Schuldenerlasse sollten über die schon erwähnten Kriterien hinaus immer dann mit Strukturanpassungsprogrammen gekoppelt werden, wenn im Empfängerland fundamentale wirtschaftliche Ungleichgewichte bestehen und diese eine wesentliche Ursache für die Überschuldung bilden.
({5})
Strukturanpassungsprogramme sind auch dann erforderlich, wenn verzerrte politische, wirtschaftliche und soziale Strukturen eine erfolgreiche Nutzung der durch Entschuldungsmaßnahmen geschaffenen zusätzlichen Spielräume für umwelt- und sozialverträgliche Entwicklungsstrategien zu konterkarieren drohen. Bei der Kritik an den Strukturanpassungsprogrammen gerät nämlich allzu leicht aus dem Blickfeld, daß es immer die armen und ärmsten Bevölkerungsschichten waren, die unter Mißwirtschaft, schlechter Haushaltspolitik und hoher Inflation zu leiden hatten.
Zuzugeben ist natürlich, daß anfänglich die Strukturanpassungsprogramme häufig sozial und ökologisch unausgewogen waren. Inzwischen haben jedoch Weltbank und Währungsfonds aus den Fehlern gelernt. Heute sind ihre Programme der Strukturanpassung in der Regel sozial, wirtschaftlich, ökologisch und gesellschaftspolitisch sorgfältig austarierte Reformstrategien.
Noch einige Bemerkungen zur 11. Auffüllungsrunde der IDA: Die Bundesrepublik Deutschland hat sich in der Vergangenheit immer besonders aktiv um eine ausreichende Mittelausstattung der IDA gekümmert und selbst wesentliche Beiträge dazu geleistet. Das sogenannte weiche Fenster der Weltbank war und ist der größte einzelne Empfänger deutscher multilateraler Entwicklungsbeiträge. Auf Grund der amerikanischen Haushaltsengpässe ist allerdings zu befürchten, daß die 11. Wiederauffüllungsrunde nicht zu einer ausreichenden Aufstockung der Mittel führt.
Die Schwerpunkte der IDA-Politik sollten sein: Armutsbekämpfung und Grundsicherung, Förderung von Frauen, Förderung energiesparender, umweltund sozialverträglicher sowie dezentraler Technologien der Energiegewinnung und der Kontinent Afrika. Es wäre aber keineswegs sinnvoll, diese Schwerpunkte durch die Vorgabe fester Prozentsätze genau zu quantifizieren. Das sage ich in Richtung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Für den Umfang der Förderung und insbesondere die Konkretisierung dieser Schwerpunktbildung müssen die IDA, die Empfängerländer selbst und die an den Entscheidungsprozessen beteiligten gesellschaftlichen Akteure verantwortlich bleiben.
So sehr wir auf der Einhaltung der bestehenden Kriterien bestehen müssen, sollte die Bundesrepublik Deutschland sich auf keinen Fall zum Anwalt starrer Quoten machen.
Unsinnig erscheint auch eine pauschale Ablehnung von Infrastrukturprojekten. Damit komme ich auf das Thema zurück, das von Frau Dr. Schwaetzer und Herrn Staatssekretär Hedrich schon erwähnt worden ist: Es darf keine pauschale Ablehnung von Infrastrukturprojekten einfach deshalb geben, weil auch Fehlentwicklungen vorgekommen sind. Es hat natürlich Beispiele unsensibler Planung gegeben. Dennoch sind Infrastrukturprojekte sehr häufig die Grundvoraussetzung für die Entwicklung eines Landes von unten. So ist es z. B. notwendig, auf gebauten Straßen - und das sind große InfrastrukturproJochen Feilcke
jekte - die Produkte der Armen zu den Märkten zu transportieren. Selbstverständlich muß sichergestellt sein, daß künftig bei der Planung das notwendige ökologische und soziale Augenmaß gewahrt wird.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir werden den Anträgen 1 und 5 unsere Zustimmung heute nicht geben können. Bei den übrigen Anträgen freuen wir uns auf die Beratungen in den Ausschüssen.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD zum 21. Weltwirtschaftsgipfel in Halifax auf Drucksache 13/1540. Wer stimmt für den Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/673, 13/740 und 13/ 1018 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Rolle der G-7-Gruppe bei der Reform des Weltwirtschaftssystems, Drucksache 13/1545. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion der SPD und gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS ist der Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Horst Sielaff, Anke Fuchs ({0}), Dr. Gerald Thalheim, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Einzelbetriebliche Förderung als gezielte Agrarstrukturpolitik im geeinten Deutschland
- Drucksachen 13/94, 13/766 Dazu liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P., der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 1 1/2 Stunden vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Herr Bundesminister Jochen Borchert.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland braucht eine
vielseitig strukturierte und leistungsfähige Landwirtschaft ({0})
- vielen Dank, Herr Kollege Fischer -, die die Bevölkerung mit hochwertigen Nahrungsmitteln zu angemessenen Preisen versorgt, unsere natürlichen Lebensgrundlagen erhält, unsere Kulturlandschaft pflegt und die Attraktivität unserer ländlichen Gebiete sicherstellt. Bei der Erfüllung dieser Aufgaben braucht die Landwirtschaft die Unterstützung durch Staat und Bevölkerung.
Mit dem Ziel einer leistungsfähigen Landwirtschaft vor Augen haben Bund und Länder eine Neuausrichtung der einzelbetrieblichen Investitionsförderung vorgenommen. Dabei ging es vor allem darum, die Förderbedingungen für die Betriebe zu verbessern, dabei den rechtlich zulässigen Rahmen der Europäischen Union für eine intensive investive Förderung so weit wie möglich auszuschöpfen, gleichzeitig den unterschiedlichen strukturellen Verhältnissen in den Bundesländern Rechnung zu tragen, die bisherigen Förderungsbedingungen zu straffen und zu vereinfachen und sie gleichzeitig für die Verwaltung und für die Landwirte transparenter und praxisgerechter zu gestalten.
({1})
Wir haben mit den Ländern und dem Berufsstand lange um ausgewogene Lösungen gerungen. Ich meine, mit dem Agrarinvestitionsförderungsprogramm, das Anfang März dieses Jahres von Bund und Ländern beschlossen wurde, haben wir im Bereich der Strukturförderung die notwendigen zukunftsorientierten Rahmenbedingungen geschaffen.
({2})
Die neue einzelbetriebliche Investitionsförderung unterscheidet nicht mehr zwischen Haupterwerbs- und Nebenerwerbsbetrieben. Entscheidend für den Umfang einer Förderung ist jetzt, ob es sich um kleinere oder größere Investitionen handelt. Damit wird dem Ziel eines gleichberechtigten Nebeneinanders der vielfältigen Betriebsformen entsprochen.
Der europäische Förderrahmen wird dadurch ausgeschöpft, daß national u. a. das förderfähige Investitionsvolumen erhöht wurde, die Förderobergrenzen in der Milchviehhaltung angehoben und die Förderungsmöglichkeiten vor allem für Betriebszusammenschlüsse und Einkommenskombinationen deutlich erweitert wurden.
Schwerpunkt der Förderung sind - dies vor allen Dingen wegen ihres Kostenumfangs - bauliche Investitionen einschließlich der dabei erreichbaren Verbesserungen beim Tierschutz, bei der Tierhygiene, beim Umweltschutz und bei der Energieeinsparung.
Eine wichtige Fördervoraussetzung bleibt nach wie vor die flächengebundene Tierhaltung. Wir wollen keine industriemäßig betriebene Tierproduktion.
Wir wollen eine Landwirtschaft, die im Einklang mit der Natur und mit tierschutzgerechten Haltungsformen ihre vielfältigen Leistungen für die Bevölkerung erbringen kann.
({3})
Damit die verbesserte Förderung auch wirklich greifen kann, habe ich mich mit den Ländern darauf verständigt, noch 1995 die einzelbetriebliche Investitionsförderung finanziell zu verstärken. Für Neubewilligungen stehen 1995 rund 167 Millionen DM Bundes- und Landesmittel zusätzlich zur Verfügung. Diese Mittel sind zum größten Teil bereits in diesem Jahr wirksam; sie können auf der Grundlage von Investitionsanträgen vergeben werden. Ein bestimmter Teil kann natürlich erst im nächsten Jahr finanziell in Anspruch genommen werden.
Entsprechend hat sich der Anteil der einzelbetrieblichen Investitionsförderung am Gesamtplafond der Gemeinschaftsaufgabe von rund 19 % im Jahre 1994 auf rund 23 % im Jahre 1995 erhöht.
Wenn die SPD kritisiert, daß ein zu geringer Anteil des Plafonds der Gemeinschaftsaufgabe für die einzelbetriebliche Investitionsförderung eingesetzt wird, bin ich gern bereit, mit Unterstützung der SPD-Fraktion einen größeren Teil zweckgebunden für diesen Bereich zur Verfügung zu stellen.
({4})
Dann können wir dies nämlich auch gegenüber den Bundesländern durchsetzen.
({5})
Die Aufstockung der einzelbetrieblichen Investitionsförderung um 100 Millionen DM gilt für alle Bundesländer. Das Agrarinvestitionsförderungsprogramm gilt zunächst nur in den alten Bundesländern. Für die neuen Bundesländer gelten die Sonderregelungen der einzelbetrieblichen Förderung bis Ende 1996 uneingeschränkt weiter.
Über die Anwendung der neuen Förderbedingungen in Ost und West werden wir gemeinsam mit den Ländern spätestens mit dem Rahmenplan 1997 entscheiden. Dabei soll niemand bevorzugt und niemand benachteiligt werden. Wir werden das unternehmen, was sachlich und politisch in Ost- und Westdeutschland geboten ist.
({6})
Ich sage dies, um der immer wieder neu aufflackernden, aber völlig unnötigen Ost-West-Förderdiskussion entgegenzutreten.
({7})
Die in kürzester Zeit erreichten Erfolge in den neuen Bundesländern mit hohen Wachstumsraten der Wirtschaft und dem zügigen Aufbau leistungsfähiger land- und ernährungswirtschaftlicher Betriebe verdeutlichen: Unsere Politik der besonderen Förderung für die neuen Lander ist richtig. Diese Politik ist erfolgreich. Wir müssen sie zumindest so lange fortsetzen, wie massive Ungleichgewichte und Defizite bestehen. Noch nicht so recht in Schwung gekommen ist in den neuen Bundesländern die tierische Veredlung. Ich bedauere dies, weil uns gemeinsam klar ist - ich hoffe, daß es hierüber keinen politischen Dissens gibt -: Auch die Landwirtschaft in den neuen Bundesländern braucht die tierische Produktion als Einkommensstandbein.
Um den Aufbau der Veredlungsproduktion in den neuen Ländern besser voranzubringen, haben wir im Frühjahr dieses Jahres die Förderung in der Gemeinschaftsaufgabe auch hier nochmals verbessert. Das förderungsfähige Investitionsvolumen bei baulichen Investitionen im Bereich der tierischen Veredlung wurde für Unternehmen in Form juristischer Personen, aber auch für Personengesellschaften von 143 000 DM je Arbeitskraft auf 329 000 DM je Arbeitskraft angehoben. Für die Wiedereinrichter bestand diese günstige Förderung bereits seit 1991.
({8})
Die günstigen Fördermöglichkeiten gilt es jetzt verstärkt zu nutzen. Die Länder können und müssen jetzt die Fördermöglichkeiten mit eigenen Anstrengungen verstärken. Zum Beispiel haben die neuen Länder die Möglichkeit, im Rahmen der Ziel-1-Gebiet-Förderung, also dort, wo Brüssel 75 % der Ausgaben gegenfinanziert, eigene Programme aufzulegen, um die Veredlung voranzutreiben. Hier ist also die Verantwortung vor Ort, die Verantwortung der Länder gefordert.
Aber die Verantwortung der Länder ist nicht nur im Bereich der Agrarstrukturpolitik gefordert. Für unsere Landwirtschaft ebenso bedeutsam sind die im Jahressteuergesetz 1996 vorgesehenen Steuerentlastungen. Mit großer Sorge sehe ich, daß der Finanzausschuß des Bundesrates sich mit der Mehrheit der SPD-Länder für die Abschaffung wesentlicher Steuererleichterungen ausgesprochen hat. Dies sind Steuererleichterungen, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, die weniger Bürokratie für Behörden und Steuerzahler bedeuten und die vor allen Dingen der besonderen Situation von Einkommens- und Ertragsschwankungen in der Landwirtschaft gerecht werden.
Ausgerechnet hier wollen die SPD-Länder den Rotstift ansetzen - und das vor dem Hintergrund einer außerordentlich angespannten Einkommenssituation in der Landwirtschaft. Dies ist ein harter Schlag gegen die Landwirtschaft, ein steuerpolitischer Kahlschlag, der, glaube ich, seinesgleichen sucht. Hier ist für mich das Verhalten der SPD-regierten Länder, um es vorsichtig auszudrücken, unverständlich.
Herr Kollege Sielaff, wenn Sie beklagen, daß zuwenig Finanzmittel für die einzelbetriebliche Investitionsförderung bereitstehen, und sich im gleichen
Atemzug Ihre Partei für die Abschaffung wesentlicher steuerlicher Erleichterungen für die Land- und Forstwirtschaft ausspricht, so ist dies ein Vorgehen, das völlig unverständlich ist.
({9})
Ich kann daher nur an Sie und die SPD appellieren: Wir können unsere Betriebe doch nicht einerseits auf der Strukturseite fördern und sie im gleichen Atemzug auf der Steuerseite und damit bei der Bildung von Eigenkapital benachteiligen,
({10})
und zwar in einem Umfang, daß wir uns nicht zu wundern brauchen, wenn die deutsche Landwirtschaft dann in Gefahr gerät, im zunehmenden europäischen Wettbewerb das Nachsehen zu haben. Wer Leistung und Leistungsfähigkeit in der Landwirtschaft stärken will, muß wissen: Die Verbesserung der Agrarstrukturförderung kann ihre Wirksamkeit nur dann optimal entfalten, wenn die Betriebe die Möglichkeit haben, Eigenkapital zu bilden, das heißt, wenn die Betriebe in ein ausgewogenes steuerpolitisches Konzept eingebunden sind, zu dem die Steuervergünstigungen gehören, die die SPD jetzt streichen will.
Meine Damen und Herren von der Opposition, mit den Steuerentlastungen für die Landwirtschaft im Jahressteuergesetz 1996 geht es nicht darum, Finanzjongleuren, Abschreibungskünstlern oder Großkonzernen Vorteile zu verschaffen. Hier geht es darum, der hart arbeitenden Landwirtschaft, die ohnehin nicht genug verdient, bei ihren besonderen Belastungen eine gewisse Erleichterung zu ermöglichen.
({11})
Bei allen parteipolitischen Differenzen: Machen Sie Ihren Einfluß geltend, daß die SPD-Regierungschefs nicht gegen die Landwirtschaft stimmen!
({12})
- Das werden wir ja bei der Abstimmung im Bundesrat erleben. „Verbundenheit mit der Landwirtschaft", das darf keine Leerformel sein.
({13})
- Wir werden dies durchsetzen. Wir werden die Landwirtschaft steuerlich entlasten.
Ihrem Entschließungsantrag, meine Damen und Herren von der Opposition, entnehme ich, daß Sie sich auch Gedanken zur Ausgleichszulage gemacht haben. Dazu nur einige kurze Bemerkungen: Agrarpolitik muß gerade auch dort, wo die Landwirtschaft unter erschwerten Bedingungen wirtschaften muß und keine befriedigenden Ergebnisse erzielen kann, Unterstützung erhalten ({14})
eine Unterstützung wie etwa die Ausgleichszulage in benachteiligten Gebieten. Diese Ausgleichszulage leistet einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der landwirtschaftlichen Einkommen in strukturschwachen ländlichen Räumen und damit zum Erhalt einer flächendeckenden Landwirtschaft und zum Erhalt einer vielseitig strukturierten Landwirtschaft.
({15})
In den neuen Bundesländern hat die Ausgleichszulage viele Betriebe bei der Bewältigung des schwierigen Umstrukturierungsprozesses unterstützt.
({16})
Wer die Attraktivität unseres ländlichen Raumes als Arbeits-, Wohn- und Lebensraum auch für künftige Generationen erhalten will, der darf die Maßnahmen zu ihrer Stärkung nicht in Frage stellen. Die Ausgleichszulage und die Dorferneuerung sind unverzichtbar für den Erhalt und die Weiterentwicklung unseres ländlichen Raumes.
Meine Damen und Herren, mit der Vereinfachung, der Neuausrichtung und der finanziellen Stärkung der einzelbetrieblichen Investitionsförderung sind wir auf dem Weg zu einer leistungsfähigen Landwirtschaft gut vorangekommen. Die Bundesregierung hat mit den Ländern neue Schwerpunkte in der Förderung gesetzt. Diese Möglichkeiten gilt es mm konsequent zu nutzen, damit wir die Landwirtschaft in Deutschland für den Wettbewerb in Europa stärken können.
Vielen Dank.
({17})
Der Kollege Kurt Palis hat jetzt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Debatte hat in der Tat, wie der Minister soeben betont hat, eine große Bedeutung für die Zukunft unserer Landwirtschaft. Es geht um eine Vielzahl landwirtschaftlicher Betriebe in sehr unterschiedlichen Rechtsformen. Es geht um Vollerwerbsbetriebe, es geht um Haupt-und Nebenerwerbsbetriebe. Es geht um Betriebe, die in sehr unterschiedlichen Landschaften wirtschaften.
Es wäre sehr reizvoll, einmal einen Überblick darüber zu bekommen, wie viele Mittel wir in Deutschland seit Bestehen der Bundesrepublik eingesetzt haben, um die Betriebe bei Investitionsvorhaben zu fördern, wie viele öffentliche Mittel bisher aufgewendet wurden, um landwirtschaftliche Betriebe in den benachteiligten Gebieten zu erhalten - Gebiete, die bei uns mehr als 50 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche umfassen.
Dabei wäre es sicher auch reizvoll, Auskunft über die räumliche Verteilung der Mittel zu erhalten. Aber das alleine genügte nicht. Es muß vor allem geKurt Palis
fragt werden, warum unsere landwirtschaftlichen Betriebe heute dort stehen, wo sie stehen. Sind die Mittel sinnvoll und effizient eingesetzt, oder ist ihre Wirkung weitgehend verpufft?
Tatsache ist: Trotz langjährigem einzelbetrieblichem Förderprogramm, trotz regionaler Wirtschaftspolitik zur Unterstützung des landwirtschaftlichen Strukturwandels durch Schaffung außerlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze ist die Landwirtschaft in den alten Ländern nach Vollendung des Binnenmarktes mit erheblichen strukturellen Wettbewerbsnachteilen konfrontiert. - Dies wird im übrigen auch im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen im ersten Punkt anerkannt; auch ich erkenne das hiermit an. - Dies erfahren wir schmerzlich im Zusammenhang mit wichtigen Agrarpreisen, vor allem für Milch. Sie weisen eine fallende Tendenz auf. Hinzu kommt ein wachsender Wettbewerbsdruck aus flächenstarken Betrieben, nicht zuletzt in den neuen Bundesländern.
Daß wir mit unserer Landwirtschaft da stehen, wo wir stehen, hat viele Gründe, die nicht alle in der Sache begründet sind. Da gab es in den 50er Jahren die Allianz zwischen dem Bauernpräsidenten Rehwinkel und dem damaligen Bundeslandwirtschaftsminister Lübke, der von der „inneren Kolonisation" kam und dem konservativen Familienbetrieb verpflichtet war. Hierzu gehört auch der sogenannte bayerische Weg und die Forderung, daß jeder Bauer bleiben könne, der Bauer bleiben wolle. Hinzu kamen aber auch die nachvollziehbaren Forderungen der Bauern nach kostendeckenden Preisen, also die Forderung nach Anpassung der Preise an die Kosten und nicht umgekehrt. Diese Forderung fand sich über Jahre hinweg teilweise auch in Brüsseler Preisbeschlüssen und führte eben zu Überproduktionen, zu den von allen nicht gewollten Butterbergen, Weinseen, Milchseen usw.
Vor dem Ergebnis dieser Politik stehen wir heute. Die Politik war und ist noch über große Strecken nicht zukunftsweisend. Der vom Planungsausschuß für Agrarstruktur und Küstenschutz ab 1995 eingeschlagene Weg, mit dem Agrarinvestitionsförderungsprogramm Wettbewerbsfähigkeit und Umweltverträglichkeit unserer landwirtschaftlichen Betriebe zu verbessern, weist allerdings in die richtige Richtung, Herr Minister Borchert. Auch wir Sozialdemokraten sind für möglichst wenig Bürokratie und möglichst einfache Förderabwicklung. Wir haben aber Zweifel, ob das mit einem vereinfachten Verfahren arbeitende Agrarkreditprogramm zielgerichtet angewendet werden kann. Unsere Forderung an die Bundesregierung lautet deshalb, daß nach der Einführungsphase und vor Beginn der Bund-Länder-Gespräche über die Vereinheitlichung der Förderung ab 1997 das neue Agrarkreditprogramm auf seine Zielerfüllung hinsichtlich der Schaffung einer wettbewerbsfähigen und umweltverträglichen Landwirtschaft überprüft wird. Das Ergebnis ist dann dem Bundestag vorzulegen. Die Erfahrungen mit den bisherigen Förderungen und deren Ergebnisse lassen das dringend geraten erscheinen.
({0})
Weiter fordern wir die Bundesregierung auf, vor einem Beschluß des Planungsausschusses für Agrarstruktur und Küstenschutz über eine Vereinheitlichung der Förderung in den alten und neuen Ländern für den Rahmenplan 1997 den Bundestag rechtzeitig und umfassend zu unterrichten. Wie sehen die Regelungen etwa für eine zukünftige Junglandwirteförderung aus, welche Erfahrungen gibt es mit der Kombination von Förderungsmaßnahmen,
({1})
welche Kombinationen erweisen sich als sinnvoll und effizient? Die Beantwortung dieser und weiterer Fragen ist rechtzeitig und umfassend mit dem Bericht der Bundesregierung über die zukünftige Gestaltung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" hier zur Beratung vorzulegen. Dabei sollen vor allem auch die regionalen Auswirkungen der geplanten Regelungen auf die sehr unterschiedlichen Agrarstrukturen aufgezeigt werden.
Ich betone nochmals: Wir erwarten die rechtzeitige Vorlage des entsprechenden Berichts. Es geht nicht an, daß wir den Bericht im federführenden Ausschuß des Bundestages erst dann beraten, wenn der Planungsausschuß bereits feststehende Beschlüsse gefaßt hat - so geschehen in der letzten Sitzungswoche.
({2})
- Da Sie, Herr Kollege, zum wiederholten Male dazwischenrufen und auf unser gemeinsames Heimatland Niedersachsen verweisen, bitte ich Sie, zu berücksichtigen, daß ich in erster Linie hier Bundespolitik zu verhandeln habe. Dies gilt auch für die Bemerkung des Ministers, daß im Bundesrat ganz bestimmte finanzpolitische Entscheidungen anstehen.
Die Angelegenheit ist sehr ernst. Die Situation in unseren landwirtschaftlichen Betrieben belegt es. Eine parlamentarische Kenntnisnahme alleine reicht nicht aus. Dies ist ein ganz wichtiger Punkt. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der F.D.P., dies vermisse ich als Forderung in Ihrem Entschließungsantrag, der mir gerade noch rechtzeitig zugegangen ist.
Wir fordern die Bundesregierung auf, umgehend einen Bericht über die Wechselbeziehungen zwischen der Entwicklung landwirtschaftlicher Betriebe und dem Stand und der Entwicklung der Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen in den alten und neuen Ländern vorzulegen. Wie sieht die Situation auf den Schlachthöfen aus, wie bei den Molkereien? Offensichtlich vorhandene Fehlplanungen beim Ausbau und der Modernisierung dieser Einrichtungen in den neuen Ländern lassen die Einsparungsmöglichkeiten und Vorteile durch eine Nichtausnutzung aufgebauter Kapazitäten wie Seifenblasen zerplatzen. Die Konsequenzen daraus haben die Bauern zu tragen; sie erhalten keine vernünftigen Preise.
Hier schließt sich der Kreis der Bemühungen, die wirtschaftliche, die kulturelle und soziale Situation unserer ländlichen Räume zu verbessern. Noch so gute einzelbetriebliche Förderungen werden wenig bewirken, wenn letztlich - hier übertreibe ich bewußt - ein moderner Bauer auf sich allein gestellt ist. Wir haben - hier spreche ich uns alle in diesem Hohen Hause an - die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sorgen, daß unsere ländlichen Räume mit ihren Dörfern auch über den engen landwirtschaftlichen Bereich hinaus lebenswert bleiben.
({3})
Wir Sozialdemokraten fordern deshalb in unserem Entschließungsantrag, die Möglichkeiten zur Förderung des ländlichen Raumes mit seinen Dörfern im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe nachhaltig zu verbessern. Dies ist uns ein wichtiges Anliegen. Sollte der Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe dies nicht im ausreichenden Umfang gewährleisten, muß er erweitert werden. Herr Minister Borchert, ich habe eine Bemerkung von Ihnen so verstanden, daß Sie mit uns gemeinsam in diese Richtung gehen würden, wenn wir das als richtig erkennen.
Landwirtschaft und ländlicher Raum gehören für Sozialdemokraten zusammen. Wir bedauern es deshalb sehr, daß es der Bundesregierung nicht gelungen ist, in der 12. Legislaturperiode das in den Koalitionsvereinbarungen angekündigte Konzept für den ländlichen Raum auf den Weg zu bringen, aus welchen Gründen auch immer. Für die 13. Legislaturperiode hat sie diese Selbstverpflichtung bedauerlicherweise gar nicht mehr aufgenommen. Die gerade erst im Auftrag der Bundesregierung von der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung vorgelegte Raumordnungsprognose 2010 bietet auch für den Auftraggeber genügend Anlaß, über künftige Entwicklungen und Konzepte ländlicher Räume nachzudenken. Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Bundesregierung den Mut aufbrächte, im Interesse der Menschen auf dem Lande ein solches Konzept für den ländlichen Raum doch noch vorzulegen. Es ist dringender denn je vonnöten.
Ich bedanke mich.
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Jetzt hat der Kollege Egon Susset das Wort.
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Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
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Herr Kollege Palis, die Zahlen, die Sie anmahnten, sind an und für sich vorhanden. Wenn wir jetzt die Frage stellen, ob die öffentlichen Mittel richtig eingesetzt wurden, müssen wir uns vielleicht auch einmal fragen - Sie haben die 50er Jahre angesprochen -, aus welcher Situation heraus damals gefördert wurde. Die Verträge von Rom und Stresa 1957 sind schließlich davon ausgegangen, daß die damals in der Europäischen Gemeinschaft zusammenarbeitenden Länder die Bevölkerung ausreichend mit Nahrungsmitteln versehen wollten. Das galt bis zum Jahre 1976. Ich glaube, diese Mittel, die einen Strukturwandel bewirkten, der einzigartig dasteht, waren Grundvoraussetzung dafür, daß sich der Strukturwandel überhaupt sozialverträglich und abgefedert hat vollziehen können. Deshalb meine ich: Wir sollten all denen, die damals für uns Verantwortung getragen haben, auch heute noch dafür danken, daß sie bereit waren, diesen Strukturwandel mitzubewirken.
Meine Damen und Herren, die Landwirtschaft ist durch die europäische Agrarpolitik einem tiefgreifenden Wandel ausgesetzt. Wir müssen sagen: Sie macht einen schmerzhaften Anpassungsprozeß durch. Der Anpassungsdruck zwingt die Betriebe, alle Möglichkeiten zur Rationalisierung und Leistungssteigerung zu nutzen. Wir müssen den Agrarstandort Deutschland stärken. Das heißt, die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer landwirtschaftlichen Betriebe müssen ebenso verbessert werden wie die in vielen Regionen Deutschlands unzulängliche Verarbeitungs- und Vermarktungsstruktur. Wettbewerbsnachteile für die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft in der EU können wir auf Dauer nicht tragen.
Die Prinzipien der gemeinsamen Agrarpolitik werden aufs Spiel gesetzt, wenn die Währungsentwicklung ständig die Landwirte in den Aufwertungsländern belastet und gleichzeitig die Land- und Ernährungswirtschaft in den Abwertungsländern begünstigt.
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Deshalb muß der Aufwertungsschutz für unsere Landwirtschaft bleiben.
Auf die Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Betriebe hat die Agrarstrukturpolitik maßgeblichen Einfluß. Agrarstrukturelle Maßnahmen müssen den Wandel zu leistungsfähigeren Betrieben ermöglichen. In diesem Rahmen hat die Bundesregierung erfolgreiche Anstrengungen unternommen, die gezielte einzelbetriebliche Strukturförderung neu auszurichten. Unter deutscher Präsidentschaft konnten die maßgebenden Fördermöglichkeiten der Europäischen Union wesentlich verbessert werden. Den erweiterten Förderrahmen der EU für gezielte betriebliche Investitionen hat die Bundesregierung auch national konsequent ausgefüllt.
Die Zusammenfassung der bisherigen Förderungsgrundsätze zum Agrarinvestitionsförderungsprogramm macht die Förderung wesentlich transparenter. Es ist auch zweckmäßig, an die Förderung kleiEgon Susset
nerer Investitionen geringere bürokratische Anforderungen zu stellen. Dies alles vereinfacht die Förderpraxis und erleichtert dadurch den Zugang zu den Fördermitteln.
Die Förderbedingungen sind der betriebswirtschaftlichen Entwicklung zu leistungsfähigen Betrieben neu angepaßt worden. Den verbesserten und damit attraktiveren Förderbedingungen entspricht beispielsweise die Aufstockung der Bundesmittel für einzelbetriebliche Förderung schon für das Haushaltsjahr 1995 um 100 Millionen DM auf rund 600 Millionen DM. Ich hoffe, daß wir diesen Haushalt morgen verabschieden können. Vielleicht ist der eine oder andere, dem auch daran gelegen ist, dann bereit, dem zuzustimmen.
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Insgesamt bietet die neue Investitionsförderung einen soliden Ansatz, um die Leistungsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe und ihre Wettbewerbsposition in der Europäischen Union zu verbessern. Damit hat unser Bundeslandwirtschaftsminister verwirklicht, was er in seinem Konzept „Der künftige Weg" angekündigt hat. Für diese konsequente Haltung, lieber Jochen Borchert, herzlichen Dank seitens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
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Die Landwirte, die Gärtner und die Winzer erhalten die Chance, in eine breitgefächerte Zukunft ihrer Betriebe zu investieren; denn die investive Förderung erstreckt sich - über die baulichen Maßnahmen in Wirtschaftsgebäuden hinaus - in zunehmendem Maße auch auf Einkommenskombinationen im landwirtschaftsnahen Bereich.
Handlungsbedarf gibt es nach wie vor in der Veredelungsproduktion. Der Verlust von Marktanteilen erfordert hier ein Gegensteuern. Künftig muß auch die Ausweitung der Schweineerzeugung gefördert werden können, zumindest dann, wenn die regionale Erzeugung unter dem Verbrauch von Schweinefleisch liegt. Deshalb erwarten wir mit Interesse den von der Kommission für dieses Jahr angekündigten Bericht zu dieser Frage.
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Weil es sich um Steuergelder handelt, ist es konsequent, die Förderung an der Wirtschaftlichkeit der Investitionen auszurichten und Prosperitätsgrenzen vorzuschreiben. Unverzichtbares Kriterium ist für uns auch weiterhin die Flächenbindung in der Tierhaltung. Die nachhaltige Förderung zukunftsorientierter Betriebe muß mit der Abmilderung der Härten für ausscheidende Betriebe einhergehen. Deshalb ist es unser Anliegen, daß die strukturelle Anpassung in geordneten Bahnen verläuft und sozial verträglich gestaltet wird. Hierfür sorgen vor allem die Hilfen bei der Betriebsaufgabe, die Anpassungshilfen für ältere Arbeitnehmer usw.
Der Strukturwandel muß im übrigen auch in Zukunft durch steuerliche Maßnahmen erleichtert werden. Im Gegensatz zur SPD wollen wir daher bewährte Steuerentlastungen für die Landwirtschaft erhalten und sie im Jahressteuergesetz 1996 maßvoll erweitern. Leider hat die SPD - der Bundesminister ist schon darauf eingegangen - im Bundesrat für die Zukunft praktisch alle steuerlichen Vergünstigungen für die Landwirtschaft gestrichen. Die SPD wird das nicht durchsetzen, weil wir hier die Mehrheit haben.
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Mit der deutschen Einheit ist das Spektrum der Betriebsformen und -strukturen vielfältiger geworden. Wir bejahen die Vielfalt der Betriebsformen. Aber deshalb steht Agrarpolitik natürlich auch in der Verantwortung, in ausgewogener Weise die Leistungsfähigkeit der Betriebe zu steigern und gleichzeitig die Landbewirtschaftung in der Fläche zu sichern. Dazu brauchen wir im Grundsatz die einzelbetriebliche Investitionsförderung und die Ausgleichszulage. Beide Instrumente sind deshalb weiterzuentwickeln.
Ich frage mich, Herr Kollege Palis, wie die von der SPD in ihrem Antrag an der Ausgleichszulage geübte Kritik mit der im gleichen Antrag erhobenen Forderung zusammenpaßt, eine standortgerechte Landwirtschaft auf Grenzertragsböden zu sichern. Auch dies ist ein Beispiel dafür, daß Ihre Lösungen nur Einfachstlösungen sind, meine Damen und Herren von der SPD, die natürlich dem Problem nicht gerecht werden.
Auch in Zukunft wird der weiterentwickelte bäuerliche Betrieb, an dem sich die EU orientiert, eine prägende Rolle in der Landwirtschaft spielen. Dies ist meine feste Überzeugung. Denn die Verbundenheit der Familie mit dem Betrieb, die darauf fußende besondere Motivation und Einsatzbereitschaft sind durch nichts zu ersetzen. Die Stärkung der landwirtschaftlichen Betriebe ist gleichzeitig die beste Förderung des ländlichen Raumes.
Herr Kollege Susset, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Palis?
Ja.
Bitte.
Herr Kollege Susset, wenn Sie unserem Entschließungsantrag bezüglich der Ausgleichszulage in den benachteiligten Gebieten entnehmen, daß wir dort kürzen wollen, bitte ich Sie um folgendes: Wollen Sie mir bitte beantworten, wie die siebente der Erkenntnisse, die Sie in Ihrem Entschließungsantrag formuliert haben, zu verstehen ist. Ich zitiere aus der zweiten Seite, letzter Spiegelstrich. Dort ist davon die Rede, daß
die Förderung landwirtschaftlicher Betriebe in benachteiligten Gebieten, insbesondere durch die Ausgleichszulage, wesentlich zur Stabilisierung ... beiträgt ... und auch weiterhin einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung einer flächendeckenden, umwelt- und standortgerechKurt Palis
ten Landwirtschaft leisten wird und mit diesem Ziel weiterzuentwickeln ist.
Ist in diesem Zusammenhang nicht die Weiterentwicklung identisch mit dem, was wir in unserem Antrag fordern?
Wir möchten das, was wir jetzt haben, weiterentwickeln.
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- Gnädige Frau, was im Jahre 2010 sein wird, weiß von uns niemand. ({1})
Wir wollen die unterschiedlichen Strukturen, die wir in den alten Bundesländern haben, und die unterschiedlichen Strukturen, die wir in den neuen Bundesländern gegenwärtig vorfinden, in der Zukunft weiterentwickeln. Sie haben in Ihrem Entschließungsantrag - ich habe ihn gerade geschwind für Sie herausgeholt - u. a. als Ziel aufgeführt: „standortgerechte Landbewirtschaftung auf Grenzertragsböden" . Hinter einem weiteren Spiegelstrich steht, „eine Überprüfung des derart ausgeprägten Schwerpunkts Ausgleichszulage in der Gemeinschaftsaufgabe" sei geraten.
Ihr Schwerpunkt liegt zur Zeit zu sehr auf der Ausgleichszulage. Sie möchten aber in der Zukunft natürlich auch die Bewirtschaftung der Grenzertragsböden gesichert haben. Herr Kollege Palis, wir können uns darüber lange unterhalten. Beides zusammen wird nicht gehen. Entweder geht das eine nicht, oder es geht das andere nicht. An dieser Tatsache kommen wir nicht vorbei.
Meine Damen und Herren, die Stärkung der landwirtschaftlichen Betriebe ist die beste Förderung des ländlichen Raumes und gleichzeitig die beste Förderung zum Erhalt von Arbeitsplätzen, nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch im gesamten vor- und nachgelagerten Bereich.
Fünf Jahre nach der Wiedervereinigung hat die Landwirtschaft in den neuen Bundesländern gute Fortschritte in der Umstrukturierung hin zu einer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft gemacht. Trotz aller Probleme und trotz aller Unterschiedlichkeiten bewegen sich die Landwirtschaften in den alten Ländern im Westen und in den neuen Ländern aufeinander zu. Dennoch werden auch in Zukunft Unterschiede zwischen der Landwirtschaft in den neuen und in den alten Ländern auf Grund der Agrarstruktur, die sich natürlich fast ein halbes Jahrhundert anders entwickelt hat, bestehen bleiben. Aber dieser Prozeß des Zusammenwachsens muß von der Agrarpolitik mit Verständnis für die beiderseitigen Probleme sinnvoll flankiert werden. Daher müssen wir eine einheitliche Agrarpolitik für die deutsche Landwirtschaft entwickeln und ab dem Jahr 1997 gestalten. Ich hoffe, daß hier Bund, Länder und alle Fraktionen dieses Hauses an diesem nicht ganz einfachen Vorhaben mitwirken.
Dazu gehört eine Grundsatzausrichtung in der Struktur- und Förderpolitik, die auch den regional unterschiedlichen Strukturen und Produktionsbedingungen in Deutschland Rechnung trägt. Im Milchbereich ist ein Konzept für die Zusammenführung der unterschiedlichen Milchquotensysteme in Deutschland zu erarbeiten, das die Position der Milcherzeuger stärkt und notwendige einzelbetriebliche Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Vom Ansatz her ist die Milchquote ein geeignetes Instrument, das Markt und Preis stabilisiert. Sie muß aber in der gesamten EG strikter angewandt werden, damit auch hier mittelfristig - möglichst rasch - bessere Marktbedingungen wieder bessere Milchauszahlungspreise zulassen.
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Hier wird der enge Zusammenhang zwischen Agrarmarktpolitik und Argarstrukturpolitik deutlich. Insgesamt hat die Mengensteuerung Wirkung gezeigt.
Entscheidend ist natürlich, ob die Mitgliedstaaten bereit sind, den Weg der unmittelbaren Produktionsdrosselung gegen Einkommensausgleich konsequent mitzugehen. Wir jedenfalls treten nachdrücklich für die Umsetzung der dritten Reformstufe in der EU ein. Auch dies gehört zur Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit politischer Entscheidungen. Unvertretbar ist es jedoch, wenn Produktionsdrosselung und Preissenkung gleichzeitig betrieben werden und damit doppelt belasten. Selbst der Agrarkommissar Fischler hat diese Doppelgleisigkeit kritisiert. Wir wünschen natürlich, daß er in seiner Funktion in der Richtung künftig auch Taten folgen läßt.
Meine Damen und Herren, mit einer Vielzahl von Maßnahmen haben wir den Weg zu einer umweltund klimaverträglichen Landbewirtschaftung eingeschlagen. Auch die Agrarstrukturpolitik flankiert diesen Weg durch die Förderung einer umweltschonenden Wirtschaftsweise, die weiter ausgebaut werden muß. Aber gleichzeitig müssen natürlich auch die Umweltleistungen der Landwirtschaft, die leider zu häufig in der Kritik sind, künftig besser von der Gesamtbevölkerung und von der Politik insgesamt akzeptiert werden.
Ich bin fest davon überzeugt, daß wir mit dem, was wir jetzt als neues Instrumentarium zur Agrarstrukturverbesserung haben, und mit der Unterstützung der Koalitionsfraktionen künftig viele Probleme, die vorhanden sind, lösen können. Wirken Sie alle mit!
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Uli Höfken.
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Nach der vorangegangenen Rede hat man das Gefühl, man lebe im Wolkenkuckucksheim, Herr
Susset. Es ist immer so schön, wenn Sie auf der einen Seite in Brüssel jammern, wie schlecht es der deutschen Landwirtschaft geht und wie schwer sie unter den Währungsdisparitäten leidet, wir auf der anderen Seite hier dann aber hören, welche Leistungen doch die Bundesregierung zum Erhalt und Erfolg der Landwirtschaft vollbracht hat.
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Ich kann auch nicht umhin, mich auf die vergangene Debatte zu beziehen, in der sich die Kollegen von der CDU/CSU dafür ausgesprochen haben, die Märkte - auch in Deutschland und in der EU - für immer neue Produkte zu öffnen.
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Ich denke, es wäre einmal nötig, wenn Sie Ihren Kollegen und Kolleginnen vermittelten, daß es nicht ganz unproblematisch ist, nicht nur neuseeländische Lämmer, sondern vielleicht auch neuseeländischen Wein oder Kiwis oder Weizen aus Hungergebieten in die Bundesrepublik und nach Europa einzuführen. Auch in Ihren Reihen sollte es eine Diskussion um soziales und ökologisches Dumping und die Lösung dieser Probleme geben.
Zur Debatte: Es ist schon ein gehobener Schwierigkeitsgrad, eine Debatte zu einer Großen Anfrage führen zu sollen, deren Beantwortung durch die Bundesregierung mehr Masse als Klasse zeigt. Mit vielen Wiederholungen werden die Richtlinien eines uns bereits bekannten Programmes beschrieben. Aber was fehlt, ist eine politische Bewertung und eine Auswertung des bisherigen einzelbetrieblichen Förderprogrammes hinsichtlich der Effektivität und seiner Beitragsmöglichkeiten zur Lösung der aktuellen Probleme der Landwirtschaft und der künftigen Anforderungen an die Landwirtschaft in Deutschland und Europa. Diese Antworten fallen tatsächlich völlig unter den Tisch. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum hier über Steuerpolitik oder über sonstige Dinge debattiert wird, nicht aber über die Große Anfrage.
({2})
Die Landwirtschaftspolitik der Bundesregierung dokumentiert mit dieser Antwort auf die Große Anfrage wieder das Abrutschen auf die Ebene der Verwaltungsbürokraten und Agrarbeamten und läßt die notwendige Handlungsorientierung vermissen. Wo kein Wille ist, da ist auch kein Weg.
Es hätte die Frage beantwortet werden müssen - so habe ich auch die Intention der SPD verstanden -, inwieweit die Landwirtschaft wettbewerbsfähig gemacht werden sollte; obwohl ich meine, Kollegen von der SPD, man hätte den Begriff „wettbewerbsfähig" auch ruhig einmal kritisch betrachten können.
Aber wenn man diesen Begriff schon benutzt, dann gehört dazu eine Auseinandersetzung mit dem Thema, das wir gerade im Ausschuß behandelt haben, nämlich mit den Handelskonzentrationen
- auch und gerade ein Strukturproblem in Deutschland -, und eine Antwort auf die Frage, ob das neue AFP denn hier der richtige Lösungsansatz ist und überhaupt etwas dazu beitragen kann.
Das gilt genauso für die Frage der Sicherheit der Ausgleichszahlungen, die Frage der Einkommensverluste durch die Währungsdisparitäten und die Frage des Schutzes vor dem bevorstehenden weltmarktorientierten Handel mit Agrarprodukten unter Dumpingpreisen und der erneuten Exportorientierung der deutschen Landwirtschaft, auch gerade hinsichtlich der Erhöhung der Exporterstattungen.
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Mit dem neuen AFP wird der Landwirtschaft insgesamt kein Gefallen getan. Mit einem derzeitigen Finanzvolumen von rund 4 Milliarden DM wird eine Agrarförderung konzipiert, in deren Mittelpunkt die Ausrichtung auf die einzelbetriebliche Förderung steht. Das ist eine Förderung, die auch in der Vergangenheit der deutschen Landwirtschaft nur punktuell geholfen hat und kaum Breitenwirkung zeigen wird; denn das Gros der Landwirte - das wissen Sie ja auch - wird kaum in den Genuß dieser Förderung kommen. Die hohe Verschuldung und die fehlende Eigenkapitalbildung, deutlich belegt in allen Agrarberichten, stehen dem Einsatz des Programms entgegen. Ein Teil der Betriebe wurde und wird mit diesem Programm sogar in die Verschuldung und in die Ausweglosigkeit getrieben.
Deutlich wird allerdings in der Antwort, daß eine Überprüfung dieses Programms und seiner Auswirkungen - möglicherweise negativer Art - gar nicht stattgefunden hat und sich die Bundesregierung damit aus der Verantwortung zieht, inwieweit denn dieses Programm für die Betriebe überhaupt einen positiven Effekt gehabt hat. Statt eines durchgreifenden Konzeptes für die Landwirtschaft, was ja von der SPD auch ähnlich gefordert wird, präsentiert die Bundesregierung ein Förderprogramm für eine weitere industrielle Entwicklung.
Auch wenn Direktvermarktung, Ferien auf dem Bauernhof und neuerdings Kombinationslösungen aufgenommen sind, fehlen hier die politischen Vorgaben. Zu erwarten ist - ich finde keinen Ansatzpunkt, der in irgendeiner regelnden Form in diese Ausrichtung eingreift -, daß unter diesen Voraussetzungen wieder die eindeutige Priorität auf Investitionen in Wirtschaftsgebäude gelegt wird, die ja bisher auch über 85 % ausgemacht haben. Die Konsequenzen weiterer Rationalisierungen, die ja hier so schön Arbeitserleichterung genannt werden, sind weiterer Preisdruck und Umweltschädigung.
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Das AFP kehrt die sich verschlechternde Situation der Landwirtschaft und des ländlichen Raums nicht um, sondern das Programm ist deshalb eine Fehlinvestition, weil ihm diese politische Zielsetzung fehlt und die Bundesregierung sich wieder einmal hinter
den Ländern versteckt. Geschönt wird mit diesem Programm und dessen ständiger Hervorhebung die Verringerung der Mittel des Plafonds um 76 Millionen DM, ohne einen Ausgleich zu schaffen.
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Die Niedrigpreispolitik der EU und die Unsicherheit der staatlichen Währungspolitik in Hinsicht auf die Währungsdisparitäten stellen die Reform des Agrarmarktes nicht nur in Frage, sondern die Agrarreform verliert vor der Umsetzung der dritten Stufe schon ihre Basis.
Bereits 30 bis 50 % der Einkommen der Landwirte stammen aus öffentlichen Geldern und Subventionen. 1994 wurden 16 Milliarden DM an öffentlichen Hilfen von Bund und Ländern und 11,8 Milliarden DM im Rahmen der EU-Marktordnungs- und Strukturausgaben für die Landwirtschaft ausgezahlt. Trotzdem - das gilt auch für das neue Programm - sind die Landwirte stärker als je zuvor in ihrer Existenz bedroht. Dieses Problem kommt in der Beantwortung der Großen Anfrage durch die Bundesregierung gar nicht vor.
Die vorgesehenen Maßnahmen werden nicht zu einer Stabilisierung, geschweige denn zu einer Verbesserung der bäuerlichen Einkommen führen, die Rationalisierung in den geförderten Betrieben weiter anheizen und den Preiskampf an den Märkten verstärken, sofern es denn noch Märkte gibt. Alles zugunsten von Großerzeugern, während nicht geförderte Betriebe auf der Strecke bleiben.
Im alten Gesamtprogramm konnten gerade einmal 1,3 % aller Vollerwerbsbetriebe und insgesamt nur etwa 3 000 Betriebe jährlich die Subventionen im EFP und AKP sowie der Kredithilfen in Anspruch nehmen; ein marginaler Anteil.
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Auch jetzt und gerade unter den Bedingungen der knappen Mittel ist das AFP ein Selektionsprogramm, und die Selektionskriterien werden hier nicht einmal politisch diskutiert.
Das neue Programm soll nun nach Ansicht der Bundesregierung zu einer erhöhten Anzahl von Förderanträgen führen. Aber gleichzeitig wird die neu kreierte einzelbetriebliche Investitionsförderung noch stärker an der Wirtschaftlichkeit der Einzelbetriebe ausgerichtet. Eine einzelbetriebliche Förderung, die nur von Betrieben in Anspruch genommen werden kann, die den Nachweis der Wirtschaftlichkeit, der Existenzfähigkeit und einer angemessenen Eigenkapitalbildung erbringen können, wird jedoch das Ziel eines größeren Zugangs von Betrieben zur Förderung verfehlen. Schließlich fallen auch bei den jetzigen Fördervoraussetzungen die meisten Betriebe durch den Rost. Sinkende Erzeugerpreise und hohe Altschulden werden die Masse der Landwirte von dieser Förderung ausgrenzen.
In Zukunft wird aber nicht die Größe eines landwirtschaftlichen Betriebes über die Wettbewerbsfähigkeit entscheiden, sondern die Ausrichtung auf
eine nachhaltige Wirtschaftsweise und auf stabile regionale Wirtschaftsentwicklung. Davon ist jedoch in den Programmen keine Rede. Ressourcenschonung, umweltgerechter Anbau und artgerechte Tierhaltung - das alles sind bisher Floskeln und nicht mit Inhalt gefüllt.
Der Wissenschaftliche Rat beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat gefordert, die Mittel zum Vorteil eines umweltfreundlichen Landbaus und artgerechter Tierhaltung einzusetzen. Aber da gibt es offensichtlich keine Umsetzung - jedenfalls keine konkrete - außer ein paar Worten.
In den Förderprogrammen wird die Mittelvergabe immer noch nicht an ökologische Kriterien gebunden und das Ganze auch nicht auf der EU-Ebene gefördert. Vielmehr mißt die Bundesregierung statt dessen auch im Rahmen der GA dem integrierten Pflanzenbau zu große Bedeutung bei und mißt die Fortschritte einer umweltverträglichen Landwirtschaft alleine am gesunkenen Absatz von Düngemitteln und Pestiziden, was angesichts der umfangreichen Flächenstillegungen Augenwischerei ist.
Entsprechend laufen auch die Umsetzungen bei den Ländern. Auch dort gibt es teilweise Fehlinvestitionen und eine Fehlentwicklung, beispielsweise in Rheinland-Pfalz, wo Mittel zur Förderung des integrierten Anbaus in Anspruch genommen werden können, statt daß sie für den ökologischen Anbau zur Verfügung stehen, der die Vorgaben der Mengenreduzierung und der Umweltgerechtigkeit sehr viel besser erfüllen kann.
Das Konzept der einzelbetrieblichen Förderung steht im Gegensatz zur Stärkung der ländlichen Regionen insgesamt. Das Konzept verstärkt eine strukturelle Fehlentwicklung, wie sie auch bei der Förderung von Schlachthof- und Molkereikapazitäten in den neuen Bundesländern abzusehen ist und auch vorher abzusehen war.
Perspektiven für die Landwirtschaft können durch die Entwicklung, den Aufbau und die Förderung von regionalen Vermarktungs- und Dienstleistungsstrukturen geschaffen werden. Da können sich Märkte und Eigeninitiative entwickeln. Hierfür sollte die Hälfte der Mittel zur Verfügung gestellt werden. Statt die Förderung für einen marginalen Anteil von Einzelbetrieben zu nutzen, sollte sie stärker in die Regionen fließen und einer Großzahl von Betrieben zugute kommen.
Ein Existenzsicherungsprogramm für landwirtschaftliche Betriebe, das die verschiedenen Betriebsstrukturen in den alten und neuen Bundesländern berücksichtigt, den Strukturwandel sozial absichert und die vor- und nachgelagerten Bereiche einbezieht, könnte neue Zeichen setzen.
Danke.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Ulrich Heinrich.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die einzelbetriebliche Förderung ist eines der wichtigen Instrumente, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe zu stärken. Leider stand dieses Werkzeug in der Vergangenheit viel zu lange im Hintergrund.
In den Mittelpunkt agrarpolitischer Debatten - auch in diesem Hause - rückten oft allzu bürokratische Reglementierungen. Erinnert sei nur an die Garantiemengenregelung für Milch mit ihren 34 nationalen Verordnungen oder an die EU-Agrarreform; die Reihe ist beliebig fortzusetzen. Solche Gesetze und Verordnungen haben unsere Betriebe zusätzlich behindert und haben nur wenig zu deren Entwicklung beigetragen.
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- Ich bin immer schon ein Mahner in dieser Richtung gewesen. - Wie ein lähmender Filz legten sich diese bürokratischen und teuren Vorschriften über unsere Betriebe.
Um uns herum sprießen wettbewerbsfähige Strukturen förmlich wie Pilze aus dem Boden und beherrschen immer stärker die Agrarmärkte. Ganz besonders gilt dies für die Milch- und Schweinefleischproduktion. In der Bilanz und damit im Portemonnaie muß sich dies zwangsläufig katastrophal für die deutschen Landwirte auswirken. Die Produktionskosten werden immer weiter in die Höhe getrieben, während die Produktpreise in den Keller gehen. Einer derartigen Entwicklung ist kein Wirtschaftszweig längerfristig gewachsen.
Deshalb müssen wir uns auf den Kernpunkt Sicherung eines wettbewerbsfähigen Agrarstandorts Deutschland konzentrieren. Auch in der heutigen Debatte kommen wir an dieser existentiellen Frage nicht vorbei. Jeder hat je nach politischer Überzeugung seine eigenen Lösungsvorschläge. Gleichzeitig verstärkt sich aber der Eindruck, daß die Abstände zu unseren europäischen Nachbarn von Tag zu Tag größer werden.
Die Bundesregierung hat in der Europäischen Union unter deutscher Präsidentschaft, Herrn Minister Borchert, wichtige Maßnahmen durchgesetzt, um diese Lücken in Deutschland schließen zu können. Ich spreche von der EG-Effizienzverordnung. Sie ist die EG-rechtliche Grundlage für die einzelbetriebliche Förderung in den Mitgliedstaaten. Damit wurden die Voraussetzungen geschaffen, um für die Wettbewerbsfähigkeit des Agrarstandorts Deutschland wichtige einzelbetriebliche Förderungen ausbauen zu können.
National wurde mit dem Agrarinvestitionsförderungsprogramm ein wichtiges Zeichen für eine stärkere, wettbewerbsorientierte Landwirtschaft gesetzt.
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Durch die Zusammenfassung der eigenständigen Programme - einzelbetriebliche Investitionsförderung, Agrarkreditprogramm, Förderung von Junglandwirten und Energieeinsparmaßnahmen - im AFP kann ein Teil der Überreglementierung im Agrarbereich zurückgeführt werden. Die Antragstellung wird für die Landwirte zudem übersichtlicher, und es können Verwaltungskosten, also Steuergelder, gespart werden. Außerdem wird in dem AFP eine geeignete Grundlage für die Vereinheitlichung von Förderbedingungen im gesamten Bundesgebiet ab 1997 hergestellt werden. Das ist richtig, und das ist gut so.
Der vorhandene Antragsstau bei der einzelbetrieblichen Förderung
({2})
spricht seine eigene Sprache. Über die Notwendigkeit einer Aufstockung der Mittel sind wir uns völlig einig. Ich möchte für die F.D.P. noch einmal unterstreichen, daß wir in diesem Punkt 200 Millionen DM für nötig gehalten haben.
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Leider konnten wegen der angespannten Finanzlage keine zusätzlichen Mittel für 1995/96 eingeplant werden. Die vorgenommene Aufstockung der einzelbetrieblichen Förderung um 100 Millionen DM mußte deshalb durch Umschichtungen innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe ermöglicht werden.
Die Milch- und Schweineproduktion benötigt zukünftig unsere ganz besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung bei neuen Investitionen. Frau Kollegin Höfken, ich verstehe nicht, daß Sie von „Agrarindustrie" reden. Ich sehe in der Bundesrepublik keine Agrarindustrie auf diesen Gebieten.
({4})
Es wird allerhöchste Zeit, daß eine Trendumkehr bei der Verlagerung von Produktion und Verarbeitung in die europäischen Nachbarstaaten herbeigeführt wird. Dazu müssen insbesondere hausgemachte Benachteiligungen unserer Bauern endlich abgebaut werden. Ich habe dies bereits im letzten Jahr anläßlich der Haushaltsdebatte angesprochen.
({5})
Ich muß sagen: Daß wir in der Vergangenheit teilweise falsche Schwerpunkte gesetzt und unsere nationalen Spielräume nicht ausreichend genutzt haben, läßt sich besonders an einigen Beispielen darlegen. So hat die Einführung der Milchquote 1984 weder zu einer langfristigen Preisstabilität noch zu einem Abbau der Überschüsse im europäischen Bereich geführt. Genau das Gegenteil ist eingetreten: Für die deutschen Milcherzeuger war die Lage noch nie so dramatisch wie heute.
({6})
Während wir uns mit preußischer Akribie in der Umsetzung von 34 nationalen Milchverordnungen geübt
haben, bauten andere Staaten ihre Kuhställe aus und
beherrschen heute die Märkte. Teilweise wurden sogar ganze Mitgliedstaaten für die Nichtvermarktung mit zusätzlichen Quoten belohnt. In diesem Punkt und in der aktuellen Diskussion der Währungsstabilität von Ausgleichsprämien steht die Glaubwürdigkeit Europas auf dem Spiel. Weitere Benachteiligungen sind nicht mehr hinnehmbar.
({7})
Viele Fachleute bewerten die Situation der Schweinehaltung noch kritischer, wenn auch die Probleme zum Teil andere Ursachen haben. Wie Brüssel über Umwege Handelsströme zum Nachteil deutscher Schweinehalter zu beeinflussen sucht, hat die Schweinepest deutlich gezeigt. National machen uns vor allem zu einseitige Rechtsvorschriften zu schaffen - nehmen Sie sich das bitte einmal zu Herzen -, die alle den Wettbewerb massiv verzerren. Dies gilt ganz besonders für Bauvorschriften und Regelungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, die andere Staaten so nicht haben. Gehen sie einmal hin und reden Sie mit jemandem, der heute im Bereich der Schweineproduktion investieren will! Es ist ihm bei den derzeitigen Preisen überhaupt nicht mehr möglich, mit einer Investition kostendeckend voranzukommen.
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Das spreche ich hier deutlich an. Nicht nur hier, lieber Kollege Bredehorn, sind Korrekturen dringend geboten.
({9})
Um die angesprochene Trendwende bei der Behauptung unserer nationalen Märkte durchzusetzen, müssen wir auch für die Schweineproduktion eine einzelbetriebliche Investitionsförderung ermöglichen. Ich stelle hier die Forderung, daß die Effizienzverordnung auch für den Schweinebereich so geändert werden muß, daß Investitionen für den Schweinebereich mit einer entsprechenden Förderung wieder möglich sind, um unsere Positionen am Markt behaupten zu können.
({10})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was muß man darüber hinaus noch tun, um den Agrarstandort Bundesrepublik Deutschland zu sichern? Das Schlüsselwort heißt für mich Wertschöpfung.
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Wir müssen eine Landwirtschaft aufbauen, die verschiedenen Gesichtspunkten gerecht wird und sämtliche Einkommensmöglichkeiten für Landwirte umfaßt. Dabei handelt es sich erstens um die Nahrungsmittelproduktion, zweitens um den Anbau von nachwachsenden Rohstoffen, drittens um den Ausbau von Dienstleistungen. Das fängt bei den Ferien auf dem
Bauernhof an, geht über soziale Familiendienste bis hin zur Übernahme kommunaler und landespflegerischer Aufgaben. Natürlich muß auch die Direktvermarktung weiter ausgebaut werden.
Das heißt, wir müssen weg vom Status des reinen Rohstoffproduzenten und zu einer höheren Wertschöpfung durch neue Wege in der Verarbeitung und im Vermarktungsbereich kommen.
({12})
Wer nur Rohstoffe produziert, wird immer der Sklave bleiben. Wir müssen uns als Landwirte, als Betroffene stärker mit an der Wertschöpfung beteiligen.
({13})
Erlauben Sie mir noch einige Bemerkungen,. die über das eigentliche Thema der einzelbetrieblichen Förderung hinausgehen. Sämtliche Forderungen und Wünsche zur Sicherung des Agrarstandorts Deutschland über alle Parteigrenzen hinweg werden zu Makulatur, wenn Brüssel, d. h. die Kommission, die von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vereinbarten Grundsätze in Frage stellt. Ein Beispiel ist die aktuelle Diskussion um die Währungsstabilität der Ausgleichsprämien. Hier geht es nicht um weitere Subventionen für deutsche Bauern, sondern um die Glaubwürdigkeit Europas.
Völlig inakzeptabel ist es weiterhin, wenn die EG-Kommission Marktordnungen zur Gestaltung einer Politik des Preisdrucks mißbraucht. Auch hier wer, den gemeinsame Grundsätze verlassen. Das werden die Themen der Zukunft sein, die wir hier zu beraten haben. Die diskutierte Absenkung der Stillegungsfläche von 12 % auf 6 % würde den Zielen der EG-Agrarpolitik widersprechen und ohne Not einen ruinösen Preisdruck entfachen.
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Das gleiche gilt für die Milch, wo man auf EG-Ebene nicht bereit ist, die Mengen zurückzuführen, weil man sich das Instrument des Preisdrucks nicht über die Interventionsregelung wegnehmen lassen will. Das ist der eigentliche Punkt. Hier entfernt man sich von den Inhalten und von dem Geist der EU-Agrarreform in massiver Art und Weise.
Dies muß sich ändern. Sonst brauchen wir uns in Deutschland und im Deutschen Bundestag nicht mehr über Strukturförderung zu unterhalten. Wenn die EU-Agrarpolitik so fortgesetzt wird, wird es uns praktisch unmöglich gemacht, eine entsprechende Basis für unsere Landwirtschaft aufrechtzuerhalten.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günther Maleuda.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor zwei Wochen stanDr. Günther Maleuda
den die agrarmonetären Turbulenzen der EG hier im Hohen Hause zur Diskussion. Wir haben die Strategie für das Auftreten des Bundeslandwirtschaftsministers Borchert in Brüssel unterstützt und nehmen gerne zur Kenntnis, daß er zu Beginn dieser Woche einen ersten Erfolg erreicht hat. Es bleibt allerdings die Hoffnung auf gute Verhandlungsergebnisse in Brüssel für die deutsche Landwirtschaft.
Heute geht es darum, Strukturfragen zu beraten. Mit der vorliegenden Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zur einzelbetrieblichen Förderung verfügen Regierung und Opposition über ein umfangreiches Material für eine konstruktive Diskussion über die weitere Ausgestaltung der nationalen Agrarpolitik.
Ich stimme der Feststellung des Ministers zu Beginn der heutigen Debatte zu, daß Deutschland eine vielseitig strukturierte, leistungsfähige Landwirtschaft benötigt. Man muß der Regierung bescheinigen, daß sie auf die bohrenden Fragen zur einzelbetrieblichen Förderung so geantwortet hat, wie ihr das unter Berücksichtigung ihres Agrarkonzepts möglich ist. Vor allem bei drei Aspekten konnte sie unseres Erachtens jedoch nicht über ihren Schatten springen.
Erstens vermied sie eine offene Gegenüberstellung der Maßnahmen der einzelbetrieblichen Förderung mit der kritischen Situation in vielen landwirtschaftlichen Unternehmen. Sie hätte sonst trotz eingesetzter Millionenbeträge von einem Tropfen auf den heißen Stein sprechen müssen.
Zweitens kommt sie zwar bei einer ganzen Reihe von Fragen zu richtigen analytischen Einschätzungen, sie verdrängt aber die daraus abzuleitenden Konsequenzen. So fehlt z. B. die Antwort darauf, wie es gelingen soll, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft auf ein vergleichbares Niveau zu ihren Hauptkonkurrenten in der EG zu heben.
Drittens hat sich die Bundesregierung nicht selbstkritisch gefragt, ob die Strategie der Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft nicht generell überdacht werden muß.
Nach den Aussagen der Bundesregierung ist das Ziel ihrer Politik eine leistungs- und wettbewerbsfähige, marktorientierte und umweltverträgliche Landwirtschaft. Dem stimmen wir zu. Unterschiedliche Meinungen gibt es jedoch über den Weg zu diesem Ziel.
Die Regierung hat zwar das Kriterium für Wettbewerbsfähigkeit und damit für die Förderfähigkeit von Betrieben formuliert, sie sieht sich aber nicht in der Lage, eine „seriöse quantitative Aussage über die Zahl der derzeitig wettbewerbsfähigen Betriebe" zu machen, wie das in der Antwort zum Ausdruck gebracht wurde. Das Kriterium der Bundesregierung lautet: „Entlohnung der Produktionsfaktoren" mit einem Ergebnis, „das außerhalb des Betriebes zu erzielen wäre."
Im Agrarbericht 1995 kann man dazu unter Eigenkapitalrentabilität nachlesen: 75 % aller Vollerwerbsbetriebe haben eine negative Eigenkapitalrentabilität. Selbst das oberste Viertel erreicht nur plus 4,4 %.
Obwohl mehr als 30 % des landwirtschaftlichen Einkommens aus Subventionen stammen, rechnet sich die landwirtschaftliche Produktion betriebswirtschaftlich für 75 % der Unternehmen nicht. Diese Tatsache wird auch dadurch unterstrichen, daß die Wachstumsschwelle, unterhalb derer die Anzahl der Betriebe zurückgeht, inzwischen auf 50 Hektar angestiegen ist. Unterhalb dieser Schwelle liegen in den alten Bundesländern ca. 89 % aller Unternehmen. Damit ist zwar nicht die Frage nach den wettbewerbsfähigen Betrieben beantwortet, doch die Größe des Problems ist in etwa absehbar.
Nicht zu übersehen ist, daß die Lage der neuen Bauernwirtschaften und der LPG-Nachfolgeeinrichtungen in den neuen Bundesländern durch geringe Eigenkapitalbasis und die Aufnahme hoher Kredite gekennzeichnet ist.
Positiv werten wir die offene Darstellung von Wettbewerbsnachteilen der deutschen Landwirtschaft in der Antwort der Bundesregierung. Sie nennt zum einen den Nachteil der Betriebsgrößenstruktur und der Produktionskapazitäten in weiten Teilen des früheren Bundesgebiets und zum anderen den Nachteil des niedrigen Organisationsgrades in Form von Beteiligungen an Erzeugergemeinschaften, Maschinenringen und Vermarktungsgenossenschaften. Wir halten es allerdings nicht für ausreichend und für zu eng, daraus nur die Notwendigkeit einer Neuausrichtung und Verstärkung der einzelbetrieblichen Förderung abzuleiten.
Konsequenzen sind unserer Meinung nach außerdem hinsichtlich folgender Zielsetzungen notwendig: Erstens. Einzelbetriebliche Förderung beinhaltet das Wachsen und Weichen. Notwendig sind die differenzierte Förderung der sehr unterschiedlichen Betriebsformen, ein Konzept der Schaffung von Arbeitsplätzen für ausscheidende Landwirte, die Erhaltung der Wirtschaftskraft des ländlichen Raumes, die flächendeckende Landwirtschaft und eine zweckmäßige Standortverteilung der landwirtschaftlichen Produktion.
Zweitens. Da sich die Agrarstrukturen und die Produktionsbedingungen zwischen Ost- und Westdeutschland sowie zwischen Nord- und Süddeutschland wesentlich unterscheiden, sollten die agrarpolitischen Rahmenbedingungen stärker diesen Unterschieden Rechnung tragen. Die Milder- und regionenbezogenen agrarpolitischen Regelungen müßten unseres Erachtens weiter ausgebaut werden.
Zur Umsetzung dieser Ziele sind neben den Betriebsentwicklungsplänen als Maßstab für einen zweckmäßigen Mitteleinsatz zusätzlich Regionalentwicklungsprogramme notwendig. Mit diesen Programmen könnten noch besser beschäftigungspolitische und soziale sowie ökologische, landschaftsgestaltende und Stoffkreislaufaspekte berücksichtigt werden.
Drittens. Der entscheidende Punkt bleibt aber die Teilnahme der Landwirte an der allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwicklung. Sie kann nur durch entsprechende Einnahmen und Preise für Erzeugnisse und Leistungen der Landwirte erreicht werden. Subventionen und flächenbezogene Ausgleichszulagen sind auf Dauer ungeeignet. Sie verschleiern die eigentlichen Leistungen der Landwirtschaft und vermitteln der Öffentlichkeit ein falsches Bild.
Für angemessene Preise sind vor allem notwendig: Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage, Stärkung der Rolle der Landwirtschaft gegenüber der Verarbeitung und dem Handel sowie Bereitstellung ausreichender Mittel für die zu vergütenden landschaftspflegerischen Leistungen der Landwirtschaft.
Meine Damen und Herren, die Weiterentwicklung der Agrarstrukturpolitik im Interesse der Bauern und der Verbraucher erfordert nach Meinung der Abgeordnetengruppe der PDS vor allem die Verbindung der einzelbetrieblichen Förderung mit einer differenzierten Regionalpolitik bei Anerkennung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Landwirtschaft in den alten und neuen Bundesländern, die Förderung von Bemühungen der Bauern, ihre Probleme kooperativ und in Gemeinschaftsunternehmen zu lösen, sowie den Übergang zu einer Vertragslandwirtschaft, die den Absatz, die Preise und die Einkommen ebenso wie eine hohe Qualität der Produkte und den Schutz der Verbraucher sichert.
({0})
Ich erteile jetzt das Wort zu einer Kurzintervention dem Abgeordneten Gerald Thalheim.
Frau Präsidentin! Kollege Heinrich, Ihrer Kritik an der Bundesregierung ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Auch wir sind der Meinung, daß im Hinblick auf das Konzept, das einmal „Agrarstandort Deutschland sichern" hieß, das Ziel nicht erreicht wurde. Weder die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage noch die Einlassung des Bundesministers konnten uns hier heute vom Gegenteil überzeugen.
Herr Bundesminister, ich habe Sie einmal so verstanden, daß das Ziel Ihres Konzeptes ist, Schwerpunkte bei der Förderung und den Rahmenbedingungen zu setzen. Wir sind der Meinung, daß genau das nicht erfolgt ist. Da Sie heute den Bundesratsbeschluß kritisiert haben, möchte ich Ihnen die Frage stellen, ob Sie tatsächlich der Meinung sind, daß die steuerlichen Regelungen nach j 13 a EStG eine zielgerichtete Förderung ermöglichen.
({0}) Wir möchten da Fragezeichen anbringen.
Wenn Sie hier heute schon all diejenigen aufzählen, die der Landwirtschaft ans Geld wollen, dann haben Sie zwei vergessen: Ihre Kollegen Geißler und
Repnik, die die Gasölbetriebsbeihilfe streichen wollen.
({1})
Der Subventionswert dieser Regelung beläuft sich auf etwa 950 Millionen DM und nicht nur auf 400 Millionen DM. Werden Sie dies in Ihrer eigenen Partei verhindern?
Ein Drittes: Sie haben hier kritisiert, daß wir die Ausgleichszulage zumindest überprüfen wollen. Mir liegt ein Protokoll des PLANAK vor, in dem Staatssekretär Feiter aus Ihrem Ministerium die Verhandlungen wie folgt wiedergibt:
Der Unterausschuß hat weiterhin die Haushaltsund Koordinierungsreferenten beauftragt, die zukünftige Ausrichtung der Ausgleichszulage einer Prüfung zu unterziehen und ggf. Vorschläge für Änderungen zu erarbeiten.
Sie sehen, wir haben nichts anderes als das gefordert, was Sie schon beschlossen haben.
Ein Letztes. Sicherlich ist für die Landwirtschaft Geld notwendig; aber es wäre ein Irrglaube anzunehmen, daß man alle Probleme mit Geld lösen könnte.
({2})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christel Deichmann.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich in meinem Beitrag auf die einzelbetriebliche Förderung der Landwirtschaft in den neuen Ländern konzentrieren.
Wir sind grundsätzlich der Auffassung, daß wir in absehbarer Zeit auch in der Förderung zu einheitlichen Bedingungen und Fördertatbeständen in ganz Deutschland kommen müssen. Aber dafür müssen auch die Voraussetzungen einigermaßen vergleichbar sein. Andernfalls kann diese Absicht nicht gelingen.
Ik kam uit Meckelbörg: Wo stat wi huit? Es hat nach der politischen Wende gerade auch in der Landwirtschaft der neuen Länder einen dramatischen Strukturwandel gegeben. Un dat deit weih. Der Rückgang von rund 900 000 Beschäftigten 1989 auf nunmehr rund 130 000 Beschäftigte deutet das an.
In vielen Dörfern sind vor allem ältere Männer und Frauen ohne Arbeit. Dabei geht der Arbeitsplatzabbau weiter. Die Viehbestände haben sich dramatisch verringert. Der Milchkuhbestand ist allein zwischen 1989 und 1994 um die Hälfte auf jetzt noch 1 Million Tiere zurückgegangen. Die vorhandenen Milchquoten können nicht voll genutzt werden. Arbeit und Einkommen gehen verloren. Das hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche im ländlichen Raum.
Bei den Schweinen sind gerade noch 30 % der Bestände von 1989 vorhanden. Dies hat u. a. auch Folgen für die nachgelagerten Bereiche. Großzügig mit Geldern aus Brüssel, Bonn und den Ländern aufgebaute, modernisierte Verarbeitungs- und Vermarktungseinrichtungen sind zum Teil nicht ausgelastet. Die Schließung des neuen Schlachthofes in Neustrelitz ist ein drastisches Beispiel dafür. Meine Frage: Führten falsche gutachterliche Voraussagen zu Fehlentscheidungen in der Förderpraxis?
Nach den Zahlen des letzten Agrarberichtes geht es einigen landwirtschaftlichen Betrieben vergleichsweise gut. Dies betrifft aber in erster Linie Marktfruchtanbaubetriebe. Aber - und da setze ich bewußt ein Fragezeichen - ist diese Entwicklung wirklich positiv? Können wir zufrieden sein, wenn es einigen Betrieben, die sehr arbeitsextensiv wirtschaften, gut geht? Aus meiner Sicht reicht das nicht.
Wenn nun schon ganze Landstriche in den neuen Ländern nahezu veredlungsfrei sind und nur noch rund eine Arbeitskraft je 200 Hektar benötigt wird, zeigt sich die ganze Dramatik der Entwicklung. Eine Arbeitskraft auf 200 Hektar - damit trägt die landwirtschaftliche Urproduktion gerade noch mit 0,5 Einwohnern zur Bevölkerungsdichte je Quadratkilometer unserer ländlichen Gebiete bei. Selbst unter Berücksichtigung der Familienangehörigen und der Beschäftigten in den vor- und nachgelagerten Bereichen des Marktfruchtanbaus wird das Bild nicht wesentlich besser. Unsere dünnbesiedelten ländlichen Räume, vor allem auch meine Heimat Mecklenburg-Vorpommern, nehmen Schaden, wenn diese Entwicklung weiter anhält.
Wat schul wi nu maken? Wir brauchen ein Klima, in dem sich keine einseitige, sondern eine vielseitige Landwirtschaft entwickeln kann. Wir können noch so viel über einzelbetriebliche Förderung als gezielte Agrarstrukturpolitik im geeinten Deutschland reden, z. B. über die Höhen der förderfähigen Investitionsvolumen oder über die Höhen der Subventionswerte - die Förderung wird nicht viel bewirken, wenn das Umfeld nicht stimmt.
Machen wir uns nichts vor. Die betriebliche und die dörfliche Situation ist das Ergebnis zentralverwalteter Planwirtschaft in den letzten vier Jahrzehnten. Seit 1990 ist sie aber auch - je länger, desto mehr - das Ergebnis der Politik dieser Bundesregierung. Die Bundesregierung hat in vielen Fällen Unsicherheiten in der Umstrukturierung verstärkt oder gar selbst erzeugt.
({0})
Dies möchte ich an zwei Beispielen verdeutlichen.
Erstens. Ich erinnere Sie an die ersten Vorschläge zur Verwertung der ehemals volkseigenen Flächen und Betriebe. Ursprünglich wollten Sie nur Alteigentümer und Wiedereinrichter begünstigen. Neueinrichter und juristische Personen sollten außen vor bleiben. Das haben wir durch unser ständiges Bohren verhindern können.
({1})
Aber auch jetzt ist die Geschichte der Privatisierung noch nicht zu Ende. Noch gibt es Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Flachenerwerbsverordnung. Dem Vernehmen nach möchten die Bundesregierung und die Koalition die auf der Grundlage des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes gebildeten juristischen Personen in Form einer GmbH und Co. KG vom begünstigten Flächenerwerb ausschließen. Damit würde diesen Betrieben längerfristig jede Entwicklungschance entzogen.
Immerhin handelt es sich dabei um rund 280 landwirtschaftliche Betriebe, die von ortsansässigen Landwirten getragen werden, Betriebe, die wie die juristischen Personen vielfach Veredlungswirtschaft einschließlich Milchviehhaltung betreiben.
Es ist kein Wunder, sondern eine ganz logische und ökonomische Konsequenz, wenn diese Betriebe bei diesen von der Bundesregierung erzeugten Unsicherheiten an sich dringend notwendige Investitionen unterlassen. Sie stellen allmählich oder direkt die tierische Erzeugung ein und bauen den kapitalextensiven Marktfruchtanbau aus. Die Folgen sind ein weiterer Verlust von Arbeitsplätzen und Einkommen im ländlichen Raum.
Gemäß § 2 und § 3 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes wurde den Landwirten die freie Entscheidung eingeräumt, in welcher Rechtsform sie künftig ihre Landwirtschaft betreiben wollen. Damit hat die Politik und zuallererst diese Bundesregierung die Verpflichtung, den gewollten Rechtsformen im Wettbewerb Chancengleichheit einzuräumen.
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Sie müssen gleichberechtigt am begünstigten Flächenerwerb teilnehmen können.
Auch bei den Altschulden hat diese Bundesregierung bisher keine zukunftsweisenden Lösungen gefunden.
({3})Die Rangrücktrittsvereinbarungen bringen zeitweise Erleichterung, lösen das Problem jedoch nicht. Im Gegenteil: Die Altschulden wachsen durch die Verzinsung mit dem Fibor-Satz weiter an. Wenn hier nicht bald eine auf den Einzelfall abgestellte Lösung gefunden wird - wir haben Ihnen mit unserem Mitte März 1995 eingebrachten Antrag hierzu klare Vorschläge gemacht -, kommt es mit Sicherheit zu weiteren Zusammenbrüchen juristischer Unternehmen in der Landwirtschaft.
Natürlich wird der Boden dieser Betriebe nicht brachliegen. Der Mangel an Eigenkapital der einheimischen Landwirte und die relativ günstigen Ausgleichszahlungen und Flächenprämien im Rahmen der EU-Agrarreform werden aber dazu führen, daß in noch mehr landwirtschaftlichen Betrieben die Milchviehhaltung und auch die Schweineproduktion zugunsten des Marktfruchtanbaus aufgegeben werden. Vorhandene Produktions- und damit Einkommensmöglichkeiten werden dann noch weniger genutzt - zum Schaden des ländlichen Raums.
Mein Fazit: Solange die aufgezeigten Unsicherheiten nicht beseitigt sind, werden die beschäftigungsund einkommenspolitischen Probleme bestehenbleiben. Die besten Förderregelungen werden dann nicht viel helfen. Insgesamt muß das Investitionsklima verbessert werden.
Lassen Sie mich noch auf ein Problem hinweisen, das für die Entwicklung der Landwirtschaft in den neuen Ländern, vor allem in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, von Bedeutung ist: Rund 60 % bis 70 % der Milchviehbetriebe haben noch die arbeitswirtschaftlich ungünstige Anbindehaltung mit nicht optimaler Melktechnik. Soll auch nur annähernd die jetzt erzeugte Milchmenge erhalten werden - auf die bisherigen Rückgänge habe ich schon hingewiesen -, muß es hier zu erheblichen Investitionen kommen. Wie sollen diese Betriebe den im Rahmen des Agrarinvestitionsförderprogrammes geforderten „angemessenen Eigenkapitalanteil" aufbringen? Bei aller Vereinheitlichung der Förderung muß diesem Tatbestand über 1996 hinaus Rechnung getragen werden.
Bei den Bestandsgrößen je Unternehmen und den vorläufig zugeteilten Milchquoten kann ich mir nicht vorstellen, daß das jetzt anvisierte gesamtdeutsche förderungsfähige Investitionsvolumen von 1,5 Millionen DM je Betrieb ausreicht. Um dem Ausstieg aus der Veredlung Einhalt zu gebieten, muß dieses förderungsfähige Investitionsvolumen auf Zeit angehoben werden.
({4})
Außerdem wird es weiterhin Neugründungen aus jetzt bestehenden Betrieben geben. Sollen sie einigermaßen wirtschaftlich auf die Beine kommen und nicht nur Marktfruchtanbau betreiben, müssen die künftigen Fördermöglichkeiten diesem Umstand ebenfalls Rechnung tragen. Dieses Problem wird um so drückender sein, je länger die Bundesregierung an ihrem Kurs festhält und - hier wiederhole ich mich bewußt - die Altschuldenfrage der offensichtlich von ihr nicht sehr geschätzten juristischen Unternehmen der Landwirtschaft nicht zufriedenstellend, d. h. zukunftsweisend gelöst wird.
Abschließend möchte ich noch auf die Antwort der Bundesregierung zur Frage 60 unserer Großen Anfrage verweisen. Zitat:
Die Leistungen der Betriebe mit Erwerbs- oder Einkommenskombinationen stellen einen wertvollen Beitrag zur Erhaltung der Lebensfähigkeit der ländlichen Räume, insbesondere strukturschwächerer Regionen, dar.
Damit wird bekräftigt: Die deutsche Landwirtschaft hat über die Funktion der Nahrungsmittelproduktion hinaus grundlegende Aufgaben bei der nachhaltigen Landbewirtschaftung mit hinlänglich bekannten ökologischen Aspekten und - das betone ich - eine weitreichende soziale Funktion besonders in dünnbesiedelten ländlichen Räumen. Auch diesen Aspekten ist in der zukünftigen Förderpolitik verstärkt Rechnung zu tragen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Jetzt erteile ich dem Abgeordneten Jochen Borchert das Wort zu einer Kurzintervention.
Ich will gerne auf die Anfrage des Kollegen Thalheim antworten. Herr Kollege Thalheim, Sie haben drei Punkte angeschnitten.
Erstens zur Frage der steuerlichen Regelungen im Jahressteuergesetz, die im Finanzausschuß des Bundesrates mit der Mehrheit der SPD-Länder gestrichen worden sind. In Ihrer Großen Anfrage kritisieren Sie die zu geringe Eigenkapitalausstattung landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland. Gerade um die Eigenkapitalbildung zu stärken und damit die Fördervoraussetzungen und die Fördererfolge zu verbessern, haben wir im Jahressteuergesetz die Steuererleichterungen für die Landwirtschaft verbessert. Sie können nicht auf der einen Seite kritisieren, daß die Betriebe zu wenig Eigenkapital haben, dann aber andererseits steuerliche Erleichterungen streichen und damit den Betrieben die Möglichkeit nehmen, Eigenkapital zu bilden.
({0})
Dies betrifft zielgerichtet auch die steuerlichen Erleichterungen nach § 13 a EStG, weil damit gerade den Betrieben, die jetzt schon in einer schwierigen Situation sind, die Möglichkeit erleichtert wird, über verbesserte Einkommensmöglichkeiten mehr Eigenkapital zu bilden und damit in der Kombination von Eigenkapitalbildung und Förderung die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe zu verbessern. Dies ist eine zielgerichtete Förderung zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der Leistungsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe.
Zweitens. In ihrem Antrag kritisieren Sie, daß die Ausgleichszulage nach wie vor einen größeren Umfang hat als die einzelbetriebliche Förderung. In der Gemeinschaftsaufgabe 1995 umfassen sowohl das Agrarförderungsprogramm als auch die Ausgleichszulage jeweils rund 23 %. Dies sind also gleichgewichtige Schwerpunkte der Gemeinschaftsaufgabe.
Ich halte die Ausgleichszulage zu Recht für einen wichtigen Schwerpunkt der Gemeinschaftsaufgabe. Sie hat das Ziel, eine flächendeckende Landbewirtschaftung in Deutschland sicherzustellen. Wir haben natürlich im PLANAK gemeinsam mit den Ländern beschlossen, zu überprüfen, ob wir eine bessere Koordinierung, einen gezielteren Einsatz der Ausgleichszulage sicherstellen können, jedoch mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß die Ausgleichszulage auch in Zukunft Schwerpunkt der Gemeinschaftsaufgabe sein muß. Ohne diese Ausgleichszulage können wir Standortnachteile nicht ausgleichen und werden wir eine flächendeckende Landbewirtschaftung in Deutschland nicht sicherstellen können.
Ein dritter Punkt.
Leider beträgt die Zeit für Kurzinterventionen nur zwei Minuten.
Das ist auch nicht so schlimm. Die Gasölbetriebsbeihilfe erkläre ich Ihnen dann das nächste Mal.
Vielen Dank.
Auch der Kollege Heinrich hat den Wunsch nach einer Kurzintervention. Bitte.
Herr Kollege Thalheim, Sie haben mich angesprochen und gesagt, ich hätte die Bundesregierung kritisiert. Richtig ist, daß ich die Bundesregierung gelobt habe.
({0})
- Jetzt hören Sie bitte einmal zu, sonst gibt es wieder ein Mißverständnis. - Ich habe sie gelobt, weil sie in Brüssel im Rahmen der EU-Effizienzverordnung für bessere Rahmenbedingungen gesorgt hat. Richtig ist, daß ich kritisiert habe, daß sich dieses Haus mit Ihrer Beteiligung an einem Gesetzgebungsverfahren in der Vergangenheit beteiligt hat, das in unerträglicher Art und Weise eine Verbürokratisierung und eine Wettbewerbsbenachteiligung für unsere deutsche Landwirtschaft zur Folge hatte. Das habe ich kritisiert. Dagegen kann man nicht argumentieren. Das ist der Fall. Ich habe dafür Beispiele angeführt: das Baurecht, das Bundes-Immissionsschutzgesetz, die EU-Agrarreform, die 34 Verordnungen der Milchgarantiemengenregelung. All dies habe ich selbstverständlich kritisiert, und zwar zu Recht. Es ist das große Problem, daß wir nicht zeitig genug erkannt haben, daß wir damit der Wettbewerbsfähigkeit unserer deutschen Landwirtschaft Steine in den Weg geworfen haben und ihr somit auf den heißumkämpften Märkten, und zwar auf den Märkten vor unserer Haustür, das Leben so schwer gemacht haben. Ich meine, ein Agrarpolitiker muß offen genug sein, darauf hinzuweisen. Er muß das Haus insgesamt darauf hinweisen, daß die Gesetzgebung auf eine solche Art und Weise nicht weiterbetrieben werden kann.
({1})
Danke schön. Jetzt hat der Kollege Ulrich Junghanns das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leistungs- und wettbewerbsfähig, marktorientiert, umweltverträglich: So soll und will die deutsche Landwirtschaft sein. Diese Maßstäbe, so meine ich - jetzt vielleicht mit Ausnahme von Frau Höfken -, sind unstrittig. Ebenso ist selbst für Außenstehende augenfällig, daß die deutschen Bauern landauf, landab Nahrungsmittel auf den Markt bringen und landeskulturelle Leistungen vollbringen, für die man nur dankbar sein kann.
Gleichwohl liefert der Agrarbericht insbesondere hinsichtlich der Einkommensentwicklung genügend Gründe, sich mit dem Instrumentarium der einzelbetrieblichen Förderung von Bund und Ländern zu befassen. Die Antworten des BML geben dafür auch politische Grundlagen. Wenn die Opposition etwas zu bemängeln und die Koalition etwas zu loben hat, ist das schon Ausdruck der Art und Weise, wie man politische Antworten findet.
Ich möchte in dem knappen Zeitrahmen auf ausgewählte Fragen eingehen und insbesondere hervorheben, daß im Vordergrund der einzelbetrieblichen Förderung weiterhin stehen muß, Kosten- und Qualitätsfragen anzupacken, Einkommenskombinationen zu verfolgen, „für mehr Wertschöpfung tätig zu sein", wie es mein Kollege Uli Heinrich ausgedrückt hat. Die Bündelung, die Vereinfachung und die Kombination investiver Hilfen wie Zinsverbilligung, öffentliche Darlehen und Zuschüsse müssen weiter vorangetrieben werden. Da stehen wir am Anfang einer Entwicklung, die wir gemeinsam konstruktiv gestalten können.
In Anlehnung an die Intervention von Jochen Borchert möchte auch ich noch einmal hervorheben, daß es insbesondere in der gegenwärtigen Zeit der Währungsturbulenzen ein gefährliches Unterfangen ist, solche Protokollfestlegungen, wie sie jetzt zu Buche stehen, den Bauern an den Kopf zu werfen und den Eindruck zu erwecken, als stehe etwas zur Disposition. Mit den Ausgleichsbeihilfen werden die Unterschiede in den natürlichen Produktionsbedingungen ausgeglichen. Wir sind der Auffassung: Sie müssen erhalten bleiben.
Schließlich muß man fragen: Soll die Regionalisierung der Landwirtschaft in Deutschland, wie das im Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gefordert wird, wirklich den Weg in die Zukunft weisen? Ich halte es für falsch, auf diese Art und Weise den Kampf um die Erhaltung der Säulen der Agrarreform - mit ihren Kernfragen der Marktentlastung und der Ausgleichszahlungen - vorzeitig aufzugeben. Es ist angesichts des Standes der Produktionsentwicklung und des - auch nutzbringenden - hohen Grades der europäischen Marktverflechtung wohl naiv, die Regionalisierung als den Königsweg verkaufen zu wollen. Natürlich haben die deutschen Bauern auch in regionalen Märkten noch Potenzen der Einkommensentwicklung - aber ich betone: auch.
Die notwendige Diskussion um die Qualifizierung der einzelbetrieblichen Förderung in Deutschland droht durch das nimmermüde Schüren der Debatte um den Ost-West-Konflikt mißbraucht zu werden. Selbst Leute, die, weil sie beteiligt sind, es besser wissen müßten - wie der Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium Brandenburg -, lassen sich dazu verleiten, entgegen allen Tatsachen die Situation für die Betriebe der ostdeutschen Landwirtschaft nach 1997 unisono schwarzzumalen.
Tatsache ist aber, daß die von der Bundesregierung ausgehandelten, vergleichweise günstigen Sonderregelungen für unsere neuen Bundesländer Bestand haben, und zwar bis zum 31. Dezember 1996. Tatsache ist, daß Bund und Länder zielstrebig und mit guten Ergebnissen - siehe die Änderungen in der EffiUlrich Junghanns
zienzverordnung der EU - daran arbeiten, den Entwicklungserfordernissen einer nach Größe und Gesellschaftskonstruktion vielgestaltigen deutschen Landwirtschaft nachzukommen.
Tatsache ist schließlich - so ein mehrheitlicher PLANAK-Beschluß -, daß im Rahmen der kombinierten Investitionsförderung als maximales förderungsfähiges Investitionsvolumen 1,5 Millionen DM pro Betrieb, bei Kooperation 3 Millionen DM, zunächst für die alten Bundesländer festgelegt wurden. Weil man heuer noch nicht die realen Erfordernisse im Blick auf die neuen Bundesländer festlegen wollte, hat man einstimmig vereinbart, die Regelung rechtzeitig - im Vorfeld der Rahmenpläne 1997/98 - vor dem Hintergrund der konkreten agrarstrukturellen Erfordernisse noch einmal zu überprüfen.
Wir brauchen gemeinsame Grundsätze für die betriebliche Förderung in den jungen und alten Bundesländern. Die Technik der Umsetzung dieser Grundsätze durch Bund und Länder muß die Chancengerechtigkeit der verschiedenartigen Landwirtschaftsbetriebe gewährleisten.
Die besonderen Anliegen der jungen Unternehmen in unseren neuen Bundesländern aus heutiger Sicht kann ich hier nur skizzieren -: Hilfen zur Eigenkapitalstärkung der Vollerwerbsbetriebe, Personengesellschaften und juristischen Personen. Die im Agrarbericht ausgewiesene schlechte Eigenkapitalquote und die höhere Belastung durch einen großen Anteil kurzfristiger und damit höher verzinslicher Kredite im Fremdkapital sind nachdrückliche Hinweise dafür. Vor dem Hintergrund der Ziel-1-Gebiete-Förderung der EU bis 1999 sind die ostdeutschen Länder da selbst gefordert und wohl auch am besten befähigt. Des weiteren müssen Regelungen erhalten werden, die den vergleichsweise noch größeren Wandel in den Betriebsstrukturen und auch Betriebsneueinrichtungen nicht behindern.
Das Instrument der Bürgschaften ist hilfreich und wird auch später nutzbringend sein. Hinsichtlich Bemessungsgrundlagen und Bemessungsrahmen bedarf es für die juristischen Personen handhabbarer Kriterien. Es muß angesichts des heute mehrmals beklagten dramatischen Tierbestandsrückgangs einen Förderschlüssel, gebunden an die Fläche, geben, der die Stärkung der Veredlung weiterhin mit unterstützt.
Ich meine, für sachbezogene Lösungen gibt es auch für die Opposition ein weites Betätigungsfeld im PLANAK, im Bundesrat. Dafür gibt es keinen Zeitaufschub.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat jetzt, und zwar zu ihrer ersten Parlamentsrede, die Kollegin Jella Teuchner.
Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Wir haben einen Entschließungsantrag zur Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage „Einzelbetriebliche Förderung als gezielte Agrarstrukturpolitik im geeinten Deutschland" eingebracht. Sie werden feststellen, daß wir nicht verlangen, bestimmte Förderungen auszubauen oder einzustellen. Zunächst geht es darum, dem Parlament Unterlagen als Entscheidungshilfen für eine möglicherweise notwendige Weiterentwicklung von Förderkonzepten von der Bundesregierung zur Verfügung zu stellen.
Ganz wichtig ist mir, daß wir trotz ungenügender Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe im EU-Binnenmarkt unsere ländlichen Räume nicht aus dem Auge verlieren.
({0})
Die Dorferneuerung, die strukturellen Verbesserungen in unseren Dörfern bezüglich Trinkwasserversorgung sowie die Abwasserbeseitigung dürfen nicht Schaden nehmen. Wir haben deshalb auch die Forderung nach einer nachhaltigen Verbesserung der Förderung des ländlichen Raumes mit seinen Dörfern im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" in unseren Entschließungsantrag aufgenommen.
Die Kürzung der Mittel der Gemeinschaftsaufgabe um 76 Millionen DM Bundesmittel im Jahr 1995 sowie die erforderlichen Umschichtungen, um die einzelbetriebliche Investitionsförderung überhaupt verstärken zu können, gehen in eine Richtung, in der wir uns zu Lasten der ländlichen Räume nicht unbegrenzt weiter bewegen können.
({1})
Wir müssen ganzheitliche Betrachtungen anstellen. Nur so sichern wir die Entwicklung der ländlichen Räume in der Zukunft. Wir stärken damit auch die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer landwirtschaftlichen Unternehmen. Ich will das einmal verdeutlichen: Mit dem EU-Binnenmarkt und noch mehr seit der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik im Jahr 1992 sind bei uns Schwächen unserer landwirtschaftlichen Strukturen sichtbar geworden. Strukturpolitische Konzepte und Programme sind deshalb mehr denn je gefragt. Die Absenkung des Interventionspreisniveaus bei wichtigen Agrarprodukten und die Einführung direkter Ausgleichszahlungen und Stillegungsprämien führen zwangsläufig zur entscheidenden Frage: Wohin sollen sich die landwirtschaftlichen Strukturen und die ländlichen Räume denn entwickeln? Was müssen wir im strukturpolitischen Bereich tun, damit wir eine Entwicklung der ländlichen Räume in der gewünschten Richtung erhalten?
Es ist deutlicher denn je geworden, daß marktpolitische Instrumente wie die Milchquoten, die Ausgleichszahlungen, die Stillegungs- und Tierprämien im Rahmen der EU-Agrarreform und andere erhebliche strukturpolitische Auswirkungen haben und strukturpolitische Bemühungen in jede Richtung beJella Teuchner
einflussen können. Wenn marktpolitische Maßnahmen kontraproduktiv wirken und den strukturpolitischen Zielen entgegenstehen, können die besten einzelbetrieblichen Förderungen doch nur verpuffen.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Diskussion im Anschluß an das Altpachten-Urteil bezüglich der Milchquoten.
So bitte ich Sie, auch einen der Hauptpunkte unseres Entschließungsantrages zu verstehen. Es geht bei der Überprüfung der Ausgleichszulagen, für die immerhin 940 Millionen DM in diesem Jahr ausgegeben werden sollen, nicht um deren heimliche oder offene Abschaffung. Es geht darum zu prüfen, ob im Interesse einer sparsamen und zielgerichteten Politik die öffentlichen Gelder noch effizienter zugunsten unserer Landwirtschaft und unserer ländlichen Räume eingesetzt werden können,
({2})
natürlich unter Berücksichtigung inzwischen zusätzlich eingeführter, vor allem auch marktpolitischer Maßnahmen wie z. B. aus der Agrarreform.
An nichts anderes haben wir gedacht, als wir nach dem schlüssigen Konzept der verschiedenen flächenbezogenen Beihilfen in der Großen Anfrage gefragt haben. Diesen Gedankengang haben wir jetzt auch wieder im Entschließungsantrag aufgegriffen. Es ist dann enttäuschend, zeigt vielleicht aber auch die Hilflosigkeit und Ratlosigkeit, wenn die Bundesregierung auf eine solche Frage in der Großen Anfrage antwortet, daß die einzelnen flächenbezogenen Beihilfen unterschiedlichen Teilzielen dienen. Das wissen wir, und wir wissen auch, daß das nicht weiterhilft. Entscheidend muß doch sein, ob die unterschiedlichen Maßnahmen oder Beihilfen gemeinsam dazu beitragen, die von der Politik gesetzten Ziele zu erreichen, z. B. eine bessere Umweltverträglichkeit in der Landbewirtschaftung oder eine bessere Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer landwirtschaftlichen Betriebe im EU-Binnenmarkt.
Aber auch die stark ausgeprägte Entwicklung von vergleichsweise großen Marktfruchtbetrieben in den neuen Ländern sollte uns nicht gleichgültig sein. Mit einer halben Vollarbeitskraft je 100 ha sind Entwicklungen im Gange, die in dieser Einseitigkeit zum Nachteil der Funktionsfähigkeit unserer ländlichen Räume gereichen werden. Dies tut der Landschaft nicht gut, dies tut der Umwelt nicht gut, und dies tut den Menschen nicht gut,
({3})
die in den ländlichen Räumen nicht nur wohnen, sondern auch ihren Lebensunterhalt verdienen wollen.
Diese Entwicklung zu noch mehr Marktfruchtbetrieben, vor allem in den neuen Ländern, wird durch Ausgleichszahlungen und Flächenprämien der EU-Agrarreform begünstigt. Folge ist, daß die mit erheblichen öffentlichen Mitteln modernisierten oder sogar neu errichteten Verarbeitungs- und Vermarktungsbetriebe nicht ausgelastet sind und schlimmstenfalls wieder schließen müssen. In diesem Sinne möchten wir die Überprüfung der vielfältigen Flächenprämien verstanden wissen, um eine ausgewogenere Entwicklung von Landschaft und ländlichen Räumen sichern zu können.
({4})
Wir wollen nicht den Westen gegen den Osten oder den Osten gegen den Westen ausspielen. Wir wollen eine Förderpolitik, die die Zukunft des ländlichen Raumes als Ganzes sichert.
({5})
Dazu gehört eine wettbewerbsfähige und eine umweltverträgliche Landwirtschaft. Sie können es sich auf jeden Fall nicht so einfach machen und das von uns mehrfach eingeforderte schlüssige Konzept der flächenbezogenen Beihilfen einfach abtun. Sie können nicht immer weiter Ängste schüren, daß eine entsprechende Überprüfung in Europa zu einem Hauptverlierer führen würde, nämlich den deutschen Bauern. Dies haben Sie, Herr Bundesminister, erst in der letzten Sitzungswoche bei den währungspolitischen Diskussionen in diesem Hause versucht. Ich bin sicher: Bei dieser Haltung werden Sie sicher der Verlierer sein. Hier geht es gar nicht vorrangig um Brüssel, sondern um unser eigenes Haus. Es ist zu prüfen, ob wir im Rahmen des uns von Brüssel eingeräumten Spielraumes die Mittel und Maßnahmen sachlich und räumlich wirklich zielgerichtet zur Behebung von erkannten Mißständen unserer Landwirtschaft im EU-Binnenmarkt oder hinsichtlich der Umweltverträglichkeit einsetzen.
Sie, Herr Bundesminister, sollten überhaupt mit der Wortwahl bezüglich Vorschlägen der Sozialdemokraten vorsichtig sein. Das Beispiel Gasölbeihilfe zeigt, daß Sie Ihre Argumentation gegenüber dem politischen Gegner sehr schnell einholen kann.
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Jetzt fordert kein geringerer als der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Ihr Parteifreund Heiner Geißler, eine Abschaffung der Gasölbeihilfe.
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Vielleicht geht es Ihnen auch bei der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen zugunsten einiger landwirtschaftlicher Betriebe bald so. Ihr Kollege Bocklet von der CSU rechnet immerhin einen Subventionswert von rund 470 Millionen DM zugunsten nichtbuchführender Landwirte aus. Ich bin sicher: Es wird der Tag kommen, an dem auch Sie Ihren Freunden erklären müssen, auf welche Weise mit Hilfe dieser Millionen die in Ihrem Agrarkonzept formulierten Ziele einer leistungs- und wettbewerbsfähigen Landwirtschaft realisiert werden sollen.
Auch in diesem Fall geht es nicht darum, ob die betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe die 470 Millionen DM gebrauchen können oder nicht, sondern es geht um eine konsequente Politik zur Erreichung bestimmter und - bezogen auf den landwirtschaftlichen Betrieb - von Ihnen selbst formulierter Ziele.
Damit wir im Interesse der Menschen auf dem Lande zu befriedigenden und zukunftsweisenden Lösungen kommen, bitte ich um Unterstützung unseres Entschließungsantrags.
({8})
Das Wort hat der Kollege Albert Deß, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der letzten Sitzungswoche haben wir gemeinsam gefordert, daß die deutsche Landwirtschaft in einer schwierigen Lage durch Brüssel nicht weiter benachteiligt werden darf. Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert ist es im EU-Agrarministerrat gelungen, die Vorschläge der Kommission in der ersten Verhandlungsrunde abzuwehren. Dazu darf ich ihm recht herzlich gratulieren und ihm wünschen, daß er auch die nächste Verhandlungsrunde, die die entscheidende Runde ist, erfolgreich bestehen wird.
Die CSU-Landesgruppe und auch die Koalition werden sich weiter dafür einsetzen, eine Zweiklassenlandwirtschaft in Europa zu verhindern. Die SPD ist aufgefordert, eine Zweiklassenlandwirtschaft in Deutschland zu vermeiden. Es ist das gute Recht der SPD, hier heute einen Antrag einzubringen. Aber anstatt im Deutschen Bundestag einen Entschließungsantrag einzubringen sollte die SPD-Bundestagsfraktion auf ihre Politiker in den SPD-regierten Ländern einwirken, um dort die Benachteiligungen der Bauern zu beenden. Es wäre ein Stück Glaubwürdigkeit für die SPD-Agrarpolitik, wenn die Bauern und Bäuerinnen in den SPD-regierten Ländern ähnlich stark unterstützt würden, wie dies im CSU-regierten Bayern der Fall ist.
({0})
Bayern bringt die entsprechenden Landesmittel auf, um die Landwirtschaft und den ländlichen Raum mit seinen Dörfern entsprechend zu fördern.
Herr Kollege Deß, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gern.
Bitte schön.
Herr Kollege Deß, würde es auch schon reichen, wenn die Förderung in den SPD-regierten Ländern so gut wäre wie im nicht von der CSU, aber von der CDU regierten Sachsen?
Ich schließe Sachsen gern mit ein. Aber ich bin als CSU-Politiker hier. Deshalb gehe ich besonders auf Bayern ein. Ich kann das für Sachsen aber ebenfalls unterstreichen.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist mir zu billig, wenn die SPD hier im Bundestag einen Schaufensterantrag stellt, während die gleiche SPD dort, wo sie Verantwortung trägt, die Bauern benachteiligt. Finanzminister Theo Waigel ist bereit, landwirtschaftliche Interessen im Jahressteuergesetz zu berücksichtigen. Die SPD-Mehrheit im Bundesrat fordert dagegen eine Schlechterstellung der Landwirtschaft im steuerlichen Bereich. Die SPD sollte ihre agrarpolitische Konzeptlosigkeit und Widersprüchlichkeit beenden und mit uns gemeinsam für eine Förderung der bäuerlich strukturierten Landwirtschaft im Bund und in den Ländern eintreten.
({1})
Versteckt kritisiert wird im SPD-Antrag die Ausgleichszulage. Dabei ist es gerade die Ausgleichszulage, die mit zur Erhaltung der Kulturlandschaft in benachteiligten Regionen beiträgt. Eine Kürzung der Mittel bei der Ausgleichszulage oder gar deren Abschaffung lehnt die CSU entschieden ab.
Überflüssig im SPD-Antrag ist die Forderung nach besserer Umweltverträglichkeit der deutschen Landwirtschaft. Die deutsche Landwirtschaft hat den Düngemittel- und Pflanzenschutzmitteleinsatz in den letzten Jahren drastisch reduziert. Aussagen wie die der SPD-Kollegin Mehl am 4. Februar 1993 im Deutschen Bundestag zeigen das wahre agrarpolitische Gesicht der SPD. Sie sagte:
Aber Naturschutz scheint ja ein Luxusthema zu sein; deshalb braucht sich ja auch kein Politikbereich in Bonn ernsthaft damit zu befassen, außer man kann Geld herauspressen, wie es die Landwirtschaft versucht.
In der Haushaltsdebatte äußerte die gleiche SPD-Kollegin vor kurzem, das Bundesumweltministerium solle mit seinen 1,3 Milliarden DM das ausbügeln, was die Landwirtschaft mit 30 Milliarden DM im Rükken ruiniert. Das sind schon bösartige Vorwürfe. Ich weise solche Vorwürfe entschieden zurück.
({2})
Unsere Bauern pflegen die in Jahrhunderten gewachsene Kulturlandschaft. Diese Leistungen lassen wir uns von selbsternannten Umweltpredigern nicht zerstören.
Die Frage ist: Kann unsere bäuerlich strukturierte Landwirtschaft auch in Zukunft diese Leistungen erbringen? Die Antwort ist sehr einfach: In Weltmarktpreisen ist diese Leistung nicht enthalten. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, und deshalb muß die Leistung, die unsere Landwirtschaft für die Gesellschaft erbringt, entsprechend honoriert werden. Die bayerische Staatsregierung und die sächsische Regierung haben - beispielhaft für andere Bundesländer - im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen Förderweg eingeschlagen, mit dem sie diese Leistungen finanziell anerkennen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Agrarpolitik befindet sich am Scheideweg. Jetzt erfolgt die Weichenstellung für die Zukunft. Die Politik kann nicht alle Agrarprobleme lösen; von der Politik wird jedoch der Rahmen vorgegeben, in dem sich die Landwirtschaft bewegen kann. Ein Teil dieses Rahmens sind die Förderbedingungen. Im Planungsausschuß für Agrarstruktur und Küstenschutz wurden vor kurzem neue Förderbedingungen festgelegt. Diese neuen Förderbedingungen sind eine gute Grundlage für die einzelbetriebliche Förderung. Es war die bayerische Staatsregierung, die mit Rückendeckung durch die CSU-Landesgruppe den gefundenen Kompromiß entscheidend mit beeinflußt hat.
Ohne jemandem Vorwürfe zu machen, muß die kurzgefaßte Feststellung erlaubt sein, daß bisher LPG- und VEB-Nachfolgebetriebe zu stark und die mehr bäuerlich strukturierten sogenannten Wiedereinrichter zuwenig unterstützt wurden. Es ist mit meiner Überzeugung nicht vereinbar, daß gerade im Agrarbereich das durch den Kommunismus geschaffene Unrecht im Osten weitgehend abgesegnet und zementiert wurde. Das Land kann doch nicht richtig verteilt sein, wenn ca. 3 000 Agrarunternehmen 60 % der Fläche und ca. 25 000 Wiedereinrichter nur 40 % der Fläche bewirtschaften. Mit bäuerlichen Strukturen hat dies wenig zu tun. Es ist Aufgabe der Politik, deutliche Zeichen im Hinblick auf bäuerliche Strukturen auch in den neuen Bundesländern zu setzen.
({3})
Wir müssen die Förderbedingungen so festsetzen, daß eine bäuerlich strukturierte Landwirtschaft eine Perspektive hat. Wichtiger als die Förderbedingungen sind zur Zeit die übrigen Rahmenbedingungen für meinen Berufsstand, damit es nicht heißt: Förderung gelungen, Bauer tot.
Der SPD-Antrag enthält zwar einige gute Ansätze; der Koalitionsantrag ist aber der bessere. Deshalb unterstützen wir den Koalitionsantrag und lehnen den SPD-Antrag ab.
({4})
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Zunächst stimmen wir über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 13/1589 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! ({0})
- Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS angenommen.
({1})
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/1538. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? ({2})
Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD-Fraktion und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/1546. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
8. Sportbericht der Bundesregierung - Drucksache 13/1114 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuß ({3})
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und wäre dankbar für etwas mehr Ruhe im Haus. Das Wort für die Bundesregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Lintner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der 8. Sportbericht der Bundesregierung zieht eine Bilanz der Sportförderung und der Sportpolitik der Jahre 1990 bis 1993. Ich finde, die Bilanz kann sich sehen lassen.
({0})
Kernstück dieser Sportförderung ist die Förderung des Spitzensports, denn auf diesen Bereich bezieht sich bekanntermaßen die Kompetenz des Bundes. Der Spitzensport erhält natürlich von vielen Seiten finanzielle Förderungen. Aber der Bund darf sich zu Recht als der größte Sponsor des Spitzensports bezeichnen.
({1})
Er ist ein Sponsor, auf den Verlaß war und ist. Es ist vor allem diese kontinuierliche Förderung des Bundes, die es den deutschen Spitzensportlern ermöglicht, im internationalen Wettbewerb mitzuhalten.
Im Rahmen seiner Förderung unterscheidet der Bund zudem nicht zwischen medienwirksamen und weniger beliebten Sportarten, wie dies Wirtschaft und Fernsehen bekanntermaßen machen, sondern die Bundesregierung unterstützt alle. Für die Förderung des Bundes sind in erster Linie die Leistungen ausschlaggebend. Damit schafft der Bund den notwendigen Ausgleich und begegnet zugleich der Gefahr, daß im Spitzensport eine noch krassere Zweiklassengesellschaft zwischen reichen und armen, aber oft trotzdem sehr erfolgreichen Verbänden entsteht.
Der Bundeshaushalt 1995 sieht eine Unterstützungsleistung für den Sport von insgesamt fast 300 Millionen DM vor. Nahezu alle Bundesressorts fördern den Sport unter ihrem spezifischen Aspekt. Der Sport wird z. B. im Rahmen der auswärtigen Kultur- und Entwicklungshilfepolitik gefördert. Die Deutsche Sportjugend erhält Förderungsmittel. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung unterstützt beispielsweise die Durchführung der Versehrtenleibesübungen nach dem Bundesversorgungsgesetz. Den Spitzensport fördert auch das Bundesverteidigungsministerium, aber in erster Linie eben das Bundesinnenministerium.
({2})
- Vielen Dank für den Hinweis. Es ist noch hinzuzufügen, daß der Deutsche Bundestag auch mit seiner Fußballmannschaft aktiv ist. Dies sei hier zu Protokoll vermerkt.
({3})
Ohne die haushaltsmäßigen Veranschlagungen für den Sport im BGS und für das Bundesinstitut für Sportwissenschaft betrug der Sportetat des Bundesinnenministeriums im Jahre 1990 insgesamt 110,5 Millionen DM. Nach Erlangung der deutschen Einheit wurde der Sporthaushalt im Jahre 1991 mit 248 Millionen DM mehr als verdoppelt. Wir konnten in den Folgejahren - dies rechnen wir uns als gute Leistung zu - dieses hohe Niveau beibehalten. So werden wir beispielsweise 1995 dem Spitzensport wieder rund 209 Millionen DM zur Verfügung stellen können.
({4})
Die im Berichtszeitraum des B. Sportberichts gewährten zusätzlichen Bundesmittel dienten dabei insbesondere dem Aufbau demokratischer und föderaler Organisationsstrukturen des Sports in den neuen Ländern,
({5})
dem Erhalt und Aufbau neuer Trainingszentren sowie der Beschäftigung von Trainern. In den Jahren 1991 und 1992 wurde zudem die Stiftung Deutsche Sporthilfe einmalig vom Bund unterstützt, um die soziale Absicherung der Spitzensportler in den neuen Ländern zu ermöglichen.
({6})
Meine Damen und Herren, die Erfolge deutscher Athletinnen und Athleten bei Olympischen Spielen, bei Welt- und Europameisterschaften, aber auch bei den Paralympics, den Weltspielen der Behinderten, stellen unter Beweis, daß Sport und Bundesregierung in den vergangenen Jahren insbesondere bei der Zusammenführung des Sports aus dem Osten und Westen den richtigen und erfolgreichen Weg eingeschlagen haben.
Für die Zukunft gilt es nun, das Erreichte zu sichern und sich gemeinsam um Verbesserungen zu bemühen. Deshalb heißt es natürlich auch für den Sport, daß über „Verschlankungen" intensiv nachgedacht und das Notwendige - ohne daß die Effektivität aufgegeben werden müßte - in Angriff genommen werden muß.
({7})
Der Weiterentwicklung und damit der Optimierung des Stützpunktsystems kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Die vom Haushaltsausschuß verfügte qualifizierte Sperre in Höhe von 5 Millionen DM für den Bereich der Bundesleistungszentren sollte die notwendige Strukturanpassung beschleunigen.
Ziel der vom Deutschen Sportbund geplanten strukturellen Veränderungen soll eine noch engere Zusammenführung der bisher eigenständigen Strukturelemente Bundesstützpunkte, Bundesleistungszentren und Olympiastützpunkte bei gleichzeitiger Reduzierung der Vielzahl dieser Einrichtungen sein. Dadurch wird ermöglicht, die vorhandenen Mittel konzentriert an tatsächlichen Schwerpunkten des Hochleistungs- und Nachwuchsleistungssports einzusetzen; denn, meine Damen und Herren - da sind wir uns ja einig -, die Mittel müssen dorthin fließen, wo Spitzensport tatsächlich stattfindet.
Meine Damen und Herren, Spitzensport und Breitensport sind nach unserer Tradition eine Einheit. Sie befruchten und bedingen sich gegenseitig, und das muß auch in Zukunft gelten. Es wäre nach unserer Auffassung verhängnisvoll, wenn sich der Spitzensport vom Breitensport sozusagen abheben wollte und sich in Richtung bloßer Showereignisse entwikkeln würde.
Die Spitzensportler sind mit ihrem Leistungswillen nicht immer, aber oft mit ihrem Verhalten und ganz besonders mit ihren nationalen und internationalen Erfolgen Vorbilder für viele, vor allem für junge Menschen. Diese Vorbildfunktion des Spitzensports für
den Breitensport und ganz allgemein für die Gesellschaft ist heute wichtiger denn je.
({8})
Ohne einen gesunden und weitgefächerten Breitensport ist andererseits der Spitzensport nicht denkbar. Der Breitensport schafft also sozusagen erst die Basis für die Spitzenleistungen.
({9})
Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß der Breitensport in Deutschland in erster Linie von der ehrenamtlichen Mitarbeit Tausender Vereinsmitglieder lebt. Um dieses ehrenamtliche Engagement, das sich jeder geldwerten Quantifizierung entzieht, werden wir in der Welt beneidet. Aber leider wissen wir eben auch, daß es immer schwieriger wird, Bürger für eine solche Arbeit in den Sportvereinen zu gewinnen.
Die Bundesregierung begrüßt es deshalb, daß der Deutsche Sportbund in klarer Erkenntnis dieses beklagenswerten Trends in der Zukunft der Stärkung des Ehrenamtes allererste Priorität einräumen will.
({10})
Der Bund - das erkläre ich hier - wird den Sport gerade bei diesen seinen Bemühungen unterstützen. So hat der Bundeskanzler die Mithilfe der Bundesregierung bei der Stärkung des Ehrenamtes seinerseits bereits deutlich gemacht.
Ich gehe davon aus, meine Damen und Herren, daß auch der wieder intensivierte Dialog zwischen Sport, Wirtschaft und Politik - Stichwort „Runder Tisch" - positive Wirkungen zeigen wird. Der wichtige Bereich Sport, der für unsere staatliche Gemeinschaft als eines der stabilisierenden und von daher unverzichtbaren Elemente anzusehen ist, hat es meines Erachtens verdient, daß alle gesellschaftlichen Gruppen ihn unterstützen und für ihn auch bereit sind, Verantwortung zu empfinden und zu tragen.
Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort hat der Kollege Klaus Lohmann, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn jemand gemeint hat, daß der 8. Sportbericht eine sportlich spannende Sache sei, vielleicht so wie die Situation in der Bundesligatabellenspitze, der fühlt sich getäuscht. Als er eingebracht wurde, war Borussia Dortmund noch vorne, und als Ruhrgebietsabgeordneter muß ich natürlich sagen: Mein Herz schlägt für Schalke 04,
({0})
aber ich möchte, daß dann, wenn dieser Bericht im Ausschuß beraten wird, Borussia Dortmund Deutscher Meister ist. - Ich hoffe, es ist niemand von Bremen hier.
({1})
Die erste Frage, die wir haben: Wer hat in der Bundesregierung diesen Bericht zu verantworten? Wir haben den Eindruck, daß die Sportpolitik, Herr Staatssekretär, nicht im Innenministerium, sondern im Kanzleramt gemacht wird. Zumindest bei den Haushaltsplanberatungen haben wir uns im Sport- ausschuß eher mit der Frage beschäftigt, wieviel und was der Kanzler dem Sport schon versprochen hat, und nicht so sehr mit der Frage, wieviel das Innenministerium dem Sport zuzugestehen bereit ist. Faktisch war es dann ja wohl so, daß sich das Innenministerium genötigt sah, wenigstens die öffentlichen Versprechungen des Kanzlers zu erfüllen.
Offen gestanden, wir von der SPD waren bereit, den Sport in bestimmten Feldern intensiver zu fördern. Ich erinnere an das Sportmuseum, ich erinnere an die Aufwertung des Ehrenamtes.
Aber eines spürt man immer wieder: Der geringe Stellenwert, den der Innenminister dem Sport einräumt, belastet das Selbstverständnis der Sportpolitik, und im Sportbericht wird ja der Wichtigkeit und der Bedeutung des Sportausschusses fast eine Seite gewidmet.
Nach acht Monaten ist der Innenminister noch nicht im Ausschuß gewesen. Wir tagen jede Woche.
({2})
Von daher: Innenminister Kanther vernachlässigt seine Pflichten im Sportbereich.
({3})
Beim Deutschen Sportbund sieht das neuerdings anders aus. Der Präsident Manfred von Richthofen ist ein engagierter Vertreter, der sich intensiv um den Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen kümmert. Die Konsensgespräche, die von Richthofen seit seinem Amtsbeginn führt, haben die Sportpolitik beflügelt und ins Rampenlicht geholt.
({4})
Wir begrüßen dies ausdrücklich, wenn auch in manchen Zeitungen das Gegenteil zu lesen war. Das Innenministerium sitzt auf der Zuschauertribüne und beobachtet die Entwicklung.
({5})
Der 8. Sportbericht ist ein interessantes Nachschlagewerk für alle Sachfragen, die im Sport eine Rolle spielen. Viele Dinge standen natürlich auch schon im 7. Sportbericht, die man fast wortgleich übernehmen
Klaus Lohmann ({6})
konnte. Leider enthält er aber in dem Bereich der sportpolitischen Ziele und Entwicklungen kaum neue Ansatzpunkte. Als Leitlinie kann man dem Bericht nur entnehmen:
Ein weiterer Rückzug ist auch für die Zukunft geplant.
({7})
- Das ist Originalton aus dem Bericht.
Das ist schwer verständlich und aus unserer Sicht auch unverantwortlich. Der Bund will sich mit verfassungsrechtlichen Begründungen aus der Sportförderung zurückziehen. Das ist eine heillose Entwicklung, da die zu Recht auch in dem Bericht angesprochenen Funktionen des Sports als Beitrag zur Gesundheit, zur Demokratie, zur Identifikation, zur Integration und auch zum sozialen Verhalten eine Vorbildfunktion haben, die sich maßgeblich am Spitzensport orientiert, und davon auch das Verhalten in den Sportvereinen geprägt wird.
Sehr interessant ist hierbei die Tatsache, daß unter der Überschrift „Gesellschaftspolitische Bedeutung des Sports" erstmalig im Sportbericht der Beitrag des Sports zur Einübung des sozialen und demokratischen Verhaltens gewürdigt wird. Diese Begriffe, aus der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung aus den 70er Jahren übernommen, weisen in der Tat und zu Recht dem Sport eine Bedeutung zu, die sehr weit in gesellschaftliche Bereiche hineinragt, nur muß man das dann auch ernst nehmen. Der Rückzug ist das falsche Signal.
({8})
Wenn der Sport in seiner gesellschaftlichen Entwicklung an Wegkreuzungen gelangt ist, wenn Probleme in der weiteren Entwicklung gesehen werden, dann sollte die politische Begleitung nicht fehlen. Wir verletzen hier nicht die Autonomie des Sports. Hier zeigt der Sportbericht, daß sich diese Bundesregierung entweder keine Meinung zutraut oder ihr hierzu wenig einfällt.
Ich nenne die gegenwärtigen Probleme bei der Neukonzeptionierung der Vermarktung, dem Verhältnis zwischen Sport, Wirtschaft und Medien, der Überhitzung einiger Sportbereiche durch gigantische Finanzmittel und die immer noch ungelösten Probleme in der Angleichung der Sportbedingungen im Osten unseres Landes, auf die nachher mein Kollege Thomas Krüger im einzelnen eingehen wird.
Wo ist denn die Bundesregierung, wenn man die eben genannten Probleme zu lösen versucht? - Der runde Tisch wurde zunächst für den Mai angekündigt. Inzwischen sind wir bei einem Termin bis Ende September. Ich sage: Wir hätten den runden Tisch schon längst und damit auch bereits seit längerem einen Ansatz zur Problemlösung, wenn die Bundesregierung, wenn die Politik zur Gestaltung der Tagesordnung in der Lage wäre.
Wir lesen jetzt, daß der Kanzler erst einladen wird, wenn alles geregelt ist. Wozu denn dann noch einen runden Tisch? Den macht man doch, wenn man die unterschiedlichen Positionen zusammenbringen will.
({9})
Der Kanzler will sich feiern lassen. Dazu braucht er vorab die sicheren Ergebnisse. Dann wird der Termin eben so lange geschoben, bis alles geregelt ist. Wir sagen, solche Showveranstaltungen braucht der Sport nicht.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich ist auch die Sportpolitik Bestandteil des parteipolitischen Wettkampfes. Sie geben vor diesem Hintergrund dem Sport eine wichtige gesellschaftspolitische Bedeutung. Wenn man bereit ist, zuzugestehen, daß im Sportverein demokratisches und soziales Verhalten eingeübt wird, dann muß man auch bereit sein, die Sportpolitik im Wettstreit auszutragen. Dann muß man aber auch bereit sein, dem Sport die notwendige Förderung angedeihen zu lassen. Bei Ihrer Rückzugsstrategie, die Sie in dem Bericht bestätigt haben und die auch in vielen anderen Bereichen zu sehen ist, ist das nicht der Fall. Wenn Sie die Spitzensportförderung weiter zurückfahren, wenn Sie die Belastung der Kommunen, z. B. durch Kürzungen im Arbeitslosenbereich, weiter erhöhen, dann entziehen Sie der Sportförderung an zwei wichtigen Punkten den Lebensnerv.
Für den Sport ist nun einmal die Förderung auf kommunaler Ebene die wichtigste. Von 7 Milliarden DM staatlicher Sportförderung - Sie haben gerade über die 300 Millionen DM geredet - kommen 5,5 Milliarden DM von den Kommunen. Sie müssen dafür sorgen, daß unsere Kommunen in der Lage sind, die Sporteinrichtungen und -vereine auch weiter zu unterstützen.
({11})
Wenn Sie Ihnen immer neue Lasten aufbürden, dann sind Sie für die Schließung von Schwimmbädern, für die Erhebung von Benutzungsgebühren für Sporthallen und Plätze und letztendlich für den Rückgang des Breitensports mitverantwortlich.
({12})
Sie nehmen damit breiten Bevölkerungsschichten die Möglichkeiten, sich gesundheitsfördernd sportlich zu betätigen.
({13})
Herr Weng, obwohl Bundespräsident Roman Herzog gestern auf dem Deutschen Städtetag in Magdeburg mehr zu Wirtshäusern - als Bayer steht ihm das zu - als zu Sportanlagen sagte, sollten Sie seiner Auffassung folgen, den Gemeinden ein finanzielles Fundament für die Finanzierung der Sozialhilfe zu schaffen. Dazu gehören u. a. ausreichende Mittelzuweisungen von Bund und Ländern. Zwar werden zusätzlich ausreichende Mittelzuweisungen von den KomKlaus Lohmann ({14})
munen gegeben, aber andererseits ist auch an die erhöhte Sparbereitschaft der Kommunen zu denken. Wenn Sie diesem Appell des Bundespräsidenten folgen, leisten Sie einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Sportförderung in den Kommunen.
Wir freuen uns auf die Beratung im Ausschuß. Christoph Fischer hat am 21. April 1995 in unserer Zeitschrift „Das Parlament" geschrieben:
An Deklamationen zum Sport herrscht in Bonn und Berlin kein Mangel, auf die Umsetzung in Realpolitik hoffte der Sport bisher aber meist vergeblich.
Lassen Sie uns gemeinsam an die Arbeit gehen und ihm beweisen, daß wir auch umsetzen können!
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat der Kollege Klaus Riegert, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Lohmann, der Innenminister hat die Bedeutung des Sportberichts dadurch hervorgehoben, daß er persönlich den Bericht vorgestellt und der Präsidentin übergeben hat. Heute verhinderte ihn ein schon lange feststehender Termin, hier sein zu können. Er war, wie ich meine, durch den Staatssekretär gut vertreten.
({0})
Der 8. Sportbericht ist der erste Bericht über die Förderung des Sports im vereinten Deutschland. Mit ihm zieht die Bundesregierung nicht nur eine positive Bilanz der Förderung des Spitzensports. Dieser Bericht hebt ebenso die Bedeutung des Sports in seiner gesamten Breite hervor. Spitzen- und Breitensport sind und bleiben aufeinander angewiesen: Ohne Spitze keine Breite, ohne Breite keine Spitze.
({1})
Spitzen- und Breitensport sind nicht auseinanderzudividieren.
Einige Großverdiener unter den Sportlern und deren Darstellung in den Medien erwecken gelegentlich den Eindruck, es sei genügend Geld für den Sport vorhanden, die staatliche Förderung sei nicht mehr nötig. Dies ist ein Irrtum. Die überwiegende Mehrzahl unserer Sportlerinnen und Sportler erbringt die Spitzenleistungen unter persönlichen Entbehrungen und Zurückstellung beruflichen Fortkommens. Dies ist bei der Diskussion um die Notwendigkeit von Sportfördermitteln vom Bund zu berücksichtigen. Ohne die Vorbildfunktion des Spitzensports, wie auch immer diese medienwirksam dargestellt
wird, wird sich der Sport in seiner ganzen Breite nicht entwickeln können.
({2})
Wir wollen den humanen Spitzensport. Wir wollen, daß unsere Athleten an einem manipulationsfreien Wettbewerb chancengleich teilnehmen können.
({3})
Wir unterstützen deshalb den Sport auch finanziell ganz massiv. Der Bund ist der größte Sponsor des Spitzensports.
({4})
Natürlich wissen wir - dies weiß auch der Sport -, daß mit einer Erhöhung der Mittel in absehbarer Zeit kaum zu rechnen ist. Der Sport - vor allem die Fachverbände - ist deshalb aufgefordert, schlüssige Konzepte zur Konzentration und Bündelung vorzulegen und umzusetzen. An gewachsenen Strukturen, die früher durchaus gut und richtig waren, kann nicht ewig festgehalten werden.
Wer den humanen Leistungssport will, wird ohne die Sportwissenschaft nicht auskommen. Damit meine ich die Hilfen, die aus dem Bereich unserer Hochschulen und Fachhochschulen dem Sport zugute kommen: von dem richtigen Kufenschliff bis zum Computer und der notwendigen Software, von den neuen medizinischen bis zu den trainingswissenschaftlichen Erkenntnissen. Diese Unterstützung brauchen unsere Sportlerinnen und Sportler, um im internationalen Vergleich chancengleich bestehen zu können.
Dabei kommt der Förderung der Koordination der sportwissenschaftlichen Hilfen durch die Bundesregierung besondere Bedeutung zu. Hier sollte das Bundesinstitut für Sportwissenschaft das Scharnier zwischen Sportpraxis und -wissenschaft sein. Insbesondere die durch den Bund geförderten Institute für Angewandte Trainingswissenschaft - IAT - und für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten - FES - sollten ihre Arbeit eng mit dem Bundesinstitut koordinieren.
({5})
Es war unsere richtige Entscheidung, den Erhalt des FES zu sichern und den Mittelansatz zu erhöhen.
({6})
Wir sollten prüfen, ob nicht die Verwaltungsvorgänge von den sportpolitischen Vorgängen getrennt und, wo nötig, gebündelt werden könnten. Eine solche Verfahrensweise vermeidet Reibungsverluste, bringt mehr Klarheit und verhindert Doppelförderung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat in diesen Tagen ein Gutachten „Blut und/ oder Urin zum Nachweis von Dopingsubstanzen" vorgelegt. Ich gehe davon aus, daß der Sport alles tun wird, die neuen Erkenntnisse umzusetzen. Der Sport ist sich bei den Antidopingmaßnahmen seiner
Verantwortung bewußt und dieser auch nachgekommen. Wir brauchen deshalb keine gesetzgeberischen Maßnahmen, wie dies die Opposition immer wieder fordert; denn der Sport braucht keine Bevormundung.
({7})
Ich freue mich, daß unsere Behindertensportler heute ein breitgefächertes Angebot sportlicher Betätigungsmöglichkeiten vorfinden. Wir wissen, daß gerade dem Sport bei den Behinderten eine wichtige Aufgabe zufällt und er zu einer entscheidenden Verbesserung ihrer Lebensqualität beiträgt. Spätestens seit den Paralympics 1992 und 1994 ist der Behindertensport durch die großartigen Leistungen seiner Sportlerinnen und Sportler aus dem Schattendasein herausgetreten und hat vielen Behinderten Zuversicht und Mut gegeben, sich sportlich zu betätigen.
Wenn die Vorbildfunktion des Spitzensports für den Breitensport herangezogen wird, dann hat diese Vorbildfunktion bei den Behinderten ihre herausragende Bedeutung. Ich wünsche mir eine größere Resonanz bei der Bevölkerung für diese großartigen Leistungen. Ich schätze diese Leistungen höher ein als die von manchem hochbezahlten Profi.
({8})
Die Bundesregierung hat dem Behindertensport im Sportbericht zu Recht einen breiten Raum eingeräumt. Ich bin sicher, daß sie sich für eine stetige Verbesserung der Bedingungen für den Leistungssport für Behinderte einsetzt. Die Unterstützung meiner Fraktion hat sie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer den Spitzensport fördern will, muß die Nachwuchsarbeit fördern. Einzelne Sportarten beklagen fehlenden Nachwuchs und fürchten einen Leistungseinbruch in absehbarer Zeit.
Wie vielfältig auch die Ursachen sein mögen, die ständige Diskriminierung des Leistungsgedankens durch gewisse Kreise, immer stärkere Anforderungen an die Athleten halten viele Jugendliche vom Leistungssport ab. Und die öffentliche Diskussion über gesundheitliche und seelische Risiken trägt dazu bei, daß Eltern ihre Kinder dem Leistungssport fernhalten.
Ich rate hier zu einer sachlichen Diskussion. Der Sport ist aufgefordert, alles zu tun, um die Nachwuchsprobleme für den Spitzensport zu lösen. Der Sport muß hier Möglichkeiten finden, Kinder und Jugendliche vom Elternhaus und an der Schule abzuholen.
Dabei gilt es, ideell und materiell Barrieren zu überwinden, um Kindern und Jugendlichen den Weg zum Leistungssport zu ebnen. Wir sagen ein klares Ja zum Leistungsgedanken.
({9})
- Das freut mich, Herr Kollege.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten Jahren hat sich in den Bereichen Umwelt und Sport Konfliktpotential, zum Teil sogar erhebliches, aufgebaut. Auf der einen Seite steht die erhöhte Sensibilität der Bevölkerung für die Bereiche Umwelt und Natur, auf der anderen Seite aber auch das berechtigte Bedürfnis weiter Kreise der Bevölkerung, ihren Sport in der Natur auszuüben. Ich denke u. a. an die Mountainbiker, die Kanuten, die Skiläufer, die Gleitschirmflieger, die Triathleten.
Ein positives Beispiel des Interessenausgleichs war die von uns durchgesetzte. Änderung des § 906 BGB. Sie hat den Sportplatz um die Ecke und damit ein wohnortnahes Sporttreiben ermöglicht und gesichert.
({10})
Das Konfliktpotential wird besonders in dem Verhältnis von Motorsport und Umwelt deutlich. Ich halte es im Interesse von Natur und Umwelt für besser, z. B. Liegenschaften der Bundeswehr nach Einzelfallprüfung und Einzelfallentscheidung den Motorsportlern zu überlassen. Was nützt es der Umwelt und der Natur, wenn Motorsportbegeisterte - dies sind in der Regel vor allem Jugendliche - mit ihren Maschinen auf stillgelegtem Zechengelände, in privaten Kiesgruben oder gar unkontrolliert im freien Gelände herumfahren?
({11})
Ich halte es für aberwitzig, das Verbot einer Motorsportveranstaltung, die einmal im Jahr stattfindet, in den globalen Zusammenhang der Zerstörung unserer Umwelt zu stellen.
({12})
Wir sollten uns davor hüten, schnell und vordergründig, ideologisch bedingt Sportarten auszugrenzen und Hunderttausenden von Mitgliedern die Ausübung der von ihnen frei gewählten Sportart zu verbieten, indem wir ihnen einfach das Gelände verwehren, das Sie zur Ausübung ihrer Sportarten nun einmal benötigen.
Sie von den GRÜNEN und große Teile der SPD würden den Motorsport am liebsten ganz verbieten.
({13})
Wir setzen uns dafür ein, daß Motorsport auch in Deutschland wie in unseren europäischen Nachbarländern zukünftig möglich sein wird.
({14})
Der Sport hat die Zeichen der Zeit erkannt. Er weist seine Mitglieder in verstärktem Maße auf die Schutzbedürftigkeit von Natur und Umwelt hin. Er hat Regelungen erarbeitet, die eine naturverträgliKlaus Riegert
che Sportausübung ermöglichen. Sportverbände und Umweltorganisationen bleiben weiterhin aufgefordert, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, die zu einem dauerhaften Interessenausgleich führen.
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der 8. Sportbericht weist eine positive Bilanz der Förderung des Sports auf.
({16})
Wir werden uns auch weiterhin dafür einsetzen, daß dem Sport geholfen wird. Wir erwarten auch vom Sport, daß er seine Konzepte den zwischenzeitlich eingetretenen Veränderungen anpaßt. Wir werden im Ausschuß sicherlich die Möglichkeit haben - ganz in Ihrem Sinne, lieber Kollege Lohmann -, zum 8. Sportbericht die einzelnen Konzepte mit dem Sport zu diskutieren.
Abschließend möchte ich Herrn Innenminister Kanther, Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Lintner und den Beamten des Hauses für ihre Arbeit herzlich danken.
({17})
Das Wort hat der Kollege Matthias Berninger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Riegert, ich bin ein bißchen beruhigt, daß Herr Kanther schon längerfristig verhindert war. Ich hatte ernsthafte Sorge, daß Herr Kanther nicht gekommen ist, weil er sich nicht getraut hat. Denn sein Innenministerium hat 2:1 gegen die Grüne Tulpe, die Fußballmannschaft meiner Fraktion, verloren. An sich sind wir keine gute Mannschaft, und ich dachte, daß er sich deswegen vielleicht nicht traut. Ich bin froh, daß er grundsätzlich am Sport interessiert zu sein scheint.
Der 8. Sportbericht ist ein ganz guter Anlaß, um in diesem Parlament einmal grundsätzlich über Sport zu diskutieren. Es ist schon dargestellt worden, daß der Sportbericht ein schönes Nachschlagewerk ist; aber in vielen Punkten macht er es sich sehr einfach.
Ich fange einmal da an, wo Sie aufgehört haben, nämlich beim Komplex Sport und Umwelt. Ich glaube nicht, daß es reicht, wenn dieser Komplex in einem Sportbericht damit abgehandelt wird, daß man immerhin drei Broschüren zum Konflikt zwischen Sport und Umwelt herausgegeben habe. Ich glaube auch nicht, daß es reicht, wenn der Sportausschuß immer, wenn dieses Thema zur Sprache kommt, darüber redet, daß er es geschafft habe, die Sportanlagen und deren Schutzverordnung auf den Weg zu bringen. Ich meine, daß wir den Komplex Sport und Umwelt viel umfassender betrachten müssen.
In dem Zusammenhang möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Ozonproblematik lenken. Das hat sehr viel mit Sport und Umwelt zu tun, weil natürlich die erhöhten Ozonwerte im Sommer gerade den Ausdauersportlern sehr zu schaffen machen. Insofern hoffe ich, daß der Sportausschuß diesen Punkt in Zukunft sehr viel stärker behandelt. Nichts anderes ist die Debatte, daß man Schulsport im Freien bei hohen Ozonwerten verbieten will.
Ich glaube, daß Sie es sich zu einfach machen, wenn Sie nur von dem Konflikt zwischen Sport und Umwelt reden. Selbst Herr Richthofen, der DSB-Präsident, ist schon weiter; denn er hat eine Partnerschaft zwischen dem Sport als der zugegeben größten und der Ökologiebewegung als der jüngsten und, wie ich glaube, auch der dynamischsten Bürgerbewegung angeboten. Was die Sportjugend und einige Fachverbände, z. B. die Kanuten, machen, zeigt, daß Sport und Umwelt nicht immer nur im Konflikt gesehen werden - die Skifahrer mit den Naturschützern -, sondern daß Sport ein Partner für den ökologischen Umbau sein kann. Das heißt, man sollte nicht immer nur schauen, wie man vermeidet, die Umwelt zu zerstören, sondern einen Beitrag dazu leisten, den Sport zum Motor für den ökologischen Umbau werden zu lassen.
Am Beispiel Motor kann man schon erkennen, daß sich der Sportausschuß an diesem Prozeß noch nicht richtig beteiligt. Sie, Herr Riegert, haben die peinliche Veranstaltung angedeutet, bei der wir uns in einer Mehrheit mal eben vor den Karren der ADACMotorsport-Lobby haben spannen lassen und einen Flugplatz für ein Rennen der Deutschen Tourenwagenmeisterschaft wieder freigegeben haben. Übrigens: Keiner der Manta-Fahrer, den Sie von der Straße holen wollen, würde in Wunstorf fahren, lieber Herr Kollege Riegert.
Ich nenne Ihnen ein Argument: Die ADAC-Lobby hat gemeint, daß zu dieser Großveranstaltung 40 000 Menschen in 5 000 Autos gekommen seien. Ich halte es für wahrscheinlicher, daß es umgekehrt war. In dem Punkt würde ich einmal nachdenken, ob es wirklich richtig war, sich vor diesen Karren spannen zu lassen.
({0})
Übrigens glaube ich, daß die Vereine in diesem Punkt zum Teil schon viel weiter sind. Ich kenne Mountainbike-Vereine, die mit Förstern zusammen versuchen, ihre Konflikte zu lösen, indem sie sich z. B. auf bestimmte Strecken in Wäldern einigen. Das macht für mich deutlich, daß wir relativ gute Chancen haben, mit dem Sport in einen Dialog einzutreten. Aber das kann nicht heißen, daß wir blind sagen: Sportausschuß gleich Sport, und wir vertreten im Zweifel immer die Interessen des Sports, während für die Umweltinteressen - wie Kollege Lohmann das im Sportausschuß sagte - der Umweltausschuß zuständig ist. Das ist die falsche Vorgehensweise.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Bitte, Herr Kollege Riegert.
Herr Kollege Berninger, wären Sie bereit, meine Rede in aller Ruhe im Protokoll nachzulesen? Dann werden Sie in anderen Worten genau das finden, was Sie gerade vorgetragen haben.
({0})
Lieber Herr Kollege Riegert, ich hoffe ja nicht, daß Sie Ihre Rede komplett umschreiben, damit sie im Protokoll anders erscheint. Das, was ich gehört habe, deckt sich nicht voll mit dem, was ich sage.
({0})
- Ich verspreche natürlich, brav nachzulesen; selbstverständlich, Herr Kollege Feldmann.
({1})
Ich komme zu dem nächsten Punkt, zu den Sportvereinen. Wie Sie ja wissen, waren die GRÜNEN da immer sehr distanziert. Wir kommen ja auch eher aus der alternativen Ecke, die mit Vereinsmeierei nichts zu tun haben will.
({2})
- Kollege Krüger, das war einmal. Aber das Entscheidende an dem Punkt ist, daß es natürlich schon noch an den Vereinen Kritik gibt. Zwar finde ich es auch richtig, die Debatte um das Ehrenamt nicht parteipolitisch auszuschlachten - frei nach dem Motto: Wir wollen noch eine etwas größere Steuererleichterung als die Regierung, oder umgekehrt. Nur müssen die Vereine selbst noch einen großen Beitrag leisten. Die Ursache dafür, daß den Vereinen viele, auch junge Leute weglaufen, liegt natürlich auch darin, daß es den Vereinen zur Zeit schlicht nicht gelingt, sich einem bestimmten Wandel in der Gesellschaft anzupassen.
Trotzdem müssen wir den Vereinen ein großes Lob aussprechen. Sie sind der größte Träger außerschulischer Jugendarbeit, und in ihnen machen viele Leute, wie ich finde, sehr viele vernünftige Sachen.
Nächster Punkt ist natürlich der Leistungssport. Richtig ist, daß uns auf Bundesebene der Leistungssport am meisten beschäftigt. Aber im Gegensatz zu Ihnen, lieber Kollege Krüger, würde ich nicht pauschal sagen, Leistungssport sei völlig durch den Wind oder völlig schlecht. Ich bin auch sehr gespannt, wer Fußballmeister werden wird; da bin ich ganz Ihrer Meinung. Für die Koalitionsverhandlungen in Nordrhein-Westfalen wäre es sehr beruhigend, wenn Dortmund Meister würde. Aber man muß den Leistungssport immer auch kritisch betrachten.
Den Motorsport habe ich angesprochen.
Es gibt im Springsport Konflikte mit dem Tierschutz, über die man auch in einem Gremium wie dem Sportausschuß ausführlich reden muß.
({3})
Es gibt einen ganz wichtigen Bereich, den Kinderhochleistungssport. Auch hierzu werde ich Ihre Rede ganz genau nachlesen, lieber Herr Kollege Riegert. Natürlich kann man Leute zum Leistungssport bringen und junge Leute für den Sport begeistern; das ist keine Frage. Ich bin selber Radrennen gefahren, und mir hat es Spaß gemacht. Nur hört es für mich da auf, wo wir, um international an der Spitze zu sein, Kinder in eine richtige Mühle stecken müssen,
({4})
wo Kinder ganztags trainieren müssen und ihnen zum Teil schon Medikamente verabreicht werden.
({5})
Ich hoffe, daß wir, wenn wir die Anhörung zum Kinderhochleistungssport gehabt haben werden, zumindest keinen Persilschein ausstellen werden, sondern daß wir hier die Interessen der Kinder und nicht etwa unsere Medaillen in den Vordergrund stellen werden.
({6})
Mir schwante da zum Teil Böses, als ich Ihre Rede hörte.
Ein letzter Punkt, meine Damen und Herren, setzt sich mit der Vorbildfunktion des Sportes auseinander. Es ist etwas daran: Leistungssport hat oft eine Vorbildfunktion. Nur gibt es eben auch die anderen Nachrichten, und diese dürfen in diesem Haus nicht außen vor bleiben. Vielleicht haben Sie gehört, daß einigen Nationalspielerinnen von der DFB-Spitze mehr oder weniger durch die Blume untersagt wurde, bei den Eurogames mitzuspielen, jenen Spielen in Frankfurt, an denen sich Schwule und Lesben beteiligt haben. Es wurde ihnen gesagt, das könnten sie gerne machen, aber dann sei ihre Karriere in der Nationalmannschaft beendet.
({7})
Ein so intoleranter und überhaupt nicht mehr in die Zeit passender und diskriminierender Geist sollte aus den Teilen der Sportverbände, in den er offensichtlich noch vorherrscht, schleunigst verschwinden, weil ansonsten dieser Vorbildcharakter auf Dauer ziemlich diskreditiert wird.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Dr. Olaf Feldmann, F.D.P.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 8. Sportbericht ist der erste Bericht über die Sportförderung im vereinten Deutschland. Mit der Vereinigung stand die Sportförderung des Bundes vor völlig neuen Aufgaben. Die F.D.P. begrüßt, daß bereits 1991 der Sporthaushalt beim BMI mehr als verdoppelt wurde.
Wir erwarten, daß Aufbau des Breitensports und Pflege der Sportanlagen in den neuen Bundesländern kontinuierlich erfolgen. Die Erhaltung und Modernisierung der Sportstätten in den neuen Ländern gehörte jedoch zunächst nicht zu den vordringlichen Aufgaben. Der Goldene Plan Ost war zugegebenermaßen eine Idealvorstellung. Aus vielen Gründen konnte der Bund die an ihn gerichteten finanziellen Forderungen nicht erfüllen. Dabei wird jedoch vielfach nicht gewürdigt, daß die Bundesregierung durch die Gewährung höherer Preisnachlässe bei der Übernahme von Sportanlagen eine erhebliche finanzielle Hilfestellung für die Kommunen, Sportvereine und Sportverbände geleistet hat.
({0})
- Gut, daß das der Haushälter bemerkt hat!
Die F.D.P. begrüßt es, daß der Spitzensport in beiden Teilen Deutschlands so schnell zusammengewachsen ist. Damit und mit den international erzielten Erfolgen erfüllt er eine wichtige Vorbildfunktion, auf die einige Kollegen schon hingewiesen haben. An dieser Stelle möchte ich den Verbänden ausdrücklich für ihre integrationsfördernde Arbeit danken.
({1})
Liebe Kollegen und Kolleginnen, wie in vielen Bereichen unserer Gesellschaft geht auch in den Sportvereinen die ehrenamtliche Tätigkeit zurück. Dieser Entwicklung müssen wir entgegenwirken.
({2})
- Das würden Sie doch auch unterstreichen wollen, oder nicht? - Das Ehrenamt muß gestärkt werden. Darin sind wir uns sicherlich auch einig.
({3})
Die F.D.P. unterstützt - ich nehme an, daß auch Sie das tun - die vom DSB-Präsidenten von Richthofen angeregten Maßnahmen zur Förderung der ehrenamtlichen Tätigkeit, z. B. die steuerliche Gleichstellung von Übungsleitern und Organisationsleitern.
({4})
Ich meine, das sollte von der Bundesregierung wohlwollend geprüft werden. Das ist natürlich eine einschneidende finanzielle Maßnahme. Das Ehrenamt sollte auch beim runden Tisch zur Sprache kommen. Lieber Kollege Lohmann, der runde Tisch wird stattfinden.
Dabei geht es natürlich in erster Linie um die Unterstützung des Sports durch die Wirtschaft. Sponsoring ist dabei nur eine Seite der Medaille. Sponsoring zielt aus naheliegenden Gründen vor allem auf den Spitzensport. Wir sind uns aber dabei hoffentlich alle darin einig, daß eine Veränderung der steuerlichen Rahmenbedingungen nicht in Betracht kommt. - Ich vermisse den Beifall der Haushälter.
({5})
- Du wirst es schon bald wissen!
({6})
Entscheidend ist, daß auch der Breitensport in eine Unterstützung durch die Wirtschaft einbezogen wird. Die Sportverantwortlichen sind hier gefordert, Lösungsvorschläge vorzulegen. Immerhin ist der Sport mit 1990 bereits rund 30 Milliarden DM oder 1,4 % des gesamten Bruttosozialprodukts in den alten Bundesländern ein beachtlicher Wirtschaftsfaktor.
Voraussetzung jeder Förderung durch Bund und Wirtschaft ist, daß der Sport verstärkt Anstrengungen unternimmt, das Dopingproblem zu lösen. Wer Leistungsmanipulation akzeptiert, gefährdet nicht nur jegliche staatliche Förderung, sondern wird auch vergeblich nach privatwirtschaftlicher Unterstützung ruf en.
({7})
Eine generelle Schelte ist allerdings unbegründet. Deutschland ist im Bereich der Dopingkontrolle und -analyse führend. Es gilt, den erreichten Standard zu erhalten und in einem weiteren Schritt zumindest europaweit festzuschreiben. Der deutsche Sport muß Doping nachhaltig bekämpfen und nachgewiesene Verstöße wirksam ahnden.
({8})
Zum Behindertensport darf ich folgendes feststellen: Der Leistungssport der Behinderten wird seit 1989 durch das BMI nach den gleichen Kriterien gefördert wie der der Nichtbehinderten. Die F.D.P. begrüßt, daß sich die finanzielle Förderung der Behindertensportverbände durch die Bundesregierung in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt hat.
({9})
Denn Sport kann entscheidend zur Steigerung der
Lebensqualität dieser Menschen beitragen. Der Herr
Staatssekretär hat bereits auf die hervorragenden ErDr. Olaf Feldmann
gebnisse von Barcelona, Lillehammer, Sofia und Berlin hingewiesen. Sie zeigen, daß Deutschland im Bereich des Leistungssports der Behinderten zu den führenden Nationen in der Welt gehört.
Noch ein Wort zum Spannungsfeld von Sport und Umwelt: Die F.D.P. ist immer für einen vernünftigen Bestandsschutz vorhandener Sportanlagen auch in Wohngebieten eingetreten. Wir brauchen den „Sportplatz um die Ecke". Die Sportanlagen-Lärmschutzverordnung von 1991 hat - Sie, Herr Kollege Riegert, haben darauf hingewiesen - schwierige Konfliktlösungen im Einzelfall erleichtert. Auch durch die Reduzierung des zivilrechtlichen Nachbarschutzes wird den Belangen des Sports Rechnung getragen.
Umweltschutz und Sportausübung stehen jedoch nicht nur in Wohngebieten, sondern auch in der freien Natur in einem Spannungsverhältnis; das war ja gerade Gegenstand der Auseinandersetzung. Ich meine, nur dort, wo es aus Naturschutzgründen unumgänglich ist, sollte Sportausübung in der freien Natur eingeschränkt werden. Dies würde der besonderen Rolle des Sports in der Gesellschaft Rechnung tragen. Andererseits müssen auch Sporttreibende zum schonenden Umgang mit der Natur motiviert werden.
({10})
Wir begrüßen, daß einige Sportverbände dies bereits vorbildlich praktizieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sport mit Einsicht ist umweltverträglich. Der vorgelegte 8. Bericht enthält in seiner sportpolitischen Bestandsaufnahme darüber hinaus viele bedenkenswerte Anregungen. Wir werden dies im Sportausschuß, so nehme ich an, Herr Kollege Nelle, mehrfach und vertieft zu debattieren haben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat der Kollege Rolf Kutzmutz, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Lesen des Berichts der Bundesregierung fielen mir als erstes Worte des Kollegen Nelle ein: „Wir haben ein neues Wir-Gefühl entdeckt. Wir können mit Stolz sagen, bei uns im Sport geht es gemeinsam bergauf." - Zugegeben, diese Worte stammen noch aus der Ara der „blühenden Landschaften", als Herr Nelle mit ihnen eine Sportbilanztagung der Konrad-Adenauer-Stiftung schloß.
Nehme ich den vorliegenden 8. Bericht und vor allem das, was ich nicht darin gefunden habe, ist von dem „wir" nicht viel übriggeblieben;. es sei denn, man meint den Selbstbedienungsladen „Sport in den neuen Bundesländern", wo die Aufkäufer der Vereine aus den alten Bundesländern inzwischen selbst
Juniorenkader anheuern - übrigens nicht nur mit Geld, sondern mit dem Versprechen, ihren Eltern Jobs zu besorgen. Wer könnte solchen Offerten schon widerstehen?
Käme ich aus Dresden und würde die Probleme des Sports auf meinen eigenen Verein reduzieren,
({0})
dann würde ich das Wort „zusammenführen", das im Sportbericht sehr oft auftaucht, so buchstabieren: Aus einem gesunden, aber finanziell nicht gesegneten Verein sind Fußballspieler in mehr als Mannschaftsstärke in Clubs der alten Bundesländer gegangen. Von dort kam das Management und hat den Weg von der Bundes- in die Regionalliga geebnet.
({1})
Kritiker werden mir sofort entgegenhalten, daß dies auch in den alten Bundesländern geschehen kann. Die einen bilden Nachwuchs aus, die anderen kaufen auf. Natürlich sind Verbannungen in die Regionalliga kein West-Ost-Problem.
({2})
Dem FC Saarbrücken hilft die Unterstützung von Herrn Lafontaine ebensowenig wie der „alten Dame" Hertha die von Herrn Diepgen; vielleicht hilft auch die Unterstützung von Herrn Stoiber dem Club in Nürnberg nicht.
Das alles wäre vielleicht nicht erwähnenswert, wenn nicht im Bericht selbst unter dem Stichwort „Identifikation" darauf verwiesen würde, daß der Sport, oder besser: Erfolge im Spitzensport auch eine lokale Identität und Stabilität schaffen helfen. Wenn beispielsweise, aus welchen Gründen auch immer, mit der ersatzlosen Sprengung der Großen Aschbergschanze in Klingenthal, einem traditionsreichen Wintersportzentrum - Namen wie Harry oder Henry Glaß sind vielleicht auch am Rhein nicht gänzlich unbekannt -, die Existenzgrundlage entzogen wurde, so wurde damit nicht nur die Landschaft möglicher Bundesleistungszentren neu geordnet. Die Menschen im Vogtland verloren zugleich einen ihrer wichtigsten Identifikationspunkte, eine wirtschaftliche Notstandsregion verlor eine Attraktion des Fremdenverkehrs.
Auch in solchen Dimensionen sollte man denken, ehe man die Forderung der Partei des Demokratischen Sozialismus, die Förderung des Sports im Grundgesetz festzuschreiben, aus Kosten- oder Kompetenzgründen kurzerhand abschmettert.
Im gesamten Bericht wird vom Aufbau gesprochen. Dabei ging es inhaltlich um die Neustrukturierung, Reorganisation und Anpassung der Sportorganisation an das gegebene System der alten Bundesrepublik. Insofern beschreibt der Satz „Der Sport der ehemaligen DDR war der Struktur des freien Sports
in der Bundesrepublik anzupassen" zutreffend das Konzept und die Realität, zugleich aber auch die Ideenlosigkeit und Defizite, die es in der Sportpolitik der Bundesregierung gab und gibt.
Die schwierige soziale Situation der vielen ehrenamtlichen Übungsleiter und Helfer im Sportsystem der neuen Bundesländer ist scheinbar nicht erwähnenswert. Mehr verschleiert als erhellt wird die Abwicklung der Sportwissenschaft, die der ehemaligen DHfK oder des sportmedizinischen Dienstes. Da es scheinbar nichts gab, kann man im Bericht die Fiktion des Neubaus um so besser pflegen und die eigene Leistung gewaltig darstellen.
Ich will keineswegs die Geldsummen kleinreden, die zur Unterstützung des Sports geflossen sind. Läßt es aber nicht aufhorchen, wenn der DSB seinen Vereinen folgenden Rat geben muß - ich zitiere aus seinem Pressedienst vom 7. März -:
Sportvereine und -verbände, die den Sport als schönste Nebensache der Welt abtun und sich entsprechend verhalten, können sich nicht beschweren, wenn sie leer ausgehen beim großen Verteilungskampf um Moneten und Marktanteile.
In dieser Logik ist es nur konsequent, daß eine Manager-Arbeitsgruppe um Herrn Kleinert von DaimlerBenz und Herrn Schiphorst von der Ufa an Vorschlägen für neue Strukturen im Sport bastelt, damit die Industrie ihr Geld effektiver anlegen kann. Und ebenso logisch ist, daß in diesem Licht die Erfahrungen des DDR-Sports verblassen müssen.
({3})
- Lieber Herr Krüger, Sie haben so viel in Berlin zu tun gehabt, daß Ihr Dazwischenreden unsinnig ist. Wir können uns gerne im sportlichen Wettkampf messen. Das ist vielleicht fairer als das Dazwischengequatsche. Da biete ich Ihnen einiges an.
({4})
Ich will Willi Daume zitieren, dessen Urteil sicher viele von Ihnen akzeptieren. Er sagte am 12. Dezember 1993:
Daß es nicht möglich sein würde, das System des DDR-Sports gänzlich zu übernehmen, und schwierig, die Teile herauszufinden, wo Erfahrungen genutzt werden konnten, war klar. Das ist auch noch nicht gelungen.
Diese Feststellung für 1993 gilt bis heute, und Besserung darf man angesichts der Vorschläge der Industrie auch nicht erwarten.
Im Bericht ist von der Vorbildfunktion des Leistungssports für den Breitensport die Rede. Es gibt hier sehr gute Beispiele. Ich war dabei, als die DDR-Hürdensprinterin Karin Balzer am 26. Juli 1970 in Berlin in 12,7 Sekunden einen Weltrekord lief, und zwar nicht auf irgendeinem hochdotierten Sportfest, sondern beim Finale der Spartakiade jenes Jahres, und Tausende Jugendliche freuten sich über diesen Triumph.
({5})
Sie müssen mich nicht aufklären, daß es so etwas in der Sport-Marktwirtschaft nicht geben kann. Aber lassen Sie mich im Interesse der Jugendlichen heute sagen: Schön wäre es doch!
Vielleicht könnten sich DSB und Innenministerium mit den Managern oder Vereinschefs der von der Bundesregierung geförderten Spitzenstars zusammensetzen und mit ihnen fürs erste wenigstens einen einzigen unbezahlten Pflichtstart bei „Jugend trainiert für Olympia" oder ähnlichen Gelegenheiten vereinbaren. Das ist nur ein bescheidener Vorschlag, aber immerhin einer, der wirkungsvoll wäre.
({6})
Berliner Jugendliche, die bis zu den hochfliegenden Olympiaplänen im Stadion der Weltjugend - man kann auch sagen: Stadion Mitte - und auf dessen vielen Nebenplätzen Sport trieben, haben mich übrigens gebeten - Herr Krüger, jetzt können Sie noch einmal zuhören -, im Sportbericht nachzublättern, wo sie künftig trainieren sollen. Die Anlagen wurden für die Olympiamehrzweckhalle abgeräumt. Die wird nun aber nicht gebaut, und das City-Filetstück wurde kurzerhand verkauft.
Herr Kollege Kutzmutz, Sie müssen Schluß machen.
Viele Kommunen können das ebenfalls bestätigen.
Letzter Satz: Den eingangs zitierten Kollegen Nelle kann ich übrigens in einem trösten. Er beklagte sich darüber, daß sich im Verein niemand mehr findet, der die E-Mannschaft trainieren will. In Potsdamer Vereinen, die ich kenne, beginnen diese Mühen schon beim Finden von Übungsleitern für A-Mannschaften. Die Feststellung allein und die Aufforderung zur wohlwollenden Prüfung durch die Bundesregierung tröstet weder die Kinder und Jugendlichen, noch hilft sie den Vereinen.
({0})
Das Wort zu ihrer ersten Rede im Plenum des Deutschen Bundestages hat die Kollegin Dagmar Freitag, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 8. Sportbericht der Bundesregierung konfrontiert uns unter anderem mit einer Aufzählung von Leistungszentren, Olympiastützpunkten, Finanzierungen, Förderkriterien und vielem mehr. Ich will gar nicht bestreiten, daß das alles wichtig und informativ ist, aber ich frage mich schon: Wo bleibt eine Analyse der offensichtlichen Probleme im Hochleistungssport?
Schon seit Jahren beschäftigen sich Öffentlichkeit, Spitzenverbände, Ärzte und auch der Deutsche Bundestag mit der Doping-Problematik. Trotz unbestreitbarer Fortschritte im Kampf gegen das Doping ist dieses Thema weiterhin untrennbar mit dem Hochleistungssport verbunden. Der jüngste spektakuläre Fall im DLV im März dieses Jahres belegt eindringlich: Es wird weiterhin gedopt.
Doch die von der SPD beantragte Verschärfung des Arzneimittelgesetzes ist damals an Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, gescheitert. Die SPD fordert auch weiterhin, daß die Gesetzeslücke beim Erwerb und der mißbräuchlichen Verschreibung von Doping-Arzneimitteln schnellstens geschlossen wird. Dabei sind wir sicherlich unterschiedlicher Meinung, Herr Riegert.
({0})
Vielleicht auf den ersten Blick nicht ganz so aufsehenerregend, aber - wie ich meine - von der Tragweite her gleichzusetzen sind Meldungen über höchst fragwürdige, teilweise brutale Trainingsmethoden und daraus resultierende Risiken im Nachwuchsbereich. Heranwachsende werden systematisch überfordert, und das ist mit unserem Verständnis von humanem Leistungssport nicht zu vereinbaren.
({1})
Meine Damen und Herren, nicht umsonst bilden Projekte zum Nachwuchsleistungssport beim Bundesinstitut für Sportwissenschaft einen der Forschungsschwerpunkte. Die Übertragung der Erkenntnisse in die Sportpraxis erfolgt ganz offensichtlich jedoch noch nicht in der notwendigen Breite und vor allem nicht mit der gewünschten Schnelligkeit.
Die Gründe hierfür mögen vielfältig sein. In einzelnen Fällen - das will ich besonders betonen - ist die Einsicht in die Notwendigkeit bei den vor Ort arbeitenden Trainern und Übungsleitern noch nicht in dem gewünschten Maß vorhanden.
({2})
Alarmierende Berichte aus den Bereichen Eiskunstlauf und Kunstturnen haben uns kürzlich einmal mehr aufgeschreckt. Brutale Trainingsmethoden durch Trainerinnen und Trainer des hessischen und badischen Landesverbandes sind bekanntgeworden.
({3})
Konsequenzen allerdings bleiben allem Anschein nach aus. Der Deutsche Turnerbund selbst sieht z. B. im Skandalfall eines hessischen Landestrainers keinen Handlungsbedarf und gibt sich mit der Ermahnung des Trainers durch den eigenen Landesverband zufrieden.
({4})
Meine Damen und Herren, ich sehe auch uns hier in der Verantwortung. Schließlich fördert der Bund mit seinen Mitteln Leistungszentren und Olympiastützpunkte, in denen - ich zitiere aus dem Sportbericht besonders talentierte Nachwuchssportler ({5}) ... an das internationale Leistungsniveau herangeführt werden.
Das klingt gut, mag mit Blick auf den Medaillenspiegel auch seine Rechtfertigung finden.
Unsere Sorge und unsere Aufmerksamkeit muß nach den jüngsten Vorfällen offensichtlich verstärkt dem Leistungstraining von Kindern gelten. Nicht umsonst hat die SPD im Sportausschuß eine öffentliche Anhörung zum Kinderleistungssport beantragt.
Der Anfang des Jahres vorgelegte Zwischenbericht des Bundesinstitutes für Sportwissenschaft zum Thema „Belastungen und Risiken im Kunstturnen" warf für uns jedenfalls mehr Fragen auf, als er Antworten geben konnte. Aus der Sportwissenschaft ist bekannt, daß es nur mit viel Mühe gelingt, einen kindlichen Organismus zu überfordern. Wenn es geschieht, dann bewußt durch Druck im psychomentalen Bereich. Kinder sind in den seltensten Fällen in der Lage, sich zu wehren. Und wenn sie es in Einzelfällen tun, ist es meistens um Jahre zu spät.
({6})
Wir sprechen über Doping, wir sprechen über Spätfolgen im orthopädischen Bereich, aber wir sprechen noch viel zuwenig über die Spätfolgen im psychischen Bereich. Das Zählen von Medaillen kann und darf keine Rechtfertigung sein,
({7})
weder für Doping noch für völlig unangemessene Trainingsmethoden.
({8})
Ich fordere daher Herrn Minister Kanther, der ja nun leider abwesend ist, auf: Stellen Sie sich deutlich Ihrer Verantwortung für die Sportlerinnen und Sportler in unserem Land! Sagen Sie klar, daß Sie Mißstände in keinem Bereich tolerieren werden!
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Das Wort hat der Kollege Peter Letzgus, CDU/CSU-Fraktion, wenn ich recht informiert bin, ebenfalls zu seiner ersten Rede im Plenum des Bundestages.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im 8. Sportbericht der Bundesregierung, dem ersten gesamtdeutschen - das möchte ich hier ausdrücklich betonen -, werden auch die Schwierigkeiten bei der Zusammenführung des Sports von Ost und
West anschaulich dargelegt. In der Tat war es eine besonders komplizierte Aufgabe, den zentralistisch angelegten Sport der DDR, deren Führung alle Mittel recht waren, sich über den Leistungssport Anerkennung in der Welt zu verschaffen, so umzugestalten, daß er den Grundsätzen der Freiheit und Autonomie entsprach.
Der Sport hat gleich nach der Wiedervereinigung mit erheblicher finanzieller Unterstützung der Bundesregierung die Zusammenführung mit dem Sport Ost tatkräftig in Angriff genommen und in verhältnismäßig kurzer Zeit erfolgreich abgeschlossen.
({0})
Die Bundesregierung ist ihrer Verantwortung bei diesem Prozeß voll gerecht geworden. Sie hat den Sport bei seinen Bemühungen nicht nur partnerschaftlich beraten, sondern sich auch, wie Kollege Dr. Feldmann bereits angedeutet hat, in besonderem Maße finanziell eingebracht.
Der Sportetat des Bundesinnenministeriums, der sich 1990 noch auf rund 110 Millionen DM belief, wurde 1991 mit 248 Millionen DM weit mehr als verdoppelt. Auch in den Folgejahren wurde das hohe Niveau der Sportförderung durch den Bund beibehalten.
Der Sportbericht weist aus, daß zwischen 1991 und 1993 jährlich bis zu 100 Millionen DM für den Spitzensport im Osten Deutschlands verausgabt wurden. Das war richtig und wichtig, um die Athleten dort halten zu können. Auch nach der Phase einer gewissen Konsolidierung und Normalisierung flossen 1994 immer noch 80 Millionen DM in die neuen Länder. In diesem Jahr bewegt sich diese Summe in einem ähnlich hohen Rahmen. Das kann sich aus meiner Sicht durchaus sehen lassen.
Natürlich gab und gibt es je nach Blickwinkel auch kritische Stimmen. Einigen reicht das immer noch nicht aus, anderen war das schon zuviel. Es ist müßig, heute noch auf einzelne Kritikpunkte einzugehen. Alle getroffenen Maßnahmen müssen aber unter den Gesichtspunkten von Schwierigkeit und Umfang der zu bewältigenden Aufgabe und der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit beurteilt werden. Jetzt gilt es, die Zukunft in den Griff zu bekommen.
In den neuen Ländern mußte in den vergangenen Jahren an die vorgefundenen Leistungssporteinrichtungen angeknüpft werden. Sieben Olympiastützpunkte wurden neu geschaffen und mit Bundesmitteln erheblich gefördert. Die jetzt insgesamt 17 Leistungszentren werden bei uns in den neuen Ländern als sogenannte kombinierte Bundesleistungszentren, die auf mehrere Sportarten ausgerichtet sind, geführt. Ansatz dazu waren die ehemaligen Sportclubs der DDR. Im Westen Deutschlands sind die Bundesleistungszentren durchweg monostrukturiert, d. h., sie beziehen sich jeweils nur auf eine Sportart.
Der deutsche Sport muß darangehen, ein einheitliches, für das gesamte Bundesgebiet geltendes System zu konzipieren und umzusetzen. Das kann nur heißen, daß ein Maßstab anzulegen ist, der die Erfahrungen und Besonderheiten des Spitzensports aus dem Osten mit einbezieht.
Die Leistungssporteinrichtungen in den neuen Ländern bedürfen in vielen Fällen einer Renovierung und Modernisierung. Vieles hat der Bund hierbei schon getan, vieles zu tun bleibt noch übrig. Ich wünschte mir, daß manche - durchaus erforderliche - Baumaßnahme im Westen zugunsten der Sporteinrichtungen im Osten zeitlich aufgeschoben würde.
({1})
Wenn in Ostdeutschland in den Sportzentren nicht möglichst schnell Weststandard geschaffen wird, besteht die Gefahr, daß leistungsstarke Athleten in den Westen abwandern, und das wollen wir schließlich doch alle nicht.
({2})
Der Leistungssport muß im Osten voll erhalten bleiben. Insofern, Herr Kollege Lohmann, begrüße ich - Sie haben die Bundesliga angeführt -, daß höchstwahrscheinlich in der nächsten Saison mit dem FC Hansa Rostock wieder ein Fußballclub aus dem Osten in der 1. Bundesliga spielen wird.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch eine beträchtliche Erhöhung der Trainermittel ist es gelungen, im Osten eine große Zahl von Trainern im Spitzensport zu halten. Das war der richtige Weg, nicht zuletzt im Interesse der Athleten. Nun müssen die Verbände die weitere Anpassung der Gehälter beschleunigen, um die Leistungsbereitschaft der Trainer im Osten zu erhalten.
In den deutschen Spitzenverbänden tragen mir noch zuwenig Vertreter aus den neuen Ländern Verantwortung. Nicht nur die Leistungen der ostdeutschen Spitzensportler, sondern auch Sachverstand und Kompetenz von Funktionären müssen sich in den Verbänden wiederfinden - nicht nur in Form neu geschaffener Vizepräsidentenposten.
Um den hohen Leistungsstand des deutschen Spitzensports zu halten, werden weiter das IAT in Leipzig und das FES in Berlin benötigt. Ihr Erhalt nach Art. 39 des Einigungsvertrages war eine richtige Entscheidung.
({4})
Ebenso brauchen wir eine konsequente und effektive Nachwuchsförderung. Ein einheitliches, zwischen Bund und Ländern abgestimmtes durchgängiges Förderkonzept erscheint mir vordringlich. Einzubeziehen sind dabei die sportbetonten Schulen, die im Rahmen der Talentsichtung und -förderung gute und unverzichtbare Arbeit leisten. Sie sollten auch in den westlichen Bundesländern eingeführt werden.
({5})
Der Sportbericht der Bundesregierung bezieht sich der Bundeskompetenz folgend weitestgehend auf den Spitzensport. Aber Spitzensport ist ohne eine breite und solide Basis nicht vorstellbar.
Ich verhehle nicht, daß der Breitensport in den neuen Ländern noch Sorgen bereitet. Der Aufbau des Vereinslebens macht langsam, aber stetig Fortschritte. Ende 1994 waren in meinem Land, in Sachsen-Anhalt, mehr als 10 % der Bevölkerung in Sportvereinen organisiert - eine bereits beachtliche Zahl. Aber in den alten Bundesländern sind es 30 %.
Daher muß in Zukunft in diesem Zusammenhang das ehrenamtliche Engagement gestärkt werden. Zu DDR-Zeiten gab es - im Westen vielfach unterschätzt - mannigfache ehrenamtliche Arbeit im Sport, die aber kaum Anerkennung fand. Die Bestrebungen im Bund zur Stärkung des Ehrenamtes sollten auch in den neuen Ländern die Menschen ermuntern, auch wenn sie zur Zeit noch andere Probleme zu lösen haben, im Bereich des Sports vermehrt tätig zu werden.
({6})
Der Zustand der Breitensportanlagen ist im Osten nach wie vor beklagenswert. Der Bund hat deutlich gemacht, daß die Mittel des Investitionsförderungsgesetzes Aufbau Ost, über 6 Milliarden DM jährlich, auch für den Sportstättenbau eingesetzt werden können. Die Landesregierungen müssen diese Möglichkeit umsetzen.
Insgesamt mein Fazit: Spitzen- und Breitensport befinden sich in den neuen Bundesländern auf dem richtigen und guten Weg. Mit Zuversicht und Vertrauen sollte die Zukunft angegangen werden.
Ich bedanke mich.
({7})
Das Wort hat der Kollege Thomas Krüger, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Winston Churchill hat es auf den Punkt gebracht:
({0})
„Ich glaube nur der Statistik, die ich selber gefälscht habe." Auf diesen 8. Sportbericht müßte man das folgendermaßen übertragen: Die Bundesregierung glaubt nur dem Sportbericht, den sie selber geglättet, redigiert und tendenziell gestaltet hat.
Warum hat die Bundesregierung nicht den Mut gehabt, die Defizite der letzten Jahre anzusprechen?
({1})
Warum hat sie nicht die Chance genutzt, hier die große Koalition des Sports zu bemühen? Das hat sie überhaupt nicht getan. Sie tut doch sonst immer so selbstsicher. Warum hat sie es nötig, eine Situation, die zwar - verglichen mit Neufundland, Slowenien oder Kasachstan - nicht katastrophal, aber immerhin renovierungsbedürftig ist, gesundzubeten?
Ich will diesen Eindruck kurz an der Situation des Sports in den neuen Bundesländern verdeutlichen. Ich bestreite nicht, daß die Bundesregierung z. B. im Unterschied zum Deutschen Sportmuseum tätig gewesen ist, was den Aufbau und die Umstrukturierung der Sportstrukturen in den neuen Ländern betrifft.
Meine Kritik aber: Sie hat versäumt, und zwar notorisch versäumt, auch den dringenden Reformbedarf der westdeutschen Sportstrukturen in den Prozeß einzubeziehen. So sind eben auch viele Defizite des westdeutschen Sports auf den Sport in den neuen Ländern übertragen worden.
Herr Kollege Krüger, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber selbstverständlich.
Bitte.
Werter Herr Kollege Krüger! Sie haben gerade Winston Churchill mit der in dem Zusammenhang nicht ganz entscheidenden Aussage zu den gefälschten Statistiken zitiert. Ist Ihnen bekannt, daß Winston Churchill auf die Frage, warum er so alt geworden und gesund geblieben sei, geantwortet hat: No sports."?
Herr Abgeordneter, das ist mir durchaus bekannt. Bei den Ausführungen Ihres Kollegen Kutzmutz mußte ich mich sofort an diesen Ausspruch erinnern. Denn Ihr Kollege Kutzmutz hat beispielsweise zum Behindertensport überhaupt nichts gesagt.
({0})
Das ist die leidige Tradition der DDR, die natürlich den Behindertensport vernachlässigt hat, wo es nur ging.
({1})
Wir werden nicht vergessen, auf die wachsende Bedeutung des Behindertensports hinzuweisen und darauf ein wichtiges Augenmerk in den Ländern, Kommunen und im Bundesbereich zu legen.
({2})
- Das ist eben keine billige Polemik, Frau Kollegin. Sie müssen die Wahrheit ertragen können. Der Behindertensport ist so stark vernachlässigt worden, daß es schon nicht mehr feierlich war.
In der öffentlichen Diskussion tauchte der ostdeutsche Sport vor allem bei der Diskussion um Doping und das Stasi-Thema auf - Sachverhalte, die nicht verschwiegen werden dürfen. Das haben Sie zwar gemacht, Herr Kutzmutz, aber ich mache es nicht.
Diese Themen haben aber auch - das muß man ebenfalls betonen - die Legitimationsgrundlage dafür abgegeben, die westdeutschen Sportstrukturen in personeller und inhaltlicher Weise zu zementieren. Das richtet sich im übrigen nicht nur an die Bundesregierung, sondern auch an den Sport selber. Ich glaube, daß der neue DSB-Präsident von Richthofen hier auf dem richtigen Weg ist, richtige Akzente setzt. Ich erinnere an das, was er im letzten Jahr gesagt hat: „Da sind noch immer zwei Fronten in den Köpfen. "
Das kommt im übrigen nicht von ungefähr, meine Damen und Herren. Diese aktuell vorfindbare Frontenstellung hat etwas mit dem Verzicht zu tun, auch sinnvolle Teile des DDR-Sports in die bundesdeutschen Strukturen einfließen zu lassen.
Ich nenne hier nur zwei Punkte: zum einen die Nachwuchsförderung. Das begann zu DDR-Zeiten bereits mit der Sichtung in den Schulen, ging über die Trainingszentren bis hin zu den Kinder- und Jugendsportschulen. Eine langfristige Nachwuchsförderung - das muß die Bundesregierung endlich begreifen - ist eine richtige Investition und kann den Spitzensport stützen.
Der zweite Punkt ist der Trainingsbereich. Von den ostdeutschen Strukturen können gerade auch wissenschaftlich untermauerte Teile des Trainingsbereichs implantiert werden. Das Institut für Angewandte Trainingswissenschaften hat in einer Analyse 1992 gesagt:
Neben einer Bündelung der Ressourcen ist eine Ausrichtung auf Prognoseleistungen, weitere Belastungssteigerungen und komplexe Anforderungsbewältigungen sowie effektive Trainingssteuerung, Qualitätssteuerung und Wissenschaftlichkeit des Trainings erforderlich.
Das hat mit Doping nichts zu tun. Das zeigt aber Spielräume auf, die genutzt werden müssen, die in den neuen Bundesländern übrigens durch das Forschungsinstitut für Sportgeräte, das eine sehr praxisnahe Forschung betrieben hat, genutzt worden sind. Das muß Platz behalten im deutschen Sport.
({3})
Die Situation des Spitzensports zeigt sich besonders deutlich am Sportstättenbau. Reden wir nicht um den heißen Brei herum. Länder und Kommunen haben kein Geld. Aber der Bund macht in diesem Bereich nichts. Das muß man an der Stelle deutlich sagen. Im „Sportbericht" heißt es auf Seite 104, daß „den Sportanlagen für den Hochleistungssport" in den neuen Ländern nach wie vor „besondere Bedeutung" zugemessen wird. Aber es kommt nichts.
Statt dessen wird immer gesagt: An dem Goldenen Plan Ost, den der DSB vorgeschlagen hat, können wir uns finanziell nicht beteiligen. Was hat die Bundesregierung aber von 1960 bis 1974 gemacht? Sie hat den Goldenen Plan im Westen gefördert, und zwar mit 20 %.
({4})
Ich meine, daß es ein schwaches Argument ist, jetzt in einer völlig anderen historischen Situation, in der eine schwierige Umstrukturierung zu bewältigen ist, auch etwas für den Spitzensport in den neuen Ländern zu tun.
({5})
Ich fordere für die Bundestagsfraktion der SPD ein Investitionssonderprogramm für den Spitzensport in den neuen Ländern.
({6})
Hat die Bundesrepublik vergessen, daß der Goldene Plan im Grunde auch eine Förderchance ist? Ich glaube, ja. Ich hoffe, daß die zentralen Veranstaltungseinrichtungen, wie das Leipziger Zentralstadion und die Regattastrecke Beetzsee, einen entsprechenden Zuschuß bekommen. Das haben sie verdient.
Daß der Bund etwas tun könnte, kann man im übrigen auch in den Sportberichten der Jahre 1990 bis 1994 nachlesen. Sie finden dort die Förderung für die Zonenrandgebiete. 121,5 Millionen DM hat der Bund dafür ausgegeben. Er hat für die Investitionszuschüsse für die Länder und Kommunen 1991 und 1993 tatsächlich nur 100 Millionen DM - wie er selber schreibt - ausgegeben. Das ist zuwenig; hier muß mehr passieren. Zum Glück - das muß ich an dieser Stelle sagen - regieren Sie ja nicht mehr so lange.
({7})
Eine Milliarde Jahre müßten Sie sich dafür schämen, daß Sie diese Strukturen so vernachlässigt haben.
Sie weisen doch sonst immer auf die 24 Millionen Vereinssportler hin. 24 Millionen Vereinssportler - das hat eine politische Leistung verdient. Sie schmücken sich sonst immer. Schmücken sie doch auch einmal den Sport in den neuen Ländern! Machen Sie den Sport nicht zum Verlierer! Lösen Sie die partnerschaftliche Zusammenarbeit, von der Sie so vollmundig sprechen, endlich ein!
({8})
Jede Mark, die in den deutschen Sport investiert wird, ist eine Investition in das Humankapital unserer Gesellschaft. Vernachlässigen Sie das nicht; dann werden Sie auch die Unterstützung der Sozialdemokraten für eine große Koalition des Sports zurückgewinnen können.
Vielen Dank.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/1114 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einbeziehung der Mauer- und Grenzgrundstücke in das Vermögensgesetz
- Drucksache 13/120 -Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({0})
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fünf Minuten erhalten soll. Kein Widerspruch? - Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Senatorin Dr. Peschel-Gutzeit, Berlin.
Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute wird in diesem Hohen Hause ein Gesetzentwurf beraten, der zum Ziel hat, die Grundstücke, die zum Zwecke des Baus der Berliner Mauer und des Todesstreifens quer durch Deutschland von den Machthabern der DDR enteignet wurden, an die früheren Eigentümer zurückzugeben. Dieser Gesetzentwurf kommt aus Berlin. Der Bundesrat hat ihn mehrheitlich beschlossen.
Als Vertreterin des Berliner Senats hoffe ich und bitte Sie zugleich eindringlich, daß Sie dem Gesetzentwurf zustimmen und dem Gesetzgebungsverfahren zügig Fortgang geben mögen, damit diese für die Menschen im Ostteil Berlins und in den neuen Bundesländern politisch und psychologisch, aber auch wirtschaftlich so wichtige Frage nun im sechsten Jahr nach dem Fall der Mauer alsbald anständig und gerecht gelöst werden kann.
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In Berlin wird über alle Parteigrenzen hinweg die gegenwärtige Rechtslage, nach welcher die Mauer- und Grenzgrundstücke als ehemalige Verteidigungsanlage der DDR dem Vermögen der Bundesrepublik zugefallen sind, als unerträglich empfunden. Ich bin davon überzeugt, daß auch kein Mitglied dieses Hohen Hauses es als eine zufriedenstellende Lösung ansieht, wenn dem heutigen Gesamtstaat Bundesrepublik Deutschland dieser Streifen von Mauer- und Grenzgrundstücken quer durch Deutschland letztlich zu Eigentum verbleiben würde.
Zur Erinnerung: Am 13. August 1961, vor mehr als 33 Jahren, wurde quer durch Berlin und quer durch Deutschland eine für die in der DDR lebenden Bürger undurchdringliche Grenze gezogen. Die gesamte westliche Welt und ganz besonders die Berlinerinnen und Berliner in beiden Teilen der Stadt mußten hilflos mitansehen, wie das SED-Unrechtsregime mit größter Rücksichtslosigkeit eine Grenze aufbaute, die allein dem Zweck diente, die eigene Bevölkerung einzusperren. Über Nacht wurden in Berlin Familien getrennt, Hauseingänge zugemauert und später Häuser dem Erdboden gleichgemacht. Es wurde auf
deutsche Bürgerinnen und Bürger, Frauen, Männer und Jugendliche, geschossen, nur weil sie versuchten, dem SED-Regime zu entfliehen und in den freien Teil Deutschlands zu gelangen.
Beispielhaft erinnere ich an die dramatischen Ereignisse an der Bernauer Straße, an denen die gesamte Weltöffentlichkeit teilhatte. Es gingen Bilder um die Welt, die Menschen zeigten, die aus einem Fenster auf die Straße in den freien Teil der Stadt springen wollten. An den Armen wurden sie von den Volkspolizisten in die Wohnung zurückgezogen, während Berlinerinnen und Berliner verzweifelt versuchten, die Fluchtwilligen in den freien Teil der Stadt zu ziehen. Später sah man angeschossene, im Grenzstreifen verblutende Menschen.
Oder ein anderes Beispiel, das zur Problematik der Mauergrundstücke überleitet. Im Berliner Süden, im Stadtteil Rixdorf, bildet die Heidelberger Straße die Grenze zwischen den Bezirken Neukölln und Treptow. Hier wurde die Mauer 1961 mitten auf der Fahrbahn errichtet. Auf Ostberliner Seite gelang es einer Eigentümerin noch bis zum Jahre 1984, 23 Jahre lang, durch Kreditaufnahmen ihr Haus, das sie von den Eltern geerbt hatte, in einem ordentlichen Zustand zu erhalten. Erst 1984, fünf Jahre vor dem Fall der Mauer, nachdem in der Nähe ihres Grundstücks ein Fluchtversuch gescheitert war, wurde das Haus, um freies Schußfeld zu schaffen, auf Grund des Verteidigungsgesetzes enteignet und dem Erdboden gleichgemacht. Das Lebenswerk der Eigentümerin war damit zerstört, und das nur, weil ihr Haus die Grenzposten bei Todesschüssen auf Bürger, die dem SED-Unrechtsstaat entfliehen wollten, behinderte.
Soll, darf der Staat ein solches Grundstück behalten, oder muß man nicht wenigstens der früheren Eigentümerin die Möglichkeit geben, sich wieder am angestammten Platz ein Zuhause zu schaffen?
Die Mauer hat viele Todesopfer gekostet. Von allen - ich unterstreiche das - verantwortlichen Politikern in der Bundesrepublik Deutschland wurden Mauer und Todesstreifen als ein menschenrechtswidriges Machwerk gegeißelt, das dem Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes Hohn sprach. Kann es nun, nach der glücklichen Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden, richtig sein, daß sich der heutige Gesamtstaat Deutschland an diesem Machwerk bereichert? Ich selbst empfinde eine derartige Bereicherung als höchst unanständig und unerträglich und meine, hierin müßten sich alle einig sein, gleich, welcher Partei sie angehören. Pecunia non olet - das darf nicht die Devise eines freiheitlichen Rechtsstaats sein.
Übrigens wäre die von der Berliner Initiative geforderte Rückgabe der Mauergrundstücke nach meiner Überzeugung überhaupt kein Thema, wenn die Mauer, wie von allen Politikern in der Bundesrepublik gefordert und von dem größten Teil der Bevölkerung in der ehemaligen DDR erhofft, bereits in den 60er Jahren wieder gefallen wäre. Konrad Adenauer und Willy Brandt hätten jeden, der damals gefordert hätte, die Mauer- und Grenzgrundstücke dürften nach Niederreißung der Mauer nicht den früheren
Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit ({3}) Eigentümern zurückgegeben werden, sondern müßten als ehemalige Verteidigungsanlage der DDR in den Besitz des vereinten Deutschland fallen, fassungslos angesehen.
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Beide großen Politiker hätten gesagt: Die Mauergrundstücke, die aus dem Besitz der DDR übernommen werden, sind Unrechtsgut. Wer sich an ihnen bereichert, macht sich die Hände schmutzig.
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Ich frage also, warum die aus meiner Sicht selbstverständliche Rückgabe dieser Grundstücke heute, fünfeinhalb Jahre nach dem Fall der Mauer, nicht längst geregelt ist, sondern statt dessen kontrovers diskutiert wird. Was wird denn nun gegen die Rückgabe der Mauer- und Grenzgrundstücke ins Feld geführt?
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Der Freistaat Sachsen - übrigens als einziges neues Bundesland - hat im Bundesrat geltend gemacht, die Rückgabe der Mauer- und Grenzgrundstücke könne dazu führen, daß eine Vielzahl von Enteignungen in der ehemaligen DDR auf der Basis der dortigen Aufbau- und Baulandgesetze, der Berg-und Verteidigungsgesetze in ähnlicher Weise rechtlich und politisch in Frage gestellt würden. Es fehle an zuverlässigen Abgrenzungskriterien, so daß die Rückgabe nur der Mauer- und Grenzgrundstücke den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzen könne.
Im Klartext bedeutet dies: Es wird befürchtet, das gesamte Regelungswerk des Vermögensgesetzes und des Einigungsvertrages über die Behandlung von DDR-Enteignungen könne bei Rückgabe der Mauer- und Grenzgrundstücke zusammenbrechen. Die Folge wäre eine Totalrevision der Enteignungen während der 40jährigen DDR-Geschichte.
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Das aber ist falsch. Die Befürchtung ist unbegründet. Keine anderweitige Enteignung - sei sie für den Bergbau, für Wirtschaftsgebäude oder auch für Kasernenbau vorgenommen - reicht im entferntesten an den Unrechtsgehalt heran, für den Mauer und Grenzstreifen als Symbol stehen.
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Das war in der Bundesrepublik fast 30 Jahre lang unumstritten. Enteignungen für Bergbau und Verteidigung hat es übrigens im Westen unserer Republik genauso gegeben. Niemand denkt daran, sie heute rückgängig zu machen.
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Schon dieser Vergleich zeigt, daß es faktisch, aber auch rechtlich
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ohne weiteres möglich ist, den sachlich fest umrissenen Bestand der Mauer- und Grenzgrundstücke - in Berlin sind es etwa 1 500 - an die früheren Eigentümer zurückzugeben, und daß damit keineswegs zugleich der rechtliche Zwang geschaffen würde, auch andere DDR-Enteignungen rückgängig zu machen.
Die Dogmatik des Vermögensgesetzes, das vor allem solche Bürger begünstigt, die entweder nicht in der DDR gelebt oder sie frühzeitig verlassen haben, stört nicht. Dem Vermögensgesetz stünde es im Gegenteil sehr gut an, zusätzliche Rückgabetatbestände zugunsten von ehemaligen DDR-Bürgern zu schaffen.
({11})
Weiter wird behauptet - wie ich höre, vor allem von Abgeordneten aus den neuen Ländern, die nicht meiner Partei angehören -, die Rückgabe der Mauer-und Grenzgrundstücke wäre in den neuen Bundesländern politisch nicht vermittelbar. Mit Verlaub: Diese Behauptung halte ich für falsch.
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Ich brauche mich nur in Berlin umzusehen, das zu einem nicht unerheblichen Teil ein neues Bundesland ist. Zumindest ist in diesem neuen Bundesland eine Rückgabe der Mauer- und Grenzgrundstücke nicht nur gut vermittelbar, sie ist dort die einzig vermittelbare Lösung.
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So ist es auch zu verstehen, daß das Berliner Abgeordnetenhaus über alle Parteigrenzen hinweg den Senat einstimmig aufgefordert hat, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um der Berliner Bundesratsinitiative,
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über die wir hier sprechen, zum Erfolg zu verhelfen. Gewiß brauche ich niemanden in diesem Hause darüber aufzuklären, daß im Berliner Abgeordnetenhaus eine nicht unerhebliche Zahl von Mandatsträgern aus dem östlichen Teil Berlins kommt. Bei ihnen allen hat es nicht den leisesten Widerstand gegen die Ihnen vorliegende Initiative gegeben. Im Gegenteil, sie haben ohne Einschränkung dafür gestimmt.
Wenn nun also CDU-Abgeordnete aus den neuen Bundesländern die Rückgabe der Mauergrundstücke ablehnen, so mag das vielfältige, nach meiner Oberzeugung bisher nicht genannte Gründe haben. Hieraus einen Ost-West-Konflikt zu konstruieren heißt aber die Dinge auf den Kopf stellen. Abgesehen von der privilegierten SED-Clique haben die Bürgerinnen und Bürger aus Ost-Berlin und der DDR unter
Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit ({15})
der Mauer und dem Todesstreifen quer durch Deutschland sicherlich nicht weniger gelitten als die Bürgerinnen und Bürger aus der alten Bundesrepublik.
({16})
Im Gegenteil: Sie waren Eingeschlossene. Wie kann man ihnen unterstellen, daß sie den Verbleib der Mauergrundstücke beim Staat wollen könnten?
Ich halte es für die Pflicht aller Mandatsträger aus den neuen Bundesländern, die Gefühle ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht länger zu verletzen, sondern der Rückgabe der Mauer- und Grenzgrundstücke rasch und ohne Wenn und Aber zuzustimmen.
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Schließlich kann man hören, die SPD, deren Bundestagsfraktion sich zu unserer Freude - anders als die CDU/CSU - voll hinter die Bundesratsinitiative Berlins stellt, handele inkonsequent und widersprüchlich.
({18})
Allein taktische Gründe seien es, die sie veranlaßten, Rückgabe der Mauergrundstücke zu verlangen. Auch diese Behauptung ist falsch.
Zwar trifft es zu, daß die SPD wiederholt den im Vermögensgesetz enthaltenen Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung kritisiert hat.
({19})
Diese Kritik war und ist historisch und politisch berechtigt.
({20})
Denn die Rückgabe vor Entschädigung ist aus unserer Sicht ein Fehler, der unendliche Unruhe und Feindseligkeit in das Land getragen hat, an deren Folgen wir alle noch lange tragen werden.
({21})
Frau Senatorin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit ({0}): Bitte.
Bitte sehr.
Frau Senatorin, können Sie uns auch nur in etwa klarmachen, warum Sie - berechtigt oder unberechtigt - so vehement für die Rückgabe der Mauergrundstücke eintreten,
({0})
aber gleichzeitig die Rückgabe anderer Grundstücke in der vormaligen DDR mit der Erklärung verweigern wollen, man müsse hier „Rückgabe" wegnehmen und „Entschädigung" voranstellen? Ist das überhaupt klarzumachen?
({1})
Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit ({2}): Herr Abgeordneter, ich bin gerade dabei, dies zu erklären. Vielleicht darf ich fortfahren.
({3})
Ich habe gesagt: Rückgabe vor Entschädigung halten wir im Grundsatz für falsch - wir haben das auch immer gesagt -, weil dadurch ein Konflikt auf Jahrzehnte vorprogrammiert ist. Aber wir sind doch keine Traumtänzer.
({4})
Wir sehen doch, daß dieser Grundsatz da ist und nicht mehr umkehrbar ist. Deshalb muß er ausgehalten werden, auch von uns.
Wenn aber private Nutzer, die die Grundstücke, auf denen sie sitzen, jahrzehntelang berechtigt genutzt haben, nun die Grundstücke an Alteigentümer mit den sozialen Folgeproblemen, die wir alle kennen, zurückgeben müssen, so muß dies doch erst recht für den Staat gelten. Auch er muß die ihm zugewachsenen Grundstücke an die Alteigentümer zurückerstatten. Ein sozialverträglicher Interessenausgleich ist bei diesen Grundstücken eben gerade nicht nötig; denn die Mauer- und Grenzstreifengrundstücke liegen zum Teil noch heute brach und wurden eben nicht von anderen Personen über eine lange Zeit privat genutzt. Durch die Rückgabe dieser Grundstücke wird mithin kein neuer sozialer Zündstoff angehäuft, sondern vorhandener Zündstoff endlich beseitigt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten, ich appelliere an Sie, eine politisch sensible und menschlich richtige Lösung für das Problem der Mauer- und Grenzgrundstücke zu finden - eine Lösung, die dem Ansehen unseres Rechtsstaats keinen weiteren Schaden zufügt. Unser Rechtsstaat, auf den wir stolz sind und dies auch sein dürfen, darf
Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit ({5})
sich nicht dem Vorwurf aussetzen, er habe letztendlich finanziell vom Mauer- und Todesstreifen profitiert. Insoweit geht es um unser aller Glaubwürdigkeit.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Luther, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Senatorin Peschel-Gutzeit, den Ost-West-Konflikt, den Sie in Ihrer Rede konstruiert haben, und die vermeintliche Ablehnung einer Rückgabe der Mauergrundstücke durch die Abgeordneten aus den neuen Bundesländern zeigt, daß Sie das Problem nicht verstanden haben.
({0}) Sie haben sich damit auch nicht beschäftigt.
({1})
Ich will Ihnen vorlesen, was ich selber im Bundestag bereits gesagt habe, um an die zeitliche Dimension zu erinnern. Am 23. Juni 1993 - anläßlich der ersten Lesung zum Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz - habe ich hier gesagt:
Wollen wir allen Ernstes behaupten, daß die Enteignungen im Zusammenhang mit dem Mauerbau heute Rechtens sind? Die Mauer war ein Symbol für die Teilung Deutschlands und für die Machterhaltung einer Diktatur. Die Mauer war kein antifaschistischer Schutzwall gegen die imperialistischen Aggressoren, sondern eine Gefängnismauer zur Einsperrung des eigenen Volkes.
Das heißt, seit 1993 ist die Position der CDU/CSU klar: Wir wollen eine Lösung im Zusammenhang mit den Enteignungen von Grenzstreifengrundstücken zum Bau oder zur Errichtung der Mauer. Es soll nicht im Bundesvermögen bleiben.
({2})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krüger?
Selbstverständlich.
Bitte, Herr Kollege Krüger.
Herr Kollege, halten Sie es auch für richtig, daß sich der Regierende Bürgermeister von Berlin, Ihr Parteifreund Eberhard Diepgen, in dieser Frage überhaupt nicht informiert und kundig gemacht hätte?
({0})
Wie bewerten Sie die Äußerung Ihres Fraktionskollegen Rupert Scholz in der Berliner Presse, der sich ebenfalls in dieser Frage eindeutig auf die Berliner Position gestellt hat?
Wahrscheinlich haben Sie mir vorhin nicht ganz zugehört. Ich bin auf die Rede meiner Vorrednerin eingegangen. Sie hat in die Debatte eine Stimmungslage hineingebracht, die einfach unpassend ist. Zu mehr habe ich nicht Stellung genommen.
({0})
Herr Diepgen hätte sicherlich das Ganze anders dargestellt, für uns auch glaubwürdiger.
({1})
Meine Damen und Herren, ich habe die Position der CDU/CSU klarzulegen versucht. Wir haben seit 1993 über dieses Thema intensiv diskutiert. Trotzdem ist die Frage berechtigt: Warum ist diese Frage bis heute nicht gelöst?
({2})
Damit komme ich zum Problem: Grundlage für die Restitution nach der deutschen Einigung waren der Einigungsvertrag und das Vermögensgesetz. Es hat eben eine Restitution für die Fälle nicht zugelassen, in denen gegen die Zahlung einer Entschädigung oder auf besatzungsrechtlicher oder hoheitlicher Grundlage enteignet worden war.
Es gibt heute eine ziemlich abgeschlossene Rechtsprechung zu diesem ganzen Thema, die dieses Problem beschreibt; denn es ist leider so, daß Mauer-und Grenzstreifengrundstücke nach dem Verteidigungsgesetz eben gegen Entschädigung enteignet wurden und sich deshalb aus der geltenden Gesetzeslage kein Rechtsanspruch für eine Restitution ableiten läßt, wie das auch für vieles andere zutrifft.
Deshalb müssen wir deutlich feststellen: Wir haben als Parlament die Chance und die Aufgabe, letztendlich dieses Problem in einer freien Entscheidung zu lösen. Der Bundesrat geht den einfachen Weg. Er sagt, wir eröffnen einen neuen Restitutionstatbestand, ohne in der Begründung deutlich darauf einzugehen, welche Risiken uns dabei erwarten. Beschreiten wir nämlich einen ungeeigneten Weg der Rückgabe der Mauer- und Grenzstreifengrundstücke, brechen wir in das Vermögensgesetz in ungeeigneter Art und Weise ein, dann kann es leicht passieren, daß das Gebäude der Rechtsprechung und des Vermögensgesetzes zusammenbricht.
({3})
Deshalb, meine Damen und Herren, ist es notwendig, daß wir klare und juristisch haltbare Abgrenzungskriterien finden. Die einzige Klarheit, die bei uns besteht und die auch im Bundesrat deutlich gesagt worden ist, ist die örtliche Beschreibung des Grundstücks. Aber das allein reicht nicht aus.
({4})
Eine derartige Beschränkung des neuen Restitutionstatbestandes ist im Hinblick auf Artikel 3 GG bereits wegen des besonderen Symbolgehalts der Mauer und der innerdeutschen Grenze möglich.
So die Begründung des Bundesrates. Es ist eine Behauptung ohne Begründung.
({5})
Was ist denn eigentlich der Symbolgehalt der Mauer? Wofür war die Mauer denn ein Symbol? Sie war Symbol dafür, daß in der DDR Menschen eingesperrt wurden.
({6})
- Sie war Symbol dafür, daß Menschen an der Mauer erschossen wurden, zu Tode gekommen sind - richtig. Sie war auch Symbol dafür, daß im Zusammenhang mit der Errichtung der Mauer Leute vertrieben wurden, Menschen zum Fenster hinausgestürzt wurden, letztendlich Mieter dort vertrieben wurden, auch Eigentümer.
({7})
Aber - und das muß man deutlich zum Symbolgehalt der Mauer sagen - es gibt keinen weiteren Bezug zu den betroffenen ehemaligen Eigentümern; denn aus Sicht aller DDR-Enteigneten war es eben reiner Zufall, ob ein Grundstück für Sperranlagen oder für sonstige militärische Zwecke, für Einrichtungen des Staatssicherheitsdienstes, für den komplexen Wohnungsbau oder für andere allgemeine Infrastrukturmaßnahmen enteignet wurde.
({8})
Der Symbolgehalt scheint also ein ungeeignetes juristisches Abgrenzungskriterium zu sein.
Das Symbol Mauer: Erhalt einer Diktatur. Sind die Enteignungen z. B. im Zusammenhang mit dem Bau eines Stasigefängnisses keine Symbole für den Erhalt einer Diktatur? Es gibt dafür auch andere Beispiele, ich möchte mich jedoch auf dieses beschränken. Das Symbol Mauer ist - das stelle ich fest - ein wichtiges politisches Abgrenzungskriterium, ein wichtiges politisches Argument, aber es ist juristisch nicht haltbar.
Ohne die Frage der juristischen Abgrenzung eindeutig zu beantworten, will der Bundesrat im Vermögensgesetz einen neuen Restitutionstatbestand eröffnen. Ich denke, wir müssen prüfen, ob tatsächlich die Gefahr einer Nachentschädigung oder einer Totalrevision besteht.
Herr Kollege Luther, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Aber selbstverständlich.
Bitte, Herr Kollege.
Lieber Kollege, können Sie mir bestätigen, daß es nicht hinnehmbar ist, daß Menschen, die Eigentümer von Grenzgrundstücken oder Mauergrundstücken waren, mit dem Verteidigungsgesetz enteignet wurden und daß damit nachträglich die Mauer und Grenzgrundstücke zu einer Verteidigungsanlage gemacht werden?
Es ist leider so, Herr Kollege, daß nicht nur dieses Gesetz zur Anwendung gekommen ist. Vielmehr hat es die Diktatur relativ willkürlich betrieben. Sie hat auch andere Kriterien verwendet, z. B. das Aufbaugesetz; dann allerdings oft im vorhinein, um auf dem Grundstück eine Mauer zu bauen.
Das Problem ist etwas anderes. Ich hatte versucht, das deutlich zu machen. Ich verstehe schon sehr wohl, daß dort, wo die Mauer steht, ein Grundstück liegt und daß es dazu einen Eigentümer gibt. Aber das Symbol der Mauer - das müssen wir deutlich sagen - ist Symbol für vieles, aber nicht in allererster Linie für die Enteignung, die dort stattgefunden hat.
Meine Damen und Herren, ich will mit meiner Rede fortfahren. Ich stelle auf jeden Fall eines mit Verwunderung fest. Es gibt viele Zitate; ich möchte zwei aus dem Parlament zitieren; Herr Schwanitz sagte:
Die SPD hat diesen auch aus heutiger Sicht immer noch unseligen Grundsatz der Rückgabe vor Entschädigung nicht gewollt.
Vor dem Hintergrund der Gefahren bei dieser Eröffnung eines neuen Restitutionstatbestandes frage ich Sie, Herr Hacker, ob „durch den falschen Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung ... längst abgeschriebene Ansprüche auf Besitz und Eigentum neu" geweckt werden, und zwar nicht nur im Mauer- und Grenzstreifenbereich. Ich darf zitieren, was Sie hier vorgetragen haben. Für mich ist die Frage, ob Sie vielleicht aus purem Populismus so handeln, weil Sie sich dieser Gefahren eigentlich grundsätzlich bewußt sein müßten.
({0})
Meine Damen und Herren, wir haben seit 1993 in der CDU/CSU-Fraktion dieses Thema diskutiert, und wir haben uns der Diskussion verantwortlich gestellt. Ich habe Ihnen auch gesagt, worin das Ziel der Diskussion besteht. Wir mußten leider am Ende der Verabschiedung des Zweiten SED-UnrechtsbereiniDr. Michael Luther
gungsgesetzes feststellen, daß wir mit dieser Diskussion noch nicht am Ende sind. Aber nach der Bundestagswahl haben wir dieses Thema in unserer Fraktion massiv aufgegriffen.
An dieser Stelle danke ich z. B. Herrn Professor Scholz für seine konstruktiven Diskussionsbeiträge. Ich danke aber auch den Anregungen und den Hinweisen des Staatsministers Herrn Heitmann aus Sachsen, und ich danke den vielen Kollegen aus den neuen Bundesländern meiner Fraktion.
Die Diskussion in unserer Fraktion war geprägt durch die Suche, offensichtliches Unrecht und letztendlich ein weiteres Stück Enteignungsunrecht zu beseitigen und Mauer- und Grenzstreifengrundstücke aus staatlicher Hand zurückzugeben. Wir wollen ein weiteres Stück Gerechtigkeit herstellen.
({1})
Meine Damen und Herren, wir sind in der Koalition in der Diskussion ein wesentliches Stück weitergekommen. Wir werden eine Lösung finden, aber - das habe ich in meiner Rede deutlich zu machen versucht - sie wird und kann nicht im Rahmen des Vermögensgesetzes sein. Wir werden unsere Vorschläge rechtzeitig in die Beratung mit einbringen.
({2})
Herr Kollege Luther, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Es ist mir eine besondere Freude.
Bitte.
Herr Kollege Dr. Luther, Sie haben grundsätzlich das Problem des Prinzips Rückgabe vor Entschädigung angesprochen. Sie wissen, daß natürlich auch die SPD in vielen Fällen auf Rückgabe entschieden hätte, wenn sie die Entscheidung gehabt hätte, den Grundsatz zu regeln. Wir waren nur gegen das Grundprinzip.
({0})
Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der Tatsache, daß wir das Vermögensgesetz mehrfach novelliert haben; möchte ich Sie fragen: Meinen Sie nicht - Herr Geis, ich bitte Sie, einmal ruhig zuzuhören -, daß wir, nachdem wir hier viele Rückgabetatbestände im Vermögensgesetz geschaffen haben, auch solche, die lediglich an Kriterien wie nichtmarktwirtschaftliche Verwertung von Grundstücken anknüpfen, und in diesen Fällen eine Rückgabe ermöglicht haben,
({1})
in Fällen, die die Mauergrundstücke betreffen, um so mehr einen Rückgabeanspruch begründen müssen, weil die Vertreibung der Menschen von den Mauergrundstücken in einer unmöglichen Weise erfolgte,
({2})
die nicht mit Fällen vergleichbar ist, in denen aus ökonomischen Gründen heraus die Aufgabe des Grundstückes mehr oder weniger aus einer eigenen Entscheidung heraus bewirkt wurde?
({3})
Die Frage war: Meinen Sie? - Meine ich nicht,
({0})
weil wir nämlich im Vermögensgesetz und in dessen Novellierungen nach der deutschen Einigung - also infolge des Einigungsvertrages - grundsätzlich keinen neuen Restitutionstatbestand eröffnet haben, sondern viele Punkte, die beim Schreiben des Vermögensgesetzes offengeblieben sind, neu formuliert haben.
Nun kommen wir in die Situation, fünf Jahre nach der deutschen Einheit ganz konkret einen neuen Restitutionstatbestand schaffen zu wollen, so wie es im Bundesratsentwurf steht. Dann muß man natürlich deutlich machen, was das für Konsequenzen hat. Die Konsequenzen will ich auch gleich nennen, und zwar auch aus Sicht der neuen Bundesländer.
({1})
Innerhalb des Gebietes der neuen Bundesländer gab es auch willkürliche Enteignungen gegen Entschädigungen, und auch sie werden als Unrecht empfunden.
({2})
- Jetzt hören Sie vielleicht einmal einen Moment zu. Der Bundesrat schreibt in seiner Gesetzesbegründung:
Der Staat darf sich gerade an diesen Grundstükken nicht bereichern.
Wenn nun unter dem Druck der SED mit all den Mitteln einer Diktatur für angeblich öffentliche Zwecke Menschen ihre Grundstücke, ihre Immobilien weggenommen wurden, dieses Regime heute Gott sei Dank beseitigt ist und der Enteignungszweck - das scheinbare Argument, das zur Enteignung geführt hat - nie eingetreten ist, nie eintreten sollte und nie eintreten wird, dann kann ich den Leuten nicht erklären, wieso sich die Kommunen, das Land oder der Bund an den eben genannten Grundstücken im Gegensatz zu den Mauer- und Grenzstreifengrundstücken, die enteignet wurden, bereichern dürfen.
({3})
Die Menschen spüren dieses Unrecht. Zu diesem Unrecht gehört eine ganze Menge: Dazu gehören sicherlich Braunkohlegrundstücke, auf denen niemals Braunkohle abgebaut wird; dazu gehören WismutGrundstücke, die nie in Anspruch genommen wurden; und dazu gehören auch andere Grundstücke, wo der Enteignungszweck nie eingetreten ist, nie eintreten sollte und nie eintreten wird. Auch für diesen Bereich muß eine Lösung gefunden werden. Das ist der Unterschied zu der Diskussion, Frau PeschelGutzeit, die Sie in Ihrem Vortrag dargestellt haben.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Ende meiner Rede kommen und stelle noch einmal ganz klar fest: Mauer- und Grenzstreifengrundstücke sollen nicht in Bundeshand verbleiben; der Standort Vermögensgesetz, den der Bundesrat vorschlägt, erscheint mir ungeeignet. Das haben wir in der Diskussion des letzten halben Jahres festgestellt, die wir in unserer Fraktion mit hoher Verantwortung geführt haben.
({4})
Wir werden in die Diskussion um das Gesetz und um die Bundesratsvorlage mit entsprechenden plausiblen, funktionierenden Vorschlägen eintreten. Das Abgrenzungskriterium, das mir wichtig erscheint - deswegen bin ich so intensiv darauf eingegangen -, muß auf seine rechtlichen Konsequenzen vor dem Hintergrund der Gefahr einer Totalrevision, einer Nachentschädigung, geprüft werden. Eine Anhörung zu dieser Frage erscheint mir als ein geeignetes Instrument.
Ich glaube, daß wir nach der Sommerpause alle gemeinsam zu einer guten Lösung finden werden. Meine Damen und Herren, ich sehe, auch Sie von der SPD sind bereit dazu. Ich bitte um Ihre Beteiligung, um eine konstruktive Beteiligung an dieser Diskussion.
Ich bedanke mich.
({5})
Das Wort hat der Kollege Gerald Häfner ({0}).
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon relativ spät; das ist eigentlich schade, denn unser Thema hätte eine bessere Uhrzeit verdient. In gewisser Weise aber, finde ich, ist die Uhrzeit auch passend; denn nach 20 Uhr ist Krimizeit. Und hier geht es ja in der Tat um einen echten Krimi.
Auf treten dabei ein ziemlich gewissenloser, gewalttätiger Schurke, viele unschuldige Opfer sowie ein empörter und wütender Zeuge. Und dann gibt es noch eine merkwürdige Wendung. Das alles ist - leider - keine Fiktion, sondern schreckliche Wahrheit.
Der Schurke ist schnell bestimmt: das DDR-Regime, gewalttätig und totalitär. Dieser Schurke nimmt Millionen von Menschen zu Geiseln einer totalitären Ideologie. Er sperrt die eigenen Bürger ein, versucht sie an der Flucht zu hindern.
Aus diesem Grund nimmt er, ohne zu fragen, Bürgern ihre Häuser und Grundstücke weg. Wer sich wehrt, wird nicht nur enteignet; er wird gewaltsam mit Gewehrkolben hinausgetrieben. Einige Menschen springen aus den Fenstern, versuchen zu fliehen. Viele lassen ihr Leben. Frau Peschel-Gutzeit hat alles dies ja schon dargestellt.
Der Zeuge aber wohnt gleich nebenan und hat alles mit angesehen. Er ist empört. „Schandmauer", schreit er wütend, „Unrecht", „Willkür" und „Monument der Unmenschlichkeit!"
({0})
Und er klagt an, zu Hause und vor der Weltöffentlichkeit. Getan gegen das Unrecht hat er allerdings nicht sehr viel.
({1})
- Nun hören Sie doch einen Moment zu!
Plötzlich erhebt sich ein Aufruhr. „Wir sind das Volk! ", rufen die Bürger und ringen den Gewalttäter nieder. Der macht sich aus dem Staub, aber die Beute kann er dabei nicht mehr mitnehmen.
Und jetzt kommt die merkwürdige Wendung, die die Zuschauer empören wird: Der Dieb tritt ab und läßt die Beute liegen. Der Zeuge nimmt sie erst einmal an sich. Niemand denkt Böses. „Der gute Zeuge wird die Beute natürlich sofort den Opfern zurückgeben", denkt jeder, der gewohnt ist, daß Filme um diese Uhrzeit zumeist noch gut enden.
Aber er hat sich getäuscht. Denn der Zeuge will die Beute nun plötzlich nicht mehr herausrücken: „Das war kein Unrecht; das war eine rechtmäßige Enteignung! " „Schandmauer" und „Unrecht" hat es vorher geheißen. Jetzt werden die Begriffe umdefiniert: Recht wird zu Unrecht, Unrecht zu Recht. Was vorher ein Verbrechen war, ist jetzt ein Rechtsakt.
({2})
- Herr Geis, hören Sie doch einen Moment zu! Wenn Sie einen Beweis brauchen: Ich trage Ihnen die offizielle Stellungnahme der Bundesregierung aus der Drucksache, die wir beraten, vor. Dort heißt es:
Bei den Mauergrundstücken handelt es sich um Grundstücke mit einem hohen Symbolcharakter. Die Grenzanlagen standen für die zentrale ungelöste Frage der Nachkriegspolitik, nämlich die Teilung Deutschlands und Europas, unter den Bedingungen des Kalten Krieges. Mauer und Stacheldraht waren Sinnbild für diese Teilung.
Man achte auf diese erstaunliche semantische Wende! Nicht mehr „Unrecht", „Schandmal", „TerGerald Hafner
ror", sondern plötzlich „Symbol", „Frage", „Sinnbild", „ungelöst".
({3})
- Da haben Sie recht, Herr Geis, aber Sie machen es sich zu leicht. Was Sie mit dem Einbehalten der Mauergrundstücke getan haben, ist in Wahrheit eine schamlose Bereicherung unter Verwendung rechtswidriger Ausreden.
({4})
Plötzlich wird als rechtmäßig hinzunehmende Enteignung dargestellt, was 34 Jahre lang Unrecht war. Sie berufen sich dabei - man höre und staune! - auch noch auf das skandalöse Verteidigungsgesetz der ehemaligen DDR, das erstens ein Unrechtsgesetz war, zweitens erst nachträglich, rückwirkend - was nach unseren Grundsätzen gar nicht geht - eingeführt wurde und drittens nach ständiger Auffassung der Bundesregierung sogar gegen den entmilitarisierten Viermächtestatus von Berlin verstoßen hat, insofern also niemals rechtmäßig zustande gekommen ist.
({5})
- Herr Geis, ich weiß, warum Sie so laut schreien: Sie fühlen sich ertappt.
({6})
Es gibt jetzt nur noch eine einzige Möglichkeit: Sie müssen das, was Sie sich zu Unrecht angeeignet haben, zurückgeben. Der jetzige Vorschlag, der in der Koalition herumgeistert - nur einen Teil zurückgeben und sich am Rest noch bereichern -, ist nur noch lächerlich und unverschämt.
Wie haben Sie seinerzeit gegen die Hafenstraße getobt! Sie sollten wissen: Selbst dort zahlen die Mieter, die ehemaligen Besetzer, jetzt ordnungsgemäß Miete. Wie kommen Sie auf die rechtlich und moralisch unfaßbare Idee, Sie könnten dagegen einen Teil der Beute behalten?
Das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung - Frau Peschel-Gutzeit hat das deutlich gesagt - war ein großer und folgenreicher Fehler. Aber wenn Sie schon die Regeln bestimmen, sollten Sie sich dann wenigstens selbst daran halten.
({7})
Eine halbe Rückgabe gibt es nicht, genausowenig wie eine halbe Schwangerschaft.
Besonders infam - lassen Sie mich das auch noch sagen - ist meines Erachtens Ihr Versuch einer Gleichsetzung der Enteignungen an der Mauer mit anderen Enteignungen, z. B. im Bereich des Bergbaus. Den Bergbau kennen viele Rechtsstaaten auf dieser Erde. Die SPD will so etwas ja beispielsweise auch in Nordrhein-Westfalen, in Garzweiler, betreiben. Eine derartige Mauer mit Todesstreifen, Stacheldraht und Schießbefehl gab es aber nur einmal. Diese Mauer ist verschwunden, und es ist gut, daß sie weg ist, aber Sie wollen sich am Erbe dieser Mauer bereichern.
({8})
Vor vielen Jahren hat der ehemalige amerikanische
„Mr. Gorbatschow, tear down that wall!" Das ist inzwischen geschehen. Doch das Unrecht dauert noch an. Deswegen sage ich: Herr Kohl, geben Sie die Grundstücke zurück!
({0})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Professor Dr. Schmidt-Jortzig.
- Entschuldigen Sie, Herr Kollege Schmidt-Jortzig, der Kollege Geis wollte eine Kurzintervention machen. Wenn Sie einverstanden sind, dann stellen wir Ihre Wortmeldung einen Augenblick zurück.
Herr Kollege Geis, eine Kurzintervention, bitte schön.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident.
Ich wollte kurz auf das erwidern, was Herr Häfner hier an Anschuldigungen vorgebracht hat. Keiner hat je behauptet, aus der unrechtmäßigen Enteignung der Mauergrundstücke sei inzwischen eine rechtmäßige Enteignung geworden. Das hat niemals irgend jemand hier in diesem Saal oder anderswo so dargestellt. Insofern ist das frei aus der Luft gegriffen.
Wir kennen natürlich den Symbolgehalt dieser Mauer. Uns ging es in der ganzen Diskussion - ich weise noch einmal darauf hin - einzig und allein darum, ob wir, wenn wir die Mauergrundstücke zurückgeben, nicht Unrecht beispielsweise denen antun, deren in unmittelbarer Nähe gelegenen Grundstücke enteignet worden sind, nämlich in der Normannenstraße und dort, wo die Stasi ihre Herrschaft ausgebaut und Grundstücke enteignet hat, um ihr Machtzentrum aufzubauen. Dort war der Symbolgehalt unter Umständen genauso groß. Deswegen haben wir Schwierigkeiten mit der Rückgabe der Mauergrundstücke. Wir wollen dadurch nicht neues Unrecht schaffen.
Herr Kollege Dr. Luther hat gesagt, wie wir den Weg suchen, Frau Kollegin Peschel-Gutzeit. Wir wollen keinen Weg im Vermögensgesetz suchen, son-dem wir wollen ihn in einer anderen Regelung suchen. Wir hoffen aber, mit Ihnen zusammen zum gleichen Ergebnis zu kommen.
({0})
Herr Kollege Häfner, Sie haben die Möglichkeit zu erwidern.
Herr Kollege Geis, wenn Sie am Ende Ihres Meinungsbildungsprozesses, welche Begründungen und semantischen Wendungen sie auch benutzen, tatsächlich zum gleichen Ergebnis kommen wie wir, dann soll mir das recht sein.
Gestatten Sie mir, kurz auf die sehr ungewöhnliche Logik, die Sie eben vor diesem Hause ausgebreitet haben, einzugehen. Obwohl sich die Bundesregierung in ihren Stellungnahmen selbstverständlich schamlos auf das Verteidigungsgesetz der ehemaligen DDR beruft, machen Sie sich dieses Argument nicht zu eigen und sagen, niemals hätten Sie behauptet, diese Enteignungen seien rechtmäßig zustande gekommen.
({0})
- Sehr gut. Wenn es also Unrecht war, so gibt es daraus nur eine logische Konsequenz, nämlich die vollständige Rückgabe. Nun frage ich Sie, warum Sie diese einfache Konsequenz nicht ziehen. Mehr ist, glaube ich, dazu gar nicht zu sagen.
({1})
Ich erteile nun dem Abgeordneten Professor Schmidt-Jortzig das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorgelegte Bundesratsantrag ist natürlich ohne weiteres und nachhaltig zu begrüßen.
({0})
Den rechtsstaatswidrig vertriebenen Menschen muß Wiedergutmachung geboten werden. Nach Wegfall des damaligen Enteignungszweckes verlangen die alten Eigentumsrechte neue Geltung. Vor allem gilt es, die vorliegenden Symbolmarken von staatlicher Teilung und gesellschaftlicher Spaltung Deutschlands zu beseitigen.
Da kann es für die F.D.P. überhaupt kein Vertun geben; das ist eine eindeutige Aussage. In der gegenwärtigen Situation genießen wir es durchaus, wie sich in dieser Frage andere Fraktionen sehr schwer tun.
Insbesondere ist - das will ich mir nun doch nicht verkneifen - die Haltung der Antragsprotagonisten reichlich delikat. Das gilt vor allem für die Position der SPD, die den vorliegenden Antrag mit ihrer Bundesratsmehrheit überhaupt erst vorangebracht hat und nun auch im Bundestag zur lauthalsen Unterstützung antritt.
Die Begründungssätze des Antrags - hören Sie bitte einmal zu, und versuchen Sie, eine Antwort darauf zu formulieren -, die ich von mir aus nur voll unterstreichen kann, stammen doch wortwörtlich aus jenem Argumentationstableau, das seinerzeit die Bodenreformopfer, die Alteigentümer aus den Konfiskationen von 1945 bis 1949, für ihre Ansprüche auf Wiedergutmachung vorbrachten; wortwörtlich. Lesen Sie das einmal nach.
({1})
Aber damals haben Sie von der SPD alles noch schroff abgeblockt und vor allem sofort das Vokabular von den „Junkern" und „Großgrundbesitzern" bemüht, um auf den Punkt zu bringen, was Sie von der gerechtigkeitsbezogenen Wiederherstellung der unter sozialistischer Hoheit entzogenen Eigentumsrechte halten.
({2})
- Nein, nein. Überlegen Sie noch einmal, bevor Sie das so stehenlassen.
Selbst für die danach nur noch zustande gekommene reichlich vage und unzulängliche Rückerwerbsmöglichkeit haben Sie im September 1994 sofort angekündigt, daß Sie diese nach einem Wahlsieg, der Gott sei Dank ausgeblieben ist, sofort wieder abräumen wollten. Nun soll das alles nicht mehr gelten? Könnte das vielleicht gar daran liegen, daß nur Ihrer Meinung nach jetzt die richtigen Leute begünstigt würden? Das wäre purer Zynismus.
({3})
Oder wollen Sie ohnehin nur Ihr parteitaktisches Süppchen kochen?
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- Es geht nicht mit Zurückweisung, sondern es geht um die Antwort, weshalb Sie die eine Gerechtigkeit gelten lassen und die andere Gerechtigkeit nicht.
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Dann haben vor einigen Tagen auch noch die GRÜNEN damit begonnen, hier mit der Wurst nach der Speckseite zu werfen. Das scheint Ausdruck einer immer stärkeren und rascheren Anpassungsneigung zu sein.
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Herr Kollege Schmidt-Jortzig, hier sind mehrere Wünsche nach Zwischenfragen.
Es tut mir leid. Ich beschäftige mich gerade mit den GRÜNEN. Wenn ich danach noch einmal zur SPD komme, können Sie sich bitte noch einmal melden.
({0})
Bitte fahren Sie fort.
Das, was die GRÜNEN da nun machen, ist in meinen Augen Anpassung pur. Daß man das nur mit stiller Belustigung sehen kann, weil Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, sich doch sonst gern als so ungemein grundsatztreu gerieren, liegt auf der Hand.
({0})
Denn wann hat man bisher je eine GRÜNEN-Initiative zur Stärkung der Wirtschafts- und Eigentumsfreiheit gesehen?
({1})
Wann hat man von Ihnen überhaupt je etwas zur verantwortlichen Individualität von Freiheitsgebrauch gehört?
({2})
Und wann wären Sie je damit aufgefallen, daß sich Rechtsstaatlichkeit auch gegen noch so bezwingende gesellschaftlich-politische Aufwallungen durchsetzen soll? - Ich habe davon noch nie etwas gehört. Deswegen ist bei dieser Antragsbegründung Ihre Befürwortung, Herr Häfner, schlicht ein grüner Witz.
({3})
Herr Professor Schmidt-Jortzig, nun kommt der Wunsch nach einer Zwischenfrage aus den Reihen der GRÜNEN, von Herrn Häfner.
Bitte.
({0})
Herr Häfner.
Ich fühle mich angesichts der Methode, mit der Sie Fragen aus der SPD vermieden haben, fast schon verpflichtet, nun stellvertretend zu fragen.
({0})
Natürlich beziehe ich mich aber auf das, was Sie uns vorgeworfen haben.
Ist es Ihr Ernst, Herr Schmidt-Jortzig, daß Sie der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorwerfen wollen, sie würde sich an geltendes Recht, an Verfassungsrecht anpassen und Unrecht totalitärer Staaten wiedergutmachen wollen? Ist es Ihr Ernst, daß Sie sich neuerdings von uns in diesem Punkt absetzen
wollen, also nicht mehr den Rechtsstaat, sondern den Unrechtsstaat vertreten?
({1})
Herr Kollege Häfner, es kommt doch bei dieser wichtigen Frage darauf an, daß wir zuhören und auf Argumente eingehen und eben nicht versuchen, durch Polemik diese Anpasserei zu vertuschen. Ich habe ganz am Anfang gesagt, damit es überhaupt kein Vertun gibt, daß ich die Substanz dieses Antrages vehement unterstütze, aber überhaupt nicht akzeptieren kann, daß Sie bei dieser Gerechtigkeit nun mit Gewalt dafür sind - das ist ja wunderbar -, aber bei vergleichbaren Dingen nichts von sich hören lassen. Das ist mein einziger Vorwurf an Sie, der allerdings durchschlägt.
({0})
Herr Kollege Schmidt-Jortzig, nun kommt der Wunsch nach einer Zwischenfrage von dem Kollegen Krüger von der SPD.
Ja, gern.
Bitte schön.
Herr Kollege Schmidt-Jortzig, ist denn das, was Sie uns hier vortragen, die endgültige Position der F.D.P. in dieser Frage, und wie vertreten Sie diese Position im Zusammenhang mit Ihren rechststaatlichen Positionen, wenn Sie die Grundstücke, von denen hier die Rede ist, im Durchschnitt zu 50 % des Verkehrswertes verkaufen wollen?
({0})
Ich weiß überhaupt nicht, wie Sie auf die Idee kommen, daß ich irgend etwas zu 50 % verkaufen will. Sie sind offensichtlich nicht auf dem neuesten Stand der Informationen und müssen zur Kenntnis nehmen, daß ich am Anfang deutlich gesagt habe, daß ich für die Initiative bin. Damit es nicht nach einer persönlichen Auffassung klingt, füge ich hinzu, daß die F.D.P.-Fraktion geschlossen genauso denkt.
({0})
- Nein, vielen Dank, ich möchte jetzt gerne meine Rede abschließen; meine Redezeit ist ohnehin abgelaufen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Krüger?
Ja, kurz.
Herr Kollege, trifft es zu, daß die F.D.P. in internen Gesprächen, die stattgefunden haben, in dieser Frage die Position des Kanzleramtes bisher nicht teilt?
Wollten Sie fragen: Trifft es zu, daß sie sie nicht teilt?
Trifft es zu, daß die Position, die das Kanzleramt der CDU/CSU-Fraktion vorgeschlagen hat, von der F.D.P. bislang noch nicht geteilt wird, und können deshalb die betroffenen Bürger noch Hoffnung auf die F.D.P. haben?
Es trifft weder zu, noch trifft es nicht zu, denn es gibt dazu keine Position des Kanzleramtes. Wir sind an diesem Punkt natürlich mit unserem Koalitionspartner im Gespräch. Wir gehen dazu mit unserem Koalitionspartner in sehr ernste Verhandlungen. Dessen können Sie sicher sein.
({0})
Also, entweder Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, überzeugen uns und die deutsche Öffentlichkeit davon, daß Sie es mit der Wirtschafts-und Eigentumsfreiheit dauerhaft und grundsätzlich ernst meinen, so daß man Sie auch weiterhin und bei ganz anderer Gelegenheit noch daran erinnern kann, oder unserer kleinen F.D.P. gelingt es, die noch widerstrebenden Kollegen in der CDU - ich spreche hier ausdrücklich nicht von der CSU - auf den Pfad der Tugend zu bringen. Nur dann wird die nachdrücklich zu begrüßende Vorlage des Bundesrates letztlich Erfolg haben können.
Besten Dank.
({1})
Nun erteile ich dem Abgeordneten Professor Heuer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates gibt zwei Begründungen für die Notwendigkeit einer solchen Regelung, die beide nicht recht überzeugen, und verschweigt den eigentlichen Grund dieser Initiative.
Erstens wird gesagt: Wenn die früheren Mauergrundstücke nicht zurückgegeben werden, ist die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates in seinem Kern berührt. Das überzeugt keineswegs. Was immer der „Kern des Rechtsstaates" sein mag, der von der Rückgabe oder Nichtrückgabe der Mauergrundstücke berührt wird - die Privilegierung einer besonderen Gruppe von in der DDR gegen die damals übliche Entschädigung Enteigneten kann keineswegs
den Kern des Rechtsstaates ausmachen. Eher im Gegenteil. Zur Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates gehört doch wohl eher die Gleichbehandlung der Rechtsunterworfenen als die Ungleichbehandlung.
Zweitens wird gesagt - das hat ja auch hier in der Diskussion eine große Rolle gespielt -, es gehe um eine symbolische Handlung, um ein „würdiges Zeichen". Der besondere Symbolgehalt der Mauer führe dazu, daß eine solche Ungleichbehandlung nicht als willkürlich angesehen werden könne. Hier wird also immerhin zugegeben, daß es nicht um die „Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates im Kern" geht, sondern um eine eigentlich willkürliche Sonderbehandlung einer Gruppe.
Was den Symbolgehalt von Immobilien angeht, so gibt es zahlreiche Beispiele, bei denen die öffentliche Hand - sowohl im Osten als auch im Westen - trotz großer symbolischer Belastung nicht daran gedacht hat, sich dieses Eigentums zu begeben. Ich nenne nur beispielhaft die Justizvollzugsanstalt MünchenStadelheim, in der die Geschwister Scholl und ihre Freunde geköpft wurden, oder die Justizvollzugsanstalt Brandenburg, wo Tausende Antifaschisten ermordet wurden. In beiden Schlachthäusern ist in unvergleichbarem Maße Schreckliches geschehen, aber daß die öffentliche Hand auch nur entfernt darüber nachgedacht hätte, sich von diesen blutgetränkten Immobilien zu trennen, ist nicht bekanntgeworden. Das liegt aber sicherlich daran, daß es hier keine energische Lobby gibt und es auch nicht um so viel Geld geht.
Damit komme ich zu der eigentlichen Begründung für dieses Gesetz: Es geht - allein in und um Berlin - um rund 1 300 Hektar Boden mit Preisen von bis zu 16 000 DM pro Quadratmeter in Berlin-Mitte. Und nur weil die Lobby derjenigen, die durch eine Rückgabe enorm bereichert würden, vor allem den Berliner Senat mit diesen Argumenten vom „Unrechtsgut" erfolgreich unter Druck gesetzt hat, ist dieses Gesetz überhaupt zustande gekommen.
Dabei geht es nicht um Tante Hertha, deren kleines Häuschen an der Bernauer Straße enteignet wurde, sondern in hohem Umfang um große Immobilienfirmen, die die Rückübertragungsansprüche aufgekauft haben und jetzt einen Gewinn realisieren wollen.
({0})
Daß die Bundesregierung dieser Sache sehr lustlos gegenübersteht, kann man ihrer Stellungnahme entnehmen. Das Problem ist offenbar auch für die Bundesregierung - das ist hier schon gesagt worden -, daß dann weitere Enteignungen zur Disposition stehen. Dort werden sich die Kläger nicht auf den Symbolgehalt der Mauer berufen, sondern auf das hier vorliegende Gesetz in Verbindung mit Art. 3 des Grundgesetzes. Insofern irren die Autoren des Gesetzentwurfs.
Ich bin gegen den Gesetzentwurf, weil er willkürlich die Privilegierung einer Gruppe ansteuert, für die es keine rechtlichen Argumente gibt, weil damit
unübersehbare Folgeansprüche heraufbeschworen werden und weil er die Systematik des Vermögensgesetzes verletzt. Wenn sich der Staat an diesen Grundstücken weiterhin nicht bereichern wollte, gäbe es andere Wege, sich davon zu entlasten, über die wir diskutieren können.
Danke schön.
({1})
Damit schließe ich die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/120 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der Fraktion der SPD „Kennzeichnung von gentechnisch hergestellten und veränderten Lebensmitteln" zu erweitern. Dieser Antrag soll gleich in verbundener Beratung mit den Zusatzpunkten 3 und 4 behandelt werden. Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Da ich keinen Widerspruch sehe und höre, ist das offenbar der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe damit die Zusatzpunkte 3 und 4 sowie den soeben auf die Tagesordnung gesetzten Zusatzpunkt 11 auf:
ZP3 Vereinbarte Debatte
Kennzeichnungspflicht gentechnisch hergestellter oder manipulierter Lebensmittel und Lebensmittelzusatzstoffe
ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Lilo Blunck, Dr. Marliese Dobberthien, Wolf-Michael Catenhusen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Einsatz der Gentechnik und anderer neuartiger biotechnologischer Verfahren in der Lebensmittelproduktion
- Drucksache 13/1549 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({0})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP11 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Kennzeichnung von gentechnisch hergestellten und veränderten Lebensmitteln
- Drucksache 13/1596 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({1})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann haben wir das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Abgeordneten Lilo Blunck das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wer eine Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel ablehnt, der hat etwas zu verbergen - so der Bundesgesundheitsminister Seehofer. Minister Rüttgers glaubt sogar, daß derjenige, der sich um die Kennzeichnungspflicht drücken wolle, damit den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährde. Er hat noch hinzugefügt: Die Debatte wirft uns in der Frage der Akzeptanz der Gentechnik um Monate, um nicht zu sagen: um Jahre zurück.
Richtig, dann aber stellt sich doch die Frage, warum die Koalitionsparteien unseren im EU-Ausschuß gestellten Antrag nach einer umfassenden und ausnahmslosen Kennzeichnung abgewimmelt haben und sich lediglich für eine verwässernde Regelung einsetzen konnten.
({0})
Die Antwort ist: Die Regierung weiß selbst nicht ganz genau, was sie will; denn bis heute gibt es offensichtlich kein abgestimmtes Verhalten zwischen den einzelnen Ressorts. Durch dieses Versäumnis wurde die Verhandlungsposition der Bundesregierung in Brüssel bislang schon geschwächt; das geschieht weiterhin. Das hat leider zur Folge, daß die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher wieder einmal auf der Strecke bleiben,
({1})
und das auch in dem Bereich ausnahmsloser Kennzeichnung.
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Bei diesem Hin und Her habe ich den Verdacht, daß das nicht abgestimmte Verhalten der Bundesregierung reine Taktik ist. Nach außen setzen sich einige Mitglieder der Bundesregierung zur Beruhigung der Bevölkerung für eine Kennzeichnungspflicht ein und verschaffen der Regierung damit ein billiges Alibi, um sich dann um so bereitwilliger in Brüssel über den Tisch ziehen lassen zu können.
Darin hat diese Bundesregierung Erfahrung;
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denn in Brüssel - das wissen wir inzwischen alle - hat Kommissar Bangemann bereits kundgetan, was er von einer umfassenden Kennzeichnung hält.
({4})
Sie ist für ihn überflüssig, weil zu viele Informationen die Verbraucher nur verwirren könnten.
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Das ist nicht zuletzt auch angesichts der ständig steigenden Zahl von ernährungsbedingten Krankheiten und von Allergien gerade bei Kindern ein reichlich zynisches und unverschämtes Argument. Das, so finde ich, ist nicht in Ordnung.
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Dazu kommt noch - es freut mich, daß ich das als Sozialdemokratin sagen kann -: Bangemann braucht dringend Nachhilfestunden in freier Marktwirtschaft;
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denn die Marktwirtschaft lebt vom Marktgeschehen. Information ist eine Voraussetzung, um am Marktgeschehen teilnehmen zu können. Information aber bedeutet Kennzeichnung.
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Nun ist Herr Bangemann in der Vergangenheit nicht gerade als Anwalt der Verbraucherinnen und Verbraucher in Erscheinung getreten, so daß mir seine vermeintliche Fürsorge immer sehr verdächtig erscheint.
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Um aber mit Minister Seehofer zu sprechen: Was hat er eigentlich zu verbergen, der Herr Bangemann? Bangemann weiß, um was es geht: Er weiß genau, daß bei der Gentechnik das wirkliche Gold in der Nahrungsmittelindustrie zu verdienen ist. Da würden sich umfassende Informationen als verkaufs- und umsatzfördernd auswirken, es sei denn, es gibt Pferdefüße.
({10})
Meine Damen und Herren, wir fordern die Bundesregierung auf, sich am 6. Juni bei den Beratungen über den EU-Binnenmarkt mit Nachdruck für eine umfassende und ausnahmslose Kennzeichnung einzusetzen und endlich von dieser Verdummungsstrategie zu lassen.
({11})
Dabei geht es mir darum, nicht nur die Kennzeichnungspflicht für die Tomate einzuführen, sondern selbstverständlich auch für das Ketchup.
({12})
Auch der Zucker, der aus der Zuckerrübe hergestellt worden ist, ist kennzeichnungspflichtig.
Für mich hat der Verbraucher einen ganz hohen Stellenwert. Ob er aus ethischen Gründen nein sagt zu einem gentechnologisch oder biotechnologisch veränderten Nahrungsmittel oder ob er es aus Gesundheitsgründen oder aus Umweltgründen macht: Wir haben Achtung vor dem Willen der Verbraucher zu haben. Auch deshalb brauchen sie die Kennzeichnung.
({13})
Bei der Novel-Food-Verordnung geht es nicht allein um die Kennzeichnung. Ebenso wichtig ist ein zwingend vorgeschriebenes Genehmigungsverfahren.
({14})
Dieses muß dem Vorsorgegedanken Rechnung tragen. Die Verantwortung des Produzenten für sein Produkt muß schon bei der Einführung und der Entwicklung des Produkts vorhanden sein. Es muß einen Vergleich mit alternativen Methoden geben. Nach der Einführung des Produktes muß es eine begleitende Risiko- und Sicherheitsforschung geben.
Lieber Herr Seehofer, Ihr Zwischenruf von der Regierungsbank ist sehr bemerkenswert, aber leider falsch, denn von diesem Genehmigungsverfahren steht dort nichts. Das wissen Sie so gut wie ich.
Es muß eine Ausweitung der Produkthaftung auf die Urproduktion, auf die Entwicklungsrisiken, auf mögliche ökologische Folgen geben. Bei Verdachtsmomenten muß es endlich eine bundeseinheitliche öffentliche Warnung geben.
Wir Sozialdemokraten lehnen neuartige Technologien auch in der Lebensmittelproduktion nicht ab, denn angesichts der zum Teil wirklich ganz hohen Umweltbelastungen, der ganz hohen gesundheitlichen Risiken - siehe Allergien - bei konventionellen Methoden sind durchaus Vorteile bei neuartigen, auch gentechnischen Verfahren denkbar. Aber dann muß sichergestellt werden, daß der Einsatz neuer Lebensmitteltechnologien, insbesondere gentechnischer Verfahren, Verbesserungen mit sich bringt. Es muß sichergestellt werden, daß es keine zusätzlichen Gefährdungen für die Umwelt und für den Menschen gibt.
({15})
In diesem SPD-Antrag sind die Forderungen, die Wünsche, die Erwartungen der Verbraucher und Verbraucherinnen enthalten. Nehmen Sie sie ernst! Wir stärken Ihnen, Herr Bundesminister, wenn Sie es denn ernst und so umfassend meinen, wie ich es gerade geschildert habe, auch für das Kabinett den Rücken - im Interesse der Verbraucher und Verbraucherinnen, aber auch im Interesse der produzierenden Wirtschaft im Lebensmittelbereich. Denken Sie alle daran: Das Ergebnis der Beratungen über den Binnenmarkt am 6. Juni entscheidet auch darüber, ob es unser Europa, das Europa von Bürgern und Bürgerinnen wird oder ob es das Europa der seelenLilo Blunck
losen Bürokraten und der rücksichtslosen Interessenvertreter wird. Letzteres sollten wir nicht zulassen.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort erhalt nun die Abgeordnete Editha Limbach.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich war bei der Rede der Kollegin Blunck ein wenig verwirrt, weil mir nicht ganz klar war, zu welcher Drucksache sie gesprochen hat, ob noch zu der sechsseitigen, die wir ursprünglich bekommen haben, oder möglicherweise zu der einseitigen, die heute erschien.
({0})
- Nein, Frau Wieczorek-Zeul, ich stimme nur Sachen zu, die ich überlegt habe, über die ich mit Kollegen habe sprechen können und von denen ich sicher bin, daß das nicht ein Hauruckverfahren ist, sondern ein seriöses Unternehmen.
({1})
Wenn ich das alles so höre, kann ich nur sagen: Ich war etwas überrascht, daß die Kollegin Blunck eben davon gesprochen hat, es gebe kein abgestimmtes Verhalten der Bundesregierung. Dabei hat sie noch vor wenigen Minuten gemeinsam mit Minister Seehofer und mir zusammengesessen und von ihm erfahren, daß die Bundesregierung - nicht das Gesundheitsministerium oder das Landwirtschaftsministerium oder das Forschungsministerium, nein, die Bundesregierung! - den Vorschlag so, wie er jetzt in Brüssel auf dem Tisch liegt, ablehnen wird.
({2})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, ich gestatte der Kollegin die Zwischenfrage.
Bitte, Frau Blunck, Sie können Ihre Zwischenfrage stellen.
Frau Kollegin Limbach, wissen Sie, daß diese Novel-food-Verordnung bereits seit 1989 vorliegt, daß von der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit, in der sie den Vorsitz in der EU hatte, ein Vorschlag eingebracht worden ist, der all die Forderungen, die in dem von mir unterzeichneten umfangreichen Antrag stehen, nicht enthält, und daß der Herr Minister Seehofer von einem französischen Vorschlag gesagt hat, daß es dazu einen gemeinsamen Standpunkt gegeben habe - zu einem Vorschlag, der der Kommission die Beurteilung eines Lebensmittels überläßt und über die Saatgutrichtlinie nicht einmal mehr sämtliche Tomaten kennzeichnen will?
Mir ist selbstverständlich bekannt, seit wann ein Entwurf für eine Verordnung für Novel-food-Erzeugnisse vorliegt. Das ist uns allen bekannt; denn wir haben schon im Januar 1993 über diese Frage hier im Plenum diskutiert.
({0})
Wir haben im vergangenen Jahr im Europaausschuß darüber diskutiert und auch einen Beschluß dazu gefaßt. - Herr Präsident, da meine Antwort etwas länger ausfällt, habe ich Verständnis dafür, wenn sich die Kollegin Blunck setzen möchte. Ich weiß nicht, ob das möglich ist.
({1})
Ich habe eigentlich kein Verständnis dafür.
({0})
Gut, wir richten uns nach dem Präsidenten.
Ich weiß natürlich auch, daß die Bundesregierung während ihrer Ratspräsidentschaft einen Kompromißvorschlag vorgelegt hat, der im übrigen zu diesem Zeitpunkt der Richtung entsprach, die im Europaausschuß und hier im Parlament durch die Mehrheit vorgegeben worden war. - Das war das Ende der Antwort, Frau Kollegin.
({0})
- Nein, die Redezeit läuft nicht weiter. Der Präsident achtet sorgfältig darauf, daß mir keine Redezeit verlorengeht.
Ich frage mich manchmal, gegen wen hier gekämpft wird.
({1})
Denn ich glaube, spätestens seit der Diskussion 1993 ist klar: Eine Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel und Lebensmittelzutaten wünschen wir alle.
({2})
Im Detail gibt es kleine Unterschiede unserer Auffassungen, z. B. wenn es darum geht, welche Regel praktikabel ist und welche nicht.
({3})
Aber die grundsätzliche und umfassende Kennzeichnung ist hier im Haus überhaupt nicht strittig.
({4})
Frau Blunck, ich muß mich noch eine Weile bei Ihrer Rede aufhalten. Aber daß man darauf eingehen kann, macht ja auch den Reiz einer Rede aus. - Sie haben den Aspekt der ernährungsbedingten Krankheiten angeführt. Ich glaube nicht, daß die Besorgnis, ernährungsbedingte Krankheiten seien auf Gentechnik zurückzuführen, gerechtfertigt ist. Sie selbst haben eben so nett gesagt, Sie hätten noch gar keine gentechnisch veränderten Lebensmittel gegessen. Die meisten Bürgerinnen und Bürger haben das wohl auch nicht.
Ich habe gerade gestern an einer Tagung teilgenommen, auf der ein Forschungsprojekt ausgezeichnet wurde, das deutlich gemacht hat, daß bei bestimmten Erkrankungen von Kindern beispielsweise Milch außerordentlich schädlich ist ({5})
obwohl wir doch alle der Meinung sind, Milch käme nun wirklich von der Kuh und sei in der Regel auch ein äußerst gesundes Nahrungsmittel.
Frau Kollegin Limbach, die Frau Kollegin Blunck möchte Ihre Redezeit durch eine weitere Zwischenfrage weiter verlängern.
Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Limbach. - Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß ernährungsbedingte Krankheiten auch auf das Essen von Light-Produkten zurückzuführen sind. In diesen Light-Produkten sind bereits gentechnisch veränderte Zuckeraustauschstoffe und andere biotechnologisch veränderte Präparate enthalten. Sie wissen, daß es in Amerika eine Untersuchung gibt, nach der es infolge dieser Ernährungsweise zu extremer Fehlernährung und zu Krankheitsbildern ganz anderer Art gekommen ist. Würden Sie mir das bestätigen?
Frau Blunck hat es geschafft, aus einer Feststellung noch eine Frage zu machen. Ich kann Ihnen gerne bestätigen, daß ungesunde Ernährungsweise zu den verschiedensten Krankheiten führt.
({0})
- Wenn Sie jetzt „Kurzatmigkeit" und anderes anführen, dann habe ich den Verdacht, daß Sie mir etwas wollen.
({1})
Wieder ernst: Ich akzeptiere durchaus, daß es in der Bevölkerung Unsicherheit, ja Ängste gibt. Ich denke, wir sind auch gehalten, diese Ängste ernst zu nehmen. Wir sind aber nicht gehalten, diese Ängste zu schüren oder sie gar zu mißbrauchen, um ganz andere Dinge zu erreichen.
({2})
Ich akzeptiere auch - obwohl ich es nicht verstehen kann -, daß es Menschen gibt, die sich aus anderen Überzeugungen, aus ethischen Überzeugungen zurückhalten. Ich kann es deshalb nicht verstehen, weil der Mensch, solange er wirtschaftet und Landwirtschaft betreibt, immer versucht hat, das, was da war, durch Einwirkung, durch Zucht und dergleichen, zu verändern und zu verbessern. Ich sehe in den Biotechnikverfahren einen graduellen, aber keinen grundsätzlichen Unterschied. Aber eben weil es Menschen gibt, die ethische Bedenken haben, fordern wir die Kennzeichnung nicht nur in dem Sinn, wie Herr Bangemann und andere es vorgeschlagen haben, nämlich nur dann, wenn es substantielle Veränderungen gibt, sondern eben auch dann, wenn die Veränderung nicht substantiell ist, weil wir glauben, daß die Verbraucherinnen und Verbraucher in ganz Europa das Recht haben müssen, ein Produkt zu kennen und sich dann zu entscheiden, ob sie es kaufen wollen oder nicht.
({3})
Wir brauchen „europaweit ... strenge Maßstäbe an die Zulassung und Kennzeichnung". - Das ist ein wörtliches Zitat aus meiner Rede vom Januar 1993. - Wir brauchen die Kennzeichnung auch aus diesem Grund. Wir brauchen sie übrigens nicht nur zur Information der Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern auch, damit die Akzeptanz neuer Technologien überhaupt wachsen kann. In einem hat Frau Blunck recht, nämlich wenn sie sagt: Wer nicht kennzeichnen will, der gerät in den Verdacht, daß er etwas verbergen will. - Allerdings sage ich: Es gibt gar nichts zu verbergen. Aus diesen Gründen meine ich, es ist richtig, eine Kennzeichnung zu fordern. Ich glaube, daß die Industrie, die diese neuen Techniken anwendet, sich selbst einen großen Gefallen tut, wenn sie offen und ehrlich sagt: „Jawohl, so ist das", weil dann die Menschen auch erkennen können, daß es eine neue Technologie ist und sich für sie entscheiden können, es aber auch lassen können.
({4})
Wir haben am 17. Mai im Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union einen Beschluß gefaßt. Wir haben gesagt: konsequent für Kennzeichnung einsetzen, praktikable Regelungen finden, den Umkehrhinweis ermöglichen. Das letzte bedeutet, daß es auch möglich sein muß, daß ein Hersteller auf seine Produkte schreibt: Ich verwende bei meinen Tomaten nur das, was in der Natur wächst, und keine gentechnischen Verfahren. - Wir sind in der glücklichen Lage, daß - da bin ich ziemlich sicher - das Europäische Parlament uns helfen wird. Gerade dieser Tage hat der dafür zuständige Kollege meiner FrakEditha Limbach
tion, der EVP-Fraktion im Europaparlament, noch einmal ausdrücklich eine vollständige Information gefordert, weil die Verbraucherinnen und Verbraucher ein Recht auf sie hätten.
Deshalb ist es richtig, nicht nur substantielle Veränderungen, sondern auch nichtsubstantielle Veränderungen zu kennzeichnen. Unter rein naturwissenschaftlichem Gesichtspunkt könnte die erste Lösung reichen.
({5})
Aber den Verbrauchern reicht dies nicht. Denn es ist wahr: Nur wer umfassend und deutlich informiert, kann Akzeptanz schaffen.
({6})
Oft wird gefordert, wir sollten einen nationalen Alleingang machen. Den halte ich überhaupt nicht für nützlich; er würde nichts bedeuten. Wir haben den Binnenmarkt. Das heißt: Wenn wir die Produkte entsprechend kennzeichnen würden, aber alle Produkte aus anderen Ländern, die auf dem Markt sind, nicht gekennzeichnet wären, würde die Kennzeichnung den Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht viel nutzen. Was aber noch schwerwiegender ist: Wir würden in große Schwierigkeiten mit dem Europarecht kommen. Ich muß sagen, man kann nicht sozusagen ein Schönwettereuropa haben: Wenn die Regelungen in Europa zu 100 % so getroffen werden, wie wir sie wollen, dann wollen wir Europa, und wenn auch wir zu unseren Lasten einmal Kompromisse schließen müßten, dann nicht.
Aber so weit ist es überhaupt nicht; denn die Bundesregierung hat erklärt, daß sie den Vorschlag, wie er jetzt in Brüssel vorliegt, ablehnt. Das bedeutet, es muß weiter verhandelt werden. Wenn das Europäische Parlament seine Rolle wahrnimmt, wird es auch gar nicht anders gehen. Ich hoffe, daß wir dann zu einem guten Ergebnis kommen.
Ich habe jetzt eine Minute Redezeit eingespart, damit ein Kollege, der nach mir reden will, noch ein bißchen mehr Zeit hat.
({7})
Sie haben genau eine Minute und 50 Sekunden eingespart.
Ich erteile nun der Kollegin Marina Steindor das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin, die Übertragung Ihrer CDURedezeit auf meine wäre ein wirklich kollegialer Akt gewesen.
({0})
Meine Damen und Herren, im Lebensmittelbereich geht es um die Umkonstruktion von Nutzpflanzen, um künstliches Roquefort-Aroma, um Joghurtbakterien, die den Vanillegeschmack gleich mitliefern, um alten Gouda in einer Woche, es geht um Brokkoli mit Skorpiongiftgenen.
({1})
Es handelt sich hier um ein ökologisches und gesundheitliches Großexperiment. Es handelt sich um ein gigantisches Umbauprogramm für die gesamte Natur nach den Nutzungsinteressen der Industrie. Dazu kommt, daß die Politik es wegen der Wirtschaftsinteressen und der Versprechungen der Gentechnologen versäumt hat, ein Rechtssystem zu schaffen, das diese Technik wirklich entsprechend ihrem Risikopotential regelt. Sie hat vielmehr ein Rechtssystem geschaffen, das diese Technik fast ungehindert in den Markt drängen läßt. Die EU-Verordnung ist da keine Ausnahme.
Die Politik und sogenannte Zukunftsminister reden immer häufiger von den Versprechungen. Sie reden nie davon, daß im „Wall Street Journals' auch steht, wieviel Geld mit dieser Technologie in den Sand gesetzt worden ist. Wir hören hier nie von Überschriften, daß 70 % dieser Gentechnologienfirmen werden aufgeben müssen. Die Technologie hat einfach nicht funktioniert und ist deshalb ein Flop. Geld wird nur mit ganz wenigen Produkten gemacht.
({2})
Meine Damen und Herren, es geht hier nicht um eine Debatte über Fortschrittsfeindlichkeit oder über Urängste.
({3})
Es geht bei der Gentechnologie um die Frage, ob und wie eine derartige Risikotechnologie überhaupt verantwortbar ist.
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Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, ich freue mich, daß Sie heute neben Ihrem ersten auch einen zweiten Antrag gestellt haben. Dieser Antrag hätte es dem Parlament in seiner Gesamtheit ermöglicht, die Regierung zu beauftragen, sich für eine ausnahmslose Kennzeichnung einzusetzen. Das Parlament hätte die Möglichkeit gehabt, dieser Regierung den Rücken zu stärken.
Bei unserem Besuch in Brüssel haben wir uns allerlei anhören müssen. Zum Beispiel haben Delegationsvertreter versucht, uns weiszumachen, daß Deutschland mit dem Rücken an der Wand stehe, daß auf dem europäischen Parkett die Frage der ausnahmslosen Kennzeichnung eine Art deutsche Krankheit sei, daß nur noch Deutschland und OsterMarina Steindor
reich für diese Position stünden. Meine Damen und Herren, ein paar Telefonate haben die Wirklichkeit wieder zurechtgerückt. Ich gehe fest davon aus, daß es eine Sperrminorität geben wird.
({5})
Mittlerweile redet in diesem Parlament jeder von Kennzeichnung.
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Aber Ihr Verhalten heute, Ihre Weigerung, über diesen Antrag mit uns allen gemeinsam abzustimmen, spricht Bände.
({7})
Selbstverständlich wäre uns klar gewesen, daß es sich hier um eine sehr merkwürdige Zusammensetzung, Koalition gehandelt hätte: auf der einen Seite Menschen, die die Kennzeichnung wollen, damit die Bürgerinnen und Bürger eine bewußte Kaufentscheidung treffen können, auch um die Nachfrage nach diesem Produkt zu minimieren, auf der anderen Seite Leute, die die Akzeptanz für diese Technik schaffen wollen.
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Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß es in diesem Parlament auf der Regierungsseite viele gibt, die sich in dieser Frage sehr opportunistisch verhalten.
({9})
Der EU-Verordnungsentwurf ist für uns völlig unannehmbar: Die Kennzeichnung ist hier im Parlament keine Frage mehr, und auch bei der gesundheitlichen Unbedenklichkeitsprüfung ist er mangelhaft. Er enthält kein Versagensermessen, er enthält keine Prüfkriterien für diese Lebensmittel.
Sprichwörtlich geht die Liebe ja durch den Magen. Ob das bei einer Liebe zum Staat genauso wäre und ob eine Staatsliebe überhaupt noch zeitgemäß ist, darüber will ich mich hier nicht auslassen. Auf jeden Fall handelt es sich beim Essen aber um ein vitales, existentielles und kulturelles Bedürfnis. Das Lebensmittelrecht basiert auf Art. 2 des Grundgesetzes - Recht auf körperliche Unversehrtheit. Der Staat hat die Pflicht, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Da sehe ich bei Ihnen, Herr Minister Seehofer, grundlegende Versäumnisse.
({10})
Schon seit Jahren - das ist schon angesprochen worden - geht das Geziehe und Gezerre um die EUNovel-Food-Verordnung.
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All diese Jahre haben Sie uns mit Europa vertröstet und keinen nationalen Alleingang gemacht. Es gibt im deutschen Lebensmittelrecht keine spezifischen Regelungen für gentechnisch hergestellte oder veränderte Lebensmittel. Sie wollen uns hier weismachen, daß ein nationaler Alleingang ein Zeichen gegen Europa wäre; das stimmt einfach nicht. Es gibt europäische Mitgliedstaaten, die eine eigene Genfood-Verordnung haben. In Deutschland aber besteht ein rechtliches Niemandsland. Sie haben es nicht für nötig befunden, die Bürgerinnen und Bürger vor den gesundheitlichen Risiken von gentechnisch hergestellten oder veränderten Lebensmitteln zu schützen.
({12})
Es wird hier immer viel von Kennzeichnung geredet. Es gibt aber kaum Debatten über gesundheitliche Risiken dieser Technologie. Auch die Ökologie kommt hier viel zu kurz.
Für meine Partei und den Großteil der Bevölkerung - wenn man den Umfragen Glauben schenken darf - gilt das Motto: Wir brauchen dieses Genfood nicht, wir wollen es nicht, und wir werden es auch nicht essen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dieter Thomae.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte gern vier Feststellungen treffen. Erstens. Die Liberalen sind für eine generelle Kennzeichnungspflicht. Zweitens. Der Verbraucherschutz hat höchste Priorität.
({0})
Drittens. Informationspolitik gehört zu einem vernünftigen Wettbewerb.
({1})
Viertens. Wir möchten, daß die Gentechnik und die Biotechnik eine Chance haben. Wir sollten ihnen eine Chance einräumen und nicht nur mit Pessimismus darangehen.
({2})
Die Grünen schießen gegen Gentechnik und gegen Biotechnik. Ich würde mir als Grüner wirklich einmal überlegen, ob Sie es verantworten können, daß Menschen viele Jahre lang leiden, obwohl wir im medizinischen Bereich mit der Gentechnik weitDr. Dieter Thomae
gehend Erfolge hätten, wenn Sie diese Technik nicht torpediert hätten.
({3})
Wir hätten im Bereich der multiplen Sklerose und in anderen Bereichen schon weitgehende Fortschritte erreicht. Wir könnten diese Krankheit auf jeden Fall stoppen, wenn Sie dies in den Ländern nicht torpediert hätten. Denken Sie darüber einmal nach!
({4})
Wir wollen der Biotechnik und der Gentechnik eine Chance einräumen. Wir halten das für dringend notwendig.
Letzter Punkt: Wir sehen eine Differenz zwischen Brüssel und Bonn.
({5})
Wir werden dafür eintreten, daß bei uns die umfassende Kennzeichnung erfolgt.
Meine Damen und Herren, ich meine, damit sind die entscheidenden Punkte genannt worden.
({6})
Ich erteile nun dem Abgeordneten Wolfgang Bierstedt das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Kollegen Stenographen, diesmal werde ich ein bißchen langsamer sprechen.
Viele Verbraucherinnen und Verbraucher können schon heute mit den Aufschriften auf Verpackungen und den Inhaltsangaben von Lebensmitteln wenig anfangen, zumal Wortwahl und Größe der Informationen das Verständnis nicht gerade erleichtern. Es ist eigentlich auch nicht einzusehen, daß Verbraucherinnen und Verbraucher sich vor dem Kauf von Lebensmitteln an Hand langer Packungsdeklarationen über die Verträglichkeit von Produkten informieren müssen, immer frei nach dem Motto: Bei Risiken und Nebenwirkungen fressen Sie Ihre Pakkungsbeilage und erschlagen Sie Ihren Arzt, Ihren Apotheker und gegebenenfalls auch den Händler.
({0})
Die Entscheidung, ob bestimmte Nahrungsmittel möglicherweise eine Gefährdung der Gesundheit darstellen, muß vor ihrer Herstellung getroffen werden. Diese Entscheidung darf nicht jedem einzelnen, der vor dem Regal im Supermarkt steht, überantwortet werden. Eine sachgerechte Entscheidung ist dort nämlich nur demjenigen möglich, der sich permanent, auch in wissenschaftlichen Publikationen, über den neuesten Forschungsstand unterrichtet. Die überwiegende Mehrheit der Konsumenten wird dies nicht tun bzw. kaum tun können.
Genau darauf spekulieren jedoch die Firmen, die genmanipulierte Nahrungsmittel herstellen und verkaufen wollen. Sie setzen ganz einfach darauf, daß
die Besorgnis der Menschen über eine mögliche Gesundheitsgefährdung binnen relativ kurzer Zeit schwindet und damit auch die Sorgfalt, mit der sie auf eine Kennzeichnung von Nahrungsmitteln achten. Dabei sieht die EG-Verordnung über neuartige Lebensmittel noch nicht einmal die Kennzeichnung aller Kreationen vor, die mit Hilfe der Gentechnologie entstanden sind.
Es ist mir unbegreiflich, mit welcher Sicherheit von Vertretern der Industrie - aber auch von anderen, auch von einigen hier im Saal - die Ansicht vertreten wird, genmanipulierte Nahrungsmittel seien beim Verzehr völlig ungefährlich. In der Tat liegen noch gar keine Untersuchungsergebnisse vor, insbesondere solche von Langzeitstudien, die diese Einschätzung rechtfertigen würden. Man könnte wohl viel eher davon sprechen, daß die Freigabe von genmanipulierten Lebensmitteln, ob gekennzeichnet oder nicht, einem großangelegten Feldversuch über die Folgewirkungen derartiger Lebensmittel entspricht.
Die mögliche Gesundheitsgefährdung durch genmanipulierte Nahrungsmittel oder solche, deren Herstellung gentechnologische Verfahren beinhaltet, betrifft keinesfalls nur Menschen mit Allergien. Welche Auswirkungen genmanipulierte Mikroorganismen aus Wurst und Joghurt oder eine Herbizidresistenz im Mais auf die Verdauungsorgane des Menschen haben, liegt einfach noch im Dunkeln, und das ist noch ziemlich wohlwollend formuliert.
Keineswegs garantiert die vorgebliche Identität eines gentechnisch produzierten Stoffes mit einem herkömmlichen bereits dessen Verträglichkeit. Dies ist doch nur dann so, wenn die Gefahren eines gentechnischen Herstellungsprozesses vollkommen ausgeblendet werden. Geringste Verunreinigungen, die niemals auszuschließen sind, können hier eine verheerende Wirkung erzielen. Der Fall der Aminosäure L-Tryptophan und die anschließenden Todesfälle haben dies exemplarisch gezeigt. Es ist insofern überhaupt nicht zu rechtfertigen, daß die betreffenden Produkte von der Kennzeichnungspflicht ausgenommen werden sollen.
Lassen Sie mich zu einem anderen Punkt kommen: Viel zu geringes Augenmerk wird bei der Diskussion über genmanipulierte Lebensmittel auf die sozioökonomischen Auswirkungen der Markteinführung gerichtet. Seit Jahren betreibt das Kartell der Chemieunternehmen einen systematischen Aufkauf von Saatgutfirmen. Zunehmend geraten speziell Kleinbäuerinnen und Kleinbauern unter den Druck der großen Konzerne, die der Landwirtschaft die Rolle des Produzenten von nachwachsenden Rohstoffen zuweisen wollen. Kombiniert werden diese Grundstoffe dann von der chemischen Industrie, und die Bauern ihrerseits werden zu abhängig Beschäftigten. Dieser Prozeß behindert den von uns gewollten Aufbau einer ökologischen Landwirtschaft; denn bei genauerem Hinsehen bietet auch eine Herbizid- oder Insektenresistenz keinen nachhaltigen Vorteil. Vielmehr drohen eine weitere Einschränkung der Artenvielfalt und die ausufernde Verbreitung von Resistenzen.
Doch nicht nur für die Landwirtschaft in Deutschland stellt der Einsatz der Gentechnologie langfristig eine Bedrohung dar; wesentlich größere Probleme drohen den Menschen des Südens. Kakao, Vanille, Zucker, selbst Orangen sollen nach den Plänen der Industrie mit gen- oder biotechnologischen Verfahren im Norden produziert werden. Den Bauern des Südens wird auf diese Weise auch die letzte Möglichkeit genommen, Waren an den Norden zu verkaufen.
Noch gar nicht berücksichtigt ist dabei die Tatsache, daß mit Hilfe von Gen-Patenten den Menschen dort die Verfügungsmacht über ihre seit langen Jahren kultivierten Pflanzen genommen wird. Es gibt einen Baum in Indien, auf dem die gesamte US-Pharmaindustrie mit mittlerweile über 30 Patenten hockt.
Die Aussicht auf eine Gewinnsteigerung der Chemie- und Saatgutindustrie alleine rechtfertigt unserer Meinung nach die Inkaufnahme möglicher negativer Folgen nicht. Vor Jahren starteten Umweltverbände die Kampagne Essen aus dem Genlabor - natürlich nicht!" Die Argumente, die damals richtig waren, sind es unserer Auffassung nach auch heute noch. Wir würden deshalb in Erweiterung der heute gemachten Aussagen ein Verbot gentechnisch hergestellter und manipulierter Lebensmittel begrüßen. Unseres Erachtens ist eine umfassende Kennzeichnung aller Produkte, bei deren Herstellung die Gentechnologie in irgendeiner Form eine Rolle gespielt hat, das allermindeste, was erforderlich ist. Aus unserer Sicht muß die Novel-food-Verordnung in der vorliegenden Form abgelehnt werden.
Besten Dank.
({1})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Peter Bleser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will hier aus der Sicht eines Mitglieds des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem SPD-Antrag über die „Kennzeichnungspflicht gentechnisch hergestellter oder manipulierter Lebensmittel oder Lebensmittelzusatzstoffe" - so hieß er ja ursprünglich - sprechen.
Ich sage es gleich vorweg: Auch ich fordere eine umfassende Kennzeichnungspflicht von gentechnisch hergestellten Lebensmitteln und Lebensmittelzusatzstoffen. Das Wort „manipuliert", das ursprünglich in dem Antrag der SPD enthalten war, zeigt, daß Ihre Grundeinstellung zur Gentechnologie eher ablehnend ist. Sie versuchen, das mit Ihren Worthülsen zu verdecken.
({0})
Meine Damen und Herren, die Biotechnologie, bei der die Gentechnik eine entscheidende Rolle spielt, verursacht Ängste und Ungewißheit in der Bevölkerung. Das ist nicht wegzuleugnen. Niemand kann letztlich abschätzen, zu welchen gewaltigen Veränderungen die Gentechnologie in unserer Gesellschaft führen wird. Dies hat es übrigens bei der Entwicklung anderer neuer Technologien auch gegeben. Deshalb habe ich großes Verständnis dafür, daß 95 % der Bevölkerung - so hat es eine „Spiegel"-Umfrage, die Emnid durchgeführt hat, ergeben ({1})
für die Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Nahrungsmittel sind. In der gleichen Umfrage haben sich sogar 69 % der Befragten grundsätzlich gegen den Verzehr von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln ausgesprochen. Dieses Ergebnis hält uns dazu an, dieses Thema vorsichtig und bewußt anzugehen.
({2})
Es ist unumstritten, daß die Biotechnologie in der Zukunft in unserer Volkswirtschaft eine ganz entscheidende Rolle spielen wird. Meiner Ansicht nach bieten sich durch diese neue Technologie phantastische Möglichkeiten auch in bezug auf Umweltschutz, Heilung von bisher unheilbaren Krankheiten - Herr Thomae hat es schon gesagt - sowie neue Perspektiven für die Erzeugung von nachwachsenden Rohstoffen. Man muß deshalb die Sorgen der Bürger, die häufig dann auftreten, wenn man Neuland betritt, dadurch mildem, daß man vorsichtig abwägend, offen und vor allem ohne Geheimniskrämerei an dieses Thema herangeht.
Aus diesem Grunde ist es außerordentlich wichtig, Frau Blunck, daß man jedem die freie Entscheidung darüber ermöglicht, ob er gentechnisch hergestellte Lebensmittel und Lebensmittelzusatzstoffe, die aus gentechnisch veränderten Organismen hergestellt worden sind, verzehrt oder nicht. Er muß diese Entscheidungsmöglichkeit haben. Dafür trete ich nachhaltig ein.
({3})
- Darauf komme ich noch zu sprechen, Frau Blunck. Im übrigen habe ich - das wissen Sie vielleicht - in der letzten Legislaturperiode im Europaausschuß zu diesem Thema schon einen Antrag eingebracht, der auch angenommen worden ist. Die wesentlichen Forderungen dieses Antrages nenne ich jetzt noch einmal:
Erstens. Es ist sicherzustellen, daß alle neuartigen Lebensmittel und Lebensmittelzusatzstoffe, auch die, die nicht in nennenswertem Umfang in den Verkehr gebracht werden, einer Unbedenklichkeitsprüfung unterzogen werden.
Zweitens. Diese Regelung muß auch für alle in die Europäische Union importierten Nahrungsmittel gelten. Dies ist für mich ganz wichtig. Bei uns werden heute für 60 Milliarden DM importierte Nahrungsmittel verzehrt. Niemand fragt heute danach, unter welchen Umständen diese produziert wurden.
({4})
Drittens. Als Informationshilfe - damit Sie auch sehen, daß die CDU/CSU-Fraktion zu diesem Punkt schon immer eine eindeutige Position bezogen hat - für die Verbraucher sollte eine deutliche KennzeichPeter Bleser
nung aller gentechnisch veränderten Lebensmittel und Lebensmittelzusatzstoffe gewährleistet werden. Ich hatte damals allerdings die Einschränkung gemacht - dazu stehe ich auch heute noch -, daß dann, wenn Verarbeitungsprodukte von gentechnisch veränderten Pflanzen oder Tieren herkömmlichen Rohstoffen gleichzusetzen sind, von der Kennzeichnungspflicht abgewichen werden kann. Dies ist aber nur restriktiv und in speziell begründeten Einzelfällen möglich.
Dazu gibt es natürlich auch Beispiele: Wenn man geringe Mengen einer Pflanze, die in irgendeiner Form resistent gezüchtet worden ist - was es auch bisher schon gibt - oder die durch eine gentechnische Veränderung resistent geworden ist, einem Nahrungsmittel beimischt und diese sich später in einem Folgeprodukt zeigen, muß man die Möglichkeit haben, hiervon abweichen zu können, um keine Verwirrung zu schaffen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß der Verbraucher dann, wenn diese Punkte berücksichtigt werden, von der Unsicherheit befreit wird, unwissend gentechnisch veränderte Lebensmittel zu verzehren, die er aus subjektiven oder objektiven Gründen nicht mag.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Wieczorek-Zeul?
Bitte schön.
Bitte schön.
Das, was Sie hier vorgetragen haben, entspricht ja dem, was die französische Ratspräsidentschaft als angeblichen Vermittlungsvorschlag unterbreiten wird, d. h. bestimmte Lebensmittel von der Kennzeichnungspflicht auszusparen. Ist das die Position, die die Fraktion der CDU/CSU vertritt?
({0})
Das ist nicht so. Ich habe gesagt, daß für begründete und spezielle Ausnahmefälle - sehr restriktiv; ich sage dies auch nur vorbehaltlich, weil man nicht genau weiß, in welcher Form sich die Technik überhaupt noch entwickelt - diese Möglichkeit geschaffen werden muß.
({0})
Ich sage aber sehr offen: restriktiv und vorsichtig.
({1})
- Frau Wieczorek, ich möchte fortfahren.
Meine Damen und Herren, es gibt jedoch noch einen weiteren Aspekt, der mir außerordentlich wichtig ist. Es wird von Teilen der öffentlichen Meinung versucht - offensichtlich zählen Sie sich auch dazu -, mit dieser Kennzeichnungspflicht im Grunde genommen die gesamte Gentechnologie zu verhindern oder deren Entwicklung in Deutschland langfristig zu stören.
({2})
Jeder weiß, daß wir bereits heute einen Großteil der Forschung auf diesem Sektor nicht mehr in unserem Land haben, sondern im europäischen Ausland oder in Übersee.
Bei dieser ganzen Problematik ist für mich weniger die Lebensmittelherstellung mit gentechnisch veränderten Pflanzen von Bedeutung, sondern viel wichtiger ist mir der Einsatz von gentechnisch veränderten Pflanzen im Bereich nachwachsender Rohstoffe. Es ist durch die beschleunigte Züchtung - nichts anderes ist Gentechnik in vielen Bereichen - heute schon möglich, z. B. bei Kartoffeln den Stärkegehalt deutlich zu erhöhen, was erhebliche Produktionsmitteleinsparungen bei gewissen Verfahren ermöglicht.
Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, ganze chemische Verfahrensschritte durch die Veränderung von Molekularketten bei Pflanzen überflüssig zu machen. Das ist ein Beitrag zum Umweltschutz. Damit steigt die Verwendungsmöglichkeit von Pflanzen als Rohstofflieferant in der chemischen Industrie, aber auch in vielen anderen Sektoren, wo man umweltfreundliche und später leichter zu entsorgende Rohstoffe dringend sucht.
Durch die Gentechnik können aber auch gravierende Einsparungen beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln - sei es bei der Schädlingsbekämpfung, sei es bei der Behandlung von Krankheiten - erwartet werden.
({3})
Dies ist im Grundsatz nichts Neues. Es ist im Grunde genommen eine andere Form der Züchtung, die wir nicht vernachlässigen sollten.
Damit sind wir bei dem entscheidenden Punkt: Wir haben in Deutschland nur 19 Freisetzungsversuche, während es in den USA zur Zeit bereits 2 000 gibt.
({4})
Wir sehen die Gefahr auf uns zukommen, daß wir hier den Anschluß in der Wissenschaft und Technik verlieren. Es gibt die Prognose, daß wir im Jahr 2000 bereits 150 Milliarden Dollar auf diesem Sektor umsetzen. Deshalb ist es unverantwortlich - das gehört heute mit zur Diskussion -, daß wir dieses Thema so einseitig beleuchten.
Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist abgelaufen. Ich fasse zusammen: Aus der Sicht des Verbrauchers und der Landwirtschaft halte ich eine obligatorische Kennzeichnung von gentechnisch veränPeter Bleser
derten Lebensmitteln und Lebensmittelzusatzstoffen für notwendig. Gehen wir also offen, die Risiken darstellend und die Chancen aufzeigend, mit dem Problem der Gentechnologie um.
Bieten wir dem Verbraucher ein Optimum an Information und Entscheidungsmöglichkeiten. Ich bin sicher, dann wird es uns gelingen, Ängste - berechtigte und unberechtigte - dieser neuen Technologie gegenüber zu bewältigen, damit eventuelle segensreiche Entwicklungen auch im Bereich der Medizin und der Ernährung aller Menschen nicht behindert werden.
Ich bedanke mich.
({5})
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Dr. Marliese Dobberthien.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nematoden in Fischen, Becquerel in Pilzen, Salmonellen in Hühnereiern, Pest bei Schweinen, Kuh und Schaf im Wahnsinn - was sollen wir noch essen? Kein Wunder, daß die Nachfrage nach naturbelassenen und ökologisch verträglichen Lebensmitteln wächst.
Und was tut die Agrarindustrie? Sie kreiert fleißig in ihren Food- und Genlabors neuartige Lebensmittel und beansprucht dafür sogar ein Öko-Label. Da werden Nutzpflanzen gentechnisch manipuliert, damit sie Schädlingsfraß und Giftduschen überleben, haltbarer und besser zu verarbeiten sind. Raps, Mais, Kartoffeln, Reis, Brot, Zucker, Tomaten, Käse, Milch, Enzyme, Hefen, Aromen - kein wichtiges Lebensmittel, keine Zutat entgeht der gentechnischen Manipulation.
({0})
Die ersten Gen-Tech-Produkte sind schon auf dem Markt; ob Fortschritt oder Risiko, muß im Detail bewertet werden. Mir geht es hier keinesfalls um die Verteufelung einer neuen Technik, sondern einzig und allein um die Risikoabwägung.
({1})
- Ich darf um ein bißchen mehr Ernsthaftigkeit bitten, meine lieben Kollegen.
Es ist die Pflicht eines jeden Parlamentariers - auch aus den Regierungsfraktionen -, Gefahrenpotentiale für Gesundheit und Umwelt zu erkennen und abzuwehren.
({2})
Risiken sind zweifelsohne gegeben, z. B. die langsam faulende Tomate „Flavr Savr". Ihr wurde nicht nur ein Matschenzym gentechnisch entzogen, sondern auch eine Antibiotikaresistenz als Selektionsmarker hinzugefügt.
Wer garantiert eigentlich, daß bei dem Verzehr solcher Tomaten diese Resistenz nicht auch eines Tages auf den Menschen überspringt, mit verheerenden Folgen für die Krankheitsbekämpfung? Ich glaube, das wäre kein Fortschritt.
Oder nehmen wir „Basta" aus dem Hause Hoechst. Hier gibt es Gift und die passende Pflanze im Doppelpack. Das Totalherbizid tötet jedes unerwünschte Pflänzlein. Damit die Nutzpflanze den Pflanzenkiller überlebt, wurde sie eigens gentechnisch resistent gemacht. Wer mehr Gift versprüht als benötigt, kann unbesorgt sein. Dank Gen-Tech-Resistenz bleibt die Zuchtpflanze am Leben. Aber was geschieht mit dem Bodenleben und dem Grundwasser? Wer wollte widersprechen: Der bisherige Schadstoffeintrag ist alarmierend genug.
({3})
Risiko- und Sicherheitsforschung sind daher gefragt.
({4})
Für Freilandversuche sind Steuergelder übrig; wo aber bleibt die vergleichbare Förderung der Sicherheitsforschung? Kein Wunder, daß mittlerweile 70 % der Bevölkerung Essen aus dem Genlabor ablehnt.
Nicht einmal eine ausreichende Aufklärung erhält der Verbraucher. Ohne umfassende Kennzeichnung ist aber niemand in der Lage, Gen-Tech-Food zu erkennen. Frau Limbach, es ist Vernebelung, die Angst erzeugt, nicht die von uns verlangte Aufklärung.
({5})
So frage ich mich: Warum versuchen Novel-FoodProduzenten eigentlich mit allen Mitteln, eine Kennzeichnungspflicht zu verhindern? Wenn gentechnisch erzeugte Lebensmittel tatsächlich qualitativ hochwertiger, besser, gesundheits- und umweltverträglicher sind, warum dann die Furcht vor der Kennzeichnung?
Ich sage, ohne Transparenz gibt es keine Akzeptanz.
({6})
Ein kranker Mensch muß wissen, ob er ein Nahrungsmittel aus einer antibiotikaresistenten Pflanze ißt; für einen Allergiker kann das falsche Mahl lebensbedrohlich sein.
({7})
Oder möchten Sie etwa eine Pflanze essen, die Skorpion- oder Kartoffelkäfergift selber produziert?
Minimalforderung ist daher eine umfassende Kennzeichnungspflicht für alle Gen-Tech-Produkte. Sie ist nicht „schwachsinnig", wie Herr Bangemann meint, sondern unverzichtbar.
({8})
Wer so kaltschnäuzig mit den Befürchtungen und Ängsten von Menschen umgeht wie der EU-Kommissar, darf sich nicht wundern, wenn das Vertrauen in die Drei-Pünktchen-Partei so rapide sinkt.
({9})
- Natürlich. Wie schön, daß Sie mir zustimmen!
({10})
Sie denken offensichtlich gleichermaßen.
({11})
Unverzichtbar sind auch eine Gesundheits- und Umweltverträglichkeitsprüfung sowie eine Erweiterung des Geltungsbereichs. Es wäre eine blanke Mogelpackung, wenn alle Produkte, die aus gentechnisch verändertem Saatgut hervorgehen, aus der Novel-Food-Verordnung herausfallen würden. Auch die riesige Palette der Zusatzstoffe und Aromen, wo die gentechnische Musik so besonders eifrig spielt, sind noch immer aus dem Geltungsbereich ausgeklammert. Das ist eine grobe Täuschung des Verbrauchers.
Der von der EU-Kommission vorgelegte NovelFood-Entwurf ist daher so löchrig wie ein Käse. Sollte er nach sechs Jahren der Strittigkeit nächste Woche auf Regierungsebene abgestimmt werden, so bleibt er Stückwerk.
Ich frage mich, wie die deutsche Haltung aussieht. Drei Minister sprechen sich für eine Kennzeichnungspflicht aus. Gut so! Gleichzeitig schweigt der fachlich zuständige Gesundheitsminister über Umfang und Art und betont die Notwendigkeit der Praktikabilität. Das läßt Aufweichungen befürchten.
({12})
Mit wohlgesetzten Schlagworten wird mehr Transparenz suggeriert, als vermutlich beabsichtigt ist. Sie wollen offensichtlich die Rübe kennzeichnen, nicht aber den Zucker. Heute und hier haben wir wieder einmal ein fröhliches Schauspiel beredter Semantik erlebt, wie Kennzeichnung interpretierbar ist.
({13})
Industriehörig ist wieder einmal der Bundeswirtschaftsminister, der Deutschland auf EU-Ratsebene vertritt. Herr Kollege Thomae, ich höre heute Ihre schönen Worte, allein, mir fehlt der Glaube. Herr Rexrodt jedenfalls läßt verbreiten: Kennzeichnung sei nur dann gerechtfertigt, wenn
neuartige Lebensmittel gentechnisch veränderte Organismen enthalten oder sich signifikant von herkömmlichen Lebensmitteln unterscheiden.
Das ist zuwenig.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich komme zum Ende.
Ein gemeinsamer Kabinettsbeschluß fehlt jedenfalls bis heute. So ist es nicht verwunderlich, daß bei einer solchen Politik der gespaltenen Zunge am Ende nur noch faule Kompromisse übrigbleiben.
({0})
Das Wort hat nun Bundesminister Horst Seehofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Dobberthien, ich halte es nicht für gut, wenn Sie die Haltung des Kommissars Dr. Bangemann zu einer Angelegenheit einer Partei erklären; denn dann müßte man umgekehrt die Haltung mancher sozialdemokratischer oder sozialistischer Kommissare und vor allen Dingen auch die Haltungen der Regierungen aus sozialistisch regierten Ländern in die Diskussion einführen.
({0})
Wenn diese alle ihre Meinungen vertreten würden, hätten wir am 6. Juni 1995 nicht das geringste Problem in Europa.
({1})
Über die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft und damit über die Rangordnung im Wettbewerb entscheiden bekanntlich nicht allein großartige Innovationen in Forschung und Technik. Darüber entscheidet nicht zuletzt auch das Vertrauen der Menschen in solche Techniken. Wenn dieses Vertrauen nicht vorhanden ist, haben Innovationen auch keine Chance.
({2})
Das haben wir mehr als einmal in der Vergangenheit erlebt. Dann darf man sich auch nicht wundern, wenn zuerst Produktion und dann ihre Urheber auswandern.
Deshalb muß auch beim Einsatz moderner Technologien in der Lebensmittelherstellung und -verarbeitung um das Vertrauen der Verbraucher so umfassend wie möglich geworben werden. Dieses Ziel werden wir sicher nicht erreichen, wenn sich die EU-Kommission in Brüssel auf den Standpunkt stellt, daß zu viele Informationen über solche Lebensmittel nur verwirren können und dem Fortschritt schaden.
({3})
Damit erreicht man ganz sicher das Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen will, nämlich Mißtrauen statt Vertrauen. Nicht nur das: Wer MenBundesminister Horst Seehofer
sehen so bevormunden will, leistet neuen Techniken buchstäblich einen Bärendienst.
({4})
Nicht umsonst heißt es in einem Sprichwort: Wer etwas verschweigt, hat etwas zu verbergen. Wir haben nichts zu verbergen. Denn eines steht fest: Alle zugelassenen und damit selbstverständlich auch gentechnisch hergestellte oder bearbeitete Lebensmittel sind keine Gefahr für die Gesundheit der Menschen.
({5})
Es wird sehr häufig übersehen, daß mindestens vier Genehmigungsverfahren erforderlich sind, bevor ein gentechnisch verändertes Lebensmittel überhaupt auf den Markt gebracht werden kann: bei der Forschung, bei der Freisetzung, bei der Produktion und beim Inverkehrbringen. Es gibt keinen anderen Bereich, der von den rechtlichen Grundlagen her so sensibel und sorgfältig behandelt wird wie das Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Lebensmittel. Sie waren an der Erstellung dieser Rechtsgrundlagen mit beteiligt. Sie sind weitgehend einvernehmlich beschlossen worden.
Herr Minister Seehofer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bierstedt?
Ja.
Herr Minister Seehofer, Sie haben mich, da Sie zweimal von Vertrauen gesprochen haben, ein bißchen provoziert, Ihnen folgende Frage zu stellen: Auf welcher Grundlage beruht eigentlich Ihr Vertrauen? Ausschließlich auf Genehmigungsverfahren? Das kann es doch wohl nicht sein. Können Sie irgendein Ergebnis einer Langzeitstudie vorweisen, in der eventuelle nicht erwünschte Nebenwirkungen von Lebensmitteln untersucht werden, die mittels Gentechnologie oder durch andere biotechnologische Verfahren beeinflußt wurden? Ich habe ganz einfach das Gefühl, daß man versucht - vielleicht können Sie auch meiner zweiten Frage folgen -, Vertrauen zu erschleichen.
Ich weiß nicht, wieviel Freisetzungsversuche in der Praxis Sie schon besucht haben, ob Sie sich informiert und sachkundig gemacht haben. Ich möchte Sie nur bitten: Erklären Sie mir einmal umgekehrt, wieso eine Gesundheitsgefährdung für einen Menschen entstehen soll, wenn ein schädliches Gen durch ein gesundes Gen ersetzt wird und dieses gesunde Gen dazu beiträgt, daß eine schädliche Entwicklung bei der Pflanze nicht eintritt. Wir müssen uns ein bißchen hüten, daß wir nicht bei völlig unproblematischen Dingen die Ängste und Sorgen in der
Bevölkerung so schüren, daß wir uns von der Zukunft abkoppeln.
({0})
- Ich komme noch zur Kennzeichnung.
Ich sage noch einmal: Alle zugelassenen und damit selbstverständlich auch gentechnisch hergestellte oder bearbeitete Lebensmittel sind prinzipiell keine Gefahr für die Gesundheit der Menschen.
({1})
Deshalb handelt es sich bei dieser Diskussion über die Kennzeichnung nicht um Warnungen vor angeblichen Gesundheitsgefahren, sondern um Informationen über die Qualität und Zusammensetzung eines Lebensmittels für den Verbraucher.
({2})
Uns geht es darum, den Verbrauchern offen, ehrlich und umfassend alle Informationen zur Verfügung zu stellen, damit sie eine freie Wahl zwischen Lebensmitteln treffen können. Wir leben in einem freien Land. Die Menschen sollen kaufen, was sie wollen. Sie sollen sich aber darüber informieren können, was Bestandteil eines Lebensmittels ist.
({3})
Darauf hat jeder Verbraucher einen Anspruch. Er und nicht die EU-Kommission muß darüber entscheiden, ob er solche Lebensmittel kauft oder nicht. Das kann er aber nur, wenn er ausreichend informiert ist.
({4})
Sie wissen, daß auf der Tagung des Binnenmarktrates am 6. Juni 1995 in der Frage der Kennzeichnung neuartiger Lebensmittel und neuartiger Lebensmittelzutaten die nunmehr bekanntlich fast drei Jahre dauernden Beratungen zum Abschluß gebracht werden sollen und dann ein gemeinsamer Standpunkt festgelegt werden soll. Die französische Präsidentschaft hat hierfür einen Kompromißvorschlag vorbereitet.
Jetzt sage ich zum wiederholten Mal: Nicht nur der Gesundheitsminister, sondern die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit wird diesem Vorschlag nicht zustimmen.
({5})
Wir stimmen diesem Vorschlag deshalb nicht zu, weil er dem eigentlichen Anliegen, nämlich einer ausreichenden und offenen Information des Verbrauchers, nicht gerecht wird. Denn wenn es nach diesem Vorschlag ginge, würde der Verbraucher in vielen Fällen darüber im unklaren gelassen, wann die Gentechnik bei Lebensmitteln zum Einsatz gekommen ist.
Die Lebensmittel sollen nach diesem Kommissionsvorschlag nämlich nur dann gekennzeichnet werden, wenn der Einsatz gentechnisch veränderter Organismen nicht dem Ziel gedient hat - wie es wörtlich heißt -, ,,landwirtschaftliche Eigenschaften" zu verändern. Im Klartext heißt das: Der Verbraucher erhält keine Information über die gentechnische Veränderung, wenn damit z. B. ein pflanzliches Lebensmittel gegen bestimmte Unkrautvernichtungsmittel widerstandsfähig gemacht worden ist.
({6})
Welche Lebensmittel nach diesem Vorschlag überhaupt noch gekennzeichnet werden sollen, ist dann letztlich eine Frage der Interpretation des Begriffes „landwirtschaftliche Eigenschaften". Genau das wollen wir nicht.
Wir wollen nicht, daß dann nach dem Beliebigkeitsprinzip gekennzeichnet wird. Wir wollen vielmehr klare Kriterien und klare Definitionen. Genau an diesem Punkt geht der Vorschlag der französischen Präsidentschaft einen anderen Weg, einen Weg, auf dem wir nicht folgen werden.
Wir werden diesem Vorschlag auch deshalb nicht zustimmen, weil er für die großen Gruppen der Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus genetisch veränderten Organismen hergestellt werden, diese Organismen aber selbst nicht enthalten, also z. B. ein aus genetisch veränderten Tomaten hergestellter Tomatensaft, überhaupt keine Informationen über ihre gentechnische Herstellung vorsieht. Auch deshalb werden wir nicht zustimmen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal, weil immer wieder Zweifel angemeldet werden,
({7})
deutlich sagen: Für uns ist dieser Vorschlag nicht verhandlungsfähig. Kompromiß kann doch nicht heißen: Kompromiß auf dem kleinsten Nenner.
({8})
Der Vorschlag geht in diese Richtung. Er geht auch weit hinter das zurück, was von der deutschen Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 1994 vorgeschlagen worden ist.
Auch die zweite Festlegung, die wir bei der Diskussion in Brüssel am 6. Juni, wenn erforderlich, deutlich zum Ausdruck bringen werden, nämlich unsere Haltung nicht nur zu dem französischen Vorschlag, sondern zu dem Problem generell, ist wiederum eine in der Bundesregierung abgestimmte Haltung ohne Wenn und Aber.
({9})
Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Forderung nach einer grundsätzlichen, systematischen und umfassenden Kennzeichnung gentechnisch hergestellter Lebensmittel und Lebensmittelzutaten. Das ist die Position der Bundesregierung.
({10})
Nur wenn dem Verbraucher alle diese Informationen zur Verfügung gestellt werden, kann er eine freie Wahl zwischen Lebensmitteln treffen. Ich sage noch einmal: Wer auf diese Kennzeichnung verzichtet, schafft kein Vertrauen in neue Technologien.
Ich kann deshalb nicht verstehen, wie manche von denen, die die Schlüsseltechnologie Gentechnik fördern wollen, in der Kennzeichnung eine Gefahr für diese Technologie sehen. Das genaue Gegenteil ist der Fall.
({11})
Denn je weniger der Verbraucher über die Verwendung genetisch veränderter Organismen bei Lebensmitteln informiert wird, desto größer wird sein Argwohn sein. Ich sehe nicht, wie Argwohn ein Vorteil für die Wirtschaft sein soll.
({12})
Deshalb bin ich von jeher - nicht nur persönlich, es ist die Haltung der Bundesregierung, die heute noch einmal ganz sauber abgestimmt worden ist ({13})
der Auffassung: Kennzeichnung von genetisch hergestellten Lebensmitteln oder Lebensmittelzutaten schafft Vertrauen und damit für diese neuen Technologien auch Märkte.
({14})
Jetzt möchte ich Ihnen noch einmal ganz klipp und klar sagen, was ich immer in diesem Parlament gesagt habe. Mein Verständnis von offener und voller Information gebietet, auf ein Problem hinzuweisen, damit im nachhinein niemand sagen kann, er sei unvollständig informiert worden. Die Bundesregierung ist für eine umfassende und volle Kennzeichnung der neuartigen Lebensmittel. Man muß aber auch darauf hinweisen, daß die Kennzeichnung bei mehrmaliger Weiterverarbeitung von Produkten irgendwann an eine Grenze stößt. Diese Grenze ist dann erreicht, wenn das Ganze einfach nicht mehr handhabbar ist. Das relativiert in keiner Weise die grundsätzliche Kennzeichnungspflicht.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns mit diesem Problem der Praktikabilität bei mehreren Versorgungs- und Verarbeitungsstufen auseinandersetzen, weil uns sonst die Bevölkerung anschließend für verrückt erklärt, wenn nicht handhabbar ist, was wir hier festlegen.
({15})
Ich bin ganz der Meinung von Herrn Bleser, daß es nur ganz enge Ausnahmetatbestände geben kann. Ich nenne ein Beispiel, damit Sie nicht glauben, wir wollten dies bereits bei dem Zucker praktizieren, der in Haribo-Gummibärchen verwendet wird.
({16})
Ein Getreide wird durch neue gentechnologische Verfahren herbizidresistent. Aus diesem Getreide wird anschließend Mehl gemahlen. Aus dem Mehl werden Brötchen gebacken. Bekanntlich kann man alte Brötchen zu Paniermehl verarbeiten. Teile dieses Paniermehls werden dann für Schnitzel verwendet. Am Ende dieser Kette wird das Schnitzel zum Teil eines Fertigmenüs.
Ich glaube, in einem solchen Fall müssen wir uns einig sein, daß Gesprächs-, Diskussions- und Lösungsbedarf in bezug auf die Praktikabilität besteht. Es kann doch nicht sein, daß bei dem Fertigmenü im Metzgerladen, in der Gastwirtschaft, im Restaurant oder im Flugzeug noch eine Kennzeichnung bezüglich des Getreides stattfindet, das der Ausgangspunkt dieser Verarbeitungsstufen war. Um diese Fragen der Praktikabilität müssen wir uns auch kümmern, ohne die grundsätzliche Kennzeichnungspflicht in Frage zu stellen.
({17})
Die Bundesregierung wird einer Verabschiedung der Verordnung über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten nicht zustimmen, solange die entscheidende Kernfrage der Kennzeichnung nicht zufriedenstellend gelöst wird. Und sie ist nicht zufriedenstellend gelöst, wenn der Anspruch des Verbrauchers auf eine umfassende Kennzeichnung nicht erfüllt ist.
Wenn wir für unsere Haltung nicht die notwendige Unterstützung in Europa erhalten sollten, nehmen wir nicht einfach billigend in Kauf, daß wir überstimmt werden. Wir kämpfen für diese Haltung. Das ist auch der Grund, warum es seit drei Jahren in Europa nicht zur Harmonisierung auf diesem Gebiet kommt. Aber ich kann auch nicht ausschließen, daß wir überstimmt werden und die qualifizierte Minderheit nicht zustande bringen.
Dann ist der Vorschlag der französischen Präsidentschaft noch lange nicht Realität. Denn nach den neuen Vertragsgrundlagen muß eine Verordnung dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union zugeleitet werden. Wenn das Europäische Parlament bei der Haltung bleibt, die es in der ersten Lesung zu dieser Verordnung geäußert hat, dann wird es dem Rat nichts nutzen, wenn er die Bundesrepublik Deutschland mit einer qualifizierten Mehrheit überstimmt. Denn wenn das Europäische Parlament die Haltung beibehält, nämlich daß es für die Kennzeichnung eintritt, dann kommt es hier nicht zur Einigung und dann gibt es ein Schlichtungsverfahren. So ist das.
Falls die Deutschen am 6. Juni nicht eine qualifizierte Minderheit bekommen, dann kommt die Sternstunde des Europäischen Parlaments. Dann müssen wir die Funktionsfähigkeit und Handlungsfähigkeit des Europäischen Parlaments und nicht einen nationalen Alleingang einfordern.
({18})
Deshalb appelliere ich an unsere Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament, daß sie, falls dieser Umstand am 6. Juni eintritt, mit dazu beitragen, in diesem Falle nachhaltig für eine Nachbesserung der Verordnung zu sorgen, die den Verbraucherinteressen gerecht wird.
Herr Präsident, ich habe in leichter Überziehung meiner Redezeit noch einmal klipp und klar gesagt, was die Haltung der Bundesregierung ist. Hören Sie bitte auf mit dem ständigen Versuch, Wirtschaftsminister, Landwirtschaftsminister, Forschungsminister und Gesundheitsminister auseinanderzudividieren! Wir haben eine gemeinsame eindeutige Haltung in dieser Frage.
({19})
- Wissen Sie, wichtig ist immer - das müßten Sie aus Wahltagen wissen -, daß man nicht zur Unzeit die richtige Meinung hat, sondern zur richtigen Zeit, nämlich am 6. Juni.
({20})
Das haben Sie an Wahltagen schon oft erlebt.
Ich behaupte nicht, daß alle Rednerinnen und Redner, die hier am Pult standen, nicht mit Respekt über diese Sache reden und grundsätzlich nicht für die Nutzung der Gentechnologie sind. Aber ich muß auch meinen Eindruck von einem anderen Teil der Redner wiedergeben, die hier mit abenteuerlichen Beispielen, Frau Steindor, jenseits jeder moralischen Verantwortung gegenüber Bürgerinnen und Bürgern Angst schüren, die mit der Realität nichts zu tun hat,
({21})
und denen es in Wahrheit nicht darum geht, bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln eine für den Verbraucher und für uns erträgliche Entscheidung zu bekommen. In Wahrheit wollen Sie das, was Sie bei der Medizin verloren haben, nämlich die Unterstützung der Bevölkerung, wiedererlangen.
Wir haben es in den letzten drei Jahren geschafft, daß die Akzeptanz bei der Bevölkerung hinsichtlich der Gentechnologie in der Medizin sehr groß ist. Diesen Kampf haben Sie verloren. Jetzt versuchen Sie, auf dem Sektor der Pflanzen mit ungeheuren Beispielen, die Sie hier eingeführt haben und die mit der Realität nicht das Geringste zu tun haben, die letzte Schiene zu nutzen, um uns auch von einer neuen Schlüsseltechnologie abzukoppeln, nämlich der Gentechnologie.
({22})
Ich möchte Sie auch an Ihre moralische Verantwortung erinnern. Es geht um einen ethisch verantwortlichen Umgang mit einer neuen Technologie. Wir müssen Risiken ernst nehmen, aber auch die Chancen ergreifen. Ich möchte nicht, daß es Ihnen eines Tages, wenn es mit Mitteln der Gentechnologie gelungen ist, den Hunger auf dieser Welt zu besiegen, leid tut, daß die Deutschen daran nicht beteiligt waren.
({23})
Herr Minister Seehofer, Sie haben das verfassungsmäßige Recht, so lange zu sprechen, wie Sie es für richtig halten. Aber nachdem Sie die Redezeit um über fünf Minuten überzogen haben, erteile ich das Wort zu zwei Kurzinterventionen zunächst Herrn Bierstedt und dann Frau Wieczorek-Zeul.
Herr Bierstedt, bitte.
Herr Minister Seehofer, in meiner Zwischenfrage ging es um Vertrauen. Da Sie meine Zwischenfrage zugelassen haben, habe ich darauf vertraut, daß Sie diese auch beantworten. Das haben Sie eigentlich nicht gemacht. Ich nehme an, die Frage speziell nach Ergebnissen aus der Langzeitforschung war Ihnen unangenehm. Ich hätte aber wissen müssen, daß Ihre Antwort enttäuschend ist; denn Sie gehören zu einer Bundesregierung, die in ihrer Mehrzahl auch enttäuschend ist.
Danke.
Das Wort zur zweiten Kurzintervention hat Frau Wieczorek-Zeul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist durchaus ehrenvoll, wenn ein Minister zugibt, daß die Position der Regierung geändert worden ist. Dann gehört sich aber auch, daß er dazusagt, dies sei eine Positionsänderung, die unter dem Druck auch der Opposition in diesem Hause und unter dem Druck der Bevölkerung erfolgt ist, die sich nichts mehr vormachen läßt.
({0})
Die Position, die Sie hier vorgetragen haben, ist noch nicht einmal 14 Tage alt. Im Europaausschuß ist die Position vom Wirtschaftsministerium vorgetragen worden, die derjenigen entspricht, über die im Rat verhandelt wurde. Dort verhandeln ja nicht Sie. Der Titel Europa" führt ja immer dazu, daß man vieles kaschieren kann. Das Wirtschaftsministerium hat in den Beratungen am 17. Mai - das ist noch nicht einmal 14 Tage her - nicht die Position vertreten, die Sie hier vertreten haben. Als ich gefragt habe, welches die im Kabinett abgestimmte Position der Bundesregierung sei, hat auch das Gesundheitsministerium
gesagt, in dieser Frage gebe es keine einheitliche Auffassung.
({1})
An der Stelle sage ich: Sie haben zu Recht gesagt, es komme darauf an, zu welchem Zeitpunkt man eine Position bezieht. Jetzt sich auf das Europäische Parlament zu beziehen, finde ich in Ordnung. Aber das Europäische Parlament hat bereits am 22. Oktober 1993 im Gegensatz zur Kommission eine umfassende Kennzeichnungspflicht gefordert. Ich hätte erwartet, daß Sie zu diesem Zeitpunkt oder spätestens unter der deutschen Ratspräsidentschaft diesen Vorschlag aufgegriffen hätten. Dann hätten Sie im Interesse der Bevölkerung etwas getan.
({2})
Wie gesagt, ich respektiere, wenn Sie Positionen ändern und auf die Position der Sozialdemokratischen Partei kommen. Das ist in Ordnung, das finde ich ganz ausgezeichnet. Aber dann tun Sie das bitte offen und ehrlich, und sagen Sie auch, daß in dieser Regierung offensichtlich sehr viele „Bangemänner" gesessen haben und heute noch sitzen.
({3})
Herr Minister Seehofer, Sie haben die Möglichkeit zu antworten.
({0})
- Dann erteile ich dem Abgeordneten Wolfgang Wodarg das Wort.
Herr Seehofer macht das Marketing, und Herr Rexrodt und Herr Bangemann kommen dann mit der Gentech-Industrie zur Sache.
({0})
So stellt sich das heute dar, und ich fürchte, daß es sich hier auch um eine Etikettierung von Politik handelt, der wir ein wenig mißtrauen dürfen.
Es tut mir ja schon fast leid, der in letzter Zeit ohnehin stark gebeutelten F.D.P. noch eins draufgeben zu müssen. Aber das, was sich zwei ihrer derzeit prominentesten Vertreter geleistet haben,
({1})
ist eine Nummer, von der wir uns hier im Bundestag gemeinsam distanzieren sollten. Bangemann in Brüssel und Rexrodt in Bonn haben in dankenswerter Offenheit gezeigt, wie Sie mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern umgehen wollen. Gestern hat uns Kommissar Bangemann in Brüssel persönlich und eindrucksvoll vor Augen geführt, daß Bier seit JahrDr. Wolfgang Wodarg
hunderten biotechnologisch hergestellt wird und daß er nicht auf die Weinflasche schreiben würde, aus welchen chemischen Substanzen dieser edle Saft im einzelnen besteht.
Mir fällt dabei der alte Spruch „in vino veritas" ein, und ich möchte aus aktuellem Anlaß ergänzen: Der Schwindel liegt im Etikett.
({2})
Die Schwierigkeiten bei der Kennzeichnung stekken in der Tat im Detail. Deutlich wird das, wenn Herr Bangemann von Biotechnik spricht und das mit Gentechnik gleichsetzt. Das ist unverantwortliche Nebelwerferei, und das ist Irreführung mit System.
({3})
Daß dies auch von der Öffentlichkeit so empfunden wird, darf weder uns noch die beiden Herren Bangemann und Rexrodt wundern.
Die Bangemannsche Zauberformel heißt: Substantielle Änderungen müssen zu erkennen sein. Diese substantiellen Änderungen kann er dann auch nicht weiter definieren, und er verweist auf eine Kommission, an der alle Staaten beteiligt sind und die das schon machen wird. Was man durch solche halbherzigen Mauscheleien an Schaden anrichten kann, hat uns Herr Seehofer mit seiner BSE-Schaukelpolitik schon einmal zum Leidwesen der Landwirte und vieler Fleischereibetriebe vorgeführt.
Es kommt doch jetzt darauf an, den Verbraucherinnen und Verbrauchern klarzumachen, daß sie sich mit Recht sicher fühlen dürfen, daß sie unseren Händlern und unseren Produkten vertrauen können. Wer den Verbrauchern zeigt, daß er ihnen kein kritisches Urteil zutraut, wer sie bevormundet, wer ihnen lieber nicht abschätzbare gesundheitliche Risiken als vollständige Angaben zur Herkunft der Lebensmittel zumutet, der kommt zu Recht in den Verdacht, mit der Gentech-Lobby unter einer Decke zu stecken.
({4})
Die Menschen in unserem Land spüren das sehr genau, und sie werden mit Recht mißtrauisch. 69 % würden keine gentechnisch erzeugten Lebensmittel kaufen, wenn sie es denn erführen.
({5})
96 %, d. h. fast alle Verbraucher in unserem Land wollen die Kennzeichnung gentechnisch hergestellter Lebensmittel. Das weiß Herr Seehofer natürlich auch. Deshalb macht er ja jetzt dieses Marketing. Aber wenn man dann hinterfragt - das haben wir gesehen -, kommt doch etwas ganz anderes dabei heraus. Der Teufel steckt, wie gesagt, im Detail.
Wie werden wohl die Verbraucher, die Presse und der Markt reagieren, wenn sich z. B. herausstellt, daß die angebliche Erdbeerallergie gar keine ist, wenn es sich herausstellt, daß die Allergie durch ein Fischantigen ausgelöst wurde, das der Erdbeerverzehrer akquiriert hat und das eigentlich die Erdbeere frostsicher machen sollte? Und was für einen Aufstand gäbe es mit Recht, wenn auf Grund dieser zu spät erkannten Zusammenhänge dann in der Folge bei vielen lebensbedrohliche Komplikationen auftreten würden!
Die krankmachende Potenz gentechnisch veränderter Lebensmittel ist nicht wie bei Giften in Mikro-, Piko- oder Nanogramm zu messen. Dieser Vergleich hinkt. Das geht nicht. Für biologisch wirksame Informationen gibt es eben keine Schwellenwerte; sie sind nur im biologischen Gesamtsystem verständlich und bewertbar und lassen sich mit den üblichen Labormethoden nicht voraussagen. Bei der Anwendung gentechnischer Verfahren sind wir eben leider meistens erst dann schlauer, wenn es schon zu spät ist.
({6})
Kleinste Verunreinigungen in gentechnisch hergestellten Lebensmitteln können verheerende Wirkungen haben. Der Vorschlag von Herrn Bangemann, nur substantielle Veränderungen zu kennzeichnen, würde der Gefährdung der Bevölkerung Tür und Tor weit öffnen. Unerwartete Wirkungen könnten auftreten, und zwar erst nach einer längeren Latenzzeit. Sie können - wie das auch schon gesagt wurde - durch Vektoren, durch Marker, die in der Verfahrenstechnik benutzt werden, entstehen, und sie können dazu führen, daß Allergien entstehen, daß Krebswachstum entsteht, daß die Resistenz gegenüber Infektionskrankheiten verändert wird.
Herr Bangemann versicherte gestern, daß das zuständige Gremium natürlich sofort handeln werde, wenn Gefahren bekanntwürden.
({7})
Wir von der Opposition sagen: Dieses Risiko ist uns immer noch zu hoch. Es wird eben gerade noch dadurch vergrößert, daß ein Kausalzusammenhang zwischen verzehrten Lebensmitteln und auftretenden Erkrankungen durch Herrn Bangemanns Vorschläge verschleiert wird. Wenn nicht alle gentechnischen Lebensmittel gekennzeichnet sind, können die Verbraucherinnen und Verbraucher gar nicht wissen, was sie gegessen haben. Wie sollen sie oder jemand anderes dann darauf kommen, welche Ursachen ihre Krankheit, welche Ursachen ihre Gesundheitsbeschwerden gehabt haben? Eine epidemiologische Nachverfolgung dieser Beschwerden ist dann gar nicht möglich; man weiß ja nicht, was man gegessen hat.
Der Verzicht auf eine konsequente, durchgehende Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Lebensmittel ist deshalb gleichzeitig der Verzicht auf eine frühestmögliche Aufklärung gesundheitsschädlicher Wirkungen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist erheblich überschritten. Sie müssen zum Schluß kommen.
Noch nicht so lange wie die von Herrn Minister Seehofer, und er will ja auch noch einmal sprechen.
({0})
Herr Kollege, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen!
Ich wäre schon fertig, wenn Sie mich nicht - Die SPD-Fraktion hält das, was hier gemacht wird, nicht für verantwortbar. Wir sind der Auffassung, daß wir angesichts der am 6. Juni anstehenden Entscheidung heute die Möglichkeit haben, hier im Bundestag ein eindeutiges Votum abzugeben. Ich bitte Sie und fordere Sie auf, sich den kurzen Antrag der SPD anzusehen. Das sind Dinge, die Sie hier selbst gesagt haben, bei denen wir übereinstimmen können. Ich meine, wir würden als Bundestag ein gutes Zeichen setzen, wenn wir dem Antrag gemeinsam zustimmen würden. Wenn wir heute nicht darüber abstimmen,
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen. Jetzt ist wirklich Schluß!
- dann ist das auch eine Aussage, die gültig ist.
({0})
Verehrte Kollegen, wir sind nun durch die Überziehung der Redezeit durch alle Seiten - trotz aller großzügigen Zumessung - etwas ins Schleudern geraten.
({0})
- Eine Sekunde! - Nur der Kollege Thomae hat seine Redezeit erheblich unterschritten.
({1})
- Gemach, gemach, gemach! Es liegt der Wunsch zu zwei weiteren Kurzinterventionen vor, und zwar von Frau Limbach und vom Kollegen Thomae. Ich erteile der Kollegin Limbach zu einer Kurzintervention das Wort.
Ich werde die maximale Redezeit von zwei Minuten nicht in Anspruch nehmen.
Frau Dobberthien, Sie haben mir vorhin vorgeworfen, Unsicherheit würde nicht der schaffen, der Ängste schürt, sondern der, der vernebelt. Ängste schüren bedeutet aber Vernebeln. Deshalb sind die, die hier große Schauergemälde malen, was alles mit Gentechnik verbunden ist, diejenigen, die vernebeln und Ängste schüren.
Ehrliche und offene Informationen wären angebracht. Dann nämlich würden die Menschen erkennen, daß Gentechnik viele Vorteile bietet. Ich bin sicher: Die Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln würde sich zu einer Art Gütemerkmal entwickeln. Viele, die heute noch Sorge haben, sie könnten diese Lebensmittel nicht kaufen, werden dies dann tun. Wer die Lebensmittel nicht kaufen will, kann es auch lassen.
Das war eine Kurzintervention zu der Rede der Kollegin Dobberthien. Daraufhin hat die Kollegin Dobberthien das Recht zu antworten, wenn sie es wünscht. - Das ist nicht der Fall.
Dann erteile ich dem Kollegen Thomae das Wort zu einer Kurzintervention.
Herr Dr. Wodarg, akzeptieren Sie doch bitte, daß Herr Bangemann die Auffassung der Kommission vertreten hat.
({0})
- Nein, er hat die Meinung der Kommission vertreten. Das hat er sehr deutlich gesagt. Ich weiß, daß es in der Kommission auch ein Mitglied der SPD gibt, das dieselbe Meinung geäußert hat. Das heißt, dies ist in der Kommission abgestimmt.
Der Wirtschaftsminister Herr Rexrodt ist der Auffassung, die auch ich hier vertreten habe. Bitte nehmen Sie dies zur Kenntnis!
({1})
Nun erteile ich dem Kollegen Wodarg das Wort zur Entgegnung.
Ich habe mich nicht dagegen gewandt, daß Herr Bangemann uns die Meinung der Kommission mitgeteilt hat. Ich habe vielmehr die demaskierenden Beispiele, die sich Herr Bangemann selbst ausgedacht und uns angeboten hat, als Indikator dafür genommen, wie wenig ihm in dieser Sache zu glauben ist.
Wenn Sie mit uns gemeinsam im Bundestag die Meinung vertreten, daß eine durchgehende Kennzeichnungspflicht erforderlich ist, wenn Sie in einzelnen Bereichen der Kennzeichnungspflicht eine Dekkungsgleichheit mit unserer Auffassung demonstrieren, dann lassen Sie uns doch gemeinsam abstimmen.
({0})
Damit schließe ich die Aussprache.
({0})
Interfraktionell ist die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/1549 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vereinbart. Es ist ebenso vereinbart, daß der Antrag der SPD auf Drucksache 13/1596 ebenfalls an den Ausschuß überwiesen werden soll. Das scheint mir eine weise Entscheidung zu sein;
({1})
denn dann werden wir das Ganze noch einmal im Plenum erörtern können.
Darf ich fragen, ob darüber Einverständnis besteht? - Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, bitte.
Wir haben diesen Antrag vorgelegt. Wir wären bereit - das hat der Kollege angesprochen -, heute darüber abzustimmen. Ich möchte nur wissen, ob CDU/CSU und F.D.P. bereit sind, unserem Antrag zuzustimmen.
Eine Sekunde, verehrte Kollegin, so geht das nicht.
Ich frage jetzt die Fraktionen formell, ob sie den Überweisungsvorschlägen zustimmen. ({0})
Ich sehe, das ist der Fall. Falls dies nicht einstimmig sein sollte, müssen wir abstimmen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
({1})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über den Zugang zum Markt der Bodenabfertigungsdienste auf den Flughäfen der Gemeinschaft
- Drucksachen 13/765 Nr. 2.1, 13/1337, 13/1468 Berichterstattung: Abgeordneter Lothar Ibrügger
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Michael Jung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Der Richtlinienentwurf beabsichtigt eine Öffnung des Bodenverkehrsdienstmarktes an Flughäfen in der Europäischen Union. Darunter versteht man im wesentlichen die Passagierabfertigung, Dienstleistungen vom Check-in des Gepäcks bis zur Erarbeitung eines Ladeplans für das Flugzeug, die Frachtabfertigung, Frachtumschlag, Frachtlagerung, Dokumentation im In- und Export, die Flugabfertigung, Ladedienste, Gepäckumschlag und Transport von Passagieren und Fracht und die Versorgung von Flugzeugen. Diese Bodenverkehrsdienste sollen nach dem Richtlinienentwurf des Rates auf allen Flughäfen mit mehr als 2 Millionen Passagieren und 50 000 Tonnen Fracht pro Jahr für die Selbstabfertigung durch die Airlines oder für Drittabfertigung durch Abfertigungsagenten geöffnet werden.
Die Zielsetzung der Kommission ist, wie es formuliert wird, mehr Wettbewerb zu erzeugen und damit auch mehr Kostendruck zu schaffen. Die Fluggesellschaften versprechen sich davon in diesem Bereich Einsparungen in Höhe von 10% und mehr.
Es muß Sorge getragen werden, meine Damen und Herren, daß es bei dieser Öffnung faire Wettbewerbsbedingungen gibt, für Flughafenunternehmen und Luftverkehrsunternehmen gleichermaßen. Ich sage dazu, daß auch die Interessen der deutschen Fluggesellschaften im Ausland ausreichend berücksichtigt werden müssen. Das ist ein besonderes Problem der Ferienflieger und der besonderen Situationen in den Zielländern, den Ferienländern, wo die Abfertigung meistens noch als Monopol für die jeweilige staatliche Fluggesellschaft besteht.
Es soll gar nicht verschwiegen werden - wir haben das in den Diskussionen mehrfach erlebt -, daß es bei der Diskussion dieses Themas Interessengegensätze gibt. Da gibt es die Airlines, die Lufthansa, die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Luftfahrt-Unternehmen, die die Ferienflieger vertritt, und die BARIG, den Zusammenschluß der in Deutschland tätigen ausländischen Airlines. Diese wollen eine rasche Umsetzung der Richtlinie, weil sie sich davon zweierlei versprechen, einmal Kostensenkungen auf den deutschen Flughäfen und zum anderen die Aufhebung des Monopols ausländischer Fluggesellschaften, die in ihren Heimatländern auch die Alleinzulassung für die Abfertigung besitzen.
Der Verkehrsausschuß hat sich mehrfach mit diesem Thema beschäftigt. Wir haben auch die unterschiedlichen Interessengruppen mit ihren zum Teil sehr konträren Positionen und Forderungen einbezogen. Resultat war eine Beschlußempfehlung, die die Beachtung von Leitsätzen und die Berücksichtigung von Forderungen vorsieht. Ich hoffe, daß wir diese Beschlußempfehlung des Verkehrsausschusses heute mit großer, breiter Mehrheit in diesem Hause verabschieden, um die Position der Bundesregierung bei den notwendigen Verhandlungen in Brüssel und auch bei der Kommission zu stärken.
Ich möchte nun zu den einzelnen wichtigen Leitsätzen Stellung nehmen.
Der erste Leitsatz lautet: Wettbewerb wo möglich, Einschränkungen wo nötig. Bei der Diskussion sollte nicht vergessen werden, daß ein großer Teil dieser
Michael Jung ({0})
Bodenverkehrsdienste heute schon liberalisiert ist und damit dem Wettbewerb zugänglich gemacht worden ist. Am Flughafen Frankfurt als dem mit Abstand größten deutschen Flughafen sind es ca. drei Viertel der verschiedenen Bodenverkehrsdienste.
Wir müssen aber auch sehen, daß es eine sehr unterschiedliche Struktur der Flughäfen in Europa gibt. Es gibt zum Teil direkte staatliche Subventionen für Flughäfen; andere Flughäfen, müssen ihre Infrastruktur aus den eigenen Einnahmen finanzieren, wobei das auch für die Investitionen gilt, die sie tätigen müssen.
Wir haben vor allen Dingen auch die besondere Situation des wichtigen Flughafens Frankfurt, einer großen europäischen und internationalen Drehscheibe. Dieser Flughafen ist mit etwa 50 000 Arbeitsplätzen die größte Arbeitsstätte, die wir in Deutschland haben. Wir haben ein Interesse daran, daß der besonderen Situation des Flughafens Frankfurt Rechnung getragen wird. Es gibt keinen Flughafen in Europa, der auf einer solch begrenzten Fläche wie in Frankfurt mehr Verkehr abwickelt, als es dort geschieht. Das sind Gesichtspunkte, die bei einem solchen Richtlinienentwurf einer besonderen Behandlung bedürfen. Hinzu kommen Probleme der Sicherheit. Hinzu kommt das Problem der garantierten Umsteigezeit in Frankfurt von 45 Minuten, was von besonderer Bedeutung ist. Wir sollten gemeinsam alles tun, damit Frankfurt als europäische und internationale Drehscheibe erhalten bleibt. Das ist eine wichtige Forderung von uns gemeinsam.
({1})
Ein zweiter Leitsatz: Die Luftfahrt muß ihre Kosten selbst tragen. Meine Damen und Herren, es kann überhaupt nicht sein, daß wir die Luftfahrt, die eine Wachstumsbranche par excellence ist, staatlich subventionieren. Deswegen können Forderungen, wie sie von der Kommission erhoben werden, diese Infrastrukturaufgaben sollten vom Staat finanziert werden, egal ob auf der Ebene der Länder oder des Bundes, nicht akzeptiert werden. Wir müssen darauf bestehen, daß dies die jeweiligen Einrichtungen selbst gewährleisten. Modelle, wie sie z. B. in Großbritannien entwickelt worden sind, wo die Flughäfen praktisch als reine Verwalter von Start- und Landebahnen angesehen werden, wollen wir nicht. Wir wollen eine Finanzierung der Nutzer über Gebühren, und wir wollen auch im Flughafenbereich eigenständige, autonome Unternehmen. Das ist für uns der zweite Kernpunkt.
Daraus resultiert, daß der Staat eben nicht von Dritten - sei es von dem zu bildenden Nutzerausschuß an den Flughäfen, sei es von der Kommission - verpflichtet werden kann, bestimmte Infrastruktur vorzuhalten, zu erweitern oder gar zu finanzieren. Das ist für uns nicht hinnehmbar.
Der Bund und die Länder haben Interesse an einem effektiven, hochleistungsfähigen Luftverkehrssystem. Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Bundesländer vor wenigen Tagen auf der Verkehrsministerkonferenz diese Richtlinie mit
noch viel schärferen Worten einvernehmlich gegeißelt haben, daß sie sie in der jetzigen Form als unannehmbar betrachten und Änderungen verlangen. Dieses hochleistungsfähige Luftverkehrssystem ist für uns in Deutschland natürlich auf Grund des großen Anteils, den der Export einnimmt, von besonderer Bedeutung. Deswegen müssen wir dafür sorgen, daß es unter Wahrung des bisherigen Standards auch weiterhin existiert.
„Standard" ist das nächste Stichwort. Die Verkehrsinfrastruktur unserer Flughäfen hat einen hohen Standard. Ihn wollen wir erhalten. Wir dürfen ihn auf keinen Fall gefährden.
({2})
Ich sage in diesem Zusammenhang auch: Wir müssen darauf achten, ob wir durch einen der Ansätze, die von der Kommission gewählt worden sind, z. B. bei der Schaffung zusätzlicher Transparenz bei der Preisgestaltung der Flughäfen, noch Zusätzliches erreichen können. Immerhin hat die Diskussion und die Tatsache, daß die FAG ihre eigene Position überdacht hat, dazu geführt, daß wir jetzt zwei Jahre lang Nullrunden gefahren haben. Wenn man die Inflationsrate beachtet, ist für die Airlines sogar eine Senkung der Kosten entstanden. Diese Anstrengungen müssen wir weiter forcieren. Wir müssen dafür sorgen, daß die Situation transparent bleibt oder zunehmend transparenter wird.
({3})
Ein nächster Kernsatz für uns, meine Kolleginnen und Kollegen: Es dürfen keine unzumutbaren sozialen Beeinträchtigungen entstehen. Die FAG hat uns z. B. vorgerechnet, daß bei einer Änderung der heutigen Situation 6 000 Arbeitsplätze in Gefahr sind. Das beträfe gut ausgebildete Menschen, die ein entsprechendes Einkommen erzielen. Wir haben ein Interesse daran, daß gerade in Bereichen, die sicherheitsempfindlich sind, nicht mit Aushilfen und anderen Anbietern, die preisgünstiger sind und deswegen ihre Aufgabe nicht so erfüllen können, wie wir uns das versprechen, gearbeitet wird. Deswegen verdient auch diese Position Berücksichtigung.
({4})
Ein nächster Leitsatz: Der administrative Aufwand muß minimiert werden. Wir werden, wenn sich diese Richtlinie so umsetzen läßt, eine Fülle von Reglementierungen bekommen. Die SPD hat im Ausschuß vollkommen zu Recht von einem bürokratischen Monstrum gesprochen. Wenn man die Folgen einer Umsetzung dieser Richtlinie überprüft, stellt man fest, daß mehr als 20 Verwaltungsverfahren auf uns zukommen. Daran können wir keinerlei Interesse haben.
Deswegen haben wir im Verkehrsausschuß Forderungen aufgestellt, die ich hier ganz kurz abschließend erwähnen darf: Erstens. Die Zulassung zur Selbstabfertigung der Luftfahrtunternehmen muß denselben Bedingungen unterworfen sein wie die Zulassung von Drittabfertigung oder unabhängigen Dienstleistern.
Michael Jung ({5})
Zweitens. Die Flughafenunternehmen müssen als selbständige, finanziell, operativ und planerisch autonome Unternehmen erhalten bleiben.
Drittens. Ausnahmekriterien zur Beschränkung des Zugangs für Selbst- und Drittabfertigung und die Entscheidungsabläufe müssen die deutsche Situation ausreichend berücksichtigen.
Viertens. Die Finanzierung von Anpassungs-, Ausbau- und Erweiterungsmaßnahmen muß durch das System Luftfahrt sichergestellt werden und darf nicht den öffentlichen Haushalten zugewiesen werden. Es darf keine Infrastrukturförderung durch den Staat geben.
Fünftens. Eine Gleichbehandlung aller Dienstleister - Luftfahrtunternehmen, Flughäfen, Unabhängiger - auf dem Flughafen muß sichergestellt werden.
Letztlich: Eine Minimierung des Verwaltungsaufwands bei den von der Kommission vorgesehenen Verfahren auf allen Ebenen muß erreicht werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns durch eine breite Mehrheit zu dieser Beschlußempfehlung heute feststellen, daß die Bundesregierung in Brüssel unsere Unterstützung hat, wenn sie dafür eintritt, die Leistungsfähigkeit des deutschen Luftverkehrs- und Flughafensystems weiter zu erhalten.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile nun dem Kollegen Lothar Ibrügger das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Warum führen wir heute diese Debatte, obwohl wir seltsame Einmütigkeit spüren? Das hat einen ganz einfachen und deutlichen Grund: Wir sind jetzt bemüht, bei europäischen Rechtssetzungsakten einen gemeinsamen Standpunkt des Parlaments zu formulieren, diesen gemeinsamen Standpunkt der Bundesregierung für die Verhandlungen in Brüssel mit auf den Weg zu geben und am Ende gemeinschaftlich mit den Kollegen im Europäischen Parlament eine auch für die Öffentlichkeit überzeugende Lösung zu finden.
Herr Kollege Jung, soweit Sie Frankfurt angesprochen haben, ergänze ich Ihre Ausführungen um unseren Standpunkt. Frankfurt gehört zu unserem Luftverkehrssystem als ein Standort, der von seiner Bedeutung, seiner Fläche, seiner Kapazität und seiner Leistungskraft her zu den bedeutendsten in der Bundesrepublik Deutschland gehört. Deswegen kann die Vorstellung der Kommission, gespiegelt an den Bedingungen in Frankfurt, nicht unsere Zustimmung finden.
({0})
Es besteht Einmütigkeit darüber, einen gemeinsamen Markt, eine Wirtschafts- und Währungsunion zu erreichen, den freien Verkehr von Waren, Personen, Kapital und Dienstleistungen zu ermöglichen. Auf dem Gebiet der Verkehrspolitik ist unser Prüfstein,
die Mobilitätserfordernisse unserer Bevölkerung mit Klimaschutz und Umweltschutz zu verbinden. Dazu gehören im übrigen auch effizient arbeitende, leistungsfähige Flughafenunternehmen und Flughäfen in der Bundesrepublik Deutschland, die dazu beitragen, den Kurzstreckenverkehr von der Luft auf die Schiene zu verlagern und den kontinentalen und interkontinentalen Luftverkehr auch über deutsche Flughafenunternehmen abzuwickeln. Deutsche Unternehmen befinden sich hier in einem europäischen Wettbewerb.
Prüfsteine bleiben für die SPD ein hohes Beschäftigungsniveau, ein hohes Maß an sozialem Schutz und die Hebung der Lebensqualität - alles Zielrichtungen des Vertrages über die Europäische Union. Wir wehren uns gegen alle Bestrebungen, unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs und der Öffnung bei Dienstleistungen dort, wo sie weder wettbewerbsgerecht noch von den Bedingungen der Kapazität her erbracht werden können, eine Minderung der Qualität der Arbeitsplätze hinzunehmen.
({1})
Der Straßengüterverkehr in Europa ist ein deutliches Beispiel dafür, wie europäische Zielrichtungen ins Gegenteil verkehrt werden können, wenn die Bedingungen der Harmonisierung nicht erfüllt werden und sich die Bedingungen der Arbeitsplätze und die sozialen Bedingungen insgesamt auch für das deutsche Verkehrsgewerbe verschlechtern.
Deswegen wird die SPD bei der Formulierung der Standpunkte bei europäischen Rechtssetzungsakten immer nach dem Prüfstein vorgehen: Beschäftigung sichern, sozialen Schutz gewährleisten, Effizienz im Wettbewerb und Qualität des Wettbewerbs in fairer Weise sicherstellen.
({2})
Die Verträge über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1957 sprachen in diesem Zusammenhang von redlichem Wettbewerb in einer kontrollierten Marktordnung. Dies gilt insbesondere auch für die Politik unserer Luftfahrtunternehmen und der Flughafenunternehmen.
Wir sehen vor allem die Aufgabe, daß im Europa zusammenwachsender Regionen auch die Flughafenunternehmen und deren Standorte ihren Beitrag leisten zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, zu einer aktiven Umwelt- und Raumordnungspolitik. Hier haben Sie, Kollege Jung, die Raumordnungsregion Hessen und den Standort Frankfurt sehr deutlich herausgestellt. Wir teilen diese Auffassung und werden sie auch gemeinsam vertreten.
Die Vorstellungen der Kommission stoßen allerdings auf erhebliche Bedenken. Nicht zu verkennen ist auf der einen Seite die Schwierigkeit für deutsche Luftfahrtunternehmen, sich in anderen Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaft einem fairen Wettbewerb stellen zu können, auch im Bereich der Bodenabfertigungsdienste. Wir müssen uns dem stellen und diesen Besorgnissen nachgehen.
Die Kommission verletzt nach unserer Auffassung aber das Gebot der Subsidiarität, indem sie dem deutschen Gesetzgeber über die grundlegende Zielrichtung hinaus noch vorschreiben will, wie er bis ins kleinste Detail eine solche Richtlinie umzusetzen hat.
({3})
Außerdem - das ist in dem Kommissionsvorschlag noch viel zu wenig zum Ausdruck gekommen - geht es um grundlegende europarechtliche und verfassungsrechtlich gesetzte Grundrechte auf Eigentum. Gerade hier würde uns als deutschem Gesetzgeber sehr viel abverlangt. Ich habe sogar große Zweifel, ob nicht Artikel 14 des Grundgesetzes - Sie haben die Eigentumsfragen der deutschen Flughafenunternehmen angesprochen - es erfordert, bei der Umsetzung dieser Richtlinie der Bodenabfertigungsdienste das Gebot der Einstimmigkeit zu verlangen.
({4})
Der Richtlinienentwurf sichert nicht die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Flughäfen im europäischen Leistungsvergleich, und er fördert jedenfalls auch nicht den sinnvollen Interessenausgleich zwischen deutschen Luftfahrtunternehmen und den deutschen Flughafenunternehmen. Darauf kommt es uns an. Wir wollen fairen Wettbewerb sicherstellen, Besorgnissen der Luftfahrtunternehmen nachgehen, aber vor allem auch die Arbeitsfähigkeit der deutschen Flughafenunternehmen sicherstellen. Sie sind keine Zentralverwaltung, wie die Kommission es dem deutschen Gesetzgeber aufzuerlegen versucht. Sie sind privatwirtschaftlich geführte Beteiligungsgesellschaften, zwar in der öffentlichen Hand, aber - das ist der Unterschied gegenüber früheren Jahren der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland nach Wiedererlangen der Souveränität - auf eigene Leistungen angewiesen, um damit auch die Investitionen sicherzustellen. Wir erwarten, daß der Luftverkehr zu 100 % seine Kosten deckt, und dazu gehören auch die deutschen Luftfahrt- und Flughafenunternehmen, die heutzutage als privatwirtschaftlich geführte Beteiligungsgesellschaften ihre Leistungen selbst verdienen müssen, und sie tun dies in besonderer Weise.
({5})
Deswegen sind wir sehr dafür, auch im Einvernehmen mit den Gewerkschaften und Betriebsräten bei den deutschen Flughafenunternehmen, daß wir gemeinsam eine Regelung für die Kostentransparenz finden sollten. Klarheit und Wahrheit für die Nutzer, wenn es um die Kosten der Leistungen an den deutschen Flughäfen geht. Bei gutem Willen aller Beteiligten halte ich dies für erreichbar.
Deswegen möchte ich Sie dazu aufrufen, daß wir gemeinsam mit den Kollegen im Europäischen Parlament nun eine Reihe weiterer Schritte unternehmen - wir sind erst am Anfang der Erörterung -: Ich erwarte nach der einstimmigen Entscheidung des Bundesrates, der sich nachhaltig gegen diese Richtlinie ausgesprochen hat, daß wir nun gemeinsam prüfen, wie soziale Belange, die Zahlen und die Qualität der
Arbeitsplätze, die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen, die Qualifikationsanforderungen an das Personal bei der Durchführung luftseitiger Bodenverkehrsdienste sichergestellt werden.
Das, was sich Bürokraten in Brüssel ausgedacht haben, schreit wirklich zum Himmel.
({6})
20 neue Verwaltungsverfahren - da kommt beim Bürokraten Freude auf, aber nicht beim Gesetzgeber. Denn uns würde abverlangt, dies alles in nationales Recht, in Gesetze und Verordnungen umzusetzen. Deswegen lehnen wir ein solches bürokratisches Monster ab. Es ist ein Übermaß an Regelungs- und Kontrolldichte vorhanden. Wir sollten deswegen auf Wiedervorlage bestehen. Wir sind am Anfang des Erörterungsverfahrens. Wir erwarten von der Bundesregierung, Herr Kollege Nitsch, daß in der anstehenden Sitzung des Verkehrsministerrates diese Erörterung - es wird nach dem gegenwärtigen Stand eine Orientierungsaussprache sein - absolute Chefsache ist und bleibt.
Zweitens erwarten wir von der Kommission, daß sie das Beschwerdeverfahren, das vor der Kommission zur Zeit gegen Frankfurt betrieben wird, für die gesamte Zeit der Erörterung dieser Richtlinie aussetzt und nicht einseitig Entscheidungen trifft,
({7})
die letzten Endes nur vom Europäischen Gerichtshof überprüft werden könnten, aber dem Europäischen Parlament jede Möglichkeit nähme, sich in irgendeiner Weise an diesem europäischen Rechtsetzungsakt zu beteiligen.
Wir erwarten von unseren Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament, daß wir, wie wir es durch gemeinsame Sitzungen in Brüssel bewiesen haben, diesen engen Kontakt des Austausches der parlamentarischen Standpunkte weiterführen. Deswegen begrüße ich es sehr, daß wir heute gemeinsam darüber sprechen.
Ich erneuere das ständige Gesprächsangebot an die deutschen Flughafenunternehmen, an die deutschen Luftverkehrsunternehmen und an ihre Betriebsräte. Wir werden diesen Prozeß der Erörterung in Brüssel gemeinschaftlich begleiten.
Wir erwarten in Zukunft einen qualifizierten, fairen Wettbewerb, die Wahrung des sozialen Friedens bei der Erörterung dieser Richtlinien.
Wir wehren uns gegen gering qualifizierte, niedrig bezahlte, sozial unzureichend abgesicherte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der deutschen Luftverkehrswirtschaft.
({8})
In dem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu dieser Beschlußempfehlung.
Wir erwarten im Lichte der Orientierungsaussprache, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, und vor der Beratung des Standpunktes im September erneute Unterrichtung des Verkehrsausschusses, so daß das Parlament in den nächsten Wochen und Monaten Gelegenheit hat, der Bundesregierung unseren Standpunkt mit auf den Weg zu den Verhandlungen in Brüssel zu geben.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort bekommt nun der Abgeordnete Albert Schmidt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn zu so später Stunde im Bereich des Luftverkehrs ausgerechnet über die Bodendienste gesprochen wird, dann sollte man vielleicht keine parlamentarischen Höhenflüge erwarten.
Kollege Ibrügger, was Sie konstruiert haben, war zum Teil schon ein Höchstflug, eine Höchstanstrengung. Was Sie alles in diese Richtlinie der EU hineingeheimnist und hineininterpretiert haben, was überhaupt nicht drinsteht, ist zum Teil schon großartig gewesen.
Da hat mir - das muß ich ehrlich sagen - die Rede des Kollegen Jung, der die verschiedenen Positionen und Interessenkonflikte in dieser Hinsicht sachlicher und ausgewogener dargestellt hat, an dieser Stelle besser gefallen.
({0})
Nun aber zur Sache. Was ich besonders erstaunlich finde, ist: Die Beschlußempfehlung, die im Verkehrsausschuß mit den Stimmen der Koalitionsmehrheit zustande gekommen und heute Diskussionsgegenstand ist, richtet sich im Klartext gegen eine Richtlinie der EU zur Liberalisierung der Bodenverkehrsdienste. Daß eine solche Richtlinie zur Liberalisierung ausgerechnet von den Liberalen mit verhindert werden soll, ist schon ein politischer Treppenwitz. Das kann an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Das ist ein Gangway-Witz.
({1})
Was ist denn der Kern der Debatte? Nach der Liberalisierung der Luftfahrt in ihrem Kernbereich auf europäischer Ebene durch die Schaffung des gemeinsamen Marktes 1993 will die EU mit dieser Richtlinie nunmehr sicherstellen, daß auf allen europäischen Flughäfen, also auch auf den deutschen, die Bodendienste liberalisiert werden. Das bedeutet, daß private Firmen, insbesondere auch Fluggesellschaften, als Anbieter dieser Dienste auf dem Flughafenvorfeld auftreten können: beim Be- und Entladen der Flugzeuge, bei der Reinigung, bei der Flugzeugwartung usw. Dieses Ziel der EU-Richtlinie wird von allen 95 in Deutschland tätigen Fluggesellschaften, einschließlich der Lufthansa, ausdrücklich unterstützt.
({2})
Getreu der Devise von der Öffnung der Märkte soll es auch in diesem Bereich keine Monopole mehr geben, Herr Kollege Friedrich, wie z. B. auf dem Flughafen Frankfurt, wo in Teilbereichen ein solches Monopol zugunsten der FAG durchaus noch existiert und somit Konkurrenz im Moment zumindest teilweise noch ausgeschlossen ist.
({3}) Das ist der eine Vorgang.
Jetzt komme ich zu dem anderen Vorgang. Wegen dieser rechtlich unhaltbaren Situation in Frankfurt läuft derzeit ein Verfahren der Europäischen Kommission gegen die FAG, und zwar wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht, nicht wegen dieser Richtlinie. Daß Sie an dieser Stelle die Bundesregierung unverhüllt auffordern, sie möge in dieses Beschwerdeverfahren eingreifen, das, finde ich, ist schon ein unerhörter Vorgang.
({4})
- Dann will ich Sie, Herr Kollege Ibrügger, gern an dieser Stelle mißverstanden haben; denn der andere Fall wäre beispiellos.
Dieses Verfahren - das sage ich Ihnen ganz klar; das prophezeie ich von dieser Stelle aus - wird die FAG verlieren; vor dem Europäischen Gerichtshof wird sie ebenfalls keinen Erfolg haben, wenn sie das anschließend versuchen sollte; denn die Rechtsgrundlagen sind eindeutig.
Mit dem Wettbewerb leben, das ist immer ein Stück unbequemer. Das ist klar; das erfordert mehr Phantasie.
({5})
Es müssen Kunden überzeugt werden; man muß wach sein. Das sollte sich die FAG bei ihren gigantischen Umsatzsteigerungen der letzten Jahre ruhig zutrauen. Konkurrenz belebt das Geschäft. Das Merkwürdige ist nur, daß gerade ich das an dieser Stelle erklären muß.
({6})
Ernster, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, sind die Bedenken der Gewerkschaften zu nehmen. Das ist eine andere Geschichte; da geht es um die Arbeitsplätze der bisher Beschäftigten. Aber die Zementierung von Wettbewerbsverzerrung als Grundlage zu nehmen, um auf Dauer für die soziale Absicherung von Beschäftigten zu sorgen, das kann nicht der Weg sein.
Albert Schmidt ({7})
Überdies sieht die EU-Richtlinie mehrjährige Übergangsfristen vor - es wird niemand in das kalte Wasser geworfen -; sie gestattet ausdrücklich Ausnahmen bei beeinträchtigter Kapazität.
Diese Beeinträchtigung der Kapazität nachzuweisen ist allerdings nicht Sache des Deutschen Bundestages, sondern Sache der FAG im Verfahren bei der Kommission in Brüssel. Wer ja sagt zur Liberalisierung und Harmonisierung der Märkte, der muß auch an dieser Stelle ja sagen zur uneingeschränkten Öffnung der Bodendienste für weitere Anbieter; denn wer A sagt, muß auch B sagen; sonst fallen Sie hinter Ihre eigenen Ansprüche zurück. Wir sehen es nicht als Aufgabe des Deutschen Bundestages an, in dieses Beschwerdeverfahren einzugreifen, und deshalb werden wir an dieser Stelle die Beschlußvorlage des Verkehrsausschusses nicht unterstützen.
({8})
Das Wort hat nun der Abgeordnete Horst Friedrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Herr Kollege Schmidt, ich habe es Ihnen im Ausschuß schon erklärt: Es ist bezeichnend, wenn ein Pädagoge einem Betriebswirt zu erklären versucht, wie Wirtschaft funktioniert. Ich will versuchen, Ihnen jetzt zu erklären, was die Unterschiede sind.
Die Liberalen haben überhaupt nichts gegen eine Liberalisierung der Bodenabfertigungsdienste auf deutschen Flughäfen, weil sie die konsequente Fortsetzung der Deregulierungspolitik in der Luftfahrt ist, die 1978 in Amerika begonnen wurde, die 1980 über dem Nordatlantik fortgesetzt wurde und die seit 1. Januar 1993 im europäischen Luftverkehr gültig ist. Dazu gehören selbstverständlich auch die Flughäfen. Aber die deutsche Verkehrspolitik, insbesondere auch die liberale, ist natürlich auch dem National Carrier und auch den anderen Fluglinien, die Deutschland anfliegen, verpflichtet. Ich muß also das Thema aus zweierlei Blickwinkeln betrachten, und das auch noch vor dem Hintergrund der sogenannten Harmonisierung in Europa, was die anderen Verkehrsträger angeht.
Eines sollten wir, glaube ich, hier im Konsens beschließen: Solche Probleme, wie wir sie in anderen Bereichen hatten, sollten mit dieser Richtlinie nicht noch einmal neu geschaffen werden.
In welchem Kostenrahmen findet das statt, was die Lufthansa angeht? Im Jahre 1993 hat die Lufthansa 1 072 Millionen DM ausschließlich für ihre eigenen Abfertigungsleistungen bezahlt; davon sind 682 Millionen in Europa bezahlt worden, und davon wiederum 619 Millionen in Deutschland. Das heißt, dabei handelt es sich schon um einen gewichtigen Kostenfaktor, wenn man einmal davon ausgeht, daß die behauptete Kostenersparnis von 30 % - das sind rund 200 Millionen DM - zutrifft. Wenn man sich das Jahresergebnis der Lufthansa jetzt anschaut, wird man feststellen, daß das eine tolle Gewinnsteigerung wäre. Das ist die eine Seite.
Nun komme ich zu der anderen Seite. Es gibt in Europa sehr viele Flughäfen, auf denen die Monopolsituation deutlich stärker als in Frankfurt ausgeprägt ist. Bei der von der IATA aufgestellten „Standard Ground-Handling Agreement' -Liste, Annex A, gibt es 59 Positionen; davon sind in Frankfurt 48 dem Wettbewerb geöffnet. Elf davon - das sind ausschließlich die Dienste im Vorfeld; gerade da, wo Frankfurt effektive Probleme hat - sind nicht dem Wettbewerb geöffnet, sondern sie sind jetzt noch Monopolbetrieb. Um diese Themen geht es; deswegen wird geklagt. Ich frage mich allerdings schon, warum Frankfurt beklagt wird, während in Spanien bei 100 % Closed Shop durch den National Carrier dort, nämlich die Iberia, nicht geklagt wird.
Man sollte versuchen, sich auch noch über etwas anderes Gedanken zu machen, dies ist die andere Seite der Situation. Selbstverständlich taucht auch das Problem der Arbeitsplätze auf. Hier kann ich Ihnen nicht ganz folgen. Hier sieht man den Unterschied zwischen Wettbewerb in der Theorie und in der Praxis. Wenn ich als Ansatz eine Leistung von 100 % nehme, einen Monopolisten habe und dieser durch den Wettbewerb gezwungen wird, 25 oder 30 % seiner Leistung abzugeben, baut dieser selbstverständlich auch Personal ab. Die anderen, die diese 30 % übernehmen, werden Personal nur in dem Umfang einstellen, wie sie Leistungen erbringen müssen. Im besten Fall wird die Zahl unter dem Strich die gleiche bleiben, wahrscheinlich wird sie niedriger werden. Das Argument, daß mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, muß noch einmal sehr gründlich untersucht werden.
Daß die Länder diese Richtlinie einstimmig abgelehnt haben, ist bereits gesagt worden. Ich zitiere nun aus dem Vorschlag der Kommission, in dem steht:
Der Zugang muß von Fall zu Fall so gestaltet werden, daß die Funktionsfähigkeit der Flughafeneinrichtungen gewährleistet wird. Erforderlich ist ein differenziertes Vorgehen, bei dem die Art der verschiedenen Dienste, die Intensität der Sachzwänge und die spezifischen Probleme der einzelnen Flughäfen berücksichtigt werden.
Besser kann man es nicht formulieren. Aber die von mir zitierten und von der Kommission aufgestellten Kriterien für die Richtlinie müssen nachher auch tatsächlich umgesetzt werden. Dann kommen wir wieder zusammen, Herr Kollege Schmidt. Dann werden wir tatsächlich einen Wettbewerb haben, der auch ein solcher ist, weil er unter gleichen Bedingungen stattfindet, und keinen Wettbewerb, der neue Ungleichgewichte schafft. Dies ist nämlich kein Wettbewerb; einen solchen wollen wir auch nicht. Das ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Dies ist die Situation.
Sehen Sie sich zum Schluß Schiphol als den vergleichbaren Flughafen an. Dort fertigt die Firma Ogden zu deutlich günstigeren Preisen als andere ab. Die Qualität ist jedoch deutlich schlechter. Dies will auch niemand. Die KLM, die ebenfalls in Schiphol abfertigt, fertigt zu deutlich höheren Preisen ab, obHorst Friedrich
wohl sie zwei Drittel der Kapazität abfertigt. Wenn man Vergleiche anstellt, muß man dies sachlich, in aller Ruhe und ohne die Aufgeregtheiten der letzten drei Monate machen.
Die Kommission muß mit Sicherheit über bestimmte Themen noch einmal nachdenken. Dies trifft insbesondere zu auf die Verlagerung der Kosten der Flughafengesellschaften auf die öffentliche Hand und auf den Aufbau einer immerhin sehr aufwendigen Verwaltungs- und Clearingkommission. Dies kostet auch alles Geld. Noch einmal in Ruhe über das Thema nachdenken und dann eine für beide Seiten befriedigende Lösung anbieten sollte das Ziel unserer Politik im Verkehrsausschuß sein.
({0})
Ich erteile nun der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer jahrelang - auch bei den Verhandlungen über den Vertrag von Maastricht - das Geschäft der Liberalisierung und des Wettbewerbs betreibt, ohne sich vorher um eine wirkliche Harmonisierung zu bemühen, darf hinterher nicht meckern, wenn er es dann mit Problemen zu tun bekommt wie jetzt u. a. beim Luftverkehr. Im Fall der geplanten Marktöffnung bei der Bodenabfertigung auf Flughäfen zeigt sich ganz deutlich, daß die Bodenabfertigungsdienste europaweit völlig uneinheitlich gehandhabt werden, von Harmonie also meilenweit entfernt sind.
Da aber eine weitgehende Liberalisierung nun einmal beschlossen wurde, das Kind also sozusagen im Brunnen liegt, hilft es auch nicht weiter, jetzt mahnend mit dem Finger auf die Verantwortlichen zu zeigen. Dafür ist es um so wichtiger, daß die Bundesregierung in den Verhandlungen über die Kommissionsrichtlinie an verschiedenen Punkten Korrekturen einfordert:
Erstens. Die PDS plädiert für eine Integration des Flugverkehrs in die Bundesverkehrswegeplanung und hat dazu einen Antrag eingebracht. Wir fordern für den Verkehrsbereich eine Gesamtplanung und damit auch eine staatliche Verantwortung. Es kann aber nicht sein, daß in der Richtlinie von einer öffentlichen Haushaltsfinanzierung der Luftverkehrsinfrastruktur ausgegangen wird, der Staat aber zur Vorhaltung, Erweiterung und Finanzierung von Infrastruktur durch Dritte verpflichtet werden kann.
Zweitens. Eine Marktöffnung für Bodenabfertigungsdienste hat natürlich auch Auswirkungen auf die Arbeitsplätze im Flughafenabfertigungsbereich. Herr Friedrich hat darauf schon hingewiesen. Hier ist darauf hinzuwirken, daß diese Arbeitsplätze erhalten bleiben, daß sie vor allem unter Wahrung der erreichten sozialen Standards erhalten bleiben. Auf keinen Fall dürfen die sozialen Fragen bei der Behandlung der Richtlinie ausgeklammert werden.
({0})
Herr Kollege Jung, ich staune über das plötzliche soziale Engagement der Koalition, aber der Braten ist meilenweit zu riechen.
(Michael Jung ({1}) ({2}): Sie
haben es nur nicht vorher bemerkt!)
Drittens. Einschnitte in Sicherheitsstandards - insbesondere der luftseitigen - darf es nicht geben. Ohne klares Festschreiben dieser Rahmenbedingungen ist die Richtlinie jedenfalls nicht annehmbar.
Ansonsten werden sich, Kollege Friedrich, die Flughafenuntemehmen wohl an Wettbewerb gewöhnen müssen.
({3})
Es ist jedenfalls nicht einsichtig, daß ausgerechnet im Sektor Bodenabfertigung aus einer Monopolstellung heraus Preise nach freiem Ermessen und auf wenig transparente Weise festgesetzt werden können.
({4})
Das jedenfalls habe ich inzwischen von Marktwirtschaft begriffen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Richtlinienvorschlag der Europäischen Union, Drucksachen 13/1337 und 13/1468. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Beschlußvorschlag angenommen.
Ich rufe Punkt 11 und den Zusatzpunkt 5 der Tagesordnung auf:
11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bierstedt, Dr. Christa Luft und der Gruppe der PDS
Wiedereinführung einer Investitionszulage für den kleinen und mittelständischen Einzelhandel
- Drucksache 13/859 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({0}) Ausschuß für Wirtschaft
ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Kaspereit, Christian Müller ({1}), Dr. Uwe Jens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Wiedereinbeziehung des ostdeutschen mittelständischen Handels in die Investitionszulagenregelung
- Drucksache 13/1541 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({2})
Ausschuß für Wirtschaft
Interfraktionell ist für die gemeinsame Aussprache. eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Wolfgang Bierstedt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie Ihnen bekannt ist, hat die Bundesregierung den mittelständischen Handel in den neuen Bundesländern im Jahr 1993 aus der Investitionszulagenregelung herausgenommen. Gegenwärtig wird in den neuen Bundesländern erneut und nachdrücklich die Forderung erhoben, den mittelständischen, inhabergeführten Groß- und Einzelhandel wieder in die zehnprozentige Investitionszulage aufzunehmen. Dies hat dazu geführt, daß die Bundestagsgruppe der PDS - u. a. auch auf Anregung des SPD-Wirtschaftsministers von Sachsen-Anhalt - am 20. März den vorliegenden Antrag im Deutschen Bundestag gestellt hat.
Der mittelständische Groß- und Einzelhandel in den neuen Bundesländern hat in den letzten Jahren eine schwierige Wegstrecke zurückgelegt. Diese Unternehmen haben sich im Markt gegen kapitalstarke und expansive westdeutsche Handelsketten und Filialisten zu behaupten - hauptsächlich in den Innenstädten, aber vor allen Dingen auch im ländlichen Bereich. In den Innenstädten haben sich Shopping-Center und Einkaufspassagen nicht so schnell entwickeln können - u. a. auch in Folge der unsäglichen Politik „Rückgabe vor Entschädigung" und horrender Gewerberaummieten - wie die einfachen Strukturen auf der grünen Wiese.
Es vollzog sich ein existenzbedrohender Wettbewerb zwischen Fach- und Einzelhandel in den Innenstädten und auf den Dörfern gegen Einkaufsparks, Fachmärkte und Discounter auf der grünen Wiese. Die Innenstädte drohen jetzt zunehmend zu veröden. Der mittelständische Handel wird chancenlos, weil außerhalb der Städte das Angebot übergroß geworden ist. Derzeit sind 340 großflächige Einkaufszentren im Bau. Bis 1997 sollen weitere 250 auf der grünen Wiese folgen. Damit werden mit 20 Millionen Quadratmetern Verkaufsfläche im Osten die gleichen Werte wie in den alten Bundesländern erreicht. Zumindest hier haben wir schon einmal einen Gleichstand erreicht. Allerdings haben wir bloß 20 % der Bevölkerung.
In den neuen Bundesländern beträgt der Anteil an peripheren Verkaufsflächen mittlerweile 53 %, während er in den alten Bundesländern nur 22 % erreicht. In Cottbus stehen gegenwärtig 2,5 Quadratmeter Verkaufsfläche je Einwohner zur Verfügung. Ich glaube, das ist eine ziemlich zweifelhafte Spitzenposition für den Osten.
({0})
- Ja, es ist Gott sei Dank nicht mehr so eng. Das ist richtig.
Diese Unproportionalität in den angebotenen Verkaufsflächen und den sich daraus ergebenden Konsequenzen veranlaßt sogar Warenhausketten, ihre Warenhäuser in Innenstädten zu schließen - so geschehen in Gotha, Berlin und Dessau. Die beiden Städte Chemnitz und Schwerin erhalten erst gar keine Warenhäuser.
Im ersten Quartal 1995 erfolgten in der Stadt Halle im Handel 264 Gewerbeabmeldungen gegenüber 309 Gewerbeanmeldungen. In Magdeburg war das Verhältnis 231 zu 284. An den Insolvenzen im Land Sachsen-Anhalt ist der Handel neben dem Baugewerbe überproportional mit einem Anteil von 20 % beteiligt.
Bei unserem Antrag denken wir natürlich insbesondere an die Erhaltung des familiengeführten Einzelhandels auf dem Land; denn gerade in den Dörfern wirkt sich das Sterben der Einzelhändler verheerend auf die Einkaufsmöglichkeiten der Bewohner aus. Besonders für ältere Bürger ohne Auto und bei zunehmend schlechteren Verkehrsverbindungen wird der Einkauf zu einem echten Alltagsproblem.
Nun liegt im Finanzausschuß dieses Hauses ein Entwurf des Jahressteuergesetzes vor, in welchem der Vorschlag der PDS zumindest aufgegriffen wurde. Darin wird jedoch nach Auffassung unserer Gruppe der Rahmen der Nutzer dieser Investitionshilfe gesprengt. Es geht um Betriebe mit bis zu 50 Beschäftigten. Wir, die Gruppe der PDS, dachten eigentlich mehr an Familienbetriebe, an die sogenannten Tante-Emma-Läden mit einer maximalen Mitarbeiterzahl von etwa zehn Personen oder einem Jahresumsatz von unter 5 Millionen DM.
Bei der von der Regierung vorgegebenen Betriebsgröße würden hauptsächlich Filialisten und Handelsketten die Nutznießer dieser beabsichtigten Vorteile sein.
Wenn man die Zahlen in dem seit gestern vorliegenden ähnlich lautenden Antrag von der SPD zu diesem Thema glauben darf - und ich denke, man kann ihnen glauben -, dann beschäftigen 140 000 ostdeutsche Einzelhändler im Durchschnitt ca. 3,5 Mitarbeiter. Hier müßte die SPD erklären, ob sie bei einer Grenze von ebenfalls 50 Mitarbeitern - Punkt 1 und 2 des vorliegenden SPD-Antrags - die selbständigen mittelständischen Unternehmen in den neuen Bundesländern tatsächlich unterstützen will.
Ich weiß natürlich, daß die Durchschnittszahl so eine Sache ist. Sie wissen ja, obwohl der Graben im Durchschnitt nur einen halben Meter tief war, ist die Kuh trotzdem ersoffen.
Auch wenn die Betreiber und Inhaber der kleinen Handelseinrichtungen nicht unbedingt zur Klientel der PDS gehören - ich meine, was nicht ist, kann ja noch werden -, wollen wir uns für ihre Interessen einsetzen. Wir verbinden hiermit die Hoffnung, daß sich damit auch die teilweise recht bescheidene Einkommenssituation der lohnabhängig Beschäftigten in diesen Handelseinrichtungen verbessern könnte, wenn der immense wirtschaftliche Druck, der auf diesen Einrichtungen lastet, zumindest teilweise reduziert wird.
Eigentlich habe ich damit gerechnet, daß eine Zwischenfrage kommt, was denn die DDR und die alte SED vor 1989 mit dem Einzelhandel gemacht haben. Schade, daß Sie das nicht gemacht haben. So kann ich das leider nicht erklären. Ich sage es jetzt einfach noch einmal:
Sehen Sie unseren Antrag einfach ein bißchen als Wiedergutmachung, denn die SED hat sich tatsächlich in der DDR um den Einzelhandel wenig gekümmert. Stimmen Sie unserem Antrag zu und geben Sie uns die Chance, daß wir ein bißchen was gutgemacht haben!
Ich bedanke mich.
({1})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Hans Michelbach.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Mitglieder der Koalitionsfraktionen haben in der gestrigen Finanzausschußsitzung gegen die Stimmen der Opposition das von uns eingebrachte Jahressteuergesetz 1996 durchgesetzt. Neben Steuerentlastungen und -vereinfachungen für die Bürger ist dabei auch die Verlängerung und Verbesserung der Investitionsförderung für die neuen Bundesländer bis 1998 schon beschlossen.
Allein durch die Fördermaßnahmen in den ostdeutschen Ländern entsteht ein Investitionsimpuls in Höhe von nahezu 26 Milliarden DM.
({0})
Das Jahressteuergesetz ist damit insgesamt ein einmaliger Kraftakt für die wirtschaftliche Entwicklung in Ost und West. Es stärkt den Aufschwung, es bringt durch den Familienleistungsausgleich und den neuen Tarif mit der Freistellung des Existenzminimums eine Steuerentlastung für die Bürger in Höhe von über 22 Milliarden DM.
({1})
Über diese Stärkung des privaten Verbrauchs wird die mittelständische Wirtschaft, insbesondere auch der Handel, wichtige neue, zusätzliche Impulse erhalten. Die mittelständische Wirtschaft profitiert außerdem von den beschlossenen Verbesserungen bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer, bei Betriebsübergaben, bei den höheren Verpflegungspauschalen für Handwerk und Gewerbe und natürlich von der Verbesserung der ostdeutschen Investitionsförderung, um die es hier und heute zu später Stunde konkret mit der Handelförderung geht.
Obwohl bereits alles schon beschlossen ist, debattieren wir hier und heute über den Antrag der Gruppe der PDS und natürlich auch den nachgeschobenen SPD-Antrag von gestern, der - und das befremdet mich - sinngemäß alle Ausführungen der PDS wiederholt. Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das macht ja nichts, so schließt sich dann wenigstens der Kreis wieder. Wir haben die Probleme schon gelöst, und Sie stellen die gleichen Anträge.
Die PDS hat ja auch abgeschrieben, nämlich aus unserer Koalitionsvereinbarung und aus dem Jahreswirtschaftsbericht 1995 der Bundesregierung. So versucht man bei der Opposition,
({2})
eigene Ideenlosigkeit zu vertuschen.
({3})
Ich mußte bei Ihnen wirklich mehrfach hinsehen, konnte ich es doch eigentlich nicht glauben, daß es ausgerechnet die PDS ist, die einen Antrag zum Thema Wirtschafts- und Einzelhandelsförderung einbringt, daß es ausgerechnet die Nachfolgepartei der SED ist, die sich - wie neuerdings auch die SPD - dem Mittelstand geradezu anbiedert und jetzt scheinbar auch den mittelständischen Handel als neues politisches Aktionsfeld entdeckt hat.
({4})
Dabei waren es doch gerade Sie, die für die desolate wirtschaftliche Situation der ostdeutschen Wirtschaft und des Mittelstandes verantwortlich zeichnen und Tausende selbständiger Existenzen in Ostdeutschland auf schäbige Art und Weise vernichtet haben.
({5})
Denken Sie einmal an die Familien, die Sie damit in der Vergangenheit vernichtet haben!
Der plötzliche Einsatz der PDS für den Mittelstand ist für mich deshalb genauso glaub- bzw. unglaubwürdig, als würde sich Ihr Herr Gysi selbst zum Hüter der Stasi-Akten machen. Sie verfahren nach dem Rezept: Man nehme Porzellan, werfe es mit Schwung zu Boden, vollziehe eine Kehrtwendung und versuche dann, den selbstverursachten Scherbenhaufen schnell wieder zusammenzuflicken.
Die PDS hatte genug Zeit, zu beweisen, was sie von ökonomischen Zusammenhängen und Wirtschaftsförderung versteht - nämlich rein gar nichts. Sie haben die Wirtschaft der DDR so zugrunde gerichtet, daß es vieler Milliarden DM und immenser Kraftanstrengungen der Bürger in den neuen Bundesländern bedurfte, um den mittlerweile in Gang gekommenen Aufschwung einzuleiten.
Sie, meine Damen und Herren von der PDS, sollten die Konzipierung von Wirtschaftsförderungsmaßnahmen somit besser denjenigen überlassen, die etwas davon verstehen und die das Vertrauen der Bürger in wirtschaftlichen Fragen genießen: den Politikern der Union, die mit wirtschaftlicher Kompetenz -
Herr Kollege Michelbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bierstedt?
Sehr gerne, Herr Präsident.
Bitte.
Herr Michelbach, eigentlich verbietet die Art Ihrer Ausführung von selbst, daß man eine Zwischenfrage stellt. Ich stelle trotzdem eine. Was halten Sie davon, daß vor knapp drei Wochen im Wirtschaftsausschuß Ihr Parteikollege Herr Hinsken, nachdem er nicht richtig hingeschaut hatte, unserem Antrag spontan zugestimmt hat und die Förderung, die dort gefordert war, auch für seinen Betrieb in Bayern einklagte? Wie stehen Sie denn eigentlich dazu?
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Ich kenne den Kollegen Hinsken. Er weiß ganz genau, daß das Ganze im Jahressteuergesetz beinhaltet ist. Er ist Landesvorsitzender der Mittelstandsarbeitsgemeinschaft in der CSU und hat es mit uns auch genauestens abgesprochen. Herr Staatssekretär Dr. Faltlhauser ist hier Zeuge, daß das eine einmütige Entscheidung war, und zwar schon lange vor Ihren Anträgen.
Deswegen können wir allein auf Grund der Termine deutlich machen, daß Sie es einfach abgekupfert haben
({0})
und sich jetzt mit Schaufensteranträgen dem Mittelstand in den neuen Bundesländern anbiedern und nichts anderes. Es muß hier deutlich gemacht werden, was Sie für eine Politik betreiben.
({1})
Angesichts eines derartigen Pseudo-Wirtschaftsprogrammes können wir diese Anträge mit Sicherheit nicht verwirklichen.
Als selbständiger Unternehmer betrachte ich es als großen Erfolg für die Entwicklung des Mittelstandes, daß die CDU/CSU am Mittwoch dieser Woche im Finanzausschuß die Einbeziehung des ostdeutschen mittelständischen Groß- und Einzelhandels in die zehnprozentige Investitionszulage im Rahmen des Jahressteuergesetzes 1996 schon durchgesetzt hat.
Konkret: Betriebe des Groß- oder Einzelhandels mit weniger als 50 Arbeitnehmern können in den neuen Ländern mit der Gewährung einer zehnprozentigen Investitionszulage für nach dem 31. Dezember 1995 begonnene Investitionen mit einem Finanzvolumen unter 250 000 DM rechnen. Das bedeutet eine arbeitsplatzschaffende Handelförderung von immerhin 480 Millionen DM bis einschließlich 1998 bzw. 1999.
({2})
Wir haben durch diese Entscheidung der schwierigen Lage des Groß- und Einzelhandels in den neuen Bundesländern voll Rechnung getragen. Die Betriebe ringen dort vielfach sicher um das Überleben; insbesondere bei den Existenzgründern. Einer Umfrage zur Folge sahen sich im Sommer letzten Jahres noch zwei Drittel der mittelständischen Einzelhandelsbetriebe in ihrer Existenz gefährdet.
Diese Unternehmen kämpfen gegen die Konzentration von Großbetrieben vor den Toren der Städte.
Sie müssen einmal begreifen, daß wir eine freie Marktwirtschaft haben und Sie nicht einfach einen Wettbewerbszaun aufbauen können. Das konnten Sie in Ihrer Staatswirtschaft machen. Wir können dies in einer freien Marktwirtschaft natürlich nicht tun. Deswegen fördern wir jetzt den mittelständischen Handel zielgenau und können damit Wettbewerbschancengleichheit eröffnen.
Diese mittelständischen Unternehmen werden durch die Investitionszulage gestärkt. Die geringe Eigenkapitaldecke wird deutlich aufgestockt. Wir können somit die notwendige Durchführung von Investitionen den Betrieben aus eigener Kraft ermöglichen.
Die in Art. 9 des Jahressteuergesetzes 1996 geregelte Einbeziehung in die zehnprozentige Investitionszulage ist auf diese mittelständischen Betriebe zugeschnitten; sie ist sozusagen maßgeschneidert.
Um Mitnahmeeffekte durch kapitalstarke Konzernbetriebe zu verhindern, wurde die Unterstützung nämlich auf Handelsbetriebe mit Innenstadtlage beschränkt. Das heißt, Unternehmen in Gewerbe-, Industrie- und Sondergebieten sind von der Unterstützung ausgenommen. Das ist sicher gut so, weil wir den Mittelstand im freien Wettbewerb stärken wollen. Genau das haben wir zielgenau unternommen.
({3})
Die spezifische Förderung von Investitionen im innerstädtischen Bereich wird vielfältige Multiplikatoreffekte bewirken. Sie wird auch städtebauliche Reaktionen auslösen: Die wertvolle Bausubstanz kann erhalten werden, die Stadtzentren werden verschönert, sie werden belebt, sie gewinnen an Attraktivität und Lebensqualität. Handelförderung, wie wir sie betreiben, ist somit Innenstadtförderung.
Angesichts des hohen Investitionsbedarfs der Betriebe in den neuen Bundesländern sowie vor dem Hintergrund der Eigenkapitalschwäche der jungen Unternehmen und der damit verknüpften Insolvenzgefahr haben wir mit dieser Förderung eine wichtige Grundlage für die Stärkung des Wirtschaftsmotors Handel geschaffen, die bereits bei Verbänden und Betroffenen auf äußerst positive Resonanz in diesen Tagen gestoßen ist.
Das Innovationspotential des Mittelstandes kann sich entfalten, die Ideen können umgesetzt werden. Die Verwirklichung der Ideen führt zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Unsere Handelförderung ist somit auch eine Beschäftigungsförderung in den neuen Bundesländern.
({4})
Wir haben damit einen wichtigen Schritt zur Stärkung des Mittelstandes und zur Revitalisierung der Innenstädte getan.
({5})
Er wird neue Arbeitsplätze schaffen und der Wirtschaft - angesichts von 480 Millionen DM - neue Impulse geben. Er wird dem Aufschwung noch mehr Elan verleihen.
({6})
Die Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Wirtschaft bitte ich: Schenken Sie diesen Schalmeienklängen der Opposition kein Vertrauen! Nur der klare Weg der Sozialen Marktwirtschaft wird die eigene Leistung belohnen.
Die Union ist die Gründerin und Wahrerin der Sozialen Marktwirtschaft.
({7})
Da brauchen wir von Ihnen keinen Nachhilfeunterricht. Wir brauchen die Soziale Marktwirtschaft nicht neu zu erfinden, wie es Herr Scharping diese Woche auf dem Verbandstag der Volks- und Raiffeisenbanken gefordert hat.
({8})
Wir waren schon immer Verfechter dieser Sozialen Marktwirtschaft. Scharping sagte, das Vertrauen in den Staat sei auch in der SPD im Sinken. Das heißt doch nichts anderes, als daß die Soziale Marktwirtschaft in der SPD nur halbherzig unterstützt wird.
({9})
Nur so kann ich es verstehen.
Wenn Herr Scharping sagt, daß das Vertrauen in den Staat auch in der SPD im Sinken ist, dann wollen Sie halb-halb. Das geht in der Sozialen Marktwirtschaft nicht; da können Sie nur eines machen: entweder für eine freie und soziale Marktwirtschaft sein oder gar nichts sein.
({10})
Wenn Sie die Dinge immer nur halbherzig machen, dann kommen Sie nicht voran.
Wenn Sie wirklich etwas für unsere mittelständischen Betriebe in Ost und West tun wollen, dann stimmen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, dafür, daß die Unternehmensteuerreform mit der Gewerbekapitalsteuerabschaffung und der Reduzierung der Ertragsteuer zu einer Entlastung der Betriebe führt. Dann haben wir durch die Investitionsförderung und durch die Unternehmensteuerreform wirklich etwas für den Mittelstand bewirkt.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat nun die Abgeordnete Sabine Kaspereit.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So viel Vehemenz wie Herr Kollege Michelbach bringe ich zu so später Stunde nicht mehr auf. Ich stehe mit meiner Erstlingsrede vor recht Unentwegten und deshalb sicher auch besonders Interessierten.
({0})
Es ist für mich um diese Zeit eine besondere Trainingseinheit, und ich nehme an, für Sie ebenso. Schön, daß Sie noch da sind.
Meine Damen und Herren, der mittelständische Groß- und Einzelhandel spielt in den neuen Bundesländern eine herausragende Rolle bei der Vermarktung von Produkten aus ostdeutscher Produktion, vor allem der mittelständischen Produktion Ostdeutschlands.
Zirca 140 000 Einzelhändler und 500 000 Beschäftigte bemühen sich um die Versorgung in den neuen Bundesländern und sorgen mithin auch für den Absatz ostdeutscher Produkte. Trotz dieser Leistungen ist der ostdeutsche mittelständische Handel zum Stiefkind der Wirtschaftsförderung geworden.
Die Regierungskoalition wird nie müde, die Bedeutung und Rolle des Mittelstandes in der Marktwirtschaft zu betonen und dieser trivialen Tatsache den Anschein zu geben, als wäre eben diese herausragende Bedeutung des Mittelstandes auf die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zurückzuführen. Doch der Mittelstand beklagt, daß er weder die nötigen Mittel noch den nötigen Stand eingeräumt bekommt.
Getreu dem Motto einer ausgewogenen Wirtschaftspolitik, die in schlechten Zeiten nichts nützt und in guten kaum schadet, ist der mittelständische Handel in Ostdeutschland bisher faktisch ausgeschlossen worden - ausgeschlossen aus der Gemeinschaftsaufgabe, ausgeschlossen von diversen Förderprogrammen, ausgeschlossen aus der fünfzigprozentigen Sonderabschreibung und ausgeschlossen aus der Investitionszulagenregelung, schließlich auch ausgesetzt der übermächtigen Konkurrenz des großflächigen Einzelhandels auf der grünen Wiese.
({1})
Es reicht ja nicht aus, lediglich das produzierende Gewerbe zu fördern. Das, was produziert wurde, muß auch seinen Weg zu den Abnehmern finden. Die schon seit langem bestehende Forderung der
SPD-Fraktion nach Wiedereinbeziehung des ostdeutschen mittelständischen Handels in die Investitionszulagenregelung käme den ostdeutschen Unternehmern in besonderer Weise zugute.
Ergänzend zu der landläufigen Definition einer mittelständischen Unternehmung, die allein auf Umsatz- und Beschäftigtenzahlen beruht, besteht das Besondere des Mittelstandes ja darin, daß die Unternehmung u. a. für den Unternehmer eine dauerhafte Lebensaufgabe darstellt, für den Unternehmer und seine Familie die entscheidende Einkommensquelle ist, daß die mittelständische Unternehmung oft auf kleindimensionierte Warenleistungen und auf kleinräumigen Absatz abzielt und die Kundenpolitik zumeist vom direkten persönlichen Kontakt bestimmt wird, um nur einiges zu nennen.
Diese Besonderheiten, diese Qualitäten mittelständischer Handelsunternehmen prägen die städtische Kultur und tragen zur Attraktivität der Innenstädte entscheidend bei.
Mit der Herausnahme der kleinen Handelsbetriebe 1991 durch die Koalition aus dem Berechtigtenkreis derer, die eine erhöhte Investitionszulage beanspruchen können, hat die Zahl der Existenzgründer drastisch abgenommen. Aktuelle Zahlen belegen inzwischen, daß die Zahl der Gewerbeabmeldungen in diesem Bereich die der Anmeldungen fast schon überschreitet.
({2})
- Fast schon überschreitet! Ich kann Ihnen die aktuellen Zahlen sagen.
Zwei Drittel der noch bestehenden mittelständischen ostdeutschen Handelsbetriebe sehen sich nach einer Umfrage des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels in ihrer Existenz gefährdet. Das sind mehr als 90 000 Händler. Von 500 000 Beschäftigten sind es über 300 000, deren Arbeitsplatz gefährdet ist.
Diese zusammengerechnet fast 400 000 direkt betroffenen Menschen in Ostdeutschland leben in Familien. Wenn wir nur Dreipersonenhaushalte annehmen würden, sind das fast 1,2 Millionen Menschen. Das sind Schicksale, das ist die Realität!
({3})
Die SPD-Fraktion schließt sich deshalb in diesem Punkt der Investitionszulagenförderung dem Änderungsvorschlag zum Jahressteuergesetz 1996 an, der im Finanzausschuß einhellig beschlossen worden ist, und zieht ihren eigenen Antrag auf Wiederaufnahme des ostdeutschen Handels in die Investitionszulagenregelung zurück.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit zu so später Stunde und wünsche Ihnen eine gute Nacht.
({4})
Frau Kollegin Kaspereit, Sie hatten bei Ihrer Erstlingsrede ein besonders freundliches und aufmerksames Publikum. Ich möchte Ihnen herzlich gratulieren.
({0})
Ich erteile nun dem Abgeordneten Jürgen Türk das Wort.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum hat der Einzelhandel keine Investitionszulage mehr bekommen? Es wurde davon ausgegangen, daß sich der Handel auch ohne Startgeld gut entwickelt. Aber in der ersten Euphorie, endlich Westware kaufen zu können, haben die großen Ketten dieses Bedürfnis genutzt - ich will nicht sagen: mißbraucht - und Großmärkte auf grüner Wiese errichtet. Die Kommunen wollten und konnten diesem Druck nicht standhalten.
Jetzt wird festgestellt, daß der mittelständische Einzelhandel dadurch Wettbewerbsnachteile hat. Es ist die gleiche Entwicklung wie in Westdeutschland eingetreten - leider. Das ist jetzt erkannt. Wenn man das erkennt, muß man die Kraft für Korrekturen haben. Die Koalition hat auf Drängen der Abgeordneten der CDU und der F.D.P. aus Ostdeutschland die zehnprozentige Investitionszulage für den kleinen und mittelständischen Einzelhandel in ihr Jahressteuergesetz 1996 installiert.
({0})
- Gut, das gebe ich zu.
Damit erübrigt sich der PDS-Antrag: Für Abschreiben gibt es natürlich eine Fünf. So ist das.
Aber die Erkenntnisse sind natürlich anerkennenswert. Die Investitionszulage ist erforderlich, um den Einzelhändlern eine Chance zum Handicapausgleich zu geben, d. h., die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Ketten ist zu stärken. Das heißt auch, zum einen die Attraktivität der Geschäfte zu erhöhen, ohne die Kosten auf die Preise umlegen zu müssen, und so mit den Großmärkten mithalten zu können. Das bedeutet zum anderen aber auch, daß die Kommunen einen Nachteilsausgleich gewähren müssen, wenn nachweislich durch die Gott sei Dank große Bautätigkeit in den Städten die Erreichbarkeit der Läden so eingeschränkt war, daß große Umsatzeinbußen entstanden sind. Das gilt z. B. auch für Cottbus, wo ich herkomme und wo nicht nur der Handel boomt.
Ein Besuch der Händler aus der Cottbuser Region in der AG Mittelstand der F.D.P.-Fraktion hat gezeigt, daß man auch etwas gegen Ladendiebstahl machen muß, z. B. durch bessere Polizeipräsenz, daß man, Herr Borchert, natürlich an Steuersenkungen denken muß und daß man sich zu Werbegemeinschaften zusammenschließen kann, wie das auch in Cottbus geschehen ist.
Zur Diskussion steht natürlich auch, Wettbewerbsvorteile durch flexiblere Ladenöffnungszeiten zu erreichen, wo sich auch, wie ich nachgelesen habe, die SPD endlich öffnet. Das können Kleine besser als Große, soviel steht fest. Aber warten wir das Gutachten des Ifo-Instituts München ab.
Jürgen Turk
Dazu gehört auch, daß Innenstädte noch mit Fahrzeugen erreichbar sein müssen und daß Einzelhändler nicht an der Ablösesumme für Parkplätze kaputtgehen.
Mit der Investitionszulage von 10 % dürfte der Einzelhandel im ländlichen Raum, also Tante Emma, wieder eine Chance haben. Die Kombination EmmaLaden plus Postagentur beginnt sich zu bewähren. Damit haben ehemalige Arbeitskräfte der Konsum- und HO-Läden sowie die Oma, die natürlich Schwierigkeiten hat, zum Großmarkt zu kommen, wieder eine Chance.
({1})
- Der Opa natürlich auch.
Die Investitionszulage wird entscheidend zur Wiederbelebung des innerstädtischen Handels und damit zur Revitalisierung der Städte beitragen, aber auch zur Versorgung im ländlichen Raum. Das war und ist unsere Absicht in dem Jahressteuergesetz 1996.
Vielen Dank.
({2})
Damit sind wir am Ende dieser Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung dieser Vorlagen auf Drucksache 13/859 und 13/1541 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken-Deipenbrock, Joseph Fischer ({0}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verletzung internationaler Walfang-Vereinbarungen durch Norwegen
- Drucksache 13/1543 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1})
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Die Kollegen Dr. Rieder, Schütz, Bredehorn, Frau Kollegin Schröter, Bundesminister Borchert und auch die Kollegin Lemke sind dankenswerterweise bereit, mit Zustimmung des Plenums ihre Reden zu Protokoll zu geben.*) - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/1543 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch dazu sehe ich - ({2})
- Ich kann Ihnen leider das Wort nicht geben.
({3})
- Herr Kollege, ich habe die Aussprache geschlossen. Es tut mir sehr leid. Sie hätten sich eher melden müssen.
Es ist Überweisung vorgeschlagen - ({4})
- Wollen Sie zur Überweisung sprechen? - Herr Kollege Irmer, entschuldigen Sie bitte! Ehe Sie das Wort ergreifen: Wollen Sie zur Überweisung sprechen? - Darf ich Sie fragen, ob Sie zur Überweisung sprechen wollen?
Herr Präsident, ich mußte warten, bis das Mikrofon angegangen ist, damit ich Ihre Frage beantworten kann. Es war keine Ungebührlichkeit Ihnen gegenüber.
Ich wollte eigentlich zur Geschäftsordnung sprechen, und zwar zu dem Vorschlag, daß die Reden zu Protokoll gegeben werden. Wenn das aber zu spät ist, ziehe ich meine Wortmeldung selbstverständlich zurück. Ich füge mich klaglos Ihrem Votum, Herr Präsident.
Das ist zu spät, Herr Kollege.
Dann stelle ich fest, daß Sie mit der Überweisung der Vorlage an die aufgeführten Ausschüsse einverstanden sind.
Damit sind wir am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für morgen, Freitag, 2. Juni 1995, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.