Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen und eröffne die Sitzung.
Zunächst begrüße ich unseren Kollegen Schemken - ich sehe ihn allerdings noch nicht -, an den sich die herzlichsten Glückwünsche zu seinem 60. Geburtstag richten, den er am 11. März gefeiert hat. Alles Gute!
({0})
Nun zu unserer Tagesordnung. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der PDS: Besteuerung von Flugkraftstoffen - Drucksache 13/102 2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Barbara Höll und der Gruppe der PDS: Ersetzen der Kilometerpauschale bei Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durch eine einheitliche Entfernungspauschale - Drucksache 13/734 3. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
- zu dem Schlußbericht der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre"
Mehr Zukunft für die Erde - Nachhaltige Energiepolitik für dauerhaften Klimaschutz - zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Klimaschutz - Erste Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention vom 28. März bis 7. April 1995 sowie Umsetzung des nationalen CO2-Minderungsprogramms
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Monika Ganseforth, Brigitte Adler, Dr. Liesel Hartenstein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zum Schlußbericht der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre"
Mehr Zukunft für die Erde - Nachhaltige Energiepolitik für dauerhaften Klimaschutz - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten
Michaele Hustedt, Gila Altmann ({2}), Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Schlußbericht der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre": Mehr Zukunft für die Erde - Nachhaltige Energiepolitik für dauerhaften Klimaschutz - Drucksache 12/8600, 13/232, 13/242, 13/260, 13/821 4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Annelie Buntenbach und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Grundsätze für eine EU-Entsenderichtlinie sowie eine nationale Regelung bis zu deren Realisierung - Drucksache 13/786 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Ludwig Elm und der Gruppe der PDS: Anpassungen der Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz an die Lebenshaltungskosten der Studierenden - Drucksache 13/784 6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Amke DietertScheuer, Angelika Beer, Cem Özdemir, Christa Nickels und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abschiebestopp für Kurden und syrisch-orthodoxe Christen aus der Türkei - Drucksache 13/737 7. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Respektvoller Umgang der Bundesregierung mit dem Deutschen Bundestag - Abschiebestopp für Kurdinnen und Kurden aus der Türkei - Drucksache 13/804 8. Wahl eines Mitglieds der Gruppe der PDS in den Gemeinsamen Ausschuß gemäß Artikel 53a des Grundgesetzes - Drucksache 13/731 9. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung zu den deutsch-tschechischen Beziehungen
10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Andrea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel, Steffen Tippach und der Gruppe der PDS: Verbesserung der deutschtschechischen Beziehungen - Drucksache 13/785 11. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Verbesserung der deutsch-tschechischen Beziehungen - Drucksache 13/805 12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Vera Lengsfeld und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neuregelung des Bundesbergrechts - Drucksache 13/787 Zugleich soll von der Frist für den Beginn der Beratung, soweit dies erforderlich ist, abgewichen werden.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß die Plenarsitzung am Freitag bereits um 8 Uhr beginnt und außerdem eine Reihe von Abstimmungen, teilweise namentliche, von Donnerstag auf Freitagvormittag verschoben werden sollen.
Darüber hinaus ist vereinbart worden, den Gesetzentwurf zur Anpassung arbeitsrechtlicher Bestimmungen an das EG-Recht, Tagesordnungspunkt 8, bereits heute ohne Debatte zu überweisen und die in
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Tagesordnungspunkt 12a enthaltene Beschlußempfehlung zur Unterrichtung der Bundesregierung zur Entwicklung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung abzusetzen. Ferner soll die Beratung des Tagesordnungspunktes 10 zu Rückübertragungsansprüchen im Beitrittsgebiet vor der Beratung des Tagesordnungspunktes 9, Vereinheitlichung des Bergrechts, aufgerufen werden.
Des weiteren mache ich auf die geänderte Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 24. Sitzung des Deutschen Bundestages am 9. März 1995 an den Finanzausschuß zur federführenden Beratung überwiesene nachfolgende Antrag soll nunmehr dem Haushaltsausschuß zur federführenden Beratung überwiesen werden. Der Finanzausschuß verzichtet auf eine Beteiligung:
- Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Schuldenverwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes - Drucksache 13/692 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß ({3}) Ausschuß für Wahlprüfung,
Immunität und Geschäftsordnung Ausschuß für Wirtschaft
Sind Sie mit den interfraktionellen Vereinbarungen und der geänderten Ausschußüberweisung einverstanden? - Das ist der Fall. Dann können wir so verfahren.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3a bis 3j und die Zusatzpunkte 1 bis 3 auf:
3. a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Klimakonferenz Berlin - Perspektiven für einen besseren Klimaschutz
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Müller ({4}), Anke Fuchs ({5}), Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Programm für Klimaschutz, Wirtschaftsmodernisierung und Arbeitsplätze in Deutschland
- Drucksache 13/187 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Umwelt 1994
Politik für eine nachhaltige umweltgerechte Entwicklung
- Drucksache 12/8451 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7})
Sportausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Dritter Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht
- Drucksache 12/8555 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({8})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für die Angelegenheiten der
Europäischen Union
e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Erster Bericht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland nach dem Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen
- Drucksache 12/8556 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({9})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
f) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Beschluß der Bundesregierung zur Verminderung der CO2-Emissionen und anderer Treibhausgasemissionen in der Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage des Dritten Berichts der Interministeriellen Arbeitsgruppe „CO2-Reduktion" ({10})
- Drucksache 12/8557 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({11})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für die Angelegenheiten der
Europäischen Union
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
g) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Michaele Hustedt, Gila Altmann ({12}), Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Internationaler Klimaschutz vor dem Klimagipfel in Berlin
- Drucksachen 13/143, 13/758 -
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Köhne, Dr. Gregor Gysi und der weiteren Abgeordneten der PDS Verbot des Neuanschlusses von Stromheizungen
- Drucksache 13/732 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({13})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michaele Hustedt, Gila Altmann ({14}), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Investitionsprogramm für Arbeitsplätze durch Klimaschutzmaßnahmen
- Drucksache 13/739 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({15})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuß
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Köhne, Dr. Gregos Gysi und der Gruppe der PDS
Wärmenutzungsverordnung ({16}) zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ({17})
- Drucksache 13/763 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({18})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
ZP1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der PDS
Besteuerung von Flugkraftstoffen
- Drucksache 13/102 ZP2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Barbara Höll und der Gruppe der PDS
Ersetzen der Kilometerpauschale bei Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durch eine einheitliche Entfernungspauschale
- Drucksache 13/734 - Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({19})
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuß
ZP3 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({20})
- zu dem Schlußbericht der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre"
Mehr Zukunft für die Erde - Nachhaltige Energiepolitik für dauerhaften Klimaschutz - zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.
Klimaschutz - Erste Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention vom 28. März bis 7. April 1995 sowie Umsetzung des nationalen CO2-Minderungsprogramms
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Monika Ganseforth, Brigitte Adler, Dr. Liesel Hartenstein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zum Schlußbericht der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre"
Mehr Zukunft für die Eree - Nachhaltige Energiepolitik für dauerhaften Klimaschutz - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Gila Altmann ({21}), Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN zu dem Schlußbericht der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre"
Mehr Zukunft für die Erde - Nachhaltige Energiepolitik für dauerhaften Klimaschutz - Drucksachen 12/8600, 13/232, 13/242, 13/ 260, 13/821 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Klaus Lippold ({22})
I forst Kubatschka Wolfgang Behrendt Michaele Hustedt Birgit Homburger
Zum Umweltbericht 1994 liegt ein Entschließungsantrag, zur Großen Anfrage zum internationalen Klimaschutz liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung drei Stunden vorgesehen. - Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Angela Merkel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ende des Monats werden wir in Deutschland Gastgeber für Delegationen aus allen Teilen der Erde sein. Es wird die erste Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention vom 28. März bis zum 7. April in Berlin stattfinden.
Wir freuen uns, daß uns die Vereinten Nationen die Ausrichtung dieser Konferenz übertragen haben. Ich möchte für die Bundesregierung ganz persönlich sagen, daß wir alles daransetzen werden, damit diese Konferenz ein Erfolg wird und sich die Menschen, die daran teilnehmen, bei uns wohlfühlen. Wir jedenfalls wollen gute Gastgeber sein. Ich fordere Sie alle auf, dabei mitzutun.
({0})
Die Einladung zu dieser Konferenz wurde bereits 1992 auf dem Gipfel in Rio von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl ausgesprochen. Inzwischen haben mehr als 120 Länder und die Europäische Union die Konvention ratifiziert. Die Konvention ist in Kraft getreten. Ich glaube, wir sind seit Rio ein gutes Stück vorangekommen, auch wenn der Prozeß für uns alle oft recht langsam vonstatten ging.
Meine Damen und Herren, was treibt uns eigentlich um, wenn wir über Klimaschutz sprechen? Warum ist dies ein so wesentliches Thema? Ich möchte Ihnen sagen: Ich halte das Thema des globalen Klimaschutzes für eines der wesentlichen Themen der Umweltpolitik.
({1})
Hier geht es um globale Herausforderungen. Wir haben in den letzten Jahrzehnten einen Anstieg der Temperatur um ungefähr 0,7 °C zu beobachten. Professor Hasselmann hat in Simulationsrechnungen nachgewiesen, daß diese Temperaturerhöhung mit 95%iger Wahrscheinlichkeit vom Menschen hervorgerufen wird.
In der internationalen Diskussion werden immer wieder Zweifel an diesen Erkenntnissen angemeldet. Ich sage: Wir können nicht warten, bis alle komplizierten wissenschaftlichen Zusammenhänge abschließend geklärt sind. Als Politiker sind wir zur Vorsorge verpflichtet. Deshalb ist es wichtig, daß wir Maßnahmen ergreifen, um die Klimaveränderungen zu stoppen.
({2})
Angefangen wurde in Rio mit der Klimarahmenkonvention. Klimaschutz ist - und das wissen Sie genauso wie wir - eine der zentralen Herausforderungen. Wir müssen fragen: Wie gehen wir mit unseren Ressourcen um, wie können wir die Konflikte zwischen Nord und Süd, zwischen Ost und West auf dieser Welt lösen? Deshalb zielt diese Herausforderung ins Zentrum unserer Lebensgewohnheiten, unserer Konsumgewohnheiten. Deshalb ist es nicht ganz so einfach, wie Sie uns manchmal glauben machen wollen.
Ein Land alleine kann im Zusammenhang mit dem globalen Problem Treibhauseffekt nahezu nichts ausrichten. Deshalb muß Klimaschutz in internationaler Zusammenarbeit stattfinden. Dort, wo internationale Zusammenarbeit stattfindet, wo 120 Nationen über weitere Schritte beraten, muß man einfach akzeptieren, daß alle gleichberechtigt am Verhandlungstisch sitzen und daß nicht der Schnellste das Gesamttempo bestimmen kann. Das ist nun einmal so.
Meine Damen und Herren, worum geht es in Berlin? In Rio de Janeiro sind die Staaten, die inzwischen die Klimarahmenkonvention ratifiziert haben, Verpflichtungen eingegangen. - Als Industrieländer haben sie sich verpflichtet, bis zum Jahr 2000 die Treibhausgasemissionen auf das Niveau von 1990 zurückzuführen. Jetzt stellt sich die Frage: Sind diese Verpflichtungen ausreichend und angemessen? Die Mehrzahl der Staaten sagt heute: Diese Verpflichtungen sind angesichts des Ziels, nämlich der globalen Erwärmung entgegenzuwirken, nicht angemessen. Deshalb können wir das Ziel der Konvention nur erreichen, wenn wir weitere Verpflichtungen eingehen.
Genau darum geht es jetzt: Wie können wir diese weiteren Verpflichtungen verbindlich verankern? Dazu muß ein ergänzendes Protokoll zur Konvention angefertigt werden. Auch wir wären froh, wenn ein solches Protokoll bereits in Berlin hätte unterzeichnet werden können. Ich sage das mit allem Nachdruck.
({3})
Uns liegt ein Entwurf der AOSIS-Staaten für ein Protokoll vor. Es liegt ein ergänzendes deutsches Elementepapier vor, das bei der UN verteilt wurde. Es hat sich jedoch herausgestellt, daß die internationale Staatengemeinschaft noch nicht bereit ist, in Berlin abschließend über diese Vorschläge zu beraten.
Es ist nun einmal so - ich sage das ganz besonders in Richtung der GRÜNEN -: Wenn in Berlin ein Protokoll gezeichnet werden soll, dann müssen mindestens 90 - wenn nicht alle - Staaten der Konvention dazu bereit sein. Ansonsten ist dies völkerrechtlich nicht möglich. Ich sage Ihnen: Auch durch Polemik setzen Sie völkerrechtliche Verträge und völkerrechtliche Gewohnheiten nicht außer Kraft.
({4})
Hören Sie deshalb auf, in Ihren Anträgen Dinge zu fordern, die schlicht und ergreifend nicht realisierbar sind!
Wie gesagt: Eine Protokollunterzeichnung kann nur stattfinden, wenn sich - je nach Abstimmungsmodus - mindestens 80 oder 90 Staaten auf einen Protokolltext einigen. Das ist leider nicht zu erwarten. Deshalb wird es das Ziel der Berliner Konferenz sein, festzulegen, daß wir ein Mandat für solche Protokollverhandlungen verabschieden. Diese ProtoBundesministerin Dr. Angela Merkel
kollverhandlungen müssen aus unserer Sicht im Jahre 1997 auf der dritten Vertragsstaatenkonferenz abgeschlossen sein. Das Mandat muß umfassend sein, also die verschiedenen Bereiche abdecken. Es muß Ziele und Zeitvorgaben enthalten. Auch muß festgelegt werden, daß die Protokollverpflichtungen überprüft und fortentwickelt werden.
Aus Sicht der Bundesregierung und aus Sicht der Europäischen Union wäre es wünschenswert, wenn zusätzlich zu einem solchen Mandat von den Industrieländern der Beschluß gefaßt würde, auch nach dem Jahr 2000 die CO2-Emissionen zu stabilisieren, also nicht wieder ansteigen zu lassen. Meine Damen und Herren, es wird oft behauptet, dies sei bereits Inhalt der Konvention. Das ist nicht so. Es gibt keine Verpflichtung der Industrieländer hinsichtlich der CO2-Emissionen für die Zeit nach dem Jahr 2000, und deshalb wäre ein solcher Stabilisierungsbeschluß dringend notwendig.
Ich bin sehr froh, daß es gelungen ist, die Europäische Union als Gesamtheit zu einem solchen Beschluß zu bewegen. Auch freue ich mich, daß wir diesen Beschluß bei der Vorbereitung der Konferenz in Berlin - jetzt unter französischer Präsidentschaft - im letzten Umweltministerrat bekräftigt haben. Meine Damen und Herren, wir sind in der Europäischen Union weit und breit die einzigen, die im Augenblick einen solchen Stabilisierungsbeschluß mittragen würden. Das finde ich zwar prima, aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß andere Industrieländer dazu nicht bereit sind.
Ich war kürzlich in den Vereinigten Staaten, ich habe mit kanadischen, australischen und vielen Vertretern anderer Industrieländer gesprochen. Sie alle sind für Protokollverhandlungen, für inhaltliche Aussagen im Jahr 1997. Jetzt sehen sie sich dazu außerstande. Deshalb bitte ich Sie: Erstens: Setzen Sie Ihre eigenen internationalen Kontakte dafür ein, daß der Diskussionsprozeß in Gang bleibt;
({5}) lassen Sie uns das nicht allein tun.
({6})
- Herr Fischer, wir tun das gern, und wir machen genug.
({7})
Ich sage Ihnen nur: Statt die Kraft in Polemik zu stekken, sollten Sie lieber etwas Konstruktives tun.
({8})
Da werden Ihre internationalen Kontakte wirklich dringend benötigt. - Zweitens: Lassen Sie uns redlich bleiben in der allgemeinen Argumentation,
({9})
lassen Sie sich nicht in Fragen, die wir nicht beeinflussen können, auf Polemik ein!
({10})
Meine Damen und Herren, wir halten die sogenannte gemeinsame Umsetzung der Klimarahmenkonvention für ein gutes Instrument der Klimarahmenkonvention. Joint implementation ist sowohl von der Enquete-Kommission als auch vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für globale Umweltfragen untersucht worden. Joint implementation fördert Technologietransfer und ermöglicht, Projekte in Entwicklungsländern und in anderen Ländern, z. B. auch in Mittel- und Osteuropa, kosteneffizient umzusetzen. Dort ist der Effekt der CO2-Minderung oft größer, als bei Einsatz der gleichen Mittel bei uns. Das ist das Prinzip, und ich halte dies für ein gutes Prinzip.
({11})
Aber, meine Damen und Herren, diese Konzept stößt auf mancherlei Bedenken der Entwicklungsländer. Gerade weil die Bereitschaft zu einer Stabilisierungsverpflichtung bei manchen Industrieländern schwach ausgeprägt ist, sagen uns die Entwicklungsländer: Wir mißtrauen diesem Instrument. Ich denke, wir müssen diese Bedenken ernst nehmen und versuchen, sie zu überwinden.
Auch die Entwicklungshilfepolitik der Bundesregierung ist darauf ausgerichtet, eine Vertrauensbasis zu schaffen, Grundlagen für eine Zusammenarbeit auch im Klimaschutz zu legen. Sie setzt dabei u. a. darauf, Institutionen zu entwickeln, Regierungen und Industrie zu beraten, Know-how zu transferieren, Technologie bereitzustellen. Dies entspricht den Erwartungen dieser Länder. Sie wollen nicht nur finanzielle Förderung, sondern sie wollen auch an unseren Erkenntnissen teilhaben.
Die Bundesregierung beteiligt sich außerdem am Finanzierungsinstrument für globale Umweltaufgaben, an der sogenannten Globalen Umweltfazilität, mit mehr als 10 %. Von den zwei Milliarden US-Dollar, die bereitstehen, finanzieren wir 240 Millionen Dollar. Ich denke, das ist ein richtiger, wichtiger und guter Beitrag.
Meine Damen und Herren, jeder, der sich an den Gipfel in Rio erinnert, wird wissen, daß die Bundesregierung sich schon bei der Verhandlung der Konvention sehr engagiert hat. Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hat dort eine einflußreiche Rolle gespielt, Klaus Töpfer war treibende Kraft bei allen Vorbereitungen.
({12})
Ich denke, dies wissen Sie ebensogut wie wir, aber Sie können es natürlich nicht würdigen.
Wir haben auch bei der Vorbereitung der jetzt bevorstehenden Konferenz international eine führende Rolle gespielt, sei es bei den Vorbereitungsverhandlungen in New York, sei es in der Europäischen
Union, sei es bei sonstigen bilateralen und multilateralen Begegnungen. Wir konnten auf Grund dieser aktiven Haltung in den internationalen Verhandlungen eine ganze Reihe von Erfolgen erzielen. Ich denke, gerade die in vergangenen Wochen erzielte Position der Europäischen Union für die Klimakonferenz in Berlin ist ein ganz wesentlicher Schritt. Die Tatsache, daß wir als Europäische Union mit einem ausgezeichneten und vernünftigen Verhandlungsmandat gemeinsam in die Verhandlungen gehen, wird eine wichtige Grundlage für die Beratungen auch mit den übrigen Industriestaaten sein.
Ich möchte mich bei allen Vertretern der Bundesregierung, insbesondere beim Bundeskanzler, für die Unterstützung herzlich bedanken. Nur gemeinsam kann man die internationalen Herausforderungen bestehen.
({13})
Die Bundesrepublik bewirbt sich um den Sitz des Ständigen Sekretariats der Klimarahmenkonvention. Ich meine, es wäre ein gutes Zeichen, wenn wir diese UN-Behörde bei uns in Bonn ansiedeln könnten. Wir werden uns in Berlin darum bemühen, obwohl wir mit Genf und anderen Städten starke Konkurrenten haben. Ich hoffe, uns eint das Bestreben, das Ständige Sekretariat der Klimarahmenkonvention hier anzusiedeln.
({14})
Globales Denken und internationales Handeln müssen sich natürlich im nationalen Handeln widerspiegeln. Die Bundesrepublik trägt weltweit nur mit 4 % zu den CO2-Emissionen bei. Meiner Meinung nach haben wir als führendes Industrieland die Verpflichtung, mit gutem Beispiel voranzugehen. Ich denke, wir haben uns mit unserem CO2-Minderungsbeschluß ein klares Ziel gesetzt: 25 bis 30 % angestrebte CO2-Minderung bis zum Jahre 2005 auf der Basis von 1987. Jeder, der sich in der Materie auskennt, weiß, daß dies ein ehrgeiziges Ziel ist.
({15})
Ich sage ganz deutlich: Wir stehen zu diesem Ziel! Vielleicht sagen Sie es, meine Damen und Herren von der SPD, auch Ihrem Parteivorsitzenden noch einmal, der keine Zeit hat, heute hier teilzunehmen, aber morgen wahrscheinlich wieder ausführlich die Bundesregierung beschimpfen wird.
({16})
Wir stehen zu diesem Ziel und werden alles tun, um es einzuhalten.
Die Enquete-Kommission hat die Grundlagen geschaffen, um wissenschaftlich fundiert und vernünftig die richtigen Maßnahmen zu benennen und einzuleiten. Ich muß sagen: Wenn ich die Beschlüsse der Enquete-Kommission lese, stelle ich fest, daß im Grundsatz zwischen Opposition und Regierungsfraktionen Einigkeit über die Art des Vorgehens besteht. Man ist sich einig, daß es sich um ein Bündel von sehr verschiedenen Aktivitäten handeln muß. Deshalb wundere ich mich, daß man in der Detaildiskussion den Eindruck gewinnt, hier bestünden völlig andere Vorstellungen.
Wir haben in drei Kabinettsbeschlüssen mehr als 100 Maßnahmen verabschiedet; 90 sind bereits realisiert. Ich will folgende nennen: Die Wärmeschutzverordnung vermindert den Energiebedarf von Gebäuden. Die Heizungsanlagen-Verordnung und die Kleinfeuerungsanlagenverordnung bringen moderne Heiztechnik in die Haushalte. Wir gewähren zinsbegünstigte Kredite im Rahmen der ERP-Programme. Diese führen gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen dazu, daß energiesparende und ressourcenschonende Verfahren eingeführt werden. Es gibt Steuervorteile für die Kraft-Wärme-Kopplung und andere Instrumente. Wir werden genau diesen Weg weiter beschreiten. Wir werden aber auch über neue Instrumente nachdenken.
In der vergangenen Woche, am 10. März, hat uns die deutsche Wirtschaft erklärt, daß sie angesichts der Berliner Klimakonferenz besondere Anstrengungen unternehmen wird, um ihre CO2-Emissionen zu reduzieren. Bis zum Jahre 2005 will die Wirtschaft die spezifischen CO2-Emissionen erheblich - zu einem großen Teil um 20 % und mehr - reduzieren.
Ich nenne zwei Beispiele, die mir besonders eindrucksvoll erscheinen. Das eine ist die Verpflichtung der deutschen Elektrizitätswirtschaft: Sie will bis zum Jahre 2015 ihre CO2-Emissionen um 130 Millionen t vermindern. Wer sich auskennt und weiß, daß wir heute pro Jahr CO2-Emissionen von rund 900 Millionen t haben, der weiß auch, daß 130 Millionen t ein erheblicher Beitrag sind. Das andere Beispiel: Allein für den Bereich der privaten Haushalte und des Kleinverbrauchs sagt uns die Gaswirtschaft bis zum Jahre 2005 eine CO2-Minderung von 30 bis 40 Millionen t zu.
Meine Damen und Herren, der Verband der Chemischen Industrie hat uns für die nächsten fünf Jahre eine Reduktion seiner CO2-Emissionen von 48 auf 45 Millionen t zugesagt. Viele haben gesagt: Das ist doch überhaupt kein nennenswerter Beitrag. Ich möchte dies etwas einordnen: Der Zusage liegt ein jährliches Wirtschaftswachstum von 2,6 % zugrunde. Das bedeutet trotz rund 15 % Wachstum in fünf Jahren 6 % absolute CO2-Reduktion in einem sehr energieintensiven Bereich. Ich finde, das ist eine belastbare, meßbare Zusage, mit der wir erst einmal arbeiten können.
({17})
Was für mich bei dieser Zusage von ganz besonderer Wichtigkeit war, ist die Bereitschaft der Industrie, in regelmäßigen Abständen das Monitoring, d. h. die Beobachtung, die Überprüfung der Zusagen, zuzulassen. Damit haben wir die Möglichkeit, zu verfolgen, wie die CO2-Emissionen wirklich reduziert werden.
Meine Damen und Herren, ein Instrument ist doch nicht nur deshalb schlecht, weil es keine Verordnung und kein Gesetz ist.
({18})
Ich bin der Meinung, daß wir diesen Weg weitergehen sollten, daß wir ihn aber kritisch beobachten sollten. Wir haben ganz klar gesagt: Wenn die Zusagen so eintreffen, wie sie gegeben wurden, wenn sie beobachtbar sind, wenn die Zahlen offengelegt werden, dann können wir zunächst bei diesen Wirtschaftsbereichen auf zusätzliche Verordnungen verzichten. Das ist richtig.
({19})
Wir haben aber auch gesagt: Wenn die Zusagen nicht eingehalten werden, werden wir dies durch staatliches Handeln regeln. Auch das ist richtig.
({20})
- International gibt es eine solche umfassende Verpflichtung von Wirtschaftszweigen nicht. Ich glaube, wir gehen einen vernünftigen und guten Weg. Sie sollten sich sehr gut überlegen, ob Sie das ins Lächerliche ziehen oder ernst nehmen. Es könnte nämlich sein, daß auch Sie dazu einmal Rede und Antwort stehen müssen. Ich verbitte mir jedenfalls, daß Sie in diesem Zusammenhang von „Kuhhandel" sprechen. Ich halte es für einen neuen, vernünftigen Weg, den man durchaus gehen kann.
({21})
Wir wissen, daß ganz wesentliche Reduktionspotentiale im Gebäudebestand vorhanden sind. Deshalb werden wir im Gebäudebestand mehr unternehmen. Die Bundesregierung wird ein entsprechendes Förderprogramm auflegen. Wir werden zinsvergünstigte Kredite vergeben, um Wärmedämmung im Gebäudebestand anzustoßen und Heizungsanlagen zu modernisieren. Ich denke, dies ist ein guter, komplettierender Schritt zu dem, was uns die deutsche Wirtschaft mit Selbstverpflichtung im Vorfeld der Konferenz erklärt hat.
Natürlich sind im Zusammenhang mit CO2-Emissionen weitere Bereiche von wesentlicher Bedeutung. Ich möchte hier die Landwirtschaft nennen, die durch ihre Forstpolitik dafür sorgt, daß Wälder als CO2-Senke Kohlenstoff in Biomasse binden.
Ich möchte ganz besonders den Verkehrsbereich nennen. Die Reduktionsverpflichtungen sind hier im Einzelfall nicht einzuhalten, weil der Verkehrsbereich massiv wächst. Aber wir werden durch Verhandlungen mit der Autoindustrie dafür sorgen, daß die Anstiege der CO2-Emissionen in den nächsten Jahren begrenzt werden.
({22})
Und wenn dann gesagt wird, damit sei unser Reduktionsziel nicht zu erreichen, möchte ich ganz klar entgegnen: Mit Reduktionspotentialen im industriellen Bereich, im Gebäudebestand, und gleichbleibenden Emissionen im Verkehrsbereich kann das Gesamtziel der Bundesregierung erreicht werden. Man sollte nicht so tun, als wenn dies nicht gelingen kann.
Ich bin jedenfalls optimistisch, obwohl ich weiß, daß wir noch sehr viel Arbeit vor uns haben und in den nächsten Jahren weitere Maßnahmen in den jeweiligen Politikbereichen erfolgen müssen.
Wie steht es mit den Emissionen? - Seit 1987 haben wir eine Reduktion der CO2-Emissionen um rund 15 %. Es wird sehr häufig gesagt, dies sei nur das Ergebnis der Entwicklungen in den neuen Bundesländern. Ich möchte dazu an dieser Stelle sagen: Sicherlich ist ein Großteil der Reduzierung der CO2-Emissionen dadurch zustande gekommen, daß in den neuen Bundesländern ein gewaltiger Umstrukturierungsprozeß stattgefunden hat.
({23})
- Ja, Frau Fuchs, ich habe einen solchen Zuruf schon erwartet.
({24})
- Nein, es ist auch nichts plattgemacht worden. Es sind Anlagen geschlossen worden, die gerade mit Blick auf die Energieeffizienz in großem Maße unökonomisch und aus umweltpolitischer Sicht unakzeptabel waren.
({25})
Dafür sind die Menschen uns heute noch dankbar. Das muß man klar sagen. Wenn wir heute neue Kraftwerke bauen und neue Anlagen mit höherem Wirkungsgrad errichten, dann ist dies genau der Schritt, den wir brauchen. Wir sind in dieser Frage in den neuen Bundesländern inzwischen Spitzenreiter in Deutschland. Dafür sind wir dankbar.
Meine Damen und Herren, schauen Sie sich nur einmal an, was in den neuen Bundesländern im Bereich der Heizungsanlagen in Eigenheimen und Wohnungen vonstatten gegangen ist: In riesigem Umfang haben Wohnraummodernisierungsprogramme gewirkt. Zinsgünstige Kredite in Höhe von 60 Milliarden DM wurden vergeben. Es gibt ein Sanierungsprogramm für die Fernwärmeversorgung. Es gibt fast niemanden mehr, der noch seine alte Heizung hat. Wer einmal in der früheren DDR gelebt und die alten Braunkohleöfen beheizt hat, weiß natürlich ganz genau, welch einen Fortschritt dies bedeutet, auch im Bereich des Umweltschutzes. Ich sage Ihnen voraus: Wir werden in wenigen Jahren erleben, wie sich die mittlere Lebensdauer im Raum Bitterfeld genau wegen dieser Maßnahmen erhöht und wie die Bronchitiserkrankungen von Kindern zurückgehen.
({26})
Deshalb ist es - ich sage es einmal ganz freundlich - etwas lieblos, wenn Sie im Zusammenhang mit der deutschen Einheit von Mitnahmeeffekten sprechen.
({27})
Meine Damen und Herren, auch in den alten Bundesländern hat sich die CO2-Emission pro Kopf in den letzten Jahren verringert, und dies ist angesichts des von uns angestrebten Zieles ein Erfolg.
({28})
- Sie hat sich von 11,7 t pro Einwohner auf 11,1 t pro Einwohner verringert.
({29})
- Das ist in einem hochindustrialisierten Land durchaus nicht so einfach zu erreichen.
Hinzu kommt allerdings, daß die alten Bundesländer heute vier Millionen Einwohner mehr haben als im Jahre 1987, davon eine Million Einwohner aus den neuen Bundesländern. Genau deshalb erscheint unser Erfolg in den alten Bundesländern noch nicht so, daß wir sagen könnten, wir hätten unsere Verpflichtungen schon erfüllt. Wir müssen weiter arbeiten. Aber es macht überhaupt keinen Sinn, daß wir uns ständig in pessimistischen Voraussagen überbieten. Vielmehr müssen wir zielstrebig und kontinuierlich unser Maßnahmepaket umsetzen. Dann werden wir auch etwas schaffen.
Meine Damen und Herren, wir haben im Bereich der FCKW-Emissionen und der Reduktion von Halonen in Zusammenhang mit dem Ozonloch in der Bundesrepublik Deutschland Erhebliches geleistet.
({30})
Man kann dies als eine Erfolgsstory bezeichnen. Wir waren das erste Land der Welt, das es geschafft hat, FCKW-Produkte vom Markt zu verbannen. Das kann man doch einmal ganz ruhig sagen. Ich behaupte doch gar nicht, daß wir damit genug getan hätten. Ich sage nur, daß dies mir Mut gibt.
({31})
Daß wir auch hinsichtlich der CO2-Emissionen die Möglichkeit haben, bei konsequentem Handeln Erfolge zu erringen, dies sollten wir der Welt deutlich machen, wenn wir in Berlin tagen. Wir sollten zielstrebig verhandeln und international wie national unseren Weg weitergehen.
Zum Schluß bitte ich Sie noch einmal: Lassen Sie uns gute Gastgeber sein, damit die Konferenz ein Erfolg wird, damit die Menschen auf dieser Erde und bei uns in der Bundesrepublik Deutschland ermutigt werden, etwas für den Umwelt- und Klimaschutz zu tun. Denn wir werden es nur schaffen, wenn jeder mitmacht!
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Bevor wir die Debatte fortsetzen, meine Damen und Herren, möchte ich auf der Ehrentribüne den Parlamentspräsidenten der Republik Jemen, Sheikh Al-Ahmer, recht herzlich begrüßen, der dort mit seiner Delegation Platz genommen hat.
({0})
Sie sind bei Ihrem Besuch in intensiven Gesprächen sowohl in Bonn als auch in Berlin, und ich möchte Ihnen auch von dieser Stelle aus sagen, gerade wir haben gestern erneut die Intensivierung der parlamentarischen Beziehungen bekräftigt vor allem auf dem Hintergrund eines Landes, das langjährige Teilung auch mit unserem Land verbindet. Ich wünsche Ihnen gute Gespräche und eine gute Entwicklung unserer Beziehungen.
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Als nächste spricht jetzt die Kollegin Anke Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat möchte man im Vorfeld eines wichtigen Weltgipfels gemeinsam mit der Regierung an einem Strang ziehen.
({0})
Ich hätte mir gewünscht, wir könnten das auch wirklich tun, Herr Kollege. Aber die Schönrederei von Frau Merkel heute morgen macht die Zustimmung zu ihrem Referat sehr schwierig.
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Es gibt zu viele Versäumnisse.
Ich will dennoch zur Sache reden und sozusagen erst im zweiten Teil - ({2})
- Ja, das kennen Sie von mir. Ich muß natürlich die Bundesregierung auch kritisieren, wo wir mit Recht etwas zu kritisieren haben.
Frau Merkel, Papier ist ja wirklich geduldig. Wenn Sie sagen, wir seien insgesamt ein gutes Stück vorangekommen, dann frage ich mich: wohin eigentlich, womit eigentlich? Was haben Sie eigentlich gemacht? Ich will nachher noch erläutern, daß gute Worte nicht mehr ausreichen. Ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland ist aufgefordert, Vorreiter zu sein,
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auf diesem Gebiet etwas zu wagen und sich in internationalen Gremien auch durchzusetzen und das einzuhalten, was sie versprochen hat.
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Sie hat nicht eingehalten, was sie versprochen hat, und das ist sehr bedauerlich. Das Thema „globale Klimafragen" und das Thema „Umweltzerstörung" sind die wichtigsten Themen, die wir hier alle miteinander in den nächsten Jahren auf die Hörner nehAnke Fuchs ({5})
men müssen. Wir kennen in der Zwischenzeit die Fakten, und wir kennen in der Zwischenzeit die Auswirkungen. Ich bin mit Ihnen einig, Frau Merkel: Es geschieht auch eine ganze Menge.
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- Es ist schließlich nicht so, daß einer das Patentrezept hat und die anderen überhaupt nichts getan haben. Aber die Frage ist eigentlich: Wie kann das Gott sei Dank inzwischen gewachsene gesellschaftliche Bewußtsein so umgesetzt werden, daß nun auch eine Bundesregierung konsequent und entschlossen handelt, damit das, was die Menschen von der Politik erwarten, in diesem Lande auch wirklich geschieht? Das ist doch das Defizit!
Schauen Sie sich um: Die Menschen wollen, daß gegen Umweltverschmutzung etwas getan wird. Die Kommunen bemühen sich doch. Wir haben im „Spiegel" gelesen, was unsere Kollegin Beate Weber in Heidelberg zustande bringt. Ich kann noch viele andere Kommunen nennen, die sich bewegen, die eine Menge tun. Von daher stehen wir nicht am Anfang dieser Entwicklung. Aber es fehlt das entschlossene Handeln, weil diese Regierung immer wieder vor Interessen einknickt und nicht konsequent genug den ökologisch und ökonomisch sinnvollen Weg der ökologischen Erneuerung geht. Darum geht es doch.
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Das ist mir klargeworden, als wir im letzten Sommer über den Sommersmog diskutiert haben. Da habe ich gedacht: In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Da verbieten wir den Kindern, draußen zu spielen, aber das Autofahren geht weiter wie bisher. Hier muß man ansetzen. Es kann doch nicht wahr sein, daß wir eines Tages unseren Kindern sagen: Bleibt drin! Aber das Autofahren darf weiter so viel und so schnell geschehen, wie es dem einzelnen paßt.
Ein Beispiel dafür, wie konsequentes Handeln geschehen muß: Man muß an den Ursachen etwas tun, statt den Menschen zu sagen: Bleibt doch drin, die Sonne ist schädlich, spielt gefälligst nicht mehr auf dem Kinderspielplatz! - Das können wir uns nicht mehr leisten, meine Damen und Herren.
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Hier geht es darum, daß wir uns im klaren darüber sind, daß die Menschen, die Bevölkerung, die Männer und Frauen, die Bürgerinnen und Bürger - welche immer Sie wollen - von uns erwarten, daß entschlossen gehandelt wird.
Nun komme ich auf den Gipfel von 1992 zurück. Ich glaube, daß wir damals alle hoffnungsfroh waren. Der Bundeskanzler hat eine Rede gehalten und hat versprochen, 0,7 % des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe auszugeben. Was ist daraus geworden? Ich glaube, wir sind bei 0,36 %. Das ist unser Vorwurf, meine Damen und Herren. Sie machen große Sprüche. Sie tun so, als ob Sie wirklich etwas verändern wollten. Aber wenn es darum geht, konkret zu handeln, bleibt die Bundesregierung dünn, tut nichts Gescheites. Das ist unser Vorwurf im Vorfeld der Folgekonferenz, die in Berlin stattfinden wird.
Wir haben doch erlebt, was auf dem Gipfel in Kopenhagen passiert ist. Ich nehme ganz bewußt diesen Gipfel als Beispiel, um zu sagen: Wer sich nicht einmal bei der Bekämpfung der Armut zum Ziel von 0,7 % bereit erklärt, der wird auch in der Umweltpolitik zögerlich bleiben, weil die eigenen Interessen, insbesondere die unserer Industrie und Unternehmen, wichtiger sind als Veränderungen im Bewußtsein und in der Weltpolitik. Das ist der Vorwurf, den wir dieser Regierung zu machen haben.
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Sie haben beim Gipfel von Rio große Versprechungen gemacht, aber dann passierte in der Bundesrepublik überhaupt nichts. Noch 1990 wurde gesagt: Jetzt machen wir etwas. - Wenn man sich die Koalitionsvereinbarung ansieht, stellt man fest: Diese Bundesregierung hat nur ein Ziel festgeschrieben, aber neue, präzise Daten sind in der Koalitionsvereinbarung nicht enthalten. Doch Umweltschutz und Sozialstandards werden als Protektionismus verachtet. Deswegen, meine Damen und Herren, hat hier ein Wechsel stattgefunden: weg von den Versprechungen der Klimakonferenz in Rio, zurück zur Abhängigkeit von wirtschaftlichen Interessen. Dies ist ein fataler Weg.
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Die Gesellschaft hat gelernt, daß Ökonomie und Ökologie kein Gegensatz mehr sind. Wir haben unser Programm für Klimaschutz, Wirtschaftsmodernisierung und Arbeitsplätze in Deutschland in Form eines Antrags vorgelegt, über den es heute auch zu beraten gilt. Meine Kolleginnen und Kollegen werden dazu noch Ausführungen machen. Ich glaube, dies ist der andere Teil, den ich insbesondere im Hinblick auf die F.D.P. noch einmal verstärken möchte: Wir haben doch miteinander gelernt, daß Ökonomie und Ökologie kein Gegensatz sind. Sie haben das mühsamer als wir gelernt - aber auch für uns war es mühsam genug -, daß das Feld der Umwelttechnologie, der modernen Umweltprodukte ein Exportschlager ist.
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Wir sehen sogar, daß diese Sektoren florieren. Dann lassen Sie uns doch endlich uns dazu bekennen, daß ökonomisch nur vernünftig sein kann, was auch ökologisch vernünftig ist. Tun wir nicht immer noch so, als ob das ein Gegensatzpaar wäre. Es sind zwei Seiten derselben Medaille. Nur wenn man die
Anke Fuchs ({12})
Industriegesellschaft ökonomisch und ökologisch modernisiert, erwächst daraus etwas für den Klimaschutz. Wir schaffen zugleich Arbeitsplätze, die wir dringend brauchen, meine Damen und Herren.
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Frau Merkel hat gesagt - das habe ich heute morgen in den Nachrichten so gehört -: Die Bundesregierung strebt an, daß es eine Vereinbarung gibt. Ich finde, da hätten Sie im Vorfeld auf eigene Faust mehr powern müssen, Frau Merkel.
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Es kann nicht angehen, daß man sagt: Ein Protokoll kriege ich nicht zustande; ich nenne das jetzt anders: Elementepapier.
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Dann kommen die kleinen Inselstaaten und bitten um Unterstützung, um Mitunterschreiben ihrer Anträge. Sie sagen heute, Sie wollen versuchen, das hinzubekommen. Aber ich frage mich: Warum kann die Bundesregierung als Gastgeber eigentlich nicht sagen: Wir bringen diese Anträge mit ein;
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wir legen ein Protokoll vor; wir lassen darüber beraten; wir lassen darüber abstimmen; wir, die Deutschen, wollen Vorreiter sein und als Gastgeber nicht nur im Essen und Trinken, sondern auch in der Frage, welchen Erfolg wir diesem Gipfel zutrauen, vorbildlich sein?
Ich fand es sehr fatal, daß Frau Merkel, begleitet durch die Presse, im Vorfeld den Eindruck erwecken konnte: Diese Konferenz bringt gar nichts; wir kriegen da gar nichts hin; es ist alles ganz schrecklich; die Staaten machen nicht mit. - Nein, das ist kein entschlossenes Handeln einer Regierung. Hier hätte die Bundesregierung im Vorfeld mehr powern müssen, meine Damen und Herren. Das kann man von dieser großen Nation so erwarten.
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- Ich weiß, daß Sie immer Geifern für Politik halten, Herr Kollege. Es war ziemlich albern, was Sie da eben gesagt haben.
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Denn ich füge jetzt hinzu: Mir ist bewußt, daß internationale Konferenzen ihre eigene Dynamik haben.
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Ich will Frau Merkel nicht allein die Verantwortung dafür geben.
Aber es ist doch ein Unterschied, Herr Kollege, ob ich vor einer Konferenz wirklich nachhaltig alles tue, damit sie zu einem Erfolg wird, oder ob ich schon im Vorfeld die Erwartungen so niedrighänge, daß man ganz kleinmütig hingeht, weil man gar nicht mehr erwarten kann, daß diese Konferenz zu einem Erfolg wird.
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Nein, hier fehlt auch der nachdrückliche Wunsch, etwas zustande zu bringen, meine Damen und Herren. Wie können Sie sich sonst erklären, daß die Anträge nicht eingebracht worden sind, daß man sich im Vorfeld nicht zu sagen getraut hat: Wir Deutschen werden z. B. die kleinen Inselstaaten unterstützen, weil sie um das Überleben kämpfen; wir werden versuchen, den Interessenausgleich mit den anderen Nationen zu erreichen?
Dann kommt rechtzeitig vor dem Gipfel die Selbstverpflichtung der Industrie. Schauen Sie sich das Papier einmal ganz genau an. Jede Branche darf die für sie spezifischen Emissionen reduzieren. Sie verpflichten sich, bis zum Jahre 2005 bis zu 20 % - d. h. nicht unbedingt 20 % - zu reduzieren. Dann kommt der Satz, der typisch ist: Die Wirtschaft geht davon aus, daß ordnungsrechtliche und fiskalische Maßnahmen unterbleiben.
Meine Damen und Herren, da bleibt ein fader Beigeschmack. Das riecht danach: Selbstverpflichtung ja, aber nur, wenn der Staat nicht mehr handelt. - Nein, das ist kein Ersatz für die Setzung von Rahmenbedingungen durch den Staat. Der Staat muß hier handeln. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie sich nicht auf diesem Papier der Industrie ausruhen, sondern die Aufgaben, die Politik zu erledigen hat, erfüllen.
Dazu gehört aus meiner Sicht: Wer die ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft will, wer weiß, daß sich die Zukunft von Industriearbeitsplätzen mit dem Klimaschutz paart, der muß mit uns den Weg einer ökologischen Steuerreform gehen. Ich weiß, daß es da Ecken und Kanten, Haken und Ösen gibt. Aber wenn wir nicht miteinander darüber nachdenken, wie wir aus dem Teufelskreis herauskommen, der darin besteht, daß Arbeit immer teurer wird und Umweltverschmutzung geschehen darf, ohne daß dafür der entsprechende Preis bezahlt wird, dann werden wir den Aufgaben, die auf dem Gipfel formuliert werden sollen, nicht gerecht. Wir werden insbesondere unseren Aufgaben in unserem Lande, für unsere Menschen nicht gerecht.
Deswegen bin ich dafür, daß wir das Thema der ökologischen Steuerreform als das Projekt, das die ökologische Modernisierung der IndustriegesellAnke Fuchs ({21})
schaft zum Ziele hat, so aufgreifen, daß darüber baldigst parlamentarisch beraten werden kann. Dann werden wir sehen, wie weit wir uns annähern können und ob es Chancen gibt, in diesem Bereich gemeinsam ein Stück voranzukommen, wenigstens mehr, als es heute morgen nach der Rede von Frau Merkel der Fall ist.
Ich komme zum Abschluß und sage, meine Damen und Herren: Es gibt viele Worte; aber bei internationalen Verpflichtungen wird nicht mit Nachdruck verhandelt. Es war sogar so, daß wir Unterstützungen, die wir zugesagt hatten, nicht einhalten konnten, weil die Delegation gar nicht anwesend war, als ein Papier verabschiedet wurde.
Es ist wohl auch richtig, daß andere Länder, wie Norwegen und Dänemark, mit uns zusammen etwas einbringen wollen, die Bundesregierung hierzu aber geschwiegen hat.
Ich denke, die törichten Bemerkungen von Frau Merkel vor dem Gipfel, dieser Gipfel werde keine vernünftigen Ergebnisse zeitigen, werden ihm den Schwung nehmen, den er dringend braucht.
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Ich hätte mir gewünscht, wir hätten heute sagen können: Der Schwung ist da. Die Klimakatastrophe wird von allen, insbesondere von der Bevölkerung, als das drohende Problem gesehen, das es nachhaltig anzugehen gilt. Dann hätten wir sagen können: Frau Merkel, wir unterstützen Sie.
So aber war es wieder zuviel Lobpreisung, zuviel Selbstlob.
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Das ist verhängnisvoll in einer Situation, in der Sie hätten bescheidener auftreten und im Vorfeld der Konferenz mehr kämpfen müssen. Ich bedauere das.
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Es mag ja sein, daß Berlin als gastgebende Stadt seiner Rolle gerecht werden wird. Wir hoffen noch immer, daß sich aus der heutigen Debatte die eine oder andere Anregung für die Bundesregierung ergibt; denn es muß das Ziel sein, in Berlin ein verbindliches Protokoll mit konkreten Mengen- und Zeitzielen zur Verringerung der Treibhausgase zu verabschieden. Parallel dazu muß die Bundesregierung ihre eigenen Ankündigungen zum Klimaschutz umsetzen. Auch daran hat es heute morgen wieder gefehlt.
Wenn Sie mich fragen, was wir einzubringen haben
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- wir sind im ersten Teil der Debatte -, dann sage ich
Ihnen: Wir haben, Herr Kollege, zu diesem Thema
unseren Antrag „Programm für Klimaschutz, Wirtschaftsmodernisierung und Arbeitsplätze in Deutschland" eingebracht. Ich empfehle Ihnen, diesen nicht nur zu lesen. Er wird heute an die Ausschüsse überwiesen. Das ist unsere Antwort. Er enthält Handlungsvorschläge und politische Vorgaben und verläßt sich nicht darauf, daß die Industrie allein durch Selbstverpflichtung die Probleme löst. Das ist uns zuwenig, meine Damen und Herren.
Ich danke Ihnen.
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Als nächster spricht der Kollege Dr. Friedrich.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Fuchs, es ist nicht immer erforderlich, daß die Opposition mit der Regierung an einem Strang zieht. Sie haben das Recht und eigentlich auch die Pflicht zu kritisieren. Wir ertragen es auch, wenn Sie manchmal polemisieren; wir würden es in Ihrer Rolle wahrscheinlich auch tun.
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Was in anderen Demokratien aber nicht üblich ist, ist die Tatsache, daß im Vorfeld einer großen internationalen Konferenz, bei der wir die Rolle des Gastgebers übernehmen, das Ansehen der eigenen Regierung schwer geschädigt wird.
({1})
Sie stärken ja Frau Merkel wirklich nicht den Rükken, wenn sie sich mit den Widerständen der Amerikaner auseinandersetzen muß und diese dann in der Zeitung lesen, daß Sie die deutschen Umweltpolitiker für völlige Versager halten. Das ist eine „großartige" Unterstützung. Vielleicht sind Sie in Zukunft doch bereit und in der Lage - gerade vor einer internationalen Konferenz in Deutschland -, etwas differenzierter zu argumentieren.
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Sie sollten nicht geradezu genüßlich einen Flop dieser Konferenz und das Scheitern unserer nationalen Klimaschutzanstrengungen herbeireden. Auch wenn es schwerfällt: Ich bitte Sie herzlich, zwischen den nationalen Klimaschutzzielen, den Zielen, die die Bundesregierung hinsichtlich der Inhalte eines Klimaprotokolls zur Weiterentwicklung der Klimarahmenkonvention verfolgt, und den Aufgaben der Bundesrepublik als Gastgeber der ersten Vertragsstaatenkonferenz zu unterscheiden.
Frau Fuchs, Sie haben vermißt, daß die Umweltministerin im Vorfeld der Konferenz sozusagen Power in die Diskussion hineinbringt. Offensichtlich erwarDr. Gerhard Friedrich
ten Sie, daß wir in der Lage sind, das, was wir an nationalen Zielen definiert haben, auch international kurzfristig durchzusetzen. Frau Merkel könnte sich so zwar innenpolitisch optimal profilieren, aber sie würde, so glaube ich, der internationalen Umweltpolitik schwer schaden. Frau Merkel kann in Berlin nicht die Rolle eines Moderators übernehmen und gleichzeitig Maximalforderungen stellen.
({3})
Wenn man es mit Leuten zu tun hat, die Angst vor dem Fliegen haben, dann lädt man sie nicht als erstes dazu ein, ein Jagdflugzeug zu besteigen. Ich glaube, Sie sollten gewisse diplomatische Spielregeln und die reale Verhandlungssituation nicht ignorieren und nicht unterstellen, daß derjenige, der international vermittelt, sich national schon auf dem Rückzug befindet. Unsere nationale Zwischenbilanz in Sachen Klimaschutz versetzt auch mich nicht in einen totalen Freudenrausch. Trotz Fastenzeit sehe ich aber auch keine Notwendigkeit, uns in einen Sack zu hüllen und Asche auf unser Haupt zu streuen.
Auf der Tagesordnung dieser Sitzung steht auch der Bericht über Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht. Der Tatsache, daß die Opposition darüber kaum mehr redet, entnehme ich, daß wir unsere Verpflichtung, schnellstmöglich aus der Produktion und der Anwendung von FCKW und Halonen auszusteigen, in vorbildlicher Weise erfüllt haben. Dabei geht es ja nicht nur um Stoffe, die die Ozonschicht schädigen, sondern auch um Stoffe, die weltweit zu etwa 20 % zum Treibhauseffekt beitragen. Wir haben auf diesem Sektor weltweit eine Vorreiterrolle übernommen. Dies war sinnvoll. Wir waren erfolgreich, weil andere wichtige Herstellerländer uns in unterschiedlichen zeitlichen Abständen gefolgt sind. Die letzten Zahlen, die ich kenne, stammen aus dem Jahr 1992 und besagen, daß es weltweit einen Rückgang der Produktion um 50 % gegeben hat.
Jetzt treffen sich Vertreter der Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention von Rio Ende März in Berlin. Ich halte dies nicht für einen Zufall. Anders als Sie von der SPD und die Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN wird, glaube ich, international anerkannt, daß wir auch bei der CO2-Reduktion vorbildliche Maßnahmen ergriffen haben und wieder so etwas wie ein Vorreiter sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schwanhold?
Bitte.
Herr Kollege Friedrich, wie bewerten Sie denn gerade vor dem von Ihnen geschilderten Hintergrund der Reduktion der FCKW die Zustimmung der maßgeblichen Regierungsvertreter Töpfer und Rexrodt zu erhöhten Reimporten, die nichts mit Recycling-FCKW zu tun haben, sondern die im Rahmen von EU-Vereinbarungen gebilligt worden sind, und dies angesichts der immer wieder von Ihnen gepriesenen freiwilligen Vereinbarungen mit der Industrie, die natürlich dazu führen, daß angesichts dieser Vorgehensweise das Verhalten der Bundesregierung fragwürdig erscheint?
Herr Kollege, das Instrument der freiwilligen Vereinbarung oder der Zusage wird ja immer wieder kritisiert. Ich glaube, gerade bei FCKW können wir nachweisen, daß Zusagen unserer Industrie in vorbildlicher Weise eingehalten werden.
({0})
Schließlich können wir nicht übersehen, daß der Ausstieg bei FCKW fast ein Jahr früher stattgefunden hat, als nach unseren ordnungsrechtlichen Vorgaben, d. h. nach der Verordnung, vorgesehen.
Ich muß Ihnen ehrlich gestehen, daß ich Vereinbarungen über die Zulässigkeit von Reimporten nicht kenne. Ich werde mich informieren und Ihnen dann schriftlich Antwort geben. - Es ist jetzt schlecht möglich, daß der Kollege Töpfer dazu Stellung nimmt.
Meine Damen und Herren, es ist heute schon in der Diskussion erwähnt worden, daß die CO2-Emissionen in Deutschland bis zum Jahr 1993 um insgesamt 15 % gesunken sind. Uns ist natürlich bewußt, daß dies fast ausschließlich dem rückläufigen Energieverbrauch und der Änderung der Energieversorgungsstrukturen in den neuen Bundesländern zu verdanken ist. Man kann natürlich darüber streiten, ob dies überwiegend das Ergebnis bewußter politischer Entscheidungen ist oder ob wir dabei auch - vielleicht sogar vor allem, wie manche meinen - unverdient vom Zusammenbruch der Wirtschaft in den neuen Bundesländern profitiert haben. Wahrscheinlich ist beides der Fall. Ich halte das aber in bezug auf die Entwicklung unserer eigenen CO2-Maßnahmen gar nicht für entscheidend.
Entscheidend für unseren Zeitplan bei der Umsetzung des nationalen CO2-Minderungsprogramms waren nicht die Ursachen für den Einbruch der Produktion im Beitrittsgebiet, sondern die Folgen für die alten Bundesländer. Der Wegfall industrieller Arbeitsplätze bedeutet ja nicht nur weniger Energieverbrauch, sondern auch Arbeitslosigkeit, hohe Kosten für Beschäftigungsmaßnahmen und die Notwendigkeit, neue Investitionen mit erheblichen Mitteln zu fördern.
Unternehmer und Arbeitnehmer in den alten Bundesländern wurden dafür in den letzten Jahren ganz erheblich durch zusätzliche höhere Steuern und Sozialabgaben zur Kasse gebeten. Man muß ehrlich sagen - das müßten auch Sie einsehen -, daß wir sie nicht gleichzeitig mit zusätzlichen, beliebig hohen Kosten bei der Umsetzung eines anspruchsvollen CO2-Maßnahmenpaketes belasten konnten.
Insofern hat eine wenigstens umweltpolitisch erfreuliche Entwicklung in den neuen Bundesländern unsere Möglichkeiten, auch in den alten Bundesländern mehr für den Klimaschutz zu tun, eingeschränkt.
Wir sind uns aber einig, daß wir in der Klimapolitik nicht länger von der Sonderentwicklung in den neuen Bundesländern leben können. Nachdem die Produktion dort erfreulicherweise wieder steigt, sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich.
Dem Antrag der SPD-Fraktion kann ich einige sinnvolle Vorschläge, die man umsetzen kann, ferner einige Vorschläge, die ich in die Kategorie „wünschenswert, aber zumindest jetzt nicht finanzierbar" einordnen möchte, aber auch einige Vorschläge, die ich für schlicht falsch halte, entnehmen.
Wir sind uns darüber einig, daß wirksamer Klimaschutz tief in gewachsene Strukturen und Verhaltensweisen eingreifen muß. Die weitere Umstellung unserer Wirtschaft auf eine umweltgerechte Produktionsweise bedeutet auch ein Stück Modernisierung unserer Wirtschaft. Es ist schon erwähnt worden, daß sich damit für uns ökonomisch die Chance eröffnet, den guten und hohen Anteil an Umwelttechnologien, den wir uns auf dem Weltmarkt erobert haben - es sind zur Zeit über 20 % -, zu erhalten und auszubauen.
Ich möchte aber davor warnen, den Eindruck zu erwecken, daß umfassender Umweltschutz, umfassender Klimaschutz automatisch immer auch mehr Beschäftigung in Deutschland bedeuten. Ich glaube, Sie machen es sich zu einfach. Natürlich kennen auch wir die Gutachten, die uns mitteilen: In Deutschland sind zur Zeit etwa 680 000 Menschen im Umweltschutz beschäftigt, bis zum Jahre 2000 werden es voraussichtlich 1,1 Millionen Menschen sein.
Dazu stellt aber sogar Ernst Ulrich von Weizsäcker in seinem Buch „Umweltstandort Deutschland" fest, man müsse sich darüber im klaren sein, daß „die bisherige Art von nachsorgendem Umweltschutz prinzipiell ein Kostenfaktor bleibt, auch wenn die Kosten irgendwo Arbeitsplätze schaffen. Man fügt einer produktiven Anlage oder Maschine eine Filteranlage hinzu, die nichts produziert, was sich verkaufen ließe. Die zusätzlichen Kosten muß also der Betreiber oder Käufer bezahlen."
Weder Herr von Weizsäcker noch ich ziehen daraus die Konsequenz, daß wir im Umweltschutz eine Pause fordern. Es geht ausschließlich darum, bei der Umsetzung unserer Klimaschutzprogramme gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge zu berücksichtigen.
Unser neuer Forschungsminister hat zwar die Absicht, den produktionsintegrierten Umweltschutz jetzt noch intensiver zu fördern. Wir sollten aber nicht glauben, daß dieser kurzfristig den nachsorgenden Umweltschutz, die End-of-the-pipe-Technologie ablösen wird.
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Beim Lesen des SPD-Antrags bin ich zwölfmal auf das Stichwort „fördern" gestoßen. Da dies nach allgemeinem Sprachgebrauch bedeutet, daß zusätzliche Haushaltsmittel bereitgestellt werden müssen, verstehe ich eigentlich nicht, daß Ihre Haushaltsund Finanzpolitiker, die ständig über zu hohe Steuer- und Abgabenlasten der Bürger klagen, diesen Antrag unterschrieben haben.
Nur solange Sie sich in der Opposition befinden, können Sie sich den Luxus erlauben, Konflikte zwischen der Steuer- und Finanzpolitik, der Sozial- und Umweltpolitik schlicht zu ignorieren. Sie leisten sich den Luxus, daß jede Arbeitsgruppe bei Ihnen in einer anderen Woche ihre fachlichen Vorschläge in Antragsform in den Bundestag einbringt. Eine Abstimmung zwischen den Gruppen scheint es bei Ihnen offensichtlich nicht zu geben.
({2})
So verhält sich nicht eine Regierung von morgen, so verhält sich eine Regierung von überübermorgen, Frau Kollegin Fuchs.
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Im übrigen macht die SPD einige Vorschläge zur Fortentwicklung des Ordnungsrechts, über die man sicher auch diskutieren kann und muß. Damit müssen wir uns im Ausschuß noch einmal befassen. Sie sprechen sich sonst mehr für Abgabenlösungen aus.
Ich muß Ihnen hier sagen, daß ich für den zweiten Vorschlag persönlich oft mehr Sympathien habe als für die Fortentwicklung des Ordnungsrechts. Wenn ich mir überlege, wie wir zur Zeit über die Bürokratie, über zuviel Bürokratie diskutieren, Arbeitsgruppen bilden, um Verfahren zu beschleunigen, dann komme ich zu dem Schluß: Wir sollten doch gemeinsam feststellen, daß der Weg in immer mehr Ordnungsrecht hinein in eine Sackgasse führt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Anke Fuchs?
Ja.
Herr Kollege, da ich mit großem Interesse zuhöre, wie differenziert Sie auch unser Programm diskutieren, möchte ich Sie fragen, ob Sie mit mir der Auffassung sind, daß man im Ausschuß über den Teil sehr gut reden kann, in dem wir übereinstimmen.
Darf ich Ihnen mitteilen, daß unser Konzept der finanziellen Förderung nicht heißt, daß wir große Steuervolumina in Gang setzen wollen, sondern heißt, mit kleinen finanziellen Anreizen große Multiplikationswirkung zu erzielen? Ich sage das deswegen, weil ich Sie frage, ob damit nicht vielleicht Ihre Angst vor unserem Programm ein wenig genommen werden kann.
Frau Kollegin Fuchs, darüber müssen wir uns im Ausschuß wirklich im Detail unterhalten. Ob wir immer mit kleinen finanziellen Anreizen zurechtkommen, weiß ich nicht so genau.
({0})
Ich habe Ihrem Antrag entnommen - ich will einmal etwas Konkretes herausziehen -, daß Sie bei den erneuerbaren Energien Markteinführungsprogramme fordern. Wenn ich mir überlege, daß die KilowattDr. Gerhard Friedrich
stunde Solarstrom, ohne das Speicherproblem zu berücksichtigen, zur Zeit etwa 1,60 DM kostet, dann weiß ich nicht, wie man mit kleinen finanziellen Anreizen die Solartechnik, die Photovoltaik, in den Markt einführen kann.
({1})
- Herr Kollege Fischer, Sie haben sich ja in besonderer Weise immer für die erneuerbaren Energien eingesetzt. Wir sind uns auch darin einig, daß sie künftig eine größere Rolle spielen müssen.
({2})
Worüber wir eigentlich streiten, ist die Frage, in welchen Zeiträumen diese erneuerbaren Energien einen spürbaren Beitrag zu unserer Energieversorgung leisten können. Da haben wir grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen. Der Kollege Fischer hat ja in der letzten Woche die technischen Probleme der Photovoltaik selbst demonstriert. Herr Kollege Fischer, Sie haben sich vorgenommen, ein sehr dünnes Brett zu bohren.
({3})
Sie sind selbst an diesem dünnen Brett gescheitert, weil die Sonne in diesem Augenblick nicht genügend geschienen hat.
({4})
Wir sollten uns also davor hüten, bei den Menschen Illusionen zu erwecken.
({5})
Ich kann das aus Zeitgründen jetzt nicht mehr im Detail erläutern.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja.
Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Friedrich, weil Sie über die Frage der Finanzierbarkeit regenerativer Energien philosophiert haben: Haben Sie eine Ahnung davon, wie viele Milliarden DM die Energieversorgungsunternehmen überwiegend unproduktiv auf der hohen Kante liegen haben oder bereits in andere Branchen investieren? Könnten Sie sich vorstellen, daß wenigstens ein Teil davon abgezweigt werden könnte, um regenerierbare Energieträger zu fördern?
Herr Kollege, wenn Sie das so verstehen, dann müssen Sie das in Ihrem Antrag auch so formulieren. In Ihren Anträgen ist von staatlichen Förderprogrammen die Rede.
({0})
Ansonsten bin ich mit Ihnen der Überzeugung, daß wir den Energieversorgungsunternehmen bei der Preisgestaltung in Sachen Strom stärker auf die Finger schauen müßten und daß diese Monopole natürlich dazu führen, daß hier marktwirtschaftliche Mechanismen außer Kraft gesetzt wurden.
({1})
Da gibt es also in Teilbereichen Übereinstimmungen. Wir sind uns wahrscheinlich auch darin einig, daß eine stärkere Aufsicht nicht einen Beitrag dazu leisten sollte, die Strompreise zu senken. Das wäre politisch das falsche Signal.
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Meine Damen und Herren, aus Zeitgründen möchte ich nur noch kurz das Stichwort Selbstverpflichtung wichtiger Industrieverbände aufgreifen. Ich halte dies für einen marktwirtschaftlichen Weg, den wir einmal versuchen sollten. Wir sind nicht so naiv, zu glauben, daß wir bis zum Jahr 2005 nach dem Prinzip Hoffnung abwarten können, was dabei herauskommt. Erforderlich sind ständige Kontrollen in der Zwischenzeit. Darüber ist sich auch die Wirtschaft im klaren. Das hat sie in ihrem Angebot selbst so formuliert.
Wie das Bundesumweltministerium möchte ich darauf aufmerksam machen, daß einige Verbände, die in dieser Selbstverpflichtungserklärung wichtig wären, fehlen, vor allem die deutsche Automobilindustrie. Nach den uns bekannten Prognosen wird auf dem Verkehrssektor, wenn wir nichts unternehmen, der CO2-Ausstoß bis zum Jahre 2005 um insgesamt etwa 38 % steigen. Deshalb muß die Automobilindustrie dringend entweder ebenfalls Selbstverpflichtungserklärungen vorlegen oder von uns als Gesetzgeber in die Mitverantwortung genommen werden.
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Meine Damen und Herren, die Diskussion über die erneuerbaren Energien, die wir jetzt kurz geführt haben, wird uns im Ausschuß noch beschäftigen. Ich möchte aber anerkennen, daß es in der SPD durchaus Politiker gibt, die die Dinge realistischer betrachten. Ich habe sehr interessiert zur Kenntnis genommen, daß Ministerpräsident Schröder erklärt hat: Wenn wir aus der Kernenergie aussteigen, dann müssen wir in einer Übergangszeit verstärkt die fossilen Energieträger einsetzen.
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Das ist die Wahrheit;
({5})
das ist wirklicher Realismus, Herr Kollege Fischer.
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Herr Ministerpräsident Schröder spricht auch ganz offen die damit verbundenen Umweltrisiken an, die vor allem in der Gefahr bestehen, daß wir weitere 150 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre ablassen, wenn wir aus der Kernenergie aussteigen.
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Deshalb werden wir einem Energiekonsens, der mit einem Ausstieg aus der Kernenergie verbunden ist, nicht zustimmen.
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Ich hatte ursprünglich einmal die Hoffnung, daß man mit dem Ministerpräsidenten Schröder als Realisten hierüber vernünftig reden kann, so daß da vielleicht durchaus die Chance besteht, zu einem sinnvollen Ergebnis zu kommen.
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Nachdem die SPD-Fraktion ihn jetzt aber in ein ganz enges Korsett hineingezwängt hat, bin ich bezüglich dieser Verhandlungen sehr pessimistisch.
Vielen Dank.
({10})
Als nächster spricht der Kollege Joseph Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Berlin findet in den kommenden Tagen eine sehr, sehr wichtige Konferenz statt, eine Konferenz, die in ihrer Wichtigkeit weit über Europa hinaus zu veranschlagen ist. Ich meine dies, Frau Bundesumweltministerin, mit allem gebotenen Ernst. Es geht jetzt nicht um Polemik. Ich würde mir als Umweltpolitiker wünschen, auch wenn dies unter dem Gesichtspunkt der innenpolitischen Kontroverse für uns sicher von Nachteil wäre, daß diese Konferenz ein Erfolg wird und daß Sie sich diese Konferenz als Erfolg an den Hut heften könnten.
Was ist Erfolg? Erfolg würde bedeuten, daß dort ein verbindliches Klimaprotokoll unterzeichnet wird. Das wäre der nächste Schritt, der auf Grund der konstitutiven Konferenz von Rio 1992 jetzt anstehen würde. Da sind wir uns im Grunde genommen ja einig.
Sie schreiben allerdings in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zum Klimaschutz vom 9. März schon expressis verbis: Diese Konferenz ist gescheitert. Denn es heißt dort, Frau
Umweltministerin: Es wird nicht zur Unterzeichnung eines solchen Protokolls kommen.
Nun sagen Sie, daß dieses Scheitern vor allen Dingen mit internationalen Schwierigkeiten zusammenhängt. Auf die Frage, warum es denn keinen eigenen deutschen Protokollentwurf gibt, weisen Sie in der Antwort auf die Große Anfrage zum Klimaschutz vom 9. März darauf hin, daß dies internationale Schwierigkeiten mit sich bringen und die mögliche Durchsetzung eines Verhandlungsprotokolls in Zukunft erschweren würde.
Das mag sein. Die Bundesregierung ist für die Außenvertretung der Bundesrepublik Deutschland im zwischenstaatlichen Verhältnis die zuständige Instanz. Ich frage Sie nur, Frau Umweltministerin: Könnte es auch sein, daß es daran liegt, daß Sie für einen deutschen Protokollentwurf keine Mehrheit im Bundeskabinett bekommen hätten? Ist diese Frage so abwegig?
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Sind Sie sich denn so sicher, daß Sie in der Koalition eine Mehrheit bekommen hätten: mit dem Bundeswirtschaftsminister, mit dem Bundeslandwirtschaftsminister und mit dem Bundesverkehrsminister? Das ist das, was uns hier als nationalen Gesetzgeber und als Kontrollorgan vor allen Dingen zu interessieren hat. Ich sage Ihnen: Es gibt nicht nur den begründeten Verdacht, sondern es gibt konkrete Hinweise, daß ein zentraler Grund dafür, daß es keinen Protokollentwurf des Gastgeberlandes Deutschland gegeben hat, genau darin zu sehen ist, daß Sie in Koalition und Bundesregierung keine Mehrheit dafür bekommen hätten.
({1})
Genau das ist es, meine Damen und Herren, was uns hier interessiert. Wir sehen ja die Schwierigkeiten. In diesem Punkt stimme ich Ihnen vollkommen zu. Wir haben eine dramatische Veränderung im internationalen Raum. Der entscheidende Punkt ist: Die Bedeutung dieser Konferenz hat einen unmittelbaren Zusammenhang mit den Wachstumsraten, die in anderen Weltgegenden geschrieben werden. Seit 1992 haben wir dramatische Wirtschaftswachstumsprozesse etwa in Ostasien. Die Volksrepublik China schreibt 10 % reales Wirtschaftswachstum pro Jahr - prognostiziert für einen Zeitraum von 1991 bis 1997 -, und das mit einer riesigen Bevölkerungszahl und zu technologischen Bedingungen der Energieerzeugung, der Mobilität und der industriellen Produktion, die extrem umweltzerstörend sind.
Wenn wir jetzt nicht umkehren und wenn jetzt nicht die reichen Industrieländer tatsächlich Ernst machen mit dem ökologischen Umbau, dann ist das problematisch. Frau Ministerin, da sind die Zahlen mit 4 % natürlich etwas irreführend, weil Sie, wenn Sie sich den Pro-Kopf-Verbrauch anschauen, feststellen werden: Die reichen Industrieländer sind die
Joseph Fischer ({2})
Hauptproblemfälle des CO2-Problems; sie haben die Hauptverantwortung in der Klimaschutzpolitik.
({3})
Deswegen, meine Damen und Herren, deswegen, Frau Ministerin, können wir Sie aus der Diskussion um die nationale Verantwortung nicht entlassen.
Ich sage Ihnen: Natürlich gibt es Fortschritte in Ostdeutschland. Selbstverständlich, und wir sind nachdrücklich dafür, daß es sie gibt. Aber der „Hauptfortschritt" ist eine zutiefst bittere Sache für die Menschen, nämlich die Deindustrialisierung und die mit ihr einhergehende Massenarbeitslosigkeit. Das schreiben Sie ja selbst in Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage. Wenn dies so ist, dann sollten Sie es aber auch so sagen. Wenn wir diese schlimme Deindustrialisierung als Mitnahmeeffekt bezeichnen, dann tun wir dies sozial- und umweltpolitisch völlig zu Recht, Frau Ministerin.
({4})
Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt anführen: Die Entwicklung in den alten Bundesländern ist beschämend. Das ist es, was uns so besorgt. Selbst wenn Sie den Bevölkerungstransfer herausrechnen - etwa 6 bis 7 % von Ost nach West -, kommen Sie nur zu einer minimalen Reduzierung in den alten Bundesländern. Da beginnt dann die nationale Verantwortung, aus der Sie sich verabschiedet haben, da beginnt die nationale Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland.
Wie sieht es denn aus in der Energiepolitik? Ich stimme Ihnen völlig zu: Wir brauchen gar nicht so viele Fördermaßnahmen, sondern wir bräuchten endlich eine gesetzlich verbindliche Festlegung: Um wieviel Prozent wollen wir die erneuerbaren Energieträger bis zum Jahr 2005 gesteigert haben?
({5})
Wieviel Prozent Energie wollen wir sparen? Um wieviel Prozent wollen wir die rationelle Energieerzeugung gesteigert haben?
Jeder, der hier Energie erzeugt, der sich hier um eine Stromproduktions- und -verkaufslizenz bewirbt, der hat sich daran zu halten. Das sind die Geschäftsbedingungen. Allein der politische Wille des Gesetzgebers ist es, der dies möglich machen würde. Sie haben offensichtlich weder den Willen noch die politische Kraft, das durchzusetzen.
({6})
Ich möchte zu einem weiteren Punkt kommen, zur Verkehrspolitik. Frau Ministerin, es ist schon ein starkes Stück, wenn Sie den Bundesverkehrswegeplan hier in den Maßnahmenkatalog einordnen.
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Ich möchte Ihnen einmal etwas sagen: Dieser Bundesverkehrswegeplan ist aus meiner Sicht ein klimapolitisches und ökologisches Monstrum. Mit dem ersten gesamtdeutschen Bundesverkehrswegeplan der Bundesregierung sollen bis zum Jahr 2010 - jetzt hören Sie zu - 11 500 km neue Fernstraßen entstehen oder ausgebaut werden.
({8})
Der Pkw-Verkehr - davon etwa 70 % im Westen; das kommt ja noch strafverschärfend hinzu, was den Irrsinn dieses Plans betrifft - würde den Grundannahmen des Bundesverkehrswegeplans zufolge dadurch um 30 % und der Lkw-Verkehr um 95 % zunehmen.
Gleichzeitig wird von einem Anstieg des Flugverkehrs in Deutschland um sogar 142 % ausgegangen. Damit würde auch der CO2-Ausstoß um mindestens 15 % zu statt, wie von der Bundesregierung ursprünglich vorgesehen, um 2 % abnehmen.
Meine Damen und Herren, das ist die nationale, dramatische Realität des Klimaschutzes. Das Gegenteil wird hier von dieser Bundesregierung betrieben. Es wäre ehrlicher, man würde den Bundesverkehrsminister zur Konferenz nach Berlin schicken als die Umweltministerin,
({9})
die dort im wesentlichen nur schöne Worte zu verkünden hat.
({10})
Ich erwähne gar nicht solche umweltpolitischen Selbstverständlichkeiten wie ein flächendeckendes Tempolimit in Deutschland, dem einzigen Industrieland, das sich noch den Luxus der „freien Fahrt für freie Bürger" erlaubt. Ich erwähne nicht Ihr Debakel bei der Frage der Kerosinbesteuerung. Sie dürfen da am Freitag unserem Antrag in namentlicher Abstimmung zustimmen, Frau Ministerin. Wir freuen uns darauf.
({11})
Wenn Sie jetzt mit der freiwilligen Vereinbarung mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie kommen, und zwar als einzigem, was Sie tatsächlich vorzuweisen haben, dann sage ich Ihnen: Ich bin wirklich baff. Da lernt unsereins mühselig, sich vom planwirtschaftlichen Chaotentum zu verabschieden; wir hören von der F.D.P. täglich, daß das Solidarprinzip für den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährlich sei, weswegen man daran kräftig sägen und den Sozialstaat sozusagen in das Sägewerk neoliberaler Vorstellungen schieben müsse,
({12})
Joseph Fischer ({13})
und jetzt plötzlich, nachdem wir gelernt haben, daß die Marktwirtschaft nach dem Gewinnprinzip funktioniert, hören wir, Frau Merkel habe es geschafft, mit dem BDI die bundesrepublikanische Marktwirtschaft zu einer karitativen Aktion zu veranlassen.
({14})
Das ist die Konsequenz. Ich höre plötzlich, daß massive Einspareffekte, die sehr viel Geld kosten werden, daß wirtschaftliche Umstrukturierungen nach dem Solidarprinzip möglich sind. Ein Blick in die strahlenden grünen Augen der Bundesumweltministerin - und die bundesdeutsche Wirtschaft war plötzlich dazu bereit, Dinge zu tun, die sie nach den Gesetzen der Marktwirtschaft bisher immer verweigert hat.
({15})
Wie ist dieses Wunder möglich? Denn es kann sich hier nur um ein Wunder handeln und fällt demnach in den Bereich des Glaubens und der Theologie, meine Damen und Herren.
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Aber kommen wir zum bitteren Ernst. Faktisch wird es doch so sein: Da wird gerechnet werden, da wird auf Monitore geschaut, Monitoring betrieben, da werden die Experten zusammensitzen, aber faktisch getan wird außer dem, was eh getan wird, nichts.
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Es wird keine Energiewende geben, es wird keine Verkehrswende geben, es wird keine ökologische Steuerreform geben.
Sie haben sich mit dieser freiwilligen Vereinbarung endgültig aus einer wirksamen Klimaschutzpolitik verabschiedet, und, Frau Merkel, ich behaupte, Sie wissen das auch.
({18})
Sie haben das nur aus der Not heraus gemacht, da Sie sonst nach Berlin hätten gehen müssen, ohne etwas vorweisen zu können.
Deswegen sage ich Ihnen: Wir müssen Ernst machen mit dem Klimaschutz. Wir als eines der reichsten und führenden Industrieländer verweigern hier nicht nur die Verantwortung gegenüber den ärmeren Ländern, wir verweigern nicht nur unsere globale Verantwortung, sondern wir vertun auch die Chance, den Umbau der Industriegesellschaft Deutschland voranzubringen und damit nicht nur unsere klimapolitische Verantwortung wahrzunehmen, sondern zukunftssichere Arbeitsplätze in Größenordnungen, wie wir sie brauchen, mit zukunftssicheren Technologien, in diesem Lande zu schaffen. Und dafür sind Sie verantwortlich!
({19})
Als nächster spricht Kollege Professor Ortleb.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In wenigen Tagen beginnt in Berlin die Nachfolgekonferenz von Rio. Auch Deutschland ist in Rio die Verpflichtung eingegangen, bis zum Jahre 2000 die Emissionen der Treibhausgase auf dem Niveau von 1990 zu stabilisieren. Hierzu hat die Bundesregierung vielfältige Maßnahmen ergriffen, wie sie im Bericht der Bundesregierung über Klimaänderungen und im sogenannten CO2-Bericht nachzulesen sind.
Dazu gehören z. B. die verbesserten Bedingungen im Stromeinspeisegesetz und das Förderprogramm für erneuerbare Energien, das Fernwärmesanierungsprogramm in den neuen Bundesländern, die Steuerbegünstigung für Kraft-Wärme-Kopplung, die Novelle zur Wärmeschutzverordnung und zur Heizungsanlagenverordnung, die Einrichtung der „Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe", die Förderung der Erstaufforstung, die Förderung der Energieberatung und vieles mehr.
Die F.D.P. fordert an dieser Stelle die Bundesregierung auf, ihr CO2-Minderungsprogramm weiterzuentwickeln und kontinuierlich umzusetzen.
Es reicht aber bei weitem nicht aus, wie in Rio beschlossen, die Emissionen auf das Niveau von 1990 zurückzuführen, sondern die Emissionen müssen auch nach dem Jahre 2000 nicht nur stabilisiert, sondern erheblich weiter reduziert werden.
({0})
Aus diesem Grunde müssen wir in Berlin einen Verhandlungsprozeß in Gang setzen, der die Verabschiedung eines Klimaprotokolls bis zum Jahre 1997 zum Ziel hat. Deshalb fordern wir die Bundesregierung u. a. auf, sich für eine Einigung über die Stabilisierung der CO2-Emissionen nach dem Jahre 2000 auf der Basis der 1990er Emissionen durch alle Annex-I-Parteien einzusetzen. Weiterhin soll international entsprechend den Empfehlungen der EnqueteKommission „Schutz der Erdatmosphäre" eine Reduzierung der CO2-Emissionen angestrebt werden. Die F.D.P. unterstützt daher auch die Forderung der vom Treibhauseffekt besonders bedrohten Inselstaaten nach einer Rückführung der CO2-Emissionen bis zum Jahre 2010 um 20 %.
Die Kritik von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an der Verhandlungsstrategie der Bundesregierung ist ungerechtfertigt. Wir sind keine Großmacht und sollten auch keine Großmachtallüren an den Tag legen. Das gilt z. B. für die Kritik an der Verweigerungshaltung der OPEC-Staaten. Wir sind uns darin einig, daß wir eine Blockade der Klimaverhandlungen ablehnen; wir müssen allerdings auch zur Kenntnis nehmen, daß es für diese Staaten um die zentrale
Einnahmequelle geht, die Grundlage für deren wirtschaftliche und politische Stabilität ist. Darüber kann man sich nicht einfach hinwegsetzen. Hier muß geworben und überzeugt werden. Der Parlamentarische Staatssekretär Hirche wird diese schwierige Aufgabe noch einmal übernehmen. Ich wünsche ihm viel Erfolg.
({1})
Wir dürfen nicht zulassen, daß ein so großer Staat wie die USA bereits eine Stabilisierung der CO2Emissionen ablehnt, wenn es schon nicht zu einer Rückführung kommt. Die Industriestaaten müssen an einem Strang ziehen und eine Vorbildfunktion einnehmen. Sie müssen in Berlin klarmachen, daß sie zur Erfüllung ihrer in Rio eingegangenen Verpflichtungen zum Klimaschutz bereit sind.
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Nur unter dieser Voraussetzung werden auch die Entwicklungsländer bereit sein, den Zuwachs ihrer Emissionen zu begrenzen. Die Europäische Union hat daher eine wichtige Führungsrolle. Sie muß ihre Stabilisierungsverpflichtung ernst nehmen und durch Maßnahmen konkretisieren.
Die F.D.P. setzt sich auch weiterhin für die Einführung einer CO2-/Energiesteuer als eines wirkungsvollen marktwirtschaftlichen Instruments zur Reduzierung der CO2-Emissionen ein. Ich wehre mich gegen die Verwechslungen mit der Frage um den Kohlepfennig. Das sind zweierlei Dinge.
({3})
Die Beratungen darüber müssen auch in der Europäischen Union weitergeführt werden. Die Europäische Union geht davon aus, daß die CO2-Emissionen bei der Einführung einer CO2-/Energiesteuer bis zum Jahre 2010 gegenüber 1990 um 10 % gesenkt werden können. Eine Bedingung der F.D.P. ist allerdings, daß parallel zur Einführung einer solchen Steuer in gleichem Umfang eine Absenkung der direkten Steuern, also der Lohn- und Einkommen- sowie der Körperschaftsteuer, erfolgt.
Es ist richtig, daß wir diesen von uns befürworteten Einstieg in den ökologischen Umbau des Steuersystems nicht mit der Frage der Finanzierung der klimaschädlichen Steinkohle verknüpfen konnten.
({4})
Neben den international zu ergreifenden Maßnahmen können und müssen wir selbst eine Menge zur Minderung der Treibhausgasemissionen tun. Dazu gehört aus unserer Sicht vor allem, die Energieeinsparung im Gebäudebestand zu fördern; denn hier liegt ein hohes Potential. Mit der neuen Wärmeschutzverordnung haben wir schon die Energieeinsparung bei Neubauten forciert. Im Gebäudebestand werden wegen der hohen Kosten finanzielle Hilfen notwendig sein.
Erfreulicherweise hat sich die deutsche Industrie freiwillig verpflichtet, die CO2-Emissionen bis zum Jahre 2005 um bis zu 20 % zu senken. Dies ist ein bedeutendes Signal im Vorfeld der Klimakonferenz. Ich hoffe sehr, daß es dazu beiträgt, auch andere Industriestaaten von der Notwendigkeit weiterer Reduzierungsschritte zu überzeugen.
({5})
Dies ist auch ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu unserem Ziel eines freiwilligen und kooperativen Umweltschutzes, wie ihn die F.D.P. fordert und wovon wir uns am Ende mehr versprechen können als von einem Wust von Gesetzgebung.
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Diese Selbstverpflichtungen wie auch das Öko-Audit werden, soweit wir sie bis jetzt bewerten können, zu deutlichen Energie- und CO2-Einsparungen führen. Sollte das wider Erwarten nicht der Fall sein, so werden wir ohne Zögern zu ordnungsrechtlichen Maßnahmen greifen.
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- Das ist durchaus möglich.
Sie sehen also, meine Damen und Herren, daß nicht immer Gesetze und Verordnungen nötig sind, um etwas in Gang zu setzen. Manches von dem, was an Mechanismen vorhanden ist, ist einfach noch nicht genutzt worden. Das muß man dann anmahnen, wenn es ernst wird. Wir brauchen deshalb jetzt auch noch keine Wärmenutzungsverordnung, wie sie von der Opposition gefordert wird.
({8})
Da wir bei Umweltfragen immer die Besonderheit haben, daß alle, auch diejenigen, die meinen, Gegner zu sein, Gott sei Dank in der gleichen Welt wohnen, glaube ich, daß das Prinzip des Vertrauens nicht zu unterschätzen ist.
Die F.D.P. erwartet von der Automobilindustrie ein Zeichen dadurch, daß diese eine Selbstverpflichtung hinsichtlich des sogenannten Fünfliterautos eingeht. Ich weiß, daß das schwierig ist. Denn im Verkehrsbereich liegt ein weiteres hohes Potential zur Minderung der CO2-Emissionen. Wir wissen, daß es technisch möglich ist, bis zum Jahr 2005 den durchschnittlichen Kraftstoffverbrauch um ein Drittel zu senken. Wir fordern daher von der Automobilindustrie, das technisch Mögliche umzusetzen. Wir können die Industrie bei der Entwicklung verbrauchsarmer Fahrzeuge unterstützen, indem wir die Kraftfahrzeugsteuer z. B. für Dieselfahrzeuge senken. Diese Motortechnik hat das größte Einsparpotential. Dazu ist keine staatliche Festlegung auf ein Dreiliterauto nötig. Lassen wir der Industrie den nötigen Spielraum für Innovationen, und stellen wir die Weichen in die entsprechende Richtung!
Ebenso fordern wir schon lange eine Anhebung der Mindestsätze für die Mineralölsteuer in Europa. Es ist erfreulich, daß sich die SPD dieser Forderung jetzt anschließt. Ebenso deckt sich die Forderung der SPD nach einer Entfernungspauschale mit unserem Programm. Diese Forderungen heben sich von den
vollmundigen Verlautbarungen der Fraktion der SPD Ende der letzten Legislaturperiode deutlich ab, mit denen Sie die Gemeinsamkeiten in der EnqueteKommission aufkündigten.
Das war allerdings auch schon alles an Gemeinsamkeiten, denn mit Ihrem Antrag „Programm für Klimaschutz, Wirtschaftsmodernisierung und Arbeitsplätze in Deutschland" wollen Sie ein gigantisches Subventionsprogramm eröffnen.
({9})
Auch wir wollen die regenerativen Energien fördern und den Energieverbrauch senken.
({10})
Aber Sie verfolgen noch immer das falsche Konzept. Sie glauben, gute Politik sei nur durch hohe Staatsausgaben zu machen.
({11})
Das ist falsch. Die F.D.P. will die Staatsquote senken, die Abgabenlast zurückführen und die Verschuldung verringern. So schafft man Arbeitsplätze.
({12})
Schauen wir uns den Antrag der SPD noch einmal etwas genauer an. Da werden 100 Millionen DM für Forschung und Entwicklung erneuerbarer Energien eingefordert, weitere 100 Millionen DM für ein Investitionshilfeprogramm „Erneuerbare Energien für Entwicklungsländer" und 50 Millionen DM für den Ausbau der Energieberatung. Damit nicht genug: Ein Fonds zur Förderung erneuerbarer Energien soll eingerichtet werden; weiter fordern Sie ein 100 000Dächer-Programm, ein Förderprogramm für KraftWärme-Kopplung und Fernwärme, Anreize für die Energieeinsparung in der Industrie, Gelder zum Ausbau von Güterverkehrszentren und zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, ein solch gewaltiges Ausgabenprogramm paßt nun wirklich nicht in die Landschaft unserer Haushaltssituation. Die zweite und die dritte Beratung des Bundeshaushalts stehen noch aus. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß Ihnen entgangen ist, wie sehr allein schon um die Einsparung von kleineren Beträgen gerungen werden muß. Ihnen ist vor diesem gewaltigen Ausgabenprogramm doch selbst unheimlich. Deshalb verschweigen Sie die Gesamthöhe der Subventionen, die Sie fordern. Sie vernebeln auch, wie Sie die Mittel dafür aufbringen wollen. Es ist unseriös, wenn die SPD weder die Höhe noch die Laufzeit ihres Förderprogramms beziffert.
({13})
Aber pauschal wird behauptet, die Maßnahmen hätten einen hohen Selbstfinanzierungseffekt.
Professor Ortleb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein? - Bitte.
Herr Kollege Ortleb, ist Ihnen eigentlich entgangen, daß nach Auffassung Ihrer Partei im Bundeshaushalt so viel Luft ist, daß Sie im nächsten Jahr 7,5 Milliarden DM zur Kohlefinanzierung einplanen wollen?
Es ist mir nicht entgangen. Die Luft, großzügige Programme, wie Sie sie fordern, außerhalb der Möglichkeiten der Wirtschaft zu schaffen, ist allerdings weiß Gott nicht drin.
({0})
Unser Ziel dagegen ist es, sich selbst tragende Strukturen beim Einsatz von regenerativen Energien und beim rationellen Energieeinsatz zu finden. Mit dem in Ihrem Antrag vorgeschlagenen Investitionsprogramm, meine Damen und Herren von der SPD, schaffen Sie nur neue Abhängigkeiten und fördern Ineffizienz und die berühmt-berüchtigten Mitnahmeeffekte.
Wir unterstützen die Einrichtung eines Fonds zur Förderung erneuerbarer Energien durch die Energieversorgungsunternehmen. Warum aber möchten Sie von der SPD die öffentliche Hand dabei mitmischen lassen? Lassen Sie die öffentliche Hand doch endlich einmal aus dem Spiel, und gestatten Sie Raum für Initiativen! Die Energiewirtschaft hat in den letzten Energiekonsensgesprächen für den Einsatz erneuerbarer Energien und für die rationelle Energienutzung einen dreistelligen Millionenbetrag in Aussicht gestellt. Wir werden Sie beim Wort nehmen.
Die öffentliche Hand kann ihren Beitrag an anderer Stelle leisten. Die SPD erinnert in ihrem Antrag zu Recht an die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand. Das kann aber nicht alles sein. Zu einem Gesamtkonzept gehört nach Auffassung der F.D.P. auch die Förderung dezentraler und regenerativer Energieversorgung bei der Erschließung von Neubau- und Gewerbegebieten.
Außerdem ist es nicht hinnehmbar, daß der Einsatz von Sonnenkollektoren durch Ortsrecht verboten oder behindert wird. Hier könnte vor allem von Ländern und Kommunen viel getan und gleichzeitig ein Stück Bürokratie abgebaut werden. Ist es denn wirklich nötig, daß die Kommunen die Dachneigung oder die Ausrichtung des Hauses zwingend vorschreiben?
({1})
Insgesamt können wir also trotz einiger Gemeinsamkeiten dem Antrag der SPD nicht zustimmen. Sie betreiben nachhaltige Subventions- und Schuldenpolitik zu Lasten der nächsten Generation. Die F.D.P. versteht unter nachhaltiger Entwicklung etwas anderes.
Mit dem Antrag der Koalition gehen wir den richtigen Weg. Wir wollen Innovation statt Arbeitslosigkeit, wir wollen mehr Umweltschutz und nicht nur mehr Umweltschutzbürokratie, und wir wollen eine ökologische Marktwirtschaft statt einer ökologischen Schuldenwirtschaft.
({2})
Wir bitten daher um Zustimmung zum Antrag der Koalition.
({3})
Als nächste spricht die Abgeordnete Dr. Dagmar Enkelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In ihrer Regierungserklärung zur jüngsten Hochwasserkatastrophe am 9. Februar dieses Jahres behauptete Frau Ministerin Merkel doch allen Ernstes und vor zahlreichen Augen- und Ohrenzeugen hier, es könne nicht belegt werden, daß die Zunahme der Häufigkeit von Hochwasser in irgendeiner Weise mit Klimaveränderungen zusammenhänge. Ich kann mich noch sehr gut an die Proteste von den Oppositionsbänken erinnern.
Nun wollte ich Sie, Frau Merkel, heute korrekt zitieren, und siehe da, im offiziellen Protokoll der Sitzung taucht Ihre Aussage plötzlich nicht mehr auf. Das ist wohl mehr als merkwürdig,
({0})
und verantwortlich dafür sind garantiert nicht die Stenographen. - Allerdings wurde bei der offenkundigen Manipulation vergessen, auch noch die Rede des Kollegen Michael Müller von der SPD zu zensieren, der genau auf diesen Punkt Ihrer Rede Bezug nahm. Ich denke, dieser Skandal verlangt dringend Aufklärung.
({1})
Es kann doch nicht sein, daß die Bundesregierung so einfach in Protokollen des Bundestages herumstreichen darf.
Nun ist mit dieser Manipulation das damals Gesagte nicht vom Tisch; dafür haben es einfach zu viele hier gehört, und es wird auch nicht vergessen gemacht, daß sich die Bundesregierung drei Jahre lang auf ihren brasilianischen Lorbeeren ausgeruht hat und nun in hektische Betriebsamkeit verfallen ist.
Meine Damen und Herren, die Klimapolitik der Bundesregierung offenbart sich als ökologisches Desaster. Die vielen Versprechungen von Rio haben sich inzwischen als buntschillernde Seifenblasen erwiesen, die schon bald danach zerplatzt sind. Aufgeregt wird in den letzten Wochen versucht, doch noch etwas Substantielles dem Gipfel vorlegen zu können. Gefunden wurde - nichts.
Dabei hat doch alles so schön angefangen. Bundeskanzler Kohl erklärte z. B. in Rio:
Die Industrieländer müssen sich ... ihrer besonderen Verantwortung bewußt sein. Wir sind deshalb gefordert, künftig weit sorgsamer als bisher mit den natürlichen Ressourcen umzugehen. Wir müssen vorhandene technologische Möglichkeiten besser ausschöpfen und neue umweltgerechte Technologien entwickeln.
Hehre Worte; doch wo blieben die Taten?
In Berlin, Frau Merkel, wird man genau Sie fragen: Was hat sich tatsächlich seit Rio getan? Berechtigt wird an Sie die Frage gehen: Wie weit sind Sie mit einer nachhaltigen Entwicklung? Wie nehmen Sie Ihre in Rio selbst definierte Verantwortung als Industrieland für die drohende Klimakatastrophe, für Umweltzerstörung und Raubbau an der Natur, wie nehmen Sie diese Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern wahr?
Ich fürchte, Ihre Antworten werden mehr als dürftig sein. Nach vier Jahren Arbeit der Enquete-Kommission Klima z. B. mit anerkannten Wissenschaftlern wie Professor Graßl, Professor Hennicke, Professor Kutter und anderen, mit umfangreichen Studien und langen Sitzungen kam ein Material heraus, das einen anschaulichen und sehr aussagekräftigen analytischen Teil enthält, und da, Frau Merkel, waren sich Opposition und Koalition weitgehend einig. Als es dann allerdings um die Konsequenzen daraus und konkrete Empfehlungen für politisches Handeln ging, kamen die alten ideologischen Denkmuster wieder durch ({2})
- bei Ihnen, vor allem bei Ihnen, aber ich komme noch darauf -, ja nicht tradierte Werte und Besitzstände in Frage zu stellen, und genau hier hat die Koalition nämlich die Gemeinsamkeit in der EnqueteKommission aufgekündigt, Herr Kollege Ortleb. Dabei fordert doch inzwischen Ihr Kollege, Ihr Fraktionsvorsitzender Herr Schäuble:
Wir müssen die Zukunft als Chance begreifen. ... Besitzstandswahrung kann kein Prinzip sein.
Zugegeben: Das hört sich wirklich toll an. Die Bilanz der letzten Jahre aber sagt etwas anderes. Ich denke, Kollege Fischer, wir sollten nicht entschuldigend auf die internationale Situation verweisen, sondern vor allen Dingen sollte die Bundesregierung nationale Verantwortung wahrnehmen.
({3})
Sehen wir uns die Bilanz an: Sämtliche Vorstöße zu einer längst überfälligen Besteuerung von Flugbenzin wurden zurückgewiesen. Der Güterverkehr auf der Straße wurde steuerlich weiter entlastet. Neue Vorschläge liegen vor.
Vorschläge wie die Einführung einer Schwerverkehrsabgabe, die Umwandlung der Kilometerpauschale in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale, das Tempolimit usw. wurden immer wieder mit allzu fadenscheinigen Begründungen abgelehnt.
Die Schieflage beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zugunsten der Straße blieb erhalten. Das Verbot der FCKW-Produktion kam erst nach massiven Protesten und alarmierenden Informationen über den Abbau der Ozonschicht über der Nordhalbkugel zustande. Erst nachdem der „Spiegel" über den Abbau der Ozonschicht über der Nordhalbkugel berichtet hatte, hat diese Bundesregierung reagiert, so nach dem Motto: Plötzlich sind auch wir betroffen.
Die Novelle zur Wärmenutzungsverordnung, seit 1990 angekündigt, liegt bis heute nicht auf dem Tisch. Eine Neufassung des Stromeinspeisungsgesetzes mit dem Ziel der Förderung von Energieerzeugung aus regenerativen Quellen ist längst überfällig.
Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Von einer ökologischen Steuerreform ist auch nur in Schönwetterreden zu hören. Über das ganze Dilemma können medienträchtige PR-Small-talks mit Unternehmervertretern auch nicht mehr hinweghelfen. Da ist eigentlich schon der Ansatz lächerlich: die großen Unternehmer sozusagen als Umweltengel der Nation.
Eine politische Trendwende steht auf der Tagesordnung. Die Bundesregierung muß sich endlich ernsthaft daransetzen, ein ökologisch orientiertes Gesamtverkehrskonzept auszuarbeiten, das zuvörderst dort ansetzt, wo Verkehr entsteht, und Konzepte zur Verkehrsvermeidung enthält.
In diesem Zusammenhang müssen Rahmenbedingungen entwickelt werden für regionale Wirtschaftskreisläufe, für die Verhinderung der weiteren Zersiedelung sowie für die räumliche Verknüpfung der Lebensfunktionen Arbeiten, Wohnen und Freizeit.
Es ist ein Energiekonsens anzustreben, der diesen Namen wirklich verdient und nicht nur ein Konsens zwischen Parteien ist, sondern vor allem ein Konsens mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen.
Oberstes Prinzip muß sein, Ressourcenverschwendung zu verhindern, sparsam mit Energie umzugehen und langfristig deren Erzeugung in Richtung der erneuerbaren Energien zu bewegen.
Meine Damen und Herren, soll der Bundesregierung die Peinlichkeit des Weltsozialgipfels von Kopenhagen erspart bleiben, so wird sie sich in den nächsten Tagen noch viel einfallen lassen müssen. Die Rio-Nachfolgekonferenz darf keine Schauveranstaltung werden, von der die Vertreter der Entwicklungsländer, beeindruckt vom Reichtum eines Landes, dem Verkehrschaos auf der Avus, mit vielen bunten Hochglanzbroschüren, aber letzten Endes mit leerem Gepäck wieder nach Hause fahren.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Ortleb hat die Kritik der Opposition an der Bundesregierung und an Frau Merkel ungerecht genannt.
({0})
Ich bin nicht so vornehm, ich sage es im Klartext: Diese Kritik war untauglich, naiv und deshalb letztendlich auch wirkungslos. Das ist der Kern, der Punkt, auf den man es bringen muß.
({1})
Ich habe doch beim Gipfel in Rio gesehen, wie sozialdemokratische Kollegen glänzende Augen bekommen haben, als sie Al Gore einmal die Hand drücken durften, wie sie an seinen Lippen hingen und gesagt haben: Dieser Mann macht Umweltpolitik!
({2})
Aber heute schweigen diese Kollegen dazu schamhaft. Wir haben Umweltpolitik betrieben, Al Gore hat Bücher geschrieben.
({3})
Ich bin der Meinung, es ist besser, Umweltpolitik zu betreiben, als Bücher zu schreiben und die Versprechungen hinterher nicht zu halten. Das ist es doch.
({4})
Dann sagt eine alterfahrene Politikern wie Frau Fuchs, wir hätten mit dem Rest der Welt wedeln müssen. Ich kann und will die USA, England und andere nicht erschießen.
({5})
Ich kann mit ihnen nur argumentieren. Kommandieren können wir auch nicht; das konnten Sie in der Vergangenheit ebenfalls nicht. Nutzen Sie doch einmal Ihre Möglichkeiten, die Sie haben, um dort etwas überzubringen! Das tun Sie aber nicht.
({6})
- Nein, Herr Schütz, diesmal nicht.
({7})
Nehmen Sie doch endlich zur Kenntnis, daß die AOSIS-Staaten, die Sie immer zitieren, die Umweltpolitik dieser Bundesregierung begrüßen, ihre Impulsrolle, ihre Antreiberrolle im internationalen Geschäft. Warum unterschlagen Sie das denn? Das ist doch kein Staatsgeheimnis, das ausgerechnet Sie hüten müssen. Das können Sie doch einmal laut sagen.
Herr Dr. Lippold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schütz?
Nein. - Anders geht das auch nicht.
Ich sage ganz deutlich zu dem, Herr Fischer, was Sie hier ansprechen - ich fange einmal mit den Verkehrsprojekten an -, nämlich daß wir angeblich zuwenig für die Schiene und alles für die Straße tun: Herr Fischer - auch wenn Sie nicht zuhören -,
({0})
es ist schon eine beklemmenswerte Doppelstrategie, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen: mehr Bahn. Aber bei uns zu Hause, im Rottgau und in Dietzenbach, wo wir die S-Bahn haben wollen, kommen Ihre grünen Freunde und erheben wegen zehn Bäumen Einspruch, und das Verfahren läuft fünf Jahre weiter. Das ist unverantwortlich, Herr Fischer.
({1})
Aber das ist Ihre Politik: Dort, wo es hart wird, weichen Sie aus, da machen Sie vor Ort genau das Gegenteil.
({2})
Das ist grüne Politik: Im Norden eine Bürgerinitiative für die S-Bahn, aber im Süden, wo sie gebaut werden soll, drei Bürgerinitiativen gegen die Realisierung,
({3})
Mit so einer Politik, Herr Fischer, lassen wir Sie nicht durchkommen. Das muß offen ausgesprochen werden.
({4})
Ich habe noch nicht gehört, Herr Kollege Fischer, daß Sie Ihre GRÜNEN vor Ort einmal gerüffelt, zurechtgerückt hätten. Da Sie jetzt so staatsmännisch werden, mit Schlips und Jackett,
({5})
könnten Sie doch auch einmal einen Ordnungsruf in die eigenen Reihen machen und nicht nur Zwischenrufe hier.
({6})
- „Zwischenrufe" habe ich gesagt.
Im übrigen, wenn Sie den mangelnden Fortschritt auf internationaler Ebene kritisieren: Mit welchem Recht - da nehme ich jetzt die GRÜNEN aus - verlangt eigentlich ein sozialdemokratischer Politiker, daß die OPEC-Staaten in diesen Verhandlungen vorangehen, deutlich machen, daß sie auf Öl verzichten, während Sie in einer unverantwortlichen Art an der Steinkohle festhalten? Hier sind die Emissionen maximal.
({7})
Jetzt nehmen Sie doch endlich einmal zur Kenntnis, was mittlerweile auch die grünen Umweltschutzverbände - wir unterhalten uns mit denen; ich habe noch gestern ein Gespräch mit ihnen geführt - sagen: Eine Politik in dieser Form heißt im Grunde mehr CO2 und nicht weniger CO2.
({8})
Das ist klimaschädlich.
Wenn die OPEC-Staaten sehen, daß wir in dieser Form die Steinkohle stützen, dann werden Sie von denen keine Stimme kriegen, um vom Öl wegzukommen. Das ist der Punkt.
({9})
Bleiben Sie bei Ihrem Nein zu Zwischenfragen?
Ja. - Ich meine, es kann doch wohl nicht angehen, daß Sie sich hier hinstellen und so tun, als sei das alles in Ordnung und alles andere liefe nicht.
Ich weiß, es paßt Ihnen nicht, wenn man Ihnen sagt, was Sie daherschwätzen, daß Sie hier so und da so reden. Aber dieses Haus ist ja dazu da, daß man das einmal ganz deutlich zum Ausdruck bringt.
({0})
Wenn morgen die SPD auf ihrer Klimakonferenz in Berlin weitgehend unter sich ist, kann sie mit Freunden gegenseitig Artigkeiten austauschen. Sie und die drei Exoten, die sie eingeladen hat und die in der Masse untergehen, können sich gegenseitig auf die Schultern klopfen und sagen: Was sind wir doch für hervorragende Kerle! Es wäre gut, wenn einmal Herr Scharping hier hinkommen würde; aber bislang bleibt er bei diesen Fragen außerhalb des Parlaments. Ich sage das ganz deutlich; das muß einmal so gesagt werden.
({1})
Ich gebe natürlich denen recht, die sagen, daß das Problem, vor dem wir stehen, vornehmlich von den Industrieländern, von den Ländern des Nordens, verursacht worden ist. Die Kohlendioxidemissionen der letzten 100 Jahre kommen weit überwiegend aus dem Norden. Die Kohlendioxidemissionen und auch die anderen Emissionen - wollen wir uns da nichts vormachen! - sind Emissionen der Industrieländer.
Dr. Klaus W. Lippold ({2})
Aber das heißt nicht, daß man die Schwellenländer völlig aus der Verantwortung entlassen darf. Wir alle wissen, daß zwar die Pro-Kopf-Mengen gering sind, aber eine geringe Pro-Kopf-Menge mit einer in die Milliarden gehenden Bevölkerung bedeutet, daß die absolute Tonnage der Emissionen hoch ist. Dabei wissen Sie wie wir, daß in absehbarer Zeit die Emissionen bei den Schwellenländern die Emissionen der Industrieländer deutlich übersteigen werden. Wer heute darauf verzichtet, in einer differenzierten Art - mit differenzierter Betrachtung und differenzierter Verantwortung, wie wir es früher einmal gemeinschaftlich festgehalten haben - auch die Entwicklungs- und Schwellenländer ins Boot zu holen, der wird sie später nicht mehr hineinbekommen. Wir werden dann keine Problemlösung anbieten können, wenn ein Teil der Welt emittiert und wir meinen, wir könnten dies alles allein durch unseren Beitrag zurückschrauben. Ich bin der Meinung, daß das nicht geht.
Deshalb ist es auch richtig, wenn wir uns jetzt hier intern zunächst einmal damit befassen, wie wir bessere Wege, neue Instrumente finden. Alle sprechen von ökonomischen, von marktwirtschaftlichen Instrumenten. Nur ist es immer so, daß das gerade in Diskussion Stehende nicht das Geeignete ist. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Das, was wir mit der Selbstverpflichtung machen, ist ein marktwirtschaftliches Instrument. Warum jammern Sie eigentlich immer, wenn wir marktwirtschaftliche Instrumente nehmen, die vom Betroffenen auch darstellbar sind? Muß denn Umweltschutz eine Politik sein, die den anderen bis aufs Blut quält, nur damit sie als Umweltschutzpolitik verkauft werden kann?
({3})
Warum kann man denn nicht kooperativ vorgehen und Kräfte freisetzen, die dort vorhanden sind? Das ist ein Stück ökologisch orientierter sozialer Marktwirtschaft, an dem wir festhalten müssen.
({4})
Das Instrument Öko-Audit gehört doch mit dazu. Da sprechen Sie immer nur vom Ordnungsrecht. Wir denken doch mittlerweile in verschiedenen parteiübergreifenden Zirkeln völlig anders und sagen, daß wir das Verhältnis von Öko-Audit und Ordnungsrecht prüfen müssen, um festzustellen, was sich hier denn tut und ob man noch unbedingt den alten Weg gehen muß. Ich sage, daß wir hier auf einem guten, auf einem richtigen Weg mit neuen Instrumenten sind.
Jetzt sage ich Ihnen noch eines: Ich möchte ja wirklich nicht wissen, wie Sie heute morgen hier gestanden hätten, wenn es Ihnen gelungen wäre - nicht erst seit der Veröffentlichung gestern, sondern auf Ihrer Konferenz -, eine bindende Verpflichtung der Industrie zu erhalten, die vorher nicht abgegeben worden wäre. Sie wären hier mit Jubelstürmen angetreten und hätten gesagt, daß das etwas sei. Jetzt ist dies nicht von Ihnen, sondern von der Bundesregierung erreicht worden, und jetzt soll das Instrument auf einmal nichts mehr wert sein.
({5})
Ich sage es einmal ganz deutlich so: Als die SPD zu ihrer Kanzlerzeit - es gab ja einmal Zeiten, als die SPD noch Kanzler in dieser Republik gestellt hat - zu Gesprächen mit der Wirtschaft auf Schloß Gymnich zusammenkam und dort auch Probleme des Umweltschutzes besprach, wurde vereinbart, daß der Katalysator gestoppt wird und es in den nächsten Jahren keine Umweltregelungen geben wird, die die Wirtschaft betreffen. Da wurde nicht von einer Selbstverpflichtung mit Reduktionsergebnissen gesprochen wie hier. Bei Ihrem Gespräch mit der Wirtschaft Stillstand, bei unserem Gespräch mit der Wirtschaft Fortschritt! Das ist eine Politik, die ich für richtig halte.
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Erinnern Sie sich einmal an Gymnich! Sie haben seinerzeit im Umweltausschuß dem Kollegen Baum Vorwürfe gemacht und ihn gefragt, warum es mit der Umweltpolitik nicht so schnell weitergegangen sei. Darauf hat der Kollege Baum, den ich sehr schätze - und zwar schon zu seinen Regierungszeiten; man muß ja als Oppositionsmensch auch einmal anerkennen, wenn einer Gutes in der Regierung tut -, gesagt: Wenn die damalige Regierung - damals hatten Sie die Mehrheit - mich so hätte wirken lassen, wie ich gewollt hätte, dann hätte ich auch das umsetzen können, was Sie schon längst einfordern. - Man kann also nicht in der eigenen Regierungszeit blokkieren, hinterher sagen, es gehe nicht schnell genug, und dann den anderen die Schuld zuweisen, die auf dem besten Wege sind, ihre internationale Vorreiterrolle zu unterstreichen und fortzuschreiben.
({7})
Dem dient das Maßnahmenpaket im Inneren: von der Selbstverpflichtung über das Energieeinsparförderprogramm im Altbau - daß das der richtige Ansatz ist, könnten Sie auch einmal erwähnen - bis hin zu den Maßnahmen in den Bereichen Verkehr, Industrie und Haushalte. Wir machen es übrigens nicht, indem wir die Haushalte bestrafen, sondern wir geben Anreize. Das ist der richtige Weg.
Lassen Sie mich ein Letztes sagen, weil Sie ja bedauerlicherweise von Joint implementation, von der gemeinschaftlichen Umsetzung von Klimaschutz, Abstand nehmen wollen. Wenn ich es richtig sehe, heißt das ja unter dem entsprechenden Punkt Ihrer Konferenz „moderner Ablaßhandel". Damit diskreditieren Sie das Instrument und verstärken Sie die Befürchtungen, die andere Länder haben müssen.
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- Hören Sie doch erst einmal zu! - Nur, wer die Kriterienkataloge liest, wie Schwellenländer und Entwicklungsländer gemeinschaftlich andenken, in welcher Form Joint implementation möglich ist, der wird feststellen, daß dieses weitgehend deckungsgleich
Dr. Klaus W. Lippold ({9})
ist mit den Vorstellungen der Enquete-Kommission, daß dieses wiederum weitgehend deckungsgleich ist mit der Denke der Bundesregierung und daß wir jetzt noch einige Punkte, insbesondere das Vorziehen, die Frage der Anrechenbarkeit und, und, und abhandeln können, um hier einen positiven Schritt weiterzugehen.
Was spricht denn dagegen, wenn wir über Joint implementation auch die Entwicklungsländer, die durch die Konvention bislang nicht zum Handeln verpflichtet sind, dazu bewegen, mit uns gemeinschaftlich etwas zu tun, mit Technologietransfer, mit angepaßten Technologien, die wir zur Energieeinsparung, die wir zur Ressourcenschonung dorthin bringen? Was spricht denn dagegen? Ohne Joint implementation würde dort nichts geschehen. Mit Joint implementation können wir fruchtbare Ansätze schaffen, nicht nur Pilotprojekte, sondern auch Förderung in der Fläche. Das hilft dann auch den Menschen in den dritten Ländern; denn über die umweltfreundliche Energie, die wir dann schaffen können, über regenerative und andere Energien, die wir schaffen, können wir einen Beitrag dazu leisten, daß die dringend notwendige Steigerung des Lebensstandards in diesen Ländern in einer umweltgerechten Form erfolgen kann - nicht umweltunverträglich, sondern umweltverträglich.
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Und warum sollen wir dazu nicht ein Mittel nehmen, das Fortschritt im Umweltschutz mit Fortschritt in der Entwicklung und mit dem Kampf gegen die Armut in diesen Ländern verbindet? Das ist Politik aus einem Guß. Das ist konzeptionelle Politik. Das ist aber etwas anderes, als wenn sich jemand vor den Bundestag stellt, einen kleinen Solarbohrer bewegen will und dann feststellen muß, daß er mit diesem kleinen Solarbohrer keine dicken politischen Bretter bohren kann,
({11})
weil das eben nicht klappt in der derzeitigen Situation. Das heißt, bei Ihnen stimmt gar nichts, nicht die Politik und noch nicht einmal Ihre Demonstrationsprojekte hier vor dem Bundestag. Sie sollten beides ändern, nicht nur das eine.
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Als nächster spricht der Abgeordnete Klaus Lennartz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Lippold, eine Bemerkung vorweg. Wir sind hier im Deutschen Bundestag und nicht im Kongreß. Zweitens hätten Sie dazu beitragen können, daß es zu einem wirklichen Dialog kommt, wenn Sie auch die Fragen unserer Kollegin aufgenommen hätten. Das ersetzt auch keine Polemik. Da hätte ich von Ihnen als dem Vorsitzenden der Enquete-Kommission etwas mehr erwartet, insbesondere Toleranz und Dialogbereitschaft.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn alle Völker dieser Welt unseren Lebensstandard praktizieren würden, dann bräuchten wir noch 20 weitere Planeten und deren Ressourcen. Das sind die harten Fakten. Die Tatsache, daß sich die Industrienationen bisher nicht auf nachhaltige Regelungen einigen konnten, die die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen abwenden können, fällt in besonderer Weise auch auf die Bundesrepublik Deutschland oder, genauer gesagt, Frau Merkel, auf diese Bundesregierung zurück. Denn die ökologischen Signale, die von Bonn und Berlin ausgehen könnten, waren bisher schwach. Es ist nicht absehbar, daß sie stärker werden.
Am 25. Januar mußte das Bundeskabinett notgedrungen erkennen, daß wir als Gastgeberland für die Nachfolgekonferenz nichts auf den Tisch legen können, was die Ergebnisse von Rio weiterführen könnte.
Meine Damen und Herren, flugs wurde eine Staatssekretärsrunde gebildet, die nun als Ersatz für politisches Handeln und für politische Vorgaben eine freiwillige Erklärung der deutschen Wirtschaft zur Klimafürsorge präsentiert. Absichtserklärungen, Verweise auf Erfolge in der Vergangenheit, unkontrollierbare und nicht sanktionsfähige Erklärungen, die zudem in unterschiedlichster Weise nachgeprüft werden sollen, sind das Ergebnis.
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- Sehen Sie sich bitte Ihre eigenen Erklärungen an, Herr Dr. Lippold. Ich bin gern zum Dialog bereit. Stellen Sie Ihre Fragen!
So begrüßenswert die kurzfristigen Hilfen der deutschen Wirtschaft als Politikersatz für ausbleibendes Agieren der Bundesregierung sind, sie setzen die zahlreichen Ankündigungen der Bundesregierung zum Klimaschutz aus der Vergangenheit nur fort, Ankündigungen, die weitestgehend folgenlos geblieben sind.
Meine Damen und Herren, erinnern wir uns doch: Kabinettsbeschluß von 1990, nach dem die CO2Emissionen, in den alten Bundesländern wohlgemerkt, um mindestens 25 % reduziert werden sollten. Das Ergebnis: Tatenlosigkeit und ein bereits heute nicht mehr zu erreichendes Ziel, meine Damen und Herren. Das verkleistert auch diese Erklärung nicht.
Wir erinnern uns an die Erfahrungen mit der FCKW-Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft Ende der 80er Jahre. Sie wurde von der Bundesregierung gegen unseren heftigen Widerstand akzeptiert und erst nach Feststellung der Erfolglosigkeit mit einer Verbots-Verordnung - die wir bereits Ende der 80er Jahre eingebracht haben - kompensiert. Das ist die Wahrheit, wie hier Selbstverpflichtungen eingehalten werden.
Auch heute deutet vieles darauf hin, meine Damen und Herren, daß wertvolle Zeit verstreichen wird, bis konkrete staatliche Rahmenbedingungen gesetzt werden. Besonders schlimm ist der mit der freiwilligen Erklärung einhergehende Verzicht der Bundesregierung auf bisher unbestrittene Politikvorgaben wie z. B. die Wärmenutzungsverordnung. Sie wird als Belohnung für diese freiwillige Erklärung einfach aufgegeben.
Noch schlimmer ist der absehbare weitere Schaden, der für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft entsteht. Wenn Sie die betroffene Wirtschaft sich selbst überlassen und diese in ihrer Betroffenheit das Tempo des Fortschritts selbst bestimmen kann, wenn Sie darauf verzichten, technologische Herausforderungen als politische Vorgaben zu formulieren, dann lassen Sie die hohe deutsche Ingenieurkunst in weiten Bereichen brach liegen und bewirken so, daß die Bundesrepublik in ihren technologischen Möglichkeiten weit zurückfällt.
Alle Beispiele zeigen, meine Damen und Herren, daß nur durch hochgesteckte politisch vorgegebene Ziele technologische Möglichkeiten tatsächlich auch ausgeschöpft werden können. In Japan und besonders in den USA werden durch hohe Schadstoffstandards für die Autoindustrie technische Innovationen angereizt, die sonst nicht erfunden würden. In den USA sind technische Standards im Gespräch, bei denen die deutschen Modelle der S-Klasse eines berühmten Automobilherstellers nur noch gasbetrieben fahren könnten.
Nächstes Beispiel. Die Großfeuerungsanlagenverordnung der Bundesregierung Anfang der 80er Jahre war zumindest ein Versuch, durch staatliche Vorgaben technologischen Fortschritt zu erzielen.
Herr Lennartz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schauerte?
Ja, gern.
Herr Kollege Lennartz, Sie sind, wie ich weiß, ehrenamtlich im Bereich des RWE engagiert.
Richtig.
Sind Sie der Meinung, daß das RWE mit einer gefüllten Kriegskasse von nahezu 19 Milliarden DM Rückstellungen genügend Anstrengungen unternommen hat, um Verbesserungen auf den von Ihnen angestrebten Feldern zu bewirken?
In aller Klarheit: Ich bin der Auffassung, daß dieses Unternehmen seine technologischen und materiellen Möglichkeiten auf diesem Gebiet so wahrnimmt wie ich mir das vorstelle. Aber die Erfolge bei Boa und demnächst der Cobra-Technik sind auch nicht von der Hand zu weisen. Herr Kollege, ich würde mich freuen, wenn dort in den Räten, im Aufsichtsrat wie in der VKA, Ihre Kollegen von der CDU/CSU, Ihre Oberkreisdirektoren meinen politischen Zielen bezüglich Rückstellungen folgen würden. Nur, leider geschieht das nicht. Dort kommt nichts über; dort gibt es keinen politischen Druck. Dort geben Sie sich genauso wie hier mit freiwilligen Vereinbarungen zufrieden, die nichts bringen. Außern Sie das, was Sie hier fragen, in diesen Gremien, und sagen Sie Ihren Kollegen, sie sollten ihrer Verantwortung gerecht werden. Verantwortung im Aufsichtsrat heißt auch mit handeln und nicht nur Bilanzen lesen.
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Meine Damen und Herren, die damalige Großfeuerungsanlagenverordnung war zu weich und wurde von manchen Bundesländern mit wesentlich schärferen Emissionsminderungswerten nachgebessert. Aber sie war jedenfalls ein Versuch. Heute, meine Damen und Herren, rund ein Jahrzehnt später, gehen Sie in Ihrem Politikverzicht sogar so weit, auch noch auf solche weichen Versuche zu verzichten. Es ist ein Trauerspiel.
({1})
Statt durch umweltgerechte und innovative Produkte neue ökonomische Chancen, neue Beschäftigungsmöglichkeiten und eine stärkere wirtschaftliche Leistungskraft in der Bundesrepublik zu ermöglichen, statt durch Energieeinsparungstechnologien große volkswirtschaftliche Chancen zu nutzen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze mit dem Ziel der ökologischen Erneuerung zu verbinden, stellen Sie das Prinzip Hoffnung als Ersatz für Politik vor. Statt Ihren Anspruch auf die geistige Wende, auf die wir nach nun 13 Jahren konservativer Regierungsverantwortung immer noch warten, endlich zu erfüllen, glaubt die Bundesregierung, industriefreundlich zu sein, wenn sie ihre Hausaufgaben von der Industrie schreiben läßt.
Wenn mir, meine Damen und Herren, ein japanischer Unternehmer am Tisch freundlich lächelnd erklärt, daß Europa im Fernen Osten als Souvenirladen betrachtet wird, wenn wir lesen, daß bis zum Jahr 2005 Deutschland unter 38 Industrienationen vom 5. auf den 18. Platz zurückfallen wird, dann sind dies nur zwei Anzeichen dafür, daß in der Bundesrepublik der Beginn einer weiteren technischen Revolution verschlafen wird.
So wie die Dinge liegen, werden wir nicht zu den Gewinnern dieser technischen Revolution gehören, wenn sich dieser Staat unter Ihrer Führung weigert, klipp und klar zu sagen: Wir wollen von unserer Wirtschaft die besten, energieeffizientesten und umweltgerechtesten Technologien, und wir stecken dafür konkrete Ziele ab.
Das Lamentieren - ich gebe es zu - wäre groß. Ich erinnere an die Großfeuerungsanlagenverordnung. Doch fünf Jahre später würden wir uns alle darüber freuen, mit ressourcenschonenden Produkten auf dem Weltmarkt die Nummer eins zu sein. Statt dessen klopfen Sie selbstgerecht und systemgerecht geKlaus Lennartz
mäß Ihrer parlamentarischen Jovialdemokratie, die Sie eingeführt haben, sich und den Wirtschaftsverbänden auf die Schulter und sagen: Schreibt mal auf, was ihr so tun könnt! Sie verspielen damit die Zukunft von Natur und Umwelt, die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland und die Zukunft unserer Kinder.
Meine Damen und Herren, keine Signale für Innovationen sind auch Signale, aber verhängnisvolle. Führen Sie doch die geistige Wende endlich herbei! Definieren Sie doch bitte die alten Tugenden Disziplin und Fleiß neu - Disziplin als eine neue Tugend der Verantwortung durch intelligenten und sparsamen Umgang mit Energie, mit Ressourcen und Rohstoffen; Fleiß als neue Verpflichtung für ständige technische Innovation!
Motivieren Sie Volk und Wirtschaft durch klar formulierte Herausforderungen, z. B. mit einem Klimaschutzprogramm als kluger Industriepolitik, mit der Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung, mit einem 100 000-Dächer-Programm für Solartechnologie, mit der längst fälligen Reform des überalterten Energiewirtschaftsgesetzes aus den 30er Jahren, mit ernstgemeinten, klaren Vorstößen für nationale und EU- weite Harmonisierungskonzepte und europäische Umwelt- Ind Energiestandards, mit einer umweltgerechten Verkehrspolitik, d. h. mit gesetzlichen Vorschriften für verbrauchsarme Fahrzeuge, für ein Tempolimit, für die ÖPNV-Forderungen, für mehr Gütertransport auf Schiene und auf Wasser.
Aber mit schlitzohrigen Rechentricks über CO2- Senkungen kann unsere Zukunft nicht gesichert werden. Die Umwelt wird mit physikalischer Unbestechlichkeit die von Ihnen verpaßten Chancen rächen.
Meine Damen und Herren, die Menschen in unserem Land erwarten Herausforderungen und keine Beruhigungsmittel. Sie möchten keine Ministerin, Frau Merkel, die sich als Büttel der Industrie hier hinstellt. Das erwarten die Menschen nicht.
({2})
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt.
({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, um im Vorfeld des Klimagipfels von mir aus noch einmal deutlich zu machen, daß ich Umweltpolitik nicht als ein Aliud zur Wirtschaftspolitik verstehe, sondern daß aus meiner Sicht Wirtschaftspolitik und Umweltpolitik zwei Seiten ein und derselben Medaille sind.
({0})
Und das gilt eben nicht nur für die Wirtschaftspolitik in diesem Land, sondern ebenfalls für eine immer wachsende Zahl, für eine Mehrheit der Unternehmen in diesem Lande, die begriffen haben - das war nicht immer so, das muß man zugeben -, daß Umweltpolitik eben nicht mehr nur ein lästiger und kostentreibender Bestandteil, eine kostentreibende Begleiterscheinung des Produktionsprozesses ist, sondern daß es darauf ankommt, die Belastung der Umwelt im Produktionsprozeß verantwortungsvoll zu senken und gleichzeitig die immensen Chancen wahrzunehmen, die sich für uns durch neue Technologien und durch die Tatsache ergeben, daß wir durch die Anwendung dieser Technologien und ihren Export zusätzliche Arbeitsplätze schaffen können.
({1})
Meine Damen und Herren, es liegt nahe, daß ein liberaler Wirtschaftsminister dabei auf Selbstverpflichtungen und marktwirtschaftliche Instrumente, auf marktwirtschaftliche Wirkungsmechanismen in der Umweltpolitik setzt. Wir sind für die Steuerungsfunktion der Kosten und der Preise in der Umweltpolitik. Wir sind für Selbstverpflichtung. Wir wollen, daß die Zertifikatslösung, über die viel geredet wird, aber die sich noch nirgendwo hat richtig anwenden lassen, in diesem Lande, das eine Vorreiterfunktion hat, angewendet wird.
({2})
Wenn ich von Wirkungsmechanismen der Kosten und Preise spreche, dann denke ich an unser Kreislaufwirtschaftsgesetz, an das, was wir dort vereinbart haben und in den Verordnungen zur Ausfüllung dieses Gesetzes noch vereinbaren werden. Wenn ich von Selbstverpflichtungen rede, dann denke ich u. a. an die Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft zur Klimavorsorge. Dies ist von Ihnen unter Hinweis auf den Bezugszeitraum 1987 immer wieder kritisiert worden. Meine Damen und Herren, das ist die größte und umfassendste Selbstverpflichtungsaktion, die von der deutschen Wirtschaft, von der Wirtschaft überhaupt abgegeben worden ist. Wir sollten das begrüßen und anerkennen. Das ist Umweltpolitik, wie wir sie uns wünschen.
({3})
Lassen Sie mich eine kurze Bemerkung zur CO2- Minderung machen. Wir stehen zu der CO2-/Energiesteuer in diesem Lande, meinen aber, daß sie dann am wirkungsvollsten ist, wenn sie zumindest europaweit - besser: weltweit - durchgesetzt wird. Deshalb bemühen wir uns darum.
({4})
- Frau Fuchs, das ist keine Ausrede; ich spreche
gleich noch darüber. Aber ist es Ihr Interesse, daß wir
uns auf eine kleine Region beschränken? Unser InBundesminister Dr. Günter Rexrodt
teresse muß sein, daß das europaweit durchgesetzt wird, daß das in allen Industriestaaten Platz greift.
({5})
Erst dann, wenn wir auf dieser Ebene nicht weiterkommen sollten - was ich sehr bedauern würde -, müßten wir uns über einen nationalen Alleingang unterhalten.
({6})
- Hören Sie doch bitte zu! Wir müssen uns bei einem nationalen Alleingang, zu dem ich stehe, ganz genau überlegen, wie wir das angehen. Es kann nämlich nicht in unserem Interesse liegen - ich nenne ein Beispiel -, unsere Stahl- oder Chemieindustrie zu zerschlagen. Die Nachfrage nach Stahl oder nach chemischen Produkten wird weltweit nicht zurückgehen. Der Erfolg wird sein: Wenn unsere Stahlindustrie zerschlagen wird, wird der Stahl an anderer Stelle gekocht werden, dann aber nicht mit unseren Umweltstandards, sondern mit sehr viel niedrigeren.
({7})
Deshalb müssen wir diesen nationalen Alleingang mit Maß und Verstand angehen, wenn es denn dazu kommt.
({8})
- Ich sage doch gerade, daß wir etwas tun wollen. Seien Sie doch so freundlich und hören zu!
({9})
Wir müssen das möglichst europaweit durchsetzen - wenn dies nicht möglich ist, dann so, daß dabei wirklich etwas herausspringt.
Lassen Sie mich dazu noch einen Aspekt anführen: Ich will das gar nicht als Vorwand dafür nehmen, daß wir weniger tun. Ich plädiere für ein Vorgehen mit Verstand: Wir betreiben manchmal einen Aufwand in Millionenhöhe, der die Umweltbelastung in unserem Lande nur marginal verringert. Wir könnten in anderen Ländern mit einem Bruchteil des Geldes etwas bewirken, das auf ein Vielfaches an Umweltschutz hinausliefe, wenn wir an der richtigen Stelle ansetzen würden.
Herr Minister Rexrodt, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte nur noch diesen Gedanken zu Ende führen; dann selbstverständlich.
In Rußland und den GUS-Staaten gehen, insbesondere durch undichte Rohre sowie die Emission von Methan und CO2, Wirkungen auf die Umwelt aus, die sich auf ein Vielfaches dessen belaufen, was wir in Deutschland emittieren. Der Energieverlust, der in
Rußland dadurch entsteht, daß Leitungen für Gas und Erdöl undicht sind, entspricht etwa der Hälfte des Verbrauchs beider Energien in der Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Man muß sich einmal überlegen, welche Umweltverbesserungen man dort mit relativ wenig Geld bewirken könnte, wenn wir uns auf diese Dinge konzentrieren könnten.
({1})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Fuchs?
Ja.
Herr Minister, da ich immer daran interessiert bin,. für konkrete Themen Diskussionsmöglichkeiten zu eröffnen, möchte ich noch einmal auf die Frage einer CO2-/Energiesteuer zurückkommen. Sie haben gesagt: nicht im Alleingang, vielmehr europaweit; wenn aber nicht europaweit, dann auch im Alleingang.
Darüber müssen wir reden.
Ja. - Man muß ferner Kriterien entwickeln, welche Auswirkungen sich daraus für die Chemie- und die Stahlbranche ergeben. Ich bin ja damit einverstanden, wenn Sie sagen, daß man bedenken muß, welche Auswirkungen das hat und wie man damit umgeht. Nun kommt die Frage: Wie lange wollen Sie denn auf eine mögliche europäische Einigung warten? Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß sehr schnell ein Punkt erreicht werden kann, bei dem wir sagen: „Jetzt reicht es uns; wir schaffen es in Europa nicht; wir müssen es in einem nationalen Alleingang machen"? Ich denke, die Zeit drängt. Deswegen würde mich Ihre zeitliche Vorstellung interessieren.
Wir müssen doch gemeinsam daran interessiert sein, daß wir auf europäischer Ebene und möglicherweise darüber hinaus vorankommen. Das muß unser primäres Ziel sein. Ich kann und will Ihnen nun keinen Zeithorizont entwerfen in dem Sinne, daß ich sage: In soundsoviel Tagen machen wir das dann im nationalen Alleingang. Das ist sicherlich eine Frist, die in Jahren zu bemessen ist. Bitte verstehen Sie das nicht als Vorwand dafür, daß wir zu gegebener Zeit nicht über einen nationalen Alleingang nachdenken werden.
({0})
Wir wollen im Umweltschutz Vorreiter bleiben - das sage ich auch als Wirtschaftsminister -, aber mit Maß und Verstand, Frau Fuchs. Das ist das Entscheidende.
({1})
Wenn Sie gestatten, lassen Sie mich noch ein Wort zum Auto sagen. Wir wollen den Autoverkehr und das Auto noch umweltfreundlicher machen, als wir sie durch große und ganz gravierende Veränderungen in der Technik der Automobile schon gemacht haben. Ich weiß, daß die Automobilindustrie dabei ist, mit Blick auf den Klimagipfel Selbstverpflichtungen zu erarbeiten und diese rechtzeitig zu verkünden. Das ist außerordentlich wichtig. Ich gehöre nicht zu denen, die das Auto verteufeln. Ich glaube, das Auto braucht Akzeptanz. Es ist ein Instrument, das Mobilität und Individualität verschafft. Es kann aber nicht Fetisch sein. Wir dürfen es aber auch nicht verdammen. Weil wir es nicht verdammen wollen und verdammen können, müssen wir es umweltfreundlicher mach 2n. Ich bin froh, daß die deutsche Automobilindustrie, was die Standards angeht, weltweit führend ist.
({2})
Lassen Sie mich noch ein letztes Wort zur Kernenergie sagen. Heute abend beginnen die Energiekonsensgespräche. Es sind schwierige Gespräche, mit Blick auf die Kohle, die ja auch ihre Umweltrelevanz hat, aber auch mit Blick auf die Kernenergie. Für uns ist die Kernenergie im Rahmen dieser Konsensgespräche und des angestrebten Energiemixes so wichtig, weil die Kernenergie eben die einzige Energieform ist, die völlig ohne CO2-Emissionen arbeiten kann.
({3})
- Zu den regenerativen Energien stehe ich, auch zur Energieeinsparung.
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Für den Fall, daß wir in den Konsensgesprächen vorankommen, werden wir mit Blick auf die regenerativen Energien richtig Geld einsetzen, um sie zu fördern. Es bleibt aber beim Energiemix. Zu diesem Energiemix gehört nicht zuletzt aus Umweltaspekten auch die Kernenergie, die ihren Platz behalten muß.
({5})
- Dann sind Sie daran schuld; das ist doch ganz klar.
Wir wollen deutlich machen, daß wir zu einer sozialen Marktwirtschaft stehen, die ökologisch ausgerichtet ist, und zu einer - wenn Sie so wollen - ökologischen Marktwirtschaft. Wir eifern nicht, Herr Joseph Fischer, und machen nicht in Ideologie, sondern wir arbeiten. Dazu gehören Selbstverpflichtungen und marktwirtschaftliche Instrumente in unserer Umweltpolitik. Das bringt allenthalben mehr und schneller etwas für den Umweltschutz als große Töne, hinter denen nichts steckt.
Das wollte ich als Wirtschaftsminister vor diesem Klimagipfel einmal deutlich machen.
({6})
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Michaele Hustedt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben begründete Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bemühungen der Regierung auf diplomatischer Ebene. Leider wird es auf der Klimakonferenz - so sieht es inzwischen aus - nur noch darum gehen, überhaupt einen Auftrag für ein Protokoll durchzusetzen. Wir stimmen dem aber nicht zu, daß das automatisch bedeuten muß, den Vorstoß der Allianz kleiner Inselstaaten nicht mit aller Kraft zu unterstützen.
({0})
Begrüßen reicht da überhaupt nicht aus. Ein entschiedenes Ja zum Protokoll der Inselstaaten durch die Bundesrepublik Deutschland würde eine ganz neue Dynamik in die gelähmten Verhandlungen bringen.
({1})
Das wäre eine offensive Position, mit der man Druck für ein Verhandlungsmandat für ein verbindliches Protokoll zur Reduktion der CO2-Emission machen könnte. Aber wahrscheinlich können Sie gar nicht. Herr Rexrodt, mein Vorredner, ist doch das Sinnbild der fleischgewordenen Kapitulation.
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Sie können sich gar nicht international verbindlich auf Ihr eigenes Ziel der Reduzierung der Treibhausgase festlegen, weil Sie es mit der Politik im eigenen Lande gar nicht erreichen werden können. Denn, meine Damen und Herren, der Kaiser ist nackt, die Kaiserin auch.
({3})
Die letzten Versuche der Bundesregierung, die drohende Blamage beim Klimagipfel abzuwenden, ist gescheitert. Das muß hier mit aller Deutlichkeit gesagt werden, auch wenn Sie sich nach der Selbstverpflichtungserklärung der Industrie meinen auf die Schulter klopfen zu können.
Die Bundesregierung fährt mit leeren Händen nach Berlin:
({4})
erst der Rückzieher von Frau Merkel beim Flugbenzin, dann das geplatzte sogenannte Klimaschutzaktionsprogramm, vor einer Woche der verpatzte EU- Umweltministerrat und nun die Kapitulation vor der Industrie.
Die Bundesregierung hat mit diesem Stillhalteabkommen einen weiteren Mosaikstein zum Scheitern der Klimakonferenz geliefert. Aufgabe der Politik ist es in der Tat, wirtschaftliche Führungskräfte von der staatlichen Zukunftsvision zu überzeugen.
Klimaschutz muß ein gesamtgesellschaftliches Anliegen werden, sonst ist die große Herausforderung, in zehn Jahren die CO2-Emission um 25 bis 30 % zu reduzieren, nicht mehr erreichbar. Aber das kann nicht heißen, daß man sich eigenes Handeln verbieten läßt. Es müßte doch vielmehr darum gehen, eine konzertierte Aktion von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft durchzusetzen, die Hand in Hand arbeitet.
Bei Ihrer Vereinbarung mit der Industrie wird man doch den Verdacht nicht los, daß das Zepter des Nichthandelns jetzt, wo es auf politischer Ebene ausgereizt ist, an die Industrie weitergegeben wird. Gesamtgesellschaftliche Aufgaben kann man nicht allein den freien Kräften des Marktes überlassen. Sie bedürfen des regulativen Eingreifens des Gesetzgebers und des politischen Handelns der Regierenden.
({5})
Es liegen zahlreiche Vorschläge auf dem Tisch. Es wird allerorten breit diskutiert, bei den Umweltschutzverbänden, den Kirchen oder auch den Gewerkschaften. Die Anträge unserer Fraktion liegen vor. Da kann man doch nicht vor der nationalen und der Weltöffentlichkeit die Hände in den Schoß legen und hoffen, daß es die Industrie schon richten werde. Damit geben Sie den Gestaltungsspielraum der Politik auf. Das ist eine öffentliche Unfähigkeitserklärung.
({6})
Die Ursache liegt darin, daß die Bundesregierung versagt hat. Erstes Beispiel: Seit zehn Jahren hat die Bundesregierung den gesetzlichen Auftrag, eine Wärmenutzungsverordnung vorzulegen. Umgesetzt ist bis heute nichts. Seit einer Woche wissen wir, da wird auch nichts mehr kommen.
({7})
Zweites Beispiel des Versagens: Die Bundesregierung hat großmundig noch vor der Klimakonferenz ein Aktionsprogramm angekündigt. Wir und die Presse warteten vergebens, die Bestandteile des Aktionsprogramms sind kläglich am Veto anderer Regierungsmitglieder gescheitert.
Drittes Beispiel des Versagens: Das Theater um eine Energiesteuer ist nur durch die vor dem Untergang zitternde F.D.P. zu erklären. Hier geht es nicht um die sachlichen Argumente, sondern um Profilierung um jeden Preis, um den Selbsterhalt. Die Regierungskoalition ist dadurch völlig blockiert. Durch knappe Mehrheit und einen schwächlichen Partner bestraft, beschäftigt sich diese Bundesregierung mehr und mehr nur mit sich selbst. Das ist ein ökologisches Fiasko unter der Schirmherrschaft des Bundeskanzlers.
({8})
Die Enkel werden Ihre Politik beurteilen, und die Enkel werden auch auf des Kaisers neue Kleider nicht hereinfallen. Wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sagen schon jetzt: Dieser Kaiser ist nackt.
({9})
Ich erteile dem Abgeordneten Rolf Köhne das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ihr tut nichts, was euch weh tut", das sagte der indische Umweltminister zu unserer Frau Ministerin Merkel. Er hätte es auch dem Bundesverband der Deutschen Industrie sagen können. In ihrer ungeheuren Großzügigkeit hat die Industrie mit einer sogenannten freiwilligen Selbstverpflichtungserklärung eine Reduzierung ihres CO2-Ausstoßes um bis zu 20 % auf der Basis von 1987 versprochen.
Der Witz ist nur: Durch die Deindustrialisierung in Ostdeutschland ist der CO2-Ausstoß seit 1987 bereits insgesamt um fast 16 % reduziert, der Industrieteil sogar um fast 20 %. Das können Sie in der Drucksache 12/8600, die hier überall auf den Tischen liegt, auf Seite 74 in der Tabelle genau nachlesen. Deswegen sind diese 130 Millionen t CO2-Einsparung, von der Frau Merkel heute morgen gesprochen hat, im Prinzip schon erreicht, nämlich 126 Millionen t. Es bleiben dann nur noch 4 Millionen t. Das sind genau die 4 Millionen t, die die chemische Industrie einsparen will. Das können Sie alles in diesem Papier nachlesen.
Die deutsche Industrie hat sich deshalb also zu nichts verpflichtet. Dieses Nichts feiert die Bundesregierung hier groß, bombastisch als den Durchbruch zur ökosozialen Marktwirtschaft. Das ist doch ein Witz, meine Damen und Herren.
({0})
Worum es wirklich geht, hat Herr Schoser vom Deutschen Industrie- und Handelstag am letzten Donnerstag im Fernsehen auf den Punkt gebracht: Die Industrie will schärferen gesetzlichen Bestimmungen zuvorkommen. Die Bundesregierung hat auch prompt reagiert. Es heißt, die Wärmenutzungsverordnung, die seit 1985 diskutiert wird und seit 1991 im Entwurf vorliegt, ist nicht mehr aktuell. Das ist doch genau das, worum es hier geht.
({1}) - Da brauchen Sie gar nicht dazwischenzulabern.
Damit mißachtet die Bundesregierung den gesetzlichen Auftrag, der ihr durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz vorgegeben ist. Gleichzeitig verzichtet sie darauf, durch Erlaß der Wärmenutzungsverordnung eine reale CO2-Minderung von mindestens 70 Millionen t jährlich bis 2005, also eine zusätzliche Verminderung um weitere 11 %, bezogen auf 1987, zu erreichen. Das ist genau das, was jetzt eingetreten ist. Eine solche Leistung ist auf freiwilliger Basis nicht zu erwarten.
Angesichts niedriger Energiepreise und ihres geringen Anteils an den Gesamtkosten wird der Wettbewerbsdruck nur bei Neuinvestitionen wirksam werden. Dementsprechend ist auch in der Verpflichtungserklärung nichts über die Verbesserung von Altanlagen zu lesen. Richtig: Real sollen dann nur noch CO2-Minderungen um 4 % durchgeführt werden.
Von einer Wärmenutzungsverordnung hingegen wären nicht nur Neuinvestitionen, sondern auch Altanlagen betroffen. Außerdem würden mit ihr weitere Ziele erreicht. Es würden auch andere umweltschädigende Emissionen unterbunden. Alle Anlagen würden entsprechend dem aktuellen Stand der Technik betrieben. Diese Ziele könnten binnen drei bis fünf Jahren erreicht werden. Außerdem wären die so verordneten Investitionen wegen der gleichzeitigen Energieeinsparung durchaus rentabel. Das ist durch eine Studie im Auftrage des Umweltbundesamtes eindeutig belegt. Aber offensichtlich sind der Industrie diese Gewinne, die man so erzielen könnte, einfach nicht hoch genug.
Ich stelle deshalb fest: Die Regierung ist ihrem gesetzlichen Auftrag, eine Wärmenutzungsverordnung zu verabschieden, nicht nachgekommen. Sie hatte den gesetzlichen Auftrag, die beteiligte Wirtschaft nur anzuhören. Statt dessen wurde zum Schutze von Profitinteressen das Gesetz selbst unterlaufen.
({2})
Wir werden deshalb auch außerparlamentarischen Druck entfalten, damit die Regierung gezwungen wird, ihre ursprünglichen eigenen Vorhaben zum Umweltschutz einzuhalten.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
({3})
Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Christian Ruck das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der drohende Treibhauseffekt ist bisher zum ganz überwiegenden Teil ein Produkt der Industrieländer und ihres energiefressenden Wohlstandes. Doch - darauf hat z. B. mein Kollege Lippold schon hingewiesen - dies wird sich schnell ändern. 90 % des Zuwachses an CO2-Emissionen beispielsweise entfallen auf die 75 % der Weltbevölkerung in der Dritten Welt. In 15 Jahren werden wir uns den Ausstoß an Klimakillern mit den heutigen Entwicklungsländern jeweils zur Hälfte brüderlich teilen. Das ist eine traurige Konkurrenz, auf die niemand stolz zu sein braucht.
Andererseits trifft nach heutigem Wissen der Treibhauseffekt gerade viele Entwicklungsländer besonders hart. Für einige besteht durch den prognostizierten Anstieg des Meeresspiegels die Gefahr, ganz oder teilweise zu versinken. In weiten Teilen des Südens werden sich außerdem die Trockenzonen erweitern und verschlimmern. Dies wird die ohnehin schon katastrophalen regionalen Umweltprobleme der Dritten Welt noch verschärfen und Armut, soziale Spannungen und Wanderungsbewegungen noch verschlimmern, weil die breite Bevölkerung das Geld für Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen nicht hat. Spätestens dann schlagen die Probleme wieder voll auf uns, auf Deutschland und Europa, zurück.
Deswegen, meine Damen und Herren, sitzen Entwicklungsländer, Industrieländer und natürlich auch die Länder des ehemaligen Ostblocks, wir alle, in einem gemeinsamen Boot der Verantwortung für die Zukunft der Erde. Wir müssen uns zusammenraufen, wenn wir dieser Verantwortung gerecht werden wollen.
Die Klimakonferenz in Berlin ist dazu ein Schritt, nicht mehr und nicht weniger. So ärgerlich vieles auf der internationalen Bühne im Vorfeld der Berlin-Konferenz ist, z. B. die Blockadehaltung mancher Industrieländer oder die opportunistischen Attitüden mancher Entwicklungsländer wie im OPEC-Kreis: Jammern, Wehklagen oder Resignieren ist kein Ersatz für eine hartnäckige, auch Rückschläge verkraftende Politik gemeinsamer Verantwortung. Noch weniger ist dies die schrille und teilweise sehr deutschlandfixierte parteipolitische Polemik der Opposition, in deren auch heute vorliegenden Anträgen zum Klimaschutz die Wörter „Entwicklungspolitik" oder „Entwicklungsländer" erneut gar nicht oder nur zufällig vorkommen. Das nenne ich Ignoranz.
({0})
- Was ich gemeint habe, weiß ich am besten selbst.
({1})
Das kann ich Ihnen gerne erklären, aber nur, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen; sonst komme ich mit meiner Redezeit nicht hin.
({2})
- Danke.
Die Klimarahmenkonvention enthält den wichtigen Begriff der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung der einzelnen Länder. Im Verhältnis zwischen Nord und Süd bedeutet dies, daß der Norden mit seinem überlegenen Know-how und seiner finanziellen Kapazität alternative Wege einer zukünftigen Energiepolitik und einer energiesparenden Wirtschaftspolitik entwirft und demonstriert, was möglich und machbar ist. Mit einem entsprechenden Wissens- und Technologietransfer können dann die Entwicklungsländer bei gutem Willen in ihrem berechtigten Bemühen nach Wohlstand und Wirtschaftswachstum die umweltpolitischen Fehler der Industrieländer vermeiden oder zumindest dämpfen. Dabei geht es nicht darum, die Entwicklungsländer mit neuen Großbaustellen einzudecken, sondern um die durchdachte Übertragung von Technologien, die von Wirtschaft und Gesellschaft des Nehmerlandes auch im breiten Rahmen akzeptiert werden, insbesondere auch hinsichtlich regenerativer Energien.
({3})
Es geht um die Beratung beim Aufbau ressourcenschonender Produktionsprozesse und nationaler Energieprogramme, um die Unterstützung beim Schutz oder der schonenden Nutzung der Wälder und um Hilfe beim Aufbau der dringend notwendigen staatlichen und privaten Trägerstrukturen
Dies, meine Damen und Herren, wollen und müssen wir unter dem Begriff gemeinsamer Umsetzung machen, weil wir sonst die finanziellen Mittel nicht werden aufbringen können.
({4})
Mehr als die Entwicklungspolitik anderer Geberländer hat die deutsche Entwicklungspolitik nicht nur seit der Konferenz von Rio die Umwelt- und Energiepolitik zum Schwerpunkt gemacht. Fast ein Drittel aller vereinbarten Projekte stammt mittlerweile aus diesem Bereich. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an die milliardenschwere globale Umweltfazilität, eine deutsch-französische Initiative, an der wir weit überproportional beteiligt sind. Ich erinnere auch daran, daß Deutschland mit Abstand der weltweit größte Financier von Tropenwaldschutzmaßnahmen ist.
Meine Damen und Herren, Umweltzerstörung bei uns ist ein Wohlstandsproblem. In der Dritten Welt ist es vielfach eher ein Armutsproblem. So sind beispielsweise derzeit rund 2,8 Milliarden Menschen gerade auf dem Land auf Holz, den Brennstoff der Armen, angewiesen - eine Hauptursache der katastrophalen Entwaldung. Deshalb wird es dort auch kein umwelt- und klimaverträgliches Wachstum geben, wenn keine entscheidenden Erfolge bei der Bekämpfung der Armut in der Dritten Welt erzielt werden.
({5})
Diese Erfolge sind an drei Bedingungen geknüpft:
Erstens. Die Regierungen in den Entwicklungsländern müssen selbst bereit sein, die richtigen Rahmenbedingungen für eine gute umweltfreundliche Politik zugunsten der breiten Bevölkerung zu setzen.
({6})
Das heißt zumeist auch: Sie müssen selbst politische, wirtschaftliche und soziale Reformen durchführen. Ohne eine solche Bereitschaft der Entwicklungsländer ist auch jede Entwicklungshilfe umsonst.
({7})
Zweitens. Die Geberländer und Institutionen müssen ihre gesamte Politik gegenüber den Entwicklungsländern, von der Entwicklungspolitik über die Handelspolitik bis hin zur Agrarpolitik, besser koordinieren und aufeinander abstimmen. Der Schulterschluß zwischen Umwelt- und Entwicklungspolitikern ist dabei zuwenig.
Drittens. Wir müssen unsere entwicklungspolitischen Anstrengungen auch quantitativ erhöhen. Die wachsende Massenarmut, die drohende Radikalisierung in der Dritten Welt, das ungebremste Bevölkerungswachstum, die internationale Drogenkriminalität, die zunehmenden Flüchtlingsströme und die unvermindert fortschreitende Umweltzerstörung mit allen negativen Folgen für das regionale und globale Klima, alle diese Probleme wachsen aus vielen Entwicklungsländern, aber auch aus manchen Staaten der ehemaligen Sowjetunion auf uns zu. Sie lassen die Entwicklungspolitik immer stärker zur Politik der Ursachenbekämpfung, zur Vorfeldverteidigung werden. Dies ist mit dem jetzigen Haushalt und den jetzigen personellen Kapazitäten nicht zu schaffen.
Ein Mißerfolg der Entwicklungspolitik kommt uns jedoch in vielfacher Hinsicht - auch durch den Treibhauseffekt - wesentlich teurer zu stehen. Ich rufe uns deswegen alle auf, dem Bundeskanzler, aber z. B. auch dem Bundesarbeitsminister Norbert Blüm mit ihrer Forderung nach 0,7 % des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe den Rücken zu stärken.
({8})
- Bitte stellen Sie eine Zwischenfrage. Ich bin mit meiner Redezeit fast am Ende.
Meine Damen und Herren, die Klimakonferenz in Berlin ist eine weitere Gelegenheit für die Staatengemeinschaft, Armut, aber auch Dummheit und Habgier durch Verantwortungsbewußtsein und Fürsorge für die kommenden Generationen zu besiegen. Angesichts der weltweiten Umweltzerstörung und des drohenden Treibhauseffektes sollten alle Akteure dieser Konferenz diese Gelegenheit nutzen.
({9})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Müller. Ich bin ganz sicher, daß Sie die ausgefallene Zwischenfrage in Ihre Rede einflechten können.
Ich wollte gar keine Zwischenfrage stellen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die drohende Klimakatastrophe ist eine Menschheitsherausforderung. Insofern finde ich es wichtig, wenn wir das Problem nicht vereinfachen. Um was es im Kern geht, ist ein Bruch in unserem bisherigen Verständnis von Entwicklung und auch mit unseren bisherigen Formen von Wachstum und Wirtschaftsorganisation.
Es gibt bei der SPD-Opposition niemanden, der die Tragweite des Problems nicht sieht. Hier geht es nicht - um einen modischen Begriff zu nehmen - um Peanuts, sondern hier geht es wirklich um eine fundamentale Veränderung und um eine fundamentale Herausforderung an die Politik. Das ist die Ausgangssituation.
({0})
Weil das die Ausgangssituation ist, brauchen wir aber mehr Ehrlichkeit in der Debatte. Da hilft Schönreden nichts, und da hilft vor allem auch keine „Alsob-Politik", nämlich so zu tun, als ob man unheimlich viel tun würde, obwohl sich in Wahrheit nichts bewegt. Beides geht nicht.
Uns ist klar, daß Klimaschutz mit großen Konflikten und auch mit einer enormen Herausforderung an uns alle - an die Bevölkerung, an die Wirtschaft und an die Politik - verbunden ist. Aber weil das so ist, lehnen wir es strikt ab, das Thema schönzureden, die eigenen Leistungen höherzustellen, als sie sind. Und vor allem lehnen wir es ab, so zu tun, als ob man politisch handelt, obwohl man in fünf Jahren gerade einmal eine kümmerliche Wärmeschutzverordnung zustande bekommen hat.
({1})
Wir gehen davon aus, daß sich in den Klimaänderungen die Zukunftsherausforderungen wie in einem Brennglas bündeln. Uns ist auch klar, daß es hier nicht allein um ein Umweltproblem geht, sondern daß damit zentrale Fragen verknüpft sind wie die dramatische soziale Ungleichheit der Welt,
({2})
unser Verständnis von Technik, unser Verständnis von weltwirtschaftlicher Entwicklung etc.
Als zentrale Eingangsbemerkung möchte ich deshalb sagen, daß in all diesen Fragen, die wir jetzt und in der Zukunft zu bewältigen haben, die traditionellen Antworten, die wir über Jahrhunderte hatten, nicht mehr helfen. Wir können beispielsweise mit einem grenzenlosen Freihandel eine solidarische Weltgesellschaft nicht erreichen.
({3})
Wir können mit einem grenzenlosen Glauben an die Kräfte des Marktes den ökologischen Umstieg nicht verwirklichen. Und wir können auch mit dem Verständnis eines grenzenlosen Individualismus die notwendige Sicherung von kollektiven Rechten der nachfolgenden Generationen nicht erreichen.
({4})
Das heißt, die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind sehr tiefgehend. Sie erfordern mehr, als unsere Politik nur marginal zu verändern. Vielmehr stehen wir in den Industrieländern vor einer tiefgehenden Wende in unserem Verständnis von Fortschritt und Entwicklung.
Meine Damen und Herren, die bedrohliche Ausgangssituation in der Klimadebatte ist die, daß eine Trendverlängerung der heutigen Emissionen in eine Katastrophe führen würde. Wir werden in den nächsten Jahren eine dramatische Zuspitzung der Probleme erleben, vor allem natürlich durch die forcierten Industrialisierungsprozesse in den Entwicklungsländern. An diesen forcierten Industrialisierungsprozessen wird sich aber nichts ändern, wenn wir nicht bei uns deutlich machen, daß man anders mit Energie, anders mit Rohstoffen umgehen kann, daß die wirtschaftliche und technische Entwicklung sehr viel umweltverträglicher werden kann. Wenn wir es nicht schaffen, eine energieschonende, rohstoffschonende, umweltverträgliche Wirtschaft zu verwirklichen, fahren die Prozesse der forcierten Industrialiserung nur in den Kollaps der Erde.
({5})
Es wird nicht anders gehen.
Insofern ist die Schlüsselfrage - und da beißt keine Maus einen Faden ab -, ob sich in dieser Hinsicht in den Industrieländern endlich grundlegend etwas ändert oder nicht. Das ist die Schlüsselfrage, an der alles andere hängt. Wir haben die Verantwortung.
({6})
Ich bin froh, daß heute nicht mehr darüber diskutiert wird, ob es überhaupt eine durch Menschen verursachte Klimaänderung gibt. In der Zwischenzeit sind die drei großen Hauptindikatoren so dicht und so lang geworden, daß wir sagen müssen: Die Wahrscheinlichkeit - um Professor Hasselmann zu zitieren - beträgt 95 %. Die Belege sind die Computer-Simulationsrechnungen, die klimageschichtlichen Vergleiche und die konkreten Beobachtungen.
Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse müssen wir mit drei großen Problemen umgehen, auf die wir bisher unzureichende Antworten geben; nämlich erstens die Globalisierung der Ökonomie, die uns naMichael Müller ({7})
tional immer mehr die Handlungsfähigkeit entzieht und uns in einer Weise unter Druck stellt, daß der größte Sünder an der Umwelt zu sein die Bedingungen diktiert, wobei wir mit diesen Formen von Niedrigkonkurrenz, von Umwelt- und Sozialdumping in einer sich globalisierenden Ökonomie bisher überhaupt nicht umgehen können.
Zweitens geht es darum, wie wir es mit Herausforderungen zu tun haben, die die Menschen zu überfordern drohen. Auch das darf man nicht vergessen. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind so komplex und so gewaltig, daß sie viele einzelne von uns überfordern. Das heißt in der Konsequenz, die Politik muß mehr Sicherheit geben, um Orientierung zu schaffen.
Drittens geht es darum, wie wir insgesamt wieder mehr Solidarität und mehr Gerechtigkeit schaffen. Wir können die ökologische Wende nur erreichen, wenn wir zu mehr Solidarität und mehr Gerechtigkeit kommen.
Diese drei Aspekte gehören zusammen: der Umgang mit Grenzen, der Umgang mit der Globalisierung der Ökonomie und die Schaffung von mehr Gerechtigkeit.
({8})
Vor diesem Hintergrund muß man, wenn man die letzten fünf Jahre Revue passieren läßt, noch einmal an Ihre Ausgangssituation erinnern. Die Ausgangssituation waren die Beschlüsse vom 17. November 1990. Damals hat die Bundesregierung drei Eckpunkte gesetzt. Der erste Beschluß bezog sich auf die Reduktion der CO2-Emissionen in den alten Bundesländern um 25 % und in den neuen Bundesländern um einen deutlich höheren Prozentsatz. Der zweite Beschluß lautete, daß wir nicht warten können, bis international begonnen wird, sondern national beginnen müssen. Der dritte Beschluß war: Wir beginnen mit einer nationalen CO2-Abgabe, dessen Aufkommen zweckgebunden für Umweltschutzmaßnahmen eingesetzt werden soll.
Das waren die drei Beschlüsse, die im Wahlkampfjahr 1990 gefaßt wurden. Ich betone bewußt „im Wahlkampf", weil ich glaube, daß diese Beschlüsse in der Form damals nur wegen des Wahlkampfes zustande gekommen waren.
Wenn man das heute Revue passieren läßt, stellt man fest: Erstens. In den alten Bundesländern sind die CO2-Emissionen seit 1990 um 3 % gestiegen. Das ist die Realität; da helfen keine Rechentricks. In den neuen Bundesländern sind sie in der Tat gesunken. Sie steigen aber auch hier seit 1994 wieder an, insbesondere durch die starke Zunahme des motorisierten Verkehrs.
Zweitens. Wir haben keine nationale Vorreiterrolle mehr, wenn wir sie überhaupt einmal innehatten. Ganz im Gegenteil: Das Ende dieser Position wurde durch den Brief von Herrn Kohl im Jahre 1992 an den BDI eingeleitet, als er zusicherte, Klimaschutzpolitik gebe es nur im internationalen Kontext. Das
Schlimmste in der CO2-Selbstverpflichtung der Industrie, ist, daß dort nicht einmal mehr „EU-weit" steht, sondern „zumindest EU-weit". Dies ist letztlich eine weitere Einschränkung Ihrer früheren Position im Zusammenhang mit der Selbstverpflichtung.
Drittens. Zu einer CO2-Abgabe ist es überhaupt nicht gekommen, geschweige denn, daß man das Aufkommen gezielt für nationale Klimaschutzmaßnahmen verwendet hat.
Meine Damen und Herren, wir werden ohne das Primat der Politik keinen Klimaschutz erreichen. Wir sind vor allem auf der politischen Ebene gefordert,
({9})
nicht aus der Selbstverpflichtung der Industrie heraus, gegen die niemand von uns etwas hat. Die Verantwortung muß also bei der Politik liegen. Sie muß den klaren Rahmen für den Klimaschutz setzen;
({10})
sonst ist dies in der Konsequenz die Selbstverabschiedung der Politik aus der Verantwortung. Doch daraus dürfen wir die Politik nicht entlassen.
Alle reden davon, Energie einzusparen. Alle reden von der Notwendigkeit des Einsatzes von erneuerbaren Energien. Unsere zentrale These ist: Wenn die Politik nicht den Raum für diese neuen Energietechniken schafft, werden sie nicht kommen. Sie werden nicht im Selbstlauf kommen. Es kommt nicht von ungefähr, daß der Anteil dieser Energietechniken noch immer unter 2 % liegt. Das liegt daran, daß sie gegen die großen Überkapazitäten der Stromverkäufer überhaupt keine Chance haben, wenn der politische Rahmen für eine Energiewende fehlt.
({11})
Das heißt: Wer keine Ökosteuern will, wer kein neues Energiewirtschaftsgesetz will, wer keine Wärmenutzungsverordnung will, wer keine politischen Vorgaben macht, der wird Energie nur auf dem Papier einsparen. Das können wir uns vor dem Hintergrund der Menschheitsherausforderung Klimakatastrophe nicht erlauben.
Wir wollen eine effiziente, umweltverträgliche Industrie und eine solidarische Gesellschaft für die Zukunft. Das bedeutet in erster Linie mehr politische Verantwortung und nicht den Rückzug der Politik aus der Verantwortung.
Vielen Dank.
({12})
Ich erteile dem Abgeordneten Albert Schmidt das Wort.
Über den Wolken, verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf die Freiheit ruhig grenzenlos sein, aber nicht die SteuerfreiAlbert Schmidt ({0})
heit für Kerosin; damit muß Schluß sein. Heute ist der Tag - das sage ich insbesondere an die Adresse der ehemaligen Liberalen -,
({1})
an dem Sie eine Subvention abschaffen können,
({2})
und zwar zum Schutze des Klimas und zum Nutzen
des Bundeshaushaltes. Sie sind doch auf der Suche
nach Einsparmöglichkeiten, oder sehe ich das falsch?
({3})
Der Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der im Rahmen dieser Klimadebatte mitberaten wird, zielt nicht auf die Erfindung einer neuen Steuer, auch wenn das Wort Kerosinsteuer darin vorkommt. Es geht vielmehr um die unverzügliche Aufhebung der Befreiung des Flugverkehrs von einer Steuer, die es schon gibt,
({4}) nämlich der Mineralölsteuer. Das ist der Punkt.
({5})
Steuerfreiheit für Kerosin ist nicht etwas Naturgegebenes oder Gottgewolltes; sie wurde vielmehr in diesem Land 1953 zur, wie es hieß, Förderung des Flugverkehrs eingeführt. Seitdem ist sie allerdings gültig. Und weiß Gott, sie hat den Flugverkehr gefördert.
Im letzten Jahr waren zum erstenmal 100 Millionen Fluggäste in diesem Land unterwegs, dreizehnmal so viele wie noch 1960. Tendenz steigend; die jährliche Zuwachsrate betrug zuletzt 7 %.
({6})
Noch stärker wächst der Frachtflugverkehr, für den
eigens neue Flughäfen gebaut bzw. Militärflughäfen
umgebaut werden sollen.
Über welche Größenordnungen diskutieren wir eigentlich? Auf der einen Seite über einen Betrag von lächerlichen 30 Pf pro Liter, was das Kerosin zur Zeit kostet, auf der anderen Seite über die staatlichen Einnahmen, die dem Staat durch den Verzicht auf diese Steuer jährlich entgehen. Es wären allein im letzten Jahr - unterstellt man einmal den Steuersatz für normales Autobenzin - 6 Milliarden DM gewesen, die der Staat zusätzlich eingenommen hätte. Dieses Geld haben wir angesichts der notwendigen und aufwendigen Lösung dringender Zukunftsprobleme nicht zu verschenken.
({7})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
({0})
Ja, selbstverständlich.
Herr Kollege, Sie haben eben gesagt, daß das Flugbenzin besteuert werden soll.
So ist es!
Ich finde es im Gesamtzusammenhang nicht falsch, wenn eine solche Forderung gestellt wird.
({0})
Ich möchte Sie aber fragen, ob Ihnen bewußt ist, daß dies ein Problem ist, das nur weltweit gelöst werden kann.
({1})
Zweitens. 1st Ihnen bekannt, daß eine weltweite Besteuerung des Flugbenzins, das z. B. die Lufthansa verfliegt, etwa 180 Millionen DM und eine nationale Besteuerung ein Volumen von lediglich 37 Millionen bis 38 Millionen DM erbringen würde?
({2})
Ich bin sehr dankbar, Herr Kollege, daß Sie diese Frage stellen, denn sie gibt mir Gelegenheit, eine ganze Reihe von falschen Implikationen richtigzustellen.
Erstens. Hätten Sie den Text unseres Antrags gelesen, so hätten Sie entdeckt, daß in Nr. II 1 die Stoßrichtung eine weltweite Thematisierung des Problems Flugbenzinsteuer, und zwar in Berlin, ist, daß zweitens in Nr. II 2 die europäische Ebene und drittens in Nr. II 3 die Ebene des nationalen Alleingangs angesprochen wird. So weit dazu.
Die Zahlen, die Sie genannt haben, sind falsch. Hätten Sie den Subventionsbericht der Bundesregierung von 1994 gelesen, so hätten Sie festgestellt, daß damals allein für den Zeitraum 1991 bis 1994 pro Jahr ein jährlicher Steuerausfall nur im Inlandsbereich von 250 Millionen DM angegeben ist. Uns geht es um das Handeln auf nationaler Ebene, auf europäischer Ebene und auf weltweiter Ebene. Das ist Gegenstand der heutigen Verhandlung.
({0})
Gestatten Sie, Herr Kollege, eine weitere Zwischenfrage von Herrn Hinsken?
Aber sehr gerne.
Ich möchte die Aussage von Ihnen, daß meine Zahlenangaben falsch seien, entschieden zurückweisen.
({0})
Ich habe sie gestern abgerufen und habe diese Zahlen speziell von der Lufthansa genannt bekommen, um gegebenenfalls einiges richtigzustellen, was Sie an Falschem behaupten.
({1})
Ich nehme das zur Kenntnis, obwohl es keine Frage war. Aber es gibt mir ein Stichwort, nämlich „Lufthansa". Auch ich bin natürlich im Gespräch mit der Lufthansa, erst dieser Tage wieder. Ich kann Ihnen eines sagen: Die Lufthansa AG ist - so erstaunlich sich das für manche anhören mag - für eine Kerosinbesteuerung unter der Voraussetzung, daß sie - das ist Nr. I12 unseres Antrags - auf europäischer Ebene eingeführt wird. Warum? Weil die deutsche Luftflotte mit einem Durchschnittsalter von etwa fünf Jahren mit die aktuellste Technologie fliegt, während die alten Kisten anderer Gesellschaften - ich sage einmal: die Dreckschleudern -, die die Emissionsschleudern Nummer eins sind, auf Grund des erhöhten Verbrauchs und damit einer erhöhten Belastung durch die Steuern Probleme bekommen würden. Die Lufthansa AG wird in dieser Frage, denke ich, sehr bald zu unseren Verbündeten gehören.
({0})
Ich komme zu meiner Rede zurück. Wir können unser Gespräch gerne nachher noch vertiefen. Ich bitte Sie um Verständnis. Dies ist meine erste Rede. Ich möchte die nächsten zwei Minuten noch nutzen.
Es geht nicht nur um den Zuwachs des Flugverkehrs. Es geht auch um die qualitative Bewertung. Der Flugverkehr - das haben neueste Studien z. B. vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie bestätigt - hat an der verkehrsspezifischen Klimabelastung inzwischen einen Anteil, der katastrophal zu nennen ist. Er liegt derzeit bei 30 %. Bei ungebremstem Wachstum wird er in zehn Jahren bei 50 % liegen.
Meine Damen und Herren, die Botschaft ist einfach, klar und bitter: Für das Klima dieser Welt ist der Flugverkehr zum Fluchverkehr geworden.
({1})
Das wissen inzwischen viele Menschen, und sie verlangen deshalb Konsequenzen, vor allem die Einführung einer Kerosinsteuer. Dies fordert z. B. der BUND mit seiner Kampagne oder die überparteiliche Initiative „Ökologischer Marshallplan".
Der akute Handlungsbedarf hat sich auch bis ins Umweltministerium herumgesprochen. Frau Merkel, Sie kündigten in Ihrem berühmten Zeitungsinterview am 9. Februar dieses Jahres unter der Überschrift „Fliegen muß teurer werden" Ihre erste große umweltpolitische Initiative an: Internationale Kerosinbesteuerung jetzt.
({2})
Man kennt ja diese Ankündigungspolitik aus früheren Zeiten.
Aber die Regierung ist auch nicht mehr das, was sie einmal war.
({3})
Die Halbwertzeiten dieser Ankündigungen werden immer kürzer, denn diesmal dauerte es nur noch Stunden,
({4})
bis der Big Boss persönlich - quasi noch aus dem Jet in Washington - seine Ministerin in einer Weise abkanzelte,
({5})
daß sie einem schon fast wieder leid tun konnte; denn wenn man eine Ministerin für eine gute Idee von ihrem eigenen Chef derart gedeckelt sieht, dann bekomme ich als Oppositionspolitiker schon fast eine Beißhemmung.
({6})
Was soll man da noch sagen? Dieser Kanzler ist ein Abkanzler. Er demontiert ja seine Ministerinnen selbst, und das wenige Wochen, bevor Sie auf der versammelten Weltklimakonferenz international Gehör und Achtung finden wollen. Ein beispielloser Vorgang!
Aber das Thema Klimaschutz durch Kerosinsteuer ist zu ernst für ein solches Kasperletheater. Sie wissen genau, was jetzt angesagt ist, Frau Merkel. Ich denke, auch Herr Dr. Kohl weiß es, und Sie wissen es auch, liebe Kolleginnen und Kollegen: die Aufhebung der Steuersubvention für Kerosin.
Sie ist verkehrspolitisch überfällig und klimapolitisch unverzichtbar. Worauf wollen wir denn noch warten? Wer jetzt noch angesichts der Zahlen, die auf dem Tisch liegen, untätig bleibt - und das sage ich ganz bewußt auch an die Adresse einer vorgeblich christlich geführten Regierung -, der begeht
Albert Schmidt ({7})
nicht nur eine finanzpolitische Dummheit, sondern er versündigt sich an der Zukunft unserer Kinder.
({8})
Trotzdem, Herr Kollege, müssen Sie zum Schluß kommen, weil Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident.
Deshalb unser Entschließungsantrag, das Thema Kerosinsteuer in Berlin auf die Tagesordnung zu setzen, auf europäischer Ebene sofort zu handeln, nicht erst 1997, und einen nationalen Alleingang bei der Besteuerung von Inlandsflügen zu unternehmen; denn es kostet ja wenig, liebe Kolleginnen und Kollegen auch von den Regierungsfraktionen, sich im Wahlkreis oder bei der Internationalen Tourismusbörse hinzustellen und zu sagen, wir sind für die Kerosinsteuer. Jetzt können Sie beweisen, daß Sie es ernst meinen. Hier ist Rhodos, hier müssen Sie springen.
Herr Präsident, Sie haben recht: Der Worte sind genug gewechselt, jetzt ist Handeln angesagt.
({0})
Herr Kollege Schmidt, Sie haben selber gesagt, daß es die erste Rede war, die Sie hier im Haus gehalten haben. Deswegen möchte ich Ihnen im Namen des Hauses dazu gratulieren.
({0})
Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedauere, daß die Opposition diese Debatte heute eigentlich nur für den innenpolitischen Streit für sich selbst zu nutzen versucht hat
({0})
und nicht für eine wirkliche, der Bedeutung der Konferenz in Berlin angemessene Vorbereitung. Dazu gehört natürlich auch das Ringen um den innenpolitischen Standpunkt, aber eben auch sehr viel mehr, nämlich in bezug vor allen Dingen auf die Erwartungen, die die Länder der Dritten Welt uns und dieser Konferenz gegenüber haben.
Nichts macht doch deutlicher als die Diskussion um die Klimaschutzpolitik, daß wir wirklich in einer Welt leben und daß wir nur eine gemeinsame Chance aufs Überleben haben. Lassen Sie mich deshalb das eine oder andere, worin wir einig sind, noch einmal unterstreichen.
Wir sind uns z. B., denke ich, einig, daß das Ziel, das in Rio festgelegt worden war, nämlich den CO2- Ausstoß der Industriestaaten auf den Level von 1990 zu begrenzen, weiterverfolgt werden muß,
({1})
ja, daß dieses Ziel nicht ausreicht.
Eine Stabilisierung ab dem Jahre 2000, wie sie die Bundesregierung angestrebt hat, wäre sicherlich schon ein schöner Erfolg. Ich hätte mir gewünscht, daß die Opposition die Bundesregierung darin unterstützt hätte, auch andere Industriestaaten davon zu überzeugen, diesen ersten Schritt überhaupt mitzumachen.
({2})
Statt dessen erschöpft sich die Opposition darin, Vorwürfe zu machen und auf ein paar Einzelfragen auszuweichen, aber nicht auf die Gesamtproblematik einzugehen.
Ich denke, daß die heute gegebenen Tatsachen, daß nämlich 20 % der Bevölkerung dieser Welt 80 % des CO2 produzieren, 80 % der Bevölkerung dieser Welt aber nur 20 % des CO2, schon der Auftrag sind, dafür zu sorgen, hier eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Von der Bundesregierung, aber auch von den Kollegen der Koalitionsfraktionen ist vielfach ausgeführt worden, wo die Koalition hier die Akzente gesetzt hat und in der Zukunft setzen wird. Aber ich habe von der Opposition das klare Bekenntnis vermißt, daß es wegen der Bevölkerungsentwicklung in der Dritten Welt, aber genauso auch wegen der notwendigen wirtschaftlichen Entwicklung der Länder in der Dritten Welt notwendig ist, diese Länder nicht mit denselben Forderungen zu überziehen, denen wir uns selbst unterwerfen müssen.
Damit, meine Damen und Herren, bin ich bei der Frage der Glaubwürdigkeit.
({3})
Unsere eigene Politik muß ja wohl glaubwürdig sein. Nach dem Antrag der SPD-Fraktion soll der Anteil der regenerativen Energien im Laufe der nächsten zehn Jahre auf 10 % erhöht werden.
({4})
- Frau Kollegin Fuchs, das ist in der Tat bescheiden. Das heißt, der Rest soll nach Ihrer Vorstellung durch die Nutzung von Kohle und Mineralöl erzeugt werden.
({5})
- Darauf habe ich gewartet. Sie schreiben in Ihrem Antrag: 10 % der Energieproduktion in zehn Jahren. Da ist das Sparpotential vorher schon abgezogen.
({6})
Das heißt, 90 % dessen, was in zehn Jahren erzeugt werden soll, soll durch die Verbrennung von Kohle und Mineralöl erzeugt werden.
({7})
- Das ist überhaupt nicht sophistisch, sondern das schreiben Sie ja so. Was Sie schreiben, ist doch sehr real.
Ich wiederhole: 90 % durch die Verbrennung von Kohle und Mineralöl. Über die Kohle haben Sie heute morgen überhaupt nicht gesprochen, weil Sie in diesem Punkt nicht glaubwürdig sind. Wer wie die Opposition jede Option auch auf die friedliche Nutzung der Kernenergie unter höchstmöglichen Sicherheitsstandards ausschließen will, hat natürlich keine anderen Alternativen als Kohle und Mineralöl, die allerdings den Klimakiller CO2 produzieren.
({8})
Deswegen kann man eine solche Debatte nicht auf innenpolitische oder weit entfernt liegende Streitpunkte reduzieren, auf Punkte, die sehr in der Ferne liegen. Vielmehr muß man erklären, warum man nicht Schritt für Schritt den Ausstieg aus der Steinkohle schaffen will, weshalb man vor allen Dingen nicht dafür sorgen will, daß hier endlich in der Politik vernünftige Dinge befördert und gefördert werden.
({9})
Der Antrag der Koalitionsfraktionen legt in bezug auf die Entwicklungsländer auch in einem anderen Punkt Maßstäbe vor, von denen ich zumindest hoffe, daß die Opposition sie später bei den Ausschußberatungen akzeptieren wird. Damit meine ich die gemeinsame Umsetzung von Programmen zur CO2- Minderung.
Frau Kollegin - Dr. Irmgard Schwaetzer ({0}): Herr Präsident, noch zwei Sätze; ich bin sofort fertig.
Wir wollen, meine Damen und Herren, gemeinsam Pilotprojekte durchführen, damit wir die Sorge einzelner Entwicklungsländer vor diesem Instrument beseitigen können, die befürchten, daß die gemeinsame Umsetzung eventuell zu einer Art Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten werden könnte.
Wir wollen die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland auf dieser Klimakonferenz mit diesem Antrag unterstützen. Für diese wirklich schwierige und das Überleben der Menschheit wichtige Konferenz hätte die Regierung auch von seiten der Opposition mehr Unterstützung verdient.
Danke.
({1})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Winfried Wolf.
Sehr geehrter Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die „Financial Times" schlagzeilte am 23. November 1994: „Chinese roads paved with gold". Auf gut deutsch: Am Autoverkehr in China kann man sich eine goldene Nase verdienen. Die Vorgaben der Autoindustrie lauten heute: China und Indien müssen wenigstens so automobil werden, wie es unsere untermotorisierten Brüder und Schwestern in der ehemaligen DDR 1989 waren. Dort fuhr bekanntlich kein Sonderzug nach Pankow. Vielmehr ließen sich die Politbürokraten in Volvos chauffieren und wohnten in „Volvograd"Wandlitz. Im Jahr 1989 galt dort die Relation 1:4, d. h. ein Auto auf vier Einwohner.
In China und Indien leben derzeit über 2 Milliarden Menschen. Um das DDR-Niveau im Jahr 1989 zu erreichen, benötigte man weltweit 500 Millionen zusätzlicher Pkw. Nun gibt es auf unserer Welt derzeit nur 450 Millionen Pkw.
Bilanz: Allein die Motorisierung dieser zwei Länder liefe auf eine Verdoppelung der Pkw-Zahl und auf eine Verdoppelung der verkehrsbedingten Schadstoffemissionen hinaus. Wir dürften uns einig sein: Das wäre das Knockout für menschliches Leben auf diesem Planeten Erde.
Heißt das, daß wir auf dem Berliner Gipfel gegenüber der Dritten Welt fordern müssen: Hände weg von unserem Konsummodell? Ich glaube, das wäre nach Art der Pharisäer.
Nein, wir müssen vor der eigenen Tür kehren. Das heißt, wir müssen z. B. feststellen, daß es nicht abstrakt die Dritte Welt ist, die nach unserem Konsummodell giert. Es sind VW, Mercedes-Benz, General Motors, Toyota und Mitsubishi, die diese Motorisierungswelle vor Ort betreiben.
({0})
Die Bundesregierung begleitet dies, indem sie U- Bahnen dort mitfinanziert, den öffentlichen Verkehr in den Keller der Städte verlegt, um oberirdisch Fahrradverkehr, Fußgängerverkehr zu verdrängen und den Autos freie Fahrt zu ermöglichen.
Vor der eigenen Tür kehren heißt: Wir haben eine groteske Automotorisierung erreicht. Inzwischen gibt es im vereinten Deutschland 40 Millionen Pkw. Alle Einwohner könnten auf den beiden Vordersitzen ihrer Autos Platz nehmen und ihre Wohnungen z. B. Flüchtlingen zur Verfügung stellen.
({1})
Vor der eigenen Konferenztür kehren heißt festzustellen: Gerade die Klimagipfel-Konferenzstadt Berlin soll zur ,,Autowahn"-Hauptstadt Deutschlands
werden. Stichworte: Berliner Innenstadtring, neue Stadtautobahnprojekte und ein Straßen- und Schienentunnel unter dem Tiergarten hindurch, der diese grüne Lunge der Stadt existentiell gefährden wird.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, DIW, schrieb: Verdoppelung des Pkw-Verkehrs in Berlin nur bei sofortigem Handeln vermeidbar. - Gehandelt wurde und wird nicht.
Die PDS wußte seit langem, daß sie dem Bundestag in der 13. und 14. Legislaturperiode angehören würde. Also gab sie im November 1993 eine Studie in Auftrag, mit dem Titel: „Berlin - Stadt für die Menschen". Ziel war die Planung einer weitgehend autofreien Weltstadt Berlin.
Inzwischen liegt die 400 Seiten starke Arbeit unter dem Titel „Berlin - Weltstadt ohne Auto?" vor. Sie wird von allen Umweltverbänden vor Ort, darunter BUND, Greenpeace, Robin Wood, mitgetragen.
Hier nur drei verblüffende Ergebnisse: Erstens. Im Jahre 1929 zählte Berlin eine Million Einwohner mehr als heute, jedoch nur lächerliche 28 000 Pkw. Die 4-Millionen-Stadt war damals mobil zu Fuß, per Rad, mit Tram-, S-, U-Bahnen sowie Bussen und Droschken. Die Berliner Verkehrsbetriebe fuhren Tag und Nacht im Takt und machten Gewinn.
Zweitens. Eine alternative Verkehrsorganisation wäre weit preiswerter als der fortgesetzte Weg in den Autowahn, und sie würde weit mehr neue Arbeitsplätze schaffen, als solche konvertieren.
Drittens. Es wäre sogar weit günstiger - und nicht teurer -, wenn der komplette private Autoverkehr eingestellt und dieser auf Taxen verlagert würde. Unsere Lösung ist zwar nicht eine solche Taxigesellschaft, sondern eine Mischung von einer Verkehrspolitik der kurzen Wege, von mehr Gehen, mehr Radfahren und der Priorität des öffentlichen Verkehrs.
Doch das eindimensionale Umrechnen des individuellen Pkw-Verkehrs auf reinen Taxenverkehr bringt den Irrsinn der Autogesellschaft auf den Punkt, die „Fahrzeuge" zu Autos sagt und „Stehzeuge" meint. Die entsprechende Passage aus der genannten PDS-Studie wurde nicht zufällig komplett von dem „Magazin des Taxiunternehmers - Taxi" übernommen.
Das wundert den Kollegen Otto Schily kaum, hat er doch bereits eine vergleichbare Umrechnung des bundesweiten Pkw-Verkehrs auf Taxenverkehr, vorgenommen von demselben Autor, in seinem jüngsten Buch begeistert kommentiert.
Ich komme zum Schluß: Wir werden auf dem Gipfel die Studie einer weitgehend autofreien Konferenzstadt Berlin den internationalen Medien vorstellen. Dieser Bundestag erhält privilegiert die Vorabinformation, wie dies gehen kann. Die Studie wird an alle Fraktionsvorsitzenden, den Herrn Verkehrsminister und den Herrn Kanzler versandt werden.
Da ich selber Autor dieser Studie bin, nehme ich an, daß der Herr Präsident mir gestattet, ihm persönlich dieses Buch - natürlich mit einer Widmung - zu übergeben.
Danke schön.
({2})
Damit ist die Präsentation erfolgt. Ich bedanke mich. - Ich erteile der Abgeordneten Christa Reichard das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte um den Standort Deutschland ist Umweltschutz weitgehend unter Belastungsaspekten diskutiert worden.
({0})
Dies halte ich für eine einseitige Betrachtung. Im Vergleich zu anderen Faktoren werden die im Umweltschutz liegenden wirtschaftlichen Chancen noch zuwenig gezielt genutzt.
({1})
Dazu möchte ich jetzt sprechen.
In einer im Auftrage des Bundeswirtschaftsministeriums erstellten Studie wird das derzeitige Marktvolumen der deutschen umwelttechnischen Industrie mit bis zu 58 Milliarden DM beziffert. Dazu kommt eine überproportionale jährliche Wachstumsrate im Vergleich zum gesamten verarbeitenden Gewerbe.
Die wachsende Bedeutung des Umweltschutzes macht sich auch auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar, wie auch die SPD festgestellt hat. Vom DIW wird die Zahl der Beschäftigten für 1991 auf 680 000 berechnet. Es ist davon auszugehen, daß angesichts des dynamisch wachsenden Weltmarktes für Umweltschutzgüter diese Zahl in den nächsten Jahren noch ansteigen wird.
({2})
Mit einem Anteil von 21 % am Weltmarkt für umwelttechnische Güter liegt Deutschland klar an der Spitze vor den USA mit 16 % und Japan mit 13 %. Die deutsche Marktführerschaft ist allerdings auf Grund umfangreicher Anstrengungen in den USA und Japan zur staatlichen Förderung des Exports von Umweltschutzgütern gefährdet.
Ich begrüße deshalb nachdrücklich, daß das Bundesumweltministerium untersuchen läßt, wie der Export deutscher Umwelttechnik nachhaltiger unterstützt werden kann.
({3})
Ein Baustein zur Unterstützung deutscher Unternehmen vor allem im mittelständischen Bereich in Kooperation von Staat und Wirtschaft wird das geplante
Christa Reichard ({4})
Internationale Transferzentrum für Umwelttechnik in Leipzig sein.
({5})
Die Aufforderung zur Förderung des Exports von Umweltschutztechnik richtet sich allerdings nicht nur an das Umweltministerium, sondern ich sehe dies als eine Aufgabe der gesamten Bundesregierung. Ich halte eine gemeinsame Anstrengung von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik für dringend erforderlich, um die deutsche Spitzenposition auf dem Umwelttechnikmarkt zu halten und weiter auszubauen.
({6})
Als zweites möchte ich mich der bevorstehenden Klimakonferenz widmen, und dies besonders als Abgeordnete aus dem Teil Deutschlands, in dem Beschäftigung mit Umweltpolitik vor sechs Jahren noch als staatsfeindliche Handlung betrachtet wurde.
({7})
Herr Müller und Herr Fischer - leider fehlt er jetzt -,
({8})
wir sind uns wirklich einig darin, daß der Schutz unseres Klimas eine der drängendsten Aufgaben der Gegenwart ist. Manchmal habe ich aber den Eindruck, daß wir die Voraussetzungen für gemeinsames Handeln verspielen, indem wir das Klima im Umgang miteinander vergiften.
({9})
So bedauere ich sehr, daß wir als Deutscher Bundestag - hören Sie bitte zu! - keine gemeinsame Erklärung zum Klimagipfel verabschieden. Wie schwierig wird dann erst der Weg einer europäischen und globalen Einigung werden, wenn wir gegenüber der Weltöffentlichkeit nicht zum Konsens finden?
({10})
Wenn ich mir aber die Anträge der Opposition ansehe, kann ich ihnen beim besten Willen nicht zustimmen. Die von der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft erbrachten Leistungen werden in keiner Weise gewürdigt, Kritik dafür kübelweise ausgeschüttet.
({11})
Ganz sicher ist Kritik wichtig und auch eine Aufgabe der Opposition, aber auch die Anerkennung des Erreichten ist nötig.
({12})
Als Beispiele nenne ich den Ausstieg aus der FCKWProduktion, die Beteiligung der Wirtschaft an der
CO2-Reduzierung auf dem Wege der freiwilligen
Selbstverpflichtung, die Beteiligung von Ländern, Städten und Gemeinden durch CO2-Minderungsprogramme sowie umfangreiche klimarelevante Maßnahmen, womit ich nicht nur Betriebsstillegungen, sondern z. B. auch die 60 Milliarden DM für die Sanierung von Altbausubstanz meine.
Dies alles sind Beiträge zum gemeinsamen Ziel, sie stehen weder unter Datenschutz, noch sind es vernachlässigbare Größen. Deshalb möchte ich die Bereitschaft aller Beteiligten an der praktischen Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen ausdrücklich würdigen.
Ich bin unglaublich froh darüber, daß ich die Frage nach meinem Heimatland mit dem einen Wort „Deutschland" beantworten kann.
({13})
Mein Wunsch und meine Hoffnung ist es, daß wir als Bundesrepublik Deutschland gute Gastgeber für die Berliner Konferenz sind. Vor fünf Jahren noch wäre eine solche Konferenz an diesem Ort unmöglich gewesen. Es ist sicherlich keine Schande, wenn man uns heute noch die Freude über die wiedergefundene Einheit ansieht.
Lassen Sie uns nicht als zerstrittene Gastgeber auftreten! Was würden Sie von einem Hausherrn halten, der die geladenen Gäste mit der Erklärung empfängt, daß seine Frau mit dem Aufräumen nicht ganz fertig geworden ist, zum Essen auch noch einige Zutaten fehlen; die Frau erklärt ihrerseits, daß der Mann daran schuld ist? Würden Sie sich als Gast in einem solchen Hause wohlfühlen? Ich denke, ein solcher Gastgeber schadet dem Ansehen der Familie und damit sich selbst.
({14})
Seien wir in Berlin Gastgeber, die für ein gutes Klima sorgen! Lassen Sie uns in aller gebotenen Zurückhaltung, aber selbstbewußt und bereit zum gemeinsamen Reden und zum gemeinsamen Handeln auftreten und Brücken bauen statt Mauern!
({15})
Auch das war eine Premiere, die erste Rede, die Frau Kollegin Reichard in diesem Hause gehalten hat. Deswegen möchte ich auch Ihnen im Namen des Hauses herzlich gratulieren.
({0})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Christoph Matschie.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schwaetzer, Sie haben die Opposition aufgefordert, der Bundesregierung noch etwas mehr Mut zu machen. Ich glaube, das hat sie auch dringend nötig. Denn wir haben in
der Vergangenheit immer wieder feststellen müssen, daß sie vor ihrer eigenen Courage zurückschreckt.
({0})
Mein Kollege Müller hat deutlich gemacht, wie weit die Bundesregierung bei ihren Vorstellungen schon war, was die CO2-Reduktion in Deutschland betraf, nämlich mindestens 25 % für die alten Bundesländer und weit mehr für die neuen Bundesländer. Heute rechnet man schon alles das, was bisher geschehen ist, fein säuberlich zu 14 % zusammen und verkündet große Erfolge, obwohl man ganz genau weiß, daß eigentlich noch wenig passiert ist; denn die CO2-Emission ist in den alten Bundesländern weiter angestiegen, und das, was man als Erfolg verkünden kann, hängt mit dem Umstrukturierungsprozeß in Ostdeutschland zusammen.
Die Bundesregierung hat auch an anderen Stellen der Mut verlassen. Auch die CO2-Abgabe ist nicht weiter verfolgt worden. In der Tat, die Bundesregierung hat es nötig, daß man ihr Mut macht. Und sie hat es nötig, daß man ihr Beine macht! Denn das, was passiert, reicht nicht aus.
Da reicht es auch nicht aus, wenn hier schöne Worte gemacht werden, und es reicht auch nicht aus, wenn man lauthals versucht, hier deutlich zu machen, was erreicht worden ist. Das Klima läßt sich nicht überreden. Das Klima läßt sich nur von Fakten beeindrucken.
({1})
Wenn man sich die Fakten anschaut, dann muß man feststellen, daß die CO2-Emissionen in fast allen Ländern in den letzten Jahren weiter angestiegen sind - mit Ausnahme der Staaten des ehemaligen Ostblocks. Man muß auch feststellen, daß in den alten Ländern der Bundesrepublik die Emissionen weiter angestiegen sind.
Nun ist hier oft das Argument ins Spiel gebracht worden: Das liegt alles daran, daß es international so schwierig ist, daß man international nicht weiterkommt, und das Problem läßt sich nur international lösen, weil es ein globales Problem ist. In der Tat, es ist ein globales Problem, und internationale Lösungen sind notwendig. Aber dies kann doch keine Entschuldigung dafür sein, daß man national Handlungen unterläßt, die möglich wären.
Ich möchte an dieser Stelle eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zitieren, das da schreibt:
Angesichts der globalen Klimaprobleme ist zwar eine international abgestimmte Politik höherer Energiepreise anzustreben, jedoch spricht dies allein noch nicht gegen nationale Vorstöße, zumal aus volkswirtschaftlicher Sicht bedacht werden muß, daß höhere Energiepreise auch Impulse für Innovation geben könnten, die die langfristigen Wettbewerbsaussichten zu verbessern in der Lage wären.
Es gibt Möglichkeiten, national zu handeln. Sie müssen nur ergriffen werden.
Ein zweites Problem, das ich sehe, sind Unstimmigkeiten in der Strategie. Wir haben erlebt, daß der Kanzler in Rio versprochen hat, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen: auf 0,7 % des Bruttosozialprodukts. Wir sehen, wenn wir uns die Haushaltszahlen vornehmen, daß der Haushalt seit 1992 sogar nominal gesunken ist. Wie gehen solche Ankündigungen mit der Realität zusammen?
Glaubwürdigkeit ist eine der entscheidendsten Voraussetzungen für wirksame Umweltpolitik, international und national. Wir haben es immer wieder mit Versprechen zu tun, die nicht eingehalten werden, und wir haben es damit zu tun, daß versucht wird, mit Versprechen Politik zu ersetzen. Denn was ist mit der Diskussion passiert, ordnungsrechtliche Maßnahmen einzuleiten, um eine ökologisch orientierte Industriepolitik in diesem Land zu gestalten? Was übriggeblieben ist, sind Versprechen der Industrie. Wer aber wird diese Versprechen einklagen, wenn sie nicht eingehalten werden?
({2})
Wir erleben auch, daß schon in der Presseerklärung der Bundesregierung dazu vermerkt ist: Wenn die Industrie die Versprechen nicht einhält, werden wir uns weitere Schritte überlegen. Das riecht alles danach, daß hier Zeit geschunden werden soll.
({3})
Das riecht nach Aktionismus vor internationalen Konferenzen.
So heißt es z. B. im Umweltbericht 1994 der Bundesregierung:
Alle Diskussionen zum Verkehrssektor zeigen, daß hier eine absolute Verringerung der CO2Emissionen nur mit erheblichen staatlichen Eingriffen erreichbar wäre.
Was macht die Bundesregierung? Sie setzt auf Selbstverpflichtung aus der Autoindustrie, die im Gegenzug zur Verpflichtung, den CO2-Ausstoß um ein Viertel zu senken, „die dritte Fahrspur auf Autobahnen" zum „unverzichtbaren Bestandteil einer aktiven Klimapolitik" erklärt.
({4})
Da greift man sich an den Kopf, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist keine Umweltpolitik mehr.
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Selbstverpflichtungen sind in der letzten Zeit der große Renner. Ich möchte dazu eine Studie zitieren, die das Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hat und die noch ganz frisch ist: vom Dezember 1994. Das Thema dieser Studie lautet: „Die externen Kosten der Energieversorgung - internalisieren ohne Staat?" Die Prognos AG, die diese Studie erstellt hat, schreibt dazu:
Wir befinden uns derzeit in einer Phase der Akkumulation von Erkenntnissen über die bedrohlichen Ausmaße möglicher externer Kosten. Gleichzeitig akkumuliert aber auch das technologische und organisatorische Wissen über die Vermeidbarkeit dieser Kosten. In einer solchen Phase muß der Staat für eine erfolgreiche Internalisierung die Rahmenbedingungen neu setzen, damit sich die innovativen Potentiale der Unternehmen auf breiter Front entfalten können und sich die Realisierung dieser Potentiale in der gebührenden Geschwindigkeit einstellt.
Internalisieren ohne Staat? Der Schluß lautet: Ohne den Staat geht es nicht.
Doch die Bundesregierung setzt weiter auf Versprechen statt auf Politik. Wie kann man Erfolge verkünden, ohne sich wirklich festzulegen?
Zu diesem Aktionismus vor Konferenzen paßt auch die Ankündigung des Bundesverkehrsministers zur Umgestaltung der Automobilsteuer, die bisher noch völlig unausgereift ist und deren Wirkung schon jetzt von vielen Seiten angezweifelt wird. So schreiben z. B. die „Dresdner Neuesten Nachrichten" dazu:
Auch wenn der Verkehrsminister am Wochenende mal wieder seine Nase rümpfte - die Besitzer von kleinen und großen Stinker-Autos können durchatmen. Wissmanns angedrohte „emissionsorientierte Kfz-Steuer" riecht eher nach Aktionismus denn nach ernsthaftem Bemühen, den Nebel rauchiger Abgasfahnen zu lichten. Denn wer wird schon seinen alten Wartburg verschrotten, nur weil dieser ihn ab nächstem Jahr ganze 24 Mark mehr an Steuern kostet?
Die Kfz-Steuer hat sich schon immer als untaugliches Mittel erwiesen, um Umweltbewußtsein zu fördern. Sinnvoller wäre es, sie auf den Benzinpreis umzulegen . . .
Recht hat der Kommentator.
({6})
Wir dürfen nicht im Bereich solcher symbolischen Politik bleiben. Irgendwann reicht es nicht mehr aus, nur Ankündigungen und Versprechungen zu machen, die folgenlos bleiben, oder auf Konferenzen bedeutungsvoll die Stirn in Falten zu legen. Irgendwann muß man auch das Hirn dahinter etwas mehr bewegen und zu Taten kommen.
({7})
Die Zeit läuft uns bei diesem Thema weg; die Glaubwürdigkeit schwindet bei jeder Ankündigung, der keine Taten folgen. Wir wissen um die bedrohlichen Probleme. Wir haben Handlungsmöglichkeiten, auch national, aber wir nutzen sie zuwenig. Dies ist ein Betrug an all denen, die heute jung sind, und an allen nachfolgenden Generationen.
Wir beuten die Erde in einer Weise aus, die die Lebenschancen künftiger Generationen mehr und mehr einschränkt. Damit wird der Generationenvertrag gebrochen. Schon jetzt gibt es 10 bis 15 Millionen Umweltflüchtlinge pro Jahr. Irgendwann werden wir vor die Frage gestellt werden: Warum habt ihr das zugelassen? Warum habt ihr die Erde kaputtgemacht? Da wird es keine Gnade der späten Geburt geben. Wir haben Chancen, drastischere Schritte im Umweltschutz zu gehen. Noch ist es nicht zu spät. Nutzen wir diese Chancen!
({8})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Simon Wittmann.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Matschie, ich darf ein paar Bemerkungen zu Ihrem Beitrag machen. Wenn Sie von der Glaubwürdigkeit unserer Ministerin Merkel sprechen, dann muß ich sagen: Sie wird wohl ihre Position in Berlin um so glaubwürdiger und um so intensiver vertreten können, je mehr wir als Gesamtheit des Parlaments sie unterstützen und die Dinge nicht durch eine zum Teil wohl auch unberechtigte Kritik zerreden.
({0})
Ich glaube, daß trotz allem - abgesehen von einigen Ausfällen der Frau Fuchs - die Debatte bisher sehr gut verlaufen ist und eine Reihe von neuen, diskussionswürdigen Aspekten durch heute erst vorgelegte Anträge hinzugefügt wurde.
Ich möchte noch einmal zu der Kritik an dem zu langsamen Zustandekommen von Vereinbarungen mit der Wirtschaft usw. Stellung beziehen. Ich tue es nicht gern, weil es schon einige Jahre zurückliegt. Aber ich muß Sie doch daran erinnern, daß während der SPD-Regierungszeit im Umweltbereich überhaupt nichts vorwärtsgegangen ist. Daß wir heute auch nicht so schnell vorankommen, wie es teilweise wünschenswert wäre, ist klar; aber es geht ja auch um eine der Marktwirtschaft gemäße Umsteuerung.
Eine letzte Vorbemerkung. Es geht um den Glauben an die Allmacht des Staates. Der ist bei der PDS klar. Sie hat ja auch bewiesen, was man mit der Allmacht des Staates alles an Umwelt kaputtmachen kann.
({1})
- In Bayern gibt es keine Staatspartei, auch wenn die CSU dort seit 40 Jahren regiert. In Bayern haben wir eine Wirtschaft mit der geringsten Arbeitslosigkeit, mit der besten Technologie und dem besten Umweltschutz. Ich werde nachher dazu etwas sagen. Wir haben das Ziel, bis zum Jahr 2000 13 % der Energie aus erneuerbaren Rohstoffen zu gewinnen. Wir haben jetzt bereits 7 % erreicht, das ist dreimal soviel wie der Bundesdurchschnitt.
({2})
Ich glaube, wir sollten gerade bei der Umsteuerung ein Stück Vertrauen in die Wirtschaft setzen. Natürlich braucht man die „Folterwerkzeuge" in der Rückhand. Die hat Frau Ministerin Merkel auch, sie
Simon Wittmann ({3})
hat es heute deutlich gemacht. Nur, wenn man bereit ist, diese Werkzeuge notfalls anzuwenden, werden wir auch im freiwilligen Bereich vernünftige Ergebnisse erzielen.
Ich möchte heute auf einen Bereich eingehen, der bisher noch wenig angesprochen wurde, aber auch zu vielen Mißverständnissen geführt hat. Nach dem Ergebnis der Enquete-Kommission dürfte die Landwirtschaft in Deutschland mit etwa 12 bis 15 % am Treibhauspotential der klimawirksamen Spurengasemissionen beteiligt sein. Auch wenn diese Zahlen sicher Schätzungen sind - ich gehe davon aus, daß sie stimmen -, ist damit die Landwirtschaft bei weitern nicht der Hauptverursacher der klimaschädlichen Emissionen, sondern stellt im Vergleich zu anderen Sektoren nur einen relativ geringen Anteil dar. Dies muß eingangs betont werden, und ich betone es ganz bewußt, nachdem SPD-Politiker, wie z. B. der bayerische SPD-Landtagsabgeordnete und verhinderte Umweltminister Kolo, die Landwirtschaft als den Umweltfeind Nummer eins bezeichnet haben.
({4})
Land- und Forstwirtschaft sind nicht Hauptverursacher, sondern Hauptopfer der möglichen Klimaveränderung.
Viel zuwenig wird die positive Wirkung deutlich gemacht, die die Landwirtschaft durch die Bindung von CO2 ausübt: Nach Schätzungen werden etwa 170 Millionen t Kohlendioxid durch landwirtschaftliche Kulturpflanzen in Deutschland gebunden. Darüber hinaus kann die Landwirtschaft gerade bei der Klimakonferenz in Berlin auf eine Bilanz verweisen, die sich sehen lassen kann, auch wenn in Zukunft vielleicht noch die eine oder andere Verbesserung möglich ist.
Als erstes möchte ich auf die EG-Agrarreform eingehen, die zusammen mit den flankierenden Maßnahmen ein wirksames Mittel zur umweltgerechten Produktion darstellt. Durch die Preissenkung bei einem wesentlichen Teil der Produkte und die Gewährung der Ausgleichsprämie ist ein sinnvoller ökonomischer Anreiz zu einer extensiveren Produktion gegeben. Die Gewährung der vollen Ausgleichsprämie für den Anbau nachwachsender Rohstoffe hat gerade auch in Deutschland zu einem sprunghaften Anstieg des Anbaus geführt. Einen weiteren Beitrag leistet das attraktive Aufforstungsprogramm - Frau Merkel hat es angesprochen - im Rahmen der flankierenden Maßnahmen.
So geht auch das Umweltbundesamt in seinem Jahresbericht 1994 von einer Zunahme der Waldfläche durch die Aufforstungsprämie aus und erwartet, daß der jährliche Holzzuwachs in Deutschland 19 Millionen t CO2 zusätzlich binden wird.
Ich freue mich auch, daß die Enquete-Kommission ein klares Bekenntnis zur Nutzung von Biomasse abgelegt hat. Der „Focus" - Sie haben es sicher gelesen - hat von einer Studie berichtet, die die Bedeutung dieser Rohstoffe für die Zukunft dokumentiert.
({5}) Dort heißt es - ich zitiere -:
Brennstoffe aus Pflanzenmaterial könnten einen merklichen Beitrag zur Energieversorgung und zur Minderung der CO2-Emissionen leisten.
Die thermische Verwertung des deutschen Biomassepotentials zur Wärme- und Stromproduktion könnte den jährlichen Kohlendioxidausstoß um bis zu 121 Millionen t senken; dies wären 13,5 % weniger als im Jahre 1993.
({6})
- Wir setzen auch auf Atomenergie, weil wir für den richtigen Energiemix sind. In der Zukunft wollen wir regenerative Energien nicht an Stelle von Atomenergie, sondern an Stelle von Kohle und anderen fossilen Brennstoffen, die ja gerade die CO2-Bilanz negativ beeinflussen und damit die Probleme der Klimaveränderung mit sich bringen, einsetzen.
({7})
Ich habe die entsprechenden Zahlen für das Bundesland Bayern ja schon genannt: Bis zum Jahr 2000 sollen 13 % der Energie aus regenerativen Rohstoffen gewonnen werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Wolf?
Ich habe es nicht nötig, mit denen zu diskutieren, die die Umwelt in Deutschland katastrophal zerstört haben.
({0})
Nachdem ich die Zahl für Bayern genannt habe, darf ich vielleicht auch auf folgendes hinweisen: Wenn die regenerativen Energien in allen SPD-regierten Ländern und dort, wo die Grünen beteiligt sind, so stark eingesetzt würden wie in Bayern - dreimal soviel wie im Bundesdurchschnitt -, dann wären wir in diesem wichtigen Bereich wesentlich weiter.
({1})
Deshalb sollten auch die Länder ihre Möglichkeiten nutzen. Ich kann sie nur dazu auffordern.
Ich plädiere auch für eine unvoreingenommene Beurteilung aller Anwendungsbereiche der nachwachsenden Rohstoffe - ob Restholz, ob andere Biomasse, ob Biodiesel. Ich glaube, wir sollten alle Einsatzmöglichkeiten prüfen; denn die CO2-Komponente ist überall ein entscheidender Faktor. Ich glaube, gerade bei den Biotreibstoffen müssen wir in Zukunft die Rahmenbedingungen so gestalten, daß die Anwendung auch für den Erzeuger, also für den Bauern, finanziell interessant ist.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich könnte noch eine ganze Reihe von Maßnahmen in der Landwirtschaft, wie Rückgang des Düngerverbrauchs, z. B. um 50 % bei Kali, um 55 % bei Phosphat usw., nennen, die zeigen, daß wir uns eigentlich zum Teil schon an das gehalten haben - oder zumindest bei der Umsetzung sind -, was wir in der Enquete-Kommission gefordert haben. Ich glaube, daß wir mit diesen und anderen Maßnahmen einen deutlichen Schritt zu einer nachhaltigen und damit auch einer gleichermaßen klima- und umweltverträglichen Landbewirtschaftung getan haben und daß wir damit eine stolze Bilanz auch für diesen Bereich in Berlin vorweisen können.
Danke schön.
({0})
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Monika Ganseforth.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Sie haben eben mit Recht bei einigen Zitaten aus dem Bericht der EnqueteKommission immer die Wörter „könnten" und „würden" verwendet. Das Problem ist ja, daß die erneuerbaren Energien, die Biomasse, die Sie angesprochen haben, aber auch Wind, Wärme, Sonne und Wasser, bei einem Überangebot an Energie nicht in den Markt gelangen. Insofern verhindert der zukünftige Einsatz der Kernenergie mit ihren Zwängen und der damit verbundenen Großtechnologie etwas, was sinnvoll wäre und was uns im Klimabereich voranbringen würde.
Ich möchte noch einige weitere Punkte aufgreifen.
Hier wird immer gesagt: Die Opposition kritisiert nur und nennt nicht auch die Erfolge, die vorzuweisen sind; sie werden verschwiegen. Das ist nicht wahr. Als Herr Töpfer und die Bundesregierung auf dem Gipfel in Rio 1992 eine positive Rolle gespielt haben, haben wir das hier durchaus anerkannt. Das ist öffentlich an vielen Stellen gesagt worden. Die Wahrheit ist allerdings: Als Herr Töpfer von Rio zurückkam, stellte sich heraus, daß das Volumen des Umwelthaushaltes reduziert worden war und die Kollegen der anderen Ressorts inzwischen ihr Schäfchen ins trockene gebracht hatten. Das ist nämlich die Realität. Wir können die Umweltpolitik nicht begrüßen, wenn in Wirklichkeit die Strukturen durch den Verkehrsminister, den Wirtschaftsminister usw. bestimmt werden. Gute Absichten genügen nicht. Das gilt auch für Frau Merkel.
Der zweite Punkt. Als die Konferenz von Rio zu Ende ging, wurde das Schlüsselwort „Prompt start" ausgesprochen, auch von Herrn Lippold. Ich frage: Was ist nach den Monaten und Jahren aus dem „Prompt start" geworden? Jetzt werden wir auf den nächsten „Prompt start", den nach Berlin, verwiesen. Daß wir nicht mehr glauben können, daß Sie ernsthaft vorankommen, ist wohl kein Wunder. Wir haben hier zu viele Ankündigungen gehört.
Herr Paziorek, Sie haben hier gesagt: Demnächst kommt die Wärmenutzungsverordnung. Ich weiß es noch ganz genau, weil ich da nachgefragt habe. Darüber sind Jahre ins Land gegangen. Jetzt bringen Sie es dem BDI als Opfer auf dem Altar dar.
({0})
Dabei würde das 100 Millionen t CO2-Emissionen pro Jahr einsparen. Seit vielen Jahren ist angekündigt worden: Demnächst kommt es.
({1})
So sieht die Realität aus.
Ich möchte doch noch einmal folgenden Punkt aufgreifen: Frau Merkel, Sie haben gesagt, es sei nicht vereinbart, daß die CO2-Emissionen nach dem Jahr 2000 weiter reduziert werden. Das ist ein Irrtum. Vielleicht liegt das daran, daß Sie noch nicht so lange dabei sind. Art. 2 der Klimarahmenkonvention besagt, daß die Treibhausgaskonzentration - das haben weit über 100 Staaten ratifiziert - stabilisiert werden soll, und zwar in einem solchen Zeitraum, daß sichergestellt ist, daß die Ökosysteme nicht irreversibel geschädigt werden. Das heißt also, es muß relativ schnell sein. Wenn Sie die Treibhausgaskonzentrationen konstant halten wollen, dann müssen die Emissionen zurückgehen und dürfen nicht weiter steigen. Das steht in Art. 2 der Klimarahmenkonvention. Insofern ist es einfach ein politischer Fehler, das erneut zu verhandeln und es in die Diskussion zu bringen; denn es ist bereits Bestandteil der Klimarahmenkonvention, und es ist unterschrieben.
Nun möchte ich zu den Punkten kommen, die wir heute noch diskutieren. Die Bundesregierung hat vier dicke Berichte vorgelegt, fast 1 000 Seiten bedrucktes Papier. Wenn das irgendeinen Rückschluß auf die Aktivitäten oder die Fortschritte in der Umweltschutz- oder Klimapolitik erlauben würde, dann würden wir uns in einem umweltpolitischen Paradies befinden. Leider ist das Gegenteil der Fall. Die Masse Papier soll nur die Blöße verdecken.
Lassen Sie mich das am Dritten Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht nachweisen, und lassen Sie mich diesen Bericht bewerten. Herr Friedrich, es stimmt nicht, daß wir über das Thema nicht mehr reden, wie Sie heute morgen gesagt haben, sondern wir beobachten das sehr genau.
Zur Erinnerung: Die Enquete-Kommission in der 11. Legislaturperiode hatte sich mit dem Thema befaßt, und die Koalitionsvertreter wollten der Regierung damals empfehlen, durch freiwillige Vereinbarungen mit den beiden Herstellerfirmen und der Anwenderindustrie über den Ausstieg aus der FCKWProduktion und -Anwendung voranzukommen.
Wir haben davor gewarnt, aber das Rezept kennen wir ja inzwischen. Wir, die Opposition, waren für ein Sofortverbot und hatten - Herr Lennartz hat das erwähnt - einen eigenen Antrag zum Sofortausstieg eingebracht. Wir haben ihn zurückgestellt - denn wir hatten keine Mehrheit - und sind im Interesse der Sache aufeinander zugegangen.
Wir, Koalitions- und Oppositionsseite, haben uns geeinigt und haben einen Kompromiß geschlossen, der zwar Verhandlungen vorsah, aber mit einem kurzen, konkreten Zeitrahmen, kein open end. Das ist das Problem. Man kann mit der Industrie nur dann verhandeln, wenn man nicht nur Maßnahmen im Hintergrund hat, sondern wenn man auch präzise Zeitvorstellungen hat.
Das, was Herr Rexrodt heute über die Zeitvorstellung einer nationalen Energiesteuer gesagt hat, beruhigt mich überhaupt nicht. Das zeigt, daß das auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird und er nichts gelernt hat.
Durch das Verfahren, das wir gemeinsam beschlossen haben, wurde zwar Zeit verloren, denn die Industrie hat das natürlich ausgenutzt, aber am Ende gelang im wesentlichen der Ausstieg. Das haben wir oft genug gesagt. Ich finde, es wäre an der Zeit, daß die Bundesregierung unseren Anteil dabei lobend erwähnt, aber es ist ganz selbstverständlich, daß uns immer nur Kritik vorgeworfen wird.
Nach der Methode, die Sie damals gehabt haben, würden - da bin ich mir ganz sicher, und Herr Schmidbauer, der damals Vorsitzender der EnqueteKommission war, würde das bestätigen - Sie heute noch verhandeln und wären aus der FCKW-Produktion heute noch nicht ausgestiegen.
Sieht man sich den Ozonbericht jetzt an, so ist er alles andere als beruhigend: Die FCKW-Halon-Verordnung ist durchlöchert wie ein Käse. Man muß sich nur die vielen Ausnahmen ansehen. Nicht nur im medizinischen Bereich werden FCKW weiter verwendet, obwohl es Ersatzstoffe gibt. Besonders das Feuerlöschmittel Halon, das ein ganz hohes Ozonzerstörungspotential hat, ein noch viel höheres als die gefährlichen FCKW, wird noch in vielen Bereichen eingesetzt.
Im Bericht steht z. B.: Beim Automobilsport gibt es 96 genehmigte Ausnahmen für Halone, Geltungsdauer bis Ende 1998. Rechenzentren, EDV-Anlagen, Industrieanlagen mit brennbaren Lösemitteln dürfen Halone weiter verwenden. Vor allem bei der Bundeswehr werden Halone als Löschmittel verwandt, besonders in Flugzeugen, Schiffen, Booten und gepanzerten Fahrzeugen. In der Begründung des Berichts heißt es, daß - jetzt zitiere ich - „die Umrüstungsmaßnahmen noch nicht abgeschlossen werden konnten". Dabei sagen Sie immer: Wir sind der Musterknabe, und wir sind an der vordersten Stelle.
Methylbromid, das bromhaltige Pflanzenschutzmittel: Sein Ozonzerstörungspotential ist zigmal größer als das der gefährlichen FCKW. 1992 wurden nach dem Bericht in Deutschland fast 100 Tonnen abgegeben. Ich will gar nicht von den anderen Auswirkungen auf die Umwelt sprechen. In Holland ist das längst verboten. Ich frage Sie: Wann kommen wir, wann kann der Musterknabe endlich dazu kommen, auch Methylbromid zu verbieten?
Das teilhalogenierte FCKW, das sogenannte FCKW light, darf bis zum Jahre 2014, also noch knapp 20 Jahre, verwendet werden und hat ebenfalls ein Ozonzerstörungspotential. Die Bundesregierung hält diesen Zeitrahmen für ausreichend.
Und - wir haben es heute morgen gehört - in der EU haben Sie den Reimporten zugestimmt. Das führt dazu - das können Sie im Bericht nachlesen -, daß EU-weit in der Kälte- und Klimatechnik die FCKW- Anwendung wieder zugenommen hat. Daß es keine guten Nachrichten aus Ländern wie Indien, China und Rußland gibt, ist keine Frage. Dabei geht - und das sagt auch der Bericht - der Ozonabbau immer weiter.
Als Ursache wird in dem Bericht der Ausbruch des Vulkans Pinatubo im Jahre 1991 genannt. Die neueren Messungen zeigen, daß, obwohl die Auswirkungen des Vulkanausbruchs inzwischen abgeklungen sind, sich die Ozonschicht weiter dramatisch verringert.
Der Ozonschwund ist weitergegangen. Über der Antarktis z. B. ist im September des letzten Jahres der Ozonabbau früher aufgetreten als sonst und wies noch niedrigere Werte als in den Vorjahren auf. Aber genauso schlimm ist: Über Zentraleuropa, also über unserer Gegend, wo es bis jetzt noch nicht so schlimm war, beträgt der Verlust, der im Februar dieses Jahres gemessen wurde, 20 %, über Sibirien sogar 35 %. Das kann noch mehr werden, wenn die Sonneneinstrahlung den Abbau vorantreibt.
Ursache ist, daß die Temperatur um 10 bis 12° niedriger ist als normal. Hier zeigt sich, daß sich der Ozonschwund selbst verstärkt; denn das Ozon ist sozusagen die Heizung in der Stratosphäre. Der Ozonschwund führt zu niedrigeren Temperaturen, und die niedrigeren Temperaturen führen zu einem weiteren Ozonabbau. Das ist also eine positive und sehr gefährliche Rückkopplung. Es wird Zeit, Anwendung und Produktion aller ozonzerstörenden Stoffe sofort zu stoppen, global und national, und endlich mit den Ausnahmen aufzuhören.
Ich wollte noch einige andere Punkte erwähnen. Ich sehe, meine Redezeit ist abgelaufen, und ich möchte der Kollegin nichts von ihrer Redezeit abnehmen.
Das Ganze ist ein umfangreiches Thema. Es ist ein Trauerspiel. Sie können unsere Unterstützung nicht per Blankoscheck bekommen. Weisen Sie hier vielmehr etwas vor, dann unterstützen wir Sie gerne. Ich habe heute nichts Brauchbares gehört.
Schönen Dank.
({2})
Ich erteile dem Abgeordneten Hartmut Schauerte das Wort.
Frau Kollegin Ganseforth, wer nicht zuhören will, sondern lediglich seine Vorurteile bestätigt haben will, dem ergeht es so wie Ihnen.
Hier ist gesagt worden, Glaubwürdigkeit sei gefragt. Ich will einmal die Opposition auf ihre Glaubwürdigkeit hin abklopfen. Klaus Matthiesen, Minister in Nordrhein-Westfalen, verkündet jedes Jahr bei unterschiedlichsten Anlässen, daß es ihm wieder einmal gelungen sei, „Vertragsnaturschutz" zu organisieren und auf Grund von Freiwilligkeit wichtige Fortschritte zu erreichen. Wenn wir das gleiche tun, sagen Sie: der Büttel der Industrie; wir hätten uns bedient, und wir würden auf Verordnungen verzichten. Ich kann die SPD nur auffordern, mit einer Stimme zu sprechen. Wenn man sich im Land NordrheinWestfalen dafür loben läßt
({0})
- zwei Ihrer Redner in dieser Debatte kommen aus Nordrhein-Westfalen; sie sind in dieser Struktur fest verankert -, daß man mit Freiwilligkeit endlich weiterkommt, kann man uns, wenn wir mit der Industrie auf freiwilliger Basis weiterkommen, nicht angreifen. Das ist ein unredlicher Umgang.
({1})
Herr Schauerte, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte meine Rede fortführen.
Ein Zweites. Hier wird gesagt, daß wir international nicht genügend vorbereitet seien. Wir bestreiten das auf das entschiedenste. Aber ich frage einmal den Präsidenten der Sozialistischen Internationale, Ihren Fraktionsvorsitzenden, welchen Einfluß er auf Herrn Gonzalez, auf den Ministerpräsidenten von Griechenland und Herrn François Mitterrand genommen hat, damit sie endlich unseren Vorstellungen zustimmen. Wo hat er sich in dieser Situation denn eingebracht?
({0})
Bitte doch nicht mit zweierlei Maß messen, sondern die eigene Verantwortung wahrnehmen. Es gibt eine, oder es sind nur Papiertiger.
Das kenne ich aus den Erfahrungen vor Ort. Wenn wir im Sauerland beginnen wollen, Windkraftanlagen aufzustellen, wissen Sie, wie die SPD darauf reagiert: Nur weil einige Bauern Geld damit verdienen sollen, soll unsere Landschaft verschandelt werden. Das ist die Antwort auf regenerative Energien. So läuft es landauf, landab. Sorgen Sie dafür, daß Sie eine einheitliche Linie gewinnen, damit wir mit Ihnen ernsthafte Verhandlungen führen können.
({1})
({2})
Wir können uns mit Ihnen nicht einlassen, weil wir nicht wissen, ob die Rechte bei Ihnen das gleiche sagt wie die Linke. Herr Müller, das ist das entscheidende Problem. Sie haben von der Ernsthaftigkeit der Lage gesprochen.
({3})
- Ja, ich bin gerade dabei.
({4})
Das geht nur, wenn man ehrlich miteinander umgeht und mit einer Stimme spricht und nicht, abhängig davon, wo man gerade ist, so oder so redet. Das ist nämlich Ihre Taktik in der gesamten Diskussion.
({5})
Jetzt zur Sache. Die Weltbevölkerung wird sich in 30 Jahren, Herr Müller, mehr als verdoppeln. Die Energieanforderungen wegen dieser Verdopplung der Weltbevölkerung werden sich vervielfachen. Auf uns kommt eine wahnsinnig große Last zu. Es geht darum, den Wohlstand bei uns zu sichern und ihn in den Entwicklungsländern zu organisieren. Daraus folgt die Vervielfachung des Energieeinsatzes, den wir erwarten müssen.
({6})
- Nein, er ist genau richtig. Wenn die Sozialdemokraten, die ansonsten Weltmeister darin sind, den Konsum zu sichern und den Wohlstand auf ihre Fahnen schreiben, mir sagen, ich hätte einen falschen Denkansatz, wenn ich sage: „Wir wollen den Wohlstand sichern", dann wissen Sie doch überhaupt nicht mehr, was in Ihren Programmen steht.
({7})
Sie müssen doch ein bißchen realistisch bleiben.
Unser Ziel ist es, trotz all dieser Belastungen den Wohlstand bei uns zu sichern - oder will dem einer widersprechen? -, den Wohlstand in den Entwicklungsländern zu schaffen - das muß sein - und dabei gleichzeitig die Schöpfung zu erhalten. Das ist die eigentlich spannende Aufgabe, vor der wir stehen. Diese werden Sie nicht allein mit Verordnungen lösen, sondern Sie werden sie lösen mit Einsicht, mit Freiwilligkeit und mit sehr viel gutem Willen der gesamten gesellschaftlichen Kräfte. Deswegen verteufeln Sie uns nicht, wenn wir über die Freiwilligkeit ein Stück neue Initiative entfalten wollen! Ich halte diesen Weg für intelligent und für richtig. Denn nur eine prosperierende Wirtschaft hat die Kraft, den Umbau überhaupt zu organisieren. Wenn Sie die
Wirtschaft erst arm machen wollen, wird sie keine Chance haben, sich auf diesem Feld zu bewähren.
({8})
Wir brauchen eine Erneuerung auf allen Feldern. Wir brauchen sie beispielsweise bei den Kraftwerken. Was hat denn das Land Nordrhein-Westfalen getan? Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung haben sie in ihrer Regierungszeit zehn Jahre lang verpennt. Wir haben sie eingeführt.
({9})
Das war der entscheidende Beitrag zur Verbesserung dieser Lage. Es war eine Entscheidung dieser Bundesregierung.
Aus der Atomkraft steigen Sie gänzlich aus; Sie wollen nicht einmal die Option offenhalten. Ihre Beschlüsse auf diesem Feld sind allerdings auch nichts wert. Ich habe noch im Ohr, daß Sie vor zehn Jahren beschlossen haben: In zehn Jahren soll Schluß sein. An diese Beschlüsse müßte man sich ja eigentlich einmal erinnern.
({10})
Vor zehn Jahren sollte in zehn Jahren Schluß sein. Diesen Zeitpunkt haben wir heute. Wie sähe unsere Klimabilanz aus, wenn die Atomkraft nicht den Beitrag leisten würde, den sie Gott sei Dank noch leistet?
({11})
- Entschuldigen Sie mal, gerade die nordrhein-westfälische SPD tut ja nichts anderes, als uns zu empfehlen, wir sollen die Kohle subventionieren und das Geld dafür gewinnen, indem wir das Erdgas besteuern. Einen solchen umweltpolitischen Unsinn muten Sie uns unredlicherweise zu. Das kann doch nicht ernstgemeint sein.
({12})
- Ja, natürlich haben wir das begriffen.
({13})
Sie machen Klientelpolitik für das Ruhrgebiet - da ist Ihnen das Klima völlig egal - und wollen uns durch die Lande jagen. So kommen Sie an dieser Stelle an uns nicht vorbei.
({14})
Was tun Sie denn für nachwachsende Rohstoffe im Land Nordrhein-Westfalen?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Ganseforth, Herr Kollege?
Nein, ich will im Zusammenhang vortragen.
Was tun Sie denn in der Landwirtschaft und da insbesondere in der Gentechnologie? Ich bin der festen Überzeugung, daß wir einen Teil unserer Probleme, nämlich die wachsende Bevölkerung unter Energiekonditionen zu ernähren, die dem Globus bekommen, nur mit Forschungsergebnissen der Gentechnologie hinbekommen. Sie lehnen das ab. Sie verteufeln all die Kräfte, die das betreiben wollen. Wer sich dem verweigert, verweigert sich einer wichtigen Entwicklung, damit diese Herausforderungen vernünftig beantwortet werden können.
Öffnen Sie sich den Anforderungen an die technologischen Revolutionen, die wir brauchen, um diese Herausforderungen zu bestehen! Sagen Sie ja zur Technik! Richten Sie nicht nur permanent Technikfolgenabschätzungsausschüsse ein, sondern öffnen Sie sich der Geschichte! Gehen Sie ran!
({0})
- Herr Müller, ich glaube, Sie sind sicherlich schon häufiger bei Eröffnungen von Kunstausstellungen gewesen als bei Erfinderkongressen.
({1})
- Dann müssen Sie ein Kulturbanause sein.
Die Wirklichkeit ist jedenfalls so: Wann kümmern wir uns um Erfinder? Wie helfen wir ihnen? Wann kümmern wir uns um neue Technologien? An diesen Stellen müssen wir arbeiten.
({2})
- Der kennt sich da besser aus als Sie; da bin ich ganz sicher.
An dieser Stelle wird die Entwicklung gewonnen oder verloren.
Ich komme zurück zu meiner Bemerkung, die Ihnen so weh getan hat, nämlich daß wir den Wohlstand auch bei uns in dieser Umbauphase, die wir vor uns haben, sichern wollen. Wir sind der festen Überzeugung, daß die Nationen die Märkte der Zukunft gewinnen, die auf diese technologischen Fragen die ersten Antworten haben. Da gehen wir nicht nur mit Bürokratie ran, und da gehen wir nicht nur mit Verordnungen ran, sondern da gehen wir auch mit marktwirtschaftlichen Überlegungen ran, indem wir sagen: Gebt dem Mittelstand und der Industrie die Chance, daß sie diesen Umbau aus eigener Kraft finanzieren und organisieren können! Das sind Anforderungen an die Steuerpolitik und an die Kapitalbildung. Reduzieren wir die Bürokratie, die solche Entwicklungen behindert! Wir haben ja in vielen Fällen mittlerweile eine Selbstverhinderung von ökologischen Ansätzen durch zuviel Bürokratie in diesen Feldern. Wir behindern uns da selber.
Ich denke, wenn wir das ändern, werden wir diese Herausforderung bestehen. Es ist hohe Zeit, daß wir handeln. Aber Hektik hilft niemandem, so konnte man in der „Zeit" der letzten Woche richtigerweise nachlesen.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Obwohl wir alle wissen, daß der Countdown der Klimakatastrophe schon seit längerer Zeit läuft, hat sich in den letzten Jahren in der Verkehrspolitik absolut nichts Grundlegendes verändert.
({0})
Es ist besorgniserregend, daß die Durchschnittstemperaturen in den 80er Jahren die höchsten seit Beginn der Temperaturmessungen von 1860 waren. Wir alle haben uns zwar in den letzten Jahren über die warmen Sommer gefreut, doch dieser Blickwinkel ist sicherlich kurzsichtig.
Der Bundesregierung scheint diese Problematik immer noch nicht heiß genug zu sein. Sie taumelt in ihren politischen Orientierungslosigkeiten von einer Ankündigung zur anderen.
Die Auswirkungen der Erderwärmung sind weltweit spürbar. Die letzten katastrophalen Hochwasser sollten für uns Warnung genug gewesen sein. Die verheerenden Stürme in fast allen Ländern dieser Welt müssen uns wirklich zum Nachdenken bringen. Allein in Baden-Württemberg wurde 1990 eine Fläche von 25 000 Hektar Wald durch Sturmschäden vernichtet.
Der Kohlendioxidausstoß ist mit einem Anteil von 20 % mitverantwortlich für die Entstehung des Treibhauseffektes. Hauptverursacher in der Bundesrepublik sind der Individual- und der Güterverkehr. Sie erzeugen ein Drittel der CO2-Emissionen und 70 % der Stickoxide.
Wir, die SPD, fordern seit langem Verkehrsvermeidung. Wir müssen bei der Raumplanung beginnen. Der Zwang zur Mobilität muß abgeschafft werden.
({1})
Wohnen, Arbeiten, Einkaufsmöglichkeiten, der Freizeitbereich und auch Dienstleistungen müssen räumlich so zugeordnet werden, daß niemand mehr gezwungen ist, sich ins Auto zu setzen. Das bedeutet gleichzeitig mehr Lebensqualität in allen Bereichen unseres täglichen Lebens. Das bedeutet mehr Luft zum Atmen, Platz zum Spielen und Natur zum Erholen.
In den östlichen Bundesländern, in der ehemaligen DDR, waren diese Bereiche des Lebens und Arbeitens sehr viel enger miteinander verbunden. Leider müssen wir zusehen, wie gewachsene Strukturen zerstört werden, Supermärkte auf der grünen Wiese entstehen und so verursacht wird, daß zusätzlicher Verkehr entsteht.
Können wir wirklich verantworten, unseren Kindern und Enkeln im Jahr 2010 schlechte Luft, hohe Ozonkonzentrationen, zugebaute Landschaften und Naturkatastrophen als Erbe einer verfehlten Verkehrspolitik zu hinterlassen? Wir sind an einer Grenze angelangt. Auch hochentwickelte Verkehrsleitsysteme werden die zu erwartenden Verkehrsströme nicht mehr leiten und lenken können.
({2})
Meine Damen und Herren, der Schaden, den die „freie Fahrt für freie Bürger" weltweit anrichtet, muß uns dazu zwingen, die ungebremsten Verkehrszuwächse in Zweifel zu ziehen. Wir fordern eine durchgreifende Änderung der Verkehrspolitik. Es geht darum, erstens den Verkehr so weit wie möglich zu vermeiden, zweitens den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene und die Wasserwege zu verlagern und drittens endlich die Emissionen zu reduzieren.
Wo bleibt hier ein Gesamtverkehrskonzept, das diese Regierung eigentlich schon längst hätte vorlegen müssen?
({3})
Wir müssen mit der Aufschlüsselung der externen Kosten beginnen, die durch den Verkehr insgesamt entstehen. Das ist die Voraussetzung. Diese Kosten werden von den unterschiedlichen Organisationen auf 40 bis 200 Milliarden DM geschätzt. Die unterschiedlichen Verkehrsträger müssen endlich nach dem Verursacherprinzip in die Pflicht genommen werden.
Ein wichtiger Schritt zur Verkehrsvermeidung ist auch die Einführung der Entfernungspauschale statt der Kilometerpauschale.
Die Raserei auf unseren Straßen kann nicht mehr in diesem Ausmaß weitergehen. Wir brauchen Geschwindigkeitsbegrenzungen im europäischen Rahmen auf den Autobahnen und Tempo 30 in Wohngebieten. Das bedeutet eine Steigerung unserer Lebensqualität.
Ich möchte fragen: Warum haben denn in den 60er Jahren die Automobilhersteller verstärkt in die Sicherheitstechnik investiert? Sie haben investiert, weil gesetzliche Vorgaben zu erfüllen waren. Diese Regierung verabschiedet sich aus dem Klimaschutz, wenn sie allein auf Freiwilligkeit der Automobilhersteller setzt.
Schaffen Sie endlich Rahmenbedingungen, daß unsere Autos zu einem durchschnittlichen Flottenverbrauch von fünf Litern auf 100 km kommen! Schaffen Sie Rahmenbedingungen, daß ein Dreiliterauto endlich auch für eine breite Masse möglich wird!
({4})
Ein erster Schritt, um Steuern und Abgaben für Nutzfahrzeuge europaweit zu harmonisieren, war die Europavignette. Sie wird jedoch zum verkehrspolitischen Unsinn, wenn die Kfz-Steuer gleichzeitig so gesenkt wird, daß die Transporte auf der Straße billiger werden und dies wiederum zu Lasten der Bahn geht. Wenn ein Kilometer 1,8 Pfennig kostet, so ist das ein absolut lächerlicher Betrag. Auf diese Weise bringen wir keine Güter auf die Schiene. Wir müssen die Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Bahn endlich abbauen. Die Bahn muß steuerlich mit Binnenschiffahrt und Luftverkehr gleichgestellt werden. Das erfordert natürlich eine europaweite Harmonisierung.
Der Bundeshaushalt 1995 zeigt einmal mehr die falsche Richtung, die diese Regierung in der Verkehrspolitik einschlägt. Dort sind 10,4 Milliarden DM für die Straße und lediglich 9,9 Milliarden DM für die Bahn veranschlagt. Wir fordern, daß die Haushaltsmittel endlich umgeschichtet werden, damit der Ausbau der Güterverkehrsinfrastruktur gewährleistet werden kann.
({5})
Bereits im September 1992 hat die SPD-Bundestagsfraktion die Regierung aufgefordert, endlich ein ökonomisch und ökologisch zukunftsweisendes Gesamtverkehrskonzept vorzulegen. An dieser Stelle möchte ich unsere Forderungen wiederholen: Senken Sie endlich die CO2-Emissionen im Verkehrsbereich um 25 %! Tun Sie alles für eine Verkehrsvermeidung! Schaffen Sie die Voraussetzungen, daß der Kraftstoffverbrauch wirklich gesenkt wird! Stellen Sie die notwendigen Fördermittel für den ÖPNV auch nach 1997 zur Verfügung! Schließen Sie sich endlich den in der EU schon geltenden Geschwindigkeitsbegrenzungen an! Stellen Sie die Mittel für den Ausbau der Infrastruktur auf der Schiene und für Güterverkehrszentren zur Verfügung! Bauen Sie die Schnittstellen zwischen den einzelnen Verkehrsträgern aus!
Seit 1950 ist der Pkw-Bestand in der Bundesrepublik um das 60fache gestiegen. Eine riesige Blechlawine rollt tagtäglich über die Straßen unseres Landes. Allein im Bundesland Nordrhein-Westfalen sind mehr Autos zugelassen als im gesamten Afrika.
Weil der Countdown für uns alle bereits jetzt begonnen hat und weil wir die tickende Zeitbombe nicht mit Worten, sondern mit Taten entschärfen müssen, bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, dem Antrag der SPD zuzustimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war die dritte Erstlingsrede in dieser Debatte. Ich gratuliere der Kollegin.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Paziorek.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, hier im Bundestag ist heute morgen zu Recht angemahnt worden, im Vorfeld der Klimakonferenz in Berlin die Position unserer Bundesregierung und die Position unserer Bundesumweltministerin, Frau Merkel, geschlossen zu unterstützen.
({0})
Daß dies keine rein theoretische Floskel ist und daß wir dies nicht als eine Einbahnstraße verstehen, möchte ich mit einem Hinweis auf den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Sachen Flugbenzin unterstreichen. Leider ist der maßgebliche Mitantragsteller, Herr Schmidt, im Augenblick nicht im Plenum. ({1})
Ich sehe gerade, Herr Schmidt sitzt auf der richtigen Seite, nämlich auf der Seite der Union. - Herr Schmidt, ich möchte in Sachen Flugbenzin folgendes erklären: Wir als Regierungsfraktion sind bereit, Ihren Antrag im Umwelt- und im Verkehrsausschuß des Bundestages vorurteilsfrei zu diskutieren; denn die Zielrichtung ist richtig.
({2})
Ob die Verwirklichung der einzelnen Schritte und Maßnahmen, die Sie angesprochen haben, vor dem Hintergrund des Europarechts möglich ist, sei dahingestellt; das müssen wir prüfen.
Damit Sie das nicht als ein bloßes Ausweichen verstehen, möchte ich - mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin - aus der Drucksache 12/8557, dem Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung ihres CO2-Minderungsprogramms, zitieren. Dort heißt es:
Hinsichtlich der ... vertritt die Bundesregierung folgende Auffassung:
Wegen des erreichten Entwicklungsstandes ist die Begünstigung des gewerblichen Flugverkehrs gegenüber dem mit Mineralölsteuer belasteten Straßenverkehr und Schienenverkehr mit Diesellokomotiven nicht mehr gerechtfertigt. Zur Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen für die deutsche Luftfahrt wird in Zusammenarbeit mit anderen Staaten der EU eine einheitliche Lösung für die Europäische Union angestrebt. Die Bundesregierung wird sich in diesem Zusammenhang im Zuge der bis zum 31. Dezember 1997 vorgesehenen Überprüfung der Steuerbefreiungen des Artikels 8 der Richtlinie 92/81/EWG erneut für die Abschaffung dieser Steuerbefreiung einsetzen.
({3})
Lassen Sie uns also gemeinsam versuchen, eine Position in der Europäischen Union zu finden, damit wir dies gemeinsam durchsetzen können.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt?
({0})
Ja, gerne.
Bitte.
Geschätzter Herr Kollege, ich freue mich natürlich über das Zitat, das Sie hier vorgetragen haben. Es ist mir natürlich bekannt.
Ich möchte aber fragen: Ist Ihnen klar, daß der Sinn unseres Antrages gerade darin besteht, den Handlungshorizont vom besagten 31. Dezember 1997 entscheidend nach vorne zu verlagern, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, daß der Patient, um den es geht, nämlich das Klima dieser Welt, ernsthafter und schwerer erkrankt ist, als man das vielleicht vor zwei oder drei Jahren hat meinen können? Das heißt, es muß schneller gehandelt und operiert werden. Der Sinn unseres Antrages ist gerade, unverzüglich - nicht erst 1997 - aktiv zu werden, und zwar auf allen drei Ebenen, nämlich auf der weltweiten Ebene - in Berlin -, auf der europäischen Ebene und auf der nationalen Ebene. Ist Ihnen diese Stoßrichtung klargeworden?
Ich habe Ihren Antrag gestern abend mit einer gewissen Sympathie gelesen, Herr Schmidt. Mir ist diese Ziel- und Stoßrichtung durchaus klar. Wir müssen aber gemeinsam sehen, ob die Instrumente richtig angesetzt sind, ob Sie die rechtlichen Rahmenbedingungen richtig gewürdigt haben und ob damit Ihre Zielrichtung in der richtigen Art und Weise unterstützt wird. Ich sage noch einmal: Es geht um das rechtliche Detail, nicht um die prinzipielle Zielrichtung. Bei letzterer sind wir völlig einer Meinung.
({0})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ganseforth? Ich halte die Zeit an. Das können Sie mir glauben.
Ja.
Herr Paziorek, wenn Ihre Seite bereit ist, über diesen Antrag zu sprechen, dann frage ich Sie, warum es trotz aller Bemühungen nicht zu einer gemeinsamen Annahme unseres Antrags zum Luftverkehr gekommen ist, den wir im April 1992, also vor Rio, in einer ähnlichen Situation eingebracht haben und der Anfang 1994 von Ihnen endgültig abgelehnt worden ist?
Frau Ganseforth, darin waren im Detail noch viel mehr Fehler als im
Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN.
({0})
Meine Damen und Herren, ich kann die vielen skeptischen Fragen im Vorfeld des Klimagipfels in Berlin durchaus verstehen. Es ist durchaus zu fragen: Können wir in Berlin etwas Brauchbares zustande bringen angesichts einer geschätzten 48%igen Steigerung der globalen Klimabelastung durch CO2 infolge einer erwarteten Zunahme des Energiebedarfs in den nächsten 20 Jahren? Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Frage ist berechtigt, aber sie kann nicht als Kritik an die deutsche Bundesregierung gerichtet werden, insbesondere dann nicht, wenn berücksichtigt wird, daß sich einerseits führende Industriestaaten im OECD-Bereich gegen eine langfristige Minderung von CO2 ausgesprochen haben und andererseits die größten aufstrebenden Länder wie China, Indien und Brasilien dies zum - willkommenen - Anlaß genommen haben, eigene zumutbare Anstrengungen zurückzustellen.
Diese aus der Sicht der Umweltpolitik belastenden Interessengegensätze können doch wohl kaum unserer Bundesregierung angelastet werden. Es ist eine Tatsache, Frau Ganseforth, daß unsere Bundesregierung, unsere Bundesumweltministerin, Frau Merkel, in den Vorverhandlungen eine Aufnahme der Stabilisierungsverpflichtung hinsichtlich der Emissionen für die Zeit nach dem Jahr 2000 ausdrücklich gefordert hat und hier bei vielen anderen Industriestaaten leider auf Widerstand gestoßen ist. Frau Ganseforth, ich muß Ihnen - es tut mir leid - inhaltlich ausdrücklich widersprechen. Art. 2 und 4 der Klimarahmenkonvention von Rio beinhalten nicht, daß die CO2Emissionen nach dem Jahr 2000 festgeschrieben sind. Leider ist das nicht so! Die zeitliche Grenze betrifft das Jahr 2000. Deshalb hatte unsere Bundesumweltministerin heute recht, als sie forderte, die Verhandlungen auf die Zeit nach dem Jahr 2000 auszudehnen. Es ist nicht so, wie Sie gesagt haben, daß die Zeit nach dem Jahr 2000 in der Klimarahmenkonvention schon erschöpfend geregelt ist. Deshalb ist die Marschrichtung der Bundesregierung, dies für die 3. Vertragsstaatenkonferenz 1997 bindend vorzusehen, völlig richtig.
Eines noch zur Klarstellung: In Deutschland sind die CO2-Emissionen von 1987 bis 1993 um rund 15 % zurückgegangen. Zu 50 % hängt das damit zusammen, daß wir in den neuen Bundesländern gewaltige Reduktionen zu verzeichnen hatten. Für die alten Bundesländer sind folgende Zahlen zu berücksichtigen - sie sind heute schon einmal angesprochen worden; ich will sie zum Abschluß dieser Diskussion wiederholen -: Die CO2-Emission pro Kopf ist im Zeitraum von 1987 bis 1993 in den alten Bundesländern - trotz des Einwohnertransfers - von 11,7 auf 11,1 Tonnen pro Einwohner gesunken. In Gesamtdeutschland ist sie von 13,6 auf 11,1 Tonnen pro Einwohner gesunken.
Vier Jahre nach ihrem ersten Beschluß zur Verminderung der CO2-Emissionen sieht sich die Bundesregierung deshalb zu Recht in der Lage, eine erste positive Zwischenbilanz ihrer CO2-Minderungspolitik zu ziehen. Zu diesem Effekt hat der Anpassungsprozeß in den neuen Bundesländern sicherlich beigetragen. Aber die Verminderung in Deutschland ist nicht ausschließlich auf die Umstrukturierung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern zurückzuführen. Es wäre schön, wenn die Opposition das endlich einmal akzeptieren würde.
({1})
Ich will Ihnen die drei Gründe für diese positive Entwicklung nennen: erstens die Umsetzung des CO2- Minderungsprogramms der Bundesregierung, zweitens der Strukturierungs- und Umsetzungsprozeß in den neuen Bundesländern, drittens aktive Maßnahmen zur Modernisierung der Energieversorgung durch die Wirtschaft in ganz Deutschland. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir heute zu Recht sagen: Die Klimavorsorgepolitik dieser Bundesregierung hier in Deutschland beginnt zu greifen. Nehmen Sie dies bitte endlich zur Kenntnis!
({2})
Meine Damen und Herren, daß wir heute noch nicht alle die Punkte verwirklicht haben, die wir uns für 2005 als Ziel vorgenommen haben, ist vor dem Hintergrund des bisherigen Zeitablaufs verständlich. Aber: Die Weichen sind richtig gestellt. Deshalb ist es aus unserer Sicht nur zu begrüßen, daß sich die Wirtschaft für freiwillige Selbstverpflichtungsmaßnahmen ausgesprochen hat. Ich fordere die Opposition auf, anzuerkennen, daß jetzt endlich ein Weg gefunden ist, vernünftig miteinander über machbare Schritte zu reden und dennoch nicht das Ziel der Reduktion beim CO2-Ausstoß um 25 bis 30 % bis zum Jahre 2005 aus dem Auge zu verlieren.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Matschie?
Herr Kollege, wie interpretieren Sie denn dann die Ausführungen des Prognos-Institutes - die auch im Dritten Bericht der Interministeriellen Arbeitsgsruppe zitiert werden -, wonach bei der gegenwärtigen Politik eine Verringerung der CO2-Emissionen bis zum Jahr 2005 um allenfalls 14 % möglich sei, nicht aber um 25 bis 30 %?
Diese Zahlen sind mir bekannt. Sie sind auch in den Beratungen der Enquete-Kommission kritisch gesehen worden; sie haben sicherlich einen berechtigten Kern. Es stimmt: Wir müssen noch gewaltige Anstrengungen unternehmen, um das Ziel der 25 %igen Reduktion zu erreichen. In dieser Studie der Prognos AG ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß wir im Verkehrsbereich eine negative Bilanz haben. Dies zu ändern wird in den nächsten zehn Jahren für uns noch gewaltige Anstrengungen mit sich bringen.
Ich kann aber nur noch einmal eins deutlich sagen: Wenn wir gemeinsam bemüht sind, z. B. den schienengebundenen Personennahverkehr zu stärken und in den Ballungsgebieten den Autoverkehr, den Individualverkehr zurückzufahren, dann verstehe ich überhaupt nicht, daß Ihre Parteigliederungen vor Ort mit Bürgerinitiativen zusammen eine Politik machen, die eine ganz andere ist als die, die Sie hier im Bundestag vertreten. Das muß einheitlich laufen! Ich fordere Sie auf, uns hier geschlossen zu unterstützen.
({0})
Zum Schluß, meine Damen und Herren, noch ein Wort zum Strukturwandel in den neuen Bundesländern. Die neuen Kraftwerke mit den modernsten Standards werden zur Zeit noch gebaut. Wenn sie in den nächsten Jahren ans Netz gehen, werden sie mit ihrem höheren CO2-Wirkungsgrad weitere Verbesserungen erreichen. Bei einem solchen Sachverhalt geht doch die Kritik der Opposition völlig ins Leere. Dieser Strukturwandel kann doch letztlich aus umweltpolitischen Gründen nur begrüßt werden, denn Dreckschleudern werden durch moderne Anlagen ersetzt. Bei einem Wirtschaftswachstum von jetzt rund 10 % pro Jahr in den neuen Bundesländern wird damit deutlich, daß Wirtschaftswachstum und Schadstoffausstoß entkoppelt werden können - ein Erfolg der Umweltpolitik im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft.
Meine Damen und Herren, bei allen Erfolgen unserer Klimapolitik werden wir notwendigerweise immer wieder neue und weitergehende Ziele anstreben. Aber es gibt für die Regierungskoalition im Vorfeld von Berlin keinen Grund, in Sack und Asche zu gehen. Die Weichenstellung der Klimaschutzpolitik in Deutschland ist richtig erfolgt. Der Einsatz der Bundesumweltministerin, Frau Dr. Merkel, im Vorfeld der Klimaschutzkonferenz war hervorragend und kann nur gelobt werden. Wenn die Opposition dies einmal öffentlich wirksam unterstreichen könnte, wäre dies ein überaus sinnvoller Beitrag zur Klimapolitik in Deutschland.
Schönen Dank.
({1})
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der in der Tagesordnung aufgeführten Vorlagen an die dort genannten Ausschüsse vorgeschlagen.
Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einem Investitionsprogramm für Arbeitsplätze durch Klimaschutzmaßnahmen auf Drucksache 13/739 soll zusätzlich an den Finanzausschuß überwiesen werden.
Der Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/788 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie der Umweltbericht 1994.
Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Interfraktionell ist vereinbart, daß über die Entschließungsanträge der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 13/789 und 13/790 zur Großen Anfrage zum Internationalen Klimaschutz sowie über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 13/821 und über den Antrag der PDS auf Drucksache 13/102 erst morgen abgestimmt wird.
Die Fraktion der SPD hat soeben einen Entschließungsantrag auf Drucksache 13/831 zur Großen Anfrage der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Drucksachen 13/143 und 13/758 - eingebracht. Wegen der kurzfristigen Einbringung konnte der Entschließungsantrag noch nicht gedruckt und verteilt werden. Über den Antrag soll ebenfalls morgen abgestimmt werden. Dann liegt er auch gedruckt vor.
Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4a und 4 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({0}), Winfried Nachtwei, Christa Nickels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rehabilitierung, Entschädigung und Versorgung für die Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und „Wehrkraftzersetzer" unter dem NS-Regime
- Drucksache 13/353 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({1})
Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Kröning, Dieter Wiefelspütz,
Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Unrechtsurteile wegen „Fahnenflucht/Desertion", „Wehrkraftzersetzung" oder „Wehrdienstverweigerung" während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft
- Drucksache 13/354 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({2})
Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Volker Kröning.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz ist aus zwei Gründen nötig. Zum ersten: Die Forschung, die Öffentlichkeit und ein Teil der dritten und der zweiten Gewalt sind inzwischen weithin der Auffassung, daß die Urteile der deutschen Militärstrafgerichte im Zweiten Weltkrieg Unrecht gewesen sind. Es sind Urteile einer rechtsstaatswidrigen Justiz in einem völkerrechtswidrigen Krieg gewesen.
Ich nenne als Beispiele für diesen Debattenstand, ohne auf Einzelheiten einzugehen:
erstens die von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, der Neuen Richtervereinigung und der Berliner Senatsverwaltung für Justiz 1993 fertiggestellte und inzwischen in vielen Städten gezeigte Ausstellung über das Reichskriegsgericht, fünf Jahre nach der Ausstellung „Im Namen des Volkes", um die sich das Bundesjustizministerium bleibende Verdienste erworben hat;
zweitens die Koalitionsvereinbarung von CDU/ CSU und SPD in Mecklenburg-Vorpommern von 1994, die im Zusammenhang mit der Entschädigung für SED-Unrecht aus guten Gründen fordert, auch „auf eine Aufhebung der Urteile wegen Desertion gegen Angehörige der Deutschen Wehrmacht hinzuwirken";
drittens die bekannte Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 11. September 1991, der bereits mit Rundschreiben vom 21. April 1992 der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung beigetreten ist.
Meine Damen und Herren, aus diesen Vorgängen hat der Deutsche Bundestag noch keine Konsequenzen gezogen. Nach wie vor handeln Bundesregierung, Landesbehörden und die Rechtsprechung uneinheitlich. SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben deshalb ihre bereits 1993/94 behandelten Anträge wieder eingebracht. Wir hoffen nunmehr auf eine Mehrheit, die den Opfern hilft - den wenigen, die noch leben.
Doch die Debatte ist hier und heute auch aus einem zweiten Grund nötig. Wir nähern uns dem 8. Mai 1995, und schon vor zehn Jahren hat der Deutsche Bundestag für die Beurteilung der NS-Justiz Maßstäbe gesetzt, hinter denen wir bei dem Thema der Militärjustiz nicht zurückbleiben dürfen. Das Haus hat damals einstimmig festgestellt,
daß die als „Volksgerichtshof" bezeichnete Institution kein Gericht im rechtsstaatlichen Sinne, sondern ein Terrorinstrument zur Durchsetzung der nationalsozialistischen Willkürherrschaft war.
Und das Parlament hat ausgesprochen, worauf viele Opfer und ein großer Teil der Öffentlichkeit gewartet hatten:
Den Entscheidungen des „Volksgerichtshofs" kommt ... nach Überzeugung des Deutschen Bundestages keine Rechtswirkung zu. ... Den Opfern und ihren Familien bezeugt der Deutsche Bundestag Achtung und Mitgefühl. Mit ihrem Widerstand gegen das Naziregime haben sie ein bleibendes Beispiel gesetzt.
Der SPD-Fraktion geht es um die Opfer der Militärjustiz und ihre Hinterbliebenen, aber nicht nur um sie. Die Opfer - oft nur „Deserteure" genannt - sind diejenigen, die zum Tode oder zu Zuchthaus verurteilt wurden, hingerichtet oder in Straflagern und Strafbataillonen zu Tode geschunden wurden und jahrzehntelang geächtet waren, weil sie den Kriegsdienst verweigerten, die Wehrkraft zersetzten - wie es damals hieß -, fahnenflüchtig wurden oder Ungehorsam übten.
Die deutsche Militärjustiz verhängte im Zweiten Weltkrieg mehr als einhundert-, wenn nicht zweihundertmal soviel Todesurteile wie im Ersten Weltkrieg und vollstreckte allein Todesurteile wegen Wehrkraftzersetzung und Fahnenflucht wahrscheinlich mehr als vierhundertmal häufiger. Die Zahl der Zuchthausstrafen, die unter KZ-ähnlichen Bedingungen vollstreckt wurden, ist noch viel höher und nicht mehr bezifferbar. Weder das Kaiserreich noch die Westalliierten kannten einen derartigen Exzess.
Es geht zunächst um die Würde dieser Opfer, der Toten und der wenigen noch Lebenden, und um die Nachteile, die sie und die Hinterbliebenen, die Witwen und Waisen, erlitten haben. Bis heute gelten sie als vorbestraft oder als Angehörige von Vorbestraften. Sie haben so gut wie keine Entschädigung erhalten.
Längst haben Geschichtsschreibung und Rechtspraxis unseres Staates den Widerstandskämpfern Gerechtigkeit verschafft, und keinem Soldaten - sei es der Wehrmacht oder der Waffen-SS - ist Entschädigung vorenthalten worden. Längst ist Gemeinplatz, daß es keine Kollektivschuld - weder der damals noch der heute Lebenden - gibt, und den meisten unserer Generation ist bewußt, daß wir den Vätern und Großvätern auch individuell Verständnis für ihr Tun und Unterlassen entgegenzubringen haben. Wir und unsere Kinder sollten dies auch mit größerem Abstand fertigbringen, besonders wenn wir bei den Eltern Einsicht angetroffen haben.
Doch die Opfer der NS-Justiz im allgemeinen und der NS-Militärjustiz im besonderen hatten und haben es besonders schwer. Niemand hat dies besser ausgedrückt als der ehemalige Bundesjustizminister Hans A. Engelhard und die ehemalige Berliner Justizsenatorin Frau Professor Limbach in ihren Vorworten zu den erwähnten Ausstellungen.
Engelhard schreibt:
Wie fast alle gesellschaftlichen und politischen Kräfte war auch die Justiz in den fünfziger und sechziger Jahren nicht bereit, sich ihrer Vergangenheit zu stellen, in einer offenen Diskussion Ursachen und Hintergründe ihres geradezu geräuschlosen Abgleitens in das NS-Unrechtssystem zu erörtern und daraus Konsequenzen zu ziehen.
Frau Limbach bemerkt zu dem „für die Nachkriegsgeneration beschämenden Kapitel" - wie sie sagt - „der Nachgeschichte der Wehrmachtsgerichte":
... keiner der Richter des Reichskriegsgerichts
- das gilt ebenso für alle übrigen Wehrmachtsgerichte - ist
je rechtskräftig verurteilt worden. Nicht nur haben sie sich problemlos in die deutsche Nachkriegsjustiz integriert. Sie haben darüber hinaus Geschichtsschreibung in eigener Sache betrieben.
Meine Damen und Herren, bei näherem Hinsehen bemerken wir noch mehr: Die Juristen der NS-Zeit haben nicht nur „Geschichtsschreibung in eigener Sache" betrieben, sondern auch dazu beigetragen, daß die Opfer der Militärjustiz zweimal bestraft worden sind: Durch die Gesetzgebung und Rechtsprechung der Nachkriegszeit zieht sich wie ein roter Faden die Auffassung „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein". Ich nenne noch einmal drei Beispiele:
Erstens. Die Leistungen nach §§ 1 und 2 des Bundesentschädigungsgesetzes von 1953 sind auf Verfolgte beschränkt. Der Bundesgerichtshof faßt unter diesen Begriff zwar auch Widerstandskämpfer, aber nach wie vor nicht Deserteure. An dieser Auslegung scheitert auch - und sogar - die Anerkennung von Rentenersatzzeiten.
Zweitens. Das Urteil des Bundessozialgerichtes von 1991, das die jahrzehntelange Rechtsprechung zu dem verunglückten § 1 Abs. 2 Buchst. d) des Bundesversorgungsgesetzes von 1950 korrigiert hat, beschränkt sich auf dieses Rechtsgebiet; seine Grundsätze sind kein Gemeingut der Wiedergutmachung von NS-Unrecht geworden.
Drittens. Schließlich erhalten die Opfer der NS-Militärjustiz nicht einmal Leistungen nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz; die Verurteilungen gelten nach wie vor als Ahndung von Unrecht. Die Bilanz der 1988 geschaffenen Härteregelung ist blamabel. Das Bundesfinanzministerium gibt den Betroffenen keinen Einblick in die Verwaltungsvorschriften.
Meine Damen und Herren, diese Praxis grenzt an Rechtsverweigerung. Hier kann nur noch der Deutsche Bundestag abhelfen. Deshalb geht es der SPD- Fraktion nicht nur darum, die Urteile der Militärstrafgerichte, zumindest soweit sie Deserteure betreffen, wie die Urteile der sogenannten zivilen Strafjustiz - des Volksgerichtshofes und der Sondergerichte - für nichtig zu erklären und die Opfer zu rehabilitieren, sondern auch und vor allem darum, die Entschädigung berechenbar und abschließend zu regeln.
Dazu gibt auch der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nützliche Anregungen. Das Ergebnis der Ausschußberatungen muß für die Betroffenen materiell und zeitlich klar sein - ohne einen rechtlichen und bürokratischen Hürdenlauf, den sie nicht überleben werden.
Wir wollen aber auch - lassen Sie mich bitte damit den abschließenden Gesichtspunkt anschneiden - Klarheit und Konsequenz in einem weiteren Sinne.
Wir, die von Frau Limbach so apostrophierten Nachkriegsgenerationen, stehen vor der Alternative, ob wir es bei der historischen Aufbereitung des Nationalsozialismus - hier der Justiz in der NS-Zeit - bewenden lassen und so tun wollen, als ob es für die Opfer der Militärjustiz zu spät sei, oder ob wir auch eine Lehre formulieren und diese Lehre beherzigen. Es ist zu fragen, ob wir das sollen und können. Ich meine, ja. Wir schulden unseren Staatsbürgern und besonders den Angehörigen des Soldaten- und Juristenberufes eine Antwort. Diese Antwort - spät, aber nicht zu spät - kann und wird auch den Opfern helfen.
Mit dem ganzen Ernst der Verantwortung, dessen wir fähig sind, müssen wir zweierlei feststellen:
Erstens. Der Krieg und seine Justiz, die, wie ein Mitglied der Reichskriegsanwaltschaft 1940 gesagt hat, „ein Mittel, und zwar ein sehr wichtiges, zur Erringung des Sieges" war, sie waren nicht Recht, sie waren rechtsstaatswidrig und völkerrechtswidrig und damit Unrecht. Dies hat nicht einer gemacht und begangen; eine Unzahl von Deutschen war es: nicht nur die Nazi-Partei, sondern auch viele Angehörige der Eliten, auch der militärischen und juristischen Eliten. Gerade diesen Eliten gegenüber, die wir auch in der Demokratie und im Rechtsstaat brauchen, ist Deutlichkeit geboten.
Während die Täter zumeist davon gekommen sind, haben wir viele Opfer lange Zeit vergessen. Die Verweigerer und Verzweifelten, die die NS-Militärjustiz verurteilt hat, sind fast die letzten, an die uns zu erinnern wir inzwischen gelernt haben. Wer ihre Geschichte, ihr Schicksal kennt, kann ihnen die Würde nicht absprechen. Sie haben einen Anspruch auf Rehabilitation und Entschädigung nicht weniger als die Opfer des SED-Unrechts, denen bereits durch das Erste Unrechtsbereinigungsgesetz geholfen worden ist.
Zum zweiten: Wir haben gelernt, daß die spezifische Differenz zwischen unserer demokratischrechtsstaatlichen Lebensform und der NS-Herrschaft - ich stehe nicht an zu sagen: und beiden Diktaturen auf deutschem Boden in diesem Jahrhundert - unser Recht ist, das Verfassungsrecht, das einfache Gesetzesrecht, das nach ihm erlassen ist, und das Völkerrecht, in das wir eingebunden sind.
Absichtlich hat das Grundgesetz in Art. 102 die Todesstrafe abgeschafft. Absichtlich ist daran bei dem Erlaß der Wehrverfassung und der Notstandsverfassung in den fünfziger und sechziger Jahren festgehalten worden. Ebenso ist das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein Signum unserer Verfassung und auch im Kriegsfall nach Art. 79 Abs. 3 nicht antastbar. Wir haben eine Verfassung, die den Angriffskrieg verbietet, die Anwendung und Androhung von Gewalt auf Verteidigung beschränkt. Und aus gutem Grund sind in Art. 96 Abs. 2 des Grundgesetzes die Grundzüge einer rechtsstaats- und völkerrechtskonformen Wehrgerichtsbarkeit geregelt, die von zivilem Personal ausgeübt wird und nicht dem Verteidigungs-, sondern dem Justizministerium zugeordnet ist. Dies muß auch nach 50 Jahren der Maßstab bleiben, auch und gerade nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit.
Ich spitze es zu: Es geht im Parlament nicht in erster Linie um historisch-moralische Bewertung; die ist niemals abzuschließen, und die ist auch niemals zur Einmütigkeit zu führen. Es geht vielmehr um einen rechtlichen Maßstab. Auf die juristische Wirkungsgeschichte des unseligen Satzes „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein" gibt es nur den knappen Kommentar, den die heutige Bundesverfassungsrichterin und frühere Bundessozialrichterin Renate Jäger neulich gegeben hat: „Unsere jetzigen Maßstäbe müssen gelten und nicht die der damaligen Zeit".
Dies ist die Antwort, die - und all dies müssen wir leisten - den Opfern moralisch und materiell hilft, die vor den Soldaten von damals und heute Bestand hat und die unsere Juristen und Verwaltungsbeamten in die Pflicht nimmt.
Diese Antwort gibt unser Antrag. Wir bitten um die Zustimmung.
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Ich gratuliere auch dem Kollegen Kröning zu seiner ersten Rede im Bundestag und rufe jetzt den Abgeordneten Professor Rupert Scholz auf.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges befaßt sich der Bundestag heute erneut mit den Problemen der Militärjustiz in der ehemaligen Wehrmacht. Schon in der vergangenen Legislaturperiode haben wir versucht, diesem Thema näherzukommen, ihm gerecht zu werden, leider damals noch ohne Erfolg. Gerade deshalb lassen Sie mich aber mit dem Appell und der Bitte beginnen, daß wir in dieser Frage jetzt zu einem ebenso sachlich wie historisch gerechten Ergebnis gelangen. Denn auch dies fordert unsere Pflicht zur Aufarbeitung unserer jüngeren Geschichte. Dies alles wird uns aber nicht gelingen, wenn wir uns nicht wirklich um historische Wahrheit bemühen, wenn wir nicht bereit sein sollten zu erkennen, daß auch das Problem der Militärjustiz nicht etwa völlig isoliert gesehen werden kann, sondern daß sich auch in der Problematik der Militärjustiz die ganze Tragödie Deutschlands und damit auch seiner Streitkräfte im Nationalsozialismus widerspiegelt.
Wir haben uns ebenso um historische Wahrheit wie um Gerechtigkeit zu bemühen. Wir haben Respekt und Mitgefühl vor allem den Opfern und ihren Hinterbliebenen zu bezeugen. Wir haben aber auch das nötige Maß an Behutsamkeit aufzubringen - ein Maß, das vor allem jene Millionen deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg verdienen, die nur allzuoft nicht nur in wahrhaft existentieller Not, sondern vor allem auch in tiefer Gewissensnot standen, nur allzuoft konfrontiert mit der Frage, ob sie einem totalitären Unrechtssystem dienen dürfen oder sich diesem zu verweigern haben oder ob sie nicht doch zunächst ihr Vaterland, ihre Familien, ihre Freunde zu verteidigen haben.
Dieser große Zwiespalt hat die Rolle der Wehrmacht von Anfang an in ganz entscheidender Weise geprägt. Dieser schwere Zwiespalt hat naturgemäß zu ganz unterschiedlichen Reaktionen beim einzelnen Soldaten, beim einzelnen Menschen, beim einzelnen Bürger geführt. Vom Widerstandskämpfer über den Soldaten, der schlicht seine Pflicht zu erfüllen suchte, bis hin zum Kriegsverbrecher - alles dies beschreibt die Geschichte der Wehrmacht und beschreibt damit naturgemäß auch die der Militärjustiz.
Bei ihrer Beurteilung ist freilich zunächst ganz eindeutig festzustellen, daß es sich beim Zweiten Weltkrieg um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Hitler-Deutschlands gehandelt hat. Ebenso klar ist festzuhalten, daß das Regime des Nationalsozialismus ein totalitärer, ein mörderischer Gewaltstaat war.
Auch die Militärjustiz hat in dieser Zeit, vor allem gegen Ende des Krieges, in massiv zunehmender Weise eine verhängnisvolle Rolle in diesem System gespielt. Dennoch wäre es falsch und historisch ungerechtfertigt, die Militärgerichtsbarkeit, die bekanntlich als Sondergerichtsbarkeit 1933 wiedereingeführt wurde und Anfang 1934 ihre Tätigkeit aufgenommen hat, über den ganzen Zeitraum von zwölf Jahren pauschal und generell in gleicher Weise zu beurteilen, sie in pauschaler Weise zu verurteilen und damit die Urteile aller Militärrichter für generell falsch oder für generelles Unrecht zu erklären. Denn ebendies entspricht nicht der historischen Wahrheit. Eben deshalb würden wir es uns heute allzu einfach machen, wenn wir in derart pauschaler Weise be- und verurteilen würden.
Nach wie vor liefert der Stand der wissenschaftlichen Forschung zur Militärgerichtsbarkeit keine wirklich einheitlichen Erkenntnisse. Nach wie vor fehlt es vielfältig an einer wirklich systematischen Sichtung und Auswertung der vielfältig verstreuten Akten. Ganz folgerichtig streiten die Historiker um und über die Rolle der Militärgerichtsbarkeit vor dem und im Zweiten Weltkrieg.
Nun haben wir sicherlich nicht die Aufgabe, einen solchen Historikerstreit zu entscheiden. Aber schon das Bestehen eines solchen Streites sollte für uns hinlänglich Mahnung und Auftrag auch zu Vorsicht, auch zu Behutsamkeit sein. Denn das Wort des Deutschen Bundestages darf jedenfalls kein historisch unreflektiertes und damit letztendlich auch rechtlich angreifbares sein, im Gegenteil.
Unbestreitbar ist allerdings, daß auch die Gerichte der Militärjustiz durch den NS-Staat vielfältig als Terrorinstrument der totalitären Willkürherrschaft mißbraucht worden sind und unbestreitbar viele Unrechtsurteile gefällt haben. Solchen Unrechtsurteilen kann und darf daher keine Rechtswirkung zukommen, und sie können nicht deutlich genug für null und nichtig erklärt werden. Gerade den Opfern solcher Unrechtsurteile und ihren Angehörigen haben wir auch heute unsere persönliche Achtung, unser persönliches Mitgefühl auszusprechen. Sie verdienen Anerkennung, Rehabilitierung und natürlich auch Entschädigung.
Andererseits haben wir aber auch zu sehen, daß die Militärgerichte der damaligen Zeit sich auch und vielfältig um Recht und um das bemüht haben, was wir auch unter heutigen Maßstäben, Herr Kröning, ein rechtsstaatliches Verfahren nennen. Die Militärjustiz reihte sich durchaus auch in die Reihen des deutschen Widerstandes ein. Ich nehme stellvertretend für andere und vor allem nur den Namen Karl Sack.
Wir sollten nicht vergessen, daß auch die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg die Militärjustiz keineswegs auf die Anklagebank gesetzt haben. Die einschlägigen Vorschriften des damaligen Militärstrafgesetzbuches haben sie nicht aufgehoben. Wir sollten auch nicht vergessen, daß - um ein Beispiel zu zitieren - selbst noch in einer Verordnung über die Wehrmachtrichter aus dem Jahre 1944 ausdrücklich festgehalten wurde, daß die Wehrmachtrichter „bei der Sachentscheidung und der Mitzeichnung gerichtsherrlicher Verfügungen keinen Weisungen unterworfen sind". Im Zusammenhang damit stellten führende Juristen im OKW heraus:
Bei der Entscheidung des Einzelfalles muß der Richter weisungsfrei bleiben, sonst ist er kein Richter mehr.
Daß dies alles Einzelstimmen gewesen sein mögen, vor allem in der letzten Phase des Zweiten Weltkrieges, möchte ich keineswegs bestreiten. Ich möchte nur deshalb auf alles dies und vieles andere bis hin auch zu vielen freisprechenden Urteilen, über die etwa Franz Seidler berichtet, hinweisen und deutlich machen, daß wir uns wahrhaftig davor hüten müssen, in allzu pauschaler, in allzu einseitiger Weise über Schuld und Unschuld auch im Bereich der Militärjustiz und im weiteren damit auch in der ehemaligen Wehrmacht insgesamt zu richten und zu urteilen.
Die entscheidende Frage, ob ein Wehrmachtrichter sich als ein Scherge des NS-Regimes schuldig gemacht hat, ein Unrechtsurteil gefällt hat, kann nur die Prüfung des Urteils selbst und der Umstände des Einzelfalls beantworten. Ich denke, daß Altbundeskanzler Helmut Schmidt kürzlich in einer Diskussion zur Rolle der Wehrmacht im Dritten Reich in der „Zeit" unwiderleglich richtig festgehalten hat:
Es gibt kein kollektives Gewissen, es gibt nur ein persönliches Gewissen, es gibt keine kollektive Schuld, es gibt nur persönliche Schuld, und schon gar nicht gibt es eine kollektive Schuld der Deutschen insgesamt.
Dies alles hat Helmut Schmidt für die Wehrmacht, für ihre Soldaten und damit auch für so besonders sensible Bereiche wie den der Militärjustiz mit Recht ausgesprochen.
Deshalb kann man beispielsweise auch nicht Desertion generell als Akt politischen Widerstandes voraussetzen. Auch hier muß man das Verhalten und die Motive des einzelnen betrachten. Will man gerade der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen, kann man nicht über die Frage hinweggehen, welche Motive bei dem Verhalten des einzelnen maßgebend
waren, welche Umstände die Entscheidung etwa zur Desertierung begleitet haben. Das alles ist eine Frage individueller, persönlicher Schuld oder Unschuld.
Hüten wir uns deshalb auch vor einer vielleicht für den einen oder anderen auf den ersten Blick einleuchtend klingenden Entscheidung dahin gehend, generell zu sagen, alle Urteile gegen Deserteure seien aufzuheben und für nichtig zu erklären. Es geht um individuelle Schuld. Es geht um die individuelle Wahrnehmung, die individuelle Bewertung dessen, was tatsächlich geschehen ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wiefelspütz?
Gestatten Sie mir, den Gedanken zu Ende zu bringen, Herr Wiefelspütz.
Ich denke, wir dürfen bei der Feststellung und Bewertung der historischen Wahrheit niemals vergessen, daß die meisten Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg auch auf deutscher Seite kämpften und litten, ehrlich und aufrichtig davon überzeugt waren, ihrem Land, ihrem Vaterland zu dienen. Auch und gerade diese Soldaten dürfen bei der heutigen Debatte nicht vergessen werden.
Bitte, Herr Wiefelspütz.
Herr Kollege Scholz, es geht nicht darum, in irgendeiner Weise diejenigen Menschen zu ächten oder besserwisserisch aus der Sicht von heute zu kritisieren, die damals Soldaten, auch deutsche Soldaten, gewesen sind. Für mich stellt sich die Frage: Welchen Sinn soll eine Einzelfallprüfung machen, wenn sich ein Soldat einem rassistischen Vernichtungskrieg entzogen hat? Das war ja der Zweite Weltkrieg in der Täterschaft der Deutschen über weite Strecken.
Herr Wiefelspütz, wenn sich ein Soldat in einer Gesinnung, wie Sie es eben formulieren, im Krieg verhalten hat, dann gibt es überhaupt keinen Zweifel, daß seine Verurteilung Unrecht war. Darüber diskutieren wir doch gar nicht. Aber wir stehen doch jetzt, gerade was Ihren Antrag angeht, vor der Frage, ob man pauschal sagen kann, daß jede Verurteilung von Desertion in diesem Krieg generell Unrecht war.
Denken Sie an die Fälle - die es auch gegeben hat -, daß jemand nicht aus den Gründen und aus der Motivation des Widerständlers heraus, die nun wahrhaftig anzuerkennen sind, desertiert ist, sondern aus der Motivation desjenigen, der sogar allgemeinkriminelles Unrecht begangen hat, der möglicherweise seinen Kameraden dabei verraten hat, der vielleicht andere Menschen, andere Soldaten in Lebensgefahr gebracht hat, der dazu beigetragen hat, daß sie ihr Leben verloren haben. Das sind Fälle, die man nicht in ein pauschales Verfahren einführen darf. Daran liegt mir.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Beck?
Gern.
Würden Sie mir zustimmen, daß die Verurteilung wegen anderer Straftatbestände, als der der Desertion, Kriegsdienstverweigerung oder „Wehrkraftzersetzung", von den Anträgen sowohl der SPD als auch des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - im ersten Abschnitt - nicht erfaßt sind, sondern daß es nur darum geht, alle diese genannten Verurteilungen für nichtig zu erklären und die Opfer zu rehabilitieren? Wenn dabei andere Straftatbestände erfüllt wurden, die auch bei Zivilisten strafbar gewesen wären, könnte man dann für eine Rehabilitierung durchaus zur Einzelfallprüfung übergehen. Dem stehen die Anträge nicht entgegen.
Was ich hier vortrage, ist identisch mit der Position des Bundessozialgerichtes, das in seiner Urteilsbegründung von 1991 auf diese Differenz abgestellt hat. Würden Sie uns zustimmen, daß man den Grundlagen, die vom BSG geschaffen wurden, von seiten des Bundestages folgen könnte?
Das Bundessozialgericht hat in der Tat einen wesentlichen, auch von uns bejahten Lösungsansatz genannt. Auf diesen Aspekt komme ich noch zu sprechen.
Was aber das Problem betrifft, daß man auf der einen Seite von Desertion als solcher spricht und das andere als Begleittaten bezeichnet, so habe ich darauf hingewiesen, daß man schon danach fragen muß, welches im Einzelfall die Motivationen waren, Sie können eben nicht auf der einen Seite jeden Deserteur pauschal dem Widerstandskämpfer gleichstellen. Und auf der anderen Seite können Sie - damit darf ich meinen Faden wieder aufnehmen - nicht jeden Militärrichter als Unrechtstäter deklarieren.
Es besteht noch ein Wunsch nach einer Zwischenfrage, und zwar des Kollegen Gilges.
Ich glaube, ich komme jetzt lieber zum Ende.
Ich habe bereits auf Karl Sack hingewiesen. Ich empfehle Ihnen die Lektüre des Buches über Karl Sack. Das ist eine wichtige Biographie, gerade unter dem Aspekt des Widerstands in Deutschland. Karl Sack ist, zusammen mit Admiral Canaris und Pastor Bonhoeffer, hingerichtet worden, weil er sich um eine rechtsstaatliche Militärjustiz bemüht hat. Auch das sind Schicksale, die Teile dieser unserer deutschen Geschichte sind.
Ich wehre mich dagegen, daß wir diese Teile unserer Geschichte in einer allzu pauschalen Betrachtung ausblenden. Auch das darf wahrhaftig nicht sein.
({0})
Wir haben uns um die historische Wahrheit und die Beurteilung persönlicher Schuld zu bemühen. Im Falle des Volksgerichtshofs, den Herr Kröning angesprochen hat, haben wir hier in der 10. Legislaturperiode eine klare Entscheidung getroffen. Aber, wie gesagt, wir müssen auch das andere sehen und begreifen.
Deshalb setzt sich unsere Fraktion mit aller Deutlichkeit für eine gerechte Wiedergutmachung bei Unrechtsurteilen der Wehrmachtsjustiz ein. Wir fordern die Bundesregierung auf, dies sicherzustellen. Im Falle der Verhängung von Todesurteilen soll auch nach unserer Auffassung die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts umgesetzt werden. Das bedeutet, daß selbstverständlich eine Vermutung für den Unrechtscharakter dieser Urteile zugrunde zu legen ist. Denn es ist den Hinterbliebenen wahrhaftig nicht zuzumuten, ihrerseits darzulegen, ob und weshalb dies ein Unrechtsurteil war. In dieser Frage nehmen wir ausdrücklich - ich denke: mit Ihnen - die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf.
Die Suche nach der historischen Wahrheit kann zu allen Zeiten nur erfolgreich sein, wenn sie das Prinzip der Differenzierung und der persönlichen Verantwortung wahrt. Oder, wie es Elie Wiesel in ebenso bündiger Form wie unwiderleglicher Wahrhaftigkeit in Birkenau gesagt hat: „Schuldig sind" - ich möchte hinzufügen: bleiben - „nur die Schuldigen." Dies ist unsere heutige Aufgabe wie Verantwortung. Wir haben Schuld und Unrecht festzustellen, wir haben Schuld und Unrecht mit Rehabilitation, Wiedergutmachung, Entschädigung nach Möglichkeit zu restituieren. Wir haben die historische Wahrheit verantwortlich aufzuarbeiten, und wir haben unseren rechtsstaatlichen Auftrag zur Gerechtigkeit zu erfüllen.
In diesem Sinne hoffe und wünsche ich, daß es uns - ich betone ausdrücklich: gemeinsam - gelingen möchte, auch in dieser Frage zu einer allseits befriedigenden, vom Konsens getragenen Entscheidung zu kommen. Denn die Frage ist unendlich schwierig, sie ist sehr sensibel und für viele außerordentlich schmerzhaft. Auch darin liegt für uns ein Stück Verpflichtung.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 50 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus gibt es in einigen Fragen der Bewertung von NS-Unrecht immer noch keinen Konsens im Bundestag. In besonders bedrückender Weise gilt das für die Opfer der NS-Militärjustiz.
Heute versuchen wir nun zum dritten Mal, den Bundestag zu einer Entscheidung zu bewegen. Den Opfern der NS-Militärjustiz, insbesondere den
Kriegsdienstverweigerern, Deserteuren und sogenannten Wehrkraftzersetzern, muß endlich Genugtuung widerfahren. Das ist historisch seit Jahrzehnten überfällig.
Gerichte und Entschädigungsbehörden haben diese Genugtuung nicht geleistet, sie haben sie im Gegenteil hartnäckig verhindert. Jetzt muß endlich der Bundestag handeln, schnell und unmißverständlich. Vergessen Sie nicht: Es geht um die Männer, die sich den verbrecherischen Angriffskriegen der Nazis verweigert haben. Ihnen muß der Bundestag endlich den gesetzlichen Schadensausgleich verschaffen, der ihnen als Verfolgten des Nationalsozialismus zusteht.
Niemand bestreitet heute mehr, daß die Militärjustiz Terrorurteile gefällt hat. Selbst das Bundessozialgericht geht mittlerweile davon aus, daß die Militärjustiz, zumindest in den letzten Kriegsjahren, Terrorurteile in gleicher Weise fällte wie der berüchtigte Volksgerichtshof. Sie handelte nach der Maxime Adolf Hitlers: „Der Soldat kann sterben, der Deserteur muß sterben."
Die Militärjustiz hat nicht nur Todesurteile gefällt. Sie hat als verlängerter Arm des NS-Regimes gewirkt. Sie war keine rechtsstaatliche Justiz. Sie hat die Verurteilten den KZs und den tödlichen Strafbataillonen überantwortet. Sie hat vor allem den NS- Machthabern geholfen, die „Wehrkraftzersetzer" und Fahnenflüchtigen als politischen Feind zu deklarieren.
Bis zum gestrigen Tag gab es in diesen Fragen keine Möglichkeit der Verständigung zwischen den Fraktionen. Zu verhärtet waren die Fronten. Mittlerweile scheint es aber so - wie auch die Debatte um das Caiazzo-Urteil des Bundesgerichtshofes gezeigt hat -, daß auch bei den Regierungsfraktionen nach und nach ein Einstellungswandel einsetzt.
Gestern hat es ein interfraktionelles Treffen gegeben, in dem erstmalig nicht nur der Dissens festgestellt, sondern um eine Verständigung gerungen wurde. Ein Durchbruch ist noch nicht gelungen. Deshalb ist diese Plenardebatte dringend nötig. Nutzen wir die nächsten Wochen im Ausschuß, um endlich eine Lösung zu finden, die auch von den Opfern akzeptiert werden kann. Vielleicht, Herr Scholz, brauchen wir zur Feststellung der historischen Wahrheit eine Anhörung im Rechtsausschuß, um uns über die Details differenzierter verständigen zu können.
Daß jede Regelung, die wir treffen, bei den Opfern akzeptiert wird, ist für uns, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Maßstab. Deshalb muß ein Bundestagsbeschluß folgendes wirklich Unverzichtbare enthalten:
Erstens. Der Bundestag muß erklären, daß die Verurteilungen durch die NS-Militärjustiz wegen der Delikte der Kriegsdienstverweigerung, der Desertion und der sogenannten Wehrkraftzersetzung NS-Unrechtsurteile waren. Hierfür darf es fortan keine Einzelfallprüfung mehr geben. Es wäre nicht akzeptabel, diese pauschale Rehabilitierung allein auf die Todesurteile zu beschränken.
Volker Beck ({0})
Zweitens, Darüber hinaus muß der Bundestag erklären: Auch alle Urteile und Maßnahmen zur Strafvollstreckung, die eminent rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechen, sind als NS-Unrecht zu brandmarken. Es kann doch von unserem Rechtsstaat nicht hingenommen werden, daß jemand wegen der Entwendung einer Uniform oder einer Tafel Schokolade zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt wird oder gar in einem KZ oder bei einem Bewährungsbataillon zugrunde geht. Hier - ich betone es - sind wir bereit, eine Einzelfallprüfung zu akzeptieren. Aber dies geht nur, wenn wir die Opfer nicht mit rechtlich unverbindlichen Formeln trösten, sondern wenn wir unmißverständlich sagen, was Recht und was unserer Ansicht nach Unrecht war.
Die von Ihnen, meine Damen und Herren von der F.D.P. und der CDU/CSU, vorgelegten Vorentwürfe und auch Ihre Äußerungen, Herr Scholz, lassen bislang noch die notwendige Klarheit vermissen. Es bleibt im dunkeln, welche Urteile denn nun als NS- Unrechtsurteile bewertet werden und welche nicht. Damit wären wir aber wieder am Ausgangspunkt der Debatte angelangt.
Hier und heute ist auch der richtige Ort, auf ein Mißverständnis hinzuweisen - da haben Sie, Herr Scholz, einen künstlichen Gegensatz aufgebaut -, das eigentlich gestern in der Gesprächsrunde ausgeräumt wurde: Weder wir noch die Opferverbände verlangen eine Aufhebung aller Urteile der NS-Militärjustiz. Wir hätten ein Dutzend guter Gründe dafür, genau dieses zu fordern. Aber unser Antrag ist hier viel bescheidener; denn wir wollen, daß die Opfer eine volle Rehabilitierung ohne die Strapazen weiterer Gerichtsverfahren mit Einzelfallprüfung erhalten. Aus unserer Sicht sind das keine Maximalforderungen, sondern rechtsstaatliche Minimalia.
Dies gilt auch für unsere dritte Grundforderung: Die Opfer der NS-Militärjustiz müssen endlich als Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes anerkannt werden. Es reicht freilich nicht, zu fordern, daß sie im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Regelungen berücksichtigt werden. Denn die Antragsfrist nach dem Bundesentschädigungsgesetz ist spätestens seit 1969 abgelaufen. Wenn heute ein 70 Jahre altes Opfer einen Rentenschadensausgleich nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz beantragt, erhält es von der Behörde folgendes als Antwort: Dieser Antrag hätte innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt in das Rentenalter, also im Alter von 63 oder 65 Jahren, gestellt werden müssen und ist daher nicht mehr zulässig.
Kurzum: Wenn wir heute anerkennen, daß die Opfer der NS-Militärjustiz NS-Verfolgte waren, muß dies tatsächlich mit einem Rechtsanspruch auf Entschädigung, Versorgung und Rentenschadensausgleich verbunden sein. Auch hier betone ich: Für diesen Bereich halten wir eine Einzelfallprüfung für angemessen, eine Vermutungsregelung zugunsten der Opfer aber für unverzichtbar.
Keinesfalls akzeptabel ist für uns, eine Prüfung der Beweggründe der Opfer einzuführen, wie Sie, Herr Scholz, das angesprochen haben. Ich sage es hier in aller Deutlichkeit: Das Bundesentschädigungsgesetz verbietet seit 1956 eine solche Motivationsprüfung, und dies aus gutem Grunde. Das BEG hat diese Beweislast von den Verfolgten genommen und verlangt statt dessen die Prüfung der Verfolgermotivation. Auch das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil von 1991 festgestellt, daß selbst Feiglinge oder ganz unpolitische Opfer der NS-Militärjustiz einen Anspruch auf Versorgung haben müssen.
Zum Schluß zu Ihren Bedenken, Herr Geis und Herr Scholz: Sie und ich haben sicher sehr unterschiedliche Ansichten über die Rolle der Wehrmacht. Heute geht es aber allein um die Ehre der Opfer der Militärjustiz. Heute geht es darum, daß wir nicht mehr akzeptieren wollen, daß diesen Opfern aus Rücksicht auf die Gefühle von Wehrmachtssoldaten die ihnen zustehende Rehabilitierung verweigert wird.
Sie müssen aufhören, Ihre Redezeit ist leider vorbei.
Nach den Angaben der Bundesvereinigung „Opfer der Militärjustiz" leben nur noch wenige Hunderte Betroffene, die Entschädigungsanträge stellen können. Ich appelliere an Sie: Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß und lassen Sie uns 50 Jahre nach Kriegsende hier zu einer Einigung kommen, die die Würde der Opfer wiederherstellt.
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Es spricht jetzt der Abgeordnete Detlef Kleinert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Es leben Menschen unter uns - 50 Jahre nach Ende des letzten Krieges, ein halbes Jahrhundert ist das -, die heute noch unter dem Verlust ihrer engsten Angehörigen - Väter, Brüder, Söhne - leiden müssen, die durch Unrecht ums Leben gebracht worden sind, häufig in jungen Jahren, und die dadurch nicht nur Schmerz, die nicht nur die große Leere in ihren Familien hinterlassen haben, sondern denen heute noch Makel anhaften, unter denen die Angehörigen zusätzlich zu leiden haben, weil die Theorie aufrechterhalten wird, jedenfalls nicht mit der nötigen Deutlichkeit beseitigt worden ist, es sei an diesen Urteilen, weil sie denn nun einmal ergangen sind, doch etwas dran, und darum sei mit diesem schrecklichen Ende in jungen Jahren auch noch ein Makel, ein Verlust der Ehre verbunden.
Daß wir uns erst jetzt - ich hoffe, mit der nötigen Kraft - diesem Vorgang stellen, nachdem wir andere, in etwa vergleichbare Vorgänge schließlich in Gemeinsamkeit in diesem Haus in die Hand genommen haben, weil sie ganz offenbar von der Justiz aus eiDetlef Kleinert ({0})
ner Reihe von Gründen, die ich jetzt nicht weiter auszuführen wünsche, nicht bewältigt werden konnten, ist tief bedauerlich, aber es ist für uns jedenfalls um so mehr Ansporn, es jetzt zu schaffen.
Das Wort Rehabilitation erscheint mir sehr formal. Das Wort Wiedergutmachung erscheint mir völlig vermessen. Das alles wird nicht zu leisten sein. Das Wenige, das wir leisten können, ist, Klarheit zu schaffen, jedenfalls über die politische Auffassung dieses Hauses, dieser Vertretung des Volkes, das das alles durchlitten hat und mit zur Verursachung und Veranlassung beigetragen hat.
Die klare Stellungnahme dieses Hauses dazu steht noch aus. Das ist das, was wir leisten müssen, in erster Linie wegen der Menschen, um die es geht, in zweiter Linie aber auch, wie Herr Kröning schon ausgeführt hat, um der Richter willen, die auch in Zukunft als angesehene Glieder unseres Staates Recht sprechen sollen, und um der jungen Soldaten willen, die heute in der Bundeswehr dienen und die wissen müssen, wie sie mit der Vergangenheit dieser Bundeswehr und der dazu gerechneten Justiz umzugehen haben, was sie davon zu halten haben. Diese Standpunkte gilt es zu klären, soweit das heute überhaupt noch möglich ist. Dem müssen sich zunächst unsere Diskussion und dann die Methoden, mit denen wir das Ziel zu erreichen versuchen, angleichen.
Wir wollen Unrecht Unrecht nennen. Ich habe nicht gehört, daß Herr Kollege Scholz etwa in Abrede gestellt hätte, in welch ungeheuerlicher Weise in diesem Zusammenhang Unrecht geschehen ist. Darin sind wir uns einig, und das wollen wir auch so feststellen. Es geht aber sicher nicht an, Unrecht zu rügen, sich zu Unrecht auch zu bekennen und es zu bereuen und gleichzeitig neues Unrecht dadurch zu setzen, daß man nicht genügend differenziert,
({1})
daß man genausowenig differenziert, wie das gerade in der hier in Rede stehenden Militärjustiz geschehen ist. Das kann nicht sein; das wäre ein schlechter Weg.
Deshalb haben wir davon abgesehen, einen eigenen Entwurf einzubringen. Weder die Fraktion der Freien Demokraten noch die der CDU/CSU oder die Koalition insgesamt haben hier einen Entwurf vorgelegt, obwohl wir uns sehr intensiv mit der Frage befaßt haben - es gab ja bereits Beispiele für ein solches Vorgehen -, was wir hier unternehmen könnten. Wir wollten lediglich eines vermeiden: Wir wollten nicht in einer so wichtigen Frage dadurch, daß wir noch einige weitere Formulierungsvorschläge öffentlich machen, dazu kommen, daß wir weniger um die Sache als um Worte ringen, bei der friedlichen und zielgerichteten Auseinandersetzung, die wir noch vor uns haben, die wir zum Teil - das ist bereits erwähnt worden - auch begonnen haben, und nicht erst seit gestern.
Deshalb haben wir keinen Entwurf vorgelegt. Ich kann aber sehr klar sagen, was wir wollen: Wir wollen deutlich machen, daß hier in unglaublich vielen
Fällen Unrecht geschehen ist und daß deshalb den Urteilen keine rechtliche Wirkung zukommen kann.
({2})
Wir wollen des weiteren deutlich machen, daß wir in dem bescheidenen Rahmen, der uns überhaupt gegeben ist, dafür eintreten wollen, daß - „Entschädigungen" mag ich nicht sagen - im Rahmen der Möglichkeiten gewisse Leistungen des Staates für die Opfer und insbesondere für die Hinterbliebenen erbracht werden.
Das wiederum muß in einer Form geschehen, die jegliche neuen Wunden vermeidet, die selbst bei dem tückischen Wort „Beweislastumkehr" oder „Vermutung" immer wieder auftreten. Auch bei Beweislastumkehr habe ich nur unter etwas anderen prozessualen Regeln und prozessualer Rollenverteilung das Vergangene erneut aufzurollen. Insbesondere in Fällen von Todesurteilen halten wir das - noch dazu nach einem halben Jahrhundert - für völlig unzumutbar für die Beteiligten. Deshalb habe ich in der Debatte in der letzten Legislaturperiode vorgeschlagen, die Bundesregierung und die zuständigen Behörden der Länder von hier aus aufzufordern - gegebenenfalls auch die nötigen gesetzlichen Grundlagen dafür zu schaffen -, daß in einem objektivierten Verfahren, eben ohne - unter welcher prozessualen Voraussetzung auch immer - in eine neue Prüfung einzutreten, Entschädigungen geleistet werden. Das erscheint mir das einzig angemessene Verfahren zu sein. Ich habe das Gefühl, daß wir uns dem nähern können.
Das heißt dann aber schließlich: Nicht alle Urteile können wir aufheben, wenn wir nicht neues Unrecht setzen wollen. Wir wollen vielmehr deutlich machen, daß sehr viele Urteile Unrecht waren.
Wir wollen, ohne erneute Verletzungen zu schaffen, daraus die jetzt noch möglichen Konsequenzen ziehen. Genauso wie uns im Falle der Volksgerichtshofsurteile gemeinsames Handeln vor nunmehr zehn Jahren gelungen ist, so muß es uns auch hier gelingen. In dieser Hoffnung, in dieser Zuversicht - so möchte ich sogar sagen - gehen wir in die Beratungen, die jetzt vor uns liegen.
Für kleinliche Auseinandersetzungen ist hier kein Raum. Alle Zahlen, die man in den letzten Tagen wieder weit ausgebreitet lesen konnte, mögen für die Geschichte, auch für die Justizgeschichte, von Bedeutung sein. Jedes einzelne Unrechtsurteil aber ist ein Schicksal, das nicht sein durfte. Durch einen noch so großen Multiplikator ändert sich daran nichts. Es ändert sich die Quantität; aber die Qualität ist in jedem einzelnen Fall schrecklich genug.
Mit all solchen statistischen Fragen haben wir es hier nicht zu tun; wir haben es vielmehr in diesem Zusammenhang mit der Frage von Recht und Unrecht zu tun. Dieser wollen wir uns stellen.
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Es spricht jetzt der Abgeordnete Gerhard Zwerenz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es rührend, wie hier zum vorsichtigen Umgang mit der NS-Militärjustiz aufgefordert wird. Das ist ein ganz neuer Ton. Diese Aufforderung zur Zurückhaltung ist bei anderen Gegenständen wohl weniger angebracht.
Ich muß für mich sagen: Als ich im August 1944 in Warschau erleben mußte, wie der Aufstand dort niedergeschlagen wurde, und als ich diese Wehrmacht verließ, hätte ich es mir gewiß nicht träumen lassen, daß ich 50 Jahre und sechs Monate später hier im Bundestag die Fahnenflucht begründen müßte. Ich danke Ihnen dennoch für die fünf Minuten Redezeit, die ich bekommen habe.
Ich frage mich, weshalb 50 Jahre nach Kriegsende die von der Nazi-Wehrmachtsjustiz verurteilten Deserteure noch immer als Kriminelle gelten. Wie ist so etwas möglich?
({0})
Was brachte die wechselnden Mehrheiten des Bundestages dazu, den Angehörigen der zum Tode verurteilten Verweigerer bis heute die ihnen zustehenden Rechte vorzuenthalten? Weshalb sind die Kriegsrichter und Hinrichter oder ihre Hinterbliebenen ganz selbstverständlich in den Genuß dieser Rechte gekommen? Es rührte mich, als ich Herrn Kleinert, meinem Vorredner, hier zuhören durfte. Ich habe noch die Papiere von 1994, als die Mitglieder des Bundestages Kleinert und Geis bei Deserteuren Einzelfallprüfungen verlangten. Ich frage mich, ob sich die wenigen noch lebenden verurteilten Deserteure von ihren politischen Gegnern, d. h. von den Söhnen und Enkeln ihrer Verfolger, daraufhin überprüfen lassen würden, ob sie damals rechtmäßig ihr Leben riskierten, als sie sich der weiteren Teilnahme am Verbrechen verweigert haben. Ich meine, daß sich eher die Kriegsverlängerer überprüfen lassen müßten, wenn überhaupt überprüft werden müßte.
({1})
Deserteure sind Männer, die in irgendeiner Situation nicht mehr weiter Krieg geführt haben, die es in den meisten Fällen nicht mehr konnten und einfach davongegangen sind. Einer ist noch am Tag vor dem Krieg gegen die Sowjets davongegangen, drei am ersten Kriegstag. Alle vier sind verschollen. Etwa ein Dutzend Deserteure sind noch nach Kriegsende exekutiert worden. Bis Ende 1944 desertierten insgesamt schätzungsweise 100 000 deutsche Soldaten. Etwa die Hälfte wurde nicht ergriffen. Viele von den nicht Ergriffenen kamen dann aber auf dem Weg zu einer anderen Front oder im Lager um.
Das Kasseler Bundessozialgericht spricht in Anlehnung an Messerschmidt/Wüllner von 30 000 Todesurteilen; hochgerechnet sind es 50 000. Etwa die Hälfte wurde vollstreckt. Eine Begnadigung führte meist zu Todeskommandos in Strafeinheiten.
Zum ersten Vergleich: Der Volksgerichtshof, der doch in so schlechtem Ruf steht, fällte „nur" 5 191 Todesurteile.
Zum zweiten Vergleich: Im Ersten Weltkrieg wurden 48 deutsche Deserteure hingerichtet, nicht mehr.
Zum dritten Vergleich: Im Zweiten Weltkrieg richteten die Amerikaner einen Deserteur hin, die Engländer gar keinen. Das war nun kein Unrechtskrieg. Sie hätten also mehr Recht gehabt, hart durchzugreifen.
Zum vierten Vergleich: In der Bundesrepublik stiegen nach dem Krieg Militärjuristen mit Blut an den Händen in höchste Ämter auf. Filbinger wurde Ministerpräsident, Schwinge wurde Rektor der Marburger Universität. In Wien hatte er den 17jährigen Anton Reschny wegen Bagatelldiebstahls zum Tode verurteilt. Das war selbst Himmler zuviel. Himmler hat ihn begnadigt.
In der Ablehnung der Wehrmachtsdeserteure drückt sich, meine ich, heute noch die deutsch-nationale Scheu aus, den Zweiten Weltkrieg als Menschheitsverbrechen zu verurteilen, sich davon zu distanzieren. Das widerstrebt der konservativen Gesinnung.
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Die Herren möchten nicht so ganz im Unrecht gewesen sein. Sie möchten ein wenig recht gehabt haben. Das aber sehen sie durch die Fahnenflüchtigen dementiert: Der Weggegangene disqualifiziert den Dabeigebliebenen.
Ich sehe es nicht so. Ich wiederhole: Ich sehe es nicht so. Sie sind es, die es so sehen. Deswegen gibt es Ihre ewigen Widerstände gegen eine einigermaßen gerechte Behandlung von Deserteuren.
Der CDU-Ehrenvorsitzende Alfred Dregger, der am 8. Mai 1945 nicht befreit wurde, hat zum Volkstrauertag 1986 im Bonner Bundestag die offizielle Trauerrede gehalten, wo er selbstverteidigend feststellte, daß der deutsche Soldat, der dem Kriegsgegner bis zuletzt widerstand, für seine Person eine ehrenhafte Wahl getroffen habe, was insbesondere für die Soldaten des deutschen Ostheeres gelte.
({3})
- Ja, natürlich sind Sie der Meinung, daß das richtig ist. Selbstverständlich! Sie würden den Krieg heute noch weiterführen.
({4})
Ich will dem Ehrenvorsitzenden der CDU nicht widersprechen. Ich will nicht mit ihm rechten. Aber ich behaupte hier, daß für die 30 000 oder 50 000 ermordeten Deserteure, die das deutsche Weltmassaker nicht bis zur letzten Minute hinausgezogen und mitgemacht, sondern für sich abgebrochen haben,
schließlich einmal ohne alle Distanzierungen gesprochen werden muß.
({5})
Es hat schließlich einen Prozeß nach dem Kriege gegen den Marineoffizier Petersen in Hamburg gegeben. Er hat einen Tag nach Kriegsende noch drei Deserteure hinrichten lassen. Er hat, vor Gericht gestellt, erklärt:
Fahnenflucht war für uns junge aktive Soldaten, die wir bei Kriegsende durchaus nicht kriegsmüde waren, sondern am liebsten gegen Rußland weitergemacht hätten, ein ganz schweres Verbrechen, wie Raub oder Plünderung.
Herr Abgeordneter Zwerenz, Ihre Redezeit geht leider zu Ende.
Ich weiß, meine Zeit von 5 Minuten ist um. Ich bin umgeben von Nichtdeserteuren, die die vielfache Zeit von mir zur Verfügung haben.
Nun denn: Herr Professor Scholz, ich würde aber gern mit Ihnen - und auch mit Ihnen, Herr Dregger, der Sie neulich hier eine schöne Ostermarschrede gehalten haben - an anderer Stelle einmal wirklich zur Sache sprechen.
({0})
Auch über Ihren Helden Dr. Sack möchte ich gerne einmal sprechen. Das sieht anders aus, als Sie es uns hier weismachen wollen.
Herr Zwerenz, Ihre Redezeit ist vorbei.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Norbert Geis.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß wir uns darin einig sind, daß wir die Frage der Entschädigung schnell regeln müssen. Ich glaube auch, daß wir in dieser Frage gemeinsam und schnell einen Weg finden werden.
Wir sind uns auch darüber einig, daß von Deutschland ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg ausgegangen ist. Das ist überhaupt nicht im Streit, und etwas anderes behauptet auch niemand. Da sollte man auch keinen falschen Popanz aufbauen.
Es ist von Deutschland viel Leid, Tod und Vernichtung ausgegangen und in die anderen Völker Europas getragen worden, aber auch über unser eigenes Volk gekommen. Das sollte man dabei nicht vergessen. Noch nie wurde ein Land so sehr in Schutt und
Asche gelegt wie Deutschland während des Krieges. Der Krieg hat in vielen Familien Europas, aber auch in vielen Familien unseres eigenen Volkes tiefe Spuren hinterlassen. Auch dies wollen und dürfen wir bei einer solchen Gelegenheit nicht verschweigen.
Aber die Frage ist, ob wir all das, was geschehen ist, pauschal verurteilen können. Die spezielle Frage ist, ob wir pauschal verurteilen können, was die deutsche Militärjustiz in dieser Zeit geleistet hat.
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Zweifellos ist es richtig, daß viele Unrechtsurteile ausgesprochen wurden. Darüber brauchen wir nicht zu streiten. Dazu bekennen wir uns auch alle. Es ist auch richtig, daß wir alles tun müssen, damit diejenigen, die von diesen Unrechtsurteilen getroffen worden sind, wenn sie heute davon noch nicht befreit sind, so schnell als möglich freigesprochen werden.
Aber die uns bewegende Frage ist ja, ob nun generell gesagt werden kann, daß die Militärjustiz in dieser damaligen Zeit versagt hat. Das sagen weder die GRÜNEN, noch sagt dies die SPD.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gysi?
Ich möchte erst einmal eine Zeitlang fortfahren. Nachher gern.
Das sagt die SPD nicht, und das sagen die GRÜNEN auch nicht. Generell kann man dies von der Militärjustiz insgesamt wohl kaum behaupten, und es gibt auch viel zu viele Beispiele dagegen.
Es gibt das Beispiel, daß ein Flakbataillon in Budapest in freigemachten jüdischen Wohnungen einquartiert worden ist und daß sich ein Offizier mit seinen Soldaten Wertgegenstände aus dieser Wohnung aneignen wollte, daß eine Jüdin davon Kenntnis erhalten hat und Anzeige erstatten wollte, daß die Jüdin dann von den Soldaten brutal niedergeschossen worden ist, daß aber der Offizier mit seinen Soldaten vor einem deutschen Militärgericht angeklagt worden ist, daß er zum Tode verurteilt worden ist und seine Helfer zu langen Zuchthausstrafen verurteilt worden sind. Das Urteil wurde vom Gerichtsherrn, dem Generalobersten Dessloch, bestätigt, und es wurde auch vollstreckt.
Es gibt viele ähnliche Beispiele. Die Militärjustiz im Krieg allgemein hat da, wo es um den Schutz der Zivilbevölkerung ging, in keinem Fall versagt. Dies zu behaupten wäre unrecht.
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- Ich will gar nicht bezweifeln, daß es viele Fehlurteile gab. Aber man kann nicht generell behaupten - und das tun ja weder SPD noch die GRÜNEN -, es seien alles Unrechtsurteile gewesen. Sie sagen aber: Wenn es um Fahnenflucht ging, wenn es um WehrNorbert Geis
kraftzersetzung ging, wenn es um Wehrpflichtverweigerung ging, dann waren die dort ausgesprochenen Urteile von Anfang an rechtswidrig. Das sagen Sie, aber das ist ein anderer Sachverhalt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lippelt?
Bitte.
Herr Kollege, würden Sie mir nicht zugestehen, daß es richtiger wäre, zu sagen, bei dem mörderischen Instrument eines mörderischen Regimes habe es rühmliche Ausnahmen gegeben? Eine solche haben Sie eben geschildert. Wäre das nicht korrekter?
({0})
Ich will Sie bei Ihrem eigenen Wort nehmen. Sie selbst - Herr Beck hat das vorhin auch ausdrücklich betont - sagen nicht, daß die Militärjustiz generell zu verurteilen sei, daß sie generell Unrechtsurteile gesprochen habe. Sie sagen nur, daß dies Geltung haben solle in Fällen der Fahnenflucht, der Wehrkraftzersetzung und der Wehrdienstverweigerung. Lassen Sie mich jetzt zu diesem speziellen Problem noch ein paar Gedanken äußern.
Es gibt den Wunsch des Abgeordneten Gysi nach einer Zwischenfrage.
Ja, bitte sehr.
Herr Abgeordneter, zu Ihrer Äußerung hinsichtlich der Zivilbevölkerung ist schon gefragt worden. Ich glaube, daß da viele Verbrechen von der Militärjustiz eben nicht geahndet wurden. Aber davon abgesehen, geht es mir um eine andere Frage: Können Sie die Auffassung teilen, daß dann, wenn man feststellt, daß ein Krieg ein Angriffskrieg war, ganz egal, aus welchem Motiv der einzelne Deserteur, der einzelne Fahnenflüchtige oder Wehrdienstverweigerer gehandelt hat, objektiv immer herauskommt, daß er sich geweigert hat, sich an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu beteiligen? Wenn das wahr ist, was hindert dann an einer pauschalen Rehabilitierung aller durch Militärgerichte verurteilten fahnenflüchtigen Deserteure etc.? Dafür gibt es doch dann gar keinen Grund. Das wäre noch nicht einmal ein Urteil über die gesamte Militärjustiz, sondern ein Urteil über eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen, die sich dem Aggressionskrieg, aus welchen Gründen auch immer, verweigert haben.
Ich habe Ihnen ganz klar geantwortet: Wir sind nicht dieser Auffassung. Ich möchte Ihnen auch die Gründe darlegen, warum wir nicht dieser Auffassung sind.
Erstens meinen wir, daß es in allen Ländern solche Rechtsnormen gibt, daß auf Fahnenflucht während des Krieges die Todesstrafe steht. Das ist, für sich allein genommen, noch kein Grund, ein generelles Urteil zu sprechen.
Zweitens entspricht diese Norm des damaligen Militärstrafgesetzbuches auch den Maßstäben, die das Bundesverfassungsgericht für Rechtsnormen, die in der nationalsozialistischen Zeit Wirksamkeit erlangt haben, aufgestellt hat. Das ist der zweite Punkt.
Der dritte Punkt ist, daß auch die Alliierten nach dem Krieg diese Rechtsnormen und die Urteile nicht generell aufgehoben, sondern jeweils auf den Einzelfall verwiesen haben. Inzwischen haben wir eine 50jährige Spruchpraxis.
Allein aus diesem Grund - ich werde noch weitere Gründe nennen; das ist der Hauptteil meiner Ausführungen -, also auch schon aus den drei jetzt von mir genannten Gründen besteht nach unserer Meinung keine Notwendigkeit, von dieser 50jährigen Praxis Abstand zu nehmen.
Erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Gysi? - Bitte.
Dazu habe ich noch eine Frage. Abgesehen davon, daß eine 50jährige Spruchpraxis auch falsch sein kann, wie sich das in anderen Fällen in der Geschichte durchaus herausgestellt hat: Glauben Sie nicht, daß man eine historische Zäsur machen und sagen kann: Innerhalb des Naziregimes mag es normal sein, daß eine Fahnenflucht-Strafrechtsnorm besteht; jetzt haben wir das Naziregime überwunden und erkennen nunmehr, in einer völlig neuen, demokratischen Gesellschaftsordnung, an, daß jeder Widerstand gegen dieses Regime legitim war, und rehabilitieren deshalb nachträglich alle Betroffenen und billigen ihnen eine Entschädigung zu, weil unsere Einstellung zu dem Regime eine andere ist als die Einstellung des Regimes, das solche Normen erläßt, zu sich selbst? - Das hat mit der Frage Verteidigungskrieg oder Angriffs- und Aggressionskrieg zu tun.
Herr Gysi, der Hauptteil meiner hier versuchten Darstellung wird sich eben gerade mit dieser Frage beschäftigen. Ich bitte Sie, diese Ausführungen doch einfach abzuwarten. Ich möchte Ihnen unsere Gründe dartun, warum wir in dieser Frage nicht der Meinung von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind. Lassen Sie mich das doch erst einmal in Ruhe ausführen.
Jetzt möchte der Abgeordnete Kleinert eine Frage stellen.
Bitte sehr, Herr Kleinert, Ihnen zuliebe.
Herr Kollege Geis, würden Sie mir darin zustimmen, daß man
Detlef Kleinert ({0})
dann, wenn man ein einen unrechten Krieg führendes Heer straflos verlassen können soll, auch ein mit Unrecht regiertes Land verlassen dürfen muß, ohne daß dabei auf einen geschossen wird?
({1})
Das ist natürlich in bezug auf die von Herrn Gysi gestellte Frage die richtige Fragestellung. Ich brauche keine Antwort darauf zu geben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich doch jetzt in der mir verbleibenden Zeit noch dartun, welche Gründe es außer den vorhin genannten drei Gründen dafür gibt, daß wir an der bisherigen Praxis festhalten. Natürlich weiß ich, daß eine 50jährige Rechtspraxis falsch gewesen sein kann und daß es Zeiten gibt, in denen man eine solche Praxis ändert. Lassen Sie mich aber doch einmal darstellen, warum wir nicht der Meinung sind, von der bisherigen Praxis abweichen zu sollen.
Wir sind aus folgenden weiteren Gründen nicht dieser Meinung: Wenn wir es zum Prinzip erheben würden, daß sich grundsätzlich dann, wenn ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg von einem Volk ausgeht, die Soldaten aus dem jeweiligen Heer entfernen können, sie Fahnenflucht begehen können, dann würde dieses Prinzip schon im folgenden Fall einer schweren Erschütterung unterzogen, nämlich beispielsweise dann, wenn ein Soldat aus Feigheit und nicht aus Widerstandsgründen die Truppe verläßt und sie dadurch in schwere Bedrängnis, in Todesgefahr bringt und viele ihr Leben lassen müssen. Ein solches Verhalten ist doch unabhängig davon, ob sich die Truppe in einem Angriffs- oder Verteidigungskrieg befindet, immer nicht legitim, immer verwerflich. Das muß doch immer vor internationalem Recht Bestand haben.
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- Nein, Sie verkennen die große Entscheidung des Völkerrechtes. Das Völkerrecht unterscheidet ganz klar zwischen dem Recht zum Krieg, ius ad bellum, und dem Recht im Krieg, ius in bello. Das ist die große Leistung des Völkerrechtes.
Das Völkerrecht sagt uns also, daß in einem Krieg eine ganz andere Position entstehen kann; denn auch die andere Seite vermag sich auch einmal völkerrechtswidrig zu verhalten. Was soll eine Truppe dann machen? Soll sie sich gegen ein völkerrechtswidriges Verhalten der anderen Seite nicht verteidigen dürfen? Was ist denn, wenn der Soldat innerhalb einer solchen Verteidigung seine Truppe verläßt? Begeht er dann keine Fahnenflucht? Natürlich begeht er Fahnenflucht.
({1})
Ich meine also, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß man dieses Prinzip nicht aufrechterhalten kann. Deswegen sind wir dagegen, nicht etwa deshalb, weil wir Unrechtsurteile schützen wollen. Wir wollen nicht durch eine pauschalierte Verurteilung neues Unrecht schaffen. Wir würden mit einem solchen pauschalen Beschluß in der Konsequenz - da müssen Sie mir doch recht geben - all diejenigen, die geblieben sind, die, so wie Helmut Schmidt es gesagt hat, das Gefühl hatten, in der Truppe ihre Pflicht tun zu müssen und die Truppe nicht verlassen zu dürfen, unter Umständen ins Unrecht setzen. Was tun wir denn sonst mit einem solchen Beschluß?
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Kröning?
Herr Kollege Kröning, bitte sehr.
Bitte.
Herr Kollege Geis, sind Sie bereit, mir einzuräumen, daß die Qualifizierung des Zweiten Weltkrieges als völkerrechtswidrig nicht nur für den Maßstab des ius ad bellum, sondern in einem überhaupt nicht ausmeßbaren Umfang auch für den Maßstab des ius in bello gilt, und sind Sie bereit, mir auch einzuräumen, daß wir bereits Konsens darüber erzielt hatten, daß es bei diesem Antrag und bei dieser Debatte nicht um die rechtliche Qualifizierung des Dienstes der einzelnen Soldaten geht?
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Ich kann Ihnen insofern nicht folgen. Verehrter Herr Kröning, Sie kommen nicht an der Tatsache vorbei, daß, ob verbrecherischer Krieg oder nicht, die Fahnenflucht im Einzelfall durchaus ein verwerfliches Verhalten gewesen sein kann, nämlich dann, wenn dadurch der Truppe beispielsweise großer Schaden zugefügt worden ist, wenn dadurch die Kameraden in ganz große Lebensgefahr geraten sind und vielleicht sogar ihr Leben verloren haben. In einem solchen Fall - ganz unabhängig davon, daß ich mit Ihnen übereinstimme, daß es ein über alle Maße hinausgehender Krieg gewesen ist - bleibt dieses Verhalten verwerflich. Davor wollen wir nicht zurückweichen. Vielmehr wollen wir uns dem stellen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir dürfen also nicht dazu übergehen, das Verhalten derjenigen, die Fahnenflucht begangen haben, allein deshalb, weil es sich um einen furchtbaren Angriffskrieg gehandelt hat, generell für rechtmäßig zu erklären. Wir müssen bedenken, daß wir damit auf der anderen Seite denen, die geblieben sind, sagen, daß sie generell rechtswidrig gehandelt haben, daß sie im Unrecht gewesen sind und im Grunde genommen falsch gehandelt haben. Wir würden uns überheben, wenn wir unser Urteil heute über das Urteil derjenigen stellen würden, die im jeweils konkreten Fall draußen im Felde gewesen sind.
In mir sträubt sich alles dagegen, nach 50 Jahren heute zu sagen: Das war damals richtig, und das war damals falsch. Ich kann dies nur sagen, wenn ich den Einzelfall untersuche; darum geht es mir, und darum geht es mir auch in Zukunft.
Deshalb meinen wir, daß es bei der alten Praxis bleiben sollte. Wir meinen, daß wir in den letzten 50 Jahren, von den Alliierten ausgehend, in dieser Frage die richtige Verhaltensweise an den Tag gelegt haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Nickels?
Bitte sehr.
Herr Geis, ich glaube, wir sind uns doch einig, daß es ein furchtbarer, unrechtmäßiger Krieg, ein Angriffskrieg, war. Es geht bei dem Antrag doch gar nicht darum, die Gründe oder das Verhalten derjenigen, die als Soldaten Befehlen gefolgt sind, ins Unrecht zu stellen oder abzuqualifizieren. Im Grunde geht es doch darum, denjenigen, die damals desertiert sind - es sind nur noch wenige übriggeblieben -, die verachtet waren und im nachhinein ganz schlimme Konsequenzen zu tragen haben, aus dem Grund, weil es ein verwerflicher Angriffskrieg war, heute ein Stück weit Respekt zu bezeugen und Genugtuung zu verschaffen. Ich frage Sie: Warum vermengen Sie das? Warum sagen Sie die ganze Zeit, daß wir dann, wenn wir mit diesem Antrag den wenigen, die noch leben, eine Geste des Respekts und der Genugtuung übermitteln, zugleich alle anderen verurteilen? Es ist doch gar nicht so. Warum sagen Sie so etwas?
Warum kommen diese Leute nicht und stellen wie die anderen in den letzten 50 Jahren auch den Antrag? Warum ist es denn so ausgeschlossen, im Einzelfall zu erklären: Du bist unschuldig? Warum soll denn das ausgeschlossen sein?
Warum soll es uns dort, wo es von ihm oder den Angehörigen nicht mehr bewiesen werden kann, unmöglich sein, zu sagen: Weil .du es nicht mehr beweisen kannst, spricht für uns die Vermutung dafür, daß damals Unrecht geschehen ist, und wir rehabilitieren dich oder deinen verstorbenen Angehörigen? Warum soll denn das so schwer sein?
Warum müssen wir denn jetzt nach 50 Jahren von der Praxis Abstand nehmen, die wir bislang eingehalten haben? Es gibt für uns dafür keinen hinreichenden Grund. Wir genauso wie Sie verurteilen diesen Krieg. Wir haben ihn in den vergangenen 50 Jahren schon verurteilt, und wir müssen nicht erst heute zu dieser Erkenntnis kommen, sondern wir sind im Gegensatz zur DDR und zur SED schon vor 50 Jahren zu dieser Erkenntnis gekommen.
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Unsere Vorfahren haben nach diesem Krieg einen demokratischen Rechtsstaat aufgebaut.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wir brauchen uns doch jetzt nicht von der anderen Seite vorwerfen zu lassen, wir seien noch nicht zur richtigen Erkenntnis gekommen. - Lassen Sie mich diesen Satz noch sagen.
Ich kann mir ja vorstellen, daß man in dieser Frage verschiedener Meinung sein kann, aber ich bitte doch um Verständnis für unsere Auffassung, daß dies, weil wir dies im Einzelfall immer so entschieden haben und weil dies aus den von mir genannten Gründen auch in der Vergangenheit richtig war, auch in Zukunft Bestand hat.
Danke schön.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eben im Protokoll nachgeprüft. Der Abgeordnete Zwerenz hatte gesagt:
Selbstverständlich. Sie würden den Krieg - damit war der nationalsozialistische Angriffskrieg gemeint heute noch weiter führen.
Dafür rufe ich ihn zur Ordnung.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Herta DäublerGmelin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Daß wir uns hier im Bundestag 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und nach 45 Jahren rechtsstaatlicher Verfassung und Rechtsstaat immer noch so unglaublich schwertun, eine vernünftige Antwort auf die Frage zu finden, wie wir uns zu Deserteuren, zu Fahnenflüchtigen und zu anderen meist als Widerstandshandlungen des kleinen Mannes gedachten und ausgeübten Taten verhalten, das ist eigentlich traurig. Dennoch ist es so.
Ich möchte deshalb meine kurzen Ausführungen mit der Bitte beginnen, daß wir nicht übersehen, was unsere Aufgabe ist, jetzt, 50 Jahre nach Ende des letzten Weltkrieges.
Unsere Aufgabe ist es, den Opfern, den Betroffenen, den ganz wenigen, die heute noch leben, und denen, die gelitten haben, und ihren Hinterbliebenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ihnen zu helfen,
({0})
ihnen eine Entschädigung zuzusprechen, ohne ihnen
zuzumuten, daß sie nochmals die Qual der damaligen Zeit durchleben müssen und sich oder ihre VerDr. Herta Däubler-Gmelin
wandten nochmals rechtfertigen müssen. Unsere Aufgabe ist es, klarzustellen, daß die Belastung der letzten Jahrzehnte, die sie mit dem ungeheuren Vorwurf von Feigheit und Schande durchstehen mußten, von ihnen genommen wird. Darum geht es.
({1})
Ich denke, diese Aufgabe sollten wir nicht vergessen, auch wenn es alles natürlich viel einfacher machen würde - und jetzt spreche ich zu Ihnen, Herr Scholz und Herr Geis -, wenn wir uns über die Bewertung unserer Geschichte insgesamt einigen könnten.
Meine Bitte für den Fall, daß wir das nicht können sollten, ist nur: Lassen Sie uns jetzt bei den Verhandlungen über die kommenden Schritte an die Aufgabe denken, und lassen Sie uns dann die Unterschiede in der Bewertung im übrigen in Gottes Namen stehenlassen!
Ich begreife allerdings nicht, warum Sie sich mit der Bewertung der Geschichte so schwertun. Wir können die Kriegsgerichtsjustiz nicht als rechtsstaatlich betrachten, sondern haben heute einen ganz anderen Begriff von rechtsstaatlicher Justiz. Unsere Soldaten dürfen keineswegs in die Tradition der Naziarmee gestellt werden und auch nicht in die Traditionen dieses völkerrechtswidrigen Angriffskrieges. Das alles wissen wir doch.
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Zur übereinstimmenden Bewertung der Geschichte gehört nicht nur die Übereinstimmung darüber, daß der Zweite Weltkrieg ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg war, Herr Geis, sondern auch, daß die Militärjustiz im Frühsommer 1933 unter klarem Bruch der Weimarer Verfassung eingeführt wurde, daß das Militärstrafgesetzbuch, das 1933/34 erarbeitet und erlassen wurde, schlimmer war als das des Kaiserreichs und daß vor dem Polenfeldzug die totale Verfügbarkeit von Militärgerichtsbarkeit und Militärjustiz für das Nazisystem vollends vollzogen wurde.
Die furchtbaren Zahlen aus der Militärjustiz des Zweiten Weltkriegs unterstreichen dies alles. Die Amerikaner haben ein einziges Todesurteil wegen Fahnenflucht vollstreckt und etwa 140 solcher Urteile verhängt und dann in andere Strafen umgewandelt. Die Nazis, ihre Kriegsgerichtsbarkeit, über die wir jetzt reden, haben 30 000 Todesurteile verhängt und 5 000 wegen Wehrkraftzersetzung und 15 000 wegen Desertion vollstreckt.
Das unterstreicht doch, daß es uns allen leichtfallen müßte, zu sagen, wohin das alles gehört: zum NS-Unrechtsstaat.
Aber, wie gesagt: Die Aufgabe, Gerechtigkeit für die Betroffenen zu schaffen, steht im Vordergrund. In diesem Zusammenhang sehe ich zwei Fragen: Erstens. Wohin geht denn die Vermutung? Herr Scholz, ich will jetzt den Begriff der Vermutung aufgreifen. Weist die Vermutung dahin, daß das, was diese Kriegsgerichte getan haben, grundsätzlich Unrecht war, was dann ja gar nicht ausschließt, daß es im Einzelfall nach den damals geltenden Maßstäben Recht gewesen sein mag, manchmal vielleicht sogar inhaltlich richtig? Oder geht die Vermutung dahin, daß es prinzipiell Recht war und nur im Ausnahmefall NS- Unrechtsjustiz?
Ich denke, es müßte möglich sein, endlich klar zu sagen, daß die erste Feststellung gilt: Das war Unrecht, auch wenn im Einzelfall einmal richtige Feststellungen getroffen worden sein sollten.
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Ich denke, wir sollten uns einig sein, Herr Geis - deswegen hat mich sehr gefreut, was Sie zu diesem Punkt gesagt haben -, daß wir denjenigen, die heute noch leben, weder den Einzelnachweis noch ein langes Verfahren auflasten dürfen. Die meisten sind doch ganz alte Leute. Zum Teil haben sie bis heute keinen Einblick in ihre Akten bekommen. Sie sind, wie gesagt, in den letzten Jahrzehnten schwer belastet und zu Unrecht bestraft gewesen, nicht nur durch das, was sie in der NS-Zeit durchmachen mußten. Wir sollten ihnen jetzt wenigstens helfen. Wir sollten uns gemeinsam bemühen, ein objektiviertes Verfahren zu finden, das ihnen Rehabilitierung - ich teile Ihre Auffassung, Herr Kleinert - und auch Hilfe und Entschädigung schnell zukommen läßt.
Meine Bitte ist: Helfen Sie mit! Dann werden wir - bei der Bewältigung dieser Aufgabe - vielleicht auch zu einer besseren und vernünftigeren gemeinsamen Würdigung der Geschichte kommen. Das wäre für die zukünftige Politik in unserem Lande nicht schlecht.
Danke schön.
({4})
Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Abgeordneten Lippelt.
Meine Kolleginnen und Kollegen! Die sehr engagierten, aber auch sehr erregt vorgetragenen Ausführungen von Herrn Geis veranlassen mich zu dieser kleinen Intervention. Ende der 40er Jahre, also einige Jahre nach dem Krieg, hat Hannah Arendt einen kleinen Aufsatz mit dem Titel „Organisierte Schuld" geschrieben. Sie hat sich damit gegen die damals verbreitete These von der Kollektivschuld des deutschen Volkes gewandt und gesagt: Nein, keine Kollektivschuld, aber dieses Volk hat unter einem Regime gelebt, das Schuld an dieses Volk heranorganisiert hat.
Ich denke, wir sollten uns an diese Gedanken erinnern, gerade dann, wenn Sie, Herr Geis, fragen, ob es nicht sein könnte, daß mancher Deserteur seine Einheit in einem sehr kritischen Moment verlassen
und dadurch Schaden hervorgerufen hat. Ich glaube, wir müssen uns ein wenig an die Hierarchie der Systeme erinnern. Ich denke, daß sich jeder Deserteur der weiteren Verwicklung in Schuld entzog.
Bei Ihrer mehr auf die kleine Einheit beschränkten Betrachtungsweise mag sich das Ihnen sehr wohl als ein Konflikt darstellen. Allerdings glaube ich, daß diese Betrachtungsweise überhaupt nichts taugt für die Definition dessen, was Desertation in einem solchen Unrechtsregime ausmachte, das die Wehrmacht in breitem Maße in die Tötungsaktionen in Rußland und anderswo verwickelte. Deshalb glaube ich, daß diese „kleine" Betrachtungsweise für das hier anstehende Problem nichts taugt.
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Geis das Wort.
Herr Lippelt, ich bin mit Ihnen einer Meinung, daß derjenige, der aus dem Motiv des Widerstandes heraus die Truppe verlassen hat, natürlich im Sinne des Widerstandsrechtes gerechtfertigt ist. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Wenn aber einer aus einem unehrenhaften Motiv - das gibt es ja auch und das gab es ja auch; es wäre lebensfremd, das nicht wahrhaben zu wollen - die Truppe verlassen hat, dann ist diese Tat in sich verwerflich - das wiederhole ich -, unabhängig davon, ob er sich in einem Angriffs- oder einem Verteidigungskrieg oder in welchem Krieg auch immer befunden hat.
Das ist keine „kleine" Betrachtungsweise, sondern das ist die Betrachtungsweise des Lebenssachverhaltes. Dazu müssen wir uns doch zwingen. Wir müssen immer den Lebenssachverhalt sehen, ihn abwägen und feststellen, ob er dem Recht entspricht oder nicht. Das Handeln eines Fahnenflüchtigen, der wie in dem von mir geschilderten Fall die Truppe aus Feigheit verlassen hat, kann niemals und vor keinem Recht der Welt - auch nicht, wenn der Bundestag das Gegenteil beschließt - rechtens sein.
({0})
Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Abgeordneten Gansel.
Herr Kollege Geis, ich habe festgestellt, daß Sie es sich in Ihrer Argumentation schwergemacht haben. Dadurch haben Sie es auch uns schwergemacht. Denn der Versuch, nach 50 Jahren in individuellen Fällen über die Ehrenhaftigkeit oder die Unehrenhaftigkeit von Desertionen zu richten und dabei einem Recht zu folgen, kann dazu führen, in der Argumentation einem mörderischen Unrechtsregime mehr Rechtsstaatlichkeit und Rechtmäßigkeit zuzuerkennen, als Sie selber im Sinn haben und selber wollen.
Deshalb geht es heute nicht um perfekte rechtsstaatliche Regeln. Als ehemaliger Soldat bin ich gewiß der letzte, der der Desertion in jedem Fall das
Wort redet. Aber es geht damm, nach 50 Jahren denen gerecht zu werden, die mehr Mut und Ehrenhaftigkeit gezeigt haben, in den letzten Monaten des Krieges zu desertieren oder auch ein Dorf zu übergeben, als diejenigen, die aus Feigheit, das Standgerichtskommando im Nacken, weiter gekämpft und weiter getötet haben, als der Krieg schon längst verloren war und für jeden der mörderische Gehalt des Naziregimes längst sichtbar geworden war.
Es leben nur noch wenige von denen, die die Desertion überlebt haben, und von den Angehörigen der Hingerichteten. Es geht mit dieser Initiative doch darum, diesen Menschen eine Geste der Anerkennung für das Leid, das Nazibarbarei und Krieg ausgelöst haben, zu geben, in Anbetracht dessen, daß derjenige, der desertierte, in der Regel seltener in eine Situation geriet, in der er Schuld auf sich nehmen mußte.
Da bitte ich Sie um Ihre Zustimmung. Vielleicht setzen wir den Männern damit ein Denkmal, die im April vor 50 Jahren kapitulieren wollten und die von den Schergen der SS auf Marktplätzen aufgehängt wurden,
({0})
auf denen eine Woche später mit der weißen Fahne die Übergabe an die Amerikaner oder Briten erfolgte, und die mehr Mut und Ehrenhaftigkeit gezeigt haben als jene, die glaubten, bis zum letzten Blutstropfen, bis zum letzten Quadratmeter weiterkämpfen zu sollen, mit dem Fanatismus, die - wie Hitler es ausdrückte und wollte - biologische Substanz des deutschen Volkes aufs Spiel zu setzen.
Darum geht es, und da bitte ich Sie um Ihre Zustimmung.
({1})
Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/353 und 13/ 354 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkte 8, 11 a bis n und Zusatzpunkt 4 auf:
8. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung arbeitsrechtlicher Bestimmungen an das EG-Recht
- Drucksache 13/668 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({0}) Rechtsausschuß
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
11. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes
- Drucksache 13/698 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({1}) Ausschuß für Verkehr
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ernst Schwanhold, Dr. Uwe Jens, Robert Antretter, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung
- Drucksache 13/619 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({2}) Innenausschuß
Rechtsausschuß
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung ausländischer Streitkräfte bei vorübergehenden Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland ({3})
- Drucksache 13/730 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({4}) Innenausschuß
Rechtsausschuß
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 26. Mai 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Thailand über die Überstellung von Straftätern und über die Zusammenarbeit bei der Vollstreckung von Strafurteilen
- Drucksache 13/666 -
Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen vom 19. Dezember 1988 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften sowie zur Übertragung bestimmter Zuständigkeiten für die Auslegung dieses Übereinkommens auf den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
- Drucksache 13/669 -
Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten ({5})
- Drucksache 13/670 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Post und Telekommunikation ({6})
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Futtermittelgesetzes
- Drucksache 13/671 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Tierseuchengesetzes
- Drucksache 13/672 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({7})
Ausschuß für Gesundheit
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rudolf Schwanitz, Ernst Bahr, Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Zügige Auszahlung der Kapitalentschädigung für ehemalige politische Häftlinge in den fünf neuen Bundesländern
- Drucksache 13/299 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({8})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans Büttner ({9}), Leyla Onur, Ottmar Schreiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Geänderter Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Rates über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen
- Drucksache 13/768 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({10}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
k) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Ab. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung des Standortübungsplatzes München ({11})
- Drucksache 13/432 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
l) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der von den britischen Streitkräften freigegebenen bundeseigenen Wohnsiedlung in Hemer-Sundwig
- Drucksache 13/585 -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
m) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung eines weiteren Teils der ehemaligen WGT-
Garnison Halle-Heide an das Land Sachsen-Anhalt
- Drucksache 13/633 -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
n) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung eines Teils der ehemaligen WGT-Garnison Halle-Heide an die Stadt Halle
- Drucksache 13/646 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Annelie Buntenbach und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Grundsätze für eine EU-Entsenderichtlinie sowie eine nationale Regelung bis zu deren Realisierung
- Drucksache 13/786 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({12}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen ohne Debatte an die in der Tagesordnung auf geführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde
- Drucksache 13/761 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung ist Herr Staatsminister Bernd Schmidbauer erschienen.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Helmut Lippelt auf:
Ist die Bundesregierung auf Ersuchen der israelischen Regierung im Fall des 1986 über dem Libanon abgeschossenen israelischen Piloten Ron Arad im Gespräch mit iranischen Behörden, und wie beurteilt sie die Vorwürfe des Vorsitzenden des Außenpolitischen und Verteidigungsausschusses des israelischen Parlaments, Uri Orr, sie habe in der Angelegenheit Ron Arad völlig falsche Informationen verbreitet, um damit ihre Handelsbeziehungen zum Iran und die diesem Land gewährten Umschuldungen zu rechtfertigen, wie dies in der Frankfurter Rundschau vom 24. Februar 1995 berichtet wird?
Herr Kollege Dr. Lippelt, die Bundesregierung hat solche Gespräche geführt. Die Vorwürfe des Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses des israelischen Parlaments sind völlig aus der Luft gegriffen. Sie geben auch nicht die Meinung der israelischen Regierung wieder. Ich möchte Ihnen aus den gestrigen Pressemitteilungen dazu folgende Äußerung zitieren:
Ausdrücklich lobte Herr Perez den deutschen Anteil im Bemühen um die Freilassung des israelischen Luftwaffennavigators Ron Arad, der nach einem Abschuß über Libanon seit Jahren vermißt wird. Während israelische Medien die deutschen Beziehungen zu Iran vor diesem Hintergrund heftig kritisieren, sagte Perez, er begrüße die deutsche Haltung im Fall Ron Arad ausdrücklich.
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- Herr Kollege Fischer, ich sage deshalb auch, daß der Außenminister dies so gesehen hat. Wir sehen dies übrigens auch so, und wir waren in unseren Stellungnahmen mit der israelischen Regierung abgestimmt.
Das war offenbar eine Nachfrage des Abgeordneten Fischer. Aber Herr Lippelt hat eine Nachfrage zu seiner Frage. Bitte.
({0})
Herr Staatsminister, dementieren Sie damit ausdrücklich alle Vermutungen, die besagen, daß letztlich der Zeitpunkt des Bekanntwerdens dieser ja an sich löblichen Intervention abgestimmt gewesen und nicht zufällig zur gleichen Zeit geschehen sei wie die Vergabe der Hermes-Bürgschaften?
Herr Kollege Dr. Lippelt, ich sehe überhaupt keinen Zusammenhang. Ich kann das beurteilen, weil die Verhandlungen bei uns geführt wurden. Es hat keinen Zusammenhang gegeben zwischen diesen Verhandlungen und Gesprächen einerseits und anderen Maßnahmen der Bundesregierung oder anStaatsminister Bernd Schmidbauer
derer Stellen andererseits. Ich kann dies dementieren, weil ich es aus eigener Kenntnis weiß.
Keine weiteren Zusatzfragen? - Dann. können wir den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes verlassen. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister Schmidbauer.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung ist Herr Staatsminister Helmut Schäfer gekommen.
Ich rufe die Frage 27 der Abgeordneten Michaela Hustedt auf. - Ich sehe sie allerdings nicht. Es wird daher verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Dann rufe ich die Frage 28 der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack auf:
Wieso hat das Auswärtige Amt der bekannten indischen Frauenrechtlerin Madhu Kishwar, die anläßlich des 8. März 1995 ({0}) von amnesty international für deren Pressekonferenz zur Eröffnung einer internationalen Kampagne gegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen ({1}) eingeladen war, durch die Deutsche Botschaft in New Delhi nicht rechtzeitig ein Einreisevisum erteilt, obwohl dieses bereits am 2. März 1995 von der Visa-Abteilung für den 4. März 1995 amnesty international gegenüber mündlich zugesagt worden war, und wieso wurde der Frauenrechtlerin am Sonntag, 5. März 1995, mit dem Hinweis, daß „noch keine Antwort vom Bundesverwaltungsamt vorliege", immer noch kein Sichtvermerk erteilt und sie auch am Montag vertröstet, obwohl die Botschaft damit wissend in Kauf nahm, daß Frau Kishwar ihren Termin versäumen würde?
Das Auswärtige Amt hat Ihre Anfrage zum Anlaß genommen, den Vorgang im einzelnen mit der Visastelle der Botschaft in Neu-Delhi zu erörtern. Danach ergibt sich, daß einerseits das Visum zu spät beantragt wurde, andererseits das Visum nach Vorliegen der ausländerrechtlichen Voraussetzungen durch eine Verkettung unglücklicher Umstände und entgegen der ursprünglichen Absicht der Botschaft leider nicht bereits am Wochenende, sondern erst am Montag, dem 6. März, ausgestellt werden konnte. Das Auswärtige Amt bedauert die aus den beiden genannten Gründen eingetretenen Schwierigkeiten im Besuchsablauf.
Besteht der Wunsch nach einer Nachfrage? - Nein.
Dann kommen wir zur Frage 29 der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack.
Wieso wurde bei Frau Kishwar, die sich bereits mehrfach in der Bundesrepublik Deutschland aufhielt und der bei früheren Reisen ein Sichtvermerk innerhalb einer Stunde ausgestellt wurde, diesmal ein Sichtvermerk so lange verzögert, bis sie den Termin, zu dessen Anlaß amnesty international die ganze Reise geplant hatte, nicht mehr wahrnehmen konnte, und trifft der Eindruck zu, daß die Botschaft die bereits zugesagte Visumserteilung so lange verzögerte, weil sie damit die Arbeit von amnesty international zu Themen, die der Botschaft oder der Bundesregierung bzw. deren indischen Partnern unangenehm sind, behindern wollte?
Frau Kollegin, das Auswärtige Amt arbeitet mit Amnesty International eng zusammen. Ihre Vermutung, die Arbeit von Amnesty International oder die Erörterung von angeblich für die Bundesregierung, die Botschaft oder die indische Seite unangenehmen Themen sollte behindert werden, ist abwegig.
Aus der genannten Verkettung unglücklicher Umstände eine bewußte Verzögerung der Reisepläne von Frau Kishwar herauszulesen ist nicht richtig. Das Ausländerrecht schreibt nun einmal den deutschen Auslandsvertretungen zwingend vor, das Ausländerzentralregister abzufragen, bevor ein Visum erteilt werden kann. Eine Antwort erfolgt in der Regel so, daß an dem auf die Antragstellung folgenden Arbeitstag das Visum erteilt wird.
({0})
Eine Zusatzfrage? - Bitte.
Zu Ihrem Hinweis auf das Ausländerzentralregister: Frau Kishwar ist in den vergangenen Jahren sehr oft in der Bundesrepublik gewesen. Sie ist mir bekannt. Ich verstehe nicht, wieso in einem solchen Fall eine Verkettung unglücklicher Umstände eintreten konnte.
Können Sie zusichern, daß in den nächsten Monaten und Jahren Leute, die hier ständig auf Vortragsreisen nicht nur in Deutschland, sondern auch in den anderen europäischen Ländern und in den USA zu Gast sind, nicht in dieser Form behindert werden?
Frau Kollegin, ich hatte schon darauf hingewiesen, daß Frau Kishwar nicht behindert wurde, sondern daß es einen unglücklichen Ablauf bei der Erteilung des Visums in Neu Delhi gab und daß so etwas immer wieder einmal vorkommen kann. Deshalb kann ich Ihnen diese Versicherung nicht geben. Das hängt damit zusammen, daß überall in unseren Botschaften Menschen arbeiten, die gelegentlich auch Fehler begehen. Sie können also nicht ausschließen, daß es auch in Botschaften gelegentlich solche Fehler geben kann oder Verzögerungen eintreten, die wir nicht zu verantworten haben.
Ich kann nur sagen: Jeder, der in die Bundesrepublik einreisen will, der hier Vorträge hält, der zudem international bekannt ist und von Amnesty International gar noch unterstützt wird, wird bei der Ausstellung eines Visums möglichst privilegiert behandelt. Trotzdem müssen sich unsere Botschaften an die von den Innenministerien der Länder festgelegten Grundsätze halten.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Dietert-Scheuer.
Wieso ist es notwendig, bei einer Person, die,
wie gesagt, bekanntermaßen schon mehrfach in der Bundesrepublik war, in jedem Falle noch einmal das Ausländerzentralregister abzufragen? Die dort gespeicherten Informationen dürften der Botschaft in Delhi bekannt sein. Außerdem ist es in anderen Fällen, wie in der Frage ausgeführt, geschehen, daß Frau Kishwar innerhalb weniger Stunden ihr Visum erhalten hat. Wieso war es in diesem Falle nicht möglich?
Frau Kollegin, ich hatte - Sie hätten es bemerkt, wenn Sie darauf geachtet hätten - bereits bei der ersten Frage der Kollegin Ihrer Fraktion sehr ausführlich beantwortet, weshalb es dort zu einer Panne gekommen ist. Frau Kishwar hat ihr Visum am 6. März erhalten, zwei Tage vor ihrem Auftreten in Deutschland. Am 8. März wurde sie in Deutschland erwartet. Ich kann nicht jeden Einzelfall prüfen und bitte Sie, alle Fragen, die den Bereich der Innenministerien betreffen, mit den Innenministerien zu besprechen und nicht mit dem Auswärtigen Amt. Nicht wir sind für das Ausländerzentralregister zuständig, sondern die Innenministerien der Länder.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Zu den Fragen 30 und 31 ist um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zu Frage 32 des Abgeordneten Gernot Erler:
Was tut die Bundesregierung, um den Bürgern von Belarus, die in der NS-Zeit in Konzentrationslagern, Gefängnissen oder Ghettos festgehalten worden waren, die erforderlichen Informationen über ihren Anspruch auf Geldmittel aus der „Humanitären Regelung" für die NS-Opfer zukommen zu lassen?
Herr Kollege Erler, die drei Stiftungen in den GUS-Staaten haben jeweils in ihren Satzungen bestimmt, nach welchen Modalitäten und in welchen Verfahren sie ihre Tätigkeit durchführen. Zu den Aufgaben der Stiftungen gehören auch die Bekanntmachung ihrer Tätigkeit sowie die Einrichtung von Regionalbüros. Regionalbüros gibt es inzwischen in Weißrußland für die Gebiete Brest, Grodno, Witebsk, Mogiljow, Gomel und Minsk in den jeweiligen Gebietshauptstädten sowie für die Stadt Minsk. Aus dem Auswärtigen Amt zugegangenen Berichten ergibt sich, daß weißrussische Rundfunk- und Printmedien ausführlich über die Stiftungsarbeit berichten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Erler. Bitte.
Herr Staatsminister, sind Ihnen die Sorgen bekannt, die die Mitglieder und Initiatoren des Stukenbrocker Appells veröffentlicht haben, nachdem insbesondere Anspruchsberechtigte, die auf dem Land wohnen, keinen Zugang zu den Informationen über ihre Ansprüche haben, und sind Ihnen auch die Sorgen der Aktion „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste" bekannt, nach deren Informationen Fälle vorgekommen sind, daß Anspruchsberechtigte mit ihren Anträgen erst negativ beschieden wurden und dann nachträglich durch Einschaltung einflußreicher Personen eine Berichtigung dieser Bescheide vorgenommen wurde? Wenn Ihnen das bekannt ist: Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, auf dieses etwas betrübliche Verfahren Einfluß zu nehmen?
Herr Kollege, Sie wissen, daß es nicht ganz leicht ist, auf das Verfahren Einfluß zu nehmen, weil auf Wunsch der Regierung der ehemaligen Sowjetunion bei den Verhandlungen über die Gründung und Dotierung der Stiftung ausdrücklich der Wunsch bestand, keinen deutschen Vertreter in den Aufsichtsrat dieser Stiftung zu entsenden.
Daher ist es natürlich für uns etwas schwierig, in all den Fällen, die Sie anführen, für eine Korrektur zu sorgen. Aber die deutschen Botschaften stehen sowohl in Minsk und Moskau als auch in Kiew im Dialog mit den Regierungen der jeweiligen Staaten sowie mit den Stiftungen selbst. Es wäre wichtig, daß, wenn es solche Klagen gibt, die Botschaften unmittelbar davon erfahren, damit sie wiederum bei den Stiftungen tätig werden können. Es liegt in unserem Interesse, daß den Menschen geholfen wird. Ich finde, daß wir keine bürokratischen Probleme zulassen dürfen, so gut es irgendwie geht.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Erler.
Herr Staatsminister, ich beziehe mich noch einmal auf die Situation in Belarus. Ich bin sicher, daß die Bundesregierung davon Kenntnis genommen hat, daß der weißrussische Staatspräsident Lukaschenko schwerwiegende Vorwürfe gegen die dortige Stiftung „Verständigung und Versöhnung" dergestalt erhoben hat, daß sich dort die Vertreter des alten Systems mit den Geldern dieser Stiftung selbst finanzieren. Sieht denn die Bundesregierung nach dieser Äußerung einen Anlaß, über die Konzeption und die Praxis dieser Stiftung nachzudenken bzw. in einen Meinungsaustausch mit der Regierung in Minsk über die Arbeit der Stiftung einzutreten?
Selbst wenn es diesen Vorwurf nicht gäbe, haben Sie, Herr Kollege Erler, ihn heute erhoben. Jede Bundesregierung tut gut daran, Vorwürfe aus dem Parlament zu überprüfen und ihnen nachzugehen. Ich versichere Ihnen: Es wird getan.
Wir kommen zur Frage 33 des Abgeordneten Gernot Erler:
Was tut die Bundesregierung, um die mit der Verteilung der Gelder im Rahmen der „Humanitären Regelung" für die NS- Opfer in Belarus befaßte Stiftung zu einer zügigeren Bearbeitung der Auszahlungen an die Anspruchsberechtigten zu veranlassen?
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Sie hat mit dem vorigen Komplex zu tun, wird jedoch getrennt beantwortet. Herr Staatsminister, bitte.
Nach Berichten der Botschaft Minsk ist die Arbeit der Stiftung von der Antragstellung bis zur Auszahlung der Entschädigung jetzt weitaus effektiver als zu Beginn. Die Bundesregierung beobachtet die Tätigkeit der Stiftung in Minsk, in deren Aufsichtsrat auch Repräsentanten von NS-Verfolgten-Verbänden aufgenommen wurden, aufmerksam. Die deutsche Botschaft steht im Dialog mit der Regierung sowie mit der Stiftung selbst, nimmt aber Ihren heutigen Hinweis zum Anlaß, das vielleicht noch zu intensivieren, und will dadurch natürlich eine möglichst sachgerechte und rasche Verwendung der Stiftungsgelder erreichen. Der Vorsitzende der weißrussischen Stiftung hat in einem Gespräch mit dem deutschen Botschafter in Minsk am 22. Dezember 1994 erklärt, daß bis Ende 1994 ca. 15 000 Personen Auszahlungen erhalten hätten. Die Stiftung beabsichtige, ab Januar 1995 monatlich an 5 000 Personen auszuzahlen. Das sind die letzten Informationen, die mir vorliegen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, können Sie sagen, welche Summen bisher für die Anspruchsberechtigten verausgabt worden sind und in welchem Verhältnis das zum Erfolg der russischen Stiftung steht, über die uns ja Daten für 1994 vorliegen?
Ich muß Ihnen gestehen, Herr Kollege, daß mir diese Daten jetzt nicht zur Verfügung stehen. Ich reiche sie Ihnen nach, wenn Ihnen das recht ist. Ich kann Ihnen nur etwas über die Daten Weißrußlands sagen, aber jetzt nicht den Vergleich ziehen. Ich bin aber gern bereit, das nachzuholen.
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Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß die weißrussische Stiftung „Verständigung und Versöhnung" einen Exklusivvertrag mit der Priorbank hat und diese Priorbank nur in einem Teil des Landes präsent ist, und wären Sie bereit, sich um dieses Geschäftsverhalten zu kümmern, weil auch das etwas über die Chancen von auf dem Land lebenden Opfern, überhaupt an Stiftungsgelder heranzukommen, aussagt und nur diese Bank Auszahlungen vornehmen kann?
Ich danke Ihnen, Herr Kollege, für diesen Hinweis. Ich gehe der Sache nach. Ich kann im Augenblick auch zu der Priorbank nichts sagen. Aber ich lasse das überprüfen.
Es gibt keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen zu Frage 34 des Abgeordneten Norbert Gansel:
Ist die Bundesregierung nunmehr bereit, den anhaltenden Gefährdungen und Erschwernissen, die mit dem Aufenthalt der deutschen Polizeibeamten in Mostar und der Angehörigen des Auswärtigen Amtes in Sarajevo während und außerhalb des Dienstes verbunden sind, Rechnung zu tragen und der mit ihrem Auftrag verbundenen besonderen Verantwortung und Risikobereitschaft dadurch zu respektieren, daß die Auslandsentschädigung bzw. der Risikozuschlag in der dafür vorgesehenen Höchststufe festgesetzt wird?
Herr Kollege, die in Mostar eingesetzten deutschen Polizeibeamten erhalten derzeit zur Abgeltung der mit der Auslandsverwendung verbundenen besonderen Belastungen einen Auslandsverwendungszuschlag nach § 58a Bundesbesoldungsgesetzes in Höhe von 100 DM pro Tag, soweit es sich um Bundesbeamte handelt, bzw. eine Aufwandsentschädigung gemäß § 17 Bundesbesoldungsgesetz in gleicher Höhe, soweit Landesbeamte betroffen sind. Dies dient nicht der Abdeckung von Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung.
Die Festsetzung dieser Verträge war zunächst bis zum 31. März 1995 befristet. Zwecks Neufestsetzung wurden die für die Bewertung der besonderen Belastungen relevanten Gesamtumstände kürzlich erneut überprüft. Dies hat jedoch keine Erkenntnisse erbracht, die eine Erhöhung des Auslandsverwendungszuschlags auf die Höchststufe, also 150 DM pro Tag, bzw. die entsprechende Aufwandsentschädigung rechtfertigen würden.
Das Bundesministerium des Innern hält deshalb in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium der Finanzen die Beibehaltung des bisher gezahlten Betrages auch nach dem 1. April 1995 bei unveränderter Sachlage für angemessen.
Das Auswärtige Amt trägt den anhaltenden Gefährdungen und Erschwernissen seiner in Mostar und Sarajevo eingesetzten Beamten dadurch Rechnung, daß es den Zuschlag zum Auslandszuschlag, also die sogenannte Zitterprämie, auf den Höchstsatz von 750 DM im Monat festgesetzt hat. Zudem hat es eine Erhöhung des Auslandszuschlags für den Dienstort Sarajevo von bisher Stufe 6 auf die Stufe 8 vorgeschlagen. Die Höherstufung des Dienstortes wird in Kürze erfolgen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß z. B. für die Angehörigen des Auswärtigen Amts in Sarajevo die Einstufung von Stufe 10 auf die Stufe 6 reduziert worden ist, und zwar mit der Begründung, es gebe ja ein Waffenstillstandsabkommen, während das Auswärtige Amt gleichzeitig korrekt die Auffassung vertritt, daß der Waffenstillstand praktisch nur noch auf dem Papier besteht, weil tägNorbert Gansel
lieh geschossen wird? Und ist die Festsetzung der Auslandsentschädigung für Polizisten - also 50 DM unter dem Höchstsatz täglich - vom Schreibtisch in Bonn aus vorgenommen worden oder von einem Prüfer des Finanzministeriums in Mostar selbst? Ist dieser Prüfer in Mostar in einem gepanzerten Fahrzeug oder in einem normalen Pkw gefahren?
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Kollege, ich verfüge nicht über sämtliche Detailkenntnisse der Bewegungsabläufe von Beamten, die dem Auswärtigen Amt oder den Polizeidienststellen der Länder nahestehen. Ich weiß nicht, auf wen Sie jetzt anspielen, wenn Sie nach gepanzerten Fahrzeugen oder anderem fragen.
Ich darf Ihnen nochmals sagen, daß ich nicht ganz verstanden habe - darüber müßten wir uns noch einmal unterhalten -, wieso Sie von einer Niedrigerstellung in Sarajevo sprechen. Ich hatte soeben ausgeführt - und das ist es, was mir bekannt ist -, daß in Sarajevo von Stufe 6 auf Stufe 8 erhöht wird und diese Höherstufung des Dienstortes in Kürze erfolgen wird.
Für Mostar dagegen - darauf bezog sich Ihre Frage - gilt: Wir haben hier die Auslandsverwendungszuschlagsverordnung - ein gräßlich langes Wort -, die vorsieht, daß bei erhöhten Belastungen 100 DM täglich zusätzlich gezahlt werden. Die Bundesregierung hält angesichts der Tatsache, daß in Mostar keine Kampfhandlungen stattfinden, den Zusatz von 100 DM pro Tag, d. h. von 3 000 DM in einem Monat von 30 Tagen, für angemessen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß dieser Zuschlag den Polizeibeamten neben dem weiterlaufenden Inlandsgehalt, der Polizeizulage und der freien Unterkunft und Verpflegung gewährt wird.
Die Zahlung des Höchstsatzes von 150 DM pro Tag - es geht wiederum um Mostar - würde zu einer nach unserer Auffassung durch die tatsächlichen Umstände nicht vertretbaren finanziellen Besserstellung der Polizeibeamten im Vergleich zu den nach Sarajevo entsandten Bediensteten des Auswärtigen Amts führen. Das ist der Hintergrund dieser Gehaltsdebatte.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß man dieses Problem der angeblichen Ungerechtigkeit lösen kann, indem die Mitarbeiter des Auswärtigen Amts nicht die Stufe 8, sondern die Höchststufe, nämlich die Stufe 10 der Zulage, erhalten?
Verstehen Sie, bitte, den Hintergrund meiner Frage. Es geht nicht nur um ein paar Mark mehr für die Polizisten und die Diplomaten, sondern es geht um die Anerkennung einer höchst gefährlichen Arbeit, über die hier in Bonn von Leuten entschieden wird, die am grünen Tisch und im warmen Kämmerchen sitzen.
Deshalb, Herr Präsident, bitte ich um Erlaubnis, dem Herrn Staatsminister ein Foto der deutschen Botschaft in Sarajevo zu überreichen, das ich vor zwei Wochen aufgenommen habe und das die den serbischen Scharfschützen zugewandte Rückseite des Gebäudes zeigt, in die auch während des Waffenstillstands geschossen worden ist. Auf der Vorderseite des Gebäudes befinden sich, verbunden durch einen Flur, der mehrere Einschußlöcher aufweist, die Diensträume der Angehörigen der deutschen Botschaft, in denen täglich gearbeitet wird.
Und hier sitzt jemand in Bonn und sagt, die Situation entspreche nicht der höchsten Gefahrenstufe, und wegen des Waffenstillstands habe man die Gefahrenstufe von 10 auf 6 heruntergesetzt; jetzt werde sie vielleicht auf 8 angehoben. Ich finde, das ist ein unglaubliches Verhalten gegenüber den Diplomaten in Sarajevo und gegenüber den Polizisten in Mostar. Ich bitte, das abzustellen.
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Herr Präsident, das war, wenn ich das recht verstanden habe, gar keine Frage, sondern eine Ausführung. Ich nehme sie zur Kenntnis und kann nur sagen: Herr Kollege Gansel, ich tue mein bestes, wie immer.
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- Danke schön.
Herr Dr. Lippelt zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da man bei der Botschaft in Sarajevo nur auf ganz wenige, hoch engagierte Leute trifft, die mehr machen, als man von Diplomaten im üblichen Dienst eigentlich erwartet, frage ich Sie: Hängt der Umstand, daß da nur so wenige sind, damit zusammen, daß Sie diese Arbeit entsprechend den Ausführungen von Herrn Gansel nicht anerkennen und deshalb nicht mehr Leute dort hinwollen, oder hängt das möglicherweise damit zusammen, daß das Amt noch nicht auf die Idee gekommen ist, ein paar Leute mehr dort hinzuschicken, was in dieser Situation ja sehr hilfreich wäre?
Herr Staatsminister.
Herr Kollege, ich kann nur sagen, daß das, was für die Beamten der Polizei in Mostar getan wird - in Übereinstimmung mit den Länderbehörden, mit dem Bundesinnenministerium -, auch für die Diplomaten,
die in Sarajevo ihren Dienst tun, geschieht, natürlich immer unter der Prämisse der besonderen Gefahrensituation. Diese gibt es allerdings nicht nur im ehemaligen Jugoslawien. Manches Land wird hier leider vergessen. So habe ich mich vor Jahren in Angola davon überzeugen können, unter welch unglaublichen Bedingungen die Angestellten der deutschen Botschaft dort haben arbeiten müssen, ohne daß sie Fürsprecher im deutschen Parlament oder der deutschen Öffentlichkeit fanden.
Diese Ausführungen können Sie mit einer großen Liste fortsetzen. Ich kann deshalb nur sagen: Werfen Sie uns bitte nicht vor, daß wir unsere Beamten vergessen! Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß eine Höherstufung vorgenommen wird. Da Herr Gansel sagt, das sei noch zuwenig, muß das eben geprüft werden. Ich bin durchaus mit ihm der Meinung: Wenn die Einstufung zu niedrig ist, dann sollte man über seinen Schatten springen und die entsprechende Erhöhung vornehmen. Aber ich darf hinzufügen: Ich bin nicht der Finanzminister, und ich bin nicht der Haushaltsausschuß.
Dann kommen wir zu Frage 35 des Abgeordneten Norbert Gansel:
Welche Waffen bzw. Rüstungsexporte sind nach Ende des Golfkrieges aus Deutschland an Staaten gegangen, die gegenüber Israel feindlich eingestellt sind, und sieht sich die Bundesregierung aus diesen Gründen verpflichtet, ein drittes U-Boot an Israel zu liefern, nachdem die Bundesregierung bereits unmittelbar nach dem Golfkrieg versucht hat, die illegalen Rüstungshilfen aus Deutschland für die Raketen und Giftgasrüstung des Iraks vor dem Golfkrieg mit der Lieferung von zwei U-Booten zu kompensieren?
Herr Kollege Gansel, die Bundesregierung hat keine Waffenlieferungen an Staaten genehmigt, die Israel bedrohen. Es handelt sich daher weder bei dem dritten U-Boot noch bei den beiden ersten U-Booten um eine Kompensation für Waffenlieferungen an andere Staaten.
Zusatzfrage.
Nun ist die Lieferung von zwei U-Booten an Israel - mit fast einer Milliarde DM finanziert aus den Mitteln des Bundeshaushalts - unbestrittenermaßen erfolgt in Anerkennung der mehr oder weniger schuldhaften Verstrickungen der Bundesregierung in die illegalen Rüstungsexporte nach Irak, die bekanntlich zum Einsatz der Raketen gegen Israel geführt haben. Deshalb stellt sich die Frage, was jetzt die Begründung für die Lieferung eines dritten U-Bootes an Israel sein soll, das wiederum aus den Mitteln des Bundeshaushalts finanziert werden soll und wohl etwas mehr als eine halbe Milliarde DM kosten wird.
Herr Staatsminister.
Herr Kollege Gansel, ich muß die im ersten Teil Ihrer Frage behauptete Verwicklung der Bundesregierung in die Herstellung von Waffen, die aus dem Irak gegen Israel eingesetzt worden sind, zurückweisen. Sie wissen, daß das so nicht zutrifft. Die Bundesregierung mußte zu einem bestimmten Zeitpunkt befürchten, daß wieder einmal Firmen deutscher Herkunft auch dort in illegale Exporte verwickelt waren.
Sie wissen aber auch, daß sich die Situation inzwischen verändert hat, gerade bei der Frage der ScudRaketen.
Ich darf jetzt noch einmal sehr ausdrücklich sagen, daß sich die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Golfkrieg und der damals erfolgten Bedrohung Israels bereit erklärt hatte, sich am Bau von zwei bereits Ende 1989 vom Bundessicherheitsrat genehmigten und derzeit bei deutschen Werften in Bau befindlichen U-Booten mit bis zu 880 Millionen DM finanziell zu beteiligen und - Sie haben völlig recht, das zu sagen - damit Israel beide Boote zu bezahlen. Gleichzeitig hat die Bundesregierung seinerzeit mitgeteilt, daß sie die Kosten für ein von den USA an Israel zu lieferndes Antiraketensystem namens „Patriot" in Höhe von 165 Millionen DM übernehmen werde.
Im Zuge der Verhandlungen über die Lieferung eines dritten U-Bootes im Jahr 1993 hat die Bundesregierung im Interesse der Sicherheit Israels dessen Wunsch zugestimmt, für dieses Boot eine Finanzhilfe in Höhe von 220 Millionen DM - also etwa die Hälfte - zu gewähren. Das Inkrafttreten des entsprechenden Ergänzungsabkommens zur bestehenden Regierungsvereinbarung wurde unter den Vorbehalt parlamentarischer Zustimmung gestellt. Diese Zustimmung zu erhalten, wird im Rahmen der Haushaltsberatungen für das Jahr 1995 angestrebt.
Zusatzfrage.
Inwieweit hat sich die Bedrohungslage Israels nach Ende des Golfkrieges und nach Anlaufen des Friedensprozesses im Nahen Osten so verschlechtert, daß die Bundesregierung ein weiteres U-Boot für eine halbe Milliarde DM an Israel liefern muß, anstatt einen Betrag vielleicht in der gleichen Höhe zur Verfügung zu stellen, um Israel bei seinen wirtschaftlichen Problemen zu helfen und durch Hilfe an die autonomen Gebiete der Palästinenser einen Beitrag zur wirtschaftlichen, sozialen und politischen Stabilität und damit zum Friedensprozeß zu leisten?
Herr Kollege, ich habe versucht, auszuführen, daß auch die Lieferung eines dritten U-Bootes auf frühere ausdrückliche Wünsche Israels zurückgeht, die auch von den Vereinigten Staaten, wenn ich recht sehe, unterstützt worden sind. Es ist so entschieden worden; es bedarf aber wohl noch der Zustimmung des Parlaments, was die Finanzierung des dritten U-Bootes betrifft.
Sie werden bitte verstehen, wenn ich mich in diesem Moment nicht ausführlich und intensiv über die Bedrohungslage Israels äußern kann und hier kein vorschnelles Urteil über die Bedrohungssituation Israels angesichts der derzeitigen Welle von Verhandlungen abgebe.
Unsere wirtschaftliche Unterstützung Israels wird ja dadurch nicht etwa beeinträchtigt, daß zusätzliche U-Boote geliefert werden. Eine wirtschaftliche Unterstützung erfolgt ja, wie Sie wissen. Außerdem ist unsererseits zugesagt worden, sowohl bilateral als auch im Rahmen der Europäischen Union den Palästinensern in den autonomen Gebieten zu helfen. Das sind unabhängig von dieser U-Boot-Frage sowieso schon zugesagte Unterstützungen finanzieller Art für den Aufbau.
Zusatzfrage, Herr Dr. Lippelt.
Herr Staatsminister, nachdem Sie bestritten haben, daß es einen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit der Bundesregierung und den irakischen Raketen gegeben hat, möchte ich Sie fragen: Würden Sie mir zumindest zugeben, daß durch Anfragen der Vorgängerin meiner Fraktion die Bundesregierung in mehrfacher Weise darauf aufmerksam gemacht worden ist, daß es eine Lieferung von Technologie zur Verlängerung der Scud-Raketen aus Deutschland gab, daß also zumindest in Form von Mitwissen die Bundesregierung sehr wohl auch Mitschuld an diesen bedauerlichen Vorgängen hatte? Würden Sie zweitens nicht ebenfalls bestätigen, daß die Zusage zur Lieferung der ersten beiden U-Boote direkt während des Besuchs des früheren Außenministers erfolgte, als er seiner Bestürzung über die irakischen Raketen vor Ort Ausdruck gab?
Herr Staatsminister.
Ich kann, was den ersten Teil Ihrer Frage, Ihre Hinweise auf frühere Anfragen der Fraktion DIE GRÜNEN, betrifft, nur sagen, daß die Bundesregierung allen Hinweisen nachgegangen ist, daß sie die erste war, die seinerzeit bei den Vereinten Nationen beantragt hat, ein Register anzulegen bzw. bei den Untersuchungen, die nachher im Irak durchgeführt wurden, feststellen zu lassen, von welchen ausländischen Unternehmen, möglicherweise auch deutschen, irakische Waffen hergestellt wurden. Das waren wir. Andere Staaten sind diesem Beispiel leider nicht gefolgt, so daß nur bekannt wurde, welche deutschen Firmen darin verwickelt waren.
Daß wir von Anfang an jedwedem Hinweis nachgegangen sind, daß wir von Anfang an klargemacht haben, daß solche Handlungen kriminell sind, daß illegale Waffenschiebereien oder Beteiligungen an welchen Unternehmungen auch immer, Herr Kollege Lippelt, illegal sind und niemals mit Zustimmung der Bundesregierung erfolgen, ist inzwischen auch aus den Antworten auf Ihre Anfragen zu schließen.
Ich muß, was den zweiten Teil Ihrer Frage betrifft, sagen: Mir ist nicht bekannt - aber ich kann mich vielleicht kundig machen -, inwieweit die Zusage der beiden U-Boote bei der Reise von Herrn Genscher seinerzeit nach Israel unmittelbar unter dem Eindruck des Scud-Beschusses gestanden hat oder ob die Zusage später geschah.
Daß es hier sicher Zusammenhänge gegeben hat, was die Bedrohungslage Israels angeht, ist nicht zu leugnen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Koppelin.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß es in der letzten Woche bei der Diskussion im Haushaltsausschuß um das dritte UBoot für Israel von den Sozialdemokraten keine Bedenken gegeben hat?
Herr Kollege, auf Grund einer Grippe ist mir nicht alles bekannt geworden, was in der vergangenen Woche im Haushaltsausschuß geschehen ist. Ich nehme das mit Interesse zur Kenntnis.
Es gibt keine weiteren Fragen. Wir haben damit den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts abgearbeitet. Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser zur Verfügung.
Die Frage 42 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 43 der Abgeordneten Saibold auf:
Wie sieht das Konzept der Oberfinanzdirektion München zur organisatorischen Straffung der Bundesvermögensverwaltung auf Ortsebene aus, und trifft es zu, daß nur noch die beiden BVÄmter in München und Augsburg bestehen bleiben sollen?
Frau Kollegin Saibold, die Oberfinanzdirektion München hat - wie alle anderen Oberfinanzdirektionen - Vorschläge für ein Konzept zur organisatorischen Straffung der Bundesvermögensverwaltung auf Ortsebene vorgelegt. Eine dazu eingerichtete Arbeitsgruppe hat diese Vorschläge beraten und auf der Grundlage dieser Beratung empfohlen, die Aufgaben der bisherigen Bundesvermögensämter Augsburg, Bad Reichenhall, München und Passau künftig bei zwei Ämtern zusammenzufassen.
Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß es sich dabei um das Ergebnis einer Arbeitsgruppe handelt. Dieses Ergebnis liegt weder der Leitungsebene vor, noch wurde es innerhalb des Finanzministeriums in irgendeiner Weise entschieden. Es ist eine Arbeitsgrundlage für die weitere Diskussion.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, warum werden bei der Umstrukturierung von Verwaltungs- und ähnlichen Behörden nicht auch strukturpolitische Aspekte und Arbeitsplatzsituationen berücksichtigt, und warum legt man sie immer wieder in die Großstädte?
In Ihrer Frage, Frau Kollegin, stecken zwei Fragen. Die eine beinhaltet strukturpolitische Aspekte. Ich bin mit Ihnen einig, daß bei derartigen Entscheidungen die strukturpolitischen Fragen ein wesentliches Gewicht haben müssen. Bei einer endgültigen Entscheidung werden strukturpolitische Erwägungen der Dislozierung innerhalb eines Flächenstaates sicherlich von Bedeutung sein müssen.
Zweitens der Arbeitsmarkt: Ich habe mich hier noch einmal sachkundig gemacht. Es ist gleichgültig, wo das ist. Es bezieht sich nicht auf den hier in Frage gestellten Fall. In dem Augenblick, in dem man zu einem neuen Strukturkonzept in einem Bereich kommt, heißt das nicht, daß die Arbeitsplätze sofort wegfallen, sondern es bedeutet, daß zukünftig eine andere Schwerpunktbildung angestrebt wird. Es heißt nicht, daß die Damen und Herren Mitarbeiter innerhalb eines Ortes umziehen müssen und versetzt werden. Es wird in einem langfristigen Prozeß umstrukturiert werden. Das gilt generell, ohne konkrete Aussage für den von Ihnen genannten Fall.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Ist Ihnen bekannt, daß der Landkreis Passau und die Städte Frauenau und Grafenau bei allen Behördenverlagerungen immer leer ausgegangen sind, obwohl dort eine Arbeitslosenquote von 12 bis 14 % und darüber hinaus herrscht?
Ich nehme das soeben zur Kenntnis.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Teuchner.
Mir ist heute ein Schreiben des Bundesfinanzministeriums zugegangen, in dem es heißt, daß die erforderliche Präsenz der Bundesvermögensverwaltung vor Ort durch die Beibehaltung ausgelagerter Arbeitseinheiten entsprechend der weiteren Aufgabenentwicklung sichergestellt wird. Meine Frage dazu: Welche ausgelagerten Arbeitseinheiten sollen denn bei einer Verlegung des Bundesvermögensamtes aus Passau vor Ort verbleiben, um für die Betroffenen sozialverträgliche Lösungen herbeiführen zu können?
Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, ich kenne das Schreiben, das Ihnen vorliegt, nicht. Deshalb kann ich Ihnen darauf auch keine Antwort geben, ob irgendwelche Einheiten in Passau bleiben. Solange noch keine Grundsatzentscheidung getroffen ist, was tatsächlich passiert, kann ich Ihnen dazu keine Antwort geben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir dieses Schreiben heute, am Schluß dieser Fragestunde, überreichen würden.
Ich rufe die Frage 44, ebenfalls eine Frage der Kollegin Saibold, auf:
Treffen Befürchtungen von Bediensteten des Bundesvermögensamtes Passau zu, daß aufgrund des .,Konzepts zur organisatorischen Straffung der Bundesvermögensverwaltung auf Ortsebene" oder aufgrund anderer organisatorischer Maßnahmen im Bereich der Oberfinanzdirektion München nur noch die beiden BV-Ämter in München und Augsburg bestehen bleiben und infolgedessen auch das Bundesvermögensamt in Passau aufgelöst wird?
Frau Kollegin, wie ich Ihnen bereits auf Ihre Frage 43 mitgeteilt habe, hat die Arbeitsgruppe zur organisatorischen Straffung der Bundesvermögensverwaltung auf Ortsebene empfohlen, die Aufgaben der bisherigen Bundesvermögensämter Augsburg, Bad Reichenhall, München und Passau künftig in zwei Ämtern zusammenzufassen.
Eine Entscheidung über die Zusammenlegung soll auch für Passau erst getroffen werden, wenn die entsprechenden Diskussionen fortgeführt worden sind. Dabei fließen selbstverständlich die von Ihnen genannten Gesichtspunkte mit ein.
Zusatzfrage.
Nur eine Zusatzfrage noch, Herr Dr. Faltlhauser. Ist es eigentlich in Ihrem Haus üblich, daß Nachfragen vom 26. Januar 1995 zu genau diesem Fall bis heute nicht beantwortet werden?
Ich bemühe mich sehr, darüber zu wachen, daß die Fragen von Abgeordneten und von Ausschüssen sehr schnell beantwortet werden. Ich glaube, das ist die erste Klage, die ich seit meinem Amtsantritt diesbezüglich höre. Ich werde dem Fall nachgehen.
Keine Zusatzfrage mehr.
Die Frage 45 der Kollegin Hustedt kann nicht beantwortet werden, da sie nicht da ist. Die Beantwortung entfällt hier.
Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Peter Dreßen auf:
Welche Anstrengungen wird die Bundesregierung unternehmen, damit weitere DM-Aufwertungen zum Nachteil der exportierenden Wirtschaft verhindert werden und der Arbeitsmarkt nicht noch weiter belastet wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Dreßen, die derzeitige Stärke der D-Mark resultiert u. a. daraus, daß sich die internationalen Anleger angesichts der Turbulenzen auf den Devisenmärkten in D-Mark-Anleihen flüchten, die sie als einen sicheren Hafen ansehen.
Wir gehen davon aus, daß die derzeitige Dollarschwäche ein temporäres Phänomen ist. Das Ausmaß der Wechselkursschwankungen ist nicht durch die Entwicklung der wirtschaftlichen Grunddaten in den USA gedeckt. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, daß Devisenmärkte von Zeit zu Zeit zu exzessiven Ausschlägen neigen. Die Erfahrung belegt aber auch, daß solches ,,over-shooting", wie die Experten und diejenigen, die glauben, es zu sein, dies nennen, im Zeitablauf wieder korrigiert wird.
Die Stärke der D-Mark gegenüber dem US-Dollar, aber auch gegenüber den meisten europäischen Währungen ist ein internationaler Vertrauensbeweis in die D-Mark und damit auch in die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Zusatzfrage? - Keine Zusatzfrage. Es gibt auch keine Zusatzfragen weiterer Abgeordneter.
Dann ist der Bereich des Bundesministeriums der Finanzen abgeschlossen. Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft auf. Es steht zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Kolb bereit.
Die Fragen 47, 48 und 49 sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 50 des Kollegen Dr. Lippelt auf:
Wie begründet die Bundesregierung die Wiederaufnahme der seit dem ersten Golfkrieg Anfang der achtziger Jahre ausgesetzten Hermes-Kredite für die Iran-Geschäfte der deutschen Industrie, und wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Einschätzung des Bundeskriminalamtes, nach denen „der Iran bei der Verfolgung von Gegnern/Oppositionellen vor schwersten Straftaten nicht zurückschreckt und dabei keine Rücksicht auf die zwischenstaatlichen Beziehungen nimmt", sowie die Aufforderung der US-amerikanischen Regierung, auf Kreditgarantien an den Iran zu verzichten?
Herr Kollege Dr. Lippelt, der Iran ist seit langem für alle Industriestaaten, auch für Deutschland, ein wichtiger Handelspartner. Die Entwicklung der letzten Jahre hat zu erheblichen Einschränkungen in den Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran geführt. Ausdruck dessen war eine seit Anfang 1994 und nicht bereits seit dem Ende des ersten Golfkrieges bestehende Deckungssperre. Ausschlaggebend hierfür waren akute Zahlungsprobleme des Iran. Gleichwohl hat kein Industriestaat die wirtschaftlichen Kontakte zum Iran abgebrochen. Ich weise darauf hin, daß es, anders als gegenüber dem Irak, gegenüber dem Iran kein vollständiges Handelsembargo gibt.
Für die Bundesregierung hat bei ihren jüngsten Iranbeschlüssen zur Hermes-Politik eine wesentliche Rolle auch gespielt, daß zahlreiche deutsche Unternehmen im Iran engagiert sind.
Ferner sollte dem Interesse der Bundesregierung an der Bedienung der erheblichen iranischen Zahlungsverpflichtungen gegenüber Deutschland eine moderate Öffnung von Hermes-Deckungsmöglichkeiten entsprechen.
Im übrigen liegt die Höhe der aufgelegten Hermes-Plafonds mit insgesamt 150 Millionen DM bei weitem unter dem, was bei einem Land der Größenordnung und der wirtschaftlichen Bedeutung des Iran üblich ist.
Außerdem sollten andere Fragen, die in den Beziehungen zum Iran eine Rolle spielen, im Rahmen der von der Bundesregierung verfolgten Politik des kritischen Dialogs mit dem Iran behandelt werden. Die Bundesregierung ist sich mit der amerikanischen Regierung darin einig, daß weder Fundamentalismus noch Terrorismus unterstützt werden dürfen. In diesem Geist findet auch ein Dialog mit der US-Regierung statt. In wichtigen Grundsätzen der Iranpolitik stimmen wir mit den USA überein. Dies bedeutet vor allem, daß auch weiterhin keine Rüstungsexporte oder Exporte sensitiver Güter genehmigt werden. Allerdings meinen wir im Einvernehmen mit unseren EU-Partnern, daß der kritische Dialog mit dem Iran auch die Aufrechterhaltung eines Mindestmaßes an wirtschaftlichen Beziehungen umfaßt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, wie Sie keinen Terrorismus und keinen Fundamentalismus unterstützen wollen, wenn Sie zugleich nicht nur Wirtschaftsbeziehungen in geringem Maße fortsetzen, sondern über Hermes-Kredite geradezu anzeigen, daß Sie diesen Staat wirtschaftlich zusätzlich stützen wollen? Wie wollen Sie das denn hinkriegen?
Herr Kollege Lippelt, ich habe darauf hingewiesen, daß der jetzt eröffnete Plafond von 100 Millionen DM für das mittel- und langParl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
fristige Geschäft und von 50 Millionen DM für das kurzfristige Geschäft auch vor dem Hintergrund der früheren Handelsbeziehungen mit dem Iran eine ausgesprochen kleine Größe darstellt. Insofern kommt hier lediglich das Interesse Deutschlands auch an der Bedienung der früheren Verbindlichkeiten Irans zum Ausdruck; es findet hier seine Entsprechung. Wir wollen aber in keinem Falle hier ausgedrückt wissen, daß wir etwa zur Unterstützung der von Ihnen angesprochenen Aktivitäten bereit wären.
Eine weitere Zusatzfrage.
Können Sie mir dann erklären, wieso Sie meinen, völlig im Gleichschritt mit der amerikanischen Politik zu gehen, wo doch gerade die USA nichts so sehr fürchten, als daß der Iran in einigen Jahren selber die Atombombe produzieren kann, und gerade vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen auf das schärfste vor dem Ausbau von Wirtschaftsbeziehungen warnen? Ihnen ist ja wohl der iranisch-russische Nuklearvertrag bekannt, und Sie wissen doch wohl, daß nach diesem Vertrag der Iran sogar die Spaltstoffe im Land zurückbehalten darf.
Herr Kollege Lippelt, deshalb hatte ich in meiner Antwort darauf hingewiesen, daß wir uns mit den USA im Einklang darüber befinden, daß keine Kriegswaffenexporte und keine Exporte von sensitiven Gütern stattfinden. Die Tatsache, daß es zu einer Eröffnung von Hermes-Linien gekommen ist, bedeutet ja nicht, daß mit HermesDeckung alles exportiert werden dürfte. Hier findet natürlich vielmehr ein Exportkontrollverfahren statt. Die restriktive Haltung der Bundesregierung in diesem Zusammenhang ist Ihnen bekannt. Ich habe sie eben noch einmal besonders betont.
Frau Kollegin Dietert-Scheuer zu einer Zusatzfrage.
Mir ist bei der Beantwortung der letzten Frage des Kollegen Lippelt nicht deutlich geworden: Werden von der Bundesregierung zukünftige Kooperationen im Nuklearbereich, im Kernenergienutzungsbereich, ausgeschlossen? Es hat ja bisher Verhandlungen mit Siemens in diese Richtung gegeben. Sind da weitere Aktionen in der Planung, oder wird das ausgeschlossen?
Frau Kollegin, ich habe mit meiner Antwort auf die Frage des Kollegen Dr. Lippelt deutlich gemacht, daß zu unterscheiden ist zwischen der Eröffnung einer Hermes-Linie auf der einen Seite und den konkreten, bei sensitiven Gütern dann ja zu genehmigenden Exporten auf der anderen Seite. Sie können sicher sein, daß wir in den von Ihnen erwähnten Bereichen die Ihnen und allen
Kolleginnen und Kollegen bekannte restriktive Linie auch in Zukunft fortführen werden, d. h. daß es hier zu Exporten nicht kommt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Irmer.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Staatssekretär, was für Informationen hat die Bundesregierung über Handelsbeziehungen zwischen US-Firmen und dem Iran, und wie nehmen sich die Vorwürfe, die ständig erhoben werden im Lichte auf solche Wirtschaftsbeziehungen, aus, daß die USA als Kronzeuge gegen Wirtschaftsbeziehungen zwischen deutschen Firmen und dem Iran angerufen werden, immer mit der Maßgabe, daß es sich nicht um Rüstungsexporte und nicht um Exporte von sensitiven Gütern handelt?
Herr Kollege Irmer, nach den uns vorliegenden offiziellen US-Angaben über amerikanische Iran-Exporte haben 1992 Exporte in Höhe von 747 Millionen US-Dollar stattgefunden und 1993 Exporte in Höhe von 616 Millionen US-Dollar. Die Schätzung für 1994 dürfte etwa eine Größenordnung von 250 Millionen US-Dollar erreichen.
({0})
Ich rufe die Frage 51 des Kollegen Peter Dreßen auf:
Angesichts der Tatsache, daß eine Aufwertung der D-Mark, bezogen auf die wichtigsten 18 Handelspartner, innerhalb eines Jahres von rund 7 % stattgefunden hat ({0}), frage ich die Bundesregierung, welcher Prozentsatz bei den Lohnverhandlungen im exportierenden Gewerbe rechnerisch erreichbar gewesen wäre, wenn diese Aufwertungen nicht stattgefunden hätten.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Dreßen, in welchem Ausmaß Wechselkursveränderungen zu einer veränderten Kostenbelastung der Unternehmen führen und welche Konsequenzen sich hieraus für die Lohnentwicklung ergeben, läßt sich generell nicht beantworten. Hierzu ist eine Vielzahl von direkten und indirekten Einflußfaktoren zu beachten.
Ich nenne bei den direkten Einflußfaktoren die Exportintensität und die Vorleistungsverpflichtung und bei den indirekten Einflußfaktoren die Rückkoppelung auf Rationalisierungsanstrengungen, Produktivitätssteigerungen etc. Das läßt sich nicht quantifizieren. Grundsätzlich dürfte aber die innerhalb des letzten Jahres eingetretene Aufwertung der D-Mark von rund 7 % gegenüber unseren 18 wichtigsten Handelspartnern eine spürbare Belastung für die deutsche Exportwirtschaft darstellen.
Andererseits darf aber auch nicht übersehen werden, daß eine stärkere D-Mark die Unternehmen auf der Importseite entlastet. Da die deutsche Wirtschaft - bedingt durch die Aufwertung der D-Mark - jetzt ihrerseits Rohstoffe sowie Halb- und Fertigprodukte im Ausland billiger einkaufen kann, sind damit erhebliche Kostenentlastungen bei den Vorprodukten verbunden. Dies wirkt sich auch positiv auf das Preisniveau in Deutschland aus.
Darüber hinaus ist zu beachten, daß für die internationale Wettbewerbsstärke und damit für die Gewinnsituation eines Unternehmens der Wechselkurs zwar eine wichtige Komponente darstellt, daneben aber auch zahlreiche andere Einflußfaktoren wie z. B. die Produktqualität, der technische Standard, das Design, die Lieferqualität und der Service ebenfalls von großer Bedeutung sind.
Welcher Lohn vor dem Hintergrund dieser ökonomischen Datenkonstellation und den erhöhten außenwirtschaftlichen Risiken angemessen ist, läßt sich nur schwer beantworten und obliegt - ich weise darauf hin - der Entscheidung der Tarifpartner. Je nach Branche und Region dürfte hier die Antwort unterschiedlich ausfallen.
Aus Sicht der Bundesregierung ist es in Anbetracht der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland von zentraler Bedeutung, daß die Lohnabschlüsse die durch die Aufwertung der D-Mark verschärfte internationale Wettbewerbssituation in Rechnung stellen. Moderate Lohnabschlüsse - dies zum Schluß -, eine ausreichende sektorale und regionale Differenzierung der Löhne sowie auch Flexibilität bei den Arbeitsbedingungen sind das Gebot der Stunde. Nur auf diese Weise lassen sich Arbeitsplätze dauerhaft sichern oder aber auch neue schaffen.
Eine Zusatzfrage.
Stimmen Sie mir zu, daß durch diese Aufwertung für die Betriebe mehr Belastungen als durch die Lohnerhöhungen enstanden sind? Sie sollten das vielleicht einmal ihrem Herrn und Meister sagen, denn der hat in der Öffentlichkeit immer den Eindruck erweckt, daß Lohnerhöhungen der einzige Grund seien.
({0})
Ich glaube, die Zahlen, die hier auf dem Tisch liegen, sprechen Bände, und Sie sollten das vielleicht einmal weitergeben.
Herr Kollege Dreßen, ich weiß aus vielen Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaft, daß beide Einflußfaktoren, die Lohnerhöhungen, aber auch die Veränderung der Wechselkursparitäten, zu Problemen führen. Zu quantifizieren, was stärker, was weniger stark wirkt, ist, glaube ich, nicht meine Aufgabe. Ich bin aber gerne bereit, das in Ihrem Sinne weiterzugeben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 52 des Kollegen Karl-Hermann Haack ({0}) auf:
Welches sind nach Ansicht der Bundesregierung die Ursachen für den Rückgang der Besucherzahlen von Urlaubern in Deutschland, der in den letzten zwei Jahren zu verzeichnen ist?
Herr Kollege Haack, der Rückgang des Ausländerreiseverkehrs nach Deutschland ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Neben der weltweiten Rezession, die sich in anderen Ländern stärker als in Deutschland auf das Reiseverhalten ausgewirkt hat, spielt auch die Verschiebung der Währungsrelationen, die für viele Ausländer eine Reise nach Deutschland natürlich deutlich verteuert hat, eine wesentliche Rolle. Der Rückgang der Reisen aus den USA nach Deutschland ist auch durch den Abzug der amerikanischen Streitkräfte mitverursacht. Negativ auf das Bild Deutschlands als Reiseland, speziell auch in den USA, hat sich zudem sicherlich die ausführliche Berichterstattung in den Medien über ausländerfeindliche Aktivitäten in Deutschland ausgewirkt.
Deutschland bildet beim Rückgang des Ausländerreiseverkehrs keinen Einzelfall. So sind Österreich und die Schweiz, läßt man einmal die deutschen Urlauber außer Betracht, zumindest in gleicher Weise vom Rückgang des Ausländerreiseverkehrs betroffen.
eine Zusatzfrage.
Wie beurteilt die Bundesregierung die politische Verantwortung der DZT in diesem Bereich?
Ich glaube, das ist auch Ihre Frage 53, die ich insofern gleich beantworten könnte. Sie kennen ja Ihre Frage.
Ich verlese also die Antwort auf Frage 53, und Sie können dann im Zusammenhang Zusatzfragen stellen.
({0})
Einen Moment, bitte. Wir können das nicht frei handhaben.
Ich gehe dann davon aus, daß Ihre Frage 52 damit beantwortet ist. Das heißt aber im Klartext, daß Frage 52 abgearbeitet ist und wir jetzt zu Frage 53 kommen.
({0})
- Da gibt es Widerspruch. Dann lasse ich erst die Zusatzfrage der Kollegin Faße zu Frage 52 zu. Bitte.
Ich möchte mich auf Ihre Ausführungen beziehen, daß die Gewalt gegen Ausländer in Deutschland durchaus auch ein sehr wichtiger Grund für den Rückgang der Besucherzahlen von Urlaubern in Deutschland gewesen ist. Ich möchte Sie fragen, ob die Bundesregierung einen speziellen Auftrag an die DZT erteilt hat, um dem durch bestimmte Aktionen entgegenwirken zu können.
Frau Kollegin, die DZT arbeitet ja eigenständig, d. h. sie entwickelt eigenständige Marketingkonzeptionen, mit denen sie für Deutschland im Ausland werben will. Ich bin ganz sicher, daß die DZT dieses spezifische Problem Gewalt gegen Ausländer in Deutschland in ihren Marketingkonzeptionen im einzelnen auch berücksichtigt.
Dann rufe ich die Frage 53 des Kollegen Haack auf:
Plant die Bundesregierung neue Maßnahmen angesichts des zurückgehenden Interesses an einem Urlaub in Deutschland, und ist sie überzeugt, daß die Aktivitäten der Deutschen Zentrale für Tourismus keinen Anteil an dem Rückgang der Urlauber haben?
Herr Kollege Haack, die Bundesregierung befindet sich im ständigen Gespräch mit Vertretern der deutschen Fremdenverkehrswirtschaft, wie das Urlaubsangebot in Deutschland verbessert und die Effizienz der Vermarktung des Angebots gesteigert werden kann. Hierzu gehören auch die Überlegungen zum Aufbau eines flächendeckenden, auch vom Ausland her zugänglichen Informations- und Reservierungssystems, das nach Auffassung der Bundesregierung die Buchung einer Reise nach Deutschland wesentlich erleichtern könnte.
Das Auslandsmarketing für das Reiseland Deutschland ist - ich sagte es bereits - Aufgabe der DZT. Sie hat in der Vergangenheit wirksam zur Vermarktung des deutschen touristischen Angebots beigetragen. Die Deutsche Zentrale für Tourismus kann für den Rückgang des Reiseverkehrs nach Deutschland, der - ich wies darauf hin - viele Ursachen hat, nicht verantwortlich gemacht werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Haack? - Keine Zusatzfrage.
Sonst Fragen? - Bitte, Frau Kollegin Kastner.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch mit mir der Meinung, daß die Darstellungen der Verantwortlichen in der Deutschen Zentrale für Tourismus gerade in Amerika dazu beigetragen haben, daß ein Rückgang von seiten gerade des amerikanischen Marktes im Incoming-Tourismus zu verzeichnen ist?
Frau Kollegin Kastner, verstehe ich Sie richtig, daß Sie der Auffassung sind, daß Veröffentlichungen in einer Zeitung in Deutschland möglicherweise zum Rückgang des Reiseverkehrs aus den USA geführt haben könnten? - Ich sehe nicht, daß in den USA durch Vorgänge etwa im Zusammenhang mit der Vertretung der DZT im Ausland ein nennenswerter Schaden entstanden sein könnte. Ich kann dies allerdings auch nicht ausschließen. Nur, eine quantifizierbare Größenordnung ist hier, so glaube ich, nicht zugrunde zu legen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Olderog.
Herr Staatssekretär, empfinden Sie es für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DZT nicht als besonders herabsetzend, wenn der Kollege Haack in seiner Frage ausdrückt, daß Aktivitäten der DZT zum Rückgang der Urlauber in Deutschland geführt hätten und die DZT damit genau das Gegenteil ihres Auftrages bewirkt hätte?
Herr Kollege Olderog, genau das ist der Punkt. Es muß sich natürlich immer schwierig für Mitarbeiter einer Organisation ausmachen - so hier auch der DZT -, wenn behauptet wird, sie würde kontraproduktiv zu den von ihr zu verfolgenden Zielen handeln. Insofern kann ich Ihnen da sicherlich zustimmen.
Frau Kollegin Saibold.
Herr Staatssekretär, wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß einer Mitarbeiterin indischer Abstammung in der Deutschen Zentrale für Tourismus in New York untersagt wurde, Arbeiten mit Kundenkontakt durchzuführen?
Herr Präsident, das ist eine Zusatzfrage, die nicht unbedingt in unmittelbarem Zusammenhang mit der Hauptfrage steht. Es gibt sicherlich im weiteren Verlauf der Fragestunde Möglichkeiten, hier noch anzusetzen.
({0})
- Frau Kollegin Kastner, ich verweise nur auf die Geschäftsordnung und die Anlage dazu, die sich dieses Parlament gegeben hat. Danach sollte ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Hauptfrage bestehen.
Ich kann aber gerne, Herr Präsident, auf die Frage antworten.
Frau Kollegin, Saibold, Sie spielen auf ein Verfahren an, das derzeit in den USA anhängig ist. Ich will, vorbeugend für weitere Fragen, darauf hinweisen, daß es der guten Praxis der Bundesregierung entParl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb
spricht, sich nicht in laufende Verfahren einzumischen, an denen sie nicht beteiligt ist, und keine Kommentierungen zu laufenden Verfahren zu geben.
Ich glaube, daß der von Ihnen hier geschilderte Sachverhalt in Amerika Gegenstand eines anhängigen Verfahrens ist.
Herr Staatssekretär, erlauben Sie mir die Bemerkung, daß Vertreter der Bundesregierung im Parlament immer reden und alles sagen können. Die Auslegung der Geschäftsordnung aber ist Sache des Präsidenten.
({0})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Kubatschka.
Herr Staatssekretär. Bezugnehmend auf die Frage von Herrn Kollegen Olderog: Plötzlich wird derjenige, der die Sachen aufdeckt und kritisiert, als der Schuldige dargestellt und nicht der Verursacher. Verwechseln Sie da nicht Ursache und Wirkung?
Das ist etwas, was nach meinem Empfinden in keiner Weise durch das gedeckt ist, was Herr Kollege Olderog hier gesagt hat. Insofern brauche ich das, glaube ich, nicht zu kommentieren.
({0})
Eine Zusatzfrage der Kollegin Caspers-Merk.
Herr Staatssekretär, hat Ihr Haus im nötigen Umfang die Kontrollmöglichkeiten, die Sie über einen Sitz im Verwaltungsrat der DZT haben, bei den personellen und strukturellen Entscheidungen ausgeführt, und sind Sie der Meinung, daß es politisch in Ordnung war, daß Ihr Haus über diese Vorgänge offensichtlich nicht ausreichend, nicht in vollem Umfang rechtzeitig informiert wurde?
Frau Kollegin, das ist die zweite Dimension. Es geht zum einen um laufende Gerichtsverfahren, die zu kommentieren nicht meine Sache ist. Zum anderen geht es darum, ob die Bundesregierung hier möglicherweise Versäumnisse zu bemängeln hat, ob möglicherweise auch über die Vertretung im Verwaltungsrat fehlerhaft gehandelt worden ist. Ich muß sagen, daß nach den uns vorliegenden Informationen der Vorstand der DZT und auch der Verwaltungsrat jeweils der Situation angemessen gehandelt haben und Versäumnisse nicht festzustellen sind.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Fuchtel. Ich weise darauf hin, daß dies die letzte ist, weil die Fragestunde abgelaufen ist.
Herr Staatssekretär, wäre es, um falschen Interpretationen dieser
Debatte vorzubeugen, nicht notwendig, darauf hinzuweisen, daß aus fachlicher Sicht die DZT auf Grund ihres Mitteleinsatzes von ca. 20 Millionen DM in Amerika bei einem Markt von über 230 Millionen Menschen überhaupt nicht in der Lage sein kann, eine Trendumkehr in Sachen Tourismus zu erreichen, sondern allenfalls ergänzend und verbessernd für die Tourismuswerbung tätig sein kann?
Ich stimme Ihnen zu. Man könnte sicherlich sehr viel mehr Geld für Imagewerbung im Ausland, speziell auch in den USA, ausgeben. Nennenswerte marktverändernde Effekte sind mit derartigen Beträgen nur schwer zu erreichen. Die DZT hat, glaube ich, durch gute Konzeptionen, durch gute Ideen in den letzten Jahren gleichwohl einiges bewirkt.
({0})
Da ich einen Fehler gemacht habe, korrigiere ich mich. Der Kollege Feldmann hat sich früher gemeldet. Ich habe ihn übersehen.
Bitte, Herr Kollege Feldmann.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß der wegen seines möglichen Fehlverhaltens mehrfach angesprochene ehemalige Leiter der DZT in New York eine fachlich sehr gute Arbeit geleistet hat?
Herr Kollege Feldmann, bis zu den Vorwürfen, die von der Kollegin Saibold gegen den ehemaligen Leiter der Vertretung in New York genannt worden sind, stand diese Person - ich vermeide bewußt, den Namen zu nennen - in einem sehr guten Ansehen. Die von ihr geleistete Arbeit wurde bis dato nicht kritisiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluß der Fragestunde. Ich habe vorhin schon gesagt, daß ich die letzte Zusatzfrage nur zugelassen habe, weil ich einen Fehler gemacht hatte. Den mußte ich korrigieren.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c und den Zusatzpunkt 5 auf:
5. a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
({0})
- Drucksachen 13/65, 13/101 ({1})-
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({2}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({3})
- Drucksachen 13/80, 13/101 ({4}) Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({5}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Möglichkeit einer Erhöhung der Bedarfssätze nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz ({6}) im Jahre 1995 sowie über Änderungsbedarf im Recht der Ausbildungsförderung unter Einbeziehung der beruflichen Aufstiegsfortbildung
- Drucksache 13/735 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({7}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß
ZP5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Ludwig Elm und der Gruppe der PDS
Anpassung der Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz an die Lebenshaltungskosten der Studierenden
- Drucksache 13/784 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({8}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Das wird so akzeptiert.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat die Ministerin Anke Brunn.
Ministerin Anke Brunn ({9}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eine schulisch und beruflich so qualifizierte und bildungsmotivierte junge Generation wie noch nie. Dennoch wird es ihr von der amtierenden Bundesregierung so schwer wie noch nie gemacht, sich beruflich weiterzuqualifizieren
({10}) oder an Hochschulen zu studieren.
Seit 1994 gibt es keine Möglichkeit der Förderung von Meisterkursen mehr, denn die Aufstiegsfortbildung nach dem Arbeitsförderungsgesetz wurde von dieser Bundesregierung zusammengestrichen. Hier ist dringend Änderung notwendig.
Immer weniger Studierende erhalten immer weniger BAföG. Nach streitiger Beratung des 17. BAföGÄnderungsgesetzes in Bundestag und Bundesrat hat im August des vergangenen Jahres der Vermittlungsausschuß empfohlen, die Bedarfssätze um 4 % und die Freibeträge um jeweils 2 % zum Herbst 1994 und 1995 zu erhöhen. Dies war nur ein Minimalkonsens und keineswegs eine bedarfsgerechte Leistungsverbesserung. Selbst diesen Minimalkonsens ließ die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion damals leider scheitern.
Bundesrat und SPD-Bundestagsfraktion haben den Vorschlag des Vermittlungsausschusses nun wieder als Gesetzentwurf eingebracht. Wir bitten darum, daß dieser Gesetzentwurf jetzt angenommen wird, denn die Studierenden warten dringend auf die Erhöhung.
Damit deutlich wird, worum es geht und um welche Größenordnung wir uns hier beim BAföG streiten, nenne ich nur einige Zahlen. Beim Förderungshöchstsatz geht es in den alten Ländern um eine Erhöhung von 940 DM auf 980 DM im Monat.
({11})
Könnten die Beratungen an der Regierungsbank bitte an eine Stelle außerhalb des Plenarsaales verlagert werden?
({0})
Herr Kollege Olderog, darf ich Sie bitten?
Ministerin Anke Brunn ({1}): Ich sehe auch den Bundesminister. Wir möchten ja gern, daß das Gesetz zugunsten der Studierenden durchkommt.
Es geht also um eine Erhöhung von 940 DM auf 980 DM. Bei einem durchschnittlichen Förderungsbetrag der Studierenden in den alten Ländern von 602 DM monatlich debattieren wir hier über eine Erhöhung um ganze 25 DM.
In den neuen Bundesländern liegt die Durchschnittsförderung sogar bei nur 498 DM; hier geht es also um 20 DM im Monat. Bitte vergessen Sie nicht, daß für die Studierenden in den neuen Bundesländern dringend eine Reihe von Neuerungen nötig ist, z. B. die Härteverordnung, die Angleichung der Fördersätze für Berlin, die Neuberechnung des anrechenbaren Einkommens. Bitte vergessen Sie auch nicht, daß den Höchstbetrag, den ich eben erwähnte, gegenwärtig nicht einmal 10 % der Studierenden erhalten.
BAföG ist durch diese Verzögerungstaktik seit 1992 zu einer Art Spardose für Bund und Länder geworden.
({2})
Die BAföG-Ausgaben von Bund und Ländern für die Studierenden sind bereits 1993 um rund 251 Millionen DM gesunken. Um allein auf Nordrhein-Westfalen, das Land, das ich vertrete, zu verweisen: Im ersten Quartal 1995 sind an die knapp 95 500 BAföGEmpfänger an den nordhrein-westfälischen Hochschulen insgesamt 20,3 Millionen DM weniger ausgezahlt worden als im ersten Vierteljahr 1994. Das bedeutet allein im ersten Quartal 1995 einen Ausgabenrückgang um 11,9 %.
({3})
Ministerin Anke Brunn ({4})
Durch das Einfrieren der Freibeträge auf dem Niveau von 1992 ist der Kreis der Geförderten immer kleiner geworden. Dies gilt wiederum besonders für die neuen Länder. An manchen Hochschulstandorten im Westen Deutschlands erhalten nur noch 15 % der Studierenden überhaupt BAföG, beispielsweise hier in Bonn. Das Ergebnis ist: Es muß mehr gejobbt werden, und das Studium zieht sich in die Länge.
Ich möchte deshalb die Mehrheitsfraktionen im Bundestag und die Bundesregierung dringend bitten, das unfaire Spiel mit den Studierenden jetzt zu beenden und den alten Vorschlag des Vermittlungsausschusses, an dem Sie, Herr Kollege Rüttgers, ja damals mitgewirkt haben und der ja begründet, durchgerechnet und auch durchdacht war, nun endlich zu akzeptieren.
({5})
Der Bundesminister argumentiert nun in seinem Bericht, wegen des Zeitablaufs sei ein rückwirkendes Inkrafttreten nicht sinnvoll. Darüber kann man ja reden, wenn die Anpassung dann ihrerseits den Zeitablauf berücksichtigt. Dann frage ich Sie: Warum können wir dann nicht wenigstens die im vergangenen Herbst als notwendig erachteten 6 % im Herbst 1995 verwirklichen und das Gesetz jetzt umgehend verabschieden? Dafür ist das Geld, wie ich Ihnen eben an dem Beispiel dargestellt habe, vorhanden.
Sie sollten also jetzt über Zeitpunkt oder Prozentpunkt entscheiden: 4 % rückwirkend zum Herbst 1994 oder 6 % zum Herbst 1995. Aber Sie sollten entscheiden, denn die Studierenden brauchen die Entscheidung jetzt. Es gibt keinen Grund, sie erneut zu vertrösten.
Wenn Sie, Herr Kollege Rüttgers, dann ankündigen, sich im Kabinett um eine Erhöhung von gerade einmal 4 % bei den Bedarfssätzen und Freibeträgen bemühen zu wollen, muß ich leider feststellen: Als Zukunftsminister haben Sie dabei die Latte sehr niedrig gehängt.
({6})
Außerdem sind die Vorschläge der Bundesregierung vage und widersprüchlich. Das Schlimmste ist: Das in Aussicht genommene Verfahren läßt befürchten, daß in diesem Jahr wiederum kein Ergebnis erzielt wird.
({7})
Woran mache ich diese Befürchtung fest? Das Bundesministerium möchte BAföG- und Studienreform miteinander verbinden. Es wird behauptet, in dem vielzitierten Eckwertepapier sei eine Verkürzung der Regelstudienzeit vereinbart worden. Das ist aber falsch. Vielmehr geht es bei der aktuellen Studienstrukturreform um die Verkürzung der tatsächlichen Studienzeiten, und zwar durch Verbesserung der Studienorganisation - durch Studienreform - und durch eine Verbesserung der Studienbedingungen. Zu den Studienbedingungen gehört selbstverständlich auch die ausreichende Studienfinanzierung.
({8})
Nur in diesem Sinne kann das BAföG einen Beitrag zum Erfolg der Studienreform leisten.
({9})
Die Regelstudienzeiten sind in dem Eckwertepapier dagegen nicht verkürzt, sondern in einigen natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächern begründet sogar heraufgesetzt worden. Es wäre grundverkehrt, die Förderungshöchstdauer jetzt verkürzen zu wollen.
„Einschränkung der Förderung" - so sind die meisten Reformvorschläge, die Sie vorlegen, überschrieben. Ich warne davor, das BAföG durch Reglementierung mit der Studienreform zu vermengen, denn das Ergebnis wären mehr Bürokratie und außerdem eine Verlängerung der Studienzeiten. Das wollen wir ja nicht.
Wenn nun erneut eine Nullrunde erfolgte, wenn der BAföG-Bezug in der Examensphase gestrichen oder wenn das BAföG auf der Basis falsch angenommener Regelstudienzeiten gekürzt würde, wäre nicht eine Studienzeitverkürzung, sondern eine Studienzeitverlängerung die zwangsläufige Folge, und alle unsere Bemühungen wären zunichte.
Die Länder, die letztlich die Verantwortung für die Studienreform tragen, fordern Sie auf, Herr Kollege Rüttgers, und auch die Bundesregierung und die Mehrheitsfraktionen im Bundestag: Wenn Sie mit dem BAföG die Studienreform unterstützen und nicht behindern wollen, dann müssen Sie den Verhinderungstaktikern an Ihrem Kabinettstisch, aber auch in Ihrer Fraktion, die damals zunächst den Beschluß zum Scheitern gebracht haben, die rote Karte zeigen und jetzt grünes Licht für die BAföG-Erhöhung geben.
({10})
Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch daran, daß wir im Herbst von Ihnen einen Bericht zur Studienabschlußförderung erwarten; denn im Studienalltag zeigt sich: Der Wegfall von BAföG-Bezügen im Examen erhöht das Risiko des Scheiterns. Wir wollen aber gerade erreichen, daß es künftig weniger Studienabbrecher und mehr Studenten gibt, die ihr Studium in einer vertretbaren Zeit erfolgreich absolvieren.
Eine langfristig angelegte BAföG-Reform muß Studienreform und Familienlastenausgleich zusammen sehen. Leider müssen wir feststellen, daß nicht beides zusammen gesehen, sondern zusammengestrichen worden ist.
({11})
Ich erinnere an die Einschnitte beim Kindergeld, die die Familien mit Studierenden hart getroffen haben. Ich erinnere an die Beschränkung der Zuschüsse beim Kindergeld für studentische Mütter.
Die meisten Änderungen, die Sie nun ankündigen, sind wiederum mit „Einschränkung der Förderung" überschrieben. Das ist eine falsche Antwort auf ungelöste Reformfragen. Wir wollen keinen Rückschritt
Ministerin Anke Brunn ({12})
in eine Gesellschaft, in der es Bildung nur für die gibt, die es sich leisten können. Die jungen Menschen wollen nämlich lernen, sie wollen sich qualifizieren.
Deshalb bitte ich: Verabschieden Sie die BAföG- Erhöhung jetzt, und stellen Sie die Meisterförderung wieder her. Junge Menschen - ob Student oder Meisterin - haben es nicht verdient, gegeneinander ausgespielt oder gemeinsam auf die lange Bank geschoben zu werden. Ich bitte darum, daß das Gesetz jetzt durchkommt.
Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
({13})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Rüttgers.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wer wissen will, wie altes bildungspolitisches Denken aussieht, wer wissen will, wie die Flucht vor der eigenen Verantwortung dokumentiert wird, wer wissen will, wie versucht wird, von eigenen Versäumnissen abzulenken, dem empfehle ich, morgen die Rede von Frau Kollegin Brunn nachzulesen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich muß ehrlich gestehen, daß ich von dieser Debatte erwartet habe, daß versucht wird, auf die Notwendigkeiten - ({1})
- Herr Catenhusen, es wird nicht intelligenter, wenn es lauter wird.
Ich habe erwartet, daß wir hier darüber debattieren, wie wir insgesamt die Situation unserer Studentinnen und Studenten, wie wir insgesamt die Situation unserer Meisterinnen und Meister, wie wir insgesamt die Situation derjenigen, die an den Hochschulen tätig sind, verbessern.
({2})
Ich bin immer wieder erstaunt - um nicht zu sagen: erschüttert -, wenn ich feststelle, daß sich anscheinend in manchen Köpfen derart ritualisierte Vorstellungen von bildungspolitischen Debatten eingeschliffen haben, daß man nicht mehr in der Lage ist, vorurteilsfrei ein Problem anzugehen, daß man nicht mehr in der Lage ist, Vorschläge fair und realistisch zu prüfen, daß man noch nicht einmal in der Lage ist, zu erkennen, was man selber will.
({3})
- Frau Kollegin Odendahl, ich erinnere mich noch sehr gut an die guten Ratschläge des Kollegen Glotz zu Beginn meiner Amtszeit, mit der Forderung, BAföG um 4 % zu erhöhen.
({4})
Ich kann mich noch sehr gut erinnern, daß ich gesagt habe: Jawohl, ich schlage dies vor. Daraufhin wurde von seiten der Kultusministerin aus Schleswig-Holstein gesagt: Wir fordern eine rückwirkende Erhöhung. Als ich dann in der Kultusministerkonferenz entgegnet habe: „Das finde ich einen prima Vorschlag; bringen Sie den einmal bei Ihrem eigenen Finanzminister durch; sorgen Sie einmal dafür, daß in Deutschland irgendwann jemand den Vorschlag macht, daß soziale Transferleistungen rückwirkend gezahlt werden" - das gilt auch für BAföG -, da war die Diskussion plötzlich beendet, und sofort wurde die Forderung mit 6 % nachgeschoben.
Meine Damen und Herren, ich habe gemäß dem Auftrag des Deutschen Bundestages hier einen Bericht vorgelegt, der versucht, ein Gesamtkonzept zur Ausbildungsförderung aufzuzeigen. Mir ging es darum, auch auf diesem Weg eine Möglichkeit zu schaffen, über verschiedene vernetzte Problembereiche zusammen zu diskutieren, dafür zu sorgen, daß es erste Schritte bei der notwendigen Reform im Studium gibt, daß es konkrete Schritte bei der Stärkung der beruflichen Bildung gibt.
Dann höre ich hier eine Rede von Frau Ministerin Brunn, die zwar einerseits für sich reklamiert, daß sie die Hauptverantwortung in diesem Bereich trage, aber andererseits nichts anderes zu sagen hat, als vom Bund mehr Geld zu fordern.
({5})
Meine Damen und Herren, wer so argumentiert, versündigt sich an denjenigen, die heute an den Hochschulen studieren. Er trägt dazu bei, daß überhaupt nichts passiert. Er führt eine Debatte auf dem Rücken derjenigen, die unsere Hilfe jetzt dringend brauchen.
({6})
Meine Damen und Herren, Ausbildung ist ein Standortfaktor ersten Ranges. Deshalb nützt es überhaupt nichts, wenn wir in diesem Zusammenhang die Debatte auf die Frage der BAföG-Erhöhung fokussieren. Ich will dazu gleich noch ein paar Worte sagen.
Ich finde es viel wichtiger, daß gestern die Gewerkschaften, Vertreter der Wirtschaft und der Politik zusammengesessen haben, um über konkrete Maßnahmen zur Stärkung der beruflichen Bildung zu diskutieren. Ich finde es wichtig, daß da Einvernehmen bestand, daß wir die Gleichstellung von beruflicher und allgemeiner Bildung anstreben. Ich finde es wichtig, daß dort Übereinstimmung bestand,
daß wir damit einen Beitrag leisten wollen, die Überlastung der Hochschulen zu vermindern.
({7})
Dieses umfassende Verständnis, mit dem wir dort gestern diskutiert haben, ist eine gute Grundlage, die konkrete Situation der Studentinnen und Studenten, der Meisterinnen und Meister und derjenigen, die an der Hochschule arbeiten, zu verbessern.
Meine Damen und Herren, einer der Ansatzpunkte ist die Stärkung der beruflichen Bildung. Deutschland wird auf Dauer nicht alleine vom Blaupausenexport leben können. Es ist notwendig, daß wir ein wichtiger, ein attraktiver Produktionsstandort bleiben. Dafür brauchen wir qualifiziert ausgebildete Facharbeiter.
Deshalb ist es ganz wichtig, dafür zu sorgen, daß die leider festzustellende nachlassende Ausbildungsbereitschaft im dualen System gestoppt wird, daß wir wieder ein Klima bekommen, in dem man stolz darauf ist, möglichst viele junge Leute auszubilden. Deshalb bin ich den Gewerkschaften und der deutschen Wirtschaft dafür dankbar, daß wir gestern eine neue Lehrstelleninitiative beschlossen haben.
({8})
Ich begrüße die Selbstverpflichtung der Wirtschaft, in den kommenden zwei Jahren 10 % mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dreßen?
Aber gern.
Bitte.
Herr Minister, ich teile ja mit Ihnen die Meinung, daß man die Facharbeiter und die Meister weiter fördern muß. Aber welcher Teufel hat denn einen Ihrer Vorgänger geritten, dann gerade im AFG die entsprechenden Mittel dafür zu kürzen? Das ist doch ein Widerspruch.
Herr Kollege, das ist überhaupt kein Widerspruch. Ich schlage Ihnen vor, Sie diskutieren weiter über die Vergangenheit und ich über die Zukunft. Das ist die richtige Aufgabenverteilung,
({0})
Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus - und die Teilnehmer des gestrigen Gespräches - ({1})
- Nein, Frau Kollegin Odendahl, ich finde es schlichtweg langweilig. Diskutieren Sie von mir aus darüber, was wir früher falsch gemacht haben und was man hätte anders machen können.
({2})
- Ja, das ist noch gar nicht so lange her. Sie haben das Geld nicht heranschaffen können. Sie erheben nur dauernd neue Forderungen. Frau Brunn will in diesem Bereich mehr Geld haben, ihr Ministerpräsident kommt in Kohlesachen und will Geld haben. Nachher haben Sie aber unter dem Strich nicht das Geld, etwas konkret zu bewegen. Deshalb ist das Ganze stinklangweilig, um es einmal so zu sagen, stinklangweilig!
({3})
Mir ist es wichtiger, wenn wir es in diesem Jahr schaffen, 600 000 Jugendlichen eine Lehrstelle zu verschaffen. Deshalb ist auch richtig und wichtig - ich wiederhole dies hier -, daß die Bundesregierung gestern angekündigt hat, im öffentlichen Dienst eine Trendumkehr bei den Ausbildungsstellen einzuleiten. Dann werden wir darüber diskutieren müssen, meine Damen und Herren, ob wir in diesem Zusammenhang vielleicht von kooperativem Föderalismus sprechen können. Zwar ist es wahr, daß wir im Bund die Ausbildungsstellen um 7 % abgebaut haben, Frau Kollegin Odendahl, Länder und Kommunen aber um 16 %. Wenn wir im gleichen Maße unsere Anstrengungen wieder steigern, dann werden wir am Ende des Jahres einmal sehen, wie es bei Ländern und Kommunen aussieht. Wenn es dort in gleicher Weise geschieht, würde es mich für die jungen Leute sehr freuen.
Meine Damen und Herren, es ist bekannt, daß im Bereich der Ausbildung das Handwerk vorbildlich ist. Es ist schön festzustellen, daß in diesem Bereich die neu abgeschlossenen Lehrverträge 1994 um 1,9 % gesteigert werden konnten. Es ist sehr schön, festzustellen, daß mit der wirtschaftlichen Belebung in den neuen Ländern ein Zuwachs von sogar 20,1 % festzustellen war. Diese Zahlen belegen, daß auch das sogenannte Meister-BAföG wichtig ist.
Die Attraktivitätssteigerung des dualen Systems bedarf einer Förderung derjenigen, die den Mut zur Selbständigkeit haben. Wir werden in den kommenden Jahren im Bereich des Handwerks 200 000 Betriebe haben, die einen Nachfolger suchen. Wir werden im Bereich der mittelständischen Wirtschaft weitere 500 000 Betriebe haben, die einen Nachfolger suchen. Deshalb ist es richtige Struktur- und Bildungspolitik, daß wir jetzt ein eigenständiges Gesetz konzipieren, mit dem die staatliche Förderung der Aufstiegsfortbildung eingeführt wird.
Meine Damen und Herren, es geht darum, daß wir engagierte Menschen unterstützen, den Weg in die Selbständigkeit zu gehen, und sie ermutigen, eine berufliche Existenz zu gründen. Deshalb ist es richtig, daß wir bei der Heranbildung künftiger Meister, Techniker und anderer mittlerer Führungskräfte in den verschiedenen Bereichen der Wirtschaft, im GeBundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
sundheitswesen und im sozialpflegerischen Bereich Unterstützung gewähren. Wir haben Ihnen mit dem Ihnen vorliegenden Bericht die grundlegende Konzeption dafür vorgestellt.
Meine Damen und Herren, es ist neben dieser arbeitsmarktpolitischen und strukturpolitischen Bedeutung ein wesentlicher Schritt zur Herstellung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung. Ich glaube, daß wir den Trend zugunsten von Gymnasium und Hochschule und zu Lasten der beruflichen Bildung korrigieren müssen. Mich macht schon eine Zahl sehr nachdenklich: Im Jahre 1994 kamen in den alten Ländern auf 100 Studienanfänger 196 Jugendliche mit einem Ausbildungsvertrag. Das waren 1986 noch 325. Deshalb halte ich es für ganz notwendig, daß wir in diesem Jahr noch dieses Gesetz verabschieden.
Ich sage allerdings deutlich, daß die Forderungen etwa aus dem Bereich des Handwerks in einer Größenordnung von 1 Milliarde DM nicht werden erfüllt werden können. Ich habe eben auf die Notwendigkeit der Fortsetzung der Konsolidierungspolitik hingewiesen. Jetzt ist es wichtig, das Machbare zu tun und nicht das Ganze auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Mit derselben Philosophie habe ich den Vorschlag gemacht, die Bedarfssätze und die Freibeträge noch in diesem Jahr um je 4 % zu erhöhen.
Meine Damen und Herren, es ist wahr, man kann sich natürlich noch mehr vorstellen. Es ist wahr, daß es natürlich durch die Entscheidungen oder NichtEntscheidungen - wie Sie denn wollen - in den letzten Jahren zu Einkommensverlusten bei den BAföG- Beziehern gekommen ist. Aber es wird der Sache eben nicht gerecht, und es ist unangemessen, wenn man sich dann hier hinstellt und mit Zahlen operiert, was das denn in kleinen Prozentzahlen und was das denn in kleinen Beträgen bedeutet, wenn man gleichzeitig, Frau Kollegin Brunn, verschweigt, daß dies im Jahr 1995 immerhin noch 96,5 Millionen DM und im Jahre 1996 295,5 Millionen DM Mehrkosten für den Bund in diesem Bereich ausmacht.
Meine Damen und Herren, da gibt es wiederum nur die Möglichkeit, sich dem Machbaren zu stellen und zu sagen, was geht und was nicht geht. Ich kann mir mehr vorstellen, aber wer das Machbare jetzt verhindert, der fällt den Studentinnen und Studenten in den Rücken. Ich gehe davon aus, daß es im Interesse der Studenten keine weitere Nullrunde geben darf.
Wenn ich jetzt von der SPD höre, daß man mit dem Vermittlungsausschuß droht, dann sage ich Ihnen als jemand, der viele Jahre in diesem Gremium gearbeitet hat, daß mich das vom Verfahren her überhaupt nicht schreckt. Ich sage Ihnen auch, meine Damen und Herren, daß Sie sich sehr genau werden überlegen müssen, ob Sie mit Ihren Forderungen diesen Weg gehen. Sie wissen genau, daß wir uns hier im Parlament schon sehr anstrengen müssen, das Gesetz rechtzeitig zu verabschieden. Sie wissen auch, daß dies parallel zu den Haushaltsplanberatungen 1996 erfolgen müßte. Und Sie kennen auch die großen Belastungen, die im finanziellen Bereich hier auf den Bund zukommen und die wir versuchen müssen zu schultern.
Ich habe deshalb im Gespräch mit den Kultusministern der Länder Mitte Februar dafür geworben, angesichts der drängenden Probleme alte Rituale einzustellen. Ich hoffe sehr, daß die SPD sich ihrer Verantwortung bewußt ist.
Die Rechnungen, die Frau Brunn hier gemacht hat, sind Luftbuchungen.
({4})
Wenn ich von irgend jemandem höre, daß er das Geld, das im letzten Jahr nicht ausgegeben worden ist, das 1994 vielleicht im Haushalt drin war, jetzt in 1995 ausgeben will, dann empfehle ich einen Schnellkurs im Haushaltsrecht. Der sollte nämlich wissen, daß dies in der Jährlichkeit des Haushalts nicht mehr da ist.
Und derjenige, der jetzt glaubt, weitere, überproportionale Erhöhungen über das hinaus, was ich aus dem Haushalt finanzieren kann, hier fordern zu müssen, der sollte wissen, daß er erklären muß, zu wessen Lasten er dies geben will bzw. wo er es wegnehmen will: etwa aus dem Hochschulbau, etwa aus den Hochschulsonderprogrammen, etwa aus den Informations- und Kommunikationstechnologien, etwa aus der Biotechnologie, etwa aus der Umwelttechnologie?
Meine Damen und Herren, sich hier hinzustellen, eine Forderung aufzustellen, ohne dazu etwas zu sagen, das ist eine Politik der ungedeckten Schecks. Die kenne ich zwar aus Nordrhein-Westfalen, aber ich möchte sie hier nicht einführen.
({5})
Meine Damen und Herren, wir haben mit diesem Bericht - das ist der dritte Schwerpunkt - Vorschläge für eine strukturelle BAföG-Reform vorgelegt. Frau Kollegin Brunn, ich finde, Sie machen es sich zu leicht, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen: Das lehnen wir alles ab, das kommt überhaupt nicht in Frage. Wir sind für Hochschulreform zuständig, hier trage ich die Verantwortung, und ich warne davor, das mit dem BAföG zu verknüpfen. Frau Brunn, wenn Sie sich hier im Hause der Debatte entziehen, dann werden Sie in der nordrhein-westfälischen Öffentlichkeit darlegen müssen, welche konkreten Schritte aus dem Eckwerte-Papier in den verschiedenen Ländern umgesetzt worden sind. Auch das ist ein Punkt, den ich nicht zu akzeptieren bereit bin: sich in der Vorbereitung eines gemeinsamen Gespräches zwischen Bund und Ländern auf Inhalte zu verständigen - natürlich steht in diesem Eckwerte-Papier die entsprechende Passage über die Regelstudienzeiten drin -, und zwei Jahre später, wenn man nicht den Mut gehabt hat, da zu widersprechen, oder weil man es sich inzwischen anders überlegt hat, hierher zu kommen und zu sagen, das war ja alles gar nicht so gemeint.
Wer so Bildungspolitik betreibt, der vergißt eine wesentliche Tatsache, nämlich daß Bildungspolitik immer mit Menschen zu tun hat, und zwar mit realen Menschen, die jetzt an der Hochschule sind, mit Menschen, die nicht darauf warten können, bis in irgendwelchen Kommissionen irgendwelche Konsense bis zum letzten Punkt durchdiskutiert worden sind.
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Und deshalb, Frau Kollegin, nicht nur bei BAföG, sondern auch bei der Hochschulreform kommt es darauf an, die Umsetzung zu machen.
Und dann erklären Sie mir bitte - ich bin ganz gespannt, wenn Sie gleich reden -, warum, wenn Sie derselben Meinung sind wie Frau Brunn - das war nicht immer der Fall, und Sie als Fachfrau sind auch jemand, der die Debatte seit langem kennt -, Sie eine strukturelle Reform des BAföG nach gleichen Kriterien ablehnen. Warum soll bei Einvernehmen zwischen Bund und Ländern über bestimmte Punkte, die da lauten Einführung von Regelstudienzeiten leistungsabhängige Finanzierung von Hochschulen, Stärkung der Leitung von Hochschulen - ich muß zugeben, das hat Frau Kollegin Brunn eben gesagt; das muß man dann fairerweise zugeben -, das BAföG-System als zweites Finanzierungssystem von Hochschule nach anderen Kriterien geordnet sein als das, was wir im Bereich der Hochschulstrukturreform gemeinsam anstreben?
Weil dies so ist, haben wir Ihnen verschiedene Punkte für diese BAföG-Strukturreform vorgelegt. Sie orientieren sich an den Eckwerten. Es geht auch darum, daß wir uns darüber werden unterhalten müssen, wie die Förderung von Zweitstudien in Zukunft geregelt werden soll. 1992 haben dies 4 000 Studenten mit einem Gesamtaufwand von 38,5 Millionen DM im Bereich der Förderung miterlebt. Es wird auch darüber zu diskutieren sein, wie wir mit der Förderung nach einem Fachrichtungswechsel verfahren.
Es gibt die 13. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes. Danach beträgt die Quote der Studienfachwechsler in den alten Ländern derzeit 20 %.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Braune?
Aber gern.
Herr Minister, Sie haben eben versucht, in Ihrer Darstellung zur jüngeren Geschichte der BAföG-Entwicklung der SPD den Schwarzen Peter zuzuschieben. Können Sie uns verraten, wer den Kompromiß, an dem Sie ja im Vermittlungsausschuß mitgewirkt haben, hier abgelehnt hat?
Lieber
Herr Kollege Braune, wenn Sie es von mir noch nicht in Interviews, im Ausschuß, in Arbeitsgruppen, in öffentlichen Reden gehört haben, dann bin ich gerne bereit, Ihnen das auch noch einmal schriftlich zu geben. Ich kenne die Debatte inzwischen so auswendig, daß Sie mich nachts um 3 Uhr wecken können, und dann stelle ich mich neben das Bett und bete sie Ihnen herunter.
({0})
Sie wissen ganz genau, wie der Ablauf war. Wenn Sie wollen, sage ich Ihnen das gerne noch einmal. Dann kann ich Ihnen - von mir aus schriftlich - bestätigen, daß es hier im Deutschen Bundestag, und zwar von CDU/CSU-Fraktion und F.D.P.-Fraktion, keine Zustimmung zum Ergebnis des Vermittlungsausschusses gegeben hat. Und jetzt sage ich Ihnen: Es interessiert mich überhaupt nicht, was gestern oder vorgestern war.
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Diskutieren Sie das von mir aus in Ihren Zirkeln weiter, soviel Sie wollen.
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- Nein, Frau Kollegin Bulmahn. Ich will jetzt etwas verändern. Entschuldigen Sie, das habe ich doch gesagt. Ich weiche gar nicht der Verantwortung aus. Das ist doch nichts Neues. Das habe ich alles laut erklärt. Ich habe im Vermittlungsausschuß versucht, mit meinem Freund Peter Struck einen Kompromiß herbeizuführen. Wir haben Fraktionsberatungen gehabt. Da hat es keine Mehrheit gegeben. Das war schlichtweg die Situation. - Reicht es Ihnen jetzt, oder was soll ich noch machen?
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- Was ich machen muß, Frau Bulmahn, entscheide ich selber. Das entscheiden nicht Sie. Das ist der erste Punkt.
Zweiter Punkt. Wenn ich dann gucke, was zu machen ist, kann ich hingehen und sagen: Ich bin für 6 %. Dann - das sage ich Ihnen - habe ich das Geld nicht im Haushalt. Dann mache ich einen Vorschlag, den ich nicht verantworten kann. Dann ist das Ergebnis: Es gibt auch 1995 nichts. So einfach ist die ganze Geschichte.
Oder ich mache Ihnen einen Vorschlag, wofür ich das Geld im Haushalt habe. Dann können wir auch konkret etwas tun. Jetzt sagen Sie mir bitte einmal, was daran unverantwortlich ist, und nennen Sie mir bitte einen anderen Weg, bei dem Sie nicht irgendeine Gelddruckmaschine, die in meinem Ministerium nicht existiert, zur Deckung heranziehen müssen!
Das ist schlichtweg unsere Diskussion. Ich kann wirklich nicht mehr verstehen, wie man angesichts von 450 000 Studentinnen und Studenten, die auf eine Entscheidung dieses Parlaments warten, so disBundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
kutieren kann. Sie werden sich entscheiden müssen. Das ist ganz einfach, ganz transparent: Entweder geht das im Rahmen des Haushalts, oder das geht gar nicht. Dann wird sich der Finanzminister freuen.
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- Ach, Frau Bulmahn! „Der Haushalt ist nicht verabschiedet! " Der Haushalt ist durch den Haushaltsausschuß durch und wird hier im Bundestag eine Mehrheit bekommen. Das dauert noch ein paar Tage. Führen Sie nicht solche Debatten! Es tut mir leid, ich verstehe Sie nicht.
Meine Damen und Herren, ich glaube, der wichtige Punkt ist durch diese Debatte vielleicht deutlich geworden: wie die Lage in diesem Bereich ist. Ich meine, die Verantwortlichkeiten sind klar. Wir können gerne die Aufgabenteilung weitermachen: Sie machen die Vergangenheit, ich mache die Zukunft. Das ist für mich eine sehr angenehme Aufgabenteilung.
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Ich hoffe nur, daß bei dieser Aufgabenteilung die Studentinnen und Studenten nicht unter die Räder kommen. Ich biete Ihnen auf jeden Fall an - ({6})
- Ich weiß gar nicht, Frau Kollegin: Entweder begreifen Sie es nicht oder - - Ich weiß nicht, was das soll.
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- Was ist denn daran ein Schwindel? 4% sind im Haushalt drin, Ihre 6 % sind nicht drin. Was wollen Sie denn für die Studenten? Wollen Sie 4 %, oder wollen Sie 6 %?
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Frau Kollegin Odendahl löst nachher das Rätsel, prima.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir die große Chance haben, nach den Strukturen, die in diesem Bericht vorgezeichnet worden sind, zu einer Gesamtnovellierung unserer Ausbildungsförderung zu kommen, und zwar mit drei Schritten.
Der eine ist die Einführung einer Aufstiegsfortbildung für Meister und mittlere Führungskräfte. Ich meine, wir sollten dieses Gesetz dieses Jahr noch so weit fertigstellen, daß es am 1. Januar 1996 in Kraft treten kann.
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Der zweite ist eine Erhöhung des BAföG um das Geld, das wir dafür haben. Der dritte ist eine Debatte über eine Synchronisierung der BAföG-Zahlungen mit der Hochschulstrukturreform. Ich finde, das sind
zumindest innovative Ansätze und nicht vergangenheitsorientierte Debatten.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Altmann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister Rüttgers! Geehrte Damen und Herren! Herr Rüttgers, Sie sagten eben, Bildungspolitik habe immer etwas mit Menschen zu tun. Wir wenden uns in dieser Debatte einer Bevölkerungsgruppe zu, die uns allen eigentlich sehr am Herzen liegen sollte und trotzdem selten genug Beachtung findet - den Schülern und Schülerinnen, Studenten und Studentinnen, jungen Handwerkern und Handwerkerinnen.
Heute wenden wir uns ihrer finanziellen Situation zu. Wie sieht diese 1995 aus? Bereits 1991 ermittelte das Deutsche Studentenwerk als monatlichen Bedarf für Studenten und Studentinnen 1 086 DM. Wenn man dem die durchschnittlichen Förderungssätze des BAföG gegenüberstellt, klafft eine deutliche Lücke. 1992 erhielten Studenten und Studentinnen durchschnittlich weniger als 600 DM in den alten und 500 DM in den neuen Bundesländern. Wie sollen sie eigentlich davon leben können?
Auch die SPD geht in ihrem Gesetzentwurf davon aus. Die tatsächlichen Lebenshaltungskosten sind von 1971 bis 1993 um 125 % gestiegen, die BAföG- Bedarfssätze jedoch nur um 85 %. Da öffnet sich doch eine deutliche Schere. Es sind 40 % Unterschied.
Sie wissen doch, was allein die Miete in Städten wie München, Hamburg, Berlin, Dresden, Bonn oder anderen Großstädten kostet. Unter diesen Bedingungen sind immer mehr Studenten und Studentinnen dazu gezwungen, neben dem Studium einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das führt zu immer längeren Studienzeiten. Damit setzt sich der studienverlängernde Kreislauf einfach fort. Zu wenige Lehrveranstaltungen, übervolle Hochschulen - dies führt zu immer längeren Studienzeiten.
Wie heißt die Antwort der Bundesregierung darauf? Über Strukturreformen Studienzeiten senken. Nur wie? Darauf geben Sie, Herr Rüttgers, keine Antwort.
Ich komme noch einmal auf den Vermittlungsausschuß zu sprechen. Herr Finanzminister Waigel wollte sparen und gab die Devise aus, die dringend notwendige Erhöhung des BAföG passe „nicht in die politische Landschaft", Und dies, obwohl der Zehnte BAföG-Bericht der Bundesregierung feststellte, daß eine mindestens sechsprozentige Anhebung der Bedarfssätze den erhöhten Lebenshaltungskosten Rechnung tragen würde. Ich frage mich, warum da nicht gehandelt wird, Warum werden z. B. die rück fließenden BAföG-Darlehen nicht zur Aufstockung der BAföG-Titel verwendet?
Elisabeth Altmann ({0})
Die Regierungsparteien und die SPD-Opposition scheinen sich ja nun nähergekommen zu sein. Über eine vierprozentige Anhebung der BAföG-Bedarfssätze und Freibeträge sind sie sich jetzt einig.
({1})
Selbst Peter Glotz, der mit einer zweiprozentigen Erhöhung und Studiengebühren in die Diskussion platzte - ({2})
- Er hat seine Meinung mittlerweile revidiert. ({3})
- Okay, ist ja akzeptiert.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN halten diese Erhöhung jedoch nicht für ausreichend. Wir sprechen uns für eine spürbare Erhöhung der Bedarfssätze aus, vor allem aber für einheitliche Sätze im gesamten Bundesgebiet. BAföG muß wieder als Instrument zur Behebung sozialer Ungleichheiten greifen. Soziale Ungleichheiten zu mildern war das Ziel des BAföG. Es sollte gleiche Bildungschancen eröffnen, nicht aber zusätzliche soziale Härten schaffen. Die unterschiedlichen Darlehensregelungen der 80er und 90er Jahre haben zu gravierenden Ungleichbehandlungen geführt. Insbesondere das Volldarlehen in den 80er Jahren hat zu beträchtlichen Schuldenbergen einzelner geführt.
Die Antwort der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage macht es deutlich: Mehr als 800 000 Personen stehen mit BAföG-Schulden bei der Bundesregierung in der Kreide. Dies ist mehr, als z. B. Frankfurt Einwohnerinnen und Einwohner hat. Ca. 11 500 Personen sind mit Darlehen in Höhe von mehr als 50 000 DM verschuldet. Die höchste angelaufene BAföG-Schuld liegt gar bei 94 085 DM.
Meine Damen und Herren, der Start in ein Berufsleben, bei dem man Schulden von 30 000, 50 000 oder 100 000 DM vor sich herschieben muß, wiegt schwer. Das sind ausbildungsbedingte Schulden. Hier könnten wir die Situation verbessern, Herr Rüttgers. Wie soll man z. B. eine Familie gründen, wenn beide Partner mehr als 50 000 DM Schulden haben? Dies macht 100 000 DM, die diese Familie irgendwann bezahlen muß. Was ist das für eine Belastung!
Ist dies die gewünschte Form der Familienförderung der Bundesregierung? Dies scheint jedoch weder für die Regierungskoalition noch für die SPD ein nennenswertes Problem zu sein. Die Bundesregierung zerbricht sich statt dessen lieber den Kopf darüber, welche Regelung der Darlehenszurückzahlung dann gelten soll, wenn auch eine Zweitausbildung BAföG-gefördert wird.
Der Vorschlag von Herrn Rüttgers, die BAföG-Förderungshöchstdauer für Ausbildungen an Hochschulen generell zu senken, ist ein Hohn. Eine Förderungshöchstdauer von generell neun Semestern an Universitäten bzw. acht Semestern an Fachhochschulen ist nicht tragbar. Sie entspricht nicht den Realitäten des Studienalltags mit den oftmals sinnlos überfrachteten und aufgeblähten Studienordnungen und Prüfungszeremonien. Wiederum würden notwendige Studienreformen auf dem Rücken der Schwächsten vorgenommen. Zuerst sind Studienreformen zur Entfrachtung dringend notwendig.
Ebensowenig akzeptabel ist es, eine Leistungsüberprüfung nach dem zweiten Semester oder eine Zwangsberatung nach dem zweiten oder dritten Fachsemester durchzuführen, um bei einem Fachrichtungswechsel weiter BAföG zu bekommen. Wo bleibt da die angestrebte Mündigkeit junger Erwachsener. Traut man ihnen selbständige Entscheidungen nicht zu?
Die Quote der Studienfachwechsler, die in den alten Bundesländern bei 20 % liegt, resultiert im wesentlichen aus unzureichenden Beratungsangeboten bei der Aufnahme des Studiums. Die Beratungsangebote bei Beginn des Studiums müssen intensiviert und stark verbessert werden. Das würde dann auch Kosten sparen und Studentinnen und Studenten vor Fehlentscheidungen schützen. Es geht doch wirklich nicht darum, daß einzelne möglichst lange BAföG beziehen wollen, sondern darum, daß unerfahrene Studienanfänger und -anfängerinnen in Studiengänge gedrängt werden, die ihren Neigungen und Fähigkeiten einfach nicht entsprechen.
Auch die fehlenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt machen einen Studienwechsel oft unumgänglich und verlängern die Gesamtstudienzeit. Das jedoch ist ein Problem, welches nicht über das BAföG zu regeln ist. Hier stehen die Politik, die Wirtschaft, wir alle in der Pflicht,
Ich möchte hier auf ein weiteres Problem aufmerksam machen: Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, daß viele Studienabgänger und -abgängerinnen, die keinen Arbeitsplatz finden, ohne jegliche materielle Absicherung dastehen? Kein Kindergeld, keine Sozialhilfe, nur noch der Geldbeutel der Eltern zählt. Was meinen Sie, was für ein Gefühl ein Dreißigjähriger unter diesen Bedingungen hat?
Ich komme nun zum BAföG für Schüler und Schülerinnen. 1983 wurde dieses bei einem BAföG-Kahlschlag weitgehend gestrichen. Hier hat die Bundesregierung ihre Fehler teilweise erkannt, als sie die allgemeinbildenden Ausbildungsgänge unter bestimmten Bedingungen wieder mit in die Förderung aufgenommen hat. Dies ist jedoch bei weitem nicht ausreichend, da der Großteil der Schüler und Schülerinnen ab der 10. Klasse immer noch kein BAföG erhalten kann. Dabei dürfte doch unumstritten sein, daß Bildungsentscheidungen wesentlich auch vom Elterneinkommen abhängig sind. Auch so wird ja die Selbstbestimmung nicht gerade gefördert.
Mit den vorliegenden Unterlagen zur ersten Lesung werden statt dessen gesellschaftliche Ungleichheiten fortgeführt. Oftmals entsprechen erste Studienentscheidungen doch den Vorstellungen der Eltern und des gesellschaftlichen und sozialen Umfeldes. Eingeschlagene Wege müssen jedoch korrigierbar sein, neue müssen sich ermöglichen lassen. Die Ausbildungsförderung muß daher auch für spätere
Elisabeth Altmann ({4})
Lebensabschnitte greifen. Aus diesem Grund ist für uns die Altersgrenze, die für BAföG-Leistungen bei neuen Ausbildungsabschnitten gesetzt wird, völlig überholt.
({5})
Noch zwei Punkte möchte ich kurz erwähnen.
Nach Auffassung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist es unverzichtbar und selbstverständlich, daß diese Gesellschaft, Schulen und Hochschulen auf Internationalität, Völkerverständigung, Toleranz und Weltoffenheit ausgerichtet sein müssen. Das bedeutet, daß auch unsere ausländischen Mitbürger und Mitbürgerinnen umfassender in die BAföG-Förderung einbezogen werden sollten. Hierzu fehlen jedoch in den vorliegenden Beratungsunterlagen alle Aussagen.
Von der Koalition wurde die Möglichkeit der Aufstiegsförderung, z. B. für das Handwerk, durch die AFG-Novellierungen massiv abgebaut. Das wurde hier eben schon erwähnt. Nun wird derzeit über eben diese Aufstiegsförderung unter dem Ticket „Meister-BAföG" diskutiert. Grundsätzlich sind wir für die Gleichwertigkeit der Ausbildungsgänge. Aber es muß ja dann kein Etikettenschwindel sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist an der Zeit, daß wir eine grundsätzliche Korrektur beim BAföG vornehmen. Die halbherzige Flickschusterei auf dem Bildungssektor muß endlich ein Ende haben. Unsere baden-württembergischen Freundinnen und Freunde von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben deshalb beim Institut für Finanzwirtschaft ein Gutachten über „Alternativen der Finanzierung des Lebensunterhaltes von Studenten und Studentinnen" in Auftrag gegeben. Wir erwarten uns von diesem Gutachten zukunftsweisende Finanzierungsmodelle.
Meine Damen und Herren von der Regierung und der SPD, ich fordere Sie auf: Lassen Sie uns im Ausschuß Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung konstruktiv über neue finanzierbare Möglichkeiten der Ausbildungsförderung von Schülern und Schülerinnen, von Studenten und Studentinnen, Handwerkern und Handwerkerinnen diskutieren! Nehmen wir die zukünftige Generation ernst! Sie muß uns doch etwas wert sein. Sie ist es doch letztlich, die demnächst gesellschaftlich und hoffentlich auch politisch Verantwortung in diesem Land übernehmen wird.
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Das Wort hat der Kollege Guttmacher.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Bericht zur Ausbildungsförderung hat eine lange Vorgeschichte. Am 2. Februar 1994 verabschiedete das Bundeskabinett den vom zuständigen Bundesbildungsminister Ortleb vorzutragenden Entwurf eines 17. BAföG-Änderungsgesetzes,
({0})
der auf Grund der äußerst angespannten finanziellen Situation aber eine Anhebung der Freibeträge und Bedarfssätze bereits für das Jahr 1994 nicht ermöglichte. Trotz der Finanzsituation setzte sich am 4. Februar - also zwei Tage später - der neue Bundesbildungsminister Laermann massiv für eine Anhebung der Freibeträge und Bedarfssätze ein. Am 18. März forderte der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu dem Regierungsentwurf eine Anhebung der Freibeträge um 3 % im Herbst 1994 und um 3 % im Herbst 1995 bei gleichzeitiger Erhöhung der Bedarfssätze um 6 % noch für den Herbst 1994. Am 27. April 1994 verzeichnete der damalige Bundesbildungsminister Laermann den ersten Erfolg. Die Bundesregierung sprach sich in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates für eine Anhebung der Freibeträge um jeweils 2 im Herbst 1994 und 1995 aus und sagte gleichzeitig zu, 1995 eine Prüfung durchzuführen, um eine Anhebung der Bedarfssätze im Herbst 1995 vorzunehmen.
Am 16. Juni 1994 folgte der Deutsche Bundestag dem Votum der Bundesregierung und forderte ihn gleichzeitig auf, am 1. März 1995 über das Ergebnis der Prüfung zur Anhebung der Bedarfssätze zu berichten. Dieser Bericht liegt uns hier vor, über ihn haben wir heute hier zu befinden.
Die vom Bundestag beschlossene 17. BAföG-Novelle enthielt zahlreiche Leistungsverbesserungen. Die Freibeträge sollten nach diesem Gesetz um 2 jeweils im Herbst 1994 und 1995 erhöht werden. Durch die Erhöhung der Freibeträge sollte vermieden werden, daß Schüler und Studenten, deren Eltern mittlere Einkommen beziehen, zunehmend aus der BAföG-Förderung herausfallen. Zusätzlich war bereits in der vom Bundesrat abgelehnten 17. BAföG- Novelle vorgesehen, die Sozialpauschalen zu erhöhen. Dies wäre besonders im Hinblick auf die Einführung der Pflegeversicherung zum 1. Januar 1995 und der Anpassung der Krankenversicherung vonnöten gewesen. Ebenso war der Wegfall der Altersgrenze von 30 Jahren für Studierende, die nach einer beruflichen Ausbildung das Studium aufnehmen, beabsichtigt. Die Darlehensrückzahlung für Alleinerziehende sollte ebenso verbessert werden. Auch die Härteklausel, Frau Kollegin Brunn, stand bereits in dieser Novelle. Diese Leistungen konnten den Studenten durch die Entscheidung des Bundesrates für ein ganzes Jahr aber nicht angeboten werden.
Der finanzpolitische Handlungsspielraum ist aber auch gegenwärtig trotz einer besseren wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Jahr weiterhin außerordentlich eng begrenzt. Ausgehend von dieser Haushaltslage weist der vorliegende Bericht der Bundesregierung zur BAföG-Bedarfsanpassung eine Anhebung der Freibeträge und Bedarfssätze um jeweils 4 % für den Herbst 1995 aus.
Sehr begrüßt wird auch die Änderung der Härteverordnung zur Berücksichtigung der besonders in den neuen Bundesländern sehr rasch angestiegenen Kosten im Bereich des studentischen Wohnraums. Ebenso erweist es sich als vordringlich, die Anpassung der Sozialpauschalen, wie sie bereits im ersten Entwurf der 17. BAföG-Novelle standen, aufzunehmen.
Auch die Altersgrenze von 30 Jahren für Studierende, die nach einer beruflichen Ausbildung das Studium aufnehmen, sollte wegfallen, und es sollten die Rückzahlbedingungen für Alleinerziehende verbessert werden.
Die im BAföG derzeit vorgesehenen unterschiedlichen Berechnungszeiträume für das Einkommen der Eltern und der Ehegatten des Auszubildenden sollten, wie bisher in den alten Bundesländern praktiziert, auf das vorletzte Kalenderjahr, vor Beginn des Bewilligungszeitraums, auch für die BAföG-Empfänger der neuen Bundesländer angeglichen werden.
Der vorliegende Bericht der Bundesregierung erhält eine besondere Aufwertung, da neben der Leistungsanpassung ein struktureller Reformbedarf bei der Ausbildungsförderung berücksichtigt wird. Durch die Vielfalt der Studiengänge und der Uneinheitlichkeit der Festsetzung der Regelstudienzeiten durch die Länder ist die nach § 15 Abs. 4 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes erlassene Verordnung zur Regelung der Förderhöchstdauer für den Besuch von Hochschulen regelrecht aus dem Leim gegangen. Mit diesem Problem, meine Damen und Herren, haben sich die Kollegen vom Petitionsausschuß sehr zu beschäftigen.
Die F.D.P.-Fraktion begrüßt die Förderung von Absolventen einer Berufsakademie in Zusatzausbildungen. Bereits der Wissenschaftsrat hat angeregt, die Länder doch zu bitten, die Gleichwertigkeit der Ausbildungsabschlüsse von Berufsakademien und Fachhochschulen herzustellen. Wenn das so ist, dann kann durch eine Ergänzung des § 7 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes erreicht werden, daß auch die Absolventen von Berufsakademien ähnlich den Absolventen von Fachhochschulen ein Hochschulstudium aufnehmen können und dieses auch gefördert wird.
Bei einem Fachrichtungswechsel sollte die BAföG- Förderung in einem angemessenen Umfang davon abhängig gemacht werden, in welchem Semester der Wechsel erfolgt. Je früher der Fachrichtungswechsel erfolgt, umso länger sollte die Studienförderung gewährleistet werden.
Die Fraktion der F.D.P. setzt sich für die Gleichstellung der allgemeinbildenden und beruflichen Abschlüsse ein.
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Ebenso ist sie für eine verstärkte Öffnung der Hochschulen für beruflich Qualifizierte und für den Ausbau der Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung. Die berufliche und die akademische Ausbildung müssen gleichwertig differenziert und durchlässig sein. Aber hierin waren sich die Bildungspolitiker aller Fraktionen in der letzten Legislaturperiode ja schon einig.
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Zu Recht haben sich die Kammern und Verbände darüber beschwert, daß Studenten über viele Jahre vom Staat gefördert werden, Facharbeiter, die eine berufliche Erstausbildung gemacht haben und anschließend eine berufliche Aufstiegsförderung in Anspruch nehmen wollten, diese aber bei der Aufstiegsausbildung nicht erhalten haben.
Der anstehende Generationswechsel und die Entwicklung neuer Produktionslinien bei Fertigungen und Dienstleistungen erfordern eine hohe Zahl qualifizierter, innovativer sowie leistungs- und risikobereiter Nachwuchskräfte. Wirtschaftsminister Rexrodt hat im Rahmen der Formulierungen der Koalitionsvereinbarungen immer wieder darauf hingewiesen, daß derzeitig ein geeignetes Förderinstrument fehlt, durch das die Herausbildung künftiger Meister, Techniker und anderer mittlerer Führungskräfte stärker unterstützt werden kann.
Es ist gut und richtig, daß der Bericht der Bundesregierung die Förderung der Aufstiegsfortbildung aufgenommen hat. Die Absicht der Bundesregierung, die gesetzliche Regelung in der Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung in einem gesonderten Bundesgesetz vorzuschlagen, wird seitens meiner Fraktion ausdrücklich begrüßt.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat die Kollegin Böttcher.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! In beeindruckender Regelmäßigkeit werden in diesem Hause Fragen des sogenannten Familienlastenausgleichs debattiert, zu denen auch BAföG-Leistungen gerechnet werden. Das Bundesausbildungsförderungsgesetz geht von dem Grundsatz aus, daß ein Rechtsanspruch auf individuelle Ausbildungsförderung für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung besteht, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen.
Den Exkurs in die Vergangenheit spare ich mir. Aber Zukunft muß vom Ist-Stand ausgehen. Wie ist es nun um diesen hohen Anspruch im § 1 des Gesetzes nach den Null- bzw. Minusrunden in der Leistungsanpassung der letzten Jahre bestellt? Kann das Bundesausbildungsförderungsgesetz in der Form, wie es vorliegt, bzw. auch unter Einbeziehung
der Änderungsvorschläge aus dem Zukunftsministerium noch seinen Beitrag zum Abbau der sozialen Chancenungleichheit im Bildungswesen leisten? Sind Studierende und Ausbildungswillige aus den einkommensschwächeren Schichten die richtigen Adressaten für die von Bundesminister Rüttgers in seinem jüngsten Bericht wiederum beschworene strikte Ausgabendisziplin und die Konsolidierungspolitik mit der Fortgeltung des Haushaltsmoratoriums für die gesamte 13. Legislaturperiode?
Wir vertreten die Auffassung, daß die von der Bundesregierung offerierten Steigerungen um 4 % bei den Bedarfssätzen und Freibeträgen zum Herbst 1995 einmal mehr beredtes Zeugnis für eine unsoziale und menschenverachtende sogenannte Sparpolitik ablegen. Damit werden die Null- bzw. Minusrunden in der Leistungsanpassung der letzten Jahre festgeschrieben. Die Schere zwischen gestiegenen Lebenshaltungskosten und sozialer Absicherung bedürftiger Studierender öffnet sich weiter. Der soziale Numerus clausus wird zur immer entscheidenderen Voraussetzung des Hochschulzugangs.
Damit nicht genug: Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll das BAföG über zusätzliche und eingeschränkte Förderung nach dem Fachrichtungswechsel bzw. bei Zweitstudien zum Instrument einer längst überfälligen Studienstrukturreform gemacht werden. Ein solches Herangehen geht an den Realitäten vorbei und wieder zu Lasten derjenigen, denen mit dem BAföG zu gleichen Chancen verholfen werden soll.
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Nach Gründen für ein zweites Studium, einen Fachrichtungswechsel oder übermäßig lange Studienzeiten wird nicht oder nur sehr wenig gefragt. Wie hängen z. B. lange Orientierungsphasen zu Beginn des Studiums mit langandauernder Wohnungssuche, überfüllten Hörsälen, Problemen der Stundenplangestaltung und Anpassung des Leistungsniveaus von Schule und Universität zusammen? Gibt es außer den im Bericht der Bundesregierung angeführten möglichen Gründen für einen Fachrichtungswechsel - mangelnde intellektuelle, psychische und körperliche Eignung, Neigungs- oder Weltanschauungswandel - vielleicht noch andere, schwerwiegendere Gründe wie etwa die Lage auf dem Arbeitsmarkt?
Wie verträgt sich die Einschränkung der Förderung von Zweitstudien mit den Anforderungen an Hochschulabsolventinnen und -absolventen nach Vielseitigkeit und Flexibilität im beruflichen Einsatz? In diesem Zusammenhang sind auch die Gründe, für hohe Studienabbrecherquoten genauer zu hinterfragen und zumindest auch deren Ursachen im sozialen Bereich in die Analysen einzubeziehen, wenn neue administrative Regelungen wirklich greifen sollen.
Jede Politik, die von den Studierenden kürzere Studienzeiten verlangt, ohne die dafür erforderlichen Studienbedingungen zu schaffen, bleibt unglaubwürdig. Wie aus der jüngsten Auswertung der Absolventenstatistik des Wissenschaftsrates hervorgeht, schafft nur jeder zehnte Student an einer Universität in den westlichen Ländern den Abschluß in der vorgegebenen Regelstudienzeit von neun bis zehn Semestern. In Psychologie und Elektrotechnik werden nur 4 %, in Geographie nur 3 % aller Absolventen in der Planzeit fertig. Als Gründe für die Studienzeitüberschreitungen werden vor allem eine inhaltliche Überfrachtung der Lehrpläne, aber ebenso mangelnde materielle Absicherung der Studenten angegeben. Bei der Mehrzahl der Universitätsfächer dauert das Studium heute im Durchschnitt zwischen zwölf und 13 Semestern.
Selbstverständlich unterstützen wir die Orientierung auf ein zielgerichtetes und zügiges Studium, was allerdings angesichts der strukturellen Probleme an den Hochschulen, die keinesfalls durch etwaige BAföG-Regelungen zu beheben sind, auf absehbare Zeit nicht möglich ist.
Probleme der Ausbildungsförderung, bei denen unseres Erachtens dringender Handlungsbedarf besteht, sind neben der umgehenden Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge die Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern in die BAföG-Förderung, die Entbürokratisierung der Leistungsgewährung und die Umstellung von Darlehen auf Vollzuschuß.
Gestatten Sie mir zum letzten Punkt noch eine kurze Bemerkung. Insbesondere die BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger der 80er Jahre - meine Kollegin aus der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das bereits angesprochen - beginnen ihr Berufsleben mit einem beträchtlichen Schuldenberg. Abgesehen von der Ungleichbehandlung auf Grund unterschiedlicher Darlehensregelungen ist angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit von Hochschulabsolventinnen und -absolventen die angehäufte BAföG-Schuld ein großes Problem. Hier muß unbedingt Abhilfe geschaffen werden, sowohl durch entsprechende Regelungen bei der BAföG-Gewährung als auch durch Regelungen bei der Rückzahlung von BAföG-Darlehen. In allen diesen Fragen gilt unsere volle Zustimmung dem Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Im übrigen möchte ich hier nochmals die weitergehende Forderung unserer Partei des Demokratischen Sozialismus nach einer sozialen Grundsicherung aller Studierenden unabhängig vom Elterneinkommen bekräftigen.
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Im europäischen Vergleich ist Deutschland das Land mit der längsten Unterhaltsverpflichtung seitens der Eltern, nämlich bis zum Alter von 27 Jahren. Insofern ist über grundlegende Reformen der staatlichen Transferleistungen und ihre unmittelbare Bindung an den begünstigten Personenkreis nachzudenken, was jedoch den Rahmen der Novellierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes übersteigt. Bis dahin sind noch sehr viele Schritte nötig, aber, wie ich meine, bedeutend größere.
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Das Wort hat der Kollege Rixe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Rüttgers, Zukunft ja. Aber wir werden Sie, bevor ich gleich zur Zukunft komme, aus der Vergangenheit natürlich nicht entlassen,
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weil ich persönlich der Meinung bin, daß Zukunft auch immer etwas mit Vergangenheit zu tun hat. Damit sind wir bei der Aufstiegsförderung. Deswegen stehe ich hier. Da haben Sie nun erst einmal eine Rolle rückwärts gemacht. Jetzt versuchen Sie, die Rolle vorwärts zu machen. Nach außen hin aber verkauft die Bundesregierung dies als dreifachen Salto nach vorne,
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als großen Schritt auf dem Wege zur Gleichwertigkeit der verschiedenen Ausbildungswege. Mit großen Worten eingeleitet, täuscht dieser Teil des Berichts der Bundesregierung doch über Tatsachen hinweg.
Die erste Täuschung besteht darin, daß durch dies en Gesetzesvorschlag ein Zustand wiederhergestellt werden soll, der in ähnlicher Weise bis Ende 1993 im Arbeitsförderungsgesetz geregelt war. Die jetzt hier vorgelegten Vorschläge der Bundesregierung zur Förderung der Aufstiegsfortbildung können also nicht als Erfolg verkauft werden. Ich sage das einmal so deutlich.
In dem Bericht ist zu lesen - ich zitiere -:
Derzeit fehlt ein geeignetes Förderungsinstrument, durch das die Heranbildung künftiger Meister, Techniker und anderer mittlerer Führungskräfte stärker unterstützt werden kann.
Diese Feststellung ist zwar richtig, und die Notwendigkeit einer individuellen Förderung bei der Aufstiegsfortbildung ist auch unbestritten, es muß aber doch ganz deutlich gesagt werden: Diese Bundesregierung hat Ende 1993 die AFG-Förderung mutwillig zerschlagen. Sie war weg.
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Die SPD-Bundestagsfraktion hatte zuvor vehement dagegen gekämpft, daß diese Förderung von einem vollen Zuschuß auf eine Darlehensregelung umgestellt werden sollte.
Die zweite Täuschung - zugleich eine Enttäuschung - besteht darin, daß diese Vorschläge zur Förderung der Aufstiegsfortbildung unter dem Stichwort der Gleichwertigkeit von schulischer, akademischer und beruflicher Bildung abgefeiert werden soll, obwohl mit diesen Vorschlägen dazu nichts Neues organisiert wird. Dieses ist also eine Art von Etikettenschwindel.
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Gleichwertigkeit bedeutet doch zweierlei: Für die im Beruf Qualifizierten muß es erstens genauso einen Zugang zur weiterführenden Bildung geben wie für diejenigen mit allgemeinbildenden Abschlüssen. Das heißt: Eine Öffnung der Hochschule muß endlich bundesweit - und in der ganzen EG - erreicht werden.
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- Klatschen Sie nicht zu früh!
Eine Zwischenbemerkung: Ich habe mit Freude im Jahreswirtschaftsbericht auf Seite 28 gelesen, daß die Bundesregierung jetzt auch für den Hochschulzugang eine bundeseinheitliche Regelung für erforderlich hält. Das steht da wortwörtlich. Ich war ganz erstaunt.
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Wir haben das im letzten Jahr bereits gefordert.
Unser Gesetzentwurf - deswegen sagte ich vorhin „Vergangenheit"; der ist nämlich erst ein Dreivierteljahr alt - ist damals mit dem Argument abgelehnt worden, dieses sollten die Länder regeln. Wenn die Aussage der Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht ernst gemeint ist, dann müßten Sie jetzt unserem Gesetzentwurf die Zustimmung geben. Wir überlegen uns, den gleichen Gesetzentwurf hier demnächst ins Hohe Haus einzubringen.
Zweitens bedeutet Gleichwertigkeit, daß auch während der beruflichen Tätigkeit die beruflich Qualifizierten den von der Hochschule kommenden Absolventen gleichgestellt sein müssen. Man muß sich doch um den betrieblichen Aufstieg kümmern und die damit verbundenen Einkommenschancen auch als Anreiz sehen und zu verbessern suchen. Warum sonst sollten die Leute eine Qualifizierung machen, wenn nicht entsprechende berufliche Aussichten bestehen?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir die Vorschläge der Bundesregierung zur Aufstiegsfortbildung nicht mit so großen Vokabeln versehen und Erwartungen damit verknüpfen, die hiermit überhaupt nichts zu tun haben, dann verbinden wir damit eine Hoffnung: Wie können wir gemeinsam für den in Frage kommenden Personenkreis etwas erreichen? Dazu müssen aber in der weiteren Diskussion noch viele Unklarheiten beseitigt werden - da sind wir uns fast einig; diese Unklarheiten müssen wir in der Tat beseitigen -, von denen ich jetzt die wesentlichsten Probleme benennen will.
Erstens. Da ist zunächst die immer wieder in den Raum gestellte Formulierung, daß die nach diesem Gesetz vorgeschlagene Förderung analog dem BAföG organisiert werden sollte. Nun hat der Minister letzte Woche in der Regierungsbefragung ja schon gesagt, daß ein Unterschied zum BAföG sein wird, daß dieses Gesetz vom Bund allein finanziert werden soll.
Herr Rüttgers hat weiter gesagt, daß bei der Finanzierung ja doch der ganze Haushalt zu sehen sei und insofern aus einer Einigung und SPD-Zustimmung bei der Kohleförderung, beim Jahressteuergesetz und bei der Gewerbesteuerreform auch notwendige Finanzmittel zu erzielen wären.
Es ist ja gut, Herr Minister, wenn Sie glauben, daß Sie ohne uns dieses gar nicht finanziert bekommen.
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Aber den von Ihnen angedeuteten Weg werden wir so nicht mitmachen. Sie sollten dem Kanzler statt dessen empfehlen, Steuerausfälle auf Grund herabgesetzter Spitzensteuersätze wieder hereinzuholen. Dann haben wir das Geld.
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Im übrigen werden wir auch keiner Finanzierung in Ihrem Hause zustimmen, die zu Lasten des BAföG-Topfes oder zu Lasten anderer Titel im Haushalt Bildung und Forschung geht. Das werden wir nicht mitmachen. Das Geld für das neue Gesetz muß schon woanders weggenommen werden.
Zweitens. Bei der Bemessung des individuellen Bedarfs sind die besonderen Lebenssituationen der Teilnehmer zu berücksichtigen, die völlig anders sind als die der BAföG-Empfänger. Die Teilnehmer sind häufig älter als Studierende und haben vielfach eine Familie zu ernähren, Miete zu zahlen und vielerlei sonstiger Verpflichtungen. Bei den vorliegenden Vorschlägen ist noch völlig offen, wie dieser Bedarf bemessen werden soll. Man darf auf die Regierungsvorschläge gespannt sein.
Angesichts der Tatsache, daß jetzt über ein Jahr lang eine Meisterförderung nur sehr eingeschränkt über das Darlehensprogramm aus Mitteln des Bundeswirtschaftsministeriums stattgefunden hat, gibt es eine Meisterlücke. Darüber wird schon diskutiert. Da ist die Frage: Wie hoch ist denn der Anspruch? - Da haben Sie, Herr Minister, gesagt, daß Sie von ungefähr 90 000 Förderfällen ausgehen. Ich wage zu behaupten, daß die Zahl höher sein wird, weil das 1994 nur sehr wenige in Anspruch genommen haben.
Drittens. Es muß viel stärker berücksichtigt werden, daß die Qualifizierung sowohl in Vollzeit- wie in Teilzeitmaßnahmen durchgeführt wird, für die erhebliche Maßnahmekosten anfallen. Häufig erhalten die Teilnehmer auch Zuschüsse von ihren Arbeitgebern zu den Kursgebühren. Das müssen wir alles berücksichtigen. Die Absolventen von Teilzeitmaßnahmen arbeiten nebenher, und es stellt sich die Frage, wie ihnen dabei Erleichterung, aber auch Arbeitsplatzsicherung verschafft werden kann; denn nicht alle, die von diesen Maßnahmen erfaßt werden, sind Meistersöhne und kehren automatisch wieder in den Handwerksbetrieb ihres Vaters zurück.
Viertens. Zu der BAföG-ähnlichen Gestaltung dieses Gesetzes gibt es einen weiteren diskussionswürdigen Punkt: Die Durchführung der Förderung soll nach den Vorstellungen der Regierung als Bundesauftragsangelegenheit Sache der Länder werden. Ich frage: Wollen Sie etwa neue Verwaltungsstellen für diese Aufgaben schaffen, wo doch immer von
Einsparungen im Personalbereich die Rede ist? Oder haben Sie etwa die Absicht, die Vergabe der Gelder aus dem staatlichen Bereich heraus in private Hände übergehen zu lassen? Das würde erheblichen Widerstand von unserer Seite zur Folge haben.
Warum nehmen Sie nicht die bestehenden Strukturen, die bereits früher die Meisterförderung organisiert haben? - Die Arbeitsverwaltung als durchführende Stelle bietet zudem die Möglichkeit, daß auf Entwicklungen schneller reagiert werden kann als bei anderen Verfahren. Wir sind hier nicht festgelegt, aber diskutieren wollen wir es mit Ihnen, Herr Minister, mit den Ländern, mit der Wirtschaft und mit den Gewerkschaften. Nach der Anhörung werden wir unsere Meinung dazu sagen.
Fünftens. Eine wichtige Diskussion wird sich mit der Frage befassen müssen, ob dieses Gesetz nicht eine Verschiebung in der Angebotsstruktur hin zu den Vollzeitmaßnahmen bewirkt. Durch die Subventionierung durch den Staat könnte sich auch eine Verlagerung bisher betrieblicher Förderung auf den Staat ergeben. Ob dies bildungs- und finanzpolitisch wünschenswert ist, muß sorgfältig geprüft werden. Ich denke, das werden wir machen.
Die Notwendigkeit einer individuellen Förderung zur beruflichen Aufstiegsfortbildung ist unbestritten. Wir haben das immer gesagt. Dankenswerterweise haben auch die Kammern im letzten Jahr erheblichen Druck auf die Bundesregierung ausgeübt, so daß diese ihre eigene Fehlentscheidung aus dem Jahre 1993 korrigieren mußte.
Die SPD wird im Bundestag wie auch im Bundesrat die Pläne der Bundesregierung zur Förderung der Aufstiegsfortbildung genau prüfen, zugleich aber auch auf beschleunigte Verwirklichung drängen. Wir werden auch an diesem Gesetzentwurf mitarbeiten. Deshalb begrüßen wir es, daß die Bundesregierung, nachdem zu Jahresbeginn noch sehr viel Dunkel in dieser Sache herrschte, nun endlich ihre Vorstellungen etwas konkretisiert hat. Wir können jetzt etwas damit anfangen, auch wenn es noch nicht ausreicht. Dies macht eine Auseinandersetzung in der Sache selbst und im Interesse der an weiterführender Bildung und beruflichem Aufstieg interessierten jungen Menschen möglich.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat der Kollege Roland Richwien.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die gegenwärtige Situation auf dem Bildungssektor ist uns bekannt. Es ist ein deutlicher Run auf die Hochschulen zu verzeichnen. Während nämlich 1960 ca. 6 % eines Jahrgangs das Abitur machten, waren es 1993, gesamtdeutsch gesehen, fast 35 %. Das heißt, es läßt sich nicht mehr
wegdiskutieren: Die deutschen Hochschulen sind nicht nur nach meiner Meinung überlastet.
Im Gegensatz dazu fehlt den mittelständischen und kleinen Unternehmen, auf deren Leistungsfähigkeit unsere Wirtschaft unstrittig angewiesen ist, der qualifizierte Nachwuchs. Ebenso gibt es Nachwuchsbedarf an mittleren Führungskräften im Gesundheitswesen sowie im sozialpflegerischen, sozialpädagogischen Bereich. Die ernsthafte Beschäftigung mit der Frage, wie mit dieser sich abzeichnenden Disproportion umzugehen ist, ist unumgänglich.
Die Bundesregierung spricht sich mehr als je zuvor für die Gleichwertigkeit von schulischer, beruflicher, akademischer Bildung aus. Das findet seine konkrete Bestimmung im vorgelegten Konzept über die Perspektiven zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung und zur Anpassung der BAföG- Sätze.
Es ist damit zu rechnen, daß in den nächsten Jahren über 200 000 Handwerksunternehmer aus dem aktiven Berufsleben ausscheiden. Das heißt, viele Meisterbetriebe sind an einen qualifizierten Nachfolger zu übergeben. Die derzeitige Situation ist aber, daß viele fähige Facharbeiter aus Kostengründen vor den Meisterprüfungen zurückschrecken, da Meisterschüler Kurs- und Prüfungsgebühren selbst tragen müssen.
Im Gegensatz dazu werden an deutschen Hochschulen in der Regel keine Studiengebühren erhoben; die Kosten werden aus allgemeinen Steueraufkommen getragen. Studenten können darüber hinaus die Länge eines Studiums und damit die Inanspruchnahme der öffentlichen Leistungen relativ frei gestalten. Das bedeutet letztlich: Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung ist augenblicklich kaum gegeben.
Handlungsbedarf in dieser Richtung signalisieren auch die neuen Länder. Beispielsweise verlangte der Thüringer Handwerkstag von der Landesregierung u. a. die Förderung einer Bildungsstätte des Handwerks und ein spezielles Programm für junge Handwerksmeister, die innerhalb von zwei Jahren nach der Meisterprüfung einen Betrieb gründen. Der Run auf eine solche Bildungsstätte und auch der Ruf danach ist berechtigt, da in den neuen Bundesländern eine Notsituation vorlag. Der auszubildende Mittelstand fehlte völlig, und die Großbetriebe waren nicht konkurrenzfähig. Deutschland ist aber auf leistungsfähige kleine und mittlere Unternehmen in besonderer Weise angewiesen.
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Für die Bundesregierung steht in den nächsten Jahren die mittelständische Industrie im Vordergrund. Diese Unternehmen sind das Rückgrat der Wirtschaft in der Gemeinschaft. Sie stellen rund zwei Drittel der Arbeitsplätze und konnten in den letzten Jahren höhere Umsatzzuwächse verzeichnen als Großunternehmen. Fast fünf Jahre nach der Vollendung der deutschen Einheit hat sich der Mittelstand als potentieller Garant des Aufschwungs in den neuen Bundesländern erwiesen. Die Brüche in dem Bestand des übernommenen Wirtschaftssystems der neuen Länder waren dramatischer als jede Vorhersage. Die Reduzierung der Industrieproduktion auf kümmerliche Reste und einsame Neuanfänge ist heute der Hauptgrund für eine gesunde Mittelstandsentwicklung der Partner.
Sie hatten recht: Seit 1994 werden Gesellen im Handwerk, die sich auf die Meisterprüfung vorbereiten, nicht mehr nach dem Arbeitsförderungsgesetz unterstützt. Der kontinuierliche Rückgang der Förderung der vergangenen Jahre hat zu einer schwierigen und unbefriedigenden Situation bei der Finanzierung der Fortbildung zum Handwerksmeister geführt. Die Meisterprüfung ist die Basis für Existenzgründungen im Handwerk und wichtiger Bestandteil der beruflichen Qualifikation. Ein Rückgang der Zahl absolvierter Meisterprüfungen wird sich langfristig auf den Bestand mittelständischer Handwerksunternehmen und auf das berufliche Bildungsniveau insgesamt ungünstig auswirken.
Angesichts hoher Aufwendungen für die Ausbildung verwundert es nicht, daß heute fast ein Viertel aller Meisterschüler die Ausbildung durch Kredit finanziert und mit erheblichen Schulden in das Berufsleben startet. Für Existenzgründer steht dann eine neue Kreditaufnahme auf dem Programm. Hilfsmaßnahmen der Bundesländer, die bereits eingeleitet wurden, lösten das Problem bis heute nicht.
Die Förderung der Ausbildung von mittleren Führungskräften vor allem im sozialpädagogischen Bereich wäre gerade für die neuen Bundesländer ein wichtiger Schritt, da es bisher keine vergleichbare Ausbildung gegeben hat. Das Defizit an solchen Fachkräften wird derzeit über sogenannte Seiteneinsteiger reguliert. Das heißt, entsprechende Stellen sind von nicht ausreichend dafür ausgebildeten ehemaligen Lehrern, Erziehern usw. besetzt, die einer dringenden Fachausbildung bedürfen. Notwendige Fortbildungen bleiben leider noch oft dem Zufall überlassen. Das derzeit noch fehlende Förderinstrument soll im Sinne einer Gleichbehandlung - ähnlich wie beim Studenten-BAföG: zum Teil als Zuschuß, zum Teil als Darlehen - einkommens- und vermögensabhängig ausgestaltet werden.
Bei den bisher BAföG-Berechtigten führte das Ausbleiben der Anpassung der Bedarfssätze seit 1993 auf Grund der schwierigen Finanzsituation von Bund, Ländern und Gemeinden zu einer Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Situation.
Hinzu kamen natürlich noch Sonderprobleme in den neuen Ländern. Trotz eines insgesamt - im Vergleich zu den alten Ländern - niedrigen allgemeinen Mietenniveaus sind die Kosten für studentischen Wohnraum dort vielfach ebenso hoch wie im Westen. Der zur Deckung des Wohnbedarfs ausgewiesene Anteil des Bedarfssatzes ist dagegen niedriger als in den alten Ländern. Das hängt damit zusammen, daß die entsprechende Infrastruktur in den neuen Ländern mit dem plötzlichen Ansturm auf die dortigen Universitäten nicht mitgewachsen ist. Wohnheimplätze fehlen, Zimmer oder Wohnungen für studentische Wohngemeinschaften sind kaum noch zu bekommen bzw. auf Grund des Mangels schwer bezahlbar. Außerdem wirkt sich das geltende FördeRoland Richwien
rungsrecht auf in West-Berlin wohnende Auszubildende, die eine Ausbildungstätte in Ost-Berlin besuchen und für die dieselben Bedarfssätze anzuwenden sind, nachteilig aus.
Auf Grund des Prüfungsergebnisses zur wirtschaftlichen Situation der BAföG-Empfänger und der erneuten Prüfung der finanzwirtschaftlichen Entwicklung streben wir eine Anhebung der Bedarfssätze sowie eine Änderung der Härteverordnung zur Berücksichtigung besonderer Entwicklungen in den neuen Bundesländern an. Aus unserer Sicht ist bei der Ausbildungsförderung ein genereller Reformbedarf vorhanden, damit gemeinsam mit den Ländern eine Reform des Hochschulwesens aus einem Guß möglich gemacht wird. Der zur Regelung der Förderungshöchstdauer für den Besuch der Höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen erlassene § 15 Abs. 4 BAföG hat wegen der Vielfalt der Studiengänge und der Uneinheitlichkeit der Festsetzung der Regelstudienzeiten durch die Länder ein Maß an Differenzierung erreicht, das nur noch durch eine strukturelle Änderung überwunden werden kann.
Nicht zu unterschätzen ist sicher auch die Tatsache, daß der finanzpolitische Spielraum trotz der günstigen Wirtschaftsentwicklung weiterhin begrenzt ist; deshalb der Vorschlag, Universitätsstudiengänge künftig generell neun Semester, Fachhochschulstudiengänge acht Semester zu fördern. Auch das bedeutet natürlich einen wichtigen Schritt in Richtung der notwendigen Verkürzung der Studienzeit und stellt ebenso eine Form von Leistungsorientierung dar.
({1})
Vielleicht noch ein paar Worte zu Einschränkungen der Förderung von Studierenden, die einen Fachrichtungswechsel vorgenommen haben oder die ein Zweitstudium absolvieren: Dazu muß man bedenken, daß das BAföG bei seinem Inkrafttreten darauf ausgerichtet war, Förderungen in erster Linie für eine planvoll angelegte und zielstrebig durchgeführte Ausbildung bis zu einem berufsqualifizierenden wissenschaftlichen Abschluß zu leisten. Die Förderung einer weiteren Ausbildung soll auf Ausnahmen beschränkt bleiben. Diesem ursprünglichen Gedanken sollte in der Zukunft Rechnung getragen werden.
Bisher wird Ausbildungsförderung für eine andere Ausbildung nur geleistet, wenn der Auszubildende die Fachrichtung aus wichtigem Grund gewechselt hat. Als solche Gründe werden z. B. mangelnde intellektuelle, psychische oder körperliche Eignung für die Berufsausbildung oder -ausübung, ein Neigungswechsel von schwerwiegender Art oder ein Wandel der Weltanschauung bei weltanschaulich gebundenen Berufen angesehen. Nach einer Studie des Deutschen Studentenwerkes ist die Quote der Studienwechsler erheblich und zeigt noch zunehmende Tendenz.
Um den sinnvollen Einsatz der Fördermittel zu sichern, muß darauf hingewirkt werden, daß der Fachrichtungswechsel möglichst frühzeitig erfolgt. Hier kommt der Studienberatung nach meiner Meinung eine hohe Verantwortung zu.
({2})
Es wird vorgeschlagen, das Ergebnis der Studienberatung zur Entscheidung über die Förderung heranzuziehen. Ebenso ist daran gedacht, den Rechtsanspruch auf Förderung von Ergänzungs-, Aufbau- und Zusatzstudium aufzugeben, aber bei der Graduierten- oder Stipendienregelung zu berücksichtigen. Die Förderung von Ergänzungs-, Aufbau- und Zusatzstudium nicht ganz aufzugeben ist insofern sinnvoll, als dies dem künftigen Akademiker ermöglicht, auf die ständig wechselnden Arbeitsmarktanforderungen flexibel zu reagieren. Hier liegt sicher ein sehr sensibler Bereich vor. Weiter liegt durch Graduierten- und Stipendienregelung ein Leistungsanreiz für die Studierenden vor.
In den vergangenen Jahren sind zunehmend Berufsakademien eingerichtet worden, deren Abschlüsse durch Landesrecht den Abschlüssen der Fachhochschulen gleichstehen, was bedeutet, daß deren Absolventen zu einem weiterführenden Hochschulstudium zugelassen sind. Von ihnen wird daher auch aus unserer Sicht zu Recht als unbillig empfunden, daß diese weiterführende Ausbildung bei ihnen nicht unter denselben Voraussetzungen wie bei Fachhochschulabsolventen gefördert wird.
Abschließend: Das ganze Programm könnte nach meiner Meinung letztlich z. B. bewirken, die gegenwärtige Entwicklung zu Massenuniversitäten aufzuhalten. Eine Massenuniversität kann eigentlich fast nur noch Mittelmaß produzieren.
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Qualität und Individualität bleiben zwangsläufig auf der Strecke, was sich wiederum bremsend auf die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft und der Wissenschaft auswirkt. Für leistungsfähige Jugendliche müssen wir weiter attraktive Qualifikations- und Beschäftigungschancen eröffnen. Das könnte der Modellversuch zur Zusatzqualifizierung bei der beruflichen Bildung unbedingt leisten.
({4})
Es ist daher an alle politisch Verantwortlichen zu appellieren, dem vorgesehenen Gesetzentwurf im Bundestag und Bundesrat ihre Zustimmung nicht zu verweigern.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Odendahl.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Der Anlaß unserer heutigen Debatte, die 17. BAföG-Novelle, zu der von der SPD schon im vergangenen Jahr Anträge im Bundestag und im Bundesrat eingebracht wurden, hat - Herr Kollege Guttmacher, das stimmt wirklich - eine unendliche Geschichte.
Für die Bundesregierung ist sie kein Ruhmesblatt, und ich verstehe gut, Herr Rüttgers, daß Sie so eine Vergangenheit möglichst schnell verdrängen wollen.
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Es geht um die längst fällige Anhebung der Freibeträge und Bedarfssätze und um weitere notwendige Leistungsverbesserungen für die Studierenden. Die Notwendigkeit ist von allen Seiten unbestritten; das Gesetzgebungsverfahren ist hängengeblieben, warum auch immer; Schuldzuweisungen helfen den Studierenden nicht weiter. Deshalb gleich zur Sache:
Tatsache ist, daß der Kompromißvorschlag des Vermittlungsausschusses von der Regierungskoalition abgelehnt wurde. Tatsache ist auch, daß deshalb den bedürftigen Studierenden und auswärts wohnenden Schülerinnen und Schülern die Erhöhung zum Herbst 1994 versagt wurde.
Koalition und Bundesregierung haben die Aufsetzung des Bundesratsantrages und des SPD-Gesetzentwurfs seit Herbst 1994 verhindert. Sie haben doch geblockt, meine Damen und Herren. Sie haben damit Fakten geschaffen, die wiederum zum Nachteil der Betroffenen wirken. Die rückwirkende Erhöhung zum Herbst 1994 ist nunmehr wegen Abschluß des Haushaltsjahres nicht mehr möglich. Das haben Sie gewollt. - Soviel zum Thema „Ruhmesblatt".
({1})
Gleichwohl - und auch so von dieser Bundesregierung in der Vergangenheit praktiziert -, ist immerhin noch eine rückwirkende Anpassung wenigstens zum Januar 1995 möglich und geboten sowie finanzpolitisch vertretbar. Es geht um eine Anhebung - Sie wollten es ja hören, Herr Minister Rüttgers - der Bedarfssätze und der Freibeträge um 4 %, so lautet unser Antrag, um Leistungsverbesserungen für ostdeutsche Studierende im Rahmen der Härteverordnung, um eine Regelung für Ost- und West-Berliner Studenten und um das Berechnungsjahr für die Einkommensanrechnung sowie sonstige Verbesserungen im Bereich der Sozialpauschale, der Pflegeversicherung usw.
({2})
- Alles drin. Es ist in unserem Antrag drin; Sie haben es dann ganz leicht.
Alle diese Punkte wurden im Kompromißvorschlag des Vermittlungsausschusses aufgenommen. Deshalb hat wahrscheinlich der Herr Minister Rüttgers, als er noch Geschäftsführer war, damals zugestimmt. Die SPD hat dazu ihren Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht; der Bundesrat hat die Punkte ebenfalls in einem eigenen Antrag formuliert.
Die Anpassung sollte schon deshalb rückwirkend zum 1. Januar 1995 erfolgen, weil dabei auch sichergestellt sein muß, daß die nächste turnusmäßige Anpassung zum Herbst 1996 und nicht, wie nun offenbar durch die ganze Verzögerungstaktik vorgesehen, erst 1997 zu erfolgen hat. Sie sollten es gar nicht erst mit solchen Tricks versuchen.
Es ist auf Dauer keine praktikable und für die Betroffenen auch keine zumutbare Lösung, solche turnusmäßigen Anpassungen immer wieder einem Vermittlungsverfahren auszusetzen.
({3})
Nachdem in diesem Bereich schon einmal ein Kompromiß gefunden wurde, möchte ich die Bundesregierung ganz nachdrücklich vor einem erneuten Vermittlungsverfahren warnen. Es ist von uns nicht gewollt, und die Möglichkeit, es zu verhindern, haben Sie.
({4})
Eine mehr als durchsichtige Begründung für die schleppende Behandlung unseres Gesetzentwurfs war der Verweis der Bundesregierung auf den nun auf Drucksache 13/735 vorliegenden BAföG-Bericht. Wer sich dabei Hoffnungen gemacht hatte, in diesem Bericht seien nun die notwendigen Konsequenzen endlich aufgezeigt, sah sich mehr als enttäuscht. Der Bericht drückt sich nämlich um die notwendigen Kernaussagen. Es ist ja angesichts der Vorgeschichte schon fast Satire, ihm entnehmen zu dürfen, daß die Bundesregierung „rechtzeitig" Vorschläge zur BAföG-Anpassung und zu einer weiteren Reform des BAföG vorlegen wird. Schön, daß Sie da sind, Herr Minister Rüttgers: Bitte, was ist denn nun „rechtzeitig"? Wir würden es gerne hören.
Die Äußerungen, die Sie bei der Befragung der Bundesregierung in der vergangenen Woche getan haben, nachdem es einen genauso vagen Kabinettsbeschluß gegeben hat, waren recht sibyllinisch. Sie konnten oder wollten weder genaue Zahlen noch einen ganz genauen Zeitpunkt nennen. Angepeilt wird - das haben Sie vorhin gesagt - der 1. Oktober 1995. Ich kann mir ja gut vorstellen, daß es bei den Verhandlungen mit dem Finanzminister kostengünstiger wird, das Jahr 1995 nur noch aus drei Monaten bestehen zu lassen.
Ganz abgesehen davon bestehen genauso unklare Vorstellungen zur Finanzierung der Aufstiegsfortbildung. Auch da sind wir schon ganz gespannt.
Für die Studierenden auf jeden Fall ist dies nicht zumutbar: das Jahr 1994 weggedrückt, das Jahr 1995 auf drei Monate reduziert. Verzeihen Sie die harte Formulierung, Herr Präsident: Das ist Beschiß.
({5})
Die 14. Sozialerhebung, die die eigentliche Grundlage des BAföG-Berichts sein müßte, wurde erst gar nicht eingearbeitet. Es drängt sich der Verdacht auf,
daß sich die Bundesregierung davor gescheut hat, weil die Kluft zwischen den ermittelten Fakten und den aufgezeig ten Konsequenzen ganz offensichtlich zu groß geworden wäre.
Ausgelassen wurde im Bericht der Bundesregierung auch die Frage des zweiten Studienstandsnachweises. Wenn Sie denn zu der Ansicht gekommen sein sollten, daß dieser bei der derzeitigen Situation der Hochschulen weder hilfreich noch praktikabel ist, wäre es eine späte, aber richtige Erkenntnis - mein Kompliment, Herr Minister.
Nachdem Sie den Reformbedarf beim BAföG ausdrücklich bestätigen, möchte ich Ihnen für die SPD-Fraktion gern zusichern, daß wir dazu unsere Vorschläge einbringen werden. Für die SPD ist und bleibt das BAföG ein Sozialleistungsgesetz, das nicht zur Steuerung des Hochschulzugangs und der Studiendauer mißbraucht werden darf.
({6})
Wir gehen davon aus, daß alle Regelungen zur sozialen Sicherung der Studierenden in einem Zusammenhang mit Neuregelungen der Schülerförderung und der Förderung der Berufsbildung außerhalb der Hochschulen gesehen werden müssen. Daran besteht gar kein Zweifel. Wir warten gespannt auf die konkreten Vorschläge der Bundesregierung. Wir werden dazu unsere eigenen Vorstellungen einbringen und halten eine sorgfältige Beratung und auch entsprechende Expertenanhörungen für notwendig. Das werden wir tun müssen.
({7})
- Das müssen Sie doch machen. Sie hatten ja die Idee.
({8})
Ebenfalls geprüft werden muß, ob in der 17., spätestens jedoch in einer 18. BAföG-Novelle die volle Angleichung der ostdeutschen Förderbedingungen erfolgt. Die SPD-Fraktion fordert dies ganz nachdrücklich. Ich habe Töne gehört, daß dies bei Ihnen auch so angegangen wird. Das ist auch notwendig.
Ferner verweisen wir auf den von uns initiierten Berichtsauftrag zur Studienabschlußförderung im Herbst 1995. Wir kündigen dazu schon heute an, daß wir eine weitere Verlängerung für erforderlich halten, da sich die materiellen Studienbedingungen trotz der von den Ländern eingeleiteten Strukturreform noch nicht so weit verbessert haben, daß ein Studienabschluß in der Regelstudienzeit bzw. im Rahmen der jetzigen Förderungshöchstdauer realisierbar wäre. Der Herbst 1995 ist schnell da.
Zur Förderungshöchstdauer selbst bleibt festzuhalten, daß es dazu einer Einigung mit den Ländern bedarf. Über das Ziel einer Verkürzung der Studienzeiten besteht Konsens, nicht aber in der Frage der Methoden und der Maßnahmen, mit denen diese erreicht werden soll.
Mit der Prüfung des Zeitpunkts für eine neue Festsetzung der Förderungshöchstdauer sollten die BLK und der Beirat für Ausbildungsförderung beauftragt werden. Zum jetzigen Zeitpunkt lehnen wir sie ab. Wir sehen darin auch eine Zwangsmaßnahme gegen bedürftige Studierende und einen Abbau von Chancengleichheit.
Mit den im Bericht gemachten Aussagen zum Zweitstudium stimmen wir nicht überein. Es ist dabei auf jeden Fall zu berücksichtigen, daß Zweitstudien durchaus auch beschäftigungspolitisch erwünscht sein können. Genauso verhält es sich mit Einschränkungen beim Fachrichtungswechsel. Solche Maßnahmen müssen sorgfältig geprüft werden. Auch dies gehört in eine Anhörung.
Der Beschluß der Hochschulrektorenkonferenz geht eindeutig zu Lasten bedürftiger Studierender. Als Richtlinie für eine künftige gesetzliche Regelung ist er deshalb ungeeignet. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Hochschulrektorenkonferenz bei Reformvorschlägen mehr im eigenen Bereich innovativ sein würde, anstatt sich immer neue Marterinstrumente für Studierende auszudenken.
Ich fordere Sie auf, Herr Minister Rüttgers, ein solch wichtiges Reformvorhaben nicht mit der heißen Nadel zu stricken und es auch nicht unter dem Diktat des Finanzministers zu verwässern.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.
Ja. - Bisher war die Ausbildungsförderung für keinen Bildungsminister der jetzigen Regierungskoalition ein Ruhmesblatt. Einige sind darüber gestolpert oder haben genervt das Handtuch geworfen. Herr Laermann verfolgt heute diese Debatte sicher mit sehr gemischten Gefühlen.
({0})
Verspielen Sie nicht die Chance für eine Reform, indem Sie dem Finanzminister wieder einmal die Vorhand lassen! Die SPD ist bereit, an sinnvollen Lösungen mitzuarbeiten.
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Christian Ruck.
({0})
Mache ich! - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Vorrednern der Opposition möchte ich nur für die Öffentlichkeit eines klarstellen: Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland mit das großzügigste und
beste System der studentischen Ausbildungsförderung.
({0})
Ich glaube, das sollte man auch dann sagen, wenn die Opposition so tut, als würden wir auch in diesem Punkt kurz vor dem Zusammenbruch stehen.
({1})
Frau Odendahl, ich würde nie behaupten, daß wir nicht noch besser sein könnten. Auf Ihre Bitte, daß wir die Erhöhungen rechtzeitig vornehmen, kann ich Ihnen nur sagen: Wir sind wirklich bemüht, die Anpassung heuer rechtzeitig durchzukriegen, und zwar so schnell, wie es mit Ihnen und Ihrer Partei geht.
({2})
Im übrigen: Selbst bei genauerer Betrachtung kann ich keinen fundamentalen und unüberbrückbaren Gegensatz zwischen den Vorstellungen der Bundesregierung und der Koalition einerseits und den Gesetzesentwürfen der SPD bzw. des Bundesrates andererseits erkennen,
({3})
wenn es um das 17. Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes geht.
({4})
Das ist erstens kein Wunder, Frau Odendahl, denn Ihr Entwurf ist ja eigentlich
({5})
das, was die Regierung im letzten Jahr vorgelegt hat.
({6})
Zweitens ist es auch gut so, denn bei soviel Gemeinsamkeiten können wir hoffen, daß wir uns diesmal zugunsten der betroffenen Studenten, Eltern und Ehepartner auf konkrete Leistungsverbesserungen einigen können. Auch wir wollen doch, Frau Odendahl, gemeinsam eine Änderung der Härteverordnung, etwa mit Blick auf den studentischen Wohnraum in den neuen Bundesländern; auch wir wollen eine Anhebung der Sozialpauschalen, eine Förderung auch über das 30. Lebensjahr hinaus für Meister, die sich für ein Studium qualifiziert haben; auch wir wollen eine deutliche Verbesserung der beruflichen Aufstiegsförderung und, Frau Odendahl, vor allem die Anhebung der Bedarfssätze und der Freibeträge um 4 %.
({7})
- Entschuldigen Sie, Herr Kollege Feilcke,
({8})
aber Sie müssen zugeben, daß auch Sie ab und zu lieber mit Kolleginnen reden als mit Kollegen.
({9})
Deswegen bitte ich um Verzeihung.
({10})
Allerdings ist auch mir und uns allen klar, daß die angestrebte Erhöhung weniger ist, als zum Aufholen des Kaufkraftverlustes des BAföG seit 1971 notwendig wäre. Ich bitte auch die betroffenen Studenten um Verständnis dafür,
({11})
daß wir bei der durch die Wiedervereinigung und die gerade bestandene Wirtschaftskrise angespannten Haushaltslage des Bundes auch im Zukunftsministerium jede Mark zweimal umdrehen müssen. Dies gilt im übrigen auch für die von der Opposition geforderte rückwirkende Geltung einer Anhebung des BAföG.
({12})
- Ja, aber nicht alles, was Sie erklären, findet meine intellektuelle Zustimmung.
({13})
Ich freue mich ausdrücklich, daß Bundesminister Rüttgers dabei ist, endlich einen alten Wunsch der CSU und vieler Kolleginnen und Kollegen in diesem Hause in die Tat umzusetzen, nämlich mit dem Wiedereinstieg in die berufliche Aufstiegsförderung einen weiteren entschiedenen Schritt zur vielbeschworenen Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung zu tun. Es war ungerecht und es ist ungerecht, daß in der beruflichen Bildung ein Geselle fünfstellige Beträge aufwenden muß, um seinen Meister zu machen,
({14})
während die Studenten ihre teure akademische Ausbildung frei Haus und - eventuell inklusive BAföG - bekommen.
({15})
Auch vor diesem Hintergrund ist das Vorhaben von Bundesminister Rüttgers mutig und verdient unser aller Unterstützung, trotz der angespannten
Haushaltslage binnen Jahresfrist eine neue Ära in der beruflichen Ausbildungsförderung einzuläuten und gleichzeitig für bedürftige Studenten eine spürbare Leistungsverbesserung durchzusetzen.
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Ausdrücklich zu würdigen ist auch der Teil des Berichts der Bundesregierung, der sich mit einem möglichen Reformbedarf des BAföG-Systems kritisch auseinandersetzt. Dies gilt zum einen für liebgewordene Förderregelungen, die aber eventuell mittlerweile durch den politischen Erfolg überflüssig geworden sind, z. B. für die spezielle Förderung im Bereich der Landwirtschaft. Zum zweiten gilt es, offensichtliche Ungerechtigkeiten auszuräumen, etwa durch die Einführung der Förderung der Absolventen von Berufsakademien.
Der vorliegende Bericht stößt ferner mögliche strukturelle Reformpunkte an, die - dem ist ja auch nicht zu widersprechen - auch in Anhörungen o. ä. durchaus kritisch zu diskutieren sind. Ich denke dabei an die Frage der Neuordnung der Förderhöchstdauer sowie an die Reduzierung der Förderung von Zweitstudien und Fachrichtungswechseln.
Lassen Sie mich dazu folgendes sagen: Dringlich erscheint mir besonders ein Ende im Chaos der Förderungshöchstdauer. Es ist ja zumindest teilweise auch die Meinung der Länder, daß wir hier nur mit einer generellen Reform der Studienzeiten weiterkommen. Das berühmte Eckwertepapier der bildungspolitischen Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat zu dieser Reform 1993 fundierte Vorschläge für die einzelnen Hochschularten und Fächergruppen gemacht. Diesen Vorstellungen des Eckwertepapiers sind meines Wissens bisher keine besseren oder besser akzeptierten gefolgt. Dies gilt auch für die Idee, das Universitätsstudium zukünftig in ein berufsqualifizierendes Studium für alle Studenten und ein Studium zur Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu untergliedern,
An dieser Zweiteilung und dem Grobraster an Regelstudienzeiten muß sich meiner Ansicht nach auch das zukünftige BAföG orientieren. Das hat, Frau Ministerin, auch nichts mit mehr Bürokratie zu tun. Ein solches Vorgehen hätte allerdings für manche BAföG-Empfänger und nicht nur für diese eine deutliche Umstellung zur Folge.
Nach der jüngsten Absolventenstatistik des Wissenschaftsrates schließt derzeit nur jeder zehnte Student an einer Universität in den alten Bundesländern innerhalb der vorgeschlagenen Regelstudienzeit von neun bis zehn Semestern ab. Eine der hauptsächlichen Ursachen dafür sei die inhaltliche Überfrachtung der Lehrpläne. Auffällig ist dabei, daß die tatsächliche Studiendauer nicht nur zwischen den einzelnen Studiengängen stark unterschiedlich ausfällt, sondern daß auch innerhalb derselben Studiengänge zwischen den einzelnen Universitäten große
Unterschiede bestehen. So werden Psychologen z. B. in Aachen und Regensburg durchschnittlich in 11,3 Semestern fertig; in Düsseldorf dagegen brauchen sie dafür 17,6 Semester.
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Den Gründen dieser seltsamen Erscheinung gilt es natürlich nachzugehen, bevor man sich endgültig für stringentere Regelstudienzeiten und im Gefolge dann auch für Förderungshöchstdauern beim BAföG entscheidet.
Bei den Zweitstudien ist, glaube ich, wieder eine Rückbesinnung auf den ursprünglichen Sinn des BAföG nötig, nämlich die Förderung einer zielstrebig durchgeführten Ausbildung. Dies sollte auch für den Fachrichtungswechsel gelten. Ich bin auch der Meinung, daß wir hier nicht mit einer Kahlschlagorgie alle Zweitstudien usw. ablehnen; das sage ich ausdrücklich nicht. Aber wir sollten bei einer Wechselquote von inzwischen 20 % schon einmal der Frage nachgehen, ob hier alles sein muß, was sein könnte.
Und im übrigen, was ich auch immer höre: Ich halte es für dringend notwendig, daß wir gerade bei dem Punkt Zweitstudien und bei dem Punkt Fachrichtungswechsel der Studienberatung einmal auf die Finger sehen. Ich höre, daß die Studienberatung teilweise katastrophal ist.
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Vielleicht sollte man auch daran denken, zu sagen: Nach zwei Semestern ist eine Studienberatung durch die betroffenen Professoren obligatorisch.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, die notwendige Diskussion um Reformen im BAföG-System - dies wird auch an den einzelnen genannten Punkten deutlich - muß eingebettet sein in die Reform des gesamten Ausbildungssystems. Ich persönlich zweifle etwas an der These, daß wir in Deutschland im Vergleich zum zukünftigen Bedarf unserer Gesellschaft zu viele Studenten haben, und werde darin bestärkt auch durch manche Gutachten. Aber eines ist sicher: Wir haben für die Studenten zuwenig Platz;
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viele Studenten wären besser an einer Fachhochschule aufgehoben;
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viele Studenten halten zu lange an ihrem Studentendasein fest. Zur Lösung dieser Probleme allein das Verhalten der Studenten ändern zu wollen - z. B. mit Förderungshöchstdauer, Studienstandsnachweisen, obligatorischer Beratung oder gar Studiengebühren, deren bürokratischer Aufwand eventuell höher sein könnte als der Ertrag -, dies ginge ins Leere.
In vielen Fällen genauso dringlich ist eine Verbesserung der Lehre durch ein Prüfungs- und Bewertungsverfahren auch für Professoren oder durch eine Entschlackung der überbordenden Lehrinhalte.
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Aus weiten Teilen der Studentenschaft sind immer wieder die Klagen zu hören, daß man gern schneller studieren würde, wenn sich manche Professoren besser um ihre Studenten kümmerten.
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Meine Damen und Herren, in Zeiten knapper Finanzmittel - dies ist auch eine Anregung mancher Kollegen wie Martin Mayer von der CSU und Jochen Feilcke - ist auch unabdingbar, daß die Hochschulen endlich mehr Entscheidungskompetenz und Finanzautonomie bekommen, um selbst und vor Ort über die beste und effizienteste Verwendung der zugewiesenen Mittel entscheiden zu können.
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang auch noch einen Satz zu der bekannten Klage der Länder, der Hochschulbau sei unterfinanziert, sagen. Ich hätte gern auch für Bayern mehr Geld, und zwar für Fachhochschulen und Universitäten. Aber ich schließe mich ausdrücklich einem Vorschlag des Kollegen Hollerith an: Wir müssen alle zuerst einmal der Frage nachgehen, warum im ohnehin schon teuren öffentlichen Bauwesen der Universitätsbau der allerteuerste ist. Hier gibt es viele ungeahnte Spielräume, um mehr Geld lockerzumachen.
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Meine Damen und Herren, zum gleichfalls großen Reformbedarf der beruflichen Bildung und Ausbildung hat mein Kollege Richwien schon das Nötige gesagt. Lassen sie mich daher abschließend unseren Zukunftsminister Rüttgers und sein Ministerium ermuntern, die im Bericht enthaltenen Vorhaben durchzuziehen. Ich wünsche ihm und uns allen, daß wir heuer auch mit der Verwirklichung der Maßnahmen des Eckwertepapiers gemeinsam mit den Bundesländern einen ordentlichen Schritt weiterkommen. Dann bekämen unsere Studenten nicht nur im Herbst mehr Geld für ihren Lebensunterhalt; auch der Forschungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland hätte noch hellere Zukunftsperspektiven.
Vielen Dank.
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Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/65, 13/80, 13/101, 13/ 735 und 13/784 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, 17. März 1995, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.