Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/26/1995

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 7. April 1995 ging in Berlin eine der größten internationalen Konferenzen zu Ende, die bislang in der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden haben: die erste Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen. 170 Staaten waren vertreten; rund 1 000 Delegierte, 1 000 Beobachter - insbesondere von Nichtregierungsorganisationen - und ca. 2 000 Medienvertreter nahmen an der Konferenz teil. Ich glaube, man kann sagen, daß Deutschland seine Rolle als Gastgeber gut erfüllt hat. ({0}) Die reibungslose Organisation und vieles andere mehr haben nach meinem Eindruck bewirkt, daß diejenigen, die an dieser Konferenz teilgenommen haben, gerne in Deutschland gewesen sind. Sie sind auch gerne in die neue, vereinigte Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, nach Berlin, gekommen und haben sich dort wohl gefühlt. Auch das ist ganz wichtig. ({1}) Meine Damen und Herren, entgegen allen pessimistischen Erwartungen konnten wir auf der Berliner Konferenz erfolgreich die Weichen für den Folgeprozeß zur Umsetzung der Klimarahmenkonvention stellen. ({2}) Natürlich haben sich viele von uns gewünscht, daß es schneller geht und mehr Ziele erreicht werden können. Aber jeder, der sich in der Materie auskennt, weiß, daß es keinen Stillstand geben wird. Es wird weitergehen, die Weichen sind gestellt. Ich halte das für ein ganz wichtiges Ergebnis. ({3}) - Wenn dies selbst die Nichtregierungsorganisationen sagen, dann brauchten Sie wenigstens nicht zu schreien. Ich verlange ja nicht, daß Sie klatschen. ({4}) Wir haben das „Berliner Mandat" für Verhandlungen über verschärfte Verpflichtungen zur Treibhausgasbegrenzung und -reduktion verabschiedet, wir haben eine Pilotphase für die gemeinsame Umsetzung von Projekten gestartet, und, meine Damen und Herren, Bonn wird der Sitz für das Sekretariat dieser international bedeutsamen Konvention werden. Dadurch werden natürlich in Zukunft viele Aufgaben auf uns zukommen. Lassen Sie mich diese drei Punkte vertiefen. Die Klimarahmenkonvention von Rio beschränkt sich auf Verpflichtungen der Industriestaaten bis zum Jahre 2000. Es ist heute nicht festgelegt, wie es nach dem Jahre 2000 weitergehen wird. Wir wissen auch nach dem Bericht, den Professor Bolin vom IPCC, dem internationalen Wissenschaftsgremium, das sich mit Stand und Auswirkungen der Klimaveränderungen befaßt, gegeben hat, daß dringender Handlungsbedarf gegeben ist und die bisherigen Verpflichtungen nicht angemessen sind. Deshalb ging es in Berlin um die Verabschiedung eines substantiellen Verhandlungsmandats für neue Verpflichtungen. Die Verhandlungen für das „Berliner Mandat" waren schwierig. Aber wir sind übereingekommen, daß die Verpflichtungen für die Industrieländer verschärft werden müssen. Dies ist ein ganz wesentlicher Punkt. Wir haben dies aber nicht so allgemein belassen, sondern ganz klar gesagt: Begrenzungsund Reduktionsziele sind für die Jahre 2005, 2010 und 2020 notwendig. Wir haben ferner gesagt, daß es um Verpflichtungen der Industrieländer geht, nicht aber um neue Verpflichtungen der Entwicklungsländer. Allerdings müssen auch die Entwicklungsländer die Umsetzung der bestehenden Verpflichtungen beschleunigt vorantreiben. Wir haben mit den Verhandlungen eine Arbeitsgruppe beauftragt. Der Protokollentwurf der Gruppe Kleiner Inselstaaten wird Bestandteil dieser Verhandlungen sein. Wir haben festgelegt, daß das zu erwartende Protokoll bei der dritten Vertragsstaatenkonferenz 1997 verabschiedet werden soll. Meine Damen und Herren, jeder, der weiß, mit welcher Position die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union in die Verhandlungen gegangen sind, weiß auch, daß wir wesentliche Ziele unserer Verhandlungsposition durchsetzen konnten. Dies war durch die klare Haltung der Europäischen Union sowie dadurch möglich, daß viele Entwicklungsländer eine sehr offensive Rolle auf dieser Konferenz gespielt haben. Ich danke allen, die hieran mitgewirkt haben. ({5}) Jeder, der die Konferenz und die Vorbereitungskonferenzen für diese erste Vertragsstaatenkonferenz miterlebt hat, weiß, daß wir außerordentlich schwierige Verhandlungen bis zum Jahr 1997 vor uns haben. Jeder weiß auch, daß zwei Jahre nicht sehr viel Zeit sind. Ich möchte deshalb ganz klar sagen: Die Bundesregierung wird mit allem Nachdruck für anspruchsvolle Protokollverpflichtungen eintreten. Wir werden zusammen mit unseren Partnern in der Europäischen Union bei den jetzt folgenden Schritten zu einem Klimaprotokoll erneut die treibende Kraft sein, und ich möchte mich ganz herzlich bei Bundeskanzler Helmut Kohl dafür bedanken, daß er mit seinen klaren Aussagen und Forderungen auf der Konferenz ganz wesentlich dazu beigetragen hat, daß bei den Verhandlungen der Durchbruch erreicht werden konnte. ({6}) - Jeder, der dabei war, weiß dies. Ich sehe nicht ein, warum man das drei Wochen später nicht mehr aussprechen darf, meine Damen und Herren. ({7}) Wir beginnen eine Pilotphase für die gemeinsame Umsetzung von Projekten. Diese gemeinsame Umsetzung, die sogenannte Joint implementation, wird nicht auf Industrieländer beschränkt sein, sondern es wird auf freiwilliger Basis auch Projekte mit Entwicklungsländern geben. Wir werden Kriterien für eine solche gemeinsame Umsetzung erarbeiten. Man muß sagen: Nach den Vorbereitungsverhandlungen hatte kaum jemand damit gerechnet, daß es gelingen würde, für Joint implementation zu einer solchen Pilotphase zu kommen. Wir werden auch von deutscher Seite Pilotprojekte durchführen und Kriterien entwickeln, um ein aktiver Partner in dieser Pilotphase zu sein. Ein wichtiger Konferenzerfolg war, daß das Ständige Sekretariat der Klimarahmenkonvention in Zukunft seinen Sitz in Deutschland haben wird, und zwar in Bonn. Es ist uns in vielen Verhandlungen und in vielen Gesprächen gelungen, über die Konkurrenten Schweiz, Kanada und Uruguay sozusagen den Sieg davonzutragen. Dies geschah aber in einer fairen Weise. Ich bin sehr dankbar dafür, und es war für mich auch sehr erfreulich, daß sich viele Entwicklungsländer für uns eingesetzt haben. Sie blicken mit großen Hoffnungen gerade auf die Bundesrepublik Deutschland und ihre anspruchsvolle und verantwortungsvolle Klimavorsorgepolitik. Ich möchte mich bei all denen bedanken, die uns ihre Stimme gegeben haben, damit wir Sitzland für das Ständige Sekretariat dieser wichtigen Konvention werden konnten. ({8}) Meine Damen und Herren, wir werden unserer Verantwortung zusammen mit der Stadt Bonn und dem Land Nordrhein-Westfalen gerecht werden, um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sekretariats, die im Zusammenhang mit der Konferenz hervorragende Arbeit geleistet haben, eine neue Heimat zu bieten; denn ein Umzug von Genf nach Bonn ist nicht ganz einfach. Wir selber sehen ja, wie schwer wir uns mit einem Umzug von Bonn nach Berlin tun. Wir sollten alles tun, damit sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser internationalen Institution bei uns zu Hause fühlen können. ({9}) Natürlich ist jeder der Fortschritte im Rahmen der internationalen Klimapolitik nur dann ein wirklicher Fortschritt, wenn er auch national umgesetzt und durchgesetzt wird. In Berlin wurde insbesondere von den Entwicklungsländern vielfach kritisch angemahnt, daß die Industrieländer den notwendigen Beitrag noch nicht leisten. ({10}) Die Bundesregierung hat ein anspruchsvolles Ziel der CO2-Minderung, und dieses Ziel übertrifft sogar die Forderungen der Gruppe der AOSIS. Der BunBundesministerin Dr. Angela Merkel deskanzler hat in seiner Rede zu Beginn des Ministersegments der Klimakonferenz noch einmal unser Ziel präzisiert und auf das Jahr 1990 bezogen: „Deutschland hält an dem Ziel fest, bis zum Jahr 2005 seinen CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um 25 % zu senken. " Das ist unsere Zielmarke. Darauf werden wir mit allem Nachdruck hinarbeiten, und deshalb müssen wir uns genau anschauen, wie es mit den Emissionen aussieht. Im Jahre 1990 betrugen die Emissionen in der Bundesrepublik Deutschland fast 1 Milliarde t CO2. Wir wollen also bis zum Jahre 2005 rund 250 Millionen t CO2 weniger emittieren als 1990. Dies wollen wir erreichen, obwohl wir von einem deutlichen Wirtschaftswachstum ausgehen. Wir hatten 1994 einen CO2-Ausstoß, der um 110 Millionen t unter dem von 1990 lag, also 11 % niedriger. Die Aufgabe ist klar, und deshalb werden wir unsere Klimavorsorgepolitik systematisch fortsetzen. Wir haben bisher ein Bündel von ungefähr hundert Einzelmaßnahmen geschnürt. Zuletzt haben wir uns im wesentlichen auf die Bereiche Gebäudebestand und Verpflichtungen der Wirtschaft konzentriert. Im Augenblick in der Beratung ist die Kleinfeuerungsanlagen-Verordnung, die sich mit dem Bereich des Heizens und der Warmwasserbereitung befaßt. Diese beiden Bereiche machen ungefähr ein Drittel der Emissionen in der Bundesrepublik Deutschland aus. Eine höhere Effizienz der Kleinfeuerungsanlagen wird eine wesentliche Reduktion der CO2-Emissionen bedeuten. Wir haben ein neues Förderprogramm aufgelegt. Es wird zinsverbilligte Kredite im Bereich des Gebäudebestands in den alten Ländern geben - zusätzlich zu den Maßnahmen in den neuen Bundesländern, wo bereits Wohnraummodernisierungsprogramme mit einem Kreditvolumen von 60 Milliarden DM existieren. Wir werden mit dem neuen Programm ein Investitionsvolumen von ungefähr 10 Milliarden DM freisetzen, das dem Energiesparen zugute kommt. Wir haben im Vorfeld der Klimakonferenz die Selbstverpflichtungen der Wirtschaft und der Autoindustrie diskutiert. Wir werden erhebliche Anstrengungen unternehmen, um im Bereich der CO2-/Energiesteuer auf europäischer Ebene voranzukommen. ({11}) Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, daß wir vorankommen, daß die Empfehlungen des Umweltministerrates jetzt auch im Ecofin-Rat diskutiert werden. Unsere Priorität - jeder, der sich auskennt, weiß, daß das wirtschaftlich vernünftig ist - liegt bei einer EU-weiten Einführung einer CO2-/Energiesteuer. Wenn es in Brüssel aber keine Bewegung geben sollte, was ich nicht hoffe, dann werden wir natürlich auch über nationale Lösungen nachdenken. ({12}) Meine Damen und Herren, rationeller und sparsamer Energieeinsatz hat oberste Priorität. Auch wollen wir erneuerbare Energien verstärkt nutzen. Wir wissen, daß wir technisch langfristig in der Lage sind, bis zum Jahr 2050 bis zur Hälfte des Energiebedarfs durch erneuerbare Energien zu decken. Aber unser Klimaziel bis zum Jahr 2005 werden wir nicht im wesentlichen durch erneuerbare Energien erreichen können. Wir sind im europäischen Maßstab heute führend in der Windenergie, wir sind mit führend in der Entwicklung von Photovoltaik. Wir müssen hier weitermachen, und wir werden hier weitermachen. Aber ich muß Ihnen auch sagen: Wir müssen unsere Ziele bei der CO2-Minderung natürlich im wesentlichen auf der Basis der heutigen Energieerzeugung erreichen. Die Nutzung der Kernenergie trägt wesentlich zum Klimaschutz bei. ({13}) - Herr Fischer und andere, ich bitte Sie herzlich! - In Deutschland werden derzeit durch die Kernenergie bis zu 150 Millionen t CO2-Emissionen eingespart. ({14}) Niemand bestreitet dies. Ohne die Nutzung der Kernenergie werden wir unser gestecktes Klimaziel bis zum Jahr 2005 nicht erreichen. Auch das weiß jeder, der sich mit dieser Problematik intensiv befaßt. ({15}) Aus sicherheitstechnischen und vielen anderen Erwägungen brauchen wir deshalb die weitere Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Kernenergie, und wir brauchen die Option für den Neubau einer neuen Generation von Kernkraftwerken, denn es will sicherlich niemand auf einer veralteten Generation sitzenbleiben. ({16}) Ich fordere deshalb alle Beteiligten auf, die wieder begonnenen Energiekonsensgespräche zu einem erfolgreichen Ergebnis zu führen. Ich sage dies ganz bewußt auch im Umfeld der Debatte über die Klimakonferenz. Es geht um die Einigung im Hinblick auf die zukünftige Nutzung der Kernenergie wie auch um die Energieeinsparung und die Nutzung erneuerbarer Energien. Was wir als Regierungsparteien nicht mit uns machen lassen werden, ist eine Segmentierung der Frage der Energieerzeugung. CO2-Emissionen sind CO2-Emissionen, sie können nicht in gute und schlechte aufgeteilt werden. Die Klimaveränderung beruht wesentlich auf den CO2-Emissionen. Deshalb ist es ein Gesamtpaket: Energiesparen, erneuerbare Energien, Kernenergie, fossile Brennstoffe. Hierüber muß als Gesamtheit diskutiert werden. ({17}) Meine Damen und Herren, wir halten die friedliche Nutzung der Kernenergie für verantwortbar und notwendig im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Natürlich kennen auch wir die Risiken, und wir setzen uns intensiv mit den Risiken auseinander. Heute ist der neunte Jahrestag des Reaktorunglücks von Tschernobyl. ({18}) Deshalb ist es richtig, daß wir an einem solchen Tag über die Sicherheit von Reaktoren bei unseren östlichen Nachbarn debattieren. Tschernobyl war die größte Katastrophe in der friedlichen Nutzung der Kernenergie, die über zahlreiche Menschen unermeßliches Leid gebracht hat, und es ist unsere Aufgabe, alles zu tun, daß dies nicht wieder passieren kann. ({19}) Meine Damen und Herren, ich halte es deshalb für ein gutes Zeichen, daß wir an diesem neunten Jahrestag in einem wiedervereinigten Deutschland und in einer Welt, in der der Kalte Krieg zu Ende gegangen ist, über die möglichen Sicherheitsverbesserungen an Reaktoren sowjetischer Bauart diskutieren können. Hätten wir das vor zehn oder fünfzehn Jahren tun können, hätten wir damals die Möglichkeiten zu Nachbesserungen gehabt, so wäre die Welt vor diesem Unglück wohl bewahrt worden. Das muß uns allen ganz klar sein. ({20}) Ich sage deshalb mit allem Nachdruck: Ich persönlich empfinde es als verantwortungslos, wenn heute erneut Anträge zur Debatte gestellt werden, die Bundesregierung solle ihren Einfluß geltend machen, daß mögliche Sicherheitsverbesserungen in den Kernkraftwerken Mochovce und Temelin nicht durchgeführt oder verzögert werden sollen. Dabei wird unterstellt, daß damit die Fertigstellung und Inbetriebnahme dieser Reaktoren verhindert würde. ({21}) Das ist aber gerade nicht so. Die dortigen Regierungen haben unmißverständlich klargestellt, daß die im Bau weit fortgeschrittenen Anlagen in jedem Fall in Betrieb gehen. Das soll unter Zuhilfenahme umfangreicher Nachrüstungen geschehen, wozu technische und finanzielle Hilfe unerläßlich ist. Diese Hilfe zu verweigern würde deshalb dazu führen, die Chance zu verschenken, ein akzeptables Sicherheitsniveau auch in Mittel- und Osteuropa zu erreichen. Bei so etwas machen wir nicht mit. ({22}) Für mich sind die Projekte in Temelin und Mochovce Pilotprojekte, mit denen auch die Glaubwürdigkeit der westlichen Hilfsbereitschaft unter Beweis gestellt wird. Deshalb werden wir uns nicht verweigern, sondern wir werden konstruktiv mitmachen. Die Bundesregierung unterstützt die Projekte. Sie wird natürlich auch auf die Einhaltung der Sicherheitsstandards achten. Am heutigen Tage spielt Tschernobyl eine besondere Rolle. Die EU und die G-7-Länder haben umfangreiche Hilfsmaßnahmen angeboten und gerade mit der Ukraine immer wieder diskutiert. Es hat am 13. April nach vielen zähen Verhandlungen, in Kiew ein Treffen von Vertretern der Europäischen Union und der G-7-Staaten mit Präsident Kutschma gegeben. Wir haben mit Freude gehört, daß sich die Haltung der Ukraine gewandelt hat und daß in Aussicht gestellt wird, daß zu bestimmten, noch auszuhandelnden Konditionen Tschernobyl außer Betrieb genommen werden kann. Meine Damen und Herren, ich halte dies für einen richtigen und wichtigen Schritt auf einem Wege, den wir weiter gehen müssen. Ebenfalls klar ist, daß dann die notwendigen Ersatzkapazitäten geschaffen werden müssen. Der Weg ist ein wenig geebnet worden; aber er wird noch lang und mühsam sein. Natürlich werden wir unseren gesamten Aktionsplan weiter mit Intensität durchsetzen. Es gehören verschiedenste Hilfsmaßnahmen auch für drei noch nicht fertiggestellte ukrainische Kraftwerke dazu. Wir werden alles tun, um uns um diese eigentlichen Probleme bei der Sicherheit der Kernkraft zu kümmern. Ich fordere Sie auf: Konzentrieren Sie sich bei Ihren Bemühungen und Ihren Diskussionen auch auf die mittel- und osteuropäischen Staaten! Ich vermisse in dieser Beziehung manchmal lautstarke Unterstützung, wo ich ansonsten immer ziemlich laute Stimmen höre. ({23}) Meine Damen und Herren, angesichts der wirklichen Probleme, die es in unseren Nachbarländern gibt, muten die Schwierigkeiten und die Diskussionen, die wir in unserem eigenen Lande um die Entsorgung führen, geradezu absurd an. ({24}) Die SPD hat das heute in unserem Land gültige Entsorgungskonzept damals,. als sie in der Regierungsverantwortung war, maßgeblich mitgestaltet. Der Castor-Transport und vor allen Dingen das, was sich in seinem Umfeld in den letzten Tagen abgespielt hat, ist ein drastisches Beispiel dafür, wie man von den wirklichen Problemen in unserem und den anderen Ländern ablenkt ({25}) und technisch lösbare Probleme für unlösbar erklärt. Jeder, der sich in diesem Hause damit befaßt hat, weiß, daß dieser Transport keine potentielle Gefahr für die Anwohner an den Transportstrecken und des Zwischenlagers darstellt. ({26}) Der Behälter entspricht strengsten internationalen Sicherheitsnormen. Trotz Schwierigkeiten beim Beladevorgang haben alle Beteiligten, u. a. auch der baden-württembergische Umweltminister Schäfer, gesagt, daß der Behälter dicht ist und allen Sicherheitsanforderungen genügt. In der Bundesrepublik Deutschland sind bis jetzt 1 600 Castor-Transporte abgelaufen, im letzten Jahr allein 15 aus Niedersachsen. Bei keinem hat sich die Umweltministerin Griefahn überhaupt gerührt. ({27}) Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit diesem Transport - ich habe es mir gestern angesehen - wurden bei Menschen, die es nicht einschätzen können, Ängste geschürt, Aufregungen verursacht. Das halte ich im Umfeld eines solchen Transports für völlig verantwortungslos. ({28}) Niemand bestreitet, daß die Entsorgung von radioaktiven Abfällen ein Problem ist. Ich halte dieses Problem für lösbar. ({29}) Aber wenn man alles tut, um diese Lösung zu verhindern, dann halte ich das für eine verantwortungslose Politik. ({30}) Meine Damen und Herren, wir müssen erwarten können - das ist ein Grundprinzip der Demokratie -, daß sich die SPD wenigstens an das hält, was sie selbst von uns verlangt hat. Wir haben im vergangenen Jahr im Artikelgesetz die direkte Endlagerung als gleichrangigen Weg der Entsorgung von abgebrannten Brennelementen geebnet, gesetzlich möglich gemacht. ({31}) Wir sind der Meinung - ich sage das ganz klar -, daß dies eine Abkehr von einer Kreislaufwirtschaft ist. Ich persönlich halte das nicht für richtig. Aber es gibt den Weg der direkten Endlagerung, und zur direkten Endlagerung gehört die Zwischenlagerung. Die Zwischenlagerung muß in Zwischenlagern, und zwar in genehmigten Zwischenlagern, erfolgen. Auch dagegen können Sie nichts haben. Sie wollen jetzt ein seit zehn Jahren genehmigtes Zwischenlager partout nicht öffnen und erklären uns ansonsten: Wir brauchen die direkte Endlagerung unbedingt und müssen von der Wiederaufarbeitung wegkommen. Ich frage Sie: Wie soll das zusammengehen? Wie können Sie dies verantworten? Warum wehren Sie sich, Gorleben als Zwischenlager zu öffnen? ({32}) Herr Schäfer als baden-württembergischer Umweltminister und auch Herr Schröder haben uns jetzt aufgefordert, wir mögen dafür sorgen, daß diese Brennelemente aus Philippsburg wieder, von Ihnen immer verteufelt, nach Frankreich kommen, um dort wiederaufgearbeitet zu werden. ({33}) Ich frage Sie: Wie wollen Sie dies eigentlich den Leuten erklären? Ich kann nur sagen: Das Ganze macht nur einen Sinn unter einer Prämisse: ({34}) Sie möchten, daß das Entsorgungsproblem ungelöst bleibt. Sie wollen nicht, daß es gelöst wird. Deshalb machen Sie diese Blockade. Deshalb legen Sie uns Steine in den Weg. ({35}) Meine Damen und Herren, wenn dies alles so ist, dann ist es schon schlimm genug. Aber wenn man im Vorfeld eines solchen Transports von verantwortlicher Regierungsseite immer wieder Öl ins Feuer der Ängste von Menschen gießt, dann wird die Sache aus meiner Sicht höchst problematisch. Wir sind in den letzten Tagen in unserem Land an einem ganz entscheidenden Punkt angekommen. ({36}) Ich bin froh, daß ich inzwischen in einem Land lebe, in dem es Meinungsfreiheit gibt, in dem es die Möglichkeit gibt, sich zu versammeln, zu protestieren und zu demonstrieren. Aber, meine Damen und Herren, all dies ist nur möglich unter der Prämisse der Gewaltfreiheit. Keine Anwendung von Gewalt! ({37}) Wenn diese Spielregeln nicht mehr gelten - das müssen wir uns alle gemeinsam vor Augen führen -, dann ist die Demokratie schnell am Ende. Dann nähern wir uns Arten von politischer Herrschaft, die ich nicht will - wie ich hoffe: niemand in diesem Hause. Meine Damen und Herren, ich habe in den letzten Wochen und Tagen, zum Schluß verstärkt, oft sehr verschämte, sehr versteckte Aufrufe zur Gewaltfreiheit gehört. Aber ich hätte sie mir stärker, lauter und vor allen Dingen früher im Vorfeld dieses Transports gewünscht. ({38}) Meine Damen und Herren, wer dann immer wieder doch Verständnis übt, bis hin zu Bundestagsvizepräsidentin Vollmer, die sagt, es führe zu einer Radikalisierung der Jugendlichen, wenn man solche Transporte durchführe, ({39}) zeigt ein verschämtes Verständnis für die Anwendung von Gewalt. Das ist eine Ermunterung, weil es die Radikalisierung als Normalität hinnimmt. ({40}) Meine Damen und Herren, ich habe mich sehr bemüht, mit meinen Worten im Umfeld dieses Transports sorgsam umzugehen. Ich bitte jeden - dies habe ich bei Frau Vollmer in diesem Fall vermißt -, nicht den Eindruck entstehen zu lassen, als gäbe es Entschuldigungen für die Anwendung von Gewalt. ({41}) Es hat eine andere, mich äußerst verwirrende Diskussion im Zusammenhang mit diesem Transport gegeben: Wer übernimmt wofür die Kosten in diesem Lande? ({42}) Das erste, was auch ich in diesem Zusammenhang sagen würde, wäre: die Verursacher. Die Verursacher des Großteils der Kosten sind diejenigen, die Gewalt angewendet haben. Ich habe vermißt, daß dies einmal gesagt wurde. ({43}) - Es ist doch wohl keine Unverschämtheit, daß ich von denen, die Schienen zersägen, erwarte, daß sie für die dadurch entstandenen Kosten aufkommen. Ich bitte Sie, Sie können das doch nicht als Unverschämtheit auffassen! ({44}) Meine Damen und Herren, die nächste Frage, die sich stellt, ist: Was ist die Verantwortung des Staates? Wofür ist der Staat in diesem Lande da? Wenn es das Gewaltmonopol des Staates gibt - zu dem bekennen wir uns wohl alle -, dann ist es die Aufgabe des Staates, für die Sicherheit von Vorgängen in diesem Lande einzutreten. ({45}) Dies ist eine der originären Aufgaben der Polizei. Wenn wir jetzt anfangen, Sicherheit danach zu „verteilen", wer in der Lage ist, sie zu bezahlen, dann ist dies eine Art des Vorgehens, die uns in schlimmste Verwicklungen bringen wird. Ich kann Ihnen nur sagen: Lassen Sie davon ab! ({46}) Meine Damen und Herren, wir sind eine Regierungskoalition, die sich mit Privatisierung aufs äußerste anfreundet. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie wollen, daß die Gewährung von Sicherheit in unserem Staat in Zukunft davon abhängt, wer sie bezahlt, daß Sie wollen, daß für die verschiedenen Sicherheitsanforderungen in unserem Staat Rechnungen ausgestellt werden. Genau das aber würde durch eine Privatisierung der Polizei geschehen. Ich glaube nicht, daß Sie dies wollen. Sie sollten das in aller Ruhe zu Ende denken. Die Diskussion ist absurd und in ganz hohem Maße gefährlich, weil sie viele Leute auf Gedanken bringt, die wir alle miteinander nicht wollen. ({47}) Ich möchte das im einzelnen nicht weiter ausführen. Meine Damen und Herren, der Castor-Transport ist beendet. Ich bedanke mich bei allen, insbesondere bei den Polizisten, ({48}) die diesen Transport sichern mußten. Es werden weitere Transporte folgen, vor allen Dingen Transporte aus Frankreich, da wir auf Grund internationaler Verträge verpflichtet sind, die nuklearen Rückstände zurückzunehmen. Ich appelliere zum Schluß an Ihre Vernunft: Sagen Sie den Menschen, daß dies eine verantwortbare Politik ist, daß wir im nationalen Bereich - ich höre hier abenteuerliche Vorstellungen von internationaler Entsorgung - für unsere radioaktiven Abfälle selber verantwortlich sind! Ich bitte Sie, in Zukunft etwas vernünftiger, gelassener und rationaler bei den gemeinsamen Aufgaben mitzumachen, die zum großen Teil noch aus Zeiten Ihrer Regierungsverantwortung herrühren. Herzlichen Dank. ({49})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Kollege Michael Müller.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die drei Themen, die wir heute behandeln, erstens die Pleite des Klimagipfels, zweitens der 9. Jahrestag von Tschernobyl und drittens die, wie ich finde, schrecklichen Auseinandersetzungen bei der Lieferung der Castor-Behälter, haben einen inneren Zusammenhang in der Form, daß die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft heute mit ungelösten, dringenden Problemen umgeht, von den Menschen nicht mehr akzeptiert wird. ({0}) Das ist das eigentliche Problem. Wissen Sie, man könnte jetzt auf die sehr emotionale und - wie ich finde - sehr konfrontative Rede von Frau Merkel im selben Stil antworten. Ich will das nicht tun, denn - um Ihnen das deutlich zu sagen - die Probleme, um die es geht, sind MenschMichael Müller ({1}) heitsherausforderungen. Sie sind viel zu ernst, um das Volk durch eine Politik der Konfrontation zu spalten. Wir müssen die Gesellschaft in diesen Fragen einigen. Sie aber spalten! ({2}) Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen noch einmal: Sie spalten durch Ihre Politik der Konfrontation! Denken Sie einmal darüber nach. Die Energiepolitik werden Sie nicht gegen die große Mehrheit der Bevölkerung verändern können, sondern nur mit ihr. Auch das werden Sie begreifen müssen. ({3}) Es geht in dieser Debatte um drei zentrale Probleme, die mit der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft verbunden sind: Erstens. Bei den Klimagefahren ist es der eklatante Widerspruch, daß wir alle wissen, daß es so wie bisher nicht weitergehen kann. Trotzdem bleibt diese Erkenntnis weitgehend folgenlos. Zweitens. Bei der Gefahr eines neuen Tschernobyls stehen wir vor einer neuen Dimension von technischen Risiken, die nicht zu verantworten sind. Dazu will ich Ihnen sagen: Es geht bei der Atomkraft nicht nur um die Frage der Eintrittswahrscheinlichkeit eines GAU; das ist nur eine Dimension. Die problematischere Dimension ist der mögliche Schadensumfang, der nicht verantwortbar ist. Natürlich hat jedes Techniksystem ein Risiko der Eintrittswahrscheinlichkeit. Aber es gibt eine Dimension von Unfall, bei dem die Eintrittswahrscheinlichkeit nicht mehr akzeptiert werden kann. Das ist ein entscheidender Punkt bei der Ablehnung der Atomenergie! ({4}) Drittens. Bei der Lieferung von Castor-Behältern - wie auch immer Sie das bewerten - haben wir es mit einer Situation zu tun, daß die Bevölkerung sagt: Wir lassen keine vollendeten Tatsachen zu, wenn Sie nicht gleichzeitig sagen, wie die Zukunft der Energieversorgung aussehen soll. Sie bemühen sich nicht um eine Verständigung und um akzeptable Lösungen. Das ist eine entscheidende Ursache bei dem Widerstand. ({5}) Meine Damen und Herren, begreifen Sie diese drei Problembereiche als Warnsignale: daß wir in der Politik vor radikalen Änderungen stehen und daß man darauf nicht von oben mit Arroganz und Ignoranz reagieren darf. ({6}) Die Zukunft der Energieversorgung ist eine zentrale Frage für die Zukunft unserer Industriegesellschaft, letztlich auch für die Zukunft von Demokratie, Freiheit und Wohlstand. Insofern ist es völlig richtig, daß wir diese Kontroverse mit aller intellektuellen Schärfe austragen. Aber die Diskussion muß von der Bereitschaft getragen sein, sich verständigen zu wollen. Wir können uns bei diesen Problemen keine Sandkastenspiele erlauben. ({7}) Wer über Klimagefahren redet, muß auch zur Verständigung fähig werden. ({8}) - Nun hören Sie auf! - Warum hat beispielsweise Ihre F.D.P.-Kollegin, Frau Segall, in der Enquete-Kommission - wenn Sie mich so ansprechen, kann ich das deutlich zurückgeben - genauso wie die Kolleginnen und Kollegen von der CDU 1990 beim Bericht über die Klimaproblematik im Bundestag gesagt: Die Atomenergie spielt schon deshalb für den Klimaschutz keine Rolle, weil sie kurzfristig überhaupt keinen Beitrag zur Entlastung der CO2-Emissionen leisten kann? - Das war damals einvernehmlich die Sicht. ({9}) Wir müssen die Tatsachen sehen: Wir haben damals als Grundlage der Beratungen in der Enquete-Kommission die Studie der Weltenergiekonferenz genommen. Diese Studie ging damals von einer Verzwölffachung der Atomenergie bis zum Jahre 2060 aus und kommt trotzdem zu einem Anstieg der CO2-Emission von 21 Milliarden auf 43 Milliarden Tonnen. Und warum? - Weil sich die Grundstruktur der Energieversorgung überhaupt nicht ändert, nämlich das verschwenderische System. ({10}) Was wir brauchen, ist etwas völlig anderes. Was wir brauchen, ist eine Energielogik, die von vornherein auf Einsparungen, auf rationelle Energieverwendung, auf höhere Nutzungseffizienz und auf erneuerbare Energien setzt und nicht dieser Idiotie Kohle gegen Atomenergie das Wort redet. Das ist keine Lösung des Problems. Eine Lösung des Problems ist eine andere Logik des Energieeinsatzes, nämlich eine Logik der Einsparung und der erneuerbaren Energien, und die erreichen Sie nicht mit der Atomenergie. Im Gegenteil: Die Atomenergie blockiert diesen Weg auf Grund ihrer inneren Logik sogar! Sie ist die größte Innovations- und Investitionsbremse. ({11}) Die Atomenergie ist ein zentralistisches, großtechnisches System mit entsprechenden Zwängen, während Energieeinsparung dezentral ist. Sie setzt unmittelbar beim Verbrauch an, in den Kommunen, beim Nachfrager, im Unternehmen etc. Die Atomenergie ist dagegen geprägt von der großtechniMichael Müller ({12}) schen Struktur auf der Verbundstufe, und sie ist geprägt von einem hohen Maß an Energieverschwendung. Deshalb werden Sie mit der Atomenergie die Klimaprobleme nicht lösen. Aber selbst wenn ich dies außer Betracht lasse, weise ich nur darauf hin, daß ein Atomkraftwerk heute 4,5 bis 5 Milliarden DM kostet. Wenn wir diese Summe nehmen, um damit Energieeinsparmaßnahmen in Gang zu setzen, dann brauchen wir gar keine Atomkraftwerke. ({13}) Was soll also dieser Unsinn einer auch sachlich falschen Konfrontation? Warum führen wir in der Gesellschaft eine Spaltung herbei, die überhaupt nicht nötig ist? Lassen Sie uns doch vernünftigerweise Schritte in die richtige Richtung gehen! Wir können uns in dem Punkt Atomenergie offenkundig nicht überzeugen. Also lassen Sie uns den Versuch machen, durch Energieeinsparung, durch Solarenergie die Atomenergie wegzusparen. Das ist ein Ansatz, der viel vernünftiger ist und der trägt. Meine Damen und Herren, heute vor neun Jahren war die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Frau Ministerin Merkel, Sie haben gemeint, daß dies sozusagen ein Ostproblem ist. Das zeugt von einem sehr kurzen Gedächtnis. ({14}) Denn kurz vorher war der Unfall in Harrisburg. Das sollte man nicht vergessen. Ich könnte das noch weiterführen: Wenige Monate vor Tschernobyl war der bayerische Umweltminister, Herr Dick, in Osteuropa und hat anschließend in einer Pressekonferenz bescheinigt, daß die osteuropäischen Kernkraftwerke genauso sicher seien wie die westeuropäischen. ({15}) Ganz egal, wie hoch der Sicherheitsstand ist: Wir wollen natürlich, daß in allen Ländern viel mehr getan wird, um ihn zu verbessern. Das ist gar keine Frage. Trotzdem bleibt das Grundproblem, daß die Eintrittswahrscheinlichkeit, auch wenn sie noch so gering ist, nicht zu verantworten ist. ({16}) Das ist der entscheidende Punkt. Der andere entscheidende Punkt ist, daß genau damit der Einstieg in die Effizienztechniken und in die solaren Techniken verhindert wird. ({17}) Das sind die beiden entscheidenden Begründungen, warum wir zur Atomenergie nein sagen. Meine Damen und Herren, ich komme noch einmal auf die Castor-Lieferung zurück. Wir verurteilen jede Form von Gewalt. Gewalt kann kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein. Darüber darf es überhaupt keine Diskussion geben. ({18}) Aber ich sage auch mit aller Deutlichkeit: ({19}) Transporte, die nicht notwendig sind, nur aus Prinzip durchzusetzen, ist eine schlimme Provokation. ({20}) Es ist nicht möglich, auf der einen Seite mit der SPD Gespräche über die zukünftige Energieversorgung führen zu wollen und gleichzeitig vollendete Tatsachen zu schaffen. Das ist nicht möglich! Das ist keine seriöse Politik! ({21}) - Herr Kollege Fischer, man kann nicht auf der einen Seite Gespräche ablehnen und auf der anderen Seite ständig Ratschläge für die Gesprächsführung geben. ({22}) Kollege Fischer, man sollte dies ernsthafter sehen. Nur Medienüberschriften sind als Politik viel zuwenig. Hier geht es schon um zentrale gesellschaftliche Auseinandersetzungen, nämlich um die Frage, ob wir Schritte in Richtung auf die Reduktion des Energieeinsatzes und damit der klimaschädlichen Emissionen machen. ({23}) Eine letzte Bemerkung möchte ich zum Berliner Klimagipfel machen. Meine Damen und Herren, der erste öffentliche Warnruf zur Klimaveränderung war 1985 die Konferenz der Weltmeteorologie-Organisation. Dies führte 1987 zu der Konferenz von Bellagio. In der Reaktion darauf hat in unserem Land auch die Deutsche Physikalische Gesellschaft die Forderung nach einer schnellen Reduktion der CO2-Emissionen erhoben. Die Verringerung der Emissionen um 20 % steht seit der Weltklimakonferenz von 1988 in Toronto im Raum. Seitdem sind sieben Jahre vergangen, sieben verlorene Jahre. Das ist die Wirklichkeit! Wenn Sie sich die angeblich großen Leistungen der Bundesrepublik ansehen, dann kann ich nur darauf hinweisen: Der Beschluß von 1990 hatte drei Elemente. Das erste war die Reduktion der CO2-Emissionen um mindestens 25 % in der alten Bundesrepublik und um einen deutlich höheren Prozentsatz in den neuen Bundesländern, das zweite war die nationale Vorreiterrolle und das dritte die Einführung einer nationalen CO2-Abgabe. Wenn wir heute eine Bestandsaufnahme machen, dann ist das Ergebnis eindeutig: In den alten Bundesländern sind die CO2-Emissionen seit 1990 um 3 % angestiegen, auch in den neuen Bundesländern steigen sie seit 1994 wieder an. Die Prognos AG kommt zu dem Ergebnis, daß wir höchstens mit einer Reduktion von 10 % bis 2005 rechnen können. Das ist weit von dem entfernt, was Sie in allen öffentlichen Reden und Ankündigungen behaupten. Von einer nationalen Vorreiterrolle ist schon lange nicht mehr die Michael Müller ({24}) Rede. Und auf die CO2-Abgabe warten wir schon fünf Jahre. Wer den Anspruch stellt, Vorreiter zu sein, der kann das nur mit Taten, nicht aber mit Worten beweisen. Wir warten auf die Taten! ({25}) Lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Wir wissen genau, daß die Klimaherausforderungen ein tiefer Einschnitt in unsere Gesellschaft sind. Es erfordert weitreichende Veränderungen nicht nur in der Energieversorgung, sondern auch in unserer Art zu leben und zu wirtschaften. Aber wir können mit Klimaschutz auch große Vorteile erreichen, wir können nämlich die Zukunftsverträglichkeit unserer Gesellschaft gewinnen. Das setzt voraus: Wir müssen die Wahrheit sagen, daß wir in einer sehr schwierigen Situation sind, die uns allen sehr viel abverlangt. Denn nur Ehrlichkeit ist die Voraussetzung, um zum Besseren zu kommen. ({26})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Kollege Dr. Klaus Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist noch einmal angebracht, der Bundesministerin Merkel für die erfolgreiche Gestaltung der Weltklimakonferenz, die in dieser Form keiner erwarten konnte, deutlich Dank zu sagen. ({0}) Frau Merkel, lassen Sie mich eines hinzufügen: Wenn ich an die Eröffnungsdiskussion in diesem Hause und an den Kollegen Müller denke, der zu unserer Ministerin gesagt hat, wir werden ihr keine Schonzeit geben, wir werden sie hetzen, dann frage ich: Was ist von diesem Knaben heute übriggeblieben? ({1}) Die Ministerin bestimmt die Richtlinien, die Ministerin macht die Vorgaben, und Müller läuft lechzend hinterher und kann dem Tempo nicht folgen. Das ist die Wahrheit. Hier wird Umweltpolitik gemacht, hier wird nicht geschwätzt, Herr Müller. ({2}) Hier wird konkrete, klare, inhaltliche Umweltpolitik gemacht. Dafür muß man dieser Ministerin danken. ({3}) Es ist doch wohl einzusehen, daß durch die Rede des Bundeskanzlers eine Grundwende mit herbeigeführt wurde. Die Naturschutzorganisationen und die Umweltschutzorganisationen haben das einhellig begrüßt. Springen Sie doch einmal über Ihren politischen Schatten und sagen Sie: Das waren klare Worte für einen zukunftsweisenden und -orientierten Umweltschutz. Das ist richtig, dafür haben wir dem Kanzler zu danken. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Müller sagt: Die Menschen akzeptieren nicht, wie wir mit den Problemen umgehen. - Ich gebe ihm recht. Welch abwegiges Rechtsverständnis hat ein Mensch, der hier die Rollen völlig verkehrt und nicht sagt, daß wir der Polizei zu Dank verpflichtet sind, der nicht sagt, daß wir Verantwortung für die jungen Menschen tragen, die den Rechtsstaat - auch bei diesem Transport - schützen, der im Gegensatz dazu das Verhältnis umkehren und sagen will, diese Transporte sind die Provokation? ({4}) Diese Politik, Herr Müller, hatten wir schon einmal: Verharmlosung, Verharmlosung, Verharmlosung. Das Ende dieser Politik sind Anschläge, ist Gewalt gegen junge Menschen und Gewalt gegen Polizei. Das kann ich nicht tolerieren, das will ich nicht tolerieren, und es wäre gut, wenn diese Opposition wieder auf den rechtsstaatlichen Weg zurückfinden würde; denn sie verläßt ihn damit. ({5}) Ihr Herr Müller hat hier gesagt, die Provokation komme von der anderen Seite. Diejenigen, die Steine werfen, diejenigen, die Anschläge auf Züge unternehmen - das sind die Provokateure, Herr Müller, und daran müssen Sie sich gewöhnen. Wer das anders sagt, untergräbt diesen Rechtsstaat. ({6}) Ich will ganz deutlich sagen: Eine undifferenzierte Position gegen Kernenergie wirft Fragestellungen auf, die Sie überhaupt nicht betrachten. Selbst bei Ihren linken Freunden dämmert doch, daß eine Diskussion, die Hanau totmacht, die Wiederaufarbeitung von Plutonium unmöglich macht, uns gleichzeitig die Möglichkeit nimmt, Waffen-Plutonium zu verarbeiten und es für friedliche Zwecke zu konvertieren. Das ist der Punkt, an dem man ansetzen muß. Und jetzt müssen Sie sich von linken Friedensforschern sagen lassen, daß der Weg, Hanau kaputtzumachen, falsch ist; denn solche Anlagen in Rußland zu bauen, unabhängig von jeglicher Sicherheitsproblematik, würde 20 Jahre und mehr dauern, würde dann erst die Möglichkeit für Waffenschmuggel, würde dann erst die Möglichkeit für Plutoniumhandel eröffnen. All dies könnten wir verhindern, wenn Sie nicht mit Ihrer primitiven Antikernenergiepolitik solche Ansätze verschütten würden. Auch das gehört in diesen Zusammenhang. Ich möchte gern, daß Sie sich noch einmal zu Gemüte führen, was Anette Schaper in der Montagsausgabe der „Frankfurter Rundschau" hierzu gesagt Dr. Klaus W. Lippold ({7}) hat. Das sollte wenigstens bei einigen von Ihnen eine gewisse Nachdenklichkeit hervorrufen. ({8}) - Ich gebe es Ihnen gleich rüber. - Sie hat schlicht und ergreifend gesagt, das Plutonium müsse für Waffen untauglich gemacht werden. Das sei in der Hanauer Siemens-Anlage möglich, die nach derzeitiger Planung dank Ihrer rot-grünen Koalition nicht in Betrieb gehen soll. Lesen Sie das mal! ({9}) Das ist nicht Lippold, das ist Friedensforscherin. Wenn Sie meiner sachlichen Argumentation schon nicht folgen, weil sie ideologische Vorbehalte haben, dann glauben Sie doch wenigstens denen, mit denen Sie ansonsten das Bündnis suchen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn man sich hier hinstellt wie die 68er Generation und von der Arroganz anderer spricht, um dann zu sagen: „Was ich hier vertrete, ist die reine Wahrheit" , dann gibt es keine Verständigung mehr. Was Sie wollen, ist die geistige Kapitulation derer, die anders denken als Sie. Aber es gefällt Ihnen nicht, daß wir das nicht mitmachen. Sie müssen sich schon der Sachargumentation stellen. Kein geistiger Herrschaftsanspruch, mit ein paar Soziologievokabeln etwas vernebelt dahergesprochen, sondern klare, deutliche Aussagen, und dann sind wir zum Gespräch bereit. Aber Sie haben ja schon Angst, weil Ihr möglicher Koalitionspartner Ihnen gerade vorwirft, Sie würden reden wollen und Sie würden nicht aussteigen wollen. - Nein, meine Damen und Herren, so kann es nicht gehen. Es ist auch eine verquere Logik, zu sagen, die Kernenergie würde keinen Beitrag zur Problemlösung in der Klimadiskussion leisten. Auch da gibt es eine Institution, die Eurosolar, die von Ihrem Kollegen Hermann Scheer geleitet wird. Eurosolar ist zwischenzeitlich zu der Überzeugung gekommen, daß die Effizienzverbesserung z. B. bei Kohlekraftwerken keinerlei Ersatz ist, weil von ihnen immer noch wesentlich mehr CO2 emittiert wird, als wenn wir auf die in dieser Hinsicht saubere Kernkraft umsteigen würden. Und ich will Ihnen noch etwas sagen: Als wir die FCKW-Diskussion gemeinschaftlich führten, da haben wir auch gesagt, nicht nur die FCKWs müssen weg, sondern auch die um ein Zwanzigstel weniger schädlichen HFCKWs. Da waren Sie dafür. Aber hier, wo es darum geht, daß wir bei der Kohle nur noch minimale Verbesserungssprünge erreichen können, halten Sie daran fest, hier vertreten Sie eine völlig andere Position, nur um Ihre Antikernenergiehaltung rechtfertigen zu können. Das können wir nicht mittragen. Das hat mittlerweile auch Eurosolar erkannt. Allerdings hat das nicht Herr Scheer nach draußen getragen, sondern ein Mitarbeiter. Vielleicht setzen wir uns in Zukunft verstärkt mit dem Sachverstand auseinander statt mit denen, die politisch anders darüber reden. ({10}) - Sachlich diskutieren, Frau Kollegin. Dazu gehört, daß wir uns auch mal über die Unterschiede von Ozonproblematik und Klimaproblematik unterhalten, die Sie gelegentlich noch verwischen. Das biete ich an, da können wir Nachhilfeunterricht leisten, und hinterher können wir uns hier wesentlich freier unterhalten, weil wir dann echt über das Problem diskutieren. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin sehr froh, daß es gelungen ist, beim Klimagipfel in Berlin in den Grundzügen einige Positionen durchzusetzen. Ich bin mir darüber im klaren, daß die Vorstellungen, wie wir sie selbst gerne in unserer Union verwirklicht hätten, so nicht zu verwirklichen waren. Aber wir haben mehr erreicht, als zu Konferenzbeginn absehbar war. Wir haben die Verpflichtung, innerhalb kürzester Zeit ein Konferenzprotokoll mit bindenden Verpflichtungen zu schaffen. Wir haben jetzt klare Wege, die wir beschreiten können, und wir werden darüber wachen, daß sie auch beschritten werden. Denn uns allen dürfte doch klar sein: Nur nationales Handeln langt nicht. Wir brauchen ein Vorgehen der Weltgemeinschaft. Wir brauchen eine Vorreiterrolle der Industriestaaten in der Weltgemeinschaft. Was ich für erfreulich halte, ist, daß mit der gemeinschaftlichen Umsetzung jetzt auch ein Instrument geschaffen werden wird, das in absehbarer Zeit Vorteile bietet, nicht nur für die Industrieländer, sondern auch - das muß man ganz deutlich sehen - für die Entwicklungsländer. Auf diesem Weg werden wir den dringend notwendigen Technologietransfer erreichen können, damit dort Energiespartechnologien realisiert werden, die - das muß man doch ganz klar sehen - sonst gar nicht realisiert werden würden. In dieser Situation wird es nur Gewinner geben. Wir werden die Entwicklungsländer mit neuen Technologien versorgen. Dies wird zur Energieeinsparung führen, zur Reduktion von Emissionen; gleichzeitig können wir damit Umwelttechnologie exportieren, gleichzeitig können wir unsere Spitzenstellung in der Umwelttechnologie untermauern. Ich glaube, daß dies ein sinnvoller Weg ist. Ich halte es vor allen Dingen für wichtig, daß wir den Vorbehalten der Entwicklungsländer in dieser Frage entgegengekommen sind, daß es hier kein einseitiges Diktat gibt, sondern daß wir die Kriterien, die sie für notwendig gehalten haben, auch als Bundesregierung respektiert, aufgegriffen und damit deutlich gemacht haben, daß wir auf diese Länder zugehen, daß wir keine Politik an ihnen vorbei wollen, sondern eine Politik mit ihnen gemeinsam. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Wir haben nicht in arroganter Haltung gesagt: Wir wissen, was für euch gut ist. Wir haben vielmehr mit ihnen geredet, haben Dr. Klaus W. Lippold ({11}) ihre Argumente aufgenommen, und dann beschreiten wir gemeinschaftlich einen Weg, der die Lösung der zukünftigen Weltprobleme vorgibt. Diesen Ansatz kann man tragen. Lassen Sie mich sagen, daß wir dazu natürlich auch - neben aller globalen Vorausschau - innerhalb dieses Landes etwas tun müssen. Wir haben hervorragende Ansätze. Das Energieeinsparförderungsprogramm, das jetzt gerade beschlossen wurde, ist doch etwas, von dem Sie noch vor einem Vierteljahr gesagt haben, daß es sowieso nicht kommen wird, daß wir es nicht durchsetzen würden. Das Programm steht, die Selbstverpflichtungen sind da. Das heißt, wir gehen ganz konsequent den Weg der nationalen Vorreiterrolle weiter. Wenn uns Europa, wie die Ministerin heute ausgeführt hat, in wesentlichen Fragen auf diesem Weg nicht folgt, werden wir auch hier neue Wege beschreiten und unsere Vorreiterrolle weiter ausbauen. Wir werden dabei keine unnötige Zeit verlieren. ({12}) Das ist ein Weg, vernünftig Vorsorge im Klimaschutz zu betreiben, vernünftig zwischen erster und dritter und vierter Welt gemeinschaftlich die Zukunft dieser Erde stärker zu sichern, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Da wäre es besser, wir würden nicht Chaoten unterstützen, ({13}) sondern uns sachlich über die richtigen Wege unterhalten. Ich bedanke mich. ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt die Kollegin Michaele Hustedt.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bremser im internationalen Klimaschutzprozeß sitzen in Kuwait und in den USA. Das behaupten Sie, Frau Merkel. Ich dagegen behaupte: Die Bremser sitzen auch auf dieser Regierungsbank - Herr Wissmann, Herr Waigel und Herr Rexrodt. ({0}) Deutschland ist genauso Bremser wie alle anderen Industrienationen insgesamt, die seit Rio in Sachen Klimaschutz nichts oder verschwindend wenig unternommen haben. Die Führungsrolle im Klimaschutz haben die Industrienationen an die Entwicklungsländer, die kleinen Inselstaaten, Indien, Brasilien, ja sogar China abgegeben. Der Berliner Klimagipfel war kein Erfolg. Berlin hat lediglich geholfen, den Fadenriß im internationalen Klimaschutzprozeß zu verhindern. Wegen des Zögerns und Zauderns der Industrienationen konnte die Konferenz gar nicht zum Durchbruch werden. Nachdem der rote Teppich eingerollt ist, kehrt jetzt wieder der Alltag ein - der Alltag, in dem sich die Bundesregierung zum willigen Erfüllungsgehilfen der deutschen Industrieverbände macht, der Alltag, in dem wieder Versprechungen gemacht werden, die nicht einmal das Papier wert sind, auf dem sie stehen, der Alltag, in dem Wissmann, Rexrodt und Waigel die Umweltpolitik bestimmen und nicht Sie, Frau Merkel. Ein Beispiel: Ökosteuern sind in aller Munde. Der Bundesverband der Deutschen Industrie hält sie aber für „ökologisch ineffizient, ökonomisch kontraproduktiv, beschäftigungspolitisch falsch, ordnungspolitisch problematisch". Kurz: Sie gefährden den Standort Deutschland. Wie wir sehen, gibt es auch in diesem Land eine sehr starke Lobby der Rückwärtsgewandten gegen die ökologische Wende. Wollen wir wirklich zulassen, daß diese Leute unsere Politik bestimmen? Solange diese Bundesregierung nicht bereit ist, gegen die restaurativen Positionen der Wirtschaftsverbände anzutreten, wird sich das nicht ändern. Da geht es nicht um die eine oder andere Brotkrume, die man der SPD in großkoalitionären Gesprächen vorwirft, nicht um ein Bröckchen, um ihr die Akzeptanz der Atomkraft abzuringen und um die eigenen ernsthaften Umweltpolitiker nicht immer nur im Regen stehenzulassen. Es muß endlich zur Sache gehen. 1997 heißt es auf der Nachfolgekonferenz in Tokio: Hosen runter. Kommen die Industrienationen, kommt Deutschland dort wieder mit leeren Händen, dann wird es zum Fadenriß kommen. Schöne Worte werden nicht mehr reichen. ({1}) Wenn die Bundesregierung nun versucht, der SPD das Ja zur Atomkraft abzupressen, indem sie im Gegenzug zur Förderung von regenerativen Energien bereit ist, ({2}) so kann man dazu nur sagen: Das ist skandalös, absolut skandalös. Wenn Kanzler Kohl seine Worte auf der Klimakonferenz ernst gemeint hat, dann gibt es hier überhaupt nichts abzuhandeln. ({3}) Er muß die erneuerbaren Energieträger fördern, um diese Zielstellung zu erreichen. Ein Hinweis an die SPD: Frau Fuchs, es besteht überhaupt kein Grund, sich irgend etwas abhandeln zu lassen. ({4}) Das provokante Vorgehen der Bundesregierung macht deutlich, daß es ihr bei diesen Gesprächen nur um das eine geht: Atom, Atom und noch einmal Atom. Liebe SPD, machen Sie sich am 21. Juni lieber einen schönen Abend, anstatt sich den sogenannten Konsensgesprächen noch einmal auszusetzen. Kommen Sie lieber am 13. Mai mit uns auf die bundesweite Anti-Atom-Demonstration nach Hannover - ganz in Ihrem Sinne, liebe Genossen: „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" ! ({5}) Meine Damen und Herren, diese Regierung ist durchaus fähig, auch unpopuläre Maßnahmen wie z. B. die Finanzierung der deutschen Einheit durchzusetzen. Der Solidarbeitrag wird nur mit knirschenden Zähnen gezahlt. Aber er wird gezahlt. Den gleichen Durchsetzungswillen, den der Bundeskanzler für seine Lebensaufgabe - die Beendigung der Nachkriegsära - aufbringt, brauchen wir, um dieses Land auf die Zukunft vorzubereiten. Diesen Mut wünschen wir uns für die Durchsetzung der klima- und energiepolitischen Wende. 1997 nicht mit leeren Händen vor den Entwicklungsländern zu stehen bedeutet, die Energiesteuer zur Not auch im nationalen Alleingang einzuführen. ({6}) Das ständige Fingerzeigen auf die, die nicht mitziehen wollen, Frau Merkel, ist für bundesdeutsche Versäumnisse ganz und gar keine Entschuldigung. Die jüngsten Vorstellungen der SPD für eine Energiesteuer sind allerdings lediglich Kosmetik. Das erwartete Aufkommen von 2 Milliarden DM reicht nicht einmal aus, um die Senkung der Energiepreise nach dem Wegfall des Kohlepfennigs auszugleichen. Die Energieversorgungsunternehmen kündigen schon jetzt Strompreisermäßigungen an, die HEW haben den Strompreis um 10 % gesenkt. Strom darf nicht billiger werden; das wäre in dieser Zeit ein völlig kontraproduktives Signal. ({7}) Eine Energiesteuer muß mindestens die 7,5 Milliarden DM ausgleichen, die sich durch den Wegfall des Kohlepfennigs ergeben. Wir brauchen einen „Sonnenpfennig", wir brauchen eine Initiative „Deutschland - ein Land für die Sonne". ({8}) Klimaschutz bedeutet aber auch, den Bundesverkehrswegeplan, diesen Schlachtplan gegen Mensch und Natur, sofort einzumotten, den Ausbau von Straßen substantiell zu reduzieren, die Besteuerung des Kerosins im Flugverkehr durchzusetzen und ein anspruchsvolles Aktionsprogramm „Energie 2000" vorzulegen. ({9}) Doch diese Bundesregierung vertritt lediglich die kurzsichtigen und rückständigen Interessen der Wirtschaftsverbände, die sich immer auf die Letzten in ihren Reihen beziehen, stets nur die Verliererindustrien des Strukturwandels vertreten. So geschieht es auch in ihrer neuerlichen Offensive für den Bau von Atomkraftwerken in diesem Land. Die Atomindustrie hat in Deutschland keinen Markt mehr. Eine Pleite reiht sich an die andere. Nach wie vor sind die Mehrheiten gegen Atomkraft. Wenn nicht ein Wunder geschieht, ist die Atomindustrie bald am Ende. Das ist auch gut so. Jetzt versuchen Bundesregierung und Atomlobby, dies mit einem dreifachen Wurf zu ändern: Erstens soll die SPD mit unverschämten Erpressungsversuchen wieder in das Boot der Atomkraftakzeptierer gehievt werden. Dazu dienen die großkoalitionären Gespräche zum Erreichen eines Energiekonsenses. Zweitens soll der osteuropäische Markt den fehlenden Markt im Inland ersetzen. Deshalb hält Frau Merkel z. B. am Umbau des slowakischen Atomkraftwerks Mochovce fest, obwohl Preussen-Elektra ausgestiegen ist, Österreich, Dänemark, Norwegen und das Europäische Parlament dieses Vorhaben ablehnen und obwohl sich die Europäische Investitionsbank gegen das Projekt ausgesprochen hat. Drittens setzt man auf Joint implementation mit dem unglaublichen Ziel, den Bau von Atomkraftwerken in China auch noch auf das eigene nationale Klimaschutzziel anrechnen zu lassen. Dabei wird versucht, die berechtigten, wachsenden Ängste vor der Klimakatastrophe schamlos auszunutzen, um die fehlende Akzeptanz für die Atomkraft in der Bevölkerung zurückzugewinnen. Nicht mit uns, meine Damen und Herren! ({10}) Sie behaupten, daß die Atomkraft in Deutschland hochgradig sicher sei. Das Risiko scheint aber doch zumindest in den Augen derjenigen, die dafür geradestehen müßten, nicht kontrollierbar zu sein. Es findet sich nämlich kein Versicherer, der bereit wäre, das tatsächliche Risiko abzudecken. ({11}) Deshalb ist die Deckungsobergrenze auch auf läppische 500 Millionen DM festgelegt. Das Prognos-Institut aus der Schweiz hat berechnet, daß ein GAU in Biblis B 10,7 Billionen DM kosten würde. Dies entspräche dem Bruttosozialprodukt einer Legislaturperiode. Ein GAU in Deutschland wäre das absolute Ende des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Frau Merkel, Sie wollen mit Ihrer Pro-Atom-Politik mit dem Kopf durch die Wand. Der Transport des Castor-Behälters vom AKW Philippsburg nach GorMichaele Hustedt leben ist eine politische Provokation, um die SPD zu demütigen. ({12}) Eine Provokation ist aber auch die Anordnung des Sofortvollzuges durch die SPD-Landesregierung, obwohl es dafür keine Bundesanweisung gegeben hat. ({13}) „Castor" zeigt eines - hier sollten Sie zuhören -: Es wird wieder versucht, die Pro-Atom-Politik zum Teil mit dem Knüppel gegen die Bevölkerung durchzusetzen. Frau Merkel, Sie haben offensichtlich keine Ahnung davon, daß die Anti-AKW-Bewegung ein Teil der Geschichte der Bundesrepublik West ist. Durch diesen Brechstangenkurs zerstören Sie mehr an gesellschaftlichem Miteinander, als Sie denken. ({14}) In diesem Land kann man die Akzeptanz der Atomkraft auch mit noch so viel Polizeieinsatz nicht erreichen. ({15}) Der Widerstand gegen die Atompolitik läßt sich nicht polizeilich abräumen. Hier geht es darum, ob die Gesellschaft bereit ist, das Risiko der Atomenergie zu tragen. Die Mehrheit will das nicht. ({16}) Ich sage Ihnen: In einer Demokratie muß man mit Argumenten kommen und nicht mit Polizeiknüppeln und Wasserwerfern. ({17}) Diese Regierung ist unfähig, eine Gesellschaft zu einen, die spätestens seit dem 24. April 1986 gespalten ist. Meine Damen und Herren, die SPD kämpft für die Kohle, die Regierung für die Atomkraft. Verhaftet in alten Denkschablonen werden sie vielleicht eine großkoalitionäre Einigung erreichen. Aber bringt sie uns weiter? Hilft sie, das Risiko für unsere Gesellschaft zu verringern? Das Alte siegt, die Herausforderungen der Zukunft werden nicht angenommen. Deswegen wird eine derartige Einigung auch keinen Bestand haben. Unsere Politik dagegen heißt, das Risiko zu minimieren. Wir wollen den Klimaschutz und den Ausstieg aus der Atomenergie. Unsere Politik heißt, die ökologische Wende zu gestalten. Zum Schluß möchte ich Ihnen ein kleines Rätsel aufgeben. Wer hat folgenden Beschluß einstimmig gefaßt? Die möglichst EU-weite, notfalls aber auch nur nationale, aufkommensneutrale CO2-/Energiesteuer, deren Einführung bis spätestens 1996 die ... fordert, wird zur Steigerung der Effizienz des Energieeinsatzes und zur Verringerung der CO2-Emissionen beitragen. - Na, wer war es? ({18}) Liebe F.D.P., es scheint, daß Ihr Landesverband in Berlin mehr kapiert hat als Ihr Minister. Wo waren Sie eigentlich, Herr Rexrodt? ({19}) Stimmt das Gerücht, daß Sie während der Abstimmung auf dem stillen Örtchen weilten? Sonst wäre ja keine Einstimmigkeit zustande gekommen. Aber was kümmert dieser Beschluß den Wirtschaftsminister, was kümmert er die Bundestagsfraktion? Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, Sie haben die Meßlatte in Berlin hochgelegt, jetzt müssen Sie drüberspringen, mit oder ohne Meniskus, mit oder ohne F.D.P. ({20})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren, bevor ich der Kollegin Homburger das Wort gebe, möchte ich auf der Tribüne die Delegation des Ausschusses für Geschäftsführung der Staatsduma der Russischen Föderation unter Leitung ihres Vorsitzenden Dr. Wladimir A. Bauer ganz herzlich begrüßen. ({0}) Wir hoffen, daß gerade angesichts Ihrer bisherigen Bemühungen um Geschäftsordnungsfragen in der Duma, aber auch um andere Fragen, die Sie intensiv mit uns erörtern, etwa die Rechte der Minderheiten, der Deutschstämmigen in Rußland, unsere Beziehungen weiter ausgebaut werden. Alles, was unseren Parlamenten und der Demokratie in unseren Ländern dient, bedarf der massiven Unterstützung. Herzlichen Dank für Ihr Kommen und gute Verhandlungen hier. ({1}) Als nächste spricht Frau Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst an den Kollegen Müller wenden, der die, wie ich finde, sachliche und sehr ruhige Rede unserer Bundesumweltministerin Frau Merkel als konfrontativ bezeichnet hat. ({0}) Ich entnehme einem „dpa"-Interview von gestern, daß Sie, Herr Müller, und auch der Kollege Schütz erklärt haben, daß Sie wohl die Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit dem Castor-Transport ablehnen, aber - ich zitiere aus der „dpa"-Meldung, was die Kollegen Müller und Schütz gesagt haben sollen - „wir verurteilen auch, wenn CDU/CSU- und F.D.P.Rambos in die Politik Einzug halten" . ({1}) Da möchte ich Sie fragen, lieber Herr Kollege Müller, ob die Rede von der Frau Bundesumweltministerin heute morgen aus Ihrer Sicht schon darunterfällt. Ich möchte Ihnen sagen, daß ich überhaupt kein Verständnis für solche Äußerungen habe, denn wer gewalttätigen Protest mit politischen Argumenten gleichsetzt, der betreibt Heuchelei. Es ist absolut unverschämt, was Sie hier machen. ({2}) Wenn Sie davon reden, daß F.D.P.- und CDU/CSURambos in die Politik Einzug gehalten haben, dann will ich Ihnen mit Blick auf dieses Zitat gerne sagen: Wer hier verbales Rowdytum betreibt, das bleibt dann zu entscheiden. ({3}) Die F.D.P. begrüßt das von der UN-Klimakonferenz in Berlin angenommene Verhandlungsmandat und auch die Pilotphase für die Joint-implementation. Frau Kollegin Hustedt, wann werden Sie endlich zur Kenntnis nehmen, daß man mit demselben Geld in anderen Ländern noch weit mehr für den Umweltschutz erreichen kann als hier? Und wann wollen Sie endlich zur Kenntnis nehmen, daß Joint-implementation nicht bedeutet, daß wir von den national gefaßten Zielen der CO2-Reduzierung heruntergehen? Die sollen bleiben, und das andere soll zusätzlich kommen. Nehmen Sie das bitte endlich zur Kenntnis! ({4}) Das Ergebnis der Klimakonferenz zeigt, daß alle Vertragsstaaten die Bedeutung der Reduzierung klimarelevanter Gase auch über das Jahr 2000 hinaus anerkennen und den Verhandlungsprozeß fortzusetzen bereit sind. Insofern war die erste Vertragsstaatenkonferenz in Berlin eine notwendige Zwischenetappe, ein Schritt zu einer weltweit aktiven Klimaschutzpolitik. An dieser Stelle möchte ich, auch für die F.D.P.-Fraktion, der Bundesregierung danken, die, wie ich finde, mit ihrer intensiven Vorbereitung und klugen Verhandlungsführung dieses Ergebnis der Konferenz erst möglich gemacht hat. ({5}) Frau Ministerin Merkel, die F.D.P. bedauert es dennoch, daß es nicht möglich war, schon einen konkreteren Handlungsauftrag auf der Basis des von den AOSI-Staaten eingebrachten Protokollentwurfs zu beschließen. Statt die Absicht zu haben, das einzubeziehen, wäre es wünschenswert gewesen, es zur Grundlage zu machen. Es ist schade, daß das nicht gelungen ist. Das Berliner Mandat zeigt auch deutlich, daß es auf Grund der unterschiedlichen Positionen der Vertragsstaaten bis 1997 noch ein schwieriger Verhandlungsprozeß werden wird. Durch die Annahme des Berliner Mandats machen die Industrieländer deutlich, daß sie die ihnen darin aufgegebene größere Verantwortung für die weltweite CO2-Reduzierung und die berechtigten Interessen der Entwicklungsländer an einer nachhaltigen Entwicklung akzeptieren. Nun gilt es, der übernommenen Verantwortung durch konkretes Handeln gerecht zu werden. Das gilt für alle Industrieländer, insbesondere für die G-7-Länder. Von dieser Stelle aus richte ich nochmals einen deutlichen Appell an die USA - wir haben das mehrfach diskutiert -, deutliche Schritte zu unternehmen und sich nicht auf ihre bisherige Position und Bremserfunktion zu beschränken. ({6}) Der Handlungsbedarf ist evident. Ich will die Zahlen nicht erneut nennen. Sie sind denen, die hier sind, bekannt. Es bleibt nicht viel Zeit. Auf der nächsten Vertragsstaatenkonferenz 1997 muß es zu verbindlichen Ergebnissen kommen. ({7}) Die F.D.P. will, daß die Bundesregierung beim Klimaschutz weiterhin Motor ist. ({8}) Nur wenn jetzt sofort mit weiteren Gesprächen und Verhandlungen begonnen wird, haben wir überhaupt eine Chance, bis 1997 einen verhandlungsund einigungsfähigen Protokollentwurf zu erarbeiten. Ich möchte an dieser Stelle Herrn Kinkel, unserem Bundesaußenminister, Dank sagen. Er hat auf allen seinen letzten Reisen das Thema Klimaschutz offensiv angesprochen, auch nach der Klimakonferenz. Er hat zugesagt, das auch weiterhin zu tun. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, während die SPD bei der Außenpolitik in militärischen und sicherheitspolitischen Kategorien verharrt, geht Kinkel voran und zeigt, daß für die F.D.P. Außenpolitik mehr als Sicherheitspolitik ist. Bei dem Prozeß bis 1997 muß die Bundesrepublik - nach Möglichkeit zusammen mit anderen europäischen Ländern - treibende Kraft sein. ({10}) Die F.D.P. fordert die Bundesregierung auf, die nötige Arbeit unverzüglich fortzusetzen und nach der Klimakonferenz nicht nachzulassen. Klimaschutz muß auf allen Ebenen vorangetrieben werden, international und national, aber auch auf der Ebene der Länder und Kommunen. Ebenso ist jeder einzelne gefordert. Für die Bundesebene hat Frau Ministerin Merkel vorhin schon aufgezählt, welche CO2-Maßnahmen die Bundesregierung beschlossen und eingeleitet hat. Es ist auch ein richtiger Schritt - ich sage das hier nochmals -, wenn sich Industrie und Automobilhersteller zu freiwilligen Vereinbarungen, zum kooperativen Umweltschutz, bereit erklären. Es war wichtig, daß es gelungen ist, im Bereich des Gebäudebestandes zu Energiesparmaßnahmen zu kommen und ein Förderprogramm zu beschließen. Danach sind Einsparungen von 100 Millionen t CO2-Emissionen, also 10 % der Gesamtemissionen, in Deutschland möglich. Hier hat die Bundesregierung ein Zinsvergünstigungsprogramm beschlossen, das Investitionen in Milliardenhöhe bringen wird. Es ist sicherlich auch richtig, daß es noch weiterer Maßnahmen bedarf. Wir sind darüber in intensiver Erörterung. Die F.D.P. will den Klimaschutz voranbringen. Deswegen ist für uns die Einführung einer CO2-/Energiesteuer ein wesentlicher Bestandteil, ein wirkungsvolles marktwirtschaftliches Instrument zur Reduzierung der CO2-Emissionen. Parallel dazu muß die Absenkung von direkten Steuern in gleichem Umfang erfolgen. Wer wie vor allem die SPD den Leuten weismachen will, daß ausgerechnet milliardenschwere Subventionen für den Umweltsünder Steinkohle irgend etwas mit Ökologie zu tun haben, braucht sich nicht zu wundern, wenn er an Glaubwürdigkeit verliert. ({11}) Die Forderung nach einer Energiesteuer im Zusammenhang mit der Kohlefinanzierung war nichts anderes als der Versuch einer Geldbeschaffung, die nichts mit ökologischer Lenkung zu tun hat. Gerade weil wir Liberalen eine Kohlepfennig-Ersatzsteuer verhindert haben, können wir für eine aufkommensneutrale CO2-/Energiesteuer mit ökologischer Lenkungsfunktion überzeugend werben. Dabei werden Sie uns weiter in allererster Linie finden. ({12}) Natürlich ist es auch wichtig, den Energiekonsens weiter voranzutreiben. Herr Scharping hat gestern, wie ich einer „ddp"-Meldung entnehme, der Bonner Koalition vorgeworfen, für die festgefahrene Situation bei den Gesprächen fiber einen Konsens in der Energiepolitik verantwortlich zu sein. ({13}) Herr Scharping, Sie haben erklärt, daß das ideologisch begründete Festhalten der Koalition an einer Option für die Kernenergie daran schuld sei. Da kann ich nur fragen: Beharren Sie nicht auch auf Positionen? Wollen Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen, daß z. B. Bundeswirtschaftsminister Rexrodt deutlich erklärt hat, daß keiner den anderen mit seiner Position voll überzeugen wird und daß man aufeinander zugehen muß? ({14}) - Herr Scharping hat heute noch gar nichts gesagt. Ich entnehme das einer Tickermeldung. Ich frage Sie allen Ernstes: Was hat denn die SPDBundestagsfraktion für die Minderung der CO2-Emissionen getan? Was haben Sie denn im Vorfeld der Klimakonferenz gemacht? Nichts haben Sie gemacht. Sie haben die Bundesregierung kritisiert und nicht etwa den Prozeß vernünftig begleitet. ({15}) Sie haben einen Bestandsschutz für die Kohle gefordert, eine Bestandsgarantie für die klimaschädliche Steinkohle. Sie sind sich intern in keiner Weise einig. Sie waren es doch, Herr Scharping, der die Positionen der Umweltpolitiker Ihrer Partei im Bundestagswahlkampf der Reihe nach eingesammelt hat, sei es Tempo 100, sei es die nationale Mineralölsteuererhöhung, sei es die nationale Energiesteuer. Egal, was es auch immer war, Sie haben alles eingesammelt. Und dann stellen Sie sich in der Öffentlichkeit hin und wollen den Leuten klarmachen, daß Sie die treibende Kraft beim Klimaschutz sind. Das kann ja wohl nicht wahr sein! ({16}) Herr Müller und Frau Hustedt, Sie haben den Castor-Transport angesprochen und erklärt, es sei nicht nötig, ihn durchzuführen, und deswegen sei es eine gezielte Provokation. Hat Ihnen eigentlich schon einmal irgend jemand erklärt, daß eine Genehmigungspflicht besteht, wenn der Antrag von der Betreibergesellschaft Philippsburg gestellt wird und alle Voraussetzungen erfüllt sind? Und sie waren erfüllt! Hatte denn die Bundesregierung wirklich die Möglichkeit, das zu verhindern? Fragen wir doch einmal: Wer hat eigentlich den „Castor" auf die Schiene gesetzt? Wo liegt denn Philippsburg? Wer hat denn da Anteile? Das Land Baden-Württemberg! Wer trägt da Verantwortung? UmBirgit Homburger weltminister Schäfer und Wirtschaftsminister Spöri, Ihre beiden SPD-Minister, hätten, wenn sie gewollt hätten, verhindern können, daß Philippsburg den Antrag überhaupt stellt. ({17}) Sagen wir doch, wer hier zuständig ist! ({18}) Liebe Frau Kollegin Hustedt, bei allem Verständnis kann ich nicht nachvollziehen, daß Sie hier erklärt haben, man müsse mit Argumenten und nicht mit Polizei und Wasserwerfern kommen. Dazu kann ich nur ganz deutlich sagen: Man muß mit Argumenten kommen und nicht mit Gewalttätern. ({19}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine ganze Reihe von Handlungsmöglichkeiten, auch auf Länderebene und auf kommunaler Ebene. Ich habe das mehrfach angesprochen und den Präsidenten des Deutschen Städtetages um eine Initiative bei der Solarenergie gebeten, da in vielen Gemeinden die Nutzung der Solarenergie wegen Vorschriften bei Dachneigung, Ausrichtung der Gebäude im Baufenster, aber auch durch strikte Verbote nicht ermöglicht wird.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Altmann?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man nur von Dingen reden sollte, von denen man etwas versteht? ({0}) Wenn Sie hier von Gewalttätern, Polizeieinsatz und Argumenten reden, sollten Sie vielleicht vor Ort gewesen sein. Ich war vor Ort. ({1}) - Ich bekenne mich dann eben auch zu diesen Chaoten, von denen ich also eine gewesen sein muß. Ihre Äußerung hat mir gezeigt: Wenn Sie so darüber hinweggehen, wissen Sie nicht, was passiert ist, daß nämlich diese Wasserwerfer gegen friedlich demonstrierende Jugendliche gerichtet waren, die Angst um ihre Zukunft haben, ausgelöst durch Leute, die ihre Zukunft schon hinter sich haben. ({2})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Kollegin Altmann, wenn Sie hier - ({0}) - Darf ich das vielleicht beantworten? - Danke. ({1}) Liebe Frau Kollegin Altmann, wenn meine Ausführungen, an denen ich festhalte, ({2}) dazu geführt haben, daß Sie hier erklären: „Ich bekenne mich zu diesen Chaoten", dann haben wir damit der Öffentlichkeit deutlich gemacht, wes Geistes Kind die GRÜNEN sind. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werden uns immer dann finden, wenn es darum geht, vernünftige, machbare Maßnahmen zu beschließen und den Klimaschutz weiterzuentwickeln. Sie werden daher verstehen, daß wir bei unserem klaren Kurs bleiben werden und Ihren Schlingerkurs bedauerlicherweise nicht akzeptieren können. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste erhält die Abgeordnete Dagmar Enkelmann das Wort.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist offenkundig der Tag des Dankes; keine Angst, ich werde mich daran nicht beteiligen. ({0}) Frau Merkel, die Klimakatastrophe findet längst statt, und wir warten wie das Kaninchen vor der Schlange. Wir hocken da, erkennen die Gefahr und sind außerstande, uns selbst zu retten. Wie die berüchtigten drei Affen erscheinen Merkel, Wissmann und Rexrodt: nichts sehen, nichts hören und um Gottes Willen bloß nichts sagen, also nicht über das reden, was doch alle längst wissen. Jüngste Studien von DIW und Wuppertal-Institut verweisen auf alarmierende Signale voranschreitender Klimaveränderungen. Das Abschmelzen der Gletscher, verbunden mit dem Ansteigen der Meeresspiegel und des Wasserdampfgehalts der Atmosphäre, die Zunahme orkanartiger Stürme, insbesondere tropischer Wirbelstürme, und ihre Verlagerung bis an die Westküste Europas, der deutliche Anstieg der Häufigkeit von Hochwassern in Mitteleuropa, die Verlängerung von Trockenzeiten, die Ausdehnung von Wüstengebieten usw. sind Fakten, um die niemand, der sehen will, herumkommt. Die Internationale Energie-Agentur kommt nach umfangreichen Untersuchungen zu dem Schluß, daß die CO2-Emissionen bei Beibehaltung der gegenwärtigen Energiepolitik bis 2010 weltweit um 50% ansteigen werden, wobei der Anteil des Verkehrssektors überdurchschnittlich wachsen wird. Ähnliche Ergebnisse stellte das Umweltbundesamt wenige Tage vor Beginn des Klimagipfels, bezogen auf die Verkehrsentwicklung in der Bundesrepublik, vor: Der Verkehr sei auf dem Weg zum Klimasünder Nr. 1. Bis zum Jahr 2005 rechnen Experten mit einem 40 %igen Anstieg der CO2-Emissionen im Privat- und Güterverkehr. Dabei wurden die Senkung des Flottenverbrauchs und andere technische Reduktionspotentiale bereits berücksichtigt. Sind das alles Schwarzmaler, alles hoffnungslose Pessimisten, alles technikfeindliche Ungläubige? Nein, ich denke, das sind die Stimmen der Vernunft, die endlich wirksame Konsequenzen anmahnen und die uns eine Hoffnung geben - es gibt tatsächlich noch eine Hoffnung -: Noch ist es nicht zu spät, noch ist es möglich, das Ruder herumzureißen. ({1}) Das einzige allerdings, was die Bundesregierung anzubieten hat, sind medienträchtig aufgebotene sogenannte Selbstverpflichtungen der Industrie. Dabei ist uns sicherlich allen klar, daß es ohne die Industrie nicht gehen wird. Aber es bleibt ein fader Beigeschmack. Letztlich erweisen sich die als Klimapolitik verkauften Maßnahmen als bloße technologische Mitnahmeeffekte. Die angekündigte Senkung der spezifischen CO2-Emissionen, also der Emissionen pro Einheit wirtschaftlichen Outputs, bedeutet bei gleichzeitigem wirtschaftlichen Wachstum einen absoluten Anstieg der Gesamtemissionen. Als lobenswerte Initiative im Interesse des Klimaschutzes erscheinen im Papier der Industrie sogar der Austausch veralteter Anlagen sowie technologische Erneuerungen, die im Interesse des Profits ohnehin längst fällig waren. Nein, Frau Merkel, die Vereinbarung mit der Industrie ist bei näherem Hinschauen ein ganz schlimmer Kuhhandel, dem Sie auch noch die Wärmenutzungsverordnung und die Energiesteuer geopfert haben. Schließlich drohen Sie der Industrie ein bißchen mit dem erhobenen Zeigefinger: Falls diese - also die Selbstverpflichtung nicht zu den gesetzten Zielen führt, muß die Bundesregierung über dann erforderliche Schritte neu nachdenken. Na, wenn das die Industrie nicht zittern läßt. Fazit: Die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung werden zum Spielball der Industrie. Nein, meine Damen und Herren, so ist Klimapolitik nicht zu machen. Sie lügen sich in die eigene Tasche, immer in der Hoffnung: Irgendeiner wird es schon richten. Nun hat die Bundesregierung, wie gefordert, einen nationalen Klimabericht vorgelegt. Man glaubte offenkundig, mit einem Katalog von 109 Maßnahmen die staunende Welt zu beeindrucken. Sieht man sich diesen Bericht allerdings etwas genauer an, dann erscheint er als eine reine Aufzählung von Maßnahmen, die irgend etwas mit Umwelt - manchmal auch mit Klima - zu tun haben. Schwerpunkte oder Prioritäten sind nicht erkennbar. Da werden erneut Maßnahmen präsentiert, wie die Wärmenutzungsverordnung, die inzwischen auf dem Altar der Industrie geopfert wurde. Energiesteuer oder Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes - immerhin ein Gesetz aus dem Jahr 1935 - werden angekündigt, aber seit Jahren immer wieder auf die lange Bank geschoben. Die Bundesregierung schmückt sich in ihrem Klimabericht mit Förderprogrammen wie Photovoltaik oder dem Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost, die langst ausgelaufen sind. Die Erhöhung der Mineralölsteuer wird als klimaschutzpolitische Maßnahme gefeiert, obwohl jeder und jede von uns hier weiß, daß sie aus ganz anderen Motiven zustande gekommen ist. Der Gipfel allerdings ist, daß im Maßnahmenkatalog des nationalen Berichts der Bundesverkehrswegeplan auftaucht, der zum Neubau von 360 000 km Straße führen soll, dessen Realisierung den Ausstoß von Schadstoffen, insbesondere CO2, weiter drastisch erhöhen wird. Schon heute ist der individuelle motorisierte Personenverkehr mit 66 % an der CO2-Emission und mit 51 % an den SO2-Emissionen beteiligt. Auf die Formulierung eines klaren Reduktionsziels verzichtet die Bundesregierung in ihrem Bericht großzügig; wohl weil sie inzwischen weiß, daß dieses Ziel ohnehin nicht zu erreichen ist. ({2}) Im Verkehrsbereich gibt man sich auch kaum noch die Mühe, sein Versagen zu leugnen. Der Schwarze Peter wird nun dem Energiebereich zugeschoben. Die Industrie hat auch gleich die Lösung parat: Die Atomenergie wird zum Allheilmittel klimapolitischer Probleme. Dabei ist längst bekannt, daß auch sie mit nicht unerheblichen CO2-Emissionen z. B. beim Uranabbau, dem Bau von Anlagen, dem Transport oder der Wiederaufbereitung von Brennelementen verbunden ist. Dabei rede ich hier gar nicht über die sonstigen gravierenden Unberechenbarkeiten des Einsatzes von Atomenergie. Wer Klimapolitik wirklich ernst meint, der muß bei den Hauptverursachern der Treibhausgasausstöße ansetzen: Erstens. Eindeutige Orientierung auf Verkehrsvermeidung durch regionalisierte Wirtschaftskreisläufe; die Stadt der kurzen Wege; die Zusammenbindung wichtiger Lebensfunktionen - also Wohnen, Arbeiten und Freizeit - in überschaubaren Räumen. Zweitens. Die Beendigung der einseitigen Subventionen von Pkw, Lkw und Flugzeugen; eine gerechte Kostenanrechnung im Verkehr einschließlich der Einsetzung einer Flugbenzinsteuer. Drittens. Die Einführung einer CO2-/Energiesteuer, die zu deutlichen Rationalisierungseffekten führt und den sparsamen Umgang mit Ressourcen befördert. Viertens. Der Beschluß und die Umsetzung einer Wärmenutzungsverordnung auf der Grundlage des Entwurfs der PDS von 1991. Mit ihm wird der größte Teil der bestehenden Anlagen bzw. der Neuanlagen als genehmigungsbedürftig erfaßt. Die Betreiber werden zur Erarbeitung eines Energienutzungskonzepts verpflichtet, dessen Ziel der rationelle Energieeinsatz durch Vermeidung unnötigen Verbrauchs, Senkung des spezifischen Nutzungsenergiebedarfs sowie die Verbesserung des Nutzungsgrades ist. Fünftens. Die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes von 1935, wobei Maßnahmen wie Least Cost Planning oder integriertes Ressourcenmanagement zur Grundlage für Energieplanung und -bereitstellung werden müssen. Sechstens. Eine klare Anschubfinanzierung und dauerhafte Förderung erneuerbarer Energien und von Maßnahmen zur Energieeffizienz. Der Einstieg in die Solarenergie muß endlich beginnen. Während in Deutschland das lächerliche 1 000-Dächer-Programm ausläuft, hat Japan inzwischen ein 70 000Dächer-Programm gestartet. Ich denke, das setzt Maßstäbe. Nach neuesten Untersuchungen von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts kann die Stromausbeute der Sonnenstrahlung inzwischen auf ca. 40 % erhöht werden. Konzepte und Ideen, machbare Alternativen liegen längst auf dem Tisch. Will die Bundesregierung nicht die Entwicklung verschlafen, muß sie endlich aufwachen und handeln. Ich denke, meine Damen und Herren, Sie wollen auch künftig Ihren Urlaub auf einer der Ozeaninseln, in Bangkok oder in Florida verbringen. ({3}) Verweigern Sie sich auch weiterhin klimapolitischen Konsequenzen, werden diese Orte allerdings bald von der Landkarte verschwunden sein. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht der Bundesminister für Wirtschaft, Günter Rexrodt.

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Klimaschutzkonferenz war ein Erfolg. Nun ist es nicht so, daß es seit Berlin keine Gefahren und keine schädlichen Umweltveränderungen mehr gibt. Diese Gefahren bestehen fort. Wie sollten diese Gefahren angesichts der ganz unterschiedlichen Prioritäten, die die verschiedensten Staaten der elementaren Lebenssicherung auf der einen Seite und dem Umweltschutz auf der anderen Seite zuweisen müssen, auch gebannt sein? Es bestehen unterschiedliche Interessen, und diese lassen immer wieder neue Gefahren entstehen. Aber die Klimaschutzkonferenz hat eines gebracht: Sie hat ins Bewußtsein der Weltöffentlichkeit gebracht, daß hier ein Problem von fundamentaler Bedeutung besteht und daß quantitative Ziele erreicht werden müssen. Es ist ein Mechanismus in Gang gekommen. Dieser Mechanismus hat sich und wird sich verselbständigen, und er wird zu Veränderungen und zu Verbesserungen führen. Das ist das große und wichtige Ergebnis der Klimakonferenz in Berlin. ({0}) Deutschland ist beim Umweltschutz Vorreiter. Das sehen wir an vielen Ergebnissen, und das sehen wir in der weltweiten Anerkennung. Auch die Vergabe des Büros nach Bonn ist Ausdruck dessen, daß man beim Umweltschutz Deutschland weltweit als Vorbild betrachtet. ({1}) Klimaschutz und Umweltschutz ist immer auch Energiepolitik. Ohne Fortschritte auf diesem Gebiet gibt es keinen wirksamen Klimaschutz. Ich bin froh, daß es in den letzten anderthalb Jahrzehnten gelungen ist, die Raten des Wirtschaftswachstums von den Wachstumsraten des Energieverbrauchs abzukoppeln. Aber - auch das muß wieder gesagt werden - es besteht natürlich ein weltweiter Zusammenhang zwischen der Verbesserung und Veränderung der Lebensbedingungen in den einzelnen Staaten und dem Energieverbrauch. Wir steuern auf eine Weltbevölkerung im Jahre 2010 von etwa 10 Milliarden Einwohnern zu, und sie wollen menschenwürdig leben. Sie müssen menschenwürdig leben. Das heißt, der Energieverbrauch auf diesem Planeten wird exorbitant ansteigen, und er wird in allen Teilen der Welt ansteigen. Er wird auch in Deutschland wieder ansteigen. Dieser Anstieg wird trotz aller Bemühungen um Energieeinsparung und den verstärkten Einsatz regenerativer Energien stattfinden. Der Anstieg, der unvermeidbar ist, wird mit Gefahren für das Klima und die Umwelt einhergehen. Wir als Deutsche müssen angesichts dieser Gefahren darauf dringen, daß wir primär unser europäisches Haus und natürlich unser eigenes Haus bestellen. Dazu stehen wir. Wir stehen auch zu unserer Politik der Energieeinsparung und der Förderung von erneuerbaren Energien. Ich will es mir jetzt ersparen, die vielen Programme aufzuzählen, die existieren und die sichtbare Erfolge gebracht haben. Ich will es mir ersparen, auf die verschiedensten ordnungsrechtlichen Veränderungen und Maßnahmen hinzuweisen, die dazu geführt haben, daß es zu einer Einschränkung beispielsweise des Wärmeverbrauchs kam. Wir fördern weiterhin Photovoltaik, Windenergie, Energiegewinnung aus Wasserkraft und aus Biomasse. Wir haben dazu Geld in die Hand genommen, und wir werden mehr und weiteres Geld in die Hand nehmen. Ich würde mich freuen, wenn wir diese Programme gemeinsam mit der Opposition entwerfen und durchführen können. Aber ich sage ganz klar: Wir brauchen Sie dazu nicht unbedingt. ({2}) Sie können in den Ländern ergänzende Programme auflegen. ({3}) Es wäre schön. In den Zielsetzungen liegen wir nicht weit auseinander. Das ist gestern beim Energiekonsens von Ihren Repräsentanten noch einmal bestätigt worden. Wir wollen das gern zusammen durchführen, aber dann müssen wir auch in anderen Dingen und in anderen Fragen zusammengehen. Energieeinsparung und regenerative Energien werden die Weltenergieprobleme mindern, aber nie lösen können. Deshalb müssen wir uns auch mit anderen Energieträgern befassen: mit Kohle, mit Öl, mit Gas und mit Kernenergie. Bevor ich zu diesen Energieträgern etwas sage, lassen Sie mich auch auf folgendes hinweisen, auch aus der Sicht des Wirtschaftsministers - ich habe das hier schon im anderen Zusammenhang gesagt -: Wir stehen zu einer umweltorientierten Veränderung in unserem Steuersystem, anders ausgedrückt: zu einer CO2-/Energiesteuer. Das darf aber im Saldo nicht zu einer zusätzlichen Belastung der Wirtschaft führen. ({4}) - Ich will höflich sein; das könnten Sie vielleicht auch schon eher erleben. Ich will Ihnen sagen: Wir stehen zu einer CO2-/ Energiesteuer, und zwar sollte sie möglichst international eingeführt werden, mindestens europaweit. Wie schon gesagt worden ist: Wenn wir da nicht weiterkommen, müssen wir auf nationaler Ebene über Veränderungen nachdenken und diese dann auch einführen. ({5}) Mir liegt erstens daran, festzuhalten, daß dies mit einer aufkommensneutralen Ausgestaltung dieser Steuer einhergehen muß. Zweitens liegt mir daran, darauf hinzuweisen, daß wir nicht auf billige Weise in dem Sinne Verlagerungseffekte hervorrufen dürfen, daß nunmehr Stahl- oder Chemieprodukte nicht mehr in Deutschland hergestellt werden, weil wir die Herstellung dieser Produkte durch eine solche Steuer verdrängt haben, und daß sie in Frankreich, in Italien und in England hergestellt werden. Der Stahlverbrauch in Deutschland wird nicht aus dem Grunde zurückgehen, daß wir keine Stahlindustrie mehr haben; der Stahl wird dann anderswo unter anderen Umweltkonditionen und Umweltstandards gekocht. Niemand auf diesem Planeten kann das wollen und hat etwas davon. Deshalb müssen wir alle - das gilt im übrigen auch für mich -, die wir ständig von einer CO2-/Energiesteuer sprechen, dieses Steuersystem, das wir dann wollen, auch einmal intellektuell durchdringen und uns fragen, wie wir es anlegen wollen. ({6}) Das kann man nicht so locker vom Hocker tun, wie sich das einige von Ihnen denken und vielleicht auch einige von uns. Es muß noch sehr viel Gehirnschmalz - ich sage das ohne Schärfe und auch gar nicht in eine bestimmte Richtung - darauf verwandt werden, diese Dinge so anzulegen, daß wir umweltpolitisch etwas davon haben und daß wir es nicht mit negativen und unverantwortbaren Wirkungen auf die Wirtschaft verbinden. ({7}) Meine Damen und Herren, wir streiten über Kohle. Die Kohle gehört klar zu den umweltpolitisch problematischen Energieträgern. Das gilt für die Braunkohle, und das gilt für die Steinkohle. Was mich immer nur wundert, ist, daß die Opposition immer wieder vergißt, in diesem Zusammenhang den umweltrelevanten Teil zu erwähnen, ({8}) wenn sie darum kämpft, einen Zeitraum für die Rückführung oder gar das Auslaufen der Kernenergie festzulegen. Meine Damen und Herren, das ist nicht redlich. Sie können nicht auf der einen Seite Umweltfreundlichkeit in der Energiepolitik anmahnen und einfordern und auf der anderen Seite dafür eintreten, daß es eine Verfeuerung von Kohle in diesem Lande noch möglichst lange und in großem Umfang geben wird. Das ist unredlich, kurzsichtig und ein An-der-Nase-Herumführen der Menschen in diesem Lande. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Jens?

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Ja, bitte.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ich verstehe Ihre Philippika gegen die Kohle beim besten Willen nicht. ({0}) Können Sie mir vielleicht bestätigen, daß es entscheidend darauf ankommt, die Energieeffizienz der Kohle zu steigern, und daß es richtig ist, daß die sozialliberale Koalition ein Programm zum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung aufgelegt hat, womit die EffiDr. Uwe Jens zienz um 100 % gesteigert werden kann? Dies ist aber von Ihnen abgeschafft worden. Können Sie mir ebenfalls sagen, wann Sie das vielleicht wieder einführen wollen?

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Herr Kollege Jens, eine Philippika von mir gegen die Kohle können Sie nicht verstanden haben, weil ich sie nicht gehalten habe. Ich habe nichts anderes angemahnt, als daß die Kohle so diskutiert werden soll, wie sie es verdient. Sie ist ein umweltpolitisch problematischer Energieträger. Wir können in der Diskussion um die Kohle diesen Aspekt nicht weglassen, wie Sie das immer wieder tun. ({0}) Gegen die Kraft-Wärme-Kopplung habe ich nichts. ({1}) Ich fordere Sie auf: Setzen Sie sich mit uns zusammen! Lassen Sie uns in den Energiekonsensgesprächen über alle Energieträger reden, auch über Kernenergie! Dann können wir auch über neue Programme für die Kraft-Wärme-Kopplung reden, Herr Kollege Jens. ({2}) Lassen Sie mich noch ein paar Worte zur Kernenergie sagen. Wir wollen die Option für die Nutzung der Kernenergie offenhalten. Hier treffen wir den Nerv einiger Leute. Ich weiß, daß wir da auch differenzieren müssen. Es gibt da eine Reihe von Leuten, die es wirklich umtreibt und die diese Energie für nicht beherrschbar und nicht kalkulierbar halten. Das ist ernst zu nehmen. Es gibt auch andere, die hier ideologisieren und die meinen, scharfmachen zu können, und die meinen, politisch absahnen zu können. Das ist nicht ernst zu nehmen. Ich habe nach sehr sorgfältiger Beschäftigung mit der Kernenergie - nehmen Sie mir das mal ausnahmsweise ab - keine These, keine Argumentation gesehen, die wirklich überzeugend die These stützt, daß diese Energie nicht beherrschbar sei und daß von ihr Gefahren ausgingen, die nicht kalkulierbar seien. Ganz im Gegenteil, wir sind der Meinung - das ist das Wichtigste -, daß diese Energie, daß dieser Energieträger umweltfreundlich ist, sehr viel umweltfreundlicher als andere Energieträger. Wir sind der Meinung, daß die schon hohen Sicherheitsstandards bei der Kernenergie weiter über das Maß hinaus ausgebaut werden können, das wir heute kennen, und daß nach menschlichem Ermessen diese Kernenergie beherrschbar und kalkulierbar ist. Ich wäge das, was hier an Gefahrenpotentialen ausgeht, gegen die Gefahren ab, die von anderen Energieträgern gerade im Umweltbereich ausgehen. Aus meiner Sicht muß, wenn man fair ist, nicht ideologisiert ist, nichts zur Schau tragen muß und zur Schau tragen will, was man denkt, ohne es durchdrungen zu haben, nach Abwägung dieser Umstände ein Votum in Richtung Kernenergie entstehen. Meine Damen und Herren, weltweit entstehen neue Kernkraftwerke. Mehr als 60 sind im Bau, 20 werden geplant. Das sind auch Kernkraftwerke, die nicht unsere Standards haben. Aber wir sollen uns aus dieser High-Tech-Industrie verabschieden, während sie weltweit gebaut wird, schon heute und später in zunehmendem Maße. Meine Damen und Herren, da gehen die Arbeitsplätze verloren. Da geht eine Technologie verloren, die Zukunft hat. Das wollen wir nicht. Deshalb wollen wir die Option auf die friedliche Nutzung der Kernenergie offenhalten. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Schönberger?

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Ja, gern.

Ursula Schönberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002786, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Rexrodt, Sie sprechen davon, daß die Atomenergie eine umweltfreundliche Energie ist. Ist Ihnen bekannt, daß in der Ukraine und in Weißrußland Tausende von Menschen gestorben sind und weiterhin sterben, daß Kinder an Mißbildungen leiden, immer mehr Kinder mit Krankheiten zur Welt kommen oder an Leukämie sterben, daß weite Teile des Gebietes schwerstradioaktiv verseucht sind und daß dies in allen anderen Atomkraftwerken auf der Welt auch passieren kann? Ist Ihnen das bekannt? Können Sie dann noch davon reden, daß Atomenergie umweltfreundlich ist? ({0})

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Diese Erzeugung von Sekundärenergie auf der Basis der Nuklearspaltung ist beherrschbar, wenn das mit den bekannten Sicherheitsstandards verbunden wird. Das ist bekanntlich auf Grund besonderer Umstände, die Sie genau kennen, auch auf Grund menschlichen Fehlverhaltens, in Tschernobyl nicht der Fall gewesen. Das ist in anderen Kraftwerken nicht denkbar, zumindest nicht in Deutschland denkbar. ({0}) Deshalb ist unter Abwägung all der Aspekte, die ich bereits angeführt habe, insbesondere des Umweltaspektes, diese Energie meines Erachtens eine Energie, auf die man nicht verzichten kann. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Minister - Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: Nein, ich würde jetzt gern meine Gedanken zu Ende führen.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Keine Zwischenfrage des Kollegen Schwanhold mehr. Frau Schönberger, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihr T-Shirt mit plakativer Aufschrift nicht den Vereinbarungen unseres Ältestenrats und unseres Parlaments entspricht. ({0})

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Ich möchte noch meine Gedanken zur Kernenergie zu Ende bringen. In den Energiekonsensgesprächen können wir uns über diesen Energieträger nicht hinwegsetzen. Wenn wir über die Option sprechen, meinen wir keine theoretische Option, sondern eine, die auch wirklich ausgefüllt werden kann. Es geht nicht an, daß wir bei diesen Gesprächen, so wichtig sie sind und so viel von beiden Seiten eingebracht wurde, zu dem Ergebnis kommen, daß wir uns über regenerative Energien, Energieeinsparungen, meinetwegen auch über Kohle, Öl und Gas sowie über die Veränderungen des Energiewirtschaftsgesetzes und anderes mehr geeinigt haben und nur die Kernenergie und deren Option auf die lange Bank geschoben wird. ({0}) Das ist Salami-Taktik. Am Ende wollen Sie sagen: Wir haben so schöne Ergebnisse erzielt; lassen wir doch die Atomenergie beiseite! Meine Damen und Herren, das wird mit uns nicht gehen. Die Atomenergie ist Bestandteil des Ganzen. Ich sage noch einmal: So sehr mir an diesen Gesprächen und deren Ergebnissen liegt - das Ergebnis muß so aussehen, daß die Option einlösbar ist. Das heißt: Forschung und Entwicklung müssen weiterhin stattfinden können. Es muß ein standortunabhängiges Genehmigungsverfahren geben. Wir müssen auch über die politische Willensbildung sprechen, die der Entscheidung über eine mögliche Referenzanlage und über neue Kraftwerke im Grundlastbereich vielleicht im nächsten .Jahrzehnt vorausgeschickt werden soll. Das wollen wir. Das ist Bestandteil des Ganzen. Das ist nichts anderes als fair. Wenn wir am 21. Juni zu Potte kommen wollen, dann müssen Sie in dieser Frage springen. Ansonsten wird leider nichts passieren. ({1}) Wie bigott die Haltung der SPD oder Teilen dieser auch in der Frage der Kernenergie ist, können Sie daran erkennen, daß die niedersächsische Landesregierung eine Bürgschaft über 14,5 Millionen DM zur Verfügung gestellt hat, damit im Land Niedersachsen auch weiterhin Zwischenlagerbehälter für ausgediente Brennstäbe gefertigt werden können. ({2}) Diese Bürgschaft Niedersachsens in Höhe von 14,5 Millionen DM ist durch das Kabinett gegangen, ohne daß die Umweltministerin etwas dagegen gesagt hat; ({3}) sie ist einstimmig verabschiedet worden. 35 Exemplare dieser Zwischenlagerbehälter hat die Firma in Osnabrück bereits geliefert; weitere werden folgen - das Ganze mit Hilfe der Bürgschaft der niedersächsischen Landesregierung. ({4}) Als das dann ruchbar geworden ist, hat der Sprecher des Wirtschaftsministeriums sehr explizit darauf hingewiesen, daß man doch zwischen wirtschaftspolitischen und umweltpolitischen Interessen unterscheiden müsse. ({5}) Meine Damen und Herren, das ist der Gipfel der Unglaubwürdigkeit, die in der niedersächsischen Landesregierung zu finden ist. Das zeigt, daß einige von Ihnen - ich will gar nicht scharfmachen - polarisieren wollen. ({6}) Sie wollen populistisch absahnen und haben gar nicht gemerkt, daß die öffentliche Meinung in der Kernenergie zu kippen beginnt, daß sie sich verändert. Die gewalttätigen Leute, die um den Castor-Behälter herumspringen, repräsentieren doch nicht die öffentliche Meinung in Deutschland. Das sind ein paar Leute, die genau wissen, daß ihnen der Wind ins Gesicht weht, und die noch einmal Rabatz machen wollen, bevor es zu spät ist. Sie sind auf verlorenem Posten; das weiß auch ein wachsender Teil innerhalb der SPD. ({7}) Ich fordere Sie auf: Schämen Sie sich nicht, wenn es soweit ist, wenn die öffentliche Meinung gekippt ist, zu einem bedingten Ja in der Kernenergie zurückzukehren! Wir halten die Option im Sinne des Umweltschutzes, im Sinne einer effizienten und sicheren Energiegewinnung, aber auch im Sinne der Vernunft offen. Wir laden Sie ein, diese Position mit uns zu teilen, wenn Sie meinen, dies populistisch verantworten zu können. Es ist nie zu spät. Sie sind herzlich eingeladen. Wir wollen eine Energieversorgung in Deutschland, die effizient, sicher und umweltfreundlich ist. Dazu brauchen wir einen Energiemix unter Einbeziehung der Kernenergie. Das ist eine vernünftige Position. Mehr und mehr Menschen in diesem Land beginnen, das zu verstehen. Die Damen und Herren, die neben Ihnen sitzen und Ihnen nahestehen, stehen auf verlorenem Posten. ({8}) Sie wissen das und machen deshalb Rabatz um Gastor. Das sind die Rückzugsgefechte, die sie führen. ({9}) Die öffentliche Meinung in Deutschland und weltweit ist gegen sie; gegen Sie sowieso, Herr Fischer. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Lippelt, das lag daran, daß der Minister vorher erklärt hat: keine weiteren Zwischenfragen. Als nächste spricht die Kollegin Anke Fuchs.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Anfang hat der Wirtschaftsminister ganz moderat gesprochen und hat so getan, als ob neun Jahre Tschernobyl auch ihn zum Nachdenken veranlaßt hätten. Das hatte er aufgeschrieben. Am Schluß hat er frei gesprochen. Da haben wir gemerkt, welch Geistes Kind er ist: Er will an der Kernenergie festhalten, und er will auch als Wirtschaftsminister die ökonomischen Chancen von Klimaschutzpolitik nicht nutzen; denn sonst hätte er sich auf die Fragen des Berliner Klimagipfels konzentriert. ({0}) Ich denke, wir alle miteinander haben Anlaß genug, uns heute, neun Jahre nach Tschernobyl, auch in das Bewußtsein zu rufen, was, wenn nicht schon bis zu dem Zeitpunkt, an Bewußtseinsveränderungen stattgefunden hat und seitdem bei den Menschen an Angsten und Sorgen artikuliert worden ist. Ich glaube, der Deutsche Bundestag ist gut beraten, wenn wir heute auch allen Verbänden, Männern und Frauen, danken, die sich unter schwierigen Bedingungen um die Menschen in Tschernobyl gekümmert haben und dafür gesorgt haben, daß Kinder versorgt werden konnten. Es gab große Hilfsbereitschaft. Dieses auszusprechen steht uns heute gut an, meine Damen und Herren. ({1}) Wir sollten auch in dieser zentralen Frage - nun bin ich immer ein wenig polemisch, ich weiß das; ich will mich trotzdem sachlich zu diesem Thema äußern - nicht so tun, als ob bei Ihnen alle unisono sagen: Kernkraft ja. Auch in Ihren Kreisen gibt es bereits Bewußtseinsveränderungen. Ich frage die CDU/CSU-Kolleginnen und -kollegen, wer sich wohl zutraut, daß in seinem Wahlkreis heute ein Kernkraftwerk gebaut werden dürfte. ({2}) Wer würde das wohl durchsetzen wollen? Frau Merkel, so schön es ist, wenn man sagt: Ich bin eine stramme Ministerin, ich lobe den Bundeskanzler, so ist manchmal „mit dem Kopf durch die Wand" eine Schwäche und nicht eine Stärke, weil man Menschen mitnehmen muß, wenn man etwas erreichen will. ({3}) Sie sagten: Sie vertrauen darauf, daß die Entsorgung gelöst werden kann. Ich sage Ihnen für meine Person: Ich bin als jemand aufgewachsen, der an die friedliche Nutzung der Kernenergie geglaubt hat. Das war damals die ökologisch-ökonomisch richtige Richtung. Wir haben darauf vertraut, als die Wissenschaftler uns sagten, das Entsorgungsproblem werden wir lösen. Und Jahrzehnt für Jahrzehnt sind Brennstäbe abgebrannt worden, und die Entsorgungsfrage ist nicht gelöst worden, meine Damen und Herren. Aus diesem Grund bin ich dafür, daß wir aus der Kernenergie aussteigen, weil sie keine Zukunft haben kann. ({4}) Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß wir den Menschen, die seit Jahren in Gorleben gegen die Einlagerung demonstrieren, jetzt sagen: Ihr müßt das hinnehmen. Es war aus meiner Sicht eine falsche Entscheidung, aber ich will es jetzt nicht aufwärmen. Aber auch mit dem Einbringen in Gorleben, das nicht der Beginn einer Kette, so habe ich gelernt, sondern eine einmalige Einlagerung ist, ist das Thema Entsorgung nicht gelöst. Wie wollen wir es denn eigentlich machen? Nationales Zwischenlager? Wo sind denn die Angebote der süddeutschen Länder, wie Bayern und Sachsen, die so gern Kernenergie wollen? Hier wäre es doch nur konsequent zu sagen: Jawohl, wir bieten ein Zwischenlager an, damit nicht das Land Niedersachsen allein auf diesen Zwischenlagerungsfragen hängen bleibt? ({5}) Das wäre eine vernünftige Politik. ({6}) Deswegen müssen wir uns fragen, wie wir mit der Entsorgung umgehen. Dann schippert ein Schiff von La Hague nach Japan, und die ganze Welt hat gedacht, die Japaner würden diesen Atommüll aufnehmen. Die sind dazu Anke Fuchs ({7}) aber nicht bereit. Wenn gesagt wird, 60, 70 neue Kernkraftwerke würden gebaut, dann müssen wir die dortigen Regierungen fragen, wie sie es mit dieser Entsorgungsfrage halten. Ich wollte aber noch einmal aus meiner Position klarmachen, warum es nicht machbar sein wird, Herr Kollege Rexrodt, daß Sie von uns erwarten, daß wir das Ausstiegsziel aufgeben. Wir bleiben dabei: Die Kernenergie ist keine Energieversorgungstechnik der Zukunft. Durch einen Austausch der Energieträger werden Sie die Umweltprobleme nicht lösen. Ich komme dann zu der Frage, was wir, um einen Energiekonsens zu erreichen, gleichwohl miteinander tun können.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gern.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Fuchs, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß zum ersten zum momentanen Zeitpunkt ein weiteres Zwischenlager insbesondere in Süddeutschland nicht erforderlich ist, ({0}) daß sich zum zweiten die süddeutschen Länder an den Investitionskosten für die Zwischenlager, u. a. das in Gorleben, beteiligt haben ({1}) und daß sich zum dritten im Jahre 1979 - jetzt bitte ich, genau aufzupassen - alle Ministerpräsidenten der Bundesrepublik Deutschland ({2}) dafür ausgesprochen haben, zwei Zwischenlager zu errichten, eines in Ahaus und eines in Gorleben, und daß auch die SPD-regierten Länder ihre Zustimmung gegeben haben? ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, es geht nicht um die Frage, was jetzt in Gorleben passiert ist, sondern es geht darum, daß mir derjenige, der darauf setzt, daß zukünftig vermehrt Kernenergie eingesetzt wird, die Frage beantworten muß, wo man zwischenlagern soll. Ich nehme die Euphorie süddeutscher Politiker nicht ernst, wenn sie nicht zugleich sagen, wo denn in der Zukunft in ihrem Bereich zwischengelagert werden kann; wir reden ja über die Zukunft und nicht über heute. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar des Kollegen Hirche?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr, gern.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Fuchs, wie werten Sie die Tatsache, daß der Energieexperte der SPD-Fraktion im Europäischen Parlament, Herr Linkohr, die SPD öffentlich aufgefordert hat, ihre Antiposition zur Kernenergie zu revidieren?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe sehr sorgfältig gelesen, was Herr Linkohr schreibt. Ich bin eine Realistin auch in der Frage der Kernenergie. - Ich komme gleich zur Frage, was wir jetzt miteinander machen können. - Dennoch bleibe ich dabei, daß die Kernenergie nicht der Energieträger der Zukunft ist, daß wir an dem Ausstiegsziel festzuhalten haben und daß wir diesen Weg auch in die Europäische Union hineintragen müssen. Denn auch dort ist nicht klar, wie wir mit dem Thema Entsorgung umgehen wollen. Solange das nicht gelöst ist, kann ich meine Position nicht ändern, meine Damen und Herren; das ist für mich ganz klar. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, nun kommt noch eine Zwischenfrage des Kollegen Müller, wenn Sie es gestatten. Dann möchte ich allerdings allmählich die Verlängerung der Redezeit nicht mehr klaglos hinnehmen. - Herr Kollege Müller.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Fuchs, was sagen Sie denn zu dem Papier des Bundesumweltministers, ({0}) in dem auf der Seite 16 steht - das ist ein Zugeständnis an die SPD -, daß ein Neubau von Atomkraftwerken wegen des Überangebots am Strommarkt, den niedrigen Importkohlepreisen und der politischen Risiken ohnehin auf absehbare Zeit von wenig Nutzen sei?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Müller, vielen Dank für Ihre Frage. Sie haben mich zu dem Thema gebracht: Was können wir nun miteinander hinbekommen? Ich sage noch einmal: Wenn es nicht gelingt, in der Frage der Entsorgung den Menschen die Ängste und Sorgen zu nehmen, werden wir in unserem Land keine Akzeptanz bekommen. Nun geht es um die Frage: Was müssen wir hier und heute entscheiden? Herr Kollege, wir reden heute über Klimaschutz. Dabei spielt die Kernenergie im Augenblick überhaupt keine Rolle. Bei der Kernenergie geht es vielmehr damm: Die Kernkraftwerke sind da; es gibt unbefristete Genehmigungen. Wir haben uns also darauf einzurichten, daß unser Zeitplan, der einen Ausstieg innerhalb von zehn Jahren vorsah, nicht realistisch war und nicht realistisch ist. Deswegen sagen wir heute: Wir reden über die Restlaufzeiten. Sie sagen: Wir reden über Laufzeiten. Wenn wir uns über diese Fristen einig sind, dann kommt die Frage auf uns zu: Was muß in dieser Zeit passieren? In dieser Zeit müssen wir uns über die Anke Fuchs ({0}) Frage der Entsorgung klarwerden. Darüber können wir miteinander reden. Das macht mehr Sinn, als wenn wir Bekenntnisdiskussionen führen; das wissen wir alle. Wenn man an dem Punkt angelangt ist, Herr Hinsken, an dem einer ja und der andere nein sagt, gibt es keine Argumente und keine Kompromisse mehr. Ich sage aus meiner tiefen Überzeugung: Auch in der Energiepolitik und gerade im Umgang mit Atompolitik und Atomkraftwerken brauchen wir mehr Miteinander und Konsens in dieser Gesellschaft. Denn die gewalttätigen Auseinandersetzungen auf allen Seiten werden die Demokratie gefährden. Deswegen bleibe ich daran interessiert, daß wir auf diesem Gebiet für die zu entscheidenden Fragen einen Konsens anstreben. ({1}) - Ja, dann kommt die Frage: Worüber reden wir dann, ist es die Entsorgungsfrage, die Sicherheitsfrage oder Forschung und Technologie? Wir müssen sehen, daß wir uns mit der Begrifflichkeit nicht gegenseitig immer wieder Bekenntnisse abfordern, die keiner vom anderen verlangen kann. Ich bin pragmatisch, ich kann mir eine ganze Menge vorstellen. Herr Rexrodt muß dabei allerdings seine Vokabeln ändern und seine Grundposition für sich behalten, dann können wir über die Themen reden, die zu entscheiden sind. Meinen zweiten Punkt finde ich eigentlich viel wichtiger. Herr Rexrodt hat abgelenkt. Es geht nicht um die Kernenergiedebatte, sondern es geht darum, daß sich der Bundeskanzler vor der Weltöffentlichkeit in Berlin hingestellt und gesagt hat: Wir, die Bundesrepublik Deutschland, halten am Ziel der CO2-Emissionsreduktion bis zum Jahre 2005 fest. Alle Welt sagt: Donnerwetter. Das ist auch in Ordnung, aber wir wollen jetzt Taten sehen. Von den Taten, die nun folgen, habe ich weder von Frau Merkel noch von Herrn Rexrodt etwas gehört. Das hat auch einen Grund. Die Koalition ist sich doch gar nicht einig, wie sie dieses Reduktionsziel erreichen will. ({2}) Es muß etwas mehr kommen als nur zu sagen: Wir wollen ja, und wir haben schon immer gewollt, und wir sind ja auch gut. Einer Ihrer Kollegen - ich weiß nicht mehr, wer es war - hat gefragt, was wir vorzuschlagen haben. Ich erinnere deshalb noch einmal an unser Klimaschutzprogramm. Da steht das drin, was Sie an Umsteuerungsinstrumenten brauchen, was Sie aber auch jetzt und heute brauchen; denn das Jahr 2005 ist so weit gar nicht entfernt. Wenn Sie um 25 % reduzieren wollen, Frau Kollegin, dann muß es mehr als ein Dankeschön an Herrn Kinkel sein. Dann muß auch die F.D.P. sagen, wie eine CO2-Steuer eigentlich aussehen soll. Wir erwarten, daß Herr Waigel und Herr Rexrodt zusammen dazu Vorschläge machen. Wir haben dazu schon Vorschläge gemacht. Es war auch von Gehirnschmalz die Rede. Herr Kollege Rexrodt, am liebsten hätte ich die ganzen Aktenordner mitgebracht. Ich glaube, wir haben in der Ökosteuerfrage, oder wie immer Sie das nennen, Papiere, Ausarbeitungen und wissenschaftliche Exzerpte genug. Sie haben recht, man muß überlegen, welche Auswirkungen hat das auf den Stahl und die Chemie. Aber im Augenblick ist die Diskussion um die Ökosteuer so, daß alle Welt sagt, warum es nicht funktionieren kann. Lassen Sie uns doch einmal die Stimmen bündeln, die sagen: Es ist notwendig, und es kann funktionieren. Dann können wir darüber reden, wie es funktionieren kann. Dann wären wir auch ein ganzes Stückchen weiter und hätten die Chance, das in einem Konsens zusammenzudichten. Sie vertrauen weiter darauf, daß alles so läuft wie bisher. Ich habe heute keine neuen Akzente gehört. Sie wissen, daß dieses Ziel ehrgeizig ist; denn es wurden nicht die Daten von 1987, sondern die Daten von 1990 zugrunde gelegt. Es muß also schneller etwas passieren, als Sie es sich bisher vorgestellt haben. Frau Merkel, ich will Ihr Beispiel noch einmal aufgreifen. Es wird nicht ausreichen, allein zu sagen, die Wirtschaft hat sich selbstverpflichtet. Ja, heißt das, die Wirtschaft verpflichtet sich selbst, und wir warten drei bis vier Jahre ab? Dann haben wir schon das Jahr 1999. Wollen Sie denn, wenn aus dem Abwarten nichts geworden ist, 25 % Reduktion in sechs Jahren erreichen? Das sind doch alles illusionistische Ziele, wenn Sie nicht jetzt und hier und heute sagen, wie Sie mit der Erreichung Ihrer Reduktionsziele beginnen wollen. Davon habe ich heute nichts gehört. Ich habe den Verdacht, daß Sie etwa die Wärmenutzungsverordnung wieder nicht vorlegen werden. Statt dessen werden Sie sagen: abwarten, abwarten, abwarten. Wir werden das als eines von vielen Beispielen nehmen, um hier immer wieder nachzufragen. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie bis zur Sommerpause die Wärmenutzungsverordnung vorlegen. Wir erwarten von Ihnen, daß andere Projekte aus unserer Entschließung eingebracht werden. Wir werden bei dem Satz bleiben: Wir unterstützen Sie bei der Erreichung des Ziels, aber wir wollen Taten sehen, Abwarten allein reicht nicht mehr. Die Umwelt hat es verdient. Auch die Menschen, für die wir arbeiten, haben es verdient, daß gemeinsame Anstrengungen unternommen werden. Trippelschritte allein reichen nicht aus. Herr Rexrodt, Sie kommen mit Ihrer F.D.P.-heileheile-Segen-Position, die Wirtschaft wird es schon richten, in dieser Frage nicht durch. Frau Merkel ist gut beraten, mit dem Bundeskanzler zusammen Herrn Wissmann, Herrn Rexrodt und andere Minister an einen Tisch zu bringen und zu sagen: Das Ziel ist klar erkannt und formuliert. Sagt uns einmal, Ihr anderen Minister, wie wir das durchsetzen. Wenn Sie das als Frau schaffen, haben Sie meine volle Unterstützung. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile dem Abgeordneten Grill das Wort.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Fuchs, wenn ich Ihre Rede Revue passieren lasse, dann denke ich, daß daran deutlich wird, daß Sie, wenn Sie über Kernenergie reden, Antworten auch im Zusammenhang mit dem Klimaschutz schlicht und einfach schuldig bleiben. Wir haben ja Belege für das, was Sie uns hier vortragen, wie weit es reicht, wie weit es geht. Das jüngste Beispiel - ich könnte -das um beliebig viele anreichern - ist die „Studie 2010", die Herr Schröder sich hat machen lassen und aus der deutlich wird, daß selbst unter massivstem Geldeinsatz bis zum Jahre 2010 maximal 7,5 % aus dem Bereich der erneuerbaren Energien aufgebracht werden können. Das heißt, Sie müssen hier die Antwort für 92,5 % geben, und diese Antwort sind Sie auch heute hier schuldig geblieben. ({0}) Ich habe manchmal so den Eindruck, daß die Sozialdemokraten mit dem Regierungswechsel 1982/83 alles gestrichen haben, was an Kernenergievergangenheit in den Büchern der sozialdemokratischen Partei steht. Eines ist Realität, Frau Fuchs, und das habe ich persönlich erlebt einschließlich des Lobes Ihres ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt für die Kommunalpolitiker in Lüchow-Dannenberg: Gorleben ist nicht die Erfindung der Christlich Demokratischen Union. Gorleben ist nicht die Erfindung der CSU. Gorleben ist die Erfindung eines Bundeskanzlers Helmut Schmidt in der sozialliberalen Koalition auf Grund einer Zusage von Alfred Kubel als Ministerpräsident und Sozialdemokrat von 1974: Niedersachsen wird das nukleare Entsorgungszentrum in Niedersachsen realisieren und bauen. Das ist die Geschichte, das ist die Wahrheit. Bekennen Sie sich endlich zu Ihrer eigenen Vergangenheit! ({1}) Sie wollen uns doch hier nicht allen Ernstes vortragen, meine Damen und Herren, daß Sie diejenigen sind, die bei der Kernenergie eine glaubwürdige Politik angetreten haben. ({2}) Ich erinnere mich an den letzten Abend der ersten Energiekonsensrunde, als Herr Schröder nach der bitteren Niederlage im Parteipräsidium ganz elegant einen Zettel aus den Unterlagen zog - ich habe ihn leider nie von ihm erhalten; ich habe mich wirklich darum bemüht, aber er hat es vorgetragen - für den Aufsichtsratsvorsitzenden der Badenwerke, Harald B. Schäfer. Danach hat er Herrn Schäfer, ohne ihn beim Namen zu nennen vorgerechnet, daß die Badenwerke 700 Megawatt Kernenergiestrom aus Frankreich und der Schweiz beziehen. ({3}) Sie sind in der Kernenergiepolitik unglaubwürdig bis zum letzten. ({4}) Ich denke, daß auch, wenn wir heute über den Jahrestag von Tschernobyl reden, nicht über den Beleg für das Versagen einer Technologie reden, sondern wir reden über die Fehlbarkeit des Menschen zwischen Machbarkeitswahn und menschlicher Unzulänglichkeit. Wir reden über ein System, in dem Tschernobyl auf Verschleiß angelegt war - das ist auch heute noch unser Problem mit den Kernkraftwerken in der ehemaligen Sowjetunion -, das keine ständige Erneuerung der Sicherheitstechnik festgestellt hat, sondern das mit dem Fahren auf Verschleiß das Risiko Tschernobyl überhaupt erst produziert hat. ({5}) Deswegen kann ich doch nur sagen, und das ist etwas, was mich an dieser Debatte immer gestört hat: Ihre alleinige Ausrichtung des Risikos der Menschheit auf die Kernenergie ist schlichtes Versagen in der Frage einer glaubwürdigen Risikobetrachtung für die Menschheit schlechthin. Es gibt in der globalen Energiepolitik und ihrer Darstellung keinen Weg, der ohne jedes Risiko wäre. Das ist das, was Sie den Menschen im Zusammenhang mit der Kernenergie vorgaukeln. ({6}) In der „ZEIT" stand soeben ein wunderbares Beispiel dafür, vielleicht lesen Sie diesen Artikel einmal durch: daß an Stelle der Atommüllagerung in Gorleben der Giftmüll aus der Solarzellenproduktion eingelagert werden kann. ({7}) Meine Damen und Herren, genau das beschreibt die Industriegesellschaft und ihre Risiken, und genau das beschreibt die Art der Verweigerung der Zukunftsbewältigung an der Stelle der Entsorgung, die wir bei den Sozialdemokraten pausenlos und in Niedersachsen insbesondere erleben. ({8}) Tschernobyl ist auch ein Beispiel dafür, daß die Technik die Verantwortung des Menschen nicht ersetzen kann. Es zeigt im übrigen - das ist doch ein Beleg von 1989 bis 1990 -, daß wir als Industrienationen bei der ökologischen Erneuerung den Weg gehen können, weil wir auch die ökonomische Kraft haben. Wie anders soll ich die Belege verstehen, die in den letzten Tagen bei der Frage der Finanzierung der Sicherheit auf den Tisch gekommen sind? Ich sage nur einen einzigen Satz zu den Kraftwerken Mochovce und Temelin. Ich habe zu Ihren entsprechenden Anträgen gesagt: Wir müssen aufpassen, daß wir mit unserem moralischen Zeigefinger nicht dafür sorgen, daß die anderen uns aus ihrer Sicherheitsdiskussion ausschalten. Was Sie heute als Ausstieg der EBD feiern, ist schlicht und einfach der Beleg dafür, daß eines Tages Mochovce mit russiKurt-Dieter Grill scher Technologie, mit tschechischem Geld, aber ohne westliche Sicherheit gebaut wird. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, nicht unserer, meine Damen und Herren. ({9}) Zu Castor: Herr Müller hat heute morgen etwas über Ehrlichkeit gesagt. Wenn er das ernst gemeint hat, sollte er oder jemand anders aus der SPD-Fraktion den heutigen Antrag zurückziehen, weil Sie in den letzten Wochen und Monaten im Zusammenhang mit dem Castor-Transport ein Riesenschauspiel zum Schaden der Politik, zum Schaden der Menschen in diesem Land inszeniert haben. Dafür tragen die alleinige Verantwortung: Herr Schröder, Frau Griefahn, zum Teil die Grünen in Niedersachsen. Sie haben die Menschen in eine Ecke gejagt, ohne ihnen zu sagen, wie sie aus dieser Ecke wieder herauskommen können. ({10}) Was wir heute nicht diskutieren müssen, Herr Schütz, ist die Machbarkeit von Transporten von Castor-Behältern. Denn in Ihrer Regierungszeit und in unserer Regierungszeit sind mit Zustimmung der Landesminister in Deutschland 1 600 Transporte ohne Zwischenfall gelaufen. ({11}) Wo ist eigentlich der Beleg für die Sicherheitsprobleme, die Sie in den letzten Wochen diskutiert haben? ({12}) Können Sie mir erklären, worin der Unterschied zwischen 300 Transporten ins Zwischenlager Ahaus und einem Transport ins baugleiche Zwischenlager Gorleben besteht? Erklären Sie doch den Menschen, warum unter einer nordrhein-westfälischen Landesregierung 300 Castor-Transporte in Ordnung sind und ein einziger nach Gorleben die ganze Republik in ihren Festen erschüttert! ({13}) Meine Damen und Herren, sagen Sie der niedersächsischen Öffentlichkeit, wie scheinheilig Sie sind, einschließlich der Grünen, wenn in der Zeit von 1990 bis 1994 - ich nehme nur die Zeit der rot-grünen Regierungsverantwortung - über 50 Castor-Transporte aus niedersächsischen Kernkraftwerken nach Sellafield und nach La Hague gelaufen sind, ohne daß irgend jemand sie angehalten hätte, meine Damen und Herren, und zwar mit der Zustimmung von Frau Griefahn, Herrn Schröder, Herrn Horn, Herrn Trittin - alles Personen, die sich heute auf die Straße stellen und den strammen Maxen machen. Was haben Sie in dieser Debatte eigentlich an Glaubwürdigkeit einzubringen? ({14}) Meine Damen und Herren, diese Darstellung ist der Beleg dafür, daß mit Zustimmung von SPD und Bündnisgrünen der Transport abgebrannter Brennelemente in dieser Republik sicher ist. Wenn CDUMinister dafür verantwortlich sind, ist er unsicher. Oder sind Sie etwa der Meinung, daß die Franzosen und die Engländer radioaktive Strahlen besser vertragen können als Deutsche? ({15}) Das ist die Realität Ihrer Philosophie. Denn die Transporte aus Niedersachsen, aus Hessen, aus Bayern, von überall her sind quer durch Deutschland, quer durch Europa gelaufen, und Sie regen sich über einen einzigen Transport auf, gegenüber 1 600, an denen Sie beteiligt waren. Meine Damen und Herren, kein Schröder, keine Griefahn, keine Grünen, keine Bürgerinitiative, keine Kirchen, keine Bauern haben bei 58 Transporten die gleichen Fragen gestellt wie bei Gorleben. ({16}) Ich denke, daß sie auch immer die Frage der Sicherheit bestätigt haben. Ich kann Ihnen das nachweisen; ich werde das auch tun. In diesem Zusammenhang möchte ich noch eine Bemerkung machen. Herr Müller, Sie haben heute morgen gesagt, wir müssen über die regenerativen Energien, über die Effizienz, über das Sparen reden. Das bestreitet niemand. Wir reden aber im Zusammenhang mit der Endlagerung, mit Castor über die Bewältigung der kernenergiepolitischen Vergangenheit der Sozialdemokratischen Partei. ({17}) Das hat mit dem Regierungswechsel 1982/83 eingesetzt. Sie haben danach alles vergessen, was Sie vorher selber veranstaltet hatten. ({18}) Sie beschimpfen den Nachlaßverwalter und sind der Erblasser, der mit seinem eigenen Erbe nicht mehr fertig wird. ({19}) Etwa 75 % der in Deutschland in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke sind von Sozialdemokraten genehmigt worden. Es gab eine Zeit, zu der Herr Bruns im niedersächsischen Landtag stolz darauf war, Herrn Albrecht entgegenschmettern zu können, das, was er plane, sei doch überhaupt nichts; vier von den fünf niedersächsischen Kernkraftwerken habe die SPD genehmigt. Darauf war er stolz. Wo ist Ihr Stolz geblieben? Sie haben eine energiepolitische Zukunft für Deutschland geplant und den Leuten unbegrenztes Wachstum und unbegrenzten Wohlstand versprochen. Das waren Sie und nicht wir, die das in den 60er und 70er Jahren verkündet haben. ({20})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Grill, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ganseforth?

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte meine Rede zu Ende vortragen. ({0}) Herr Müller hat Ehrlichkeit eingefordert. Machen wir das! Gehen wir zurück zu den Anträgen von der SPD und den Grünen! Ich habe den Antrag, den die Grünen im Januar schon einmal gestellt haben, vor mir liegen. Er ist nicht mehr hierhergekommen. Das hat einen realen Grund. Ich könnte Ihnen das sogar vorlesen; ich verzichte aber darauf. Erstens. Im Juni 1993 hat das Ministerium unter Führung von Joschka Fischer Frau Griefahn bzw. der RWE bestätigt, daß die Castor-Behälter aus Biblis von Gorleben, wenn sie defekt sind, selbstverständlich nach Hessen zurückkommen können. Ich kann Ihnen den Brief vorlegen. Zweitens. Im Januar 1995 hat Herr von Plottnitz als Nachfolger von Herrn Fischer der niedersächsischen Umweltministerin mitgeteilt, daß ab 1997 jährlich drei Castor-Behälter nach Gorleben kommen sollen. Sie stellen sich hierhin und erzählen der deutschen Öffentlichkeit, Sie seien gegen Castor-Transporte. Ihre Minister haben es angekündigt. Das ist verlogen bis zum letzten. ({1}) Das müssen wir diskutieren: die Unwahrhaftigkeit, das doppelte Spiel von SPD und Grünen. Sie tragen die Verantwortung für Hysterie und Rechtsbruch. Meine Damen und Herren, ich habe das Papier, das Herr Schröder am Ende der Energiekonsensrunde vorgelegt hat, vor mir liegen. Soll ich Ihnen den Satz vorlesen? Frau Fuchs fordert hier die Frage der Endlagerung ein. In dem Papier steht: Bis ein Endlager für stark wärmeentwickelnden Abfall zur Verfügung steht, wird der Entsorgungsnachweis gesetzlich an den Nachweis ausreichend vorhandener Zwischenlagerkapazitäten gebunden. ({2}) Meine Damen und Herren, die Sozialdemokratische Partei hat, um der Frage Gorleben zu entgehen - das ist allerdings nur die Position von Herrn Schröder -, sich im Grunde genommen auf Zwischenlager für fast hundert Jahre - so war es damals angekündigt - eingelassen, weil man in der Endlagerfrage nicht geradestehen wollte. Das sagt ein Ministerpräsident, der doch - Frau Fuchs, auch das steht in diesem Papier - ohne jeden Zweifel im übrigen seit 1984 der Meinung ist, daß „Konrad" geht. In „Konrad" gehen 95 % der nuklearen Abfälle. ({3}) - Ich sage Ihnen, was für ein Endlager ich will. Ich will ein Endlager, das so aussieht wie das, das für Gorleben geplant ist - im Unterschied zu Ihnen. Ich komme darauf gleich noch zurück, Frau Fuchs, Sie werden sich noch wundern. ({4}) Ich kann Ihnen nur eines sagen: Die Unwahrheit, die Sie, Herr Schröder, Frau Griefahn, verkünden, ist doch die, daß Frau Merkel diesen Transport bestellt haben soll. Das stimmt doch überhaupt nicht. Das ist schlicht und einfach gelogen. Die Realität - jetzt passen Sie gut auf, Herr Schütz, Sie haben schlechte Karten bei diesem Spiel; ich sagte es Ihnen schon - sieht doch anders aus. Im April 1994, nachdem Herr Schröder gebeten hatte, den Transport nicht vor der Landtagswahl durchzuführen, ist die GNS bei Herrn Glogowski gewesen, nicht bei Herrn Schröder und nicht bei Frau Griefahn. Herr Glogowski ist Innenminister, ist Polizeiminister, würden die Grünen vielleicht sagen. Ich nicht. Herr Glogowski hat zur GNS gesagt: Machen Sie es; wir bringen den Castor in das Zwischenlager. Erst danach ist die GNS zum Bund gegangen und hat gesagt: Wir informieren euch über das, was wir mit Niedersachsen vereinbart haben. ({5}) - Frau Fuchs - um dies gleich auszuräumen -, Sie sind doch diejenige gewesen, die die unglückliche Terminplanung beklagt hat. Dazu kann ich nur sagen, daß Ende Februar dieselbe GNS Herrn Glogowski gefragt hat, wann denn der Castor gebracht werden dürfe. Darauf hat Herr Glogowski unter Berücksichtigung aller möglichen Veranstaltungen in Niedersachsen den 24. April genannt. Die Gespräche über den Energiekonsens in der niedersächsischen Landesvertretung hat Herr Schröder ebenfalls auf den 24. April gelegt, wohl wissend, daß am 24. April der Castor kommt. Das ist die Realität. ({6}) Meine Damen und Herren, ich weiß gar nicht, welche der vielen Beispiele ich Ihnen aufzählen soll. Ich könnte Ihnen eine Presseerklärung von Frau Griefahn vorlesen. Ich verzichte jedoch darauf, weil Sie das möglicherweise noch mehr erregt. ({7}) - Frau Fuchs, wir führen heute morgen auch eine Debatte über Kernenergie, falls Ihnen das entgangen sein sollte. Frau Griefahn hat im Februar 1995 erklärt, die mit der Halle in Ahaus baugleiche Halle in Gorleben sei eine bessere Tennishalle, sei eine Leichtbauhalle. Dies war eine leichtfertige Äußerung, die Menschen in Angst versetzen muß. ({8}) Jetzt kommen wir zur Realität: Am 21. Juni 1994 hat der zuständige Beamte aus dem niedersächsischen Umweltministerium das Zwischenlager in Gorleben kontrolliert. Am 23. Juni 1994 erhielt Harald B. Schäfer in seinem Ministerium ein Schreiben aus Niedersachsen, in dem stand: Das Zwischenlager in Gorleben entspricht in allen seinen Tatbeständen der Genehmigung. Der Castor aus Baden-Württemberg kann kommen. ({9}) Am 23. Juni 1994 hat die niedersächsische Landesregierung in Baden-Württemberg gesagt: Der Castor kann kommen. Dies waren dieselben Leute, die uns im letzten Dreivierteljahr erklärt haben, dies sei ein unverantwortliches Sicherheitsrisiko, das Frau Merkel zu verantworten habe. ({10}) Meine Damen und Herren, ich setze hier noch eines drauf. Danach haben Sie wirklich schlechte Karten. ({11}) - Das brauche ich nicht. Sie müssen sich dies schon anhören, damit Sie endlich zur Vernunft kommen. ({12}) Frau Griefahn erklärt, dies sei alles unverantwortlich. Hier wird ein Szenario entworfen, das nicht zu überbieten ist. Am 6. Juli 1994 hat der Strahlenschutzexperte von Frau Griefahn auf einer Veranstaltung in Gorleben mit etwa 30 bis 40 Polizisten, die Fragen gestellt haben, gesagt: ({13}) - Frau Fuchs, diese Frage ist so schön, daß man sie nicht zu beantworten braucht. ({14}) Sie könnten sich stundenlang unmittelbar neben dem Castor aufhalten, es würde Ihnen überhaupt nichts passieren. Dies können Sie nachprüfen. Das sind dieselben Leute, die der Bevölkerung erklären, dies sei ein unverantwortliches Sicherheitsrisiko. Frau Griefahn sagt weiter, Frau Merkel solle sich nicht so wie ihr Vorgänger bedingungslos den Interessen der Atomwirtschaft unterordnen. Frau Merkel wird als Büttel der Atomindustrie diffamiert, während Ihr Ministerpräsident bei der Diskussion über die Regierungserklärung hier an diesem Pult Greenpeace aufgefordert hat, bei der Klimadiskussion die Manager aus der Industrie nicht so persönlich anzunehmen. Meine Damen und Herren, Sie haben Frau Merkel, Herrn Töpfer und die Bundesregierung in einer Art und Weise angegriffen, die schamlos ist und jede politische Kultur vermissen läßt. ({15})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluß. - Frau Fuchs, meine Damen und Herren, ich überlasse Ihnen gern eine Kopie einer ganzseitigen Anzeige vom 19. November 1994, die - und das ist gut - nur in Lüchow-Dannenberg erschienen ist. Darin hat der Ministerpräsident seinen rechtspolitischen und politischen Bankrott erklärt und die Menschen aufgefordert, auf die Straße zu gehen, weil er es allein nicht mehr richten könne. Sehen Sie, und deswegen sage ich Ihnen: Die Menschen in Gorleben haben längst begriffen, worum es geht. (Dietmar Schütz [Oldenburg] ({0}) - Passen Sie auf, Herr Schütz, vorsichtig!

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, entschuldigen Sie, Sie müssen zum Schluß kommen.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich nehme mir von meiner Fraktion noch zwei Minuten; die wird sie mir vielleicht bewilligen. ({0}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich möchte das zu Ende bringen: Sehen Sie, die Menschen in Gorleben ({1}) haben zu 54 % CDU gewählt. In Lüchow-Dannenberg haben wir an Zweitstimmen 0,1 Prozentpunkte mehr als Rot und Grün zusammen, und in LüchowDannenberg habe ich das sechste Mal den Wahlkreis gewonnen, diesmal mit fast 49 % Erststimmen. ({2}) Das einzige, was mein verehrter Kontrahent, Herr Fuhrmann von den Sozialdemokraten, fertiggekriegt hat, ist, am Montag danach in der Zeitung zu sagen, die Lüchow-Dannenberger seien zu dumm gewesen, sie hätten nicht begriffen, worum es bei dieser Bundestagswahl ginge. ({3}) Meine Damen und Herren, ich fasse das zusammen: Herr Schröder und Frau Griefahn haben die Menschen auf die Straße gebracht, haben sie verunsichert, haben ihre Ängste instrumentalisiert, und sie lassen die Menschen heute in dieser Dramatik alleine. Und Ich sagen Ihnen: Ihr Ministerpräsident Schröder hat die Kernkraftgegner gerufen, und er hat sie im entscheidenden Augenblick fallengelassen. Er hat ihnen gezeigt, daß sie nur solange auf ihn zählen können, wie er sie für seine Machtpolitik braucht. ({4}) Er kämpft weder für die Menschen noch gegen die Kernenergie. Er kämpft für sich selbst - und das noch ziemlich oft ohne Grundsätze. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Ursula Schönberger.

Ursula Schönberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002786, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Daß ich mein T-Shirt ausgezogen habe, liegt in der Tatsache begründet, daß das Präsidium meint, man dürfe hier keine politische Meinungsäußerung tätigen, während man redet. ({0}) Herr Grill, die Menschen müssen weder von Schröder noch von Griefahn auf die Straße gebracht werden; die Menschen gehen selbst auf die Straße, weil sie im Gegensatz zu Ihnen um die Gefahren -

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, es ist nicht üblich, und es ist unzulässig, über Maßnahmen der Geschäftsführung des Hauses zu diskutieren. Ich bitte Sie, sich daran zu halten, sonst entziehe ich Ihnen das Wort. ({0}) Sie können nun zur Sache weitersprechen.

Ursula Schönberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002786, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- Ich war schon dabei. Herr Grill, die Menschen sind auf die Straße gegangen, weil sie um die Gefahren und die Folgen der Atomenergie wissen, sie zur Kenntnis nehmen und die Konsequenzen daraus ziehen. ({0}) Vor neun Jahren hat sich im Atomkraftwerk Tschernobyl ereignet, wovor Kritikerinnen und Kritiker immer gewarnt haben. Ich kann mich noch gut erinnern, wie nach und nach die Meldungen von der Katastrophe nach Deutschland durchsickerten. ({1}) Wir hatten just an dem Tag mit der Bundestagsfraktion der GRÜNEN eine Bereisung des Atommüllendlagers Asse 2 und des geplanten Endlagers Schacht Konrad, als am Morgen im Rundfunk die ersten Meldungen von dem Unglück gesendet wurden. Unsere Gesprächspartner vom Bundesamt für Strahlenschutz - damals Atomabteilung der PTB - wiegelten ab, es seien ja alles nur Gerüchte. Leider waren es keine Gerüchte. Das Unfaßbare war geschehen und geschieht heute noch. Viele tausend Menschen starben einen erbärmlichen Tod, und viele sterben noch heute. In Weißrußland steigt die Zahl der Krebserkrankungen und der schwerwiegenden Stoffwechselerkrankungen von Kindern ebenso drastisch wie die von Mißbildungen. Eine Ärztin eines ukrainischen Krankenhauses hat berichtet, daß in früheren Zeiten einmal in zehn Jahren ein Kind mit einer offenen Bauchdecke geboren worden ist. Heute sind es drei Fälle pro Monat. ({2}) Weißrußland war früher die Kornkammer der Sowjetunion. Heute sind Teile des Gebietes schwerst radioaktiv verstrahlt. Das Land muß verzweifelt unbelastete Nahrungsmittel importieren, oder die Menschen müssen verstrahltes Brot essen. Tschernobyl hat bewiesen: Die Atomtechnik ist nicht beherrschbar. Das haben wir vorher gewußt. Aber jetzt erfahren wir, daß auch die Folgen dieser Katastrophe nicht zu beherrschen sind. Der Sarkophag zerbröselt unter der radioaktiven Bestrahlung. Es wird neue radioaktive Strahlung freigesetzt. Das DIW geht davon aus, daß sich immerhin noch 96 % des Strontiuminventars und 97 % des Plutoniuminventars im Inneren des Sarkophags befinden. Bricht die Ummantelung zusammen, entweicht jedoch nicht nur das Inventar des Katastrophenreaktors 4, son-dem die Trümmer können auch den unmittelbar daneben noch in Betrieb befindlichen Reaktorblock 3 aufbrechen und den Reaktorkern schmelzen lassen. ({3}) Eine internationale Expertenkommission fordert, auch den Reaktor 3 abzuschalten und beide Blöcke zusammen neu zu ummanteln. Die Kommission glaubt, damit eine Garantie für die nächsten hundert Jahre geben zu können. Man soll bei solchen Garantien immer vorsichtig sein. Aber was ist dann? Jedes Jahrhundert eine neue Betonummantelung? Die Konsequenzen, die in der Verantwortung für Mensch und Natur aus der Katastrophe zu ziehen sind, liegen in unserem ureigensten Interesse: Selbstverständlich kein Geld für den Weiterbetrieb oder die Nachrüstung von Atomkraftwerken. ({4}) Wer im Westen an dem Geschäft „harte Devisen gegen Atomstrom" mitbastelt, macht sich mitschuldig an Gefährdung und Bestrahlung der Bevölkerung in diesen Ländern. ({5}) Statt dessen fordern wir die Bereitstellung von Mitteln für die Nachbesserung des Einschlusses von Tschernobyl, Hilfen für die Betroffenen und Hilfen für den Ausstieg aus der Atomenergie in mittel- und osteuropäischen Ländern. Wir in Deutschland müssen beweisen, daß wir aus der Katastrophe gelernt haben. Frau Merkel und Herr Rexrodt, Sie haben heute wieder die Mär von dem hohen Sicherheitsstandard deutscher Atomkraftwerke nachgebetet. Ich frage Sie: Was ist dann mit Hamm-Uentrop? Was ist mit Brunsbüttel, Mülheim-Kärlich, Würgassen? Ich frage Sie: Was ist mit der erhöhten Bestrahlung der Menschen um das Kraftwerk Krümmel? Was ist mit den Rissen im Reaktor Stade und mit den vielen Rissen in den Rohrleitungssystemen vieler Reaktoren? Die Städte Hamburg und Schweinfurt haben GAU-Studien für die Atomkraftwerke Krümmel und Grafenrheinfeld erstellen lassen. Die Ergebnisse sind niederschmetternd. Im Falle eines Super-GAUs in Krümmel muß mit 45 000 bis über 100 000 tödlichen Krebserkrankungen gerechnet werden. Die GAUStudie für Grafenrheinfeld gibt der Bevölkerung von Schweinfurt bei ungünstigen Konstellationen kaum Überlebenschancen. Übertragen Sie doch diese schrecklichen Bilder aus Tschernobyl auf eine Stadt wie Hamburg oder eine andere Region um ein Atomkraftwerk in Deutschland! ({6}) Atomkraftwerke zu betreiben ist nur möglich, wenn vorausgesetzt wird, daß die Bevölkerung bereit ist, die tatsächlichen Bedrohungen, die von diesen Atomanlagen ausgehen, zu tragen. Wir meinen, daß weder die Betreiber noch die Bundesregierung das Recht haben, uns mit Reaktorkatastrophen, dauerhafter Verstrahlung und ungelösten Entsorgungsproblemen zu bedrohen. ({7}) Darum gibt es in der Bevölkerung einen breiten Konsens für einen Ausstieg aus der Atomenergie. ({8}) Doch statt die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und aus der Atomenergie auszusteigen, versuchen Sie, Frau Merkel, Ihre Atompolitik mit Brachialgewalt gegen die Bevölkerung durchzusetzen. Gestern ist der von Robert Jungk prognostizierte Atomstaat wieder lebendig geworden: 6 500 Polizisten für einen Transport, Besetzung privaten Bodens durch die Polizei, willkürliche Beschlagnahmen. Seit Tagen ist das Demonstrationsrecht ausgesetzt. Wasserwerfer gegen gewaltlose Demonstrantinnen und Demonstranten sind die Gesichter dieses Atomstaats. Sie haben den ersten Castor-Transport ins Zwischenlager gebracht - doch zu welchem Preis? ({9}) Mit dem größten Polizeieinsatz, den es je in der Bundesrepublik gegeben hat: 55 Millionen DM für einen Castor, im Schrittempo begleitet von einem Polizeispalier. Medien sprechen davon, daß Sie die Republik in Polizeigewahrsam genommen haben. Medien sprechen davon, daß Sie die halbe Republik zum Hochsicherheitstrakt gemacht haben. ({10}) Wer wie ich und andere Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion in Philippsburg und im Wendland den Polizeieinsatz hautnah miterlebt hat, weiß jetzt, daß Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, und Sie, meine Damen und Herren von der SPD, in Ihren Gesprächen über einen sogenannten Energiekonsens reden können, wie Sie wollen. Solange Sie sich nicht dem breiten Konsens in der Bevölkerung in bezug auf den Ausstieg aus der Atomenergie stellen, ({11}) führt Ihre Politik nur zu Unfrieden in diesem Land. ({12}) Aufgabe einer Bundesregierung müßte es sein, politisch zu führen, zu integrieren und Interessen auszugleichen. Wie es scheint, sind Sie dazu nicht in der Lage. Sie merken ja noch nicht einmal, was in der Gesellschaft vor sich geht. Dieser Castor-Transport war eine reine Provokation. Sie, Frau Merkel, wollten mit diesem Transport die Tür des Zwischenlagers öffnen für die Rücktransporte des strahlenden Mülls aus La Hague. Sie wollten mit diesem Transport den Widerstand im Wendland brechen. Doch diese Rechnung geht nicht auf. Wir wissen alle, daß der nächste Castor-Transport nach Gorleben nicht weniger umstritten sein wird und nicht weniger kosten wird. Wir wissen auch, daß es für den Fall, daß Sie es eines Tages doch noch schaffen sollten, das Endlager Konrad durchzusetzen, in der Region Salzgitter nicht zu weniger Auseinandersetzungen kommen wird. ({13}) Auch dort wird der Widerstand von den Bauern mitgetragen. ({14}) Er wird von vielen Arbeiterinnen und Arbeitern in den Metallbetrieben getragen, die um Leib, Leben und Arbeitsplatz fürchten. ({15}) Er wird von Kirchen, Kommunen, Umweltverbänden, Bürgerinitiativen getragen, von vielen Menschen in der Region, und natürlich auch von uns. ({16}) Und glauben Sie doch nicht, daß es in Ahaus, Greifswald und Morsleben auf Dauer anders sein wird! Aber es geht nicht nur um einzelne Standorte. Es geht um den Ausstieg insgesamt, z. B. mit der Demonstration am 13. Mai in Hannover, die meine Fraktion und einzelne Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fraktionen unterstützen. ({17}) Vielleicht sehen Sie an der Tatsache, daß diese Demonstration in Hannover ist, daß die Veranstalter und wir zu Recht davon ausgehen, daß Ihre atompolitischen Bekenntnisse obsolet wären, wenn Ihnen die SPD die praktische Unterstützung versagen würde. Die Energiewirtschaft will eine Entscheidung über die Atomenergie in diesem Jahr haben. Sie wissen, wir wissen, und die atomenergiekritische Bevölkerung weiß es auch: Diese Entscheidung kann so oder so ausgehen. Wenn Sie aber nicht mehr zu bieten haben als das, was Sie in den letzten Tagen gezeigt haben, bin ich zuversichtlich, daß wir dem Ausstieg aus der Atomenergie in diesem Jahr einen entscheidenden Schritt näherkommen werden. ({18})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dietmar Schütz.

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich auf die Problematik Endlager und Castor-Behälter konzentrieren und in Abweichung von meinem Text auf Herrn Grill antworten. Herr Grill, zuerst einmal beglückwünsche ich Sie zu einer sehr engagierten Rede. Sie haben ja auch sehr großen Beifall bei Ihren eigenen Kollegen gefunden. ({0}) Warum sprechen wir denn in unserem Resolutionstext von Provokation? Wir sprechen von Provokation vor dem Hintergrund der Tatsache, daß dieser Transport parallel zu den Konsensgesprächen stattgefunden hat, ({1}) und das ist eine unerträglich schwere Belastung für die Konsensgespräche. ({2}) - Ich komme gleich noch auf Glogowski. Es war also klar, daß dies eine Forcierung der Kernenergie statt eines energiepolitischen Wandels war, daß es eine Konfrontation statt einer Kooperation und möglicherweise auch Fundamentalismus statt Konsens war. Das müssen Sie eingestehen. ({3}) Ich will zu den Tatsachen, die Sie hier gerade vorgetragen haben, etwas sagen. Ich habe mich in der Zwischenzeit informiert. Sie wissen, wir haben schon einmal darum gekämpft, daß die Transporte verschoben werden. Warum haben wir das getan? ({4}) Wir haben gesagt, und wir sagen es immer noch: Wir wollen ein abgeschlossenes entsorgungspolitisches Konzept haben. Sie haben mit dem Zwischenlager im Augenblick nur ein Teilkonzept. ({5}) Wir haben, was sozialdemokratische Positionen angeht, immer gesagt, daß Gorleben als Endlager für uns nicht durchgecheckt und nicht akzeptabel ist, daß wir unsere Prüfung in anderen geologischen Formationen machen wollen. ({6}) Das haben wir im niedersächsischen Landtag und auch hier erklärt. ({7}) - An verschiedenen geologischen Standorten der Bundesrepublik, sowohl im Salz als auch im Granit. Wenn man sich vor diesem Hintergrund ausschließlich auf Gorleben, auf Niedersachsen konzentriert, dann ist das ein schwerer politischer Affront gegen den Aspekt des „burden sharing", den auch Gerhard Schröder immer betont, und dann ist es ein politischer Affront gegen diejenigen, die gerade am gleichen Tag Konsensgespräche führen. Das ist es, was uns als Provokation erscheint. ({8})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Schütz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grill?

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schütz, können Sie mir einen sozialdemokratischen Landespolitiker benennen, der Ihrem Parteivorsitzenden, Ihrem Verhandlungsführer angeboten hat, an welchem Ort in seinem Land eine Alternative zu Gorleben untersucht werden kann, oder ist es nicht so wie in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Sozialdemokraten nach Vorlage des entsprechenden Papiers aus der BGR sofort beschlossen haben, MecklenburgVorpommern dürfe kein Atom-Klo werden? Können Sie mir eine Stelle in Deutschland benennen, wo mit Zustimmung der Sozialdemokraten eine Alternative zu Gorleben untersucht wird?

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Grill, es wäre auch für Ministerpräsidenten vermessen, sich hinzustellen und zu sagen - Sie können sich die Prügel vorstellen, die sie zu Hause dafür einstekken müßten -, sie wollten bei sich einen Standort. So geht das Geschäft nicht, ({0}) sondern das Geschäft geht so, daß man zunächst über verschiedene Positionen nachdenkt. Sie wissen, daß wir über verschiedene Formationen nachdenken, etwa über Salz- und Granitformationen. Erst dann, wenn dies abgeschlossen ist - das gilt übrigens auch für die Exploration in Gorleben -, können wir über diese Frage weiter reden. Es ist ein verdammtes Schwarzer-Peter-Spiel, das wir aufgeben sollten, ({1}) wenn wir einen Konsens finden wollen, doch Sie fangen damit wieder an. Lassen Sie mich nun doch die Fragen beantworten, die hier aufgekommen sind, als Sie eben Glogowski und Schröder vorgeführt haben. ({2}) Glogowski hat zu Recht gesagt: Wenn Ihr das durchsetzen wollt ({3}) Das ist doch der politische Akt. Vom OVG Luneburg ist jetzt die Rechtsgrundlage gegeben, daß die Transporte stattfinden können. Aber politisch wären Sie, Frau Merkel, doch in der Lage, einen solchen Transport zu verhindern, wenn Sie es denn wollten, und zu sagen: Lassen wir den Transport erst einmal, wir wollen uns weiter unterhalten und Konzeptionen miteinander bereden. Das haben wir von Ihnen verlangt; Sie aber sind nicht darauf eingegangen. ({4}) Und nun zu Glogowski!

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Kubatschka?

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schütz, würden Sie es nicht auch als Beschreibung von Zwischenlagern werten, wenn es in dem Positionspapier des Bundesministeriums für Umwelt zur weiteren Entwicklung der friedlichen Nutzung der Kernenergie heißt: Anstelle eines zusätzlichen Zwischenlagers im süddeutschen Raum könnten auch die Lagermöglichkeiten an den Kraftwerkstandorten ({0}) erweitert werden. Das Ergebnis erscheint regional ausgewogen und verringert den Transportaufwand. Sind das nicht Zwischenlager in anderen Formen?

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kubatschka, ich bin lange genug in dem Geschäft, um darauf eine sehr deutliche Antwort geben zu können: Die CDU hat in der vorigen oder vorvorigen Periode durch Änderung des Atomgesetzes die Kompaktlager gegen unseren Widerstand eingeführt, weil sie nämlich in diesen Kompaktlagern zwischenlagern wollte. Nun muß sie auch damit umgehen. Wir haben damals entsprechend dem damaligen Atomgesetz gesagt, daß wir statt dessen die Zwischenlager haben wollten. Wenn das Konzept durchgehend fertig sein wird, werden wir natürlich mit Zwischenlagern arbeiten müssen, um die Materialien zurücknehmen zu können. Es war also die Position der CDU, Zwischenlagermöglichkeiten über Kompaktlager zu schaffen. Das ist richtig, was Sie da sagen, Herr Kollege Kubatschka. - Nun lassen Sie mich aber meinen Faden wieder finden! ({0}) - Nein, ich antworte hier nur auf Fragen. Herr Glogowski hat gesagt, daß man den Transport aus polizeitaktischen Gründen nur nach Ostern durchführen könne, weil viele Polizeibeamte über Ostern im Urlaub seien. Aus dieser Aussage von Glogowski jetzt zu konstruieren, daß dieser Termin dadurch auf den vergangenen Montag fokussiert worden sei, ({1}) ignoriert die Tatsache, daß die Bundesregierung den Transport hätte verschieben können, wenn sie es gewollt hätte. ({2}) Ich komme zu einem zweiten Punkt, den Sie vorhin angesprochen haben, Herr Grill. Die Frage der Zwischenlager hat Gerhard Schröder genauso, wie ich es vorhin getan habe, in den Gesamtkontext gestellt. Es ist doch richtig, daß wir das Material, das Dietmar Schütz ({3}) aus La Hague zurückgenommen werden muß, in Zwischenlagern haben werden, solange wir kein Endlager haben. Sozialdemokraten werden also dann, wenn ein Gesamtkonzept vorhanden sein wird, mit Ihnen auch über Zwischenlager reden, aber erst dann. Insofern hat Gerhard Schröder recht. Ich finde also, es war eine Provokation. Es war unnötig, und es hat die Konsensgespräche sehr, sehr belastet. Das halten wir hier noch einmal fest. ({4}) Lassen Sie mich einen zweiten Aspekt ansprechen. Ich habe großes Verständnis dafür, daß dieser Transport auf den erbitterten Widerstand vieler Atomkraftgegner gestoßen ist. Daß Demonstrationen sowohl in Süddeutschland als auch in Niedersachsen stattgefunden haben, wird Sie nicht überraschen. Ich halte das auch für richtig. Wir haben uns immer ganz eindeutig gegen gewalttätige Demonstrationen gewandt - ich betone: wir und jetzt auch die GRÜNEN -, weil wir es für kontraproduktiv halten, wenn plötzlich eine Ankerfraktion mit gewalttätigen Aktionen auf einer Bundesbahnstrecke agiert. Dies konterkariert unseren friedlichen Willen zum Kampf gegen die Atomenergie. Also: Wir sind massiv gegen Gewalttätigkeit. ({5}) Wir lassen es nicht zu, daß Sie die Gewalttäter gegen uns kehren und sagen, wir würden uns mit diesen identifizieren bzw. wir würden uns mit diesen gemein machen. Das ist genauso auf Ihrer Seite zu differenzieren, wie auch wir zu differenzieren haben. Ich glaube, hinsichtlich des Demonstrationsrechtes sollten Sie noch ein bißchen lernen. Ich will das Demonstrationsrecht aber auch an einer anderen Stelle verteidigen. Herr Geis hat kürzlich gesagt, man müsse überlegen, ob nicht die Demonstranten die hohen Kosten, die durch die Demonstrationen entstanden seien - 30 bis 50 Millionen DM werden genannt -, zu tragen hätten. Wer sich das als Rechtspolitiker einmal auf der Zunge zergehen läßt, der wird feststellen, daß wir dadurch das Demonstrationsrecht leerlaufen lassen. ({6}) Das Bundesverfassungsgericht hat vor kurzer Zeit Sitzblockaden für zulässig erklärt. Sie aber wollen das erneut unterhöhlen. Differenzieren Sie bitte die Möglichkeiten der Demonstrationsbereiche voneinander. Trennen Sie Gewalttätigkeit von friedlichen Demonstrationen. Lasten Sie uns bitte keine Gewalttätigkeiten an. ({7}) - Wenn Herr Geis das getan hat, so halte ich das für gut. Aber die Vermischung dieser Fragen, die auch von Herrn Lippold vorhin vorgenommen wurde, weisen wir massiv zurück. ({8}) Es gibt den Demonstrationsaufruf zum 13. Mai, wonach in Hannover gegen die Nutzung der Kernenergie demonstriert werden soll. Wir haben viele Kollegen, die diesen Demonstrationsaufruf am Anfang unterzeichnet haben. Hermann Scheer, der hier sitzt, und Monika Ganseforth haben ihm - wie ich finde, zu Recht - unterzeichnet, weil da massiv auf die Ausstiegsproblematik eingegangen wurde. Nun ist - ich spreche jetzt die GRÜNEN an - der erste bundesweite Rundbrief dieser Aktion gegen die SPD gerichtet. ({9}) Ich zitiere aus dem Aufruf: Nach Lage der Dinge ist es an der SPD, zu entscheiden, ob sie sich für einen fragwürdigen Deal hergibt und auf ein bedingungsloses Ja zur Atomenergie festlegen läßt. Zweitens. Wir gehen nach Hannover, weil der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder eine Schlüsselfigur im Atomdeal zwischen Bundesregierung und SPD ist. ({10}) Wer die Verhandlungsgrundlage der SPD kennt - Sie haben sie gelesen -, weiß, daß das wider besseres Wissen falsches Zeugnis geredet ist. Jeder kennt den Ausstiegswillen der SPD. Jürgen Trittin, mein alter Bekannter aus dem Bundesratsministerium, hat am Montag gesagt: SPD und CDU bilden eine große Koalition in der Energiepolitik, die u. a. eine neue Reaktorlinie und auch den Neubau von Atomkraftwerken beinhaltet; als Beiwerk spricht man dann ein bißchen über erneuerbare Energien und Energieeinsparungen. Auf diese Anmerkung sage ich sehr ernst: Wer glaubt, man bekomme den Atomausstieg ohne die Einbeziehung großer gesellschaftlicher Kräfte wie der SPD und der Gewerkschaften hin, und wer dann, statt die Koalitionsfraktionen zu attackieren, in Gerhard Schröder den Lieblingsgegner entdeckt, der hat die Ernsthaftigkeit und die Schwere des Kampfes um den Atomausstieg nicht begriffen, und ich würde mich sehr freuen, wenn Sie auch das bei der Demonstration am 13. Mai zum Gegenstand Ihrer Überlegungen machten. ({11}) Wir müssen es doch hinkriegen, daß wir auch bei dieser Auseinandersetzung wirklich ernsthaft über die Gefährdungen nachdenken. Dietmar Schütz ({12}) Herr Grill, in Ihrer Region sind es vor allen Dingen Landwirte - ich glaube, deren Zahl wird anwachsen -, die einfach sehen, was auf sie zukommt. Es geht nicht um den jeweiligen einzelnen Transport, sondern um die Massierung aller Bereiche in Gorleben. Das beunruhigt die Bevölkerung, vielleicht noch nicht die Mehrheit, aber einen zunehmenden Teil. Ich weiß, welche konservative Gegend das früher war und welche satten Mehrheiten Sie hatten. Das hat sich schon geändert. Ich komme zum Schluß. Wenn wir in dieser Frage weiterkommen wollen, müssen wir einen Konsens suchen, der darin liegt, daß wir die Sparpotentiale wecken, die Effizienz drastisch steigern und alternative und regenerative Energien fördern. Auch bei der Kohle kann die Effizienz gesteigert werden. Angesichts des Nutzungsgrades der Kohle in der KraftWärme-Kopplung kann die Effizienz sogar verdoppelt werden. Wir sollten uns hierüber unterhalten und nicht Konfrontationen fortsetzen. An dem Ausstiegswillen der SPD werden Sie nicht rütteln. Das ist Voraussetzung auch der Konsensgespräche. Ich danke Ihnen. ({13})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich erteile nun dem Abgeordneten Simon Wittmann das Wort.

Simon Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Schütz, ich muß Sie ganz persönlich ansprechen, denn wenn Sie die Erklärung von Herrn Geis richtig gelesen hätten, ({0}) dann hätten Sie feststellen können, daß Herr Geis eine ganz klare Unterscheidung getroffen hat. Er ist natürlich für die Demonstrationsfreiheit. Ich glaube, jeder von uns würde für die Demonstrationsfreiheit auch selber auf die Straße gehen. Aber er hat auch gesagt, wer gewalttätig ist, hat dafür auch die Kosten und die Konsequenzen zu tragen. Diese Differenzierung ist notwendig. Ich glaube, daß auch Sie ihr zustimmen können. ({1}) Ich hätte jetzt gern etwas zu Frau Schönberger gesagt, aber sie hat nichts gesagt, weil sie sagt, sie darf ohne T-Shirt nichts sagen. Aber doch noch einen Satz dazu. ({2}) - Herr Fischer, auch Sie sollten sich einmal merken: Tschernobyl ist die Folge einer totalitären Herrschaft, die keine Rücksicht auf Menschen und die Sicherheit des Menschen nimmt, nicht die Folge der Anwendung einer Energie. ({3}) Erst auf dieser Ebene kann man die Dinge weiter diskutieren. ({4}) Keiner von uns hat sich je für die Anwendung dieser Technologie dort ausgesprochen, sondern jeder hat die Gefährlichkeit der dort angewendeten Technologie betont. Das Problem war das menschenverachtende System, das diese Technologie dort eingesetzt hat, ohne Sicherheitsbestimmungen zu berücksichtigen. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Wittmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ganseforth?

Simon Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe die Frage, wie Sie angesichts dieser Argumentation die Vorfälle in Harrisburg und Sellafield begründen wollen. ({0})

Simon Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir haben immer deutlich gemacht - auch heute ist es mehrmals deutlich geworden -, daß wir ganz bewußt deswegen nicht auf die zukünftige Anwendung der Atomenergie verzichten und sie daher weiterentwikkeln wollen, weil wir in Deutschland die weltweit beste Sicherheitstechnologie haben. ({0}) In den osteuropäischen Staaten, z. B. an den Standorten Temelin und Mochovce, wollen wir uns ganz bewußt nicht ausklinken, sondern durch Anwendung unserer Technologien in diesen Bereich einklinken.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Eichstädt-Bohlig?

Simon Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte Sie doch fragen, wie Sie zu der Anmaßung kommen, zu meinen, daß nicht auch uns jeden Tag so ein Unglück passieren kann, und wie wir diskutieren, wenn wir die Folgen eines UnFranziska Eichstädt-Bohlig glucks in unserem eigenen Land oder sonstwo in Europa haben. Woher nehmen Sie die Anmaßung, daß das nur den Russen passieren kann und nicht genauso den Deutschen? ({0})

Simon Wittmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist keine Frage der Anmaßung, sondern das ist das, was uns die besten Wissenschaftler der Welt sagen und worauf ich mich entsprechend verlassen kann. ({0}) - Ich möchte jetzt keine weiteren Zwischenfragen zulassen, weil ich heute auch noch etwas anderes sagen will, als nur ein Zwiegespräch mit Ihnen zu führen. Ich möchte noch einen letzten Satz zu Ihnen, Herr Schütz, und zu der Diskussion am heutigen Vormittag überhaupt sagen. Wir haben eigentlich über das ganz wichtige Thema der Klimaveränderung als Hauptthema zu sprechen. Trotzdem spielt der Castor-Transport die große Rolle. Ich glaube, es beweist ein komisches Verständnis von unserem Rechtsstaat, wenn wir darüber diskutieren, was nach geltendem Recht durchgesetzt werden muß und was alle Gerichte bestätigt haben. ({1}) - Ja, gut. Wenn es um die Durchsetzung geht - hier haben die Gerichte gesprochen -, ist das eigentlich keine Frage, die das Parlament noch behandeln müßte, sondern es ist eine Selbstverständlichkeit, daß dann dieses Recht durchgesetzt wird. Meine letzte Vorbemerkung bezieht sich auf die Diskussion um das Zwischenlager. Es ist gefragt worden: Warum nicht in Bayern oder in Sachsen? Das hat man aus Zwischenrufen gehört. Ich glaube, Bayern hat in den vergangenen Jahrzehnten immer deutlich gemacht, daß es seinen Beitrag leisten wird und geleistet hat und auch im Hinblick auf die Wiederaufarbeitung geleistet hätte. ({2}) - Ja, gut. Ich frage: Wer hat denn davon Abschied genommen? Doch nicht Bayern. Wir haben uns in Schwandorf und Wackersdorf ganz klar dafür eingesetzt, weil wir für den heute auch von Frau Merkel angesprochenen Weg der Kreislaufwirtschaft sind, der besagt, daß man Rohstoffe nicht ohne weiteres endlagern sollte. Es waren doch nicht wir, die davon Abschied genommen und die dort vor Ort gekämpft haben. Es war die SPD, es waren die GRÜNEN, die das heute über Umwege wieder einfordern wollen. ({3}) Mir ist natürlich klar, warum die Kernenergie heute die große Rolle spielt, obwohl die SPD behauptet, das habe nichts mit Klimaschutz zu tun. Über die Kernenergie ist deswegen gesprochen worden, weil man die Menschen damit am besten emotionalisieren kann. Ich glaube, wir sollten heute noch einmal deutlich machen, daß wir zugunsten des Klimaschutzes einen weiteren Einsatz der Kernenergie für erforderlich halten. Wenn wir die Kernenergie ersetzen wollten oder ersetzen müßten, müßten wir auf fossile Energieträger zurückgreifen, was zu einer höheren CO2-Belastung und zu einer weiteren Bedrohung des Klimas führen würde. ({4}) Wir werden unseren Weg weitergehen, und zwar ohne Rückgriff auf ordnungsrechtliche Maßnahmen, die eine Knebelung von Wirtschaft und Verbrauchern zur Folge haben. Wir sind der Überzeugung - es gibt genügend Beweise dafür, daß wir recht haben -, daß uns eine staatliche Lenkung im Klimaschutz nicht weiterbringt und daß andere Instrumente besser sind. ({5}) Wir setzen auf marktwirtschaftliche Instrumente, die das notwendige Wirtschaftswachstum und die internationale Konkurrenzfähigkeit nicht beeinträchtigen, sondern neue Technologien fördern, neue Märkte erschließen und neue Arbeitsplätze schaffen. Klimaschutz ist nur mit einer florierenden Wirtschaft zu erzielen. ({6}) Für uns sind vor allem folgende drei Instrumente entscheidend: erstens die weitere gezielte Schaffung von Anreizen für die Reduktion von Kohlendioxyd. Das Programm für die Wärmeschutzmaßnahmen ist ein gutes Beispiel dafür. Es gibt eine ganze Menge von Maßnahmen. Man könnte sie aufzählen; ich möchte Ihnen das ersparen. Zu nennen wären etwa: Stromeinspeisungsgesetz, Forschungsförderung, Markteinführungsprogramm, zinsgünstige Kredite, erneuerbare Energien usw. usf. ({7}) Was man mit dem vorhandenen Instrumentarium alles bewegen kann - ich muß noch einmal darauf hinweisen, weil Sie anscheinend das letzte Mal nicht aufgepaßt haben -, hat gerade Bayern erfolgreich gezeigt. Mit landesweiten Zuschußprogrammen für erneuerbare Energien unterstützt Bayern die Maßnahmen des Bundes. Erklärtes Ziel der bayerischen Staatsregierung ist es, nachwachsende Rohstoffe verstärkt für Energiezwecke einzusetzen. Wir wollen bis zum Jahre 2000 in Bayern 13 % der Energie aus regenerativen Energiequellen, davon 5 % aus nachwachsenden Rohstoffen, gewinnen. Wir liegen schon jetzt bei 7 %; das ist dreimal höher als der Bundesdurchschnitt. Simon Wittmann ({8}) Man muß vielleicht einmal darauf hinweisen und fragen: Wo bleiben hier SPD- oder SPD/Grün-regierte Länder? Es ist natürlich für jeden Klimaschutz kontraproduktiv, wenn sich Herr Lafontaine im Saarland von der Förderung der Photovoltaik verabschiedet. Das sind die Tatsachen. Man kann Klimaschutz nicht nur auf Bundesebene betreiben. Wir sind ganz bewußt ein föderalistisches System, in dem Bund und Länder auch in Konkurrenz zueinander um die bessere Politik stehen. Warum machen denn dann die SPD-regierten Länder nicht diese bessere Politik und folgen zumindest dem Beispiel Bayerns? Am Beispiel Bayerns kann man deutlich machen, daß es, was erneuerbare Energien, neue Wege, die Umstrukturierung von alten Industrien betrifft, Wege gibt, die in die Zukunft führen. Ein bewährtes marktwirtschaftliches Instrument sind freiwillige Vereinbarungen mit der Wirtschaft Es wurde immer wieder angezweifelt, ob eine solche Selbstverpflichtung sinnvoll ist. Dann müssen Sie einmal ein wenig zurückschauen. Es gab schon vor zehn Jahren eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft bei der Reduzierung des Energieverbrauchs von Kühlschränken: 20 % Selbstverpflichtung. Nach einem Vierteljahr hat man damit geworben, daß man um 30 %, 35 %, 40 % reduziert. Man hat diesen Ball aufgenommen, hat daraus einen Wettbewerb gemacht und hat damit wesentlich mehr erreicht als durch jede staatliche Knute und durch jeden Zwang. ({9}) Auch der Ausstieg aus FCKW wäre uns 1993 nicht gelungen, wenn damals nicht Töpfer mit der Wirtschaft eine freiwillige Vereinbarung getroffen hätte. ({10}) Ein drittes Instrument sind marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen. Sie haben es Ökosteuern genannt. Es stellt sich bloß folgende Frage: Wenn ich das in Ihrer Diktion nenne, ist eine Ökosteuer eine Knute. Wir wollen Rahmenbedingungen, natürlich auch unter Umständen durch steuerliche Maßnahmen. Wir haben ja vor, die Kfz-Steuer neu zu gestalten: Umstellung von der Hubraumsteuer auf die emissions- und verbrauchsbezogene Steuer. Das ist eine Ökosteuer, die letztlich dafür sorgen wird, daß es interessanter wird, verbrauchsarme Fahrzeuge auf den Weg zu bringen. Ich sage Ihnen als Vertreter einer ländlichen Region ganz deutlich: Das ist eine weit bessere Maßnahme als eine von den Grünen - bei der SPD weiß man es nicht so genau - geforderte drastische Erhöhung der Mineralölsteuer. In einer mobilen Gesellschaft sind alle die benachteiligt, die im ländlichen Raum wohnen und auf das Auto angewiesen sind. ({11}) Ich weise auch in aller Deutlichkeit darauf hin, daß Klimaschutz nicht nur eine Aufgabe des Bundes ist. Ich habe davon vorhin schon kurz in einem Satz gesprochen. Bund, Länder und Gemeinden sind hier gefordert. Deshalb ist das Beispiel der 159 Städte und Gemeinden aus 65 Ländern, die sich in Berlin verpflichtet haben, in ihren Stadtgebieten den CO2-Ausstoß um 20 % zu verringern, besonders zu erwähnen, weil sie sich besonders in die Verantwortung haben nehmen lassen. Das gilt aber auch für die einzelnen Bundesländer in Deutschland in besonderem Maße. Hier kann man zeigen, wo bessere Wege liegen. Bisher haben das nur ganz wenige gezeigt, vor allem Bayern. ({12}) - Na gut, bei der kohlendioxidfreien Energiegewinnung z. B. nimmt Bayern in Deutschland einen Spitzenplatz ein. ({13}) Nahezu 30 % des Energiebedarfs werden in Bayern aus nichtfossilen Energiequellen gedeckt. ({14}) - Herr Kubatschka, bundesweit sind es z. B. nur 13%. ({15}) Weltweit sind es lediglich 10 %. Beinahe 80 % des bayerischen Stromes werden ohne Kohlendioxidemissionen erzeugt. ({16}) - Natürlich, weil wir auf die Kernkraft setzen, weil für uns die Kernkraft mit ein Beitrag zu Kohlendioxidreduktionen ist, im Gegensatz zu Ihnen. Wenn Sie einen vernünftigen Weg gehen wollen, verlangt niemand von Ihnen, zu sagen, wir müßten die nächsten 50, 100 Jahre an der Kernenergie festhalten. Aber dann müssen Sie sich endlich einmal dazu durchringen, zu sagen, daß wir in den nächsten Jahren auf Kernenergie nicht verzichten können. Dann werden wir einen Weg finden, der uns gemeinsam hilft und der uns vor allem in unserer Sicherheit im Umweltbereich und vor allem auch im Klimaschutz weiterbringt. Danke schön. ({17})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Dr. Rainer Ortleb.

Prof. Dr. Rainer Ortleb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001657, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erstens Tschernobyl. Vor neun Jahren fand am 1. Mai in Rostock, damals noch DDR, wie üblich die Maidemonstration statt. Es war eine heitere Stimmung, auch deswegen, weil das Wetter schön war. Es gab Bananen und andere Lustbarkeiten. Am nächsten Tag sprach ich mit Kollegen. Alle waren wir der Meinung, daß der gestrige Tag doch etwas merkwürdig war. Wir alle hatten an diesem Tag Kopfschmerzen und waren sehr müde. Später, aber nicht zu spät, haben wir erfahren, daß es vermutlich die Wolke von Tschernobyl war. Man wußte damals auch in der DDR noch nicht, was da passiert war. Es war die Informationspolitik der damaligen sowjetischen Regierung, nicht des Bundestages, daß man darüber nichts wußte. Wir konnten uns im nachhinein zusammenreimen, daß die Wolke des Staubes über Skandinavien ein Zipfelchen auch die Küste der DDR-Ostsee berührt hat, so daß wir also etwas davon spürten. Sie brauchen mir hier also keinen neuen Erkenntnisgewinn darüber zu vermitteln, wie unangenehm ein GAU sein kann. ({0}) - Sie brauchen gar nicht dazwischenzurufen. Ich bin schwerhörig und ein bißchen erkältet. Aber machen Sie ruhig weiter.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Entschuldigung, Herr Kollege Ortleb, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Rainer Ortleb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001657, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Ich werde das auch begründen. Ich spüre, daß diese Diskussion ideologisch verhärtet ist. Daher bin ich in der Situation, Ihnen sagen zu können, daß Sie mich mit keiner Frage überraschen können. Ich könnte sie notfalls selbst stellen, weil ich Ihren Stil kenne. Außerdem würde Sie voraussichtlich auch keine meiner Antworten überraschen. Was soll also diese Zeitverschwendung? Ich darf zum Thema zurückkommen. ({0}) - Wie Sie meinen. Ich höre Gemurmel. Ich versuche, mich davon nicht beeindrucken zu lassen. ({1}) Jedenfalls ist es so, daß ein GAU ein Ereignis ist, das die Welt sehr klein werden lassen kann. Trotzdem darf man an das Problem nicht so herangehen, daß man den GAU ausmalt, ihn bei dem heutigen Stand der Technik als allgegenwärtig und täglich stattfindend darstellt, ohne die Gefahr zu verniedlichen. Noch eine Begebenheit aus der ehemaligen Sowjetunion, weil es gewisse Dinge gibt, die für uns möglicherweise unvorstellbar gewesen sind: Ich habe vier Wochen in Dubna gearbeitet, im Kernforschungszentrum der Sowjetunion für das sogenannte sozialistische Lager. Dort war es üblich, daß man mit dem nächsten weißen Kittel in sensible Räume ging. Dadurch wurde nach nicht überschaubarem System auch das Dosimeter, das eigentlich persönlich sein sollte, ausgetauscht. Ich kann Ihnen aber versprechen, daß ich in diesen vier Wochen höchstens die Strahlung abbekommen habe, die möglicherweisedurch die 1 600 Castor-Behälter insgesamt, von denen heute die Rede war, verursacht wird. Sie sehen also, in welche Größenordnung ein solcher CastorBehälter einzuordnen ist. ({2}) Meine Damen und Herren, bei ideologischer Verhärtung entsteht das Problem: Inwieweit gibt es - vorhin ist ja schon nach Gutachtern gefragt worden - eine Art ideologisch durchsetzte gutachterliche Prostitution? Ich bin mir nicht ganz sicher, ob so etwas gelegentlich nicht zu deutlich in dem einen oder anderen Fall stattfindet. Ich kann Ihnen eines versprechen: Wissenschaft und Technik richten sich nach Naturgesetzen, die Gott sei Dank von keiner Fraktion des Deutschen Bundestages beschlossen werden können. ({3}) Das heißt also: Es kommt darauf an, daß man diese mit der nötigen Ernsthaftigkeit als Axiomsystem dessen, was man als sicher und nicht sicher bewerten kann, voraussetzen muß. Zweitens: Zu Temelin und Mochovce. Temelin ist ein Beitrag gegen alle „Tschernobyls", weil dort ein Reaktor so verändert werden soll, daß er den technischen Anforderungen entspricht, die man akzeptieren kann. Daß diese schon die besten der Welt sind, das mag ich nicht versuchen Ihnen einreden zu wollen. Das ist natürlich kein Akt des Ausstiegs aus der Kernenergie; das ist jedem klar. Also kommen wir wieder zu der Frage: Wollen wir „Tschernobyls" beseitigen oder nicht? ({4}) Übrigens: Wenn man die Sicherheit verbessern will und dann - siehe Anträge - praktisch ohne Diskussion dazu zwingt, die Empfehlung des satten Nachbarn als die des hungrigen zu akzeptieren, und der Satte dem Hungrigen erklärt, daß die Servietten bei Tisch das Wichtige sind, dann wird man, wenn es nicht zum Mahle kommt, wahrscheinlich nicht mehr miteinander reden. ({5}) Es wäre sehr wichtig, daß dieser Kontakt erhalten bleibt; denn sonst werden wir dort nie eine Entschärfung dieses Schlüsselfalls der Energieanwendung erreichen können. Drittens: Castor. Eine kleine schelmische Bemerkung habe ich zwischendurch schon gemacht, indem ich den Vergleich mit Dubna und dem, was ich dort eingesteckt haben könnte, bewerkstelligt habe. Ich möchte dazu sagen, daß Sie doch abends sicher sind, daß das Licht im Kühlschrank Ihren Schlaf nicht stört, und zwar aus zweierlei Gründen: Erstens wird normalerweise ein Schalter eingebaut, der das Ding ausmacht, kurz bevor die Tür zu ist. Zweitens, sollte der Schalter einmal nicht funktionieren, wird das Licht trotzdem nicht durch das Blech des Gehäuses dringen. ({6}) Das sind Stufen von Sicherheitsvorkehrungen. Diese sind nicht mit denen des Castors zu vergleichen; das weiß ich. Aber darin sind ja auch mehr als ein Lichtschalter, wenn ich das einmal so ausdrücken darf. Abgesehen davon, können Sie einmal nachrechnen, wieviel Strahlung durch welche Schicht von welchem Material durchgehen kann. Es ist auch falsch, zu suggerieren, daß der CastorBehälter eine fahrende Atombombe sei. Es gibt keine Selbstorganisation von spaltbarem Material, denn jeden Sandhaufen, den Sie für das Streuen im Winter bei Form halten müssen, müssen Sie ab und zu einmal aufschaufeln, sonst ist er nämlich weg. Es geht also eher etwas weg, als daß etwas dazukommt. Halbwertzeiten ist übrigens das passende Stichwort. Viertens. Energiemix und Fragen der Besteuerung von Energie. Ich greife das deswegen noch einmal auf, weil der F.D.P. gern unterschwellig vorgehalten wird, daß sie die Chance einer Kohlepfennigersatzsteuer nicht genutzt habe, um Strom auch angemessen teuer zu machen. Daß wir über eine ökologische Besteuerung der Energie nachdenken, wissen Sie längst aus unserem Programm. Ich habe es übrigens auch an anderer Stelle zitiert. Aber deswegen brauchen wir nicht gleich zu denken, daß z. B. - meine Beispiele mögen Sie nicht, aber ich nenne sie trotzdem - billiges Toilettenpapier zu Bevölkerungsdurchfall führt. Das heißt also, eine Anwendung der Energie mit Bewußtsein ist doch das, was wir politisch erreichen wollen. Wir wollen nicht künstliche Instrumente schaffen, die nur eine Behinderung wirtschaftlicher Prozesse darstellen können. Ich möchte damit schließen, daß ich noch einmal darauf hinweise, daß ich nicht Angst vor Ihren Zwischenfragen gehabt habe, sondern Angst davor, daß wir uns wieder dieselben Bretter einander zuwerfen, statt gemeinsam - das ist auch der Sinn der Energiekonsensgespräche - darüber nachzudenken, wie man eine energiesichere Zukunft im doppelten Sinne, sicher für die Anwendung und sicher für den Bedarf und Bestand, den man dazu braucht, bekommen kann. Ich habe mich auf Grund dessen, daß ich Zwischenfragen eingespart habe, sehr konzentriert an meinen Faden halten können, so daß ich, ohne meine Fraktion zu fragen, Herrn Grill mit vielem Dank die zwei Minuten, die er vorhin zuviel verbraucht hat, zurückschenken kann. Danke. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Kollegen Rolf Köhne das Wort.

Rolf Köhne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002702, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Neun Jahre nach der Atomkatastrophe in Tschernobyl hat wiederum ein atompolitisches Ereignis tagelang die Schlagzeilen gefüllt: der Castor-Transport nach Gorleben. Zwischen diesen Ereignissen gibt es einen untrennbaren Zusammenhang. Tschernobyl hat den Menschen gezeigt, welche Gefahren und Risiken von dieser Technik ausgehen, welche katastrophalen Folgen für große Massen von Menschen und für riesige Gebiete auf dieser Erde dabei entstehen können. Deshalb gibt es über diese Art der Energieerzeugung keinen Konsens, sondern Widerstand. Frau Ministerin, Sie haben mehrfach öffentlich und in diesem Hause die Atomtechnik als eine beherrschbare Technik bezeichnet. Das mag für einen einzelnen Transport oder für ein einzelnes Kraftwerk durchaus so sein. Aber es ist nur ein Schein, der auf einem veralteten physikalischen Weltbild beruht. In der modernen Physik hat man sich längst daran gewöhnt, mit Wahrscheinlichkeiten zu rechnen. Würde ein Atomkraftwerkbetreiber im Lotto spielen, so wäre es hundertmal wahrscheinlicher, daß sich in seinem Kraftwerk ein schwerer Unfall ereignet, als daß er den Hauptgewinn erzielt. Menschen, die dies erkannt haben, schätzen ihr Recht auf Leben deshalb höher ein als das Recht, Atomkraftwerke zu betreiben. ({0}) Damit komme ich zu einem weiteren Punkt, wo Sie und Ihre Regierung einem veralteten Weltbild anhängen. Sie und Ihre Regierung haben sich auf einen obrigkeitsstaatlichen Standpunkt gestellt. Obwohl es mittlerweile allen Menschen in diesem Land klar ist, daß der Castor-Transport völlig unnötig gewesen ist, und obwohl klar ist, daß der Castor dort nicht bleiben kann, weil es dort kein Endlager geben wird, haben Sie diese Sache mit staatlicher Gewalt durchgesetzt. ({1}) Sie haben deshalb damit den Rechtsfrieden in diesem Lande gebrochen. ({2}) - Ja, genauso ist es. Sie berufen sich dabei zwar ständig auf das geschriebene Recht, aber genau darin liegt Ihr obrigkeitsstaatliches und undemokratisches Denken. Das müssen Sie einmal begreifen. In Ihrem Denken ist der Staat ein höheres Wesen, das das Recht hat, auch gegen große Teile des Volkes etwas mit Gewalt durchzusetzen. ({3}) In meinem Denken ist in einem wirklich demokratischen Staat die staatliche Gewalt aber nicht durch eine höhere Idee, sondern einzig durch das Volk legitimiert. Das setzt voraus, daß es über Recht und Unrecht einen breiten Konsens gibt; aber diesen gibt es in dieser Frage nicht mehr. ({4}) Diesen Konsens haben Sie durch Ihre Entscheidung für den Castor-Transport gestört. Nehmen Sie das doch bitte einmal zur Kenntnis! Damit haben Sie Menschen gezwungen, sich über Recht hinwegzusetzen, weil diese ihr Recht auf Leben höher bewerten. Deshalb richtete sich ein Teil der Volksgewalt, durch die eigentlich auch Ihre Regierung legitimiert sein sollte, gegen die staatliche Gewalt. ({5}) Das ist das, was sich in den letzten Tagen abgespielt hat. Apropos Konsens. ({6}) - Konsens! - Es nützt überhaupt nichts, wenn Sie mit der SPD sogenannte Energiekonsensgespräche führen. Je mehr Sie mit Ministerpräsident Schröder zu einem Konsens kommen, um so größer wird die Kluft zwischen der Anti-AKW-Bewegung und der SPD werden. Ein gesellschaftlicher Konsens über eine zukünftige Energienutzung ist so nicht herzustellen. Ihn wird es nur ohne eine Atomkraftnutzung geben können. Sie werden es bei jedem einzelnen der weiteren 419 Castor-Transporte, die im Laufe der Jahre stattfinden müssen, erleben. Das prophezeie ich Ihnen hiermit ganz klar. ({7}) Wir werden es Ihnen auch - darauf freue ich mich schon - am 13. Mai bei einer Demonstration in Hannover vorführen. ({8}) Ich freue mich darauf, einige Kolleginnen und Kollegen aus diesem Hause in meiner Heimatstadt begrüßen zu dürfen. Ich denke, wir werden an diesem Tag auch einigen Spaß haben. In diesem Zusammenhang noch ein Satz zur SPD und zu dem, was der Herr Kollege Schütz vorhin gesagt hat. Die Demonstration findet ja gerade deshalb in Hannover statt, weil es in der SPD widersprüchliche Aussagen gibt. Wenn das Thema Atompolitik hier in diesem Hause zur Debatte steht, reden natürlich immer diejenigen, die sich dagegen aussprechen. Das ist so. Es gibt aber auch andere Stimmen in Ihrer Partei. ({9}) Niemand nimmt es mehr dem Ministerpräsidenten Schröder ab, daß er den Parteitagsbeschluß, den Sie einmal gefaßt haben, einhalten will, weil allen bewußt ist, daß Schröder ein Machtmensch ist, der in der nächsten Periode Bundeskanzler werden will und der deswegen bereit ist, seine eigene Großmutter zu verkaufen. Das ist der Punkt. ({10}) Herr Schütz, es ist richtig, wir wollen natürlich, daß die SPD zu ihrem Parteitagsbeschluß zurückkehrt. Deswegen würde ich mich freuen, wenn Sie und Ihre anderen Kollegen in Hannover mit dabei wären. Ich danke Ihnen. ({11})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort der Kollegin Dr. Renate Hellwig.

Dr. Renate Hellwig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das eigentliche und Hauptthema des Tagesordnungspunktes 1 ist nach wie vor die Klimakonferenz. Ich möchte daran erinnern und darauf zurückkommen, aber gleichzeitig auch klarmachen, in welch engem Zusammenhang die Klimakonferenz mit der Frage der Kernenergie steht. Wir haben - das ist zu Recht heute hier noch einmal deutlich gemacht worden - auf dieser Klimakonferenz weltweit ein Exempel statuiert, indem unser Bundeskanzler für Deutschland die klare Zielvorgabe gegeben hat, daß von 1990 bis 2005 - wir sind bereits im Jahre 1995 - der CO2-Ausstoß um 25 % verringert werden wird. Das hat zu einem allgemeinen Atemanhalten, übrigens auch bei unseren europäischen Nachbarn, geführt. Ich erinnere daran, daß das, was wir für wünschenswert gehalten hätten, nämlich den Beschluß der EU, über 2000 hinaus auf dem Stand von 1990 zu bleiben, in ein klares Mandat für die nächste UNO-Konferenz umzusetzen, noch nicht durchsetzbar war. Aber selbst dieser europäische Konsens ist nicht so weitgehend wie die deutsche Vorgabe. Das heißt, wir haben uns in Berlin wie in Rio - wir konnten nachweisen, daß unsere Bekenntnisse in Rio keine leeren Versprechungen waren, sondern daß wir in dieser Richtung Leistungen erbracht haben - eine knallharte und, ich persönlich sage auch: nationale Zielvorgabe gesetzt. ({0}) Das hat Vorbildfunktion für die anderen Länder der Welt. Wenn es auf der nächsten Konferenz zu einem klaren Mandat kommen wird, hat das etwas mit unserer deutschen Vorbildfunktion zu tun. ({1}) Es geht darum, das auch ganz konkret in deutsche Politik umzusetzen. ({2}) Ich möchte darauf hinweisen, meine lieben Kollegen von der SPD, was die Vorgabe bedeutet. Die bei uns vorhandene Kernenergie macht lediglich 11 % unserer Energieversorgung aus. Wir beziehen Gott sei Dank 11 % unserer Energieversorgung ohne CO2-Belastung. In diesem Zusammenhang müssen wir jetzt bei den anderen fast 90 % die CO2-Belastung um etwas mehr als 25 % senken. Der Ausstieg aus der Kernenergie ist aus meiner Sicht aus zweierlei Gründen absolut unrealistisch und falsch. Der erste und wichtigste Punkt - er hat übrigens auch auf der Klimakonferenz eine große Rolle gespielt - ist die Frage, ob es überhaupt je einen weltweiten Konsens geben könnte, die Kernenergie nicht mehr als Energieform einzusetzen. Ich kann Ihnen sagen, daß Sie zusammen mit einigen Minderheiten in anderen Ländern damit absolut alleinstehen. Mich erinnert das an die Diskussion, die wir im Zusammenhang mit dem Nachrüstungsbeschluß hatten, bei der sich die SPD gegenüber ihren eigenen Schwesterparteien im Westen Europas total isoliert und der Illusion der Grünen nachgehangen hatte, als ob es ohne eine eigene Bundeswehr eine Friedensgarantie gäbe.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Hellwig?

Dr. Renate Hellwig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Ich habe nur wenige Minuten Redezeit, und ich möchte mich auf einige wenige Gedanken konzentrieren. Sie haben noch genug Redezeit. Möge Ihr Nachredner darauf eingehen! Mir geht es insbesondere darum, zu zeigen, welchen Schwankungskurs die SPD im Bereich Kernenergie durchgemacht hat. Ich war von 1975 bis 1980 Staatssekretärin in Rheinland-Pfalz. Damals haben wir ein Petitum der SPD - übrigens der Bundes-SPD unter der Verantwortung von Bundeskanzler Brandt -, nämlich mitten in das Industriegelände der BASF in Ludwigshafen zur Selbstversorgung ein eigenes Kernkraftwerk einzubauen, abgelehnt, weil wir gesagt haben: Diese massive Kombination aus Risiken - hier der Chemiekonzern und mittendrin ein Kernkraftwerk - geht zu weit. Damals sind wir als kleinmütig beschimpft worden. Herr Grill hat heute vergleichbare Punkte gebracht. Derzeit, und zwar erst im Jahre 1992 hat die damalige SPD-Ministerin Martini an Frau Griefahn geschrieben, daß sie es nicht für opportun ansieht, schon jetzt zu einem Konsens über den sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie zu kommen, da doch erst die Klimafrage gelöst werden müsse und damit ein zu großer Widerspruch zwischen Klimaforderungen der SPD und dem Kernenergieausstieg eintreten könnte. ({0}) Sie sehen, wir fahren eine gerade Linie. Wir wissen, daß die Kernenergie nicht risikolos ist. ({1}) Aber nennen Sie mir eine Technologie, von der Sie behaupten können, sie sei absolut risikolos. Nennen Sie mir eine! ({2}) Sie werden feststellen, daß die gesamte moderne Industrie, ob ich jetzt die chemische Industrie mit den Katastrophenfällen nehme, die uns in Atem gehalten haben, ob ich die Solarzellen und die Ballaststoffe bei ihrer Entsorgung, ob ich den Katalysator und seine Rückstände nehme, Sie werden immer feststellen: Es gibt keine absolut risikolose Technologie. ({3}) - Wenn Sie klatschen, dann fällt mir das Stichwort ein, das ich beinahe vergessen hätte: Wenn sich ein Altkommunist hier hinstellt und verkündet, er sei der Vorreiter für den Ausstieg aus der Kernenergie, kann ich nur sagen: Wir mußten als erstes im Zuge der Wiedervereinigung Greifswald und Rheinsberg schließen, ({4}) weil in völlig unverantwortlicher Weise dort Kernkraftwerke über den Willen der Bürger hinweg mit keinerlei Berücksichtigung des Risikos betrieben wurden. Um ein bißchen Selbstlob zu bringen: Ich war damals verantwortlich auch für die Fragen der Sicherheitstechnologie - nicht für den Bau - für MülheimKärlich. Mülheim-Kärlich geht auf das Modell von Harrisburg zurück. Wir haben die siebenfache Sicherheit gegenüber Harrisburg eingebaut. Die Amerikaner haben das damals - übrigens vor dem Unfall von Harrisburg - für etwas übertrieben gehalten und über uns gespottet. Ich kann nur sagen, daß gerade unsere Mission, weltweit ständig höchste Sicherheitsstandards für die Kernenergie zu fordern, eine wichtige Mission ist, die wir auf Dauer nur durchhalten werden, wenn wir uns auch im eigenen Lande zur Kernenergie bekennen. ({5}) Ich weiß, wovon ich spreche. In meinem eigenen Wahlkreis liegt das Kernkraftwerk Neckarwestheim, ein hervorragendes Kernkraftwerk. Bei der Diskussion und bei den Protesten haben zum Ärgernis der Bürger in meinem Wahlkreis praktisch nur Chaoten von außerhalb des Wahlkreises große Spektakel veranstaltet, nicht die Bürgerschaft selbst. ({6}) Deshalb halte ich es für hervorragend, wenn wir feststellen, welchen Beitrag wir zur CO2-Minderung auch mit Kernkraftwerken leisten. Aber um hier keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Ich bin der festen Überzeugung - auch das hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahren bewiesen und wird es auch bei den zukünftigen Maßnahmen bis zum Jahr 2005 zur Durchsetzung der 25 %-Reduktion beweisen -, daß es nicht allein um die Kernenergie geht. Die Kernenergie ist nur ein Punkt, der andere Punkt ist die Einsparung von Energie. Diese ist nicht nur auf staatliche Maßnahmen zurückzuführen, sondern insbesondere auch auf den wichtigen Konsens - der übrigens nur einer von vielen ist - zwischen Industrie und Staat, der im Vorfeld der Klimakonferenz von der Industrie betont wurde. Als Frau Angela Merkel auf dem Klimagipfel zusammen mit dem BDI über diese Selbstverpflichtung der deutschen Industrie eine Pressekonferenz abhielt, sind sehr viele Delegierte aus anderen Ländern auf uns Deutsche zugekommen und haben gesagt: „Sorgen Sie dafür, daß unsere Industrie

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ihre Redezeit, Frau Kollegin!

Dr. Renate Hellwig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- dieses als Beispiel ansieht und mitmacht. Wir sehen darin einen besonders effizienten Weg, eine Reduktion auch in unserem Land zu erreichen. " ({0}) Also auch in diesem Punkt sind wir Vorbild, und wenn Sie das noch nicht begriffen haben, dann unterhalten Sie sich einmal mit Ihren Parteifreunden in anderen Ländern. Vielen Dank. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Die Kollegin Professor Monika Ganseforth hat das Wort.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die Menschheit steuert auf zwei Katastrophen zu. Die eine ist die eines Nuklearunfalls. Alle Risikostudien belegen, daß ein Super-GAU auch in einem deutschen Atomkraftwerk möglich ist - auch wenn hier viele versucht haben, das zu leugnen. Restrisiko bedeutet nämlich, daß ein schwerer Nuklearunfall in tausend Jahren, aber auch heute oder morgen auftreten kann. Ein Super-GAU in einem Atomkraftwerk wie z. B. Biblis wäre die größte derzeit vorstellbare Katastrophe in der Bundesrepublik. Es gäbe hunderttausende Tote. Großstädte wie Frankfurt und Mannheim wären auf Jahrzehnte unbewohnbar. Das ist die eine Katastrophe. Die zweite Katastrophe, auf die die Menschheit zusteuert, ist die Klimakatastrophe. Nun will uns die Regierung und mit ihr mächtige gesellschaftliche Gruppen weismachen, wir brauchten einen Energiemix, wir brauchten einen Risikomix, wir brauchten eine Risikostreuung; ein bißchen Nuklearrisiko und etwas Klimarisiko, dann haben wir alles gut verteilt. Dabei wäre es die Aufgabe der Politik, beide Risiken zu vermeiden und zu verhindern. ({0}) Daß das möglich ist, hat die Enquetekommission „Schutz der Erdatmosphäre" ermittelt. Sie hat die Analyse geliefert, neben dem Ausstieg aus der Atomenergie auch die Klimaproblematik in den Griff zu bekommen, nämlich mittelfristig fast den völligen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern Kohle, Öl und Gas. Sie hat die Optionen, die Maßnahmen und die Instrumente benannt, die zur Verfügung stehen. Es gibt kein Wissensdefizit, es gibt kein Technikdefizit, es gibt ein Umsetzungs- und Politikdefizit. ({1}) Die Debatte hier zeigt wieder, daß die Diskussion um die Atomenergie von diesem Politikdefizit ablenken soll, daß sie verschleiert, daß die Regierung vollmundige Versprechungen macht, aber wenn es um die konkrete Umsetzung von Klimaschutzzielen geht, mit leeren Händen dasteht. ({2}) Die Hoffnung, daß die Vertragsstaatenkonferenz in Berlin eine Lösung bietet, hat sich leider nicht erfüllt. Keine Frage: Frau Merkel hat sich redlich bemüht - das muß man auch anerkennen -, und wir haben sie nach Kräften unterstützt. Warum hat es keinen Erfolg gegeben? Es saßen die falschen Leute am Verhandlungstisch. Es fehlten die jungen Vertreterinnen und Vertreter der nachfolgenden Generationen, deren Zukunft verhandelt wurde. Sie protestierten vor dem Kongreßzentrum in Berlin, saßen aber nicht am Verhandlungstisch. Verhandelt haben nicht nur die Regierungen; maßgeblichen Einfluß auf die Verhandlungsdelegationen hatte die Industrie, die einen wirksamen Klimaschutz verhindern will. Das betraf viele Länder: die USA, Japan, Norwegen und auch die Bundesrepublik. Frau Merkel, es war bezeichnend, wie Sie zusammen mit dem BDI-Vorsitzenden Olaf Henkel eine Pressekonferenz gaben. Herr Henkel kanzelte die Umweltbewegung schlimm ab, ohne daß Sie widersprachen. Ausländische Vertreter haben mich auf dieses Schauspiel angesprochen. Frau Hellwig, Sie sind vielleicht von anderen angesprochen worden, wie Sie eben erwähnt haben, aber mir haben viele ausländische Vertreter gesagt, wie entsetzt sie über die Überheblichkeit waren, mit der der BDI-Präsident die Vorreiterrolle Deutschlands und seiner Wirtschaft als großes Vorbild angepriesen hat. ({3}) Die deutsche Industrie hat angeboten - so die Selbstverpflichtung -, auf freiwilliger Basis besondere Anstrengungen zu unternehmen, ihre spezifischen CO2-Emissionen bzw. den spezifischen Energieverbrauch bis zum Jahr 2005 um bis zu 20 % zu verringern. Wenn es dann nur 5 % sind, entspricht das also immer noch dieser Zusage. Das ist eine Mogelpackung. Man muß wissen, daß der spezifische Energieverbrauch, bezogen auf den Produktionswert im verarbeitenden Gewerbe, von 1970 bis 1993 um 42 % gesunken ist. Nun wird versprochen, ihn bis zum Jahre 2005 um bis zu 20 % zu reduzieren. Das entspricht noch nicht einmal dem Trend, sondern liegt darunter. Wir werden sehen, daß die CO2-Emissionen dadurch nicht verringert werden. Für diesen Kuhhandel bezahlt die Regierung mit dem Rückzug aus politischen Maßnahmen. Das wurde in Berlin vorgestellt. ({4}) Die Klimakonferenz erinnerte mich mit ihrer Beeinflussung durch die Industrie an eine Konferenz zur Drogenbekämpfung, bei der die Mafiabosse mit am Tisch sitzen. Wie soll eine solche Veranstaltung Erfolg haben? Hinzu kommt das ungelöste Problem der Mehrheitsbeschlüsse. Wenn Einstimmigkeit erzielt werden muß, gibt der Langsamste das Tempo an. Die Regierung hat im Vorfeld der Verhandlungen diese Klippe unterschätzt und nicht aus dem Weg geräumt. Die Klimakonferenz hat keine dem Problem angemessene Lösung gebracht. Sie hat die in Rio gestellten Weichen nicht genutzt. Ich habe heute von Regierungsseite viele Reden gehört, die genauso vor zwei Jahren hätten gehalten werden können oder gehalten wurden. ({5}) Da war vom prompt start" und „follow-up" die Rede. Aber was ist in der Zwischenzeit passiert? Ich fürchte, in zwei Jahren stehen wir hier wieder so. Die Klimakonferenz in Berlin hat nicht zu einem Protokoll geführt. Sie hat weitere Vorwände geliefert, auf internationale Lösungen zu warten. Die Gruppe AOSIS, die die Konferenz gut vorbereitet und einen Protokollentwurf vorgelegt hat, ist enttäuscht und verbittert zurückgefahren und wird diesen Optimismus, der hier allenthalben verbreitet worden ist, nicht teilen. Außerdem wurde die Atomkraft auf der Klimakonferenz und auch hier als Klimaretter hoffähig gemacht. Dabei wissen wir: Klimaschutz verlangt große Anstrengungen, ob mit Atomenergie oder ohne. Wir wollen eine Risikominimierung, wir wollen - und das geht - beide Risiken verringern. ({6}) Mit dem größten und teuersten Polizeieinsatz versuchten Sie, den Widerstand der Bevölkerung zu brechen und ein Exempel zu statuieren. ({7}) Das ist der Punkt. Die Gewalttäter sind für Sie der willkommene Anlaß und Vorwand, den Widerstand zu diffamieren. ({8}) Es gibt viele Menschen in Niedersachsen, in der Umgebung von Gorleben, die von Widerstand weit entfernt sind, aber von der Politik und den Maßnahmen enttäuscht sind, die wütend und verzweifelt sind - nicht weil Ängste geschürt worden sind, sondern weil sie aus sich heraus Ängste haben. Ich bin der Meinung, sie stehen auf der richtigen Seite. Auch ich habe Angst vor dem, was Sie hier propagieren und durchsetzen wollen. ({9})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, anders als Herr Grill.

Herbert Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Ganseforth, haben Sie nach dem, was der Kollege Grill hier über die Vorgeschichte und die Hintergründe minutiös ausgeführt hat, wirklich die Stirn, diese Bemerkung aufrechtzuerhalten? ({0})

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe selten eine so rückwärtsgewandte Diskussion gehört, wie sie Herr Grill hier geführt hat. Es geht um die Zukunft für unsere Gesellschaft. Da haben Sie und wir Verantwortung. ({0}) Die Anti-AKW-Bewegung lebt! Sie werden sie mit Ihren Maßnahmen zu großem Leben bringen, allerdings nur dann - das ist in diesem Zusammenhang meine Bitte an die GRÜNEN -, wenn wir uns nicht spalten lassen, sondern wenn wir darin einig sind, daß der wirkliche Gegner sich auf der Regierungsseite befindet. ({1}) In Berlin habe ich erfahren, daß es nicht nur eine nationale Anti-AKW-Bewegung gibt, sondern daß auch die Menschen in Japan, in Frankreich und in anderen Ländern das nicht hinnehmen werden. Der Widerstand wächst. Ich bitte Sie, alles dafür zu tun, daß er nicht eskaliert und wir zu Lösungen kommen, mit denen wir noch vor unseren Kindern und Kindeskindern bestehen können. Sie zündeln; so kann es nicht zur Lösung kommen. Ich appelliere an die Kräfte in Ihren Reihen - auch die gibt es; ich habe mit einigen gesprochen -, die verantwortungsbewußt und gesprächsbereit sind: Wir müssen die beiden drohenden Katastrophen verhindern - und wir können es. Es ist eine große Herausforderung. Wir brauchen dazu Kompromisse. Die SPD ist dazu bereit. Aber Sie müssen auf uns zugehen und die Provokationen unterlassen. Schönen Dank. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Peter Paziorek, Sie haben das Wort.

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute morgen ist hier von einem Vertreter der SPD-Fraktion die Forderung aufgestellt worden: Wir müssen radikal die Wahrheit sagen. Vor dem Hintergrund meiner persönlichen Erfahrungen mit der Kohlefinanzierung in NordrheinWestfalen vor der Osterpause möchte ich die Frage stellen: Sagt jemand die Wahrheit, wenn er in einer solchen Diskussion behauptet: „Die Kernenergie kann in Deutschland sofort bei der Stromversorgung wegfallen; die Ersatzenergien stehen schon zur Verfügung, und die heimische Steinkohle kann zusätzliche Versorgungsengpässe sofort auffangen"? Wer so etwas in der kohlepolitischen Diskussion behauptet - das sage ich hier ganz deutlich -, der sagt den Menschen an Rhein und Ruhr und in ganz Nordrhein-Westfalen nicht die Wahrheit und führt sie in die Sackgasse. ({0}) Wer den Zusammenhang zwischen Kernkraft und Steinkohle aufheben will, der leistet, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, der heimischen Steinkohle letztlich einen gewaltigen Bärendienst. Berücksichtigen Sie das zukünftig bei der Energiepolitik. Nun stehen weitere Gespräche an. Wir dürfen unser Ziel nicht aus den Augen verlieren. Einerseits geht es um die Sicherung der Energieversorgung in Deutschland. Andererseits haben wir die Aufgabe, diese Energieversorgung umweltgerecht zu gestalten. Wir haben durch unsere Entscheidungen die Energieversorgung unseres Staates sicherzustellen, und zwar nicht nur für die nächsten fünf Jahre, sondern weit darüber hinaus. Wir müssen alle wesentlichen Konsequenzen des weltweiten Energieverbrauches für das Weltklima berücksichtigen. Deshalb gilt für Deutschland: Nur ein wohlabgewogener Energiemix kann unsere Energieversorgung langfristig sicherstellen und den Anforderungen an eine verantwortungsvolle Umweltpolitik gerecht werden. Ich sage bewußt zu den Verantwortlichen der SPD in Nordrhein-Westfalen: Wer diesen Energiemix, der aus fossilen Energieträgern, erneuerbaren Energien und der Kernenergie besteht, auflösen möchte, zerstört das Fundament, auf dem die heimische Steinkohle noch über das Jahr 2000 hinaus sinnvoll unterstützt werden kann. Berücksichtigen Sie in Nordrhein-Westfalen diese Notwendigkeit. ({1}) - Natürlich müssen wir neue Gesichtspunkte berücksichten; vielen Dank für den Zwischenruf. Die Berücksichtigung neuer Gesichtspunkte bedeutet aber nicht die Aufhebung des Energiemixes an sich, sondern bedeutet moderne Kraftwerkstechnik, höhere Wirkungsgrade, Einführung neuer Potentiale wie die Brennstoffzelle, selbstverständlich den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien wie auch den Einsatz der Biomasse und auch - davor drücken Sie sich aber - einen wesentlichen Beitrag der heimischen Kernenergie. Dies ist notwendig für eine aktive Klimaschutzpolitik. ({2}) Natürlich - das ist umweltpolitisch gewünscht - können sich die Anteile der einzelnen Energieträger bei einem solchen Energiemix verändern. Es bleibt aber bei der Aussage, daß eine sichere Energieversorgung im Grundsatz die Beibehaltung dieses Energiemixes und damit auch die Beibehaltung der Kernenergie bedeutet und erfordert. Daraus folgt: Braun- und Steinkohle haben langfristig nur im Rahmen dieses Mixes eine Chance. Wer etwas anderes sagt und vor Ort die Steinkohle gegen die Kernenergie ausspielt, der streut den Menschen an Rhein und Ruhr nur Sand in die Augen. Deshalb muß dies heute klar und deutlich ausgesprochen werden. ({3}) Die Realität ist doch - Herr Grill hat heute morgen völlig recht gehabt -, daß wir uns als Union seit Anfang der sechziger Jahre immer abwägend für einen sinnvollen Energiemix ausgesprochen haben. Wir haben bei der Stromversorgung nie allein auf Kernenergie gesetzt. Schauen Sie sich aber einmal Ihre Programme aus den sechziger Jahren und Ihre Euphorie, die bezüglich der Kernenergie bestand, an. Sie haben vom Anfang der sechziger Jahre bis in die siebziger Jahre ideologisch einseitig auf Kernenergie gesetzt. Heute wollen Sie uns vorwerfen, daß wir für den Energiemix sind. Sie wollen Ihre eigenen falschen Aussagen zur Energiepolitik vergessen machen. Das werden wir nicht zulassen. ({4}) Natürlich gibt es auch bei modernen Technologien Risiken, die niemand leugnet. Aber wenn Sie von der SPD in Sachen Kernenergie von vornherein bei der Technikverweigerung verbleiben - es werden weltweit 60 Kernkraftwerke gebaut, die die deutsche SPD und die deutschen GRÜNEN nicht verhindern konnten -, werden erst weltweit neue Gefahren hervorgerufen. Die Vorsorge gegen klimatische Veränderungen und die Sicherung der weltweiten Energieversorgung werden wir nicht durch die Wiedereinführung vorindustrieller Verhältnisse in Wirtschaft und Gesellschaft lösen können. Wir werden die umwelt- und energiepolitischen Herausforderungen nur meistern können, wenn wir zur Weiterentwicklung der Technik hin zu besseren, energiesparenden und umweltschonenden Technologien bereit sind. Wer den Verzicht auf Technik auch bei der Kernenergie predigt, wird die Umwelt- und Energiepolitik in eine Sackgasse führen. Ich bezweifle, daß eine solche Politik unter globalen Gesichtspunkten überhaupt verantwortbar und damit letztlich auch ethisch begründbar ist. Was mich heute morgen hier besonders betroffen gemacht hat, waren die Äußerungen des Vertreters der PDS. Die Äußerungen des Vertreters der PDS waren im höchsten Maße entlarvend. Wer indirekt erklärt, daß er bei den Vorgängen, wie sie sich gestern in Niedersachsen abspielten, ein außergesetzliches Notstandsrecht gegen rechtsstaatliche Entscheidungen von Gerichten sieht, muß hier im Deutschen Bundestag den entschiedenen Widerspruch aller Demokraten erfahren; ({5}) denn wer so etwas sagt, hat die freiheitliche und rechtsstaatliche Demokratie noch nicht verstanden und muß von vornherein politisch bekämpft werden, meine Damen und Herren. ({6}) Verantwortbar und damit aus meiner Sicht auch ethisch begründbar ist letztlich nur eine Politik, die bei dem internationalen Trend hin zum Bau neuer Kernkraftwerke zusätzliche Entwicklungsimpulse in Richtung auf eine gegenüber dem bisherigen internationalen Standard sicherere und damit bessere Kernkrafttechnologie gibt. Meine Damen und Herren, Herr Müller hat heute morgen für die SPD-Fraktion die Deutsche Physikalische Gesellschaft zitiert. Ich frage: Warum hat er denn nicht auch die neueste Stellungnahme dieser Gesellschaft zitiert, die wir vor einer Woche alle erhalten haben, in der sich diese Gesellschaft dafür ausgesprochen hat, darüber nachzudenken, ob wir nicht den Hochtemperaturreaktor als eine sichere Linie der Kernkrafttechnologie in Deutschland einsetzen können? Ich frage: Warum ist eine solche Technologie in Nordrhein-Westfalen von der SPD verhindert worden, in einem Land, wo wir diesen Hochtemperaturreaktor auch für die Prozeßwärme im industriellen Bereich einsetzen könnten? Was sagt die SPD dazu, daß diese Linie, die in Nordrhein-Westfalen entwikkelt worden ist, dort gestoppt worden ist, jetzt in den Vereinigten Staaten weiterentwickelt wird und wir wiederum einen Forschungsstrang in Deutschland zerstört haben, während andere Staaten der Welt diese Entwicklung aufgreifen, weil sie der Ansicht sind, dieser Weg ist sicher und richtig? Daran sieht man doch die Verantwortungslosigkeit der Energiepolitik der SPD gerade in dieser Frage. ({7}) Zum Schluß: Wie kann man überhaupt begründen, daß an die 300 Castor-Transporte in meiner Region im Münsterland, woher ich komme, nach Ahaus führten, um das Zwischenlager in Ahaus zu bedienen, dort die SPD aber nicht auf die Straße geht? Aber indirekt wird heute für einen vergleichbaren Transport nach Gorleben von einer riesigen Gefährdung gesprochen. Wie wollen die SPD-Abgeordneten im Münsterland den Wählerinnen und Wählern klarmachen, daß das im Münsterland geht, aber in Gorleben schon ein einziger vergleichbarer Transport gefährlich sei? ({8}) Dieser Unterschied, Herr Schütz, kann logisch nicht begründet werden. Wenn er zu begründen versucht wird, dann kann ich die Antwort gleich geben: Das hängt mit dem bodenlosen Opportunismus Ihrer Energiepolitik zusammen, das hängt mit dem Stil Ihrer Energiepolitik zusammen, die ich nur als Politik der gespaltenen Zunge bezeichnen kann. Deshalb kann ich nur dazu auffordern, daß eine verantwortbare Energiepolitik in Deutschland nicht von Ihnen betrieben wird, sondern daß Christliche Demokraten und Freie Demokraten in der Energiepolitik weiterhin für das Notwendige sorgen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Damen und Herren, zur Orientierung der Kolleginnen und Kollegen innerhalb und außerhalb des Saales: Wir werden frühestens gegen 13.30 Uhr zur namentlichen Abstimmung kommen. Jetzt hat zu einer Kurzintervention der Kollege Rolf Köhne um das Wort gebeten.

Rolf Köhne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002702, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Kollegin Hellwig, Sie haben gesagt, daß ich als Altkommunist nicht das Recht hätte, mich gegen die Atomkraftnutzung auszusprechen. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Seit Mitte der 70er Jahre gab es unter den westdeutschen Kommunisten eine kontroverse Debatte über dieses Thema, und diese Debatte wurde spätestens durch Tschernobyl zugunsten der Atomkraftgegner beendet. Die Kommunisten haben sich also - im Gegensatz zur CDU - als lernfähig erwiesen. Nun noch eine Bemerkung zum Kollegen Paziorek, der mich ebenfalls angegriffen hat. Mein Demokratieverständnis geht weit über das Ihrige hinaus. Ich möchte nicht nur, daß die Menschen alle vier Jahre ihre Stimme abgeben und die Mehrheit in diesem Roll Köhne Hause anschließend machen kann, was sie will, sondern daß die Menschen auch zwischen den Wahlterminen die Möglichkeit haben, ihre Meinung zu vertreten. Ich danke Ihnen. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Nach der Geschäftsordnung könnten die beiden Kollegen antworten. Frau Kollegin? ({0}) Herr Kollege Paziorek? ({1}) Dann erteile ich dem Kollegen Christoph Matschie das Wort.

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe aus den Reihen der Koalition sehr viel über Kernenergie gehört. Ich habe wenig über die anderen Bereiche gehört, um die es hier ebenfalls geht. Ich möchte deshalb am Anfang an ein Wort von Bernd Schmidbauer erinnern, einem Kollegen von Ihnen, dem ersten Vorsitzenden der Klima-Enquete-Kommission. Er hat damals als Vorsitzender der Klima-Enquete-Kommission gesagt: Wer im Zusammenhang mit Klimaschutz über den Ausbau der Kernenergie redet, hat das Problem nicht begriffen. Es geht um Sparen, Sparen, Sparen. - Davon habe ich hier wenig gehört. ({0}) Ich möchte, weil ich auf dem Berliner Gipfel dabei war, mit der Beschreibung einer Szene beginnen: Der Kanzler betritt von links die Bühne. Vom Rednerpult aus mahnt er eindringlich das Auditorium, das Überleben der Menschheit zu sichern und der großen Aufgabe gerecht zu werden. Er sagt: Wir dürfen nicht den Boden zerstören, auf dem die Nahrung für unsere Kinder wachsen muß. Der Kanzler verspricht, daß die Bundesrepublik ihre CO2-Emissionen bis zum Jahre 2005 um 25 % gegenüber 1990 verringern wird. Es gibt viel Beifall. Der Kanzler tritt ab - Pardon: Er verläßt die Bühne. Stunden später: Der Leiter der deutschen Delegation auf dem Klimagipfel wird zum Versprechen des Kanzlers befragt: Lautete der Beschluß der Bundesregierung nicht Reduzierung um 25 % bis 30 % auf der Basis von 1987? Hat der Kanzler mit seinem heutigen Versprechen eine Verschärfung versprochen? Ist das überhaupt durch Regierungbeschlüsse gedeckt? Oder hat sich der Kanzler beim Versprechen einfach versprochen? ({1}) Es gab etwas Unruhe in der deutschen Delegation. Dann kam die Antwort - sie war denkbar einfach -: Das Kanzlerwort gilt. Meine Damen und Herren, ist es wirklich so einfach? Mich machen zwei Dinge an dieser Geschichte zornig. Das erste ist, mit welcher Leichtfertigkeit bei einer so komplizierten Aufgabe Versprechen in die Welt gesetzt werden. ({2}) Das zweite ist die tiefe Kluft, die zwischen Worten und Taten liegt. Große Worte wider besseres Wissen oder ohne den ernsthaften Anspruch, ihnen im Handeln auch zu entsprechen, zerstören das Vertrauen und entziehen der Politik damit letztendlich Handlungsmöglichkeiten. Ich will jetzt nicht darüber reden, wie schwer es ist, bei internationalen Verhandlungen im Klimaschutz voranzukommen. Ich will mich heute darauf konzentrieren, was in diesem, was in unserem Land geschieht. Dahinter steht auch die Auffassung, daß einzelne Staaten im Umweltschutz vorangehen und Beispiele dafür liefern müssen, was man bei konzentrierter Anstrengung erreichen kann. Unsere politische Frage muß also lauten: Was gilt das Kanzlerwort? Ich möchte ein Stück zurückgehen: zur Konferenz von Rio. Dort hat der Kanzler gesagt: Wir bekennen uns zur Verstärkung der öffentlichen Entwicklungshilfe und bestätigen ausdrücklich das 0,7%-Ziel. - Doch statt der versprochenen Steigerung zeigen die Zahlen ein deutliches Absinken der Entwicklungshilfe in den letzten Jahren. Mittlerweile sind wir bei 0,32 % des Bruttosozialprodukts angekommen. Das Kanzlerwort gilt? Vor dem Klimagipfel präsentiert die Bundesregierung stolz eine Selbstverpflichtung der Industrie zur CO2-Reduzierung. Man verkündet der erstaunten Öffentlichkeit, welch großer Fortschritt damit in der Klimapolitik erreicht werde. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat die Selbstverpflichtung der Industrie in einer Studie unter die Lupe genommen und kommt zu dem Schluß, „daß das Angebot von Teilen der Wirtschaft nicht mehr verspricht, als die Entwicklung des spezifischen Energieverbrauchs ohnehin erwarten läßt" . Mit anderen Worten: Die Industrie hat nur versprochen, so weiter zu handeln, wie sie bisher gehandelt hat. Was also gilt das Wort der Bundesregierung? Auf dem Gipfel in Berlin hat der Kanzler das schon erwähnte Versprechen der Reduzierung um 25 % abgegeben. Im Dritten Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe CO2-Reduktion vom Oktober letzten Jahres werden Studien von Prognos und vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung aufgeführt. Prognos hält danach eine Reduzierung um rund 14 % für möglich. Das RWI kommt in einem Szenario, das die bisher von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen berücksichtigt, auf 10 % und in einem zweiten Szenario, das alle weiteren Maßnahmen einschließlich einer CO2-/Energiesteuer berücksichtigt, auf 18 % Reduzierung. Nun hat aber die Bundesregierung der Wirtschaft gerade versprochen, zunächst auf weitere Maßnahmen zu verzichten. Wie also will der Kanzler sein Versprechen von Berlin einlösen? Ich habe hier von der Bundesregierung dazu nichts gehört. Das Kanzlerwort gilt? Neben solchen ungedeckten Versprechen gibt es auch eine ganze Reihe von offenkundigen Widersprüchen in der Strategie der Bundesregierung. Lassen Sie mich ein Beispiel anführen. Im Umweltbericht 1994 heißt es: Die Aufgabe einer nachhaltigen Verkehrs- und Umweltpolitik muß es sein, Verkehr nicht beliebig weiter wachsen zu lassen. Im Straßenbaubericht des gleichen Jahres dagegen steht zu lesen: Orientierungsgröße für den Ausbau und die Unterhaltung der Bundesfernstraßen ist die zu erwartende Nachfrage. ({3}) Ja, was denn nun? Orientiere ich den Straßenbau an der Nachfrage, oder will ich den Verkehr eindämmen? Antworten bleiben aus. ({4}) Glauben Sie wirklich, meine Damen und Herren von der Koalition, daß sich die drängenden Probleme auf diese Weise lösen lassen? Gerade die junge Generation, die das, was Sie hier einbrocken, am Ende auslöffeln muß, ist immer weniger bereit, einer Politik der schönen Worte zu folgen. Sogar in Ihren eigenen Reihen regt sich Widerstand. Anfang April haben einige junge Unionsabgeordnete die Vernachlässigung der Entwicklungspolitik durch die Bundesregierung scharf kritisiert und den Kanzler an sein Versprechen von Rio erinnert. Vor der Klimakonferenz haben 32 junge Abgeordnete aus dem Bundestag und drei Abgeordnete des Europaparlaments parteiübergreifend drastischere Schritte zum Klimaschutz auch in Deutschland eingefordert. Die junge Generation will Taten sehen. ({5}) Die Menschheit ist auf dem besten Weg, ihre eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören. Um diesen Prozeß der Zerstörung aufzuhalten oder gar umzukehren, reichen kosmetische Operationen und große Worte nicht aus. Nur ein tiefgreifender Wandel wird weiterhelfen. Gerade weil es so schwierig ist, im internationalen Bereich weltweit Einigkeit über das Vorgehen in diesem Prozeß zu erzielen, müssen einzelne Staaten vorangehen und neue Problemlösungen demonstrieren. Deutschland kann mehr dazu beitragen, als die Bundesregierung bisher getan hat. ({6}) Vorschläge und wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema gibt es in großem Umfang. Aber ich muß Sie fragen: Wo bleibt die viel diskutierte ökologische Steuerreform? Wo bleibt die Verbrauchsbegrenzung für Kraftfahrzeuge? Wo bleibt die angekündigte Wärmenutzungsverordnung? Warum wird nicht mehr für die Einführung regenerativer Energien getan? Ihre Worte in Berlin habe ich gehört, Herr Kanzler. Entsprechende Taten stehen nach wie vor aus. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Michael Teiser.

Michael Teiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn das Ergebnis des Klimagipfels, die Behinderung des Castor-Transports und Tschernobyl zu einer Debatte zusammengefaßt werden, bleibt es im Prinzip fast nicht aus, daß sich der Schwerpunkt auf die allgemeine Kernenergiepolitik und die Umweltpolitik beschränkt. Ich bin aber der Auffassung, daß es einen wesentlichen Aspekt gibt, nämlich die Begleitumstände des Castor-Transports, der in der heutigen Debatte bisher etwas zu kurz gekommen ist. ({0}) Meine Damen und Herren, wir haben ebenso wie die Öffentlichkeit mit großem Unverständnis, teilweise mit Erschütterung zur Kenntnis nehmen müssen, daß annähernd 10 000 Beamte und ein Millionenaufwand erforderlich sind, um einen notwendigen und legalen Transport durchführen zu können, der nicht zuletzt durch mehrere Gerichtsentscheidungen auch rechtlich abgedeckt war. Zerstörte Schienen, brennende Bahnhöfe, Chaosbilder, die an Bürgerkrieg erinnern! Wenn ich dann höre, daß Sie, liebe Kollegin Fuchs, sich an gewaltähnliche Auseinandersetzungen erinnert fühlten oder daß sich eine der Vorrednerinnen von den Grünen zu den Chaoten bekannte, dann sage ich Ihnen deutlich: Nicht nur in diesem Haus werden Sie dafür mehrheitlich kein Verständnis finden, sondern Sie werden auch in der Bevölkerung - mit ganz wenigen Ausnahmen - überhaupt kein Verständnis für diese Auffassung finden. ({1}) Meine Damen und Herren, die Frage, die sich uns hier stellt, ist, wie es zu diesen Eskalationen kommen konnte. Da wird die These „Provokation durch die Bundesministerin" aufgestellt. Ich will auf dieses Argument gar nicht weiter eingehen. Wer nur zwei Sätze Ihres Antrages liest, weiß um die Lächerlichkeit dieses Arguments. Aber ich will auf einige Ursachen eingehen, die meiner Meinung nach wichtig sind. Eine dieser Ursachen - das will ich hier auch deutlich ansprechen, obwohl es keiner der Vorredner getan hat - ist die Rolle, die die Medien hier gespielt haben. ({2}) - Ja, Medienschelte muß auch einmal sein, insbesondere dann, wenn es um Vorgänge geht, wie wir sie in den letzten Tagen beobachten mußten. Niemand will die Freiheit der Berichterstattung einschränken. Aber ich muß doch sagen: Wenn minutiös, Punkt für Punkt, im Fernsehen gebracht wird, wie sich die Polizei bewegt, wie sich der Transport bewegt und wie sich die Demonstranten bewegen, das Ganze untermalt mit kritischen Kommentaren, dann provoziert das geradezu dazu, daß Leute ihr Demonstrationsverhalten verstärken und zu Maßnahmen greifen, die wir für unerträglich halten. ({3}) Meine Damen und Herren, die Rolle der Politik - ich habe leider nur eine beschränkte Redezeit zur Verfügung - will ich mit einigen wenigen Sätzen beschreiben. Spätestens seit dem 23. Januar 1995, als das Oberverwaltungsgericht Lüneburg alle Sicherheitsbedenken als ausgeräumt betrachtet hatte, hätte die niedersächsische SPD, also Ihr Ministerpräsident Schröder und seine Ministerin Griefahn, einlenken müssen. Sie hätten zu dem demokratischen Konsens in dieser Gesellschaft zurückkehren müssen, anstatt aus parteipolitischen und ideologischen Gründen weiterhin öffentlich Kritik zu üben, und das einzig mit dem Ziel, die Stimmung anzuheizen und für sich zu nutzen und Stimmung gegen den Bundeskanzler und seine Minister zu machen. ({4}) - Ihre Zwischenfragen können Sie sich schenken; die haben wir heute morgen schon 15mal gehört. ({5}) Leider hat sich diese Haltung der SPD in Niedersachsen auch die SPD insgesamt zu eigen gemacht. Das war nicht verwunderlich. Wenn dann in Ihrem Antrag lediglich in einem kleinen Zwischensatz etwas von der Verurteilung von Gewalttätern steht, dann klingt das bei alldem, was hier von Ihrer Seite zu hören war, im Prinzip lächerlich und eigentlich auch gegenüber denjenigen Bundesgrenzschutz- und Polizeibeamten unbotmäßig, die sich mit dem, was Sie mit angezettelt haben, auf der Straße auseinandersetzen müssen. ({6}) Ich sage hier für die CDU/CSU-Fraktion noch einmal ganz deutlich: Gewalt jeder Art, ob gegen Personen oder Sachen, in der politischen Auseinandersetzung werden wir nicht hinnehmen. Rechtsfreie Räume sind für uns nicht akzeptabel. Straftaten und Straftäter müssen unnachsichtig verfolgt werden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Michael Teiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, gestatte ich nicht. Die Zwischenfragen sind alle 15mal gestellt worden und dienen nur der Selbstdarstellung. Darauf kann ich verzichten. ({0}) Meine Damen und Herren, ich möchte einen letzten Aspekt einbringen, der in diesem Zusammenhang erwähnt werden muß. Vorhin ist in einem ganz kurzen Nebensatz das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Sitzblockaden angesprochen worden.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Teiser, dies ist, glaube ich, Ihre erste Rede. Deshalb ist Ihnen noch nicht geläufig, daß dann, wenn das rote Licht aufleuchtet, die Redezeit abgelaufen ist. ({0})

Michael Teiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Würden Sie mir unter diesem Aspekt noch drei Sätze zubilligen, ({0}) weil ich mehrere Zwischenrufe abwehren mußte?

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Nein, nein. Es ist immer Sache des Redners, daß er mit den Zwischenrufen in seiner Redezeit fertig wird. Herr Kollege Teiser, wenn der Präsident auf das Ende der Redezeit hinweist, haben Sie noch einen Schlußsatz. ({0})

Michael Teiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein letzter Schlußsatz: Meine Damen und Herren, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Sitzblockaden - Komma - so unverständlich es für uns auch sein muß - Komma - muß für dieses Haus Konsequenzen haben - Komma ({0}) die für uns bedeuten, ({1}) die rechtlichen Grundlagen dahin gehend zu ändern - Komma - daß Sitzblockaden künftig strafbar sein müssen - Komma - weil sonst in diesem Staat chaotische Verhältnisse ausbrechen können - Komm a - die wir auf Dauer nicht hinnehmen werden. Vielen Dank. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Horst Kubatschka, Sie haben das Wort.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu meinem Vorredner muß ich sagen: Der muß Hellseher sein, denn er weiß bereits vorher, wie die Fragen lauten. Wenn ich aber den Inhalt seiner Rede kurz analysiere, so war nichts Hellseherisches dabei. Das war alles nur rückwärtsgewandt. ({0}) Noch etwas möchte ich Ihnen, Herr Kollege Teiser, und auch den vorhergehenden Rednern der Koalitionsfraktionen sagen: Wer auch immer versucht, die SPD in die Nähe von Gewalt zu rücken - das haben einige versucht -, der handelt - das sage ich ganz vorsichtig - unredlich. Solche Vorwürfe weise ich entschieden zurück. Herr Kollege Rexrodt versucht, die SPD zu erpressen: Er verlangt von uns ein Ja zur Kernenergie. Erst dann will er ein Ja zu Maßnahmen zum Klimaschutz sagen. Das heißt - auf den Punkt gebracht -: Klima wird zur Geisel für die Kernenergie genommen. ({1}) Außerdem sind ihm Arbeitsplätze wurscht, denn im Bereich der erneuerbaren Energien wären sehr viele Arbeitsplätze zu schaffen. Ein Wirtschaftsminister, der sich mit dem Klima nicht auskennt, der nicht für Arbeitsplätze sorgt, sondern nur Lobbyist für Kernenergie ist, den könnten wir uns eigentlich sparen. ({2})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. Meine Damen und Herren, die Abstimmung wird frühestens in 18 bis 20 Minuten stattfinden. Ich bitte also alle diejenigen, die noch Gespräche bis zur Abstimmung führen wollen, dies außerhalb des Saales zu tun, damit wir noch ein Minimum an Aufmerksamkeit für den Redner haben. Bitte, Herr Kollege Kubatschka, fahren Sie fort.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke, Herr Präsident. Aber das ist halt das Schicksal des letzten Redners. Ich möchte mich nun einem Problem zuwenden, das heute hier noch nicht diskutiert worden ist und das im übrigen in der Öffentlichkeit und auch im politischen Raum selten diskutiert wird, nämlich der Alterung von Kernkraftwerken. Im Strategiepapier „Positionen zur Weiterentwicklung der friedlichen Nutzung der Kernenergie" des Bundesumweltministeriums wird von Betriebszeiten zwischen 30 und 60 Jahren gesprochen. In einem Gespräch mit Betriebsräten sprach man gar von Laufzeiten von 70 Jahren. Die Atomkraftwerke scheinen ein Elixier der ewigen Jugend zu haben. Die bisherigen Laufzeiten scheinen dem Bundesumweltministerium dennoch nicht ausreichend zu sein. Man trickst ein wenig, man rechnet. Man stellt auf Vollaststunden um, und so kann man leicht einen Zuschlag von einigen Jährchen bekommen, und dann sind sogar 80 Jahre Betriebszeiten drin. - „Unglaublich" werden manche sagen. Aber Sie können es im Positionspapier nachlesen. Man müßte das Ministerium umbenennen. Es müßte eigentlich heißen: Ministerium für Reaktorunsicherheit. ({0}) Oder, liebe Kolleginnen und Kollegen, fahren Sie ein Auto, das 60 oder 70 Jahre alt ist? Vielleicht fahren Sie es voller Stolz bei einer Oldtimer-Show, aber sicher nicht mit Vollgas. Die Atomkraftwerke sollen aber jahrzehntelang mit Vollast gefahren werden. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Atomkraftwerke altern rascher, als die Betreiber bisher annahmen. Die permanente Bestrahlung fordert ihren Tribut. Risse im Stahl, Risse im Kernmantel, Risse in den Leitungen sind die natürlichen Folgen. - Das Menetekel Würgassen läßt grüßen. - Wir wissen nicht, wie sich die Werkstoffe verhalten. Das läßt sich nicht voraussagen. Das läßt sich auch nicht berechnen. Es läßt sich nur durch einen Versuch belegen und feststellen. Diese Versuche laufen in Form von Atomkraftwerken. Daher war es für mich auch falsch, die Untersuchung am Kernmantel in Würgassen abzubrechen. Man hätte die Ursachen erforschen müssen. Oder will man die Ursachen vielleicht gar nicht wissen? Laufzeiten können nicht einfach festgelegt werden - sozusagen am grünen Tisch, im Interesse von EVUs ausgehandelt -, vielmehr geht es um Mindeststandards für Festigkeiten, es geht um Mindeststandards für Material. Die müssen definiert werden. Wir müssen die Alterung von Kernkraftwerken weiter verfolgen und bewerten, und wir müssen die Überwachung verschärfen. Aber es geschieht ja, werden einige sagen. Die Internationale Atomenergie-Organisation handelt. Aus einer Antwort der Bundesregierung vom 6. März dieses Jahres: Zur Zeit werden von verschiedenen Arbeitsgruppen bei der IAEO Richtlinienvorschläge zur Bewertung der Alterung sicherheitstechnisch wichtiger Komponenten in Kernkraftwerken erarbeitet. Die Entwürfe dieser Richtlinien werden zu gegebener Zeit überprüft, inwieweit technische Gesichtspunkte für die Anlagen in Deutschland von Bedeutung sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, erst nach 40 Jahren kommerzieller Nutzung der Kernenergie werden Vorschläge zur Bewertung der Alterung erarbeitet. Das ist abenteuerlich! Es ist wahrlich höchste Zeit dafür. Handlungsbedarf besteht. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Kernenergiejünger gibt es eine Hoffnung, und sie heißt Klimakatastrophe. In zehn Jahren, so hoffen die Jünger der Kernenergie, ist die Angst vor der Klimakatastrophe größer als die Angst vor der Kernenergie. Erstgenannte Angst werde diese überdecken und verdrängen. - Ein strahlender Weg, muß ich sagen, aber ein Holzweg. Was die Industrie erreichen muß, um das rettende Ufer Klimakatastrophe zu erreichen, ist, den Fadenriß zu vermeiden. Daher muß der Forschungsreaktor München II her, koste er, was er wolle. Er wird uns viel kosten, und zwar nicht nur 327 Millionen DM plus x, vielmehr wird auch außenpolitisches Porzellan zerschlagen. Und natürlich muß das Uran atomwaffenfähig sein. Nur, wie kann man dann Nordkorea, Irak, Iran und anderen Staaten das hochangereicherte Uran in ihren Reaktoren verweigern? Um den Fadenriß zu vermeiden, muß Temelin her, muß Mochovce gebaut werden. Gleichzeitig wird ein millionenschwerer Markt erschlossen. Ich möchte jetzt nicht auf die Mängel dieser Anlage in Temelin eingehen - Frau Merkel hat von einer „Pilotanlage" gesprochen -, sondern nur sagen: Wer auf die Idee kommt, ein Kernkraftwerk auf einen Berg zu bauen und dabei die Sicherheit der Kühlung nicht beachtet, hat kein „Pilotprojekt", sondern handelt abenteuerlich. ({2}) Dann wurde gesagt, Temelin wird verbessert. Was wird gemacht? - Es wird bei der Leittechnik verbessert, aber im atomaren Teil wird nichts verbessert. Und das wird ein „Pilotprojekt" genannt. Oder nehmen Sie die Mängel in Mochovce: eine fehlende Schutzhülle, mangelnder Brandschutz, mangelnde Bauausführung, Schwächen im elektronischen Steuer- und Überwachungssystem, mangelnder Erdbebenschutz, mangelnde Dokumentation in der Technik. Das ist das Pilotprojekt der Frau Kollegin Merkel. Ich glaube, es müßte uns angst werden. ({3}) Herr Kollege Rexrodt hat vorhin in der Debatte gesagt, wir müßten über die nationale Einführung einer Energiesteuer nachdenken. Nachgedacht und geredet worden ist eigentlich genügend. Es wird Zeit zum Handeln. Das ist das Entscheidende. ({4}) Ich möchte auch noch etwas zum Verhältnis der GRÜNEN zu den Konsensgesprächen sagen. Sie haben ja furchtbare Angst um die SPD, und zwar in dem Sinne, daß wir erpreßt werden könnten, und Sie geben uns immer kluge Ratschläge. Ich würde Ihnen eigentlich den Ratschlag geben: Gestalten Sie mit; beteiligen Sie sich an den Gesprächen! ({5}) - Herr Fischer, für Sie ist das ein billiger Ausweg. ({6}) Das ist natürlich eine feine Sache: dauernd von Konsens zu reden und nichts dafür zu tun. Das ist sehr einfach und billig. Ich muß sagen, so kommen wir nicht weiter. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kernenergie war noch nie so billig wie heute. Aber unsere Kinder und Enkel werden die Rechnung bezahlen. Kernenergie wird sie teuer zu stehen kommen. Die großen Rechnungen kommen erst. Die Beseitigung der Altlasten, die Kosten für die Abrisse und die Endlagerung müssen bezahlt werden. Wir haben jetzt, nach über 40 Jahren kommerzieller Nutzung, immer noch keine Lösung; wir haben die endgültige Lösung des Problems höchstens angedacht. Noch nicht einmal die Kriterien sind festgelegt. Auf einen solchen Weg haben wir uns begeben. In Zukunft wird es heißen: Die Kernenergie wird uns noch teuer zu stehen kommen. Ich danke für das Zuhören. ({8})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, es liegen jetzt noch zwei Wortmeldungen nach § 31 und § 30 unserer Geschäftsordnung vor. Zu einer Wortmeldung nach § 30 hat das Wort der Kollege Hermann Scheer. ({0})

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Lippold hat heute vormittag in der Debatte folgendes gesagt: „Eurosolar" - dessen ehrenamtlicher Präsident ich bin; das hat er nicht gesagt - „ist zwischenzeitlich zu der Überzeugung gekommen, daß die Effizienzverbesserung z. B. bei Kohlekraftwerken keinerlei Ersatz ist, weil von ihnen immer noch mehr CO2 emittiert wird, als wenn wir die in dieser Hinsicht saubere Kernkraft einsetzen" würden. Allerdings - so sagte er weiter - habe das nicht Herr Scheer nach draußen getragen, sondern ein Mitarbeiter. Ich möchte dazu folgendes erklären. Erstens. Ich sage draußen immer dasselbe wie drinnen. Zweitens. Richtig ist der erste Satz dessen, was Sie zitiert haben, daß nämlich selbstverständlich auch Effizienzsteigerungen bei fossilen Energieträgern nicht ausreichen, das Klimaproblem zu lösen. Drittens. Die Schlußfolgerung, die daraus von mir und allen Mitarbeitern von Eurosolar gezogen wird - da gibt es überhaupt keinen Unterschied -, ist nun keinesfalls, daß daraus die Legitimation für die weitere Nutzung der Kernkraft abgeleitet werden kann, sondern die Schlußfolgerung ist gerade umgeDr. Hermann Scheer kehrt: Wir sind unter dem Zwang, wir stehen vor der unbedingten Notwendigkeit, an Stelle atomarer ({0}) wie fossiler Energien durch eine große Anstrengung erneuerbare Energien einzusetzen. Das ist das eigentliche Thema. ({1}) Ich möchte dazu noch erklären: Es ist absurd, wenn man versucht, die Klimadebatte - wie es aus meiner Sicht heute geschehen ist, und zwar unter Verwendung eines Zitats von mir, das falsch ist - zu einer Atomenergiedebatte umzufunktionieren. Kernenergie gegen Klimakatastrophe auszuspielen ist im Grunde genommen der Versuch, eine Klimaepidemie gegen eine Pestseuche auszuspielen. Das ist ein falscher Gegensatz. ({2}) Die Schlußfolgerung aus den völlig unterschiedlichen, aber gleichermaßen äußerst gravierenden Problemen sowohl der Atomkraft als auch der fossilen Energien kann nicht sein, daß wir weitere Kernkraftwerke bauen. Sie kann auch nicht darin bestehen, daß wir weitere Kondensationskraftwerke bauen. Das gilt genauso für die Braunkohle. Es ist absurd, die Energiedebatte allein unter dem Vorzeichen der Klimaprobleme zu führen. Es gibt das Problem der globalen Erwärmung auch ohne Emissionen, allein durch die Mobilisierung der Wärme in den entsprechenden konventionellen Kraftwerken. Es gibt die Gesundheitsschäden, es gibt die Erbgutschäden. Und es gibt das Problem ({3}) das die Atomkraft als einzige hat -, daß für 20 000 Jahre eine Hypothek für künftige Generationen mit vielen Sicherheitsproblemen hinterlassen wird. Wir haben es also mit einem irreversiblen Problem zu tun. ({4})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Scheer, ich darf Sie einen Moment unterbrechen. - Ich bekomme ständig gestenreiche Hinweise aus der Fraktion der SPD mit Blick auf die Regierungsbank. ({0}) - Moment, lassen Sie mich bitte ausreden. - Ich bin natürlich weder in der einen noch in der anderen Richtung blind. Solche Konferenzgrüppchen gibt es leider bei Ihnen da hinten auch. Ich bitte also, dem Redner für die wenigen Minuten, die wir jetzt noch bis zur Abstimmung brauchen, Ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte hinzufügen: Die Schlußfolgerung - die man aus den Klimaproblemen zieht, die natürlich durch fossile Energien hervorgerufen sind -, daß dieses zur Nutzung der Kernkraft führen müsse, ist entweder Ausdruck mangelnder Information oder einer bewußten Verdrängung dessen, daß es eine wirkliche Alternative gibt. ({0}) Herr Lippold hat den Sachverstand bemüht, übrigens unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Eurosolar. Man kann nicht daran vorbeigehen, daß Studien, die auch hier gemacht worden sind, deutlich machen, daß bereits etwa bis zum Jahre 2020 50 % des gesamten Anteils an der Energieversorgung in der ganzen Europäischen Union allein aus erneuerbaren Energien stammen könnten, wenn man nur die richtigen Prioritäten setzen würde. ({1}) Damit sind wir bei den richtigen Alternativen. Dazu ist nur erforderlich - wenn man wirklich das Problem so ernst nimmt, wie wir es ernst nehmen wollen, wie wir sagen -, solche Initiativen zu ergreifen, wie das bei der Förderung von Großtechnologien der Fall ist. ({2}) - Ich weiß nicht, was Sie schon wieder zwischenzurufen haben. Es wird gesagt, es gebe keine Alternative. Die Debatte geht immer nur zwischen fossilen Energien und Atomenergie hin und her. Aus diesem Grunde ignoriert man immer die Alternativen, die wirklich umweltfreundlich sind.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Scheer!

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin beim letzten Satz, Herr Präsident. - Wir sind in der Situation, in der uns ohnehin nichts anderes übrig bleibt, als diesen Weg zu gehen, weil die herkömmlichen Vorkommen erschöpflich sind.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Scheer!

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin am Ende. - Je länger wir damit warten, desto teurer wird es, weil die Folgeschäden immer größer werden. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das war die Erklärung zur Aussprache. Jetzt eine Erklärung zur Abstimmung. Bitte, Herr Kollege Dr. Jürgen Rochlitz.

Prof. Dr. Jürgen Rochlitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002763, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Ich möchte mein Abstimmungsverhalten zum SPD-Antrag auf der Drucksache 13/1198 erläutern. Ich bin mit der SPD einig, soweit es urn die Punkte 1 bis 4 a geht. Gegen den Punkt 4 b habe ich allerdings zusammen mit meiner Fraktion erhebliche Bedenken. Diesen Punkt 4 b lehnen wir ab und werden uns dann bei der Abstimmung über diesen Antrag entsprechend der Stimme enthalten. Ich möchte daran erinnern, daß in Obrigheim, am Ort des dienstältesten Reaktors der Bundesrepublik, derzeit ein skandalöses Genehmigungsverfahren läuft, um die Zwischenlagerkapazität zu erhöhen. Dort soll die Lagerkapazität möglicherweise mit dem Segen des SPD-Umweltministers Harald B. Schäfer so erhöht werden, daß dieser Schrottreaktor weitere 30 Jahre laufen könnte. Meine Damen und Herren, wer eine solche Politik betreibt - der Ansatz dazu ist mit Punkt 4 b gegeben -, ({0}) der legt den Grundstein dafür, daß die Atompolitik, die wir heute kritisiert haben, ungehindert weiterläuft. Deswegen unsere Enthaltung. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu der Erklärung der Bundesregierung zu den Ergebnissen der Berliner Klimakonferenz sowie zu aktuellen Fragen der Kernenergie auf Drucksache 13/1198. Es ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Ich eröffne die Abstimmung. Meine Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie darauf hinweisen, daß im Anschluß daran eine weitere namentliche Abstimmung stattfindet. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? ({0}) Ich frage die Schriftführer, ob alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben haben? - Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. *) Meine Damen und Herren, wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/1199. Auch hier ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Ich eröffne die Abstimmung. - *) Seite 2575 A Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie darauf hinweisen, daß wir im Anschluß an diese zweite namentliche Abstimmung noch zwei wichtige Abstimmungen haben. Ich bitte Sie also, für diese Zeit noch im Saal zu bleiben. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Ich bitte die Schriftführer um ein Zeichen. Sind auch an den Eingängen die Stimmen abgegeben? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekanntgegeben. *) Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Durchführung von Sicherheits- und Umweltverträglichkeitsprüfungen für Atomkraftwerke in der Republik Tschechien und in der Slowakischen Republik auf Drucksache 13/822 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/310 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Durchführung eines Baugenehmigungsverfahrens und einer Umweltverträglichkeitsprüfung für das Atomkraftwerk Temelin auf Drucksache 13/822 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/106 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/1195 - Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Tschernobyl - an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur vereinbarten Debatte zum neunten Jahrestag des atomaren Unfalls in Tschernobyl soll dem Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Zusatzpunkte 2 bis 4 der Tagesordnung auf: 2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Manfred Such, Kerstin Müller ({1}), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einsetzung eines Untersuchungsausschusses - Drucksache 13/1176 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß far Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung *) Seite 2577 C Vizepräsident Hans Klein 3. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Einsetzung eines Untersuchungsausschusses - Drucksache 13/1196 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung 4. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Einsetzung eines Untersuchungsausschusses - Drucksache 13/1202 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gemeinsame Aussprache über diese Punkte eine Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich offensichtlich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Erwin Marschewski das Wort.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der SPD-Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses „Plutonium" findet durch unseren eigenen Antrag Unterstützung, obwohl ich die Motive der Opposition bedaure. Kurz vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen und in Bremen suchen SPD und GRÜNE offensichtlich verzweifelt nach einer Affäre; ({0}) doch sie liegen falsch. Die Bewertung der Sachverhaltsaufklärung ist völlig eindeutig: Keine deutsche Behörde hat den Schmuggel von Nuklearmaterial nach Deutschland inszeniert. Keine deutsche Behörde! ({1}) Die entsprechenden Behauptungen des „Spiegels" entbehren der Grundlage. Es handelt sich nicht um einen Waffenskandal des Bundesnachrichtendienstes, sondern um einen Berichtsskandal des „Spiegels". ({2}) Es ist genauso, wie es bei Bad Kleinen gewesen ist. Ich warte noch heute auf eine Entschuldigung des entsprechenden Nachrichtenmagazins. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Marschewski, darf ich Sie einen Moment unterbrechen? - Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen, die am oberen Rand des Saales Privatkonferenzen führen - man hört das dort oben offenbar gar nicht -, bitten, diese Gespräche außerhalb des Saales fortzusetzen. ({0}) Ihre Gespräche dort oben sind so stark zu hören, daß von dem, was hier unten gesagt wird, nur wenig zu hören ist. Herr Kollege Marschewski, inzwischen gibt es das Begehren einer Zwischenfrage des Abgeordneten Häfner.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte gerne, Herr Präsident, fortfahren. Es handelt sich nicht um einen Waffenskandal des Bundesnachrichtendienstes, sondern - ich wiederhole - wie in Bad Kleinen um einen Berichtsskandal des „Spiegels". Das ist die Problematik. ({0}) Halbwahrheiten und blühende Spekulationen, Vermengung von Fakten und Vermutungen und zum Teil böswillige Schlußfolgerungen machen die Aufklärung komplexer Sachverhalte in einem äußerst sensiblen Bereich der Nuklearkriminalität doppelt schwierig. Auch wird nicht deutlich, was letzten Endes Erfolg der Operation war. Vagabundierendes Nuklearmaterial konnte durch staatliche Stellen sichergestellt werden. Die Bevölkerung konnte damit vor wirklichen Gefahren bewahrt werden. Worum geht es denn, meine Damen und Herren? Es geht doch um die gefährlichste Form des Handels mit Leben und Gesundheit unzähliger Menschen bedrohenden Stoffen, um den Nuklearterrorismus in der ganzen Welt. ({1}) - Wir sprechen gleich darüber, Herr Kollege. Das ist nichts Neues. Es ist viel ernsthafter, als Sie es hier anmerken. In einem Bericht für die UN-Konferenz in New York über weltweite Aktivitäten mit Nuklearmaterial wurde festgestellt, daß die Gefahr wächst, daß sich Nichtatomstaaten, daß sich Terroristen und Mafiaorganisationen oder Sekten Atomwaffen beschaffen. Sie wissen doch - insbesondere die Kollegen aus der Parlamentarischen Kontrollkommission -, auf Schwarzmärkten sind Gutachten, Technologien und Material für den Bau von Atomwaffen zu haben. Allein in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion sind, so der UN-Bericht, rund 30 kg spaltbaren Materials entwendet worden. Diese Feststellungen werden durch Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes gestützt. Das ist doch das Erschütternde. Es gab allein 1994 weltweit über 120 Fälle von Schmuggel mit echtem - keine falschen Angebote - Nuklearmaterial, die bekanntgeworden sind. Angesichts dieser bedrohlichen Lage für uns kann es nicht die richtige Strategie sein, den Kopf in den Sand zu stecken. Vielmehr müssen die Sicherheitsorgane alles tun, um in den Besitz von vagabundierendem Nuklearmaterial zu kommen. Nur so können doch sämtliche Gefahren für die Bevölkerung abgewehrt werden. ({2}) Zum Sachverhalt: Was haben die deutschen Behörden - Herr Kollege, wenn Sie jetzt zuhören, will ich Ihnen das ein bißchen erklären - denn getan? Erster Akt. Im Rahmen der Aufklärung des internationalen Rauschgifthandels hatte der Bundesnachrichtendienst 1993 bereits eine noch vage Information über ein Angebot von Nuklearmaterial durch eine russische Firma erhalten. ({3}) - Fragen Sie nicht, von wem, Sie wissen das doch auch. Diese Leute verkaufen alles an jeden, der auch nur Geld bietet. Das ist das Bedrohliche, insbesondere in Europa. - Dieser Hinweis konnte jedoch zunächst nicht verdichtet werden. Zweiter Akt. Im März 1994 hatte das Bundeskriminalamt Informationen erhalten, daß sich Nuklearmaterial in Deutschland befinden solle. Das gab Veranlassung, entsprechend zu ermitteln. Dabei wurde der V-Mann ausdrücklich angewiesen, keine Aktivitäten für einen Import von Nuklearmaterial nach Deutschland zu entfalten. Er wurde ausdrücklich angewiesen und hat sich daran gehalten. Der Kontakt zur V-Person - Sie haben das der Presse entnommen - brach ab. Dritter Akt. Im Mai 1994 verdichteten sich beim Bundesnachrichtendienst die Erkenntnisse zu einem Nuklearschmuggel. 6 kg Plutonium sollten sich bereits in Deutschland befinden. Im Juli erfuhr man, eine Gruppe biete Plutonium an, das sich in Deutschland - es wurde gesagt: in München - befinde. Richtigerweise informierte der Bundesnachrichtendienst daraufhin das Bayerische Landeskriminalamt als die im Rahmen der Gefahrenabwehr zuständige Exekutivbehörde. Vierter Akt. Das bayerische Landeskriminalamt nahm daraufhin die Ermittlungen auf. ({4}) Von den Anbietern des Materials erhielt das Landeskriminalamt schließlich am 25. Juli eine Probe von knapp 5 g Plutonium. Tags darauf kündigten die Anbieter an, sie könnten 4 kg Plutonium für sage und schreibe 265 Millionen US-Dollar liefern. Nicht geklärt wurde, ob sich dieses Material bereits in Deutschland befand. Außerdem wurden 2,5 kg Lithium 6 angeboten, das bekanntlich zur Herstellung einer Wasserstoffbombe geeignet ist. ({5}) Eine Dose dieses Materials gelangte dann am 7. August in den Besitz des Landeskriminalamtes. Am gleichen Tag wurde von den Atomschmugglern angekündigt, daß am 10. August 500 g Plutonium zur Verfügung stünden. Wieder blieb der Lagerort des Materials im unklaren. Den Sicherheitsbehörden war jedoch bekannt, daß einer aus der Gruppe der Anbieter des Nuklearmaterials nach Moskau geflogen war und am 10. August mit einer Lufthansa-Maschine auf dem Flughafen in München landen würde. In dessen Koffer konnten schließlich über 363 g Plutonium sichergestellt werden, die dann in einem Spezialfahrzeug in das Euratom-Institut nach Karlsruhe gebracht wurden. ({6}) Soweit, meine Damen und Herren, der Sachverhalt; ich muß sagen: der für mich schaurige Sachverhalt. Nach den Gesprächen und nach den Bewertungen, die wir danach vollzogen haben, steht für mich jetzt schon fest: Erstens. Bei der Behauptung, deutsche Behörden hätten das ganze Plutoniumgeschäft inszeniert, handelt es sich um eine infame und nicht belegbare Unterstellung. ({7}) Zweitens. Der Vorwurf, dieser Fall sei vom Bundesnachrichtendienst aus politischen Gründen, etwa um die Wahlen in Bayern zu beeinflussen - dies haben Sie doch behauptet, meine Damen und Herren -, inszeniert worden, ist in jeder Richtung absurd. Damit gewinnt man weder Wahlen, noch tun so etwas deutsche Beamte. ({8}) Drittens. Zu keiner Zeit ist ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes oder des Bundeskriminalamtes dahin gehend aktiv geworden, das Plutonium illegal nach Deutschland zu bringen. Viertens. Die Annahme und die Behauptung Ihrerseits, ein nuklearer Schwarzmarkt werde erst durch die Nachrichtendienste geschaffen, hat mit der Realität nichts zu tun. ({9}) Fünftens. Daraus die Wertung, Herr Kollege Catenhusen: Es gibt keinen Nachrichtenskandal um Plutonium. Was es gibt, ist ein Nachrichtenmagazinskandal, weil wieder einmal mehr vom „Spiegel" äußerst unseriös berichtet worden ist. ({10}) - Genauso wie in Bad Kleinen; völlig richtig, Herr Kollege Olderog. Ich wiederhole dies: Ich habe in der Sondersitzung hier gestanden und habe den „Spiegel" aufgefordert, sich bei den Betroffenen und beim Innenminister zu entschuldigen. Wir warten heute noch auf ein solches Wort. Sechstens. Unbewiesene und unbeweisbare Pressebehauptungen werden schließlich zur Grundlage fragwürdiger Äußerungen und Forderungen von Parlamentariern der Opposition gemacht. Der Kollege Such vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN äußerte sich zur angeblichen Notwendigkeit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, noch bevor ein Fünftel der entscheidenden Sitzung abgelaufen war. ({11}) Die SPD forderte von höchster Stelle aus und durch höchste Stellen personelle Konsequenzen für Mitwisser des sogenannten Plutoniumschmuggels bereits vor der informativen Sitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission, einer Sitzung, in der Herr Schmidbauer und andere Damen und Herren sämtliche Fragen, die wir gestellt haben, korrekt und eindeutig beantwortet haben. ({12}) - Das müssen Sie gerade sagen, Herr Kollege Such, der Sie nach 90 Minuten bei einer Sieben-StundenSitzung den Saal verlassen haben. Das haben Sie gerade nötig. Meine Damen und Herren, es gibt keine Mitwisser. ({13}) - Nicht Täter, Herr Duve; ich erlaube nicht, daß Sie hier so etwas sagen. - Es gibt deutsche Behörden, die schwerstkriminellen Atomhändlern in Bayern das Handwerk gelegt haben. Und das ist gut so. ({14}) Was bleibt hiervon übrig angesichts einer Aktion, die zur erfolgreichen Sicherstellung des Nuklearmaterials geführt hat, zur Verhaftung dreier Atomschmuggler und damit zu mehr Sicherheit unserer Bevölkerung? Ich glaube, daß wir diese Aktion als den bisher größten Erfolg im Einsatz gegen die Atomschmuggler feiern müssen. Wir haben diesen Gangstern das Handwerk gelegt, und das ist der Erfolg des Bayerischen Landeskriminalamtes. ({15}) - Das muß Ihnen mit Ihren lächerlichen Zwischenbemerkungen ohne jede Ernsthaftigkeit doch endlich bewußt werden. Wenn wir Leuten das Handwerk legen, die mit Material durch die Gegend fahren, mit dem man Atombomben, Wasserstoffbomben bauen kann, so ist das ein Erfolg der ohnehin geplagten Polizeibeamten. Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt davon, daß uns der Untersuchungsausschuß helfen wird, diesen Erfolg zu verdeutlichen und haltlose Vorwürfe als solche zu entlarven. Deswegen begrüßen die Union und die F.D.P., die Koalition, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Herzlichen Dank. ({16})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Peter Struck.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Marschewski, Ihre Rede bestätigt meine schlimmsten Befürchtungen. ({0}) Wenn es so wäre, wie Sie es eben dargestellt haben, dann müssen Sie mir mal erklären, wieso die CDU/ CSU-Fraktion für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist. ({1}) Sie haben doch gerade erklärt, es sei alles wunderbar in Ordnung gewesen und man habe die betreffenden Mitarbeiter zu belobigen, es sei der größte Fahndungserfolg in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, eigentlich sei Feierstunde angesagt. Das paßt nun wirklich nicht zusammen, Herr Kollege Marschewski. ({2}) Entweder war es in Ordnung - dann brauchen wir keinen Untersuchungsausschuß, jedenfalls nach Ihrer Auffassung -, oder es war nicht in Ordnung, und wir brauchen einen. Sie hätten nachdenken müssen, bevor Sie angefangen haben zu reden, Herr Kollege Marschewski. ({3}) Mich irritiert schon sehr, wenn Sie anfangen, aus Sitzungen der Parlamentarischen Kontrollkommission zu berichten. Sie haben doch immer gesagt, daß das Geheimsitzungen seien, über die man nicht berichten dürfe. Aber ich nehme das zur Kenntnis. Herr Kollege Marschewski, Sie sind schon mit einem halben Bein im Strafgesetzbuch. Ich schließe mich Ihnen gerne an und berichte jetzt auch aus der Sitzung der PKK. ({4}) Es ist nicht so, wie der Kollege Marschewski berichtet hat, daß es sich um eine Affäre eines Nachrichtenmagazins handele, sondern - ich sage das eindeutig - das Nachrichtenmagazin - zu dessen Ehre kann man den Namen wohl mal nennen: der „SpieDr. Peter Struck gel" -, hat sämtliche Daten und Fakten korrekt berichtet. ({5}) - Nun regen Sie sich doch ab, Herr Kollege Olderog! Die Bewertung dieses Nachrichtenmagazins - damit komme ich auf den Begriff der Inszenierung - ist eine andere Sache. Die Daten, Fakten und Geldbeträge sind absolut korrekt. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel, auch nach dem, was Sie eben vorgetragen haben. Wie das Ganze stattgefunden hat, ist politisch strittig. Dazu gibt es die Erklärung der Bundesregierung, sie sei nicht daran beteiligt gewesen, der Bund auch nicht durch den Bundesnachrichtendienst. Dazu gibt es Erklärungen von bayerischen Behörden. Herauszufinden, ob und gegebenenfalls wie Bundesbehörden beteiligt waren, wird die zentrale Aufgabe des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses sein. ({6}) Meine Damen und Herren aus den Koalitionsfraktionen, ich bin gespannt auf den Beitrag des Kollegen Hirsch, weil ich mir nicht vorstellen kann, daß er sich mit dem identifiziert, was Herr Marschewski eben gesagt hat.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einen Augenblick noch, Herr Präsident. Sie können gerne stehen bleiben, Herr Marschewski. Ich bin sofort fertig. Die Frage, ob man das als Inszenierung bezeichnen kann oder ob man das als Beteiligung von Dienststellen des Bundes bezeichnen kann, ist schon sehr wichtig. Unter Beteiligung verstehe ich, daß der Bundesnachrichtendienst, der Staatsminister im Kanzleramt, der Chef des Bundeskanzleramtes oder der Bundeskanzler hätte eingreifen müssen, wenn bei einer der betroffenen Dienststellen die Mitteilung erfolgt wäre, daß jemand mit Plutonium im Koffer kommt. Dann hätten sie eingreifen müssen. ({0}) Ich kann mir nicht vorstellen, daß diejenigen, die mit diesem Vorgang beschäftigt waren, die Dramatik nicht erkannt haben. Es gibt auf der Welt nichts Schlimmeres und kein größeres Teufelszeug als Plutonium. Es muß alles getan werden, um zu verhindern, daß dieses Zeug im Flugzeug unter Gefährdung von Menschenleben von da nach dort transportiert wird. Das hätte passieren müssen. ({1}) Bitte, Herr Marschewski.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erste Frage: Herr Kollege Struck, haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte, daß die Kollegen in Bayern beim Landeskriminalamt wissen konnten, daß gerade mit dieser Maschine Plutonium nach München kam? Zweite Frage: Gehen Sie nach der Sitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission weiterhin davon aus oder nehmen Sie Abstand davon, daß es sich um eine Inszenierung des Bundesnachrichtendienstes handelt, was Ihre Kollegen, der Parteivorsitzende oder wer auch immer, behauptet haben?

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zur ersten Frage, Herr Kollege Marschewski: Ihnen dürfte nicht entgangen sein - jedenfalls dann nicht, wenn Sie aufmerksam entsprechende Fernsehsendungen verfolgen oder Zeitungen lesen -, daß es Informationen darüber gibt - das wird man klären können -, daß das Bayerische Landeskriminalamt und damit auch - das sage ich - der Bundesnachrichtendienst am 9. August um 22.38 Uhr davon Mitteilung erhalten haben, daß am 10. August um ca. 17.15 Uhr ein Mann mit Plutonium im Koffer aus Moskau ankommt. ({0}) Das merken Sie sich bitte, Herr Kollege Marschewski, das ist nämlich der entscheidende Punkt. Ich bleibe dabei: Wenn verantwortliche Politiker und Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, von Bundesbehörden und Landesbehörden wissen, ({1}) daß jemand mit dem Teufelszeug in Moskau in ein Flugzeug steigt, das in München landen wird, dann hätte eingegriffen werden müssen, und zwar unverzüglich; dabei bleibe ich. ({2}) Zur zweiten Frage, Herr Kollege Marschewski. ({3}) - Herr Olderog, stellen Sie sich doch hierhin, halten Sie eine Rede und hören Sie auf, immer dazwischenzurufen! Das gefällt mir nicht. Wir werden im Untersuchungsausschuß herausfinden, was da passiert ist. Damit habe ich die Frage beantwortet, Herr Marschewski, Sie können gern wieder Platz nehmen. Ich komme nun auf einen Punkt, mit dem ich schon rein prophylaktisch die Haltung der SPD-Fraktion deutlich machen möchte: Wir werden in diesem Untersuchungsausschuß die Wahrheit herausfinden können, wenn die Anzuhörenden in diesem Untersuchungsausschuß - weil sie in diesem Untersuchungsausschuß zur Wahrheit verpflichtet sind - auch aussagen können. Ich erkläre hier, auch an die Vertreter der Bundesregierung gerichtet - der Chef des Bundeskanzleramtes ist leider nicht da; ich glaube, er wäre bei dieser Debatte besser dabeigewesen; ({4}) Herr Kollege Schmidbauer, Sie können ihm das ja berichten -: Ich erwarte nicht, daß das Bundeskanzleramt irgendeinem Mitarbeiter vom Bundesnachrichtendienst oder vom Bundeskanzleramt, der mit diesem Vorgang befaßt ist, eine Aussagegenehmigung verweigert. Wenn das geschähe, wäre das der zweite Skandal in dieser Geschichte. ({5}) Ich sage das ganz deutlich im Hinblick auf das, was in dem Untersuchungsausschuß passieren soll. ({6}) Der dritte Punkt betrifft die Frage: Was ist eigentlich in Bayern passiert? Das zu untersuchen ist nicht unsere Aufgabe. Ich bin sehr froh darüber, daß die bayerische SPD-Landtagsfraktion beschlossen hat, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. Darüber bin ich sehr froh, ({7}) weil ich denke, daß der Schwerpunkt am 10. August in München lag. Das ist eindeutig. Aber das Spielchen, daß die Münchner sagen - wie man gestern hören und lesen konnte -: „Die Bonner waren es" und die Bonner sagen: „Die Münchner waren es", ist jetzt durch die Entscheidungen beendet worden, daß es sowohl in München als auch in Bonn einen Untersuchungsausschuß geben wird. Ich bin sehr gespannt auf die Erklärungen, die Herr Beckstein und Herr Oberstaatsanwalt Emrich abgeben werden - der gesagt hat ,,Dieses Risiko, daß mit Plutonium in der Gegend umhergeflogen wird, nehmen wir in Kauf" -, wenn sie vor den Bonner Untersuchungsausschuß geladen werden. Das, was ich bisher über deren Erklärungen gelesen habe, überzeugt mich absolut nicht. Ich glaube, die bayerischen Verantwortlichen haben unverantwortlich und leichtfertig gehandelt. ({8}) Sie haben mit Menschenleben gespielt. Es ist die Frage gestellt worden: Warum eigentlich das Ganze? Sie haben beredte Ausführungen gemacht, Herr Kollege Marschewski, wie dramatisch das alles mit dem Nuklearmarkt usw. sei. Ich kann mir Ihre Ausführungen nur dadurch erklären, daß Sie neues Mitglied in der Parlamentarischen Kontrollkommission sind und in der vergangenen Legislaturperiode noch nicht dabei waren. ({9}) Herr Kollege Olderog, der immer Zwischenrufe macht, wird mir das vielleicht bestätigen können. Aus meiner Erkenntnis aus der Arbeit der Parlamentarischen Kontrollkommission gibt es bisher keinen einzigen Fall, in dem ein Staat, vertreten durch wen auch immer, als Aufkäufer von Plutonium aufgetreten ist. Wenn man eine solche Riesengefahr an die Wand malt, sollte man sich genau überlegen, ob man damit nicht genau das bewirkt, was man eigentlich bekämpfen möchte. Ich sage nach wie vor - dies war auch vor einem Jahr Inhalt meiner Erklärung in einer Sondersitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission nach dem Aufgriff in München am 17. August 1994 -: Man muß sich sehr wohl der Gefahr bewußt sein, daß man durch solche Aktivitäten möglicherweise erst den Markt schafft, den man beklagt. Darüber muß man sich sehr genau im klaren sein. ({10}) Als letztes in diesem Zusammenhang möchte ich auf folgendes hinweisen: Mir ist durch die Debatten der letzten Tage einiges klargeworden. Ich glaube, daß die Kontrolle über die Arbeit der Geheimdienste durch den Deutschen Bundestag und hier durch die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission, die von diesem Plenum gewählt und mit einem besonderen Vertrauen ausgestattet werden, nicht mehr ausreicht. Davon bin ich fest überzeugt. ({11}) Es ist ein völlig absurder Vorgang, daß wir ein solches Ereignis in einer siebenstündigen Sondersitzung, die auch noch länger hätte dauern können, ausführlich debattieren und diskutieren, aber wegen der Geheimhaltungspflicht, der wir unterliegen, der Öffentlichkeit nicht einmal sagen können, welches nun das Ergebnis unserer Überprüfung gewesen ist. Dies ist absurd. ({12}) Es ist eine Sperrklausel dergestalt eingebaut worden, daß die PKK die Öffentlichkeit informieren kann, wenn zwei Drittel der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission dem zustimmen. Dies bedeutet aber, daß sich gerade in den Fällen, in denen eine Regierung - wie in dem jetzt konkret diskutierten Fall - Schwierigkeiten hat, Koalitionsfraktionen hüten werden, einer solchen Genehmigung zuzustimmen. Im Bereich der Geheimdienste gibt es aus meiner Sicht - ich spreche jetzt nicht für die SPD-Fraktion, weil es dort noch nicht beraten und entschieden worden ist, sondern für mich persönlich - zwei Punkte, die regelungsbedürftig sind. Ich begrüße es sehr, daß einer dieser beiden Punkte Gegenstand des Antrages der Koalitionsfraktionen auf Einrichtung eines Untersuchungsausschusses ist. Der erste Punkt ist folgender, wobei ich niemandem, der hier anwesend ist, zu nahe treten möchte: Ich halte einen Politiker mit der Koordinierung der Geheimdienste im Kanzleramt für überfordert. ({13}) Ich bin aber der Auffassung, daß wir einen Auslandsnachrichtendienst brauchen. Ich bin nicht der Auffassung, daß man den Bundesnachrichtendienst oder das Bundesamt für Verfassungsschutz abschaffen sollte. Aber ich glaube nicht, daß es richtig ist, hierfür einen Politiker einzusetzen. Dies hat es übrigens zu Zeiten von Kanzler Schmidt nicht gegeben. Ich halte es für sinnvoller, für die Koordination der Geheimdienstarbeit einen verschwiegenen Beamten einzusetzen, der sich nicht gern in der Öffentlichkeit darstellt. Politiker - einschließlich der hier anwesenden - haben einen Drang zur Öffentlichkeit. Ich nehme mich dabei selbst nicht aus. ({14}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der zweite Punkt ist, daß die jetzige Situation, nämlich die Kontrolle der Geheimdienste durch das Parlament in Form der Parlamentarischen Kontrollkommission, unbefriedigend ist. Mitglieder meiner Fraktion, z. B. Freimut Duve und andere, erkundigen sich beispielsweise in der Fragestunde zu einem Vorgang und werden dann mit einer Erklärung der PKK konfrontiert, daß alles in Ordnung sei! Ich persönlich, Peter Struck, bitte - dies ist auch eine Bitte an den Kollegen Hirsch, weil Sie in diesem Zusammenhang sehr kritisch agiert haben - zu überlegen, ob wir nicht als Deutscher Bundestag etwas ähnliches wie den Wehrbeauftragten der Bundeswehr schaffen sollten. Sollten wir vom Deutschen Bundestag nicht einen Geheimdienstbeauftragten wählen? Ich bin mir dessen bewußt, daß damit eine zusätzliche Behörde geschaffen würde. ({15}) Manche - auch aus den eigenen Reihen - sagen nein. Aber ich finde, Politiker sind dazu da, sich eigene Gedanken zu machen und diese auch öffentlich zur Diskussion zu stellen. Warum denn nicht? Jedenfalls so, wie es bisher mit der Kontrolle der Dienste ist, kann es nicht weitergehen. ({16}) Ein letzter Hinweis. Sie, Kollege Marschewski, haben es natürlich nicht unterlassen können, Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission persönlich zu nennen. Da haben Sie sich auf den Kollegen Such bezogen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Struck, ich glaube, der Kollege Gansel möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, wenn er einen Moment warten kann. - Sie haben sich auf den Kollegen Such bezogen. Ich stehe überhaupt nicht an, Herrn Such zu verteidigen. Das, was er dort gemacht hat, halte ich allerdings auch für absolut unschicklich: nach einer Sitzung von einer Stunde schon zu erklären, es ist alles unaufgeklärt. Wenn Sie der Meinung waren, es müsse sowieso ein Untersuchungsausschuß gemacht werden, Herr Such, dann hätten wir uns die ganze PKK-Sitzung sparen können. ({0}) - Lassen Sie mal sein, Sie kommen ja auch noch dran und können dazu Stellung nehmen. Jetzt allerdings dazu einen Popanz aufzubauen und gegen Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission, auch gegen Mitglieder meiner eigenen Fraktion, zu agieren, Herr Kollege Marschewski, das ist nichts anderes als Nebelwerfen. ({1}) Ich hoffe nur, daß wir uns gemeinsam - wir persönlich werden ja nicht in diesem Untersuchungsausschuß arbeiten - einer Zielrichtung unterwerfen: Dieser Plutoniumskandal muß rückhaltlos aufgeklärt werden. ({2}) Und wenn sich herausstellt, daß Mitarbeiter von Dienststellen des Bundes, des Kanzleramtes oder welcher Behörden auch immer, zugelassen haben, daß Plutonium von Moskau nach München geflogen wird, dann müssen auch personelle Konsequenzen, und zwar an allen Stellen, erfolgen. Herzlichen Dank. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Abgeordnete Manfred Such.

Manfred Such (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002284, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Marschewski, überlegen Sie doch einmal, welches Bild vom Sachverhalt Sie hier zeichnen. Sie wollen also der Öffentlichkeit weismachen, wollen die Öffentlichkeit glauben machen, daß es dem BND und den entsprechenden Dienststellen des Landeskriminalamtes bei diesen Ermittlungen entgangen sei, daß Plutonium in einer Verkehrsmaschine der Deutschen Lufthansa von Moskau nach München transportiert werde. Welches Bild zeichnet denn das vom Bundesnachrichtendienst, vom Landeskriminalamt und von der Polizei, die damit befaßt waren, die wochenlang und monatelang diesen ganzen Vorfall überwacht haben? Plötzlich ist er außer Kontrolle geraten? Ich glaube zwar nicht, daß es so abgelaufen ist, aber welches Bild zeichnet das von einem Bundesnachrichtendienst, der in der Öffentlichkeit dargestellt wird, als seien dort die Leute, die Gefahren von der Bundesrepublik Deutschland abwenden könnten? Ich denke, daß allein das schon ein Grund wäre, den Bundesnachrichtendienst aufzulösen bzw. die Verantwortlichen, denen das entgangen ist, in die Wüste zu schicken. ({0}) Herr Struck, bezüglich der Geheimhaltung und der Zukunft der PKK möchte ich Ihnen sagen: Das, was ich in der Öffentlichkeit zu den Untersuchungen in der PKK gesagt habe, hat mit den Inhalten, die dort verhandelt worden sind, überhaupt nichts zu tun. Ich habe lediglich nach fast drei Stunden eine Einschätzung gegeben, die ich auch schon vor der Sitzung abgegeben hatte, nämlich, daß man auf Grund der Informationen und auf Grund der öffentlichen Diskussion davon ausgehen mußte, daß der Untersuchungsausschuß kommen müßte. Das habe ich gesagt. Schauen Sie sich einmal an, was Sie und auch Herr Hirsch anschließend in der Öffentlichkeit gesagt haben, dann ist da über Inhalte aus der PKK geredet worden. Dagegen bin ich mit meinen Äußerungen ein Waisenknabe. Herr Struck, wenn Sie jetzt sagen, wir brauchen eine neue Form der Kontrolle, dann gebe ich Ihnen recht. Aber ich warne davor, das in der Form zu machen, einen Beauftragten zu schaffen. Ich habe dabei das Gefühl - insbesondere auch, wenn ich sehe, was Sie mir in der Öffentlichkeit vorwerfen -, daß es darum geht, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus diesem Ausschuß rauszukicken. Das machen wir nicht mit, und dafür werden wir eine Öffentlichkeit schaffen.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidbauer?

Manfred Such (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002284, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte schön.

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Such, ich will mich nicht einmischen in die inneren Angelegenheiten der PKK. Aber Sie sprechen gerade über Stilfragen, und deshalb möchte ich Sie fragen, ob Sie bei Ihrer Äußerung, die Sie in Ihrem Interview in einer Zeitschrift gemacht haben, bleiben wollen und sich dafür nicht entschuldigen wollen. Ich zitiere: Auf die Frage Sollte Geheimdienst-Koordinator Bernd Schmidbauer zurücktreten? sagen Sie: Ja. Besonders, weil BND-Chef Porzner gesagt hat, er wisse von der Sache nichts. Es besteht der Verdacht, daß Schmidbauer den Deal ohne Wissen von Porzner eingefädelt hat. Herr Such, ich frage Sie, wie Sie zu dieser Äußerung jetzt, nachdem sie öffentlich ist, stehen und wie Sie dann zu einer gemeinsamen Arbeit zwischen PKK-Mitgliedern und dem Koordinator stehen. Dieser hat zwar nicht die Aufsicht, aber vorhin hat - ({0}) - Ja, natürlich kann man sich äußern. Aber ich frage ihn jetzt, weil das jetzt zur Debatte steht und er eben die Stilfragen und die Frage, wie das nach außen gewirkt hat, angeschnitten hat. Deshalb darf ich Sie noch einmal fragen, wie Sie heute zu dieser Äußerung stehen.

Manfred Such (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002284, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe an dieser Äußerung nicht das Geringste zurückzunehmen. Wenn Sie das richtig lesen, dann stellen Sie fest, daß ich nur den Verdacht habe. Dieser Verdacht, daß Sie an Herrn Porzner vorbei gehandelt haben, begründet sich auf die Darstellungen in den Medien. Letztlich denke ich, daß dieser Verdacht in einem Untersuchungsausschuß ausgeräumt werden kann, und das werden wir sehen. Den Verdacht werden Sie mir doch sicherlich gestatten ({0}) nach dem, was der „Spiegel" darüber berichtet hat, insbesondere was Ihre Rolle angeht. Mehr habe ich in der Öffentlichkeit nicht geäußert. Dabei bleibe ich, und ich kann das hier auch wiederholen. ({1}) - Nein, Sie haben es doch gerade zitiert. Ich habe von einem „Verdacht" gesprochen. Herr Präsident, meine Damen und Herren, es mag sein, daß der Bundesnachrichtendienst in einigen Teilbereichen nur harmlose Spinner und Dilettanten beschäftigt. Es mag sein, daß einige BND-Skandale auch einen humoristischen Aspekt haben, ({2}) daß Teile des BND wegen Unfähigkeit nicht ernst zu nehmen sind und daß von diesen Teilen deshalb auch kein Schaden ausgeht. Angeblich sollen die Kanzler Schmidt und Kohl schon lange keine BNDMeldungen mehr studieren, weil sie lieber die FAZ bzw. die „Neue Zürcher Zeitung" lesen. Aber das ist, wenn überhaupt, nur ein kleiner Teil der Wahrheit über den BND. Herauszufinden, ob der größere Teil der Wahrheit ist, daß die funktionierenden Teile des BND auf eine wahrhaft fatale und lebensgefährliche Weise agieren, provozieren und inszenieren, ist Teil des Untersuchungsauftrages für den von uns geforderten parlamentarischen Untersuchungsausschuß. Es ist nicht ohne Grund, daß sich der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Schäuble - leider ist er nicht anwesend -, ({3}) laut „Spiegel" von dieser Woche darüber Gedanken macht, ob nicht der BND tatsächlich von München nach Moskau und zurück nach München transportiert hat. Er hatte diesen Gedanken - wohlgemerkt angeblich -, bevor er vom russischen Atomsprecher Kaurow geäußert wurde. Herr Schäuble ist skandalerfahren. Als ehemaliger Kanzleramtsminister sowie ehemaliger Mitarbeiter im U-Boot-Skandal und im Skandal um den Stasi-General Schalck-Golodkowski weiß er ganz genau, wozu der BND fähig und in der Lage ist. Wenn man dem in diesem neuen Skandal äußerst gut informierten „Spiegel" Glauben schenken darf, traut Schäuble den Abwieglern aus den eigenen Reihen bisher nicht. Schäuble schließt es offenbar nicht aus, daß der BND den Super-GAU im illegalen Plutonium-Handel tatsächlich produziert hat und daß der BND die Bundesregierung und die Weltöffentlichkeit mit einer selbst eingefädelten dilettantischen Operation in Panik und Schrecken versetzt hat. ({4}) Wir werden im Untersuchungsausschuß hoffentlich sehen, was der BND tatsächlich gemacht hat, was der Koordinator der Geheimdienste, Herr Schmidbauer, wußte und an wem vorbei er gehandelt hat oder nicht und was Friedrich Bohl als Verantwortlicher wann erfahren und möglicherweise gedeckt hat. Wir werden auch mehr über die Haltung des Bundeskanzlers erfahren, der schon „in Demutsgebärde" auf den Urteilsspruch des Untersuchungsausschusses wartet. Herr Zeitlmann von der CDU/CSU ist da weniger demütig. Er will die Sache offensiv angehen. Ich denke, die Offensive bedeutet, weiter Nebelkerzen zu werfen. Was wir aber jetzt schon erfahren haben, ist so alarmierend und so atemberaubend, daß einem die ganzen Witze und die verharmlosenden Stories über den BND wirklich im Halse steckenbleiben. ({5}) Das muß man sich einmal vorstellen: V-Leute des BND waren ganz tief in eine Operation verstrickt, an deren Ende der Import von fast 400 g bombenfähigen Plutoniums nach München stand. Das kann man auch nicht verschleiern und sagen, es seien BNDQuellen gewesen. Das muß man schon im Fachjargon sagen und mit Namen nennen. Es waren Agenten des Bundesnachrichtendienstes bzw. des Landeskriminalamtes in München. Die Aktion wurde von BND-Rafa und BND-Roberto begonnen, und sie kam dann nicht mehr zum Halten. ({6}) Die „Operation Hades" begann. BND-Rafa wußte ganz genau, daß durch die Aktion das Leben von Millionen Menschen gefährdet wird; aber er sagte laut Spiegel: „Das geht mir doch am Arsch vorbei." BND-Adrian alias Willi Liesmann alias Michael Brandon wußte auch genau Bescheid. Laut „Spiegel" riet er den Gangstern, doch ein bißchen aufzupassen. Das Ganze sei gefährlich, wenn man so etwas in einem Flugzeug transportiert. Auch was die bayerischen Stellen betrifft, muß man noch einmal die Frage stellen, inwiefern Herr Beckstein oder Herr Stoiber in die Verantwortung zu ziehen sind. Auch in diese Richtung müssen wir blikken. Die bayerischen Stellen wußten ganz genau Bescheid. ({7})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Manfred Such (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002284, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme gleich zum Schluß. Am Nachmittag des 10. August 1994 - zu welcher Uhrzeit, muß noch geklärt werden - wurde das baden-württembergische Umweltministerium informiert, daß eine Plutoniumlieferung für das Institut für Transurane wahrscheinlich sei. Es gibt noch einen erheblichen Fragebedarf, letztlich zu klären, wie dieser Transport stattgefunden hat, wer davon wußte und was mit dem Plutonium, das dort zur Zeit lagert, geschieht. Meine Damen und Herren, es muß das Ziel des Untersuchungsauftrages sein, diese Ungereimtheiten, diese Ungeheuerlichkeiten

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege!

Manfred Such (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002284, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- und teilweise auch Unfähigkeiten des Bundesnachrichtendienstes und der Landesbehörden aufzuklären. Ich bitte Sie darum, unserem Untersuchungsauftrag zuzustimmen. Ich danke Ihnen. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile dem Kollegen Dr. Burkhard Hirsch das Wort.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben uns ja in diesem Hause schon öfter darüber unterhalten, ob Untersuchungsausschüsse ein Instrument sind, die Wahrheit zu erforschen oder ob es um die Fortsetzung des politischen Kampfes mit anderen Mitteln geht. Was ich in der Rede des Kollegen Such soeben gehört habe, führt zu einigen Besorgnissen. ({0}) Sie haben Beschuldigungen mit der Gleichförmigkeit und Häufigkeit einer Pusteblume in der Gegend herumgestreut und wirklich nichts zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen. ({1}) Ich muß im übrigen wirklich sagen, daß die Vorwürfe, die Sie gegen Staatsminister Schmidbauer äußern, er habe am Chef des Dienstes vorbei Einfluß genommen, nicht zutreffen. Es gibt nicht die Spur, nicht den Schatten eines Hinweises dafür, daß diese Behauptung gerechtfertigt ist. ({2}) Ich hätte wirklich erwartet, daß Sie die innere Kraft haben, sich von dem Unsinn zu distanzieren, den Sie hier verbreitet haben. Im übrigen werden wir der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nicht deswegen zustimmen, weil wir das Ergebnis schon kennen, sondern um festzustellen, was tatsächlich gewesen ist, und weil wir wollen, daß das zur allgemeinen öffentlichen Überzeugung festgestellt wird. Es steht außer Frage, daß vagabundierendes Plutonium eine hohe Gefährdung darstellt. Aber es gibt keine gesicherten Erkenntnisse, sondern nur Vermutungen darüber, ob und in welchem Umfang sich solches Material in privaten Händen befindet. Daraus ergibt sich ein merkwürdiger Markt. Jeder potentielle Anbieter weiß nicht, ob es einen wirklichen Käufer gibt. Auf der anderen Seite risikiert jeder Scheinkäufer, daß er durch seine Nachfrage überhaupt erst dazu anreizt, Plutonium aus der staatlichen Verwahrung zu nehmen und in privaten Besitz zu bringen. Der uns bisher bekanntgewordene Vorgang hat dieser allgemeinen Erkenntnis nichts Neues hinzugefügt. Wenn Staaten aus wirtschaftlichen oder militärischen Überlegungen Plutonium im 100-t-Bereich erzeugt haben und wenn irgendwelche Interessenten den Eindruck erwecken, daß sie für den Erwerb von 4 kg fast eine halbe Milliarde DM bezahlen würden oder könnten, wird man in vielen Ländern dafür Angebote an Plutonium bekommen. Das eigentliche politische Problem liegt darin, daß man das Problem der lückenlosen Kontrolle von Plutonium nicht mit Indianerspielen - wie mit dem, das hier aufgeführt wurde - lösen kann, sondern eben nur mit einer intensiven internationalen Zusammenarbeit, bei der man peinlichst darauf achten muß, daß kein Staat als unsicher oder verantwortungslos an den Pranger gestellt wird und sich dann um seines internationalen Ansehens willen darum bemühen muß, die mögliche Quelle vagabundierenden Materials nicht zu offenbaren. Aus dieser Interessenlage ergeben sich Fragen. Es kann nicht sein, daß irgendwelche V-Leute erst mit dem Bundeskriminalamt und dann mit bayerischen Landesbehörden zusammenarbeiten und sozusagen selbst entscheiden, ob sie mit einer Behörde zusammenarbeiten, die den Import radioaktiven Materials ablehnt, wie es die Innenminister gemeinsam beschlossen hatten, oder ob sie lieber mit einer Behörde zusammenarbeiten, die sich dann entscheidet - ich will mich vorsichtig ausdrücken -, den möglichen Import solchen Materials hinzunehmen. Es kann auch nicht richtig sein, daß ein Leitender Oberstaatsanwalt oder ein Landespolitiker allein entscheidet, ob die russischen Behörden so unzuverlässig oder korrupt oder verbrecherisch sind, daß man mit ihnen in einer solchen Frage nicht zusammenarbeiten könne, ({3}) und die Feststellung trifft, daß es einfacher sei, das heimliche Einfliegen von waffenfähigem Plutonium in eine Großstadt hinzunehmen. Man hat auf diese Weise zwar 400 Gramm Plutonium erworben, aber damit auch die dauerhafte Zusammenarbeit mit russischen Behörden gefährdet, ohne die das eigentliche politische Problem nicht gelöst werden kann. Ich will hier weder die Motive der einen oder anderen Behörde oder der beteiligten Dunkelmänner untersuchen und darüber mutmaßen. Aber wir möchten wissen, wie es wirklich gewesen ist. Wir wollen verhindern, daß sich solche Vorgänge wiederholen. Darum muß über die Zusammenarbeit der verschiedenen nationalen Behörden in dieser Frage Klarheit geschaffen werden, und darum muß Klarheit über die Möglichkeiten der internationalen Zusammenarbeit sowie darüber geschaffen werden, daß im Interesse des Schutzes der eigenen Bevölkerung und des Vertrauens unserer Bevölkerung in die Gesetzmäßigkeit des Handelns das heimliche Dulden des verbotenen Imports radioaktiven Materials unter keinen Umständen hingenommen werden kann. ({4}) Besatzung und Passagiere eines Linienflugzeugs und die Bevölkerung einer Großstadt sind keine Versuchskaninchen, und zwar für niemanden: ({5}) weder für einen Straftäter noch für Behörden. ({6}) Schließlich müssen und sollten wir gemeinsam Überlegungen darüber anstellen, ob die Kontrolle der Nachrichtendienste verbessert werden kann und muß. Herr Kollege Struck hat dazu einiges gesagt. Die jetzige Arbeitsweise der Parlamentarischen Kontrollkommission hängt untrennbar mit der Sicherheit der Diskretion dessen zusammen, was dort vorgetragen wird. ({7}) Herr Kollege Such, Ihr Verhalten stellt einen Bruch der gesetzlichen Verpflichtungen dar; das muß man in aller Klarheit sagen. ({8}) Ob die Vertraulichkeit einen Sinn macht, hängt davon ab, ob die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission ein so großes persönliches Ansehen in diesem Hause besitzen, daß ihre Erklärung über das Ergebnis ihrer Ermittlungen oder ihrer Untersuchungen vom gesamten Haus akzeptiert wird. ({9})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Hirsch, gestatten Sie - Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Einen Augenblick, ich möchte nur noch diesen Gedanken zu Ende bringen. - Ich glaube darum, daß es nicht so sehr auf organisatorische Maßnahmen, ({0}) sondern in erster Linie darauf ankommt, wer in der Parlamentarischen Kontrollkommission sitzt und ob der Wille zur Zusammenarbeit von beiden Seiten da ist. ({1}) Wenn das nicht gegeben ist, können Sie sich jede Kontrolle in die Haare schmieren. ({2}) Bitte.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Häfner, bitte.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Kollege Hirsch, da ich Sie als jemanden kenne und schätze, dem demokratiepolitische Forderungen immer sehr am Herzen liegen, und da Sie sich eben auch so für eine Vorab-Rehabilitation des Kollegen Schmidbauer eingesetzt haben, möchte ich, nachdem nun mehrfach gegen meinen Kollegen Manfred Such der Vorwurf erhoben worden ist, er habe hier gegen die guten Sitten, vielleicht sogar gegen die Geschäftsordnung oder das Recht verstoßen, als er während der Sitzung der PKK gesagt hat, er sei der Meinung, daß hier ein Untersuchungsausschuß erforderlich sei, Sie nun fragen: Ist die Äußerung, man möchte in dieser Frage einen Untersuchungsausschuß haben, aus Ihrer Sicht die Preisgabe geheimhaltungsbedürftiger Erkenntnisse aus der PKK, oder ist nicht vielmehr diese Äußerung genau das Gegenteil, nämlich kein Aussprechen irgendeines Details, aber die Forderung, daß die Aufklärung dieses Sachverhaltes in ein öffentliches Gremium und nicht in ein klandestines Gremium des Bundestages gehört, und müßten Sie nicht deshalb dieser Forderung zustimmen, wenn Sie Ihren politischen Grundsätzen weiterhin Folge leisten wollen?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir haben zu Beginn der Sitzung, um die es hier geht, untereinander eingehend erörtert, wie weit die gesetzlichen Verpflichtungen nach § 5 des Gesetzes über die Parlamentarische Kontrollkommission gehen. Wir haben dabei völlige Übereinstimmung - dabei kann ich nicht für den Kollegen Such sprechen - mit dem klaren Wortlaut des Gesetzes gefunden, daß auch die Äußerung von Bewertungen der Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit der Parlamentarischen Kontrollkommission bedarf. Sie können in Zweifel ziehen, ob die Regelung vernünftig ist; es ist aber die gesetzliche Bestimmung, nach der wir arbeiten. Wenn jemand während einer Sitzung vorgefaßt, vorher beabsichtigt nach anderthalb Stunden hinausgeht und dort erklärt, daß nach dem Verlauf der Beratungen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses unvermeidbar ist, dann frage ich Sie, was Ihnen denn dann noch an einer Äußerung einer Bewertung fehlt. Das ist ein klarer Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen. Er hat uns dazu gebracht, zu sagen: Nun gut, wenn sich der Kollege Such nicht an das Gesetz hält, müssen wir - unabhängig davon, welche Folgen wir sonst ziehen -, auch den anderen die Möglichkeit geben, sich öffentlich zum Sachverhalt zu äußern. Denn es kann nicht angehen, daß nur eine Seite Verdächtigungen streut und die anderen das Maul zu halten haben. ({0}) Darum sage ich Ihnen und Ihrer Fraktion: Sie haben mit der Wahl des Kollegen Such von diesem Hause einen großen Vertrauensvorschuß bekommen. ({1}) Aber wenn dieses Vertrauen nicht gerechtfertigt wird, dann muß dieses Haus nach meiner Überzeugung daraus Konsequenzen ziehen. ({2}) Wir werden der Einsetzung des Untersuchungsausschusses zustimmen, und ich hoffe, daß es möglich sein wird - das kann nicht so schwierig sein -, im Geschäftsordnungsausschuß die gemeinsamen Fragestellungen festzulegen, die uns dann in der Sache weiterhelfen. ({3})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Meine Kolleginnen und Kollegen, ich habe Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekanntzugeben, und zwar zunächst über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/1198. Abgegebene Stimmen: 621. Mit Ja haben gestimmt: 252. Mit Nein haben gestimmt: 322. Enthaltungen: 47. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Vizepräsident Hans Klein Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 619; davon ja: 252 nein: 320 enthalten: 47 Ja SPD Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Dr. Ulrich Böhme ({0}) Arne Börnsen ({1}) Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury Hans Büttner ({2}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Lothar Fischer ({3}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({4}) Katrin Fuchs ({5}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Günter Graf ({6}) Angelika Graf ({7}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold Hiller ({8}) Stephan Hilsberg Frank Hofmann ({9}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Gerd Höfer Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Jann-Peter Janssen Ilse Janz Renate Jäger Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({10}) Erika Lotz Christa Lörcher Dieter Maaß ({11}) Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Markus Meckel Ulrike Mehl Herbert Meißner Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({12}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Michael Müller ({13}) Jutta Müller ({14}) Christian Müller ({15}) Kurt Neumann ({16}) Volker Neumann ({17}) Gerhard Neumann ({18}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Winfried Penner Dr. Martin Pfaff Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Rudolf Purps Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke Dr. Edelbert Richter Günter Rixe Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Horst Schild Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({19}) Ursula Schmidt ({20}) Dagmar Schmidt ({21}) Wilhelm Schmidt ({22}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({23}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({24}) Brigitte Schulte ({25}) Reinhard Schultz ({26}) Volkmar Schultz ({27}) Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({28}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster Horst Sielaff Erika Simm Johannes Singer Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Günter Verheugen Ute Vogt ({29}) Karsten D. Voigt ({30}) Josef Vosen Hans Georg Wagner Hans Wallow Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({31}) Matthias Weisheit Gert Weisskirchen ({32}) Gunter Weißgerber Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({33}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf Heide Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley PDS Wolfgang Bierstedt Petra Bläss Maritta Böttcher Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Dr. Uwe-Jens Heuer Stefan Heym Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Gerhard Jüttemann Rolf Köhne Rolf Kutzmutz Andrea Lederer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({34}) Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz Nein CDU/CSU Peter Altmaier Anneliese Augustin Vizepräsident Hans Klein Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({35}) Dr. Wolfgang Bötsch Rudolf Braun ({36}) Klaus Brähmig Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Dankward Buwitt Manfred Carstens ({37}) Peter H. Carstensen ({38}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß Renate Diemers Wilhelm Dietzel Hansjürgen Doss Werner Dörflinger Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann Anke Eymer Ilse Falk Dr. Kurt Faltlhauser Jochen Feilcke Dr. Karl H. Fell Ulf Fink Dirk Fischer ({39}) Klaus Francke ({40}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma Glücklich Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Claus-Peter Grotz Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther ({41}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({42}) Gerda Hasselfeldt Rainer Haungs Otto Hauser ({43}) Hansgeorg Hauser ({44}) Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze Josef Hollerith Dr. Karl-Heinrich Hornhues Heinz-Adolf Hörsken Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({45}) Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein ({46}) Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Manfred Kolbe Eva-Maria Kors Manfred Koslowski Thomas Kossendey Hans-Ulrich Köhler ({47}) Norbert Königshofen Rudolf Kraus Wolfgang Krause ({48}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({49}) Karl Lamers ({50}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach Walter Link ({51}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({52}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({53}) Julius Louven Sigrun Löwisch Dr. Michael Luther Erich Maaß ({54}) Dr. Dietrich Mahlo Claire Marienfeld Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer ({55}) Rudolf Meinl Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Rudolf Meyer ({56}) Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({57}) Engelbert Nelle Bernd Neumann ({58}) Johannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({59}) Dr. Peter Paziorek Dr. Gerhard Päselt Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau Helmut Rauber Peter Harald Rauen Otto Regenspurger Christa Reichard ({60}) Klaus Dieter Reichardt ({61}) Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder Dr. Erich Riedl ({62}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({63}) Hannelore Rönsch ({64}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer ({65}) Hartmut Schauerte Ortrun Schätzle Dr. Wolfgang Schäuble Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({66}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({67}) Andreas Schmidt ({68}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz ({69}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte ({70}) Gerhard Schulz ({71}) Frederik Schulze Diethard Schütze ({72}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Michael Stübgen Egon Susset Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser Dr. Susanne Tiemann Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({73}) Dr. Horst Waffenschmidt Mois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({74}) Gert Willner Bernd Wilz Willy Wimmer ({75}) Matthias Wissmann Simon Wittmann ({76}) Michael Wonneberger Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller F.D.P. Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({77}) Deutscher Bundestau - 13. Wahlperiode Vizepräsident Hans Klein Günther Bredehorn Jörg van Essen Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Karlheinz Guttmacher Joachim Günther ({78}) Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Inner Detlef Kleinert ({79}) Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Heinz Lanfermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({80}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Wolfgang Weng ({81}) Enthalten SPD Hans Berger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gila Altmann ({82}) Elisabeth Altmann ({83}) Marieluise Beck ({84}) Volker Beck ({85}) Angelika Beer Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Joseph Fischer ({86}) Rita Grießhaber Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken-Deipenbrock Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Vera Lengsfeld Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Winfried Nachtwei Christa Nickels Cern Özdemir Simone Probst Dr. Jürgen Rochlitz Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({87}) Wolfgang Schmitt ({88}) Werner Schulz ({89}) Rainder Steenblock Marina Steindor Christian Sterzing Helmut Wilhelm ({90}) Margareta Wolf-Mayer F.D.P. PDS Ulla Jelpke Christina Schenk Steffen Tippach Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Ursula Schönberger und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/ 1199 lautet wie folgt: Abgegebene Stimmen: 619. Mit Ja haben gestimmt: 73. Mit Nein haben gestimmt: 546. Enthaltungen: keine. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 619; davon: ja: 73 nein: 546 Ja BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gila Altmann ({91}) Elisabeth Altmann ({92}) Marieluise Beck ({93}) Volker Beck ({94}) Angelika Beer Matthias Berninger Annelle Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({95}) Joseph Fischer ({96}) Rita Grießhaber Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken-Deipenbrock Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Vera Lengsfeld Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({97}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Dr. Jürgen Rochlitz Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({98}) Wolfgang Schmitt ({99}) Ursula Schönberger Werner Schulz ({100}) Rainder Steenblock Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({101}) Margareta Wolf-Mayer PDS Wolfgang Bierstedt Petra Bläss Maritta Böttcher Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Dr. Uwe-Jens Heuer Stefan Heym Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann Rolf Köhne Roll Kutzmutz Andrea Lederer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({102}) Rosei Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Gerhard Zwerenz Nein CDU/CSU Peter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({103}) Dr. Wolfgang Bötsch Rudolf Braun ({104}) Klaus Brähmig Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Dankwand Buwitt Manfred Carstens ({105}) Peter H. Carstensen ({106}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß Renate Diemers Wilhelm Dietzel Hansjürgen Doss Werner Dörflinger Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann Anke Eymer Ilse Falk Dr. Kurt Faltlhauser Jochen Feilcke Vizepräsident Hans Klein Dr. Karl H. Fell Ulf Fink Dirk Fischer ({107}) Klaus Francke ({108}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma Glücklich Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Claus-Peter Grotz Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther ({109}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({110}) Gerda Hasselfeldt Rainer Haungs Otto Hauser ({111}) Hansgeorg Hauser ({112}) Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise Ernst Hinsken Peter Hintze Josef Hollerith Dr. Karl-Heinrich Hornhues Heinz-Adolf Hörsken Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({113}) Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Hans Klein ({114}) Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Manfred Kolbe Eva-Maria Kors Manfred Koslowski Thomas Kossendey Hans-Ulrich Köhler ({115}) Norbert Königshofen Rudolf Kraus Wolfgang Krause ({116}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({117}) Karl Lamers ({118}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach Walter Link ({119}) Eduard Lintner ({120}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({121}) Julius Louven Sigrun Löwisch Dr. Michael Luther Erich Maaß ({122}) Dr. Dietrich Mahlo Claire Marienfeld Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer ({123}) Rudolf Meinl Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Rudolf Meyer ({124}) Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({125}) Engelbert Nelle Bernd Neumann ({126}) Johannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({127}) Dr. Peter Paziorek Dr. Gerhard Päselt Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau Helmut Rauber Peter Harald Rauen Otto Regenspurger Christa Reichard ({128}) Klaus Dieter Reichardt ({129}) Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder Dr. Erich Riedl ({130}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({131}) Hannelore Rönsch ({132}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Roland Sauer ({133}) Hartmut Schauerte Ortrun Schätzle Dr. Wolfgang Schäuble Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({134}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({135}) Andreas Schmidt ({136}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz ({137}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte ({138}) Gerhard Schulz ({139}) Frederik Schulze Diethard Schütze ({140}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Michael Stübgen Egon Susset Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser Dr. Susanne Tiemann Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({141}) Dr. Horst Waffenschmidt Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({142}) Gert Willner Bernd Wilz Willy Wimmer ({143}) Matthias Wissmann Simon Wittmann ({144}) Michael Wonneberger Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller SPD Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Dr. Ulrich Böhme ({145}) Arne Börnsen ({146}) Anni Brandt-Elsweier Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Hans Martin Bury Hans Büttner ({147}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Lothar Fischer ({148}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({149}) Katrin Fuchs ({150}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Norbert Gansel Vizepräsident Hans Klein Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Günter Graf ({151}) Angelika Graf ({152}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold Hiller ({153}) Stephan Hilsberg Frank Hofmann ({154}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Gerd Höfer Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Jann-Peter Janssen Ilse Janz Renate Jäger Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({155}) Erika Lotz Christa Lörcher Dieter Maaß ({156}) Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Markus Meckel Ulrike Mehl Herbert Meißner Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({157}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Michael Müller ({158}) Jutta Müller ({159}) Christian Müller ({160}) Kurt Neumann ({161}) Volker Neumann ({162}) Gerhard Neumann ({163}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Dr. Eckhart Pick Joachim Poll Rudolf Purps Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke Dr. Edelbert Richter Günter Rixe Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Horst Schild Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({164}) Ursula Schmidt ({165}) Dagmar Schmidt ({166}) Wilhelm Schmidt ({167}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({168}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({169}) Brigitte Schulte ({170}) Reinhard Schultz ({171}) Volkmar Schultz ({172}) Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({173}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster Horst Sielaff Erika Simm Johannes Singer Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Günter Verheugen Ute Vogt ({174}) Karsten D. Voigt ({175}) Josef Vosen Hans Georg Wagner Hans Wallow Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({176}) Matthias Weisheit Gert Weisskirchen ({177}) Gunter Weißgerber Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({178}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf Heide Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley F.D.P. Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({179}) Günther Bredehorn Jörg van Essen Gisela Frick Horst Friedrich Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Karlheinz Guttmacher Joachim Günther({180}) Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Inner Detlef Kleinert ({181}) Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Heinz Lanfermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({182}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Wolfgang Weng ({183}) Wir fahren in unserer Aussprache fort. Ich erteile dem Kollegen Dr. Gregor Gysi das Wort.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Marschewski, Sie sind offensichtlich der einzige, der überhaupt keine Fragen hat. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist für Sie der Sachverhalt völlig klar. So unterschiedlich man die Reden der Vertreter von SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und F.D.P. oder auch meine Rede jetzt bewerten mag, eines steht fest: ({0}) - Nein. Alle, die etwas fragen, haben Aufklärungsbedarf. Nur Sie sind sich hinsichtlich des Sachverhalts völlig sicher. ({1}) Ich finde, es ist schon ein Nebelwurf, zu sagen, man stimme einem Untersuchungsausschuß zu, obwohl man gleichzeitig sagt, man habe eigentlich gar keine Fragen, weil man schon alles wisse. Dann hätten Sie ehrlicherweise sagen müssen, Sie seien dagegen, und sich nicht aus rein populistischen Gründen dem Druck hier beugen dürfen. ({2}) Zweitens. Sie haben etwas in den Raum geworfen, woraus Sie im umgekehrten Fall dann einen Skandal konstruiert haben. Sie haben nämlich gesagt, Sie seien der Meinung, daß die Opposition diesen Untersuchungsausschuß nur wolle, um eine Art Skandal in Vorbereitung der Wahlen in Nordrhein-Westfalen und Bremen zu haben. Fünf Minuten später sagen Sie, es sei einer der größten Skandale, den Bundesbehörden zu unterstellen, daß sie das Ganze, worum es hier gehe, den Plutoniumskandal, inszeniert hätten, um die Wahlen in Bayern und vor allem die Bundestagswahlen zu beeinflussen. Wenn Sie das eine für möglich halten, sollten Sie das andere als Möglichkeit nicht ausschließen. Im übrigen konnte sich die Opposition den Zeitpunkt gar nicht aussuchen. Der Bericht wurde, wie Sie wissen, veröffentlicht. Die PDS war die erste, die sogleich einen Untersuchungsausschuß gefordert hat, was natürlich auch damit zusammenhängt, daß wir nicht in der PKK sind und von dort auch keine Aufklärung erwarten können. Daß Sie „Gott sei Dank" sagen, halte ich für einleuchtend. Daß wir das anders sehen, halten wahrscheinlich Sie für einleuchtend. Wie herum auch immer, Tatsache ist, daß es hier um einen Sachverhalt geht, der dringend der Aufklärung bedarf, und zwar aus mehreren Gründen. Es gibt verschiedene Stufen der Wahrheit, die hier möglich sind. Versuchen wir einmal, an die Sache politisch heranzugehen. Die Geheimdienste der Bundesrepublik Deutschland waren zweifellos bipolar in einer bipolaren Welt ausgerichtet. Sie hatten sehr viel mit der DDR und überhaupt mit Osteuropa zu tun. Dann kam der 3. Oktober 1990. Damit erfolgte natürlich ein beachtlicher Funktionswegfall, und damit entstand eine Existenzsorge. Es kam eine ganz neue Qualität in die Diskussion, wozu Geheimdienste erforderlich sind. Wenn man dann noch an die schlimmen Erfahrungen in der DDR dachte, hat sich diese Frage in der Diskussion noch verstärkt. Es ist doch nicht völlig absurd, davor zu warnen, daß bei solchen Behörden der Gedanke aufkommen könnte, nicht nur ihr Können, sondern auch ihre Notwendigkeit auf zweifelhafte Art und Weise zu beweisen. Das ist doch die Sorge, die auch durch die Bevölkerung geht. ({3}) So etwas hat es in der Geschichte gegeben. Vergessen Sie nicht: Schon bei der Polizei besteht häufig die Frage: Vereitle ich eine Straftat, oder kläre ich sie lieber auf? Wenn ich sie aufkläre, nachdem sie begangen ist, ist der Erfolg der Polizeibehörde in der Öffentlichkeit sehr viel größer, als wenn sie vorher eine Straftat verhindert. Hier wird ein leichter Interessenkonflikt organisiert. ({4}) Wenn es wahr wäre - ich gehe jetzt einmal vom schlimmsten Fall aus -, daß der BND das Ganze von Anfang an mit inszeniert hat, um sich dann als diejenige Einrichtung aufzuspielen, die dieses aufklärt und dann noch notwendiger ist, weil es solche Verbrechen weltweit gibt, dann haben wir es mit einem wirklich einzigartigen Skandal zu tun, der nicht nur personelle, sondern auch strukturelle Konsequenzen bis dahin nach sich ziehen muß, wie es Herr Such gesagt hat. ({5}) Überlegen Sie sich doch einmal, was es bedeutet, wenn eine Feuerwehr Häuser anzündet, um zu beweisen, daß sie löschen kann, und außerdem ihre Notwendigkeit zu unterstreichen! ({6}) Das ist doch der Vorwurf, um den es geht. Nehmen wir jetzt die schwächere Variante. Nehmen wir an, das Ganze war nicht so inszeniert, man war nur informiert, aber man war informiert, daß dieser Transport geplant ist, einmal nach Moskau oder meinetwegen sogar nur von Moskau nach Deutschland. Das zuzulassen, ohne die russischen Behörden einzuschalten, heißt erstens, die internationalen Beziehungen zu Rußland zu gefährden, und zweitens, alle Gefährdungsmomente, die der Transport in sich birgt, in Kauf zu nehmen, nur um wieder als der eigentliche Aufklärer dazustehen. Das wäre ein nicht ganz so großer Skandal wie der erste, aber ein immer noch in jeder Hinsicht ausreichender, um ebenfalls personelle und andere Konsequenzen zu ziehen. ({7}) Herr Schmidbauer, es ist nicht meine Aufgabe, hier Herrn Such zu verteidigen. Das kann er alleine ganz hervorragend. Es ist auch nicht meine Frage, wie Sie welchen Paragraphen in der PKK interpretieren. Jedes Land braucht offensichtlich seine PKK. ({8}) Ich sage nur eines: Die Vermutung, daß an Herrn Porzner vorbei operiert worden ist, ist von Herrn Porzner geäußert worden. Er hat in den Medien erklärt, er habe von alledem nichts gewußt, er sei dabei umgangen worden. Daß dann ein Politiker eine solche Äußerung des BND-Chefs aufgreift, um sich damit öffentlich auseinanderzusetzen, ({9}) ist doch wohl das Normalste der Welt. Man wird doch den Chef des Bundesnachrichtendienstes noch interpretieren und zitieren dürfen, wenn er darauf hinweist, daß er bei der ganzen Angelegenheit vor der Tür gelassen worden sei und es dafür offensichtlich Gründe gegeben haben müsse.

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Gysi, Sie sind ein großes Stück über Ihre Redezeit hinaus.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Es kann sich herausstellen, daß dies alles nicht stimmt, sondern anders war. Ich habe natürlich nicht die Hoffnung, daß bei einem Untersuchungsausschuß die ganze Wahrheit herauskommt. Das widerspricht den Erfahrungen mit Untersuchungsausschüssen. Aber eines ist auch wahr: Jahre später stellt sich die ganze Wahrheit meistens doch noch heraus. Insofern macht der Untersuchungsausschuß auch schon jetzt Sinn. Ich glaube, es wird einiges herauskommen, was Konsequenzen nach sich ziehen wird. Die Bundesregierung wäre klug beraten, jetzt schon über die Konsequenzen und nicht nur darüber nachzudenken, wie man die Aufklärung der Wahrheit verhindert. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Zeitlmann.

Wolfgang Zeitlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002588, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koalition hat einen eigenen Antrag zur Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses vorgelegt. Die Koalition hat in diesem Antrag unter dem Buchstaben a klargestellt - das, glaube ich, ist im Zusammenhang dieser Diskussion sehr wichtig -, daß sie die Gefahren und den Umfang des illegalen Handels mit Plutonium klären will. Zweitens will sie die Möglichkeiten einer Bekämpfung optimieren. Drittens soll durchaus auch der Münchener Fall überprüft werden, und es sollen in einem solchen Untersuchungsausschuß eventuelle Verantwortlichkeiten geklärt werden. Viertens sollen Empfehlungen für eine bessere parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste gegeben werden. Gegen diesen Gegenstand eines Untersuchungsausschusses und dieses Prüfziel kann man, glaube ich, nichts einwenden. Es geht auch darum, daß in der Öffentlichkeit nach der Reihe - so sage ich einmal - von Vorbelastungen der bisherigen parlamentarischen Kontrolle durch öffentliche Erklärungen, Interviews nicht der Eindruck entsteht, wir wollten hier etwas verbergen und es gäbe irgend etwas, was zugedeckt werden sollte. Aber es geht halt auch nicht, daß von Mitgliedern der PKK oder von sozusagen höherrangigen Personen bis hin zu Fraktions- und Parteivorsitzenden vor einer solchen im Gesetz vorgesehenen Klärung und vor einer Sitzung der PKK schon klare abschließende Erklärungen abgegeben werden, etwa in der Art, daß man sagt: Der muß zurücktreten, weil schon etwas bewiesen ist, und jener kann in jedem Fall nur zurücktreten, weil es entweder nur so oder anders war. Ich nehme einmal an, insbesondere die Aussagen solcher Herren, die sich in dieser Beziehung schon zu weit aus dem Fenster gehängt haben, sind mit die Ursache dafür, daß nach stundenlangen Sitzungen, obwohl keine weiteren notwendigen Fragen gestellt werden, zum Teil ja schon während der Sitzung die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gefordert wurde. Hier ist also nicht immer der Wissensdurst die Ursache für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, sondern dahinter stehen sehr wohl andere politische Überlegungen, nämlich die, eine Sache nicht zu klären, sondern sie am Kochen zu halten. Eines, meine Damen und Herren, kann auf Dauer nicht angehen, nämlich daß solche Vorverurteilungen, obwohl es ein Gremium gibt, das nichtöffentlich tagt, schon vorher abgegeben werden und daß man Dinge als Tatsache ausgibt, ohne die Fairneß zu haben, abzuwarten, was denn eine Prüfung in der Tat ergibt. Ich will auf das zurückblenden, was der Grund dieser Diskussion und dieses Untersuchungsausschusses ist. Es geht um den im vergangenen Sommer aufgedeckten Handel mit Plutonium. Ich erinnere mich noch sehr genau, daß seinerzeit der Bundesgeschäftsführer Verheugen öffentliche Vorwürfe erhoben hat und daß es anschließend - das ist ja nachzulesen - eine Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses gegeben hat, in der Auskünfte erteilt wurden. Jetzt frage ich mich: Was hat denn nun die Opposition dazu gebracht, das nicht damals - es ist ja nicht so neu, was jetzt im „Spiegel" steht; es sind im wesentlichen die Kernvorwürfe, die Verheugen damals erhoben hat - zu verfolgen, sondern es im Sande verlaufen zu lassen und die Sache jetzt neu zu beginnen? So neu sind die Dinge nicht, wenn Sie es bei Verheugen nachlesen. Einen Punkt der Ausführungen des Kollegen Struck - der nicht mehr anwesend sein kann - möchte ich kritisieren. Er sagt, die Kontrolle reiche nicht aus, und erweckt dann so den Eindruck, als sei die Koalition das Problem. Dieser Eindruck ist hier ja erweckt worden. Das muß ich mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Ich glaube nicht, daß die Koalition in der Sitzung oder danach irgendeinen Anlaß gegeben hat, daß irgend etwas nicht erwähnt, nicht gefragt, nicht geprüft werden könnte. Da bitte ich, die Kirche im Dorf zu lassen. Meine Damen und Herren, ein Zweites. Wenn hier sein Vorschlag diskutiert werden soll, daß der Koordinator vom Parlament zu wählen ist, muß er sich schon gefallen lassen, daß man ihn - er ist meines Wissens Jurist - fragt: Was ist denn da mit der Gewaltenteilung? Soll denn wirklich das Parlament in den engeren Bereich der Exekutive durch die Wahl eines Koordinators hineinfummeln? Das kann doch im Ernst wirklich nicht gewollt sein. Von Leuten, die noch einen Funken von Gespür für die Gewaltenteilung haben, ist dies doch wirklich unter der Rubrik „Unsinn" zu buchen. ({0}) Herr Kollege Such, ich habe schon bald wirklich nicht mehr Lust, mich mit Ihnen auseinanderzusetzen. Was Sie im Zusammenhang mit der PICK gemacht haben, ist hier vom Kollegen Hirsch ausreichend gewürdigt oder kritisiert worden. Herr Kollege Such, Sie greifen hier Schäuble wegen eines Interviews oder wegen einer Äußerung an, die er im übrigen gar nicht getan hat und die es gar nicht gibt. Da sollten Sie wirklich fair und vorsichtig miteinander umgehen und den Sachverhalt vorab prüfen und nicht im Plenum einfach ungeprüft etwas übernehmen. ({1}) Herr Kollege Such, völlig indiskutabel ist Ihre Formulierung, die ich mir wörtlich notiert habe. Da müssen Sie aufpassen, wenn Sie die Übertragung des Stenogramms bekommen. Sie erheben nämlich den Vorwurf, ein GAU sei hier produziert worden. Das geht ja noch über das hinaus, was im „Spiegel" behauptet wird. Da ist einer, der kontrollieren soll, der Hauptheizer des Verfahrens. Also, einen GAU zu produzieren, das ist ja völlig neu. Beurteilen Sie einmal, was in der deutschen Sprache ein „GAU" ist und was „produzieren" heißt! Bis dato ist der „Spiegel" nur bis zum „Inszenieren", nicht zum „Produzieren" gegangen. Meine Damen und Herren, es hätte mich gewundert, wenn - jetzt muß ich sagen - der Vizepräsident Hirsch in seiner Rede nicht einige geringe Schlenker gemacht und sich wieder ein bißchen innerhalb der Koalition als der kritische Beobachter gezeigt hätte. Er sagt, es dürfe unter keinen Umständen - so war seine Formulierung; ich habe sie mitgeschrieben - ein Import, eine Einfuhr stattfinden. Das muß eingehend diskutiert werden. Dann muß man auch folgendes offen fragen. Es wird niemand bestreiten, daß offensichtlich nach Abwägung der entscheidenden Leute wohl zu dieser Zeit in Rußland Sicherheitsbedenken bestanden. Wenn es Länder auf dieser Erde gibt, die ein Defizit an Sicherheit im Inneren haben, dann wird im Ernstfall doch zu prüfen sein: Soll wirklich das Material im Verkehr bleiben, oder soll es aus dem Verkehr gezogen werden? ({2}) Diese Frage muß dann beantwortet werden. Ich meine, es kann durchaus Fälle geben, wo im Herkunftsland eine Offenbarung an dortige Sicherheitsorgane nicht möglich ist und wo bei Abwägung das Verbringen ins Inland das geringere Übel gegenüber dem Risiko ist, daß es in falsche Hände gerät. ({3}) Dann würde man nach kurzer Zeit den Vorwurf hören, es wäre deutschen Stellen möglich gewesen, das Produkt aus dem Verkehr zu ziehen, aber sie hätten in Kauf genommen, daß es in falsche Hände gekommen sei. Eine solche Diskussion muß dann stattfinden.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Zeitlmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Häfner?

Wolfgang Zeitlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002588, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Kollege Häfner.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Zeitlmann, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie als Strategie gegen mögliche Sicherheitsdefizite in Ländern, die über Nuklearmaterial verfügen, empfehlen, dieses Material mit Passagierflugzeugen ({0}) mit nichtsahnenden Passagieren und Mannschaften über Großstädte wie der, in der ich lebe, nach Deutschland zu transportieren? Ist das die neue Strategie der Sicherheit?

Wolfgang Zeitlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002588, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe hier keine Strategie verkündet, sondern mich nur dagegen gewandt, daß man apodiktisch sagt: „Es darf unter keinen Umständen zu einem Import kommen." Es gibt nämlich Fälle, bei denen ein Verbleib des gefährlichen Produkts dazu führt, daß es in falsche, in verbrecherische Hände, in die Hände von Diktatoren fallen kann. Natürlich kann dies ein Erpressungspotential gegen das Herkunftsland, auch in Richtung auf die Bundesrepublik Deutschland, darstellen. Es wäre auch denkbar, daß erpresserische Möglichkeiten von Moskau aus bestünden. Nicht mehr und nicht weniger habe ich gesagt.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Zeitlmann, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage, eine Frage von Herrn Büttner?

Wolfgang Zeitlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002588, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich, Herr Kollege Büttner.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Kollege Zeitlmann, darf ich Ihre Aussagen zur Sicherstellung von waffenfähigem Plutonium so interpretieren, daß es bei Ihnen oder innerhalb der Koalition bereits Hans Büttner ({0}) Überlegungen gibt, in der Bundesrepublik Endlager für waffenfähiges Plutonium einzurichten? ({1})

Wolfgang Zeitlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002588, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Büttner, mir ist bewußt, daß die Frage im Grunde gar nicht ernst gemeint ist, well Sie genau wissen, daß dem nicht so sein kann. Ich habe gerade schon Einmal festgehalten, daß ich mich an einer Äußerung des Kollegen Dr. Hirsch gerieben habe, der apodiktisch sagt: unter gar keinen Umständen. Ich wollte deutlich machen, daß es in der täglichen Praxis der Kriminalitätsbekämpfung sehr wohl Fälle geben kann, bei denen das Interesse an dem Herausnehmen solcher gefährlicher Dinge vielleicht gerechtfertigt sein kann. Lassen Sie uns in einem Ausschuß darüber reden! Vielleicht ist der Untersuchungsausschuß das geeignete Gremium, um in Sachlichkeit darüber zu reden, ob man wirklich den Standpunkt vertreten kann: Absolut nie darf es zu einem solchen Import kommen. Ich glaube, es sind Fälle denkbar, wo dies nach Abwägung vertretbar sein kann. Das ist gar keine Frage. Meine Damen und Herren, eines möchte ich noch loswerden: Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß diese Vorverurteilungen, die in den letzten Wochen stattgefunden haben - Kritik am Dienst, am Koordinator, auch an den Diensten insgesamt und an der Polizei -, zu einer breiten Verunsicherung der Leute führen, die mit diesem wirklich gefährlichen Zeug zu tun haben. Ich habe damals auch im Umfeld von Bad Kleinen hier gesagt: Wenn wir uns immer hinstellen und uns nach einer Maßnahme, die häufig unter riesigem Zeitdruck stattfindet, in einer wochenlangen Diskussion zu kleinen Polizeipräsidenten aufschwingen und hinterher feststellen, was mit deutscher Gründlichkeit wann hätte überlegt, abgewogen, geprüft und eingehend diskutiert werden müssen, um dann mit dem Beil eine Entscheidung zu treffen, wer denn falsch und wer richtig gehandelt hat, führt dies zur Verunsicherung der Dienste. Dies will ich mit allen Möglichkeiten vermeiden; denn eines ist uns doch klar: Wir haben allen Grund, diesen Diensten für ihren schweren täglichen Arbeitsgang zu danken und deutlich zu machen, daß der überwiegende Teil all dieser Menschen sich täglich um Pflichterfüllung bemüht und daß Fehlentscheidungen im normalen menschlichen Leben und auch bei uns in der Politik nichts Neues sind. Deswegen sollten wir die Dinge nicht so aufbauschen. Wir sollten sie vielmehr sachlich und fachlich gut begründet und abgewogen in den Gremien diskutieren und nicht meinen, mit diesem öffentlichen Superinteresse sei der Arbeit dieser Dienste wirklich gedankt, deren Qualität ich viel höher einschätze. Meine Damen und Herren, wir haben wahrscheinlich den Fehler gemacht - das sage ich jetzt, nach den ersten Sitzungswochen der neugewählten PKK -, daß wir einen Mann hineingewählt haben, der im Grunde diese Dienste im Ansatz ablehnt. Das war, glaube ich, das Problem. Es gibt Anhaltspunkte, daß auch im neuen „Spiegel" vieles berichtet wird, was aus Insiderwissen kommen muß. Das darf es in Zukunft nicht mehr geben, sonst sind Parlamentarische Kontrollkommissionen eine Farce. Das können wir nicht wollen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Das Wort hat der Kollege Norbert Gansel.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen wir einmal beiseite, daß von den Vertretern der Regierungskoalition in dieser Debatte nach Nebenkriegsschauplätzen ge-Such-t wird. Dann bleibt, daß der Kollege Hirsch ein paar sehr wichtige und treffende Fragen gestellt hat und daß sich selbst der Kollege Zeitlmann relativ moderat geäußert hat, was eigentlich eine gute Perspektive für die Arbeit des Untersuchungsausschusses sein könnte. Der Vorschlag meines Kollegen Struck allerdings, man solle einen Beauftragten für die Geheimdienste anstelle des Koordinators bestellen, würde bei mir schon deshalb auf Widerstand stoßen, weil bei diesem Vorschlag durch nichts auszuschließen wäre, daß der Kollege Marschewski mit der Mehrheit dieses Bundestages dazu gewählt werden würde. ({0}) Meine Damen und Herren, wir werden nicht zulassen, daß in der Arbeit des Untersuchungsausschusses erstens die Gefahren des illegalen Nuklearhandels verharmlost werden und zweitens die jetzige Affäre, die wir aufzuklären haben, zu einer allgemeinen Stimmungsmache gegen die Nachrichtendienste benutzt wird, denn wir haben eine neue Gefahrenlage, und wir brauchen Nachrichtendienste, um uns darüber zu informieren und dabei zu schützen. Die größte Gefahr für unsere Sicherheit ist nicht mehr ein Überfall durch die Truppen des Warschauer Paktes, sondern - es ist wichtig, gerade heute daran zu erinnem - die größte akute Sicherheitsgefahr ist das Dutzend Atomkraftwerke östlich der alten Blockgrenze im Zustand prä Tschernobyl. Die zweitgrößte Gefahr sing die Atomfriedhöfe im Bereich der ehemaligen Sowjetunion, in der Barentssee, aber auch vor der Küste Norwegens. Da liegt z. B. das Super-Atom-UBoot Komsomolz auf dem Meeresgrund, ausgebrannt und zerstört, mit Atomsprengköpfen an Bord, zwölf Kilogramm Plutonium. Wenn da etwas durchrostet, dann sind die Weltmeere auf Jahrzehntausende verseucht. Die dritte Gefahr ist, daß über die 30 000 ehemals sowjetischen Atomsprengköpfe die totale Kontrolle verlorengeht, daß auch nur eine einzige in falsche Hände gerät. Die vierte Gefahr ist der illegale Nuklearhandel, so daß sich irgendwelche Staaten oder Gruppen in den Besitz des Materials für den Bau von Atomwaffen bringen könnten. Um uns davor zu schützen, brauNorbert Gansel chen wir internationale Kooperation, und wir brauchen einen Nachrichtendienst, der uns informiert. Wir brauchen getrennt davon eine Polizei, die uns davor schützt, daß spaltbares Material nach Deutschland gebracht wird. ({1}) Deshalb kann doch nicht etwas als eine gelungene Präventivaktion bezeichnet werden, was im Ergebnis dazu führt, daß mehr als ein halbes Kilo des tödlichsten Giftes, das Menschen je ersonnen und produziert haben, in einer Lufthansa-Passagiermaschine nach Deutschland gebracht worden ist. Deshalb sage ich Ihnen: Das Entscheidende ist gar nicht, ob es hier eine Inszenierung, eine Geheimdienstaffäre gegeben hat, einen V-Mann-Exzeß oder eine Mischung von Dilettantismus und Protzerei an der Spitze der Bundesregierung. Das Entscheidende ist gar nicht einmal die politische Instrumentalisierung für Regierungsvorlagen oder gar für den Bundestagswahlkampf, nicht, ob die Kontrolle über den Nachrichtendienst verlorengegangen ist oder die Selbstkontrolle in der Bundesregierung. Das Entscheidende ist, aufzuklären, wer die Verantwortung für den Transport von Plutonium in einer Lufthansa-Maschine nach Deutschland hat und wie das in Zukunft verhindert werden kann. Für mich ist das Erschreckende an den Informationen der vergangenen Tage gar nicht das, was im „Spiegel" gestanden hat, sondern die Aussage des Münchener Oberstaatsanwalts Emrich, der zu dem Transport des Plutoniums gesagt hat - ich zitiere aus einem Interview der Deutschen Welle -: Natürlich blieb ein Risiko. Das ist völlig richtig. Aber diese Situation haben wir in unserer täglichen Arbeit immer wieder. Und an anderer Stelle: Das Plutonium sei fachmännisch verpackt gewesen. Die Täter hätten durchaus gewußt, daß das ein hochbrisantes Zeug ist, und hätten schon aus Eigennutz für einen sicheren Transport gesorgt. Und: Unser Bestreben war, dieses Material in amtliche Verwahrung zu bekommen. Also haben wir gesagt: Wir müssen sehen, daß wir an dieses angebotene Zeug rankommen, denn die Verantwortung, daß dies unkontrolliert herumvagabundiert, konnten wir nicht übernehmen. Apropos herumvagabundieren: Wer kann eigentlich ausschließen, daß durch die gefährliche Bereitschaft, eine halbe Milliarde DM für ein halbes Kilogramm zu zahlen, zwar ein halbes Kilo nach Deutschland gebracht und in amtliche Verwahrung genommen worden ist, darüber hinaus aber vielleicht dreieinhalb Kilo irgendwo „herumvagabundieren", weil sie in Folge des Scheinkaufs den einstigen sowjetischen Kontrollen entzogen sind und jetzt Käufer gesucht werden? Wer sagt eigentlich, daß es diese Gefahr nicht gibt? Das Entscheidende für mich ist, die Mentalität zu verändern, die darin zum Ausdruck kommt, daß man glaubt, die Bekämpfung des illegalen Nuklearhandels könne mit ähnlichen Methoden wie beim Drogenhandel erfolgen, daß man glaubt, die Sicherstellung sei entscheidend, und nicht begreift, daß schon der Transport eine tödliche Gefahr ist. Die „Bild-Zeitung", die am 14. August 1994 - übrigens mit einer sehr gezielten Information - unter der Überschrift „Geschmuggeltes Plutonium reicht, um Trinkwasser in ganz Deutschland zu vergiften" aufmachen konnte, hatte leider recht. Noch wird nicht überall begriffen, wohinein wir uns über die zivile - nicht nur die militärische - Nutzung der Atomenergie begeben haben, was Plutoniumwirtschaft wirklich bedeutet. Hier wird immer noch in den Kategorien Adenauers gedacht, daß die Atombombe die Fortsetzung der Artillerie sei, und hier wird nicht begriffen, daß wir uns ganz neue Selbstgefährdungen geschaffen haben, die zu apokalyptischen Visionen führen. Deshalb noch einmal: So wichtig es ist, über die Verantwortung des Bundesnachrichtendienstes und des Bayerischen Landeskriminalamtes aufzuklären - das Bundeskriminalamt hat sich übrigens in der Sache vorbildlich verhalten -, so wichtig es für uns auch ist, aufzuklären, warum uns die Regierung, auch Sie, Herr Schmidbauer, in der Vergangenheit falsch informiert hat, so wichtig viele andere Fragen sind, auch Fragen nach der Zukunft der Aufgaben der Nachrichtendienste und ihrer Kontrolle, das Wichtigste ist, daß wir heute, neun Jahre nach Tschernobyl, begreifen, in welche tödliche Gefahren wir uns begeben, wenn wir nicht erkennen, daß wir die Plutoniumwirtschaft mit ihren planetaren Gefährdungspotentialen kontrollieren müssen - soweit noch irgend möglich -, daß damit nicht leichtfertig umgegangen werden darf und daß wir dazu internationale Zusammenarbeit mehr noch brauchen als nationale Polizeiaktionen. Das Besondere bei diesem Stoff ist ja, daß er sich zunächst nur in staatlicher Verwahrung befindet und daß durch internationale Zusammenarbeit verhindert werden muß, daß er sich daraus löst. In dem Augenblick, in dem die Kontrolle gelockert ist, ist es fast schon zu spät.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Sie müssen zum Schluß kommen.

Norbert Gansel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000631, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deshalb wird es für uns wichtig sein, auch zu klären - dies ist meine letzte Bemerkung, Herr Präsident -, wie es eigentlich möglich war, daß der Bundeskanzler auf Grund eines Fundes von 6 Gramm Plutonium in Tengen zwar am 19. Juli 1994 einen Brief an den russischen Präsidenten Jelzin geschrieben hat, möglicherweise aber nicht informiert worden ist, daß 14 Tage später in München über Plutonium im Umfang des Stoffs für eine Bombe verhandelt worden ist. Entweder hat man die politische Dimension dieser Aktion nicht begriffen und ist in abenteuerlicher, leichtfertiger Weise in Gefahren hineingeschlittert, oder man hat uns falsch informiert, oder man hat in der Bundesregierung falsch informiert. Auch dies wird der Untersuchungsausschuß aufklären. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit sind wir am Schluß dieser Debatte. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 13/1202, 13/1196 und 13/1176 an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 a bis f und den Zusatzpunkt 8 auf: 9. Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler - Drucksache 13/1174 -Überweisungsvorschlag: Innenausschuß b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. Juli 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Islamischen Republik Pakistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen - Drucksache 13/845 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. August 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Mongolei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 13/846 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Überleitung preisgebundenen Wohnraums im Beitrittsgebiet in das allgemeine Miethöherecht ({0}) - Drucksachen 13/1041, 13/1187 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({1}) Rechtsausschuß Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1993 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes ({2}) - - Drucksache 13/867 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs ({3}), Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Altschulden in der Landwirtschaft der neuen Länder - Drucksache 13/812 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({4}) Haushaltsausschuß ZP8 weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren ({5}) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Jahressteuergesetzes ({6}) 1996 - Drucksache 13/1173 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({7}) Auswärtiger Ausschuß Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 a bis h auf: 10. Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gleichstellung stillgelegter und landwirtschaftlich genutzter Flächen - Drucksache 13/121 - ({8}) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({9}) - Drucksache 13/978 - Berichterstattung: Abgeordnete Peter Bleser Dr. Gerald Thalheim b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({10}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, Dr. Gregor Gysi und der weiteren Abgeordneten der PDS zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Hilfen für die neuen Bundesländer - Erfolgreicher Aufbau Ost - Drucksachen 13/579, 13/833 Berichterstattung: Abgeordnete Kurt J. Rossmanith Dr. Wolfgang Weng ({11}) Manfred Hampel Antje Hermenau c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({12}) zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung des Standortübungsplatzes München ({13}) - Drucksachen 13/432, 13/910 - Berichterstattung: Abgeordnete Karl Diller Susanne Jaffke Oswald Metzger Jürgen Koppelin d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({14}) zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung einer Teilfläche der bundeseigenen Liegenschaft „Lee-Barracks" in Mainz-Gonsenheim an die Grundstücksverwaltungsgesellschaft der Stadt Mainz mbH ({15}) - Drucksachen 13/551, 13/911- Berichterstattung: Abgeordnete Karl Diller Susanne Jaffke Oswald Metzger Jürgen Koppelin e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({16}) zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der von den britischen Streitkräften freigegebenen bundeseigenen Wohnsiedlung in Hemer-Sundwig - Drucksachen 13/585, 13/912 - Berichterstattung: Abgeordnete Karl Diller Susanne Jaffke Oswald Metzger Jürgen Koppelin f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Flaushaltsausschusses ({17}) zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 3 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung eines Teils der ehemaligen WGT-Garnison Halle-Heide an die Stadt Halle - Drucksachen 13/646, 13/913 - Berichterstattung: Abgeordnete Karl Diller Susanne Jaffke Oswald Metzger Jürgen Koppelin g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({18}) zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung eines weiteren Teils der ehemaligen WGTGarnison Halle-Heide an das Land Sachsen-Anhalt - Drucksachen 13/633, 13/914 - Berichterstattung: Abgeordnete Karl Diller Susanne Jaffke Oswald Metzger Jürgen Koppelin h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({19}) - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für einen Beschluß des Rates über eine weitere Finanzhilfe für Algerien - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Vorschlag für einen Beschluß des Rates über eine Finanzhilfe für die Ukraine - Drucksachen 13/218 Nr. 17, 13/343 Nr. 2.8, 13/982 Berichterstattung: Abgeordnete Gisela Frick Volker Kröning Dr. Jürgen Warnke Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Gleichstellung stillgelegter und landwirtschaftlich genutzter Flächen, Drucksachen 13/121 und 13/978. - Ich stelle die gewaltige Beteiligung des Bundesrates bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf, den er selber eingebracht hat, fest. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition angenommen. Wir treten in die dritte Beratung und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 10b: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Entschließungsantrag der Gruppe der PDS zur Regierungserklärung zu Hilfen für die neuen Bundesländer, Drucksache 13/579. Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf der Drucksache 13/833, den Entschließungsantrag für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD wurde die Beschlußempfehlung angenommen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 10 c bis 10 g: Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses zur Veräußerung bundeseigener Liegenschaften, Drucksachen 13/910 bis 13/914. Der Abgeordnete Helmut Wilhelm möchte zu dem Tagesordnungspunkt 10e eine Erklärung zur Abstimmung abgeben. Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Helmut Wilhelm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002825, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird dem Verkauf der ehemals von der britischen Rheinarmee genutzten Wohnungen in Hemer-Sundwig an die Firma Immogrund nicht zustimmen. Uns sind nachträglich Umstände zur Kenntnis gelangt, die uns dazu veranlassen. Nach Freigabe durch die britische Armee wurde der Wohnungsbestand durch das Bundesvermögensamt in Soest an 250 Mieter vermietet. Den Mietern wurde gesagt, und es wurde in den Mietverträgen auch schriftlich fixiert, daß ein Verkauf des Wohnungsbestandes an die Baugenossenschaft Hemer beabsichtigt sei, die die Wohnungen zu den gleichen Bedingungen wie vom Bundesvermögensamt Soest festgelegt weiter vermieten würde. Tatsächlich haben die Mieter erst im Dezember vergangenen Jahres erfahren, und zwar erst auf Grund von Verkaufsangeboten hinsichtlich genau dieses Wohnungsbestands als Eigentumswohnungen, daß der Wohnungsbestand nunmehr an die Firma Immogrund veräußert werden soll, die die Weiterveräußerung als Eigentumswohnungen beabsichtigt. Die Mieter dieser Wohnungen sind verständlicherweise verunsichert. Ich zitiere jetzt aus dem Schreiben des Vorsitzenden des CDU-Stadtverbands Hemer an die Wahlkreisabgeordnete Frau Yzer: Ich halte das Verfahren des Bundesvermögensamtes Soest schlichtweg für skandalös und geradezu ein klassisches Beispiel dafür, wie Politik-, Partei- und Staatsverdrossenheit erzeugt wird. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Ich bitte das Bundesministerium der Finanzen für die Zukunft, bei beabsichtigten Verkäufen auch darzulegen, ob andere Verkaufsbewerber vorhanden sind, warum diese nicht berücksichtigt wurden oder warum Verkaufsverhandlungen mit diesen gescheitert sind, und weiterhin Angaben über etwaige weitere Verwertungsvorstellungen der Käufer zu machen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Da das Abstimmungsverhalten einer Fraktion zu einem Punkt dieser fünf Beschlußempfehlungen angekündigt worden ist, lasse ich über diesen einen Punkt gesondert abstimmen. Wir treten also zunächst in die Abstimmung über die Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses unter den Tagesordnungspunkten 10c, 10d, 10f und 10g ein. Ich sehe und höre keinen Widerspruch dazu, daß über diese vier Vorlagen gemeinsam abgestimmt wird. Dann werden wir so verfahren. Wer für diese vier Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind einmütig angenommen worden. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses unter Punkt 10e. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Mit den Stimmen der Koalition und vielen Stimmen der SPD ist die Beschlußempfehlung angenommen worden. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 10h: Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu Vorschlägen der Europäischen Union zu Finanzhilfen für Algerien und die Ukraine, Drucksache 13/982. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Diese Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen worden. Ich rufe Zusatzpunkt 9 der Tagesordnung auf: Weitergeltung von Geschäftsordnungen Interfraktionell wurde vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. zur Weitergeltung von Geschäftsordnungen - hier geht es um die Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses - auf Drucksache 13/1201 zu erweitern. Über diesen Antrag soll ohne Aussprache abgestimmt werden. Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Damit stelle ich den interfraktionellen Antrag zur Abstimmung. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der interfraktionelle Antrag bei drei Enthaltungen angenommen worden ist. Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der gestrigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Berufsbildungsbericht 1995 - Maßnahmenkonzept zur Stärkung der beruflichen Bildung. Das Wort für den einleitenden Bericht hat der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Dr. Jürgen Rüttgers.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat sich in ihrer gestrigen Sitzung mit dem Berufsbildungsbericht 1995 und dem Maßnahmenkatalog zur Stärkung der beruflichen Bildung befaßt. Ziel der Bundesregierung ist es, auch in diesem Jahr zusammen mit Wirtschaft und Gewerkschaften dazu beizutragen, daß allen jungen Leuten, die eine Ausbildungsstelle wollen und diese übernehmen können, eine solche zur Verfügung gestellt wird. Dies bedeutet, daß wir, nachdem wir im Jahr 1994 mit rund 568 000 Ausbildungsverträgen dieses Ziel erreicht haben, für das Jahr 1995 und auch für das Jahr 1996 eine Steigerung des Angebots brauchen, und zwar für die alten Länder im Jahr 1995 eine Steigerung von rund 2 % sowie weiteren 2 % für das Jahr 1996, für die neuen Bundesländer für das Jahr 1995 rund 30 000 Neuverträge; das ist eine Steigerung von 30 %. Sie können sich vorstellen, meine Damen und Herren, daß dies eine große Anstrengung ist. Insgesamt, bezogen auf Gesamtdeutschland, ist es also erforderlich, in den Jahren 1995 und 1996 eine Steigerung von rund 10 % zu erreichen. Die Bundesregierung ist dankbar, daß die Wirtschaft im Spitzengespräch bei Bundeskanzler Helmut Kohl am 15. März 1995 zugesagt hat, einen Zuwachs an Lehrstellen von rund 10 % in diesen zwei Jahren sicherzustellen. Die Bundesregierung will diese Bemühungen begleiten und hat dazu einige konkrete Beschlüsse gefaßt. Vor allen Dingen um den Anstieg der Zahl der Ausbildungsplätze in den neuen Ländern zu fördern, soll ein Programm aufgelegt werden, nach dem Ausbildungsplatzentwickler mit denjenigen Betrieben sprechen, die bisher noch nicht ausbilden. Es geht konkret darum, daß es natürlich gerade in den neuen Bundesländern eine Anzahl von Betrieben gibt, die Probleme beim Erwerb der Ausbildungsberechtigung, bei der Qualifizierung der Ausbilder oder bei der Abstimmung mit der Berufsschule haben. Dieses Programm soll Mitte dieses Jahres beginnen und wird Aufwendungen von rund 15 Millionen DM zur Folge haben. Zum zweiten soll versucht werden, das gemeinsame Ziel der Rückführung außerbetrieblicher Sonderprogramme zugunsten betrieblicher Ausbildung dadurch zu unterstützen, daß man Ausbildungsverbünde schafft, d. h. jungen Leuten die Möglichkeit gibt, etwa einen Teil der Ausbildung in einer Lehrwerkstatt zu absolvieren, einen anderen Teil aber in einem Handwerksbetrieb. Daß eine solche Organisation der betrieblichen Ausbildung teurer ist als in einem Betrieb, ist evident. Ich bin dankbar dafür, daß die Bundesländer in Gesprächen mit der Bundesregierung zugesagt haben, ihre Förderprogramme für den Bereich der dualen Ausbildung ganz konkret auch auf diese Maßnahme umzustellen. Natürlich muß auch der öffentliche Dienst seinen Beitrag leisten. Wir haben hier in den letzten Jahren wie übrigens auch im Bereich der Wirtschaft einen Abbau von Ausbildungsplätzen gehabt. Der Bundeskanzler hat alle Ressorts aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, daß im Rahmen des Bundes eine entsprechende Steigerung erfolgt. Es hat auch bereits ein Gespräch des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten gegeben, die ebenfalls zugesagt haben, dieses Ziel zu unterstützen. Eine entsprechende Initiative im Hinblick auf die Städte und Gemeinden ist in Vorbereitung. Beim Bund hatten wir von 1993 auf 1994 insgesamt einen Rückgang von 7 %, bei den Ländern und den Kommunen einen Rückgang von 16 %. Ich bin dankbar, daß wir im Bereich der Telekom 1 400 Ausbildungsplätze haben werden, daß wir bei der Post AG eine Steigerung um 500 zusätzliche und bei der Bahn AG eine Steigerung um 1 000 zusätzliche Ausbildungsplätze im nächsten Ausbildungsjahr haben werden. Der Maßnahmenkatalog zur Stärkung der beruflichen Bildung hat das Ziel, auch für diejenigen, die noch zwischen einer akademischen und einer beruflichen Ausbildung schwanken, die berufliche Ausbildung attraktiver zu machen. Es handelt sich um eine Vielzahl von Punkten, die gestern behandelt worden sind. Es geht zum einen um die Attraktivität für leistungsstärkere Jugendliche, etwa durch Einführung von Zusatzqualifikationen, durch eine bessere VerBundesminister Dr. Jürgen Rüttgers zahnung von Aus- und Weiterbildung, was konkret bedeutet - das ist ein wesentlicher Fortschritt -, daß die Zeit, die man braucht, um vom Lehrling bis zum Meister aufzusteigen - das ist heute eine Zeit von sieben bis neun Jahren -, durch Änderung der Prüfungsverordnungen auf fünf Jahre reduziert wird, indem die praktische Arbeitszeit zwischen den beiden Ausbildungen verkürzt werden soll. Wir wollen des weiteren für Jugendliche mit Leistungs- oder Motivationsschwächen eine besondere Initiative starten. Heute sind rund 10 % eines Altersjahrgangs noch ohne Berufsausbildung. Um diesen Anteil zu verringern, sollen in Zusammenarbeit mit den Ländern die begleitenden Hilfen an den Schulen und auch in den Arbeitsämtern verbessert und ausgebaut werden. Zum zweiten sollen durch die Neuordnung von Ausbildungsberufen und die Schaffung neuer Ausbildungsberufe bessere Angebote für diesen Kreis junger Leute gemacht werden. Bis zum Herbst 1995 werden wir mit den Sozialpartnern entsprechende Vorschläge für neue Ausbildungsberufe wie etwa den Beruf des Bodenlegers oder des Möbelaufstellers sowie für Ausbildungsberufe im Recycling-Bereich im Rahmen der Geräteverwertung vorlegen. Es gibt mittlerweile ein Einvernehmen zwischen den Sozialpartnern und der Bundesregierung, auch das Verfahren zur Neuordnung von Ausbildungsberufen drastisch zu verkürzen. Das hat bisher - das ist häufig auch in diesem Hohen Hause kritisiert worden - zu lange gedauert: teilweise vier, fünf Jahre und länger. Inzwischen gibt es eine Vereinbarung, wonach es in Zukunft nicht länger als zwei Jahre dauern wird. In dem Zusammenhang werden wir dann auch eine Initiative zur Definition neuer Berufe mit Zukunft vornehmen. Es gibt Bereiche - etwa den Bereich Medien oder auch den Bereich Sport und Freizeit -, in denen noch neue Berufe wie Mediengestalter, Kaufmann für EDV-Systemtechnik, Medienkaufmann, Servicemonteur, Sicherheitstechniker u. ä. definiert werden könnten. Ein weiterer Bereich ist der des Zugangs für Absolventen der beruflichen Bildung zu den Hochschulen. Hier haben die Ministerpräsidenten eine Vereinbarung beschlossen, wonach bis Ende 1995 bundeseinheitliche Kriterien erreicht werden sollen. Das bisherige Verfahren in der Kultusministerkonferenz dauert nach unserer Ansicht zu lange. Von seiten der Bundesregierung haben wir die Länder aufgefordert sicherzustellen, daß dieses wichtige Ziel zur Steigerung der Attraktivität beruflicher Bildung, wie von den Ministerpräsidenten beschlossen, bis Ende dieses Jahres abgearbeitet werden kann. Ich bedanke mich, Herr Präsident, daß ich dies hier vortragen konnte.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Vielen Dank, Herr Minister. Ich bitte zunächst, Fragen zu diesem Themenbereich zu stellen. Die erste Frage hat der Kollege Glotz.

Prof. Dr. Peter Glotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000692, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ihren öffentlichen Äußerungen entnehme ich die optimistische Einschätzung, daß wir auch 1995 jedem Jugendlichen ein Angebot machen können. Ich möchte Sie fragen, woher Sie diesen Optimismus angesichts der Tatsachen nehmen, daß erstens die Großbetriebe immer stärker aus der dualen Ausbildung aussteigen und daß zweitens selbstredend die Bundesregierung keinen direkten Einfluß auf die Planungen der Betriebe hat. Planen Sie einen Lastenausgleich zwischen dem Drittel der ausbildenden Betriebe und den anderen, die nicht ausbilden, oder woher nehmen Sie diesen Optimismus?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Herr Kollege Glotz, ich nehme den Optimismus aus der Tatsache heraus, daß es eine feste Zusage der deutschen Wirtschaft im Rahmen der Lehrstelleninitiative gibt. Es besteht im Moment überhaupt kein Anlaß, an der Erfüllung dieser Zusage zu zweifeln, u. a. deshalb, weil sowohl Wirtschaft wie auch Gewerkschaften während des Spitzengesprächs beim Bundeskanzler auch vereinbart haben, daß in den weiteren Gesprächen bis zum Sommer jeweils über die Fortschritte berichtet wird, so daß es Gelegenheit gibt, die Einhaltung dieser Zusage zu überprüfen. Zur zweiten Frage nach dem „Lastenausgleich": Sie haben jetzt ein neues Wort für die Ausbildungsplatzabgabe in die Debatte eingeführt, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Sie kennen die Haltung der Bundesregierung, die damit begründet ist, daß nach allen Erfahrungen mit solchen Abgaben vermutlich eher das Gegenteil eintreten wird, als daß die jungen Leute einen Ausbildungsplatz bekommen. Die Ausbildungsplatzabgabe würde nie so hoch ausfallen können, daß es für Betriebe nicht viel billiger wäre, diese Abgabe zu zahlen statt selber auszubilden. Leider haben wir ja mit diesem Instrument bei den Behinderten keine sehr guten Erfahrungen gemacht, so daß ich nicht weiß, worin der Optimismus derjenigen begründet ist, die glauben, mit einer solchen Abgabe jungen Leuten helfen zu können.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Vielen Dank. Die nächste Frage hat Frau Kollegin Odendahl.

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, welche konkreten, im Bundeshaushalt abgesicherten Maßnahmen gedenken Sie gegebenenfalls für zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze in den neuen Ländern bereitzustellen? Können wir wie im letzten Jahr davon ausgehen, daß das Bundeskabinett rechtzeitig vor der Sommerpause hierzu Beschlüsse für eventuelle Vereinbarungen mit den neuen Ländern zu einer erneut notwendig werdenden Gemeinschaftsinitiative faßt? Denn auch bei Teilung Ihres Optimismus und in Anbetracht der verbindlichen Zusage der Wirtschaft, nämlich 10 % für die nächsten beiden Jahre aufzustocken, kann ich für die neuen Länder in diesem Jahr keine genügende Abdeckung sehen.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Frau Kollegin Odendahl, Sie kennen die Debatte um dieses Problem auf Grund Ihrer sehr intensiven Beschäftigung mit diesem Thema seit vielen Jahren. Es wird Sie nicht wundern, daß ich zum jetzigen Zeitpunkt, im April, überhaupt nichts in Aussicht stelle, sondern Sie darauf verweisen muß - auch im Interesse der jungen Leute -, daß wir im Rahmen der Bundesregierung vereinbart haben, in den nächsten Wochen und Monaten die Situation intensiv zu verfolgen und auch den Anstieg der Zahl der angebotenen Plätze genau zu analysieren. Wir werden dies im Gespräch mit den Sozialpartnern und den Bundesländern tun. Ich glaube, das ist die Antwort, die ich zum jetzigen Zeitpunkt verantworten kann. Ich weiß, daß Sie dafür Verständnis haben.

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verständnis habe ich dafür nicht, Herr Minister. Aber Sie haben meine Erwartungen eigentlich nicht enttäuscht. Nachdem Sie bei der Finanzierung der beruflichen Bildung nun auf die Umlagefinanzierung umgestiegen sind, habe ich eine Zusatzfrage: Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um eine gerechte Verteilung der Ausbildung in der Wirtschaft sicherzustellen? Es kann ja wohl nicht angehen, daß ausschließlich das Handwerk die Ausbildungsleistungen erbringt, die andere Wirtschaftsbereiche verweigern.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Frau Kollegin Odendahl, über dieses Thema ist im Rahmen der Zukunftsgespräche mit den Vertretern sowohl des Handwerks als auch der Wirtschaft gesprochen worden. Das Thema ist dort von den Vertretern des Handwerks auch angesprochen worden, allerdings nicht so pointiert, wie Sie es gerade formuliert haben. Man hat auf die Ungleichgewichtigkeit und darauf hingewiesen, daß dies zu einem Problem werden kann, das Konsequenzen erfordert, wenn der Abbau im Bereich der Großindustrie weitergeht. Sollte das eintreten, was wir uns gemeinsam im Interesse der jungen Leute wünschen, daß der überproportionale Abbau der letzten Jahre im industriellen Bereich im Zeichen des Aufschwunges jetzt wieder rückgängig gemacht wird, sehe ich keine Notwendigkeit für einen Eingriff seitens des Staates unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit, wie Sie dies formuliert haben.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nächste Frage, Herr Kollege Thönnes.

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister Rüttgers, im Berufsbildungsbericht wird wie bisher auch sehr vage auf die Aufstiegsfortbildung eingegangen. Teilen Sie zur Frage der Aufstiegsfortbildung die Auffassung der CSU-Bundestagskollegin Wöhrl, die in der „Welt" vom 31. März dieses Jahres geschrieben hat, daß das Meister-BAföG bereits im Sommer 1995 eingeführt werden solle und daß für eine effektive und nachhaltige Förderung von 120 000 Betroffenen ein Finanzvolumen von einer Milliarde DM benötigt werde, und teilen Sie die Auffassung des Hauptgeschäftsführers der Handwerkskammer Köln, Herrn Nehrhoff, der im Bonner „General-Anzeiger" der letzten Tage davon gesprochen hat, daß ein Volumen von mindestens 1,5 Milliarden DM erforderlich sei? Mit welchen Gefördertenzahlen auf welcher Datenbasis rechnen Sie? Welchen Mittelbedarf kalkulieren Sie? Gibt es hierzu schon einen Kabinettsbeschluß bzw. wann können wir damit rechnen, daß Sie uns endlich einen detaillierten Gesetzentwurf vorlegen, den wir in den zuständigen Gremien beraten können?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Herr Kollege Thönnes, das erste teile ich, das zweite nicht. Es entspricht auch meinem Wunsch, diesen Gesetzentwurf so schnell wie möglich vorzulegen. Sie haben beliebt zu formulieren „wann endlich". Der darin vielleicht enthaltene Vorwurf ist nicht berechtigt. Ich bin seit knapp fünf Monaten im Amt. Das Bundeskabinett hat bereits im Rahmen des Berichts über die Ausbildungsförderung, der Ihnen vorliegt und im Ausschuß zur Debatte steht, die Grundstrukturen des sogenannten Meister-BAföG aufgezeigt, so daß die politische Debatte begonnen hat und auch von Ihnen beeinflußt werden kann. Was noch fehlt, sind die konkreten Gesetzestexte. Es handelt sich um ein völlig neues Gesetz, das es bisher nicht gegeben hat. Wir arbeiten mit Hochdruck daran. Ich hoffe, daß wir die Arbeit bald abschließen können. Zur Frage der Finanzierung, über die wir uns schon einmal im Rahmen der Regierungsbefragung oder einer der Debatten unterhalten haben: Es hängt schlichtweg davon ab, wie sich die Haushaltsplanung für das Jahr 1996 entwickelt. Daher werde ich bei dem bleiben, was ich damals gesagt habe. Ich sehe mich zur Zeit noch nicht in der Lage, irgendwelche Zahlen bekanntzugeben, mit einer einzigen Ausnahme: Ich bleibe bei meiner Einschätzung, daß die Forderungen, die Herr Nehrhoff in seinem Interview gestellt hat, und die Forderungen, die vom Zentralverband des Deutschen Handwerks in einer Größenordnung von über einer Milliarde DM beziffert worden sind, unrealistisch sind. Mir kommt es darauf an, daß wir dieses Instrument trotz der großen Schwierigkeiten im Finanzsektor für das Jahr 1996 schnell bekommen. Die Konsolidierungspolitik muß fortgesetzt werden. Mir ist es lieber, wir bekommen den Einstieg bald zu geringeren Beträgen, als wenn wir noch länger darauf warten müssen, daß irgendwann einmal das Wünschenswerte umgesetzt wird.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Haben Sie eine Zusatzfrage? - Bitte.

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liegt nach dieser skeptischen Finanzeinschätzung und der Nichtbestätigung der Zahlen, die ich gerade vorgetragen habe, das Fördervolumen noch unterhalb der Meisterfortbildung, die von der Koalition im letzen Jahr nicht weiter fortgesetzt und somit praktisch abgeschafft wurde?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Herr Kollege, ich muß Sie bitten, noch etwas zu warten. Wenn ich jetzt zu dieser Frage Stellung nehmen würde, würde ich an dieser Stelle damit doch einen Finanzrahmen ansprechen. Ich habe persönlich konkrete Vorstellungen, über die ich aber erst öffentlich sprechen werde, wenn sie im Rahmen des Finanzplans abgesichert sind.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zur nächsten Frage der Kollege Bertl,

Hans Werner Bertl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002628, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, der Optimismus, insbesondere im dualen Ausbildungssystem 1995 zu guten Ergebnissen zu kommen, gründet sich ja - so habe ich Sie verstanden - auf ein Stück aus der Betrachtung des vergangenen Jahres und der Zahlen, die letztendlich da im Abschluß festgestellt wurden. Können Sie diesem Hause mitteilen, wie hoch die Zahl der bundesweiten Teilnehmer von jugendlichen Schulabgängern an Maßnahmen § 40c der Bundesanstalt für Arbeit ist, die ja im Berufsbildungsbericht, ich sage mal, pauschal als lernbeeinträchtigte oder sozial benachteiligte Jugendliche gesehen werden, wobei sich aber ein großer Teil von diesen Jugendlichen auf Grund der Tatsache, daß sie keine Ausbildungsstelle gefunden haben, in Grundausbildungslehrgängen befindet? Ein zweiter Aspekt dazu: Ist Ihnen bekannt, daß diese Jugendlichen in der Statistik der Arbeitsverwaltung am 30. September 1994 nicht mehr als Bewerber für eine Ausbildungsstelle gezählt werden, insofern hier also eine massive Verzerrung der tatsächlichen Ausbildungsnachfrage eingetreten ist? Als weitere Frage dazu: Können Sie uns ebenfalls mitteilen, wie hoch bundesweit die Anzahl von Jugendlichen ist, die in Berufsvorbereitungsjahren, Berufsgrundschuljahren und Berufsfachschulen eingemündet sind, ebenfalls auf Grund nicht vorhandener Ausbildungsstellen? Auch bei diesen gibt es den Tatbestand, in der Statistik nicht als Bewerber gezählt zu werden.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Herr Kollege, ich bitte um Verständnis. Sie wissen, daß der Berufsbildungsbericht und seine begleitenden Materialien ein großes Werk sind, ({0}) so daß ich die Zahlen nicht alle im Kopf habe. Wir werden ja jetzt Gelegenheit haben, nachdem der Bericht dem Parlament zugeleitet ist, uns im Detail damit zu befassen. Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, wenn ich Sie jetzt bitte, daß wir bei diesen beiden konkreten Zahlenfragen versuchen, das im Rahmen dieser Debatte zu beantworten. Sollten Sie es vorher hören wollen, bin ich auch gerne bereit, das schriftlich zu machen. Im mittleren Punkt haben Sie ein Grundsatzproblem angesprochen, das auch mit der augenblicklichen Diskussion zusammenhängt. Wir haben ja in den jetzigen Monaten, etwa zum 31. März, entsprechende Statistiken seitens der Bundesanstalt für Arbeit bekommen. Das Problem dieser Statistiken ist zum einen, daß die Zahlen, die wir jetzt haben, natürlich die Entwicklung seit dem Spitzengespräch beim Bundeskanzler noch nicht berücksichtigen können. Zum anderen ist es aber auch so - und das ist ein Problem, das ja jedes Jahr auftritt -, daß diese Statistiken - ich rede jetzt von den Statistiken bei der Bundesanstalt für Arbeit - nach anderen Kriterien erstellt werden, als wir sie z. B. beim Berufsbildungsbericht weitestgehend zugrunde legen. Das heißt, man muß da schon sehr aufpassen, daß man jeweils die entsprechenden Statistiken parallel liest und die entsprechenden Legenden dazu liefert, damit man sie überhaupt verstehen kann. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie darauf hingewiesen haben, weil es mir Gelegenheit gibt, jetzt noch einmal zu sagen, daß das, was zur Zeit an Zahlen in der aktuellen Diskussion ist, mit erheblicher Vorsicht zu betrachten ist. Wir gehen von den Zahlen aus, wie ich sie eben vorgetragen habe.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Sie wollen noch eine Frage stellen.

Hans Werner Bertl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002628, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gehen Sie auf Grund der von mir dargestellten Problematik zumindest dann auch von der Situation aus, daß das Zahlenwerk des Berufsbildungsberichts nur ein Teilausschnitt der tatsächlichen Problematik auf dem bundesdeutschen Ausbildungsmarkt, insbesondere im dualen System darstellt, so daß hier meines Erachtens sehr schnell ernsthafte Überlegungen angestellt werden müssen, wie man tatsächlich zu realen Bedarfssituationen kommt? Sie haben eben die mit der Industrie geplanten Gespräche angeschnitten. Wir haben ja im Moment dramatische Ausstiegsszenarien im Bereich insbesondere der großen Industriebetriebe aus dem Bereich der dualen Ausbildung. Meine Frage: In welcher Richtung gedenken Sie Gespräche mit der Industrie zu führen, insbesondere mit denjenigen, die den Aspekt der dualen Ausbildung mittlerweile als einen wettbewerbserschwerenden Tatbestand für sich, insbesondere auch im europäischen Markt, sehen? Hier wird das duale System erstmalig total in Frage gestellt. Ich glaube, hier sollten auch sehr schnell und frühzeitig konzeptionelle Ansätze gefahren werden. Eine weitere Frage: Sie, Herr Minister, haben eben die zunehmende Tendenz junger Schulabgänger angesprochen, in Studienberufe zu gehen. Sehen Sie hier z. B. einen Zusammenhang mit der Situation, daß 1993 in Westdeutschland 17 % aller Absolventen einer abgeschlossenen Ausbildung, in den neuen Bundesländern 25 % aller Absolventen einer abgeschlossenen Ausbildung, insgesamt über 95 000 junge Absolventen im Anschluß nie übernommen wurden?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Herr Kollege, zum einen ist das Problem von Statistiken nicht nur der Bundesregierung, sondern auch diesem Parlament bekannt. Das, was im Berufsbildungsbericht an Zahlen enthalten ist, ist das Beste, was es überhaupt gibt. Er ist in Zusammenarbeit mit den Sozialparteien, mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften erstellt worden. Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, daß diese Zahlen nach bestem Wissen und nach besten Fähigkeiten erstellt worden sind. Sollten Sie konkret Erweiterungswünsche haben, sei es persönlich, sei es seitens Ihrer Fraktion, so besteht im Rahmen der Ausschußberatungen Gelegenheit, diesen Bericht im Hinblick auf das nächste Jahr zu verbessern. Bisher hat es, soweit ich informiert bin, die Debatte über die Grundlage der Daten noch nicht gegeben. Wenn das in dem einen oder anderen Punkt so war, dann ist das im folgenden Jahr angepaßt worden. Der zweite Punkt ist die Frage, ob es Stimmen gibt, die das duale Ausbildungssystem generell in Frage stellen. Ich persönlich bin der Auffassung - ich weiß, daß die Auffassung von allen Fraktionen dieses Hauses geteilt wird -, daß wir mit dem dualen Ausbildungssystem nicht nur einen Exportschlager in der Hand haben, sondern einen ganz wichtigen Faktor im Rahmen des Standorts Deutschland. Jeder Bestrebung, dieses duale Ausbildungssystem zu gefährden oder sogar zu beschädigen, muß nicht nur widersprochen, sondern auch widerstanden werden. Deshalb haben wir auch in den Gesprächen mit der Wirtschaft diese Position vom Grundsatz her angesprochen. Nach meinem Erkenntnisstand gibt es niemanden, der die Position vom theoretischen Ansatz her in Frage stellt. Das Problem der Kosten, das Sie, sei es im europäischen, sei es im nationalen Vergleich, ansprechen, ist Grundlage einer der Diskussionen im Bereich der Ausbildung, die ich kenne, seit ich im Betrieb meines Vaters, einem Elektrohandwerksbetrieb, schon einmal mit den Problemen von Ausbildungen zu tun hatte. Wir haben dazu entsprechende Untersuchungen angestellt, und zwar sowohl im Bereich der Unternehmen als auch im Bereich der entsprechenden Fachleute. Diese kommen zu der Erkenntnis, daß die Behauptung, das duale Ausbildungssystem sei aus Kostengründen eine Erschwernis im Standort Deutschland, nicht haltbar sei. Die Erschwernis läßt sich von den Fakten her nicht belegen. Ich muß zugeben, daß ich Ihre dritte Frage jetzt nicht mehr im Kopf habe. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Dann rufe ich die Frage des Kollegen Barthel auf. ({0}) - Herr Kollege Bertl, ich bitte wirklich um Verständnis. Sie haben eine ganze Serie von Fragen losgelassen. ({1}) - Entschuldigung, Herr Kollege, ich habe Ihnen das Wort nicht erteilt. Ich habe als nächsten Fragesteller den Kollegen Barthel aufgerufen.

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, obwohl Sie für diesen Bereich, wie ich meine, beschönigte Zahlen benutzt haben, haben Sie von der Notwendigkeit der Ausweitung des Angebots an Ausbildungsplätzen im öffentlichen Dienst gesprochen. Davon, was in dem Bereich geschieht, in dem die Bundesregierung selbst die Verantwortung trägt, hängt im wesentlichen auch die Glaubwürdigkeit Ihrer ganzen Appelle und Selbstverpflichtungen ab. Daher meine Frage: Welche konkreten Zahlenvorgaben macht denn die Bundesregierung für den Arbeitgeber Bund? Sie haben sich da sehr vage ausgedrückt, während Sie in allen anderen Bereichen immer Zahlen nennen. Deswegen frage ich Sie: Welche zahlenmäßigen Vorgaben machen Sie, und welche haushaltswirksamen Maßnahmen planen Sie, um die Zahl der Ausbildungsplätze beim Arbeitgeber Bund tatsächlich zu erhöhen?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Erstens, Herr Kollege, weise ich Ihre Bemerkung, daß meine Zahlen geschönt seien, zurück. Das ist nicht wahr. Das merkt man auch schon daran, daß diese Zahlen sehr klar auch die große Herausforderung deutlich machen, vor der wir in den nächsten Wochen und Monaten stehen. Zweitens stimme ich mit Ihnen überein, daß natürlich das Verhalten seitens des Bundes - übrigens aber auch das der Länder und Kommunen, also das der gesamten öffentlichen Hand - hier vorbildlich sein muß. Deshalb ist es auch wichtig, daß wir mit den Ländern und den Kommunen gesprochen haben, wo der Abbau viel größer war als im Bereich des Bundes. Drittens halte ich eine Strategie nicht für richtig, die eine abstrakte Zahl setzt, welche im Bereich der einzelnen Ministerien und der nachgeordneten Behörden erbracht werden muß, und die vielleicht sogar den Schluß zieht, daß dafür soundso viel Geld zur Verfügung gestellt wird. Ihnen wird bekannt sein, daß es nicht nur darauf ankommt, daß quantitativ entsprechende Stellen zur Verfügung stehen, sondern auch darauf, daß dies Stellen sind, die jungen Leuten eine Ausbildungs- und Lebensperspektive geben. Das heißt, es muß zunächst einmal versucht werden, in den Behörden inhaltlich zu überprüfen, wo diese Steigerung sinnvollerweise, etwa in Richtung Zukunftsberufe, erfolgt. Es ist dies ja das Problem, das wir in diesem Jahr etwa bei der Post und bei der Bahn haben. Durch die Umstrukturierung fallen bestimmte Tätigkeiten weg, und es macht überhaupt keinen Sinn, in diesem Bereich Stellen anzubieten, wenn es nach der Ausbildung überhaupt keine Arbeitsplatzmöglichkeiten mehr gibt.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Minister Rüttgers, ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, daß Sie eine dritte Frage des Herrn Kollegen Bertl noch nicht beantwortet haben.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Das liegt daran, Herr Präsident, daß ich sie vergessen hatte. Der Kollege hatte sie auch gerade vergessen, aber sie ist ihm wieder eingefallen. Er kann mir also helfen, und dann will ich versuchen, sie zu beantworten. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Barthel, sind Ihre Fragen beantwortet?

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe noch eine Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Dann erledigen wir erst das. Anschließend kommen wir zu Herrn Kollegen Bertl zurück.

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine Zusatzfrage zu dem Punkt, den Sie gerade angesprochen haben. Es gibt immer noch eine Zunahme des Problems, daß nach der Ausbildung nicht übernommen wird. Gerade haben Sie wieder das alte Spiel gemacht, dies als Argument gegen eine Ausweitung von bestimmten Ausbildungen zu verwenden. Deswegen frage ich Sie jetzt einmal andersherum: Was gedenkt die Bundesregierung auch bei den Gesprächen mit der Wirtschaft zu tun, um das Defizit, das es immer noch gibt, zu beseitigen? Eine Ursache dieser Nichtübernahme nach der Ausbildung ist ja die offensichtliche Auseinanderentwicklung von Ausbildungsbereich im dualen System und Arbeitsplatzbedarf. Was tut die Bundesregierung, um im Bereich der beruflichen Bildung zu einer stärkeren Angleichung des Ausbildungsmarktes an den Arbeitskräftebedarf zu kommen, so daß in den Berufen und Betrieben ausgebildet wird, in denen übernommen werden kann?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Erstens, Herr Kollege, möchte ich ausdrücklich betonen - und ich danke Ihnen für diese Frage -, daß ich jedem Betrieb dankbar bin, der über den Bedarf hinaus ausbildet. Das erste und wichtigste Ziel ist, daß die jungen Leute eine Chance zur Ausbildung bekommen. Darin sind wir sicher einer Meinung. Das heißt in der Konsequenz, daß diejenigen, die über Bedarf ausbilden, natürlich keine Zusage für die Übernahme machen können. Darüber haben wir mit den Gewerkschaften gesprochen. Ich bitte um Verständnis, wenn ich Gelegenheit nehme, einmal öffentlich zu sagen, daß wir von seiten der Politik - das dürfte eine einheitliche Auffassung sein - im Anschluß daran denjenigen, die jetzt über Bedarf ausbilden, aber nicht übernehmen, keinen Vorwurf machen. Wir sollten dankbar dafür sein, daß sie erst einmal die Ausbildungsleistung tragen. Der zweite Teil - deswegen habe ich soeben auf den Maßnahmenkatalog hingewiesen - ist, daß wir mit der Anpassung dessen, was an Ausbildungsplätzen da ist, an den Bedarf viel schneller sein müssen. Das war das Thema, das Sie angesprochen haben. Deshalb habe ich die „Initiative Zukunftsberufe" wie auch die sehr intensiven Bemühungen genannt, die Zeiten zur Definition von Ausbildungsberufen oder zur Anpassung von entsprechenden Berufsbildern auf höchstens zwei Jahre drastisch zu verkürzen. Das heißt konkret - deshalb habe ich die Beispiele dafür genannt -, daß wir in einer Vielzahl von Berufen schon unmittelbar mit der Arbeit begonnen haben, und wir wollen sie bis spätestens nächstes Jahr abschließen. Es ist der Versuch, die Palette der Berufe zu erweitern.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Wir kehren zur dritten Zusatzfrage des Kollegen Bertl zurück. Herr Kollege, Sie müssen daran denken, daß wir insgesamt nur noch fünf Minuten zur Verfügung haben.

Hans Werner Bertl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002628, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. Die Frage bezog sich auf die Situation der nicht erfolgten Übernahme und auf das in den letzten Jahren in den Berufsbildungsberichten erkennbare leichte Bedauern des massiven Zustroms in Studienbereiche. Ich hatte gefragt, ob das im Zusammenhang mit den 95 000 nicht übernommenen Jugendlichen im Jahre 1993 zu sehen sei und welche konzeptionellen Überlegungen, von dieser Situation ausgehend, in Ihrem Hause vorgenommen werden.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, habe ich die Frage schon beantwortet. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich rufe die Frage des Kollegen Braune auf. Bitte schön, Herr Kollege.

Tilo Braune (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002635, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, Sie haben in Ihrer gestrigen Pressekonferenz den für mich bemerkenswerten Satz gesagt: Ich will erreichen, daß bis Ende 1995 gleichberechtigte transparente Hochschulzugangswege nach einheitlichen Kriterien für Absolventen einer beruflichen Ausbildung geschaffen werden. Es erhebt sich für mich die Frage, Herr Minister: Warum haben die Bundesregierung und auch die sie tragenden Koalitionsfraktionen in der 12. Legislaturperiode dem Entwurf einer Vierten Hochschulrahmengesetz-Novelle der SPD-Bundestagsfraktion, die genau dieses Ziel hatte, seinerzeit nicht zugestimmt?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Herr Kollege Braune, Ihnen ist bekannt - deshalb habe ich eben darauf hingewiesen -, daß die Frage einer Novellierung des Hochschulrahmengesetzes von den Ländern durchaus unterschiedlich betrachtet wird. Das ist immer der alte Streit über die Frage der Zuständigkeiten: ob die Länder das in eigener Zuständigkeit oder wir hier machen. Mir kommt es da sehr darauf an, daß das, was an gemeinsamen Zielvorstellungen entwickelt worden ist, umgesetzt wird. Das aktuelle Problem - ich habe mich auf die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz bezogen; das ist kein Beschluß der Bundesregierung und auch nicht die Meinung des zuständigen Ministers, sondern ein Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz - ist nun folgendes: Im Hinblick auf die Umsetzung dieser Beschlüsse muß ich leider feststellen, daß die bisherigen Zeitvorstellungen der Kultusminister für diesen Prozeß viel zu langfristig angelegt sind. Wenn das so gemacht würde, bestünde überhaupt nicht die Chance, zu dieser notwendigen Vereinheitlichung - über deren Notwendigkeit sind wir ja einer Meinung - in absehbaren Zeiträumen zu kommen. Wer sich ansieht, welche unterschiedlichen Regelungen heute in den verschiedenen Ländern bestehen, weiß, daß diese Vereinheitlichung dringend notwendig ist. Ich möchte also gerne die Ministerpräsidenten unterstützen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Das Wort hat die Kollegin Altmann. Bitte schön!

Elisabeth Altmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002619, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, meine Frage betrifft noch einmal den Abbau der Ausbildungsplätze im öffentlichen Dienst. Wie erklären Sie sich denn den eben von Ihnen erwähnten starken Rückgang von Ausbildungsplätzen beim Bund, besonders aber bei Ländern und Kommunen?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Frau Kollegin, ich habe Ihnen die Zahlen eben genannt. Die Situation beim Bund ergibt sich daraus, daß wir auf Grund der Sonderentwicklungen bei Bahn und Post - Stichworte: Privatisierung, Umstrukturierung, Neuordnung des gesamten Systems - zu einem erheblichen Abbau von Ausbildungsplätzen gekommen sind. Wir versuchen im Moment, hier gegenzusteuern. Die Zahlen habe ich genannt. Wenn Sie das umrechnen, kommen Sie beim Bund auf einen Rückgang von 7 %. Bei Ländern und Kommunen beträgt der Rückgang 16 %. Die Begründung dafür scheint mir relativ einleuchtend zu sein: daß wegen der im Rahmen des Konsolidierungsprozesses angestrebten Kostenreduzierungen auch Ausbildungsplätze abgebaut werden. Mir kommt es jetzt darauf an, auch mit Hilfe der Benennung dieser Zahlen mit dieser Initiative dafür Sorge zu tragen, daß dieser Trend nicht nur gestoppt, sondern umgedreht wird.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Die Zeit für die Befragung ist nahezu abgelaufen. Ich rufe als letzten den Kollegen Carstensen auf.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, gestatten Sie, daß ich mich nach der eher globalen Betrachtung in die Niederungen regionaler Einzelheiten begebe und mich auch einmal dafür bedanke, daß insbesondere die Bundeswehr auf dem Ausbildungsplatzsektor hervorragende Arbeit in einem Raum geleistet hat, in dem sicherlich kaum ein Flugzeugmechaniker oder Fernmeldetechniker anschließend angestellt werden kann. Gleichwohl sind wir sehr dankbar dafür gewesen, daß gerade die Bundeswehr in diesem Bereich extrem viele Arbeits- und Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt hat.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Herr Kollege Carstensen, ich bin dankbar, daß Sie das ausdrücklich herausstellen. Ich habe gestern Gelegenheit genommen, mich im Bereich der Werften an der Küste genauer über die Frage der Ausbildungsplätze zu informieren. Dort sind ja auch gerade entsprechende Anpassungen der Berufsbilder erfolgt, worüber ich auch mit Betriebsräten geredet habe. Ich kann feststellen, daß das Bemühen vorhanden ist, in allen diesen Bereichen zu helfen, daß es zum Teil allerdings wirklich sehr großer Anstrengungen bedarf, und ich bin jedem dankbar, der sie in den nächsten Wochen und Monaten unternimmt.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit beende ich die Befragung. Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksache 13/1162 Für die Fragestunde sind zwei Stunden vereinbart. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatssekretär Franz-Josef Feiter zur Verfügung. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Grill auf: Kann die Bundesregierung die Aussage der Umweltministerin des Landes Niedersachsen, Monika Griefahn, vom 23. Februar 1995 vor dem Landtag in Niedersachsen bestätigen, wonach der Bund beabsichtige, die Mittel für den Küstenschutz zu streichen, mit der Begründung, dies sei allein „Sache der norddeutschen Küstenländer"?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Sowohl in Art. 91a des Grundgesetzes wie auch im Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" wird der Küstenschutz ausdrücklich als Aufgabe genannt. Im Unterschied zu den agrarstrukturellen Maßnahmen, wo sich der Bund mit 60 % beteiligt, erstattet der Bund bei Küstenschutzmaßnahmen sogar 70 % der jedem Land in Durchführung des Rahmenplans entstehenden Ausgaben. Im Rahmenplan für 1995 sind vorbehaltlich der endgültigen Beschlußfassung des PLANAK für den Küstenschutz ca. 148 Millionen DM Bundesmittel vorgesehen. Für das Land Niedersachsen sind 70 Millionen DM vorgesehen, was eine Steigerung von 25 % gegenüber 1994 bedeutet. Die von der niedersächsischen Umweltministerin in der Plenarsitzung des Landtags am 23. Februar 1995 aufgestellte Behauptung, der Bund wolle die Küstenmittel ganz streichen, entbehrt damit jeder Grundlage.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Es liegen keine weiteren Fragen vor. Ich danke Ihnen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Kraus zur Verfügung. Wir kommen zu Frage 2 der Abgeordneten Ernstberger: Bestehen seitens der Bundesregierung/des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung Überlegungen, und falls ja, welche, die seit 1. Oktober 1993 geltende Bemessung ausländischer Werkvertragsarbeitnehmer im Baugewerbe an der Beschäftigungszahl des deutschen Vertragspartners ({0}) auf andere Branchen und/oder andere Arbeitnehmerkategorien ({1}) zu erweitern?

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die seit dem 1. Oktober 1993 geltende Quotierungsregelung für ausländische Arbeitnehmer, die im Rahmen von Werkverträgen zwischen ausländischen und deutschen Baufirmen beschäftigt werden dürfen, auf andere Branchen auszuweiten. Der Schwerpunkt der Beschäftigung ausländischer Werkvertragsarbeitnehmer liegt eindeutig im Baubereich. Auch die Übernahme der Quotierungsregelung auf andere befristete Beschäftigungsformen ist nicht vorgesehen. Hinsichtlich der Beschäftigung von Saisonarbeitnehmern ist anzumerken, daß die Bundesregierung bereits im Herbst 1993 die Sonderregelung aufgehoben hat, auf Grund deren Bauarbeiter aus den ehemaligen Ostblockstaaten eine Tätigkeit im Rahmen dieser Beschäftigungsform ausüben durften. Seither ist die Beschäftigung auf im engeren Sinn typische Saisonbetriebe der Land- und Forstwirtschaft, des Hotel- und Gaststättengewerbes, der Obst- und Gemüseverarbeitung sowie der Beschäftigung in Sägewerken beschränkt. Die Beschäftigung ausländischer Gastarbeitnehmer erfolgt im Rahmen festgelegter Kontingente. Ziel der Gastarbeitnehmervereinbarungen, die mit zehn Staaten abgeschlossen sind, ist nicht die Eröffnung zusätzlicher Beschäftigungsmöglichkeiten für ausländische Arbeitnehmer. Vielmehr sollen die Arbeitnehmer durch eine sprachliche und berufliche Qualifizierung - in der Regel im Rahmen von „learning by doing" - für eine spätere qualifizierte Tätigkeit oder Gründung einer selbständigen Existenz in ihrem Heimatland befähigt werden. Eine Quotierung auf bestimmte Branchen ist deshalb nicht sinnvoll. Bei der angesprochenen Grenzgängerregelung handelt es sich um eine eng begrenzte Beschäftigungsmöglichkeit für Tagespendler aus der Tschechischen und der Polnischen Republik. Die Beschäftigung von Grenzgängern unterliegt dem Grundsatz der Arbeitsmarktprüfung vor Erteilung der Arbeitserlaubnis, d. h. der Vorrangprüfung deutscher oder vergleichbarer Arbeitnehmer. Eine Quotierung auf bestimmte Branchen ist somit entbehrlich.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Noch eine Zusatzfrage, bitte.

Petra Ernstberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002648, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist Ihnen aber doch sicher bekannt, daß sich durch diese Quotierung gerade im Baugewerbe arbeitsmarktpolitische Verbesserungen manifestiert haben. Damit haben Sie doch ein Instrumentarium in der Hand, um gerade auch hier illegale Beschäftigungen etwas zu reduzieren und die Kontrollmöglichkeiten für die entsprechenden staatlichen Stellen zu verbessern. Warum versucht die Bundesregierung nicht, dieses bewährte Instrumentarium eben auch auf andere Branchen überzuleiten?

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Wir denken, daß die Struktur der Beschäftigungen in anderen Branchen eben nicht vergleichbar ist mit der großen Zahl der Beschäftigten auf den einzelnen Baustellen, wie dies früher der Fall war. Die anderen Fälle - auch im Rahmen von Werkverträgen - bieten von sich aus geringere Möglichkeiten.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zusatzfrage von Herrn Büttner.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf die Fragen der Kollegin Ernstberger erklärt, Ziel dieser Regelung sei u. a., Arbeitnehmer aus den osteuropäischen Staaten zu befähigen, in ihren Heimatländern selbstän2596 Hans Büttner ({0}) dige Tätigkeiten zu übernehmen. Hat die Bundesregierung, nachdem es diese Regelung inzwischen seit Jahren gibt, schon Erfahrungen und Zahlen darüber, wieviel dieser hier beschäftigten Arbeitnehmer in ihren Heimatländern daraufhin selbständig geworden sind? Eine solche Begründung hat nur dann einen Sinn, wenn man den Erfolg auch überprüft.

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Herr Kollege Büttner, Sie haben richtig gehört. Was ich in bezug auf das Erlernen von Befähigungen und insbesondere über die Möglichkeit, sich später selbständig zu machen, sagte, bezieht sich primär auf die Beschäftigten im Rahmen des sogenannten Gastarbeitnehmerabkommens. Das heißt, es ist eine relativ geringe Zahl, die für diese Beschäftigungsmöglichkeit überhaupt in Frage kommt. In der Tat steht hier nicht die Beschäftigung, sondern die Ausbildung im Vordergrund. Ich kann heute keine Zahlen nennen. Ich kann mich höchstens einmal bemühen, solche Zahlen zu ermitteln. Ich weiß aber aus Gesprächen, daß in den Bereichen, in denen das besonders sinnvoll gemacht worden ist, nämlich dort, wo deutsche Firmen von vornherein die Absicht hatten, in den MOE-Staaten selbständige Niederlassungen gründen zu lassen und sie dann zu besetzen, auf der einen Seite selbständige Existenzen geschaffen worden sind, zum anderen aber - das ist mit dieser Zielsetzung gleichrangig - dafür gesorgt worden ist, daß Leute, die in diesen Niederlassungen dann als Angestellte tätig sind, in besonderer Weise qualifiziert worden sind.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Weitere Zusatzfrage des Kollegen Kubatschka.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben immer von den Qualifizierungen der Arbeitnehmer gesprochen. Ich komme jetzt vom Gastgewerbe weg. Wie mißt die Bundesregierung ihren Erfolg?

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Entschuldigung, ich habe nicht von „Gastgewerbe", sondern von „Gastarbeitnehmern" gesprochen.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gastarbeiter.

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Gastarbeitnehmer. Das ist ein bestimmter Begriff. Das hat nicht allein etwas mit Gaststätten zu tun.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wie mißt die Regierung den Erfolg dieser Tätigkeit im Heimatland?

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Wir messen es durch die Berichte, die uns natürlich zugänglich sind, und natürlich auch durch die Anforderungen, die neu hinzukommen. Andere Möglichkeiten, es konkret zu messen, gibt es selbstverständlich nicht. Es gibt keine Prüfungen, es gibt auch keine Nachfragen, wer was später in seinem Beruf in seinem Heimatland macht.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe Frage 3 der Kollegin Ernstberger auf: Hält die Bundesregierung/das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung die Kontrollinstrumentarien zur Bekämpfung der illegalen Ausländerbeschäftigung und unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung quantitativ und qualitativ für ausreichend?

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Zu dieser Frage, Frau Kollegin, möchte ich folgendes bemerken: Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hält die Kontrollinstrumentarien zur Bekämpfung der illegalen Ausländerbeschäftigung und unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung quantitativ und qualitativ für generell ausreichend. Weitere personelle Verstärkungen bei den mit der Bekämpfung illegaler Ausländerbeschäftigung und unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung befaßten Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit, z. B. durch beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nicht mehr benötigte Bedienstete, werden jedoch ausdrücklich nicht ausgeschlossen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Eine Zusatzfrage.

Petra Ernstberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002648, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, dann möchte ich Sie doch fragen, ob Sie es in Ihrem Selbstverständnis für ausreichend halten, daß in dem Landesarbeitsamt Nürnberg, Stützpunkt Nürnberg, ein einziger Bediensteter - in diesem Fall ein Angestellter - für Ansbach, Bamberg, Bayreuth, Hof, Weiden, Schwandorf, Nürnberg, Regensburg und Weißenburg zuständig ist?

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Sie behaupten, ein einziger Angestellter sei für diesen weiten Bereich zuständig?

Petra Ernstberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002648, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ein Mitarbeiter.

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Ein Mitarbeiter. Ich kann das jetzt deshalb nicht beantworten, weil ich nicht weiß, ob diese Information richtig ist. Sie scheint mir auf den ersten Blick natürlich nicht richtig zu sein. Ich möchte aber nichts behaupten, was ich nicht mit Sicherheit weiß. Wenn es so sein sollte, wäre es in der Tat natürlich nicht ausreichend. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Haben Sie noch eine Zusatzfrage?

Petra Ernstberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002648, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das vielleicht nachprüfen könnten. Weiter möchte ich fragen: Welche Maßnahmen würden Sie dann ergreifen, um hier Verbesserungen einzuführen?

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Ich werde dieser Sache gern nachgehen und werde Ihnen sagen, was wir getan haben, wenn Ihre Information zutrifft.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Eine Zusatzfrage des Kollegen Büttner.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, inwieweit unterstützt die Bundesregierung im Rahmen ihrer rechtlichen Beratung die Arbeitsämter und die Arbeitsverwaltungen bei der Bekämpfung der zunehmenden illegalen Arbeitnehmerüberlassung auf dem Bau? Es handelt sich hier um Angebote aus Ländern der EU, die an die Bauwirtschaft gerichtet werden. Ich nehme an, Ihnen sind verschiedene Angebote, die von niederländischen, englischen und sonstigen Firmen den Baufirmen speziell in Bayern und in anderen Bundesländern gemacht werden, bekannt, wo nicht mehr Werke angeboten werden, sondern die Überlassung von Arbeitnehmern zu günstigeren Bedingungen. Das ist in der Tat ein eklatanter Widerspruch in sich. Ich frage: Wie geht die Bundesregierung gegen solche illegalen Angebote vor?

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Erstens wird natürlich jedem Fall eines solchen Angebotes, das unserem geltendem Recht widerspricht, nachgegangen, wenn er bekannt wird. Zweitens wissen Sie aber, daß das nicht der Schwerpunkt unserer Schwierigkeiten zur Zeit ist. Der Schwerpunkt liegt vielmehr ganz woanders, nämlich dort, wo nach heutigem Recht ausländische Arbeitnehmer legal bei uns tätig werden, die unter Bedingungen im Hinblick auf Lohn und soziale Absicherung arbeiten, wie sie in ihren Heimatländern üblich sind.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Haungs, bitte schön.

Siegfried Hornung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000961, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hornung ist mein Name. - Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß wir nicht in erster Linie die Administration, sprich: die Arbeitsverwaltung, zur Überwachung der illegalen Arbeitskräfte bei uns einsetzen, weil dies einfach nicht machbar ist, daß vielmehr gerade innerhalb der Betriebe sehr viele Mitarbeiter, die gewerkschaftlich organisiert und oftmals auch freigestellt sind, durchaus einen Beitrag dazu leisten könnten, daß illegal Beschäftigte leichter aufgespürt und gemeldet werden können?

Rudolf Kraus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001202

Selbstverständlich kann man sich das vorstellen. Ich gehe auch davon aus, daß dies in verschiedenen Fällen in der Vergangenheit bereits der Fall war. Es ist in der Tat sehr wichtig, Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung zu bekämpfen. Das bedarf auf jeden Fall der Mitarbeit sowohl von der Unternehmerseite - das ist auch im Hinblick auf die Konkurrenzsituation wichtig - als auch von seiten der Beschäftigten der jeweiligen Firmen, natürlich auch solcher Firmen, die z. B. auf Baustellen in legaler Weise tätig sind.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Hornung, ich muß Ihnen einfach sagen: Sie tragen nicht immer eine Brille. ({0}) - Sehen Sie; schon sieht die Optik ganz anders aus. ({1}) Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Damit beenden wir die Behandlung dieses Geschäftsbereichs. Herr Staatssekretär Kraus, vielen Dank. Ich rufe damit die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit auf. Die Fragen sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Altmann auf: Was tut die Bundesregierung, um die Bürgerinnen und Bürger vor explodierenden Abfallgebühren durch den Zubau von überhöhten Müllverbrennungskapazitäten zu schützen, und sollen mit Hilfe der Technischen Anleitung ({2}) Siedlungsabfall Verbrennungskapazitäten aufgebaut werden, um die Restmüllmenge wieder ansteigen zu lassen? Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Klinkert zur Verfügung.

Ulrich Klinkert (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001134

Frau Kollegin Altmann, entsprechend der von der Bundesregierung eingeleiteten Weiterentwicklung der Abfallwirtschaft zu einer modernen Kreislaufwirtschaft sehen die Vorgaben der Technischen Anleitung Siedlungsabfall im wesentlichen vor, daß nicht vermeidbare Abfälle möglichst zu verwerten sind, daß nur der danach verbleibende Restabfall abgelagert werden darf und daß die Ablagerung in reaktionsträger, also inerter, Form erfolgen muß. Mit dem Vorrang der Verwertung vor der Beseitigung wird die Menge der zu beseitigenden Restabfälle beträchtlich reduziert, so daß entsprechend geringere Deponie- und Müllverbrennungskapazitäten erforderlich werden. Insoweit wird einer Zunahme von überhöhten Müllverbrennungskapazitäten entgegengewirkt. Zur Vermeidung zukünftiger, aufwendig zu sanierender Altlasten fordert die Technische Anleitung Siedlungsabfall zudem eine Vorbehandlung von nicht weiter verwertbaren Restabfällen, um sie deponiefähig zu machen. Hierfür ist der Einsatz thermischer Verfahren notwendig. Das umweltverträgliche Konzept der Technischen Anleitung Siedlungsabfall dient somit neben der Verbesserung der Entsorgungssicherheit in besonderer Weise dem Schutz der Umwelt und dem Wohl der Allgemeinheit. Die Umsetzung dieses Konzeptes erfordert bei vielen Kommunen Investitionen für die häufig noch fehlenden Anlagen zur umweltfreundlichen Abfallentsorgung. Erhöhte Anstrengungen im Umweltschutzbereich tragen allerdings vielfach auch zu steigenden Abfallgebühren bei. Die Bundesregierung bemüht sich in Zusammenarbeit mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden um Lösungen, die einem weiteren Anstieg der Entsorgungsgebühren entgegenwirken. Beispielhaft sei auf den Maßnahmenkatalog zur Dämpfung der Abwasser- und Abfallgebühren hingewiesen, der 18 Punkte umfaßt und gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden im Juni 1994 verabschiedet wurde.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Haben Sie eine Zusatzfrage? - Bitte schön.

Elisabeth Altmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002619, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich meine nicht, daß meine Frage beantwortet worden ist. Ich möchte sie deshalb noch einmal an einem Beispiel verdeutlichen. In Mittelfranken ist ein jährliches Restmüllaufkommen von 450 000 Tonnen zu verzeichnen. Es werden aber für über 650 000 Tonnen Verbrennungskapazitäten aufgebaut, d. h. über ein Drittel zuviel. Ich frage zum einen: Entspricht das den Grundsätzen einer sparsamen Haushaltsführung des Bundes? Zum anderen frage ich aber auch: Konterkariert das nicht die Bestrebungen auf kommunaler Ebene und auf Bundesebene, wenn es denn solche bei der Regierung gibt, zur Verminderung oder zur Vermeidung von Abfall?

Ulrich Klinkert (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001134

Frau Kollegin, die Bundesregierung ist nicht für die regionale Planung von Abfallbehandlungsanlagen zuständig. Insofern müßte Ihre Frage an die dort zuständigen Entscheidungsbehörden gehen. Ich könnte mir aber vorstellen, daß zentrale Behandlungsanlagen auch überregional Verwendung finden. Das entzieht sich aber im konkreten Fall meiner Kenntnis.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Sie haben eine zweite Zusatzfrage. Bitte schön.

Elisabeth Altmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002619, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist die Überprüfung der TA Siedlungsabfall hinsichtlich der Ablagerungen von Reststoffen aus alternativen Verfahren bis Ende 1995 abgeschlossen, wie es der Beschluß des Bundesrates vorgesehen hat? Wenn nicht: Wie wird dann weiter mit alternativen Verfahren umgegangen?

Ulrich Klinkert (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001134

Die TA Siedlungsabfall schreibt kein bestimmtes Verfahren vor, dem Abfälle zu unterziehen sind, bevor sie abgelagert werden. Sie legt vielmehr Grenzwerte fest, bevor eine Ablagerung von Reststoffen erfolgen darf. Auf welche Weise dies erreicht wird, läßt die TA Siedlungsabfall offen. Nach derzeitigem Stand der Technik sind dazu allerdings nur thermische Verfahren geeignet. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Die nächste Zusatzfrage hat der Abgeordnete Dr. Rochlitz.

Prof. Dr. Jürgen Rochlitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002763, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, können Sie mir eine sinnvolle naturwissenschaftliche Erklärung dafür geben, daß nach der TA Siedlungsabfall der Glühverlust lediglich 5 % betragen soll? Können Sie mir erklären, weshalb nur bei diesem Grenzwert eine Inertisierung eintreten soll, wie Sie sie beschrieben haben?

Ulrich Klinkert (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001134

Der Glühverlust ist ein Äquivalent für den Bestandteil an organischem Kohlenstoff im Restabfall. Dieser Grenzwert läßt erwarten, daß es zu keinen unkontrollierbaren Reaktionen in einem Deponiekörper kommen wird. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Rochlitz, Sie haben bereits eine Frage gestellt. Es tut mir leid, Herr Kollege. Nach den Richtlinien für die Fragestunde können Sie nur eine Frage stellen. Ich sehe keine weiteren Zusatzfragen. Die Frage 7 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Herr Staatssekretär Klinkert, besten Dank. Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft auf. Zur Verfügung steht Herr Staatssekretär Dr. Kolb. Herr Robbe, mir ist gesagt worden, daß Sie Ihre Fragen schriftlich beantwortet haben möchten. ({0}) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch - Dann rufe ich die Frage 8 des Kollegen Robbe auf: Wie hoch ist das Gesamtvolumen der Hermes-Bürgschaften für das Jahr 1994, und wie setzten sich die Anteile der Hermes-Bürgschaften nach den Ländergruppen westliche Industrieländer, osteuropäische und GUS-Staaten und Entwicklungsländer prozentual zusammen? Herr Staatssekretär.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Robbe, 1994 wurden Hermes-Bürgschaften in Höhe von 33,4 Milliarden DM neu übernommen. Davon entfielen auf die westlichen Industrieländer 3,6 Milliarden DM, auf osteuropäische und GUS-Staaten 4,4 Milliarden DM und 25,4 Milliarden DM auf Entwicklungsländer.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Haben Sie eine Zusatzfrage?

Reinhold Robbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002762, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Dann rufe ich Frage 9 des Kollegen Robbe auf: Ist das Gesamtvolumen der Hermes-Bürgschaften und der Anteile der Geschäfte mit Entwicklungsländern an den Gesamtzusagen im Zeitraum 1. Juli bis 31. Dezember 1994 seit der Neuregelung des Entgeltsystems im Vergleich zum gleichen Zeitraum der Vorjahre ab 1990 zurückgegangen, und wenn ja, um wie viele? Herr Staatssekretär.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege, die Einführung der Entgeltreform per 1. Juli 1994 hatte bisher auf das Volumen der für Entwicklungsländer übernommenen Deckungen keinen Einflug. Aussagen über die Auswirkung der neuen Hermes-Entgelte auf Besteller in Entwicklungsländern sind wegen des kurzen Zeitraums derzeit noch nicht möglich. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Die Fragen 10 und 11 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Dann rufe ich die Frage 12 des Kollegen Dr. Ramsauer auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Unterstellungen der Stromwirtschaft, namentlich von der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke ({0}), das Stromeinspeisungsgesetz sei verfassungswidrig?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Präsident, wenn Sie gestatten, möchte ich die Fragen 12 und 13 im Zusammenhang beantworten.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Ramsauer, sind Sie damit einverstanden?

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin einverstanden.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Dann rufe ich auch die Frage 13 auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die um sich greifende Praxis von Elektrizitätsversorgungsunternehmen, unter Berufung auf eine angebliche Verfassungswidrigkeit des Stromeinspeisungsgesetzes den auf das Stromeinspeisungsgesetz entfallenden Anteil an der Einspeisevergütung nur unter dem Vorbehalt der Verfassungsmäßigkeit des Stromeinspeisungsgesetzes zu bezahlen?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Ramsauer, das Stromeinspeisungsgesetz verpflichtet die Elektrizitätsversorgungsunternehmen, Strom aus erneuerbaren Energien abzunehmen und mit bestimmten Mindestpreisen zu vergüten. Hierdurch wird die stärkere Nutzung erneuerbarer Energien gefördert. Die Bundesregierung ist entgegen der Auffassung der Stromwirtschaft von der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes überzeugt. Diese Rechtsauffassung haben auch die Bundesministerien der Justiz und des Innern als Verfassungsressorts nach erneuter Prüfung im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Kohlepfennig ausdrücklich bestätigt. Die Bundesregierung weiß, daß einige Elektrizitätsversorgungsunternehmen die erhöhten Stromeinspeisungsvergütungen nur unter Vorbehalt zahlen. Dies hat zu einer Verunsicherung bei den Nutzern erneuerbarer Energiequellen geführt, auch wenn sich große Versorgungsunternehmen diesem Vorgehen nicht angeschlossen haben. Nach Auffassung der Bundesregierung besteht für eine Zahlung unter Vorbehalt keinerlei Anlaß. Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß mit ihren Klarstellungen zur Rechtslage die eingetretene Verunsicherung bei Investoren und Banken rasch wieder abklingen wird.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Ramsauer, Sie haben vier Zusatzfragen, wenn Sie wollen.

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke, Herr Präsident. Als erste Zusatzfrage möchte ich, Herr Staatssekretär, nachfragen, wie die Bundesregierung die Unterstellung der Stromwirtschaft bzw. ihrer Verbände beurteilt, daß sich vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kohlepfennig mehr oder weniger zwangsläufig die Verfassungswidrigkeit des Stromeinspeisungsgesetzes ableiten ließe.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Ramsauer, ich glaube, daß man dies unterschiedlich sehen muß. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes zum Kohlepfennig ist finanzverfassungsrechtlich begründet worden, während es sich bei dem Stromeinspeisungsgesetz um eine, wenn ich das so sagen darf, Preisregelung handelt, die mit einer Mengenregelung verbunden ist. Eine Abgabe wie der Kohlepfennig ist nach diesem Gesetz ausdrücklich nicht vorgesehen. Insofern ist das ein ganz anderer Sachverhalt.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zweite Zusatzfrage.

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich sehe das auch so, möchte aber gerade deshalb fragen, wie die Bundesregierung die Empfehlungen, teilweise sogar Aufforderungen der Verbände der Stromwirtschaft an ihre Mitglieder, die EVU, beurteilt, die Zahlungen nach dem Stromeinspeisungsgesetz nur noch unter Vorbehalt zu leisten, bzw. wie sie die jetzt beginnende Praxis beurteilt, daß sich einzelne EVUs weigern, die Einspeisungsvergütung überhaupt zu bezahlen.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Ramsauer, ich denke, daß die Rechtslage vollkommen klar ist. Die EVUs sind nach dem Stromeinspeisungsgesetz zu einer unbedingten Zahlung, d. h. ohne Vorbehalt, verpflichtet. Da ich davon ausgehe, daß das Gesetz verfassungsmäßig ist, ist dieser Vorbehalt ohnehin gegenstandslos. Selbst wenn man eine nicht gegebene Verfassungsmäßigkeit unterstellen würde, ist es dem Verfassungsgericht überlassen, einen schonenden Übergang zu einer neuen Regelung zu finden, so daß auch in diesem Falle der Vorbehalt ins Leere gehen würde. Ich halte dies von daher für nicht angemessen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Dritte Zusatzfrage.

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Befürchtung, daß diese Praxis der EVUs, von der Sie schon berichtet haben, potentielle Investoren in regenerative Energien schon erheblich verunsichert und abgeschreckt hat und daß gerade dadurch die Absicht des Stromeinspeisungsgesetzes konterkariert wird, die regenerativen Energien zu fördern, und daß dies auch die politischen Zielsetzungen konterkariert, die heute vormittag und heute mittag hier im Hause von allen Parteivertretern geäußert worden sind, die Basis der regenerativen Energien im Interesse des Klimaschutzes zu erweitern?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Ramsauer, mir ist bekannt, daß es zu einer gewissen Verunsicherung von Investoren gekommen ist. Ich habe versucht, hier deutlich zu machen, daß diese Verunsicherung aus der Sicht der Bundesregierung nicht begründet ist. Wie auch immer, es wäre schädlich, wenn Investoren verunsichert würden, weil dies das Ziel der Bundesregierung, die erneuerbaren Energien zu stärken, konterkarieren würde.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ihre letzte Zusatzfrage.

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist Ihnen denn in diesem Zusammenhang bekannt, daß EVUs auch Kreditinstitute angeschrieben und die Zahlungen unter Vorbehalt angekündigt haben? Dies hat dazu geführt, daß bereits gegebene Kreditzusagen für Investitionen m regenerative Energien wieder zurückgezogen worden sind und dadurch potentiellen Investoren oder diesen Unternehmern bereits erheblicher wirtschaftlicher Schaden entstanden ist.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Ramsauer, konkrete Vorfälle sind mir hier nicht bekannt, aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die heutige Fragestunde zum Anlaß nehmen könnten, mir entsprechende konkrete Fälle zu nennen. Wir würden dem dann auch gerne nachgehen.

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das werde ich gerne tun.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Hornung.

Siegfried Hornung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000961, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung daraus ableiten, daß die EVUs mit diesen Äußerungen, die wohl auch in anderen Zusammenhängen gemacht worden sind, das Konzept der nachwachsenden Rohstoffe als Teil des Energiekonsenses der Bundesregierung langfristig und in die Zukunft hinein nicht mittragen? Können die EVUs damit rechnen, daß dann eine breite Mehrheit innerhalb des Parlamentes gefunden werden kann, so daß es tatsächlich zu einem Energiekonsens kommt, der alle Energiebereiche umfaßt?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Wir haben, Herr Kollege Hornung, immer wieder deutlich gemacht, daß zu einem Energiemix viele Energiebereiche gehören, z. B. auch die erneuerbaren Energien. Ich kann nur noch einmal sagen: Das Verhalten der EVUs erscheint mir unverständlich. Wer wirklich einen Energiekonsens anstrebt, muß bemüht sein, hier alle Energieträger beieinanderzuhalten.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Die nächste Frage kommt vom Herrn Kollege Carstensen.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, in Anbetracht der Tatsache, daß, was der Kollege Ramsauer gerade geschildert hat, die Energieversorgungsunternehmen behaupten, das Gesetz sei verfassungswidrig, daß sie daraufhin die Leistung ihrer Verpflichtungen einstellen, daß sie daraufhin Banken Informationen darüber geben, daß sie daraufhin dafür sorgen, daß in diesem Bereich keine Investitionen mehr vorgenommen werden: Reicht es hier aus, nur das Bedenken darzustellen? Sind Sie nicht auch bereit, gegenüber diesen Energieversorgungsunternehmen eine etwas härtere Gangart einzuschlagen und ihnen zu sagen, daß Peter H. Carstensen ({0}) diese Arroganz des Monopols von uns so nicht akzeptiert werden kann? ({1})

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Carstensen, nach Auskunft der VDEW gibt es einen einzigen Fall, in dem eine Vergütung mit dem Ziel gekürzt worden ist, die Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen. Ich habe darum gebeten, weitere konkrete Fälle zu benennen. Es kann aber keine Rede davon sein - das ist uns noch einmal von der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke versichert worden -, daß man hier generell diese Regelung aushebeln will. Insofern denke ich - und diese Zusage unterstreicht das -, daß die VDEW kein Interesse hat, Zielsetzungen der Bundesregierung zu konterkarieren.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Die nächste Zusatzfrage hat die Kollegin Hustedt.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich habe an sich zwei Fragen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Sie können nur eine Zusatzfrage stellen.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber es sind zwei Fragen gewesen, Herr Präsident.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Sie können aber trotzdem nur eine Frage stellen. Es tut mir richtig leid. Es ist einfach so.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident!

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Wenn Sie eine Frage gestellt haben, haben Sie zwei Zusatzfragen, sonst haben Sie eine Frage, die Sie stellen können.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Kollege Ramsauer hatte zu seinen zwei Fragen insgesamt vier Zusatzfragen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ehe wir uns lange streiten - bitte schön.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen - und begrüßen Sie, daß ich das auch dem Parlament zur Kenntnis gebe, indem ich es vorlese -, daß von Energieversorgungsunternehmen Schreiben versandt werden, in denen steht: Wir halten es für dringend erforderlich, daß diese Frage endgültig geklärt wird. - Damit ist die Verfassungsmäßigkeit gemeint. Deshalb werden wir Ihnen für Ihre Stromeinspeisung in unser Netz mit Wirkung vom 1. Januar 1995 die im Stromeinspeisungsgesetz vorgesehenen Vergütungssätze nicht mehr bezahlen. Ist es nicht notwendig, darüber nachzudenken, ob solche Energieversorgungsunternehmen eventuell ihre Monopolposition verlieren müssen? ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Carstensen, ich bin dankbar, daß Sie dies hier bekanntgegeben haben. Ich kann nur noch einmal sagen: Uns liegen Zusagen der VDEW vor, daß man entsprechende Kürzungen nicht, auch nicht in einer größeren Zahl von Fällen, vornehmen wolle. Wir haben auch die Zusage, daß man das Stromeinspeisungsgesetz nicht unterlaufen will. Wenn jetzt von Ihnen solche Fälle benannt werden, werden wir das zum Anlaß nehmen, noch einmal nachzusetzen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun kommt die Frage der Kollegin Hustedt.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zwei Fragen; ich habe auch zwei Fragen. Meine erste Frage: Wäre es nicht sinnvoll, um alle Unklarheiten zu beseitigen, wenn die Bundesregierung einmal endgültig den Nachweis führte, daß diese Regelung nicht verfassungswidrig ist?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Frau Kollegin, ich habe darauf hingewiesen, daß wir getan haben, was wir tun konnten. Das heißt, die Verfassungsressorts haben die Regelung bei der ursprünglichen Beschlußfassung natürlich überprüft. Sie haben sie auch im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch einmal überprüft. Wir haben keinen Anlaß, davon auszugehen - ich wiederhole das gern -, daß das Gesetz verfassungswidrig sein könnte.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine zweite Frage: Plant die Bundesregierung in nächster Zeit eine Einschränkung oder eine Ausweitung des Stromeinspeisungsgesetzes?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Sie wissen, daß entsprechende Überlegungen im Gange sind. Wie mögliche inhaltliche Änderungen aussehen werden, kann ich zum derzeitigen Zeitpunkt aber nicht sagen. Die Interessen sind durchaus unterschiedlich. Ich glaube, wir werden gemeinsam Gelegenheit haben, eine mögliche Änderung des Gesetzes zu beraten.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun kommt der Kollege Kubatschka.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, übersteigen die Mehrkosten, die das Stromeinspeisungsgesetz für die EVUs verursacht, die Mittel, die die EVUs in die Entsorgungswirtschaft oder in die Telekommunikation stecken?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Kubatschka, so genau habe ich die Zahlen nicht im Kopf. Wenn Sie einverstanden sind, werde ich das prüfen lassen und Ihnen die Frage dann schriftlich beantworten.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dafür wäre ich Ihnen dankbar. - Meine zweite Frage: Wieviel Gutachter stützen die Thesen der EVUs, und wie beurteilen Sie die Qualität dieser Gutachter?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Dafür möchte ich das gleiche Verfahren wie zu Ihrer ersten Zusatzfrage vorschlagen. Ich kenne die Gutachter nicht namentlich und kann sie von daher auch qualitativ nicht beurteilen. Wir werden das bei der schriftlichen Beantwortung zwar auch nicht tun können, aber wir können vielleicht Angaben über die Zahl und eventuell auch über die Namen der Gutachter machen. Das wollen wir gern versuchen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich sehe keine weiteren Fragen. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Michaela Geiger zur Verfügung. Wir beginnen mit der Frage 16 der Kollegin Müller: Trifft es zu, daß im Bundeswehrstandort Bovigny in Belgien, wo 1993 insgesamt 15 Soldaten stationiert waren, anläßlich des Jahresempfangs 1993 etwa 400 Gäste mit einem Kostenaufwand von 98 000 DM bewirtet wurden, und trifft es zu, daß während einer sechswöchigen Planungsphase täglich 15 Personen mit der Vorbereitung dieses Festes beschäftigt waren?

Michaela Geiger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000649

Frau Kollegin Müller, es ist zutreffend, daß der Aufwand für den Jahresempfang 1993 beim Depot in Bovigny unangemessen hoch war. Deshalb hat das Bundesministerium der Verteidigung umfangreiche Prüfungen eingeleitet. Das Materialdepot der Bundeswehr in Bovigny in Belgien führt regelmäßig Jahresempfänge zur Pflege und Intensivierung der länderübergreifenden Beziehungen deutscher, belgischer, niederländischer und luxemburgischer militärischer und ziviler Dienststellen durch. Diese Jahresempfänge finden durchaus im dienstlichen Interesse statt. Deshalb werden hierfür auch in begrenztem Umfang Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt. Zur Vorbereitung und Durchführung solcher erwünschten Veranstaltungen werden üblicherweise Personal und Material der Dienststelle eingesetzt. Die Überprüfung des Jahresempfangs 1993 in Bovigny hat allerdings ergeben, daß hierfür ein unangemessen hoher Aufwand unter teilweiser vorschriftswidriger Finanzierung betrieben wurde. Allein die Bewirtungskosten betrugen laut geprüfter Belege 8 200 DM; genehmigt waren jedoch nur Ausgaben bis zu einer Höhe von 1 500 DM. Soweit für die Bundesrepublik Deutschland ein Schaden eingetreten sein sollte, wird dieser nach den Schadensbestimmungen der Bundeswehr abgewickelt. Bereits im Jahre 1994 wurde der Jahresempfang des Depots wieder in vertretbarem, bescheidenerem Rahmen durchgeführt.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Haben Sie eine Zusatzfrage? - Bitte schön.

Jutta Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, wenn es zutrifft, daß sehr überhöhte Kosten entstanden sind, trifft dann auch die Behauptung zu, daß man noch fehlendes Geld quasi dadurch beschafft hat, daß man Wehrpflichtige, Gäste und Angehörige des Depots mit überhöht kalkulierten Kantinenpreisen, zuviel einbehaltenen Startgeldern beim Ardennenmarsch, Wechselkursmanipulationen usw. belastet hat? Sie haben gerade gesagt, ein solcher Empfang ist wünschenswert, um die Bundeswehr in der Öffentlichkeit gut darzustellen. Wie kann man das damit vereinbaren, daß die belgischen Partner anschließend feststellen müssen, daß sie eventuell schon in der Kantine übers Ohr gehauen wurden?

Michaela Geiger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000649

Frau Kollegin Müller, natürlich liegt es nicht im Interesse der Bundeswehr, daß solche Dinge festgestellt werden können. Ich habe Ihnen gesagt: Die Sache befindet sich noch in der dienstrechtlichen Untersuchung. Solange diese Untersuchung nicht abgeschlossen ist, möchte ich in der Öffentlichkeit des Plenums des Deutschen Bundestages keine Einzelheiten nennen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Noch eine Zusatzfrage.

Jutta Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Könnten Sie etwas über die Dauer des Verfahrens sagen? Es ist doch schon einige Zeit bekannt. Es geht auch darum, daß beispielsweise von der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr behauptet wird, daß die Personen, die zur Aufklärung beigetragen haben, im Anschluß daran sehr schlecht behandelt bzw. bei ihren Dienststellen ziemlich drangsaliert wurden.

Michaela Geiger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000649

Das kann ich nicht bestätigen. Wir beabsichtigen und hoffen, daß wir im ersten Halbjahr 1995 mit der gesamten Überprüfung fertig sind. Da jedoch sehr viele Dienststellen und Mitarbeiter befragt werden müssen, dauert das alles etwas. Dafür bitte ich um Verständnis.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich rufe die Frage 17 der Kollegin Müller auf: Welche Ergebnisse hat die Überprüfung von Beschwerden über den Verdacht der Unterschlagung, Strafvereitelung und Nötigung im Bundeswehrmaterialdepot Bovigny in Belgien durch Staatssekretär Dr. Peter Wichert erbracht, und welche Konsequenzen werden aus diesen Ergebnissen gezogen?

Michaela Geiger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000649

Die im Zusammenhang mit der Aufklärung und Abstellung von Mängeln bei der Vorbereitung und Durchführung von Jahresempfängen vor 1994 des Materialdepots Bovigny erhobenen Vorwürfe wurden eingehend geprüft. Den Depotangehörigen konnte kein strafrechtliches Fehlverhalten nachgewiesen werden. Die Prüfung der dienstrechtlichen Verantwortlichkeiten ist noch nicht abgeschlossen. Die dienstrechtliche Erledigung steht noch aus.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zusatzfrage.

Jutta Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wäre es nicht vielleicht sinnvoller, wenn man die vorgenommene Überprüfung durch eine neutrale Stelle hätte durchführen lassen? Im Moment sieht es ja so aus, daß der Fall von jemandem geprüft wurde, der beteiligt war.

Michaela Geiger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000649

Nein, davon können wir nicht ausgehen. Die objektive Prüfung ist absolut sichergestellt. Es gibt ein Verfahren gemäß der Schadensbestimmungen, das zu einer objektiven Prüfung führt. Mit der Überprüfung sind mehrere Dienststellen im Bereich des BMVg befaßt, z. B. der Amtschef des Streitkräfteamtes als zuständiger Vorgesetzter des Depots - das ist übrigens ein anderer als der damals in Rede Stehende -, der Rechtsberater beim Amtschef des Streitkräfteamtes, der Stellvertreter des Generalinspekteurs als Vorgesetzter des Amtschefs und der Rechtsberater im Führungsstab der Streitkräfte, der zuständige Staatssekretär Dr. Wichert und das Bundesamt für Wehrverwaltung. Jede dieser Stellen hat die Pflicht zur objektiven Aufklärung. Ich bin ganz sicher, daß wir die Sache aufklären werden.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Die Frage 18 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Büttner auf: Sind es die jüngsten Forschungsergebnisse über die Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, die die Praxis der Traditionspflege der Bundeswehr in Frage stellen, ist es der bevorstehende 50. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Hitler-Faschismus, oder welche sonstigen Gründe veranlassen die Bundesregierung, dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages die seit einem Jahr vorliegende Studie des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes nebst einer zusätzlich vom Bundesminister der Verteidigung angeforderten ergänzenden Untersuchung über die Rolle des Generals Died im Zweiten Weltkrieg vorzuenthalten?

Michaela Geiger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000649

Herr Kollege Büttner, der Bundesminister der Verteidigung hat zur Klärung der Vorwürfe im Zusammenhang mit der Forderung nach einer Umbenennung der Generaloberst-Dietl-Kaserne das Militärgeschichtliche Forschungsamt mit der Erarbeitung einer wissenschaftlichen Untersuchung zur Gesamtpersönlichkeit von Generaloberst Died beauftragt. Nach dem Vorliegen der wissenschaftlichen Studie wurde ergänzend eine rechtliche Bewertung des Verhaltens von Generaloberst Died im Zusammenhang mit dem am 16. Juni 1942 begonnenen Marsch des Feldstraflagers II von Rovaniemi nach Petsamo in Auftrag gegeben. Die Studie und ihre juristische Bewertung liegen inzwischen vor. Aus beiden Arbeiten haben sich Fragen ergeben, die ergänzende Prüfungen und eine abschließende Bewertung notwendig machen. Nach Abschluß dieser Arbeiten werden Parlament und Öffentlichkeit über das Ergebnis informiert.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Haben Sie eine Zusatzfrage?

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wird die Bundesregierung auf Grund der Vorlage dieser Studien, auf die sie allerdings in verschiedenen Schreiben an den Petitionsausschuß unzutreffend geantwortet hat, in absehbarer Zeit das Problem General-Dietl-Kaserne in Angriff nehmen und dafür sorgen, daß die demokratische Bundeswehr in ihrer Traditionspflege nicht länger Soldaten und Generäle zum Vorbild nimmt, die von Beginn an undemokratisch und verfassungsfeindlich gegen die Weimarer Republik eingestellt waren?

Michaela Geiger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000649

Herr Büttner, zunächst einmal möchte ich zurückweisen, daß wir unwahre oder unzutreffende Feststellungen an den Petitionsausschuß gegeben haben. Zum anderen möchte ich Ihnen sagen: Wir sind noch in den Prüfungen, und deshalb kann ich Ihnen heute auch nicht abschließend sagen, wie die Sache verlaufen wird.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Eine zweite Zusatzfrage.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Halten Sie es für die Unwahrheit sagend, wenn ich Ihnen zur Kenntnis Hans Büttner ({0}) gebe, daß der Bundesminister der Verteidigung mit Schreiben vom 8. April 1994 dem Petitionsausschuß mitgeteilt hat, daß die in Auftrag gegebene Studie am 8. April noch nicht vorgelegen habe, und gleichzeitig der Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Herr Wilz, am 16. Mai 1994 dem Petitionsausschuß mitgeteilt hat, daß diese Studie am 31. März 1994, also acht Tage bevor das erste Schreiben des Verteidigungsministeriums an den Petitionsausschuß kam, schon vorgelegen habe? Ich darf Ihnen beide Schreiben zitieren. Schreiben des Bundesministers der Verteidigung vom 8. April, unterschrieben im Auftrage von einem Herrn Zicke. Zur Dietl-Kaserne: Über Generaloberst Dietl war im Dezember 1993 durch das Bundesministerium beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt eine Studie in Auftrag gegeben worden, deren Ergebnis noch nicht vorliegt. Sobald ich darüber informiert bin, werde ich Sie in Kenntnis setzen. Zweites Schreiben des Herrn Staatssekretärs Wilz: Die vom MGFA zum 31. März 1994 vorgelegte Studie, welche die Gesamtpersönlichkeit Dietls aus historischer Sicht zu untersuchen hatte, muß noch ... ergänzt werden. Wie erklären Sie sich das? Würden Sie dies anders bezeichnen als eine unwahre Auskunft seitens des Verteidigungsministeriums?

Michaela Geiger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000649

Also, da ist sicherlich ein Irrtum passiert, der bedauerlich ist. Aber die Wege durch das Verteidigungsministerium sind manchmal lang. Ich nehme an, daß das von verschiedenen Abteilungen beantwortet wurde. Natürlich ist das nicht gut. Aber ich glaube, es geht auch nicht darum, zu welchem Datum die Studie vorlag, sondern es geht darum, daß sich noch Fragen gestellt haben, die abschließend bewertet werden müssen. Deshalb dauern Prüfung und Bewertung noch an. ({0}) - Der Minister hat einzelne Fragen gehabt, die jetzt ausgearbeitet und beantwortet werden. Ich habe den Katalog nicht da.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit rufe ich die Frage 20 des Kollegen Büttner auf: Plant die Bundesregierung im Rahmen des in der Abstimmung mit den Ländern befindlichen Standortkonzeptes die Schließung der General-Dietl-Kaserne in Füssen?

Michaela Geiger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, das Ressortkonzept vom 15. März 1995 zur Anpassung der Streitkräftestruktur, das sich zur Zeit in der Abstimmung mit den Ländern befindet, sieht keine Schließung der fraglichen Kaserne in Füssen vor.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Haben Sie eine Zusatzfrage?

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - In seinen bisherigen Äußerungen hat das Bundesministerium der Verteidigung gegenüber dem Petitionsausschuß in der 12. Legislaturperiode schriftlich angedeutet, daß man das Problem General-Dietl-Kaserne im Rahmen der Strukturreform lösen könnte. Mich hat der damalige Vorsitzende des Petitionsausschusses, nachdem das Verteidigungsministerium die Schließung nicht vorgenommen hat und der Petitionsausschuß die Bundesregierung erneut aufgefordert hat, die Namensänderung vorzunehmen, gefragt, ob ich einverstanden sei, daß dieses Problem im Rahmen der nächsten Strukturreform gelöst werde, mit der man sowieso beabsichtige, die Kaserne zu schließen. Meine Frage lautet: War dies eine eigenmächtig vorgenommene Aussage des Vorsitzenden des Petitionsausschusses, der vorher keinerlei Rücksprache und Kontakte mit dem Verteidigungsministerium zugrunde lagen?

Michaela Geiger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000649

Das muß ich fast annehmen, Herr Abgeordneter. Denn man kann nicht davon ausgehen, daß das Bundesministerium der Verteidigung Kasernen deshalb schließt, weil es Schwierigkeiten mit ihrer Benennung gibt. Da haben natürlich ganz andere Gründe Vorrang.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zweite Zusatzfrage.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine zweite Frage lautet: Wie würden Sie dann die zweite Stellungnahme des Petitionsausschusses zur eingegangenen Petition über die Änderung des Namens „Dietl-Kaserne" beurteilen, in der es wortwörtlich heißt: Im Zusammenhang mit der erwähnten früheren Eingabe hatte der Deutsche Bundestag der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses, das Petitionsverfahren abzuschließen, auf Grund der damaligen Auskunft des BMVg zugestimmt, daß damit zu rechnen sei, daß die Dietl-Kaserne künftig nicht mehr militärisch genutzt werde und nach den Kriterien für die Namensgebung die Bezeichnung General-Dietl-Kaserne ohnehin entfalle.

Michaela Geiger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000649

Ich kann Ihnen das weder bestätigen noch dementieren. Mir ist diese Aussage nicht bekannt. Die Bundeswehr hat sich allerdings in letzter Zeit sehr stark verändert. Sie ist immer wieder verkleinert worden. Vielleicht hat der eine oder andere an so etwas gedacht. Tatsache ist, daß nach den jetzigen Vorschlägen eine Schließung der Kaserne nicht in Rede steht.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Die nächste Zusatzfrage.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es oberste Priorität einer Wehrpflichtarmee in einer Demokratie sein muß, die Freiheit der Bürger und den Bestand der Demokratie vor Angriffen von außen zu schützen?

Michaela Geiger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000649

Ja. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Die nächste Zusatzfrage von Frau Kollegin Müller.

Jutta Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, Sie haben uns gesagt, daß es nicht geplant sei, diese Kaserne zu schließen. Also haben wir weiterhin das Problem mit diesem Namen. Da würde ich Sie gerne fragen, ob Sie es für denkbar halten, daß als Leitbilder einer demokratischen Bundeswehr Generäle des Dritten Reiches dienen können, die sich dem Nationalsozialismus bereits in seiner Gründerphase geistig und inhaltlich angeschlossen, sich nur aus opportunistischen Gründen zeitweise von ihm getrennt und auch keinen Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet haben.

Michaela Geiger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000649

Frau Abgeordnete, Sie wissen, daß es gerade in dieser Frage sehr verschiedene Ansichten gibt. Das macht die Sache so schwierig. Ich darf Ihnen den Beschluß des Stadtrates in Füssen mitteilen, der mit 20: 5 Stimmen in Kenntnis der Dinge - allerdings vor der Expertise - für den Erhalt des Namens „Dietl-Kaserne" gestimmt hat. Normalerweise kommen Namen für Kasernen „von unten": von den Orten, von der Truppe. Wir prüfen dann sehr genau; dessen dürfen Sie versichert sein. Die Prüfung dauert noch an.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Die nächste Frage hat der Kollege Kubatschka.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da der Name Dietl durch die Bundeswehr durch diese Kasernenbenennung nach wie vor geehrt wird, frage ich: Welche Leitbildfunktionen können nach Ansicht der Bundesregierung für eine Wehrpflichtarmee in einer Demokratie Militärführer haben, die die Demokratie selber abgelehnt und sie geistig und inhaltlich bekämpft haben?

Michaela Geiger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000649

Das kann ich Ihnen so nicht sagen. Man sollte aber natürlich immer beide Seiten hören. Wenn Sie mit Soldaten sprechen, die Dietl noch selbst gekannt haben, können Sie durchaus andere Meinungen hören.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, Sie haben eine Zusatzfrage? - Bitte sehr.

Christa Lörcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001363, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Was hat die Bundesregierung bisher getan, um die Soldaten des Standorts Füssen über die Rolle und die politische Haltung des Generals Dietl aufzuklären? Könnten Sie uns das noch mitteilen?

Michaela Geiger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000649

Wir geben in all unseren Kasernen politischen Unterricht. Wie er speziell in Füssen aussieht, kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Ich nehme an, es ist der normale Unterricht, wie er überall in Deutschland stattfindet.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Frau Staatssekretärin, es steht mir nicht an, diese Aussagen zu bewerten. Aber ich kann nur schwer die Bemerkung unterdrücken, daß es 50 Jahre nach Kriegsende und angesichts einer langen Debatte über die Traditionspflege nach meinem Eindruck nicht so sehr eine Frage der zeitgeschichtlichen Forschung als vielmehr eine Frage der Entscheidung ist, in dieser Sache zu einem Abschluß zu kommen. ({0}) Vielen Dank. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Alle Fragen, also die Fragen 21 bis 24, werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Nitsch zur Verfügung. Die Fragen 25, 26 und 27 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe nun die Frage 28 des Kollegen Kemper auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß Bürgerinnen und Bürger aus Staaten, die nicht Mitgliedstaaten der EU und nicht in der Anlage XXVII der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung ({1}) aufgelistet sind, nach Begründung des ständigen Aufenthaltes in Deutschland hier ein Jahr lang ein Kraftfahrzeug führen dürfen, bevor sie eine deutsche Fahrerlaubnis erhalten können, obwohl in zahlreichen der genannten Staaten die Voraussetzungen für den Erwerb des Führerscheins, insbesondere bei der Ausbildung und Prüfung, in keiner Weise dem deutschen Niveau entsprechen?

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kemper, die Bundesrepublik Deutschland gehört den internationalen Abkommen fiber den Straßenverkehr aus dem Jahre 1926 und dem Jahre 1968 an. Auf Grund dieser Abkommen ist sie verpflichtet, Führerscheine aus den Vertragsstaaten anzuerkennen, deren Inhaber sich vorübergehend hier aufhalten. Als „vorübergehend" im Sinne der Abkommen hat sich weitgehend der Zeitraum von einem Jahr eingebürgert. Aus Gründen der Gleichbehandlung und der Praktikabilität gewährt die Bundesrepublik Deutschland dieses Recht auch Fahrerlaubnisinhabern aus Staaten, die dem internationalen Abkommen aus dem Jahre 1949 angehören, das die Bundesrepublik nicht ratifiziert hat. Darunter fallen z. B. die Inhaber von US-Fahrerlaubnisscheinen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ihre Zusatzfrage, bitte.

Hans Peter Kemper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001083, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte meine Zusatzfragen nach der Beantwortung meiner zweiten Frage stellen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Sie wollen, daß beide Fragen gemeinsam beantwortet werden?

Hans Peter Kemper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001083, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Dann rufe ich die Frage 29 des Abgeordneten Kemper auf: Hält die Bundesregierung den vorgenannten Personenkreis dennoch für fähig, sicher am Straßenverkehr in Deutschland teilzunehmen, und wenn ja, warum wird dann nach Ablauf eines Jahres eine komplette Fahrerlaubnisprüfung von ihm verlangt? Herr Staatssekretär, bitte schön.

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Dem Interesse des internationalen Verkehrs bzw. dem Interesse der Personen, die ihren Wohnsitz hierhin verlegen, wird für den Zeitraum eines Jahres der Vorrang eingeräumt. Wer sich aber für einen längeren Zeitraum in der Bundesrepublik Deutschland niederläßt, muß nachweisen, daß er sich unter den hier geltenden Bedingungen sicher im Verkehr bewegen kann. Zu diesem Zweck muß er die volle theoretische und praktische Prüfung ablegen. Auf die Ausbildung in einer Fahrschule nach den Vorschriften der Fahrschüler-Ausbildungsordnung, wie sie sonst beim Erwerb einer deutschen Fahrerlaubnis vorgeschrieben ist, wird dagegen verzichtet.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Kemper, bitte schön.

Hans Peter Kemper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001083, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung Gefahren von den Bürgern abwenden will. Meine erste Frage lautet: Wie können Sie es mit den Gesetzen der Logik erklären, daß Sie Personen mit einer ausländischen Fahrerlaubnis ein Jahr lang in Deutschland fahren lassen, ohne daß ihre Fahrtüchtigkeit überprüft wird, so daß Sie nicht wissen, ob sie sich gefahrenfrei im Verkehr bewegen können? Wenn Sie Fahrtüchtigkeit unterstellen, habe ich eine zweite Frage: Warum müssen diese Menschen nach einem Jahr die volle Prüfung ablegen? Warum überlegt die Bundesregierung nicht, einen Fahrnachweis, einen Befähigungsnachweis, wie er früher üblich gewesen ist, einzuführen? Es ist völlig unlogisch, jemanden ein Jahr lang fahren zu lassen und erst dann zu überprüfen, ob er es überhaupt kann. Dadurch schaffen Sie eine Gefahrenlage, wie wir sie nicht wollen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Staatssekretär.

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Nach der 14. Verordnung zur Änderung der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, die am 1. April 1993 - also vor sehr kurzer Zeit - in Kraft getreten ist, gibt es die Möglichkeit, ohne Ablegung der Fahrerlaubnisprüfung eine Umschreibung der ausländischen Fahrerlaubnisscheine in eine deutsche Fahrerlaubnis vorzunehmen. Dazu sind allerdings bestimmte Voraussetzungen erforderlich. Die erste Voraussetzung ist, daß Ausbildung und Prüfung dem Niveau in der Bundesrepublik Deutschland entsprechen. Die zweite Voraussetzung ist, daß die Dokumentation über die durchgeführte Prüfung und den Erwerb des Fahrerlaubnisscheins zuverlässig ist. Die dritte Voraussetzung ist, daß zwischen den betroffenen Staaten die Gegenseitigkeit dieser Verfahrensweise vereinbart ist. Die Staaten, die darunter fallen, sind in Anlage 13 genannt. Der andere Teil Ihrer Frage bezieht sich auf die Länder, die diese Bedingungen nicht erfüllen. In diesen Fällen muß die volle - d. h. theoretische und praktische - Fahrprüfung abgelegt werden, wobei jedoch eine Ausbildung nach unserer Fahrschulordnung nicht notwendig ist.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ihre zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Kemper.

Hans Peter Kemper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001083, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben den letzten Teil meiner Frage nicht zufriedenstellend beantwortet. Ich frage Sie noch einmal: Wenn die Bundesregierung der Meinung ist, daß sich diese letzte Bevölkerungsgruppe nicht sicher im Verkehr bewegen kann - denn nur dann kann eine vollständige Prüfung nach einem Jahr angebracht sein -, warum gestattet sie ihr dann die Fahrt für ein Jahr? Sie schaffen dadurch ein Gefahrenpotential. Wenn Sie aber der Auffassung sind, diese Leute können fahren, bedarf es der vollständigen Überprüfung nicht.

Johannes Nitsch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001616

Ich habe bereits in meiner ersten Antwort angeschnitten, daß auf Grund der Abkommen und der vorhandenen, in einem Drittland erworbenen Fahrerlaubnis ein Recht besteht, hier Kraftfahrzeuge zu führen. Dieses zunächst bestehende Recht muß gewährt werden.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Wenn keine weiteren Fragen mehr gestellt werden, können wir diesen Geschäftsbereich abschließen. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Post und Telekommunikation. Die Fragen 30, 31 und 32 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Wir kommen zu den Fragen 33 und 34. - Ich stelle fest, daß die Kollegin Marion Caspers-Merk nicht anwesend ist. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Die Frage 35 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Wir kommen zu Frage 36 des Kollegen Kubatschka. Wie beurteilt die Bundesregierung den technischen Schwierigkeitsgrad, um aus Uransilizid ({0})-Brennelementen waffenfähiges Uran zu gewinnen? Zur Beantwortung steht der Parl. Staatssekretär Bernd Neumann zur Verfügung. Herr Staatssekretär.

Bernd Neumann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001593

Damit das Material überhaupt zum Bau eines Nuklearsprengkopfes geeignet ist, muß das Uran als reines Metall hergestellt werden. Im Uransilizid ist das Uran chemisch gebunden. Daher sind als erster Schritt eine Auflösung des Materials, eine extraktive Abtrennung des Urans von den anderen Elementen und eine Feinreinigung erforderlich. In einem entsprechend ausgerüsteten Chemielabor können fachlich Kundige unter Beachtung von Sicherheitserfordernissen derartige Auflösungen und Extraktionen durchführen. Das Produkt dieses ersten Prozesses ist ein Uransalz, das weitere chemische und metallurgische Prozeßschritte erfordert, um das erforderliche Uran in metallischer Form zu erhalten. Diese Schritte sind jedoch deutlich komplizierter als der erste, aber unter bestimmten Voraussetzungen möglich.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ihre Zusatzfrage.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann Uransilizid durch Flußsäure, Wasserstoffperoxyd und andere Zusatzstoffe, die bekannt sind, innerhalb von 30 Minuten aufgelöst und das Uran mit Lauge ausgefällt werden? Ist das nicht ein einfaches Verfahren zur Gewinnung von Uran und Plutonium?

Bernd Neumann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001593

Herr Kollege, wie ich vermutet habe, beziehen Sie sich - weil Sie es wortwörtlich zitieren - auf einen Artikel der „Süddeutschen Zeitung" vom 30. März „Der kurze Weg zum Bombenrohstoff". Ausgehend von diesem Artikel und Ihrer darauf Bezug nehmenden Frage kann ich folgendes sagen: Sie haben gefragt, wie es möglich ist, praktisch aus Uransilizid bombenfähiges Material herzustellen. Ich hatte in meiner ersten Antwort schon gesagt, daß Sie für das bombenfähige Material rein metallisches Uran haben müssen, und dies können Sie durch zwei Schritte erreichen. Den ersten Schritt habe ich ausführlich dargestellt, und dann habe ich von einem zweiten Schritt gesprochen, der schwieriger sei. Der Artikel in der „Süddeutschen Zeitung" macht beim ersten Schritt halt. Der zweite Schritt, der erforderlich ist - so sagen es mir die Fachleute -, sieht wie folgt aus: Danach müßte die Uranlösung - wenn Sie nach dem ersten Schritt das Uransalz erhalten haben, haben Sie noch nicht Uran in metallischer Form - eingedampft und das entstandene Uransalz durch Erhitzen auf 600 Grad Celsius unter Wasserstoffatmosphäre zum Dioxid umgewandelt werden. Dieses reagiert mit Flußsäure unter Luftausschluß bei 450 Grad Celsius zum Urantetrafluorid, das dann mit hochreinem Kalzium und Magnesium unter Bildung von Kalzium- und Magnesiumfluorid und metallischem Uran umgesetzt wird. Diese Reaktion setzt oberhalb des Schmelzpunktes von Uran, d. h. von 1 132 Grad Celsius, ein. Fazit: Auch dies ist möglich, aber unter sehr schwierigen Bedingungen. Ich bin hier nicht genug Fachmann, um mich auf eine Zeit festzulegen, in der das möglich ist. Aber wir können unterstellen, daß es theoretisch möglich ist.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, eines der Argumente für diese Brennelemente sagt ja, sie sitzen auf einer Aluminiummatrix. Aber besteht nicht die Möglichkeit, über Salpetersäure - Katalysator birgt Quecksilber - diese Matrix sehr schnell aufzulösen? Damit können wir dann doch relativ einfach die Scheidung von Aluminium und Uransilizid erreichen.

Bernd Neumann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001593

Herr Kollege, da das Ihre letzte Möglichkeit ist, zu fragen, will ich die Frage weitergehender beantworten; denn der Hintergrund Ihrer Frage ist ja - um das mal deutlich zu machen -, ob es möglich ist, aus Uransilizid, das z. B. bei dem geplanten FRM-IIReaktor in München, der ja zu einem Ihrer Lieblingsthemen gehört, verwandt wird, bombenfähiges Material herzustellen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist das doch der politische Hintergrund Ihrer Frage. Und die möchte ich gern noch einmal im Zusammenhang beantworten, und damit beantworte ich auch den letzten Teil Ihrer Einzelfrage. Theoretisch ist es möglich - wenn Sie entsprechende Laborvoraussetzungen haben und die dementsprechenden Sicherheitsbedingungen schaffen -, wenn auch schwierig, nach zwei Stufen aus Uransilizid metallisches Uran, das für den Bombenbau benötigt wird, zu gewinnen. Das ist die erste Aussage. Zweite Aussage: Wenn Sie jetzt den FRM II nehmen - und das war Ihre Zusatzfrage -, befindet sich dieses Uransilizid in einem Kompaktbrennelement. Das heißt, es ist eingebettet, es ist umgeben von einer Aluminiumstütz- und Schutzstruktur. Das heißt, es liegt nicht so einfach herum, und da heranzukommen ist erneut eine Hürde, aber auch die zu nehmen ist technisch möglich. ({0}) Jetzt kommt der nächste Schritt. Selbst wenn diese drei Stufen erreicht würden - das heißt: Auslösung des Urans aus Uransilizid nach zwei schwierigen Phasen, davor Gewinnung des Uransilizids aus dem Kompaktelement -, brauchen Sie für die Herstellung einer Bombe eine bestimmte Menge. Diese Menge ist z. B. bei dem geplanten FRM-II-Reaktor so gar nicht vorhanden., Eine Atomwaffe benötigt mit zugänglicher Technik für ihre Funktionsfähigkeit etwa 25 Kilogramm hochangereichertes Uran. Ein Kompaktbrennelement, von dem ich gesprochen habe, enthält dagegen nur 8 Kilogramm. Das heißt: Ein entwendetes Brennelement enthält daher rein mengenmäßig nicht das für den Bau einer Atombombe erforderliche hochangereicherte Uran. Wenn Sie berücksichtigen, was in der Planung dort lagern wird, werden Sie feststellen, daß neben dem während des Reaktorbetriebes abbrennenden Brennelement nur ein bis zwei frische Brennelemente für den Ersatzbedarf auf dem Betriebsgelände vorrätig gehalten werden. Das bedeutet: Die nächste zu überwindende Hürde wäre die der Beschaffung einer ausreichenden Menge, die z. B. beim FRM II normalerweise gar nicht vorhanden ist. Eine weitere Hürde wäre die Überwindung der Schutzmaßnahmen. Sie wissen, daß für alle diese Einrichtungen umfangreiche Schutzmaßnahmen vorgesehen sind, so daß eine Entwendung von Uransilizid und damit auch die Möglichkeit, dies zu einem bombenfähigen Material zu machen, praktisch ausgeschlossen ist. Ich bitte um Nachsicht, daß ich das so ausführlich dargestellt habe, aber ich kann nichts dafür, daß diese Vorgänge chemisch doch etwas schwieriger sind.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Damit kommen wir zur Frage 37 des Kollegen Kubatschka: Welche Voraussetzungen müssen deutsche Wissenschaftler erfüllen bzw. im Vorfeld erfüllt haben, um Messungen an der Hochflußneutronenquelle in Grenoble ({0}) durchführen zu können, und wie lange sind derzeit die Wartezeiten auf einen freien Forschungsplatz in Grenoble?

Bernd Neumann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001593

Interessenten für Meßzeit am Höchstflußreaktor des ILL in Grenoble müssen detaillierte Projektvorschläge ausarbeiten und beim ILL einreichen, die dann von Experten begutachtet werden. Die Zuteilung von Meßzeit erfolgt auf der Basis der Qualität der eingereichten Vorschläge unter Berücksichtigung der verfügbaren Experimentierkapazität. Um erfolgreiche Vorschläge beim ILL einreichen zu können, müssen die Interessenten über fundiertes Wissen im Bereich der Forschung mit Neutronen verfügen, und sie müssen meist auch Vorexperimente an anderen, weniger leistungsfähigen Neutronenquellen durchgeführt haben, um dann in Grenoble ihre Experimente zügig durchführen zu können. Die Nachfrage nach Meßzeit am HFR als derzeit wohl leistungsfähigstem Forschungsreaktor der Welt ist sehr hoch, so daß die Meßzeitwünsche nur sehr bedingt erfüllt werden können. So steht an den meisten Instrumenten nur die Hälfte bzw. ein Drittel der erforderlichen Experimentierzeit zur Verfügung, so daß auch viele sehr gute Arbeiten nicht durchgeführt werden können. Auch erfolgreiche Meßzeitbewerber erhalten meist weniger Zeit als gewünscht, damit möglichst viele Projekte durchgeführt werden können. Die Wartezeit vom Einreichen des Antrags bis zum Experiment beträgt im Durchschnitt wenigstens ein halbes Jahr.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, angesichts Ihrer Ausführung zu den langen Wartezeiten stellt sich für mich die Frage: Wie kommt es, daß die Bundesregierung die Kapazitäten, die im Hochflußreaktor noch vorhanden sind, nicht voll ausschöpft? Man könnte mit relativ wenigen Investitionen weitere Meßplätze schaffen. Warum hat man nur einen einzigen zusätzlichen Meßplatz eingerichtet?

Bernd Neumann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001593

Für die Beantwortung dieser Frage sind zwei Aspekte zu berücksichtigen. Der erste ist der, daß, wie Sie wissen, der Höchstflußreaktor in Grenoble ein Gemeinschaftsunternehmen ist, an dem mehrere Länder - Deutschland, Frankreich und Großbritannien - beteiligt sind. Das heißt: Eine wesentliche Veränderung, eine Steigerung der Kapazität und damit eine verstärkte Nutzung von Experimentiermöglichkeiten ist nur im Einvernehmen möglich. Bedauerlicherweise sind durch die Beitragsreduktion von Großbritannien die Instrumente, die einstmals 31 betrugen, gegen unseren Widerspruch auf 25 reduziert worden. Auch die Reaktorzyklen, die einstmals sechs im Jahr betrugen, sind auf fünf reduziert worden. Das heißt: Wenn wir jetzt - was möglich wäre - die Anzahl der Experimentierplätze durch weitere Instrumente erhöhen wollten , würde das die Zustimmung der anderen Partner, also auch Großbritanniens, erfordern. Diese ist nicht gegeben. Im übrigen finanzieren wir ja von den noch vorhandenen sechs Instrumenten eins über die KFA zusätzlich; Sie wissen das. Die drei anderen werden von der Schweiz und Frankreich in Anspruch genommen. Zwei von den reduzierten sind wissenschaftlich nicht mehr interessant. Das ist der eine Gesichtspunkt der Antwort. Der andere Gesichtspunkt der Antwort ist, daß es selbst dann, wenn es möglich wäre, die Zahl der Arbeitsplätze und der Experimentierinstrumente zu erhöhen, aus nationalem Interesse dennoch die Notwendigkeit gäbe, in Deutschland zusätzliche Arbeitsplätze, zusätzliche Experimentiermöglichkeiten für Neutronenforschung zu eröffnen. Dies ist im übrigen die unumstrittene Meinung der damaligen Großmann-Kommission, die sich, wie Sie wissen, ausführlich mit der Grundlagenforschung befaßt hat und ein deutliches Defizit, bezogen auf Neutronenforschung, in Deutschland festgestellt hat.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wäre es für den Steuerzahler nicht viel billiger, die Möglichkeiten voll auszuschöpfen - vorausgesetzt, Großbritannien stimmt zu, und das müßte durch Verhandlungen erreicht werden -, als einen neuen Reaktor zu bauen?

Bernd Neumann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001593

Einen neuen Reaktor zu bauen ist in der Regel immer teurer, als den alten, wenn er - wie der jetzige in Grenoble - funktionstüchtig ist, zu erweitern. Nun haben Sie die theoretische Frage gestellt. Ich habe versucht, sie in die vorangegangene Antwort einzubeziehen. Was Sie vorschlagen, würde uns nicht ausreichen, denn neben der internationalen Nutzung einer solchen Quelle, die ja dann auch anderen zur Verfügung steht, gibt es ein spezielles nationales Interesse, das beim Begutachtungs- und Zuteilungsverfahren niemals so berücksichtigt werden könnte. Zum Beispiel ist beabsichtigt - das ist für München vorgesehen -, den wissenschaftlichen Nachwuchs möglichst frühzeitig an die Neutronenforschung heranzuführen. Das ist bei den jetzigen Kriterien nicht möglich. Es ist beim FRM II geplant, medizinische Behandlungsmöglichkeiten - sprich Krebstherapie - einzubeziehen. Auch dies ist beim ILL nicht zu realisieren. Zusammengefaßt: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es sich Deutschland als Industrienation nicht leisten kann, längerfristig gesehen auf die Forschung mit Neutronen - ein Feld von herausragender Bedeutung - gerade im Vorfeld industrieller Entwicklung zu verzichten. Deshalb halten wir den Bau des FRM II in München für unverzichtbar.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Die Fragen 38 bis 56 werden sämtlich schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung. Wir kommen zu Frage 57 des Abgeordneten Frederik Schulze: Liegen der Bundesregierung verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse über Transferleistungen einer im Deutschen Bundestag vertretenen Partei nach Libyen vor?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege Schulze, die Antwort lautet wie folgt: Dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem BND liegen dazu keine eigenen Erkenntnisse vor. Nach unbestätigten Presseberichten soll es im Dezember 1992 zu einem Zusammentreffen von Mitgliedern des damaligen Bundesvorstandes der PDS mit einem ranghohen Mitglied des libyschen Geheimdienstes gekommen sein. Dabei soll es u. a. um den Transfer von Geldguthaben aus dem Nachlaß der ehemaligen SED gegangen sein. Nach der selben Pressemeldung wurde von der PDS dazu lediglich bestätigt, daß die Aufhebung des Embargos gegen Libyen Gesprächsgegenstand gewesen sei.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine Zusatzfrage, bitte.

Frederick Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Können Sie mir die Höhe der zur Diskussion stehenden Beträge sagen?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Die Beträge waren meines Wissens in dieser Pressemeldung nicht genannt.

Frederick Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das reicht. Es war sehr aufschlußreich. Danke.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Wenn es keine weiteren Zusatzfragen gibt, rufe ich die Frage 58 des Kollegen Dr. Burkhard Hirsch auf: Ist es zutreffend, daß beim Bundeskriminalamt und einigen Bundesländern eine sogenannte ,,Rechtstatsachensammelstelle” eingeführt werden soll mit dem Ziel, die Wirkung der neuen Eingriffsbefugnisse der Polizei zu prüfen, die u. a. mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und dem Verbrechensbekämpfungsgesetz eingeführt wurden?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege Dr. Hirsch, hier die Antwort. Es ist richtig, daß beim Bundeskriminalamt in Absprache mit den Ländern eine Rechtstatsachensammelstelle eingerichtet worden ist, nicht jedoch in den Ländern. Aufgabe der Rechtstatsachensammelstelle ist es, Rechtstatsachen, d. h. Fälle zu bestimmten vorhandenen Rechtsnormen zu sammeln, um kriminalpolitische Forderungen zu verabschiedeten Gesetzen bzw. geplanten Gesetzesvorhaben belegen oder Erfahrungsberichte erstellen zu können. Auf Wunsch der Länder erfolgt keine systematische statistische Erhebung von Rechtstatsachenmaterial, sondern lediglich eine Bund-Länder-Fallsammlung. Die Zulieferung von den Ländern erfolgt über das Innenministerium an das Bundeskriminalamt. Die Einrichtung der Rechtstatsachensammelstelle geht auf eine Initiative des Bundesministers des Innern zurück. Auf der Sitzung der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt, also der AG Kripo, vom 3./ 4. April 1995 wurde ein Themenraster gebilligt, so daß in Kürze mit der Arbeit begonnen werden kann. Entsprechend den Themenvorgaben beschränkt sich der Auftrag der Rechtstatsachensammelstelle nicht lediglich darauf, die Wirkung neuer polizeilicher Eingriffsbefugnisse im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität oder dem Verbrechensbekämpfungsgesetz zu überprüfen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, um uns hier ein langes Frage- und Antwortspiel zu ersparen: Sind Sie bereit, in einer der nächsten Sitzungen des Innenausschusses über das Projekt, den Stand und die Arbeitsweise im einzelnen zu berichten?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Selbstverständlich.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Keine weiteren Zusatzfragen?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Dann rufe ich die Frage 59 des Kollegen Dr. Hirsch auf. Ist es zutreffend, daß die vorbereitende Projektgruppe vorgeschlagen hat, „auf eine systematische Erhebung des Erfolges . . wird verzichtet", weil die mangelnde Konkretisierbarkeit des Erfolges bei Maßnahmen der genannten Art „auch zu rechtspolitisch unerwünschten Konsequenzen führen" könne, nämlich z. B. zur Einschränkung der Telefonüberwachungsmaßnahme?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Es ist zutreffend, daß die vorbereitende Projektgruppe entgegen dem Vorschlag des Bundeskriminalamtes entsprechend votiert hat.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, damit klar wird, worüber wir hier reden, muß ich auf den Wortlaut meiner Frage zurückkommen: Wollen Sie wirklich vertreten und halten Sie es wirklich für richtig, daß die vorbereitende Projektgruppe vorgeschlagen hat, auf eine systematische Erhebung des Erfolges dieser polizeilichen Maßnahmen deswegen zu verzichten, weil die mangelnde Konkretisierbarkeit des Erfolges „auch zu rechtspolitisch unerwünschten Konsequenzen" im Sinne einer Einschränkung von Telefonüberwachungsmaßnahmen führen könnte? Ist es nicht so, daß eine Rechtstatsachensammelstelle dazu da ist, Tatsachen zusammeln, und nicht dazu, Meinungen zu filtern?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege Dr. Hirsch, wir sind für dieses Votum der Projektgruppe nicht verantwortlich. Der Bundesinnenminister hatte ja vorgeschlagen, anders zu verfahren, ist damit aber nicht durchgekommen. Ich bitte auch zu bedenken, daß es sich nicht um eine systematische Erhebung in allen Fällen handelt, sondern daß solche Fälle nach eigener Ermessensentscheidung von den Landesinnenministerien an das Bundeskriminalamt weitergegeben werden, also keine lückenlose oder, wenn Sie so wollen, möglicherweise repräsentative Übersicht zustande kommen kann.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte noch einmal fragen, damit es hier kein Mißverständnis gibt: Ist es also zutreffend, daß diese Rechtstatsachensammelstelle darauf verzichtet, den Erfolg von Telefonkontrollmaßnahmen zu prüfen und zu bewerten, weil das Ergebnis einer solchen Bewertung dazu führen könnte, daß Telefonkontrollmaßnahmen nur noch in geringerem Umfang angeordnet werden?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege Dr. Hirsch, ich kann es nicht für alle Zeiten beantworten. Ich gehe davon aus, daß auf solche Wertungen, wenn das vorhandene Material zu einer seriösen Bewertung nicht ausreicht, ohnehin verzichtet werden muß. Nach der Erhebungsmodalität, die vereinbart worden ist, kommt eine solche repräsentative Übersicht eben nicht zustande.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Keine weiteren Zusatzfragen? Dann rufe ich die Frage 60 des Kollegen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig auf: Welche Verfahren der systematischen Aufgabenkritik in bezug auf die staatliche Tätigkeit nutzt die Bundesregierung, und ist geplant, die Aufgabenkritik in geeigneter Form zu institutionalisieren?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege Dr. Schmidt-Jortzig, die Antwort lautet: Staatliche Tätigkeit muß ständig einer kritischen Bewertung unterzogen werden. Die Schwerpunkte der Tätigkeiten der Ministerien verändern sich auf Grund politischer Vorgaben. Stabile, über Jahre hinweg gültige Aufgabenkataloge gibt es für die obersten Bundesbehörden nicht. Aufgabenkritik, insbesondere das zeitgerechte Reagieren auf Veränderungen, ist eine Daueraufgabe der Ministerialverwaltung. So wurden bereits 1989 Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtsetzung und von Verwaltungsvorschriften beschlossen, die Vermeidung von Überreglementierung und damit nicht zuletzt auch eine Entlastung von vermeidbarem Gesetzgebungsaufwand zum Ziel haben. Diese Vorgaben sind konsequent anzuwenden. Konkreter Anstoß zur weiteren Durchführung von Aufgabenkritik in der Bundesverwaltung ist derzeit die geplante Reduzierung der Staatstätigkeit auf Grund der Koalitionsvereinbarung für die 13. Legislaturperiode.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine Zusatzfrage.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, gilt das, was Sie gesagt haben, für alle Aufgaben, also - ich will es konkretisieren - nicht nur für alte, die man schon immer gehabt hat und bei denen man jetzt überprüft, ob sie denn weitergeführt werden sollen, sondern auch für neue, die man erst wahrnehmen will, weil es irgend jemand von einem verlangt? Wird auch da kritisch geprüft, ob es eigentlich Aufgabe des Staates ist, so etwas zu tun? Eduard Lintner, Pari. Staatssekretär: Selbstverständlich, ja.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zweite Zusatzfrage.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ist dafür eine Institutionalisierung vorgesehen?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Eine Institutionalisierung ist nicht vorgesehen, weil es im Grunde genommen die Aufgabe der gesamten Bundesregierung und der jeweiligen Ressorts ist, sich hier kritisch zu fragen. Im übrigen gehe ich davon aus, daß sich alle politischen Instanzen - beispielsweise Bundestagsfraktionen, Arbeitsgruppen usw. - bei dieser Aufgabe ebenso betätigen und deshalb die Gefahr, daß ein Ansatzpunkt übersehen wird, in der Praxis eigentlich nicht gegeben ist.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich sehe keine Zusatzfragen. Wir kommen zur Frage 61 des Kollegen Schmidt-Jortzig: Kann die Bundesregierung die Prinzipien benennen, die ihrer Aufgabenkritik zugrunde liegen, und darlegen, welche Bedeutung die verschiedenen Formen der Privatisierung in diesem Zusammenhang haben?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Im Hinblick auf Privatisierungsmöglichkeiten ist der bisherige Aufgabenstand in allen staatlichen Bereichen kritisch zu prüfen. Die Staatstätigkeit ist auf ihre Kernaufgaben zu konzentrieren. Dazu zählen insbesondere öffentliche Sicherheit und Ordnung, Verteidigung, Steuerverwaltung, Arbeit und Soziales sowie Schulverwaltung, aber auch wesentliche Staatsaufgaben der Daseinsvorsorge wie Zukunftssicherung, Forschungs- und Wissenschaftsförderung. Die Aufgabenwahrnehmung ist Privaten und damit den Wettbewerbsbedingungen des Marktes dort zu überlassen, wo solche Aufgaben von Privaten besser oder zumindest ebensogut ausgeführt werden können. Über die bisherigen Privatisierungsmaßnahmen hinaus ist das Augenmerk darauf zu richten, wo und gegebenenfalls inwieweit bislang staatlicherseits wahrgenommene Aufgaben nach außen verlagert werden können, sei es in der Form der Organisationsprivatisierung oder der materiellen Übertragung auf Private. Aufgaben, die die Mitwirkung bei der politischen Willensbildung und Politikformulierung oder die Umsetzung der politischen Programme und Vorhaben beinhalten und daher politischer Steuerung bedürfen, eignen sich allerdings nicht für eine Privatisierung.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine Zusatzfrage, bitte.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, es soll sich bei der Privatisierung nur um die sogenannte materielle Privatisierung handeln, wo also natürliche Personen, Private zum Zuge kommen. Wenn ich unterstelle, daß das zu Einbußen bei liebgewonnenen Standards bei den Empfängern von Leistungen führen kann, so frage ich: Ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß sie möglicherweise mit Garantenpflicht einspringen muß, um solche Rechts- und Anspruchsdefizite auszugleichen, und - wenn ich gleich die zweite Frage stellen darf - ist das ein Punkt, der möglicherweise von der Privatisierung absehen läßt, oder würde dann zwar tatsächlich werthaft privatisiert, dabei aber eben nicht Kosten gespart?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege, ich' habe darauf hingewiesen, daß eines der wichtigsten Beurteilungskriterien eben die Frage ist, ob Private besser oder mindestens genausogut diese Aufgaben erfüllen können. Deshalb dürfte bei richtiger Entscheidung über dieses Kriterium der von Ihnen genannte Fall gar nicht eintreten. Ich gebe Ihnen aber recht, daß sich hierbei schwierige Beurteilungsfragen ergeben könnten, die sorgfältig geprüft werden müssen, bevor eine Entscheidung gefällt wird. Ob das so weit gehen kann, daß daraus eine Garantenstellung mit Schadenersatzpflicht und dergleichen resultiert, wage ich aus dem Stegreif bei dieser schwierigen juristischen Materie jetzt nicht vorauszusagen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Habe ich das richtig verstanden, daß Sie gleich zwei Fragen gestellt haben?

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Es war nicht ganz klar. Ich wäre bereit, Ihnen noch eine Frage zuzugestehen. Wollen Sie?

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich danke für die Großzügigkeit, Herr Präsident. Ich würde in der Tat gerne nachfragen. Es geht nicht um Schadensersatz, sondern es geht um Ausgleichsleistungen. Auf den Punkt gebracht: Ist der Bundesregierung die Privatisierung in solchen Fällen so viel wert, daß sie auch um den Preis gewisser Ausgleichsleistungen diesen Weg ginge?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege, ich fürchte, das läßt sich abstrakt nicht beantworten. Das müßte in der Tat anhand des einzelnen Objekts entschieden werden. Ich muß noch einmal sagen: Ob nun Ausgleichsleistungen oder Schadensersatzleistungen zu erbringen sind, ist egal; es wäre jedenfalls wohl daran gedacht, daß der Staat Zusätzliches leisten müßte, weil der Private die Leistungen nicht in dem erforderlichen oder vorhergesehenen Umfang erbrächte. Wie dann aber konkret zu verfahren wäre, müßte wohl, bezogen auf den Einzelfall, entschieden werden.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Keine weiteren Zusatzfragen. Die Fragen 62 bis 71 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Dann rufe ich Frage 72 des Kollegen Dr. Max Stadler auf: Nutzt die Bundesregierung die Befristung von Rechtssetzungen als Hilfsmittel zum Abbau der Regelungsdichte, und wie beurteilt die Bundesregierung dieses Instrument?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege Dr. Stadler, die Antwort lautet: Eine Befristung von Rechtsvorschriften wird in Betracht gezogen, wenn eine Regelung nur für eine vorhersehbare Zeitspanne benötigt wird oder zunächst nur eine Regelung auf Probe in Betracht kommt. Dementsprechend lautet eine der zehn Prüffragen für Rechtsvorschriften des Bundes, die von der Bundesregierung zur Vereinfachung des Rechts und zur Vermeidung von Überreglementierungen 1984 beschlossen wurden und die bei jedem neuen Rechtsetzungsvorhaben zu stellen sind: „Kann die Geltungsdauer beschränkt werden?" Die Vereinfachung des Rechts und die Verminderung des Vorschriftenbestandes sind auch in dieser Legislaturperiode ein Schwerpunkt der Politik der Bundesregierung. Dabei wird die Bundesregierung, wie in der Regierungserklärung vom 23. November 1994 angekündigt, auch die Möglichkeiten prüfen, Rechtsvorschriften von vornherein zeitlich zu befristen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine Zusatzfrage.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, in wie vielen Fällen davon Gebrauch gemacht wurde, seit dieses Kriterium eingeführt worden ist?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Ich bitte um Verständnis, die Zahl habe ich nicht parat.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Weitere Zusatzfrage?

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich rufe Frage 73 des Kollegen Heinz Lanfermann auf: Wendet die Bundesregierung in ihrem Zuständigkeitsbereich als Methode verbesserter Steuerung Instrumentarien des Controlling an, oder plant sie die Einführung solcher Verfahren?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege Lanfermann, bei der Beantwortung der Frage wird von nachstehender Definition des Begriffs „Controlling" ausgegangen: Controlling dient in erster Linie der Führungsunterstützung, indem es ermöglicht, festgelegte Ziele mittels eines fortlaufenden Soll-IstVergleichs zu erreichen und Planvorgaben im Sinne einer Steuerung zu formulieren und zu kontrollieren. Für eine Quantifizierung der Ziele liefert insbesondere eine Kosten- und Leistungsrechnung die notwendigen Daten. Die Koalitionsvereinbarung sieht für die 13. Legislaturperiode im Rahmen der Reform der öffentlichen Verwaltung eine Überprüfung des Haushaltsrechts und seiner Anwendung vor. Zur Erprobung flexiblerer Haushaltsverfahren und -instrumente sind daher Pilotprojekte in den Bundeshaushalt aufgenommen worden. In diesem Zusammenhang wird auch zu überlegen sein, ob und für welche Bereiche der öffentlichen Verwaltung sich die Einführung von Controlling-Elementen, z. B. einer Kosten- und Leistungsrechnung, anbietet und wie diese wirtschaftlich vertretbar ausgestaltet und umgesetzt werden können. In die Modellvorhaben für die Jahre 1995 bis 1997 sind das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, die Bundeszentrale für politische BilParl. Staatssekretär Eduard Lintner dung, das Bundesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe, das Bundessortenamt und die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung einbezogen. Von diesen Projekten wird auch Aufschluß darüber erwartet, ob eine Verbesserung der Steuerungsmethoden durch die Anwendung beweglicherer Haushaltsinstrumente und durch mehr Eigenverantwortung der Mittelbewirtschafter eine Steigerung der Effizienz herbeigeführt und damit eine sparsamere Verwendung öffentlicher Mittel erreicht werden kann.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 74 des Kollegen Heinz Lanfermann auf: Verwendet die Bundesregierung in ihrem Zuständigkeitsbereich andere als finanzielle Analyseinstrumente zur Ermittlung der Effektivität der Verwaltung, und wie steht sie zu solchen Kennungen nichtmonetärer Art?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

In der Bundesrepublik Deutschland haben in mehreren Verwaltungsfeldern Evaluationen von Verwaltungsprogrammen auf nicht rein monetärer Basis stattgefunden. Zu nennen sind vornehmlich die regionale Strukturpolitik, die Städtebau- und Wohnungspolitik, die Umweltpolitik und einzelne Felder der Sozialpolitik. Vor allem bei experimentellem Verwaltungshandeln, etwa in der Form von Modellprojekten oder von zeitlich befristeten Programmen, sind im Regelfall derartige Wirkungskontrollen durchgeführt worden. In Verwaltungsbereichen, in denen der Projektansatz ein wichtiges Element des Verwaltungshandelns ist, sind Verfahren zur Projektevaluation entwickelt worden, so im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung oder bei der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. Die Bundesregierung beabsichtigt, im Rahmen ihrer weiteren Maßnahmen zur Effizienzsteigerung der Verwaltung Wirkungskontrollen nicht nur bei Verwaltungsprogrammen, sondern auch hinsichtlich der Verwaltungsorganisation durchzuführen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine Zusatzfrage.

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, können Sie zu dem letzten Punkt vielleicht etwas konkretere Angaben machen, auch was den Zeitpunkt und die Häufigkeit solcher geplanten Vorhaben angeht?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Ich fürchte, daß in bezug darauf noch keine weiteren Angaben vorliegen. Aber ich sage Ihnen zu, daß wir Sie oder das zuständige Parlamentsgremium unterrichten, wenn diese Dinge angegangen werden.

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Keine weitere Zusatzfrage. Ich sehe, der Kollege Möllemann ist nicht anwesend. Dann entfällt die Beantwortung der Fragen 75 und 76. Ich rufe die Frage 77 des Kollegen Ulrich Heinrich auf: Da die Koalitionsfraktionen die Verschlankung des Staates auf ihre Fahnen geschrieben haben, wüßte ich gerne, was die Bundesregierung unternimmt, um Länder und Kommunen dazu anzuhalten bzw. dabei zu unterstützen, daß diese ebenfalls einen umfassenden Beitrag zur Verschlankung des öffentlichen Sektors leisten?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege Heinrich, die Antwort lautet: Länder und Kommunen haben unter dem Druck leerer Kassen selbst umfangreiche Aktivitäten zur Effizienzsteigerung ihrer Verwaltungsapparate entwickelt. Beispielhaft will ich auf die Funktionalreformen in Baden-Württemberg, in Brandenburg und Thüringen, das neue Berliner Verwaltungsmanagement, die Aktivitäten der Projektgruppe Verwaltungsreform" in der Bayerischen Staatskanzlei und die Reformbestrebungen in Sachsen hinweisen. Auch im kommunalen Bereich werden neue Organisationsmodelle erprobt, wie beispielsweise in Offenbach, Duisburg und Saarbrücken. Auf Bundesebene zu erwähnen sind beispielhaft Projekte wie das zur Überprüfung des Vollzugs und des Anwendungsaufwandes von Gesetzen, zum Abbau von Statistiken, zur Erprobung flexibler Budgetierungsinstrumente, zur Reform des Dienstrechts durch Umsetzung des Perspektivberichts sowie die einen Schwerpunkt der Koalitionsvereinbarungen für die 13. Legislaturperiode bildende umfassende Aufgabenkritik der Bundesverwaltung. Über die Erkenntnisse und Erfahrungen, die bei diesen Projekten in Bund, Ländern und Gemeinden gewonnen werden, findet ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch u. a. in Gremien der Innenministerkonferenz statt.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine Zusatzfrage, bitte.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, nachdem die Verschlankung des Staates ja eine relativ neue Aufgabe ist, der wir uns gemeinsam stellen, möchte ich Sie fragen: Haben Sie heute schon einen Überblick darüber, ob in der Zukunft rechtliche Voraussetzungen erst geschaffen werden müssen, insbesondere in Richtung auf Privatisierungsmöglichkeiten bei Ländern und Kommunen? Diese Voraussetzungen müßten von seiten des Bundes hier erst geschaffen werden.

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege, ich kann Ihnen dazu keine umfassende Auskunft geben. Wenn Sie sich aber einmal das öffentliche Dienstrecht anschauen, das ja auch für den kommunalen Bereich gilt, so müssen Sie davon ausgehen, daß natürlich gewisse Bestimmungen angepaßt werden müssen, um beispielsweise experimentelle Vorhaben zu ermöglichen. Ähnliches gilt für das Haushaltsrecht. So gesehen, befinden wir uns in einem Prozeß, in dessen Verlauf sicher eine Änderung von Vorschriften, sei es von Gesetzen oder Verordnungen, notwendig sein wird.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine weitere Zusatzfrage.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gibt es bei der Bundesregierung schon konkrete Vorstellungen, auch in Form von ausgearbeiteten Vorlagen, damit diesen Notwendigkeiten entsprechend Rechnung getragen werden kann?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Meines Wissens enthält beispielsweise das Bundeshaushaltsgesetz 1995 einiges im Hinblick auf solche Ansätze. Soviel ich weiß, wird die bevorstehende und angekündigte Dienstrechtsreform - der Gesetzentwurf dazu ist in unserem Hause in Vorbereitung - Elemente dieser Art enthalten. Um auf die Länder zu sprechen zu kommen: Es hat beispielsweise Bayern im Bereich der Bauordnung bereits Erleichterungen geschaffen. Es ist sehr viel im Fluß - so will ich es einmal zusammenfassen -, ohne daß ich Ihnen jetzt einen abschließenden detaillierten Überblick geben könnte.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich rufe die Frage 78 des Kollegen Ulrich Heinrich auf: Hat die Bundesregierung Vorstellungen, wie die stetig notwendige Anpassung der Verwaltung an sich verändernde Rahmenbedingungen zu einer beständigen Aufgabe gemacht werden kann, und, wenn ja, welche?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Es ist bereits seit langem eine Daueraufgabe der Bundesverwaltung, die staatlichen Aufgaben mit geringstmöglichem Aufwand in finanzieller, insbesondere personeller Hinsicht zu erfüllen, d. h. überholte Aufgabenstellungen, Einrichtungen und Praktiken unverzüglich zu erkennen und neu zu ordnen. Bereits seit 1988 stellt daher der Bundesminister des Innern in Zusammenarbeit mit den Bundesressorts und dem Bundesrechnungshof sowie mit wissenschaftlicher Unterstützung eine Reihe von Arbeitshilfen zur Verfügung, die in einem nahezu flächendeckend in der Bundesverwaltung verbreiteten ,,Handbuch für Organisationsplanung" zusammengefaßt sind. Im einzelnen handelt es sich um Hilfsmittel zur Durchführung von Organisationsuntersuchungen einschließlich der Aufgabenkritik und der Personalbemessung sowie um Hinweise zu methodischem Vorgehen beim Einsatz der Informationstechnik in der Bundesverwaltung. Das Handbuch wird seitdem ständig überarbeitet und bildet die Grundlage für die Anpassung der Verwaltung an sich verändernde Rahmenbedingungen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine Zusatzfrage, bitte.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wenn es dieses Handbuch gibt, sind Sie dann mit mir der Meinung, daß wir es unter dem besonderen Aspekt „Verschlankung des Staates" um ein Kapitel erweitern sollten, um diesen Aspekt intensiver zu berücksichtigen?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Ich weiß jetzt nicht, ob der Gedanke genau in dieses Handbuch paßt. Aber ich gebe Ihnen recht, wenn Sie dafür plädieren, daß diese Überlegungen einem breiten Adressatenkreis bekanntgemacht werden sollen, damit jeder, der an irgendeiner Stelle bei der Verschlankung mithelfen kann, tatsächlich auch die notwendigen Informationen und Hilfestellungen hat.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Sehe ich das richtig, eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung? Frau Kollegin Albowitz, bitte.

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Ich beantrage für die F.D.P.-Fraktion gemäß Anlage 5 Nr. 1 b der Geschäftsordnung zu diesem Thema, bezogen auf die Fragen 77 und 78, eine Aktuelle Stunde entsprechend § 106 Abs. 1 der Geschäftsordnung. Mein Kollege Schmidt-Jortzig wird den Antrag begründen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte, Herr Kollege.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehe davon aus, daß ich zwei, drei Sätze zur Begründung sage und dann gleich einsteige.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Davon gehe ich nicht aus.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gut, dann gehe ich nicht davon aus. Meine Damen und Herren, die Antworten der Bundesregierung haben uns nicht zufriedengestellt. ({0}) - Wir wußten das in der Tat schon, seitdem der Ablauf dieser Fragestunde bekannt war; denn unsere systematisch aufeinander abgestimmten Fragen wurden auseinandergerissen und unterschiedlichen Ressorts zur Beantwortung zugewiesen. Deshalb war eine grundsätzliche Erörterung gar nicht möglich. Im übrigen hat uns doch ein wenig gefehlt - ich will es so vorsichtig lassen -, was denn mehr als Einsparungen, mehr als Haushaltsentlastung, mehr als Aufwandsreduzierung noch dafür sprechen könnte, in der Aufgabenkritik und dann im Vollzug derselben mit der Verschlankung und der Privatisierung Ernst zu machen. Die Verschlankung des Staates Dr. Edzard Schmidt-Jortzig so das neue Schlagwort - ist ja wohl eine ernsthafte Veranstaltung. Deswegen muß man hier etwas konkreter werden. Deshalb beantragen wir diese Aktuelle Stunde.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Vielen Dank, Herr Kollege. Sie haben es gehört, meine Damen und Herren, die F.D.P.-Fraktion hat zu den Antworten der Bundesregierung auf die Fragen 77 und 78 eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht in der Tat Nr. 1 b der Anlage 5 zu unserer Geschäftsordnung Richtlinien für Aussprachen zu Themen von allgemeinem aktuellen Interesse". Die Aktuelle Stunde findet unmittelbar nach Schluß der Fragestunde statt. Wir fahren jetzt mit der Fragestunde fort. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Irmgard Karwatzki bereit. Ich rufe die Frage 79 der Kollegin Elisabeth Altmann auf. Sie ist aber, soweit ich sehen kann, nicht anwesend. - Das ist so. Dann entfällt die Antwort. Darm rufe ich die Frage 80 der Kollegin Ina Albowitz auf: In welchen Bereichen innerhalb der Zuständigkeit der Bundesverwaltung findet eine finanzielle Bilanzierung der Administrationsarbeit, also eine Gegenüberstellung von Aufwand und Ergebnis, statt, und hat die Bundesregierung Pläne, die Kostenrechnung als Instrumentarium der Aufgabenkritik auf weitere Bereiche auszudehnen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Frau Kollegin Albowitz, eine rechnerische Gegenüberstellung von Aufwand und Ergebnis staatlicher Maßnahmen findet in der Bundesverwaltung bisher nur in begrenztem Umfang statt. Das hierfür in Frage kommende Instrument der Kosten- und Leistungsrechnung wird ansatzweise, d. h. mit Hilfs- oder pauschalierten Berechnungen, in Bereichen eingesetzt, in denen kostendeckende Gebühren und Entgelte zu erheben sind. Dies trifft z. B. für die Physikalisch-Technische Bundesanstalt und die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung zu. Umfassendere Ansätze von Kosten- und Leistungsrechnungen im Sinne von Kostenstellen- und Kostenträgerrechnungen liegen für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung und beim Bundesamt für Post und Telekommunikation vor. Diese Arbeiten befinden sich zum Teil noch in der Erprobungsphase. Im Bereich der Bundesvermögensverwaltung ist die Einführung von Kosten- und Leistungsrechnungen in Vorbereitung. Darüber hinaus prüft die Bundesregierung derzeit zusammen mit den Bundesländern, inwieweit zur Steigerung der Verwaltungseffizienz die Ausdehnung der Kosten- und Leistungsrechnung auf weitere Bereiche sinnvoll ist. Dabei wird auch der Aspekt der Aufgabenkritik berücksichtigt.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage? - Bitte.

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, können Sie mir schon jetzt sagen, zu welchem Zeitpunkt Ihre Beratungen mit den Ländern in etwa abgeschlossen sein werden, damit wir zu einer höheren Effizienzsteigerung und Kostentransparenz in diesem Bereich kommen können?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Ich bin vorsichtig und möchte mich auf keine Zeit festlegen. Ich kann Ihnen aber die Zusage geben, Frau Kollegin Albowitz, daß es unser Interesse ist, so schnell wie eben möglich ein Instrument vorzulegen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Noch eine Zusatzfrage?

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Dann rufe ich die Frage 81, ebenfalls eine Frage der Kollegin Albowitz, auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Einführung der Doppik statt der Kameralistik als Steuerungsinstrument der öffentlichen Verwaltung, und ist die Bundesregierung bereit, entsprechende Abänderungen des Haushaltsrechts vorzunehmen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Nach Auffassung der Bundesregierung sollte das kameralistische Buchführungssystem nicht durch ein kaufmännisches Rechnungswesen ersetzt werden. Haushaltsaufstellung, Haushaltsdurchführung und Rechnungslegung erfordern die kameralistische Buchführung als Soll-Ist-Vergleich und sichern auf diese Weise das parlamentarische Budgetrecht. Auch für die Liquiditätsplanung des Bundes ist eine Buchführung nach Einzahlungen und Auszahlungen notwendig. Es wird aber geprüft, inwieweit Elemente betriebswirtschaftlicher Rechnungswesen die Kameralistik in Teilbereichen ergänzen können, um die Effizienz öffentlicher Verwaltungen weiter zu verbessern.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage? - Bitte.

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, wir beide haben das Vergnügen, zusammen den Haushaltsausschuß begleiten zu dürfen. Die Antwort, die Sie mir hier gegeben haben, habe ich nun schon öfter gehört. Wenn hier von mehr Effizienzsteigerung - das wird gleich Thema der Aktuellen Stunde sein - und von einem verbesserten Haushaltsrecht - im Haushalt 1995 haben wir einige Modellversuche enthalten - gesprochen wird, stellt sich die Frage: Wie intensiv begleitet die Bundesregierung diese Modelle? Wird von Ihnen im Hinblick auf 1996 beab2616 sichtigt, die Modellvorhaben in diesem Bereich auszuweiten, damit wir tatsächlich zu mehr Effizienzsteigerung kommen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Wir müssen zuerst das Ergebnis der Modellversuche abwarten. Wenn das Ergebnis zufriedenstellend ist, werden wir im Haushaltsausschuß noch einmal eine Diskussion darüber miteinander führen. Daraus werden dann die Konsequenzen gezogen. Ist das Ergebnis gut, gibt es weitere Modelle bzw. Ergänzungen zu den jetzigen Modellen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zweite Zusatzfrage.

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ich würde Sie doch gerne noch einmal fragen: Beabsichtigt die Bundesregierung zum Haushalt 1996 - Sie sind ja schon jetzt bei der vorläufigen Aufstellung dieses Haushalts - weitere Modellversuche im Hinblick auf Budgetierungen und andere Kameralistik einzuführen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Über die fünf, die wir im Haushaltsausschuß beschlossen haben, hinaus: Nein.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Keine weitere Zusatzfrage? - Ich rufe die Frage 82 des Kollegen Dr. Stadler auf: Für welche Einrichtungen in der Zuständigkeit des Bundes findet eine globale Zuweisung der Mittel ({0}) statt, und will die Bundesregierung dieses Instrument der eigenverantwortlichen Mittelverwendung auch auf weitere Bereiche ausdehnen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege Stadler, die wesentlichen Elemente einer Budgetierung, nämlich Dezentralisierung und Flexibilisierung der staatlichen Finanzwirtschaft, sind bei den Programmausgaben des Bundes weitgehend verwirklicht. Hierzu trägt insbesondere die Beachtung der Ressortverantwortung sowie die Vielzahl von Deckungs- und Übertragungsvermerken im Bundeshaushalt bei. Budgetierung in engerem Sinne als globale Zuweisung von Haushaltsmitteln an bestimmte Einrichtungen ist im Bundeshaushalt nicht vorgesehen. Die Bundesregierung beabsichtigt aber, mit dem Haushalt 1995 bei fünf Verwaltungskapiteln des Bundeshaushaltes zu untersuchen, inwieweit flexiblere Haushaltsinstrumente zu mehr Effizienz und sparsamerer Verwendung von Haushaltsmitteln führen können. Das Modellvorhaben ist auf einen Zeitraum von drei Jahren ausgelegt. Das Konzept der Bundesregierung hat der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages in seiner Sitzung am 9. März 1995 im Zusammenhang mit dem Haushaltsgesetz 1995 gebilligt.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage?

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Frage ist, ob die Bundesregierung bereit ist, auch vor Ablauf des dreijährigen Modellversuchs dieses Instrument der Budgetierung in engerem Sinne auszuweiten, und zwar deswegen, weil, wie Herr Staatssekretär Lintner vorhin ausgeführt hat, auch Erfahrungen aus den Ländern und insbesondere den Kommunen vorliegen, die für die Anwendung dieses Mittels sprechen und von ihnen ausgewertet werden könnten.

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege Stadler, Modelle sind dazu da, diese erst einmal zu erproben. Erst wenn das Ergebnis zufriedenstellend ist, kann man handeln. Da das Innenministerium aber bei, den Modellmaßnahmen mitbeteiligt ist, kann ich Ihnen sicherlich zusagen: Sollten wir schneller zu der Überzeugung kommen, daß es sich lohnt, dann werden wir natürlich auch schneller handeln.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Keine weitere Zusatzfrage. Wir kommen zur Frage 83 des Kollegen. Dr. Gerald Thalheim: Beabsichtigt die Bundesregierung, bei der Privatisierung des ehemals volkseigenen Waldes in den neuen Bundesländern durch die Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft ({0}) den Zuschlag für den möglichen Erwerber von einer Übernahme der jeweils vorhandenen Forstbeschäftigten abhängig zu machen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege Thalheim, Erwerbsinteressenten haben grundsätzlich ein Betriebskonzept vorzulegen. Ihr Bedarf an Arbeitskräften soll in dem Konzept ausgewiesen werden. Die Übernahme des jeweiligen Forstpersonals kann aber nicht zum ausschlaggebenden Kriterium und damit auch nicht zur Bedingung für den Zuschlag gemacht werden. Bei der Privatisierung von Waldflächen wird eine breite Streuung des Eigentums sowie die Schaffung wirtschaftlich tragfähiger Forststrukturen angestrebt. Die Frage der Einstellung von Forstpersonal kann nur im Zusammenhang mit den jeweils entstehenden Betriebsgrößen beurteilt werden.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage? Dr. Gerald Thalheim ({0}): Ja.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Dr. Gerald Thalheim (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002311, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, gibt es Absprachen mit den jeweiligen Landesbehörden, wo die Forstbediensteten zur Zeit beschäftigt sind, über die soziale Absicherung für den Fall, daß diese im Rahmen der Privatisierung trotz der von Ihnen genannten Kriterien nicht übernommen werden können?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Bei allen Forstbeschäftigten handelt es sich um Arbeitnehmer, wie Sie ausgeführt haben, der jeweiligen Bundesländer. An den Kosten, die den Ländern durch unvermeidbare Freisetzungen infolge der Verwertung der Waldflächen entstehen, beteiligt sich die BVS anteilig, und zwar auf der Grundlage der mit den neuen Bundesländern abgeschlossenen Waldbewirtschaftungsvereinbarungen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zweite Zusatzfrage.

Dr. Gerald Thalheim (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002311, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, können Sie Auskunft darüber geben, wie hoch der Anteil Forstbediensteter auf den ehemals Treuhandflächen ist und wie hoch die Zahl, ausgehend von dieser Bedienstetenzahl, derer ist, die damit ihre Beschäftigung verlieren könnten?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Nein, Herr Kollege, das kann ich nicht. Ich sage Ihnen aber zu, daß ich mich sachkundig mache und Ihnen das sofort schriftlich zur Verfügung stellen werde.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine Zusatzfrage des Kollegen Kubatschka.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkung der Privatisierungspolitik auf die Sozial- und Erholungsfunktion des Waldes?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Der Wald wird nicht vernichtet, so daß er von der Erholungsqualität her auch erhalten bleibt.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage, Herr Kollege Krüger.

Thomas Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002708, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, nach welchem Konzept wird der Treuhandwald privatisiert bzw. wann legt die Bundesregierung ein solches Konzept vor?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Es gibt die einschlägigen Gesetze. Danach wird gehandelt. Sie bieten als Vorbedingungen zum Erwerb oder zum Verkauf die rechtliche Grundlage.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage, Herr Kollege Hornung.

Siegfried Hornung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000961, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir einig, daß gerade mit der Privatisierung von großen Waldflächen, vor allen Dingen bei Übergang in bäuerliche Hand, die größte Effizienz für eine hervorragende Bewirtschaftung gegeben ist und damit volkswirtschaftlich der beste Weg gefunden ist, daß aber eine Übernahme von Personal derzeit mehr Kosten verursacht, als unter dem Strich herauskommt?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Meiner Meinung nach kann ich Ihre Frage mit einem klaren Ja beantworten.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Der Kollege Büttner.

Hans Büttner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000302, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, der Wald hat eine große Sozial- und Erholungsfunktion, die nur dadurch gewährleistet werden kann, daß der Zugang zu den Wäldern für jedermann frei ist. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß dies auch bei einer Privatisierung uneingeschränkt der Fall sein wird? Denkt die Bundesregierung daran, daß, um diesen freien Zugang sicherzustellen, zumindest Teile des Treuhandwaldes den Kommunen übertragen werden sollen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Wenn sich die Kommunen bemühen, Wald zu erwerben, dann übertragen wir ihnen den Wald natürlich genauso wie Privaten. Was den Zugang für die Menschen anbelangt, gehe ich einmal davon aus, daß der Wald weitestgehend zugänglich ist. Ich habe am Freitag ein Gespräch mit entscheidenden Mitarbeitern. Ich gehe dieser Frage nach und lasse es mir persönlich bestätigen; denn ich weiß es nicht.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich bin jetzt ein bißchen unsicher, Herr Kollege Hornung. Sie hatten schon eine Zusatzfrage. ({0}) - Nein, nur eine. Zwei Zusatzfragen hat nur der Fragesteller selber. Das ist eine Lösung!

Egon Susset (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nachdem mein Kollege sein Fragerecht ausgeschöpft hat, möchte ich Sie, Frau Staatssekretärin, bitten mitzuteilen, daß es das Betretensrecht gesetzlich verbrieft unabhängig davon gibt, welche Rechtsform der Besitzer des Waldes hat.

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege, das mag so sein. Ich weiß das nicht. Ich bin dafür nicht zuständig; denn Wald und Forstwirtschaft sind beim Landwirtschaftsminister beheimatet. Ich mußte hier nur Antworten geben, wie verkauft wird. Aber da Sie ein fachkundiger und sachkundiger Kollege sind, glaube ich, daß das, was Sie in eine Frage gekleidet haben, die Rechtsgrundlage ist. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das steht jetzt im Protokoll! - Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen abgeschlossen. Die Frage 84 der Kollegin Anke Fuchs wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich rufe jetzt auf: Aktuelle Stunde Schlanker Staat Die Fraktion der F.D.P. hat eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt. Ich bitte um Wortmeldungen. - Als erster hat der Kollege Schmidt-Jortzig von der F.D.P. das Wort.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Aktuellen Stunde möchte ich vor allem darauf eingehen, daß die maßgeblichen Grundansätze auf dem Feld der Verschlankung des Staates, der Entbürokratisierung, klar sein müssen. Der schlanke Staat darf jedenfalls nicht in der Weise, wie wir es in der Vergangenheit mit anderen Schlagworten, die in diese Richtung gingen, erlebt haben, reines Placebo bleiben, mit dem man sich in der Öffentlichkeit dicke tut und den Anstrich der Modernität zu haben glaubt, im Grunde aber alles beim alten läßt. Das muß vermieden werden. Diese Koalition, die Sie auf Grund der Koalitionsvereinbarung zum Arbeiten antreten sehen, ist äußerst animiert, hier ernst zu machen. ({0}) In der Koalitionsvereinbarung gibt es ein ganzes Kapitel mit der Überschrift „Staat schlanker machen - Bürokratie abbauen". Deswegen muß nicht nur heftig daran geglaubt werden - von Zweifeln will ich überhaupt nicht sprechen, denn ich glaube heftig daran -, sondern es muß auch nachgefragt werden: Was läuft hierzu, und welche Maßstäbe gibt es dafür? In der Koalitionsvereinbarung folgen dann über etliche Seiten Abschnitte über „Verwaltung straffen", „Verfahren vereinfachen" und „Rechtsschutz konzentrieren". Dazu ist schon einiges in Gang gekommen. Ich erinnere an die Arbeitsgruppe Planung und Genehmigungsverfahren, die schon bemerkenswerte Vorergebnisse erzielt hat und die übrigens gerade wieder tagt. Aber es muß dazu vom Parlament aus beständig gedrängt und nachgefragt werden. Es muß berichtet, kritisiert, angeregt werden. Es gilt, die Phantasie zu beflügeln, aber auch, die Umsetzungsanstrengungen zu bestärken und zu forcieren. Meine Damen und Herren, worum geht es bei dieser Mühewaltung, die von vielen als Nagelprobe für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands angesehen wird? In dem fünfminütigen Zeitraum, der in der Aktuellen Stunde zur Verfügung steht, kann ich nur einige wenige Eckpunkte verdeutlichen. Erstens ist die Wiederanfachung der Selbstinitialität der Menschen angesagt. Es geht um Kreativität, Bildung, Ausbildungsfragen, mehr Einsatz für den eigenen und gemeinsamen Erfolg, also auch um Leistungsfreude. Die Anlagen hierzu sind bei den Menschen vorhanden, sie müssen nur gepflegt, herausgefordert und ermuntert werden. ({1}) Es müssen auch manch liebgewordene Bequemlichkeit, Fremdbestimmung und Absicherung überdacht werden. Es geht um die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit und des Willens zur eigenen Initiative, zum eigenen Initiativwerden, man muß nicht immer nur warten, bis einen der große Staat an die Hand nimmt, sondern selbst aktiv werden. Hier sind vor allem Gesellschafts- und Sozialpolitik gefragt. Das ist ein ganz schwieriges Feld. Aber das gehört nun einmal unumgänglich auch zu diesem Thema. Deshalb dürfen wir uns nicht um diesen schwierigen Punkt herumdrücken. Zweitens rückt die Leistungsfähigkeit des Staates und unserer Gemeinschaftsordnung in den Blick. In der Koalitionsvereinbarung heißt eine Überschrift dazu: „Deutschland fit machen für das Jahr 2000." Aber um was geht es da konkret? Aufgaben- wie Instrumentenkritik sind als Dauerpflicht, aber auch als Grundeinstellung nötig. Es geht darum, zu klären, welche Aufgaben überhaupt aufgegriffen werden dürfen und welche man wieder abgibt. Es geht allemal um ein strenges und unvoreingenommenes Prüfen von Grundsatznotwendigkeit, Geeignetheit, Paßförmigkeit, um die vorhandenen Möglichkeiten auszuschöpfen und den Staat wirklich wieder leistungsfähiger zu machen. Drittens und im Grunde auch schon abschließend nenne ich die Einsparungen und die Haushaltskonsolidierung. Es ist in der Reihenfolge der Argumente und Momente für die Verschlankung das letzte und nicht das erste - wie es immer gesehen wird -; denn es ist die Konsequenz der anderen Anstrengungen und der Flankenschutz dafür. Damit steigt die Mittelverfügbarkeit, die Aktionsfähigkeit des Staates wieder. Entsprechend kann die Abgabenbelastung bei den Bürgern gesenkt werden.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Sie können noch einen Satz ausführen.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002781, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Natürlich steckt der Teufel im Detail, aber die Details können nicht zureichend gestaltet werden, wenn die Grundsätze und Leitideen nicht stimmen. Deshalb geht es darum, die Perspektivschärfung voranzutreiben, bei der Zielumsetzung mitzuwirken und strikt, streng und unnachgiebig die Einzelschritte zu verwirklichen und zu kontrollieren. Vielen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Scholz ({0}).

Prof. Dr. Rupert Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dies ist ein Thema einer Aktuellen Stunde, nicht nur dieser Stunde, sondern das ist das Thema der Aktualität unseres Staates insgesamt. Der schlanke Staat ist das Thema schlechthin, wobei es nicht um Verschlankung im Sinne von quantitativen Minderungen geht. Es geht um qualitative Verbesserungen, den qualitativen Abbau von vielen Verkrustungen, die wir heute in unserem Staatswesen haben. Aber Herr Schmidt-Jortzig hat richtig darauf hingewiesen: Es ist letztlich nicht nur ein Thema des Staates, sondern auch der Gesellschaft, einer Gesellschaft, die ihr Bewußtsein in vielem ändern muß. Sie muß begreifen, daß der Staat nicht ein Dienstleistungsbetrieb ist, der für alles zuständig ist. Das haben wir nicht nur im Lichte inzwischen knapper und leerer gewordener Haushaltskassen gelernt, sondern das haben wir unter Effizienzaspekten gelernt. Aber, meine Damen und Herren, das alles ist etwas, was leicht auch im Bekenntnishaften bleibt. Hier geht es wirklich darum, harte, ich sage sogar härteste Arbeit, auch mit dem Mut zur Unkonventionalität, zu leisten. Gemeinsame Arbeit müssen leisten der Bund, die Länder und die Gemeinden. Es ist buchstäblich eine Gemeinschaftsaufgabe für einen kooperativen Föderalismus insgesamt. Wir hier in Bonn, wir im Bundestag müssen nicht nur in unseren eigenen Verwaltungen, sondern vor allem im Bereich der Gesetzgebung Wesentliches leisten. Das bedeutet, daß z. B. in Planungs- und Genehmigungsverfahren massive Erleichterungen einzuführen sind. Wir müssen den Mut haben, in der Aufgabenkritik auf das eine oder andere auch einmal zu verzichten. Der Bundestag muß sich selbst fragen: Ist in der ganz konkreten Problemstellung Selbstbeschränkung oder ist Regelung angesagt? Wenn wir das einlösen, wenn wir das erreichen wollen, dann müssen wir auch sehr viel Selbstdisziplin lernen. Das fällt nämlich sehr, sehr schwer. Ich kann immer sagen, es ist insgesamt zuviel, wir brauchen mehr Deregulierung. Abstrakt stimmt das immer. Aber wenn ich selbst, in meiner Person, in meiner Fraktion, in meiner Interessenrichtung, in meinem Fachinteresse den Mut aufbringen muß, einmal zu sagen, daß dies nicht mehr oder nicht so extensiv vom Staat geregelt werden muß - das fordert viel. Aber wenn wir uns in dieser Frage wirklich zusammenraufen und uns zu einer wirklich grundlegenden Besinnung unter dem Stichwort mehr Subsidiarität und weniger regulierenden und damit häufig auch bevormundenden Staat durchringen, dann können wir in dieser Legislaturperiode Grundlegendes leisten. Wir müssen auch den Mut zum Experiment haben. Es ist sehr leicht, Behörden, Verwaltungen zu beauftragen, dies oder jenes zu entwerfen. Da sind inzwischen sämtliche Ministerien aktiv an der Arbeit in Ausfüllung der von Herrn Schmidt-Jortzig zitierten Koalitionsvereinbarung. Aber natürlich sind dann - nennen wir sie einmal so - die Bedenkenträger ganz schnell da. Das ist nicht abwertend gemeint. Bedenken zu formulieren ist immer sehr leicht. Aber den Mut zum Neuen, den Mut zum Experiment aufzubringen - das ist schwierig. Das können wir nur leisten, indem wir den Beamten, dem öffentlichen Dienst, unseren Ministerien unsererseits Mut machen, die Initiative geben und auch sagen, wir sind bereit, auch mal ein Risiko zu tragen. Einen schlanken Staat ohne Mut zum Risiko und zum Experiment gibt es nicht. Auch das muß man sehr klar sehen. ({0}) Als letztes: Wir müssen auch an die Frage der Justitiabilität denken. Wir leben heute in einem Justizstaat. Wir sind stolz darauf, daß unser Rechtsstaat eine unabhängige, erfolgreiche Justiz hervorgebracht hat. Aber, meine Damen und Herren, es muß nicht alles in manchmal schon gleichsam politisch erster Instanz von Richtern entschieden werden. Auch das ist eine entscheidende Aufgabe für dieses Haus. Wir müssen Gesetze erlassen, die auch der Verwaltung den Mut geben, eigenverantwortlich zu entscheiden und nicht bei allem schon von vornherein im Hinterköpfchen zu haben: Die Richter werden's ja schon richten. Nein, das muß anders werden, und dann werden wir erfolgreich sein. Vielen Dank. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Körper, SPD-Fraktion.

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P.! Liebe Frau Albowitz, gestern abend hätte ich sehr gern mit Ihnen diskutiert. ({0}) Wir hatten aber leider keine Zeit. Es wäre mir eine einzige Freude gewesen. Aber, meine Damen und Herren, nachdem ich diese Fragen der F.D.P. gesehen habe, muß ich sagen, sie waren interessant. Ich möchte aber auch hinzufügen: Diese F.D.P.-Fraktion hat offensichtlich hellseherische Fähigkeiten; denn sie wußte heute morgen schon, daß diese Fragen von dieser Bundesregierung nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Aber so wie ich diese Bundesregierung hier kenne, kann ich das auch gut verstehen. Nur, Sie sind in der Koalition und nicht wir. ({1}) Ich meine, daß die Bundesregierung vor dieser Aufgabe hier versagt. Und, lieber Herr Kollege Scholz, wenn diese Bundesregierung nur annähernd soviel Mut hätte wie beispielsweise die Bundesländer oder die kommunalen Gebietskörperschaften, dann wären wir hier ein ganzes Stück weiter. ({2}) - Bad Kreuznach? Lieber Kollege Wilhelm, gucken Sie sich das mal an. Ich meine, die vom Bundesinnenminister vorgeschlagenen Maßnahmen sind durchaus diskussionswürdig. Ich sage Ihnen das ganz offen. Wir werden auch gerne diese Beratungen mit begleiten. Aber selbst wenn alle Vorschläge in irgendeiner Form verwirklicht werden, ergeben sie mit Sicherheit noch keinen Modernisierungsschub, der den Namen Reform verdient. Meine Damen und Herren, ich denke, daß man auch nicht den Eindruck vermitteln darf, daß es hier ausschließlich um die Frage von Personen und Köpfen geht. ({3}) Hier muß in der Tat die Frage der Effektivität und Effizienz gestellt werden. Die Verwaltung muß nicht nur rechtmäßig und effektiv, sie muß auch leistungsorientiert, kostenbewußt und bezahlbar arbeiten. ({4}) Sie braucht für weite Bereiche ein neues Rechnungswesen, um unter mehreren rechtmäßigen Lösungen die kostengünstigere wählen zu können. ({5}) Kostenbewußtsein setzt neben der Kostenrechnung ein Weiteres voraus, nämlich, daß möglichst viele Verwaltungseinheiten Verantwortung für einen Teil der Organisation, der Stellenbewirtschaftung und des Haushalts übernehmen. Es geht also um die dezentrale Ressourcen- und Ergebnisverantwortung. Es geht schlichtweg um das Verständnis eines modernen Dienstleistungsbetriebes. Aber, meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Wir bedauern es sehr, daß dort, wo die Bundesregierung Verantwortung trägt, letztendlich nichts geschieht. Beispielsweise ist die Zahl der Ministerien unverändert. Es gibt nach wie vor nach unserer Auffassung zu viele Parlamentarische Staatssekretäre. ({6}) Diese Bundesregierung macht keinerlei Anstalten, die Ministerien von den ausführenden Verwaltungsaufgaben zu entlasten, ({7}) um sie für die politischen Führungsaufgaben wieder handlich und produktiv zu gestalten. ({8}) Meine Damen und Herren, es geht hier nicht nur darum, theoretisch über diese Frage zu reden, sondern es geht darum, praktisch deutlich zu machen, was diese Bundesregierung in ihrer Verantwortung tun könnte, und sie tut im Grunde genommen nicht sehr viel. ({9}) Wir hoffen jedenfalls, daß es hier zu einem guten Dialog kommt. Die SPD-Fraktion wird diese Aufgabe in den zuständigen Ausschüssen konstruktiv begleiten. ({10}) Im übrigen werden auch die Bundesländer und die kommunalen Gebietskörperschaften und - ich sage es auch einmal - die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Gewerkschaften mit in diesen Prozeß einzubeziehen sein. Denn gegen sie wird es nicht gehen, sondern es wird nur miteinander gehen. Packen wir es an! ({11}) Somit hat vielleicht auch diese Aktuelle Stunde einen vernünftigen Sinn. Herzlichen Dank. ({12})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Kutzmutz ({0}).

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es steht mir nicht an, Fragen zu bewerten, die von Kollegen gestellt werden. Trotzdem muß ich sagen - ({0}) Lassen Sie mich doch erst einmal ausreden. Es ist doch gar nicht so schlimm. Trotzdem muß ich sagen, daß in der Frage, die die F.D.P. letztendlich zu dieser Aktuellen Stunde veranlaßt hat, die Ebenen bunt durcheinander gemischt werden. Ursprünglich wird gesagt: schlanker Staat, und anschließend wird gleich die Frage mit den Ländern und mit den Gemeinden verknüpft. ({1}) - Ja. Ich denke aber, daß eine bestimmte Systematik einzuhalten ist. ({2}) Wenn das Thema wirklich so wichtig wäre, wie Herr Scholz gerade behauptet hat, ({3}) dann würde es nicht im Rahmen einer Aktuellen Stunde behandelt, die kurzfristig einberufen wird, nicht vor dieser Anzahl der Abgeordneten und schon gar nicht in der Art und Weise, wie es jetzt geplant ist. ({4}) Ich will das nur vorausschicken. Verschlankung des Staates erfordert nach meiner Auffassung - und ich glaube, da stimmen selbst Sie mir zu - eine gründliche, eine grundlegende Überprüfung der von Bund, Länder und Gemeinden wahrgenommenen Aufgaben. ({5}) Nun schreiben Sie es bitte meiner Unerfahrenheit im Bundestag zu, daß ich mich ausschließlich auf das Problem der Gemeinden orientiere. Denn bei dem, was Sie mit „schlanker Staat" umschreiben und hier geäußert haben, fehlt mir die Erfahrung. Ich will aber hier sagen: Es wird von einer Entrümpelung der Verwaltung gesprochen. Das ist meiner Ansicht nach, obwohl oft gefordert, nicht zuallererst eine Frage des Personalabbaus und erst dann des Nachdenkens über die Leistungen, sondern es ist zu prüfen, welche Leistungen erbracht werden, welche Leistungen zu erbringen sind und mit welcher Effizienz sie erbracht werden. Was ergibt sich für den Bürger, wenn gewisse Leistungen z. B. auf private Anbieter übertragen werden? Zu dem bisher Gesagten - die ersten Erfahrungen, die in den Kommunen gemacht wurden, zeigen das - ergibt sich erstens: Privatisierung von Leistungen, die bisher von der Kommune erbracht werden, erweist sich keineswegs als Allheilmittel. Zweitens - das hat auch Herr Scholz hier gesagt -: Es ist dringend notwendig, auch in diesem Hause darüber nachzudenken, wie wir mit unserer Arbeit dazu beitragen, daß eine wirkliche Verschlankung des Staates einsetzen kann. In der Kommune werden 60 % der von ihr zu erbringenden Leistung auf der Basis von Gesetzen und Festlegungen dieses Bundestages und der Regierung erbracht. Das heißt, wir müssen hier beginnen und bei den Ländern und Kommunen weitermachen. ({6}) Die Lage der Kommunen in Ost und West ist gleichermaßen angespannt. Man darf nicht nur auf den Osten verweisen. Der Deutsche Städtetag hat wiederholt darauf hingewiesen, daß die Probleme, die anfänglich nur im Osten bestanden, inzwischen auch die Westkommunen erreicht haben. Ich glaube, es ist notwendig, in beiden Richtungen nachzudenken. Denn die Antworten, die z. B. während einer Diskussion im Institut für Urbanistik in Berlin von Kämmerern aus den alten Bundesländern gegeben worden sind - Streichung von öffentlichen Einrichtungen, Schließung von Bibliotheken, Nichteröffnung eines öffentlichen Bades -, sind keine Antworten, auf die die Kommunen bauen können. Ich meine, hier sind größere Maßnahmen notwendig. Ich will auch darauf verweisen, daß immer wieder gefragt wird: Warum sollen Reformen durchgeführt werden? Es wird auf die Finanznot der Kommunen und auf einen allgemeinen Mißmut über die Verwaltung verwiesen. Es heißt, die Verwaltung sei zu teuer, zu langsam, zu aufgebläht, zu arrogant, zu wenig transparent. Das sind alles keine Formulierungen der PDS; auch Sie kennen solche Äußerungen aus Ihren Heimatorten. So oder ähnlich lauten diese Vorwürfe. Es wird immer auf eine Haushaltskonsolidierung und eine andere Verwaltungsstruktur verwiesen. In etwa hundert deutschen Städten und Landkreisen wird gegenwärtig experimentiert, z. B. mit neuen Steuerungsmodellen. Erreicht werden soll ein Umbau der Verwaltung, nämlich die Umwandlung der Behörde in eine Kommunalverwaltung oder in einen öffentlichen Dienstleistungsbetrieb. Es wurde vorhin vom Mut zum Risiko gesprochen. Meine herzliche Bitte ist: Lassen Sie uns dort, wo dieser Mut existiert, wo neue Steuerungsmodelle ausprobiert werden, diesen Mut mit entsprechenden bundesrechtlichen Regelungen unterstützen! Danke schön. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat Herr Staatssekretär Lintner.

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist zu dem Thema schon einiges gesagt worden, auch vorhin in der Fragestunde. Lassen Sie mich dennoch aus der Sicht der Bundesregierung noch einige generelle Bemerkungen machen. Es ist schon zum Ausdruck gekommen: Unser gemeinsames Ziel muß es sein, staatliches Handeln im normativen, im administrativen, aber auch im gerichtlichen Bereich - was bisher noch nicht erwähnt worden ist - auf das notwendige Maß zu beschränken. ({0}) - Entschuldigung, Herr Kollege Professor Scholz, dann habe ich es noch einmal bekräftigt. Das hat die Koalition dazu bewogen, diese Punkte in ihrer Vereinbarung für die 13. Legislaturperiode zu bekräftigen. Auch die unabweisbaren Einsparungszwänge führen, wie wir wissen, zur kritischen Durchleuchtung der Staatstätigkeit insgesamt. Demgemäß müssen sich dieser Aufgabe in den kommenden Jahren alle, nämlich Bund, Länder und Gemeinden, mit aller Kraft - damit meine ich: weit mehr als bisher - annehmen. Herr Kollege Körper, die SPD tut sich dabei entgegen Ihrer Feststellung gelegentlich auch schwer, wie wir es alle bei den Privatisierungsdiskussionen der letzten Jahre bemerkt haben. ({1}) Der Bund hat aber durch die Privatisierung - beispielsweise von Post und Bahn - bereits einen wichtigen Beitrag geleistet. Er wird auch weiterhin alle Möglichkeiten der Privatisierung konsequent auszuschöpfen versuchen. Die Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Krieg für die Soziale Marktwirtschaft bedeutet im Konkreten Vorrang für private Initiative und Verringerung staatlicher Regulierungen. Aus ordnungspolitischen Gründen ist Privatisierung deshalb wo immer möglich auch erwünscht. Meine Damen und Herren, Privatisierung ist unter diesem Aspekt als eine Daueraufgabe zu verstehen. Es muß daher immer wieder und sehr kritisch geprüft werden, ob und inwieweit der Staat selbst unternehmerisch tätig sein soll oder ob statt dessen private Anbieter Leistungen und Güter mindestens genausogut bereitstellen und produzieren können. Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Anpassung des öffentlichen Dienstrechts. Die Bundesregierung und die Koalition sind entschlossen, die in dem zum Ende der letzten Legislaturperiode vorgelegten „Bericht zur Fortentwicklung des öffentlichen Dienstrechts" angesprochenen Ziele einer Verbesserung des dienstrechtlichen Instrumentariums zügig umzusetzen. Der Gesetzentwurf befindet sich bei uns im Hause in der Vorbereitung. Die neuen gesetzlichen Regelungen sollen in Facharbeitskreisen mit den Ländern intensiv erörtert werden. Die Eckpunkte der angestrebten Neuregelung sind bekannt. Ich fasse sie noch einmal zusammen: Erprobungszeit in Führungspositionen und vor jeder Beförderung, Optimierung des Personaleinsatzes u. a. durch mehr Mobilität, Ausbau der Teilzeitbeschäftigung im öffentlichen Dienst, Leistungsprämien und Leistungszulagen, Neugestaltung der Gehaltstabelle, Reform des Ortszuschlagsrechts, bedarfsorientierte Sonderzuschläge, Einführung einer „Brennpunktzulage" bei der Polizei, Flexibilisierung von Stellenobergrenzen und Kostendämpfung im Versorgungsbereich. Weitere maßgebende Ansätze für notwendige Reformen bietet der Bericht der unabhängigen Expertenkommission mit dem Titel „Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren". Hier haben die Länder teilweise bereits gehandelt. Ich habe es vorhin in der Fragestunde in meiner Antwort schon erwähnt. Zusätzlich ist eine hochrangig besetzte Arbeitsgruppe tätig, die derzeit über diese Vorschläge berät und sie prüft. Diese sogenannte Schlichterkommission und die von ihr vorgelegten Umsetzungsvorschläge sind Gegenstand von Debatten und in einer entsprechenden Veröffentlichung bekanntgemacht worden. Eine Vorlage von Eckwerten für das Gesetzgebungsverfahren wird bis zur Sommerpause 1995 erstellt werden. Die Bundesregierung strebt auch eine umfassende Überprüfung der staatlichen Statistiken an. Statistiken sollen -wer wünscht es sich nicht? - auf das absolut Notwendige reduziert werden. Dabei sind alle Beteiligten aufgefordert, selbstkritisch zu durchleuchten, ob jede Statistik oder Einzelerhebung wirklich weiterhin erforderlich ist. Diese Aufforderung richtet sich nicht nur an staatliche Stellen, sondern beispielsweise auch an Selbstverwaltungseinrichtungen der Wirtschaft. Wir wollen erreichen, daß bestehende Statistiken bzw. Erhebungstatbestände in den nächsten vier Jahren deutlich eingeschränkt werden. Zu erwähnen ist auch die Unabhängige Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung des Bundes, die mein Kollege Dr. Waffenschmidt leitet. Sie befaßt sich intensiv mit der Überprüfung unseres Vorschriftenbestandes. Die jüngsten Empfehlungen unter dem Titel „Unnötiger Aufwand durch Vorschriften" zeigen ganz konkret, wie Verwaltungsaufwand verringert werden kann. Nur noch stichwortartig möchte ich weitere eingeleitete Projekte der Bundesregierung erwähnen, die zu einem deutlichen Abbau überzogener Bürokratie führen sollen: Durchforstung des Vollzugs- und Anwendungsaufwandes von Gesetzen, Erprobung flexibler Budgetierungsinstrumente - so schon im Haushaltsgesetz für 1995 -, Erarbeitung von Handlungsinstrumentarien zur Aufgabenkritik mit dem Ziel konkreter Prüfungen zur Strukturverbesserung und Modernisierung der Bundesverwaltung und schließlich Vorschläge zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Diese sind teilweise bereits verwirklicht worden. Ich erinnere an das Projekt „Deutsche Einheit" im Verkehrsbereich. Über die Erkenntnisse und Erfahrungen, die Bund, Länder und Gemeinden bei ihren Aktivitäten gewinnen, findet ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch statt, u. a. in der Innenministerkonferenz. Sie sehen, meine Damen und Herren: Die Bundesregierung ist längst in Ihrem Sinne tätig. Die Erfolge dieser Aktivitäten werden sich ({2}) - Herr Kollege Körper, ich schaue jetzt bewußt auf Sie - um so schneller einstellen, je intensiver, nachhaltiger und positiv-konstruktiver Sie diese Anstrengungen der Bundesregierung unterstützen. Dazu lade ich Sie herzlich ein. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Stadler ({0}).

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schlanker Staat heißt zunächst natürlich einmal, daß der Staat überhaupt darauf verzichtet, Aufgaben selbst wahrzunehmen, also Privatisierung. Hier, verehrter Herr Körper, kann ich Ihr Urteil nicht ganz verstehen, wenn Sie der Bundesregierung vorwerfen, sie habe keinen Mut zum Handeln. Ich bin der Meinung, daß in Sachen Privatisierung der Bund geradezu die Vorreiterrolle von allen drei Ebenen wahrgenommen hat. ({0}) Er hat seine Hausaufgaben weitgehend erledigt. Dagegen ist meine Erfahrung aus über elf Jahren kommunalpolitischer Tätigkeit, daß man als F.D.P.-Politiker in den Kommunen mit der Forderung nach Privatisierung bei beiden großen Parteien oft auf taube Ohren gestoßen ist. In Bayern hat sich das erst seit dem Amtsantritt von Edmund Stoiber geändert. Er hat erkannt, daß es sinnvoller ist, öffentliche Gelder nicht in Unternehmen zu parken, und daß man damit mehr anfangen kann, wozu Ihre Fraktion in Bayern ja nun Beiträge leistet. ({1}) Die SPD, Herr Körper, das beobachte ich mit Interesse und auch mit Wohlwollen, hat offenbar in der Diskussion dazugelernt; denn wenn ich es richtig mitbekommen habe, wird ja in Bremen versucht, die Stadtwerke zu privatisieren. Das habe ich mit großem Interesse gesehen, wenn es auch noch nicht ganz dazu gekommen ist. Auch der Bürgermeister von Offenbach, der bundesweit durch umfangreiche Privatisierungen bekanntgeworden ist, gehört, wenn ich es recht weiß, Ihrer Partei an. Es hat sich also in letzter Zeit die Diskussionslinie etwas verändert, wenn ich bisweilen auch den Verdacht habe, daß Sekundärmotive wie die Einsparungen bei öffentlichen Haushalten der eigentliche Hintergrund sind. Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe - das scheint mir oft das Motiv zu sein. Für uns als Liberale nehme ich aber in Anspruch, daß wir Privatisierung als Strukturprinzip verstehen. ({2}) - Eine Zwischenfrage ist leider nicht möglich; darum habe ich einen Zwischenruf gestattet. Ich darf noch einmal ansetzen: Privatisierung ist für uns ein Strukturprinzip. Wir unterscheiden uns von Ihnen vor allem deswegen, weil wir sagen: Die Beweislast muß umgekehrt werden. Nicht der Private muß den Beweis erbringen, daß er eine Maßnahme besser bewältigen kann, sondern der Staat muß diesen Beweis erbringen, wenn er sie an sich ziehen will. Meine Damen und Herren, wir stehen allerdings einer reinen Organisationsprivatisierung ausgesprochen skeptisch gegenüber. Das genügt oft nicht. Hier werden oft aus Eigenbetrieben nur GmbHs, hier werden oft aus Verwaltungsräten Aufsichtsräte, und in Wahrheit ändert sich nur das Geschäftsführergehalt. Das ist zuwenig. ({3}) Meine Damen und Herren, Herr Professor Scholz und auch Herr Staatssekretär Lintner haben darauf hingewiesen, daß zu diesem Thema natürlich die Reform des öffentlichen Dienstrechts kommt. Darauf will ich jetzt nicht weiter eingehen, weil wir uns im Laufe dieses Jahres noch intensiv damit befassen werden. Der Bundesinnenminister hat ja erste, in der Tendenz begrüßenswerte Vorstellungen vorgelegt. Aber die gesamte Reform des öffentlichen Dienstrechts bleibt Stückwerk, wenn wir nicht den vorhin zitierten Mut zum Risiko haben und wirklich eine innere Verwaltungsreform in Angriff nehmen. Hier bin ich wirklich der Auffassung, daß die Kommunen unter dem Stichwort „Dienststellen werden zu Unternehmen" vielfach in Modellversuchen schon weiter sind als die Länder und der Bund. Deswegen ist es mir auch ein wenig zu zögerlich, was im Bund bisher bei der Einführung der kaufmännischen Buchführung und bei der globalen Zuweisung von Mitteln an die Dienststellen - Stichwort Budgetierung - passiert ist. Wir haben in der Kommune die Erfahrung gemacht, daß immer dann, wenn man den einzelnen Dienststellen mehr Eigenverantwortung überträgt, die Motivation steigt, die Leistungen für den Bürger besser werden und die Kommune zugleich noch Geld einspart. Aus Zeitgründen verzichte ich darauf, jetzt am Beispiel meiner Heimatstadt Passau an vielen Einzeldienststellen wie Schule, Bücherei usw. darzulegen, daß die gesetzten Finanzziele oft um 100 % übertroffen worden sind. Meine Damen und Herren, nur durch die kaufmännische Buchführung wird es möglich sein, daß der interkommunale Leistungsvergleich funktioniert und wir sehen, welche Kommune welche Leistung günstig erbringt und welche nicht, und vor allem der Vergleich mit der Privatwirtschaft wird dann möglich, wenn man weiß, wo die Kosten wirklich entstehen. ({4}) Und dieses eine Beispiel will ich Ihnen zum Schluß auch noch gerne geben: Die Stadt Passau, sozialdemokratisch regiert, hat festgestellt, daß die Stadtgärtnerei nicht in der Lage ist, den Blumenschmuck für die städtischen Veranstaltungen im Großen Rathaussaal zu denselben günstigen Kosten anzubieten wie eine Privatgärtnerei, und hat daher in diesem Bereich privatisiert. Das sieht man als Liberaler gerne. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Wilhelm, CDU/CSU-Fraktion.

Hans Otto Wilhelm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Diskussion um strukturelle Veränderungen von Systemen - ob das bei der Post oder bei der Bahn ist, Hans-Otto Wilhelm ({0}) die für unsere heutige Diskussion durchaus beispielhaft wirken könnten - wird es immer Schwierigkeiten geben, weil die Beteiligten an den Systemen dazu neigen, den bestehenden Zustand zu bewahren. Den Sozialdemokraten - es ist einer der seltenen Höhepunkte, wenn Herr Körper in diesem Fall die Bundesregierung zu forscherem Handeln bei der Verschlankung des Staates auffordert ({1}) möchte ich unterstellen, daß wir in der Diagnose übereinstimmen. Das Problem liegt darin, Herr Körper: Sind Sie auch bereit, zur Therapie einen Beitrag zu leisten? Das ist in aller Regel - ich höre die Äußerungen hier und sehe das Verhalten der Sozialdemokraten vor Ort - nicht der Fall. ({2}) Meine Damen und Herren, ich brauche Ihnen das gar nicht zu prophezeien: Bestimmte Systeme sind so nicht weiterführbar. ({3}) Es gibt im Grunde überhaupt keine Alternative dazu, eine Strategie gegen Überforderung und für mehr Effizienz zu entwickeln. Die Einzelwege mögen sich noch trennen. Aber daß dies richtig ist, ist unbezweifelbar, wenn die Diagnose stimmt. Und sie stimmt. Es wird zwar allgemein politische Führung gefordert. Allein, wenn sie ausgeübt wird, wird sie nicht geduldet. Das ist das Problem. Wir müssen dieses Problem mit Sachaufklärung, weniger Harmoniebedürfnis und mehr Toleranz zu bewältigen versuchen. Das ist das Problem auch der Sozialdemokraten. Sie werden Ihre Klientel langfristig nicht befriedigen, wenn Sie die falschen Strukturen dieser Systeme bewahren, ({4}) sondern nur, wenn Sie mit Überzeugung, Offenheit und Transparenz, auch mit der Fähigkeit zur Korrektur in Einzelfragen gemeinsam mit uns an diese Diskussion herangehen. Denn es ist keine Diskussion der CDU/CSU und der F.D.P.; ich glaube, es ist unser aller Diskussion. ({5}) Meine Damen und Herren, nur der wird in dieser Frage Ruhm ernten, der weniger und klarere Gesetze macht. Nur der wird in der Verwaltung Ruhm ernten, Herr Lintner, der die Gesetze nicht durch Verwaltungsanordnungen bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Nur der wird Ruhm ernten, der bereit ist, das segensreiche und unzählige Wirken von DINNormen-Ausschüssen zu überprüfen, die das Haushaltsgebaren der öffentlichen Hände mehr beeinflussen als der ganze Bundestag. ({6}) Nur der wird Ruhm ernten, meine Damen und Herren, der bereit ist, von anonymen Ausschüssen festgelegte technische Regeln, die Obergrenzen beschreiben, nicht klaglos hinzunehmen, etwa mit dem Hinweis: Wir können ja nicht anders. Nur der wird Ruhm ernten, der nicht klaglos die neuesten technischen Unfallverhütungsvorschriften hinnimmt, in welchem Bereich auch immer, weil sie, wenn sie durchgeführt werden, unsere öffentlichen Haushalte kaputtmachen würden. Wir haben auf der einen Seite einen Drang zum Perfektionismus, zur vermeintlichen Sicherheit, sind aber nicht mehr fähig, das in der Praxis umzusetzen. Das ist die Realität. Wenn alle Unfallverhütungsvorschriften, die es gibt, streng eingehalten würden, wären nahezu alle öffentlichen Haushalte nicht mehr lebensfähig. Wir wissen das alle ein Stück und machen trotzdem ein Stück weiter. Deswegen brauchen wir vor allen Dingen eine Bewußtseinsveränderung. Der Herr Lopez bei VW hätte nie seine Erfolge erzielt, wenn er im Ergebnis nicht so, wie er es getan hat, auf die Mitarbeiter gesetzt hätte. Jemand, der in diesen Strukturen großgeworden ist, wird seine Organgramme, seine Zuständigkeiten und seine Beförderungschancen verteidigen. Wer so jemanden nicht in eine Strategie der Motivation der Betroffenen einbindet, wird irgendwo scheitern. Deswegen lautet die Frage: Haben wir ein entsprechendes Veränderungsmanagement entwickelt, bei dem nicht nur wir etwas wollen, sondern bei dem auch die Beteiligten in offener Diskussion ihren Beitrag leisten? Ich bin kein Prediger für falsche Harmonie, meine Damen und Herren. Aber ich bin für Toleranz und Entscheidungsfähigkeit. Dazu gehört auch, den Sachverstand und die Motivation von Mitarbeitern zu fördern. Wenn wir das nicht tun, erzeugen wir nur Blockade und Abwehr. ({7}) Niemand von uns sollte glauben, daß wir als Abgeordnete fähig sind, all die Verwaltungsanweisungen und Dienstanweisungen, die häufig nur gemacht werden, weil die Flucht vor der Verantwortung das wahre Krebsübel dieser Nation ist, einzuhalten. Diese Dinge werden nur gemacht, damit man, wenn etwas passiert, der Verantwortung ledig ist. Ich könnte Ihnen Stilblüten der Verwaltung erzählen, die Sie in das Reich des Kabaretts verbannen würden. Aber, meine Damen und Herren, es ist so. ({8}) Nur weiß niemand der Betroffenen noch, daß es sie gibt. Man kann darauf zurückgreifen, wenn etwas passiert. Und deswegen -

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Deswegen, Herr Kollege Wilhelm: Schlanker Staat, schlanke Debatte! Einen Satz noch. ({0})

Hans Otto Wilhelm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist für das Plenum sehr bedauerlich. Aber ich muß mich der Geschäftsordnung beugen. Ich hätte noch sehr viel dazu zu sagen und werde das nachholen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und für die konstruktive Nachdenklichkeit, die ich bei der SPD, die ja in dieser Frage ansonsten innovations-feindlich ist, hoffentlich ausgelöst habe. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat jetzt der Kollege Krüger, SPD-Fraktion.

Thomas Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002708, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß es in der Regierungskoalition einen ziemlich desolaten Zustand gibt. Kein Mensch von Ihnen, Herr Scholz, Herr Wilhelm, Herr Lintner, hat etwas zu dem Mißtrauensvotum der F.D.P. gegenüber der Bundesregierung gesagt. Man muß doch an dieser Stelle einmal konstatieren, daß hier der Wurm drin ist. ({0}) - Ein konstruktives Mißtrauensvotum; na gut. Die F.D.P. lobt die SPD, die CDU tadelt die SPD. Ich glaube, so richtig wissen Sie nicht, wohin Sie wollen. Wir müssen sehen - das kann ich an dieser Stelle für die SPD zusagen -, daß über die Parteien hinweg, zwischen Bund, Ländern und Kommunen, die Verwaltungsreform, die Reform von staatlichen Aufgaben generell eine der Kernaufgaben ist. Ich kann für die Opposition, jedenfalls für die Sozialdemokratie, sagen, daß wir hier mitwirken. Es geht um vernünftige Politik, nicht um Privatisierungsfanatismus, Herr Schmidt-Jortzig. Das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich. ({1}) Im Einzelfall macht das Sinn, aber nicht generell. Deregulierung ja, aber kein Deregulierungswahn. Motivation der Mitarbeiter - es ist eben gesagt worden - ist notwendig. Wir brauchen eine Organisationsentwicklung in den öffentlichen Verwaltungen und nicht ein Agieren über die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes hinweg. Das geht nicht. Das wäre ein falscher Ansatz. Wir sind für einen funktionstüchtigen, effizienten Staat, aber auch für einen bürgernahen Staat. Vier Gesichtspunkte sind mir wichtig. Erstens. In einer Zeit ökonomischer Krisen hat der Bürger als Steuerzahler das Recht, daß der Staat sparsam arbeitet. Herr Professor Scholz, diesen Punkt haben Sie nicht genannt. Es geht nicht nur um eine qualitative Verbesserung der öffentlichen Verwaltung, sondern auch um ein sparsameres Arbeiten des Staates. Diesen Punkt müßten Sie aus der Berliner Diskussion zur Genüge kennen. Zweitens. Der Bürger als Klient der Verwaltung hat natürlich auch das Recht auf Leistungen der Verwaltung, die möglichst nahe an ihm dran sind, die Serviceleistungen, Dienstleistungen sind, die nicht an ihm vorübergehen, nicht zeitaufschiebend und verfahrenstechnisch problematisch sind. Drittens. Die Mitarbeiter der Verwaltung müssen durch materielle, vor allem aber durch immaterielle Gesichtspunkte motiviert werden. Viertens. Wichtig ist mir zu erkennen, daß in der Finanzkrise, in der wir uns im allgemeinen befinden, in unserer segmentierten Gesellschaft eine ganze Reihe von Lobbys vorhanden ist, fachspezifisch orientierte Lobbys. Wir müssen, wenn wir Sachen neu ordnen wollen, Entscheidungen unter Umständen auch gegen fachspezifische Lobbys durchsetzen. Das ist ein Problem, aber diesem Problem müssen sich alle Parteien stellen. Die Bundesregierung kann hier noch eine ganze Menge lernen. Meine These ist: In Ländern und Kommunen passiert viel mehr in Sachen der Reform staatlicher Aufgaben als bei der Bundesregierung. Sie müssen einmal in die Kommunen und in die Länder gucken. Herr Schmidt-Jortzig, Sie haben in Frage 13 gesagt, was die Bundesregierung tun kann, damit Länder und Kommunen angehalten und unterstützt werden, den schlankeren Staat herzustellen. Schauen Sie sich in bestimmten Kommunen um! Dort ist das längst geschehen. Aber das können Sie natürlich nicht wissen, weil Sie in den Kommunen und in den Ländern gar nicht mehr durch die Stimmen der Wählerinnen und Wähler mit Vertrauen ausgestattet sind. ({2}) Sie können lernen, daß Transparenz in Verwaltungsabläufen herzustellen sich lohnt. Über Controlling-Instrumente und natürlich auch über Produktkostenberechnung kann man so etwas wie Handhabbarkeit, wie Ansatzpunkte im Bereich der Verwaltungsreform ableiten und Ansätze für Neuorganisation von Verwaltungen hinbekommen. Sie können fachspezifische Steuerungsinstrumente befördern, und diese fachspezifischen Steuerungsinstrumente werden Sie in die Lage versetzen, qualitativ bessere Verwaltungsleistungen zu erbringen. Sie können darüber hinaus - das halte ich für einen sehr wichtigen Punkt - die Eigenverantwortung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst stärken; denn Dezentralisierung von Entscheidungsprozessen und Einbeziehung von Mitarbeitern können zu mehr Kompetenz und zu mehr Bürgernähe in der Verwaltung führen. Der vierte Punkt: Personal und Personalkosten dürfen nicht nur unter Alimentationsgesichtspunkten, also als konsumtive Ausgaben, gesehen werden, sondern sind auch unter Motivationsgesichtspunkten zu betrachten. Herr Wilhelm, Sie haben es selber gesagt. Das heißt natürlich auch, daß man in die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter investieren muß. Der Kernpunkt sind nicht, wie Herr Professor Scholz uns nahelegen wollte, die Planfeststellungs-und Genehmigungsverfahren. Der Kernpunkt ist das öffentliche Dienstrecht. Vor allem an ihm müssen wir uns abarbeiten. Dies möchte ich ganz kurz und knapp an drei Punkten beim Beamtenrecht deutlich machen. Wir müssen ja nicht den Art. 33 des Grundgesetzes verändern, aber wir müssen die Spielräume ausnutzen und wenigstens kleine Schritte, die wir gehen können, machen. Als ersten Punkt nenne ich den Zeitpunkt der rechtlichen Verfestigung des Beamtenstatus. Da müssen wir eine Anpassung des Beamtenstatus an die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst vornehmen. Es ist doch ein Unding, daß ein Mitarbeiter im mittleren Dienst schon mit 22 Jahren unkündbar ist. Das kann doch nicht sein. Wir müssen an dieser Stelle die vielen Gesichtspunkte, die es da gibt, berücksichtigen, u. a. persönliche Gründe, aber auch Gründe fehlenden Bedarfs. Solche Gründe sind in Verwaltungen vorhanden, weil sie nicht mehr finanziert werden können. Es geht nicht nur um einen Abbau des Staates im reinen Sinne, sondern es geht natürlich auch um Einsparungsgründe; ich habe das vorhin selber genannt.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Sie müssen allmählich zum Schluß kommen, Herr Kollege.

Thomas Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002708, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Der zweite Punkt, und da geht mir die Bundesregierung nicht weit genug: In Führungsfunktionen ist es wichtig, auf Zeit entsprechende Besserdotierungen hinzubekommen, und danach, wenn diese Zeit zu Ende ist, sollte ein Rückfall in die vorhergehende Besoldungsstufe erfolgen. Sie wollen hier nur auf zwei Jahre eine Art Probezeit einführen, um dann die Betroffenen auf Dauer in diese Position zu bringen. Das ist mir zuwenig; wir müssen hier wesentlich offensiver und mutiger herangehen. Ich weise - das ist mein letzter Satz - auf die -

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege - Thomas Krüger ({0}): Das ist mein letzter Satz, Herr Präsident.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Sie müssen jetzt aufhören. Sie können nicht „letzte Sätze" beliebig verlängern. Das geht nicht.

Thomas Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002708, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gut, dann höre ich auf und weise an dieser Stelle auf die Bundesratsinitiativen vieler Bundesländer hin, in denen jede Menge Vorarbeit für die Bundesregierung geleistet ist. Sie können sich da belesen. Vielen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Zeitlmann ({0}).

Wolfgang Zeitlmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002588, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Weniger Staat, schlanker Staat - dafür gibt es ein paar ganz konkrete Hinweise. In den letzten Jahren haben wir alle miteinander mit Sicherheit - das ist wohl systemimmanent - zu viele Gesetze und Bestimmungen gemacht. Dazu zählt aber auch, daß es schon ein Stück schlankerer Staat wäre, wenn weniger Fragen gestellt würden. Wenn ich mir diese Fragenkataloge ansehe - ich komme ja nur dazu, meinen Bereich, die Innenpolitik, noch zu überlesen - und wenn ich nun lese, Herr Kollege Dr. Schmidt-Jortzig, daß Sie ausgerechnet zum Thema „schlanker Staat" fragen: „Welche Verfahren der systematischen Aufgabenkritik in bezug auf die staatliche Tätigkeit nutzt die Bundesregierung, und ist geplant, die Aufgabenkritik in geeigneter Form zu institutionalisieren?", ({0}) dann ist genau diese Frage der Beweis für meine These. Im Grunde enthält diese Frage die Aussage, wir brauchten nur eine Institution, die die Kritik an uns selbst überprüft, und dann sei alles schon besser. Meine Damen und Herren, ich halte auch nichts davon zu sagen, jetzt müßten wir die Länder und Kommunen in die Pflicht nehmen. Das war ja die zweite Frage: Was tut die Bundesregierung, um die anderen ... anzuhalten? Die Landtage fordern immer die Landesregierungen auf, über den Bundesrat auf die Bundesregierung und den Bundestag einzuwirken, doch wie folgt zu vereinfachen. Aber es passiert gar nichts. Man darf also nicht immer auf andere verweisen, sondern muß selber anfangen. Man muß vielleicht etwas weniger diskutieren und etwas mehr Spielraum lassen, etwas privatisieren -wir haben ja vieles getan; Bahn und Post - und darf nicht immer gleich das Dienstrecht ändern wollen. Hier ist ja ein paarmal gesagt worden, die Beamten seien das Problem. Meine Damen und Herren, wir, die wir wegen jedes kleinen Pipifax in deutscher Gründlichkeit und Überperfektionierung ein Gesetz machen, sind das Problem. Und was passiert, wenn einmal ein Vorschlag gemacht wird? Im Osterloch habe ich gehört, der Kollege Louven habe die Privatisierung der Arbeitsverwaltung gefordert. Da gab es ein großes Geschrei. Es hieß, das sei unmöglich, das könne man nicht machen. Wir müssen dahin kommen, Dinge nach unten zu delegieren. Wir müssen weniger Mißtrauen gegenüber dem, der vollzieht, an den Tag legen. Wir müssen mehr Ermessensspielraum und damit natürlich auch unten mehr Courage einfordern. Ich könnte eine Reihe von Beispielen aus meiner kommunalen Erfahrung nennen, wie viele Behörden wegen KleiWolfgang Zeitlmann nigkeiten - z. B. in Bausachen, in Planungssachen oder im Dienstrecht - befragt werden wollen und befragt werden müssen, wobei die Selbstkritik dann fehlt. Meine Damen und Herren Kollegen aus dem Rechtsausschuß, das bedeutet aber auch weniger Gerichtsinstanzen. Schauen Sie sich einmal an, um was alles gestritten werden kann, wie viele Instanzen heute beispielsweise einem Gefangenen zustehen, der bei der Vollzugskammer einen Fernseher beantragt, dem dieser Antrag jedoch abgelehnt wird. Der kann einiges in unserem Staat aufspielen, um später vielleicht doch den Fernseher zu bekommen. ({1}) Meine Damen und Herren, an die Adresse der F.D.P. sei gesagt: Ich kenne Ihre Diskussion, wenn Sie sagen, überall müsse der Bürgerentscheid und überall müßten Plebiszite eingeführt werden. Geschieht dies, so wird der Staat mit Sicherheit nicht schlanker, sondern komplizierter, und die Verfahren werden noch viel komplexer. Sie können dann im Grunde nicht mehr nach sachlich-fachlichen Kriterien, sondern nur noch nach Stimmungsbildern einer Bevölkerung und nach der jeweiligen öffentlichen Diskussionslage entscheiden. Ich meine, damit ist nicht immer ein Dienst an der Allgemeinheit geleistet. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Schily von der SPD-Fraktion.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Das ist schon eine sehr seltsame Aktuelle Stunde, die wir hier heute veranstalten. Die F.D.P. erkennt, daß die Bundesregierung die Fragen nicht zureichend beantworten kann. Ich nehme an, daß damit auch die eigenen F.D.P.-geführten Ministerien gemeint waren. Der Kollege Zeitlmann kommt in seinem letzten Beitrag noch auf einen ganz neuen Gedanken, nämlich daß es gar nicht um den schlanken Staat oder die schlanke Verwaltung geht, sondern womöglich um die schlanke Demokratie, indem er nämlich meint, wir müßten demokratische Institutionen noch ein wenig einschränken, plebiszitäre Elemente vermeiden. Das, glaube ich, sind alles Irrwege. ({0}) Wir betätigen uns alle auf dem Gebiet der Modernisierung des Staates u. ä. Wir müssen aber auf der Hut sein, daß wir dieses Thema nicht totreden, daß wir nicht eine rhetorische Veranstaltung machen, die wir schon über Jahrzehnte praktiziert haben, so daß das Thema am Ende nicht mehr vorhanden ist. Es geht meiner Meinung nach darum, daß wir wirklich einmal zur Realität kommen. Deshalb bin ich an dem Dialog interessiert. Als der Bundesinnenminister jüngst seine Punkte verkündet hat, die sicher kritikfähig, kritikwürdig und ausbaufähig sind, habe ich deutlich gesagt, daß wir daran anknüpfen wollen und gemeinsam in der Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu vernünftigen Ergebnissen kommen sollten. Nun muß ich etwas an die Adresse der F.D.P. sagen. Herr Kollege Stadler, mich hat schon ein Begriff irritiert, den Sie verwendet haben. Sie haben gesagt: Für uns ist Privatisierung ein Strukturprinzip. Da bin ich doch etwas erschrocken. Wissen Sie, ich bin offen für jede Debatte, die prüft, welche Aufgaben sinnvollerweise der Staat wahrnehmen kann. Aber in der Tendenz zu sagen, alles solle einer privaten Struktur überantwortet werden, das halte ich für völlig unsinnig. Diese Privatisierungsideologie, die in Ihren Köpfen steckt, ist weder der Sache nach geboten, noch hat sie etwas mit der Frage zu tun, um die es uns allen geht, nämlich auch die Effizienz zu verbessern. Beispielsweise ist überhaupt nichts gewonnen, wenn Sie eine staatsmonopolistische Struktur gegen eine privatrechtliche monopolistische Struktur eintauschen. ({1}) Damit haben Sie die Situation um keinen Deut verbessert. Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß man sich nicht dogmatisch festlegen darf: Wir wollen alles privatisieren. Vielmehr müssen wir von Fall zu Fall pragmatisch entscheiden, was bei einer bestimmten Aufgabenstellung die bessere Lösung ist. ({2}) Da werden Sie entdecken, daß entgegen Ihrer ideologischen Prägung die staatlichen Institutionen häufig viel kostengünstiger arbeiten als Privatinstitutionen. Sie können sicherlich Beispiele auch dieser Art finden. Sie müssen sich darauf einlassen, daß man dann die richtige Wahl zu treffen hat. Ich denke, diese ideologische Prägung sollten Sie aufgeben. Wenn wir zu einem vernünftigen Ansatz in dieser ganzen Debatte gelangen wollen, dann, glaube ich, müssen wir uns darüber klar werden, daß es unterschiedliche Zusammenhänge in den Aufgabenstellungen gibt. Man kann nach meiner Überzeugung nicht ohne weiteres z. B. die Situation eines Wirtschaftsunternehmens, das ein marktgängiges Produkt zu den besten Kostenbedingungen herstellen und es dann auf dem Markt auch loswerden will, mit einer staatlichen Aufgabe vergleichen. Deshalb sind auch der Rationalisierung im staatlichen Bereich bestimmte Grenzen gesetzt. Sie können im Fall der Gerechtigkeit nicht sagen, es müsse die Kostenfrage im Vordergrund stehen. Möglicherweise muß ich da die Frage der Gerechtigkeit in den Vordergrund stellen, und die Kostenfrage spielt dann eine geringere Rolle. Insofern, denke ich, gibt es unterschiedliche Ansätze, sowohl was die kulturelle Seite, was die wirtschaftliche Seite als auch was die staatliche Seite angeht. Der Staat ist für Normvollzug verantwortlich. Der Staat ist für Normbeachtung verantwortlich. Wir werden dafür sorgen müssen, daß die Strukturen nicht so sehr unter Rationalisierungsgesichtspunkten gestaltet werden, sondern um der Klarheit der Norm, um der Akzeptanz der Norm willen so aussehen, daß wir eine bürgernahe, eine bürgerfreundliche Verwaltung zustande bringen. Ich hoffe, daß wir auf diesem Gebiet gut zusammenarbeiten. Ich denke, vielleicht ist die Hilfe der SPD-Fraktion sehr vonnöten, damit die Meinungsverschiedenheiten auch in der Koalition überbrückt werden können. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 2 a bis h sowie die Zusatzpunkte 5 bis 7 auf: 2. a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 26. April 1994 zu den Konsequenzen des Inkrafttretens des Dubliner Übereinkommens für einige Bestimmungen des Durchführungsübereinkommens zum Schengener Übereinkommen ({0}) - Drucksache 13/24 ({1}) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2}) - Drucksache 13/848 ({3}) - Berichterstattung: Abgeordnete Dietmar Schlee Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Jochen Welt b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes - Drucksache 13/189 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({4}) Rechtsausschuß c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes - Drucksache 13/190 -Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({5}) Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes - Drucksache 13/191 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({6}) Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO e) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes - Drucksache 13/767 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({7}) Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß gemäß i 96 GO f) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes und des Asylverfahrensgesetzes - Drucksache 13/809 -Überweisung svorschlag: Innenausschuß ({8}) Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO g) Erste Beratung des von den Abgeordneten Christina Schenk, Ulla Jelpke, Dr. Barbara Höll und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes - Drucksache 13/1104 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({9}) Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO h) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Besonderer Aufenthaltsstatus für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge - Drucksache 13/741 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({10}) Haushaltsausschuß ZP5 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes - Drucksache 13/1188 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({11}) Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Vizepräsident Hans-Ulrich Klose ZP6 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes - Drucksache 13/1189 -Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({12}) Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Kerstin Müller ({13}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes - Drucksache 13/1194 -Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({14}) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Zum Entwurf eines Gesetzes zum Bonner Protokoll liegt ein Änderungsantrag des Kollegen Manfred Such vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Darm ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Scholz, CDU/CSU-Fraktion.

Prof. Dr. Rupert Scholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002063, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich äußere mich zu den ausländerrechtlichen und asylrechtlichen Fragen. Zu den Fragen des Abkommens von Schengen wird für meine Fraktion anschließend mein Kollege Dr. Pfennig sprechen. Wir beraten in erster Lesung Vorschläge der SPD und des Bundesrates zur Novellierung des Ausländer- und Asylrechts, die, isoliert gesehen, vielleicht ohne allzu große politische Brisanz erscheinen mögen, die insgesamt aber geeignet sind, einige wesentliche Grundlagen und auch Erfolge unserer bisherigen Ausländer- und Asylpolitik in Frage zu stellen. Deshalb dazu einige grundsätzliche Anmerkungen. Unsere Ausländerpolitik beruht bekanntlich auf den folgenden Grundsätzen: Integration der rechtmäßig in Deutschland lebenden ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen sowie der anerkannten Flüchtlinge und Begrenzung des weiteren Zuzugs aus Staaten außerhalb der Europäischen Union. Beide Grundsätze ergänzen, ja bedingen einander. Die auf Dauer bei uns lebenden Ausländer sollen in unsere wirtschaftliche und soziale, unsere rechtliche Ordnung eingegliedert werden. Sie sollen und sie müssen sicher sein, daß sie am gesellschaftlichen Leben in Deutschland möglichst voll und möglichst gleichberechtigt teilnehmen können. Solche Integration kann auf der anderen Seite aber nur gelingen, wenn auch der Grundsatz der Begrenzung des weiteren Zuzugs konsequent aufrechterhalten wird. Nur dadurch läßt sich die unverzichtbare Zustimmung der deutschen Bevölkerung zur Ausländerintegration sichern. Man vergesse nie: Integration ist nie eine Einbahnstraße; Integration setzt stets die auch wechselseitige und gegenseitige Bereitschaft des Einander-Anpassens, des Aufeinander-Zugehens, nicht nur die des Hineinwachsens in eine gesellschaftliche Ordnung, sondern auch die zur Aufnahme anderer in eben diese gesellschaftliche Ordnung voraus. Man vergesse weiterhin nie, daß auch manches allzu vordergründige Gerede von „Multikulturalität" oder gar von „Multikulturalismus" niemals die hohe Sensibilität, die großen Schwierigkeiten und vor allem das unabdingbare Gegen- und Miteinander eines jeden Integrationsprozesses zu ersetzen oder zu verdrängen vermag. Gerade deshalb muß es für jeden, der wirklich und verantwortlich die wirksame Integration von Ausländern will - dies ist unverändert die Stimmung und die Meinung der überwältigenden Mehrheit der Deutschen; denn es gibt eine grundsätzliche Ausländerfreundlichkeit -, darum gehen, in entsprechend behutsamer und abgewogener Manier voranzuschreiten. Gerade deshalb ist die Grundratio des am 1. Januar 1991 in Kraft getretenen Ausländergesetzes unverändert richtig, einerseits Integration zu fördern, andererseits weiteren Zuzug von Nicht-EU-Staatsangehörigen zu begrenzen, beide Aspekte also in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Dies bedeutet nicht - auch dies sei an dieser Stelle hinzugefügt -, daß man nicht hier und dort auch den einen oder anderen Akzent etwas anders setzen kann, daß man nicht hier oder dort auch das eine oder andere anders regeln kann. Über alles dies wird auf der Grundlage der von der Bundesregierung zur Zeit vorbereiteten Vorschläge gesondert und umfassend, vor allem mit der Bereitschaft zur schlüssigen Gesamtkonzeption zu reden sein. In den von der SPD und vom Bundesrat jetzt vorgelegten Novellierungsvorschlägen vermag ich, aufs Ganze gesehen, indessen keinen sehr hilfreichen Vorstoß zu entdecken. Es ist bedauerlich, daß diese Vorschläge im Grunde weithin nur vieles wieder aufzuwärmen suchen, was in der gründlichen ausländerpolitischen Debatte, die dem Ausländergesetz in seiner jetzigen Fassung vorausgegangen ist, aus guten, aus wohlerwogenen Gründen verworfen worden ist. Dies gilt auch für bestimmte, allzu undifferenzierte Forderungen im Bereich des Ehegatten- und Familiennachzugs. Ich will andererseits durchaus einräumen, daß man gerade im Rahmen des § 19 des Ausländergesetzes - Stichwort: Härteklausel - durchaus über eine Neufassung, eine Veränderung nachdenken kann. ({0}) - Wir werden, wie ich Ihnen eben gesagt habe, auf der Grundlage der Konzeption, die die Bundesregierung vorbereitet, über all diese Fragen reden. Ich stelle nur eines fest: Wenn ich Ihre Vorschläge, die Vorschläge der SPD, auf die Waagschale lege, komme ich zum Schluß, daß Sie eine grundlegend andere Ausländerpolitik wollen. Sie wollen letztlich ein anderes Land. Sie wollen im Ergebnis das Einwanderungsland. Demgegenüber stelle ich fest: Deutschland ist kein Einwanderungsland; Deutschland wird auch kein Einwanderungsland werden. ({1}) Es geht um eine integrationsfähige und eine verantwortlich integrierende Zuwanderung, so, wie es schon mit der Zuwanderung der ausländischen Arbeitnehmer in den 50er und 60er Jahren begonnen hat und wie es auch sozialdemokratische Politik - ich erinnere an die früheren sozialliberalen Bundeskabinette und ihre Beschlüsse - gewesen ist. Ein zweiter Punkt. Absolut unverantwortlich ist das, was Sie uns als sogenannte Altfallregelung im Bereich des Asylrechts serviert haben. Erneut wird ohne Rücksicht auf jede Psychologie, ohne jede Rücksicht auch auf die nötige politische Akzeptanz in unserer Bevölkerung argumentiert und operiert. Die Aufnahme von Flüchtlingen, also der Schutz wirklich politisch Verfolgter, wie wir ihn alle wollen und wie ihn unsere Verfassung unverändert garantiert, kann nur dann und allein dann auf Dauer die hierfür notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung finden, wenn zugleich außer Zweifel bleibt, daß unbegründete Asylbegehren im Ergebnis nicht zu einem faktischen Daueraufenthalt in Deutschland führen können. Die von der SPD jetzt vorgeschlagene sogenannte Altfallregelung gefährdet dies alles. Sie gibt genau genommen eine Prämie auf den letztlich illegalen Aufenthalt. Begünstigt werden Personen, denen es gelungen ist, unter dem Vorwand angeblicher Verfolgung und damit in der Konsequenz unter Mißbrauch des Asylrechts nach Deutschland zu kommen, und die durch Verfahrensverzögerungen, langwierige Prozesse etc. ihre Aufenthaltsdauer faktisch auf längere Zeit auszudehnen verstanden haben. Meine Damen und Herren, eine solche Regelung, jetzt zu sagen, daß diese Fälle alle zu einem legalisierten Aufenthaltsrecht führen sollen, kann beim besten Willen nicht in Frage kommen. Das hat verheerende Wirkungen in der politischen Akzeptanz. Es hat verheerende Wirkungen in der Akzeptanz unseres Asylrechts. Es hat verheerende Wirkungen bis hin zur Ermutigung von Schlepperorganisationen etc. Denn was für eine Unverantwortlichkeit steht letztlich hinter einer Entscheidung, zu sagen, man müsse nur lange genug hier sein, dann werde man keine rechtlichen Grenzen mehr haben! Wie unverantwortlich ist es aber auch, als Begründung eine angeblich rechtsstaatskonforme Entlastung unserer Justiz anzuführen! Richtig ist, daß unsere Verwaltungsgerichtsbarkeit durch die Asylverfahren in hohem Maße belastet und sicherlich hier und dort zur Zeit auch überlastet ist. 4 ({2}) Dies steht außer Streit. Aber weshalb ist dies so? Das ist doch genaugenommen nur deshalb so, weil wir auch in diesen Bereichen des Asylrechts, vor allem wegen der allzu lange von der Opposition verweigerten Zustimmung zur Asylrechtsreform, inzwischen einen Rückstau an Verfahren haben, der die Gerichte in der Tat hart und schwer trifft. Aber man kann jene Fälle doch nicht schlicht zu einer Altlast erklären, die jetzt überhaupt nicht mehr zu entscheiden sei. Das bedeutet im Ergebnis Auswechselung von geforderter Legalität in faktische Illegalität. Beides kann nicht in Betracht kommen, und beides kann auch das Vertrauen unserer Gerichte nur erschüttern. Meine Damen und Herren, der Asylkompromiß hat zu einer positiven Entwicklung geführt. Dies belegen die Zugangszahlen für das Jahr 1994. 1992 hatten noch 438 191 Personen in Deutschland um Asyl nachgefragt. 1994 waren es nur noch 127 210. Diese Entwicklung beruht im wesentlichen auf der konsequenten Anwendung der Drittstaatenregelung sowie der Regelung über die sicheren Herkunftsstaaten. Das sind Grundpfeiler des Asylkompromisses, an denen nicht gerüttelt werden darf. Notwendige Voraussetzung für den Erfolg des Asylkompromisses ist aber auch, daß der Aufenthalt abgelehnter Asylbewerber konsequent beendet wird. Die jetzige Gesetzesinitiative steht im Gegensatz zu dem Parteienkompromiß vom 6. Dezember 1992. Danach bestand Einigkeit, daß der Mißbrauch des Asylrechts verhindert werden muß. Entscheidendes Instrument zur Erreichung dieses Ziels ist die konsequente, die definitive Beendigung des Aufenthalts von Personen mit endgültig abgelehnten Asylbegehren. Der Asylkompromiß wird auf der anderen Seite auch in Frage gestellt, wenn man leichtfertig mit generellen Abschiebestopps operiert, wie auch dies von SPD-Ländern praktiziert wird. Unser Ausländerrecht sieht als Grundsatz vor - das entspricht einem liberalen Rechtsstaat -, daß vor jeder Abschiebung individuell zu prüfen ist, ob Abschiebungshindernisse bestehen. Diese individuelle Prüfung, die dem Einzelschicksal angemessen Rechnung zu tragen hat, ist maßgebend; generelle Abschiebestopps sind es nicht. Wir können es uns überdies nicht leisten, daß Abschiebestopps von Land zu Land unterschiedlich praktiziert werden. Die Ausführung des Ausländergesetzes darf nicht partikularer Beliebigkeit anheimgestellt werden. Dies führt zu Rechtszersplitterung und im Ergebnis zu einem unerträglichen Asyltourismus. Gerade hierauf zielt aber jener Gesetzentwurf ab, den die SPD-Mehrheit im Bundesrat jetzt beDr. Rupert Scholz schlossen hat. Nach derzeitigem Recht bedürfen Abschiebestoppregelungen über sechs Monate hinaus der Zustimmung des Bundesministers des Innern. Die SPD will dies ändern. Mehrheitsentscheide der Länder sollen die Einvernehmenserklärung des Innenministers überspielen und damit aushebeln können. Meine Damen und Herren, der Grundsatz der Bundeseinheitlichkeit bei Entscheidungen über längerfristige Abschiebestopps würde, wenn dies geltendes Recht werden sollte, in entscheidender, in unverantwortlicher Weise durchlöchert. Nur am Rande will ich anmerken, daß dieser Vorschlag, daß diese Initiative auch verfassungswidrig ist. Der Bundesrat maßt sich hier nämlich eine Kompetenz an, die nach Art. 84 Abs. 5 unseres Grundgesetzes ausschließlich der Bundesregierung zusteht. Diese Kompetenz steht nicht zur Disposition des Gesetzgebers, kann also auch nicht durch einfaches Gesetz abbedungen werden. Zusammengefaßt: Wir fordern die SPD auf, den von ihr nach langen Zerwürfnissen mitgetragenen Kompromiß vom Dezember 1992 nicht weiter zu inhibieren, nicht weiter zu sabotieren, sondern konsequent mit in die Praxis umzusetzen. Ihre Vorschläge zur Novellierung des Asyl- und Ausländerrechts laufen dem seinerzeit gefundenen Kompromiß unter verschiedenen Aspekten diametral entgegen. Sie untergraben die bisherigen Erfolge dieses Kompromisses. Sie gefährden letztlich das uns allen gemeinsam aufgegebene Ziel einer ebenso verantwortlichen wie erfolgreichen Integrationspolitik. Vielen Dank. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Sonntag-Wolgast von der SPD-Fraktion.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Abschluß der Koalitionsverhandlungen, nun also schon seit fast einem halben Jahr, harrt die interessierte Öffentlichkeit gespannt auf Aktivitäten der Bundesregierung in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik. Nun gebe ich zu: Meine Erwartungen waren nach den leidigen Erfahrungen aus der vergangenen Legislaturperiode nicht sehr hoch gesteckt. Daß aber weder aus den Reihen der Union noch aus freidemokratischen Kreisen, liebe Kollegen, Anstöße kommen außer Bestrebungen, den Kurs der Abschottung gegenüber Zuwanderern noch zu verstärken, das übertrifft wirklich unsere Befürchtungen. Der ohnehin mißratene Sproß namens Kinderstaatszugehörigkeit siecht vor sich hin. Zum großen Thema der Asyl- und Flüchtlingspolitik in all ihren problematischen Teilbereichen fällt dem Bundesinnenminister nichts weiter ein als die Feststellung, die Zahl der Asylbewerber sei noch immer zu hoch. ({0}) Dabei haben Sie, Herr Lintner, der Sie hier für die Bundesregierung sitzen, ({1}) nicht einmal bestimmte Kernpunkte des Asylkompromisses vom Dezember 1992 erfüllt. Ich will Ihnen sagen, was ich meine: Wo bleibt denn z. B. Ihre Bereitschaft, mit einer Aufstockung der Entwicklungshilfe oder anderen konkreten Maßnahmen zur Einhaltung der Menschenrechte Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu bekämpfen? ({2}) Wo bleiben Ihre Bemühungen, mit einer Einigung auf eine gerechte Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern endlich den im Asylkompromiß vereinbarten Sonderstatus für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge zu praktizieren? Die Länder haben sich bereit gefunden - ich gebe zu: nach zu langem Zögern. Jetzt aber ist es allein der Bund, der sein Wort nicht hält und dafür verantwortlich ist, daß Flüchtlinge weiterhin ins Asylverfahren gedrängt werden. ({3}) Mein Kollege Jochen Welt wird dazu noch Näheres sagen. Meine Damen und Herren, in kaum einem anderen Bereich zeigt sich diese Koalition so unbeweglich und starrsinnig wie in der Ausländer- und Zuwanderungspolitik. Gerade hier wäre es doch nötig, sich auf neue Entwicklungen einzustellen und offenkundige Mängel zu beseitigen. Wir sind - nehmen Sie das bitte zur Kenntnis - de facto ein Einwanderungsland. Herr Kollege Scholz, auch wenn man es aus Ihrer Rede nicht hören konnte - er ist leider nicht mehr da -: ({4}) Es geht um Menschen und Schicksale, um Zustände in Ländern, die Menschen in Flucht und Vertreibung führen. Deswegen ist die Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung nur eine Seite der Medaille, die Förderung der Integration derer, die hier ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben, die andere. Schließlich: Zuwanderern und Flüchtlingen den Aufenthalt erträglicher, die Bedingungen humaner und die Lebensplanung für die Zeit ihres Aufenthalts hier verläßlicher zu machen ist für einen demokratischen Rechtsstaat, der sich im Vergleich zu den Armenhäusern dieser Welt in komfortablen Verhältnissen befindet, eigentlich eine bare Selbstverständlichkeit. Wer aber allein auf kalte Abwehr setzt, erweist auf Dauer dem inneren Frieden in diesem Land einen schlechten Dienst. ({5}) Deshalb können wir nicht warten, bis sich die Bundesregierung vielleicht doch noch in irgendeiner Weise rührt. Wir haben - ich erinnere daran - mit unserem Antrag zur Erleichterung der Einbürgerung und Hinnahme der doppelten Staatsangehörigkeit gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode den Anfang gemacht. Heute reden wir über unsere zweite Offensive. Sie betrifft die dringend notwendigen Änderungen des Ausländergesetzes, eine Altfallregelung für Asylbewerber und den besonderen Aufenthaltsstatus für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge. Was wir wollen, ist so einleuchtend und eilbedürftig, daß eigentlich jeder vernünftige Mensch dafür den Begriff „Selbstgänger" wählen würde. Deswegen fehlt mir auch jegliches Verständnis dafür, daß die Bundesregierung der Initiative der Länder für eine Altfallregelung soeben eine krasse Abfuhr erteilt hat. Ich habe kein Verständnis dafür. ({6}) Wir sehen uns gezwungen, meine Damen und Herren, dieser Koalition in Sachen Einsicht und Humanität Nachhilfeunterricht zu erteilen. Das gilt zunächst und vor allem für den eigenständigen Aufenthaltsstatus ausländischer Ehepartner und Ehepartnerinnen. In dem Bemühen, den Zugang nach Deutschland über sogenannte Scheinehen auf alle Fälle zu versperren, ist der Gesetzgeber zweifellos über das Ziel hinausgeschossen. Das wird sogar vom Kollegen Scholz in Maßen eingeräumt. Es gibt nicht nur den Anspruch eines Staates, die Zuwanderung zu begrenzen. Es gibt auch das Recht eines Menschen auf Selbstbestimmung und eigene Lebensplanung. Daß ausländische Ehegatten vier Jahre lang darauf warten müssen, ist zweifellos zu lang, liebe Kollegen und Kolleginnen. Deswegen fordern wir die Halbierung dieser Mindestfrist. Genauso wichtig ist das, was die "Härtefallregelung" betrifft. Es kommt leider vor, daß vor allem Ehemänner ihre Frauen drangsalieren, unterdrükken, mißhandeln, erpressen oder zur Prostitution zwingen. Den Frauen bleibt nur die Wahl, diesen unerträglichen Zustand drei Jahre lang durchzustehen - das erfordert heute noch die Härtefallregelung -, oder ihnen droht das, was im Amtsdeutsch als "Aufenthaltsbeendigung" umschrieben wird. Wir können dies nicht länger so beibehalten, meine Damen und Herren. In Härtefällen muß es den Ausländerbehörden auch möglich sein, unabhängig von der Dauer der ehelichen Gemeinschaft ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zuzubilligen. Meine Damen und Herren, wenn eine Partnerschaft zur Hölle wird, erlaubt das keine Fristen. Ich erinnere auch an die Kinder, die unter derartigen familiären Bedingungen ebenso leiden. Wir werden ohnehin - und das kündige ich jetzt schon an - im Zuge der Beratungen über unsere Novelle des Ausländergesetzes insgesamt die Belange des Kindeswohls stark zu berücksichtigen haben. ({7}) Ich begrüße es ausdrücklich, daß die Gesetzesvorlage des Bundesrates im Gleichklang mit der SPD-Bundestagsfraktion die Abschaffung der Drei-Jahres-Frist für die Härtefälle in § 19 des Ausländergesetzes verlangt. Das, was ich eben erwähnt habe, ist nicht der einzige änderungsbedürftige Teil, aber er ist derjenige, dessen Reform von einer breiten Öffentlichkeit, weit über dieses Parlament hinaus, von Vertretern der Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Frauenorganisationen am eindringlichsten angemahnt wird. Auch wir greifen auf unsere längst erhobene Forderung zurück. Auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und im letzten Moment die PDS ziehen mit eigenen Anträgen mit. Das ist verständlich. Ebenso gut oder noch besser wäre es gewesen, sie hätten sich schlicht unserer Gesetzesinitiative angeschlossen. Die hat nämlich als einzige eine gute Chance auf Konsens. Ich hoffe nun wirklich, liebe Kollegen und Kolleginnen, in dieser Frage auf ein positives Votum einer breiten Mehrheit dieses Hauses. Es gibt dazu auch eine Absichtserklärung. Zur Debatte am Internationalen Frauentag am 8. März haben Sie, liebe Kollegen und vor allen Dingen Kolleginnen aus CDU/CSU und F.D.P. - leider ist keine einzige Kollegin aus den Reihen der Union zu sehen -, im Rahmen einer Resolution die Verbesserung des Aufenthaltstatus für ausländische Ehefrauen angekündigt. Jetzt, von diesem Moment an, haben Sie die Chance, Ihr Versprechen einzulösen. Bitte nutzen Sie diese Chance. Wir wollen darüber hinaus jungen Ausländerinnen und Ausländern, die in das Herkunftsland ihrer Eltern ausgereist sind, bessere Möglichkeiten und großzügigere Fristen für die Rückkehr in die Bundesrepublik gewähren. Wir wollen den Familiennachzug etwas erleichtern und älteren Migranten und Migrantinnen, die hier jahrzehntelang gelebt und gearbeitet haben, Reise- und Niederlassungsfreiheit gewähren. Auch dazu sollte die Zustimmung, auch im Lager der Koalition, keine große Überwindung kosten. Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich möchte diese Rede zur ausländerpolitischen Debatte nicht ohne eine Anmerkung aus aktuellem Anlaß beschließen. Ich weiß sehr wohl, daß die Meinungen gerade bei dieser Thematik weit auseinanderklaffen, und zuweilen schlagen die Wogen der Erregung hoch. Aber über eines kann es in diesem Hause keinen Streit geben: Gewalt hat in dieser Diskussion über die Thematik nichts zu suchen. Dieses Parlament muß sich deshalb einig sein in der Verurteilung der Aktionen gegen türkische Reisebüros oder Gebetshäuser, egal, wer dafür verantwortlich zeichnet. ({8}) Ebenso einig, liebe Kollegen und Kolleginnen, sind wir uns wohl in der entschiedenen Verurteilung des Anschlags auf unseren Bundestagskollegen, egal, welche Einstellung er zum Thema Abschiebung vertritt. ({9}) Natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen - dies zum Abschluß -, versteht sich diese Anmerkung von selbst. Aber ich finde, auch Selbstverständliches muß man zuweilen aussprechen. Ich danke sehr. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Kerstin Müller ({0}).

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, hat Anfang des Jahres zu Recht darauf hingewiesen, daß das neue Asylrecht mit heißer Nadel gestrickt sei, und sie hat Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, ins Stammbuch geschrieben, noch einmal sehr gründlich nachzudenken. Ich finde, dazu ist es höchste Zeit. Gerade die Verwaltungs- und Verfassungsrichter spüren nämlich hautnah, was die Asylrechtsänderungen in unserem Rechtssystem anrichten und wie schikanös sie zum Teil für die betroffenen Menschen sind. Zwei Jahre nach dem sogenannten Asylkompromiß zeigt die Praxis, wie mangelhaft dieses Gesetz ist. Auf dem Papier gilt zwar immer noch das individuelle Grundrecht auf Asyl. De facto gilt aber noch nicht einmal mehr die Genfer Konvention; sie wird vielen Staaten, den sogenannten Drittstaaten, nur unterstellt. Eine Reihe von Regelungen, z. B. die Drittstaatenregelung, das Konzept der sicheren Herkunftsländer oder die völlig abwegige Kürze der Rechtsmittelfristen, haben sich allein unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten als fatal erwiesen. Das Verfassungsgericht muß immer häufiger in Eilverfahren Feuerwehr spielen. Ich glaube, zur Zeit sind dort zirka 800 Verfahren anhängig. Es wird noch in diesem Jahr über die Verfassungsmäßigkeit des Art. 16a des Grundgesetzes zu entscheiden haben. Meine Damen und Herren von der Union, aber auch von der SPD, wir meinen immer noch: Da hilft kein Herumdoktern an den inhumanen Auswüchsen des Gesetzes. Wir halten daher an unserer grundsätzlichen Kritik fest: Mit dem Asylkompromiß wurde ein Menschenrecht demontiert. Aus dem Asylproblem haben Sie ein Abschiebeproblem gemacht. Flüchtlinge werden nämlich erstens gnadenlos in die Nachbarländer zurückgeschoben, und im Inland hat die Zahl der Abschiebehäftlinge ein wirklich erschrekkendes Ausmaß angenommen. Abschottung - Sie haben es selber gesagt, Frau Sonntag-Wolgast - ist die Devise dieser neuen Flüchtlingspolitik. Der Hohe Flüchtlingskommissar der UNO hat seinerzeit davon gesprochen - ich denke, das gilt auch jetzt noch -, daß die Grundgesetzänderung den Zusammenbruch eines internationalen Flüchtlingsschutzes bedeutet hat. Meine Damen und Herren, die Qualität einer demokratischen Gesellschaft zeigt sich am Umgang mit ihren Minderheiten. Meine Fraktion wird daher noch in dieser Legislaturperiode ein Fluchtgesetz vorlegen. Wir meinen, die Bedingungen für Flüchtlinge müssen human gestaltet werden. Niemand darf abgeschoben werden, bevor seine Asylgründe nicht wirklich überprüft wurden; das ist nämlich beim Art. 16a nicht immer der Fall. Das sind für uns rudimentäre Mindeststandards eines humanen Asylrechts. Meine Damen und Herren von CDU und SPD, die Abschaffung des Asylrechts wurde seinerzeit u. a. damit begründet, mehr für die in Not befindlichen Bürgerkriegsflüchtlinge tun zu können. Die bittere Tatsache ist: Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Art. 16a sind noch nicht einmal die Voraussetzungen für den Sonderstatus von Bürgerkriegsflüchtlingen geregelt. Auf dem Verschiebebahnhof zwischen Bund und Ländern wird die Frage der Kosten hin- und hergeschoben. Das ist ein zynisches Pingpongspiel mit dem Schicksal dieser notleidenden Menschen, bei dem Sie, meine Damen und Herren von der SPD, in diesem Falle sogar mitspielen; denn Sie hätten beim Asylkompromiß und zuletzt bei den Verhandlungen um den Solidarpakt auf einer Finanzierungsregelung bestehen müssen. Daß dies nicht geschehen ist, war ein schwerwiegender politischer Fehler. Sie versuchen das heute mit dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf wiedergutzumachen, jetzt, wo Sie eigentlich sämtliche Druckmittel zugunsten der Regierung aus der Hand gegeben haben. Ich finde das bedauerlich. ({0}) Ich fordere Sie eindringlich auf, dafür zu sorgen - darauf geht Ihre Initiative natürlich auch zurück -, daß Bund und Länder den Sonderstatus für Bürgerkriegsflüchtlinge endlich durch eine klare Finanzierungsregelung umsetzen. Wir unterstützen daher den Vorschlag, daß die Kosten z. B. je zur Hälfte zu tragen sind. Bei Ihrem Vorschlag für eine Altfallregelung stellt sich meiner Meinung nach die gleiche Frage. Warum wurde nicht schon im Asylkompromiß eine umfassende Altfallregelung vereinbart? Sie können doch heute nicht so tun, als wäre dieses Problem nicht schon vor zwei Jahren bekannt gewesen. Damals haben alle Flüchtlingsinitiativen eindringlich darauf hingewiesen. Meine Damen und Herren, aus humanitären Gründen brauchen wir endlich eine großzügige und gerechte Altfallregelung, und zwar aus Gründen der Integration, Herr Scholz. Asylbewerbern muß nach unserer Meinung nach fünf Jahren, wenn sie minderjährige Kinder haben, nach drei Jahren ein sicherer Aufenthaltsstatus gewährt werden. De-facto-Flüchtlinge, die sich seit vier Jahren hier aufhalten, müssen ein Bleiberecht erhalten. Die Politik der Abschiebung will die Schaffung von Bleiberechten um jeden Preis vermeiden. Besonders kraß zeigt sich das in der Frage des eigenständigen Kerstin Müller ({1}) Aufenthaltsrechts von Frauen. § 19 des Ausländergesetzes gilt für Frauen und Männer gleichermaßen. Dennoch sind hauptsächlich ausländische Frauen deutscher Männer auf Grund ihrer Lebenssituation betroffen. Ihr Aufenthaltsstatus hängt in den ersten vier Jahren nach Eheschließung einzig und allein vom Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft ab. Sie haben kein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Die geltende Regelung wird so zum Machtmittel in der Hand von Männern gegen ihre Frauen. Sobald sich die Frauen trennen wollen, gegen die Gewalt in der Ehe revoltieren oder die Männer ihrer einfach überdrüssig sind, können sie die Ausweisung der Frau mittelbar veranlassen, indem sie einfach behaupten, die eheliche Lebensgemeinschaft bestehe nicht mehr. Ausländische Frauen sind so oftmals gezwungen, in schlimmsten Gewaltverhältnissen auszuharren. Selbst eine Flucht ins Frauenhaus werten hiesige Gerichte als Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft und damit als Anlaß zur Ausweisung. Eine besondere Härte wird nur anerkannt, wenn sie im Heimatland zu befürchten ist, und nicht etwa, wenn die Frauen physischen und psychischen Mißhandlungen in der Ehe ausgesetzt sind oder ein Kind zu betreuen haben. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Wir meinen deshalb: Ausländischen Ehegatten muß unmittelbar nach der Eheschließung ein eigenständiges Aufenthaltsrecht gewährt werden, unabhängig vom Fortbestand der Ehe und von den sozialen und Wohnraumverhältnissen. Eine gesetzliche Regelung, die eindeutig Manner bevorteilt und ausländische Frauen in dem Fall mittelbar diskriminiert, darf keinen Bestand haben. Wir wollen mit unserem Entwurf gleiche Rechte für die Frauen schaffen. Noch ein Wort zu Ihrem Entwurf, meine Damen und Herren von der SPD. Die von Ihnen vorgeschlagene Zweijahresfrist für die Erlangung des eigenständigen Aufenthaltsrechts löst nicht die eigentlichen Probleme der Frauen. § 19 des Ausländergesetzes ist nämlich auch ein Instrument in den Händen von Heiratshändlern. Er ermöglicht ihnen, ihren sogenannten Kunden unbehelligt Umtauschfristen von etwa einem Jahr einzuräumen. Diese sind in dem Geschäft allgemein üblich. Die Männer können im Fall einer Trennung, egal, wie lang die Frist ist, davon ausgehen, daß die Frauen abgeschoben werden, ohne daß daraus für sie irgendwelche Verpflichtungen erwachsen. Deshalb fordern wir ein sofortiges eigenständiges Aufenthaltsrecht und nicht erst ein Aufenthaltsrecht nach zwei Jahren, wie Ihr Vorschlag lautet. Ich möchte mich auch auf die Debatte zum Internationalen Frauentag vom 8. März beziehen. Dort haben Frauen aller Fraktionen bekräftigt, daß § 19 des Ausländergesetzes reformiert werden soll. Bisher gibt es von der Regierung leider nichts anderes als Ankündigungen. Im Interesse der Frauen sollten wir daran denken, ob nicht durch eine gemeinsame Anstrengung der Frauen aller Fraktionen eine Reform angegangen werden muß. Wir wären auf jeden Fall dazu bereit. Danke schön. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Schmalz-Jacobsen ({0}).

Cornelia Schmalz-Jacobsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001991, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Uns liegen heute eine Reihe von Vorschlägen auf dem Tisch, die eines sehr deutlich machen: Wir sind mit anderen Realitäten konfrontiert als noch vor einigen Jahren. Manches Problem ist einfach neu, zum Teil haben aber auch andere Entwicklungen stattgefunden. Ich spreche hier von den Bürgerkriegsflüchtlingen, von den Altfällen aus den Asylverfahren und vom Ausländergesetz, das jetzt seit fast viereinhalb Jahren in Kraft ist. Es liegen übrigens immer noch keine Verwaltungsvorschriften dazu vor, und die vorläufigen Anwendungshinweise konterkarieren das Gesetz nach wie vor in Teilen. ({0}) Das entspricht nicht meinem Verständnis von Anwendung von Recht und Gesetz. Hier hat es Verschärfungen durch die Hintertür gegeben. Herr Staatssekretär Lintner, ich spreche Sie jetzt direkt an. Der Wind hat mir aus Ihrem Ministerium zugeweht, daß in dieser Legislaturperiode wohl kaum mit den Verwaltungsvorschriften zu rechnen sei. Das kann doch nicht angehen. Ich bitte Sie, dem nachzugehen. ({1}) Zu den Bürgerkriegsflüchtlingen. Über die Anwendung oder, besser gesagt, Nichtanwendung des § 32a herrscht im ganzen Haus Unzufriedenheit. Wir haben das das letzte Mal im Innenausschuß debattiert. Daß in dieser Frage bis heute keine Einigung zwischen Bund und Ländern erzielt wurde, ist schlicht nicht tragbar. ({2}) Eine Klarstellung und eine Einigung über die finanziellen Mittel ist überfällig. Das Schwarzer-PeterSpiel, das zum Teil auch in den vorliegenden Anträgen anklingt, ist unwürdig und führt nicht zum Ziel. ({3}) Die Kollegen von der CDU/CSU sind hier sicherlich im gleichen Boot, wie wir schon mehrmals deutlich gemacht haben. Viele Gemeinden sind natürlich in großer Bedrängnis durch die Belastungen, die sehr unterschiedlich verteilt sind. Vor allem in Süddeutschland gibt es hierbei Probleme. Es ist zwar nicht richtig, daß die Gemeinden die Leute ins Asylverfahren komplimentieren, aber ein gewisses Verständnis geht mir hier nicht ab. Im übrigen ist es erbitternd, und das möchte ich hier ausdrücklich feststellen: Die Solidarität innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist, was die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen anbelangt, wirklich sehr mangelhaft. ({4}) Sich gewissermaßen zurückzulehnen und darauf zu zählen, daß die Bundesrepublik die meisten Bürgerkriegsflüchtlinge schon aufnehmen und versorgen wird, ist keine angemessene Haltung. Ich finde, das sollten wir gegenüber unseren Partnern immer wieder deutlich machen. ({5}) Zum Thema Altfallregelung. Das ist eine zugegebenermaßen schwierige Geschichte - wie manches in diesem Politikbereich. Die F.D.P. hat eine solche Regelung immer für notwendig gehalten und das auch bereits in den Verhandlungen zum Asylkompromiß gesagt. Ich möchte hier eines klarstellen. Es kann hier nicht um eine Belohnung für Verfahrenskünstler gehen. Es geht allein darum, entstandenen Gegebenheiten mit Augenmaß Rechnung zu tragen. Ich kann mir als Kompromiß durchaus eine klare Einzelfallregelung vorstellen. Aber sie muß klar umrissen sein, sie darf nicht so sehr schwanken. Ich will Ihnen sagen, warum ich das für so wichtig halte: einmal, um der Lage derjenigen Asylbewerber gerecht zu werden, die inzwischen seit sehr, sehr vielen Jahren hier sind; ich meine damit nicht die Verfahrenskünstler, wie schon betont. Zum anderen hat sich aber in den letzten anderthalb bis zwei Jahren auch etwas anderes verändert, und zwar die Kritik aus der deutschen Öffentlichkeit. Diese Kritik hat sich verstärkt, nämlich daran, daß Menschen, die seit Jahren hier leben, die integriert sind, deren Kinder hier geboren wurden und hier zur Schule gehen, und die einer Arbeit nachgehen, nach unzähligen Jahren nun doch abgeschoben werden sollen. Bei den Leuten aus der deutschen Öffentlichkeit, die hier Kritik üben, handelt es sich nicht um Einzelpersonen, meine Damen und Herren, sondern um eine ganz breite Schichtung aus der Bevölkerung, aus allen Berufsschichten, von der Hausfrau über den Architekten; ich will das jetzt gar nicht aufzählen. Aber diese Leute meinen es sehr ernst; das merkt man, wenn man mit ihnen redet. Das sind keine Spinner. Die Entscheidungen der Behörden können sie nicht verstehen. Das führt zur Politikverdrossenheit bei denen, die unsere unisono verlautbarten Appelle an das ausländerfreundliche Deutschland eigentlich anders verstanden hatten. ({6}) Eine vernünftige Altfallregelung würde im übrigen auch etwas anderes bewirken. Sie würde nämlich Behörden, Gerichte und die Petitionsausschüsse der Landtage und des Bundestages spürbar entlasten; da landet das nämlich alles. ({7}) Zu den Anträgen, die sich mit dem Ausländergesetz befassen. Eine Novellierung dieses schwierigen Gesetzes ist in der Koalitionsvereinbarung vom November letzten Jahres ausdrücklich festgeschrieben. Und weil das so ist, ist die Bundesregierung aufgefordert, ihre Vorstellungen dazu zügig vorzulegen. Ich habe von der Notwendigkeit gesprochen, veränderten Realitäten unseres Landes gerecht zu werden. Dabei kann es hier und da durchaus nötig werden, zu Veränderungen im Sinne von Verschärfungen zu kommen, etwa im Rahmen der Kriminalitätsbekämpfung. Kein Land kann es sich leisten, meine Damen und Herren, hier nicht zu handeln, wenn es notwendig wird, und zwar im Interesse des inneren Friedens. ({8}) Aber ebenso dient es dem inneren Frieden und dem Zusammenhalt und der Gerechtigkeit, wenn man dort die Bestimmungen lockert, wo mehr Großzügigkeit Probleme lösen hilft. Wir haben hier schon vor geraumer Zeit Vorschläge gemacht. Das sind Vorschläge, die auch von vielen Fachleuten, von den Wohlfahrtsverbänden bis hin zu den Ausländerbehörden bereits gemacht worden sind. Sie sind ja auch im SPD-Entwurf Drucksache 13/ 767 aufgelistet. Ich möchte mich wegen der kurzen Redezeit auf zwei Punkte beschränken. Da ist einmal die Neuregelung der Wiederkehrmöglichkeit älterer Ausländer. Sie haben vielleicht ihr ganzes Berufsleben in Deutschland verbracht, und sie sind Bezieher deutscher Renten. Jetzt aber, wo langsam immer mehr von ihnen in den Ruhestand treten, möchten viele gern zwischen der alten Heimat und der Bundesrepublik, in der nämlich ihre Kinder und Enkel leben, hin- und herpendeln. Das ist natürlich überhaupt kein Problem für Angehörige eines EU-Staates. Aber es ist ein gravierendes Problem für sogenannte Drittstaatler. Was spricht eigentlich dagegen, sie vom Visumzwang zu befreien und ihnen die Freizügigkeit zuzugestehen, die sie sich gewissermaßen seit vielen Jahren bei uns verdient haben? ({9}) Daß wir dieser ersten Gastarbeitergeneration dankbar sind, daß wir ihnen gegenüber eine Dankesschuld abzufragen haben, darauf hat nicht zuletzt der Herr Bundeskanzler in diesem Hause immer wieder hingewiesen. Ich meine, wir sollten uns einen Schubs geben und hier etwas tun. Es ist nicht so furchtbar schwierig. Ich weiß, daß der momentan gewählte Ausweg ein fiktiver Wohnsitz in Deutschland ist. Ich finde, wir sollten die Leute nicht in dieses unwürdige Verhalten drängen. ({10}) Zur Neuregelung des eigenständigen Aufenthaltsrechts für ausländische Ehepartner möchte ich folgendes sagen. Es sind, wie hier schon von Vorrednerinnen gesagt wurde, in erster Linie ausländische Frauen, die darunter zu leiden haben, daß sie nach geltendem Recht selbst in Fällen offenkundiger Mißhandlung durch den Ehemann erst nach dreijähriger Ehezeit bei einer Scheidung ein eigenständiges Aufenthaltsrecht haben. Wenn Mißhandlung, Vergewaltigung, Zwang zur Prostitution - und das alles kommt leider nicht so ganz selten vor - vor dieser Dreijahresfrist stattfinden, dann sind die betroffenen Frauen wirklich übel dran. Sie bekommen dann eben keinen Aufenthaltstitel. Wenn sie selbst oder der Ehemann die Scheidung durchsetzt, dann warten postwendend Ausweisung und Abschiebung auf sie, und zwar zu Lasten des Steuerzahlers. Ich möchte hier auch zum wiederholten Male ganz ausdrücklich betonen, daß dies ein trauriges Problem ist, aber kein Massenproblem. Es kommt nicht selten vor, aber es ist eben kein Massenproblem. Die überwältigende Zahl der binationalen Ehen geht ja gut. Aber das spricht hier doch nicht gegen den Handlungsbedarf. Dennoch: Man darf meiner Meinung nach bei einer Neuregelung das Problem der Scheinehen nicht außer acht lassen. Man darf es auch nicht kleinreden, und wir sollten dem auch keinen Vorschub leisten. Die Vierjahresfrist zu halbieren, wie von der SPD gewollt, halte ich weder für besonders ratsam, noch halte ich es für notwendig. Und die komplette Aufhebung, wie sie vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgeschlagen wird, denke ich, geht nicht. Die Heiratshändler, Frau Kollegin Müller, sind nämlich auch dann im Geschäft, und zwar gerade wenn es überhaupt keine Fristen mehr gibt. Ich möchte es nicht erleben. Wir müssen hier aufpassen. Ehezeiten im Ausland wenigstens teilweise auf die Fristen anzurechnen, das sollte man meiner Meinung nach nicht in Art. 19 des Ausländergesetzes regeln. Das ist eine Frage, die einmal sehr grundsätzlich überdacht werden sollte. Denn in einer sehr viel mobiler gewordenen Gesellschaft bereitet es vor allen Dingen bei der Frage der Einbürgerung Probleme, daß eine Ehebestandszeit im Ausland gleich null ist. Ich kenne viele Deutsche, die einen Beruf im Ausland ausüben; ihre Frau hat nie die Möglichkeit, Deutsche zu werden, wenn die Ehe im Ausland besteht.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Die Redezeit!

Cornelia Schmalz-Jacobsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001991, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Schluß. - Es muß uns darum gehen, offenkundigen Härtefällen zugunsten der betroffenen Frauen entgegenzukommen, ohne den Kalender zur Hand zu nehmen. Die Präsidentin des Deutschen Bundestages, Frau Süssmuth, hat unter dem Beifall des ganzen Hauses am 8. März, am Internationalen Frauentag, sehr deutliche Worte zu dieser Problematik gefunden, und zumindest die Frauen in diesem Hause schienen sich sehr einig zu sein. ({0}) - Die Männer auch? Das freut uns. - Ich appelliere an die Bundesregierung, hier die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Immerhin wird in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesrates deutlich, daß offenbar auch die Bundesregierung sieht, daß wir in diesem Bereich einen Nachholbedarf haben. Vielen Dank. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Frau Kollegin Christina Schenk, Sie haben das Wort.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Rede keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß die PDS das Ausländergesetz insgesamt ablehnt, weil es sich dabei um ein restriktives und diskriminierendes Sonderrecht für Nichtdeutsche handelt, das einem gleichberechtigten Zusammenleben von deutschen und ausländischen Bürgerinnen und Bürgern diametral entgegensteht. Dennoch hat die PDS zu § 19 des Ausländergesetzes einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Übrigens, Frau Sonntag-Wolgast, wir haben das schon vor drei Wochen getan. Die Bündnisgrünen haben sich demgegenüber erst gestern entschließen können, dies zu tun, und zwar nach einer Anhörung, in der sie sich haben bestätigen lassen, daß ein geänderter § 19 weder ein Einfallstor für Scheinehen noch für Heiratsvermittler, noch für versteckte Einwanderung ist. Insofern bin ich in diesem Punkt auch ganz anderer Meinung als Frau Schmalz-Jacobsen. Ich freue mich durchaus, daß sich die Bündnisgrünen mit ihrem Gesetzentwurf der Meinung der demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten zu diesem Punkt angeschlossen haben. ({0}) Der Handlungsbedarf bezüglich § 19 ist schon seit langem überdeutlich. Seit Jahren weisen Frauenorganisationen wie Migrantinnengruppen, Terre des femmes, agisra, Frauen-gegen-Gewalt-Gruppen usw. immer wieder auf die Situation von ausländischen Frauen hin, die auf Grund dieses Paragraphen zur Hinnahme einer entwürdigenden und unter Umständen sogar lebensgefährlichen Situation gezwungen werden. § 19 regelt das Aufenthaltsrecht von ausländischen Ehefrauen und Ehemännern bei einer Trennung. Ausländische Frauen und Männer, die mit deutschen oder in der BRD lebenden ausländischen Staatsangehörigen verheiratet sind, haben lediglich ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Erst nach einem ehelichen Zusammenleben in der BRD von vier Jahren bzw. von drei Jahren in sogenannten Härtefällen haben sie ein eigenständiges Aufenthaltsrecht. Wird die Beziehung unerträglich oder kommt es zu Gewalttätigkeiten in der Ehe, ist eine freie Entscheidung über die Fortsetzung oder Beendigung der ehelichen Gemeinschaft nicht möglich, ohne daß eine Ausweisung die Folge ist. Von dieser Regelung sind insbesondere Frauen betroffen. Geschiedene oder getrennt lebende Frauen müssen in ihren Herkunftsländern oft mit gesellschaftlicher Achtung und Ausgrenzung rechnen. Eine Rückkehr ist daher nicht möglich. § 19 Ausländergesetz wird so zum Machtmittel in der Hand des Ehemannes. Immer wieder schicken beispielsweise deutsche Männer bei Nichtgefallen ihre aus dem Ausland kommenden Ehefrauen in deren Herkunftsländer zurück - mit Hilfe der Ausländerbehörden. Gewalttätige Ehemänner drohen mit § 19, um ihre Frauen zum Bleiben zu zwingen. Wenn Frauen ins Frauenhaus flüchten, alarmieren die Ehemänner die Ausländerbehörde. Da tut sich eine verhängnisvolle Allianz von gewalttätigen Ehemännern und der Ausländerbehörde auf der Grundlage des Ausländergesetzes auf. Höchste Rechtsgüter wie die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und das Recht auf körperliche Unversehrtheit werden mit der lächerlichen Begründung geopfert, man wolle sogenannte Scheinehen verhindern. Nur die Frist in der Härtefallregelung zu streichen, wie es der Bundesratsentwurf vorsieht, bzw. zusätzlich die Vierjahresfrist auf eine Zweijahresfrist zu verkürzen, wie es die SPD will, ist keine Lösung. Die betroffenen Frauen bleiben der Willkür der Gerichte und Behörden ausgeliefert: Wer entscheidet denn, wann ein sogenannter Härtefall vorliegt und wann nicht? Ob eine Frau zwei oder vier Jahre bzw. drei Jahre in einer ungewollten Beziehung ausharren muß, ist ein Unterschied, aber nur ein kleiner, der nichts an ihrer unerträglichen Situation zu ändern vermag. Absurd ist es außerdem, nur die Ehezeit in der Bundesrepublik selbst anzuerkennen. Das bedeutet z. B. für ein Ehepaar, das bereits zehn Jahre in Tunesien verheiratet war und weniger als vier Jahre in der Bundesrepublik lebt, bei einer Trennung die Ausweisung der tunesischen Ehefrau bzw. des Ehemannes. Zudem reicht für binationale Paare noch nicht einmal der Trauschein aus. Nein, sie müssen in der Bundesrepublik auch noch in einer gemeinsamen Wohnung leben. Ich meine, das hat mit der freien Wahl der Lebensform überhaupt nichts mehr zu tun; kein Deutscher, keine Deutsche würde sich das vorschreiben lassen. Ein Getrenntleben, das nach deutschem Recht als Voraussetzung für eine Scheidung gilt, ist in den ersten vier Jahren nicht möglich, ohne das Aufenthaltsrecht zu verlieren. Die einzige Lösung in der gegenwärtigen Situation ist daher die Streichung aller Fristen, das bedeutet ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ab Eheschließung. Damit das nicht Makulatur bleibt, muß der Bezug von Sozialhilfe als Ausweisungsgrund ebenfalls gestrichen werden. Diese beiden Forderungen greift der Gesetzentwurf der PDS auf. Ausländische Frauen werden in der Bundesrepublik doppelt diskriminiert, einmal als Ausländerin und einmal als Frau. Sie haben daher auf dem Arbeitsmarkt sehr schlechte Chancen und werden in der Regel nur gering entlohnt. Aus diesen Gründen sind Migrantinnen nach der Trennung vom Ehemann häufig auf Sozialhilfe angewiesen, wenn auch oft nur in Form der ergänzenden Zuwendung. Generell ist zu kritisieren, daß die Eheschließung für eine Aufenthaltsgenehmigung vorausgesetzt wird. Dies bedeutet eine Diskriminierung von anderen Lebensformen. Binationale Paare sind dadurch gezwungen zu heiraten, auch wenn sie lieber in anderer Weise zusammenleben möchten. Lesbische Frauen und schwule Männer haben ohne deutsche Staatsangehörigkeit überhaupt keine Möglichkeit, mit ihrer Partnerin oder ihrem Partner in der Bundesrepublik zu leben. Abschließend möchte ich noch einmal deutlich sagen, daß jede Reform des Ausländergesetzes - sei sie auch noch so gut gemeint - Flickschusterei ist und dies bleiben muß. Die restriktiven Regelungen des Ausländergesetzes sind insgesamt diskriminierend und menschenverachtend. Unser Ziel bleibt es deshalb, das Ausländergesetz in der Form, in der es jetzt besteht, abzuschaffen. ({1})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Eduard Lintner. Eduard Lintner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Inhalt der bisherigen Debatte hat bereits gezeigt, daß sie über wichtige ausländerrechtliche Einzelfragen weit hinausgeht. Sie gibt deshalb Anlaß, die grundlegenden ausländerrechtlichen Positionen der Bundesregierung noch einmal darzulegen, die Gemeinsamkeiten - im übrigen auch mit den Auffassungen der SPD -, soweit vorhanden, zu bestätigen und schließlich gesellschaftspolitisch fragwürdige Ansätze, die sich hinter verschiedenen vorliegenden Gesetzesanträgen verbergen, aufzuzeigen. Unser Ausländerrecht ist von zwei Prinzipien geprägt. Einerseits soll es die Integration der hier auf Dauer rechtmäßig lebenden Ausländer fördern. Andererseits soll es aber auch - auch das halte ich für legitim - die Zuzugsbegrenzung von Ausländern aus Nicht-EU-Staaten ermöglichen. Hinsichtlich der integrativen Elemente des Ausländergesetzes besteht ein weitgehender Konsens zwischen allen Beteiligten. Aber auch das zweite grundlegende Element, die Zuzugsbegrenzung, ist notwendig und unverzichtbar. Dies räumt sogar - ich muß sagen: bemerkenswerterweise - die SPD ein, wenn sie in der Begründung ihres Gesetzesantrags schreibt: Die Zuwanderung nach Deutschland ist seit Beginn der 90er Jahre stark angestiegen, und das Ausländergesetz 1990 steht deshalb heute in einem anderen Umfeld, als dies bei seiner Verabschiedung der Fall war. Es überrascht mich angesichts dieses Befundes eigentlich nur, daß die SPD trotzdem Gesetzesanträge vorlegt, die noch einmal zu einer deutlichen Zunahme der Ausländerzuwanderung führen müssen. Angesichts der Probleme, die uns eine nicht zu beeinflussende sogenannte sonstige Ausländerzuwanderung z. B. aus den EU-Staaten heute schon bereitet, können weitere gesetzliche Öffnungen hin zu noch verstärkter Zuwanderung und zu besseren Bleiberechten nicht verantwortet werden. Meine Damen und Herren, die Kehrseite einer anderen Politik, nämlich die zunehmende Belastung der ansässigen Bevölkerung, blenden Sie bei Ihren Vorschlägen einfach aus, so z. B. die dann zu bewältigenden Konkurrenzen - Stichwort: Arbeits- und Wohnungsmarkt - oder die horrenden Sozialkosten, die Sie einfach verschämt nicht erwähnen, obwohl Sie - hier zitiere ich Sie wieder - zur Begründung Ihrer Anträge u. a. schreiben: „Es könnten" - man beachte den Konjunktiv - „in denjenigen Fällen, in denen der Lebensunterhalt nicht gesichert ist, Sozialhilfekosten bei den Sozialhilfeträgern anfallen." Meine Damen und Herren, erklären Sie einmal den Städten und Gemeinden, die Sie hier oft zitieren und die bereits unter den heute anfallenden Aufwendungen stöhnen, wie sie diese zusätzlichen Konsequenzen noch ertragen sollen. Dabei, so muß ich hinzufügen, wehren sie ja auch noch alle Überlegungen ab, etwa die Leistungen für Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber gleichzugestalten, um bei denjenigen, die jetzt länger als ein Jahr bei uns sind, ebenfalls angemessen zu reduzieren. Meine Damen und Herren, von den fatalen radikalisierenden Wirkungen einer Überlastung der Ansässigen durch einen zu großen Zuzug im politischen Bereich will ich noch gar nicht reden. Wir alle sind ja froh, daß z. B. der Zulauf von Wählern zu den Republikanern vor allem durch das neu wirksame Asylrecht gestoppt worden ist, und dies sollten wir bei aller Sympathie für das Schicksal im einzelnen nicht vergessen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch die wichtigsten Einzelpunkte herausgreifen. Die Diskussion um das eigenständige Ehegattenaufenthaltsrecht begleitet uns ja seit vielen Jahren, und die Bundesregierung hat zu dem diesbezüglichen Gesetzesantrag bereits schriftlich Stellung genommen. Wir haben dabei u. a. zugesagt, bestehende Vorschriften einer erneuten Prüfung zu unterziehen. Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen sind aber unvermeidbar, denn alles andere würde nur dazu verführen, gezielt Scheinehen zur Erlangung von Aufenthaltsrechten einzugehen. Das kann nicht so einfach abgetan werden, wie das gerade von Ihnen geschehen ist. Ein Mißbrauch der Institution Ehe und ihrer grundgesetzlichen Privilegierung zu diesem Zweck ist ja heute schon gegeben. Was wäre erst, wenn?, kann ich nur hinzufügen. Erleichterung im Bereich des Ehegattennachzuges, des Wiederkehrrechts oder auch der erweiterten Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen, um nur einige weitere Punkte zu nennen, sind genau so problematisch, meine Damen und Herren. Gerade mit der Wiederkehroption für junge Ausländer wurde im übrigen ein Sondertatbestand geschaffen, der die besonderen Interessen dieses Personenkreises mehr als hinreichend wahrt. Es handelt sich hiet um junge Leute, die in der Bundesrepublik Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, dann in das Heimatland zurückgegangen sind und nach einer gewissen Weile nun doch wieder in das Bundesgebiet zurückkehren wollen. Diese Jugendlichen, meine Damen und Herren, haben bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres bis zu fünf Jahre Zeit, sich endgültig zu entscheiden. Dieser Zeitraum sollte auch bei jungen Leuten, die dann ja mittlerweile volljährig geworden sind, ausreichend sein, zumal schon heute im Ausländergesetz dazu noch eine ausdrückliche Härteklausel ergänzend existiert. Beim Ehegattennachzug, den sogenannten Zuheiratungsfällen, sollte an der derzeitigen Regelung festgehalten werden, weil sich auch hier ansonsten nicht beherrschbare Mißbrauchsmöglichkeiten eröffnen. Schließlich kann auch einer erweiterten Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen an nur geduldete Ausländer nicht zugestimmt werden. § 30 des Ausländergesetzes - Sie wissen das - sieht ohnehin eine großzügige Möglichkeit vor, Ausländern aus dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen. Diese Vorschrift ist für mich im übrigen ein sichtbares Zeichen dafür, daß das aktuelle Ausländergesetz allen polemischen Angriffen zum Trotz sehr wohl in der Lage ist, in einzelnen, humanitär besonders gelagerten Fällen menschliche und gerechte Lösungen bis hin zu individuellen Aufenthaltsrechten zu ermöglichen. Eine Ausdehnung dieser Möglichkeiten ist vor diesem Hintergrund deshalb nicht zu rechtfertigen. Lassen Sie mich noch ganz kurz auf die Altfallregelungen eingehen, meine Damen und Herren, die ja Gegenstand einer anderen Gesetzesinitiative sind. Es hat in der Vergangenheit immer wieder BundLänder-Absprachen gegeben, nach denen bestimmten Personengruppen in besonderen Situationen Bleiberechte eingeräumt wurden. Beweggrund für derartige Regelungen - Sie wissen das - waren entweder längere Voraufenthaltszeiten oder auch die besonderen Umstände in den Heimatländern. Diese Vorschriften sind eben typische Übergangsregelungen, die dem Inkrafttreten eines grundlegend neuen Rechtszustandes Rechnung tragen und dadurch für bestimmte vergangene Fallkonstellationen einen endgültigen Abschluß finden sollen. Dem geltenden Ausländerrecht, dem laufenden Ausländerrecht sozusagen, liegt hingegen eine gesetzliche Wertung zugrunde, nämlich daß Voraufenthaltszeiten nicht in einen Daueraufenthalt münden sollen. Neue Altfallregelungen müssen wegen der mit ihnen verbundenen Zuwanderungsanreize auf besondere, nicht kalkulierbare Ausnahmesituationen und wirkliche Härtefälle beschränkt bleiben. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß etwas zur Situation der Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina sagen, mit deren Situation sich drei der vorgelegten Anträge befassen. Mit der Aufnahme von rund 400 000 Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien liegt Deutschland an der Spitze aller Länder. Die aufgenommenen Bürgerkriegsflüchtlinge sind bei uns gut aufgehoben. Sie sind willkommen. Das hat nichts mit der noch nicht möglichen Anwendung des seinerzeit neu geschaffenen § 32 a des Ausländergesetzes zu tun. Bürgerkriegsflüchtlinge sind auch jetzt bei uns in keiner Weise gefährdet. Tatsache ist nämlich: Die derzeitige Regelung über § 54 des Ausländergesetzes gewährleistet in vollem Umfang die sichere und verläßliche Aufnahme dieser Menschen. Erst grundlegend geänderte Verhältnisse im Heimatland würden eine andere Bewertung zulassen. Meine Damen und Herren, ich will noch einmal herausstellen: Kein Bürgerkriegsflüchtling muß deshalb in der Angst leben, daß auf Grund ungeklärter rechtlicher Fragen zwischen Bund und Ländern seine persönliche Aufenthaltssituation gefährdet ist. Unser Ausländerrecht ist - lassen Sie mich das abschließend feststellen -, wie Sie sehen, humaner, als dies immer wieder von Ihnen in Debatten dargestellt wird. ({0})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Jochen Welt, Sie haben das Wort.

Jochen Welt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002472, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir werden dem Entwurf des Gesetzes zum Bonner Protokoll zustimmen. Gleichwohl müssen sich diese Regierung und die sie tragenden Fraktionen vorwerfen lassen, bei der Erarbeitung einer europäischen Zuwanderungskonzeption zwei wertvolle Jahre vergeudet zu haben. Sie müssen sich vorwerfen lassen, vielen ausländischen Mitbürgern deren Integrationsbemühungen durch Starrsinn und Verleugnung von Tatsachen unangemessen erschwert zu haben. Die Regierung muß sich vorwerfen lassen, uns allen zwei Jahre lang, was die innere Sicherheit und die Sicherheit unserer Grenzen nach dem Schengener Standard betrifft, Sand in die Augen gestreut zu haben. Ich denke, diese vergeudete Zeit ist kein Ruhmesblatt. Sie ist ein Armutszeugnis für den Innenminister und für die gesamte Bundesregierung, Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Fast genau auf den Tag ist es zwei Jahre her, daß die Fraktion der SPD zusammen mit der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen den Asylkompromiß beschlossen hat. Dies geschah mit einer großen Kraftanstrengung bei uns und mit nicht wegzudiskutierenden Schwierigkeiten. Gleichwohl - das sage ich an die Adresse der GRÜNEN - stehen wir zu diesem Asylkompromiß. Denn wir sind der Auffassung, daß eine ungesteuerte Zuwanderung sozial und politisch nicht verantwortbar war und auch nicht verantwortbar ist. ({1}) Aber für uns geschieht das unter Bedingungen: daß es zu weitergehenden europäischen Lösungen in der Zuwanderungspolitik, zur Lastenverteilung innerhalb Europas, zu einer Festlegung eines einheitlichen Flüchtlingsbegriffs, zu innerstaatlichen Erleichterungen, insbesondere für die hier legal lebenden Ausländer, kommt. Keine dieser verabredeten Maßnahmen ist erreicht oder wirksam eingeleitet worden. Wenn wir uns die Gesetzesanträge ansehen, dann stellen wir fest, daß es von den damals Beteiligten lediglich die SPD-Fraktion zustande gebracht hat, produktive Vorschläge zur Umsetzung dieser Absprachen vorzulegen. ({2}) Auch das am 26. März dieses Jahres in Kraft getretene Schengener Abkommen beinhaltet ausdrücklich die Aufforderung zur Harmonisierung der asylrechtlichen Bestimmungen in Europa. Trotz Europapräsidentschaft im vergangenen Jahr, trotz vollmundiger Erklärungen der Bundesregierung und auch trotz der Vertröstungen ist es bis heute nicht möglich, auf europäischer Ebene eine einheitliche Linie zu finden. Was sollen die Menschen in Deutschland und in Europa von Regierungen halten, die sich nur in Überschriften und plakativen Äußerungen mit Problemen in Europa auseinandersetzen, aber die wirklichen Probleme der Menschen in Europa nicht lösen? Das wäre deren Aufgabe. ({3}) Das ist nicht nur ein Armutszeugnis für die europäischen Bemühungen der Bundesregierung. Ich denke, die Inkompetenz des europäischen Handelns dieser Regierung in der Zuwanderungsfrage, bei der inneren Sicherheit, bei Europol, bei der Regelung der Nacheile, bei der Frage der Waffengesetze, bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität führt dazu, daß die Menschen nicht mit der europäischen Vision, sondern nur mit europäischen Unzulänglichkeiten konfrontiert werden; sie führt dazu, daß ihnen Europa verleidet wird. Deshalb fordern wir Sie heute erneut auf, bei diesen europäischen Fragen nicht nur zu plakatieren und im Blick auf andere zu lamentieren, sondern endlich wirksam zu handeln. ({4}) Der Innenminister hat am 15. März im Innenausschuß zugestanden, daß das Staatsangehörigkeitsrecht und Teile des Ausländerrechts dringend novelliert werden müßten. Dabei seien auch weitere internationale Abkommen, insbesondere im Rückübernahmebereich, anzustreben. Es ist hier offensichtlich wie generell bei der inneren Sicherheit: Probleme werden beschrieben; sie werden wie vorhin, verehrte Kollegin Schmalz-Jacobsen, beklagt. Es wird damit Unruhe, Unsicherheit in die Bevölkerung getragen. Aber nichts wird letztlich umgesetzt und gemacht. Das liegt wohl daran, daß man in dieser Regierung nicht zur Kenntnis nehmen will, daß Deutschland seit vielen Jahrzehnten ein Zuwanderungsland ist, sei es durch Flüchtlinge, Aussiedler, Familienzusammenführungen oder weitere Gruppen. ({5}) Dieser politische Autismus, der auch vom Kollegen Scholz vorhin noch einmal vorgetragen worden ist, verkennt doch, daß die Wanderungsbewegungen auf dieser Erde nicht durch Gesundbeten und Aussitzen der Politiker in der Bundesrepublik Deutschland beseitigt werden. Meine Damen und Herren, die Menschen erwarten von einer Regierung, daß sie hierfür Konzepte erarbeitet, die in eine europäische Lastenverteilung eingebettet sind, und zwar mit dem Ziel der Zuwanderungssteuerung und der Eingliederungsunterstützung für diejenigen, die hier in Deutschland leben. Das Ergebnis dieses Autismus und der sich daraus ergebenden Handlungsunfähigkeit ist die Diskriminierung und Stigmatisierung ganzer Bevölkerungsgruppen. Ich nenne hier die Diskussions- und Problemfelder im Rahmen der Einbürgerung oder in der Frage des Staatsangehörigkeitsrechts. Das Ergebnis einer solchen Blockadepolitik ist, daß ein Aufeinanderzugehen von deutschen und ausländischen Mitbürgern erschwert und Zwietracht gesät wird. Die Anträge unserer Fraktion gehen ganz klar in die Richtung des guten Zusammenlebens. Sie betreffen sowohl den Aufenthaltsstatus für sogenannte Altfälle und das Staatsangehörigkeitsrecht als auch die Frage des Aufenthalts für Familienangehörige. Darüber hinaus, verehrte Kolleginnen und Kollegen, müssen wir unseren Antrag zum Thema Bürgerkriegsflüchtlinge noch einmal nachdrücklich in Erinnerung bringen und die Umsetzung des beim Asylkompromiß neu formulierten § 32a Ausländergesetz anmahnen. Meine Damen und Herren, es macht doch keinen Sinn, daß Flüchtlinge aus Bosnien, die durch die Kriegswirren nach Deutschland kommen, auch noch durch die Asylverfahren getrieben werden. Ihnen stehen nach meiner festen Auffassung besondere Aufenthaltsmöglichkeiten und ein besonderer Aufenthaltsstatus, wie gesetzlich vorgeschrieben, zu. ({6}) Ziel war es doch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, diesen Menschen einen unbürokratischen, einen zeitlich begrenzten, aber umfassenden Schutz zu bieten, die Asylverfahren und die Gemeinden zu entlasten. Ich denke, diese Zielsetzung muß in die Tat umgesetzt werden. Bis heute scheitert die Umsetzung dieses Punktes an der ungeklärten Finanzierungsfrage. Ich werfe der Bundesregierung vor, daß sie dieses Thema nach den neuen Erkenntnissen nicht aufgreift, sondern es bewußt verschleppt. Ich werfe ihr vor, alle Lösungsansätze aus den Bundesländern, aus den Kommunen und von den kommunalen Spitzenverbänden, die ja inzwischen vorliegen, bislang zu boykottieren. Alle Bürgermeister und diejenigen, die kommunalpolitische Verantwortung tragen, wissen von diesen Problemen. Die Gemeinden sind doch schließlich diejenigen, die die Kosten zu tragen und die Maßnahmen der Unterbringung und Versorgung vor Ort zu gestalten haben. Damit ist bis heute ein wichtiger Teil des damaligen Parteienkompromisses auch zu Lasten der betroffenen Gemeinden nicht verwirklicht worden. Eine Entlastung der Gemeinden kann doch nur durch eine angemessene Kostenbeteiligung des Bundes erreicht werden. Meine Damen und Herren, wir werden nicht zulassen, daß sich der Bund hier wie in vielen anderen Fällen aus seiner sozialen Mitverantwortung stiehlt. ({7}) Für die Gemeinden meines Wahlkreises Recklinghausen wird sich die zum Lebensunterhalt für ausländische Flüchtlinge zu leistende Hilfe von 1990 bis 1995 fast verdoppelt haben. Allein die diesjährige Steigerung wird 40 % betragen. Diese Entwicklung sprengt auch die sparsamsten Gemeindekassen. Sie torpediert geradezu sämtliche Sparbemühungen auf kommunaler Ebene. Die Bundesregierung trägt so nicht zur Entspannung der sozialen Lage in unseren Städten und Gemeinden bei. Im Gegenteil, sie spitzt sie zu. Sie erhöht die Verteilungskämpfe, Neid und Ausgrenzung. Wir fordern Sie auf: Helfen Sie endlich den Bürgerkriegsflüchtlingen! Unterstützen Sie damit die Gemeinden! Ich denke, dies ist bitter notwendig. ({8}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, solange diese Regierung nicht bereit ist, ihre Hausaufgaben zu machen und im innenpolitischen Geschehen in Deutschland an Lösungen aktiv mitzuarbeiten, trägt sie allein die Verantwortung für die immer größer werdenden Mißstände, für das schwindende Sicherheitsgefühl und für den wachJochen Welt senden Zorn unserer Bürger. Das Handlungs- und Umsetzungsdefizit dieser Bundesregierung - so denke ich - muß korrigiert werden. Dazu werden wir und wollen wir mit unseren Anträgen beitragen. Ich danke Ihnen. ({9})

Hans Klein (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001114

Herr Kollege Gero Pfennig, Sie haben das Wort.

Dr. Gero Pfennig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001706, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Vorredner hat ja schon gesagt, daß wir heute auch über die Ratifizierung des sogenannten Bonner Protokolls zum Dubliner und Schengener Übereinkommen reden, zwei Abkommen, die im Zusammenhang mit der Vollendung des europäischen Binnenmarktes wichtig sind. Sie dienen der Freizügigkeit für alle EU-Bürger bei gleichzeitiger Aufstellung von Regeln und Standards für die innere Sicherheit. Während das auf der Genfer Flüchtlingskonvention beruhende Dubliner Übereinkommen asylverfahrensrechtliche Grundsätze auf alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausdehnt, befaßt sich das Schengener Übereinkommen darüber hinaus mit der Kriminalitätsbekämpfung und der Sicherung der Außengrenzen einschließlich Visaregelungen in sieben EU-Mitgliedstaaten, in denen es seit dem 26. März dieses Jahres ungehinderte Reisefreiheit und Personenfreizügigkeit garantiert. Mit dem heute zu verabschiedenden sogenannten Bonner Protokoll wird sichergestellt, daß mit dem Inkrafttreten des Dubliner Abkommens - voraussichtlich Mitte dieses Jahres - nur noch dessen asylverfahrensrechtliche Grundsätze zwischen allen EUStaaten, also auch den sieben Schengen-Staaten, gelten und für die Behandlung von Asylanträgen maßgeblich sind. Dies hat den Vorteil, daß z. B. der EU-Ersteinreisestaat eines Antragsstellers für diesen auch dann zuständig ist, wenn der betreffende EUStaat noch nicht Schengen-Vertragsstaat ist. Man erkennt daran, wieviel dichter das europäische Regelungswerk im Bereich der sogenannten dritten Säule des Maastrichter Vertrages geworden ist, also im Bereich des Art. K über die Behandlung von Angelegenheiten der Justizzusammenarbeit und der inneren Sicherheit, der Einreise-, Aufenthalts-, Asyl- und Visapolitik einschließlich der Bekämpfung der illegalen Einwanderung, des illegalen Aufenthalts und der illegalen Arbeit von Staatsangehörigen dritter Länder im Hoheitsgebiet der EU-Staaten; so sagt es der Vertragstext. Beide Übereinkommen sind zu Recht als historischer Schritt auf dem Weg zur europäischen Integration bezeichnet worden, weil sie für ihren Geltungsbereich dazu beitragen, daß der Traum vom Europa ohne Grenzen wahr geworden ist. ({0}) Gerade das Inkrafttreten des Schengener Abkommens ist ein bahnbrechender Erfolg deutscher Europapolitik von Bundeskanzler Helmut Kohl. Mit seinem Inkrafttreten können wir mit Fug und Recht behaupten, daß Europa von der Vorstellung Abschied genommen hat, wir könnten Freizügigkeit nach europäisch-kontinentalen Regeln herstellen und die Mißbrauchsbekämpfung bei der Freizügigkeit nach national-regionalen Gesichtspunkten ordnen. Das Schengener System hat schon nach wenigen Wochen entgegen dem, was die Opposition behauptet, gezeigt, daß wir nicht nur politisch von mehr Sicherheit trotz eingeführter Freizügigkeit reden, sondern daß unsere Polizei und der Bundesgrenzschutz dank technischer Funktionsfähigkeit des Systems und dank umsichtiger Anwendung der Regeln das auch in der Praxis tatsächlich garantieren. Ich möchte der Polizei und dem Bundesgrenzschutz in diesem Zusammenhang für ihre Arbeit in den vergangenen Wochen ausdrücklich Dank aussprechen. ({1}) Die Quoten für das Aufgreifen von Straftätern, insbesondere soweit sie bereits gesucht wurden, hat sich in allen Schengen-Staaten erhöht. Unzumutbare Wartezeiten an den Kontrollpunkten sind entgegen vielen Befürchtungen nicht eingetreten. Ermutigend sind auch die Erfahrungen mit den Schengen-Visa. Die Reaktion von Drittstaatenangehörigen, die in mehrere Staaten des Schengener Abkommens reisen, auf das einheitliche Visum sind positiv. Polnische Staatsangehörige beispielsweise konnten sogar ganz von der Visapflicht freigestellt werden. Letzendlich funktionieren aber offenbar auch die asylrechtlichen Vorschriften. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat bis Mitte April 129 Übernahmeersuchen erhalten und demgegenüber 24 selbst gestellt. Unsere Fraktion wünscht, daß die Bundesregierung das für die Bekämpfung organisierter Kriminalität wichtige Europol-System als weiteren Markstein zum Abschluß bringt und alle Anstrengungen zum Abschluß eines Außengrenzabkommens unternimmt. ({2}) An die Opposition möchte ich eine Warnung wiederholen: Schengener und Dubliner Abkommen funktionieren nur, weil Deutschland mit der Änderung des Art. 16 Grundgesetz und des Ausländergesetzes sowie mit dem Asylverfahrensgesetz Voraussetzungen dafür geschaffen hat. Der Kontrollausschuß des französischen Senats hat schon am 12. Dezember 1991 darauf hingewiesen, daß Schengen nicht funktionieren werde und die Grenzen geschlossen werden müßten, wenn das deutsche Asyl- und Aufenthaltsrecht unzulänglich sei. Jeder Versuch, die deutschen Regelungen jetzt aufzuweichen, was hinter manchen heute gestellten Anträgen stecken mag, könnte diese böse Folge haben, und er wäre zumindest in seinem Geist ein Verstoß gegen Art. 5 des EG-Vertrags, der bestimmt, daß Mitgliedsstaaten alle Maßnahmen zu unterlassen haben, die die Verwirklichung der Ziele des Vertrags gefährden könnten. Ich bitte, dies auch künftig zu bedenken. Herr Präsident, ich muß noch einige Worte zu dem Änderungsantrag des Abgeordneten Such sagen. ({3}) Wir leimen diesen Antrag ab, weil er undurchdacht ist und Beschlüsse des niederländischen und des belgischen Parlaments zum Schengener Abkommen falsch auf Deutschland projiziert. Wir sind für die notwendigen parlamentarischen Kontrollen durch das Europäische Parlament, und das ist die Aufgabe für die Folgekonferenz 1996. Wir sind nicht für 15 nationale Parlamentskontrollen. Außerdem geht der Antrag an der deutschen Verfassung geradezu vorbei. Wenn die Bundesregierung dadurch an die Kette gelegt werden soll, daß sie im Exekutivausschuß erst abstimmen darf, wenn zuvor Bundestag und Bundesrat ihre Genehmigung erteilt haben, dann stellt dies unser parlamentarisches und föderales System auf den Kopf. Letztendlich ist der Antrag überflüssig, weil wir ja gerade von Verfassungs wegen einen Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union eingerichtet haben, der die Meinung des Bundestages zum Handeln der Regierung verbindlich zum Ausdruck bringen kann. Eine solche Regelung gibt es in Belgien und in den Niederlanden nicht, und deswegen kann deren Parlamentsregelung auch kein Vorbild für uns sein. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Bonner Protokoll auf Drucksache 13/24. Dazu liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Manfred Such auf Drucksache 13/1200 vor, über den wir zuerst abstimmen. Der Antragsteller hat Einzelabstimmung zu den einzelnen Nummern beantragt. Ich rufe daher jetzt Nr. 1 des Änderungsantrags auf: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Nr. 1 des Änderungsantrages ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD abgelehnt. Ich rufe Nr. 2 des Änderungsantrags auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Mit den gleichen Mehrheiten ist Nr. 2 abgelehnt. Ich rufe die Nrn. 3 und 4 auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Das ist mit den gleichen Mehrheiten abgelehnt. Ich rufe die Nrn. 5 und 6 des Änderungsantrags auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Auch dies ist mit den gleichen Mehrheiten abgelehnt. Ich rufe Nr. 7 des Änderungsantrages auf: Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Mit den gleichen Mehrheiten ist auch dies abgelehnt. Ich rufe Nr. 8 des Änderungsantrags auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! Nr. 8 ist ebenfalls abgelehnt. Nach Enthaltungen habe ich nicht gefragt, denn das war eindeutig. Damit ist der Änderungsantrag insgesamt abgelehnt. Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/848 - Neuformulierung -, den Gesetzentwurf der Bundesregierung unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS angenommen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/189 bis 13/191, 13/767, 13/809, 13/1104, 13/741, 13/1188, 13/1189 und 13/ 1194 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zulassung von Umweltgutachtern und Umweltgutachterorganisationen sowie über die Registrierung geprüfter Betriebsstandorte nach der Verordnung ({0}) Nr. 1836/93 des Rates vom 29. Juni 1993 ({1}) - Drucksache 13/1192 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesministerin Frau Merkel.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Koalitionsvereinbarung für die 13. Legislaturperiode haben die Koalitionsparteien ein besonderes Augenmerk auf die Zusammenführung von Ökologie und Marktwirtschaft gelegt. Um einen schonenden Umgang mit Natur und Umwelt zu sichern, müssen in Zukunft in noch stärkerem Maße als bisher marktwirtschaftliche Kräfte und Steuerungsmechanismen zum Einsatz kommen. Ich glaube, darüber sind wir uns einig. Ein Beispiel für mich ist hier die Öko-Audit-Verordnung, über die wir heute beraten. Ihr Ziel ist es, durch die Einführung von Umweltmanagementsystemen zu einer nachhaltigen Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes zu gelangen. Wir wissen alle, daß hier erhebliche Reserven liegen, wenn es richtig gemacht wird. Unternehmen, die sich zu einer kontinuierlichen Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes verpflichten und sich dem Audit-Verfahren unterwerfen, verfügen mit einem EU-einheitlichen Zeichen über ein Gütesiegel, mit dem sie, nicht zuletzt durch eine Verbesserung ihres Unternehmensimages in der Öffentlichkeit, Wettbewerbs- und Kostenvorteile erlangen können. Ich glaube, es war eine gute Idee der Europäischen Union, eine solche Verordnung zu erarbeiten. Es ist richtig, daß wir sie in einer Weise in nationales Recht umsetzen, die unseren Intentionen entgegenkommt. Es ist für mich ein positives Signal für den Umweltschutz, daß ich Ihnen diesen Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode relativ früh vorstellen kann. Das, wie wir es genannt haben, „Umweltgutachter- und Standortregistrierungsgesetz" - eine nicht für jedermann besonders einsichtige Bezeichnung, aber vielleicht gibt es noch Kreativität, diese Bezeichnung zu ändern - ist notwendige Voraussetzung für die Anwendbarkeit der - auch kein besonders volksnaher Begriff - EG-Öko-Audit-Verordnung, die bereits am 13. April in Kraft getreten ist. Die Regelungsaufträge der Öko-Audit-Verordnung an die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Zulassung und Beaufsichtigung von Umweltgutachtern sowie die Registrierung geprüfter Betriebsstandorte werden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erfüllt, und damit ist die nationale Möglichkeit gegeben, diese Verordnung auch anzuwenden. Der Gesetzentwurf folgt mit seiner wirtschaftsnahen und pluralistisch geprägten Umsetzungskonzeption der Zielsetzung der EG-Verordnung, den betrieblichen Umweltschutz durch eine freiwillige Teilnahme der Unternehmen an einem fachlich kompetenten und politisch neutralen Öko-Audit-System zu verbessern. Damit wird die Eigenverantwortung der Unternehmen für den Umweltschutz gestärkt. Ich glaube, das muß die Intention einer solchen Richtlinie sein, bei der es um die freiwillige Teilnahme geht. Es geht nicht um Ordnungsrecht, sondern um eine freiwillige Beteiligung von Unternehmen. Deshalb ist es wohl richtig - auch wenn ich an dieser Stelle schon leises Grummeln gehört habe -, dies im Gespräch mit der Wirtschaft und nicht gegen die Wirtschaft zu machen, denn anderenfalls wird dieses Instrument keine Akzeptanz finden. ({0}) Ich bin den Koalitionsfraktionen sehr dankbar, daß sie den von der Bundesregierung am 4. April verabschiedeten Gesetzentwurf aufgegriffen und ihn parallel zu den Beratungen, die jetzt im Bundesrat stattfinden, in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht haben. Ich denke, unser gemeinsames Interesse sollte darin liegen, die Übergangsphase bis zum Inkrafttreten des Gesetzes möglichst kurz zu halten. Durch eine Übergangsregelung, die wir vereinbart haben, ist der einheitliche Verwaltungsvollzug der EG-Verordnung in den Ländern auf der Basis der EG-Verordnung und des vorliegenden Gesetzentwurfs gewährleistet, zumindest weitestgehend sichergestellt. Aber es ist ein dringlicher Wunsch aller Bundesländer, daß diese Übergangsregelung zeitlich strikt begrenzt wird. Ich freue mich sehr, daß ich hier einen Gesetzentwurf präsentieren kann, der von einem sehr breiten gesellschaftlichen Konsens getragen wird. Nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die Umwelt- und Wirtschaftsministerien der Länder, die Spitzenverbände der Wirtschaft, die Gewerkschaften und die Umweltverbände befürworten die Konzeption des Gesetzentwurfes. Wir haben hier sehr viele Gespräche mit allen Beteiligten geführt. ({1}) - Darüber wird zu sprechen sein; wir haben andere Nachrichten. - Selbst die größte Oppositionspartei - wenn Sie mich das noch sagen lassen - hat laut Pressemitteilung vom 4. April zumindest den Eindruck erweckt, im Öko-Audit die Chance zu einer Verbesserung im Umweltschutz zu sehen. Ich hoffe auf konstruktive parlamentarische Beratungen. Es ist ja nicht selbstverständlich, daß im Bereich des Umweltschutzes dieser Konsens besteht. Aber ich denke, gerade mit einem Gesetzentwurf, der das Öko-Audit als ein neuartiges Instrument zur Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes einführt, sind große Erwartungen und Hoffnungen verbunden, und diese sollten dann auch durch eine breite gesellschaftliche Akzeptanz gestärkt werden. Ich sehe vor allen Dingen eine sehr gute Chance für eine breite Akzeptanz der Öko-Audit-Verordnung durch die freiwillige Teilnahme vieler Unternehmen. Die erfaßten gewerblichen Unternehmen und Handwerksbetriebe sollten dieses Instrument im eigenen Interesse nutzen. Die Signale, die bei uns eingehen, deuten darauf hin, daß das Interesse in der Wirtschaft groß ist. Ich denke, es kommt jetzt darauf an, daß wir - in dieser Beziehung ist die EG-Öko-Audit-Verordnung eine ganz wichtige Sache - in Zukunft eine effektive Verbesserung des Umweltschutzes durch marktwirtschaftliche Steuermechanismen möglich machen. Wir werden dieses Gesetz und diese Verordnung als einen solchen Testfall betrachten. Wir werden ebenfalls untersuchen, inwieweit Deregulierungen für solche Betriebe möglich sind, die sich freiwillig einem solchen Audit, also einer solchen Kontrolle, unterziehen. Kern des Gesetzes ist es, zur Durchführung der EG-Verordnung unabhängige, zuverlässige und fachkundige Umweltgutachter und Umweltgutachterorganisationen zuzulassen und sie einer wirksamen Aufsicht zu unterwerfen. Das heißt also, wir wollen ein hohes Qualifikationsprofil der Umweltgutachter, damit der effektive Umweltschutz auch wirklich auf hohem Niveau gewährleistet werden kann. Bei der Zulassung der Umweltgutachter - ein ziemlich heiß umkämpftes Feld; das kann ich heute schon sagen - und der Einführung der notwendigen Aufsichtsverfahren sowie bei der Registrierung der geprüften Standorte verfolgt das Gesetz wiederum eine Lösung, die mit der Wirtschaft abgestimmt ist. Dies bedeutet jedoch nicht, daß sich der Staat seiner notwendigen Kontrollfunktionen entzieht. Vielmehr verhält es sich so, daß für die Zulassung und die Beaufsichtigung von Umweltgutachtern und Umweltgutachterorganisationen eine privatrechtliche Gesellschaft vorgesehen ist. Es wurde bereits eine Deutsche Akkreditierungs- und Umweltgutachterzulassungsgesellschaft mbH, die sogenannte DAU - auch dieser Begriff ist nicht besonders volksnah -, gegründet, die durch Beleihung mittels Rechtsverordnung auf Grund dieses Gesetzes mit den hoheitlichen Aufgaben der Zulassung und Beaufsichtigung der Umweltgutachter betraut werden soll. Die DAU wird von den Spitzenverbänden der Wirtschaft und vom Bundesverband Freier Berufe als Gesellschafter getragen. Wir müssen natürlich die Neutralität der Zulassungsstelle wahren und gleichzeitig das Vertrauen der Öffentlichkeit in die hohe Qualifikation der Umweltgutachter stärken. Deshalb wird ein Umweltgutachterausschuß gebildet. Dieser Ausschuß ist ein unabhängiges und pluralistisch besetztes Gremium. Es hat die Aufgabe, Richtlinien zu entwickeln, die für die Zulassungs- und Aufsichtsverfahren der Zulassungsstelle verbindlich sind. In diesem Umweltgutachterausschuß sitzen die Wirtschaftsverbände, die Umweltgutachter, Bund und Länder, jeweils vertreten durch Mitarbeiter der Wirtschafts- und der Umweltministerien - jedoch mit einer Mehrheit aus dem Umweltbereich -, Umweltverbände und Gewerkschaften. Mit allen Beteiligten ist gesprochen worden. Gerade in bezug auf die Besetzung des Umweltgutachterausschusses ist durchaus ein Konsens gefunden worden. Das heißt, hier gibt es eine breite gesellschaftliche Übereinstimmung. Auch die Registrierung der geprüften Betriebsstandorte erfolgt in Selbstverantwortung der Wirtschaft. Registrierungsstellen sind die Industrie- und Handelskammern bzw. die Handwerkskammern eines jeden Bundeslandes. Die Registrierung geprüfter Betriebsstandorte führen die Industrie- und Handelskammern bzw. die Handwerkskammern dann in Eigenverantwortung durch. Ich bin zuversichtlich, daß bei einer gemeinsamen Anstrengung dieses Gesetz recht rasch verabschiedet werden könnte. Die zur Anwendung der EG-Verordnung über das Gesetz hinaus erforderlichen Rechtsverordnungen werden zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes ebenfalls vorliegen. Das können wir hier zusagen. Lassen Sie mich zum Schluß noch auf einen Punkt hinweisen, der mir sehr wichtig ist. Der Gesetzentwurf legt dem Berufsbild des Umweltgutachters ein sehr hohes Qualifikationsniveau zugrunde. Dies gilt insbesondere für die erforderlichen Fachkenntnisse und die Anforderungen, die an die Unabhängigkeit des Umweltgutachters gestellt werden. Es wird - da bin ich ganz sicher - im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens eine Reihe von Versuchen geben, die anspruchsvollen Zulassungsvoraussetzungen für Umweltgutachter und Umweltgutachterorganisationen abzusenken. Aber ich möchte ganz persönlich auch an jeden einzelnen appellieren: Nur wenn es uns gelingt, die Eckpfeiler für eine anspruchsvolle EG-Öko-Audit-Verordnung national durchzusetzen, halten wir mit diesem Instrument auch die Tür zu einer weiteren Entbürokratisierung und Deregulierung auf. Wir schaffen hierfür also sehr wohl wichtige Voraussetzungen. Deshalb ist es mir wichtig, daß die Umweltgutachter auf einem anspruchsvollen Niveau zugelassen werden. Denn die Akzeptanz eines solchen Verfahrens, eines solchen freiwilligen Audits wird davon abhängen, ob die Bewertung, die Begutachtung auch wirklich qualitativ vernünftig und realistisch erfolgt. Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf ist ein überzeugender Kompromiß am Ende einer langen Diskussion. Die geeignete Form der Umsetzung ist in einem föderalen Staat nicht einfach. Wir freuen uns, hier weit über die Koalitionsfraktionen hinaus Konsens erhalten zu haben. Ich denke, daß die wirtschaftsnahe Umsetzung der EG-Verordnung im Ergebnis - zusammen mit dem sehr hohen Qualifikationsniveau der Umweltgutachter und Umweltgutachterorganisationen - zu einer nachhaltigen Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes führen kann. Wir wollen Ökologie und Ökonomie vereinbaren. Wir wollen keine Überbürokratisierung, sondern wir wollen im Umweltschutz vorankommen. Ich glaube, daß dieser Gesetzentwurf zusammen mit der EU-Richtlinie eine vernünftige Lösung dafür ist. Herzlichen Dank. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dietmar Schütz ({0}).

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie bereits bei der Umsetzung des Umweltinformationsgesetzes ist die Bundesregierung auch beim Öko-Audit-Gesetz wieder einmal im Verzug. Die EU-Verordnung hätte bis zum 13. April dieses Jahres umgesetzt werden müssen. Es ist leider eben kein verspäteter Aprilscherz, daß zu diesem Datum zwar die EU-Verordnung in Kraft getreten ist aber von einer bundesgesetzlichen Implementierung noch nichts zu sehen gewesen ist. Frau Merkel hat das auch schon angedeutet. Die sich so gern als umweltpolitischer Vorreiter gerierende Bundesregierung lief auch beim Öko-Audit den europäischen Vorgaben ein weiteres Mal hinterDietmar Schütz ({0}) her. Sie hat die Chance vertan, zügig ein innovatives marktwirtschaftliches Instrument im Sinne einer integrierten und vorsorgenden Umweltpolitik umzusetzen. Noch Ende Februar haben die Bundesregierung und auch das Umweltministerium Parlamentarier und Öffentlichkeit mit einem sogenannten Eckpunktepapier zum Öko-Audit abgespeist. Dabei war doch bereits zum damaligen Zeitpunkt völlig klar, daß eine fristgerechte Umsetzung der Verordnung nicht mehr machbar sein würde. Angesichts des Verzuges wurde hinter den Kulissen zusammen mit den Landesregierungen an einer Übergangslösung gestrickt, die nun als Modus vivendi die Blamage verhindert, daß wir nichts vorzuweisen haben, und die während unserer Beratung gelten soll. Jetzt erst wird eine fertige, mit den Ländern, der Industrie und den Umweltverbänden abgestimmte Vorlage präsentiert, die zusammen mit den geltenden Übergangsregelungen den Öko-Audit völlig festgeklopft hat. Erst lange handlungsunfähig, dann in aller Eile mit den Ländern ausgehandelt, sind wir heute das erste Mal beteiligt. Das hätte man auch anders machen können. Der Kollege Lippold, der jetzt wieder eingetroffen ist - ich begrüße Sie -, hat bereits am Tag des Kabinettsbeschlusses in einer Pressemitteilung geschrieben: „Öko-Audit-Gesetz schnell durch das Parlaments”. Herr Kollege, hätte die Bundesregierung, hätten die Minister nicht gebummelt und versäumt, uns vorher schon einmal mit dieser Materie zu befassen und im Ausschuß darüber zu beraten, bräuchten Sie jetzt nicht verbal Tempo zu machen. Ich will allerdings eines klarstellen: Niemand will das Öko-Audit-Gesetz im Parlament verzögern. Auch wir halten den Öko-Audit für eine gute, wichtige und unterstützenswerte Sache. Aber nur weil die Bundesregierung zwei Jahre lang nicht in die Puschen gekommen ist, sollten wir jetzt nicht anfangen, die Behandlung des Gesetzes übers Knie zu brechen und durch die Beratung zu rasen. Wir sollten uns Zeit nehmen und die Ziele, die das Öko-Audit-Gesetz und die Verordnung verfolgen, in Ruhe beraten und kein blindes Hauruck-Verfahren durchführen. Dazu nehmen wir den Öko-Audit viel zu ernst. Ich kann Ihnen schon heute sagen, daß wir als SPD-Fraktion eine Anhörung im Umweltausschuß zum Öko-Audit fordern werden, um eine Reihe von offenen Fragen des Gesetzes und der mit ihm zusammenhängenden Verordnung zu klären. Eine gründliche Prüfung auf Herz und Nieren im Ausschuß erscheint mir notwendig, um folgende Fragen zu klären: Wie stellen wir sicher, daß der Audit Aufschlüsse über die tatsächliche Umweltqualität der Produktion eines Unternehmens geben kann? Welche wirtschaftlichen Auswirkungen erwarten wir vom Öko-Audit insbesondere hinsichtlich der Kosten-Nutzen-Relation für das Unternehmen selbst und auch der Wettbewerbseffekte des Öko-Audits? Welche Bedeutung - das scheint mir das Wichtigste zu sein - kann das Öko-Audit für die Diskussion über Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren haben? Gerade der letzte Punkt verdient Beachtung, wenn man im Audit eine Maßnahme der integrierten Umweltpolitik und der aktiven Strategien im Umweltschutz sieht. Ich will noch einmal den Kollegen Lippold bemühen - auch Frau Ministerin Merkel hat darauf hingewiesen -: Wir fordern, daß mit der Einführung des Öko-Audit-Gesetzes gleichzeitig Vereinfachungen des Abschneidens von Dreifachüberschneidungen bei Anforderungen an Unternehmen verbunden sein müssen. - Sehen wir einmal von dem nichtssagenden Begriff der Dreifachüberschneidung ab, so liegt hier der Hase im Pfeffer; da stimme ich zu. Der Öko-Audit sollte in der Tat als ein marktwirtschaftliches Umweltschutzinstrument einen Beitrag dazu leisten, Verfahren zu beschleunigen, sie zu entbürokratisieren und effizienter zu machen. Je besser es ist, desto wirksamer kann es werden. Darin, glaube ich, stimmen wir überein. Meine Conditio sine qua non für ein solches Ansinnen, für jede Beschleunigungsmaßnahme habe ich häufiger genannt. Sie lautet: Dies darf nur geschehen, wenn es keine substantiellen negativen Auswirkungen auf Umweltstandards hat und die Partizipationsrechte der Bürger erhalten bleiben und zum Tragen kommen. Die Akzeptanz hängt wesentlich von der Unabhängigkeit der Gutachter und der deutlich erkennbaren Trennung von Betrieb und Prüfer ab. Die Bundesregierung täte nicht allein im Interesse ihrer eigenen umweltpolitischen Glaubwürdigkeit, sondern auch und gerade im Interesse der deutschen Wirtschaft gut daran, den Öko-Audit so streng und unangreifbar wie möglich zu gestalten; denn ein lasches Audit wäre alsbald allen als Papiertiger bekannt, das Label ein wohlfeiles Etikett, neben dem sich der wenig ruhmreiche Blaue Umweltengel noch wie ein echtes Öko-Gütesiegel ausnehmen würde. Das wollen wir nicht. Ein solches weiteres beliebiges Symbol kann niemand gebrauchen: die Umwelt nicht, die Umweltpolitik nicht und letztlich auch die Wirtschaft nicht. Ihr wäre ein Bärendienst erwiesen, blieben doch die notwendigen betriebsinternen Effekte hinsichtlich einer ökonomischen und ökologischen Modernisierung und Optimierung aus. Auch die PR-Wirkung eines schwachbrüstigen Audits wäre marginal. Welches Unternehmen wollte ein Audit durchführen, das Kosten über 10 000 DM verursacht, ohne daß es entsprechende Aussagen abwirft? Die ökonomischen Implikationen des Öko-Audits sollten eigentlich offensichtlich sein. Ich will kurz einige Punkte anführen: Verbesserung des Umweltwissens und der Umweltkompetenz innerhalb des Unternehmens, Erschließung von Einsparpotentialen durch ökologisch-ökonomische Modernisierung und Optimierung von Produktionsabläufen, Verringerung des Haftungsrisikos und potentieller Produktionsausfälle durch Vermeidung von ökologischen Risiken - das ist übrigens das einzige, was im amerikanischen Öko-Audit enthalten ist -, Konkurrenzvorteile bei Ausschreibungen durch Nachweis umweltgerechter Produktion, Verbesserung der Akzeptanz des Unternehmens in der Öffentlichkeit. Weil sich die WirtDietmar Schatz ({1}) schaft dieser Faktoren bewußt ist und sie diese für wichtig hält, hat sie den Öko-Audit angemahnt. Wir wollen dem Öko-Audit zum Erfolg verhelfen. Deswegen werden wir ein seriös und anspruchsvoll umgesetzes Audit unterstützen. Die Frage ist auch: Genügt der Gesetzentwurf den Anforderungen in der Frage, wer an den Gutachterausschüssen beteiligt wird? Im Zentrum der Diskussion um das Öko-Audit stand bislang zu Recht die Frage der Kontrolle der Kontrolleure - Sie, Frau Merkel, haben das auch angesprochen -, anders gesagt: Wer prüft die Prüfer? Es geht dabei um die Frage der Zulassungs- und Aufsichtsgremien, also auch um die Behördenzuständigkeit. Ich begrüße, daß das ursprüngliche Ansinnen von Teilen der Industrie, Zulassung und Aufsicht allein im Rahmen der Eigenverantwortung und Selbstkontrolle der Wirtschaft zu regeln, weitgehend vom Tisch ist. Die Beteiligten haben zwischenzeitlich selbst eingesehen, daß sie dem Audit und damit sich selbst keinen guten Dienst erwiesen hätten. Der vorliegende Gesetzentwurf ist in dieser Hinsicht ein insgesamt akzeptabler Kompromiß zwischen den Wünschen der Wirtschaft, das Öko-Audit weitestgehend in eigener Regie zu organisieren, und den Vorstellungen des Umweltministeriums, das Umweltbundesamt mit wichtigen Kontrollaufgaben zu betrauen. Ich bedauere allerdings, daß das Umweltbundesamt in der vorliegenden Fassung des Gesetzes keine Rolle mehr spielen soll. Die SPD hatte sich immer bemüht, das UBA einzubeziehen. Das ist jetzt nicht gelungen. Zulassung und Aufsicht liegen jetzt gemeinsam bei einer neugeschaffenen Zulassungsstelle und bei einem noch einzurichtenden Umweltgutachterausschuß. Die zuständige Aufsichtsbehörde für beide ist das Bundesumweltministerium, das damit auch die politische Gesamtverantwortung für den Audit übernimmt. Die Zulassung und Beaufsichtigung der Gutachter basiert auf dem Zusammenwirken der Zulassungsstelle und des Umweltgutachterausschusses, der durch den Erlaß von Prüfungs- und Ermessensrichtlinien Lenkungsaufgaben gegenüber der Zulassungsstelle wahrnimmt. Er hat de facto die Richtlinienkompetenz darüber inne. Mit der Bedeutung des Umweltgutachterausschusses kann man alles in allem zufrieden sein. Seine gemischte Zusammensetzung wird hoffentlich die erforderliche industrieunabhängige Kontrolle gewähren und dem Vermischen von Eigeninteressen und Kontrollrechten vorbeugen können. Ich begrüße daher auch ausdrücklich die Beteiligung von Gewerkschaften und Umweltverbänden, allerdings wünsche ich mir, daß deren Vertretung stärker als vorgesehen ausfällt. ({2}) Mit zusammen nur sechs Stimmen hätten sie nicht einmal eine Sperrminorität. Eine solche Sperrminorität besitzen dagegen die Wirtschaftsvertreter und Umweltprüfer zusammen. Über diese Ungleichgewichtigkeit sollten wir diskutieren und möglicherweise beseitigen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD sieht im Öko-Audit durchaus Chancen für ein zukunftsweisendes Instrument einer marktwirtschaftlich operierenden Umweltpolitik. Das Audit kann ein Muster sein, Ökonomie und Ökologie nicht als Antagonismus zu begreifen, sondern die synergistischen Kräfte eines integrierten Umweltschutzes zu nutzen und zu stärken. Wir sind bereit, an der Umsetzung der ÖkoAudit-Verordnung konstruktiv mitzuwirken. Wir werden die folgenden weiteren Beratungen des Gesetzentwurfes kritisch und mit dem festen Willen begleiten, daß das Gesetz ein Erfolg wird. Wir sollten uns allerdings im Ausschuß dazu ein bißchen Zeit lassen und nicht durch die Beratung hetzen. Das sollten wir uns vornehmen. Ich danke Ihnen. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Rochlitz ({0}).

Prof. Dr. Jürgen Rochlitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002763, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können gut verstehen, daß eine Umweltministerin, die gerade in Berlin beim Klimaschutz mit einem blauen Auge davongekommen ist und die Atompolitik dieser Bundesregierung - um im Bild des Boxsports zu bleiben - nur mit Schlägen unter die Gürtellinie durchsetzen kann, endlich einmal wieder Punkte gutmachen will. Und tatsächlich: Mit einer ordentlich in nationales Recht umgesetzten Öko-Audit-Richtlinie könnte man dies. Dann hätte man ein wirksames Instrument für umweltorientierte Unternehmensführung, für eine Umweltverträglichkeitsprüfung auf Betriebsebene. Dann könnte man als Außenstehender, als Umweltgruppe überprüfen, ob ein Betrieb seine formulierten Umweltschutzziele erreicht hat und ob seine Maßnahmen angemessen sind. Aber lassen Sie mich gleich zu Beginn festhalten: Dieser Gesetzesentwurf ist mit heißer Nadel gestrickt und erfüllt diese Erwartungen nicht. Wieder einmal ist es der Bundesregierung nicht gelungen, ein ökologisch eminent wichtiges Thema rechtzeitig so vorzubereiten, daß eine fristgerechte und vernünftige parlamentarische Bearbeitung stattfinden kann. - Aber vielleicht ist sie doch noch möglich. - Zwei Jahre Vorbereitungszeit seit der Verabschiedung der Richtlinie 1993 waren der Bundesregierung nicht genug. Statt dessen stellt die Bundesregierung neun Tage vor Fristende die „Eilbedürftigkeit" des Themas fest und will nun schnell einen mangelhaften Gesetzentwurf durchdrücken, der die EU-Richtlinie nur teilweise umzusetzen versucht. Darüber hinaus ist die Bundesregierung wegen ihrer Saumseligkeit dafür verantwortlich, daß zumindest noch bis zum Jahresende von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Übergangsvorschriften in Kraft treten müssen. Daher ist bereits jetzt ein Zulassungschaos absehbar. Dieses Chaos, meine Damen und Herren, geht auf das Konto der BundesreDr. Jürgen Rochlitz gierung und letztlich auf Ihr Konto, Frau Merkel. Sie haben schlicht Ihre Hausaufgaben nicht gemacht und damit die Rechtseinheitlichkeit des Öko-AuditSystems gerade in seiner sensiblen Einführungsphase gefährdet. Aber auch inhaltlich ist Kritik angebracht. Welchen Wert hat denn eine Umweltprüfung, wenn die Dokumentations- und Protokollpflichten im nationalen Entwurf derart vernachlässigt werden? Entgegen dem britischen Umweltstandard z. B., der ein „Manual" verbindlich festschreibt, ist im deutschen Gesetzentwurf nichts geregelt. Eine dem Qualitätsprüfungssystem entsprechende Dokumentationsverpflichtung im Hinblick auf Umwelthandbücher, Umweltverfahrensanweisungen und Umweltrichtlinien ist daher dringend geboten. Wie unausgegoren die Vorstellungen der Bundesregierung sind, zeigt sich auch an den mangelnden Sanktionsmaßnahmen, die der Gesetzentwurf bei umweltrechtlichen Vergehen der Unternehmen vorsieht. Zwar bewirken diese eine Verweigerung der Registrierung. Die Frage ist jedoch, wie die IHK als registrierende Stelle von Umweltstraftaten erfahren soll, wenn nach ihrer eigenen Aussage eine Regelanfrage an die zuständige Umweltbehörde genausowenig erfolgt wie die automatische Sachstandsübermittlung von der Behörde an die IHK. Hier müssen verbindlich Pflichten zur Auskunftseinholung bzw. zur automatischen Auskunftsübermittlung festgeschrieben werden. Dabei kommt auch dem Umweltgutachter besondere Bedeutung zu. Er hat unserer Ansicht nach nicht nur die Installation eines Umweltmanagementssystems zu prüfen, sondern selbstverständlich auch alle Vergehen gegen geltendes Umweltrecht und seine Mißachtung. Alles andere hieße die Augen vor Umweltkriminalität und Fahrlässigkeit fest zu verschließen. Doch wo ist eine solche umfassende Prüfungspflicht im vorliegenden Entwurf festgeschrieben? Und wo sind die Prüfkriterien und Prüfrichtlinien zur Zulassung der Umweltgutachter durch die Akkreditierungsstelle? Hierüber schweigt sich der Gesetzentwurf aus, obwohl gerade die Person des Umweltgutachters, seine Fachkenntnis und seine Glaubwürdigkeit für die Qualität des gesamten ÖkoAudit-Systems entscheidend sein werden. Meine Damen und Herren, nach dem gescheiterten Ausgang der Berliner Klimakonferenz hätten wir uns zumindest eine Festschreibung der Prüfung der betrieblichen Wärmenutzung, der betrieblichen Energieeffizienz und ihrer Fortschreibung gewünscht. Ein funktionierendes Öko-Audit-System kann ein Instrument zum produkt- und produktionsintegrierten Umweltschutz sein. Aber nichts von alledem ist geschehen. Auch vermissen wir eine gewisse Ernsthaftigkeit bei den in den letzten Monaten vollmundig abgegebenen Versprechen der Wirtschaft. Ein ähnlich geringes Interesse der Wirtschaft zeichnet sich bei der von ihr doch stets vehement geforderten Freiwilligkeit ab: Eine Befragung von 600 Unternehmen der chemischen Industrie erbrachte eine Beteiligung von gerade einmal 12 %. Davon planen nur 78 % - das sind, Frau Merkel, insgesamt nur 9,4 % - ein Öko-Audit. Wir möchten deshalb auch von hier aus eine deutliche Warnung an Industrie und Gewerbe anbringen, sich ernsthaft und gewissenhaft den Anforderungen eines Öko-Audits und der Zertifizierung zu stellen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern daher eine Effizienzüberprüfung des Gesetzes nach spätestens zwei Jahren. Eine ungenügende Beteiligung - wie jetzt nach dieser Befragung - muß umweltpolitisch sowohl mit einer Anbindung der Gutachterzulassung an das Umweltbundesamt als auch mit einer Pflicht zur Auditierung ab bestimmten Betriebsgrößen beantwortet werden. Wie sich die Bundesregierung allerdings die Besetzung des ersten Prüfungsausschusses zur Bestallung der neuen Gutachter vorstellt, ist wohl ihr kleines tautologisches Geheimnis. Denn der Vorsitzende des Prüfungsausschusses soll ja ein staatlich anerkannter Umweltgutachter sein. Den kann es aber ohne den ersten Prüfungsausschuß noch gar nicht geben! Unser Fazit, meine Damen und Herren: Lassen Sie uns den Entwurf gemeinsam so korrigieren, daß endlich die Möglichkeit für eine präzise, überprüfbare ökologische Rechnungslegung mit einem Wettlauf der Betriebe um die beste Ökobilanz geschaffen wird. Dann sind wir wirklich ein Stück weiter. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger ({0}).

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz zur Durchführung der EG-Öko-Audit-Verordnung wird das erste Umweltgesetz dieser Legislaturperiode sein. Auch ich muß leider sagen, daß wir es bedauern - wir hatten schon mehrfach an anderer Stelle in der Umweltdebatte Gelegenheit, uns darüber zu unterhalten -, daß es so spät vorgelegt worden ist, daß es nicht mehr vor Inkrafttreten der EG-Verordnung am 13. dieses Monats verabschiedet werden konnte. Der in langwierigen Verhandlungen Anfang des Jahres gefundene Kompromiß über das Umsetzungsmodell hätte mit gutem Willen auch schon im letzten Jahr vereinbart werden können. Ich denke, daß die Schuld daran nicht unbedingt der jetzigen Umweltministerin zufallen dürfte. Mit dem Öko-Audit wird ein großer Schritt nach vorn gemacht. Die Umweltpolitik erlangt damit eine neue Qualität. Die Unternehmen entwickeln selbst und freiwillig Regelungen für ein betriebliches Umweltmanagement. Es dient den Betrieben natürlich auch als Schwachstellenanalyse und erleichtert Planung und Durchführung betrieblicher Umweltschutzmaßnahmen. Mit dem Öko-Audit haben wir einen ganzheitlichen Ansatz. Die Eigeninitiative der Wirtschaft wird in diesem Bereich gestärkt. Dafür muß sich der Staat mit regulierenden Eingriffen zurückhalten. Ich werde darauf nachher noch einmal zurückkommen. Unabhängige Sachverständige überprüfen die Einhaltung der selbstgesteckten Ziele regelmäßig. Mit diesen Sachverständigen schaffen wir auch ein völlig neues Berufsbild - eigentlich eine der zentralen Regelungen des Öko-Audits -, nämlich das des Umweltgutachters. Diese Gutachter können behördliche Aufgaben übernehmen. Wir denken dabei z. B. an Überwachungsaufgaben oder an Genehmigungsverfahren. Damit bietet sich nach meiner Auffassung eine große Chance zur dringend notwendigen Entbürokratisierung und Deregulierung; denn es ist nicht einzusehen, weshalb Betriebe durch Sachverständige und Behörden parallel überwacht werden sollen. Betriebe müssen also von der behördlichen Überwachungs- und Genehmigungsbürokratie entlastet werden, wenn sie ein korrektes Umweltmanagement betreiben, mit dem sie gleichzeitig auch die Einhaltung gesetzlicher Auflagen sicherstellen, was wiederum durch unabhängige Sachverständige geprüft wird. Ich denke beispielsweise an die Emissionserklärung nach dem Immissionsschutzgesetz oder die Abfallnachweisverfahren bzw. Abfallbilanzen nach dem Abfallrecht, die meines Erachtens dann überflüssig sein dürften. Ebenso müßten Genehmigungsverfahren für Anlageänderungen, die die Masse der Genehmigungsverfahren ausmachen, für auditierte Betriebe vereinfacht werden, etwa durch den Umstieg auf Anmeldeverfahren. Die F.D.P. hätte diese Deregulierungswünsche gern in das Gesetz mit aufgenommen, aber auf Grund des Zeitmangels war dies leider nicht möglich. ({0}) - Ja, wir werden das wohl in einem zweiten Schritt machen. Herr Kollege Schütz, ein bißchen überrascht war ich schon über Ihre Ankündigung vorhin, als Sie sagten, daß Sie eine Anhörung zum Öko-Audit beantragen werden. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit den Obleuten des Ausschusses, in dem man sich eigentlich darauf geeinigt hatte, daß bei dem jetzigen Stand des Verfahrens keine Anhörung stattfinden sollte, daß wir aber in einem zweiten Schritt, wenn es z. B. um die Angelegenheiten der Deregulierung geht, über die ich gerade gesprochen habe, ein generelles und größer angelegtes Anhörungsverfahren zu diesem Gesetz machen. Das war mein Kenntnisstand. Ich war recht überrascht über Ihre Ankündigung. Ich denke, daß der Kompromiß, der jetzt auf massive Initiative auch des Umweltministeriums in den letzten Monaten zusammen mit Wirtschaft und Umweltschutzverbänden erreicht worden ist, im wesentlichen von allen Seiten getragen wird. Ich denke, daß über diesen Kompromiß auch bei uns weitestgehend Konsens besteht und wir auf dieser Basis zunächst einmal die Grundlage für die Anwendung dieser Öko-Audit-Verordnung in der Bundesrepublik Deutschland und die Zulassung der Gutachter schaffen. Das war mein Kenntnisstand. Aber man lernt ja nie aus. Wir werden uns sicherlich morgen im Obleutegespräch über die Frage unterhalten müssen. Aber wie gesagt: Die F.D.P. hätte die Deregulierungswünsche bereits jetzt gerne aufgenommen. Wir fordern, daß wir das mit dem Deregulierungs- und Verfahrensbeschleunigungsgesetz nachholen, das auf Grund des sogenannten Schiller-Gutachtens schon in Erarbeitung ist. Das neue Berufsfeld des Umweltgutachters gibt uns die Chance, entscheidende Schritte zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren zu ergreifen. Für bestimmte Anlagen könnte an Stelle der sogenannten einfachen Genehmigung das Anmeldeverfahren eingeführt werden, wenn der Umweltgutachter die Konformität mit den gesetzlichen Vorgaben bestätigt, was natürlich immer die Voraussetzung sein muß. Für die Betriebe ergeben sich durch das Öko-Audit Vorteile, die sich auch finanziell rechnen. Denn durch das Umweltmanagement werden Einsparmöglichkeiten bei Abfall, bei Abwasser, bei Energieverbrauch und Rohstoffeinsatz aufgedeckt. Dadurch, daß Umweltschutzmaßnahmen von Anfang an in den betrieblichen Ablauf integriert werden, können Kosten für sonst entstandene Schäden vermieden werden. Die Unternehmen haben also die Möglichkeit, Vorsorgepolitik zu betreiben. Betriebsversicherungen werden durch günstigere Risikobewertung für auditierte Betriebe womöglich preiswerter angeboten. Geringere Umweltrisiken können auch bei Kreditkonditionen unter Umständen positiv zu Buche schlagen. Wir von der F.D.P. wollen deshalb eine schnelle Beratung des Gesetzes im Deutschen Bundestag. Wir wollen durch eine schnelle Beratung dafür sorgen, daß die Übergangszeit zwischen dem Inkrafttreten der EG-Verordnung und unserem Durchführungsgesetz so kurz wie möglich bleibt, weil wir ansonsten bei der Zulassung wirklich Probleme hätten, indem es hier zu Irritationen kommen könnte. ({1}) Ich möchte eine letzte Bemerkung noch zum Kollegen Rochlitz machen. Ich habe mit Überraschung gehört, was Sie zu diesem Gesetz vorgetragen haben. Ich habe immer gedacht, es handelt sich hierbei um den Teil nationaler Umsetzung, der noch nötig ist, um überhaupt die EG-Öko-Audit-Verordnung, die eigentlich die Vorschriften beinhaltet, in der Bundesrepublik anzuwenden und umzusetzen. Sie haben vorgetragen, man müßte eine Warnung an die Industrie und an das Gewerbe aussprechen, es gebe eine Pflicht zur Auditierung. Genau das soll es nicht sein. Das war doch eigentlich der Charme dieser ganzen Lösung: eine freiwillige Beteiligung. Der Charme liegt darin, daß die Unternehmen selber entscheiden können, ob sie mitmachen oder nicht, ob sie darin einen Vorteil sehen oder nicht. Daraus wird sich auch ein Wettbewerbsfaktor ergeben. Davon bin ich überzeugt. Wenn Betriebe mit dem Öko-Audit mitmachen und das dann auch in der Öffentlichkeitsarbeit positiv verwenden können, wenn sie also im Umweltschutz mehr tun, wenn sie integrierten Umweltschutz betreiben, dann wird das zum Wettbewerbsfaktor, der eine eigene Dynamik gewinnt, ohne daß man hier Vorschriften machen muß. Hier geht es ja nicht um Mindestvorschriften, die wir sowieso in allen Bereichen zwingend haben, sondern es geht darum, daß freiwillig zusätzlich mehr gemacht wird, daß von vornherein Umweltschutzüberlegungen in betriebliche Abläufe integriert werden. Das ist das eigentlich Neue und das Interessante an dieser Lösung. Deswegen hoffe ich sehr, daß wir es im Ausschuß schaffen, gemeinsam zu einer schnellen Beratung zu kommen, um damit auch die Übergangszeit entsprechend kurz zu halten. Vielen Dank. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Bierstedt ({0}).

Wolfgang Bierstedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002629, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Schriftführerinnen! Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns in der heutigen Debatte mit einem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen „über die Zulassung von Umweltgutachtem und Umweltgutachterorganisationen sowie über die Registrierung geprüfter Betriebsstandorte" nach der Verordnung des EU-Rates vom 29. Juni 1993, kurz Öko-Audit genannt. Herr Schütz bemängelte bereits die augenscheinliche Trödelei der Bundesregierung. Die Bundesregierung hat zwei Jahre lang den Mund gespitzt, und wir als Parlament sollen jetzt ganz kurz pfeifen, und vor allem ganz schnell. Offizielles Ziel dieser EU-Verordnung ist ein kontinuierlicher ökologischer Verbesserungsprozeß in den Unternehmen der Wirtschaft, ein an und für sich löbliches Ziel. ({0}) der direkten Einflußnahme auf das, was geht - siehe das „wirtschaftlich Vertretbare" -, b) der Einflußnahme auf die Bestallung der Gutachter und c) die nunmehr fast völlige Ausschaltung der breiten Öffentlichkeit, insbesondere auch der Umweltverbände hinsichtlich der Kontrollmöglichkeiten, lassen schon Zweifel am Prinzip des verantwortungsbewußten freiwilligen Handelns aufkommen. Wo es um die Gefährdung der menschlichen Gesundheit und unseres Lebensraumes geht, reichen freiwillige Absichtserklärungen nach wirtschaftlichen Ermessensfragen einfach nicht aus. Vielmehr sind bindende Rechtsvorschriften zwingend nötig. Wenn man noch dazu betrachtet, daß die Umweltprüfungen von frei wählbaren Umweltgutachtern erfolgen, d. h., das zu untersuchende Unternehmen, welches überprüft wird, bestimmt maßgeblich den Umweltprüfer und damit natürlich auch das Ergebnis der Überprüfung, dann wird der vielbeklagten Korruptionszunahme in diesem Land ein weiteres großes Tor geöffnet. Um ein möglichst wirksames Öko-Audit-Verfahren zu erreichen, muß in der nationalen Umsetzung festgeschrieben werden, daß die Umwelterklärungen der Unternehmen veröffentlicht werden und der Öffentlichkeit frei - und übrigens auch ohne Kosten - zugänglich sein müssen. Wenn für einen Standort eine validierte Umwelterklärung vorliegt, soll sich die Behörde bei der Genehmigung von Anlagen auf eine Rahmenerklärung beschränken. Die Detailausführung des Vorhabens bleibt dem Unternehmen vollständig selbst überlassen. Zeichnungen und Erläuterungen zum Betrieb müssen dem Antrag nicht mehr beigefügt werden. Dabei waren gerade diese Detailplanungen in der Vergangenheit oft Anhalts- bzw. Angriffspunkt für öffentliche Erörterungsverfahren und Auflagen für die Unternehmen. Bei einem Anhörungstermin müssen künftig nur die Einwendungen erörtert werden, die sich auf die Rahmengenehmigung beziehen. Dies wird kaum Anhaltspunkte für ein erfolgreiches Erörterungsverfahren gegen den Bau einer Anlage bieten. Anhörungen in der Vergangenheit bezogen sich häufig auf Widersprüche zwischen den offiziell genannten Zielen, den Gesetzesrahmen und der Detailplanung der Anlage. Eine förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung, wie sie in den Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz oder der Umweltverträglichkeitsprüfung enthalten ist, entfällt beim Öko-Audit. Auch fehlen Regelungen hinsichtlich der öffentWolfgang Bierstedt lichen Bekanntmachung und der Auslegung der Umwelterklärung, ganz zu schweigen von Einwendungs- und Erörterungsmöglichkeiten für diese Öffentlichkeit. Offen ist, ob die Dokumentation bei der Behörde zu hinterlegen ist. Das heißt, der Behörde liegt unter Umständen nicht einmal ein Umweltbericht vor, und sie muß diesen gegebenenfalls erst beim Unternehmen anfordern und wird damit zum Bittsteller um reine Informationen, wo sie zuvor Genehmigungen erteilt hat. Die EU-Verordnung schreibt die Information der Öffentlichkeit über die Umwelterklärungen der Unternehmen nicht ausdrücklich vor. Diese sollen „gegebenenfalls" - Art. 3 h - und „soweit angemessen" - was immer das auch heißen mag - der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht werden. Erfahrungen z. B. bei Qualitätssicherungssystemen in Unternehmen zeigen eindeutig, daß nur die Veröffentlichungspflicht von Umweltberichten zu einer ernsthaften Auseinandersetzung der Unternehmen mit dem Umweltschutz führt. Ziel muß sein, daß alle schädlichen Umwelteinflüsse der Unternehmen - Immissionen, Emissionen und der Rohstoffverbrauch - möglichst genau erfaßt, dokumentiert und künftig beschränkt werden. Dazu sind eine adäquate Methodik und möglichst detaillierte Leitlinien für das Öko-Audit zwingend notwendig. Sonst wird der Name des Gesetzes wohl länger sein als seine Wirkung. Ich bedanke mich. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin sehr froh, daß wir jetzt in der Frühphase ein weiteres Gesetz in Angriff nehmen können, das dem Umweltschutz dient, und daß wir dies in einer marktwirtschaftlich orientierten Form tun können; denn diese Vorgabe wird ein marktwirtschaftliches Instrument bringen, was in sich stimmig und vernünftig ist. Ich will eines ganz deutlich sagen. Viele, die manches vermissen, müssen sich einmal vorstellen, daß es sich hier nicht um eine europäische Richtlinie, sondern urn eine europäische Verordnung handelt. Ich bitte den Kollegen Rochlitz, sich einmal klarzumachen, was „Verordnung" bedeutet. Da ist nicht viel Spielraum, Herr Rochlitz. Und wer sich hier hinstellt und das so formuliert, der muß sich dann leider belehren lassen, daß er sich über die Zusammenhänge zwischen Richtlinie und Verordnung bedauerlicherweise nicht ganz im klaren ist. ({0}) Wir können das im einzelnen noch durchsprechen, Herr Rochlitz. Ich bin da ja gar nicht so böse. Aber bevor man so wild kritisiert, sollte man sich die Zusammenhänge klarmachen. Dann wird die Argumentation sachlich, und dann kommen wir viel ruhiger miteinander aus. Ich habe mich auch ein klein wenig über den Kollegen Schütz gewundert. Frau Homburger hat es schon angesprochen. Ich gehe eigentlich immer davon aus, daß, wenn man über bestimmte Dinge spricht, diese auch Bestand haben. Also gab es zwischen den Sprechern Gespräche darüber, ob wir hierzu eine Anhörung brauchen. Dabei kam man zu dem Ergebnis, daß man diese Anhörung im Grunde nicht braucht, weil es eine breite Abstimmung mit allen gesellschaftlichen Gruppen gibt. Ich will auch darauf hinweisen: Es gab über die Abstimmung mit den gesellschaftlichen Gruppen, Herr Schütz, im Rahmen dieses Gesetzes - nicht zuletzt deshalb hat es so lange gedauert - auch eine ausgesprochen intensive Abstimmung mit den Bundesländern. Jetzt brauchen wir uns, Herr Kollege Schütz, nicht darüber zu unterhalten, wer in einer Reihe von Bundesländern das Sagen hat. Wir brauchen uns auch nicht darüber zu unterhalten, daß in diesen Bundesländern, sehr verehrter Herr Kollege, keine einhellige Meinung herrscht, mithin ein mehrschichtiges Problem bestand: eine Meinungsbildung zwischen Bundesländern zu fördern und diese mit der der Bundesregierung in Einklang zu bringen - unseren Vorstellungen, Herr Schütz, sollte es ja auch entsprechen; das werden Sie natürlich zur Kenntnis nehmen - und darüber hinaus mit allen gesellschaftlichen Gruppierungen. Wer, nachdem das mit den Bundesländern abgestimmt ist, jetzt sagt, wir wollen noch die Radikalkur, der muß sich überlegen, wie tragfähig das in der Diskussion mit den Bundesländern ist. Nachdem wir dieses angesprochen und gesagt hatten, hierzu bräuchten wir nach der breiten Abstimmung wohl keine Anhörung, wurde das dann auch noch einmal im Obleutegespräch abgehandelt. Da gab es das gleiche Ergebnis. Wir waren, nachdem wieder ein marktwirtschaftliches Instrument kommt, der Meinung, daß wir uns im Herbst in einer großen Anhörung - übrigens eine gemeinschaftlich entwikkelte Idee, Herr Schütz - über das Verhältnis von Ordnungsrecht und marktwirtschaftlichen Instrumenten gemeinsam auseinandersetzen sollten.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Dr. Lippold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schütz?

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich, Herr Präsident.

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lippold, wir haben bisher eigentlich ein Verfahren gehabt, in dem Beamte der Länder - allerdings schon mit den Ministern abgestimmt - mit den Beamten des Dietmar Schütz ({0}) Bundesumweltministeriums, die einen Referentenentwurf vorgelegt haben, der uns vom Kabinett zugeleitet wird, eine Diskussion führen. Wir haben bisher keine politische Diskussion gehabt, an der Sie beteiligt waren, an der wir beteiligt waren und an der möglicherweise auch unsere Kollegen in den Länderparlamenten beteiligt waren. Sie werden mir doch zustimmen, daß das bisher eine Diskussion auf Beamtenebene war. So kommt es zu Referentenentwürfen. Meine Frage lautet: Ist es nicht sinnvoll, daß wir auf der politischen Ebene eine gründliche Diskussion führen?

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Herr Kollege Schütz, jetzt können wir natürlich über die Frage streiten, wer wie bei den Ländern beteiligt war. Ich halte dies schon für eine hochrangige Beteiligung, die bis in die Länderkabinette hineinging. Ich halte dies auch deshalb für maßgeblich, weil wir natürlich sehen müssen, daß die Länderregierungen üblicherweise die Länderparlamente bei Dingen, die auf Bundesebene behandelt werden, bedauerlicherweise nicht hinzuziehen. Man kann jetzt darüber diskutieren. Aber das ist nicht unser Problem. Es ist ein Problem aller Bundesländer, Herr Schütz. Man müßte einmal darüber diskutieren, warum den Länderparlamenten wesentliche Entscheidungsfelder vorenthalten bleiben. Ich will noch einen weiteren Punkt ansprechen. Wir haben die Diskussion mit den gesellschaftlichen Gruppen auch auf der politischen Ebene, Herr Kollege Schütz, geführt; nicht nur auf unserer, sondern auch auf Ihrer politischen Ebene. Deshalb ist es nicht so, daß die politischen Gespräche auf dem Stande Null wären. Das war der Hintergrund. Deshalb haben wir auch von einer sachgerechten Beratung gesprochen. Wir haben auch gesagt: Nach diesen unendlich langen Erörterungen wird eine Anhörung keinen neuen Sachverstand gegenüber dem zutage bringen, was Sie und Ihre Politiker und was wir und unsere Politiker auf allen Ebenen mit allen gesellschaftlichen Gruppen und auch mit den Ländern an Gesprächen geführt haben. Das war in den informellen Gesprächen - die Kollegin Homburger wird das sicherlich bestätigen - der Sachstand. Diese umfangreiche gegenseitige Runde hat dazu geführt, daß wir gemeint haben, wir könnten jetzt wegen des ganzen Vorprozesses auf die Anhörung verzichten. Das ist übrigens unser Standard, Herr Kollege. Ich bin noch nie davon ausgegangen, daß wir Gesetze eilfertig durchpeitschen; wenn schon, dann werden sie wirklich sorgfältig beraten. Herr Kollege Schütz, wir sollten allerdings die grundsätzliche Frage des Verhältnises von marktwirtschaftlichen Instrumenten und Ordnungsrecht in einer eigenständigen, groß angelegten Anhörung, die wir für den Herbst vorsehen und gemeinsam sehr intensiv vorbereiten, diskutieren. Wir sollten dies neben den anderen Themen, zu denen u. a. der Hochwasserschutz gehört, einplanen. Wir befinden uns in einer ausgesprochen sachlichen Diskussion. Ich würde es begrüßen, wenn wir diese sachliche Diskussion beibehielten. Ich freue mich, daß Frau Merkel dies jetzt schon in Angriff genommen hat, obwohl sie erst seit einem halben Jahr im Amt ist. Die Vorphase ist ihr nicht anzulasten. Insofern bin ich damit zufrieden, daß wir jetzt schon so weit sind. Dies ist auch erforderlich - ich sage es ganz deutlich -, weil andere Länder an das Öko-Audit wesentlich geringere Anforderungen stellen als wir. Dieses Öko-Audit bezieht sich auf nationales deutsches Recht, das viel umfangreicher als das nationale Umweltrecht aller anderen EU-Staaten ist, Herr Rochlitz. Bei uns wird den Unternehmen viel mehr abverlangt als in jedem anderen Staat der Europäischen Union. Deshalb besitzt das Öko-Audit eine besondere Legitimation und Qualifikation. Man sollte eines, das wir hin und wieder gem tun, nicht tun. Wir sollten nicht mit teutonischer Gründlichkeit, indem wir die letzten Halbsätze mit 24 Kommata umformulieren, versuchen, alle Willigen davon abzuhalten, sich dieses Instruments zu bedienen. Ich möchte nicht, daß es ein 'Instrument nur der Großunternehmen wird. Ich möchte dafür werben, daß auch die kleinen und mittleren Betriebe davon Gebrauch machen. Diese gewinnen Sie nicht, wenn Sie daraus ein Werk machen, Herr Rochlitz, das aus 5 000 Seiten besteht, drei Handbücher zur Erklärung benötigt und ohne einen Stab von Juristen nicht verständlich ist. Damit Sie Verständnis für kleine Unternehmen bekommen, möchte ich Ihnen sagen, wie die Testphase aussieht. Die Großunternehmen setzen zehn Fachleute an die Umsetzung. Damit setzen diese Unternehmen mehr Leute an die Umsetzung des Öko-Audit, als die überwiegende Mehrzahl aller deutschen Unternehmen Mitarbeiter hat. Vor diesem Hintergrund sollten wir es nicht komplizieren und zu einem Angebot machen, mit dem wir mehr Umweltschutz schneller und effizienter durchsetzen können. Ich bedanke mich. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Marion Caspers-Merk ({0}).

Marion Caspers-Merk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000325, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir nehmen die Angebote, über diesen Gesetzentwurf zu reden, sehr ernst und nehmen sie an. Auch wir sind der Meinung, daß man über diesen Gesetzentwurf reden muß. Aber dazu brauchen wir Zeit. Die Umweltpolitikerinnen und Umweltpolitiker der SPD-Fraktion wollen sich mit einigen offenen Fragen befassen. Die Fragen betreffen z. B. die Rolle des Umweltbundesamtes. Es geht darum, wer welche Sperrminorität besitzt, wie einige Punkte inhaltlich ausgestaltet werden sollen und wie Rechtsvorschriften zu beurteilen sind. Es ist eine Reihe von Verordnungen angekündigt worden, die noch nicht ausformuliert, aber Teil dieses Gesetzes sind. Frau Umweltministerin Merkel, was ist bislang Fakt gewesen? Wir haben bislang - das mußten Sie auch einräumen - zwei Jahre Zeit vertan. In den zwei Jahren, die wir für die Umsetzung Zeit gehabt hätten, ist bei uns überhaupt nichts passiert. Im Gegenteil war es so, daß sich die Industrie, der Wirtschaftsminister, der damalige Umweltminister und später dann die Umweltministerin darüber gestritten haben, wo die Gutachter angesiedelt werden müssen, wer sie zuläßt und ob die Umsetzung der Umweltqualitätsbetriebsprüfung staats- oder wirtschaftsnah angesiedelt werden soll. Ich bin deswegen so enttäuscht, weil es sich hier um ein kleines, aber wesentliches Regelungswerk handelt, das vielleicht eine Vorreiterrolle in der gesamten Umweltpolitik einnehmen kann. Es ist das erste Mal, daß wir proaktive Elemente in der Umweltpolitik ausprobieren und einsetzen. Deswegen kommt der Umsetzung der Öko-Audit-Verordnung eine Schlüsselrolle in der künftigen deutschen Umweltpolitik zu. Auf Grund dieser Schlüsselrolle ist es ein anspruchsvolles Gesetz. Das wollen wir. Denn nur so ist gewährleistet, daß dieses neue Instrumentarium auch hält, was es verspricht. Jetzt schauen wir uns doch einmal bei den europäischen Partnerstaaten um, wie es dort aussieht; denn das fordern Sie doch immer, Frau Merkel. Bei der CO2-/Energiesteuer sagen Sie immer, der nationale Alleingang geht nicht, wir müssen doch auch sehen, was wettbewerbsmäßig geht, damit wir nicht ins Hintertreffen geraten, und was die europäischen Partner machen. Und da müssen wir sehen, die Bundesrepublik ist eben nicht der Musterknabe in Europa, was die Öko-Audit-Verordnung angeht, sondern sie ist praktisch am hinteren Ende der Schlange. Während wir die Öko-Audit-Verordnung erst jetzt umsetzen, haben andere europäische Lander schon längst Erfahrungen mit ihr gesammelt. Es ist so, daß z, B. in Großbritannien mittlerweile bereits acht Umweltgutachter akkreditiert sind. Und wir streiten noch darüber, wie die Verfahren gemacht werden sollen, damit akkreditiert werden kann. Wir streiten über die Übergangsregelungen, und wir machen ein Konvolut von 72 Seiten. Herr Kollege Lippold, Sie haben von teutonischer Gründlichkeit gesprochen. Zu dieser teutonischen Gründlichkeit will ich folgendes sagen. Andere haben das viel einfacher gelöst; denn bei allen anderen europäischen Partnerstaaten ist es so, daß praktisch eine normale Zulassungsstelle, die es in den Staaten schon gibt, die Gutachter zuläßt und daß die Rechtsaufsicht darüber beim jeweiligen Umweltminister liegt. Der ganze Streit um die Frage, wie industrienah oder industriefern kann das Ganze sein, hat bei den anderen europäischen Partnerstaaten keine Rolle gespielt. Hier hat die Bundesrepublik ihren Vorsprung verspielt, während andere schon weiter sind. Sie wissen genau wie ich auch, daß der britische Standard, die Norm zu werden drohte, weil die Briten genau dieses Thema Öko-Audit jahrelang sehr konsequent über die EU verfolgt haben. Wir müssen aufpassen, daß dieses Instrument nicht auch wettbewerbsmäßig gegen die Bundesrepublik eingesetzt werden kann; denn es ist ja viel Geld im Spiel. Es ist ja nicht so, daß wir uns über tolle Umweltgütesiegel für die Industrie unterhalten, was ohne Konsequenzen ist. Was wir vorhaben - und das wäre vernünftig -, ist ja, daß dieses proaktive Instrument in Zukunft Ordnungsrecht entweder ersetzt oder zumindest Kontrolle nicht in diesem Ausmaß nötig macht. Es ist ja Ihr erklärtes Ziel der Deregulierung. Wir sagen, eine Reform des Ordnungsrechts ist nötig, keine Deregulierung. Aber wenn man mit anderen Instrumenten arbeitet, müssen sie anspruchsvoll ausgestaltet werden. Deswegen kommt diesem Gesetz eben so eine Schlüsselposition zu. Wenn dies so ist, dann müssen wir uns doch fragen: Wer kontrolliert die Kontrolleure? Wer garantiert für deren Unabhängigkeit? Jeder von uns weiß doch, daß die Unternehmen dieses Öko-Audit bezahlen müssen, und wer die Musik bezahlt, bestellt in aller Regel die Melodie. Wenn dies so ist, dann müssen wir dafür sorgen, daß diejenigen, die die Gutachten machen, unabhängig sind, daß sie eine starke Rolle spielen können und daß wir von vornherein in Zusammenarbeit mit der Industrie, aber nicht in Dominanz mit der Industrie diese Öko-Audit-Verordnung umsetzen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Lippold?

Marion Caspers-Merk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000325, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Kollegin, wenn jetzt ein namhaftes deutsches Unternehmen, dessen Namen ich aus Werbungsgründen nicht nenne, in der Prüfung dieses Vorhabens ist und ein Ökoinstitut mit der Zertifizierung beauftragt, sind Sie dann der Meinung, daß dieses Ökoinstitut eine bezahlte Auftragsarbeit abliefert?

Marion Caspers-Merk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000325, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lippold, selbstverständlich liefert es eine bezahlte Auftragsarbeit ab. Das ist doch ganz klar. Die Frage ist nur: Was tut dieses Institut dann, d. h. hat es bestimmte unabhängige Funktionen? Das, worauf z. B. Kollege Rochlitz hingewiesen hat, muß ja auch diskutiert werden. Was passiert denn, wenn es dieses Gütesiegel nicht erteilt? Glauben Sie, daß dieses Ökoinstitut in Zukunft dann noch viele Aufträge erhält? Das ist doch die Frage. ({0}) Deswegen brauchen wir eine unabhängige und starke Stellung derjenigen, die dieses Gütesiegel - das in Zukunft praktisch Wettbewerbsvorteile schafft - erteilen. Also müssen wir diejenigen unabhängig und stark machen. Das ist das Ziel der Beratungen des Gesetzes, und deswegen brauchen wir eine Anhörung und auch Zeit, diese Fragen zu klären. Was ich noch ansprechen will, ist die Frage, wie dieses proaktive Instrument wirkt und wie es eingebettet wird. Frau Kollegin Merkel, wir haben ja Erfahrungen mit zwei Instrumenten, die auch über die EU kamen, nämlich mit der EU-Informationsrichtlinie und mit der Umweltverträglichkeitsprüfung. Bei beiden Instrumenten, die diesem proaktiven Bereich zuzuordnen sind, wird ein Stück weit an die Eigenverantwortung appelliert, indem man sagt: Ihr müßt vorher aktiv werden, prüft erst einmal und informiert andere. Das alles ist neue Umweltpolitik, die wir machen wollen. Bei all diesen Vorhaben war die Bundesrepublik immer das Land, das zuletzt umgesetzt, zu schwach umgesetzt hat, und die Ideen in der EU-Richtlinie verwässert hat. Wir beklagen uns oft über die Europäische Union. Aber dort, wo sie umweltpolitisch etwas Vernünftiges will, drängen wir das Ganze immer ein Stück weit zurück oder setzen zögerlich um. Ich verstehe nicht ganz, warum Sie sich hier nicht an die Spitze gesetzt haben, warum zwei Jahre Zeit vertändelt wurden und warum wir anderen diesen Wettbewerbsvorsprung erlaubt haben. Ich mache mir große Sorgen, wenn ich sehe, daß es eine Fülle von Umweltgutachtern gibt, die schon jetzt auf die Akkreditierung warten. Es gibt eine fast unübersehbare Zahl von Menschen, die dies machen wollen und die auf den Markt drängen. Wenn Sie einmal mit Mittelständlern reden, dann sagen diese Ihnen: Ich bekomme ein Öko-Audit in einer Finanzbandbreite angeboten, daß ich mich frage, ob das dieselbe Leistung sein kann. Gerade deshalb ist es wichtig, daß jetzt endlich die Umsetzung erfolgt. Das hätte vorher und das hätte eindeutiger sein müssen. Ich fasse unsere Kritik in fünf Punkten zusammen: Erstens. Man hat unseres Erachtens zwei Jahre untätig verrinnen lassen. Wir haben dadurch Vorsprünge verspielt. Zweitens. Uns ist die Umsetzung, die man mit der Industrie machen soll, in einigen Punkten zu industriefreundlich. Wir haben den Eindruck, daß z. B. das Umweltbundesamt hier eine deutlich stärkere Rolle spielen müßte. ({1}) Drittens. Sie entwerten ein Öko-Audit, wenn Sie schon vorher bei den Umweltverbänden und bei vielen anderen den Anfangsverdacht aufkommen lassen, daß dieses Gütesiegel nicht den strengen Maßstäben entspricht, die wir uns alle wünschen. Deswegen muß dieser Anfangsverdacht, der auch in der Presse und von der interessierten Öffentlichkeit, gerade von Umweltverbänden immer wieder geäußert wurde, durch eine sorgfältige parlamentarische Beratung dieses Gesetzes ausgeräumt werden, so daß wir genau wissen: Wie wirken sich die einzelnen Regelungen überhaupt aus? Viertens. Das Konvolut - das habe ich schon gesagt - umfaßt 72 Seiten und hat einen unlesbaren Titel. Außerdem ist das Gesetz hinsichtlich einiger Ausführungen, Übergangsregelungen und Verordnungen so kompliziert, daß es dringend auf die Frage hin überprüft werden muß: Wozu machen wir eigentlich noch Gesetze? Wer versteht draußen noch, was wir mit diesem Öko-Audit und der Durchführungsverordnung dazu wollen? Insofern wünsche ich mir, daß das Konvolut auch auf die Lesbarkeit und damit Umsetzbarkeit noch einmal überprüft wird. ({2}) Fünftens. Sie fordern eine Deregulierung, die wir ablehnen. Wir sagen: Was wir brauchen, ist eine Reform des Ordnungsrechts. Wir haben in vielen Punkten zuwenig Regulierung - genau dort, wo zwischen den einzelnen Umweltmedien Schnittstellen sind -, und wir haben in anderen Bereichen eine Vielfalt von unterschiedlichen Regulierungen, z. B. wenn Dioxin in jedem Umweltmedium mit einem anderen Grenz- oder Richtwert geregelt wird. Hier brauchen wir eine Reform und Vereinheitlichung. Wenn z. B. zutrifft, daß die Umweltbetriebsprüfung des Öko-Audit eine Möglichkeit wäre, eine Reform des Ordnungsrechts durchzuführen, dann müßte das Ganze vom Niveau her anspruchsvoll gestaltet sein, aber gleichzeitig vollzugsfreundlich sein, so daß ein Schneeballsystem entstünde und wir das nicht bräuchten, was wir alle nicht wollen, nämlich daß man das Instrument vorschreibt. Es soll ein freiwilliges Instrument sein. Wir wollen, daß z. B. in Zukunft bei öffentlichen Ausschreibungen nur noch Firmen genommen werden, die sich einem Öko-Audit unterziehen. Ich bin sicher, daß man damit die Einführung dieses Instruments sehr stark fördern könnte. Deswegen meinen wir auch, daß vor diesem Hintergrund die Ansprüche an die Kontrolleure, an die Gutachter und an die Zulassungsstelle hoch sein müssen. Ich fordere Sie auf, Frau Umweltministerin: Treten Sie mit uns über die anspruchsvolle Umsetzung - das war Ihr eigener Begriff - dieser Öko-Audit-Verordnung in einen Dialog ein. Verweigern Sie ihn nicht, sondern sorgen Sie dafür, daß dieses Gesetz parlamentarisch angemessen beraten werden kann und nicht im Schweinsgalopp. Beantworten Sie die Fragen, die wir zu diesem Gesetz noch haben. Vielen Dank. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Dr. Renate Hellwig, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Renate Hellwig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bin von Laien darauf aufmerksam gemacht worden, ich solle als erstes einmal darauf hinweisen, daß es sich beim Öko-Audit nicht um ein neues Sparmodell der Autoindustrie, etwa einen Audi, handelt. Ich glaube, es ist schlimm, daß wir in unseren Fachdiskussionen immer soviel voraussetzen, daß der Normalbürger, wenn er denn je in die Lage käme, diese Debatte heute noch zu verfolgen, einfach abschalten würde, weil er gar nichts mehr versteht. Das ist unser Problem. ({0}) Gestatten Sie mir deswegen, daß ich zu Beginn erst noch einmal ganz kurz erkläre, was die Zielsetzung der Verordnung ist. Übrigens, liebe Kolleginnen von der SPD und von den Grünen, ich wiederhole hier meinen Kollegen Lippold: Es geht um eine Verordnung und nicht um eine unverbindliche Richtlinie der EWG, die am 23. Juni 1993, also vor zwei Jahren, bereits in Kraft getreten ist. Die Zielsetzung ist folgende. Es gibt aus meiner Sicht drei große Blöcke, in denen der Gesetzgeber auch im Umweltbereich tätig ist. Der eine ist ganz strenge Gesetzgebung durch Gebote und Verbote. Der andere ist schon marktwirtschaftlicher und will durch finanzielle, ökonomische, steuerliche Anreize eine gewisse Lenkungswirkung ausüben. Den dritten sehe ich als den allermarktwirtschaftlichsten an. Er gibt nur bestimmte Rahmen, verbunden mit der Erwartung und der Hoffnung, damit eigendynamische Prozesse in Richtung von mehr Umweltschutz in Gang zu setzen. Diese Verordnung gehört ganz eindeutig der dritten Kategorie an. Es soll in Zukunft ganz einfach so funktionieren: Spätestens ab April sollten in allen Ländern die Durchführungsgesetze in Kraft sein, so daß gestartet werden kann und vom nächsten Jahr an die EU praktisch erstmalig das tun kann, was sie sich in der Verordnung selbst vorgeschrieben hat, nämlich jährlich das Verzeichnis derjenigen Betriebe zu veröffentlichen, die Wert darauf legen, ein solches Ökosiegel zu haben. Das Ökosiegel sollte Bestandteil ihrer Imagewerbung, aber auch eine sichtbare Eigenverpflichtung sein, in ihren Produktionsverfahren - es betrifft in erster Linie Gewerbebetriebe, aber auch Abfallentsorgungsbetriebe - nachzuweisen, daß sie schrittweise umweltfreundlicher werden. Das beginnt mit der Erstbilanz, in der sie möglichst nüchtern die Belastung darstellen: Wieviel Energie und wieviel Rohstoffe verbrauche ich, welchen Abfall produziere ich, welche Luftverunreinigung und welche Abwassermengen erzeuge ich? Sie setzen sich das Ziel, diese Umweltbelastungen schrittweise zu verringern. Diese freiwillige Selbstverpflichtung dann gleichzeitig als Reklame dafür benutzen zu können, daß man ein besonders umweltfreundlicher Betrieb ist, ist das, was ich unter Eigendynamik verstehe. Damit schließt sich direkt der Kreis zu unserer Sitzung von heute morgen über die Klimakonferenz. Denn ein Bestandteil dieser Selbstverpflichtung ist auch die Energieeinsparung. Ich erwarte mir vom Öko-Audit, daß ich in einigen Jahren hier feststellen kann: Diese Hoffnung hat sich erfüllt; es hat auf freiwilliger Basis eine zusätzliche Dynamik in den Betrieben in Gang gesetzt, indem diese einen ehrlichen Wettbewerb untereinander führen, um möglichst viel Energie einzusparen, und zwar besser, als es der Gesetzgeber durch Gebote und Verbote in Gang setzen könnte. Hier ist viel zuwenig über die Verordnung selbst gesprochen worden, vor allem über die Problematik der Ausfüllung dieser Verordnung in Deutschland. Dazu kann ich Ihnen folgendes sagen. Wir sitzen ja morgen im Umweltausschuß zusammen und haben das Problem der Umsetzung von EG-Recht generell zu behandeln. Dazu liegt ein Bericht des Wirtschaftsministers vor. Wir müssen ganz beschämt feststellen, daß wir Deutschen, was die Umsetzung von EG-Recht und seine Ausfüllung anbelangt, insgesamt - nicht nur bei dieser Verordnung - relativ holprig vorgehen und lange brauchen. ({1}) Jetzt sage ich, um meinem Ruf gerecht zu werden: Das liegt immer an diesem falsch verstandenen und überzogenen Föderalismus. Sie wissen ja, daß ich in diesem Punkt immer besonders kritisch auftrete. Denn diese Diskussion zwischen Bund und Ländern darüber, wer zuständig ist, wer bei der Frage der Umsetzung wieviel Macht hat, wer seine eigene Meinung bei der Umsetzung unbedingt noch unterbringen muß, kostet uns permanent schon soviel Zeit, daß wir die Musterknabenrolle, die wir gern spielen wollten, nicht spielen. ({2}) - Aber, Frau Caspers-Merk, ich habe die dringende Bitte an Sie, daß wir jetzt nicht noch die Bundesländer und die Auseinandersetzung zwischen Bundesregierung und Industrie dadurch übertreffen, daß wir im Bundestag lange die Frage der Ausfüllung einer geltenden Vorschrift diskutieren zu müssen glauben. ({3}) Ich sage Ihnen etwas voraus, und, bitte, packen Sie mich an dieser Bemerkung: Garantiert werden wir es nicht schaffen, dieses Umsetzungsgesetz zu verkürzen. Ich will es jetzt einmal kritisieren. Die Verordnung selber hat lediglich 21 Artikel. Das deutsche Umsetzungsgesetz hat 39 Paragraphen. So sieht es in der Regel aus, und Sie haben selber darauf hingewiesen, Frau Caspers-Merk. Bei den anderen sind es zwei, drei Paragraphen, und schwuppdiwupp, schon haben sie ihre Ausführungsbestimmungen gemacht. Ich wage, Ihnen für den Fall, daß Sie auf einer Anhörung bestehen, vorauszusagen, daß wir aus dieser Anhörung garantiert nicht mit einer Minderung der Zahl der Paragraphen herauskommen. Günstigstenfalls werden wir die gleiche Zahl haben, ({4}) ungünstigenfalls kommen noch ein paar Paragraphen dazu. Jedenfalls ist das meine 15jährige Erfahrung in diesem Bundestag, und leider habe ich fast nie eine gegenteilige Erfahrung machen können. Es würde mich ja riesig freuen, wenn ich hier erstmals eine gegenteilige machen könnte. Allerdings habe ich diese Hoffnung nicht. Aber wir werden sehen. Deswegen noch einmal mein Appell an Sie, es sich anders zu überlegen. Ein wichtiger Appell geht über diesen Streit hinaus, den wir jetzt darüber haben, wann die Umsetzung erfolgen wird und wieviel der Bundestag noch darüber redet, direkt an die Betriebe, an die Öffentlichkeit. Diese Öko-Audit-Verordnung wird nur dann ein Reißer, ein Renner werden, wenn die Medien genügend Interesse daran entwickeln, ({5}) genügend darüber berichten und damit die Offentlichkeit dafür hellhörig machen, wie wichtig es ist, daß ein Betrieb damit Reklame machen kann, daß er sich permanent dieser Selbstverpflichtung unterziehe, umweltfreundlicher zu produzieren, und daß auch die größeren Betriebe dies von ihren Zulieferbetrieben als Bestandteil ihres eigenen Images und des Images der Zulieferbetriebe verlangen. Ganz wichtig ist meines Erachtens auch noch, daß in den Betrieben die Leitungen es sich zur Aufgabe machen, die Gesamtheit der Belegschaft dafür zu interessieren. Es muß ein Ruck durch den gesamten Betrieb gehen, wenn es darum geht, Öko-Audit zu verwirklichen. Jeder, der kleinste Arbeiter und der größte Angestellte, muß selber scharf darauf sein, noch eine Stelle im Betrieb zu finden, wo man eine Verbesserung im Sinne umweltfreundlicher Verfahren erreichen kann. Wenn uns das gelingt, meine Damen und Herren, dann werden wir in zwei, drei Jahren hier stehen, und alle Beteiligten werden ganz glücklich sagen, daß es ein großer Tag des Bundestages gewesen sei, als wir das Öko-Audit umgesetzt haben. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf der Drucksache 13/1192 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Zum Tagesordungspunkt 6 a), Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Errichtung einer Bundesstiftung „Entschädigung für NS-Unrecht", liegt mir ein Antrag auf Absetzung von der heutigen Tagesordnung und Verschiebung auf die nächste Sitzungswoche vor. Mir wird gesagt, darauf hätten sich die Fraktionen des Hauses verständigt, die Gruppe der PDS habe aber widersprochen. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich über den Absetzungsantrag abstimmen. Wer der Absetzung zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist mit den Stimmen der Fraktionen dieses Hauses so beschlossen. Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 7, der Ersten Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? ({0}) - Ich nehme Anträge entgegen. Die Fraktionen können Anträge stellen. Herr Koppelin, bitte.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei diesem Tagesordnungspunkt stellen wir von seiten der F.D.P.-Fraktion erneut fest, daß der Bundesrat - es handelt sich ja um einen Antrag des Bundesrates - nicht vertreten ist. Wir beantragen daher Absetzung dieses Tagesordnungspunktes. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gibt es weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung? - Herr Kollege Schmidt, bitte.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle ebenfalls mit Mißbilligung fest, daß der Bundesrat als Antragsteller hier nicht vertreten ist. Ich habe trotzdem ein bißchen Sorge, daß wir, wenn wir diesen wichtigen Entwurf hier an dieser Stelle heute nicht so verschieben, dann unter unzulässigen Zeitdruck geraten. Ich würde deswegen dafür plädieren, daß wir heute dennoch die erste Beratung vornehmen und unsere Mißbilligung über die Abwesenheit des Bundesrates den zuständigen Stellen zur Kenntnis geben.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gibt es weitere Wortmeldungen? - Bitte, Herr Kollege Andreas Schmidt.

Andreas Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001999, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, wir müssen einmal ein Zeichen setzen. ({0}) Es ist jetzt mehrfach vorgekommen, daß hier Anträge des Bundesrates vorliegen, der Bundesrat aber nicht vertreten ist. Der Bundesrat ist auch jetzt nicht vertreten. Ich stimme dem Antrag des F.D.P.-Kollegen zu, die Sache heute abzusetzen. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gibt es weitere Wortmeldungen? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann lasse ich über den Antrag, Punkt 7 von der Tagesordnung abzusetzen, abstimmen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ist das gegen die Stimmen der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD sowie der Gruppe PDS so beschlossen. ({0}) Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Dr. Christa Luft, Christina Schenk und der weiteren Abgeordneten der PDS Zukunftssicherung von Sozialstaat, Arbeit und Lebensstandort - Drucksache 13/702 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Haushaltsausschuß Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll. Es gibt dazu keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu später Stunde kommt dieser Antrag heute. Das tut mir sehr leid, aber ich denke, daß es vielleicht trotzdem gut ist, daß wir uns wenige Tage vor dem 1. Mai hier im Hause mit diesem Problem noch einmal beschäftigen, dem Problem, das den Menschen heute am meisten unter den Nägeln brennt, und zwar nicht nur den 6 Millionen Menschen, die zum Teil seit vielen Jahren ohne Arbeit sind und an dieser Problematik bereits persönlich zu verzweifeln drohen; nein, dieses Problem brennt natürlich in zunehmendem Maße auch den Menschen unter den Nägeln, die noch einen Job haben. Sie haben längst erkannt - was Sie immer versuchen, ihnen wieder auszureden -, daß der vielbeschworene wirtschaftliche Aufschwung am Arbeitsmarkt nur als laues Lüftchen ankommt. Sie wissen, daß die heute verfügbare Technik auch Ihre Arbeitsplätze bedrohen kann. Nach Berechnungen Ihres Kollegen Lothar Späth, liebe Kollegen und Kolleginnen von der CDU/CSU, und eines McKinsey-Experten könnten von den in der Bundesrepublik noch bestehenden 33 Millionen Arbeitsplätzen 9 Millionen entfallen, wenn tatsächlich der höchstentwickelte Stand der Technik zum Einsatz käme. Ich will Ihnen jetzt gar nicht vorrechnen, was der Kollege Jagoda im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zum Verhältnis von Wirtschaftswachstum und Produktivitätsentwicklung gesagt hat. Wir haben also allen Grund, liebe Kolleginnen und I Kollegen, uns mit neuen Ansätzen in der Arbeitsmarktpolitik zu beschäftigen. Auch wir wissen, daß es keine Wunder und keine Allheilmittel gibt, um mit der strukturellen Massenarbeitslosigkeit fertigzuwerden. Allheilmittel wollen auch wir nicht, auch wir setzen nicht auf Wunder. Aber wir wollen, daß die gesellschaftlichen und politischen Anstrengungen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit gebündelt werden und nicht im Kampf gegen die Arbeitslosen, wie es gegenwärtig verstärkt stattfindet. ({0}) Heute ist absehbar, daß die Instrumente des Arbeitsförderungsgesetzes nicht mehr ausreichen, um die Verwerfung der strukturellen Arbeitslosigkeit zu bewältigen. Beweglichkeit und neue Ideen sind gefragt. Mit unserem Antrag wollen wir einen Teil dazu beitragen. Bereits der Titel unseres Antrages macht deutlich, daß sich seine Zielrichtung grundlegend von dem unterscheidet, was gegenwärtige Politik der Bundesregierung ist: Erstens. Wir wollen den Sozialstaat sichern und weiter ausbauen und gegen soziale Ausgrenzung und Armut kämpfen, im Gegensatz zur Bundesregierung, die durch Deregulierung, Kürzung und Streichung sozialer Leistungen den Sozialstaat weiter aushöhlen will. Zweitens. Wir wollen, daß Arbeit ein zentraler Bestandteil der individuellen Lebensplanung und der Existenzsicherung für Männer und Frauen ist bzw. wieder wird, also Arbeit nach Tarif bezahlt und arbeitsrechtlich geschützt wird. Schließlich wollen wir, daß im Mittelpunkt aller Überlegungen in der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik der Lebensstandort Deutschland steht und nicht der Wirtschaftsstandort, wie die Bundesregierung das möchte. ({1}) Nun zu einigen Inhalten unseres Antrages. Auf Grund der kurzen Zeit - in fünf Minuten so etwas herüberzubringen, ist doch ein bißchen kompliziert - werde ich mich auf wenige Fragen konzentrieren. ({2}) - Es schadet Ihnen ganz gewiß nicht, auch den fünf Minuten zuzuhören. ({3}) - Ja, ich beklage mich auch gar nicht. Ich versuche auch, das ganz gut zu bewältigen. Ich werde nicht auf die Punkte eingehen, bei denen ich finde, daß es im Antrag der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, über die wir morgen in der Anhörung beraten werden, eine Menge Übereinstimmungen gibt, also die ganzen Probleme der Umverteilung von Arbeit, Arbeitszeitverkürzung und intelligente Modelle zur Teilzeitarbeit. Ich will mich auf unsere Forderung nach einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor konzentrieren. Nach unserer Auffassung werden weder die produktiven WirtDr. Heidi Knake-Werner schaftssektoren noch die vielbeschworenen neuen Dienstleistungen auf absehbare Zeit Vollbeschäftigung erreichen. Das heißt freilich nicht, daß uns die Arbeit ausgegangen ist, wie immer behauptet wird, sondern im Arbeitsmarkt mangelt es an kauffähiger Nachfrage. Die entscheidende Frage für uns lautet, auf welchem Weg langfristig und dauerhaft das vorhandene brachgelegte Potential an Kreativität, Qualifikation usw. auf seiten der arbeitslosen Frauen und Männer mit dem vorhandenen gesellschaftlichen Bedarf an Arbeit, etwa im Pflegebereich, bei den sozialen Dienstleistungen, bei Infrastrukturmaßnahmen zusammengeführt werden kann. Diese Frage beansprucht gewiß keine Originalität. Selbst im Bundesministerium für Wirtschaft ist sie bereits angekommen. Nur fällt dort die Antwort freilich ganz anders aus als bei uns. Dort heißt es: Arbeit ist uns nicht ausgegangen, aber sie ist viel zu teuer. Deshalb muß sie billiger werden.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin, es tut auch mir leid.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich habe ein kleines Problem mit Ihrer Uhr gehabt. Könnte es sein, daß sie zwei Minuten übersprungen hat?

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Nein, die zwei Minuten am Anfang ist sie nicht gelaufen. Das ist das Problem. Sie sind jetzt deutlich über der Zeit. Auch ich mag diese Sekundenzählerei nicht.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich finde das auch sehr unangenehm.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Versuchen Sie, weil das ein bißchen irritiert hat - das gebe ich zu -, in drei Sätzen zum Ende zu kommen.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Gut. Ich werde versuchen, das in drei Sätzen zu bewältigen. Es geht mir also um diesen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, der sich nach unserer Auffassung von dem zweiten, dritten, vierten und fünften Arbeitsmarkt unterscheiden soll. Wir wollen hier einen Beschäftigungssektor schaffen, der im Arbeitsmarkt Verstetigung bringt und der auf Dauer angelegte Arbeitsplätze zur Beseitigung ökologischer Altlasten, Reproduktion von Naturräumen und dergleichen mehr schafft. Wir wollen, daß dieser Beschäftigungssektor demokratisch kontrolliert wird, daß er flexibel und dezentral ist und daß es ihm besser als bisher gelingen möge, die nicht bearbeiteten gesellschaftlichen Aufgaben zu übernehmen und im Interesse der Menschen zu bewältigen. Danke schön. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu seiner ersten Rede im Plenum des Bundestages hat der Kollege Dr. Hermann Kues ({0}).

Dr. Hermann Kues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte ja diese Rede angesichts der vorgerückten Zeit zu Protokoll gegeben. Aber da es meine erste Rede im Bundestag ist, meine ich, muß sie gehalten werden. ({0}) Ich glaube, daß die Frage, welche Zukunft unser Sozialstaat hat, von großer Wichtigkeit ist und daß sie im Zentrum unserer politischen Bemühungen stehen muß. Es geht darum, wie wir künftig arbeiten, wirtschaften, leben wollen. Allerdings - das will ich vorweg sagen -, die Antragsteller von der PDS vertreten ein Konzept, das seine Zukunft bereits hinter sich hat. ({1}) Der Blick zurück in die Vergangenheit müßte bereits genügen. Aber auch ein Blick in Ihren Antrag ist bezeichnend. Sie wollen z. B. Arbeitsverhältnisse in öffentlich geförderten Beschäftigungssektoren grundsätzlich nicht befristen. Außerdem erhoffen Sie sich eine Vorbildrolle für öffentliche Unternehmen, die diese in der Realität nie gespielt haben. Es gibt weitere Elemente in Ihrem Antrag, die mich zu der Einschätzung bringen, daß Sie sich zwar vorsichtig auch zu marktwirtschaftlichen Elementen bekennen, letztlich aber nach wie vor das Wirtschaftsmodell nicht der Planwirtschaft, sondern der Zentralverwaltungswirtschaft vertreten. ({2}) Dieses bedeutet Bürokratie, Ineffizienz, und dieses führt letzten Endes zu einer menschenverachtenden Wirtschafts- und Arbeitsordnung. ({3}) Wohin ein Staat als Sozialstaat kommen kann und welche Folgen es haben kann, wenn der Staat praktisch zur Amme des Bürgers wird, hat uns das Beispiel der ehemaligen DDR gelehrt. „Der Sozialismus lehrt durch das Beispiel." Wer dies gesagt hat, war Lenin. Lenin hatte ungewollt sicher recht; denn das, was der real existierende Sozialismus an sozialer Ausbeutung, von politischer Entmündigung ganz zu schweigen, vorgelebt hat, möchten wir nicht noch einmal haben. ({4}) Unabhängig davon bin ich allerdings von einem überzeugt: Wir müssen in den nächsten Jahren noch häufiger und intensiv über ein neues Konzept, eine Modernisierung des Sozialstaates reden und uns darüber auseinandersetzen. ({5}) Wir wollen nicht den Staat als Amme; wir wollen den eigenverantwortlich handelnden Bürger, der für seine Eigenständigkeit nicht bestraft wird. Der Sozialstaat, wie wir ihn kennen und wie er entwickelt worden ist, stößt an seine Grenzen, und zwar nicht nur quantitativ, von der Finanzierbarkeit her, sondern auch qualitativ, von der Steuerung her. Die Menschen müssen das Gefühl behalten, es gehe gerecht zu. Es stimmt etwas nicht, wenn derjenige, der eigenständig handelt, das Gefühl bekommt, daß er dafür nicht belohnt wird, sondern daß er sogar gegen seine eigenen Interessen verstößt. Wie ist es z. B. mit dem 25jährigen - auch hier stellt sich die Frage der Gerechtigkeit -, der Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat zur Arbeit geht, sich anstrengt und den Eindruck hat, er behalte nicht viel mehr oder weniger zum Leben übrig als derjenige, der es ruhiger angehen läßt, nicht arbeitet, obwohl er es genausogut könnte? ({6}) Wie ist es etwa mit dem Sozialhilfeempfänger, der sich um ein eigenes Arbeitseinkommen bemüht, am Ende des Monats aber feststellt, daß er nicht mehr in der Tasche hat als derjenige, der sich dieser Mühe gar nicht erst unterzieht? Wir haben mit 44 % eine Abgabenlast erreicht, die zu hoch ist. Deswegen wird es auch zu einer Frage der Gerechtigkeit, wieviel einem Arbeitnehmer von der zusätzlichen D-Mark, die er verdient, weggenommen und wieviel ihm davon gelassen wird. Die Frage der Gerechtigkeit stellt sich nicht erst dann, wenn es um die Verteilung des Weggenommenen geht, sondern sie stellt sich auch dann, wenn es darum geht, wieviel jemand von dem, was er sich erarbeitet hat, behalten darf und ob er über die Verwendung selbst entscheiden darf. ({7}) Lassen Sie mich noch etwas auf den qualitativen Aspekt eingehen. Die finanzpolitischen Restriktionen werden sich in den nächsten Jahren auf Bundes-und auf Landesebene eher verschärfen. Deshalb brauchen wir eine Perspektive für den Sozialstaat, die zwar in haushalts- und finanzpolitische Überlegungen eingebunden ist, die aber darüber hinausgeht. Ich bin auch der Meinung, daß es falsch ist, zunächst das Einsparvolumen festzulegen und dann dazu die sozialpolitische Theorie zu entwickeln. Wirtschaft und Sozialpolitik befinden sich in einer Wechselwirkung. Ich bin auch der Meinung, daß wir in den vergangenen Jahren viel über den Wirtschaftsstandort Bundesrepublik Deutschland diskutiert haben, und zwar zu Recht, daß wir aber noch zuwenig über den Sozialstandort diskutiert haben. Es ist z. B. richtig, daß es für uns als führende Industrienation nicht nur darauf ankommt, daß Arbeit billiger wird, sich lohnen muß, sondern daß wir auch neue produktive Arbeitsfelder erschließen müssen. Für mich stellt sich z. B. die Frage, ob es richtig ist, die Abgaben und Beiträge im System der sozialen Sicherheit im wesentlichen am Arbeitsplatz zu orientieren und die Arbeit dadurch zu verteuern und weniger konkurrenzfähig zu machen. ({8}) Ich meine, daß wir eine vorurteilsfreie Wirklichkeitsanalyse haben müssen, daß es notwendig ist, weniger ideologische Flaggen in der sozialpolitischen Diskussion zu hissen und Rituale zu pflegen. Denn nicht derjenige handelt im Interesse der Menschen, der sich vor lauter Angst nicht an Problemanalysen herantraut, weil er befürchten muß, allein durch das Aufwerfen von Fragestellungen als unsozial bezeichnet zu werden. Nein, derjenige handelt verantwortungsvoll, der mutig sagt, was ist, und der Perspektiven für das entwickelt, was sein muß. ({9}) Wir brauchen neue Brücken zwischen Sozialsystem und Wirtschaftssystem, neue Brücken, über die der Arbeitslose gehen kann. Wir brauchen wirkungsvolle Mechanismen, die sicherstellen, daß derjenige, der sich gemeinwohlorientiert verhält, und derjenige, der sich anstrengt, nicht bestraft, sondern belohnt wird. ({10}) Wir brauchen Mechanismen, die es Trittbrettfahrern in unserem System der sozialen Sicherheit schwer machen. Vielen Dank. ({11})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Adi Ostertag ({0}).

Adolf Ostertag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001660, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Vorabend der dritten Kanzlerrunde mit den Tarifvertragsparteien beraten wir ein Thema, das wie kein anderes die Menschen in diesem Land belastet. Denn die „Zukunftssicherung von Sozialstaat, Arbeit und Lebensstandort", wie der Antrag lautet, ist angesichts der Regierungspolitik in den letzten Jahren immer unsicherer geworden. Der Sozialstaat wird von den Regierenden immer mehr demontiert. Die sozialen Sicherungssysteme werden immer mehr ausgehöhlt. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist hoffnungslos: 3,7 Millionen offiziell registrierte Arbeitslose, 6 Millionen sind es, wenn man die versteckte Arbeitslosigkeit hinzunimmt, ganz zu schweigen von den Auswirkungen der Arbeitslosigkeit, die mit Angst, Hoffnungslosigkeit und Mutlosigkeit der Menschen und ihrer Familien zu kennzeichnen ist. Der Lebensstandort wird damit für immer mehr Menschen in diesem Land unsicherer. Ich meine, es ist ein Skandal, daß auch die Zahl der Lehrstellen sinkt - darüber wird morgen abend beraten -, während die Zahl der Bewerber in Westdeutschland um mehr als 5 % und in den neuen Ländern um knapp 16 % zugenommen hat. Was ist das für ein Lebensstandort Bundesrepublik Deutschland für die Menschen, die eine Berufsperspektive suchen! Die Art, wie diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen mit den drängendsten Themen des Landes umgehen, ist auch angesichts dieser Tatsachen schon beängstigend: Kürzungen von Leistungen waren im letzten Jahr an der Tagesordnung. Ausgrenzen von besonderen Problemgruppen, Abschieben aus dem Versicherungssystem in die Sozialhilfe sind die weitere Planung, wie wir wissen. Sie von den Regierungsparteien sind dafür verantwortlich, daß viele Menschen kein Vertrauen mehr in die Politik und natürlich auch in die Regierenden haben, daß ihre Probleme ernst genommen werden und wirklich ernsthaft über deren Lösung nachgedacht wird. Um das Krebsgeschwür dieser Gesellschaft, nämlich die Massenarbeitslosigkeit, zu bekämpfen, sind zwei Dinge erforderlich, die Sie offensichtlich nicht mehr haben: politischer Wille und durchsetzbare, umsetzbare Konzepte. Nun versucht diese Regierung, ihr Nichtstun zu rechtfertigen, indem sie darauf hinweist, daß sich der Frühling am Konjunkturhimmel zeigt. Richtig, die Zeichen für einen kräftigen konjunkturellen Aufschwung mehren sich. Die Auftragsbücher vieler Unternehmen sind voll, wie seit langer Zeit nicht mehr. Das ist gut so; denn schließlich ist eine florierende Wirtschaft Voraussetzung für gesicherte Einkommen und Arbeitsplätze. Fakt ist aber - das ist die Kehrseite dieser Medaille -, daß der Aufschwung am Arbeitsmarkt vorbeigeht. Trotz 2,5 % Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr haben wir 300 000 Erwerbstätige weniger. Für 1995 wird ein Wachstum von 3 % prognostiziert; trotzdem werden wir kaum eine Abnahme der Arbeitslosigkeit erreichen. Es wäre angesichts dieser Entwicklung der letzten eineinhalb Jahre fatal, sich vorschnell durch die günstigeren Konjunkturdaten zu beruhigen. Die aktuelle Entwicklung zeigt, daß ein Aufschwung eben nicht automatisch neue Arbeitsplätze schafft. Unter dem Vorwand, den Sozialstaat umzubauen, setzt diese Bundesregierung weiterhin einseitig auf Kostensenkung für Unternehmen und auf Deregulierung. Hier werden Ursache und Wirkung verwechselt; denn Sozialleistungen sind nicht nur ein Kostenfaktor. Sie ermöglichen die Teilhabe vieler Menschen am materiellen und gesellschaftlichen Fortschritt. Sie sind damit ein Eckpfeiler des demokratischen und sozialen Rechtsstaats. Sie schaffen Sicherheit vor sozialer Ausgrenzung und vor unvorhersehbaren Risiken. Damit fördern sie letzten Endes auch die Arbeitsproduktivität. Solange aber die Lohnquote trotz der hohen Sozialversicherungsbeiträge sogar noch abnimmt - in zwölf Jahren Kanzlerschaft Kohl von 72,5 % auf 67,6 % -, kann von einer Überforderung der Wirtschaft und von einer Sicherung des Lebensstandorts wohl kaum die Rede sein. Der Abbau von Arbeitsplätzen ist, wie wir hören, zum griffigsten Rezept für einen neuen Aufschwung geworden. Immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind aus Angst vor Arbeitslosigkeit bereit, untertarifliche Bezahlung hinzunehmen und Lohneinbußen zu akzeptieren. Anstatt zur Sicherung des Lebensstandortes einen Beitrag zu leisten, hat diese Regierung den langerkämpften Arbeitnehmerrechten den Kampf angesagt sowie dem Abbau sozialer Leistungen das Wort geredet und jahrelang so gehandelt. Letztlich kann die Neuauflage des begrüßenswerten Langzeitarbeitslosenprogramms, wie es die erste Kanzlerrunde hervorgebracht hat, an diesen grundsätzlich negativen Bewertungen der Regierungspolitik nichts ändern. Meine Damen und Herren, es ist doch ein durchschaubarer Versuch, ein Programm im Dezember auslaufen und es im Februar wieder aufleben zu lassen, um es dann vollmundig als großen Erfolg zu verkaufen. Von einer strategischen Umkehr zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ist also nichts in Sicht. Deshalb ist es höchste Zeit für eine neue Politik, die im Interesse der Menschen unseres Landes Kraft, Mut und Engagement freisetzt. Vor diesem Hintergrund verweist der hier zu beratende Antrag auf die Versäumnisse und Wunden, die diese Bundesregierung aufgerissen hat. Gerne würde ich mehr über die konkreten Lösungswege der Antragsteller erfahren, die in dem Antrag nur sehr allgemein vorgestellt werden. Wir sind gespannt, wie das in den weiteren Beratungen im Ausschuß unterfüttert wird. Insgesamt spricht aus diesem Antrag eine starke Grundtendenz zur alleinigen staatlichen Regulierung. Der Staat soll umfassend in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen, mit öffentlichen Unternehmen Beschäftigung sichern und sich die Finanzmittel über höhere Unternehmens- und Spekulationssteuern beschaffen. Obwohl überhaupt keine Zahlen genannt werden, erscheint mir das ganze Konzept weder ökonomisch noch finanzpolitisch wirklich durchdacht und durchgerechnet zu sein. Ich sehe den Antrag insgesamt als eine Mischung aus Populismus und übermäßigem Vertrauen in die Heilungskräfte des Staates. Dies ist, so meine ich, genauso falsch wie das blinde Vertrauen der Regierungsparteien in den Marktmechanismus und seine Heilungskräfte. Deswegen plädieren wir von seiten der Sozialdemokratie für einen vernünftigen Dreiklang aus ökologischer Wirtschaftspolitik, Arbeitsmarkt- und Arbeitszeitpolitik. Wir haben dazu eine ganze Reihe konkreter Vorschläge vorgelegt. Sie können sich sicherlich daran erinnern; wenn Sie neu im Bundestag sind, vielleicht nicht. Bevor ich die drei wichtigsten Punkte, die hier erwähnt werden müssen, nenne, möchte ich aber noch etwas zu der gerechten Verteilung der Erwerbsarbeit in diesem Land sagen; denn gerade da kann man nicht oft genug sagen, wie ideologisch verblendet insbesondere die CDU/CSU, auch die F.D.P. und der Bundeskanzler wirklich sind. Wir erinnern uns noch: Als vor gut zehn Jahren der Einstieg in die 35-Stunden-Woche von den Gewerkschaften vorangetrieben wurde, hat der Kanzler immer gesagt: Das Ganze sei „absurd, töricht und dumm". Im vergangenen Jahr hat der Kanzler hier gesagt, wir würden uns in dieser Republik auf einen „kollektiven Freizeitpark" zubewegen. Diese Vorstellung von gerechter Verteilung der Arbeit ist, glaube ich, bezeichnend für diese Regierungskoalition und die Regierung. Wir haben einen Arbeitszeitgesetzentwurf eingebracht, der leider nicht so akzeptiert wurde, der in der Tat eine gerechtere Verteilung der Arbeit vorsieht, der vor allen Dingen zwei Aspekte in den Mittelpunkt stellt: zum einen eine Flexibilisierung der Arbeitszeit und zum anderen natürlich eine Begrenzung der Überstunden und vor allen Dingen auch einen Freizeitausgleich. Das würde in der Tat weitere Arbeitsplätze sichern und schaffen. Wir haben - zweitens - einen Antrag zu einem Arbeits- und Strukturförderungsgesetz eingebracht, den diese Regierungskoalition auch abgelehnt hat. Weil sie ihn abgelehnt hat, werden wir im schönen Monat Mai einen eigenen Entwurf eines Arbeits- und Strukturförderungsgesetzes einbringen, in dem detailliert und konkret unsere arbeitsmarktpolitischen Vorstellungen formuliert sind, auch was den öffentlichen Beschäftigungssektor betrifft. Ein Drittes. Wir werden morgen - es ist schon gesagt worden - eine Anhörung zu dem Antrag „Bündnis gegen Arbeitslosigkeit" haben, in dem die strategischen Ansatzpunkte der SPD-Bundestagsfraktion formuliert sind: zum einen wirtschaftlich notwendige Schritte in Angriff zu nehmen, zum anderen eine gerechtere Verteilung der Arbeitszeit und zum dritten das Arbeits- und Strukturförderungsgesetz. Wir sind gespannt, wie die Koalition darauf reagiert. ({0}) Man kann nur sagen: Im Gegensatz zu dem Antrag, im Gegensatz zu den Konzepten, die wir ganz konkret vorgelegt haben, steht die Regierung in diesen zentralen politischen Lebensbereichen des Landes mit leeren Händen da. Vielen Dank. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Uwe Lühr ({0}).

Uwe Bernd Lühr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001392, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag, den die PDS heute auf Drucksache 13/702 vorlegt, hätte in wesentlichen Passagen ein Manuskript für ein Seminar im Fach „Politische Ökonomie des Sozialismus" sein können, das sich mit den eklatanten Nachteilen der kapitalistischen Wirtschaftsweise in der revisionistischen BRD beschäftigte. Er geht von der SED-Lehrmeinung aus, daß Arbeit als Voraussetzung gesellschaftlicher Integration und Reproduktion von der Gesellschaft bereitzustellen sei. Das Recht auf Arbeit, wie es die Verfassungen der ehemaligen DDR garantieren wollten, zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Text. ({0}) Bezahlte, gesellschaftlich notwendige und nützliche Arbeit wird als wichtige Voraussetzung für soziale Anerkennung, Selbstwertgefühl und die Entfaltung der schöpferischen Fähigkeiten gesehen. Wer würde dem eigentlich nicht zustimmen? Wer will denn eigentlich bestreiten, daß Dauerarbeitslosigkeit bis zur Isolation und Krankheit führen kann? ({1}) Bestritten wird die objektiv durch Fakten historisch widerlegte Behauptung, dem beklagten Zustand der Arbeitslosigkeit könne mit dem im PDS-Antrag vorgeschlagenen Instrumentarium begegnet werden. Wie zu Zeiten der SED sieht die PDS den Staat in der Pflicht, durch Bewirtschaftung der angeblich knappen Arbeit, rigorose Umverteilung der Arbeit, Arbeitszeitverkürzung, Überstundenverbot, Beschäftigungsprogramme, Subventionen oder in staatlichen Unternehmen für garantierte Beschäftigung zu sorgen. Nach wie vor fehlt den Planfetischisten der PDS jedes Verständnis dafür, daß dauerhafte und im Gegensatz zu staatlich finanzierter Scheinbeschäftigung sinnvolle Arbeitsplätze weltweit nur in leistungs- und wettbewerbsfähigen Unternehmen entstehen und gesichert werden können. ({2}) Wir wollen eine solide marktwirtschaftliche Basis für mehr Beschäftigung, ertragsstarke wettbewerbsund zukunftsfähige mittelständische Unternehmen, ({3}) statt dauerhafter Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die die Entwicklung solcher Unternehmen auch noch wettbewerbsverzerrend behindern. ({4}) Natürlich ist der wirtschaftliche Aufbau in den neuen Bundesländern nicht so zügig vorangekommen, wie wir uns das alle gewünscht haben. Aber wir können schon mit einer gewissen Genugtuung feststellen, daß die Produktion inzwischen wieder das Niveau des zweiten Halbjahres 1990 erreicht, heute allerdings mit modernen Produktionsanlagen und wettbewerbsfähigen Produkten. Die Arbeitslosigkeit ist weiterhin entschieden zu hoch. Aber der negative Trend ist im letzten Jahr umgekehrt worden. ({5}) Die Zahl der Arbeitsplätze steigt, und die Beschäftigung lag im Januar dieses Jahres höher als im Vorjahr. Uwe LÜhr Mit Vorstellungen, wie sie in diesem Antrag formuliert sind und mit denen die PDS landauf, landab in den neuen Bundesländern für Stimmung sorgt, wird mit den berechtigten Sorgen der Menschen, vor allem der Menschen ohne Arbeitsplatz, zynisch gespielt. ({6}) Ihnen wird nämlich vorgemacht, es gäbe diese Alternativen für sie, wenn die Politik nur ihre Interessen ernsthaft aufnähme und diesen Vorschlägen folgte. Dabei sind das die alten Rezepte, mit denen die Vorgänger schon den Exitus der DDR-Wirtschaft verursacht haben. ({7}) Die F.D.P. will auch in Zukunft einen Sozialstaat, der den wirklich Bedürftigen hilft. Wir wollen neue, dauerhafte und wettbewerbsfähige Arbeitsplätze. Dazu setzen wir zuerst auf private unternehmerische Initiative, Know-how und innovative Technologien.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Lühr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bierstedt?

Uwe Bernd Lühr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001392, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, Herr Präsident. Ich bin gleich fertig. - Die F.D.P. will den attraktiven Lebensstandort Deutschland auch in Zukunft. Das ist mit dem Mottenkisteninstrumentarium der PDS nicht zu schaffen. Es ist sogar kontraproduktiv und schädlich. ({0}) - Ich werde das auch in Halle vortragen; damit habe ich überhaupt keine Probleme. ({1}) Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Machen Sie sich Sorgen um Ihre eigene Geschichte! Deshalb werden die Liberalen Ihren politischen Vorstellungen mit aller Entschiedenheit begegnen. Danke. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Die Kollegin Marieluise Beck ({0}) hat ihren Redebeitrag zu Protokoll gegeben.') Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/702 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind. - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich erinnere noch einmal an die Einladung zu der Gedenkveranstaltung am Freitag, dem 28. April, 12 Uhr. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 10. Mai 1995, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen; ich wünsche Ihnen einen schönen Restabend.