Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie hier im Plenum ganz herzlich zur Haushaltsdebatte.
Bevor wir in die Debatte eintreten, möchte ich jenen gratulieren, die in den zurückliegenden Wochen einen runden Geburtstag gefeiert haben. Ich beginne mit der Kollegin Doris Odenthal, die am 30. Juni ihren 65, Geburtstag gefeiert hat. Herzlichen Glückwunsch!
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Nun gratuliere ich jenen, die ihren 60. Geburtstag gefeiert haben: dem Kollegen Siegfried Hornung, dem Kollegen Dr. Dietmar Kansy, dem Kollegen Manfred Opel, dem Kollegen Ernst Kastning, dem Kollegen Richard Schuhmann und dem Kollegen Volkmar Schultz. Ihnen allen herzlichen Glückwunsch nachträglich!
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Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Umweltausschusses zum Gesetzentwurf zur Änderung des BundesImmissionsschutzgesetzes auf Drucksache 13/11381 und um einen interfraktionellen Antrag „Bürgerkrieg und humanitäre Situation im Südsudan" - Drucksache 13/11387 - zu erweitern.
Beide Vorlagen werden mit den Beratungen ohne Aussprache aufgerufen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Ich mache schon jetzt darauf aufmerksam, daß die Punkte ohne Debatte am Ende der Plenarsitzung als letzter Tagesordnungspunkt aufgerufen werden.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung zu erweitern. Die Tagesordnung soll erweitert werden um die Beratung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Verlängerung der 20 prozentigen Kappungsgrenze für ältere Wohnungen sowie um die Beratung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu mehreren Vorlagen der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie der Gruppe der PDS zum Mietrecht.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beantragen, daß heute über unseren Antrag auf Verlängerung der 20-Prozent-Kappungsgrenze im Miethöhegesetz und über die Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/11075 abgestimmt wird. Die Entscheidung ist überfällig. Es ist wirklich ein Skandal, daß Ihre beiden Fraktionen vor der Sommerpause die Debatte über diesen Punkt und über diese Beschlußempfehlung von der Tagesordnung gekippt haben.
Grüne, SPD und Bundesrat hatten beantragt, daß über die 20-Prozent-Kappungsgrenze, die seit dem 1. September, also seit gestern, weggefallen ist, vor der Sommerpause debattiert wird und daß hier ein eindeutiger Beschluß dazu gefaßt wird. Sie haben dafür gesorgt, daß das unter den Tisch fällt, weil Sie zu feige sind, den Mietern reinen Wein einzuschenken im Hinblick auf das, was im Mietrecht zur Zeit passiert. Das, finden wir, ist ein Skandal, und das darf in der Öffentlichkeit so nicht stehenbleiben.
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Sie haben als zweites - das betrifft vor allem die F.D.P. - die Diskussion und die Abstimmung über die Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/11075 und damit darüber, daß es überfällig ist, daß gleichgeschlechtliche Lebenspartner beim Tod des Partners endlich das Recht haben, in den Mietvertrag einzutreten, bisher verweigert, obwohl es Ihr Minister von der F.D.P., Herr Schmidt-Jortzig, war, der dazu sogar einen Gesetzentwurf eingebracht hat. Wir fordern, daß auch dieser überfällige Punkt endlich hier erörtert wird und zur Abstimmung kommt, daß auch hier der Öffentlichkeit und den Menschen im Land klar gesagt wird, was Sache ist.
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Sie von der CDU/CSU sind zu feige, den Mietern zu sagen, was im Mietrecht auf sie zukommt. Geben Sie doch zu, daß Sie eigentlich wollen, daß das Mietrecht weiter liberalisiert wird, daß Sie den Eigentümern den Abbau der Steuersubventionen, der mit der Steuerreform kommen soll, durch das Recht auf weitere Mieterhöhungen schmackhaft machen wollen! Sagen Sie das deutlich! Seien Sie nicht so feige wie in Ihrem Programm, in dem Sie zum Mietrecht schweigen! In Wirklichkeit wollen Sie ganz genau das, was die F.D.P. laut fordert, nämlich die weitere Liberalisierung des Mietrechts und Aushöhlung des Kündigungsschutzes in der nächsten Legislaturperiode. Haben Sie wenigstens den Mut, das heute hier öffentlich zu erklären und entsprechend zu beschließen!
Genau das gleiche gilt für die F.D.P. Sie haben sich das Recht gleichgeschlechtlicher Partner auf Eintritt in den Mietvertrag auf die Fahnen geschrieben. Sagen Sie endlich, daß Sie das der Koalitionsdisziplin opfern! Hier drücken Sie sich. Sagen Sie das den Menschen im Lande, damit endlich klar ist, wer für was steht. Darauf haben die Menschen ein Recht, gerade jetzt vor der Wahl.
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Wenn Sie uns jetzt wieder erklären werden, daß die Situation bei den Mieten rosig ist, weil wir so viele Wohnungen haben, dann wissen Sie ganz genau: Der Wohnungsmarkt ist nur im Bereich der hohen Mieten entspannt, bei den Neubauwohnungen. Bei den Bestandsmieten haben wir Jahr für Jahr enorme Anstiege, und die Mietbelastung steigt wesentlich stärker als die Einkommen.
Keine vorweggenommene Debatte!
Ja. - Von daher fordern wir Sie auf, nicht immer nur Rosinenpickerei zu betreiben, sondern den Mietern wirklich klar zu sagen, was auf sie zukommt.
Wenn Ihre These richtig ist, daß die Eigentümer gar keine Mieterhöhungen wollen, dann können Sie unserem Antrag zustimmen. Dann könnten wir uns doch alle einig sein; die Koalitionsfraktionen, die Eigentümer, die Mieter und die Opposition könnten gemeinsam beschließen, daß 20 Prozent Mieterhöhung wirklich die oberste Grenze sind. Wir selbst fordern, daß die Kappungsgrenze auf 15 Prozent gesenkt wird.
Wir bleiben dabei: Wir und die Menschen im Lande erwarten, daß Sie kein Schaugefecht über einen miserablen Haushalt inszenieren, sondern daß hier endlich zur Sache gesprochen wird. Das ist überfällig.
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Als nächster der Kollege Dr. Dietmar Kansy.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was machen Oppositionsparteien, die sich seit Monaten jeder sachlichen Auseinandersetzung entziehen
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und im Wahlkampf auf ihre „Zukunftsprogramme" ausweichen? Sie machen angst. Und was machen deren Bundestagsfraktionen? Sie stellen Geschäftsordnungsanträge, um diese Angst über die Medien zu transportieren. Das ist die Absicht dieser morgendlichen Debatte, die völlig überflüssig ist.
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Aber wenn Sie sie schon wollen: Wollen Sie vielleicht die Mieter darauf aufmerksam machen, daß dank der Wohnungspolitik dieser Bundesregierung, Frau Eichstädt-Bohlig, in den letzten vier Jahren 2,3 Millionen Wohnungen neu gebaut wurden, daß dadurch der Vermietermarkt zu einem Mietermarkt geworden ist,
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daß zwischenzeitlich die Mieter die Bedingungen stellen und nicht mehr die Vermieter?
Zum Antrag!
Oder wollen Sie mit diesem Antrag die Mieter ermutigen, mit dem entsprechenden Selbstbewußtsein neue Verträge auszuhandeln? Nein! In der Hoffnung, parteipolitischen Honig zu saugen, machen Sie uninformierten Menschen mit diesem Antrag angst,
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statt ihnen zu sagen, daß die Kappungsgrenze von 20 Prozent ein Schutzinstrument war, das richtig war, als wir Mieterhöhungen von 6 und 7 Prozent hatten, als uns Millionen von Wohnungen fehlten, daß aber heute bei einer Mietsteigerung von 1,6 Prozent der Zeitpunkt gekommen ist, um das Verfallsdatum in diesem Gesetz tatsächlich wirksam werden zu lassen, wie wir es vorgesehen haben.
Meine Damen und Herren, vielleicht wollen SPD und Grüne ja mit diesen Anträgen, Frau Präsidentin, auch nur die Investoren verschrecken, die noch Mietwohnungen bauen wollen, oder sie wollen im Detail erläutern, was das angebliche Aufbrechen der Verkrustung, die der Kanzlerkandidat und der Schattenwirtschaftsminister ständig predigen, nun in der Praxis bedeutet - wenn man überhaupt einmal eine Sachdiskussion führt. Insofern herzlichen Dank für diese Möglichkeit! Also: Nein zu diesem ersten Antrag.
Zu dem zweiten Antrag der Grünen, das Eintrittsrecht nach § 569a BGB, das sich auf hinterbliebene Haushaltsangehörige eines verstorbenen Mieters bezieht, auf gleichgeschlechtliche Lebenspartner auszudehnen, muß ich sagen: Meine Damen und Herren, wir haben in diesen Monaten in Deutschland verdammt noch mal was anderes zu tun, als heute morgen dieses Thema zu diskutieren.
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Von uns aus kann in diesem Lande jeder leben, wie er will. Aber für die CDU/CSU gilt nach wie vor: Wer unter dem Zeichen der Gleichbehandlung von anderen Formen des Zusammenlebens die grundlegende Bedeutung von Ehe und Familie einschränken will, der zerstört die Lebenskraft unserer Gesellschaft.
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Da Sie neuerdings so gern die Bischöfe zitieren, lassen Sie sich einmal die Aussagen von Bischof Lehmann auf der Pressekonferenz herüberreichen. Ehe und Familie stehen nach Art. 6 unseres Grundgesetzes unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Das Grundgesetz versteht unter Ehe und Familie schlicht und ergreifend eine Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau und nichts anderes.
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Meine Damen und Herren, die CDU/CSU lehnt deswegen Ihre beiden Anträge ab. Wir hoffen sehr, daß wir heute die Gelegenheit haben, mit Ihnen die wesentlichen Fragen dieses Jahres und dieser Nation zu diskutieren.
Vielen Dank.
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Als nächster spricht der Kollege Achim Großmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, jeder, der gerade zugehört hat, kann sich jetzt ein besseres Bild machen von der Überheblichkeit, mit der über die Interessen vieler Mieter in diesem Hause geredet wird.
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Wir unterstützen den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen auch deshalb, weil davon 11,5 Millionen Wohnungen indirekt - denn so viele sind vor 1981 gebaut worden - und ungefähr 6,5 Millionen Wohnungen direkt betroffen sind; denn deren Mieten liegen über dem Mietspiegel von 8 DM pro Quadratmeter. Es geht also hier nicht um eine Marginalie, sondern um eine zentrale Frage des deutschen Mietrechts.
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Deshalb ist es notwendig, daß wir heute noch einmal den Versuch machen, eine parlamentarische Mehrheit für den Antrag zu finden, der übrigens einem Gesetzentwurf der SPD entspricht, welcher in den Ausschüssen niedergestimmt worden ist. Wir wollen, daß die Mieterinnen und Mieter nicht in Angst - und zwar in berechtigter und nicht von uns provozierter Angst - leben müssen.
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Der Deutsche Mieterbund hat das Problem dieses Antrages in - wie ich finde - drei guten Sätzen zusammengefaßt. Er schreibt:
Die Kappungsgrenzen haben eine soziale Schutzfunktion. Sie haben nicht die Aufgabe, den Mietanstieg insgesamt zu begrenzen. Die Wirkungsweise des marktorientierten Vergleichsmietensystems wird grundsätzlich nicht berührt.
Darum geht es, Herr Kansy. Das heißt, es geht überhaupt nicht darum, den Vermietern eine sinnvolle Mieterhöhungsmöglichkeit zu nehmen. Es geht vielmehr darum, die soziale Schutzfunktion aufrechtzuerhalten und Mietpreistreibern sowie Miethaien, wie es so schön im Volksmund - aber leider auch zutreffend - heißt, das Handwerk zu legen.
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Eine Studie, die Sie selbst in Auftrag gegeben haben, kommt zu dem Schluß - ich zitiere aus der Studie des Instituts für Stadtforschung und Strukturpolitik, wo es genau um den Inhalt dieses Antrages geht -:
In Einzelfällen dürften die Kappungsgrenzen jedoch einen nicht unwesentlichen Schutz für die Mieter darstellen und dazu beitragen, besonders hohe Mietsteigerungen zu verhindern.
Ich glaube, das ist eindeutig. Jetzt wollen wir uns einmal ansehen - weil Herr Kansy schon über den Wahlkampf gesprochen hat -, wie Sie und Ihre Partei sich denn geäußert haben. Ich zitiere den Parteivorsitzenden der CDU, Herrn Bundeskanzler Helmut Kohl,
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der noch im August in der „MieterZeitung" folgenden Satz geschrieben hat:
Dabei werden die Kernelemente unseres sozialen Mietrechtes, das heißt, der Schutz der Mieter vor willkürlichen Kündigungen und überzogenen Mieterhöhungen, nicht angetastet.
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- Ja, klatschen Sie nur. Das ist der Unterschied zwischen Worten und Handeln; denn genau diese soAchim Großmann
ziale Schutzfunktion tasten Sie heute an. Die Mieten können jetzt statt um 20 um 30 Prozent in drei Jahren erhöht werden.
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Herr Großmann, zum Antrag!
Wenn das keine Unterhöhlung des Mietrechts ist, dann weiß ich nicht, worüber wir reden.
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Der Antrag macht Sinn; er ist notwendig.
Sie haben das ganze Umfeld für Mieterhöhungen nicht in Ordnung gebracht. Wir warten seit acht Jahren auf die notwendige Wohngeldreform. Sie privatisieren Hunderttausende von Wohnungen und setzen die Mieter schutzlos Mieterhöhungen aus. Deshalb brauchen wir die Begrenzung auf 20 Prozent. Sie macht Sinn und schadet keinem Vermieter, der sich an vernünftige, marktorientierte Mieten hält. Sie hat aber auch eine wichtige soziale Schutzfunktion. Wir wollen die Mieterinnen und Mieter nicht den Mietpreistreibern in diesem Land ausliefern.
Vielen Dank.
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Herr Braun.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es in diesem Monat nicht um eine Richtungsentscheidung dieses Landes an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend ginge, dann könnten wir jetzt in der Tat eine ausführliche wohnungspolitische Debatte führen. Wenn dafür heute die Zeit wäre, würde es mir eine Freude sein, mit Ihnen über das Programm von Rotgrün zur Verschärfung der Kappungsgrenzen zu reden. Diese unseligen Kappungsgrenzen haben zu höheren Mieten geführt und bei Tausenden von Mietern und Vermietern und - wie man gestern abend im Fernsehen sehen konnte - auch bei Journalisten zu der irrigen Meinung geführt, jetzt könnten die Mieten jeweils in drei Jahren um 30 Prozent angehoben werden. Die Kappungsgrenzen sorgen für ein kapitales Mißverständnis - zu Lasten der Mieter. Denn es geht gegenwärtig nicht um Mieterhöhungen - schon gar nicht um solche um 30 Prozent -, sondern viel häufiger um Mietsenkungen,
({0})
weil der Markt und das große Angebot an Wohnungen dafür gesorgt haben, daß eine früher erzielbare Miete nicht mehr marktüblich ist und deswegen gesenkt werden muß. Die Bürger lassen sich durch Sie nicht in Angst treiben, weil sie wissen, daß die Realität ganz anders ist. Ich habe Ihnen viele Male erläutert, weswegen die Einführung der Kappungsgrenzen zu einem höheren Mietanstieg geführt hat.
Herr Braun, bitte reden Sie zum Antrag, nicht zur Sache.
Wir sprechen darüber, ob wir heute eine mietenpolitische Debatte führen sollen oder ob wir nicht über andere Dinge sprechen müssen, Frau Präsidentin.
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Wenn wir das tun würden, was uns Rotgrün ansinnt, dann würde das bedeuten, daß keine Wohnungen mehr gebaut werden, daß wir eine Verknappung von Wohnraum erleben würden und daß deswegen die Mieten wieder ansteigen würden. Deshalb ist das der falsche Weg. Wir wollen ihn nicht.
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Wir haben heute die Aufgabe, über die wirklich wichtigen Fragen des September 1998 zu reden. Diese Regierungskoalition hat einen Haushaltsentwurf vorgelegt, über den wir vor der Öffentlichkeit sprechen werden. Wir werden darlegen, wo wir das Geld für die Aufgaben hernehmen, die wir für nötig halten. Wir werden der SPD die Gelegenheit geben, ihre Blütenträume vorzutragen. Wir werden aber auch darauf hinweisen, daß Herr Schröder den Hinweis „nur unter dem Finanzierungsvorbehalt" im Kleingedruckten hat.
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Das heißt, daß alle Versprechungen, die wir heute hören werden, unrealistisch und im Grund auch unehrlich sind.
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Ich möchte deutlich machen: Wir von der Regierungskoalition sind für mehr Markt im Bereich der Mieten und der Wohnungspolitik - zugunsten der Mieter. Das lassen wir uns von Rotgrün nicht kaputtmachen.
({4}) Bei uns liegen die Prioritäten anders.
Wir werden heute unter dem Thema Wohnungspolitik auch nicht über das Recht von überlebenden homosexuellen Lebenspartnern auf Eintritt in ein Mietverhältnis reden. Diese wichtige Frage werden wir im richtigen Kontext besprechen, nämlich bei der Beratung eines Partnerschaftsgesetzes, in dem die Problematik der Diskriminierung von Homosexuellen insgesamt angesprochen wird, und zwar in allen Bereichen, nicht nur in einem kleinen Teilbereich. Deswegen werden wir dieses Teilthema jetzt nicht im Rahmen eines anderen Themas, nämlich der Wohnungspolitik, ansprechen.
Aus diesen Gründen spricht alles dafür, daß wir es bei der Tagesordnung belassen, die der Ältestenrat festgelegt hat. Wir lassen uns nicht die Chance nehmen, den Bürgern in Deutschland zu zeigen, wer eine realistische Politik zu den Fragen macht, die die Bevölkerung umtreiben, nämlich Steuerlast, ArbeitsHildebrecht Braun ({5})
losigkeit und Bewahrung unserer sozialen Sicherungssysteme.
Darüber wollen wir sprechen und nicht über wohnungspolitische Peanuts.
Vielen Dank.
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Herr Braun, noch ein Nachtrag: Die Kommentierung war nicht in Ordnung. Es war schon richtig, was ich gesagt habe.
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Als nächster spricht der Kollege Klaus-Jürgen Warnick.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die demokratischen Sozialisten unterstützen selbstverständlich das Anliegen der Bündnisgrünen,
({0})
die seit gestern geltende Heraufsetzung der Kappungsgrenze für Mieterhöhungen in Altbauwohnungen so schnell wie möglich rückgängig zu machen und die notwendige Debatte dazu auf die Tagesordnung zu setzen.
Mieterinnen und Mieter, die die wohnungspolitischen Aktivitäten der PDS in Landtagen und Bundestag in den letzten acht Jahren verfolgt haben, wird dies wohl nicht verwundern, waren wir es doch, die die Forderungen des Mieterbundes stets konsequent und zeitnah in Gesetzesinitiativen umgesetzt, vielfältige Vorschläge für einen verbesserten Mieterschutz eingebracht und immer wieder finanzielle Verbesserungen, vor allem für sozial schwache Mieterhaushalte, vorgeschlagen haben. Wir wollen den Schnellzug immer weiterer Mieterhöhungen nicht nur durch eine Notbremsung à la Bündnisgrüne - also die Frage: 20 oder 30 Prozent - kurzfristig etwas stoppen; wir wollen aus der Mieterhöhung dauerhaft einen bezahlbaren Personenzug machen.
({1})
Dem dient unter anderem unser oben erwähnter, schon seit Oktober 1997 vorliegender Mietrechtsentwurf, dessen Aufsetzung auf die Tagesordnung hier ebenfalls zur Debatte steht; es ist noch nicht erwähnt worden. Dieser Gesetzentwurf ist im Frühjahr ohne parlamentarische Diskussion an die Ausschüsse überwiesen worden. Eine zweite und dritte Lesung hat im Bundestag bisher nicht stattgefunden, und dies beim Mietrecht, bei einem Gesetzesvorhaben, das von den Regierungsparteien in ihrer eigenen Koalitionsvereinbarung als Selbstverpflichtung für diese Legislaturperiode und als besonders dringlich eingestuft wurde. Wir sind nicht daran schuld, wenn Sie noch nicht einmal Ihre selbstgestellten Aufgaben erfüllen. Daß wir der Aufsetzung zustimmen, versteht sich also von alleine.
Der PDS ist es jedenfalls als einziger politischer Kraft im Bundestag gelungen, einen entsprechenden Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode einzubringen. Um die Wichtigkeit einer entsprechenden Debatte zu verdeutlichen, kann ich nur ganz kurz wenige Stichpunkte daraus aufzählen.
In unserem Entwurf wird vorgeschlagen, daß sich Mieten zukünftig nach dem tatsächlichen Wohnwert richten müssen. Dafür werden in den Kommunen verbindliche Mietspiegel benötigt. Mieterhöhungen bei Neuvermietung ohne Wohnwertverbesserung sollen nicht mehr zulässig sein. Wenn Wohnungen neu vermietet werden, soll die Miete nur steigen dürfen, wenn sich der Wert der Wohnung tatsächlich verbessert hat. Die Mietentwicklung soll zukünftig an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten gekoppelt werden. Zum Schluß: Mietermitbestimmungs- und -mitwirkungsrechte sollen festgeschrieben und der Kündigungsschutz für sozial Schwache, Schwangere, Alleinerziehende, Kinderreiche, Schwerbehinderte und über Siebzigjährige soll verbessert werden.
Aber noch einmal zurück zur Frage der 20- bzw. 30 prozentigen Mieterhöhung. Wie gesagt, seit gestern hat sich die rechtliche und damit finanzielle Situation für ausgewählte Mieterhaushalte erneut verschlechtert. Um diese negativen Auswirkungen auf Teile der Mieterschaft möglichst in Grenzen zu halten, ist zügiges Handeln vonnöten. Kommen Sie mir bitte nicht mit den simplen Parolen, Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, der Wohnungsmarkt habe sich entspannt, höhere Mieten seien momentan sowieso nicht zu erzielen, das Wohnungsangebot sei momentan mehr als ausreichend, und der Markt regle das schon. Das sind alles nur Halbwahrheiten. Herr Kollege Kansy, wenn es denn stimmt, daß die Mieterhöhungen nur 1,6 Prozent betragen, warum weigern Sie sich dann konsequent, dieser wesentlich höheren Kappungsgrenze von 20 Prozent zuzustimmen? Dann würden Sie bei 1,6 Prozent Ihre Klientel immer noch wunderbar bedienen.
Wenn Sie uns nicht glauben, sollten Sie vielleicht einmal die eigene Unterrichtung der Bundesregierung lesen. Der wenige Tage alte Kinder- und Jugendbericht stellt nämlich zutreffend fest - ich zitiere -:
Es fehlen für Familien mit Kindern ({2}) finanzierbare Wohnungen in ausreichender Größe. Das gilt zunehmend auch für Familien mit mittlerem Einkommen.
Weiter heißt es:
Daher ist zu fordern, daß zum einen der öffentlich unterstützte Wohnungsbau Wohnungen für Familien zu einem Mietpreis bereitstellt, der die Einkommensverhältnisse von Familien der unteren und mittleren sozialen Schichten nicht überfordert; dieser subventionierte Wohnungsbau sollte nicht nur als Großsiedlung verwirklicht werden, sondern Familien auch Wohnungen in attraktiven städtischen Vierteln bieten.
Herr Warnick, auch Sie entfernen sich vom Antrag.
Ich kann Ihnen nicht den gesamten Bericht der Kinderkommission vorlesen. Sie müssen ihn schon selber lesen.
Aber eines ist klar: Sie predigen Wasser und trinken Wein. Eigener Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Sie geben an, die soziale Entmischung von Wohnungsbeständen zukünftig verhindern zu wollen,
Herr Warnick, zum Antrag!
- fordern aber gleichzeitig erneut Bedingungen, die genau diese Prozesse noch beschleunigen werden. Denn ein erhöhter Anstieg der Mieten in Altbaubeständen in Innenstädten wird zahlungskräftige Menschen anziehen und bisher hier angestammte Bevölkerungskreise an die Peripherie der Städte, dorthin, wo schon jetzt schon Problemlagen vorhanden sind, vertreiben.
Eines ist jedenfalls klar: Egal, wie Sie heute hier entscheiden - Aufsetzung oder nicht -, nach dem 27. September sehen wir uns wieder. Unser Mietrechtsentwurf - das sei auch an Rotgrün gerichtet - ist im Interesse der Mieterinnen und Mieter in diesem Land wieder dabei. Dann heißt es auch für Sie: Farbe bekennen!
Schönen Dank.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über den Aufsetzungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich bitte diejenigen, die dem Aufsetzungsantrag zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 d auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1999
({0}) - Drucksache 13/11 100 -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 1998 bis 2002 - Drucksache 13/11 101 -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({1})
- zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1995
- Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes ({2}) - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1996
- Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes ({3}) - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1997 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung
({4})
- Drucksachen 13/5141, 13/7352, 13/8550, 13/10 904 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Pützhofen Oswald Metzger
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland - Zehnter Kinder- und Jugendbericht - mit der Stellungnahme der Bundesregierung
- Drucksache 13/11368 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die heutige Aussprache im Anschluß an die Einbringungsrede des Bundesministers der Finanzen acht Stunden vorgesehen. Danach folgen die abschließenden Beratungen ohne Aussprache.
Für morgen ist eine sechsstündige Debatte zum Etat des Bundeskanzleramtes sowie zur Außen- und Verteidigungspolitik vorgesehen. Abschließend soll das Thema „Innere Sicherheit" mit einer Debattenzeit von eineinhalb Stunden behandelt werden. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
({5})
- Herr Abgeordneter Koppelin.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Debatte zum BunJürgen Koppelin
deshaushalt 1999 ist ein Ablauf geplant, den ich als Parlamentarier - ich spreche nur für mich allein, nicht für meine Fraktion - so nicht billigen kann. Hier ist eine Diskussion vorgesehen - so ist es jedenfalls zwischen den beiden großen Fraktionen vereinbart -, bei der es in erster Linie darum geht, daß auf der einen Seite Mitglieder der Bundesregierung und auf der anderen Seite Mitglieder des Bundesrates sprechen. Nach meiner Auffassung als Parlamentarier des Deutschen Bundestages gehört eine solche Diskussion in den Bundesrat.
Die Mitglieder des Haushaltsausschusses - ich bin Mitglied im Haushaltsausschuß - und des Finanzausschusses werden kaum Gelegenheit haben, sich im Bundestag an der Debatte zu beteiligen. Das finde ich nicht in Ordnung.
({0})
Es ist mein Selbstverständnis als Parlamentarier, daß ich zu einzelnen Punkten, die auf der Tagesordnung stehen - ich bin zum Beispiel in einem Bereich Berichterstatter -, reden kann. Ich habe aber kaum die Chance, zu diesen Themen zu sprechen.
({1})
Aus meiner Sicht ist das ein Vorgang, den wir als Parlamentarier des Deutschen Bundestages so nicht billigen sollten.
({2})
Frau Präsidentin, ich schlage daher vor, daß wir ohne Zeitbegrenzung diskutieren. Wenn dies geschieht, dann werden wir sehen, wie lange die Debatte dauern wird.
Ist das ein Vorschlag oder ein Antrag?
({0})
Wir stimmen über den Antrag „Keine zeitliche Begrenzung" von Herrn Koppelin ab. Wer stimmt diesem Antrag zu? - Gegenstimmen? - Der Antrag ist bei Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen und einzelnen Abgeordneten der SPD und der PDS abgelehnt.
Ich eröffne die Debatte. Das Wort zur Einbringung des Haushalts hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.
Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen ({1}): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Deutschland steht mitten im Aufschwung!
({2})
Bei 3,8 Prozent Wachstum im ersten Quartal und zu erwartenden etwa 3 Prozent im ganzen Jahr wird es doch niemanden im Hause geben, der, wenn er den Anspruch erhebt, ein qualifizierter Parlamentarier zu sein, sagen kann: Das ist kein Aufschwung. - Natürlich stehen wir mitten im Aufschwung, und das ist gut so.
({3})
Die Trendwende am Arbeitsmarkt ist erreicht. Das ist das Ergebnis der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Koalition von CDU/CSU und F.D.P.
({4})
Unternehmer, Arbeitnehmer und die Bundesregierung haben gehandelt. Zentrale Reformen und Anpassungen an ein verändertes weltwirtschaftliches Umfeld sind weit vorangekommen und entfalten jetzt ihre Wirkung.
In der Wirtschafts- und Finanzpolitik müssen wir jetzt klaren Kurs halten und die Politik für mehr Beschäftigung am Standort Deutschland entschlossen fortsetzen. Das bedeutet weniger Staat und Bürokratie, sondern mehr Markt und Eigenverantwortung, eine weitere Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und Rückführung der öffentlichen Defizite, eine schlanke, kostengünstige und bürgerfreundliche Verwaltung, von der weitere Teile privatisiert werden, weiter sinkende Lohnnebenkosten - Arbeit muß sich für jeden, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, lohnen - und eine große Steuerreform. Innovationen, Investitionen, unternehmerisches Risiko, persönlicher Einsatz und harte Arbeit müssen belohnt werden.
({5})
Meine Damen und Herren, eigentlich müßte uns der politische Gegner dankbar sein. Ich lese heute in der „Rheinischen Post", die SPD bekenne sich zu strikter Ausgabendisziplin und Schuldenabbau, und das Grundlagenpapier der SPD stehe in eklatantem Widerspruch zum SPD-Wahlprogramm. Es fänden überall Anleihen bei unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik statt. - Um so besser diese Debatte! Hier sieht man, die Koalition ist auf dem richtigen Kurs. Teile der SPD erkennen das, Teile wollen die Bevölkerung vor dem Wahltermin noch im unklaren lassen. Wir wollen, daß Klarheit herrscht. Wir brauchen keinen Kassensturz; ein Blick in diesen Haushalt genügt, um sich über die Finanzpolitik der Gegenwart und der Zukunft zu orientieren.
({6})
Was brauchen wir nicht? Wir brauchen kein Startprogramm der SPD. Wirtschaftsverbände bezeichnen es zu Recht als Programm zur Beendigung des Aufschwungs.
({7})
Wer auf der einen Seite etwa 50 Milliarden DM mehr fordert und auf der anderen Seite das rückgängig machen will, was wir in vier schweren Jahren an Anpassung und Reformen durchgesetzt haben, der würde Abschwung statt Aufschwung, mehr ArbeitsBundesminister Dr. Theodor Waigel
lose statt mehr Beschäftigung erreichen. Das, meine Damen und Herren, wollen wir nicht.
({8})
Wir brauchen keine alten Hüte in der Politik. Wenn ich mir überlege, was Karl Schiller schon vor mehr als 20 Jahren entdeckt und auch zum Teil durchgesetzt hat, stelle ich fest, daß die gegenwärtige Wirtschaftsphilosophie der SPD eigentlich weit hinter dies zurücksinkt.
Der amerikanische Ökonomieprofessor Rudi Dornbusch vom renommierten Massachusetts Institute of Technology
({9})
- man wird doch noch einen ausländischen Fachmann zitieren dürfen ({10})
- Sie wissen doch noch gar nicht, was ich sagen will, oder doch? - schreibt über den von der SPD als Finanzminister ins Auge gefaßten und sich auch selber dafür ins Gespräch bringenden saarländischen Ministerpräsidenten:
Er steht für alles, was falsch ist in Europa.
({11}) Rudi Dornbusch fährt fort:
Wenn er Finanzminister im neuen Kabinett wäre, kann man das nur katastrophal nennen.
({12})
Wir sollten diese richtige Stimme aus dem Ausland ernst nehmen.
Wie heißt es im Duden zu dem Begriff Galionsfigur, als welche der Schattenwirtschaftsminister vorgeführt wird?
({13})
Dort steht, das sei eine aus Holz geschnitzte Verzierung des Schiffsbugs, die die Blicke auf sich lenkt.
({14})
Er wird durch das, was die Partei will, immer wieder von ihr selbst zurechtgerückt.
Die SPD steht für Realitätsverlust und Verweigerung.
({15})
Es lohnt sich, einmal kurz darüber nachzudenken: Wo stünden wir eigentlich, wenn Schröder und Lafontaine seit 1990 das Sagen gehabt hätten?
({16})
Ob dann, nachdem beide gegen die Währungsunion gestimmt hatten, die Einheit überhaupt möglich gewesen wäre, wage ich zu bezweifeln.
({17})
Wenn sie doch möglich gewesen wäre, dann wäre sie nicht weitgehend durch Einsparungen und Umschichtungen, sondern weitgehend durch Steuererhöhungen finanziert worden. Dies hätte der deutschen Wirtschaft mit Sicherheit entscheidend geschadet. Die deutsche Volkswirtschaft hätte nicht die Kraft aufgebracht, jedes Jahr 4 bis 5 Prozent des BIP für die größte Solidaraktion der deutschen Geschichte, nämlich die Einheit, aufzubringen. Das haben wir geleistet.
({18})
Meine Damen und Herren, die Konjunktur läuft seit Ende letzten Jahres auf vollen Touren. Die deutsche Wirtschaft befindet sich deutlich im Aufwind.
({19})
Im ersten Quartal 1998 erreichte das Wirtschaftswachstum mit 3,8 Prozent den höchsten Anstieg seit der Wiedervereinigung. Damit ist für 1998 ein reales Wachstum in einer Größenordnung von rund 3 Prozent erreichbar. Die deutschen Exporteure haben ihre führende Stellung auf den Weltmärkten gefestigt. Die Inlandsnachfrage wird immer mehr zum zweiten Standbein des Aufschwungs.
Die gute Wirtschaftslage hat den Arbeitsmarkt erreicht. Die Trendwende ist nicht zu bestreiten. Seit Jahresbeginn ist die Zahl der Arbeitslosen auf breiter Front, und zwar um rund 700 000, zurückgegangen. Die Zahl der Kurzarbeiter ist seit Januar um rund 60 000 gesunken. Die Nachfrage nach Arbeitskräften steigt. Seit Jahren gab es in Deutschland nicht mehr so viele gemeldete offene Stellen. Innerhalb eines Jahres stieg die Zahl der offenen Stellen um rund 125 000 auf rund 355 000 Stellen. Nimmt man die Zahl der offenen Stellen, die nicht offiziell gemeldet sind, dazu, sind es wahrscheinlich mehr als 1 Million offene Stellen. Dies ist Gott sei Dank eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt. Darüber sind wir sehr glücklich.
({20})
Dabei sieht der Arbeitsmarkt - das ist richtig - in den einzelnen Bundesländern allerdings ganz unterschiedlich aus. Das gleiche gilt für die Ausbildung. Wenn man sich die entsprechende Statistik ansieht, stellt man fest: Die Länder, in denen CSU und CDU maßgebliche Regierungsverantwortung tragen - Baden-Württemberg, Bayern oder, als neues Bundesland, Sachsen -, liegen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit an der Spitze, während Niedersachsen, das Saarland und andere sozialdemokratisch regierte Länder hierbei leider immer wieder am unteren Ende stehen.
({21})
Das weist die Statistik aus.
({22})
- Eigentlich sollten die Mitglieder des Bundesrates
mit Zwischenrufen vorsichtig sein. Trotzdem habe
ich bis jetzt von der linken Seite „jawohl, jawohl" geBundesminister Dr. Theodor Waigel
hört. Nun höre ich aber „o weh". Herr saarländischer Ministerpräsident, ich würde auch „o weh" sagen, wenn ich mit den Zahlen konfrontiert würde, die Sie im Saarland aufzubieten haben und die zeigen, daß Sie in mehr als zehn Jahren kaum etwas Positives bewegt haben.
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In Deutschland herrscht Preisstabilität. Im Juli betrug der Preisanstieg nur noch 0,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das ist der niedrigste Wert seit der Berechnung gesamtdeutscher Indizes im Jahre 1991. Diese sichtbaren Erfolge mußten hart erarbeitet werden. Wir haben die Grundlage für den Aufschwung gelegt, insbesondere durch das Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm 1994, durch das Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze und durch das Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung. Sie alle wissen, wie sehr diese Politik für Wachstum und Arbeitsplätze in vielen Fällen gegen den erbitterten Widerstand der Opposition durchgesetzt werden mußte.
({24})
Ich kann mich daran erinnern, wie ein bekannter Sportreporter einmal die quälende Frage aufwarf: Wo ist Behle? Ich frage mich manchmal: Wo war Schröder in den letzten vier Jahren, als es um die Entscheidungen hier und im Bundesrat ging? Ich habe ihn nicht gesehen. Aber jetzt den Aufschwung für sich reklamieren zu wollen ist schon ein starkes Stück. So viel Hybris ist mir nur selten untergekommen.
({25})
Inzwischen liegt die Staatsquote mit 48 Prozent wieder deutlich unter der 50-Prozent-Marke. Damit fließen gegenüber dem Höchststand nach der Wiedervereinigung rund 100 Milliarden DM weniger durch die öffentlichen Kassen. Trotz der Steuerausfälle konnte die Defizitquote im Jahr 1997 auf 2,7 Prozent reduziert werden. Wir werden heuer mutmaßlich 2,5 Prozent erreichen. Das ist eine ausgezeichnete Quote. Niedrigere Defizite befördern ein günstiges Investitionsklima. Damit haben wir die für unsere wirtschaftliche Zukunft so bedeutsame Eintrittskarte für die Europäische Währungsunion gelöst. Deutschland erfüllt alle Voraussetzungen, die Vorteile der Eurozone zu nutzen. Unsere Finanzkennziffern, was Staatsdefizit und Staatsquote anbelangt, sind heute wesentlich besser als Ende 1982, obwohl wir wie keine andere Industrienation in der Welt mit Herausforderungen konfrontiert sind. Diese Zahlen können sich sehen lassen.
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Auch Deutschlands Standortvorteile können sich sehen lassen: die zentrale Lage im Herzen Europas, eine hervorragende Infrastruktur, eine stabile Wirtschaftsordnung, ein hohes Ausbildungsniveau, hohe Kaufkraft, niedrige Preise und Zinsen und politische Stabilität. Diese Stärken müssen wir bewahren und ausbauen.
Die Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserem Land spüren diese Erfolge des strikten Konsolidierungskurses. Ein Prozent weniger Inflation bedeutet 18 Milliarden DM mehr Kaufkraft für die Menschen in unserem Land. Eine niedrige Inflation liefert einen größeren Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit als eine schulden- oder steuertreibende Umverteilungspolitik.
Die Zinsen bewegen sich auf dem niedrigsten Niveau seit Jahrzehnten. Das hilft den Investoren und erleichtert dem Häuslebauer die Finanzierung seiner eigenen vier Wände. Bei Hypothekenzinsen von zur Zeit rund 5,5 Prozent kostet die Finanzierung eines Eigenheims heute nur noch die Hälfte dessen, was 1981 unter sozialdemokratischer Inflationsregie aufzubringen war.
({27})
Durch die Freistellung des Existenzminimums und durch den neuen Familienleistungsausgleich konnten wir vor allem die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen sowie die Familien um netto 19 Milliarden DM entlasten. Der Wegfall des Kohlepfennigs schlägt seit 1996 mit einem jährlichen Plus von 8 Milliarden DM zu Buche. Die Absenkung des Solidaritätszuschlags seit Januar 1998 bringt eine weitere Entlastung von 7 Milliarden DM pro Jahr.
Damit der Wachstumspfad auf Dauer oberhalb des Produktivitätswachstums bleibt - das ist nämlich die entscheidende Voraussetzung für mehr Beschäftigung -, muß aber noch viel Arbeit geleistet werden. Wem der Reformwille fehlt, wer das, was wir durchgesetzt haben, rückgängig machen möchte, dem nützt auch keine Modernisierungsrhetorik.
Arbeit und Investitionen gehen vor Konsum. Produktion geht vor Umverteilung. Wer die Reihenfolge, wie die SPD, umkehrt, wer Wohlstand ohne Anstrengung verspricht, der streut den Menschen Sand in die Augen.
({28})
Wir werden unser Konzept für Wachstum und Beschäftigung, die symmetrische Finanzpolitik, nach der Wahl entschlossen weiterführen. Dreh- und Angelpunkt unseres Konzepts ist die Rückführung der Staatsquote. Bis zum Jahr 2000 erreichen wir wieder 46 Prozent. Das war der Stand vor der Einheit. Bis zum Jahr 2002 ist eine Staatsquote von 44 Prozent erreichbar. Jeder Prozentpunkt weniger Staatsquote läßt etwa 40 Milliarden DM mehr in den Taschen der Bürger, schafft Raum für die Senkung von Steuern und Sozialabgaben.
Am Ende der nächsten Legislaturperiode werden wir mit einem Staatsdefizit von etwa einem halben Prozent sehr nahe an einem ausgeglichenen Staatshaushalt stehen und auch von dieser Seite für das 21. Jahrhundert gut gerüstet sein. Wir werden dann in etwa wieder die Finanzkennziffern haben, die wir 1989 nach einer systematischen, erfolgreichen Wachstumspolitik mit drei Millionen Arbeitsplätzen mehr und einem Staatsüberschuß hatten, bevor wir dann die große Aufgabe der Einheit meisterten.
Wenn wir dann etwa zehn Jahre später wieder über die gleichen international hervorragenden Ziffern verfügen, ist das eine großartige Leistung: 16 Jahre Politik Helmut Kohl, CDU/CSU und F.D.P.
({29})
1992 gab es beim Bund - vereinigungsbedingt - einen Bestand von 381000 Stellen. Bis Ende 1998 wird er auf rund 310 000 Stellen abgebaut werden. Das bedeutet: konstante Personalausgaben seit 1993. Dies ist ein wichtiger Beitrag zur Konsolidierung und zur Schaffung von Steuersenkungsspielräumen.
Im Rahmen der Privatisierungspolitik ist die Zahl der Unternehmensbeteiligungen zwischen 1982 und 1996 um gut die Hälfte auf noch 424 gesunken. Neben einer Vielzahl einzelner Privatisierungsmaßnahmen wurden innerhalb eines Jahres auf den Kapitalmärkten mit der Teilprivatisierung der Deutschen Telekom AG und der Restprivatisierung der Deutschen Lufthansa AG zwei Privatisierungsaktionen von internationaler Dimension erfolgreich abgeschlossen.
({30})
Das Haushaltsrecht wurde modernisiert. Mit der Einführung der Haushaltsflexibilisierung werden 1999 Effizienzgewinne von deutlich über 400 Millionen DM erreicht. Daneben werden mehr Kostentransparenz und eine effizientere Planung und Steuerung von Verwaltungsabläufen durch die Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung gewährleistet. In den alten Ländern haben wir die Subventionen in den letzten acht Jahren bereits um ein Drittel, etwa 10 Milliarden DM, reduziert.
Aber ich habe an dieser Stelle eine Frage an die SPD: Wie können Sie, Herr Lafontaine, auf den Bergbaudemonstrationen die Bergleute herzen, während der präsumtive Kandidat der SPD für das Amt des Wirtschaftsministers gleichzeitig den Kohlekompromiß aufkündigen will? Sie müssen den Menschen schon sagen, was die Wirklichkeit ist: Wollen Sie den Kohlekompromiß halten, oder wollen Sie Herrn Stollmann folgen, der durch die Lande zieht und verkündet, dies sei überflüssig und falsch? Beides zusammen geht jedenfalls nicht.
({31})
Deutschland ist ein hochentwickeltes Industrieland. Wir haben ein leistungsfähiges Sozialsystem. Daran wollen wir festhalten und es, wenn nötig, auch ausbauen, wie wir es mit der Pflegeversicherung unter Beweis gestellt haben.
({32})
Solidarität mit den Bedürftigen, der Schutz vor sozialen Risiken, kostet Geld. Kein Sozialsystem kann es sich aber leisten, die Volkswirtschaft, die Steuer- und die Beitragszahler zu überfordern. Wenn hohe Sozialversicherungsbeiträge als Lohnnebenkosten die Investitionen hemmen und die Leistungsbereitschaft schwächen, dann ist Gefahr im Verzug. Es kann nicht sein, daß eine vierköpfige Familie in einer niedrigen
Lohngruppe mit harter Arbeit weniger Geld verdient, als sie als Sozialhilfe erhalten könnte.
({33})
Hier werden wir mit Modellen wie dem Kombilohn ansetzen; weitere Reformen müssen folgen.
({34})
Die SPD will als Ausweg für mangelnden Reformwillen allein beim Steuerzahler abkassieren. Sagen Sie offen, bei wem und um wieviel! Im Startprogramm lesen wir:
Wer auch morgen sicher leben will, darf keine Angst vor Veränderungen haben.
({35})
Ich stelle fest: Es gibt keine ernsthafte politische Kraft in Deutschland, die so viel Angst vor Veränderungen hat wie die SPD und mit der Angst der Menschen vor Veränderung bis zum 27. September systematisch Wahlkampf betreiben will.
({36})
Mit dem Haushaltsentwurf 1999 und dem Finanzplan bis 2002 legt die Bundesregierung die Basis für die Fortsetzung der erfolgreichen Finanzpolitik der zurückliegenden Jahre. Die Ausgaben im Entwurf des Bundeshaushalts 1999 steigen gegenüber dem Soll 1998 nur um 0,4 Prozent auf 465,3 Milliarden DM. Darin sind die höheren Zuschüsse an die Rentenversicherung bereits enthalten. Ohne diese höheren Zuschüsse ergäbe sich sogar ein nominaler Ausgabenrückgang von 1,6 Prozent.
Die Nettokreditaufnahme sinkt zum viertenmal in Folge und liegt mit 56,2 Milliarden DM unter dem Soll 1998. Im Finanzplanungszeitraum ist ein weiterer deutlicher Rückgang bis auf gut 45 Milliarden DM vorgesehen. Der Anteil der Bundesausgaben am Bruttoinlandsprodukt liegt 1999 unter 12 Prozent und unterschreitet damit den Wert des Jahres 1989 von 12,4 Prozent deutlich. Das muß man sich einmal klarmachen: Trotz eines erheblichen Nettotransfers für Investitionen und für soziale Maßnahmen in die neuen Bundesländer ist der Anteil der Bundesausgaben am BIP heute niedriger als 1989. Dies beweist den Erfolg der Konsolidierungspolitik im Bundeshaushalt.
({37})
Die Investitionen bewegen sich trotz der Konsolidierung mit 57,5 Milliarden DM auf dem Niveau des Vorjahres. Im Finanzplanungszeitraum 1998 bis 2002 verzeichnen wir einen durchschnittlichen Ausgabenzuwachs von 1,1 Prozent. Damit unterschreitet der Bund die Ausgabenempfehlung des Finanzplanungsrates von 2 Prozent ganz deutlich.
Die konsequente Ausgabenbegrenzung im Bundeshaushalt 1999 geschieht mit Augenmaß. Damit unterscheiden wir uns fundamental von Versprechungen des Kanzlerkandidaten der SPD, die durch Unseriosität und Unverbindlichkeit gekennzeichnet sind.
Sie sind unseriös, weil milliardenschwere Programme und Maßnahmen ohne Finanzierungskonzept in Aussicht gestellt werden. Das Gerede der SPD vom Kassensturz ist angesichts des von der Bundesregierung vorgelegten vollständigen Zahlenwerks nichts anderes als Wahlkampfgetöse.
({38})
Ich bin dem Kollegen Karl Diller außerordentlich dankbar.
({39})
- Wenn er recht hat, hat er recht. - Er hat gesagt, wenn die SPD an die Regierung käme - was nicht stattfinden wird -, würde er seinen Vorderen raten, den gleichen Haushaltsentwurf wieder einzubringen. Lieber Herr Diller, ich möchte mich für dieses Testat ausdrücklich bei Ihnen bedanken.
({40})
Sie werden zwar nicht die Möglichkeit dazu erhalten, aber Ihr Realitätssinn auch in schwieriger Zeit ehrt Sie.
({41})
Die Aussagen der SPD verdienen das Prädikat „unverbindlich", weil Schlagworte wie „Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft" aufgebracht werden - ohne konkrete Aussagen.
Meine Damen und Herren, Sparen ist für uns kein Selbstzweck. Die Bundesregierung hat im Haushaltsentwurf 1999 bei einer ausgewogenen Ausgabenstruktur in volkswirtschaftlich wichtigen Investitionsbereichen ganz deutliche Akzente gesetzt.
Der Aufbau Ost hat für uns weiterhin eine herausragende Bedeutung. Die Ausgabentransfers werden in 1999 eine Größenordnung von rund 94 Milliarden DM erreichen. Weit über 40 Prozent der gesamten Investitionsausgaben des Bundes gehen in die neuen Länder. Fast jede zweite Mark der Verkehrsinvestitionen von rund 20 Milliarden DM ist für Projekte in Ostdeutschland vorgesehen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Diller?
Bitte.
Herr Dr. Waigel, nachdem Sie zum wiederholten Male auf einer Falschaussage beharren: Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß es eine solche Aussage von mir nicht gibt! Die richtige Aussage lautet: Wir nehmen Ihren Haushalt, sagen: „Das ist die Erblast Kohl", legen unseren Ergänzungshaushalt daneben und sagen: Das ist die Zukunft.
({0})
Lieber Herr Diller, wenn Sie einen guten Berater gehabt hätten, dann hätte er Ihnen dringend von dieser Intervention abgeraten.
({0})
Denn wenn er eine Erblast ist, dann bringe ich ihn doch nicht zusammen mit einer bescheidenden Ergänzung wieder ein, sondern lehne ihn ab und bringe einen eigenen Haushalt ein.
({1})
Nein, meine Damen und Herren, Sie beweisen damit, daß wir die Zahlen auf realistischer Basis darstellen und dies das Programm für die Zukunft ist.
({2})
Bei der regionalen Wirtschaftsförderung stehen zusammen mit Ländermitteln und Strukturfondsmitteln der Europäischen Union für Neuzusagen 1999 knapp 6 Milliarden DM zur Verfügung. Mit rund 3,2 Milliarden DM werden die Bereiche Wissenschaft, Forschung und Bildung in Ostdeutschland unterstützt.
Der Aufbau Ost gehört schon heute zu den beeindruckenden Erfolgsgeschichten unseres Jahrhunderts. Das denkt nicht nur das Ausland, das denken auch die Menschen in den neuen Ländern.
Meine Damen und Herren, es bewegt mich immer tief, wenn ich mit den Menschen in Ostdeutschland spreche und sehe, wie viele auf mich zukommen und sich bei allen deutschen Steuerzahlern für die großartige Leistung bedanken, die gerade in den neuen Ländern erbracht worden ist. Das wird selten transportiert.
({3})
Die Bürger in den neuen Ländern können auf ihre Aufbauleistung und die Bürger im Westen können auf ihre Solidarität stolz sein. Die Menschen in Ost und West haben in den letzten acht Jahren bewiesen: Wir Deutsche sind ein Volk.
1992 hat Herr Schröder bei der fortdauernden Aufbauhilfe Ost vor einem Aufstand im Westen gewarnt. Er hat etwas bemerkenswert Zynisches gesagt, wörtlich: „Wir können die ja schließlich nicht an Polen abtreten" - so in der „Leipziger Volkszeitung" vom 15. Januar 1996.
Wer 1992 und 1996 noch so etwas von sich gegeben hat, hat im Jahr 1998 jedes Recht verwirkt, uns zu kritisieren und in den neuen Bundesländern zu sagen, es sei zuwenig geschehen und das, was geschehen sei, sei nicht richtig. Das lassen wir uns nicht gefallen.
({4})
Ein weiterer Schwerpunkt des Haushaltsentwurfs 1999 ist Bildung, Wissenschaft und Forschung. Die Mittel in diesem Bereich steigen von 14,9 Milliarden DM im Jahr 1998 auf 15,4 Milliarden DM im Jahr 1999 und damit um 3,4 vom Hundert. Im Mittelpunkt
steht neben der verstärkten Förderung des Hochschulbereichs eine effiziente Forschungs- und Technologieförderung einschließlich der Stärkung einer leistungsfähigen Forschungsinfrastruktur. Auch die Ansätze für das Meister-BAföG werden erhöht. Zum Besten, was uns in dieser Legislaturperiode gelungen ist, gehört, daß künftig der Geselle, der Meister werden will, genauso BAföG-Leistungen bekommt wie der Abiturient, der auf die Hochschule oder auf die Universität geht.
({5})
Dem SPD-Kanzlerkandidaten geht die Anhebung der Mittel für die Bereiche Bildung, Forschung und Technik nicht weit genug. Er schlägt eine Verdoppelung der Ausgaben innerhalb von fünf Jahren vor. Sehr gut! Von der Sache her würde man da eigentlich kaum zu widersprechen wagen. Fraglich ist nur die Glaubwürdigkeit der Schröderschen Versprechen.
({6})
Denn Tatsache ist: Der Ministerpräsident Schröder hat die Unterrichtsversorgung im Land Niedersachsen massiv vernachlässigt.
({7})
Niedersachsen verfügt über die schlechteste Unterrichtsversorgung aller Bundesländer.
({8})
Bereits im Jahr 1994 wies der Landeselternrat darauf hin - ich zitiere aus der Pressemitteilung des Landeselternrats vom 12. Dezember 1994 -:
Die Eltern des Landes Niedersachsen verfolgen fassungslos die Entwicklung der Schul- und Bildungspolitik Niedersachsens. Das Vertrauen in ein verantwortungsbewußtes Handeln der Landesregierung ist zutiefst erschüttert.
Meine Damen und Herren, Herr Schröder sollte doch endlich im eigenen Land das tun, was er tun könnte, bevor er hierherkommt und uns Lehren erteilt.
({9})
Die Forschungsausgaben des Landes Niedersachsen wurden nämlich zusammengestrichen, und die Mittel für die Technologieförderung wurden von 80 Millionen DM im Jahre 1990 auf nur noch 50 Millionen DM im Jahr 1998 reduziert.
Diese Entwicklung zeigt mit aller Deutlichkeit, wie man mit Fakten die Glaubwürdigkeit von jemandem beweisen kann. Der Vergleich dieser Daten erweist, daß der SPD-Kanzlerkandidat nicht glaubwürdig ist.
({10})
Wichtig für den Standort Deutschland ist eine moderne Infrastruktur.
({11})
Für Ausbau und Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur stehen 500 Millionen DM mehr als in diesem Jahr zur Verfügung. Mit insgesamt 42,9 Milliarden DM steigt der Verkehrsetat 1999 um 0,7 vom Hundert gegenüber dem Vorjahr an.
Die Aufwendungen für die aktive Arbeitsmarktpolitik im Bundeshaushalt und im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit werden 1999 eine Größenordnung wie im laufenden Jahr erreichen. Der erforderliche Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit geht angesichts der Wende auf dem Arbeitsmarkt von 14,1 Milliarden DM im Jahr 1998 um 3,1 Milliarden DM auf 11 Milliarden DM im Jahre 1999 zurück. Dies zu kritisieren und zu beklagen, das ist schon ein starkes Stück. Das ist das Ergebnis einer günstigen Arbeitsmarktentwicklung. Dafür sollten wir dankbar sein und sollten es nicht kritisieren.
({12})
Der Ansatz für Arbeitslosenhilfe bleibt allerdings mit 28 Milliarden DM im Jahr 1999 auf hohem Niveau. Hier macht sich die Verbesserung am Arbeitsmarkt erst allmählich bemerkbar.
Die Gesamtaufwendungen des Bundes für die Altersversorgung der Arbeiter und Angestellten sowie die knappschaftlich Versicherten erhöhen sich dagegen um 14 Milliarden DM auf rund 104 Milliarden DM. Wenn ich dann noch Ausgaben für die landwirtschaftliche Alterskasse dazurechne, komme ich zu dem Ergebnis, daß wir mehr als 110 Milliarden DM im Bundeshaushalt für diesen Bereich ausgeben. Das sind weit mehr als 22 Prozent aller Bundesausgaben. Dies zeigt in aller Deutlichkeit: Wir stehen für die Freundschaft zwischen den Generationen. Wir stehen für die älteren Menschen ein; sie können sich auf uns verlassen.
({13})
Ein Wort in diesem Zusammenhang zu den Pensionen der Postbeamten: Für die Pensionäre der Post kommt es nicht darauf an, ob in den einzelnen Jahren die Abführungen der Postnachfolgegesellschaften ausreichen oder nicht. Die Pensionen sind staatlich garantiert, und dafür stehe ich ein.
({14})
Insgesamt ist ein Anstieg der Sozialausgaben im Bundeshaushalt auf rund 190 Milliarden DM zu verzeichnen. Das zeigt, wie inhaltsleer, wie töricht und wie falsch das Gerede vom Sozialabbau ist.
({15})
Meine Damen und Herren, in der Steuerpolitik hat die Bundesregierung frühzeitig und konsquent für die Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland gesorgt. Wir haben eine dreistufige Reform der Unternehmensbesteuerung umgesetzt. Die dritte Stufe ist seit Jahresanfang in Kraft. Die arbeitsplatzvernichtende Gewerbekapitalsteuer wurde abgeschafft; in den neuen Bundesländern brauchte sie Gott sei Dank erst gar nicht eingeführt zu werden. Alle drei Stufen wurden gegenfinanziert, um die Erfolge unserer Haushaltskonsolidierung nicht zu gefährden.
Gezielt wurden Steuervergünstigungen und steuerliche Sonderregelungen im Unternehmensbereich abgebaut. In den letzten Jahren waren es insgesamt mehr als 50 Milliarden DM. Es ist absurd, wenn uns die SPD vorwirft, wir hätten die Unternehmen einseitig entlastet. Richtig ist: Mit dem Jahressteuergesetz 1996 haben wir das Existenzminimum verfassungskonform steuerfrei gestellt. Der Grundfreibetrag beträgt in diesem Jahr rund 12 400 DM und steigt ab 1999 auf rund 13100 DM. Immer mehr Arbeitnehmer mit geringem oder mittlerem Einkommen zahlen so weniger oder gar keine Einkommensteuer.
Wir haben die finanzielle Situation der Familien nachhaltig verbessert. In diesem Jahr erreichen die steuerlichen Entlastungen und Geldleistungen für die Familien fast 77 Milliarden DM. Das sind fast 50 Milliarden DM mehr als 1982.
Seit 1997 ist die Vermögensteuer weggefallen. Die Vermögensteuer belastete zu rund 60 Prozent Betriebsvermögen und damit vor allem die Arbeitsplätze. Eine weitere Arbeitsplatzvernichtungssteuer ist damit beseitigt. Außer den Sozialdemokraten in Deutschland gibt es niemanden mehr in Europa, der eine arbeitsplatzfeindliche Vermögensteuer einführen oder auch nur behalten wollte. Das stellt Sie, meine Damen und Herren von der SPD, doch ins Abseits.
({16})
Mit dem Jahressteuergesetz 1997 haben wir dann die Erbschaft- und Schenkungsteuer wirtschafts- und sozialverträglich geregelt. Die private Vermögensteuer ist vor allem aus Gründen der Steuervereinfachung mit der Erbschaft- und Schenkungsteuer zusammengefaßt worden.
({17})
Die SPD will die private Vermögensteuer als Sozialneidsteuer wieder einführen. Das bringt nichts ein.
({18})
Die Steuer zu erheben ist viel zu aufwendig, und sie führt zu kaum kontrollierbaren Tricksereien zwischen Privat- und Betriebsvermögen. Eine solche Alibisteuer, die nur schädlich für die Volkswirtschaft und die Arbeitsplätze wäre, lehnen wir ab.
({19})
Der nächste steuerpolitische Schritt ist die große Steuerreform. Sie wird unmittelbar nach der Wahl kommen, eingebracht von dieser Koalition. Es ist auch möglich, durchzusetzen, daß es schon ab dem 1. Januar 1999 weniger Steuern geben kann. Im Blick auf den Investitionsstandort Deutschland soll eine erste spürbare Entlastung schon zum 1. Januar 1999 wirksam werden.
({20})
Die verbleibenden Reformelemente können dann ab dem Jahr 2000 in Kraft treten. Dabei muß das Gesamtpaket in einem Gesetz verabschiedet werden.
Mit dem zeitgleichen Signal zum 1. Januar 1999 unterstreichen wir: Deutschland geht als konkurrenzfähiger Steuerstandort in die Euro-Zukunft. Das wird die Investitionsentscheidungen ab sofort positiv beeinflussen. Wir schaffen vor allem Vorsorge für die Stärkung der inländischen Wirtschaftsentwicklung angesichts beachtlicher weltwirtschaftlicher Risiken und Gefahren, die vor allem von Asien und von Rußland ausgehen.
Vorrangig zum 1. Januar 1999 sind folgende Elemente: Der Höchstsatz für gewerbliche Einkünfte und der Körperschaftsteuersatz für einbehaltene Gewinne sollen von 47 bzw. 45 Prozent auf 40 Prozent, der Körperschaftsteuersatz für ausgeschüttete Gewinne soll von 30 Prozent auf 28 Prozent gesenkt werden. Damit erreichen wir eine erhebliche Annäherung an das niedrigere internationale Niveau der betrieblichen Steuerbelastung, die für Standortentscheidungen von entscheidender Bedeutung ist.
({21})
Der Eingangssteuersatz in der Lohn- und Einkommensteuer soll von derzeit knapp 26 Prozent auf nahe 20 Prozent und der Höchststeuersatz von derzeit 53 auf 47 bis 48 Prozent reduziert werden. Am unteren Ende der Einkommens- und Steuerskala wird damit der Anreiz zur Arbeit deutlich verstärkt und der Übergang vom Transfereinkommen erleichtert. Alle Steuerzahler werden von dieser Tarifanpassung profitieren.
Die gleichgewichtige Entlastung im obersten Tarifbereich kappt die extrem hohe Belastung der Leistungsspitzen. Sie ist im übrigen unverzichtbar, um die Entlastung der gewerblichen Einkommen verfassungsgemäß sicherstellen zu können.
Das gesamte Bruttoentlastungsvolumen von gut 20 Milliarden DM wollen wir zur Hälfte durch das Schließen von Steuerschlupflöchern und durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage gegenfinanzieren. Damit verbleibt eine echte Nettoentlastung von rund 10 Milliarden DM, die allen Steuerzahlern - Privaten und Betrieben - zugute kommt.
Wir wollen die günstige wirtschaftliche Entwicklung der letzten Monate nutzen, um diese Nettoentlastung ohne Erhöhung der Kreditaufnahme zu finanzieren. Art. 115 des Grundgesetzes und das Maastricht-Defizitkriterium bleiben unangetastet.
({22})
Das ist realistisch, weil die gute Wirtschafts- und die sich verbessernde Arbeitsmarktlage die öffentlichen Haushalte entlasten. Die deutlich entspannte Arbeitsmarktlage kann das Bundesdefizit bei rund 100 000 Arbeitslosen weniger um insgesamt rund 3 Milliarden DM senken. Das extrem niedrige Zinsniveau hält die Zinsausgaben gering. Die Steuereinnahmen haben sich wieder deutlich erhöht. Im übrigen wird die frühzeitige Steuerentlastung über verstärktes Wachstum zur Einpassung in die Konsolidierungslinie auch selbst beitragen.
Auf der Grundlage der bereits vorliegenden Reformgesetze wollen wir die Gesetzgebung möglichst vor dem 1. Januar 1999 abschließen. Wir wollen über die Verwirklichung der gesamten Petersberg-Reform in direktem Zusammenhang mit der ersten Stufe entscheiden.
Wir wollen insgesamt eine Nettoentlastung von 30 Milliarden DM. Wir wollen nicht, wie die SPD, nur einen kleinen Personenkreis geringfügig entlasten, sondern alle, die Familien ebenso wie die Facharbeiter, Angestellte, Handwerker, Selbständige und Betriebe.
Wir wollen nach Abschluß der Steuerreform einen Eingangsteuersatz von 15 Prozent, einen Körperschaftsteuersatz von 35 Prozent für einbehaltene und 25 Prozent für ausgeschüttete Gewinne, einen Steuersatz auf gewerbliche Einkünfte von 35 Prozent und einen Höchststeuersatz von 39 Prozent. Zahlreiche Steuervergünstigungen werden dafür wegfallen; für viele Steuersparmodelle bedeutet unsere Steuerreform das endgültige Aus.
Meine Damen und Herren, wenn Sie es mit dem Standort Deutschland ernst meinen, wenn Sie etwas für die Arbeitslosen tun wollen und wenn Sie es mit der entscheidenden Rückführung der Arbeitslosigkeit ernst meinen, dann sind Sie aufgefordert, spätestens nach dem 27. September - dann werden Sie die Opposition, wir die Regierung sein - mit uns zusammenzuarbeiten, damit bereits zum 1. Januar 1999 ein entscheidender Schritt getan werden kann.
({23})
Das sogenannte Steuerprogramm der SPD ist reiner Populismus. Es verspricht der Durchschnittsfamilie eine steuerliche Entlastung um jährlich 2 500 DM. Diese Größenordnung hätten wir mit dem Steuerreformgesetz schon längst erreicht. Eine Familie mit zwei Kindern und einem Bruttojahresverdienst von 70 000 DM wäre schon heute um diese Summe entlastet. Die SPD windet sich, wenn es um die Details und die Finanzierung geht. Darüber schweigt sie sich weiterhin beharrlich aus. Nur, das Spiel ist leicht zu durchschauen: Allen wird alles versprochen. Das Motto lautet: Bloß nicht konkret werden. Immer wenn der SPD-Kanzlerkandidat konkret wurde, dann fiel er voll auf die Nase. Lafontaine ist für die Entlastung der niedrigen Einkommen zuständig, die Zeche dafür sollen die Unternehmen zahlen; Schröder ist für den Schmusekurs mit den Unternehmen zuständig, die zuvor von Lafontaine geschröpft worden sind.
Das Wahlprogramm der SPD enthält noch eine andere Nebenbedingung. Die SPD stellt ihr gesamtes Programm sowieso unter einen Finanzierungsvorbehalt. Wenn die SPD die knappen Mittel des Haushalts für neue Wohltaten, für Umverteilung oder für die Beseitigung der Defizite der Sozialversicherung braucht, fallen die Steuerversprechen der SPD allesamt wie ein Kartenhaus zusammen. Es paßt bei Ihnen nichts zusammen.
({24})
Der Bürger muß wissen: Wer SPD wählt, wählt am Ende Steuererhöhungen.
({25})
Die SPD hat eine Mindeststeuer ins Gespräch gebracht. Alle Experten kommen zu demselben Schluß: Die Mindeststeuer ist ein völlig ungeeignetes Instrument zur Verbesserung der Steuergerechtigkeit. Diese Idee kann nur von jemandem kommen, der die Grundprinzipien des Steuerrechts in Frage stellen will. Mit dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Wahrung des objektiven Nettoprinzips hat eine Mindeststeuer nichts mehr zu tun. Das einzige Ergebnis ist eine unverantwortliche Komplizierung des Steuerrechts.
Wer die Gestaltungsmöglichkeiten der sogenannten Abschreibungskünstler treffen will, muß das Problem an der Wurzel packen. Volkswirtschaftlich unsinnige Steuervergünstigungen und steuerliche Sondertatbestände müssen aufgehoben werden. Das entspricht dem Konzept der Petersberger Steuervorschläge.
({26})
Für die Besteuerung der gewerblichen Einkünfte schlägt die SPD ein sogenanntes Optionsmodell vor. Das ist nun wirklich ein ganz alter Hut aus der Mottenkiste, der bereits Anfang der 50er Jahre wegen praktischer Undurchführbarkeit abgeschafft werden mußte.
({27})
Rechtspraxis und Rechtsentwicklung der vergangenen Jahre sind offenbar an der SPD vorbeigegangen. In der Gesamtschau ist der Steuertorso der SPD - von einem Konzept kann man ja wohl nicht sprechen - völlig unbrauchbar, um in einer globalisierten Weltwirtschaft und in einem scharfen Wettbewerb zu bestehen.
({28})
Einem Steuerdumping innerhalb der EU werden wir weiter energisch entgegentreten. Teilerfolge haben wir schon erreicht.
({29})
Auf unsere Initiative hin wurde am 1. Dezember 1997 ein Verhaltenskodex zur Bekämpfung unfairer Wettbewerbspraktiken im Bereich der Unternehmensteuern verabschiedet. Der faire Wettbewerb der Steuersysteme und damit die freie Standortwahl der Unternehmen bleiben erhalten, aber steuerliche Anreize zur bloßen Gewinnverlagerung werden verschwinden.
Ganz anders steht es mit den Ideen Oskar Lafontaines und der SPD zu Absprachen in der Makro-, Struktur- oder Währungspolitik auf europäischer oder internationaler Ebene. Oskar Lafontaine fordert ein Festkurssystem zwischen Dollar, Yen und Euro. Im „Startprogramm" steht die nebulöse Idee von internationalen Übereinkünften in allen möglichen Bereichen: bei der Beschäftigung, im Sozial- oder im Umweltbereich. Aber ein globales Festkurssystem kann doch nicht funktionieren. Man stelle sich einBundesminister Dr. Theodor Waigel
mal vor, die Europäische Zentralbank müßte mit massiven Interventionen den Yen-Wechselkurs stützen und würde dabei die Preisstabilität im Euro-Raum aufs Spiel setzen. Meine Damen und Herren von der SPD, Herr Lafontaine, an Ihnen ist die ganze internationale Wirtschaftspolitik der letzten zehn, fünfzehn Jahre vorübergegangen. Es geht darum, daß jedes Land seine Anpassungsprozesse vollzieht, daß die notwendige Konvergenz hergestellt wird. Sie können nicht mit Hilfe von Interventionen das wettmachen, was in bezug auf die Anpassung der Volkswirtschaften vorher nicht erfolgt ist.
({30})
Ich sage es hier noch einmal: Wir setzen auf eine Senkung der deutschen Nettobeiträge an die Europäische Union. Ich halte das für richtig und für vertretbar. Nicht nur die Länder, die davon betroffen sind, auch andere wie Luxemburg und die Kommission haben es zwischenzeitlich begriffen: Wir sind ein solidarisches Land in Europa und in der Welt; aber auf die Dauer kann und wird Deutschland nicht 60 Prozent der Nettobeiträge an die EU entrichten können.
({31})
Meine Damen und Herren, um uns herum in der Welt brodelt es. Die Krise in Ostasien ist noch längst nicht überwunden. Japan befindet sich nicht nur in der Rezession, sondern in einer schweren Strukturkrise. Andere Regionen leben in akuter Anstekkungsgefahr. Die Vereinigten Staaten werden vom internationalen Terrorismus attackiert und konzentrieren sich natürlich auf ihre eigenen Aufgaben.
Rußland wird nur mit erheblichen eigenen Anstrengungen wieder auf die Beine kommen. Deutschland hat ein unmittelbares Interesse an Rußlands politischer und wirtschaftlicher Stabilität. Nur wenn es gelingt, die russische Volkswirtschaft zu stabilisieren, wird Rußland auf Dauer als verläßlicher Partner an der Erhaltung des Friedens in Europa und der Welt mitwirken können. Rußland ist reich an Ressourcen. Es kann eine starke Wirtschaft aufbauen, wenn es entschlossen den Weg der marktwirtschaftlichen Reformen weitergeht. Wenn Rußland Reformen wirklich will, dürfen seine Anstrengungen nicht an mangelnder Unterstützung scheitern. Das ist die verantwortungsvolle Position der Bundesregierung, seit Präsident Jelzin 1992 in München erstmals am Wirtschaftsgipfel der G 7 teilgenommen hat.
Meine Damen und Herren, wo stünden wir eigentlich, wenn die weltbewegenden Ereignisse seit 1990, die gerade von Helmut Kohl entscheidend mit herbeigeführt wurden, nicht stattgefunden hätten, wenn wir heute diese Beziehungen zu Rußland nicht hätten? Was wäre, wenn heute noch 500 000 oder 600 000 russische Soldaten mit all den Waffen hier ständen? Wie glücklich und wie gut ist es, daß wir diese Entwicklung in Deutschland und in Europa erreicht haben, in der EU, mit der NATO, daß es freundschaftliche Beziehungen zu Rußland, allen anderen europäischen Staaten und den Vereinigten Staaten gibt! Noch nie zuvor in seiner Geschichte war Deutschland von Freunden und Partnern umgeben und hatte mit fast allen wichtigen Mächten in Europa und in der Welt ein so gutes Verhältnis. Das ist die große Leistung von Helmut Kohl, von CDU/ CSU und F.D.P.
({32})
Noch geht es uns Deutschen und den Europäern trotz aller Probleme und Aufgaben besser als anderen. Dafür spricht nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung. Dazu kommt der Erfolg unserer Europapolitik. Die Euro-Zone ist schon jetzt zu einem Stabilitätspol geworden. Die Geldanleger stellen zu immer niedrigeren Zinsen Kapital in Europa zur Verfügung und erleichtern damit die Investitionen.
({33})
Hätten wir den Euro jetzt nicht, dann stiegen Preise und Zinsen, und die D-Mark geriete unter Aufwertungsdruck. All dies würde unseren Aufschwung gefährden.
Meine Damen und Herren, daß heute die EuroZone, das Zentrum Europas, fast eine Insel der Stabilität und natürlich auch die Wachstumslokomotive in der Weltwirtschaft ist, ist darauf zurückzuführen, daß wir in den letzten Jahren unglaubliche Anstrengungen bei uns und nicht minder in den anderen Ländern unternommen haben, daß wir Konvergenz erreicht, Konsolidierungsmaßnahmen durchgesetzt, Strukturreformen durchgeführt und am 1. und 2. Mai dieses Jahres eine Entscheidung getroffen haben.
Wo wären wir, wenn wir Herrn Schröder gefolgt wären, der den Euro als „kränkelnde Fehlgeburt" bezeichnet hat? Da zeigt sich, wie töricht dieser Mann geurteilt hat und daß er von den Dingen nichts, aber auch gar nichts versteht.
({34})
Weltwirtschaftspolitik und Krisenbewältigung setzen internationale Erfahrung und marktwirtschaftliche Kompetenz voraus. Für sozialistische Experimente und rotgrüne Versuchsballons sind Deutschland und Europa zu schade.
({35})
Gebraucht werden Welterfahrung, klare Führung, Verläßlichkeit - kurz: ein Fels in der Brandung, ein Lotse, kein Segel, das sich nach jedem Lüftchen dreht -: Das, meine Damen und Herren, ist Helmut Kohl.
({36})
Der Bundeshaushalt 1999 und der Finanzplan bis 2002 zeigen deutlich: Die Koalition von CDU/CSU und F.D.P. hat die richtigen finanzpolitischen Konzepte. Sie wird diese Konzepte in konkrete Politik zum Wohl unseres Landes umsetzen. Die OppositiBundesminister Dr. Theodor Waigel
onsparteien, allen voran die SPD und der Kanzlerkandidat, können keine schlüssigen und erst recht keine finanzierbaren Konzepte vorweisen. Ihnen fehlt die Kraft und die Geschlossenheit, Reformen erfolgreich voranzubringen.
({37})
Meine Damen und Herren, Deutschland steht vor der Wahl.
({38})
- Ich sage Ihnen eins: Wahlen sind bisher immer beim Wahlgang und nicht bei Umfragen entschieden worden. Sie werden sich wundern.
({39})
Wir haben Sachargumente, Sie haben Slogans. Wir haben ein Programm, Sie machen PR. Wir haben konkrete Maßnahmen, Sie haben leere Worte. Wir haben einen Kanzler, Sie haben einen Kandidaten. Dabei bleibt es.
({40})
Es geht um eine Richtungsentscheidung für das 21. Jahrhundert: Fortschritt oder Rückschritt, Stabilität oder Krise, Aufschwung oder Stagnation, Wachstum oder Umverteilung, Markt oder Staat.
({41})
Das Vertrauen der Bürger gewinnt man durch Klarheit und Wahrheit.
({42})
Reiner Kunze schreibt in seinem neuen Gedichtband: Wort ist Währung, je wahrer desto härter. Wir scheuen uns nicht, den Bürgern reinen Wein einzuschenken und die Probleme zu nennen.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Reines Papiergeld!
Meine Damen und Herren, wir legen hier einen Haushalt für das nächste Jahr vor. In Niedersachsen ist keiner vorgelegt worden.
({43})
Wir sagen, was not tut, auch wenn die Medizin manchmal schmerzt. Wir sagen aber auch, welche Chancen wir im 21. Jahrhundert haben, wenn wir unsere Tugenden ausspielen.
({44})
Dazu gehören Primärtugenden und Sekundärtugenden.
Meine Damen und Herren, Eugen Biser hat einmal angemerkt - ich nehme an, Sie werden dem nicht widersprechen, Herr Ministerpräsident -, daß Zeiten der Erschütterung immer auch die Chance beinhalten, daß die Erschütterung an der Oberfläche mit einer positiven Entwicklung im Untergrund einhergeht. Heute geht es darum, Angst zu überwinden und Vertrauen zu schaffen. Die Politik der letzten 16 Jahre, vor allen Dingen die Politik der letzten neun Jahre hat in Deutschland und Europa Angst weggenommen. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung für die Zukunft.
({45})
Wir haben Vertrauen in die Grundwerte von Staat und Gesellschaft, in die Freiheit und Demokratie in einer offenen Gesellschaft, in die eigene Kraft und in die Möglichkeit, diese Zukunft zu gestalten.
Es ist die Politik unter diesem Vorzeichen, die uns gestern stolz an 50 Jahre Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland erinnert hat. Diese Verfassungsgeschichte ist mehr als nur eine Auseinandersetzung um Wettbewerbsföderalismus, so wichtig er auch ist. Es ist eine stolze Verfassungsgeschichte, die wir mit Leben erfüllt haben. Es ist dies die Politik, die die deutsche Einheit möglich und den Aufbau der neuen Länder in Gang gebracht hat. Es ist diese Politik, die ein Europa in Frieden, Freiheit und Demokratie entscheidend vorangebracht hat. Dafür stehen wir bei den Bürgern ein, heute und morgen.
Die Regierungskoalition von CDU/CSU und F.D.P. wird den Haushalt 1999 nach der Bundestagswahl verabschieden.
Ich danke Ihnen.
({46})
Es spricht jetzt der Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafontaine.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({0}) ({1}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist üblich, am Ende einer Legislaturperiode bei Haushaltsberatungen Bilanz zu ziehen. Es war zu erwarten, daß sich der Finanzminister redlich bemüht hat, die Lage in bunten Farben darzustellen und mitzuteilen, eigentlich sei doch alles auf bestem Wege.
Als er über den Arbeitsmarkt sprach, dachte ich, wenn er weiterredet, haben wir Vollbeschäftigung.
({2})
In einer solchen Situation muß man aber auch bei der Wahrheit bleiben; denn was Sie hier vorgetragen haben, hat mit der Wirklichkeit in unserem Lande nichts zu tun.
({3})
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({4})
Vor einer Wahl ist es gerechtfertigt, die Wählerinnen und Wähler darauf hinzuweisen, was eine Regierung zu Beginn ihrer Amtszeit versprochen hat. Jeder in Deutschland weiß, daß diese Regierung zu Beginn ihrer Amtszeit versprochen hat, die Staatsschulden zu begrenzen oder zu senken, die Steuer- und Abgabenlast zu mindern sowie die Zahl der Arbeitslosen zu reduzieren. Und jeder in Deutschland weiß, daß das Gegenteil von all dem eingetreten ist:
({5})
Die Staatsschulden sind so hoch wie niemals zuvor. Die Steuer- und Abgabenlast ist nicht für alle, aber für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so hoch wie niemals zuvor. Die Arbeitslosigkeit ist bei 4,3 Millionen die höchste nach dem Kriege. - Das schönzureden ist im Grunde genommen nicht hinnehmbar. Die Wählerinnen und Wähler akzeptieren das auf Dauer auch nicht.
({6})
Als Helmut Kohl 1982 ins Amt gewählt wurde, sagte er wörtlich:
Die neue Regierung ist notwendig geworden, weil sich die alte, die bisherige Regierung als unfähig erwies, gemeinsam die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, das Netz sozialer Sicherheit zu gewährleisten und die zerrütteten Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen.
Wie schön wäre es, wenn wir heute noch die Zahlen des Jahres 1982 hätten.
({7})
In welchem Umfang haben Sie draufgesattelt, bei Arbeitslosigkeit, bei Staatsschulden, bei Steuer- und Abgabenbelastung!
({8})
Ihre Wirtschaftspolitik ist die eigentliche Ursache des Anstiegs der Massenarbeitslosigkeit, und wenn die Wählerinnen und Wähler Sie weiter mit der Regierungsverantwortung beauftragen, dann wird die Arbeitslosigkeit weiter steigen. Es ist nämlich nicht möglich, eine Wirtschafts- und Finanzpolitik zu betreiben, nach der, wie die Bischöfe zu Recht festgestellt haben, in Deutschland die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher geworden sind. Diese Wirtschaftspolitik rächt sich jetzt, weil wir seit Jahren eine viel zu schwache Binnennachfrage haben und weil ohne eine Stärkung der Binnennachfrage Wachstum und Beschäftigung nicht in Gang kommen können.
({9})
Daher bieten wir den Wählerinnen und Wählern eine andere Steuerpolitik an, als Sie sie bisher angeboten haben. Es war ja doch überraschend, was Sie jetzt hier vorgetragen haben, Herr Bundesfinanzminister. Es ist mir irgendwie bekannt vorgekommen: Eingangssteuersatz zunächst in die Nähe von 20 Prozent, der Höchststeuersatz zunächst einmal bei 48 Prozent, damit es nicht auffällt, daß es 49 Prozent sein sollen, und dann wird man weitersehen. Es soll ein Entlastungsvolumen von 10 Milliarden DM angeboten werden. Genau das hat Ihnen die SPD doch jahrelang angeboten! Warum kommen Sie jetzt kurz vor der Wahl auf unser Konzept, zumindest beim Tarif?
({10})
Allerdings muß ich sagen, daß Sie wieder nicht genau geworden sind bei der Gegenfinanzierung. Da liegt ja dann bekanntlich die Schwierigkeit. Wenn Sie von 20 Milliarden DM als Gegenfinanzierungsvolumen sprechen, dann haben Sie das alles nicht durchgerechnet. Ich muß das hier noch einmal in aller Klarheit sagen: Einen solchen Tarif - ich sage es noch einmal: Eingangssteuersatz in der Nähe von 20 Prozent und oben bei 48 Prozent - mit einem Volumen von 20 Milliarden DM gegenzufinanzieren ist nicht möglich.
({11})
Deshalb, meine Damen und Herren: Sie können nicht Steuerpolitik machen, die hinten und vorne nicht stimmt; damit werden Sie niemals durchkommen.
({12})
Ich will Ihnen jetzt sagen, was unsere Position ist. Unsere Position ist, daß ein Teil Ihrer Gegenfinanzierungsmaßnahmen, die ich noch einmal in Erinnerung rufen muß, nicht akzeptabel sind. Da wird vorgeschlagen, die Schichtarbeiter zu besteuern. Ich muß den Wählerinnen und Wählern hier noch einmal sagen: Das halten wir für falsch, weil wir Leute brauchen, die am Wochenende arbeiten oder Nachtschichten fahren; sie wollen wir weiterhin steuerlich begünstigen. Wenn Sie das anders sehen, ist das Ihre Sache.
({13})
Da wird vorgeschlagen, die Kilometerpauschale abzuschaffen. Das halten wir für falsch in einem Land, in dem auf Grund struktureller Verwerfungen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen langen Anfahrtsweg haben. Deshalb werben wir im Interesse mobiler Arbeitnehmer für den Erhalt der Kilometerpauschale bei einem langen Arbeitsweg.
({14})
Sie schlagen vor, Versicherungen und Renten zu besteuern. Vielen ist das vielleicht in Vergessenheit geraten. Gleichzeitig wollen Sie die Renten kürzen. Wem wollen Sie denn das alles noch erklären? Ich mache Sie auf noch etwas aufmerksam, denn vielleicht haben Sie Ihre eigenen Programme nicht gelesen. Sie wollen jetzt Ihre Rentenkürzungen auch wieder zurücknehmen. Aber - da kann man fast den ganzen Unterschied der Politik ausmachen - Sie wollen die Rentenkürzungen nur für diejenigen zurücknehmen, die 45 Versicherungsjahre haben, also relativ hohe Renten haben. Sehen Sie, da ist einfach die Trennlinie. Wer bei solchen Kürzungsmaßnahmen, wenn sie unpopulär werden, oben anfängt, die Grausamkeiten zu beseitigen, und nicht an diejenigen denkt, die am Rande des Existenzminimums leben,
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({15})
der gehört abgewählt, und so wird es sein, meine Damen und Herren.
({16})
An dieser Stelle kritisiere ich ausdrücklich die Wirtschaftsverbände, die allmählich als Gesprächspartner unglaubwürdig werden, wenn sie auf der einen Seite bei der SPD die Pläne zur Rücknahme der Rentenkürzung kritisieren, Rücknahmepläne bei der CDU aber überhaupt nicht erwähnen. Das ist unseriös. Wer als Gesprächspartner ernst genommen werden will, der muß, bitte schön, mit gleichen Maßstäben messen.
({17})
Wir wollen - das haben Sie richtig zitiert - Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchschnittlich um 2 500 DM entlasten. Wir wissen, daß das ein anspruchsvolles Versprechen ist, weil wir eben nicht der Gefahr erliegen wollen, Versprechen zu geben, die wir nicht einhalten können.
({18})
Sehen Sie, genau das ist Ihr Problem. Ich konnte vorhin fast nicht mehr zuhören, als Sie sagten, daß Sie bei der Wahrheit bleiben,
({19})
Sie, die Sie 1990 versprochen haben: keine Steuer- und Abgabenerhöhungen. Helmut Kohl steht dafür in ungezählten Anzeigen in diesem Land. Dann haben Sie die Steuern und Abgaben, auf das Jahr gerechnet, um 120 Milliarden DM erhöht. Sie wollen hier etwas von Wahrheit erzählen? Glauben Sie, die Menschen in Deutschland vergessen alles? - Ist es nicht wahr?
({20})
1994 geschah wiederum dasselbe. 1994 versprachen Sie, den Soli abzuschaffen. Sie versprachen diverse Steuersenkungen. Sie versprachen, die Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen. Das Gegenteil von all dem ist geschehen. Sie wollen hier etwas von Wahrheit erzählen, wo Sie eine solche Serie von gebrochenen Versprechen, wie ich sie nirgendwo in ganz Europa und in der Welt kenne, aufzuweisen haben?
({21})
Und dann sagen Sie hier mit Tremolo in der Stimme: „Wort ist Währung, je wahrer, desto härter." Mein lieber Herr Waigel, hängen Sie sich das übers Bett, aber erzählen Sie es nicht im Parlament, denn Sie fallen doch auf, wie kaum jemand aufgefallen ist, wenn er solche Ansprüche in diesem Hause erhebt!
({22})
Dann haben Sie etwas noch einmal gesagt, was mir auch bei anderen Sprechern schon öfter aufgefallen ist, nämlich wir wollten nur einen kleinen Personenkreis geringfügig entlasten. Sie als Bundesfinanzminister kennen die Systematik des Steuerrechts nicht!
({23})
Wenn wir beispielsweise den Grundfreibetrag anheben, dann werden alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entlastet. Was reden Sie hier für einen Unsinn, Herr Bundesfinanzminister? Gucken Sie noch einmal ins Steuerrecht!
({24})
Wenn wir, wie Sie richtig zitiert haben, den Eingangssteuersatz senken, dann werden alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entlastet, soweit sie Steuern zahlen. Soviel ich weiß, ist das ein ziemlich großer Personenkreis. Nur, das Problem ist, wenn man den Spitzensteuersatz senkt, dann kann man diese Aussage nicht aufrechterhalten und behaupten, alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler würden entlastet. Das ist die Systematik unseres Steuerrechts.
Deshalb sagen wir Sozialdemokraten angesichts stagnierender oder sinkender Reallöhne in den letzten Jahren, angesichts der Umverteilung, die die Bischöfe mit den Worten „Die Armen sind ärmer, und die Reichen sind reicher geworden" charakterisiert haben: Wir fangen von unten an, und wir entlasten zunächst einmal diejenigen, die das Geld brauchen. Das ist unsere Steuerpolitik. Die Wählerinnen und Wähler werden darüber entscheiden.
({25})
Im übrigen ist das nicht mehr nur ein Problem der Deutschen, es ist ein Problem in Gesamteuropa. Gott sei Dank - wir sind gar nicht so unfair, es nicht anzuerkennen, wenn Sie dazulernen - haben Sie jetzt gesagt: Der Steuersenkungswettlauf, Steuerdumping, in Europa muß begrenzt werden. Vor Jahren haben Sie darüber noch gespottet. Wenn Sie das jetzt ebenfalls fordern, dann ist das anerkennenswert. Vor Jahren haben Sie noch versucht, diese Idee lächerlich zu machen.
Was ist in Europa geschehen? Ich wiederhole es: Im Sinne des Standortwettbewerbs versuchte das Land A, die Unternehmensteuern zu senken. Da sagte das Land B: Dann senken wir sie noch weiter. Dann erklärte das Land C: Wir senken noch weiter. Das war dann der Wettbewerb an dieser Stelle. Bei der Vermögensteuer galt dasselbe: Zunächst die Vermögensteuer senken, dann sie weiter senken und dann ganz abschaffen. Dasselbe galt auch bei den Steuern auf die Gelderträge: Zunächst sie senken, dann Abschlagsbeträge festlegen. Doch mittlerweile hatten sich viele schon verflüchtigt und ihr Geld auf Konten in andere Länder gebracht.
Die Leidtragenden dieses falschen Konzeptes, dem Sie anhängen, sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ganz Europa, die mit immer höheren Abgaben, mit immer höheren Lohnsteuern und imMinisterpräsident Oskar Lafontaine ({26})
mer höheren Verbrauchsteuern diesen Wettbewerb bezahlen müssen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Deshalb begrüßen wir es, wenn Sie jetzt einsehen, daß das so nicht weitergehen kann. Wir sagen aber, daß das unsere Politik ist, die wir konsequent umsetzen werden, und weisen darauf hin, daß Initiativen auf europäischer Ebene in den letzten Jahren - ich denke einmal an die Quellensteuer - von Ihnen nicht gerade positiv begleitet worden sind.
({27})
- Sie streiten das immer wieder ab, verehrter Herr Bundesfinanzminister. Sie haben nur das Problem, daß uns alle führenden Leute, die wir in Europa kennen, das so sagen und bestätigen. Tun Sie doch nicht so, nachdem Sie die Quellensteuer hier zuerst eingeführt und dann wieder abgeschafft haben, als seien Sie in Europa der Vorreiter bei der Einführung der europaweiten Quellensteuer gewesen. Sie haben sie abgeschafft und damit einen Ansatz der Harmonisierung zerstört. Stellen Sie sich dieser Verantwortung!
({28})
Ein zweiter Punkt ist: Sie haben sich mit dem Kollegen Diller in unfairer Weise auseinandergesetzt. Natürlich kann man den von Ihnen aufgestellten Haushalt nicht ohne weiteres zur Seite legen. Sie wissen doch, wie sich bei Ihnen die Schulden in den letzten Jahren entwickelt haben: Die Schulden sind in Ihrer Amtszeit um über 1000 Milliarden DM gestiegen. Wir würden das zwar gerne zur Seite legen und weglegen, aber wir können das leider nicht.
({29})
Insofern ist Ihre Replik auf den Kollegen Diller leider sehr ungeschickt. Wir würden das im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und kommender Generationen gerne weglegen, aber die Hypothek ist da; wir müssen sie zahlen. Wir werden in den nächsten Jahren 25 Prozent der Steuereinnahmen auf Grund Ihrer verfehlten Finanzpolitik für Zinsen ausgeben müssen - 25 Prozent!
({30})
- Ich würde Ihnen raten, ehe Sie „Saarland" dazwischenrufen, sich einmal zu informieren. Sie haben ja entsprechende Leute hier sitzen. Ich will Ihnen noch einmal die Zahlen vortragen. Die können Sie ja überprüfen. Ich habe von einer CDU/F.D.P.- Regierung eine Zinssteuerquote von 19 Prozent geerbt. Sie liegt jetzt bei 21 Prozent. Damit bin ich unzufrieden. Aber Sie haben 1982 eine Zinssteuerquote - das ist die entscheidende Kennziffer - von 12 Prozent übernommen; jetzt beträgt sie 26 Prozent. An Ihrer Stelle
würde ich den Mund nicht so voll nehmen, Herr Waigel.
({31})
Ich könnte Ihnen auch etwas zur Entwicklung der Arbeitslosenzahlen sagen. Sie können das alles durchaus so weitertreiben. Ich sage Ihnen nur eines: Über die Qualität einer Politik urteilen nicht Sie und nicht wir, sondern die Wählerinnen und Wähler. Der Kollege Schröder hat zweimal die absolute Mehrheit - jetzt sogar eine ganz starke - erreicht, weil die Wählerinnen und Wähler seine Politik anerkannt haben. Ihr Geschwätz prallt ab, meine Damen und Herren. Wo haben Sie denn noch solche Ergebnisse?
({32})
Meinen Sie wirklich, wenn Sie schon das Saarland ansprechen, ich hätte dort dreimal die absolute Mehrheit erreicht, weil ich mit meinen Freunden eine so schlechte Politik dort gemacht habe? Glauben Sie das tatsächlich, und sind Sie so überheblich? Wenn Sie jetzt bei den Meinungsumfragen unter 40 Prozent hängen, liegt das nicht daran, daß Sie so gut waren, wie Sie selber meinen, sondern daran, weil die Wählerinnen und Wähler sagen, Sie haben schlecht gearbeitet. So ist das in einer Demokratie.
({33})
Sagen Sie offen, bei wem und wo Sie abkassieren wollen: nämlich bei den Schichtarbeitern, bei den Pendlern, bei den Rentnern, bei denen, die Versicherungspolicen abgeschlossen haben. Sie wollen die Mehrwertsteuer erhöhen, die bekanntlich nach allen Berechnungen die Haushalte mit geringen Einkommen trifft. Das steht alles in Ihrem Steuerkonzept. Auch wir sagen ja: Wir kassieren Steuersubventionen und werden teilweise diejenigen treffen, die bisher in großem Umfang von Steuersubventionen Gebrauch gemacht haben. Das ist richtig. Die Wählerinnen und Wähler werden entscheiden, wer das bessere Konzept hat. So ist das in einer Demokratie.
({34})
Dann wäre es noch ganz schön, wenn Sie bei den Heldentaten, die Sie hier aufzählen, immer auch sagen würden, welche Heldentaten eher auf unser, welche eher auf Ihr Konto gehen und welche wir nur gemeinsam umsetzen konnten. Wenn Sie sich hier brüsten, Sie hätten die Familien bei den Steuerverhandlungen bessergestellt - das ist wirklich eine Frechheit -,
({35})
dann ist das angesichts der Tatsache, daß wir lange gekämpft haben und mit dem Scheitern der Steuerverhandlungen drohen mußten, um die Besserstellung der Familien durchzusetzen, schlicht und einfach unfair, Herr Waigel, wie Sie hier auftreten.
({36})
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({37})
Der Gipfel ist - man kann gar nicht alles ansprechen -, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen: Wir haben das Meister-BAföG wieder eingeführt.
({38})
Wie kann man die Menschen so belügen? Ich will Ihnen sagen, wie das mit dem Meister-BAföG war. Ihre Koalition hat es abgeschafft. Das ist die Wahrheit; das kann jeder überprüfen und nachlesen. Daraufhin kamen die Handwerksmeister und haben gesagt, daß es einen deutlichen Rückgang bei den Anträgen zur Zulassung zur Prüfung gibt. Dann haben wir gesagt: Wir müssen etwas machen. Dann kam der Bund und hat gesagt: Wir haben das bisher allein bezahlt, jetzt sollen die Länder mitzahlen. Dazu haben einige Ministerpräsidenten - auch ich - gesagt: Das machen wir nicht. Dann kam Gerhard Schröder ins SPD-Präsidium und hat gesagt: Stellt euch nicht so stur, macht das mit, es geht um die Sache. Dann haben wir das Gesetz im Bundesrat passieren lassen. Sie tun dem Mann unrecht, wenn Sie hier über ihn so reden, Herr Kollege Waigel. Ohne ihn hätten Sie das Meister-BAföG so nicht - um das hier in aller Klarheit zu sagen.
({39})
Wir werden die Achsen der Republik wieder hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit verschieben. Das ist unser Anspruch. Deshalb ist das Trio Henkel, Stihl und Hundt auch so gegen unsere Politik. Aber das beeindruckt uns nicht sonderlich. Wer nur drei Wörter kennt: Lohnzurückhaltung, Unternehmensteuersenkung und Sozialkürzung, der macht keine überzeugenden Vorschläge zur Wirtschaftspolitik. Wir wissen, was diese Herren jeden Tag, jedes Jahr und immer wieder sagen werden: Lohnzurückhaltung, Unternehmensteuersenkung und Sozialabbau.
({40})
Wenn Sie, Herr Kollege Waigel, dann hier sagen, das Gerede vom Sozialabbau sei törichtes Gerede, müssen sich das alle Wählerinnen und Wähler auf der Zunge zergehen lassen. Wir haben durchaus das eine oder andere mitgetragen, weil wir - das haben Sie gesagt - vor große finanzielle Herausforderungen gestellt worden sind. Ich nenne beispielsweise die Umstellung der Rente, ich nenne die Abschaffung der üppigen Vorruhestandsregelung, ich nenne die Abschaffung der üppigen Anrechnung der Ausbildungszeiten und vieles andere. Ich will das aus Zeitgründen nicht alles erwähnen.
Der Gesundheitsminister stand einmal hier und hat gesagt, wir seien mit den sozialen Kürzungen noch viel schlimmer als die Koalition. Sie können das alles nachlesen. Sie werden sich vielleicht noch daran erinnern, wie es war, als Sie hier standen.
Wir haben eine Reihe von unpopulären Entscheidungen mitgetragen. Aber die Frage ist, wo der Ausgleich ist. Als Norbert Blüm seine Bilanz aufgestellt und hier stolz vorgetragen hat, er habe bei Rentnern und Arbeitslosen aufs Jahr gerechnet 98 Milliarden DM gespart, habe ich ihm gesagt: Sag doch einmal, was ihr den Vermögenden und Beziehern hoher Einkommen in der gleichen Zeit zugeschustert habt. Das wäre eine wahrheitsgemäße, eine ehrliche Bilanz. Darüber würden wir gern diskutieren.
({41})
- Herr Bundesminister, bitte beruhigen Sie sich, selbstverständlich haben Sie Gelegenheit -
Noch habe ich die Sitzungsleitung.
({0})
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Blüm?
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({1}): Ja, wobei ich die CDU-Fraktion bitte, Sie für das Wort „noch" nicht zur Rechenschaft zu ziehen oder zu tadeln. - Bitte sehr.
Herr Ministerpräsident, können Sie bestätigen, daß wir die 98 Milliarden DM, die wir gespart haben, für die Arbeitnehmer, die Beitragszahler, gespart haben? Das betrifft nicht die reichen Leute, weil es nur um Bezieher von Einkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze geht.
({0})
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({1}): Herr Bundesminister, Sie haben mir dieselbe Frage zum selben Gegenstand schon einmal von dieser Stelle aus gestellt. Es ist richtig, daß Beitragszahler die Arbeitnehmer sind. Sie sollten aber vielleicht noch hinzufügen, daß Beitragszahler auch die Unternehmen sind, um das abzurunden, damit man die Parität der Entlastung sieht.
Aber wenn ich sage, daß Sie bei Rentnern und Arbeitslosen gespart haben, habe ich von Rentnern und Arbeitslosen gesprochen und nicht von Beitragszahlern. Verschieben Sie hier nicht die Problematik. Arbeitslose und Rentner haben nicht zuviel Geld, sondern sie haben oft zuwenig Geld, und Sie haben zuviel gekürzt. Das sieht die große Mehrheit der Deutschen genauso.
({2})
Herr Kollege Blüm, daß Sie auch noch stolz darauf sind, bei Rentnern und Arbeitslosen 98 Milliarden DM im Jahr gespart zu haben, hätte ich eigentlich nicht geglaubt. Das muß ich Ihnen sagen.
Ich gehe weiter auf Ihre These ein, daß das Gerede vom Sozialabbau trotz der Einsparungen von 98 Milliarden DM ein törichtes Gerede sei. Dazu spreche ich einige wenige Punkte an, wie etwa die Kürzung der Lohnfortzahlung. Die Verhinderung dieser Kürzung im Rahmen der Tarifverhandlungen hat ja bekanntlich dazu geführt, daß große Kompensationen erfolgen mußten. Im letzten Jahr hatten wir zum erMinisterpräsident Oskar Lafontaine ({3})
stenmal nach dem Kriege - das gab es vorher noch nicht - sinkende Nettolöhne. Vielleicht ist diese Tatsache da oder dort nicht sofort erkannt worden: Ein Land, das sinkende Nettolöhne aufweist, sollte sich fragen, ob es auf dem richtigen Weg ist.
Bei der Kürzung der Lohnfortzahlung geht es um die soziale Gerechtigkeit, die uns Sozialdemokraten ein wichtiger Wert für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist. Warum? Werden jemandem von uns die Bezüge gekürzt, wenn er krank wird? Werden den Herren Henkel, Stihl oder Hundt die Bezüge gekürzt, wenn sie krank werden? Dieser Personenkreis könnte eine Kürzung verkraften. Wieso glauben wir eigentlich, daß wir diese Kürzungen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zumuten können? Ich werbe hier dafür, daß in diesem Lande wieder der Grundsatz gilt: Was du nicht willst, das man dir tu', das füg auch keinem anderen zu. Das sollte der Grundsatz einer Politik sein, die in der Gesellschaft in breitem Maße akzeptiert wird.
({4})
Oder nehmen Sie den Abbau des Kündigungsschutzes. Würde einer von uns gerne einen Vertrag eingehen, nach dem er am nächsten Morgen gekündigt werden kann? Ich frage: Würden die genannten Herren der Unternehmensverbände, Henkel, Stihl und Hundt, solche Verträge unterschreiben, bei denen sie ohne eine Millionenabfindung gekündigt werden können?
({5})
Ich sage noch einmal: Was du nicht willst, was man dir tu', das füg auch keinem anderen zu. Wenn der Abbau des Kündigungsschutzes eine solch tolle Reform ist, dann können die Wählerinnen und Wähler am 27. September dafür sorgen, daß sie in den Genuß dieser Reform kommen. Das wäre die adäquate Antwort auf diese tolle Reform, für die Sie überall im Lande werben.
({6})
Rentenkürzung. Ich mache noch einmal alle, die an dieser Debatte teilnehmen, darauf aufmerksam, daß Sie, vor Wahlen stehend, in Bayern gesagt haben: Bei dem Personenkreis mit 45 Versicherungsjahren nehmen wir die Kürzung zurück. Ich sage aber den Wählerinnen und Wählern: Wenn die F.D.P. weiterhin in der Koalition bleibt, wird daraus nichts. Das alte Spiel würde dann wieder beginnen: Die CSU würde so tun, als hätte sie mit der Politik in Bonn überhaupt nichts zu tun, und sie würde sagen, daß an allem die böse F.D.P. schuld sei. Damit wäre man wieder aus dem Schneider. So darf man nicht vorgehen.
({7})
Wir werden diese Rentenkürzung aufheben. Wir denken dabei auch, aber nicht in erster Linie, an die, die 45 Versicherungsjahre haben; wir denken vor allem an die Kriegerwitwen, die ihre Männer im Krieg verloren haben, die die Kinder allein großgezogen haben, die zu wenig geklebt haben, die von kleinen Renten leben müssen und die keine Nebeneinkünfte haben. Mein Wort steht: Diesen Menschen die Rente zu kürzen ist und bleibt schamlos! Die Wählerinnen und Wähler haben über diese Politik zu entscheiden.
({8})
Das Ganze läuft natürlich auf eine systematische Schwächung der Binnennachfrage hinaus. Ich kann es nur wiederholen: Vom Export allein können Sie den Beschäftigungsaufschwung nicht in Gang setzen.
({9})
Wenn Sie sich die Situation in den Vereinigten Staaten, die ja sehr große Handelsbilanzdefizite haben, oder wenn Sie sich die Situation in Dänemark, Holland und in anderen Ländern anschauen, dann können Sie erkennen: Ohne das Anspringen der Binnenwirtschaft gibt es nicht den von uns gewollten Beschäftigungsaufschwung. Mit all Ihren Maßnahmen haben Sie 98 Milliarden DM bei Rentnern und Arbeitslosen gekürzt. Damit haben Sie die Kaufkraft, die den Einzelhandelsgeschäften direkt zugute käme, und die Binnennachfrage massiv geschwächt.
Herr Kollege Waigel, Sie haben Herrn Dornbusch zitiert. Darauf bin ich Ihnen noch eine Antwort schuldig. Sie haben einen Ökonomen des MIT zitiert. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, daß ich in den letzten Jahren die verschiedensten Ökonomen zitiert habe. Herr Dornbusch ist auch mir bekannt. Ich stimme mit ihm zwar da oder dort nicht überein. Nur, wenn wir schon Herrn Dornbusch zitieren, dann zitiere ich jetzt das, was er kürzlich schrieb:
Deutschland dreht sich im Kreis, besessen von einer sinnlosen Standortdiskussion, legislativen Ansätzen zur Förderung der Wirtschaftsdynamik und weitverbreiteten Subventionen zur Förderung des Wohlstands. All dies wird noch durch „Waigelismus" verschlimmert ({10})
ein oberflächliches Bekenntnis zur Verantwortung in der Fiskalpolitik, welches grundsätzlich eher die Furcht vor kühnen, wachstumsorientierten Entscheidungen widerspiegelt.
Wenn Sie also schon Dornbusch zitieren, dann schauen Sie, was er sonst so geschrieben hat.
({11})
Es gibt im MIT einen renommierten Nobelpreisträger. Er heißt Modigliani, nicht mit dem Künstler zu verwechseln. Nun lese ich Ihnen vor - Sie provozieren mich dazu, ich wollte es eigentlich nicht tun -, was er über Sie gesagt hat:
Meiner Ansicht nach ist Theo Waigel, was die
Wirtschaft angeht, ein Ignorant. Er mag ein ExMinisterpräsident Oskar Lafontaine ({12})
perte in zahlreichen Dingen sein, aber von Wirtschaftspolitik versteht er überhaupt nichts.
Soweit ein Nobelpreisträger der Nationalökonomie.
({13})
Sie sehen also: Im MIT gibt es ein paar Ökonomen, die Ihren Auffassungen nahestehen. Das ist richtig.
({14})
Letztendlich ist es nicht so, daß in der Wirtschaftswissenschaft immer nur eine Richtung vertreten wird. Aber die große Mehrheit der Ökonomen des MIT hält Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik für grundsätzlich falsch, um das hier anzumerken. Vielleicht sollten Sie sich einmal die Mühe machen, deren Ausarbeitungen und deren Ratschläge zu überlegen.
Das gilt im übrigen auch - man kann nicht alles ansprechen - für die Entwicklung der Weltfinanzmärkte. Sehen Sie, Herr Kollege Waigel, ich habe das öfters schriftlich dargelegt. Ich habe immer wieder dafür geworben, daß wir zunächst nicht nur ein europäisches Währungssystem schaffen und dann den Euro, sondern daß wir diesen Mechanismus auf die wichtigsten Weltwährungen übertragen. Da geht es nicht um feste und unverrückbare Wechselkurse, sondern es geht um ein stabiles Wechselkurssystem mit Zielzonen, wie es der Vorgänger des jetzigen amerikanischen Notenbankpräsidenten, Paul Volcker, vorgeschlagen hat. Das wäre die logische Fortsetzung dessen, was wir in Europa versuchen.
Wenn Sie im Amt blieben und Ihre bisherige Politik fortsetzen würden, wäre das kein Beitrag zur Stabilisierung der Wechselkurse in aller Welt, insbesondere der Währungen der wichtigsten Handelsländer.
({15})
Sie haben bei der Steuerpolitik auf europäischer Ebene dazugelernt. Das ist begrüßenswert. Sie müssen jetzt eine Debatte führen angesichts der Tatsache, daß wir weltweit Spekulationen haben, die mit den realwirtschaftlichen Vorgängen nichts mehr zu tun haben, was im Jahre 1973 niemand sehen konnte, als das System von Bretton Woods zusammenbrach. Sie müssen jetzt darüber nachdenken, ob die gegenwärtigen Zustände auf den Weltfinanzmärkten fortgesetzt werden können oder ob wir nicht doch, wie von uns gefordert, wiederum einen internationalen Ordnungsrahmen brauchen, der, soweit es denn irgend geht, die Spekulation auf den Weltfinanzmärkten eindämmt.
({16})
Im übrigen - wenn wir schon die Weltfinanzmärkte und die Entwicklung beim Rubel und beim Yen ansprechen - haben wir mit Interesse verfolgt, was sich Ihr Wahlkampfmanager - so nennt er sich wohl - jetzt wieder ausgedacht hat: Bei dieser Krise könne man darauf hoffen, daß die Aktien der Union wieder steigen würden. Wir haben Immobilienspekulanten, Währungsspekulanten und manchmal Aktienspekulanten. Jetzt haben wir auch Krisenspekulanten. Ich warne Sie: Spekulieren Sie nicht auf die Krise, in der Hoffnung, daß es dann vielleicht einen Strohhalm für Sie gibt. Das ist kein verantwortungsvolles Herangehen.
({17})
Sehen Sie, auch das ersparen Sie mir jetzt nicht: Wenn Sie Helmut Kohl als Weltklasse plakatieren
({18})
und ihn zum Stabilitätsanker erklären, dann möchte das noch hingehen, solange eben nicht folgendes passiert, daß nämlich der Ruf der Jungsozialisten
({19})
„Kohl muß weg" - ich habe ihn manchmal als sprachlich etwas hart empfunden - ein solcher Erfolgsschlager wurde, daß zuerst Westerwelle darauf herumsurfte, dann fast die ganze F.D.P. und dann mehr und mehr die CDU. Herr Solms hat vorhin geklatscht, Herr Geißler hat das wenigstens nicht getan, als Sie gesagt haben, Helmut Kohl sei der Fels in der Brandung. Meine Damen und Herren, wenn Sie auf der einen Seite den Rücktritt von Helmut Kohl fordern und ihn auf der anderen Seite gleichzeitig als Weltklasse und als Fels in der Brandung feiern, dann muß ich sagen, daß das irgendwie nicht zusammen paßt. Die Wählerinnen und Wähler bekommen das nicht so richtig mit.
({20})
Es war mir natürlich auch ein gewisses Vergnügen, das reumütige Klatschen von Wolfgang Schäuble zu beobachten.
({21})
Es war zwar ein reumütiger Beifall, aber immerhin hat Wolfgang Schäuble gezeigt, daß er die Einheit von Fraktion und Partei im Auge hat.
({22})
Manchmal ist es eben so, daß gewisse Parteien in Schwierigkeiten sind. Man muß dann versuchen, die Wahlaussagen einigermaßen zur Deckung zu bringen. Daß dem bei Ihnen nicht so ist, ist ja keine Erfindung von mir. Heute habe ich zum Beispiel gelesen, ein Mitglied der Koalition - ich sehe ihn hier; aber ich will ihn gar nicht ansprechen - habe sich geäußert, sie könnten den Kohl nicht mehr sehen. Das ist einfach kein angemessener Umgangsstil.
({23})
Aber das wird auch nicht besser, Herr Kollege Waigel, wenn Sie sich mit den Worten vernehmen lassen, Sie seien der eigentliche Außenminister, und gleichzeitig sagen: „Der Euro spricht deutsch." Ich möchte Sie doch bitten, letzteres zu unterlassen. „Der Euro
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({24})
spricht bayerisch" konnten Sie angesichts der Haltung Stoibers nicht sagen.
({25})
Wissen Sie, „Der Euro spricht deutsch" hört sich in den Hauptstädten Europas merkwürdig an. Sie sollten solche Töne wirklich unterlassen. Ich bitte Sie im Interesse unseres Ansehens in Europa darum.
({26})
Meine Damen und Herren, historisch war es so - auch wenn Sie das vielleicht nicht wissen -, daß der Euro nicht von Helmut Kohl durchgesetzt wurde.
({27})
- Nein, von Schröder auch nicht. Da haben Sie recht.
- Der Euro wurde von dem französischen Staatspräsidenten durchgesetzt, der nach der deutschen Einheit diesen Vertrag zur Bedingung des weiteren Vorgehens gemacht hat. Das ist die historische Wahrheit. Also lassen Sie das Gerede von „Der Euro spricht deutsch"!
({28})
Herr Bundeskanzler, vielleicht unterhalten Sie sich einmal mit Herrn Genscher über diese Frage. Ich will das nicht weiter vertiefen. Das ist auch alles schriftlich fixiert. Vielleicht sollte man nicht nur die eigenen Memoiren, sondern auch die anderer lesen. Das weitet manchmal den Horizont.
({29})
Noch einmal: Es lag in der großen Linie französischer Außenpolitik, so vorzugehen. Deshalb ist es eine Chance - das war der ganze Sinn -, die europäische Einigung zustande zu bringen. Weder der Euro noch die europäische Einigung sprechen dabei deutsch. Sie sprechen viele Sprachen, und so sollte es auch bleiben.
({30})
Ich möchte noch ein paar Worte zum Aufbau Ost sagen. Ich will überhaupt nicht in Abrede stellen, daß dabei eine ganze Reihe richtiger Entscheidungen getroffen wurde, daß vieles geleistet worden ist und - auch dem stimme ich zu - daß die westdeutschen Steuerzahler in großem Umfang ihren Beitrag geleistet haben, um den Aufbau in den neuen Ländern zu finanzieren. Wir sollten uns gemeinsam freuen, daß das dort entsprechend anerkannt und aufgenommen wird. Ich sage also gerade nicht, alle Entscheidungen, die getroffen wurden, seien falsch gewesen. Eine ganze Reihe von Entscheidungen war richtig. Wer sollte das bestreiten?
Dennoch muß ich in dieser Debatte zwei Dinge ansprechen: Wir halten es für falsch, jetzt den BundLänder-Finanzausgleich in Frage zu stellen, weil 87 Prozent der Mittel in den Osten fließen. Deshalb sage ich den Menschen in den neuen Ländern: Solche Vorstöße haben keine Chance. Die SPD steht dafür, daß sie keine Chance haben.
({31})
Und auch in Sachen Bodenrecht setzen wir unsere Politik fort. Wir haben uns damals nicht durchgesetzt mit der Forderung, das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung nicht in den Vertrag zu schreiben. Alle Beteiligten wissen: Wir wollten das anders. Was daraus geworden ist, wissen viele: ein Vermögensaufbau West in vielfältiger Form. Das wird im Osten heftig kritisiert; wie wir meinen: zu Recht. Deshalb sage ich für die deutschen Sozialdemokraten: Am Bodenrecht wird nicht weiter herumgefummelt.
({32})
Was wir brauchen, ist eine Verstetigung der Investitionen in den neuen Ländern. Was wir brauchen, ist eine Konzentration auf die gewerbliche Produktion. Ich glaube, das ist mittlerweile unstreitig. Und wenn darüber Einigkeit besteht, dann ist das auch in Ordnung. Ich sage aber noch einmal: Wenn man diese ganze Reihe von Versprechungen macht, dann muß man sie auch mit der eigenen Finanzpolitik und den Steuersenkungsversprechungen in Übereinstimmung bringen.
Ich wende mich jetzt einmal an die F.D.P. Nicht ich, sondern Zeitungskommentatoren haben auf Grundlage Ihrer Parteitagsbeschlüsse Steuerausfälle in Höhe von 150 Milliarden DM hochgerechnet. Ich bitte Sie, diese noch einmal zu überprüfen und bezüglich Ihrer Versprechungen vielleicht zu Zahlen zu kommen, die sich noch irgendwo im Grenzbereich der Realität bewegen. So nämlich kann man Staatsverdrossenheit schüren. Die Wählerinnen und Wähler wollen nicht permanent in die Irre geführt werden.
({33})
Ich möchte noch den Bereich der Förderung von Forschung, Bildung und Ausbildung ansprechen und sagen, daß diese in den vergangenen Jahren immer die wichtigste Investition war, die wir in Deutschland überhaupt tätigen konnten. Denn ein Land, das keine Rohstoffe hat, muß in die Fähigkeiten der Menschen, in die Fähigkeiten der Köpfe investieren. Da ist in den letzten Jahren einiges falschgelaufen.
({34})
- Ich greife das gerne auf und sage noch einmal: Es ist unredlich, Steuervorschläge vorzulegen, die die Länder mit weiteren Steuerausfällen in Höhe von 25 Milliarden DM konfrontieren würden, um dann zu
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({35})
sagen: Ihr tut zuwenig für Schulen, Universitäten, Polizei usw. Das ist einfach unredlich.
({36})
Im übrigen ist das Steuerrecht auch gar nicht so konzipiert, daß der Bund, wenn er irgendwelche strukturfördernden oder stimulierenden Wirkungen entfalten will, zunächst an Steuern herangeht, die sowohl den Bund als auch die Länder und die Gemeinden betreffen. Die Finanzverfassung sieht etwas anderes vor. Diese Debatte aber möchte ich jetzt nicht beginnen. Vielleicht führen wir sie in anderer Form an anderer Stelle fort.
Auf jeden Fall - das sage ich noch einmal - ist auch die Ausbildung in Deutschland die Grundlage unseres Wohlstandes.
({37})
Ein Land, das ein Privatvermögen von über 10 000 Milliarden DM hat, wenn auch ungleich verteilt, muß jedem Jugendlichen eine Ausbildungsstelle zur Verfügung stellen. Das Geld dazu haben wir.
({38})
Wir stimmen überein, daß es wünschenswert ist, wenn die Wirtschaft dies von sich aus leistet. Da gibt es, soweit ich das verfolgt habe, nirgendwo Widerspruch. Ich füge aber hinzu: Wenn der Trend weitergeht, daß über 60 Prozent der Betriebe nicht ausbilden - wir danken den etwa 33 Prozent, den Handwerksmeistern, den Mittelständlern, den Selbständigen und den Einzelhändlern, die ausbilden -,
({39})
dann werden wir die Betriebe, die nicht ausbilden, belasten und die Betriebe, die ausbilden, entlasten. Anders ist das nicht zu machen. Als Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz hat der jetzige CDU-Vorsitzende dies im übrigen ebenfalls gefordert. - Das ist unsere Position. Die Wählerinnen und Wähler werden darüber entscheiden.
({40})
Ich kann im Rahmen dieser Haushaltsdebatte nicht all unsere Linien ansprechen. Die Tatsache aber, daß die Zahl der Kinder aus den Arbeitnehmerhaushalten an den Universitäten immer weiter zurückgeht, ist eine Fehlentwicklung.
({41})
In unserem Lande sind die Begabungen gleichverteilt. Sie sind Gott sei Dank nicht nach dem Wohlstand der Eltern verteilt. Deshalb müssen wir, so schwer es auch immer ist, die Rahmenbedingungen so gestalten, daß die Frage, ob jemand eine gute
Ausbildung erhält, nicht vom Einkommen seiner Eltern abhängig ist.
({42})
Zu einem anderen Thema - ich möchte dies nicht so ausführlich ansprechen -, zum Thema des Umweltschutzes. Ich will hier nur klarstellen: Die Energiepolitik ist nun einmal der Schlüssel, wenn es darum geht, für kommende Generationen, die heute noch keine Lobby haben, eine lebenswerte Umwelt sicherzustellen. Deshalb müssen wir dort investieren. Deshalb brauchen wir dort neue Technologien. Und deshalb müssen wir auch unser Steuer- und Abgabenrecht dieser Zielsetzung anpassen.
({43})
Es ist nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa falsch, die Arbeit immer stärker zu belasten und den Umweltverbrauch relativ zu entlasten. Deshalb brauchen wir diese Reform. Da hat in Ihrer Partei Schäuble recht, und die, die ihn bremsen, haben unrecht, um das in aller Klarheit zu sagen.
({44})
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Vor der Wahl bieten wir zwei unterschiedliche Politikvorstellungen, Politikkonzepte an.
({45})
- Sehen Sie. Wir haben das Testat von Schäuble. Es gibt Unterschiede. Auch hier ist Ihr Wahlkampf etwas unschlüssig. Die einen behaupten, es gebe keine, die anderen behaupten, es gebe Unterschiede. Das soll in der Demokratie auch so sein.
In diesem Land hat sich die soziale Achse hin zu den höheren Einkommen, den größeren Vermögen verschoben. Mehr und mehr Menschen sind deshalb unzufrieden. Ich sage an die Adresse der Jugendlichen nicht nur in den neuen Ländern, sondern auch in den alten Ländern, die rechts gewählt haben, und an die Adresse der Langzeitarbeitslosen, die vielleicht aus Verzweiflung rechtsradikale Parteien gewählt haben: Die Lehre der Weimarer Republik ist: Rechtsradikale haben in deutschen Parlamenten nichts verloren. Sie haben diesem Land nur Krieg und Unglück gebracht.
({46})
- Ich will das Wort „linksradikal" gerne einmal aufnehmen. Wenn Sie diese Watschen auch noch wollen, können Sie sie gerne haben. Die Partei des Helmut Kohl und die Partei des Herrn Gerhardt arbeiten in den neuen Ländern überall mit der PDS zusammen,
({47})
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({48})
und Sie haben hier Leute, die als Blockflöten Mauerbau und Stacheldraht gerechtfertigt haben. Da führen Sie dann eine so verlogene Kampagne! Es ist doch lächerlich, was Sie aufführen.
({49})
Es ist nun einmal so: Sie haben sich in vielfältiger Form in Widersprüche verwickelt. Sie sind untereinander zerstritten, und Sie sind auch nicht wahrhaftig. Deshalb wollen immer mehr Menschen in Deutschland den Wechsel. Wir werden diesen Neuanfang demnächst beginnen. Deshalb wird der Bundeshaushalt demnächst in anderer Form vorgelegt.
({50})
Das Wort hat der Ministerpräsident Professor Dr. Kurt Biedenkopf, Freistaat Sachsen, Bundesrat.
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({0}) ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
({2})
Herr Kollege Lafontaine, Sie haben im Schlußteil Ihrer Rede einige Anmerkungen eher flüchtiger Art zu dem Aufbau Ost gemacht.
({3})
Daß das so ausfallen mußte, haben Sie dann mit der Feststellung bestätigt, daß die CDU überall mit der PDS zusammenarbeite. Das würden nicht einmal Ihre sozialdemokratischen Kollegen im Freistaat Sachsen behaupten, die nämlich - im Unterschied zu denen in Sachsen-Anhalt - auch nicht mit der PDS zusammenarbeiten wollen.
({4})
Beide Parteien im Freistaat Sachsen sind der Meinung, die beste Methode, sich mit der PDS erfolgreich auseinanderzusetzen, bestehe darin, den Aufbau Ost zum Erfolg zu führen;
({5})
denn nur aus wirklichen oder vermeintlichen Mißerfolgen hat sich die PDS bisher politisch gestärkt gefühlt.
Sie haben davon gesprochen, daß es Unterschiede gebe. Wir sind unter dem Gesichtspunkt der anstehenden Wahlentscheidung dafür dankbar, daß diese Unterschiede heute deutlich geworden sind. Daß sie in der Vergangenheit nicht immer so deutlich wurden, Herr Kollege Lafontaine, hängt damit zusammen, daß sich Herr Stollmann des öfteren geäußert hat. Den haben Sie inzwischen allerdings stillgelegt, so daß Sie jetzt wieder von den Unterschieden sprechen können, auf die es Ihnen ankommt.
({6})
Herr Stollmann redet eine ganz andere Sprache. Nachdem Herr Kollege Schröder noch einmal ausdrücklich versichert hat, daß er an dieser Nominierung festhalten werde, wird es Ihnen nach der Wahl, falls Sie überhaupt in die Situation kommen, eine Regierung zu bilden, außerordentlich schwerfallen, das zu praktizieren, was Sie vorhin in einer durchaus geistreichen Passage über die Tatsache gesagt haben, daß man innerhalb der Parteien den Zusammenhalt wahren müsse. Ich habe den Eindruck, daß Sie das in den letzten Wochen des Wahlkampfs in der Weise tun wollen, daß nur noch Sie reden. Deshalb ist es gerechtfertigt, sich mit Ihnen auseinanderzusetzen. ,
({7})
Ich möchte schließlich nur noch zwei Vorbemerkungen machen, weil mir das gerade im Blick auf den Aufbau Ost wichtig ist. Sie haben mit Ihrer Kritik an der Infragestellung des Bund-Länder-Finanzausgleichs zweifellos Bayern und Baden-Württemberg gemeint, die mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht den Versuch unternehmen, die verfassungsrechtliche Vertretbarkeit des jetzigen Finanzausgleichs unter den Ländern und des vertikalen Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern prüfen zu lassen.
Ich habe dieser Initiative der beiden Länder ausdrücklich zugestimmt, weil sie nicht gegen den Aufbau Ost gerichtet ist.
({8})
Ich habe vielfältig - auch im Landtag des Freistaates Sachsen - Gelegenheit genommen, darauf hinzuweisen, daß wir diese Klärung für notwendig halten.
Erstens. Eine solche Klage wird wahrscheinlich die Bereitschaft der Länder zu einer einvernehmlichen Klärung der Probleme erhöhen. Wir haben es auch in früheren Zeiten erlebt, daß die Einreichung einer Klage den Willensbildungsprozeß unter den Ländern gefördert hat, so daß am Ende Klagen überflüssig geworden sind. Hessen hat zum Beispiel in diesem Sinne Entscheidungen unter den Ländern bewirkt, indem es zunächst geklagt hat.
Zweitens. Herr Kollege Lafontaine, wir sollten darauf hinweisen, daß sich dieser Initiative von Bayern und Baden-Württemberg inhaltlich auch Hessen angeschlossen hat und daß sich Nordrhein-Westfalen außerordentlich interessiert daran zeigt. Das ist verständlich; denn diese vier Länder sind diejenigen, die den großen Teil des Finanzausgleichs tragen, während die anderen Länder vom Finanzausgleich profitieren. Ihr Land, das Saarland, profitiert nicht nur vom Finanzausgleich, sondern auch vom Solidarpakt, in dem eine Zuweisung an das Saarland und Bremen vorgesehen ist, was ich ja durchaus für richtig halte. Nur, wenn Sie jetzt diese Art von Kritik
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({9})
üben, dann sollten Sie den Sachverhalt richtig darstellen.
({10})
Es hat keinen Zweck - und dagegen möchte ich mich auch ausdrücklich verwahren -, daß Sie jetzt durch solche Formulierungen zur West-Ost-Spaltung beitragen.
({11})
Denn nichts anderes, Herr Kollege Lafontaine, ist das.
Baden-Württemberg und Bayern sind unsere Partnerländer, und diese beiden Länder haben in den letzten acht Jahren enorme Leistungen für den Aufbau im Freistaat Sachsen erbracht, für den ich im Bundesrat und auch hier sprechen kann. Diese Leistungen dürfen jetzt nicht durch den Verdacht in Frage gestellt werden, diese beiden Länder wendeten sich gegen den Aufbau Ost. Das möchte ich mit aller Entschiedenheit zurückweisen.
({12})
Wenn Sie, Herr Kollege, die Unterlagen der Klage und alles, was dazu von den Ländern, von mir, von Ministerpräsident Bernhard Vogel und anderen, geäußert wurde, lesen würden, würden Sie feststellen, daß das nicht der Fall ist. Bernhard Vogel ist der gleichen Auffassung wie ich. Was sollte uns als arme Länder veranlassen, etwas zu unterstützen, wenn es gegen uns gerichtet wäre?
Das zweite betrifft Ihre Bemerkung zu Rückgabe vor Entschädigung. Ich halte auch diese Formulierung für sachlich falsch und zum jetzigen Zeitpunkt für geeignet, neue Konfrontationen auszulösen, statt zur Einheit des Landes beizutragen.
({13})
Es gibt niemanden im politischen verantwortlichen Bereich, der das Problem der Bodenreform wieder aufrollen will. Das, was hier diskutiert wird, ist die Frage, ob die zwischen 1945 und 1949 Enteigneten das Recht haben sollen, aus dem Bestand, der jetzt vom Bund verwaltet wird, zurückzukaufen, und zwar ehe man das Grundstück anderen anbietet; es geht also um eine gewisse Präferenz in bezug auf den Erwerb - nicht auf die Rückgabe - der Ländereien, die der Bund im Zuge der Privatisierung des enteigneten Landes ohnehin verkaufen will. Dabei sind auch noch großzügigere Einschränkungen vorgesehen. Man will die Pachtverträge, auch die langfristigen Pachtverträge, eben nicht in Frage stellen. Alle anderen Äußerungen hierzu stützen weder die Sozialdemokraten noch die Christdemokraten, noch die deutsche Einheit, sondern nur die PDS. Ich denke, das haben Sie nicht vor.
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte mit meinem Beitrag in dieser Debatte den Versuch machen, noch etwas zu den Grundlagen beizutragen, auf denen wir die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik aufbauen. Herr Kollege Lafontaine, Sie haben die Unterschiede betont, und das ist sicher gut. Denn die Menschen wollen ja wissen, zwischen welchen unterschiedlichen Positionen sie entscheiden und was die reale Alternative ist. Der wichtigste Unterschied - das hat mir Ihre Rede bestätigt - ist der Unterschied in der Wahrnehmung der Wirklichkeit.
({15})
Das ist das Kernproblem der Auseinandersetzung. Wenn ich von einer Wirklichkeit ausgehe, wie sie Herr Kollege Lafontaine und wie sie die Sozialdemokraten in Publikation nach Publikation, unterstützt durch einen Teil der Medien, darstellen, und diese Wirklichkeit zur Grundlage von Politik mache, muß diese Politik scheitern, weil sie etwas zu gestalten versucht, was es gar nicht gibt.
({16})
Die Grundlage für jede Politik ist eine realistische Einschätzung der jeweiligen Situation, die man politisch gestalten will. Dies ist eine notwendige Voraussetzung, Herr Kollege Lafontaine, wie Sie es in Ihrem Buch zusammen mit Frau Christa Müller beschrieben haben. - Das aber wird von Ihnen nicht gemacht.
Ich will jetzt meine Sicht der Wirklichkeit Ihrer gegenüberstellen. Sie sprechen von einem Land, das - wenn die Wirklichkeit so wäre, wie Sie sie beschreiben - eigentlich daran verzweifeln müßte. Das Gegenteil ist aber richtig. Ich möchte folgendes dazu sagen, obwohl es von vielen Menschen in diesem Saal, aber nur von einer Minderheit in Deutschland als Provokation verstanden werden kann: Es ist den Deutschen zwischen Rhein und Oder noch nie so gut gegangen wie heute.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -
Ja, richtig!)
Das beziehe ich ausdrücklich nicht nur - obwohl das „nur" hier fehl am Platz ist - auf den Umstand, daß wir eine begründete Aussicht haben, auf lange Zeit weiter in Frieden leben zu können. Das ist etwas, was zum Beispiel die Generation meines Vaters nicht hatte.
({0})
Das begründe ich nicht nur damit, daß wir Deutschen in Freiheit und mit Zustimmung unserer Nachbarn die Wiedervereinigung erreichen konnten; vielmehr begründe ich das ausdrücklich auch mit der wirtschaftlichen Situation.
In der Rede des Kollegen Lafontaine gab es viele bemerkenswerte Aperçus und viele sicherlich legitime Angriffe, aber es gab sehr wenige Fakten. Lassen Sie mich deshalb einige nachliefern. Die Wohlstandsentwicklung in Westdeutschland dokumentiert sich wie folgt. Seit 1982, also seit der Übernahme der Regierung durch die CDU, die CSU und die F.D.P. unter Führung von Helmut Kohl, ist das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner - es schließt die durch Zuwanderung gewachsene Einwohnerzahl in Westdeutschland ein - real um 34 Prozent gestiegen, somit in 16 Jahren um ein Drittel. Das ist eine unglaubliche Leistung.
({1})
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({2})
Das Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbstätigen ist auf Grund der Arbeitsproduktivität um 38 Prozent gestiegen. Das Bruttoarbeitseinkommen ist real um 15 Prozent gestiegen. Das eigentliche Problem ist also nicht der Zuwachs des Bruttoeinkommens, einschließlich der Arbeitnehmeranteile, sondern die wachsende Belastung der Arbeit.
({3})
Das führt nämlich dazu, daß die Nettoarbeitsentgelte nur um 1,4 Prozent gestiegen sind. Darin gründet sich die von der Opposition ebenso wie von uns vertretene Überzeugung, daß die Belastung der Arbeit verringert werden muß.
({4})
Das ist völlig richtig. Insofern gibt es einen, wie ich meine, wichtigen Konsens, der auch gar keinen Anlaß bietet, „die Pferde zu wechseln". Das verfügbare Einkommen der Privathaushalte pro Einwohner in Deutschland ({5}) ist real um 25 Prozent gestiegen. Das schließt die Transfereinkommen und die Vermögenseinkommen ein. Die Nettovermögen der Privathaushalte pro Einwohner sind um 37 Prozent gestiegen; die Sozialhilferegelsätze für den Einpersonenhaushalt sind real um 14 Prozent gestiegen. Ich glaube nicht, daß es viele Länder in der Welt gibt, in denen sich die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung so dramatisch verbessert hat wie in Deutschland in den letzten 16 Jahren.
({6})
Nun wird in diesem Zusammenhang immer wieder die Vermögensbildung kritisiert. Der pauschale Vorwurf der ungleichen Vermögensverteilung ist unzutreffend. Beim internationalen Vergleich - wir müssen ja Vergleichsmaßstäbe haben, wenn wir solche Behauptungen aufstellen, an denen man sich orientieren kann - ergibt sich, daß die Vermögen bei uns bemerkenswert gleichmäßig verteilt sind. Das gilt insbesondere für den Besitz von Immobilien. Schon 1993 - das gilt für ganz Deutschland - hatte nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes jeder zweite Haushalt in Westdeutschland - Einpersonenhaushalte eingeschlossen - Immobilienvermögen von durchschnittlich 423 000 DM. In Ostdeutschland hatte jeder vierte Haushalt, genau 28 Prozent, ein Vermögen von im Durchschnitt 210 000 DM. Das sind beachtliche Vermögen. Alle diese Werte haben sich inzwischen wesentlich verbessert. Nimmt man nur die Zwei- und Mehrpersonenhaushalte in Westdeutschland, so ist festzustellen, daß zwei Drittel Immobilienvermögen haben. Die abhängig Beschäftigten haben einen wesentlichen Teil dieses Vermögens gebildet.
Betrachtet man das Geld- und Betriebsvermögen, so ergibt sich, daß die Verteilung ungleicher ist. Aber diese ungleiche Vermögensverteilung darf nicht betrachtet werden, ohne zu berücksichtigen, daß 10 Prozent der Bevölkerung, die nicht Arbeitnehmer sind, ihre Lebensrisiken durch Kapitalbildung abdecken müssen. Ein wesentlicher Teil der Vermögensbildung in den Nichtarbeitnehmerhaushalten dient der Alterssicherung und der Sicherung vor anderen Risiken, die in den Arbeitnehmerhaushalten durch die kollektiven Systeme abgedeckt werden. Deshalb ist eine Vermögensverteilungsdebatte nur dann ehrlich, wenn man die Rentenansprüche der Erwerbsbevölkerung in die Vermögensverteilung einbezieht.
({7})
Da wir davon ausgehen, daß diese Ansprüche eigentumsähnlichen Charakter haben, ist es völlig unerträglich und für die Arbeitnehmerhaushalte selbst auch unzutreffend, wenn man diese Vermögensbildung ausklammert.
Um welches Vermögen handelt es sich? Würde man die Zahlungen, die die Arbeitnehmerhaushalte in die Rentenversicherung leisten, so behandeln, als hätten sie der Vermögensbildung gedient und als wären sie mit jeweils 4 Prozent verzinst worden, dann würde jemand aus dem Geburtenjahrgang 1960 ein Vermögen von knapp 800 000 DM durch die Beiträge, die er über 35 Jahre zahlt, gebildet haben, ein Mitglied des Geburtenjahrgangs 1970 nach 35 Erwerbsjahren eines von knapp 1 Million DM und ein Mitglied des Geburtenjahrgangs 1980 nach 35 Jahren eines von ungefähr 1,2 Millionen DM. Diese Beträge - selbst wenn ich sie ohne Verzinsung rechne, sind es immer noch rund 400 000 bis rund 600 000 DM - sind Sicherungen der Arbeitnehmer im Sinne Ludwig Erhards: Vermögensbildung als Sicherung der Freiheit und der Unabhängigkeit des einzelnen.
({8})
Die Aufforderung, die Arbeitnehmer sollten mehr Vermögen bilden, ist nur dann realistisch, wenn die Vermögensbildungsfähigkeit der Arbeitnehmerhaushalte nicht durch immer höhere Beiträge für die Sozialsysteme eingeschränkt wird. Im Augenblick können sie praktisch kein zusätzliches Vermögen bilden oder jedenfalls nur sehr wenig. Die wenigen Versuche, eine Entlastung vorzunehmen, die wir bisher auf Grund der politischen Mehrheitsverhältnisse machen konnten, wollen Sie, Herr Lafontaine, aber alle wieder rückgängig machen. Das heißt, die Voraussetzungen für Ihre Forderung „Mehr Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand" wollen Sie wieder aufheben, indem Sie die Arbeitnehmerhaushalte durch höhere Beiträge und im übrigen auch durch höhere Mehrwertsteuern - auch in Ihrem Buch ausführlich dargestellt, und zwar im Sinne der Entlastung der Arbeitnehmer - zusätzlich belasten. Diese Widersprüchlichkeit zeigt, daß Ihr Konzept nicht durchdacht ist. Es kann nicht aufgehen.
({9})
Bisher haben Sie zwar viel von Vermögensbildung gesprochen, de facto aber jeden Schritt in Richtung der individuellen Vermögensbildung erschwert oder behindert. Ihre jüngsten Vorschläge, nun durch Beiträge einen Kapitalstock in der Rentenversicherung zu bilden, aber nicht in Form von individuellem Vermögen, sondern von Kollektivvermögen, führen ebenfalls in die Irre. Das bedeutet nur, daß riesige Kapitalvermögen angesammelt werden, die vor
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({10})
politischer Intervention zu schützen fast unmöglich ist.
Wir haben aber nicht nur einen gewaltigen Anstieg des Wohlstandes in Deutschland in der erfaßten Ökonomie. Zur Wirklichkeit in Deutschland gehört auch der Blick auf die Schattenwirtschaft. Die Deutsche Bundesbank hat festgestellt, daß die Wertschöpfung in der Schattenwirtschaft inzwischen auf 560 Milliarden DM angestiegen ist. Diese Wertschöpfung entspricht der Arbeit von 6 Millionen abhängig Beschäftigten in der gleichen Zusammensetzung wie bei den gesamten Beschäftigten in Deutschland.
Zum größten Teil sind die Teilhaber an der Schattenökonomie Erwerbstätige, zum geringeren Teil sind es Arbeitslose oder solche, die dem Arbeitsmarkt sonst gar nicht zur Verfügung stehen. Würden wir diese Schattenökonomie mit einbeziehen, wäre unser Bruttoinlandsprodukt um ein Sechstel höher als ausgewiesen. Die Schattenökonomie ist schneller gewachsen als das Bruttoinlandsprodukt. Das ist in der Tat ein Krankheitssymptom.
Worauf beruht diese Krankheit? Sie beruht auf einer Überforderung der arbeitenden Bevölkerung oder der Bevölkerung insgesamt durch Steuern und Abgaben, angesichts deren sie sich immer mehr durch Ausweichen aus der legalen Ordnung in die Schattenordnung begibt. Das ist ein Massenphänomen, kein Phänomen der Reichen.
({11})
Weil es ein Massenphänomen ist, müssen wir uns mit den Ursachen auseinandersetzen. Der Bevölkerung nun einzureden, man könne diese Probleme durch eine stärkere Belastung der Reichen lösen, ist lächerlich.
({12})
Schließlich haben wir in Deutschland - auch das übergeht die Opposition bei ihrer Wahrnehmung der Wirklichkeit - einen wachsenden Bereich an Eigenarbeit. Die wachsende, auch finanzielle, Leistungsfähigkeit der Haushalte - gerade auch der Arbeitnehmerhaushalte - hat dazu geführt, daß sie sich in immer stärkerem Maße auch mit den eigenen kleinen Investitionen für Eigenarbeit ausstatten können.
Die Baumärkte gehören zu den erfolgreichsten Geschäftsbereichen in Deutschland, weil die Nachfrage nach Eigenarbeit immer größer wird. Im ländlichen Raum werden bis zu 80 Prozent der Eigenheime in Eigenarbeit und Nachbarschaftshilfe - nicht einmal in der Schattenökonomie - erstellt.
Alles dies sind eindrucksvolle Daten für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes.
({13})
Wer diese kaputtredet, nimmt den Menschen im Land die Motivation. Das Schlimmste an dieser Debatte über die irreale Wirklichkeit ist nämlich, daß die Menschen nicht hören: Ihr habt das in den letzten Jahrzehnten und vor allen Dingen in den letzten zehn Jahren hervorragend gemacht, ihr habt die Probleme gelöst, wir haben als Politiker dazu einen Beitrag leisten können. - Vielmehr hören sie ständig, daß das Ergebnis ihrer Anstrengungen unzureichend ist und immer schlechter geworden ist. So kann man eine Bevölkerung in der Demokratie nicht zu weiteren Leistungen anspornen. Aber gerade das wollen Sie doch!
({14})
Nun lassen Sie mich in dieser Bestandsaufnahme noch ein Schlußwort zur heutigen Situation sagen.
({15})
Das bisherige Wirtschaftswachstum hat dazu geführt, daß wir heute ein Bruttoinlandsprodukt von 45 800 DM pro Kopf der Bevölkerung gemeinsam erwirtschaften. Das ist eines der höchsten Bruttoinlandsprodukte der Welt. Wenn dieses Bruttoinlandsprodukt real um 2,6 Prozent wächst, dann scheint das relativ wenig. In absoluten Zahlen sieht die Sache ganz anders aus: Wenn das heutige Bruttoinlandsprodukt um 2,6 Prozent wächst, wächst es um fast 100 Milliarden DM oder um etwa 1200 DM pro Kopf der Bevölkerung real oder um etwa 100 DM pro Monat und Einwohner der Bundesrepublik Deutschland. Wenn wir 1998/99 die projizierte Wachstumsrate von 2,7 Prozent erreichen, wächst es wieder um rund gut 100 Milliarden DM. Das heißt, in den zwei Jahren von 1997 bis 1999 ist das Bruttoinlandsprodukt pro Haushalt in der Bundesrepublik Deutschland in nur einem Jahr um 2700 DM real gewachsen, in zwei Jahren um 5000 DM.
Wenn es uns nicht möglich ist, bei einem solchen Zuwachs unseres Volkseinkommens mit dem auszukommen, was die Bürger uns bisher für staatliches Handeln zur Verfügung stellen, dann müssen wir uns große Vorwürfe machen.
({16})
In diesem Zuwachs liegen die Reserven, um die vom Finanzminister angestrebte Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zu erreichen und Neuverschuldungen in größerem Umfang zu vermeiden.
Ein Wort noch dazu, weil Sie, Herr Kollege Lafontaine, die Verschuldung angesprochen haben. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Verschuldung, die in den letzten acht Jahren entstanden ist, etwas deutlicher vor dem Hintergrund der Leistungen würdigen würden, die die westlichen Länder der Bundesrepublik Deutschland in den letzten acht Jahren erbringen mußten. Die Transferleistungen von Westdeutschland nach Ostdeutschland, die ich vor diesem Hohen Hause schon als einen Ausdruck großartiger nationaler Solidarität bezeichnet habe, machen bisher insgesamt 73 000 DM pro Kopf der Bevölkerung in Ostdeutschland aus. Wer eine solche Leistung erbringt und wer gleichzeitig Wachstumsraten zustande bringt sowie in einem wesentlichen Teil dieser Zeit das reale Bruttoinlandsprodukt auf die Höhe führen kann, auf der es heute ist, der hat Respekt
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({17})
verdient. Das sind die Deutschen selbst, und das ist die Bundesregierung.
({18})
Herr Kollege Lafontaine, ich bin gerne bereit,
({19})
mich im nachhinein mit Ihnen darüber zu unterhalten, ob wir vor einiger Zeit die Steuern vielleicht etwas stärker hätten erhöhen oder ob wir uns weniger hätten verschulden müssen. Ich bin aber nicht bereit, mich mit jemandem zu unterhalten, der im Jahre 1990 im Bundesrat den Vertrag über die Wirtschafts- und Währungsunion abgelehnt hat
({20})
und sich damit gerade der Diskussion entzogen hat, die Sie heute - acht Jahre später - einfordern.
({21})
- Das sind keineswegs alte Kamellen. Die Leute in Ostdeutschland haben das sehr gut in Erinnerung.
({22})
Wenn ich mir den Bericht über den letzten Besuch von Herrn Kollegen Lafontaine in Dresden anschaue, dann erkenne ich, daß das auch heute noch so ist.
({23})
Die Bevölkerung sieht das im übrigen ähnlich.
({24})
Sie weiß um die Leistungen, die sie erbracht hat. Nach dem „Politbarometer" beurteilt die Bevölkerung in Gesamtdeutschland im August 1998 ihre eigene wirtschaftliche Lage zu 54 Prozent als „gut", zu 37 Prozent als „teils-teils" und nur zu 9 Prozent als „schlecht". So schlecht kann die Politik also nicht gewesen sein.
({25})
Ich habe auch die Zahlen von Sachsen. Dort sagen 41 Prozent, die Lage sei gut, 39 Prozent halten sie für mittelmäßig und 13 Prozent für schlecht. Wenn ich bei denjenigen, die „mittelmäßig" angeben, einmal annehme, daß sich die eine Hälfte davon eher für „gut" und die andere Hälfte eher für „schlecht" entscheiden würde, dann sind es weit über 50 Prozent, die die Lage für gut halten. Ich bin ziemlich sicher, daß ein wesentlicher Teil dieser weit über 50 Prozent der Menschen ihre Wahlentscheidung nach diesem Votum abgeben wird.
({26})
Lassen Sie mich abschließend noch einiges zu einem zentralen Problem sagen, das auch die Finanzpolitik unmittelbar betrifft, nämlich zu dem Problem der weiteren Entwicklung des Arbeitsmarktes. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist nach wie vor außerordentlich hoch. Eine pauschale Behandlung dieser hohen Arbeitslosenzahlen ist als Grundlage für Politik aber falsch. Ich bin sehr glücklich, daß das inzwischen auch maßgebliche Männer und Frauen im Deutschen Gewerkschaftsbund so sehen - unter anderem auch der Vorsitzende der IG-Metall. Ich hatte vor wenigen Wochen die Gelegenheit, mit ihm in einer Veranstaltung der Hans-Böckler-Stiftung in Hannover über diese Fragen zu diskutieren.
Wenn wir eine vernünftige Politik machen wollen, müssen wir auch in diesem Bereich von der Wirklichkeit ausgehen. Die Wirklichkeit ist - ohne unzulässige Vereinfachung - diese: Ein Drittel der registrierten Arbeitslosen in Deutschland ist weniger als drei Monate arbeitslos. Diese Menschen finden innerhalb von drei Monaten eine neue Tätigkeit. Darin drückt sich nicht ein soziales Elend aus, sondern die Folge einer ungewöhnlich dynamischen Wirtschaft.
({27})
In dieser Wirtschaft ändert sich die Zuordnung von Produktionsfaktoren, von Arbeitskräften und von Wissen ständig.
Jetzt darf ich wieder Herrn Kollegen Lafontaine aus seinem Buch zitieren. Er beschreibt dort ausdrücklich diesen Vorgang der ständigen Veränderung der Ressourcenallokation „bis hin zum Verschwinden ganzer Unternehmensbereiche" als notwendige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der hochentwickelten Industrienationen.
({28})
Was heißt das denn, wenn ganze Industriezweige verschwinden und andere neu entstehen? Das heißt, wir haben eine große Wanderung von Beschäftigten von bisherigen Tätigkeiten zu neuen Tätigkeiten. Diese Wanderung ist in der Regel mit vorübergehender Arbeitslosigkeit verbunden. Diese Arbeitslosigkeit zu bekämpfen hieße, zu einem statischen Wirtschaftsmodell zurückzukehren. Genau das wäre falsch.
({29})
Deshalb ist es unzulässig, dieses Drittel in der Form zu demagogisieren, wie das immer wieder in den pauschalen Arbeitsmarktdebatten geschieht. Für die Überwindung der Arbeitslosigkeit dieses Drittels sollten wir keine öffentlichen Mittel einsetzen, sondern wir sollten allenfalls durch eine richtige Wirtschaftspolitik die Entstehung neuer Unternehmen beschleunigen, damit die Frist nicht drei Monate, sondern nur zwei Monate beträgt.
({30})
- Machen wir ja. Kommen Sie nach Sachsen, dann können Sie es sehen. Ich sehe, Sie sind selten dort.
Das zweite Drittel sind die Langzeitarbeitslosen, die mehr als zwölf Monate arbeitslos sind. Wie setzt
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({31})
sich die Gruppe dieser Menschen, denen unsere ganze Zuwendung gehört, zusammen? Zwei Drittel von ihnen sind entweder über 55 oder ohne jede Ausbildung oder gesundheitlich beeinträchtigt, und bei zwei Dritteln dieser Gruppe treffen alle drei Kriterien zu. Das heißt, etwa die Hälfte ist in dieser Weise beeinträchtigt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, jeder, der behauptet, man könne dieses Problem durch Makroökonomie, durch Stärkung der Nachfrageseite oder auf andere Weise lösen, führt die Menschen in die Irre. Das ist unmöglich.
({32})
Wir haben inzwischen ganz andere Methoden zu entwickeln versucht, und zwar nicht ohne Erfolg. Wir sind der Meinung - ich kann hier nur vom Freistaat sprechen, aber das wird auf der bundespolitischen Ebene genauso gefördert und unterstützt werden -, daß diesen Menschen, etwa einem Drittel, nur in einem hochgradig dezentralen System geholfen werden kann, also auf kommunaler und auf regionaler Ebene.
({33})
Wir haben deshalb entsprechende regionale Einrichtungen geschaffen. Wir haben Stiftungen gegründet. Wir haben die Kommunen unterstützt. Wir haben in Leipzig und in Chemnitz inzwischen Organisationen mit bis zu 4 000 Menschen aus diesem Bereich der Langzeitarbeitslosen, die dort jetzt wieder arbeiten. Wir haben einen erstaunlich hohen Übergang in den ersten Arbeitsmarkt. Aber alles ist nur auf lokaler und regionaler Ebene möglich. Es ist sehr viel mehr der Sozialpolitik als der Makroökonomie verwandt.
({34})
Der Kombilohn kann hier hellen; deshalb sind wir für das Experiment. Übrigens beinhaltete § 249h Arbeitsförderungsgesetz auch schon so etwas ähnliches wie den Kombilohn. Das ist gar nicht so neu. Er ist aber aus anderen Gründen nicht so weit, wie wir das wollten, angenommen worden. Wir können diese Dinge weiterentwickeln.
Das letzte Drittel - gut ein Drittel -, das sind die Menschen, die zwischen drei und zwölf Monaten arbeitslos sind. Hier muß die Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik einsetzen, um diese Arbeitslosigkeit abzubauen. Das ist auch möglich.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mosdorf?
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({0}): Bitte schön, Herr Kollege.
Bitte.
Herr Ministerpräsident, teilen Sie meine Auffassung, daß es gerade deshalb, weil Ihre Argumente in dem zweiten Punkt stimmen, falsch ist, daß die Bundesregierung die Mittel um 30 Prozent gekürzt hat, die es Arbeitslosen erlauben sollen, sich selbständig zu machen? Sie hat diese Mittel im letzten Jahr um 30 Prozent gekürzt.
({0})
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({1}): Ich sehe erstens keinen unmittelbaren Zusammenhang zu dem, was ich gesagt habe
({2})
- nein, pardon -, und zweitens möchte ich ausdrücklich hinzufügen: Mir wäre es sehr lieb, wenn sich die Bundesregierung an diesen Dingen überhaupt nicht beteiligen müßte und die Länder dafür etwas mehr Mittel hätten;
({3})
denn wir möchten nicht alle diese Fragen bis hinunter auf die kommunale Ebene zentralistisch lösen.
({4}) Wir setzen Landesmittel für diese Probleme ein.
({5})
Wir haben keine Probleme, diesen möglichen Ausfall, falls er überhaupt besteht - ich bin im Augenblick keineswegs sicher -, durch Landesmittel zu kompensieren.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Blüm?
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({0}): Bitte schön.
Herr Ministerpräsident, wären Sie bereit, dem Herrn Abgeordneten Mosdorf zu sagen, daß wir die Mittel nicht gekürzt, sondern aufgestockt haben?
({0})
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({1}): Herr Kollege Blüm, ich bin natürlich nicht nur bereit, das zu tun; vielmehr danke ich auch für die Unterstützung. Uns ist eine Kürzung jedenfalls nicht aufgefallen; deshalb war sie mir nicht präsent.
Herr Ministerpräsident, jetzt drängt es den Kollegen Mosdorf zu einer weiteren Zwischenfrage.
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({0}): Das kann ich mir gut vorstellen. Bitte.
Ich will den Herrn Ministerpräsidenten nur fragen, ob er dem Bundesarbeitsminister mitteilen kann, daß der Etat in diesem Frühjahr wieder angehoben, aber letztes Jahr gekürzt worden ist.
({0})
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({1}): Herr Kollege, Ihr Vorsitzender wirft uns ja immer vor, wir seien nicht lernfähig. Sie sehen: Das stimmt nicht.
Wo auch immer die Mittel herkommen: Mir kam es entscheidend - auch bei Ihrer Zwischenfrage, Herr Kollege - auf die Feststellung an, daß ich im Prinzip recht habe. Wenn es aber so ist, daß ich im Prinzip recht habe, dann ist das Hantieren mit Globalzahlen, so wie das in der politischen Auseinandersetzung durch die Sozialdemokraten derzeit geschieht, unlauter, um nicht zu sagen unredlich.
({2})
Es lenkt von der Lösung des eigentlichen Problems ab.
Wir müssen durch die Steuer- und die Sozialreform dem großen Drittel, den rund 40 Prozent helfen, die zwischen drei und zwölf Monaten arbeitslos sind, die noch der Arbeit nahe sind, ihr durch die Zeitdauer noch nicht entfremdet wurden, die Fähigkeiten haben, wieder beschäftigt zu werden, die nicht über Behinderungen irgendwelcher Art verfügen, aber trotzdem keinen Arbeitsplatz bekommen. Das gilt natürlich insbesondere für die jungen Leute.
Die Steuerreform ist aus Gründen, die ich hier nicht wiederholen muß, im Bundesrat gescheitert. Herr Kollege Lafontaine, Sie wehren sich dagegen, daß hier vom Scheitern die Rede ist. Aber wir beide wissen doch ganz genau, daß sich unsere Finanzminister und der Bundesfinanzminister in den Fragen der Steuerreform außerordentlich nahegekommen waren
(
Sehr gut!)
und daß auch sozialdemokratische Finanzminister aus den Ländern bedauert haben, daß es dann - wie auch immer man das interpretieren will - jedenfalls aus allgemeinpolitischen Gründen nicht möglich war, den Sack zuzumachen
({0})
und schon zwei Jahre früher das zu tun, was Sie jetzt tun wollen und was der Bundesfinanzminister gerade und auch schon lange vorher vorgeschlagen hat, was aber bisher nicht hat umgesetzt werden können.
({1})
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus-Maier?
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({0}): Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Ministerpräsident, da mehrere hier im Raume - auch ich selbst - dem Vermittlungsausschuß angehören: Wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen, daß diese Steuerreform aus mehreren Gründen nicht zustande kam? Der eine Grund war die enorme soziale Schlagseite, die darin bestand, daß nach Ihrem Konzept Rentner, Sozialhilfeempfänger und kleine Leute durch eine Mehrwertsteueranhebung die Spitzensteuersatzsenkung für Menschen mit einem Einkommen oberhalb von 240 000 DM bezahlen sollten.
({0})
Zweitens war Ihr Konzept aus unserer Sicht ökonomisch unvernünftig. Wenn man statt dessen den kleinen Leuten und den Familien mit Kindern Geld gegeben hätte, dann hätten diese Menschen dieses Geld nicht im Koffer nach Luxemburg getragen, sondern zum Einzelhändler.
Der dritte Grund für das Scheitern der Steuerreform war, daß die Haushaltslöcher ganz unerträglich gewesen wären, weswegen aus meiner Sicht Theo Waigel am Abend des Scheiterns dem Herrgott hierfür gedankt hat; denn auch Theo Waigel konnte die Haushaltslöcher nicht ertragen.
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({1}): Was in Theo Waigel vorgegangen ist, kann ich aus eigener Anschauung nicht sagen, weil ich nicht dabei war.
({2})
Die Berichte, die ich aus dem Vermittlungsausschuß - dem ich nicht angehöre - bekommen habe, legen eine etwas andere Bewertung nahe.
({3})
In den Gesprächen bis zu den Vermittlungsausschußverhandlungen waren wir einander sehr nahegekommen.
({4})
Daß man natürlich dann, wenn man eine Sache scheitern lassen will, nicht sagt: „Ich lasse sie scheitern", sondern Gründe politischer Art findet, warum sie scheitern muß,
({5})
liegt in der Natur des politischen Handwerks. Aber die sogenannte Arbeitsebene, auf der ja die entscheidende Arbeit gemacht wurde, hat uns sowohl von seiten der CDU als auch von seiten der SPD wissen lassen, daß es möglich gewesen wäre, wenn man gewollt hätte. Das ist die Wahrheit.
({6})
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({7})
Frau Kollegin, ich will Ihnen das an einem anderen Beispiel verdeutlichen, das ich jetzt sowieso erwähnen wollte, weil es um den Arbeitsmarkt ging. Auch in den Fragen bezüglich des Arbeitsmarktes waren wir sehr nahe beieinander. Wir haben Ende 1995 in der Runde der Ministerpräsidenten beschlossen, eine besondere Konferenz durchzuführen, um uns mit Fragen der Sozialpolitik, der Finanzen und des Arbeitsmarktes zu befassen. Daraus wurde die Konferenz in Krickenbeck in Nordrhein-Westfalen. Herr Kollege Schröder und ich bekamen den Auftrag, die Vorlage für den Arbeitsmarkt zu erarbeiten. Wir haben eine gemeinsame Vorlage für den Arbeitsmarkt erarbeitet, in weitgehendem Konsens mit den Arbeits- und Sozialministerinnen und -ministern noch einmal in Hannover besprochen, dann der Ministerpräsidentenkonferenz vorgelegt und dort weitgehende Zustimmung gefunden. Das war eine außerordentlich wichtige und in meinen Augen auch bedeutsame Bewegung hin auf einen Konsens sowohl in bezug auf die Wirklichkeit als auch in bezug auf die notwendigen Maßnahmen.
In diesem Text, den ich hier nicht im einzelnen vortragen kann, wird ausführlich Stellung genommen: zur Bedeutung der Schattenwirtschaft und dazu, warum sie entstanden ist, zu den hohen Belastungen der Arbeit, zur Chancenlosigkeit, unter den gegenwärtigen Arbeitsmarktbedingungen geringfügige Tätigkeiten im ersten Arbeitsmarkt erfolgreich nachfragen zu können bzw. angeboten zu bekommen, und insbesondere auch zum Verhältnis zwischen Erwerbsarbeit und sozialen Sicherungssystemen. Mein Eindruck ist - ich kann das nicht bis ins letzte verifizieren -, daß gerade diese Aussage und insbesondere die gemeinsam von uns getroffene Feststellung „In Zukunft wird Erwerbsarbeit weder der alleinige noch der wesentliche Kostenträger der sozialen Sicherungssysteme sein können" in der Sozialdemokratischen Partei auf Widerstand gestoßen sind. Jedenfalls konnten wir die Arbeit nicht fortführen. Das habe ich sehr bedauert. Jetzt wird ein Bündnis für Arbeit verlangt. Wir waren uns damals in der inhaltlichen Beurteilung sowohl der Wirklichkeit wie der notwendigen Maßnahmen sehr viel näher. Daß dies nicht weitergeführt werden konnte, dafür ist nach meiner Auffassung die Sozialdemokratische Partei verantwortlich. Ich bedaure das.
({8})
Wir haben auch in diesem Bereich zwei Jahre verloren.
Schließlich haben wir den Bericht der bayerischsächsischen Zukunftskommission, deren Empfehlungen heftig umstritten sind. Ich finde das sehr gut, da über etwas gestritten wird, bei dem man sich im Sachverhalt einig ist. Das ist etwas ganz anderes, als wenn man mit zwei Wirklichkeiten operiert. Daß dieser Sachverhalt überall - auch im DGB, auch bei Herrn Kollegen Zwickel - unstreitig ist, ist ein großer Fortschritt. Jetzt geht es darum, aus diesem unstreitigen Sachverhalt die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Schlußfolgerungen, die Herr Kollege Lafontaine gezogen hat, halte ich nicht nur für falsch, sondern auch für kontraproduktiv. Die Vorstellung, man könne auf dem derzeitigen deutschen Arbeitsmarkt durch Steigerung der Nachfrage zusätzliche Beschäftigungswirkungen auslösen, ist falsch.
({9})
Sie wird auch von kaum einem Ökonomen geteilt.
({10})
Das funktioniert eben nicht, Herr Kollege Lafontaine. Sie selbst sind sich ja in dieser Frage - da verweise ich auf Ihr Buch, das ich mit Interesse gelesen habe - keineswegs sicher. Auf der einen Seite wollen Sie strikte Haushaltsdisziplin, auf der anderen Seite wollen Sie die Nachfrage stützen. Wo soll denn das Geld für die Nachfrage herkommen?
({11})
- Aber entschuldigen Sie, Herr Kollege Waigel macht keine Steuerreform, um die Nachfrage zu stützen, sondern um die Angebotssituation bei den Unternehmen im Land zu verbessern,
({12}) und zwar bis hin zu den kleinsten Unternehmen.
({13})
- Sie können diesen Unsinn beliebig wiederholen. Es ist Ihre Wirklichkeit, nicht die Wirklichkeit dieses Landes.
({14})
Was haben die Leute im Land von Sprüchen wie „Die Reichen sollen nicht reicher werden"? Die Frage stellt sich, wer investiert. Sie müssen einmal die Frage beantworten, wie Arbeitsplätze entstehen. Das tun Sie nie. Wenn ich das Startprogramm oder das Programm der SPD oder anderer - immer auf der Suche nach neuen Erkenntnissen, die man gebrauchen kann - durchlese, dann werde ich immer wieder enttäuscht. Da lese ich: Wir wünschen Arbeit, wir fordern Arbeit, wir wollen Arbeit. - Wer ist denn „wir" in dem Zusammenhang? Das ist doch offensichtlich die Sozialdemokratische Partei. Aber Sie bauen überall - bei den Gewerkschaften und anderswo - Arbeitsplätze ab. Warum denn? Weil die jetzigen Strukturen nicht mehr stimmen. Wir können nur Arbeit schaffen, wenn wir den Menschen, die bereit sind, das Risiko, zu investieren, einzugehen, zusagen, daß sie von diesen Investitionen etwas haben, und zwar mehr, als wenn sie gutverdienende Arbeitnehmer wären.
({15})
Das verstehen die Menschen im Land sehr viel besser; denn sie erleben, wie Arbeitsplätze zustande kommen, sie erleben, wie notwendig es ist, daß ihre Unternehmer Geld haben, um zu investieren. Sie erleben die Gefahren, die auftreten, wenn die Unternehmensvermögen zu gering sind und die Unternehmen konjunkturelle Rückschläge nicht auffangen
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({16})
können, weil die Eigenkapitalausstattung zu gering ist. Sie reden doch dauernd über die Erhöhung der Eigenkapitalausstattung. Aber wenn sie erhöht wird, beschimpfen Sie die Leute, weil sie reicher geworden sind. Wie paßt das zusammen?
({17})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Plädoyer - ich sage das ausdrücklich nicht nur für mich oder für die Christlich Demokratische Union, sondern ich sage es auch für viele Menschen in unserem Land, mit denen ich rede - ist: Laßt uns von der Wirklichkeit im Land ausgehen! Da sind Probleme genug. Aber laßt uns nicht die Probleme dadurch fingieren, daß wir von einer Wirklichkeit ausgehen, die die Menschen um die Leistung der letzten zehn Jahre im Osten und um die Leistung der letzten 30 Jahre im Westen betrügt.
({18})
Denn nicht Sie in diesem Hohen Hause, nicht die Mitglieder der Landtage, nicht die Bundesregierung, nicht die Landesregierungen haben diesen Erfolg herbeigeführt, sondern es waren die Bürgerinnen und Bürger, die an das Land glauben, die in das Land investieren, die zwar maulen und bisweilen unzufrieden sind, aber im großen und ganzen sagen: Wir wollen, daß sich die Dinge so weiterentwickeln wie bisher. Ich bin überzeugt, das werden sie auch am 27. September zum Ausdruck bringen.
({19})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Rolf Schwanitz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, daß Sie die Länder Bayern und Baden-Württemberg bei der Klage gegen den Länderfinanzausgleich unterstützen, war mir neu. Ich will das aber nicht kommentieren. Dies ist auch nicht Gegenstand meiner Kurzintervention. Sie mögen den Wählerinnen und Wählern in Sachsen erklären, daß sich das nicht gegen Ostdeutschland richtet.
Ich will meine Kurzintervention auf Ihre Ausführungen zum Bodenrecht beschränken, durch die ich mich persönlich betroffen fühle und die schlichtweg falsch sind. Sie haben ausgeführt, daß niemand - und schon gar niemand, der Verantwortung trage - das Bodenrecht in Frage stellen wolle und daß es nur darum gehe, die Alteigentümer hinsichtlich ihrer Vorkaufsrechte günstiger zu stellen.
Ich will folgendes noch einmal ausdrücklich festhalten:
Erstens. Wir hatten hier im Plenum des Deutschen Bundestages mehrere Auseinandersetzungen parlamentarischer Art, zu denen Kanzleramtsminister Bohl kommen mußte, weil es entsprechende öffentliche Äußerungen des Bundesjustizministers gab, die weit in das Entschädigungsgesetz und in das Vermögensgesetz hineinreichen und die er hier auf Grund der großen Verunsicherung richtigstellen mußte. Es gibt - bis zum 27. September - Personen, die in Amt und Würden sind, die das Bodenrecht sehr wohl in Frage stellen.
Zweitens. Sie sagen, es geht nur um die Rechtsposition der Alteigentümer. Ich sage noch einmal ausdrücklich: Wer die Rechtsposition der einen Seite stärken will, der muß sich darüber im klaren sein, daß er die andere Seite schwächt. Das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz ist 1994 nach anderthalbjähriger parlamentarischer Auseinandersetzung zustande gekommen, weil es einen fragilen Kompromiß gegeben hat zwischen den Interessen der Alteigentümer auf der einen Seite und denen der ostdeutschen Bauern, also der Rechtsnachfolger der LPGen, auf der anderen Seite. Wer hier einseitig die Rechtsposition der Alteigentümer stärkt, der verschlechtert die Rechtsposition der juristischen Personen in der ostdeutschen Landwirtschaft. Deswegen ist es richtig, zu sagen: Am Bodenrecht wird nicht herumgedoktert. Das wird mit keiner Gesetzesänderung und auch nicht auf dem Verwaltungswege geschehen - auch nicht nach dem 27. September.
({0})
Herr Ministerpräsident, möchten Sie antworten?
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({0}): Nein.
Dann hat jetzt das Wort der Kollege Oswald Metzger, Bündnis 90/ Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin 43 Jahre alt und habe festgestellt, daß es im Leben nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern daß man differenzieren muß. Wir sind in der Endphase eines hysterischen Wahlkampfes, in dem natürlich der Blickwinkel der jeweiligen Ausgangssituation auch die Wahrnehmung bestimmt. Ich knüpfe an das an, was Ministerpräsident Kurt Biedenkopf aus Sachsen gesagt hat. Er hat - ganz zu Recht - die hohe Belastung des Faktors Arbeit beklagt und daraus die Schlußfolgerung gezogen, daß die heutige Regierung ihre Arbeit fortsetzen solle. Ich weise darauf hin, daß die Abgabenquote heute so hoch ist wie noch nie in der Geschichte dieser Republik. Sie beträgt 42,10 DM auf 100 DM Bruttolohn. In bezug auf die fiskalischen Auswirkungen lag der möglicherweise größte Webfehler der Kohlschen Wiedervereinigungsstrategie darin, einen Teil der Lasten über Sozialversicherungsbeiträge statt über Steuern zu finanzieren. Er nahm damit in Kauf, daß die Lasten in der Bevölkerung sozial ungerecht verteilt werden. Es werden nämlich nur die Einkommen der Arbeitnehmer bis zur Beitragsbemessungsgrenze in den jeweiligen Sicherungssystemen herangezogen. Der Rest, also Selbständige und Beamte, leistet dagegen keinen Beitrag. Das hat natürlich dazu geführt, daß die Arbeitslosigkeit als Folge der Finanzierung der
deutschen Wiedervereinigung nach oben getrieben wurde.
({0})
Ich frage mich, wie Sie dieses Vorgehen Angebotspolitik nennen können. Überhaupt rate ich allen, die ökonomisch diskutieren und meinen, in der angebotsorientierten Politik liege das Heil der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung, oder die meinen, nur auf der nachfrageorientierten Schiene liege die Zukunft des Arbeitsmarktes, endlich einmal die Scheuklappen beiseite zu lassen. Beides ist falsch. Selbst der Sachverständigenrat hat in seinem letzten Herbstgutachten zu Recht darauf hingewiesen, daß wir einen Policy-Mix zwischen Angebotsverbesserung und Nachfrageorientierung brauchen.
Kommen wir nun aber zurück auf den Haushaltsentwurf 1999. Theo Waigel hat am Anfang natürlich seine virtuelle Wahrheit dargestellt. Er sprach vom Aufschwung, in dem wir uns befinden. Im September 1998 bemühte er das erste Quartal dieses Jahres mit 3,8 Prozent realem Wachstum. Warum wohl? Weil inzwischen die Wachstumsraten nach unten gehen. Die Dynamik des ersten Quartals, die auch von Sonderfaktoren geprägt wurde - Zahlungsverpflichtungen wurden gestreckt oder in die Zukunft verschoben, um 1997 das Defizitkriterium für Maastricht einzuhalten -, ist weggebrochen. Heute bewegen wir uns in einem schwierigen weltwirtschaftlichen Umfeld mit den nachhaltigen Folgen der Asienkrise, mit der Staats- und Finanzkrise in Rußland und mit den lateinamerikanischen Märkten, die den Dollar derzeit nach unten ziehen. All das schwebt wie ein Damoklesschwert über der Weltwirtschaft und damit auch über der konjunkturellen Entwicklung in Deutschland.
Denken Sie daran, was Professor Norbert Walter, immerhin Chefökonom der Deutsche Bank Research, am Montag dieser Woche zu den Wachstumsperspektiven des nächsten Jahres gesagt hat: Wenn diese Faktoren zusammenkommen, wird 1999 in Deutschland ein Wirtschaftswachstum von maximal real 2 Prozent erreicht. Der Haushaltsentwurf dieser Regierung, der heute im Parlament eingebracht worden ist, geht aber von einem Wachstum von real über 2,5 Prozent aus. Allein diese Wachstumsverschiebung würde im Saldo die Arbeitsmarktausgaben um rund 10 Milliarden DM erhöhen.
({1})
Auch ein zweiter Punkt ist deutlich herauszuarbeiten - die Wirtschaftspresse dieser Woche beschäftigt sich auch damit; lesen Sie, was Heike Göbel gestern in der „FAZ" zu Recht über die Risiken des Bundeshaushalts schreibt -: Das Ausgabenwachstum im nächsten Jahr beträgt nur deshalb 0,4 Prozent, weil beim Erblastentilgungsfonds allein durch Tilgungsstreckung über 9,5 Milliarden DM an eigentlich vorgesehenen Ausgaben weggedrückt wurden, weil beim Bundeseisenbahnvermögen, beim Fonds Deutsche Einheit Tilgungsstreckungen veranlaßt wurden, die per saldo dazu geführt hätten, daß ohne sie das Ausgabenwachstum deutlich über den Zielsetzungen des Finanzplanungsrats von maximal 2 Prozent gelegen hätte.
Im Klartext gesprochen: Hier sind Lasten in die Zukunft verschoben worden, um jetzt einen vorgeblichen Konsolidierungshaushalt vorlegen zu können.
({2})
Ein ähnliches Problem ist die Behauptung - Theo Waigel hat es mit einem Satz gestreift, er hat auch einen Brief an den Vorsitzenden der Deutschen Postgewerkschaft geschrieben -, daß die Zukunft der Pensionen der ehemaligen Postmitarbeiterinnen und Postmitarbeiter sicher sei. Das muß er schon betonen. Natürlich sind sie sicher - weil der Staat sie garantiert! Aber die Finanzierung dieser Pensionsverpflichtungen ist nicht mehr sicher. Wir wissen, daß bei der Postunterstützungskasse bereits in diesem Jahr ein Minus entstand, das durch Dividendenentnahmen und Telekomaktienerlöse gegenfinanziert werden muß.
Im nächsten Jahr wächst dieses Loch auf 6 Milliarden DM. Ab dem Jahr 2000, wenn der Gesetzgeber durch seine Anschubhilfe für die Privatisierung der Postunternehmen dann künftig den größeren Teil der Postpensionen übernehmen wird, wird das jährliche Risiko etwa 9 Milliarden DM Ausgaben betragen. Wenn Sie den heutigen Kurswert der Telekomaktie nähmen, wäre innerhalb von acht Jahren das gesamte Telekomvermögen des Bundes vervespert, um die Pensionen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis zum Jahr 2008 zu zahlen. Danach wird es gnadenlos. Denn dann muß der Bundeshaushalt diese Pensionslast vollständig aus Steuereinnahmen finanzieren.
Pensionslasten sind Verpflichtungen auf die Zukunft ohne Gegendeckung. Da sind wir im gleichen Bereich wie bei der Rentenlast, von der heute in der Debatte schon gesprochen wurde. Herr Kurt Biedenkopf hat angesprochen, daß 10 Billionen DM Finanzgegenwert erforderlich wären, wenn man die heutigen Rentenzahlungen aus Erträgen, also kapitalstockgestützt, finanzieren wollte. Bei den Pensionen, die wir aus der Staatskasse bezahlen, haben wir das Problem, daß die Staatskasse für etwas geradesteht, wofür in der Finanzplanung keine Vorsorge getroffen ist. Die Vorsorge reduziert sich auf eine marginale Bemerkung auf den letzten Seiten des dicken, roten Finanzberichts, auf denen auch andere Risiken der Zukunft benannt sind, für die jede neue Regierung, selbst wenn es die alte wäre, aufkommen müßte.
Da setze ich mit meiner Philippika, dreieinhalb Wochen vor der Wahl, an. Unsere Bevölkerung ist zu klug, um nicht zu merken, daß ein Teil der Versprechungen, die wir alle hier machen, natürlich nicht reell ist.
({3})
Nehmen wir das Rentenrecht: Wir, die grüne Partei, sitzen nicht umsonst in der Mitte dieses Hauses.
({4})
Wir greifen Dinge auf, die zum Beispiel aus Sicht der jungen Generation für die alte Generation eine unangenehme Wahrheit darstellen. Was nützt es uns beispielsweise ökonomisch, wenn wir in der Rentenversicherung den Eindruck erwecken, die älter werdende Bevölkerung brauche durch den Einbau einer demographischen Komponente im Rentenrecht nicht auch ihren Teil zur Neujustierung der Lasten zwischen den Generationen beizutragen? Nein, auch sie muß ihren Anteil beisteuern. Im Gegenzug hat die aktiv beschäftigte Generation - das geht jetzt auch an die Adresse der SPD - durch eine wesentlich stärkere Steuerfreistellung bei Vorsorgeleistungen für das Risiko Alter tatsächlich die Chance - die Enkel, die jetzt in den Beruf einsteigen -, in ihrem Erwerbsleben einen Kapitalstock aufzubauen, der dazu führt, daß man im Alter neben einem abnehmenden, gesetzlich finanzierten Rententeil auch Mittel aus Eigenvorsorge zur Verfügung hat. Alles andere bedeutete, sich selber ein X für ein U vorzumachen.
Meine Damen und Herren, wir sind uns mit der SPD einig, daß wir tatsächlich Sondertatbestände im Einkommensteuerrecht streichen wollen, daß wir Privilegien für die sehr gut situierte Spitze der Gesellschaft abschaffen und dafür die Sätze in der gesamten Bandbreite des Tarifverlaufs senken wollen. Dann aber müssen wir daran denken, daß allein das Abschaffen von Sondertatbeständen denjenigen, die heute hohe Einkommen haben, gewaltige Steuermehrausgaben aufbürdet. Deshalb müssen wir im Gegenzug dafür Sorge tragen, daß der Spitzensteuersatz entsprechend sinkt. Denn ansonsten gehen diese Leute ins Ausland, ansonsten muß der Fiskus das feststellen, was schon heute bei den „global players", den Großunternehmen, dieses Landes festzustellen ist: Die Erträge werden dort ausgewiesen, wo die Ertragsteuersätze am geringsten sind - mit der Folge, daß die Mittelständler in diesem Lande die Gekniffenen sind,
({5})
weil sie in der Regel keine Kapitalgesellschaften, sondern Personengesellschaften sind und deshalb als Körperschaftsteuersatz den höheren Einkommensteuersatz auf gewerbliche Einkünfte zahlen. Diese müssen in diesem Land die Steuerlast tragen, während sich die Großbetriebe arm rechnen.
({6})
Stellen Sie sich vor - das geht an die Adresse der Koalition -: Daimler-Benz hat dadurch, daß es die Vorteile des heutigen Steuerbilanzrechtes genutzt hat - Ende 1996 hatte es Verlustvorträge in Höhe von mehr als 17 Milliarden DM in den Steuerbilanzen -, im letzten Jahr bei der Industrie- und Handelskammer Stuttgart lediglich den Mindestbeitrag für Körperschaften, nämlich 960 DM, gezahlt. Ein Malermeister in meinem Wohnort Bad Schussenried mit 10 oder 15 Beschäftigten dagegen zahlt bei der IHK Ulm 3000 bis 5000 DM. Angesichts dessen muß diesen Leuten doch das Messer in der Hose aufgehen! Für diese Politik steht diese Koalition, die sich immer rühmt, die Angebotsbedingungen für die Wirtschaft zu verbessern.
({7})
Damit wir die Kirche im Dorf lassen: Wir brauchen, um die Strukturen der öffentlichen Einnahmen und der öffentlichen Haushalte zu konsolidieren, drei Maßnahmen:
Die erste Maßnahme ist die Stabilisierung der Steuereinnahmen. Zur Zeit ist zwar eine Stabilisierung zu verzeichnen, aber die Steuerlastkurve dieses alten Steuerrechts ist sehr ungerecht. Wir müssen die Steuerlastkurve durch das Abschaffen von Sondertatbeständen und durch die sogenannte Verbreiterung der Bemessungsgrundlage gerechter gestalten.
Dafür gibt es von uns ein Konzept, das wirklich ranklotzt. Wir Grüne haben eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage in einem Volumen von fast 380 Milliarden DM vorgeschlagen. So kommen wir dem Ziel einer umfassenden Reform näher: höherer Freibetrag, auskömmliches Kindergeld für Familien - denn diese sind die eigentlichen Zahlmeister des heutigen Steuer- und Sozialsystems -, niedrigerer Eingangssteuersatz und deutlich abgesenkter Spitzensteuersatz. Damit werden wir im Wettbewerb der Unternehmen und im Wettbewerb der Steuerpflichtigen dem alten Steuerrechtsgrundsatz „Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit" wieder zum Durchbruch verhelfen.
Nach dem, was ich heute von Theo Waigel gehört habe, und nach dem, was ich von der SPD höre und lese, glaube ich, daß das Konzept der Grünen in diesem Punkt - Tarifverlauf von 18,5 bis 45 Prozent - das ist, auf das sich diese Gesellschaft nach der Wahl am 27. September einigen wird.
({8})
Zum zweiten brauchen wir - da beißt die Maus keinen Faden ab - Strukturreformen in der gesetzlichen Rente. Dazu habe ich bereits etwas gesagt. Aber das allein reicht nicht, um den Faktor Arbeit in Deutschland wirklich billiger zu machen und damit die Angebotsbedingungen in unserer Gesellschaft für Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu verbessern. Wir werden nicht um Antworten auf die Frage herumkommen, wie wir die Senkung der Lohnzusatzkosten finanzieren.
Die Kostendynamik nach oben bekommen wir in den Griff, wenn wir die demographische Komponente im Rentenrecht belassen. Aber die Senkung der Abgabenlastquote deutlich unter 40 Prozent erreichen wir in der nächsten Legislaturperiode nur dann, wenn wir in einem Zug-um-Zug-Geschäft die Verbrauchsteuer auf Energie erhöhen und mit den Mitteln die Zuschüsse zu den Sozialversicherungen erhöhen. Das ist das Ökosteuerkonzept der grünen Partei. Das wäre ein riesiger Schritt; denn damit hätten wir das erste Mal nach Jahrzehnten des immerwährenden Anstiegs der Abgabenlast auf den Faktor Arbeit eine Trendumkehr. In Verbindung mit einer Einkommen- und Körperschaftsteuerreform, die ihOswald Metzger
ren Namen verdient, wäre dies ein Startsignal für Investitionen und mehr Beschäftigung.
({9})
Als drittes brauchen wir eine klare Botschaft; denn die öffentlichen Haushalte stehen unter dem Vorzeichen eines strukturellen Defizits. Die SPD redet immer von Kassensturz. Ich bin schon bestürzt, wenn ich in den Haushalt von Theo Waigel gucke, und zwar schon allein wegen der Lasten, für die praktisch keine Mittel eingestellt sind, von denen ich aber weiß, daß sie bestehen. So werden zum Beispiel Pensionsverpflichtungen in die Zukunft verschoben. Außerdem sind Tilgungsstreckungen und Einmalerlöse, beispielsweise Verkaufserlöse für DeutscheBahn-Forderungen - da werden für das nächste Jahr 6 Milliarden DM als Einnahmen veranschlagt -, enthalten. Wenn ich diese Einmalmaßnahmen und Lastverschiebungen herausnehme, komme ich auf ein strukturelles Defizit in Höhe von 20 bis 30 Milliarden DM.
Wenn dies von einer neuen Regierung als Erblast übernommen werden muß, ist der Haushalt, so wie er jetzt aussieht, verfassungswidrig; denn Theo Waigel bleibt nur haarscharf unter der Verschuldungsobergrenze, wie sie im Grundgesetz verankert ist. Er hat nur einen Spielraum von knapp über 1 Milliarde DM, weil die Investitionsausgaben drastisch gesenkt wurden.
Gerade die Regierung bzw. die Koalition spricht doch immer wieder von Verbesserungen in der Angebotspolitik, von einem Primat von Wachstum und Investitionen. Sie aber hat seit Jahren die Investitionsausgaben zurückgefahren, und zwar gnadenlos. Und dann rühmt sie sich, sie würde die Staatsquote senken. Verflixt noch mal, es ist doch nicht nur die Höhe der nominalen Staatsquote entscheidend, sondern auch ihre Zusammensetzung. Wenn, gemessen an dem Volumen, mit dem der Staat am Wirtschaftsleben teilhat, der Investitionsanteil sinkt und der konsumtive Teil immer größer wird, dann ist dies doch nicht im Sinne einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik. Sie müssen den Investitionen wieder Vorrang geben. Deshalb kommen Sie bei knappen Haushalten eben nicht darum herum, in den Bereichen umzuschichten, wo die Musik spielt!
Weil nächstes Jahr der Berlin-Umzug ansteht, nenne ich Ihnen dieses erste Beispiel. Das Kombinationsmodell, das dieses Haus beschlossen hat, daß ein Teil der Ministerien in Bonn bleibt und Kopfstellen in Berlin eingerichtet werden, ist absurd. Es kostet ein Schweinegeld.
({10})
Dieses Kombinationsmodell muß in den Orkus. Eine neue Regierung täte gut daran, den Umzug dafür zu nutzen, die Ministerialbürokratie zu verschlanken und alle Ressorts nach Berlin zu verlagern. Dann würde man für die Betriebsführung des Unternehmens Bundesrepublik in jedem Jahr Verwaltungskosten einsparen, keine Frage.
Ein zweites Beispiel: Sie haben vor der Sommerpause in einer Art Torschlußpanik alles an Investitionsgütern im Rüstungsbereich gekauft, was noch zu kaufen war, ohne der veränderten Sicherheitslage Rechnung zu tragen. Im Verteidigungshaushalt steigen die Investitionen im nächsten Jahr und auch künftig - gleich festgelegt für 15 bis 18 Jahre. Wir werden daher um eine Personalstrukturreform der Bundeswehr nicht herumkommen. Sie können in Zeiten knapper Kassen für das Militär nicht ständig mehr abzweigen, obwohl sich die Bedrohungssituation verändert hat. Daher ist eine Diskussion über die Wehrpflicht bzw. über ihre Abschaffung und eine deutliche Verkleinerung der Armee nötig. Ansonsten werden die Investitionsausgaben, die Sie beschlossen haben, wie ein Damoklesschwert über dem Haushalt des Einzelplans 14 hängen, und dieser Haushalt wird in den nächsten Jahren mehr Geld verschlingen, als jeder andere Haushalt einsparen kann. So sieht die Wirklichkeit aus. Diese Erblast ist entstanden durch diesen Akt der Torschlußpanik vor der Sommerpause.
Wir brauchen darüber hinaus eine Botschaft an die Bevölkerung, nämlich die Botschaft, daß viele der Einschnitte in der Vergangenheit häufig unter dem Blickwinkel durchgeführt wurden: Wir treffen diejenigen, die keine Lobby haben. Wir riskieren eine soziale Schieflage, lassen aber die Privilegierten weiterhin ungeschoren.
Wir brauchen in dieser Gesellschaft wieder eine Wertediskussion, in der es darum geht, was gesellschaftsfähig ist. Eine Gesellschaft lebt nicht davon, daß der einzelne nur daran denkt, was er von der Gesellschaft bekommen kann, sondern davon, daß der einzelne seinen Teil zum Gemeinwesen beiträgt und die Gesellschaft als Bürgergesellschaft begreift, in der jeder einzelne seinen Platz und seinen Wert hat. Wenn wir diesen Wert neu definieren wollen, so gehört dazu auch, daß der Staat dem einzelnen Menschen, ob Kleinverdiener oder Großverdiener, ob arbeitslos, ob behindert, ob Ausländer oder Inländer, das Gefühl gibt, daß er in dieser Gesellschaft seinen Platz hat.
Verzeihung, Frau Kollegin Dr. Niehuis, ich darf bitten, daß es auf der Bundesratsbank etwas leiser wird.
({0})
- Auf der Regierungsbank ist es gelegentlich auch so.
({1})
Wenn wir in einer so definierten gerechten Gesellschaft die Lastenverteilung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen gemeinsam neu justieren, werden wir die Unzufriedenheit, die rechtsradiOswald Metzger
kales Wahlverhalten provoziert, beseitigen. Diese richtet sich inzwischen gegen das System, das sich für viele Bürgerinnen und Bürger hier im Bundestag manifestiert. Nur so werden wir diese Republik auf eine Grundlage stellen, von der aus wir unser Gemeinwesen im nächsten Jahrtausend in ökonomischer Wohlfahrt, in ökologischer Verträglichkeit, in solidarischer Gerechtigkeit, aber auch in demokratischer Rechtsstaatlichkeit führen können. Wir Grünen sind bereit, daran mitzugestalten. Wir bitten deshalb die Menschen am 27. September um ihre Zweitstimme.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Vorsitzende der F.D.P.-Fraktion, Dr. Hermann Otto Sohns.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das war der typische Schleiertanz von Herrn Metzger, der von den eigentlichen - ökonomisch absurden - Forderungen mit vielfältigen Steuererhöhungen, angefangen bei der Mineralölsteuer, ablenkt. Dazu war jetzt kein Wort zu hören.
({0})
Die Betroffenen wissen das aber, und wir werden dafür sorgen, daß das in der Öffentlichkeit bekannt bleibt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vorlage des Bundeshaushaltes durch die Bundesregierung ist ein Akt der Ehrlichkeit, der Haushaltsklarheit und der Glaubwürdigkeit,
({1})
denn die Bundesregierung wäre gar nicht gehalten gewesen, noch einen Bundeshaushalt vorzulegen, wo doch die Legislaturperiode in diesem Monat endet. Darauf ist hinzuweisen. Die Zahlen machen deutlich, wo wir stehen. Da braucht man keinen Kassensturz, wie von der Opposition gefordert. Hier ist alles genau aufgeführt, und jeder weiß, woran wir sind.
Wir sind in einer sehr viel besseren Situation, als vielfach dargestellt wird.
({2})
Ich stimme dem Ministerpräsidenten Biedenkopf
ausdrücklich zu. Die ökonomischen Daten gehen alle
aufwärts und zeigen eine positive Richtung. Die Staatsausgaben sind im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt gesunken. Da gibt der Bund gegenüber Ländern und Gemeinden ein gutes Vorbild. Aber der Gesamtstaat hat sich daran zu halten.
({3})
Das Wichtigste ist, daß die Inflationsrate unter 1 Prozent gesunken ist. Das ist das Sozialste an diesem Prozeß überhaupt,
({4})
weil die Sparer nicht um ihre Ersparnisse gebracht werden, da diese ihren Wert behalten. Wichtig ist, daß die Konjunktur auch in den neuen Bundesländern nach oben geht. Das „Handelsblatt" hat gerade vor zwei Tagen das Konjunkturbarometer für die neuen Bundesländer, insbesondere für das produzierende Gewerbe, nach oben gesetzt. Das zeigt, daß auch dort die wirtschaftlichen Hilfen, die die Bundesregierung gibt und um die sich die Länder kümmern, tatsächlich zur Verbesserung der Situation führen und auch dort langfristig zu einer Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt beitragen werden.
Vor diesem Hintergrund war es notwendig und ist es richtig, den Haushalt vorzulegen. Das ist auch durch die Ministerpräsidenten, Herr Lafontaine, nicht zu kritisieren, insbesondere wenn man sieht, daß Sie Ihren Landeshaushalt noch nicht vorgelegt haben und daß, wie ich höre, Herr Schröder in Niedersachsen überhaupt nicht daran denkt, einen vorzulegen. Es wird geplant, daß der Haushalt 1999 in Niedersachsen erst im nächsten Jahr zur Abstimmung gebracht werden soll.
({5})
Das kann einen auch nicht wundern, wenn man sieht, daß der Staatsgerichtshof in Bückeburg im Herbst 1997 die letzten beiden Landeshaushalte in Niedersachsen für verfassungswidrig erklärt hat. Das macht deutlich, wie die Lage ist.
({6})
Herr Ministerpräsident Lafontaine, wir verstehen die besonderen Finanzprobleme und Strukturprobleme, die Sie im Saarland haben. Sie hätten aber trotzdem ehrlichkeitshalber darauf hinweisen müssen, daß es gerade der Bund - der Bundesfinanzminister - ist, der seit Jahren das Saarland mit Sonderzuweisungen in Höhe von jährlich 2 Milliarden DM unterstützt.
({7})
Ihre Zinssituation wäre natürlich viel schlechter, wenn Sie diese Hilfen nicht bekämen.
({8})
Wir haben das mit beschlossen. Aber die Ehrlichkeit
gebietet, daß man auf diese Zusammenhänge hinDr. Hermann Otto Solms
weist. Der Bundesfinanzminister zahlt die politische Führung des Saarlandes. Sie sollten ihm gegenüber dankbar sein; denn er zahlt Ihren Gehaltsscheck. Das muß man doch der Öffentlichkeit sagen.
({9})
Herr Stollmann - das ist ja auch bezeichnend - hat erklärt, daß die Sonderergänzungszuweisungen gestrichen werden sollten und daß die kleinen Länder schauen sollten, wie sie zurechtkommen.
({10})
Auch das ist ein Zeichen der Uneinigkeit innerhalb der Sozialdemokratischen Partei.
Meine Damen und Herren, die Verbesserung der Situation ist uns aber nicht in den Schoß gefallen. Sie ist auch nicht zufällig gekommen, sondern sie beruht auf wichtigen Entscheidungen dieser Koalition, die gerade auch von Ihnen immer bestritten worden waren. Ich darf auf einige hinweisen: Anhebung des Kindergeldes,
({11})
Anhebung des Grundfreibetrages, Senkung des Soli, Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, Nicht-mehrErhebung der Vermögensteuer. Allein in diesem Bereich hat es Nettoentlastungen von über 30 Milliarden DM in dieser Legislaturperiode gegeben, die natürlich die Kaufkraft der Arbeitnehmer gefördert und gestützt haben und nicht das Gegenteil.
({12})
- Wir haben es zweimal erhöht, Herr Fischer.
({13})
Dazu kommen eine Reihe von Maßnahmen beim Kündigungsschutz, bei der Lohnfortzahlung, im Arbeitsrecht, bei der Arbeitsförderung sowie die Reform der Gesundheitspolitik, die dazu geführt haben, daß die Defizite der gesetzlichen Krankenversicherung verschwunden sind. Wer hätte das denn noch vor einem Jahr gehofft?
({14})
Das ist der Einstieg in die Senkung der Kostenbelastung von Arbeitnehmern und Unternehmen. Nur so werden mehr Investitionen angeregt werden können, und nur durch Investitionen entstehen nun einmal
mehr Arbeitsplätze. Deswegen habe ich es schon bedauert, Herr Ministerpräsident Lafontaine, daß Sie wieder mit der Geschichte von der Binnennachfrage gekommen sind, als könnte allein durch eine Steigerung der Binnennachfrage
({15})
die Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessert werden.
({16})
Was mich daran so ärgert, ist, daß Sie damit indirekt unterstellen, daß derjenige, der diese Politik nicht verfolgt, nicht dafür sei, daß die Arbeitnehmer mehr Nettoeinkommen erhalten. Ganz im Gegenteil: Natürlich wollen die, die eine angebotsorientierte Politik vertreten, genau das gleiche, allerdings nur in Verbindung mit der Verbesserung der Angebotsbedingungen. Nur durch Nettosteuersenkung für Arbeitnehmer und Unternehmen, durch Abgabensenkung für Arbeitnehmer und Unternehmen verbessern sich die Investitionsbedingungen für die Unternehmen einerseits und die Nettoeinkommensbedingungen für die Arbeitnehmer auf der anderen Seite.
({17})
Nur so wird ein Schuh daraus, und deswegen muß diese Politik weiter verfolgt werden. Nur so können auch mehr Arbeitsplätze geschaffen werden.
Auf Grund dieser verbesserten Rahmenbedingungen haben nun auch die Auslandsinvestitionen in Deutschland wieder deutlich zugenommen. Während sie im letzten Jahr bei nur 4 Milliarden DM lagen, flossen bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres Auslandsinvestitionen in Höhe von 14 Milliarden DM in die Bundesrepublik Deutschland. Der Präsident der amerikanischen Handelskammer in Frankfurt, Fred Irvin, hat vor kurzem in einer Rede bestätigt, daß die großen amerikanischen Tochterunternehmen in Deutschland wieder überwiegend mehr investieren wollten.
({18})
Er hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Abschaffung der Gewerbe- und der Vermögensteuer, die Änderung des Kündigungsschutzes und die Senkung des Solidaritätszuschlages die Voraussetzungen dafür waren, daß sich das Investitionsklima für die ausländischen Firmen hier in Deutschland so dramatisch verbessert hat.
({19})
Noch wichtiger ist, daß er gesagt hat, die große Steuerreform würde aus Deutschland über Nacht ein Investitionsparadies machen. - Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Das zeigt, wie die internationalen Fachleute den Standort beurteilen. Deswegen möchte ich auch einmal auf die unterschiedlichen Vorstellungen hinsichtlich einer Steuerreform eingehen.
Zunächst einmal bedanke ich mich und unterstütze nachdrücklich den Vorschlag des Bundesfinanzministers, daß die erste Stufe der Steuerreform als Teil eines Gesamtkonzeptes, das natürlich auch nur insgesamt beschlossen werden darf, schon im Jahr 1999 zu Nettosteuerentlastungen in Höhe von 10 Milliarden DM führen soll und führen muß.
({20})
Wir werden dieses Steuerreformpaket nach der Bundestagswahl umgehend wieder einbringen und so schnell wie möglich durchberaten und verabschieden. Das ist leistbar und machbar.
Der Tarifvorschlag der Sozialdemokraten führt zu einer Nettoentlastung von 51,8 Milliarden DM. Die Gegenfinanzierung: etwa 16,5 Milliarden DM plus 2 Milliarden DM mehr Vermögensteuer. Übrig bleibt eine Lücke von 35 Milliarden DM. Die Sozialdemokraten wollen keine oder eine nur geringfügige Nettoentlastung. Ich frage Sie aber: Wie wollen Sie die Lücke finanzieren? Sie behaupten immer, wir würden nicht anständig rechnen. Nun machen Sie ein solches Wahlgeschenk, ohne die Rechnung abzuschließen und zu sagen, wie Sie das bezahlen wollen.
({21})
Hinzu kommen natürlich die völlig unsystematischen Vorschläge zur Einführung einer Mindeststeuer. Wenn Sie eine Mindeststeuer einführen, dann müssen auch diejenigen Steuern bezahlen, die nach unseren Vorstellungen steuerfrei ausgehen würden. Darauf muß man hinweisen. Das würde gerade die kleinen und mittleren Unternehmen treffen, die wir ja besonders stärken wollen und müssen.
({22})
Meine Damen und Herren, Sie wollen die Gewerbesteuer auf die freien Berufe ausdehnen. Auch das ist kein Beitrag zur Stärkung des Mittelstandes. Außerdem wollen Sie eben die Entlastungen nicht über den ganzen Tarif durchführen, sondern im wesentlichen im unteren Bereich vornehmen. Das wird aber nichts nützen, weil ein gut Teil der Facharbeiter bereits überdurchschnittlich verdienen und auch diese durch eine Absenkung des Tarifs im gesamten Verlauf entlastet werden müssen.
({23})
Wer eine Mindeststeuer nicht will, sagt damit indirekt, daß er eine Beseitigung der steuerlichen Ausnahmen nicht konsequent mittragen will. Denn wenn Sie das täten, müßte jeder nach der Höhe seines Einkommens Steuern zahlen, unabhängig von der Frage, woher das Einkommen kommt oder wofür es verwendet wird. Das führt natürlich nicht weiter. Das hat Herr Lafontaine ja auch bestätigt, indem er eine Reihe von Bereichen aufgeführt hat, in denen er die steuerlichen Ausnahmen nicht beseitigen will. Sie bekommen aber kein gerechtes Steuersystem, wenn Sie hier nicht den Mut zur Konsequenz haben.
({24})
Meine Damen und Herren, die „Welt am Sonntag" hat einen Fachmann beauftragt, die Steuerprogramme der verschiedenen Parteien zu testen. Ergebnis: Die F.D.P. hat den „Eichtest" am besten bestanden; die Vorschläge der SPD und der Grünen sind unter den Tisch gefallen. Ich bedanke mich für diese objektive Untersuchung. Das ist genau das, was ich von ihr erwartet habe,
({25})
weil wir nämlich ein ganz konsequentes, durchgerechnetes Konzept vorgestellt haben - mit dem Ziel der Entlastung; das darf man nicht vergessen.
Meine Damen und Herren, was die Sozialdemokraten in ihrem Mittelstandspapier fordern, macht dieses Papier zu einem Abschreckungspapier. Das klingt alles schön, teilweise so, als wäre es von der F.D.P. abgeschrieben. Aber wenn Sie sich die Forderungen anschauen, stellen Sie fest: Es ist das Gegenteil. Sie wollen die Körperschaftsteuer auf 35 Prozent senken. Was bleibt denn dann bei den 90 Prozent Personengesellschaften, die Einkommensteuer bezahlen?
({26})
- Optionsmodell oder Betriebssteuer, das führt nicht weiter. Sie wollen die Gewerbesteuer auf die freien Berufe ausdehnen. Sie wollen die Vermögensteuer wieder einführen, und die Grünen wollen noch eine Vermögensabgabe obendrauf. Sie wollen die Mindeststeuer. Sie wollen die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall rückabwickeln. Sie wollen den Kündigungsschutz rückabwickeln.
({27})
Sie wollen die 620-DM-Verträge abschaffen. Sie wollen eine Ausbildungsplatzabgabe einführen. Alles freudige Botschaften für den Mittelstand! Ich glaube, daß die Vertreter des Mittelstandes wissen, was sie zu wählen haben.
({28})
Bei den Renten ist es doch nicht viel anders. Wenn Herr Lafontaine hier von Rentenkürzungen spricht, ist das eine absolute Unwahrheit. Es werden keine Renten gekürzt.
({29})
Die Rentenreform führt dazu, daß der Rentenanstieg in den nächsten Jahren maßvoller ausfällt. Es wird keine einzige Rente gekürzt, und ich verbitte mir, daß Sie diese Lüge ständig wiederholen. Das geht wirklich nicht.
({30})
Wer die Rentenreform zurücknehmen will, der wird dazu beitragen, daß die Rentenbeiträge um 3 Prozentpunkte steigen werden. Das hat das Prognos-Institut errechnet. Das heißt, daß die Beitragszahler im Endeffekt jährlich mit über 50 Milliarden zusätzlich belastet werden. Das ist Ihr Beitrag zur Rentenpolitik. Dadurch wird die Rente nicht auf eine gesicherte Grundlage gestellt. Aber gerade das ist
unsere Aufgabe. Wer eine Renten- und Sozialpolitik betreibt, die die Renten und Sozialleistungen auch in Zukunft finanzierbar macht, der betreibt eine soziale Politik, aber nicht derjenige, der sich um Reformen drückt.
({31})
Im SPD-Programm ist zu lesen, daß die SPD vor allem eine Erhöhung der staatlichen Zuschüsse zu den Rentenkassen zu Lasten der Steuerzahler will. Das summiert sich auf etwa 45 Milliarden DM. Das muß dann wohl durch Steuererhöhungen finanziert werden, wie denn sonst? Dem Arbeitnehmer ist es doch wirklich egal, ob er nun zuwenig Nettoeinkommen wegen zu hoher Steuern oder wegen zu hoher Abgaben hat. Wenn Sie das von einem zum anderen umverteilen, dann hat der Arbeitnehmer überhaupt keinen Vorteil davon; ihm geht es aber darum, daß er netto mehr in der Kasse hat, damit er über mehr Einkommen verfügen kann.
({32})
Diese unglaubwürdigen Wahlversprechen werden beispielsweise bei der Frage der inneren Sicherheit fortgesetzt. Herr Schröder hat im SPD-Programm dazu folgendes geäußert: Die Strafe muß der Tat auf dem Fuße folgen. - Er hat recht, kann ich dazu nur sagen. Aber Schröder hat mit den SPD-Vertretern im Bundesrat die Einführung der Hauptverhandlungshaft blockiert. Erst mit Kanzlermehrheit konnte sie im Bundestag gegen den Widerstand der SPD durchgesetzt werden. Dabei geht es darum, daß die Strafe der Tat auf dem Fuße folgt.
({33})
Zweitens. Schröder hat gesagt: Wir dürfen bei ertappten ausländischen Straftätern nicht mehr so zaghaft sein. Wer unser Gastrecht mißbraucht, für den kann nur eines gelten: raus, und zwar schnell.
({34})
Gut, sage ich dazu. Wie sehen die Fakten aus? Gegen die Bedenken des Bundesrates hat die Bundesregierung die schnelle Abschiebung ausländischer Straftäter durchgesetzt. 200 000 Straftaten von Ausländern gab es 1996 in Niedersachsen. Was meinen Sie, wie viele ausländische Straftäter aus Niedersachsen abgeschoben wurden? - Ganze vier.
({35})
Soviel ist zur Einhaltung der Versprechen und zur Glaubwürdigkeit von Gerhard Schröder zu sagen.
Drittens. In Niedersachsen wurde das Asylbewerberleistungsgesetz praktisch nicht angewendet. Es gibt weiterhin Barleistungen statt der vorgesehenen Sachleistungen bzw. Gutscheine.
Schröder im Wahlprogramm: Auf Bestrafung bei Ladendiebstahl, beim Schwarzfahren und bei anderen Taten der sogenannten Alltagskriminalität wird nicht verzichtet. Das sagt Schröder wortwörtlich. Wie sehen die Fakten in Niedersachsen aus? Die Justizministerin ordnet die De-facto-Straffreiheit bis zu einem Wert des Diebesgutes von 100 DM an.
({36})
So geht es nicht. Sie können der Öffentlichkeit im Wahlkampf nicht solche Versprechungen machen, wenn alle Fakten dagegen sprechen. Da, wo Sie handeln müssen, zucken Sie zurück. Das ist keine ehrliche Politik, auch nicht, wenn man berücksichtigt, daß der Wahltag in Kürze bevorsteht.
Wenn Sie von etwas größerer Ferne auf das Geschehen in der Bundesrepublik blicken, dann sehen Sie, daß wir schwierige Aufgaben zu bewältigen haben, daß das Staatsschiff aber auf gutem Kurs ist.
({37})
Wir haben die riesigen Probleme, die mit der deutschen Einheit verbunden sind, sehr gut gelöst. Wir sind zwar noch nicht am Ende des Prozesses angelangt, aber wir haben riesige Fortschritte gemacht. Wer durch die neuen Bundesländer fährt, der sieht doch überall im Alltag, wo die Verbesserungen stattgefunden haben.
({38})
Wenn Sie die dortige Situation mit der in anderen Ländern vergleichen wollen, dann müssen Sie es mit der Situation der Arbeitnehmer und Unternehmer in Tschechien, in Polen und in Ungarn tun, die ebenfalls Fortschritte machen, aber auf einem sehr viel niedrigeren Niveau.
({39})
Da können Sie sehen, wie die deutsche Einheit dem Fortschritt geholfen hat.
Ich bedauere, daß die Arbeitnehmer in Ostdeutschland im Durchschnitt noch nicht 100 Prozent des Westeinkommens haben. Aber sie haben immerhin 80 Prozent erreicht.
({40})
Auch ihr Einkommen wird Schritt für Schritt weiter angehoben werden. Wenn Sie das mit den Verhältnissen in Polen oder Ungarn vergleichen, stellen Sie fest: Die dortigen Einkommen betragen nur 10 Prozent im Vergleich zu denen bei uns.
Wir haben die Probleme der europäischen Vereinigung, der Erweiterung und der Vertiefung weiterhin zu lösen. Das sind schwierige Aufgaben. Auch hier geht es darum, daß der Kurs mit erfahrener Hand fortgesetzt wird. Wir haben uns der Globalisierung
zu stellen, nicht durch Abschottung, wie Herr Lafontaine das vorschlägt,
({41})
sondern dadurch, daß wir uns dem Wettbewerb stellen. Nur wenn wir uns dem Wettbewerb stellen, können wir bestehen. Aber ich sage Ihnen: Die deutsche Wirtschaft ist so stark, daß sie das von allen Volkswirtschaften in Europa am besten schaffen wird, wenn wir die Hemmnisse beiseite räumen, die dem entgegenstehen.
({42})
Wenn Sie ins internationale Umfeld schauen, dann sehen Sie riesige Probleme in Rußland, in der Ukraine, in Weißrußland. Sie sehen Bürgerkriege in Serbien, in Afghanistan, in Afrika. Sie sehen die asiatische Finanzkrise, die sich auch auf uns auswirkt. Sie sehen den zunehmenden islamischen Fundamentalismus. Sie sehen die in der Führung gehemmte Weltmacht Vereinigte Staaten. Wir sollten doch froh sein, daß in einer solchen Situation ein stabiles, großes Land in Europa, nämlich Deutschland, den Kurs hält, die Reformen voranbringt und für Stabilität und Anerkennung sorgt.
Sie sehen es doch auch an der Bewertung der Währung. Alle haben gesagt: Wenn der Euro kommt, dann kommen wir in eine Inflationsphase. - Das Gegenteil ist der Fall. Der Wert der D-Mark und des Euro steigt im Verhältnis zum Dollar. Sie sehen doch das stabilisierende Element auf der Basis des Vertrauens in die deutsche Politik und die deutsche Regierung. Das ist aber die Regierung dieser Koalition.
({43})
In einer solchen Situation, wo wir umgeben sind von Stürmen, sollten wir doch froh sein, daß der Kapitän, Helmut Kohl, und der Steuermann, Klaus Kinkel, weiterarbeiten und die Sache in der Hand behalten, und es ist doch kein Schaden, wenn der Erste Offizier, Wolfgang Schäuble, auch schon das Kapitänspatent in der Tasche hat. Das erhöht doch nur das Vertrauen.
({44})
In dieser Situation darauf zu setzen, daß zwei Leichtmatrosen, Gerhard Schröder und Joschka Fischer, die Brücke erklimmen
({45})
- er würde es ja gerne tun -, bedeutet nicht nur Risikobereitschaft; das bedeutet schon ausgesprochen auf Baisse zu spekulieren.
({46})
Das kann doch nicht helfen. Das kann man niemandem empfehlen, insbesondere nicht, wenn man sieht, daß im Beiboot Jürgen Trittin und Gregor Gysi nahen, die natürlich ebenfalls die Brücke entern und
das Ruder in ihre Hand bekommen wollen. Wenn sie es einmal in ihrer Hand haben, dann werden sie es nicht mehr abgeben.
Meine Damen und Herren, wir setzen auf Erfahrung, auf Stabilität, aber zugleich auch auf marktwirtschaftliche Erneuerung. Wir werden am 27. September die Mehrheit der Stimmen auf uns konzentrieren.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({47})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Christa Luft, PDS.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich dachte schon, die Regie würde es wieder schaffen, uns ganz aus der Fernsehzeit herauszudrängen. Das ist nicht gelungen. Ich bedanke mich dafür.
({0})
Mit dieser zweitägigen Haushaltsdebatte wollte sich die amtierende Bundesregierung offenbar noch einmal eine Bühne verschaffen, um ihre Erfolgsbilanz vorzustellen. Ich habe aber eher den Eindruck, daß die Öffentlichkeit heute einer medialen Henkersmahlzeit für diese Mannschaft beiwohnt, der am 27. September gewiß das Urteil durch die Wählerinnen und Wähler ausgesprochen wird, nämlich ein Abwahlvotum.
({1})
So ist zumindest die Stimmung in den neuen Bundesländern. Ich darf aus einer in der „Super Illu" heute veröffentlichten Umfrage bekanntgeben, daß in den neuen Bundesländern die derzeitige Koalition gegenwärtig ganze 12 Prozent der Stimmen bekäme
- das doch aber nicht, wie Ministerpräsident Biedenkopf argwöhnte, weil die PDS dort eine miese Stimmung verbreitet, sondern weil die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern - im übrigen politisch hoch sensibilisiert und hoch gebildet; niemand sollte sie für tumb und für manipulierbar halten
- viel bitterer empfinden, daß sich die Realität der Bundesrepublik Deutschland in ihrem Alltag immer mehr vom Anspruch des Grundgesetzes entfernt. Deshalb kommt diese Stimmung zustande.
({2})
Ich nenne nur die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, die im Grundgesetz verankert ist. Wo ist sie geblieben? Der Shareholder value diktiert hier. Die öffentliche Daseinsvorsorge steht im Grundgesetz als Aufgabe für die öffentliche Hand. Sie wird immer mehr abgebaut. Es gibt ein fast leeres Reservoir an öffentlichem Vermögen, das diese Bundesregierung vor 16 Jahren aber voll übernommen hat. Inzwischen gibt es nun sogar schon den Ausverkauf wertvollster Naturschutzflächen in Ostdeutschland. Ich erinnere an die Schorfheide in Brandenburg. Das ist das, was bitter aufstößt.
Ich nenne noch einen Punkt aus dem Grundgesetz. Dort steht das Recht auf freie Berufswahl für jeden jungen Menschen. Ich weiß nicht, wer von Ihnen sich trauen würde, in eine Veranstaltung zu gehen, in der Hunderte junger Leute sitzen nach x Ablehnungen bei Bewerbungen um eine Ausbildungsstelle. Was würden Sie denen wohl erzählen? Ich treffe jedenfalls, Herr Solms, in den neuen und auch in den alten Bundesländern auf Handwerksbetriebe, auf Handwerker, auf Gewerbetreibende und auf Kleinunternehmer, die einer Ausbildungsplatzumlagefinanzierung sofort gern zustimmen würden. Denn sie wüßten, sie würden davon profitieren. Es sind doch die großen und gutsituierten Mittelständler, die sich von der Ausbildung abgeseilt haben.
({3})
Die Menschen in den neuen Bundesländern würden so stimmen, wie ich eben gesagt habe, weil sie wollen, daß der Osten endlich als eine Chance für das ganze Land begriffen wird und daß er nicht ständig nur als Sozialfall gehandhabt wird, der schon soviel gekostet hat. Im übrigen werden ja die Transferleistungen immer noch brutto ausgerechnet.
Die halbe Million, die dieses heutige und morgige überflüssige Manöver wahrscheinlich kostet, hätte ich gern für meinen Wahlkreis. Ich nehme an, viele andere Abgeordnete hätten das auch gern. Kinderspielplätze könnten gebaut, Jugendfreizeiteinrichtungen erhalten oder Schulen renoviert werden. Das wären alles wichtigere Projekte als verbale Redenschlachten.
Im übrigen ist ja das, was uns vorgelegt worden ist, sowieso ein Zahlenfriedhof. Das Wirtschaftswachstum, das angegeben worden ist, die Steuereinnahmen oder die Zuwendungen für die Bundesanstalt für Arbeit, die Neuverschuldung, die Zinsausgaben - alles das sind doch inzwischen schon obsolete Zahlen.
Wir haben eine neue weltwirtschaftliche Situation. Ich darf Sie bitten, Herr Bundeskanzler: Wenn Sie nicht wollen, daß die Rußlandkrise zu weiteren Unsicherheiten in Europa und in der Welt führt, dann müssen Sie aufhören, mit Ihrer Regierung den Fortgang der Reformen an puren ideologischen Dogmen zu messen. Es ist wichtig, daß wirtschaftliche Stabilität in Rußland entsteht, daß innerer sozialer Friede bewahrt wird, daß es zu kommerzieller Zuverlässigkeit und zu Rechtssicherheit kommt.
Sie aber haben Kredite und Beratungshilfen daran gebunden, daß große Staatsunternehmen ganz schnell zerhackt werden mußten und privatisiert werden sollten, daß staatliche Strukturen vorschnell abgebaut wurden. Die Folge ist, daß wir ein Wirtschafts- und Steuerchaos haben, daß das Volk darbt, während sich eine gewisse Clique bereichert hat. Die soziale Bombe tickt. Jelzin war - ich muß das jetzt einmal so sagen - für Sie bis gestern noch die Inkarnation einer Reformkraft. Ich meine, Irren ist menschlich, aber dieser Irrtum ist besonders tragisch.
({4})
Nun hat Bundesfinanzminister Waigel in seinem ZDF-Sommerinterview gesagt, der Entwurf, den er vorlege, sei das Buch der Zahlen; jeder wisse nun, woran er 1999 und bis zum Jahr 2000 sei. Ja, wie recht er doch hat, unser oberster Kassenwart! Das Wahlvolk weiß nun - schwarz auf weiß kann es das zur Kenntnis nehmen -, daß die amtierende Regierung trotz allen Geredes von einer Trendwende auf dem Arbeitsmarkt selbst im Jahr 2002 noch mit 3,5 Millionen Arbeitslosen rechnet - offiziell versteht sich; die Quasi-Arbeitslosen zählt ja sowieso niemand.
Ich finde, das sind schöne Aussichten. Dabei wollte der Kanzler die Arbeitslosenzahl schon bis zum Jahr 2000 halbieren, also auf zirka 2 Millionen reduzieren. Wer sich so verkalkuliert, der hat doch jede Glaubwürdigkeit verloren.
({5})
Von den 23 Berliner Bezirken hatten im übrigen 17 im Juli eine höhere Arbeitslosigkeit als im Juni. Fünf Bezirke hatten eine Plus-Minus-Bilanz, und nur in einem Bezirk gab es einen leichten Rückgang bei der Arbeitslosigkeit. Das alles ist festzustellen, obwohl die Koalition lautlos etwas getan hat, was sie normalerweise lauthals diskreditiert, ja gar diffamiert: Sie hat inzwischen den zweiten Arbeitsmarkt gestärkt. Zwar bestreitet die Koalition, daß sie durch das Ausschütten des Füllhorns von ABM-Geldern Wahlspeck verteilt hat. Sie behauptet sogar, die Zahl der ABM-Stellen würde sich lediglich auf dem Niveau des vergangenen Jahres bewegen. Mit meinen Erfahrungen deckt sich das aber nicht: In dem Arbeitsamtbezirk, zu dem mein Wahlkreis gehört, gibt es gegenwärtig 1500 ABM-Stellen mehr als 1997. Selbstverständlich bedauere ich das nicht. Aber ich kritisiere scharf, daß wiederum nur befristete Stellen finanziert werden und daß die Menschen nach Ablauf der Zeit wieder in ein Loch fallen. Mit der Not arbeitsloser Menschen Schindluder zu treiben, das ist, finde ich, skandalös.
({6})
Für die Finanzierung solch wichtiger Bereiche wie Jugendarbeit, soziale Dienste und humane Dienstleistungen überhaupt werden jedoch keine stabilen und existenzsichernden Lösungen gesucht. Statt dessen meditieren Sie über Niedriglohnsektoren und Kombilohnmodelle. Wohin sollen sich die Löhne eigentlich noch entwickeln? Ich nenne Ihnen einmal ein Beispiel, das jüngst durch die Presse ging. Selbst qualifizierte Facharbeiter und Facharbeiterinnen werden in den neuen Bundesländern mit 6,10 DM brutto in der Stunde bezahlt. Ich weiß nicht, wer davon leben soll. Meint jemand, daß die immer niedrigeren Löhne eine Perspektive für dieses Land sein können? Wir fordern die gesetzliche Fixierung eines existenzsichernden Mindestlohnes für Männer und für Frauen.
({7})
Im übrigen finde ich es schade, daß Herr Ministerpräsident Biedenkopf nicht mehr da ist. In dem von ihm in Auftrag gegebenen Zukunftsbericht steht die zynische Bemerkung, die Arbeitslosigkeit im Osten
wäre dann nicht höher als im Westen, wenn nicht die Frauen im Osten eine so schrecklich hohe Erwerbsneigung hätten. Wie will er denn die ostdeutschen Frauen - und wahrscheinlich auch die westdeutschen Frauen - gestellt wissen? Damit wird er keinen Anklang finden - auch nicht bei der Wahl am 27. September.
({8})
Die Bundesbürgerinnen und -bürger können sich davon überzeugen, daß die Verschuldungspolitik der Bundesregierung zu einer gigantischen Umverteilung geführt hat und daß sie sich fortsetzen soll. Der Steuerzahler hat für fast 80 Milliarden DM Zinsen im Jahr aufzukommen. Das betrifft vor allem die abhängig Beschäftigten, die die Lohnsteuer aufzubringen haben und die den größten Teil der Mehrwertsteuer bezahlen. Der größte Teil der Zinsen fließt in die Taschen derer, die so viel Geld hatten, daß sie es der öffentlichen Hand pumpen konnten. Jenen aber haben Sie nun auch noch die private Vermögensteuer erlassen.
Mit Blick auf die Verschuldung heißt es häufig - so auch von meinem Kollegen Metzger von den Bündnisgrünen im Frühstücksfernsehen -, dieses Land hätte in den letzten Jahren über seine Verhältnisse gelebt. Wer soll denn der Völlerei bezichtigt werden? Sind das die Kinder in Familien, die an der Armutsgrenze leben und über die Frau Ministerin Nolte ignorant meint, Sozialhilfe sei nicht mit Armut gleichzusetzen? Sind das die Langzeitarbeitslosen, deren Bezüge laufend gesenkt wurden? Sind das die Menschen mit Behinderungen, die keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben? Nein. Ich denke, wir müssen genauer lokalisieren, wer den großen Schluck aus der Flasche genommen hat. Das sind diejenigen mit privaten Sonderabschreibungen, die den Fiskus schröpfen. Zudem sind es die Banken, die enorme Rückstellungen für die Finanzierung von großen Gewerbezentren und Bürohochhäusern, die anschließend nicht ausgelastet sind, bilden. Sie können mit den Rückstellungen in ihren Bilanzen Wertberichtigungen vornehmen, um ihre Steuerbelastung zu senken. Das sind Zustände, die endlich geändert werden müssen.
({9})
Alles in allem ist das, was die Bundesregierung vorlegt, eigentlich ihr Testament. Es ist eine traurige Hinterlassenschaft. Aber nicht nur die Regierung Kohl hat abgewirtschaftet; auch die neoliberale Philosophie, der sie gefolgt ist, mit ihrer Marktgläubigkeit ist gescheitert. Daher nutzt ein Auswechseln von Personen am 27. September überhaupt nichts. Was wir bitter nötig haben und überfällig ist in diesem Lande, ist ein Politikwechsel.
Gespannt blickt nun die Öffentlichkeit auf das Startprogramm der SPD. Darin sind ganz gewiß einige außerordentlich begrüßenswerte Maßnahmen enthalten. Ich nenne nur die Rücknahme der gekürzten Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Ich nenne die Rücknahme des gelockerten Kündigungsschutzes oder auch die Rücknahme der von der Koalition beschlossenen Rentenkürzungen.
Angekündigt hat der Kanzlerkandidat auch, bei Amtsübernahme sofort ein Programm für die Ausbildung und für die Beschäftigung von hunderttausend jungen Leuten auflegen zu wollen. Ich kann nur sagen: Gut so. Nur ist das keine originelle Idee mehr; denn vor mehr als einem halben Jahr hat neben den Koalitionsfraktionen auch die SPD-Bundestagsfraktion einen Bleichlautenden Antrag der PDS hier in diesem Hohen Hause abgelehnt.
({10})
Nicht finanzierbar, hieß es, und im übrigen sei das auch ein Rückfall in den Staatssozialismus.
Der SPD-Vorschlag soll nun aus eingesparten Geldern für Jugendarbeitslosigkeit bezahlt werden. Ich habe Zweifel, ob das reichen wird. Hoffentlich fällt dieses überaus gute Projekt, das unsere volle Unterstützung haben wird, nicht auch unter den Finanzierungsvorbehalt. Dann kämen die Jugendlichen nur vom Regen in die Traufe; denn eine Ausbildungsplatzumlagefinanzierung soll es laut Startprogramm ja nicht geben.
Wie lange aber, so frage ich Sie mit Verlaub, soll denn ein solches Spiel, ein solches letztlich unwürdiges Spiel, noch fortgesetzt werden, daß ein vernünftiger Vorschlag abgelehnt wird, nur weil er von der falschen Partei kommt? Dafür hat unter den Wählerinnen und Wählern niemand mehr Verständnis. Ich könnte die Beispiele hier fortsetzen, die belegen, daß wir in diesem Parlament, auch in den Ausschüssen, häufig Projekte angeregt und auf die Tagesordnung gesetzt haben, die von allen Seiten dieses Hauses abgelehnt worden sind. Später haben sich andere diese Projekte auf ihr Briefpapier geschrieben und es eingereicht.
Wir wollen nicht parteienegoistisch sein. Wir möchten, daß Probleme in diesem Lande gelöst werden.
({11})
Daher werden wir auch künftig vernünftige Vorschläge immer wieder einreichen.
Ich komme noch einmal auf den Finanzierungsvorbehalt zurück, der im SPD-Programm enthalten ist. Es mutet zunächst realistisch an, wenn gesagt wird, man kann nur angehen, was man auch finanzieren kann. Aber ist die Vermutung ganz fehl am Platze, daß man hier freiwillig und vorzeitig auf das Erschließen alternativer Finanzierungsquellen verzichtet? Warum ist im Startprogramm von der Wiedereinführung der privaten Vermögensteuer keine Rede?
({12})
Warum wird eine Abgabe auf große Vermögen nicht einmal in Erwägung gezogen? Warum wird plötzlich ein ziemlicher Spielraum für die Absenkung des Spitzensteuersatzes gesehen, der vor Monaten noch für illusorisch gehalten wurde? Erstaunlich ist im übrigen, daß die Bündnisgrünen sogar noch größere
Spielräume für die Absenkung des Spitzensteuersatzes sehen als die SPD.
({13})
Auch das war nicht immer so.
Wenn Politikangebote für die nächste Legislaturperiode und nicht nur für den Wahltag gemacht werden sollen, dann müssen von der SPD und von den Bündnisgrünen schon noch Fragen beantwortet werden. Wir jedenfalls werden solche Angebote in der nächsten Legislaturperiode hier an diesem Platze weiter unterbreiten. Wir werden auch Antworten von Ihnen einfordern. Wir werden prüfen, ob Sie Projekte, die Sie heute im Wahlkampf vorlegen, auch umsetzen, wenn Sie an der Regierung sein sollten.
Wenn die SPD die Wahl gewinnen will - was wir ihr wünschen -, dann muß sie der CDU Stimmen abjagen und unter den Nichtwählerinnen und Nichtwählern Stimmen holen und darf nicht versuchen, im linken Lager Stimmen umzuverteilen. Das ist der leichte Weg, aber von diesem Weg hat dieses Land nichts.
({14})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Repnik.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen in dieser Haushaltsdebatte einen Dank abstatten, Dank an den Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel!
({0})
Ich möchte ihm nicht nur danken, daß er vor der Bundestagswahl diesen Haushalt für das Jahr 1999 vorgelegt hat, sondern ich möchte ihm auch für die Herkulesarbeit danken, die er in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode geleistet hat.
({1})
Was wurde in den letzten vier Jahren von der Linken nicht alles behauptet! Was für Horrorszenarien wurden nicht alles entwickelt!
({2})
Welche Prognosen wurden gestellt! - Alle die von Ihnen entwickelten Prognosen waren Fehlprognosen.
Die Wahrheit ist eine andere. Maastricht: Wenn ich an das Defizitkriterium denke, dann stelle ich fest, daß wir die Maastricht-Kriterien nicht nur gerade so erreicht, sondern sogar nachhaltig unterschritten haben.
({3})
Wir haben Art. 115 selbstverständlich eingehalten
und haben heute mehr Investitionen als neue Schulden. Wir haben in diesem Haushalt 1999 eine reale
Ausgabenkürzung. Wir haben das Versprechen eingelöst, die Staatsquote zurückzuführen. Wir haben eine Preisstabilität wie seit Jahren nicht mehr, und wir haben niedrige Zinsen. Dies kommt nicht von ungefähr. Das ist kein Wunder und kommt nicht vom Himmel; vielmehr hat es etwas mit der verläßlichen Finanzpolitik dieses Ministers Theo Waigel zu tun. Deshalb gebührt ihm Dank.
({4})
Leider ist Herr Ministerpräsident Lafontaine nicht mehr da. Ich muß in einigen Punkten auf seine Ausführungen eingehen. Herr Lafontaine hat immer wieder „die Wahrheit" strapaziert. Ich kann bloß sagen: In einer ganzen Reihe von Fragen ist er mit der Wahrheit leichtfertig umgegangen. Dies kann man zum Beispiel auch durch verkürzte Wiedergabe von Zitaten tun. Ich möchte ein solches Zitat weiterführen. Herr Lafontaine hat sich mit Herrn Dornbusch auseinandergesetzt und dabei eine Aussage zu Finanzminister Theo Waigel gemacht. Jetzt darf ich aus demselben Artikel - zwei Spalten weiter - Herrn Dornbusch zitieren; so wird die Wahrheit daraus. Herr Dornbusch sagt:
In den USA haben rigorose Steuersenkungen ({5}) zur Vollbeschäftigung, einem ausgeglichenen Staatshaushalt und einer einmalig niedrigen Inflation geführt. In Deutschland wäre dies nicht anders, hätte man nur den Mut für diesen doppelseitigen Ansatz der Steuersenkung und Deregulierung.
Dornbusch weiter, ganz wichtig:
Der Waigel-Pakt ist dabei natürlich ein wunderbares, disziplinierendes Instrument:
Weiter heißt es:
Schwachköpfige Sozialisten, die alles dem Staat übertragen wollen, erhalten ein klares Nein ebenso wie diejenigen, die an ihren. Monopolen oder einer großen staatlichen Bürokratie festhalten wollen.
Im Gegensatz zu dem, was Herr Lafontaine gesagt hat, erfährt Herr Waigel mit seiner Politik eine eindeutige Bestätigung durch Herrn Dornbusch. Auch dies gehört zur Wahrheit.
({6})
Wenn wir schon bei der Wahrheit sind: Es ist doch ganz spannend, die Parallelität der Argumentation Ihres Parteivorsitzenden und jener der PDS zu sehen.
({7})
Wenn ich betrachte, was sich da anbahnt, dann ahne ich Schreckliches. Herr Lafontaine hat dargestellt, daß hier eine Umverteilung von unten nach oben stattfindet und wie schlecht es gerade den Beziehern kleinerer Einkommen gegangen ist. - Auch hier möchte ich wieder einen Blick auf die Fakten werfen. Es handelt sich nicht um politische Zahlen. Das InstiDr. Christa Luft
tut der deutschen Wirtschaft hat folgendes berechnet. Ich darf nur zwei Daten zitieren:
Preisbereinigt beträgt das Wohlstandsplus im Zeitraum 1985 bis 1997 je Haushalt 9 Prozent und je Kopf sogar fast 16 Prozent.
Dies sind die Fakten. Kein Zurück, sondern ein Mehr.
Ein Zweites.
({8})
- Hören Sie mir bitte zu! Sie können doch an den Fakten nicht vorbeimanipulieren. Das versuchen Sie. Aber genau das werden wir nicht zulassen. Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich möchte Sie mit folgendem Datum konfrontieren. Das ausgabefähige reale Pro-Kopf-Einkommen: der einkommensschwächsten 30 Prozent der westdeutschen Bevölkerung stieg zwischen 1985 und 1996 unter dieser Regierung Helmut Kohl mit 21 Prozent stärker als in jeder anderen Einkommensgruppe. Es lohnt sich doch, auch diese Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Verbreiten Sie bitte an diesem Pult nicht die Unwahrheit.
({9})
- Sie haben es nicht gesagt. Ich wollte nur Ihre Aufmerksamkeit haben. Da Ihr Parteivorsitzender nicht da ist, möchte ich Sie darum bitten, daß Sie ihm diese Zahlen unterbreiten, damit er bei der nächsten Veranstaltung nicht wieder solchen Unsinn wie heute früh zu diesem Thema erzählt.
({10})
Ich habe vorhin unserem Finanzminister gedankt, weil dieser Haushalt im Ergebnis doch außergewöhnlich bemerkenswert ist. Noch niemals seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland mußten haushaltspolitisch in einem Jahrzehnt so gewaltige Lasten geschultert werden. Dies ist doch ein Faktum vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung und der weltweiten Umbrüche. Dennoch ist die Haushaltspolitik des Bundes ihrer verantwortungsbewußten Konsolidierungslinie treu geblieben.
({11})
Ich möchte auf etwas aufmerksam machen, was Herr Ministerpräsident Biedenkopf bereits gesagt hat. Auch in diesem Haushalt, der jetzt für das nächste Jahr zur Beratung ansteht, hat der Bund einen Nettotransfer von West nach Ost in Höhe von 95 Milliarden DM eingeplant. Das zeigt die Solidarität der Bürger im Westen mit denen im Osten. Wir stehen dazu. Was macht die SPD? - Die SPD hat ihre gesamten Aussagen zum Haushalt unter einen Finanzierungsvorbehalt gestellt. Doch gerade die Bürger in den neuen Bundesländern müssen wissen, daß wir das Geld eingeplant haben. Die SPD dagegen weiß es noch nicht so genau. Bei uns herrschen Sicherheit und Verläßlichkeit auch und gerade im Hinblick auf den Aufbau Ost.
({12})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte es schon für bemerkenswert, daß Herr Lafontaine in seinen Aussagen kein Wort über die kommunistischen Altschulden verloren hat. Wenn die kommunistischen Altschulden nicht wären, hätte der Bund 450 Milliarden DM weniger Schulden. Daß sich dies auch auf die Zinssituation auswirkt, weiß doch alle Welt. 21 Milliarden DM, ein Viertel der Zinsaufwendungen in diesem Haushalt, sind ausschließlich auf die kommunistischen Altschulden zurückzuführen. Dies Finanzminister Waigel anzulasten ist schon eine gewaltige Frechheit.
({13})
Die Verantwortlichen sitzen doch hier. Das sind die PDS und ihre Vorgängerpartei, Ihr Koalitions- und Duldungspartner. Bei denen liegt die Verantwortung und nicht beim Bundesfinanzminister.
Wenn wir von der Konsolidierung des Haushalts sprechen, berufen wir uns auf verläßliche Zahlen. Der Anteil, den der Bund im Jahre 1999 am Bruttosozialprodukt hat, beträgt gerade 11,8 Prozent. Man kann sagen, das ist immer noch zuviel, aber es lohnt sich, hier einmal den Blick zurückzuwenden.
Herr Kollege Repnik, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Luft zu?
Vielen Dank, verehrte Frau Präsidentin, aber ich würde gerne diese Daten dem Hohen Haus und der Öffentlichkeit präsentieren; denn nichts überzeugt stärker als die Daten dieser Regierung.
Ich nenne deshalb ein ganz wichtiges Datum: Der Anteil des Bundes am Bruttosozialprodukt liegt mit 11,8 Prozent 1999 niedriger als in den 60er, 70er oder 80er Jahren. Vielleicht ist es gut, daran zu erinnern, daß wir vor 16 Jahren, bevor Helmut Kohl die Regierungsverantwortung übernommen hat, unter der Regierung von Helmut Schmidt ohne die Sonderbelastung durch den Aufbau Ost und die kommunistischen Altlasten einen Anteil von 15,4 Prozent hatten. Dabei haben wir auch noch 8 Milliarden DM Kohlepfennig übernommen und damit den Bürger entlastet. Das sind doch die Tatsachen. Dies ist eine Konsolidierungspolitik, die sich sehen lassen kann.
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Noch eine andere Zahl: Würde der Bund das Bruttoinlandsprodukt genauso stark belasten wie damals die SPD-geführte Regierung von Helmut Schmidt, lägen die Bundesausgaben heute um 140 Milliarden DM höher als in dem Haushalt, den Theo Waigel vorgelegt hat. Dies sind die unterschiedlichen Ansprüche, die wir in dieser Frage haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe Theo Waigel auch dafür gedankt, daß er eine bereHans-Peter Repnik
chenbare und transparente Haushaltspolitik betrieben und uns einen solchen Haushalt vorgelegt hat.
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Man hört in diesen Tagen sehr viel - dies sagt auch der SPD-Kanzlerkandidat - von einem Kassensturz. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, auch hier gilt: Nicht an ihren Sprüchen, sondern an ihren Früchten, an ihren Taten oder - wenn ich an die SPD denke - an ihren Unterlassungen sollen wir sie messen.
Dieser Bundeshaushalt 1999 ist ein offenes Buch. Wenn schon der Kollege Diller nicht mehr zu seiner Aussage steht, man möge die Pläne übernehmen, möchte ich den Kollegen Metzger, der vorhin hier gesprochen hat, zitieren. Herr Metzger hat zu dem vorgelegten Haushalt des Finanzministers gesagt, die Einhaltung der Waigelschen Vorgaben würde zu einer allmählichen Konsolidierung des Haushalts führen, da in diesem Szenario sowohl das Wachstum der Neuverschuldung als auch das Wachstum der Ausgaben unter dem angenommenen Wirtschaftswachstum lägen und somit die Gesamtverschuldung und die Staatsausgaben als Relation zum Bruttoinlandsprodukt langsam zurückgehen würden. - Wenn dies keine eindeutige Aussage ist, an der sich auch Herr Waigel messen lassen kann, dann weiß ich es nicht.
Peffekoven, der Wirtschaftsweise, hat gesagt: Kassensturz zu verlangen ist ein „Unsinn"; denn „jeder, der sich über den Zustand öffentlicher Finanzen informieren will, kann das schon heute tun" .
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Meine Damen und Herren, ich bin bei der Transparenz, ich bin beim Kassensturz, ich bin bei der Rechenschaftspflichtigkeit auch dieser Regierung. Wie sieht dies bei der SPD aus? Die SPD stellt alles, was sie in ihren Wahlprogrammen anbietet und verspricht, unter einen Finanzierungsvorbehalt.
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- Alles versprechen, nichts halten müssen, das ist wohl wahr.
Wie sieht es bei dem Herrn aus, der als Kanzlerkandidat auftritt? Auch hier rate ich uns: An ihren Früchten und nicht an ihren Sprüchen werdet ihr sie erkennen. In Niedersachsen ist seit langem ein Nachtragshaushalt für das Jahr 1998 fällig. Er weigert sich, ihn einzubringen. Er verschleppt es bis nach den Wahlen, weil er nicht zu seinen Zahlen und zu seinen Fakten stehen will. Wie sieht es mit dem Jahr 1999 aus? Der Haushalt des Jahres 1999 in Niedersachsen wird nach der Bundestagswahl vorgelegt und nach der jetzigen Planung im Mai 1999 im Parlament verabschiedet. Dies hat etwas mit Transparenz zu tun. Was will der Herr verschleiern, daß er den Haushalt nicht wie wir schon vor den Wahlen vorlegt? Er hat offensichtlich etwas zu verstecken.
Weiß er, was die Unsicherheit über einen nicht verabschiedeten Haushalt im Hinblick auf die vom Land zu tätigenden Investitionen für den Mittelstand bedeutet, was dies für den Arbeitsmarkt bedeutet? Auch hier zeigt sich einmal mehr ein glattes Versagen.
Der Landesrechnungshof von Niedersachsen hat jetzt wiederholt moniert, daß der Haushalt des Bundeslandes Niedersachsen nicht verfassungskonform ist. Und dieser Herr will uns hier lehren, wie man einen verfassungsmäßigen Haushalt aufstellt! Nein, meine Damen und Herren, an ihren Früchten wollen wir sie erkennen.
Wer sich anheischig macht, die Geschicke einer der größten Industrienationen der Welt zu führen, der muß sich schon fragen lassen, wodurch er sich dafür qualifiziert.
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Deshalb möchte ich ein paar Zahlen in den Raum stellen. Ich möchte darüber sprechen, wie das Duo Lafontaine und Schröder dort, wo sie in der Verantwortung stehen, mit ihrer Verantwortung umgegangen sind und wie es in anderen Ländern aussieht, in denen andere in der Verantwortung stehen.
Wer gestern beim Festakt im Museum Koenig war und dem Ministerpräsidenten Schröder zugehört hat, konnte eine ganz bemerkenswerte Aussage - in meinen Augen eine verräterische Aussage - zur Kenntnis nehmen. Schröder hat dort nämlich gesagt, daß wir nicht in einen Föderalismuswettbewerb eintreten wollen. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, es könnte der SPD so passen: die Erfolge, die in den Ländern eingefahren werden, die von CDU und CSU regiert werden, umzuverteilen und die Mißerfolge der Sozialdemokraten zu sozialisieren. Diese Rechnung geht nicht auf. Das lassen wir Ihnen auch nicht durchgehen.
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Wenn heute - das sage ich jetzt den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern - der Ministerpräsident des Saarlandes und SPD-Vorsitzende den Eindruck erweckt hat, daß sich die Klage, die Baden-Württemberg und Bayern gemeinsam erhoben haben, gegen den Finanzausgleich mit den neuen Ländern richtet, ist das die Unwahrheit.
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Es geht vielmehr darum, daß diese Länder die Früchte ihrer guten Arbeit nicht mehr länger mit heruntergewirtschafteten Ländern wie dem Saarland und Niedersachsen teilen wollen. Das hat nichts mit mangelnder Unterstützung des Aufbaus Ost und der neuen Länder zu tun.
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Herr Schröder hat vor vier Jahren in einem „Spiegel" -Interview dem damaligen Kanzlerkandidaten Scharping folgenden Rat gegeben. Ich darf zitieren:
Für die Selbstdarstellung der Bundestagsopposition ist das Arbeitsplatzthema nur schwer geeignet. Deswegen muß die SPD die erfolgreiche ArHans-Peter Repnik
beit all ihrer Ministerpräsidenten auf diesem Gebiet klarmachen und als Ausweis für ihre spezifische industriepolitische Kompetenz nutzen.
Wir lassen uns auch vier Jahre nach dieser Aussage an beiden Kriterien, sowohl an dem bundespolitischen wie auch an dem landespolitischen Kriterium, messen.
Ich will zum Arbeitsmarkt' auf Bundesebene folgendes sagen:
Erstens. Sie waren es doch, die uns im vergangenen Herbst prognostiziert haben, daß wir binnen Jahresfrist die 5-Millionen-Grenze überschreiten werden. Heute sind wir dabei, die 4-Millionen-Grenze zu unterschreiten. Das ist doch ein Erfolg!
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Zweitens. Kurzarbeit findet in dieser Republik so gut wie nicht mehr statt. Diese Tatsache sagt doch etwas aus, weil die Kurzarbeit in aller Regel der Einstieg in die Arbeitslosigkeit ist. Bevor nämlich ein Unternehmer entläßt, wird er die Arbeitnehmer kurzarbeiten lassen. Die Tatsache, daß wir die Kurzarbeit bis fast auf Null heruntergefahren haben, hat etwas mit der Sicherung der Arbeitsplätze und der Bewegung auf dem Arbeitsmarkt zu tun.
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Drittens. Diese Tatsache ist heute morgen schon angesprochen worden, ich will sie aber noch einmal erwähnen: Es gibt 500000 gemeldete offene Stellen. Jeder Experte sagt uns, daß diese Zahl mit einem Faktor 3 zu multiplizieren ist, weil in vielen Branchen und in vielen Ländern, zum Beispiel in Bayern und in Baden-Württemberg, fast keine Vermittlung mehr über das Arbeitsamt läuft, da der Arbeitsmarkt dort leergefegt ist. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland derzeit 1,3 bis 1,5 Millionen offene Stellen. Das bedeutet doch, daß sich auf dem Arbeitsmarkt etwas verändert hat.
Was bedeutet dies weiter? Das bedeutet auch, daß die Unternehmen wieder einstellen, weil sie der politischen und auf Grund der Auftragslage auch der wirtschaftlichen Entwicklung wieder etwas zutrauen. Sie sind zuversichtlich im Hinblick auf die Zukunft, sonst würden sie nicht neue Arbeitnehmer suchen. Das ist doch ein grandioser Erfolg dieser Regierung unter Helmut Kohl.
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Wie kam dieser Erfolg zustande? Ich darf noch einmal zu den Aussagen von Herrn Lafontaine, dem Ministerpräsidenten des Saarlandes, zurückkommen. Wie sehen in dieser Republik die Arbeitslosenquoten aus? Bayern: 6,4 Prozent. Das ist ein Minus von 8,4 Prozent innerhalb des letzten Jahres. BadenWürttemberg: 6,8 Prozent. Das ist ein Abbau der Arbeitslosigkeit von 10,8 Prozent in einem Jahr. Niedersachsen: 10,8 Prozent. Das ist ein Rückgang von 5,2 Prozent. Das heißt: Der Rückgang der Arbeitslosigkeit ist in Baden-Württemberg doppelt so stark wie in Niedersachsen. Das sind doch Fakten, an denen wir nicht vorbeikommen.
Auch dies müssen wir den Bürgern sagen: Hätten die alten Bundesländer die derzeitige Arbeitslosenquote von Bayern oder von Baden-Württemberg, wären in Deutschland 800 000 Menschen weniger arbeitslos. Diese Tatsache hat doch etwas mit der Politik der betreffenden Länder zu tun.
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Oder andersherum: Hätten wir eine Arbeitslosenquote wie in Niedersachsen oder wie im Saarland, dann hätten wir in Deutschland 500 000 Arbeitslose mehr, als wir jetzt haben.
Herr Lafontaine hatte sich dieses Themas ganz besonders angenommen.
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- Nein. Ich werde Ihnen jetzt aufzeigen, wie es im Saarland aussieht. Diese Zahlen sind nicht von mir, sondern von der SPD-nahen Arbeitskammer des Saarlandes. Der Präsident dieser Arbeitskammer ist ein SPD-Landtagsabgeordneter, der uns mit Sicherheit nicht hellen will. In dem diesjährigen Jahresbericht - Sie können ihn anfordern; weil Sie dazwischenrufen, unterstelle ich, daß Sie ihn nicht kennen; ich rate Ihnen: fordern Sie ihn an - steht auf Seite 39 unter anderem, daß zwischen 1985 und 1997 im Saarland 1,7 Prozent mehr Arbeitsplätze geschaffen wurden. Das hört sich gar nicht so schlecht an. Aber wie sieht es insgesamt aus?
Herr Kollege Repnik, es gibt einen weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage. Lassen Sie gar keine mehr zu?
Ich finde, es ist sehr gut, wenn sich die Kolleginnen und Kollegen von der linken Seite einfach einmal mit diesen Fakten auseinandersetzen, die Sie offensichtlich nicht kennen.
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Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß Ihre Redezeit vorbei ist.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Die Fraktion gibt mir bestimmt noch zwei Minuten dazu.
Ich möchte mich jetzt noch einmal mit den saarländischen Arbeitsmarktzahlen auseinandersetzen. Ich zitiere hier nur die SPD-nahe Arbeitskammer Saarland: Es gab ein Plus von 1,7 Prozent zwischen 1985 und 1997. Der Bundesdurchschnitt war plus 8,4 Prozent. Das heißt, das Saarland ist gewaltig hinter dem Bundesdurchschnitt zurückgeblieben.
Jetzt wird es noch besser - vielleicht setzen Sie sich sogar besser hin, Herr Kollege Wagner -: Jährlich verlassen 1500 Menschen das Saarland auf der Suche nach Arbeit und gehen in ein anderes BundesHans-Peter Repnik
land, weil das Saarland diese Arbeitsplätze nicht bietet. Das ist eine Wanderungsbewegung vom Saarland in andere Bundesländer, weil das Saarland diese Arbeitsplätze nicht bietet.
Es ist doch spannend, zu sehen, daß das Saarland nur die Hälfte des Bevölkerungszuwachses der übrigen westlichen Bundesländer hat. Vielleicht hat das etwas mit der Lebensqualität und Arbeitsplatzsituation im Saarland zu tun. Dies sind doch die Fakten, die wir den Bürgern vermitteln müssen.
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Noch einige Zahlen - sie sind nicht manipulierbar; ich weiß, daß sie Ihnen wehtun -: Unter den 37 Arbeitsämtern mit den niedrigsten Arbeitslosenquoten im Juli dieses Jahres - jetzt, vor fünf Wochen - sind 16 in Baden-Württemberg und 21 in Bayern. Da findet sich kein Arbeitsamtsbezirk aus dem Saarland und auch nicht aus Niedersachsen. Unter den 37 mit den besten Daten sind 16 in Baden-Württemberg und 21 in Bayern.
Jetzt sagen Sie mir nicht, das hätte nichts mit Politik zu tun. Niedersachsen und das Saarland liegen in derselben Republik wie Bayern und Baden-Württemberg. Niedersachsen und das Saarland haben genauso fleißige Menschen wie Bayern und BadenWürttemberg. Es hat etwas mit den Rahmenbedingungen zu tun, die in diesem Bereich auch die Länder schaffen können. Also sind unionsregierte Länder schlichtweg besser. Das können wir auch nachweisen.
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Herr Lafontaine hat hier davon gesprochen, daß Forschung das wichtigste Gut sei. Jetzt lassen Sie uns doch einmal die Forschungsausgaben anschauen. Die Forschungsausgaben in Baden-Württemberg liegen um 31 Prozent höher als die in Nordrhein-Westfalen und übersteigen die Gesamtaufwendungen von Hessen, Niedersachsen, RheinlandPfalz, Schleswig-Holstein und vom Saarland - alles SPD-regierte Länder. Ich darf mich nicht wundern, wenn in diesem wie im letzten Jahr wieder vier Gewinner von „Jugend forscht" aus Baden-Württemberg kommen und in Niedersachsen und im Saarland Fehlanzeige herrscht. Das hat doch Auswirkungen.
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Ich darf mich nicht wundern, wenn in Niedersachsen auf 100 000 Einwohner nur 37 Patente kommen, in Baden-Württemberg 98 und in Bayern 93. Patente von heute sind die Arbeitsplätze von morgen. Auch dies hat doch etwas mit einer guten Landespolitik zu tun.
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Ein anderes Thema hat eine Rolle gespielt, und Herr Mosdorf hat dazu eine Zwischenfrage gemacht. Es geht um Existenzgründungen und neue Technologien. Das ist ein Wort, das auch Herr Schröder permanent im Munde führt. Jetzt darf ich Ihnen einmal sagen, wie es dort aussieht, was neue Technologien und die Versorgung mit Risikokapital betrifft: Niedersachsen und das Saarland haben binnen Jahresfrist jeweils 19 Unternehmen mit Wagniskapital gefördert. In Baden-Württemberg sind es 882, in Bayern 622 und in Sachsen 158 gewesen. Daß sich dies arbeitsmarktpolitisch niederschlägt, daß dies Arbeitsplätze schafft und Arbeitslosigkeit zurückführt, versteht sich doch von selbst. Dies alles geschieht unter denselben Rahmenbedingungen, nämlich jenen, die diese Koalition unter Helmut Kohl geschaffen hat. Auch dies müssen Sie sich sagen lassen.
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Die Norddeutsche Landesbank - auch nicht CDU-nah - bestätigt, daß Niedersachsen seine Bedeutung als Forschungsstandort langfristig verloren hat. Das hat etwas mit Arbeitsmarkt und mit dem Verständnis, wie man gerade mit dem Mittelstand umgeht, zu tun.
Wenn Sie mir und der Norddeutschen Landesbank nicht glauben, dann schauen Sie in den „Stern"; auch er ist unserer Koalition nicht sonderlich wohlgesonnen. In seiner Nummer 17/1998 heißt es unter der Überschrift „Der Süden - das bessere Deutschland":
Weniger Verbrechen, weniger Arbeitslose, mehr Freizeit, mehr Natur ...
Und dann:
Bayern und Baden-Württemberg sind heute die Top-Standorte in Deutschland: Die Zahlen beweisen, daß dort ordentlich gewirtschaftet und nicht über die Verhältnisse gelebt worden ist. Beide Länder sind technologiefreundlich und setzen in der Industriepolitik auf Modernisierung, Wettbewerb und Innovationen.
Auch dies ist ein Testat: Wenn sich immer mehr Menschen in diesen Ländern wohlfühlen, dann hat das etwas mit guter Politik zu tun - mit einer Politik, für die weder Schröder noch Lafontaine auch nur im Ansatz stehen.
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Ich will abschließend noch zwei Anmerkungen machen. Herr Stollmann sprach in den letzten Wochen davon, er wolle wieder ein Wirtschaftswunder kreieren. Sowenig die Entwicklung in den 50er und 60er Jahren auf einem Wunder beruhte, sondern auf dem Fleiß und der Schaffenskraft der Menschen, auf der Leistungsbereitschaft der Industrie und auf einer guten Politik, sowenig sind die jetzigen guten Rahmenbedingungen das Ergebnis eines Wunders. Vielmehr hat das etwas mit guter Politik dieser Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. zu tun.
In diesem Zusammenhang möchte ich ein zweites sagen: Herr Lafontaine hat - wie verschiedene, auch Herr Schröder, in den letzten Wochen - auch heute wieder ein Bündnis für Arbeit eingefordert. Es ist wohl wahr: Wir brauchen ein Bündnis für Arbeit im Sinne eines Zusammenwirkens, im Sinne dessen, daß sich Unternehmer und Gewerkschaften, Arbeitnehmer und Politik gemeinsam ihrer Verantwortung stellen. Aber wahr ist auch: Wenn es Helmut Kohl nicht gelungen wäre, in den vergangenen Jahren in einer Vielzahl von Gesprächen mit Gewerkschaften
und mit Unternehmern eine moderate Tarifpolitik mit herbeizuführen, hätten wir die jetzigen Erfolge nicht verzeichnen können.
Wer wie Herr Lafontaine in jeder Rede das Bündnis für Arbeit auf den Lippen führt und dann ganz wesentliche Gesprächspartner, nämlich die Vertreter der Arbeitgeber, der Industrie und des Handwerks - die Herren Henkel, Stihl und Hundt -, so vor den Kopf stößt wie heute früh, der darf sich nicht wundern, wenn man feststellt, daß er die Fähigkeit für Gespräche mit dieser Seite verloren hat. Ich habe selten ein höheres Maß an Beleidigung erlebt als das, das Herr Lafontaine heute vormittag gegenüber den Herren Henkel, Stihl und Hundt an den Tag gelegt hat. Dies ist doch keine Einladung zu einem Bündnis für Arbeit!
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Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Neid, wie er heute wieder geschürt wurde, wird kein einziger Arbeitsplatz geschaffen. Dieser Haushalt von Theo Waigel ist solide und zukuftsorientiert. Er hat unsere Unterstützung. Die Rede von Herrn Lafontaine heute früh hat deutlich gemacht: Zu der wachstumsorientierten, arbeitsmarktfördernden, stabilitätsorientierten und friedenssichernden Politik der Regierung unter Helmut Kohl gibt es keine Alternative. Darum bin ich nicht bange, daß der Bürger dies auch am 27. September entsprechend honorieren wird.
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Zu einer Kurzintervention erteile ich zunächst der Abgeordneten Christa Luft das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Repnik, als Grund für die ausufernde Verschuldung des Bundes seit 1990 wird immer wieder der Anschluß der DDR an die BRD genannt.
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Auch Sie haben das eben getan mit dem Hinweis auf die „kommunistischen Altschulden". Niemand im Osten - ich kenne jedenfalls niemanden - redet die Transferleistungen von West nach Ost klein. Im Gegenteil, alle wissen: Das waren hilfreiche Leistungen. Das wird gerade im Hinblick auf die Probleme in anderen osteuropäischen Ländern deutlich.
Das also ist nicht der Punkt. Aber es ist allerhöchste Zeit und ein Gebot der Fairneß, im achten Jahr der deutschen Einheit richtigzustellen, daß ein beträchtlicher Teil dessen, was ständig als „Erblast der DDR" deklariert wird, auf das Konto dieser Regierung geht.
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Denn sie hat die Treuhand - mit Frau Breuel an der
Spitze - blindwütig die Privatisierungsaxt schwingen
lassen. Die kaufmännische Qualifikation von Frau Breuel zeigt sich jetzt erneut an dem Mißmanagement der Expo. Sie wird auch bei diesem Projekt rote Zahlen hinterlassen.
256 Milliarden DM Schulden hat die Treuhand hinterlassen. Selbst wenn man den Wert des zu privatisierenden Vermögens nur mit 1 DM ansetzt, ist es schon eine zu hinterfragende „Leistung", wie man daraus 256 Milliarden DM Schulden machen kann. Das jedenfalls ist eine Weltpremiere. Sie müßten bitte erklären, weshalb, wenn alles dort marode war und nur Schulden hinterlassen worden sind, zwischen 1990 und 1992, also innerhalb von drei Jahren, in den alten Bundesländern die Zahl der Vermögensmillionäre um 40 Prozent angestiegen ist. Das ist in der Geschichte der Bundesrepublik vorher noch nie vorgekommen. Es war doch aber die Stunde des ersten Zugriffs auf das, was in der DDR zu holen war.
Für mich ist das Kernproblem, daß der Vermögenstransfer von Ost nach West zugunsten einer kleinen Schicht in den alten Bundesländern stattgefunden hat. Aber die ziemlich umfangreichen Transferzahlungen haben vor allen Dingen abhängig Beschäftigte aufzubringen. Das ist die Ungerechtigkeit, die im Zuge der Privatisierung des volkseigenen Vermögens der DDR entstanden ist.
Nun, in Zeiten niedrigster Zinsen, setzen Sie auch noch die Zahlungen für den Erblastentilgungsfonds aus. Auf diese Weise erhalten Sie natürlich die Chance, noch etliche Jahre länger immer wieder die Erblast der DDR zu bemühen. Ich finde, das ist geistige Spaltung.
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Zur zweiten Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Wagner das Wort.
Herr Kollege Repnik, ich bin immer froh, wenn das Saarland hier genannt wird. Als Saarländer bin ich stolz darauf, einem Völkchen anzugehören, das sehr fleißig und sehr liebenswert ist. Ich lade Sie ein, einmal in das Saarland zu kommen, um zu sehen, wie es dort wirklich ist.
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Sie haben den Bericht der Arbeitskammer des Saarlandes an die Regierung des Saarlandes zitiert. Die Zahlen, die Sie genannt haben, sind richtig, Sie haben aber den Zusammenhang falsch dargestellt. In diesem Bericht - ich nehme an, daß Sie ihn gelesen haben und nicht nur zitieren, was Ihnen ein Kollege brieflich übermittelt hat - steht zwei Seiten vorher, warum das so ist.
Baden-Württemberg und Bayern haben weder eine große Stahlindustrie noch viel Steinkohlenbergbau; 17 Prozent der Industriebeschäftigten arbeiten in diesem Bereich, Herr Kollege Dr. Waigel. Das Saarland hat jetzt durch die Entscheidung dieser Bundesregierung und dieser Koalition einen Abbau von 6 000 Arbeitsplätzen im Steinkohlenbergbau zu verHans-Georg Wagner
kraften. Es hat auch im Stahlbereich erhebliche Arbeitsplatzverluste hinnehmen müssen. Durch weitere Entscheidungen Ihrer Bundesregierung und dieser Koalition sind 5 000 Arbeitsplätze im bundesunmittelbaren Bereich abgebaut worden, also bei der Bundeswehr, der Bundesbahn und der Bundespost. Wenn Sie diese 16 000 Arbeitsplätze abrechnen - so fair müssen Sie sein -, kommen Sie zu dem Ergebnis, daß der Durchschnittswert im Saarland genauso hoch ist wie der in Baden-Württemberg und Bayern. Sie müssen diese Zahlen fairerweise herausrechnen und dürfen sie nicht immer den Saarländerinnen und Saarländern in die Schuhe schieben.
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Sie haben auch die Forschung angesprochen. Herr Rüttgers kann bestätigen, daß er den Bundesländern, die die Errichtung von Forschungseinrichtungen vorfinanziert haben, etwa 1 Milliarde DM schuldet. Auch das Saarland hat Vorfinanzierungen vorgenommen.
Daß Sie das Saarland schädigen wollen, haben Sie ja bei der Haushaltsberatung 1998 bewiesen; der Kollege Rüttgers muß dies zugeben. Es gab einen Antrag der Koalition im Haushaltsausschuß, dem „Institut für neue Materialien" in Saarbrücken, einer wirklich erfolgreichen Neugründung im Saarland, 5 Millionen DM zu entziehen und damit sein Aus herbeizuführen. Das war Ihr Antrag. Nun aber kommen Sie hierher und machen uns den Vorwurf, wir im Saarland würden zuwenig in die Forschung investieren. Wir hatten vertragliche Vereinbarungen und haben auf diesem Gebiet etwas geleistet. Deswegen nehme ich dies nicht hin.
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Herr Kollege Repnik, gehen Sie einmal in die Zeit um den 10. April 1985 zurück, als Oskar Lafontaine vereidigt wurde, und denken Sie an den damaligen Schuldenstand des Saarlandes - Kollege Waigel weiß das -, verursacht von CDU und F.D.P. Dieser betrug 7,8 Milliarden DM. Nach den Zinsentwicklungen hat sich dieser auf etwa 13 Milliarden DM erhöht. Im Mai 1992 gab es dann das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach der Bund und die Länder verpflichtet wurden, diesen zu reduzieren.
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- Das ist nicht meine Sache. Ich bin Saarländer, Sie stehen für den Bund. Sie haben jetzt versucht, mit dem Haushalt 1999 ein Druckmittel einzubringen, indem Sie Ihren Anteil in Höhe von 1,5 Milliarden DM, den Sie eigentlich einstellen müßten, nicht eingestellt haben. Das heißt: Sie haben für die weitere Teilentschuldung keine müde Mark im Haushalt eingeplant.
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Herr Kollege Wagner, länger als drei Minuten darf eine Kurzintervention nicht sein.
Aber ich möchte einen positiven Satz noch zu Herrn Waigel sagen dürfen.
Ich begrüße außerordentlich, Herr Waigel, was Sie als Bundesfinanzminister im Oktober 1991 an das Bundesverfassungsgericht geschrieben haben, nämlich: Die langfristigen Erfolge der saarländischen Wirtschafts- und Strukturpolitik sind zu sehen und machen eigentlich eine Teilentschuldung nicht notwendig. - Ein besseres Dankeschön kann man Ihnen nicht mehr abstatten.
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Es gibt eine weitere Kurzintervention, und zwar des Abgeordneten Rauber.
Herr Kollege Wagner, Sie haben bestätigt, daß die Zahlenangaben des Kollegen Hans-Peter Repnik richtig sind.
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Auch ich bin froh, daß ich Saarländer bin, nur bin ich nicht froh, unter dieser SPD-Landesregierung leben zu müssen.
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Nach 1985 habe ich im saarländischen Landtag eine Anfrage an die Regierung gerichtet: Wie ist die Entwicklung der Zahl der Arbeitsplätze bis 1985 im Saarland und auf Bundesebene gewesen? Mir ist damals von der jetzigen SPD-Landesregierung bestätigt worden, daß das Saarland unter der Regierung Zeyer und vorher unter der Regierung Röder deutlich besser gelegen hat als der Bundesdurchschnitt. Jetzt erfahren wir - die Zahlen haben Sie genannt -, daß im Saarland die Zahl der Arbeitsplätze zwischen 1985 und 1997, akkurat in der Regierungszeit von Lafontaine, um 1,7 Prozent gestiegen ist, und auf Bundesebene sind es 8,4 Prozent. Dies macht für das Saarland ein Defizit von 22 300 Arbeitsplätzen aus, das allein auf das Versagen der jetzigen SPD-Landesregierung zurückzuführen ist.
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Es gibt keinen einzigen wirtschaftlichen Indikator, bei dem das Saarland unter Lafontaine auch nur annähernd gewonnen hat. Sie weisen auf die Forschungsförderung hin und erdreisten sich zu sagen, der Bund habe zuwenig getan. Im Bereich Multimedia ist vom Kollegen Rüttgers eine Vielzahl von Projekten initiiert worden, für die Biotechnologie, für weitere Zukunftstechnologien. Das Saarland hat für
Projekte in diesen beiden Schlüsseltechnologien noch nicht einmal einen Antrag eingereicht. Da beschweren Sie sich darüber, daß das Saarland zuwenig unterstützt wird. Das Saarland bekommt pro Kopf der Bevölkerung 4500 DM pro Jahr aus der Bundeskasse. Dafür sollten auch wir Saarländer dankbar sein und uns nicht so polemisch aufführen, wie Sie es hier getan haben.
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Ich möchte doch noch einmal darauf hinweisen, daß die Kurzinterventionen nicht dazu da sind, interne Debatten, auf die anderen Redner bezogen, zu führen. Das nur zur Klarstellung.
Einer hat noch das Recht zu antworten. Herr Kollege Repnik, möchten Sie das noch?
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Frau Präsidentin! Zum Saarland hat der Kollege Rauber, wie ich finde, alles Zutreffende gesagt. Ich wollte mir nur noch einen kleinen Hinweis erlauben, Herr Wagner. So geht es natürlich auch nicht, zu sagen: Die Zinsentwicklung im Saarland ist auf die allgemeine Zinsentwicklung zurückzuführen, und die Zinsentwicklung im Bund ist Theo Waigel anzulasten. Diese Rechnung geht nicht auf.
Zur Kollegin Luft. Sie hat offensichtlich immer noch nicht gelernt, wo die Ursachen liegen. Eine Partei, bei der man gerade jetzt entdeckt hat, daß sie dabei war, von ihrem Vermögen rund 2,5 Milliarden DM ins Ausland zu schaffen, oder die dies schon getan hat, sollte sich mit solchen Belehrungen zurückhalten.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Diller.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was war den Redebeiträgen von Herrn Kollegen Waigel und Herrn Kollegen Repnik gemeinsam? Sie waren sehr laut, sie waren sehr aufgeregt, ja hektisch. So redet man halt, wenn man mit dem Rücken an der Wand steht.
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In dieser Debatte geht es um die politische Schlußbilanz der Regierung Kohl. Unter dem Strich zeigt sich nach 16 Jahren: Unser Land braucht den Wechsel, und unser Land will den Wechsel. Das bestätigen mir in meinem Wahlkreis selbst eingetragene CDUMitglieder: Mit Herrn Kohl muß Schluß sein. - Soweit ist die Stimmung bei Ihnen.
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Erstens. Unser Land will den politischen Wechsel, weil die Regierung Kohl die Verantwortung für die schlimmste Massenarbeitslosigkeit in der Geschichte der Republik trägt. Da hilft auch kein Feilschen darum, ob im August knapp über oder knapp unter 4 Millionen Menschen arbeitslos waren. Was zählt, ist, daß durch Ihr Versagen in diesem Jahr 4,3 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger ohne Arbeit und über 3 Millionen Menschen Sozialhilfeempfänger sein werden.
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Mit dieser Regierung verbindet sich keine Hoffnung, kann sich auch keine Hoffnung verbinden, weil in ihrer Kabinettsvorlage zum Haushaltsplan die Regierung selbst für das Jahr 2000 noch davon ausgeht, daß sie es mit 3,9 Millionen Arbeitslosen zu tun haben wird. Die Menschen sind deshalb Ihre leeren Versprechungen leid, und deshalb wollen sie den politischen Wechsel.
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Zweitens. Unser Land will den politischen Wechsel, weil die Regierung Kohl die politische Verantwortung für die schlimmste Verschuldung des Bundes trägt. Dies ist ein fast druckfrisches Exemplar des Jahresberichtes der Bundesschuldenverwaltung, und ich möchte Ihnen daraus eine Graphik zeigen, Herr Repnik. Dies war die von den Sozialdemokraten und der F.D.P. bis Ende 1982 zu verantwortende Staatsverschuldung des Bundes. Was jetzt kommt, ist die wachsende Staatsverschuldung des Bundes in den 80er Jahren bis zum Ende der alten Republik, also bis Ende 1989. In dieser Zeit sind die Schulden des Bundes um 60 Prozent gewachsen.
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Jetzt kommt hinzu, was sich seither getan hat: Hier - die obere Linie - ist die Verschuldung des Bundes seither dargestellt. Herr Waigel hat der Bundesschuldenverwaltung untersagt, in dieser Statistik noch die in den Sondervermögen - so werden sie genannt; in Wirklichkeit sind es aber Sonderschuldentöpfe - versteckten Hunderte von Milliarden DM an weiteren Schulden daraufzupacken. Es gehören nämlich noch einmal weitere 500 Milliarden DM dazu.
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Nein, Herr Waigel, es steht fest, daß sich unter Helmut Kohl in den ersten acht Jahren seiner Amtszeit die Verschuldung des Bundes verdoppelt hat. In den Jahren danach wurden die so verdoppelten Schulden glatt noch einmal verdoppelt. Deswegen sagen wir: Herr Kohl, Herr Waigel und die F.D.P. sind die größten Schuldenmacher aller Zeiten.
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Darüber hinaus müssen wir beklagen - das ist bitter für die nächste Wahlperiode -, daß diese Regierung den Haushalt des Bundes in eine Haushaltsnotlage gewirtschaftet hat, weil mittlerweile in diesem Jahr 26 Prozent, also jede vierte Mark, die wir aus Steuern einnehmen, nur für das Zahlen von Zinsen draufgehen. Deswegen darf man zu Recht, wie ich meine, Herrn Theo Waigel den größten Pleitier der Nation nennen.
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Drittens. Unser Land will den politischen Wechsel, weil die Regierung Kohl die Verantwortung für die schlimmste Steuer- und Abgabenlast in der Geschichte der Bundesrepublik trägt. Die Menschen sind es leid, mit ansehen zu müssen, daß das Bruttoeinkommen derjenigen, die 500 000 DM oder weit über 1 Million DM im Jahr verdienen, dank deren Abschreibungskünsten netto in etwa nur genauso hoch wie ihr Nettoeinkommen ist, während die wirklichen Leistungsträger des Landes, die Facharbeiter und Angestellten, die in den karitativen Berufen Tätigen, die Selbständigen und die Handwerksmeister sich an Steuern und Abgaben dumm und dusselig zahlen. Mittlerweile liegt die Steuer- und Abgabenlast bei 45 Prozent des Bruttoeinkommens. Das haben Sie politisch zu verantworten.
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So bitter wie die Schlußbilanz ist auch die Perspektive, die Sie bieten. Weil Sie vor der Arbeitslosigkeit kapituliert haben, kommt die Konsolidierung des Bundeshaushaltes nicht voran. 1999 klafft trotz einer Neuverschuldung, die hart an der Verfassungsgrenze liegt, ein weiteres Loch von 30 000 Millionen DM, das Herr Waigel nur dadurch schließen kann, daß er zu den gleichen Mitteln greift, wie es bitterarme Entwicklungshilfeländer in Afrika tun, zu den gleichen Mitteln, von denen wir jetzt aus Rußland hören und zu denen auch sonst im Leben ein gewöhnlicher Bankrotteur greift, der zahlungsunfähig ist: Er stellt nämlich seine gesetzlichen Zahlungsverpflichtungen ein. Herr Waigel hat für das nächste Jahr 15 000 Millionen DM an gesetzlichen Leistungspflichten an den Erblastentilgungsfonds, an das Bundeseisenbahnvermögen, an den Fonds Deutsche Einheit gestrichen, weil er sonst nicht wüßte, wie er das in seinem Haushalt finanzieren soll. Herr Repnik, das sind die Klarheit und Wahrheit,
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die sich mit Ihrem Haushalt verbinden.
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Sie sind finanziell am Ende, das muß man Ihnen bestätigen.
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Wenn das die „Weltklasse" ist, von der die CDU/ CSU-Plakate künden, dann sagen die Leute draußen zu Recht: Nein, danke, Herr Kohl, es reicht!
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Nun wird das restliche Bundesvermögen verscherbelt. Das, was Sie mit Ihren Privatisierungsaktionen machen, ist keine vernünftige Privatisierung mit einem bestimmten, politisch vertretbaren Ziel.
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Es ist dilettantisch vorbereitet
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und deshalb oft in der Praxis undurchführbar. Deswegen reden Sie schon seit drei Jahren darüber, die Postbank zu privatisieren. Weil Sie auch in diesem Jahr nicht zu Potte kommen, haben Sie zusätzlich ein Haushaltsrisiko von über 3 Milliarden DM. Nein, Ihre Privatisierungsaktionen sind geboren aus der schieren Geldnot, aus der schieren haushälterischen Verzweiflung, und sie sind deshalb nicht richtig.
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Kohl, Waigel und Co. unterschlagen in ihrem Haushalt - Herr Repnik, offenbar fehlt Ihnen da der Durchblick, die Transparenz - Ausgaben, zu deren Leistung sie vertraglich verpflichtet sind. Zeigen Sie mir doch einmal, wo im Haushalt die finanziellen Folgen des Kohlekompromisses vom März 1997 verankert sind! Wo sind die 500 Millionen DM, mit denen der Bund den Verkauf der Saarbergwerke an die Ruhrkohle AG „schmücken" wollte? Wo sind denn die 375 Millionen DM zusätzlich, die im Kohlekompromiß vorgesehen sind? Allein 875 Millionen DM aus diesen beiden Bereichen fehlen in Ihrem Haushalt völlig.
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Deshalb müssen wir sagen: Sie machen den betroffenen Unternehmen angst, Sie jagen den betroffenen Menschen an Ruhr und Saar Ängste ein. Aber wir sagen den Menschen: Wir werden dies schultern; wir werden die Verträge einhalten und bedienen. Bei uns werden sie keine Angst mehr um ihre Zukunft haben müssen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Vermögen des Bundes haben Sie weitestgehend verscherbelt. Jetzt stehen Sie angesichts weltwirtschaftlicher Risiken mit leeren Händen da und versuchen sich mit Schönfärbereien. Es ist schon mehrfach angesprochen worden, daß Sie weiterhin von 3 Prozent Wirtschaftswachstum ausgehen, daß aber die Deutsche Bank beispielsweise rät, vorsichtig zu sein und lieber von 2 Prozent auszugehen. Wenn das einträfe,
würden Ihnen allein auf der Einnahmenseite 4 Milliarden DM fehlen.
Angesichts dieser desolaten Finanzlage leistet sich nun Herr Waigel ein tolldreistes Stück mit seiner Steuerreform. Da hat er sich jetzt auch verheddert. Bis gestern hat er nämlich von einer Nettoentlastung von 30 Milliarden DM schwadroniert. Gegenüber der „Welt am Sonntag" hat er sogar behauptet, das könne er ohne Steuererhöhung finanzieren, was glatt gelogen ist. Denn in seinem Plan ist eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 17 Prozent enthalten. Er weiß nicht, wie er das finanzieren soll.
Heute morgen kommt er mit einem Wahlkampfmanöver des letzten Augenblicks. Wir können das, was Sie da vorgetragen haben, nur als Budenzauber bezeichnen. Denn, Herr Waigel, wo ist die Finanzierung? Was Sie hier vorgeschlagen haben, kostet brutto nicht 20 Milliarden DM an Einnahmeausfällen, sondern mindestens 36 Milliarden DM. Wenn Sie dennoch von 20 Milliarden DM ausgehen, dann heißt das nichts anderes, als daß die Koalition von CDU/CSU und F.D.P. weiter die Bürgerinnen und Bürger täuschen will, nämlich darüber, daß sie nach wie vor die Mehrwertsteuer von 16 auf 17 Prozent erhöhen will. Denn das bedeutet 16 Milliarden DM weniger Steuerausfall.
Meine Damen und Herren, wir wollen nicht eine höhere Mehrwertsteuer, wir wollen ein höheres Kindergeld für die Familien.
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Was meinen Sie mit Ihrer sibyllinischen Äußerung über das Schließen von Steuerschlupflöchern und die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage? Was wir bisher von Ihren Petersberger Beschlüssen kennen, ist, daß Sie unter Steuersubvention nur Vergünstigungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verstehen. Also sagen Sie doch den Leuten klipp und klar, daß Sie weiter ihre Sonntagszuschläge und ihre steuerfreien Nachtzuschläge versteuern und der Sozialpflichtigkeit unterwerfen wollen und die davon betroffenen Familien Hunderte von DM im Monat einbüßen würden.
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Was unter dem Strich an haushaltsmäßigen Belastungen auf die Gebietskörperschaften zukommen würde, das verschweigen Sie.
Was der Bundesfinanzminister über die angeblichen Spielräume sagt, ist abenteuerlich. Erstes Beispiel: Arbeitslosigkeit. Seit Jahren, auch in diesem Haushaltsjahr, kommt er ständig und sagt: Ich brauche mehr Geld für die Finanzierung der Arbeitslosigkeit. Wer ständig mehr Geld braucht zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit, der sollte nicht davon sprechen, daß er im nächsten Jahr weniger braucht.
Zweites Beispiel: Entlastung an der Zinsfront. Die Zinsausgaben im nächsten Jahr stehen fest; denn aus Ihren 1500 Milliarden DM an Schulden des Bundes ist klar abzulesen, was im nächsten Jahr an Zinsen fällig sein wird.
Drittes Beispiel: sprudelnde Steuereinnahmen. Schauen Sie doch einmal in Ihre eigene Monatstabelle vom Juli hinein. Bei der veranlagten Einkommensteuer ist noch kein Pfennig von den erwarteten 6 Milliarden DM hereingekommen, im Gegenteil: Sie waren gezwungen, 5000 Millionen DM an die Reichen dieser Republik auszuzahlen.
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Deshalb ist das Defizit des Bundes Ende Juli dieses Jahres schon bei 60 Milliarden DM und damit jenseits der Verfassungsgrenze.
Nun, Herr Repnik, möchte ich noch etwas zu der Verläßlichkeit von Theo Waigels Zahlen sagen. Als Herr Theo Waigel zum erstenmal das Jahr 1994 in seine mittelfristige Finanzplanung einbezog, da versprach er den Menschen, daß die Kreditaufnahme bei 30 Milliarden liege. Daraus wurden 50 Milliarden DM. Beim Jahre 1995 behauptete er, daß die Kreditaufnahme 25 Milliarden DM betrage. Heraus kamen 50 Milliarden DM. Beim Jahre 1996 versprach er, daß es nur 22 Milliarden DM sein würden. Herausgekommen sind 78 Milliarden DM. Bei dem Jahr 1997 versprach er, daß es 38 Milliarden sein würden. Herausgekommen sind 63 Milliarden DM. Ihre Treffgenauigkeit bei Prognosen ist ja furchtbar. Sie ist so gut, als wenn man mit der Schrotflinte schießen würde, denn Sie liegen zum Teil um über 200 Prozent daneben. Deswegen glaubt Ihnen die ganze Republik überhaupt nichts mehr. Deswegen haben Sie auch das schlechteste Ansehen aller Politiker in der Republik.
Herr Kollege Diller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kalb?
Wenn ich auf meine Uhr schaue, dann sehe ich, daß meine Redezeit leider Gottes abgelaufen ist. Ich will deshalb zum Schluß kommen und Ihnen sagen: Die Menschen haben eine klare Alternative in diesem Jahr.
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Wir sind zuversichtlich, daß wir in die Verantwortung hinein gewählt werden; denn wie sagten mir eingetragene CDU-Mitglieder: Es ist Zeit, daß mit Kohl Schluß ist.
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Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Rexrodt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte einmal mit einem anderen Aspekt anfangen, einem Aspekt, von dem ich annehme, daß er die
Menschen draußen im Lande in besonderer Weise interessiert und in diese Debatte gehört. Es handelt sich dabei um die Frage, wie weit die Krisen, von denen wir jeden Tag vor einem sehr ernsten Hintergrund hören, Einfluß auf die Sicherheit der Arbeitsplätze und die Entwicklung unserer Wirtschaft haben. Krise in Japan, Krisen in Asien, Krise in Rußland und Krise auch in Lateinamerika: Können diese Entwicklungen dazu führen, daß der Aufschwung, den wir alle feststellen können, gebremst wird? Kann das dazu führen, daß wir erneut in schwierige Situationen geraten?
Ich will in der Antwort darauf zunächst einmal sagen, daß wir einen soliden, breit fundierten Aufschwung haben, so solide und breit fundiert, daß er heute auch von seiten der Opposition nicht mehr weggeredet wird, sondern im Gegenteil, wie wir wissen, für sich reklamiert wird, indem vom Kanzlerkandidaten Schröder eine Vaterschaft angemeldet wird. Dieser Aufschwung hat seine Ursache in der Tatsache, daß unsere Arbeitnehmer fleißig arbeiten und qualifiziert sind, auch darin, daß wir moderate Tarifpolitik haben. Er hat seine Ursache darin, daß wir Innovationskraft in unseren Unternehmen neu belebt haben, und auch in der Reformpolitik der Bundesregierung,
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auch in der Wirtschaftspolitik, die auf die Öffnung der Märkte gerichtet war und nicht darauf, das Rad wieder zurückzudrehen. Die Reformpolitik hat den Aufschwung beflügelt und nicht die Reformverweigerungspolitik der SPD.
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Ich sage hier mit großem Nachdruck: Es bleibt, Herr Diller, bei 3 Prozent Wachstum auch im nächsten Jahr.
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- Ich werde das auch begründen. Wir haben Preisstabilität, wir haben Außenhandelsüberschüsse, und das Ganze ist am Arbeitsmarkt angekommen. Dies kann niemand mehr in Abrede stellen.
Seit Anfang des Jahres, im Westen seit Dezember vorigen Jahres, haben wir saisonbereinigt einen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Im Osten haben wir eine Stabilisierung am Arbeitsmarkt, und die Zuwachsraten im verarbeitenden Gewerbe überdecken sogar den Rückgang im Baubereich, der unabwendbar war. Wir werden am Ende des Jahres in Deutschland saisonbereinigt 350 000 Arbeitsplätze mehr geschaffen haben und, anders ausgedrückt, 350 000 Arbeitslose weniger haben als ein Jahr zuvor.
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- Frau Fuchs, das sind Fakten. Das wird von den Instituten, von wissenschaftlichen Einrichtungen, von der Wirtschaft, selbst von den Gewerkschaften nicht in Abrede gestellt.
Nun sage ich nicht, daß diese Entwicklung im Ergebnis schon befriedigen kann. Wir haben noch über 4 Millionen Arbeitslose. Auch wenn wir im Oktober kurzzeitig unter 4 Millionen kommen, werden wir danach wieder über 4 Millionen liegen. Das ist gar keine Frage, und das ist viel zu viel. Aber der Trend ist richtig. Es geht in die richtige Richtung. Das ist das Ergebnis der Wirtschafts- und Reformpolitik der Menschen und der Unternehmer in unserem Land.
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Nun fragen viele - ich komme auf die Krisen noch zurück -: Ist das Fundament breit genug? Sind die Daten wirklich fundiert? Oder ist das nur ein Strohfeuer?
Meine Damen und Herren, wir haben eine Kapazitätsauslastung der deutschen Wirtschaft von 87 Prozent. Das sind 5 Prozent mehr als im langjährigen Mittel. Das sind solide Zahlen. Wir haben ein Wachstum bei den Ausrüstungsinvestitionen von 7 bis 91/2 Prozent. Das ist ein Wachstum, wie wir es seit langem nicht mehr hatten. Wir haben eine Belebung der Inlandsnachfrage um 21/2 Prozent. Das ist darauf zurückzuführen, daß wieder mehr Vertrauen in die Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik gesetzt wird.
Das verarbeitende Gewerbe in den neuen Ländern hat Tritt gefaßt. Die Produktion wächst um 10 Prozent, die Exporte steigen um 20 Prozent. Forschung und Entwicklung sind wieder da. Deutschland ist wieder Gründerland. Die Selbständigenquote ist seit 1991 von 7,3 auf 9,2 Prozent gestiegen.
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Meine Damen und Herren, das sind Zahlen, an denen man nichts manipulieren kann. Das ist das Ergebnis unserer Arbeit und der Ausrichtung unserer Wirtschaftspolitik. So wird das auch bleiben.
Wenn wir diese Gründeratmosphäre erhalten wollen, dann müssen wir darauf setzen, daß das zarte Pflänzchen Risikokapitalkultur, Eigenkapitalkultur in diesem Land, das da gewachsen ist, erhalten bleibt, auch in der Steuerpolitik seine Berücksichtigung findet und nicht ausgerissen wird.
Entscheidend ist, daß unsere Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit wiedergefunden haben, durch Umstrukturierungen, durch flachere Hierarchien, durch innovative Produkte, durch eine verstärkte Exportfähigkeit.
Wir haben keine gravierenden Rückstände mehr in Forschung und Entwicklung, auch nicht in der Mikroelektronik und in der Biotechnologie. Wir sind in der Kfz-Industrie auf dieser Welt führend, was die technischen Standards angeht, und auch in anderen Transporttechnologien. Der Maschinenbau ist wieder da, Chemie und Pharmazie sowieso. Die Elektrotechnik hat sich gefangen. Selbst in der klassischen Industrie wie Eisen, Stahl und Textil haben unsere Unternehmen einen Standard erreicht, der sie im weltweiten Vergleich wieder wettbewerbsfähig macht.
Das ist eine grundsolide Basis dafür, daß das Wachstum fortgesetzt, die Arbeitslosigkeit weiter zurückgeführt werden kann und daß wir im europäischen Kontext sowie bei den Herausforderungen der Globalisierung eine Rolle spielen können, die uns auf lange Sicht Wettbewerbsfähigkeit sichert. Das ist das
Ergebnis der Arbeit der Menschen, der Innovationsfähigkeit unserer Unternehmen und auch der Wirtschaftspolitik.
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Meine Damen und Herren, ich sage das vor dem Hintergrund der Fragen, die mit den Krisen in Asien und Rußland im Zusammenhang stehen werden: Wir haben uns auch hin zu neuen Beschäftigungsfeldern orientiert. Denn bei aller erfolgreichen Umstrukturierung unserer Unternehmen: Die Arbeitsplätze der Zukunft entstehen nicht in der Industrie - die Industrie ist enorm wichtig; wir können auf unsere breitgefächerte Industriestruktur stolz sein -; die Arbeitsplätze der Zukunft entstehen im Dienstleistungsbereich.
Deshalb ist es Bestandteil der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, daß wir in ganz besonderer Weise das Handwerk fördern, daß wir die Pflegeberufe für wichtig halten,
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daß wir die vielen neuen Möglichkeiten im Reinigungssektor, im Gebäudemanagement erkennen und daß wir Finanzdienstleistungen für einen wichtigen Sektor unserer Volkswirtschaft halten. Die freien Berufe, die Ingenieure, die Architekten, die Anwälte, die Wirtschaftsberater - all sie sind Bestandteil der Wirtschaftsstruktur der Zukunft. Hierhin müssen sich unsere Gründeraktivitäten orientieren, und hierauf müssen unsere Fördermaßnahmen ausgerichtet sein.
Eine wichtige Rolle spielen Information und Kommunikation, die Medien und die Kultur, Freizeit und Tourismus, wo 6 Prozent unseres Sozialproduktes erwirtschaftet werden. Meine Damen und Herren, neben der Rationalisierung, neben besseren Rahmenbedingungen für die Industrie kommt es enorm darauf an, daß neue Beschäftigungsfelder in den Dienstleistungen erschlossen werden. Deshalb die Förderpolitik, deshalb die Politik für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen, auch im Dienstleistungsbereich.
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Dazu gehören Existenzgründungshilfen, Eigenkapitalhilfen, Meister-BAföG, Beratungsprogramme, die Hermes-Förderung, die Messeförderung - all das haben wir verschärft ausgebaut. Das ist nicht zurückgefahren worden, auch nicht in einer Zeit, wo es zunächst einmal darum ging, andere Prioritäten zu setzen, auch mit Blick auf den Euro und auf die Kriterien von Maastricht.
In der Mittelstandspolitik macht uns niemand etwas vor. Daß wir dort so erfolgreich sein konnten, ist Ergebnis des novellierten Kartellgesetzes und vieler anderer gesetzlicher Maßnahmen, die wir getroffen haben, auch der Tatsache, daß wir die Märkte offenhielten.
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Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner?
Ja, bitte.
Herr Minister, Sie haben davon gesprochen, daß Sie uns sagen wollten, welche Risiken angesichts der internationalen Krisen auf uns zukommen. Können Sie uns bitte hier in diesem Hohen Hause sagen, wie hoch die Risiken durch die Hermes-Bürgschaft im Falle Rußlands sind? Können Sie uns sagen, wie hoch die Risiken sein werden, die durch Steuerausfälle auf Grund der Derivatgeschäfte bei Geschäftsbeziehungen mit diesen Regionen entstehen können?
Herr Kollege, ich will Ihnen zunächst einmal sagen, ich hätte das Ganze gern in einen Kontext eingebaut, den ich jetzt fortgeführt hätte. Aber ich greife das Thema auf und spreche über Hermes.
Wir haben, was das Rußland-Geschäft angeht - ich spreche speziell über Rußland -, Außenstände in Deutschland in einer Größenordnung von 22 Milliarden DM. Davon sind etwa 16 Milliarden DM Hermesverbürgt.
Es gibt, derzeit jedenfalls, keine Anzeichen dafür, daß Rußland zurücksteckt und mit der Bedienung seiner Handelskredite aufhört. Die Handelskredite, so die Moratorien und die Abmachungen, die dort getroffen worden sind, sollen - ich hoffe, daß das richtig ist - weiter bedient werden. Das ist für uns Veranlassung dafür, daß wir das Hermes-Instrumentarium prinzipiell offenhalten wollen. Wir werden jedes Geschäft, das dort zu verbürgen ist, genau prüfen. Wenn Rußland seinen Verpflichtungen aus Handelskrediten aber weiter nachkommt - das tut es bis zum heutigen Tag -, bleibt das Hermes-Instrumentarium weiter offen; denn es ist unsere Politik, Rußland in verantwortbarer Weise, auch mit Blick auf den Steuerzahler, bilateral zur Seite zu stehen. In diesem Bereich geht das. Ein kollabierendes, instabiles Rußland ist allemal teurer als ein Rußland, das wir auch in Hermes-Angelegenheiten in die Marktwirtschaft begleiten. Deswegen werden wir diese Politik abgewogen und fallbezogen weiter fortsetzen.
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Das heißt nicht, daß die Bundesrepublik in der Lage wäre, bilateral außerhalb der internationalen Institutionen zusätzliche Kredite zur Verfügung zu stellen. Das ist nur in dem Maße und in dem Umfang möglich, in dem Rußland Reformen durchführt. Das muß Rußland selbst tun. Soviel zu Ihrer Frage.
Wenn Sie gestatten, möchte ich noch ein Wort zu den Krisen in Asien und in Rußland sagen. Diese Krisen haben weltweit eines gemeinsam. Sie sind Anpassungskrisen, die daraus resultieren, daß die gesetzlichen und faktischen Rahmenbedingungen nicht mit den dringend notwendigen Entwicklungen in Richtung Marktwirtschaft übereinstimmen.
Die gefährlichste Situation gibt es in Japan. Dort hat es die Erfolgsgesellschaft, die über Jahrzehnte hinweg wuchs und verteilen konnte, versäumt, die notwendigen Reformen insbesondere im Finanzsektor durchzuführen. Das ist eine Anpassungskrise. Japan steht unter enormem Druck.
Dies alles gilt auch für die anderen asiatischen Staaten mit ganz anderen Vorzeichen. Hier hat sich stürmisch eine Entwicklung in Richtung Marktwirtschaft vollzogen. Die Länder haben aber keine Änderungen bei ihren Strukturen im Finanzsystem, in der Administration, im Steuersystem und bei den Zöllen vorgenommen. Reformen haben gefehlt. Deshalb gibt es dort diese Krisen.
Im übrigen bin ich der Meinung, daß mittlerweile in vielen sogenannten Tigerstaaten wichtige Reformen eingeleitet worden sind. Diese Länder bewegen sich auf dem Pfad in Richtung Stabilisierung. Von daher ist die Krise beherrschbar. Das gilt für die Tigerstaaten, das gilt auch für Japan.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwanhold?
Herr Schwanhold, ich bitte Sie, mir noch eine Minute zuzuhören. Ich möchte diesen Gedanken mit Blick auf China noch zu Ende führen.
China ist eine große Unbekannte. Wir wissen nicht, ob es gelingt, die chinesische Währung zu stabilisieren, um zu verhindern, daß erneut Abwertungen stattfinden. Wie es aussieht, ist das machbar.
Auch bei Rußland handelt es sich um eine Anpassungskrise. Es wurden wichtige Reformen versäumt, nämlich den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen, die Privatisierung voranzutreiben und die Arbeitsweise der Institutionen zu verbessern.
Die Finanzmärkte bestrafen, wenn man Reformen nicht im notwendigen Umfang durchführt. Diesen Fall haben wir jetzt in Rußland. Hier handelt es sich primär um eine Staatskrise mit enormen Wirkungen auf den Wirtschafts- und den Finanzsektor. Wir müssen die Entwicklung beobachten und begleiten, soweit wir das können. Ich sage aber - das war meine Eingangsfrage -, sowohl die Krisen in Asien als auch die in Rußland erscheinen mir beherrschbar. Ich glaube nicht, daß sie wegen der Handelsvolumina - sie betragen bei Import und Export jeweils 2 Prozent -, die es mit diesen Regionen und insbesondere mit Rußland gibt, eine unmittelbare Wirkung auf unsere volkswirtschaftliche konjunkturelle Entwicklung haben.
Damit möchte ich die Eingangsfrage, die ich selbst gestellt habe, ob diese Krisen Auswirkungen auf unser Wachstum haben, eigentlich damit beantworten, daß ich sage: Ich glaube das nicht. Ich halte die Krisen für beherrschbar. Das darf uns aber nicht dazu bringen, diese Dinge abzutun oder zu bagatellisieren. Dazu sind sie viel zu ernst. Aber niemand braucht Angst zu haben, daß aus einer Staatskrise in Rußland von heute auf morgen eine Weltwirtschaftskrise wird. Wer dies an die Wand malt, bezweckt damit eigentlich ganz andere Dinge.
Jetzt, Frau Präsidentin, kann der Herr Kollege seine Frage stellen.
Herr Minister, ich will ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß sich dieses Thema nach meiner Einschätzung nicht dazu eignet, hier eine Wahlkampfauseinandersetzung zu führen, sondern wir haben, ganz im Sinne von Graf Lambsdorff, uns diese Thematik sehr genau anzuschauen. Die Deutsche Bank Research sagt, daß 38 Prozent der Weltwirtschaft in krisenhaften Situationen sind. Zu Lateinamerika haben Sie bezeichnenderweise kein Wort gesagt. Norbert Walter von der Deutschen Bank reduziert die Wachstumserwartung für das Jahr 1999 von 4,25 Prozent auf 3 Prozent. Die OECD schließt sich dieser Einschätzung an, Graf Lambsdorff übrigens auch, und den würde ich als jemanden ansehen, der in solchen Fragen über gute Informationen, guten Einblick und analytischen Verstand verfügt.
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Nun ist die Frage, die sich daraus ergibt: Welche Vorsorge haben Sie in diesem Haushalt getroffen, um die daraus resultierende Abschwächung des exportgestützten Wachstums bei uns aufzufangen durch ein in der Europäischen Union initiiertes Wachstum? Das ist die zentrale Frage. Wie erzielen wir Binnenwachstum? Darauf haben Sie nach meiner Einschätzung sowohl im Haushalt als auch in Ihrer bisherigen Politik keine schlüssige Antwort gegeben. Ich würde Sie sehr bitten, uns diese schlüssige Antwort hier in der Debatte zu geben.
Herr Kollege Schwanhold, zunächst einmal zitieren Sie Herrn Walter und andere, und einige zitieren Sie auch schief und unvollständig. Das ist heute ausgiebigst geschehen, daß jeder zitiert, aber immer nur eine halbe Passage, und in der nächsten steht das Gegenteil.
Es ist keine Frage - ich bin davon überzeugt, Herr Kollege, daß Sie das wissen -, daß die Masse der Ökonomen in den Unternehmen und in den Instituten keine unmittelbaren Auswirkungen von Rußland und Asien auf unsere wirtschaftliche Entwicklung erwartet. Tendenziell wirkt das dämpfend; das ist gar keine Frage. Wir sind aber integraler Bestandteil der robusten, der vitalen europäischen Volkswirtschaften und der gesunden amerikanischen Volkswirtschaften in unserer gesamten Integration. Das, was wir mit Asien an Exporten, Importen und Investments haben, ist wachsend und sehr bedeutend, auch was Rußland angeht. Aber es kann allemal dadurch aufgefangen werden, daß wir in Westeuropa und in Asien ein Wachstum haben, das durch nichts beeinträchtigt ist.
Ich korrigiere aus gutem Grund unsere Wachstumsraten für dieses Jahr nicht nach unten, und ich tue das auch nicht für das nächste Jahr. Ich bin da nicht blauäugig. Es gibt Gefahren, und wir müssen
genau hingucken. Es gibt aber keine Vorsorge zu treffen; Haushaltsrelevanz steht hier nicht an.
Die meisten Kredite der alten Sowjetunion sind umgeschuldet - Herr Schwanhold, Sie wissen das - und werden erst im Zeitraum 2006 folgende fällig. Die aktuellen Kredite werden, bislang jedenfalls noch - ich kann das nicht mit absoluter Sicherheit für die Zukunft zusagen -, von Rußland bedient. Insofern gibt es da keinen Anhaltspunkt für eine Dramatisierung der Situation. Wir wollen Rußland innerhalb der internationalen Institutionen und, soweit vertretbar, auch mit Hermes weiter zur Seite stehen. Ich teile Ihre Auffassung, daß wir dieses Thema nicht in den Wahlkampf ziehen sollten. Aber ich bin erklärtermaßen der Auffassung, daß wir nicht Ängste schüren sollten - ich sage nicht, daß Sie das tun, Herr Schwanhold -, daß wir in dieser Krisensituation, die Anpassungskrisen angeht, akut mit wirtschaftlichen Einbrüchen zu rechnen hätten. Dies ist nicht der Fall.
Ich will einen letzten Gedanken aus diesem Thema Krisen in Rußland und in Asien ableiten. Ich habe eben mit Deutlichkeit gesagt: Diese Krisen sind Ergebnis eines Reformstaus; sie sind Anpassungskrisen. Was wir daraus lernen können und müssen, ist einfach, daß wir unsere Reformpolitik, unsere Politik zur Umgestaltung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen fortsetzen müssen. Wenn wir dies nicht tun, wenn wir das Rad zurückdrehen wollen, wenn wir die Ergebnisse von Reformen, mit denen wir eine ganze Menge erreicht haben, zurücknehmen, wenn wir Reformen, bei denen wir nicht richtig vorangekommen sind, weil wir blokkiert wurden, nicht durchführen, dann werden auch wir in eine Krisensituation kommen. Eben das wollen wir nicht. Deshalb treten wir so engagiert für die Fortsetzung der Reformpolitik dieser Koalition ein.
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Es muß schon noch einmal vor Augen geführt werden: Wer hat denn zurückgedrängt und gebremst? Unsere Politik zielt auf Marktöffnung. Ich nenne nur zwei Beispiele; die Zeit gibt nicht mehr her:
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Was haben Sie für Probleme bei der Privatisierung von Telekommunikation und Post gemacht?! Mit Zähnen und Klauen haben Sie sich dagegen gewehrt - es gibt einen SPD-Antrag vom Mai 1996 -, das Monopol für Briefe und die Infopost aufzuheben. Herr Bury hat diese Forderung im Februar 1997 in einer Aktuellen Stunde noch einmal bekräftigt. Heute haben wir 115 000 zusätzliche Arbeitsplätze allein in Fracht- und Kurierdiensten.
Auf dem Gebiet der Telekommunikation wollten Sie Anbieter nur dann mit einer Lizenz versehen, wenn sie flächendeckend Dienste anbieten. Heute paßt Ihnen in der Telekommunikation die ganze Entwicklung nicht. In diesem Bereich haben wir netto 80 000 Arbeitsplätze geschaffen. Das ist das Entscheidende.
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Was ist mit der Öffnung der Strom- und Gasmärkte? Die Stromverteiler haben erstmals entdeckt, daß sie Kunden haben. Und die Preise purzeln! Ihre Antwort ist, daß Sie in Sachen Strom- und Gasmärkte zum Verfassungsrichter laufen. Ist das Reformpolitik? Das ist Reformverweigerungspolitik!
({3})
Dieses Thema haben wir im letzten Jahr hoch und herunter diskutiert. Ich sage nur: Wenn wir Krisen vermeiden wollen, wenn wir eine Zuspitzung vermeiden wollen, dann müssen wir Reformpolitik betreiben. Andere Länder führen uns im Negativen vor, was passiert, wenn keine Reformen stattfinden.
Das Wichtigste, was jetzt passieren muß, ist, daß wir die Lohnnebenkosten senken. Das heißt: Wir müssen die Sozialsysteme weiter reformieren. Dieses Land braucht wie ein dürstender Baum eine Steuerreform mit einer Nettoentlastung. Das ist das Wichtigste, was wir brauchen. Diese Koalition wird das auch in die Tat umsetzen.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Höll.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das, was die Vertreter der Regierungskoalition bisher heute hier geboten haben, zeugt nur von einem: von ihrem totalen Realitätsverlust.
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Dies betrifft das angenommene Wirtschaftswachstum. Sie, Herr Rexrodt, wissen, daß die Institute inzwischen von anderen Zahlen sprechen: höchstens 2 Prozent. Das betrifft die Ausbildungssituation junger Menschen in Ost und West, das betrifft die Arbeitsmarktsituation, und es betrifft auch die Situation von Kindern und Jugendlichen in unserem Land und die Einordnung von Sozialhilfe. Frau Nolte hat ja eine sehr eigentümliche Sicht der Dinge: Je mehr Sozialhilfe, um so besser hat ihr Staat gearbeitet. - Fragen Sie die Leute auf der Straße! Fragen Sie, wie weit man mit der Sozialhilfe kommt und was es bedeutet, von Sozialhilfe zu leben!
4,1 Millionen Menschen sind arbeitslos. Sie haben eine konstante Arbeitslosigkeit von offiziell 4 Millionen, aber inoffiziell über 7 Millionen Menschen zu verantworten. Fragen Sie bitte auch vor den Arbeitsämtern die Menschen, die dort hinkommen, was es heißt, wenn man von einer ABM in eine Umschulungsmaßnahme hin und her geschubst wird, dann in die Arbeitslosigkeit, in die Arbeitslosenhilfe und dann vielleicht wieder in die ABM!
Nichts gegen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, aber wir sind dafür, die öffentlichen Gelder tatsächlich sinnvoll anzulegen, so daß die Menschen eine Perspektive haben und sich die Gesellschaft zu notDr. Barbara Höll
wendiger Arbeit bekennt, die im Nichtprofitsektor angesiedelt sein muß. Das heißt, wir brauchen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor ohne Rotationsprinzip, der tatsächlich die Anforderungen erfüllt, die an ihn gestellt werden.
({1})
Im vergangenen Jahr, 1997, haben wir einen Höchststand bei der Verschuldung der öffentlichen Hand erreicht: 2,3 Billionen DM. Inzwischen wachsen die Schulden in jeder Sekunde um 3 203 DM - eine unvorstellbare Summe. Sie haben zu verantworten, daß 27 500 Firmen 1997 zusammengebrochen sind. Das ist eine Verdreifachung gegenüber 1991. Für dieses Jahr wird mit einem neuen Rekord gerechnet. Damit ist seit fünf Jahren eine ständig ansteigende Zahl von Firmenpleiten zu verzeichnen.
Noch nie waren die Menschen in dieser Bundesrepublik auf der einen Seite so arm und auf der anderen Seite so reich. Das private Geldvermögen betrug im letzten Jahr rund 5,2 Billionen DM. Im Durchschnitt hatte also jeder Haushalt gut 135 000 DM bares Geld. Das mag ja für uns Abgeordnete hier im Haus zutreffen, aber nicht für die Mehrheit der Bevölkerung. Die Hälfte der Bevölkerung hat überhaupt kein Barvermögen. In Wirklichkeit ist es so, daß 6 Prozent der Haushalte über ein Drittel des Vermögens verfügen.
Die Zahl der Menschen, die mit Sozialhilfe auskommen müssen, ist auf einen neuen Rekord geklettert: auf 3 Millionen. 7 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in dieser Bundesrepublik sind arm. Sie haben damit schlechtere Bildungschancen, schlechtere Möglichkeiten bei der Freizeitgestaltung, bei der Ernährung und auch in ihrem weiteren Leben.
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- Das ist nicht Quatsch. Gehen Sie hin, und fragen Sie die Menschen! Das ist kein Quatsch.
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1996 betrug der Regelsatz der Sozialhilfe für Kinder 342 DM. An die Adresse der SPD und der Grünen sage ich: Solange Sie das Kindergeld nur auf 250 DM oder auf 300 DM, wie es die Grünen fordern, anheben wollen, verbessert sich die Situation der Kinder und Jugendlichen, die von der Sozialhilfe leben müssen, überhaupt nicht. Es gilt, hier zumindest einen Regelungsmechanismus einzuführen. Oder seien Sie so konsequent wie wir, indem Sie gleich richtig herangehen und das Kindergeld auf einen entsprechenden Satz erhöhen, der auch diesen Kindern nützt.
Herr Blüm schmückt sich, wenn er sich heute oder morgen mit einer Rede verabschiedet, damit, daß er in seiner Regierungsbilanz seit 1982 98 Milliarden DM eingespart hat: 60 Milliarden DM bei den Renten und 38 Milliarden DM bei den Arbeitslosen. Es erfolgte eine Umorientierung in Ihrer Politik weg von der Bruttolohnorientierung bei der Rente, die in dem Beschluß vom vergangenen Jahr gipfelt, nach dem das Rentenniveau von 70 auf 64 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns gesenkt werden soll. Das schlimme ist, daß diese gesamte Politik in eine bösartige und denunziatorische öffentliche Debatte über den Generationenvertrag einmündete, in der die Rentnerinnen und Rentner am Ende als Last der Gesellschaft dargestellt wurden. Das haben Sie zu verantworten.
Vergleicht man damit das Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen, so stellt man fest, daß es sich massiv erhöht hat, insbesondere natürlich bei den ganz großen Unternehmen. Die Gewinne bei Daimler-Benz sind allein 1997 um 191 Prozent gestiegen. Die Lufthansa hat ihre Gewinne um 50 Prozent und die Allianz AG um 20 Prozent gesteigert.
Nun frage ich, da Sie doch so erfolgreich sind: Wo sind die vollen Kassen? Wohin fließen die Steuergelder? Herr Waigel beklagt die Not der öffentlichen Kassen; sie sind leer. Aber das ist doch das Ergebnis Ihrer Politik. Sie haben die Vermögensteuer abgeschafft, die Körperschaftsteuersätze und die Ertragsteuersätze für gewerbliche Einkünfte gesenkt.
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Die Bürgerinnen und Bürger kostet das alles Milliarden, allein seit 1991 60 Milliarden DM. Wenn Daimler-Benz keine Mark Steuern mehr zahlt, frage ich mich, wo hier noch soziale Gerechtigkeit besteht.
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Momentan läuft da eine ganz interessante Debatte. Der DIHT pries in der vergangenen Woche, das halte ich schon für zitierwürdig, den Steuerstandort Deutschland. Der BDI hat geantwortet, das sei natürlich nicht ganz so zu verstehen, es gebe ja noch so viel Steuerschlupflöcher. Was lehrt uns das eigentlich? - Sie sind nicht bereit, in der Steuerpolitik zu reagieren. Ihre einzige Antwort bezüglich der Steuerschlupflöcher innerhalb der Europäischen Union, die Herr Waigel heute wiederholt hat, lautet, einen Verhaltenskodex gegen einen unfairen Steuerwettbewerb zu schaffen. Nun frage ich Sie, was Sie mit Ihren Appellen bisher erreicht haben. Sie haben versucht, dadurch Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze zu schaffen; aber erreicht haben Sie damit nichts. Sie haben, auch unter dem Verdikt der europäischen Steuerharmonisierung, bereits 1993 die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt erhöht. In diesem Jahr haben Sie es wieder getan. Dazu muß man allerdings sagen: mit Zustimmung auch der SPD.
Armut bekämpft man nicht, indem man Arme ausgrenzt, sondern indem man Reichtum begrenzt. Um das zu lernen, ist es für diese Regierung zu spät. Sie haben den in der Verfassung verankerten Konsens der sozialen Marktwirtschaft aufgekündigt. Ein Politikwechsel - der notwendig ist - muß aber mehr sein als ein Wechsel des Personals. Es geht um einen Politikwechsel hin zu sozialer Gerechtigkeit ohne Wenn und Aber. Das heißt, meine Damen und Herren der SPD: ohne Finanzierungsvorbehalt.
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Das bedeutet ein klares Ja zur Umverteilung und zur
Erschließung neuer Finanzquellen. Dieses Land ist
reich, und wenn die öffentlichen Kassen leer sind,
dann ist das Ihr Problem. Sie haben das zu verantworten. Wir demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten werden das nicht so hinnehmen.
Matthias Richling hat gesagt, Schröder versuche mit aller Macht, Kohl zu werden. Auch deshalb lohnt es sich, am 27. September PDS zu wählen, damit Schröder dann für eine SPD-Politik steht, mit der man tatsächlich eine Umverteilung erreichen kann. Wir wollen soziale Gerechtigkeit ohne Wenn und Aber. Dazu muß sich auch die SPD bekennen. Sie brauchen dafür unseren Druck, das wissen wir. Wir haben hier im Bundestag entsprechende Anträge eingereicht. Sie müssen sich daran messen lassen.
Da frage ich mich wirklich, was das Gezerre um die Vermögensteuer soll. Ja oder nein? Nun hat Schröder ein Machtwort gesprochen: Es wird keine Vermögensteuer kommen, falls die SPD die Regierung bildet. Das heißt, Steuergeschenke an die Reichen fallen bei Ihnen nicht unter Finanzierungsvorbehalt. Oder wie ist das zu verstehen? Ein klares Ja - Sie wollen die Vermögensteuer - heißt dann, daß Sie wirklich Quellen haben, um sozial gerecht zu agieren, und heißt natürlich auch, daß man Reichtum begrenzt. Wir haben entsprechende Vorschläge eingebracht.
Sie wissen, daß auch der Bundesfinanzhof noch einmal die Meinung, die die PDS hier immer vertreten hat, bestätigt hat, nämlich daß der Halbteilungsgrundsatz im Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Vermögensteuer nicht verbindlich ist. Wir sind als Politikerinnen und Politiker in der Pflicht, die gegebenen Spielräume auszunutzen. Das möchten wir. Das heißt ja, daß wir niemanden enteignen. Eine Vermögensteuer beschneidet nur Vermögenszuwächse. Es geht nicht um die Substanz. Die Vermögensteuer belastet die Erträge, die aus wirklich sehr großen Vermögen entstehen. Das wissen Sie alle sehr genau.
Die PDS hat im Bundestag bereits Vorschläge vorgelegt, mit denen es möglich ist, in einem relativ kurzen, überschaubaren Zeitraum Finanzierungsquellen in Höhe von 60 bis 86 Milliarden DM zu erschließen. Ich nenne dazu: eine wirkliche Reformierung der Erbschaftsteuer, eine Vereinheitlichung der Steuersätze und Ergänzung der Nachlaßsteuer, eine tatsächliche Reform der Einkommensteuer und eine tatsächlich gerecht verteilte Steuer- und Abgabenlast. Das heißt konkret: Erhöhung des steuerlichen Existenzminimums auf 17 000 DM und Erhöhung des Kindergelds einkommensabhängig auf 300 bis 660 DM, bei Beibehaltung der Eingangssteuersätze.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich sage Ihnen: Nur mit der PDS, nur mit den demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten hier im Deutschen Bundestag wird es gelingen, nicht nur Kohl abzuwählen, sondern tatsächlich den Regierungswechsel zu einem Politikwechsel zu gestalten.
Ich bedanke mich.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Friedhoff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Wirtschaftsaufschwung in Deutschland ist da, und er ist bemerkenswert stabil. Die OECD prognostiziert trotz Asien- und Rußlandkrise in ihrem jüngsten Deutschlandbericht für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2,75 Prozent. Der eingeschlagene Weg war also richtig.
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Aber eines ist auch klar: Unser Land kann sich in diesen außenpolitisch so schwierigen Zeiten keine Anfänger auf der Regierungsbank leisten. Die Verantwortung der deutschen Regierung wird in den nächsten Jahren größer sein als jemals zuvor seit der Wiedervereinigung.
Meine Damen und Herren, die Koalition hat den Wirtschaftsstandort Deutschland für den internationalen Wettbewerb wieder fit gemacht. In der ersten Reformphase 1983 bis 1990 haben wir die Staatsquote von über 50 Prozent auf 45,3 Prozent gesenkt. In diesem Zeitraum sind in Westdeutschland folgerichtig mehr als 2,2 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen worden.
Dann kam die Wiedervereinigung mit ihren ungeheuren Sonderlasten. Der Bund hat Jahr für Jahr netto rund 130 bis 140 Milliarden DM Zusatzleistungen für den Einigungsprozeß erbracht. Natürlich ist dadurch der Schuldenstand angewachsen; natürlich haben wir während dieser Zeit andere Prioritäten setzen müssen. Dennoch: Diese Koalition wird die Staatsquote in diesem Jahr von über 50 Prozent auf 48 Prozent absenken und im nächsten Jahr um einen weiteren Prozentpunkt herunterdrücken. Das bedeutet einen größeren Freiraum für die Bürger und die Unternehmen in Deutschland.
({1})
Das bedeutet mehr Arbeitsplätze für die Menschen in unserem Land.
Wir haben in Deutschland inzwischen praktisch Preisstabilität. Das ist gerade für die kleinen Leute und für die Rentner ganz besonders wichtig. Für diese Menschen ist das eine gute Botschaft.
({2})
Wir hatten im Juli dieses Jahres eine Teuerungsrate im Vergleich zum Vorjahr von minus 0,9 Prozent. Die Preise sind also gesunken. Das ist das beste Ergebnis seit der Einführung der gesamtdeutschen Indizes.
Auch der Aufwärtstrend am Arbeitsmarkt stabilisiert sich. Die Arbeitslosenzahlen gehen allen Unkenrufen zum Trotz weiter nach unten. Seit Februar hat die Zahl der Arbeitslosen im Einjahresvergleich Monat für Monat deutlich abgenommen. Im Juli gab es 220 000 Arbeitslose weniger als ein Jahr zuvor. Der Aufwärtstrend am Arbeitsmarkt ist nicht zu leugnen. Die Zahl der offenen Stellen wächst beständig. Von Januar bis Juni sind den Arbeitsämtern insgesamt
1,6 Millionen freie Arbeitsplätze gemeldet worden. Das sind 17,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Dabei geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung davon aus, daß überhaupt nur knapp 40 Prozent aller freien Stellen bei den Arbeitsämtern registriert sind. Daran erkennt man die Dynamik dieses Marktes bezüglich der Veränderungen in die positive Richtung.
Richtig ist aber auch, daß in vielen traditionellen Beschäftigungsfeldern Stellen abgebaut worden sind und auch abgebaut werden mußten. Der Strukturwandel schreitet unaufhaltsam voran. Wer heute noch wie die SPD meint, daß man Industrien von gestern mit Dauersubventionen am Leben erhalten kann, der hat diesen Wandel nicht begriffen.
({3})
Neue Arbeitsplätze gibt es nur dort, wo Wettbewerb ermöglicht wird und wo er nicht durch dauernde Staatseingriffe eingeschränkt wird. So entstehen im Bereich der Informationstechnik in Deutschland allein in diesem Jahr über 80 000 neue Arbeitsplätze. Hier fehlen sogar die geeigneten Bewerber. Voraussetzung für diese Entwicklung war die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes, den die SPD nun wieder einschränken will. Dabei hat der Wettbewerb in diesem Wachstumsbereich nicht nur neue Arbeitsplätze geschaffen, sondern auch noch die Telefontarife um bis zu 70 Prozent nach unten gedrückt. Dies hat private Haushalte wie Unternehmen entlastet.
({4})
Unsere Reformpolitik für Arbeitsplätze durch Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit trägt erkennbare Früchte. Dies ist das Ergebnis unserer Politik, der Politik dieser Koalition, die von Minister Rexrodt erfolgreich umgesetzt wird. Wir können den Aufwärtstrend aber nur dann stabilisieren und verstärken, wenn die Reformen am Wirtschaftsstandort Deutschland auch fortgesetzt werden.
({5})
Die SPD will diese Reformpolitik nicht fortsetzen; sie will diese Reformpolitik zunichte machen. Weil die Opposition kein Konzept für eine seriöse Wirtschaftspolitik besitzt, kann sie auch keinen Wahlkampf der Argumente führen. Sie setzt vielmehr allein auf Showeffekte. Ich gestehe ganz offen: Als Gerhard Schröder Jost Stollmann aus der Tasche zog, war ich zunächst gespannt. Sicherlich könnte es nicht schaden, wenn der eine oder andere Staatsdiener in der deutschen Politik gegen einen erfolgreichen Unternehmer ausgetauscht würde. Darin bin ich mir mit vielen anderen selbständigen Unternehmern einig. Wir Freien Demokraten hätten erst recht nichts dagegen einzuwenden, wenn die SPD ihren ökonomischen Sachverstand damit erweitern würde.
Um so enttäuschter bin ich, müssen auch die selbständigen Unternehmer nunmehr sein, über dieses
Schauspiel mit und um Jost Stollmann. Welche Funktion seine Nominierung für die SPD hatte, war schnell mit Händen zu greifen. Ein von Anfang an inszenierter Streit mit den Gewerkschaften machte den Kandidaten bekannt. Schröder nahm ihn natürlich in Schutz und zeigte sich damals scheinbar als Mann der bürgerlichen Mitte. Diese Show war so offenkundig, daß der ÖTV-Chef Mai sie vor kurzem freimütig eingeräumt hat.
Das Theater von Schröder und Gewerkschaften war in der Tat nichts anderes als ein plumpes Ablenkungsmanöver mit Stollmann als Hauptdarsteller. Dieses Ablenkungsmanöver soll den Blick darauf verstellen, daß Rotgrün im Falle des Wahlsieges einen Vernichtungsfeldzug gegen die kleinen und mittleren Betriebe in unserem Land unternehmen wird.
({6})
Sie wollen die Rentenreform revidieren, ohne die wir die Lohnzusatzkosten nicht in den Griff bekommen können. Rotgrün will die Reform der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zurückdrehen, die den Unternehmen in unserem Land eine Kostenentlastung von über 20 Milliarden DM gebracht hat. Damit sind Hunderttausende von Arbeitsplätzen sicherer geworden.
Rotgrün will die Liberalisierung des Kündigungsschutzes zurückdrehen, von der gerade die kleinen Betriebe profitieren. Lesen Sie die neueste DIHT-Umfrage! Hier haben sich 11 Prozent der Unternehmen dahin gehend geäußert, daß sie bereits auf Grund dieses veränderten Gesetzes eingestellt haben, und 14 Prozent haben sich dahin gehend geäußert, daß sie die ganz konkrete Absicht haben, in den nächsten Monaten einzustellen. Dies ist erfolgreich umgesetzt worden. Es hat also seine Wirkung auf dem Arbeitsmarkt. Erzählen Sie einem Handwerksmeister, einem Kleinunternehmer, daß dieses Kündigungsschutzgesetz wieder zurückgenommen werden muß! Sie werden dafür Ihre Quittung bekommen.
({7})
Rotgrün will die Vermögensteuer wiederbeleben und eine Zwangsabgabe für Unternehmen einführen, die nicht ausbilden. Dazu hat sich Herr Stollmann bis heute nicht geäußert. Bei seinem ersten Auftritt fabuliert er ausgerechnet von einem „dritten Weg" zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Solch ein Laiendarsteller soll die Wirtschaftspolitik unseres Landes führen? Meine Damen und Herren, es geht dabei um Millionen von Arbeitsplätzen. Es geht um den Wohlstand dieses Landes und um die Zukunft seiner Menschen.
Ich sage noch einmal: In einer Situation, in der Deutschland als Stabilitätsfaktor in der internationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik gefordert ist, würde eine rotgrüne Bundesregierung die Katastrophe heraufbeschwören. Wer der enormen VerantPaul K. Friedhoff
wortung für unser Land nicht gewachsen ist, dem darf man keine politische Macht geben.
({8})
Das gilt für Rotgrün im allgemeinen und für Herrn Stollmann im besonderen. Herr Stollmann hat nicht das Recht, für die Unternehmen in diesem Land zu sprechen. Was die kleinen und mittleren Unternehmen brauchen, ist die Fortsetzung der Reformpolitik, die sie nachhaltig entlastet und die ihnen wieder größere Freiräume gibt.
({9})
Schon Rotgrün alleine wäre ein Katastrophenszenario für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
({10})
Sollte das nicht reichen, dann kämen eben noch Walter Ulbrichts Enkel hinzu.
({11})
Der SPD-Bundesgeschäftsführer hat doch in aller Öffentlichkeit klargemacht, daß die Kommunisten nach der Bundestagswahl auch in Erfurt und Schwerin an die Macht kommen sollen. Hier geht es nicht um eine abstrakte Koalitionsarithmetik. Es geht ganz konkret um die Frage, ob auch in Bonn eine Partei an die Macht kommen kann, die der erklärte Todfeind einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung und der Todfeind des freien Unternehmertums ist. Diesem freien Unternehmertum, dem Fleiß und der Risikobereitschaft hunderttausender Firmengründer, Freiberufler und Handwerksmeister verdanken wir den Wohlstand in unserem Land. Sie schaffen die Arbeitsplätze für unsere fleißigen Arbeitnehmer.
Es geht also bei der Wahl am 27. September in der Tat um eine Richtungsentscheidung von historischer Bedeutung. Es geht wirklich ums Ganze. Ich bin ziemlich sicher, daß das die Menschen dieses Landes auch erkennen und sich bei der Wahl entsprechend verhalten werden.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Rüttgers.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über den Haushaltsplan 1999. Wir reden auch darüber, was in den letzten vier Jahren erreicht wurde und was in den nächsten vier Jahren geschehen muß.
Wenn ich die bisherige Debatte auf mich wirken lasse, dann stelle ich fest, daß - bei allen Versuchen von der linken Seite des Hauses, so manches zu vernebeln - doch eines klar geworden ist: Es gibt zwei sehr unterschiedliche Ansätze der Politik in der Frage, wie neue Arbeitsplätze entstehen. Der linken Seite des Hauses geht es immer um das Verteilen: bei den Arbeitsplätzen, bei den Steuern, bei den Ausbildungsplätzen. Demgegenüber denkt die Koalition darüber nach, wie neue Arbeit geschaffen werden kann: durch eine konsequente Standortpolitik und durch eine offensive Innovationspolitik.
({0})
Das ist der große Unterschied, um den es am 27. September auch geht.
Nun würde man ja gerne darüber diskutieren, mit welchen konkreten Schritten das geschehen soll. Aber in Deutschland weiß beim besten Willen keiner, was Herr Schröder eigentlich will. Er weiß noch nicht einmal, wer in seinem Schatten- bzw. Gruselkabinett zuständig ist für Forschung und Technologie. Ist es Herr Stollmann, oder ist es Frau Bulmahn? Frau Bulmahn hat selber schon öffentlich darüber geklagt, sie wisse nicht, wofür sie eigentlich zuständig sein solle.
({1})
Herr Kollege Friedhoff, Sie haben schon recht: Herr Stollmann ist ein interessanter Fall. Er ist gegen Betriebsräte, er ist gegen Ladenschlußgesetze, er ist gegen Kohlesubventionen, er ist gegen staatliche Steuerung, er ist gegen die Rücknahme der Wirtschaftsreformen. Wenn das Modell Stollmann Grundlage eines Bündnisses für Arbeit werden sollte, dann wird der DGB an den 8 Millionen DM, die er jetzt in den Wahlkampf für die SPD steckt, noch hart zu knabbern haben. Ich jedenfalls würde dem DGB empfehlen, aus den 8 Millionen DM in letzter Minute noch eine Rücklage zu machen. Denn spätestens dann, wenn es eine rotgrüne Regierung gäbe, müßte der DGB eine Ausbildungsplatzabgabe zahlen. Denn im vergangenen Jahr hat er ja nur einen Lehrling ausgebildet.
({2})
Meine Damen und Herren, die Diskussion heute hat am Punkt Ausbildungsplatzabgabe ganz deutlich gezeigt: Sie wird eingeführt, wenn Rotgrün an die Macht kommt. Man hat versucht zu kalmieren; im Startprogramm der SPD wird sie verschwiegen. Aber Lafontaine hat heute morgen klar gesagt: Mit der SPD gibt es eine Ausbildungsplatzabgabe.
({3})
Mir aber hat noch nie jemand erklären können, warum ein Bäckermeister eine Ausbildungsplatzabgabe zahlen soll, wenn er keinen Lehrling findet.
({4})
Wir brauchen in diesem Jahr 645 000 Lehrstellen; das sind 10 000 Lehrstellen mehr als im vorigen Jahr. Wir haben gestern von der Bundesanstalt für Arbeit gehört, uns fehlen derzeit noch 20 000 Lehrstellen. Nicht dazugesagt wurde: Das sind 15 000 weniger als zur gleichen Zeit im vorigen Jahr. Diese Stellen werden wir - das hat die Entwicklung in all den letzten Jahren gezeigt - in den nächsten Wochen und Monaten mit Sicherheit noch bekommen. Alleine bei den Industrie- und Handelskammern sind bis Ende Juli bereits 7,2 Prozent mehr Ausbildungsverträge eingeBundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
tragen als im Vorjahr. Das heißt im Klartext - da können Sie sagen, was Sie wollen -: In diesem Jahr wird es erneut keine Lehrstellenkatastrophe geben.
34 neue Berufe, Änderung der Ausbildereignungsverordnung, 4 Prozent mehr Lehrstellen bei der Bundesverwaltung, Sonderprogramm Ost - all das sind konkrete Schritte für junge Leute, die eine Lehrstelle suchen, während der SPD wiederum nur Bürokratie und zusätzliche Abgaben einfallen.
({5})
Bei der Forschung das gleiche Bild: Die SPD jammert und klagt - und übersieht, daß Deutschland längst zum Innovationsstandort Nummer eins in Europa geworden ist. Mit 15,4 Milliarden DM steigt der Haushalt für Forschung und Bildung im nächsten Jahr um 0,5 Milliarden DM. Er liegt damit, trotz der Rückführung der Staatsquote auf 48 Prozent, die notwendig war, um 200 Millionen DM über dem Volumen des Haushaltes 1994. Bis zum Jahr 2002 wird er gegenüber dem Finanzplan 1997 um mindestens weitere 2,2 Milliarden DM steigen.
Das heißt, wir können im Bereich Forschung und Technologie auch im Aufbau Ost weiterhin eine Priorität setzen - im nächsten Jahr eine erneute Steigerung, von 3,1 Milliarden DM auf 3,2 Milliarden DM. Wir können bei der erkenntnisorientierten Grundlagenforschung mit einem Anteil von knapp 30 Prozent im internationalen Vergleich weiter an der Spitze liegen. Wir können die Projektförderung um 8,5 Prozent steigern, die institutionelle Förderung um 2,6 Prozent.
Meine Damen und Herren, neben dem staatlichen Sektor geht es jetzt Gott sei Dank auch im privaten Forschungssektor wieder bergauf. Ich kann Ihnen dazu einige neue Zahlen nennen: Nach den jüngsten Unternehmensmeldungen sind die Ausgaben der deutschen Wirtschaft für Forschung und Entwicklung im vergangenen Jahr gegenüber 1995 um mehr als 10 Prozent gestiegen. Auch beim Forschungspersonal gibt es eine Trendwende. Nachdem die Zahlen 1996 noch gesunken sind, gab es 1997 wieder einen deutlichen Anstieg um 3 Prozent.
Deutschland ist im Bereich Forschung und Innovation auf dem Vormarsch. Das läßt sich mit Fakten belegen; darüber braucht man nicht groß zu reden.
({6})
- Sie können von mir aus „Hurra!" brüllen; ich habe überhaupt nichts dagegen. Forschung und Innovation sind nämlich wichtig für neue Arbeitsplätze und die Zukunft dieses Landes. Das kann man, verehrter Kollege Schreiner, inzwischen als großer Schreier in diesem Hause öffentlich bekannt, auch durch Schreien nicht negieren.
Die Anzahl der Bio-Tech-Firmen hat sich innerhalb von zwei Jahren vervierfacht. Die Anzahl neuer Multimedia-Unternehmen hat sich pro Jahr verdreifacht. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr erstmals mehr PCs als Autos verkauft, und wer die deutsche Seele kennt, der weiß, was das heißt. Wir liegen in der Umwelttechnik mit 18,7 Prozent am Weltmarkt wieder auf Platz eins. Bezüglich der Weltmarktpatente liegen wir vor Japan und den USA. Wir haben mit drei neuen Solarzellenfabriken und 50 Megawatt jährlicher Produktionskapazität den Vorstoß in die Weltspitze erreicht; die USA haben zur Zeit 39 Megawatt. Inzwischen werden in der Informationswirtschaft 90 000 Leute gesucht. Die Plätze können nicht besetzt werden, weil die Ausbildung nicht nachgekommen ist.
Meine Damen und Herren, mir ist inzwischen klar, warum im „Time Magazine" wieder vom „German miracle", dem deutschen Wirtschaftswunder, gesprochen wird. Mir ist klar, warum auf dem amerikanischen Innovationsgipfel in Sachen Innovation, Technologie und Forschung vor der deutschen Konkurrenz gewarnt wird. Ich glaube, daß es für dieses deutsche Innovationswunder nur eine einzige Gefahr gibt, nämlich daß Schröder die Gelegenheit bekommt, das, was er in Niedersachsen gemacht hat, in ganz Deutschland zu wiederholen. Das ist die einzige Gefahr.
({7})
High-Tech-Unternehmensgründungen: Niedersachsen liegt, verglichen mit den anderen Bundesländern, an letzter Stelle. In keinem Land gibt es weniger Unternehmensgründungen im High-Tech-Bereich als in Niedersachsen. Patentanmeldungen: Niedersachsen liegt auf dem drittletzten Platz der westdeutschen Flächenländer, darunter liegen nur noch das Saarland und Schleswig-Holstein. Hochschulausgaben: Niedersachsen liegt auf dem vorletzten Platz aller Bundesländer. 31,28 DM - Sie haben richtig gehört: ganze 31,28 DM - pro Jahr und Kopf ist Herrn Schröder der Hochschulbau wert. Lehrstellen: Auf 100 Bewerber kamen nur 95 Lehrstellenangebote. Das ist die schlechteste Relation in den alten Ländern.
Der Mann ist eben ein Innovationsrisiko ersten Ranges.
({8})
Daß er von Kultur keine Ahnung hat, konnten wir am Sonntag im Fernsehen sehen, als er mit ReichRanicki diskutiert hat. Er hat aber auch von Forschung und Innovation keine Ahnung. Jüngst hat er gefordert, wir müßten etwas beim Risikokapital tun. Der Mann hat einfach nicht mitbekommen, daß 1997 in Deutschland 71 Prozent aller Seed-capital-Finanzierungen Europas bereitgestellt wurden. Er hat nicht mitbekommen, daß 1997 mehr als 450 Millionen DM an Kapitalbeteiligungen für kleine High-TechUnternehmen durch das BTU-Programm mobilisiert wurden - Tendenz steigend: dieses Jahr 750 Millionen DM, nächstes Jahr über 1 Milliarde DM. Er hat nicht mitbekommen, daß ausländische Investoren den Standort Deutschland für Investitionen in Forschung und Technologie wiederentdeckt haben. Er hat nicht mitbekommen, daß junge Leute, die ins Ausland gegangen sind, inzwischen wieder zurückkommen. Es gibt kein Land, meine Damen und Herren, in dem sich in den letzten Jahren so viel in Sachen Innovation getan hat wie in Deutschland.
Selbst in Sachen Genehmigungen sind wir inzwischen, was keiner geglaubt hat, vorangekommen. Die Dresdner Chip-Fabrik wurde - man höre - in vier
Monaten rechtskräftig genehmigt, die neue SiemensFabrik für Medizintechnik in Erlangen in sechs Wochen, die neue Rechnerfabrik von Hewlett Packard bei Böblingen ebenfalls in sechs Wochen. Daß das natürlich wieder in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen stattgefunden hat, verwundert mich nicht.
({9})
Mein Traum wäre jetzt noch, daß das Ganze nicht nur für große High-Tech-Firmen in Deutschland gang und gäbe wird, sondern daß der eben schon angesprochene Bäckermeister für die Erweiterung seiner Backstube überall in Deutschland genau dieselben Genehmigungszeiten bekommt. Das wäre eine riesige Innovation.
({10})
Apropos Handwerk: Von den 100 000 jungen Leuten, die jetzt Meister-BAföG erhalten, werden sich 70 000 in den nächsten Jahren selbständig machen. Diese Firmen brauchen wir genauso wie die Technologiefirmen. Wir müssen sie auch genauso behandeln wie jede High-Tech-Investition.
Es war heute morgen schon spannend, als ich Herrn Lafontaine zum Thema „Meister-BAföG" gehört habe. Das habe ich als zuständiger Minister ja nun höchstselbst gemacht. Wie man so Wahrheit verdrehen oder unter partieller Wahrnehmungsverdrängung leiden kann, habe ich nun wirklich noch nie erlebt.
({11})
Als ich das Gesetz eingebracht hatte, damals zustimmungspflichtig, ist es an Herrn Lafontaine und Herrn Schröder gescheitert.
({12})
Erst als ich es zustimmungsfrei wieder eingebracht habe, kam Herr Schröder um die Ecke und hat gesagt: Laßt uns lieber zustimmen, ehe wir nachher auf der Schattenseite der Veranstaltung stehen.
({13})
Jetzt zu sagen: „Ich habe das gemacht", ist schon ein tolles Stück. Jede Innovation ist der SPD in diesen vier Jahren immer nur unter Zwang abgepreßt worden. Das ist die Wahrheit.
({14})
Das gilt übrigens auch für das neue Hochschulrahmengesetz, das Gott sei Dank seit letzter Woche in Kraft ist. Hätten wir das nicht von Anfang an zustimmungsfrei hier im Bundestag beschlossen, wären wir hängengeblieben. Jetzt gibt es mehr Wettbewerb, mehr Freiheit, es gibt mehr Vielfalt und mehr Internationalität für unsere Hochschulen - wieder einmal gegen die SPD, nur mit der Koalition.
({15})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor einiger Zeit sagte mir ein Aussiedler einen wunderschönen Satz, den ich Ihnen zum Abschluß wiedergeben will - manchmal haben diejenigen, die es von außen betrachten, einen etwas schärferen Blick -: Wissen Sie, Deutschland ist kein Traumland, aber es ist ein Land, in dem man seine Träume verwirklichen kann.
Daß das so bleibt, dafür werden wir am 27. September sorgen, zusammen mit allen Menschen, die stolz auf dieses Land sind.
({16})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rudolf Dreßler, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Bundeshaushaltes, den die Wählerinnen und Wähler alsbald der Kategorie „Makulatur" zuordnen werden, lohnte die sozialpolitische Auseinandersetzung drei Wochen vor Neuwahlen eigentlich nicht.
({0})
Man könnte über ihn hinweggehen. Daß das diesmal anders ist, liegt daran, daß er den vorläufigen Endpunkt einer Entwicklung markiert, die auf eine tiefgreifende Veränderung unserer Gesundheitsversorgung und der Rentenversicherung abzielt.
({1})
Es ist auch deshalb anders, weil dieser Haushaltsentwurf das indirekte Versprechen der noch amtierenden Koalition enthält, mit dieser Veränderung fortzufahren, wenn Wählerinnen und Wähler sie lassen würden.
Verändert werden soll nämlich die solidarische Absicherung gesundheitlicher Risiken. An ihre Stelle soll deren weitestmögliche Privatisierung treten. Verändert werden soll die hälftige Finanzierungsverantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. An ihre Stelle soll die ausschließliche oder überwiegende Finanzverantwortung der Arbeitnehmer treten. Verändert werden soll der sozial gerechte Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken. An seine Stelle soll eine stärkere Belastung ausschließlich der Kranken treten. Verändert werden soll die Schutzwirkung starker Sozialversicherungssysteme für alle. An ihre Stelle soll peu à peu das individualisierte Versicherungsverhältnis für den einzelnen treten. Verändert werden soll die Akzeptanz unserer Rentenversicherung; statt Sicherheit immer größere Zweifel in die Leistungsfähigkeit dieser Rentenversicherung.
Das alles, meine Damen und Herren, läßt sich belegen. Die Stichwörter dazu liefern die Regelungen des sogenannten Beitragsentlastungsgesetzes der Bundesregierung, des 1. und des 2. sogenannten GKVNeuordnungsgesetzes, die Kürzungen des zugesiRudolf Dreßler
cherten Rentenniveaus, die radikalen Einschnitte in die Erwerbsunfähigkeitsrente. Diese Regelungen zeigen: CDU/CSU und F.D.P. haben das Ziel einer solidarisch organisierten Gesundheitssicherung - das ist eine qualitativ hochstehende Gesundheitsversorgung für alle, unabhängig vom Einkommen und zu tragbaren Preisen - aufgegeben.
({2})
Meine Damen und Herren, die Regierung Kohl hat auch eine ausreichende Rentenhöhe aufgegeben. Die Veränderungen, die CDU/CSU und F.D.P. in den vergangenen Jahren bereits durchgesetzt haben und noch weiter durchsetzen wollen, wenn die Wählerschaft sie läßt,
({3})
werden die soziale Krankenversicherung zerstören. Genau das ist auch die eigentliche Absicht.
({4})
Die Koalition hat sich angeblich die Stabilisierung der Krankenversicherungsbeiträge zum Ziel gesetzt. Schön wäre es ja, wenn sie es nach 16 Regierungsjahren endlich täte.
({5})
Aber sie tut es nicht. Statt dessen veranstaltet sie Schwindelmanöver, zum Beispiel beim Zahnersatz. CDU/CSU und F.D.P. setzen durch, daß nach 1978 Geborene nie mehr in ihrem Leben auch nur einen Pfennig an Zahnersatzleistungen von ihrer Krankenkasse erhalten werden, selbst wenn sie 100 Jahre alt werden sollten.
({6}) Was machen die betroffenen Menschen?
({7})
Es handelt sich ja um Familien mit Kindern. Wenn sie verhindern wollen, daß ihre Kinder später einmal ohne Versicherungsschutz beim Zahnersatz dastehen, bleibt ihnen nur eines: Sie müssen dieses Risiko bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen zusätzlich zu ihrem Krankenkassenbeitrag versichern, sofern sie dazu finanziell in der Lage sind. Ich frage, wo für die Betroffenen der Beitrag eigentlich stabilisiert und wo gespart worden ist.
({8})
Die Wahrheit ist, daß nicht nur nichts gespart worden ist, sondern daß die Betroffenen in der Summe noch höhere Beiträge als je zuvor zu zahlen haben.
({9})
Die sogenannte Stabilisierung von Gesundheitsausgaben in der Arzneimittelversorgung läuft nach ähnlichem Muster ab: CDU/CSU und F.D.P. haben die Selbstbeteiligung in bis vor kurzem unvorstellbare Höhen getrieben. 9 DM, 11 DM, 13 DM je Pakkung bedeuten in der täglichen Praxis, daß die Patienten einen guten Teil - in manchen Indikationsbereichen bis zu 80 Prozent - der Arzneimittelversorgung ganz allein zu bezahlen haben.
({10})
- Bei diesem Sachverhalt gibt es einen Abgeordneten der CDU/CSU, der nichts anderes tut, als sich darüber lustig zu machen. Das muß man sich vergegenwärtigen.
({11})
Sie kassieren bei Patienten ab und lachen sich hier im Bundestag einen Ast. Was Sie hier tun, ist so schäbig, Herr Abgeordneter. Sie sollten sich schämen, sich auch noch darüber lustig zu machen, daß Sie bei Patienten abkassieren.
({12})
Das ist noch nicht einmal Pseudostabilität in der Krankenversicherung, das ist politische Roßtäuscherei.
Auch sollten Sie Ihren berühmten Satz von der Eigenverantwortung der Leute wirklich einmal einen Augenblick bedenken.
({13})
Heißt das mit anderen Worten, daß ein Krankenversicherter, der nach unseren gesetzlichen Regeln bis zu 11000 DM im Jahr an Krankenversicherungsbeitrag leisten muß, keine Eigenverantwortung zeigt und keine Eigenvorsorge betreibt? Wie behandeln Sie eigentlich Menschen, die so viele Tausende von Mark in die Krankenversicherung einzahlen? Sie tun so, als hätten diese Menschen keine Eigenverantwortung. Es ist unglaublich, wie Sie sich hier benehmen.
({14})
Der Bundesgesundheitsminister, der diesen Kurs der Entsolidarisierung und Krankenbestrafung anger steuert und zu verantworten hat, gefällt sich heute in der Rolle eines angeblichen Retters der Patienteninteressen. Höhere Zuzahlungen werde es mit ihm nicht mehr geben,
({15})
hat er 1994 gesagt. Anschließend hat er das Zuzahlungsvolumen mehr als verdoppelt. Wer soll ihm eigentlich heute glauben, wenn er vor Wahlen das gleiche wieder sagt,
({16})
zumal die nächsten Zuzahlungserhöhungen durch periodische Dynamisierung und Verknüpfung mit der Beitragssatzerhöhung schon im Gesetz stehen, allerdings erst am 1. Januar 1999 in Kraft treten?
Die SPD wird bewirken, Herr Seehofer, daß Sie keine Zuzahlungen mehr erhöhen können, weil wir dafür sorgen werden, daß Sie selbst nur noch drei Wochen im Amt bleiben.
({17})
Ja, es dämmert auch Ihnen langsam, daß Ihre Zeit vorbei ist. Und das ist gut so.
({18})
Dieser Minister, meine Damen und Herren, der durch seine Gesundheitspolitik die Menschen mit immer höheren Gesundheitsausgaben striezt, ist ja nicht nur für das Gesundheitswesen, sondern auch für die Sozialhilfe zuständig. Nun hat uns Bundesfamilienministerin Nolte in einem ihrer bekannten intellektuellen Höhenflüge mit dem neuen Armutsverständnis dieser Bundesregierung bekannt gemacht.
({19})
Sinngemäß hat sie gesagt, Armut sei nie allein eine Frage des zu geringen Einkommens, sondern immer auch eine Frage, wie man in der Lage sei, mit geringem Einkommen umzugehen. Intellektuell weniger Begabte als Frau Nolte, also Leute wie ich, neigen dazu, solche Gedankengänge in eine etwas volkstümlichere Sprache zu bringen. In der volkstümlichen Fassung besagt der Satz von Frau Nolte nichts anderes, als daß arm nicht der ist, der zuwenig hat, sondern der, der zu dumm ist, damit umzugehen.
({20})
Dieser wahrhaft schändliche Nolte-Satz ist selbst in Wahlkampfzeiten, meine Damen und Herren, unentschuldbar.
({21})
Er beweist ja nicht nur, daß diese Regierung jeden Kontakt zur Wirklichkeit verloren hat, sondern auch, daß sie bereit ist, um billiger Wahlkampfeffekte willen die Schwächsten in unserer Gesellschaft auch noch verächtlich zu machen.
({22})
Wie weit geht Ihre Schamlosigkeit eigentlich, frage ich Sie.
Da kommt dann der für Sozialhilfe zuständige Herr Seehofer her und setzt noch eins drauf. Er erklärt, die Zahl der Sozialhilfebezieher sei kein Armutsindikator.
({23})
- Sagen Sie mal, Herr Seehofer, glauben Sie solchen Quatsch eigentlich selber?
({24})
Wenn Sozialhilfebezug kein Beweis für Armut der Betroffenen ist, für was steht er denn? Etwa für ein auskömmliches Leben? Ich weiß ja, daß diese Regierung und insbesondere Herr Seehofer denjenigen, die nicht in ausreichendem Maße für sich selbst sorgen können, ans Leder wollen. Aber dann stehen Sie doch wenigstens dazu und hören Sie auf, finanzielle Hilfsbedürftigkeit von Menschen wider besseres Wissen umzudefinieren!
({25})
Meine Damen und Herren, auch wenn CDU/CSU und F.D.P. das mittlerweile alles vergessen haben:
({26})
Armut beseitigt man dadurch, daß man hilft und sie bekämpft, aber nicht dadurch, daß man sie verleugnet. Das hat überhaupt keinen Zweck.
({27})
Armut beseitigt oder bekämpft man im übrigen auch nicht dadurch, daß man das Rentenniveau von 70 auf 64 Prozent zusammenkürzt. Das schafft nämlich immer noch neue Armut.
({28})
- Ich darf Sie kurz daran erinnern, damit Sie heute noch eine kleine Exkursion mitnehmen: Damals hatten wir die Bruttoanpassung, und damals hatten wir sogar ein Nettorentenniveau von unter 64 Prozent. Dann haben die Regierung Brandt und die Regierung Schmidt das Rentenniveau auf die Höhe von über 70 Prozent gebracht,
({29})
die Sie 1982 übernommen haben, meine Damen und Herren. Das wollen wir einmal klarstellen. Biegen Sie also nicht unsere jüngere Geschichte um!
({30})
Meine Damen und Herren, noch ein paar Bemerkungen zur Rentenpolitik. Die Rentenpolitik dieser Koalition leidet vor allem an einem: an einem Mangel an Stetigkeit und Verläßlichkeit. Der ist zurückzuführen auf eine beinahe schon hemmungslose Zahlenklempnerei des verantwortlichen Sozialministers. Herr Blüm, wie ist das eigentlich mit der Beitragssatzsenkung auf deutlich unter 20,3 Prozent, die Sie Anfang dieses Jahres für den 1. Januar 1999 in Aussicht gestellt haben? Kommt sie nun, oder kommt sie nicht? Ich will es Ihnen sagen: Sie kommt nicht. Nachdem Herr Blüm selbst schon einräumen mußte, aus dem „deutlich" werde nichts - er redet ja jetzt von 20,2 Prozent -, hat er nun rein zufällig in der Sommerpause folgendes entdeckt: Der aktuelle Beitrag von 20,3 Prozent, den er für die Rentenversicherung im laufenden Jahr festgelegt hat, sei um 0,3 ProRudolf Dreßler
zent zu niedrig angesetzt gewesen, um die gesetzlich vorgesehene Schwankungsreserve zu erfüllen. Also muß nach 1999 nachfinanziert werden. So sieht es das Gesetz vor. Daß das eine SPD-geführte Bundesregierung machen muß, sage ich nur am Rande. Aber das ist die Rentenerblast von Herrn Blüm: eine Ende des Jahres nicht mehr vorhandene gesetzlich vorgeschriebene Schwankungsreserve von 24 Milliarden DM, einer Monatsausgabe. In allen Prognosen wird von maximal 19 Milliarden DM ausgegangen. Das heißt, Norbert Blüm hinterläßt eine 5-MilliardenLücke, die in diesem Haushaltsentwurf nirgendwo gedeckt ist.
({31})
Also: Es müßte nachfinanziert werden. Deshalb prophezeie ich Ihnen: Sie könnten, wenn Sie weitermachen dürften, Herr Blüm, den Rentenbeitragssatz noch nicht einmal von 20,3 Prozent auf 20,2 Prozent senken. Sie würden erhöhen müssen, wenn Sie im Amt blieben. Aber da Sie nicht im Amt bleiben, wird eine sozialdemokratisch geführte Regierung diese Erhöhung verhindern.
({32})
- Wir haben nämlich, Frau Dr. Babel, auch wenn Sie es nie begriffen haben, kein Ausgabeproblem in der Rentenversicherung, sondern ein Einnahmeproblem. Ich sage das, damit es ganz klar ist.
({33})
Sie werden sich, Frau Dr. Babel, an folgendes gewöhnen müssen - auch wenn Sie diesem Hohen Hause nicht mehr angehören -: Egal, ob Walter Riester, Rudolf Dreßler, Ottmar Schreiner oder Ulrike Mascher, wir werden sozialdemokratische Grundsatzpolitik hier mehrheitlich gegen Sie durchsetzen und Ihre Kürzungen korrigieren. Auch das sage ich, damit es völlig klar ist.
({34})
Wir werden zum Beispiel
({35})
das Einnahmeproblem anpacken, indem wir die sogenannten 620-DM-Jobs, die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, sozialversicherungspflichtig machen. Wir werden endlich die Scheinselbständigkeit bekämpfen, die Sie mittlerweile millionenfach in Deutschland haben einführen lassen. Das ist auch ein Einnahmeproblem.
({36})
Zurück zur Kürzung des Rentenniveaus: Der erste Schritt soll nach den Beschlüssen von CDU/CSU und F.D.P. am 1. Januar 1999 erfolgen. Das hätte eine Verminderung der Rentenerhöhung zum 1. Juli 1999 von 0,53 Prozent zur Folge. Der Sozialbeirat, also das Beratergremium von Herrn Blüm, prognostiziert in dieser Woche für diesen Fall für 1999 eine Rentennullrunde. Für die Rentner, für die sich der Krankenkassenbeitrag erhöhen würde, ergäbe sich dann sogar ein reales Minus. Ich darf Ihnen sagen, Herr
Blüm: Auch das wird nicht geschehen, weil eine SPD-geführte Bundesregierung die Senkung des Rentenniveaus unverzüglich rückgängig machen wird. So einfach ist das.
({37})
Allein diese beiden Beispiele zeigen: Die Rentenpolitik muß endlich in verläßliche Hände.
({38})
Sie muß wieder berechenbar werden. Der jetzige Bundesminister, der für die Renten zuständig ist, gehört wahrlich in Rente.
({39})
Die Regierung ist nicht nur völlig aus dem Tritt geraten; vielmehr ist sie auch ziellos. Politik als konzeptioneller Gesamtentwurf und Politik als Wertorientierung gibt es schon lange nicht mehr. Unser Land braucht wirklich einen neuen Anfang. In der Sozialpolitik brauchen wir wieder eine klare Zielorientierung statt bloßer Klientelbedienung. Die SPD steht für unsere Sozialsysteme. Wir stehen für die soziale Kranken- und Rentenversicherung. Wir stehen für die Verpflichtung des Staates, für eine bezahlbare und qualitativ hochstehende Gesundheits- und Altersversorgung der Bürger zu sorgen. Deshalb werden wir die Gesundheitsausgaben in einem Korridor von 9 Prozent des Volkseinkommens halten und so den medizinischen Fortschritt weiterhin allen zugänglich machen.
({40})
Wir werden die Gesundheitsvorsorge gleichberechtigt neben die Behandlung von Krankheiten stellen und so die Bekämpfung der Krankheitsursachen endlich ernst nehmen. Wir werden die Finanzierung unserer Krankenhäuser auf eine neue Grundlage stellen und wirtschaftlicher gestalten.
({41})
Wir werden die ärztlichen Honorare an vernünftigen Prinzipien orientieren und endlich dafür sorgen, daß nicht eine immer größer werdende Zahl von zugelassenen Vertragsärzten die finanziellen Grundlagen unserer Krankenversicherung erschüttert. Wir werden den Arzneimittelmarkt neu ordnen und von therapeutischem Unsinn befreien.
({42})
Wir werden aus der Sozialhilfe wieder ein Instrument zur Armutsbekämpfung statt zur Armutsbestrafung machen, und zwar zur Armutsbekämpfung in besonderen Lebenslagen und nicht als Reparaturbetrieb dieser Gesellschaft.
({43})
Wir werden das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung als Kern der Altersversorgungssysteme erneuern und sie wieder auf verläßlichen, kalkulierbaren Boden stellen. Wir werden in einer
längerfristig angelegten Rentenreform einen Vorsorgefonds schaffen, um so die sich aus der demographischen Entwicklung ergebenden Probleme zu lösen.
Meine Damen und Herren, es wird Zeit, daß die Gesundheits- und Sozialpolitik wieder auf eine vernünftige Grundlage gestellt wird. Denn eines haben die Menschen bei dieser Koalition in den vergangenen 16 Jahren wirklich begriffen: Eine Gesellschaft macht mehr aus als die Summe aller guten Geschäfte, die sich in ihr erzielen lassen.
({44})
Für ein solches Gesellschaftsbild werden wir sorgen. Ich danke Ihnen.
({45})
Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dreßler hat vom Einnahmeproblem der Rentenversicherung gesprochen. Wissen Sie, was das größte Einnahmeproblem ist?
({0})
Die SPD!
({1})
Ich will das erklären. Sie wollen die Reformen zurücknehmen und die Beiträge senken. Das ist das größte Einnahmeproblem, das ich überhaupt kenne.
({2})
Sie wollen die Reformen zurücknehmen - das bedeutet eine Mehrbelastung bis 2030 von 500 Milliarden DM, dynamisiert 1 Billion DM. Gleichzeitig wollen Sie die Beiträge senken. Wissen Sie, was das ist?
({3})
Das ist Wählerverdummung. Das ist Wählertäuschung. Das ist eine Beleidigung der Wähler, weil Sie sie für so dumm halten, Ihnen zu glauben, man könne mehr Ausgaben mit weniger Einnahmen bezahlen. Das ist nun wirklich der Höhepunkt.
({4})
Nummer zwei. Ich halte fest: Die Nullrunde bei der Rente im nächsten Jahr ist eine Ente, gefüllt mit SPD-Wahlkampfmüll. In Übereinstimmung mit den Rentenversicherungsträgern gehen wir von einer positiven Rentenanpassung im nächsten Jahr aus. Die genaue Zahl wird wie immer im März nach der Lohnentwicklung dieses Jahres festgelegt.
Weiter zur Rentenpolitik: Herr Kollege Dreßler, können Sie mir einmal erklären, welches SPD-Rentenmodell - ich kenne nämlich mindestens fünf, wie in einem Versandhaus: für jeden Kunden etwas - nun gilt?
({5})
Herr Schröder sagt: Bei den Rentnern verändern wir gar nichts, und die Beiträge senken wir. Bei den Rentnern verändern wir gar nichts, aber dafür werden die heute aus der Schule Entlassenen in 40 Jahren eine Basissicherung bekommen. Das ist aus meiner Sicht, um es kurz zu machen, Betrug an den Jungen. Dies hieße ja, daß sie zunächst einmal die Beiträge für die Rentner unverändert weiterbezahlen
- Rentensteigerung -, und dafür bekommen sie, wenn sie selber in Rente gehen, nur eine Basissicherung.
Aber es wird noch schöner. Herr Lafontaine spricht von einer demographischen Formel, die Sie, Herr Dreßler, abgelehnt haben.
({6})
- Das war aber streng vertraulich. Ich habe das nicht gehört. Sie haben doch in Ihrer eigenen Vorlage gesagt - habe ich das richtig in Erinnerung? -, daß auf die Demographie erst nach 2015 geantwortet werden müßte.
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- Soll ich die Papiere holen? Hat jemand die Papiere da? Dann lese ich die Dreßler-Papiere vor. 2015 - so als würde sich die Lebenserwartungsverlängerung nach den Beschlüssen der SPD richten. Bleiben wir erst einmal dabei: Lafontaine sagt, eine Demographieformel muß eingebaut werden, aber ohne Folgen für das Niveau. Das ist wieder so ein Kunststück: Demographieformel ohne Folgen.
Dann kommt Herr Kollege Dreßler: Es soll ein Vorsorgefonds gebildet werden,
({8})
mit 1 Prozent Beitrag der Rentner. Ist das eine Minderung der Rente, oder ist das nicht eine Minderung der Rente? Die jährliche Anpassung nach der Demographieformel beträgt übrigens 0,4 bis 0,5 Prozent.
Wir sind aber noch gar nicht fertig. Dann kommt Herr Riester. Er kann soviel reden, wie er will. Er hat Sympathie für das dänische Modell gezeigt, und das dänische Modell ist relativ eindeutig definiert: 1000 DM, steuerfinanziert, für alle, ob Millionär oder nicht Millionär - das Geld wird aus dem Fenster geworfen -, dann noch 500 DM bedürfnisabhängig.
Halten wir also fest: Dreßler gegen Demographie, Lafontaine für Demographie, Schröder: Bei den Alten passiert nichts, bei den Jungen Basissicherung, und Riester für das dänische Modell.
Jetzt komme ich zum fünften Modell. Das steht im Wahlprogramm der SPD. Kleine Renten werden bedürfnisabhängig aufgestockt. Gut. Da ja nicht alle kleinen Renten Renten von armen Leuten sind, sondern in vielen Fällen ein zweites oder sogar ein drittes Alterseinkommen vorhanden ist - die Zahlen kenBundesminister Dr. Norbert Blüm
nen Sie -, müssen Sie also 10 Millionen Rentner einer Bedürfnisprüfung unterziehen. 10 Millionen! Die Rentenversicherung hat übrigens dafür überhaupt keine Unterlagen. Sie müßte ein richtiges Bedürfnisprüfungsinstitut einrichten. Gut, das kann sie ja machen.
Jetzt wird es aber noch spannender. Das Ganze soll aufgestockt werden auf eine Mindestrente, die, wie auch Riester sagt, etwas über der Sozialhilfe liegen soll. Jetzt wird es konfus. Das heißt, eine alleinstehende Mutter mit einem Kind bekommt möglicherweise ihr ganzes Leben lang Sozialhilfe. In dem Moment, wo sie 65 Jahre wird, bekommt sie eine Mindestrente oberhalb der Sozialhilfe. Ein Behinderter, der nie Beiträge zahlen kann, bleibt auf Sozialhilfe pur, einer, der ein paar Jahre Beitrag gezahlt hat und - aus welchen Gründen auch immer - dann nicht mehr weiterzahlt, wird möglicherweise auf „Sozialhilfe plus" aufgestockt.
Wir können die Konfusion noch weitertreiben. Anschließend muß sich ja der beitragsbezogene Anteil der Rente durch Anpassung jährlich so entwickeln wie die Löhne. Wie denn sonst; der Beitrag ist doch vom Lohn bezahlt. Der bedürfnisabhängige Teil kann aber nicht an die Lohnentwicklung gekoppelt werden; denn die Lohnentwicklung sagt ja nichts über die Bedürfnisse. Er müßte dann preisabhängig sein. Ich sage Ihnen voraus: Zehn Jahre danach ist das Rentenchaos eingetreten.
Deshalb: Wir bleiben bei der beitragsbezogenen Rente, und zwar aus Gründen der Generationengerechtigkeit. Selbst wenn die Kasse prall gefüllt wäre, wäre es ein Gebot der Gerechtigkeit. Wenn die Renten länger bezogen werden, als es früher der Fall war, dann müssen sich an der Finanzierung der längeren Rentenlaufzeit auch diejenigen beteiligen, die die Leistungen Gott sei Dank in Anspruch nehmen können - also auch die Älteren, nicht nur die Jüngeren.
Für uns besteht Rentenversicherung aus der Generationensolidarität von Jung und Alt. Die Alten haben nach einem erfüllten Arbeitsleben einen Anspruch auf eine anständige Rente und auf keine Bedürfnisprüfung.
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Wenn einer ein Leben lang gearbeitet und Beitrag gezahlt hat, kriegt er eine anständige Rente. Wenn ich eine Feuerversicherung abschließe und das Haus brennt ab, fragt mich auch niemand: Hast du noch ein zweites Haus? Da wird gefragt: Hast du bezahlt? Ich möchte keinen Staat, der ständig Bedürfnisprüfungen durchführt.
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Die Rentenversicherung hat etwas mit einem Leistungsanspruch zu tun.
Freilich, Existenz muß gesichert werden. Das ist ein anderes Instrument. Man kann Sozialhilfe und Rentenversicherung besser miteinander verzahnen. Man muß die Leute nicht von Schalter zu Schalter schicken, aber es sind zwei unterschiedliche Finanzierungssysteme. An dem Kampf gegen die Armut müssen sich nicht nur die Beitragszahler beteiligen, sondern alle Steuerzahler. Rente hat nach meinem Verständnis nichts mit Existenzsicherung zu tun, sondern mit der Leistungsgerechtigkeit derjenigen, die gearbeitet und Beitrag gezahlt haben.
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Ich komme noch einmal zu Ihrem Rentenkürzungsbeispiel. Es wird ja ständig wiederholt. Ich gestehe mit Schrecken, es hat sogar Wirkung. Nur entspricht es nicht den Tatsachen.
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- Das wollen Sie auch so. Unter Kürzung verstehen die Rentner, ihre Rente wird reduziert.
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Richtig ist, daß der Anstieg sachter verläuft.
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- Hören Sie doch zu! Wenn ich aufklären will, brauchen Sie mir doch bei dieser Aufklärung nicht ins Wort zu fallen.
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Aus 1500 DM Rente wird nach 30 Jahren ohne Reform eine von 3431 DM, mit Reform eine von 3 242 DM.
Wenn Sie mich fragen: Der größte Gewinn für die Rentner in dieser Zeit ist Stabilität: keine Preissteigerung.
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Was hatte ein Rentner von 7 Prozent Preissteigerung zu Schmidts Glanzzeiten? Was hatten die Menschen davon? Der Wert ihrer Kaufkraft ist gemindert worden.
Meine Damen und Herren, beim Rentenniveau können Sie mit brutto und netto noch soviel mit Nebelkerzen werfen. Machen Sie nicht soviel Watte darum herum. Unter Brandt, den ich gegen Ihre Vorwürfe in Schutz nehme - eine andere Politik wäre Rentnerverelendung gewesen -, lag das Rentenniveau unter 64 Prozent. Das werden wir erst im Jahre 2030 erreichen. Machen Sie nicht so viele Worte mit „brutto" und „netto"! Das verwirrt. Es bleibt dabei: Damals war das Rentenniveau unter dem für 2030 angesteuerten.
({17})
- Sie haben gar nichts erhöht.
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- Wie auch immer. Es bleibt dabei: Generationensolidarität bedeutet, die Lasten gerecht auf Jung und Alt zu verteilen.
Morgen werden wir wieder etwas von Herrn Schröder hören. Ich sage es Ihnen voraus, was er sagen wird: Er sagt den Alten, was sie hören wollen, den Jungen, was sie hören wollen, den Gewerkschaftern, was sie hören wollen, und den Arbeitgebern, was sie hören wollen. Aber ich kann ihn nicht mehr hören, weil er jedem nach dem Munde redet. Durch diese Art von Rentenpolitik werden die Leute auf den Arm genommen, und dagegen habe ich etwas.
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Von mir aus können Sie das überall so machen, aber in der Rentenpolitik bleiben wir in der Spur. Da werden Sie diesen Zickzackkurs nicht fahren. Schröder fährt doch Slalom und stößt nur deshalb nicht an, weil er sich die Fähnchen auf den Buckel gebunden hat. Diese Art von Politik lassen wir in der Rentenpolitik nicht durchgehen.
({20})
In der Debatte über die Rentenpolitik wurde eines fast völlig vergessen, und dazu will ich etwas sagen: Trotz harter Sparnotwendigkeiten haben wir die Kindererziehungszeiten in diesem Jahr erhöht und werden sie in drei Schritten auf 100 Prozent erhöhen.
({21})
- Frau Mascher, damit wir auch das mit Zahlen belegen können: Für eine Mutter, deren drei Kinder nach 1992 geboren wurden, bedeutet die jetzt beschlossene Verbesserung eine jährliche Rentenerhöhung
({22})
- schreien Sie nicht dazwischen; das soll jeder hören!
- von 1296 DM. Das übertrifft alle Niveauabsenkungen. Das ist unsere Politik. Die heutige Rentenversicherung muß berücksichtigen, daß Kindererziehung auch eine Leistung für die Rentenversicherung ist. Denn ohne Kinder gibt es morgen keine Beitragszahler.
({23}) Darüber haben Sie ja 13 Jahre lang geredet.
Lassen Sie uns ein Thema endgültig erledigen, über das Sie immer viel reden: die sogenannten Fremdleistungen. Im nächsten Jahr gibt es einen Bundeszuschuß von 104 Milliarden DM; dazu kommen 13 Milliarden DM an Erstattung. Ich hoffe, das Thema ist jetzt endgültig vom Tisch, zumal ich den Begriff Fremdleistung gar nicht schätze. Was ist denn Fremdleistung? Das ist doch eine Definitionsfrage. Eine Sozialversicherung hat immer einen Solidarausgleich. Wenn Sie alles, was beitragsfrei ist, zu Fremdleistungen erklären, dann können Sie das Geschäft auch gleich von der Allianz machen lassen. Es gibt in der Rentenversicherung einen regionalen Solidarausgleich - nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch zwischen Nord und Süd -, und es gibt den Ausgleich zwischen Arbeitern und Angestellten. Das ist Gott sei Dank das Wesen einer Solidarversicherung.
({24})
Sicherlich ist die ergänzende Funktion der privaten Vorsorge wichtig; sie wird in Zukunft noch wichtiger. Deswegen haben wir noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz eingebracht und verabschiedet, das die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand regelt. Denn wenn es das Programm „Ergänzung durch private Vorsorge" gibt, dann muß jeder - auch diejenigen mit geringerem Einkommen - daran teilnehmen können. Deshalb führen diese 20 Prozent, mit denen wir die Vermögensbildung durch staatliche Zulage unterstützen, dazu, daß die Rente, wenn fünf Verträge nacheinander abgeschlossen worden sind, zusätzlich um 400 DM - oder in einer Variante für zwölf Jahre um 800 DM - erhöht wird. Wir reden nicht nur darüber, wir machen es auch.
Heute wurde viel über Arbeitnehmerrechte gesprochen. Aus gegebenem Anlaß: Heute habe ich über den Ticker erfahren, daß der DGB die Verletzung von Arbeitnehmerrechten beklagt. Es gibt ein Schwarzbuch „Faire Arbeitsbedingungen - fairer Wettbewerb". Darin sind 48 Beispiele genannt, aber das 49. wurde vergessen. Das ist das Beispiel Stollmann. Wenn der DGB schon die Verletzung von Arbeitnehmerrechten und die Tatsache beklagt, daß keine Betriebsräte gebildet werden, warum wird dann nicht der Betrieb des Schattenwirtschaftsministers von Herrn Schröder genannt? Warum schweigt der DGB dazu?
({25})
- Doch, das kann ich Ihnen sagen. Frau Engelen-Kefer hat gesagt, Herr Stollmann habe dem DGB schriftlich ein Gespräch zugesagt. Das stelle man sich einmal vor! Man stelle sich vor, ein Rexrodt oder Blüm hätte gesagt, Betriebsräte seien nicht nötig, und dann hätte Frau Engelen-Kefer gesagt: Nicht auf Blüm schimpfen, er hat uns schriftlich ein Gespräch zugesagt. Können Sie sich vorstellen, was da los wäre?
({26})
Ich entnehme einer kleinen Notiz in der Zeitung „IG-Metall", daß bei Stollmann - das ist doch euer „Spitzenschattenmann" für die Wirtschaft in diesem Musterbetrieb - die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand zu 40 Prozent durch eine Beteiligung am Betrieb in Form von Darlehen erfolgen soll. Wenn man den Betrieb wechselt, kann man das Darlehen nicht mitnehmen. Damit hat er vor mehreren Arbeitsgerichten verloren - zu Recht!
Deshalb meine Frage: Wo seid ihr Gewerkschafter in der SPD? Ein Mann wie Stollmann hat sich damit gebrüstet - nicht entschuldigt, sondern gebrüstet -, keinen Betriebsrat zu haben, weil, wie er gesagt hat, ein moderner Unternehmer weiß, was seine Arbeitnehmer wollen - und wo ist die SPD? Das ist so ähnlich wie bei Kaiser Wilhelm, der gesagt hat: Ich brauche keine Parteien, ich weiß, was das Volk will.
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Ich habe ja schon viel erlebt - auch in Wahlkämpfen. Aber ich habe noch nicht erlebt, daß meine Gewerkschaft, die IG Metall, daß Klaus Zwickel, der
größte Rambo für alle Proteste und Demonstrationen, ein kraftvoller Redner, jetzt noch Schmiere steht, wenn die SPD einen Mann herausstellt, der Betriebsräte lächerlich macht. Nein, da stelle ich mich mit allen, die es mit der sozialen Partnerschaft gut meinen, vor 220 000 Betriebsräte, die von Schröders Wirtschaftsmann lächerlich gemacht werden. Wenn der DGB seine 8 Millionen DM sinnvoll ausgeben will, soll er Unterschriften gegen Stollmann sammeln, damit endlich Arbeitnehmerinteressen im DGB gewahrt werden.
({28})
- Da gibt es überhaupt nichts zu lachen. Klaus Zwikkel muß eine Suchmeldung aufgeben: Mann ohne Gesicht wird gesucht. Er hat sein Gesicht und seine Glaubwürdigkeit verloren, und das bedauere ich auch als Gewerkschafter, nicht nur als Arbeitsminister.
Aber das wichtigste Thema ist der Arbeitsmarkt. Der Aufschwung hat den Arbeitsmarkt erreicht.
({29})
- Der Aufschwung hat den Arbeitsmarkt erreicht. Warum lachen Sie darüber? Da muß ich den Schröder in Schutz nehmen, hat er doch gesagt: Der Aufschwung, den wir jetzt haben, ist mein Aufschwung.
({30})
Sie sagen, es gibt den Aufschwung gar nicht, von dem er sagt, es sei sein Aufschwung. Das ist ein Stück Überheblichkeit!
Wir haben im Westen im siebten Monat bessere Arbeitslosenzahlen als im Vorjahr, in den neuen Bundesländern im zweiten Monat, und ich sage Ihnen: Der August wird der dritte Monat sein. Suchen Sie nicht nach weiteren Ablenkungsmanövern. Fest steht: Das ist ein Erfolg, und darüber sollten wir uns freuen. Das hat auch nichts mit dem zweiten Arbeitsmarkt zu tun. Sie versuchen immer, Erfolge herunterzureden. Immerhin haben wir bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Fortbildung und Umschulung 32 000 Teilnehmer weniger als im letzten Jahr. Zugenommen haben die Mittel für Strukturanpassungsmaßnahmen. Dies sind zum größten Teil Lohnkostenzuschüsse, und die führen in den ersten Arbeitsmarkt, in den Betrieb und haben mit dem zweiten Arbeitsmarkt gar nichts zu tun.
({31})
Nun gehöre ich nicht zu denen, die sagen, der Staat - schon gar nicht eine einzelne Person - könne sich dieses Verdienst alleine zuschreiben. Der Staat hat an diesem Aufschwung mitgewirkt, aber auch viele Handwerker, Unternehmer und Arbeitnehmer. Allerdings gilt auch: Der Staat hat Mithaftung.
Und nun lese ich von Wolfgang Clement: Wir, die Länder, haben heute mehr Einfluß auf den Standort vor Ort als der Bund. - Wo er recht hat, hat er recht. Dann wollen wir uns doch mal die Länder ansehen.
({32})
Bayern 6,4 Prozent Arbeitslose, Baden-Württemberg 6,8 Prozent, Nordrhein-Westfalen 10,5 Prozent, Niedersachsen 10,8 Prozent, Saarland 11,3 Prozent.
({33})
- Gut, dann wollen wir uns einmal die letzten Monate ansehen, wie bei unterschiedlichen Ausgangspositionen und unterschiedlichen Niveaus, also bei Akzeptanz der unterschiedlichen Startpositionen, der Abbau der Arbeitslosigkeit aussah.
In Westdeutschland insgesamt ist die Arbeitslosigkeit von Juli 1997 bis Juli 1998 um 5,7 Prozent zurückgegangen, aufgeschlüsselt auf einzelne Länder: in Nordrhein-Westfalen nur um 4,8 Prozent, in Niedersachsen um 5,2 Prozent, in Baden-Württemberg um 10,8 Prozent und in Bayern um 8,4 Prozent. Wenn Westdeutschland die Arbeitslosenquote von Bayern hätte, dann hätten wir 829 000 - fast 1 Million - weniger Arbeitslose. Wenn Westdeutschland soviel Arbeitslose wie Niedersachsen hätte, dann hätten wir 538 000 Arbeitslose mehr. Deshalb: Wo Clement recht hat, hat er recht. Für Standortbedingungen sind auch die Länder zuständig. Er hat sogar „mehr zuständig" gesagt. Ich stelle einen eklatanten Unterschied zwischen unionsgeführten Ländern und denjenigen, die unter rotgrüner Führung stehen, fest.
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Auch ich glaube, das eigentlich große, spannende Thema der Zukunft - Herr Biedenkopf hat es heute morgen schon angesprochen - ist, daß der Aufschwung am Arbeitsmarkt nicht alle erreicht. Er erreicht zwar die Jungen, die Ausgebildeten, die „global players". Aber was machen wir mit den ungelernten und mit den älteren Arbeitnehmern, die bei aller Mobilität, die ich schätze, aussortiert werden? Das ist die eigentlich spannende Herausforderung. Eine Antwort darauf heißt: neue Beschäftigungsfelder. Nicht alle Ungelernten werden lernen, einen Computer zu bedienen. Ich denke an neue Beschäftigungsfelder auch bei den einfachen Dienstleistungen: Menschen zu bedienen und auch mit einem höheren Stellenwert auszustatten.
Nur, freilich befinden wir uns hier in einer Zwickmühle. Viele dieser Arbeitsplätze sind mit so geringen Löhnen verbunden, daß man mit ihnen eine Familie nicht ernähren kann. Andererseits kann man die Löhne nicht beliebig in die Höhe schrauben, weil Arbeitsplätze sonst gar nicht erst entstehen. Das ist die Zwickmühle. Ist nicht gerade deshalb ein Kombilohn sinnvoll? Wenn wir ihn nicht organisieren, dann schafft das Leben seinen eigenen Kombilohn, der aus Arbeitslosengeld und ein bißchen zusätzlichem Schwarzgeld besteht. Auch das ist ein Kombilohn, aber nicht derjenige, den wir meinen.
Auch die SPD muß sich darüber klarwerden, was sie eigentlich will. Herr Mosdorf hat gesagt: ja, Herr
Riester hat gesagt: nein, und Herr Schröder hat gesagt, wir müßten das Problem angehen. Das ist so, als wenn man am Hauptbahnhof nach dem Weg gefragt wird und sagt: Weiß ich auch nicht, aber Hauptsache, wir haben mal drüber gesprochen. Das ist typisch für den Kanzlerkandidaten der SPD.
Ich finde, daß wir mutig neue Wege gehen und auch nie begangene Wege ausprobieren müssen. Eine Gesellschaft, die nur für einen Teil der Menschen einen Aufschwung schafft und die anderen mit Unterstützung abfindet, ist nicht unsere Gesellschaft. Wir wollen auch keine Gesellschaft, die die älteren Arbeitnehmer immer früher in den Ruhestand schickt - nicht nur der Rente wegen, sondern geradezu auch aus kulturellen Gründen. Das verträgt keine Gesellschaft: höhere Lebenserwartung und früheren Ruhestand. Nein, ich denke an eine Gesellschaft, die die Alten beteiligt und die Bildung nicht nur auf das erste Drittel des Lebens reduziert.
Sie sehen: Es gibt noch viele Gründe, warum diese Regierung weiter im Amt bleiben sollte.
Ich danke Ihnen.
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Mir wurde vom Sitzungsdienst ein Protokollauszug vorgelegt. Während der Rede des Abgeordneten Paul K. Friedhoff hat der Abgeordnete Ottmar Schreiner den Zwischenruf „Ein übler Verleumder! " gemacht. Herr Abgeordneter Schreiner, ich erteile Ihnen dafür einen Ordnungsruf.
({0})
Ich erteile jetzt das Wort der Abgeordneten Andrea Fischer, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Ellenbogengesellschaft, das halte ich für eine Verharmlosung der Arbeitslosengesellschaft. Die Arbeitslosengesellschaft, die Sie hinterlassen, ist die Dampfhammergesellschaft. Sie zerstört Hoffnung, löst den menschlichen Zusammenhalt auf und drängt die Menschen aus einer Gesellschaft, in der sie gebraucht werden. Das ist die härteste Gesellschaft, die wir kennen, und die hinterlassen Sie uns.
({0})
Ich weiß nicht, Kollege Geißler, Kollege Louven und Kollege Vogt, ob Sie sich erinnern, daß Sie zu diesen Sätzen einmal geklatscht haben. Das war am 15. Oktober 1982, als der - damals - neue Bundesarbeitsminister Blüm mit diesen Worten seine erste Rede als Minister begann.
Damals hat Minister Blüm noch von 2 Millionen Arbeitslosen geredet. Wir wissen, daß wir nach 16 Jahren Amtszeit der Regierung Kohl und des Arbeitsministers Blüm heute von mehr als 4 Millionen Arbeitslosen reden müssen. Wir müssen mit ansehen, daß im jetzigen Wahlkampf derselbe, der vor 16 Jahren diese Krokodilstränen in seiner Rede vergossen hat, nun versucht, die Arbeitslosenzahlen hin und her zu wenden, um zu schauen, ob die 100 000 Arbeitslosen weniger vielleicht schon die Schwalbe sind, die den arbeitsmarktpolitischen Sommer ankündigt, und ob nicht vielleicht doch schon eine große Trendwende auf dem Arbeitsmarkt zu erkennen ist. Wir sind mit einer Wahlkampf-ABM konfrontiert, die selbst die Bündnisgrünen, die immer für eine Umverteilung der Arbeit zu haben sind, zweifeln läßt, ob es klug ist, wenn sich in Zukunft vier Leute eine ABM-Stelle teilen sollen.
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Herr Minister Blüm, Sie haben jetzt gerade eine Ihrer durchaus auch von uns geschätzten kabarettistischen Einlagen gegeben. Aber da Sie sich ja eben so viel Mühe gaben, auf Widersprüche bei anderen hinzuweisen, darf ich vielleicht auf einen Widerspruch hinweisen, der mir immer auffällt - ich habe das auch heute morgen gehört -: Herr Stollmann, der zumindest als Katalysator für verschiedene Debatten in diesem Wahlkampf ein großes Verdienst hat, wird morgens von den Wirtschaftspolitikern der Koalition als der Gottseibeiuns zitiert nach dem Motto, daß die SPD, wenn sie so wie Herr Stollmann wäre, wirklich klasse wäre; aber leider sei sie nicht so, da sie vermufft sei. Nachmittags kommt Herr Blüm und kritisiert Herrn Stollmann auf seine unnachahmliche Art und Weise. Wenn das jemand von der Opposition täte, würde er sagen: Du gehörst in die Mottenkiste der letzten 20 Jahre.
({2})
Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie eigentlich mit Ihrer Kritik wollen. Dieses Verhalten zeigt, daß bei Ihnen ganz erhebliche Widersprüche bestehen.
Der Arbeitsminister hat gerade gefordert, wir müßten mutig neue Wege gehen. Unser Weg aber, Arbeitsplätze durch die Förderung der ökologischen Modernisierung und durch eine Umstellung unseres Steuersystems zu schaffen, ist in Ihren Augen kein mutiger Weg. Ich halte dagegen: Wir wissen, daß eine moderne Politik nur Arbeitsplätze schafft, indem sie diese ökologisch modernisiert und nicht das eine gegen das andere ausspielt. Wir wissen auch, daß der moderne Sozialstaat der Zukunft, wenn er die Schaffung neuer Arbeitsplätze nicht behindern soll, noch viel stärker als heute durch Steuern denn durch Sozialbeiträge, die an die Arbeitskosten angebunden werden, finanziert werden muß. Das ist übrigens auch in der Debatte auf europäischer Ebene längst Stand der Dinge. Ich möchte an dieser Stelle meine Frage an alle Parteien im Hause, nach deren Meinung es ein Hindernis für die Schaffung neuer Arbeitsplätze sei, wenn die Lohnnebenkosten zu hoch sind, erneut stellen: Welche konkreten Vorstellungen haben Sie in bezug auf die Senkung der Lohnnebenkosten? Wir Bündnisgrünen wollen - das ist ein Teil unseres Konzepts - die Sozialversicherungsbeiträge durch die ökologische Steuerreform deutlich senken.
Andrea Fischer ({3})
Wir wissen, daß davon ein positiver Effekt für den Arbeitsmarkt ausgeht.
({4})
Sie wollen außerdem mutig neue Wege mit dem Kombilohn gehen. Das haben Sie uns gerade noch einmal erklärt. Schauen wir uns das doch jetzt bitte noch einmal ein wenig genauer an: Dieser mutige neue Weg wurde mit einem, wenn ich mich recht erinnere, vierseitigen kleinen Papierchen beschritten, das vor vier oder fünf Wochen aus dem Hause Blüm auf den Markt gekommen ist. Das ist offensichtlich ein mutiger, neuer Wahlkampfweg, aber viel mehr wohl nicht. In diesem Papier ist immer die Rede von „man könnte, müßte, sollte" und „man könnte auch einmal prüfen". Auch in Ihren Reihen wurde dadurch eine Debatte losgetreten, da natürlich auch Sie die ordnungspolitischen Probleme kennen, die daraus entstehen, wenn man eine allgemeine Lohnkostensubvention einführt.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Dr. Babel?
Nein, im Moment nicht. - Es stellt sich nämlich die Frage, wie man eine Dienstleistung, die durch den Kombilohn öffentlich gefördert wird, definiert, wo man aufhört und wie man dem Handwerksmeister erklärt, daß seine Beschäftigungsverhältnisse im Gegensatz zu anderen Betrieben, in denen Niedrigqualifizierte arbeiten, nicht gefördert werden. Sie wissen das alles ganz genau; deswegen bleibt von diesem mutigen, neuen Weg am Ende nur ein Experiment übrig.
Es ist sicherlich schön, Experimente zu machen, aber trotzdem kann ich nicht erkennen, daß die Regierung wirklich neue Wege geht. Sie wissen alle, daß man, wenn man vermeiden will, daß systematisch Niedriglöhne geschaffen werden und immer mehr Anreiz für Arbeitgeber entsteht, zu sagen, wir zahlen einfach nur die Hälfte, der Staat wird den Rest schon dazugeben, Bedingungen an solche Lohnsubventionen knüpfen muß. Damit sind wir bei Lohnkostenzuschüssen; diese stellen aber in keiner Weise einen neuen Weg dar. Sie haben an diesem Punkt gar keine neuen Ideen zu bieten. Deswegen kann ich überhaupt nicht erkennen, daß Sie ernsthaft etwas dafür tun, wenigstens auf den Stand der Arbeitslosigkeit zurückzukommen, bei dem Sie vor 16 Jahren die Regierungsgeschäfte in diesem Land übernommen haben.
Wir müssen außerdem - wenn es denn wirklich um neue Wege geht - die Arbeit umverteilen. Dafür ist existentiell, daß es sich die Menschen auch leisten können, Arbeit umzuverteilen. Dann kommt natürlich einerseits die Einkommensteuer ins Spiel, die gerade die kleinen und mittleren Einkommen entlasten muß. Sonst brauchen wir über so etwas gar nicht zu reden; sonst könnten die Menschen ihren Lebensunterhalt nicht mehr von ihrem Einkommen bestreiten.
Wir brauchen andererseits aber auch Sozialreformen, die den Menschen die Botschaft senden, daß sie geschützt sind - selbst wenn sie flexibler und längere Zeit in ihrem Leben in Teilzeit arbeiten. Es ist eines Ihrer großen Versäumnisse in der Rentenpolitik, daß Sie in diesem Punkt nichts getan haben, um auf einen besseren Weg zu kommen.
({0})
Sie haben bei allen Kürzungsmaßnahmen im Sozialbereich auf Einkommensgrenzen verzichtet. Sie haben die Höher- und Besserverdienenden bei diesen Kürzungen völlig ungeschoren gelassen. Sie sind mit der Heckenschere vorwärts marschiert. Das war auch der Befund des Bundesarbeitsministers Blüm am 15. Oktober 1982. Das kann ich als Befund am Ende der Amtszeit des Bundesarbeitsministers Blüm im September 1998 ebenfalls blanko unterschreiben.
Schauen wir uns das an: Nirgendwo haben Sie so gnadenlos zugeschlagen wie bei den Behinderten. Sie haben durch verschiedene Änderungen im Sozialrecht die Gefahr heraufbeschworen, daß die Fortschritte, die in den letzten Jahren für die Selbstbestimmung von Behinderten und für ihre eigenständige Lebensführung erreicht worden sind, zurückgedreht werden und wir wieder bei einer „Satt-undsauber-Pflege" der 50er Jahre landen.
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Sie haben eben gesagt, Sie wollten nicht, daß alte Menschen bei ihrer Rente auf eine Bedürfnisprüfung angewiesen sind. Was sonst wird Ihre Reform der Erwerbsunfähigkeitsrenten denn bewirken? Damit haben Sie die Erwerbsunfähigkeitsrentner systematisch in die Sozialhilfe getrieben, weil die Erwerbsunfähigkeitsrenten nicht mehr reichen.
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Was ist mit dem Zahnersatz, den Sie allen jungen Leuten nicht mehr gönnen wollen? „Nach mir die Sintflut" - das ist Ihre Politik! Die Jungen von heute werden es schon nicht merken. Wenn sie ihn eines Tages brauchen, sind wir schon längst vom Acker -. Das ist eine Politik, die deutlich macht, daß die Interessen der jungen Leute von heute Sie einen feuchten Kehricht interessieren.
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Für mich ist das eine der bittersten Bilanzen von 16 Jahren Regierung Kohl: Durch all das, was da geschehen ist, sind die Legitimation des Sozialstaates und die Zustimmung zum Sozialstaat zerstört worden. Das kann man an den vielen Debatten merken, in denen jeder dem anderen etwas mißgönnt und immer Angst hat, er komme irgendwie zu kurz. Wir merken das aber natürlich auch daran, daß immer mehr Menschen aus der Sozialversicherungspflicht flüchten. Darauf haben Sie keine Antwort. Sie haben sich an diesem Punkt in den letzten Jahren regelmäAndrea Fischer ({4})
Big zerstritten, obwohl Sie sehen, was das für die Sozialversicherungen bedeutet.
Dazu gehört auch - das ist ebenfalls Bestandteil der Bilanz von Bundesarbeitsminister Blüm -, daß die wirklich wegweisenden Reformen, die notwendig gewesen wären, um diesen Sozialstaat so zu verändern, daß er zu unseren veränderten Lebens- und Arbeitsverhältnissen paßt, entweder unterblieben sind oder auf bestimmte Reformnotwendigkeiten zu spät reagiert wurde - insbesondere in der Rentenpolitik. Eine immer größer werdende Zahl von jungen Leuten - 30 bis 40 Prozent der heutigen jungen Leute - glauben nicht mehr daran, daß die Renten sicher sind und daß sie eines Tages durch den Generationenvertrag noch fair behandelt werden. Das ist auch Teil Ihrer Bilanz, die Sie als derjenige vorlegen, der in den letzten 16 Jahren für die Rentenpolitik zuständig gewesen ist.
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Was passiert in einem Land, in dem die Stimmung inzwischen so ist, daß wir einen alltäglichen Krieg in den Zahnarztpraxen erleben? Da wird doch die Bundesregierung die Geister nicht mehr los, die sie gerufen hat, indem sie den Markt in die Praxen eingeführt hat. Jetzt kämpfen alle gegen alle, und die Patienten sind die Dummen; sie blicken überhaupt nicht mehr durch. Daß es im Gesundheitswesen ganz offensichtlich nicht mehr um die Gesundheit geht, sondern nur noch darum, wer am meisten daran verdient, haben doch auch Sie zu verantworten.
Sie haben die Kassen erst arm gemacht, indem Sie die Bemessungsgrundlagen verändert haben. Dann haben Sie sich das Geld von den Patienten über die Zuzahlungen zurückgeholt. Wie sollen die Leute es dann noch gut finden, in der gesetzlichen Krankenversicherung zu sein? Dafür sind Sie verantwortlich!
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Ich habe mich in den letzten Jahren beruflich und jetzt auch als Politikerin mit Armutspolitik und Armutsforschung beschäftigt. Ich könnte mit Ihnen Stunde um Stunde über Armutsdefinitionen jeder Art reden und filibustern. Aber das ist nicht der Punkt. Wenn Sie die negative Entwicklung nicht erkennen, dann drückt das aus, daß Sie überhaupt kein Gefühl mehr dafür haben, was die Menschen in diesem Lande wollen und welche Wertvorstellungen sie haben, mit denen Sie Schindluder treiben. Wenn in diesem Land eine Million Kinder von der Sozialhilfe leben, dann brauchen wir nicht darüber zu reden, ob das Armut ist oder nicht. Dann stimmt nämlich etwas in diesem Land nicht; dann ist es ein Skandal.
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Sie wissen selber, daß das Sozialhilfegesetz als ein Gesetz eingeführt worden ist, das nur in Ausnahmefällen gelten soll. Sind eine Million Kinder für Sie Ausnahmefälle? Wie soll ich verstehen, daß Sie sagen, es gebe hier kein Problem? Hier liegt eines der größten Probleme. Diese Zahl ist neben der Zahl der Arbeitslosen die bitterste Zahl, die die Ära Kohl kennzeichnet.
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Herr Arbeitsminister Blüm, nehmen wir einmal an, drei Millionen Arbeitslose stünden auf der Straße. Was würden wir dann machen? Sollte man dann das alte Ritual der Auseinandersetzung - die Arbeitgeber beschimpfen die Gewerkschaften; die Gewerkschaften beschimpfen die Arbeitgeber; die Regierung beschimpft die Opposition; die Opposition beschimpft die Regierung - fortführen? Ich fürchte, die Arbeitslosen hätten für diesen Streit kein Verständnis - übrigens zu Recht. Auch diese Entwicklung geht auf Ihr Konto. Sie haben nämlich das Bündnis für Arbeit verbockt, indem Sie Bedingungen eingefordert haben, unter denen das Gespräch, der Dialog nicht mehr möglich gewesen ist.
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Auch deswegen braucht es so dringlich eine neue Regierung in diesem Land, die diesen Dialog wieder aufnehmen und die Beteiligten an einen Tisch führen kann, an dem man darüber redet, was notwendig ist. Das geht aber nur, wenn man bereit ist, Fairneß gegenüber allen Beteiligten zu praktizieren, und wenn man eine Idee von sozialer Gerechtigkeit und von einer Modernisierung hat, die nicht die Verlierer einfach billigend in Kauf nimmt. Das geht nur, wenn man weiß, daß ein Bündnis ein Geben und Nehmen ist, und wenn man nicht sagt: Wir machen ein Bündnis, und am Ende sollt ihr abnicken, was wir schon immer gewollt haben.
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Dafür brauchen wir ganz dringend - das ist längst überfällig - eine neue Regierung.
Herr Minister, Sie kennen Ihre Gesetze selber am besten. Sie wissen: Je früher Sie in Rente gehen, um so eher entgehen Sie den Kürzungen, die in den nächsten Jahren geplant sind.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Gisela Babel, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gute Nachrichten aus Deutschland, schlechte Nachrichten aus Deutschland: Es war klar vorhersehbar, daß wir heute in dieser Debatte in unterschiedliche Bewertungen der ökonomischen Daten und ihrer Ursachen einsteigen. Da der Wahltermin vor der Tür steht, muß uns gewiß kein hohes Maß an Rücksicht abgefordert werden.
Aber eines möchte ich sagen: Unser Volk interessiert mehr das, was in Zukunft kommen wird, als
diese larmoyante, langweilige und rückwärtsgewandte Bilanz, die Sie hier präsentieren.
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Das ist keine Politik, von der heute die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande erkennen können, welches die Rezepte für die Zukunft sind.
Lassen Sie mich noch einmal die guten Nachrichten auflisten, weil es immer richtig ist, gute Nachrichten zu wiederholen: Wir haben heute in Deutschland ein Bruttoinlandsprodukt, das im ersten Quartal um 3,8 Prozent kräftig angestiegen ist. Wir haben den Zuwachs der Investitionsgüter um 5 Prozent. Der Exportindusirie geht es gut. Allein im ersten Quartal 1998 lag der reale Zuwachs bei 15 Prozent. Wir haben mehr selbständige Existenzgründer. Die Lohnstückkosten sind um 3,4 Prozent zurückgegangen. Ich erinnere an den Kollegen Schreiner, der oft den Anstieg der Lohnstückkosten beklagt hat. Hier ist ein Erfolg hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu sehen. 200 000 weniger Arbeitslose sind ein Hoffnungsschimmer. Ich habe die Abnahme der Arbeitslosigkeit nie überbewertet. Aber sie ist ein Indiz für die positive Entwicklung, weil die Zahl der Arbeitslosen über mehrere Monate hinweg abgenommen hat.
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Wichtiger Indikator ist aber die Kurzarbeit. Die Kurzarbeit war immer ein Warnsignal für kommende Arbeitslosigkeit. Sie ist dramatisch zurückgegangen, sie hat sich nämlich halbiert. Die Zahl der offenen Stellen ist förmlich explodiert. Im Juli 1997 gab es 111000 offene Stellen. Heute gibt es 466 000 offene Stellen. Sie wissen, daß diese Zahl eine untere Zahl ist. Das sind nur die gemeldeten Stellen. Eigentlich müssen Sie diese mit drei multiplizieren, dann sind wir schon bei 1,5 Millionen Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland.
Diese Zahlen rechtfertigen es, zu sagen, daß die Reformpolitik unserer Koalition jetzt wirklich gegriffen hat.
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Ich wünschte mir, es wäre schon früher so gewesen. Dann stünden wir vielleicht etwas gelassener in der heutigen Debatte. Aber es ist unzweifelhaft, daß die Reformpolitik gegriffen hat.
Das wird auch durch die Umfrage des DIHT bestätigt, die besagt, daß 50 Prozent der Unternehmer die Möglichkeit nutzen, befristete Arbeitsverträge abzuschließen, und daß sie die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auf Betriebe mit zehn statt mit vorher fünf Beschäftigten als Flexibilisierung begrüßen. Dadurch haben 11 Prozent der Unternehmer neue Mitarbeiter eingestellt, und 14 Prozent haben das sozusagen auf dem Schreibtisch vor.
Auch die . Eingliederungszuschüsse werden von 32 Prozent der Unternehmen in Westdeutschland und von 50 Prozent der Unternehmen in Ostdeutschland genutzt. Hier ist auch die Übernahmequote nach Ablauf der Förderung sehr hoch. Übrigens hat der DIHT ebenfalls bestätigt - ich darf das hier dem werten Koalitionspartner anmelden -, daß auch die Beibehaltung der 620-Mark-Jobs richtig wäre; denn wenn sie versicherungspflichtig wären, würden 40 Prozent der Unternehmer diese Jobs nicht mehr anbieten. Das ist doch für uns noch einmal eine Bestätigung.
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Aber ich komme jetzt zu den schlechten Nachrichten aus Deutschland. Zu den schlechten Nachrichten aus Deutschland gehört das, was Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, hier verkündet haben. Es ist so jämmerlich, widersprüchlich und auch so wenig mutig, daß es sich - wie ich finde - lohnt, sich damit länger auseinanderzusetzen. Herr Dreßler und Frau Fischer, Sie sagen: Wir wollen die Lohnnebenkosten senken. Alles, was Sie in Ihrem 100-, 200- oder 300-Tage-Programm beschließen, wird die Lohnnebenkosten von heute 42 Prozent auf 50 Prozent anheben, es sei denn - dazu komme ich gleich.
Die Rücknahme der Rentenreform wird zu einem Anstieg des Rentenversicherungsbeitrages um weitere drei Punkte führen. Die Rücknahme bei der Krankenversicherung und die Rücknahme der Zuzahlung - das klingt alles so schön - werden den Beitrag um 1,2 Prozent anheben. Wenn das Wirklichkeit wird, was Sie zur Arbeitslosenversicherung verkünden, dann wird das die Kosten der Arbeitslosenversicherung weiter in die Höhe treiben. Das ist eine Politik, bei der Sie Ihre Grundsätze durch Einzelmaßnahmen total in Frage stellen, es sei denn - das sage ich Ihnen noch einmal -, Sie würden wirklich alle diese Löcher mit Steuergeldern stopfen. Das ist nach wie vor das Rezept. Bei den Grünen ist es noch ein bißchen verbrämt, versüßt und mit dem Ökologischen verzuckert. Das fehlt bei der SPD ein wenig. Sie geht hierbei unverblümter zu Werke und sagt: erst einmal mehr Steuern, damit in der Sozialversicherung die Beiträge sinken können.
Meine Damen und Herren, das ist eine wirklich unglaubliche Politik, die Sie hier vorstellen. Sie stellen sie dann auch noch als etwas Neues dar, durch das neue Arbeitsplätze entstehen würden. Sie würgen sozusagen erst einmal mehr Steuergeld aus dem System und stopfen dann die Löcher, die bei den Versicherungen entstanden sind, um schließlich zu sagen: Wir haben die Lohnnebenkosten gesenkt. Diese Politik können Sie meiner Ansicht nach in dieser Weise nicht durchführen.
Ich habe den Eindruck - ich habe auf Frau Fischer gewartet, aber sie hat keine Andeutung gemacht -, daß die SPD insgeheim diesen Koalitionspartner anfleht, er möge sie hindern, das zurückzunehmen, was in ihrem Parteiprogramm steht. Frau Fischer, Sie haben damals bei der Auseinandersetzung um den Demographiefaktor gesagt, daß man durchaus die Tatsache berücksichtigen müsse, daß unsere Rentner länger leben: die Männer 10 Jahre, die Frauen 18 Jahre. Ich habe jetzt nichts dazu gehört, ob Sie Ihrem großen Koalitionspartner in spe in den Arm fallen wollen, wenn er dies zurücknehmen will. Das haben Sie nicht gesagt. Vielleicht werden Sie sich in dieser Frage noch klarer äußern und sagen: mit uns
nicht. Dann wird die SPD an der Realisierung dieses unvernünftigen Vorhabens gehindert.
Zwei muffige alte Rezepte haben Sie aber in Ihrem Programm aufgelistet. Da wird zunächst - außerordentlich originell - die Abschaffung von Überstunden genannt. Dadurch sollen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen, so ähnlich wie in der Diskussion um die 620-Mark-Verträge.
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Weswegen macht ein Unternehmer Überstunden? Weswegen genehmigen Betriebsräte Überstunden? Davon kein Wort; es geht einfach um die Verteilung: Hier nehme ich ein bißchen Arbeit, flicke es zusammen, und schon habe ich dort ein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis. Das zeigt Ihre Ferne von unternehmerischem Denken und vom Verständnis für unternehmerische Zwänge.
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Die Grünen sind für die Ausbildungsabgabe. Da weiß man nun gar nicht, was sie sich überlegen. Wir wissen, daß heute neue Ausbildungsberufe geschaffen werden müssen, damit überhaupt die Möglichkeit besteht, eine Lehrstelle anzubieten. Aber Sie schreiben nur, daß Sie diese neue Belastung für akzeptabel halten.
Die Änderung der jetzigen Lohnfortzahlungsregelung - einer Ihrer Programmpunkte - führt zu weiterer enormer Belastung der Wirtschaft. Und auch das Kündigungsschutzgesetz, auf dessen Änderung wir uns nach langen Verhandlungen schließlich einigen konnten, soll wieder dahin gehend lauten, daß die Flexibilität hinsichtlich der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses lediglich für Betriebe mit bis zu fünf Betriebsangehörigen gilt.
Nach all diesen „Reformen" kommen Sie zu dem versöhnlichen Schluß: Wir brauchen einen runden Tisch, um ein Bündnis für Arbeit zu schmieden. Das kommt mir so vor, als würden Sie nach einem Postkutschenüberfall die Banditen zu Tisch bitten. Die Gerupften sollen am runden Tisch Platz nehmen, um ein Bündnis für Arbeit zu schließen. Glauben Sie das im Ernst?
Lassen Sie mich zusammenfassen: Noch nie wäre ein Wechsel zu Ihrer Politik verhängnisvoller als jetzt. Nur wenn der Reformkurs beibehalten und fortgesetzt wird, wird die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpft werden.
Ich bedanke mich.
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Frau Abgeordnete Dr. Babel, dies war vermutlich Ihre letzte Rede in diesem Parlament.
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- Ich wurde gebeten, Ihnen noch einmal ganz herzlich zu danken. Sie sind seit 1992 die sozialpolitische Sprecherin der F.D.P.-Fraktion. Sie verlassen das Parlament nun auf eigenen Wunsch. Sie waren eine sehr engagierte Sozialpolitikerin und Spitzenreiterin Ihrer Fraktion, was die Anzahl von Reden im Parlament betrifft. Das Parlament dankt Ihnen ganz herzlich für Ihren Einsatz.
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Ich erteile jetzt der Abgeordneten Petra Bläss, PDS, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Dr. Babel, die Nachrichten, die ich überbringe, sind in der Tat andere als Ihre „Erfolgsbilanz".
Ein Nachmittag im Spaßbad ist für einige Kinder das größte Ferienerlebnis. Im Schnitt können ein bis zwei Kinder pro Klasse nicht an den Klassenfahrten teilnehmen. Einige Sportarten zu betreiben ist inzwischen keine Frage des Talents, sondern des Geldes. Kosten für das Ferienlager von 600 DM können sich viele Eltern nicht leisten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind Fakten, mit denen wir vor Ort in den Wahlkreisen gegenwärtig - und zunehmend - konfrontiert werden, während hier in Bonn Ignoranz und Schönfärberei das regierungspolitische Sagen haben. Die Lehrerinnen der Ferropolis-Sekundarschule in Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt jedenfalls haben mir auf den Weg gegeben, ihre Empörung über Frau Noltes Äußerungen anläßlich der Untersuchungsergebnisse des Zehnten Kinder- und Jugendberichtes hier kundzutun.
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Frau Noltes Aussagen, so die Lehrerinnen, zeugen davon, wie weit weg sie von der Realität sei. Ein besonderer Hohn sei die These, Eltern würden es nur nicht verstehen, das Geld richtig einzuteilen.
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Die überfällige Debatte zur Kinderarmut hierzulande im zuständigen Fachausschuß heute morgen hat einmal mehr deutlich gemacht, daß die Regierungskoalition weder in der Lage ist, die soziale Lage im Lande wahrzunehmen, noch politische Handlungskonzepte vorzulegen, die die Armut bekämpfen. Statt dessen wird die Rotstiftpolitik der letzten Jahre schöngeredet, während Hunderttausende auf der Strecke bleiben. Bezeichnend ist, daß der Herr Kollege Geißler - und gewiß nicht nur er - bezweifelt, daß die Vermögensteuer etwas mit dem Bericht zu tun hat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer Armut in einem reichen Land nicht zur Kenntnis nehmen will, der will erst recht nichts vom andererseits drastisch gewachsenen Reichtum wissen. Die wachsende Spaltung dieser Gesellschaft in Arm und Reich ist der eigentliche Skandal, den die abgewirtschaftete KohlRegierung zu verantworten hat. Die Zeit für einen
Wechsel ist deshalb überfällig, vor allem im Sinne der armen Kinder hierzulande.
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Es ist beschämend, wie Bundesfrauenministerin Nolte nach wie vor ignoriert, daß Kinderarmut eine der zentralen Herausforderungen der Politik ist. Peinlich genug, wenn Frau Nolte nicht den von ihr mitzuverantwortenden politischen Rahmenbedingungen die Schuld für das erschreckende Ausmaß von Unterversorgungslagen gibt, sondern der Tatsache, daß es Familien mit mehreren Kindern gibt, daß sich Elternteile scheiden lassen und daß die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist. Wenn Frau Nolte es fertigbringt, Untersuchungsergebnisse auch noch mit dem Verweis auf den Aufschwung Ost zu relativieren, spricht das Bände über ihr Verständnis vom Aufschwung Ost, der da heißt: seit 1992 eine halbe Million Erwerbstätige weniger, 150 000 Arbeitslose mehr und 118 000 zusätzliche Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger.
Es grenzt schon an Zynismus, wenn sie die hohe Zahl derer, die Sozialhilfe beziehen, lediglich als einen Beweis für gute Sozialgesetzgebung interpretiert. Was ist denn daran „bekämpfte Armut", Frau Ministerin Nolte, daß sich viele Menschen nicht einmal mehr aufs Amt trauen? Was ist daran „bekämpfte Armut", daß immer mehr Kinder mit dem Gefühl aufwachsen, nicht dazuzugehören, anders zu sein, nicht mithalten zu können? Was, bitte schön, ist daran „bekämpfte Armut", daß ein Fünftel der jungen Menschen keine Chance mehr auf einen Ausbildungsplatz hat?
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie haben hier eine beispiellose und schamlose Umverteilung von unten nach oben durchgesetzt, die Ihnen jetzt auf die Füße fällt.
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Sie haben in diesem Parlament dafür gesorgt, daß die Sozialhilfe seit Jahren stagniert. Wer Kinder bekommt, durchschnittlich verdient und kein Vermögen besitzt, ist auf dem besten Wege zu verarmen - das ist die Kurzformel Ihrer verfehlten Sozial- und Familienpolitik.
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Sozialminister Blüm hat sich zu Jahresbeginn in diesem Hause damit gebrüstet, daß er allein bei Rente und Arbeitslosengeld jährlich 98 Milliarden DM einspart. Gesundheitsminister Seehofer lädt den Versicherten durch Zuzahlungen, mehr Eigenanteile und nicht erstattete Leistungen jährlich rund 30 Milliarden DM zusätzlich auf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die zunehmende Armut ist Resultat einer verfehlten Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die mit der Gießkanne Subventionen in Milliardenhöhe an Unternehmen verteilt, ohne sich darum zu scheren, ob neue Arbeitsplätze entstehen, die auf kurze Strohfeuer auf dem zweiten Arbeitsmarkt setzt statt auf langfristige Arbeitsplätze, für die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch immer ein ungelöstes Problem ist, die soziale Sicherheit für einen Ladenhüter und nicht für einen hohen Wert hält und die Leistungen ohne Sinn und Verstand und ohne Not kürzt. Auch die Schmälerung der öffentlichen Kassen und die Selbstverarmung des Staates sind das Ergebnis gezielter Politik der KohlRegierung. Aber Sie wollten daran nichts ändern und - das zeigen Ihre zynischen Reaktionen auf den Kinder- und Jugendbericht - Sie wollen es auch heute nicht.
Nur ein Beispiel für Ihre absurde Politik. Sie haben die steuerlich absetzbaren Aufwendungen für Haushaltskräfte von 12 000 auf 18 000 DM jährlich erhöht. Wer dem Spitzensteuersatz unterliegt, kann sich Monat für Monat rund 900 DM von Herrn Waigel für seine Putzhilfe zuschießen lassen, unabhängig davon, ob Kinder im Haushalt leben. 900 DM monatlich für Gutverdienende ohne Kinder - ganze 1259 neue Stellen sind so 1997 entstanden. Ich kann mich noch gut daran erinnern, daß uns vor ungefähr zwei Jahren hier bis zu 1 Million Arbeitsplätze versprochen worden sind. Kostenpunkt dafür: 300 Millionen DM entgangene Steuern. Dies ist ein Paradebeispiel für Ihre verfehlte Sozial- und Familienpolitik.
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Sie haben es 16 Jahre nicht geschafft, eine Politik umzusetzen, die nicht ausgrenzt, sondern an den Bedürfnissen der Menschen orientiert ist, die Arbeit gerecht verteilt und neu organisiert, die eine eigenständige soziale Absicherung für Frauen und Männer garantiert und für Frauen und Männer die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Kinderbetreuung gewährleistet. Dafür werden Sie - da bin ich mir ganz sicher - am 27. September die Quittung bekommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die PDS ist der Auffassung, daß jede und jeder einen Anspruch auf ein garantiertes soziokulturelles Existenzminimum hat, also auch und vor allem Kinder. Die im Rahmen unseres Konzeptes für eine bedarfsorientierte soziale Grundsicherung entwickelte Forderung nach einem bedarfsdeckenden Kindergeld von 660 DM monatlich sehen wir durch den Kommissionsbericht bestätigt. Der fordert bekanntlich die Erhöhung des Existenzminimums für Kinder auf 7500 DM jährlich.
Die PDS hat weiterhin einen Gesetzesvorschlag für grundsätzlich verbesserte Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung eingebracht. Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub sind nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein und zementieren nach wie vor die traditionelle Geschlechterhierarchie. Frauen und Männer müssen die gleiche Chance erhalten, Beruf und Kinderbetreuung miteinander zu vereinbaren. Bezahlte Freistellung mit Lohnersatzleistung, unbezahlte Freistellung mit einem Zeitkonto, ein Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Kinderbetreuungsplatz sowie ein Rechtsanspruch auf Arbeitszeitverkürzung lauten daher die Grundforderungen der PDS. Denn ein Sozialstaat muß sich zuallererst daran messen lassen, unter welchen Bedingungen Kinder aufwachsen.
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Da stellt Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, der Zehnte Kinder- und Jugendbericht ein Armutszeugnis aus.
Ein Wort an dieser Stelle an die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Sie werden unseren Druck nach dem 27. September brauchen, denn von Ihren früheren emanzipatorischen Politikentwürfen ist wenig übriggeblieben. Ich verweise auf den heute zur Abstimmung stehenden Entschließungsantrag. Ihr Vorschlag, die Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld anzuheben, in allen Ehren, aber bei der Frauenpolitik wollen Sie inzwischen offenbar nicht mehr die Hälfte des Himmels, sondern nur noch einen kleinen, etwas aufgestockten Haushaltstitel.
Wenn ich lese, daß die SPD lieber nicht mehr von der Streichung des Ehegattensplittings spricht, dann kann ich auch zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur sagen: Die PDS wird auch bei diesem Thema nicht lockerlassen.
Eines ist sicher: Den notwendigen Politikwechsel nach dem überfälligen Regierungswechsel gibt es nur mit uns. Ansonsten droht die soziale Frage unter die Räder der Standortdebatte zu kommen.
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Ich erteile jetzt dem Abgeordneten Ottmar Schreiner, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will versuchen, den Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen zu erklären, warum sie diese Wahlen nicht mehr gewinnen können und auch nicht mehr gewinnen dürfen.
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- Ich sagte: „auch nicht mehr gewinnen dürfen."
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- Der flegelt einen jetzt auch noch von rechts an.
Vorsicht! Von wegen „flegeln": Sie haben heute schon einen Ordnungsruf erhalten.
Ich könnte auch auf „Rüpel" ausweichen. Aber bleiben wir lieber dabei.
Meine Damen und Herren, was Sie an Bilanz vorzuzeigen haben, ist so verheerend, daß eine Bestätigung dieser Koalition nun in der Tat zu einem sozialpolitischen Kahlschlag nie dagewesenen Ausmaßes in Deutschland führen müßte. Ich will versuchen, Ihnen das an wenigen Beispielen zu begründen.
Wenn Sie die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich mit der Europäischen Union nehmen, dann fallen Ihnen fast nur negative Sonderleistungen auf: Erstens. Wir sind das einzige Land in der Europäischen Union, in dem in den 90er Jahren die Arbeitslosigkeit von Jahr zu Jahr gestiegen ist. Alle anderen Länder der Europäischen Union haben es geschafft, die Arbeitslosigkeit anzuhalten oder die Arbeitslosigkeit deutlich zurückzuführen. Die Dänen haben es geschafft, von 13,5 Prozent Arbeitslosigkeit im Jahre 1993 auf jetzt 6 Prozent herunterzukommen. Die Holländer sind inzwischen bei unter 5 Prozent, die Briten bei etwa 7 Prozent. In Frankreich haben wir eine ähnliche Entwicklung. In der zentralen Frage der Arbeits- und Beschäftigungsentwicklung innerhalb der Europäischen Union haben wir in Deutschland eine einmalig negative Bilanz zu präsentieren. Das allein wäre Grund genug, diese Koalition am 27. September abzuwählen.
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Zweitens. Wir sind das einzige Land in der Europäischen Union, das sich eine geradezu stündlich steigende Jugendarbeitslosigkeit erlaubt, ohne daß die verantwortliche Regierung irgendeine Hand rührt. In allen anderen Ländern der Europäischen Union bemühen sich die Regierungen teilweise mit sehr viel Geld und großen Anstrengungen, den jungen Menschen wieder eine Arbeits- und Lebensperspektive aufzuzeigen. Wir haben in Deutschland rund 700000 junge Leute unter 25 Jahren, die weder einen Ausbildungs- noch einen Arbeitsplatz haben.
Drittens. Wir sind das Land in der Europäischen Union, in dem in den 90er Jahren ausweislich der Erklärungen des Bundesarbeitsministers die Sozialleistungen am massivsten abgebaut worden sind. Wir sind das Land in der Europäischen Union, dessen Sozialleistungsquote - also der Anteil der Sozialleistungen am Bruttoinlandsprodukt - sich inzwischen im unteren Drittel befindet.
Meine Damen und Herren, das ist in wenigen Sätzen die beschäftigungs- und sozialpolitische Bilanz dieser Regierung, was die letzten Jahre und vor allem die abgelaufene Legislaturperiode anbelangt. Diese Bilanz verfügt - ich sage es nochmals - über nicht einen einzigen positiven Vorzeigepunkt.
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Unser zentrales Problem sind die hohen Kosten der Arbeitslosigkeit, ist das hohe Ausmaß an Arbeitslosigkeit ingesamt. Daran können Sie sehen, wie sehr wir die politischen Spielräume verloren haben. Die Kosten der Arbeitslosigkeit beliefen sich 1990 - vor acht Jahren - auf 55 Milliarden DM. 1997 -im vorigen Jahr - beliefen sich die gesamtfiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit auf 170 Milliarden DM. Das ist mehr als eine Verdreifachung der fiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit in Deutschland.
Besonders stark sind in diesem Zeitraum die Kosten für passive Leistungen gestiegen. Auch dafür zwei Beispiele: 1997 betrugen die Aufwendungen für das Arbeitslosengeld 59 Milliarden DM, die Aufwendungen für die Arbeitslosenhilfe 28 Milliarden DM.
Was im übrigen die Argumentation anbelangt, wir seien Weltmeister in Sachen Sozialleistungen - Frau Dr. Babel, das habe ich zuletzt noch von Ihrem Parteivorsitzenden in dem Streitgespräch mit Herrn Trittin gehört -, so müßten Sie mir belegen, in welchem BeOttmar Schreiner
reich der sozialen Leistungen die Bundesrepublik Deutschland Weltmeister ist. Sie werden kein Feld finden.
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Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Die Höhe der Arbeitslosenhilfe beträgt in Westdeutschland im Schnitt 1 022 DM, in Ostdeutschland im Schnitt 854 DM im Monat. Sie müssen mir erklären, wie Sie zum Beispiel in Westdeutschland mit 1 022 DM im Monat über die Runden kommen wollten und wie das jemand in Ostdeutschland mit 854 DM machen soll.
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- Das sind die Durchschnittsbeträge im Bereich der Arbeitslosenhilfe. Wo sind da die weltmeisterschaftlichen Leistungen? Sehen Sie sich die Lohnersatzleistungen an, die in Holland, Dänemark und Schweden gezahlt werden.
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Wir sind, um ein anderes Beispiel zu nennen, das Land in Europa, das seine Familien am schändlichsten behandelt. Es gibt in Deutschland weit und breit keinen funktionierenden Familienlastenausgleich. Wo sind da die weltmeisterschaftlichen Leistungen? Wenn sich in Deutschland eine Arbeitnehmerfamilie mit niedrigem Erwerbseinkommen für mehrere Kinder entscheidet, entscheidet sie sich für den direkten Weg in die gesellschaftliche Armut. Es ist eine Schande für eines der reichsten Länder dieser Erde, daß es keinen funktionierenden Familienlastenausgleich gibt.
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Meine Damen und Herren, nicht die Sozialleistungen sind zu hoch, sondern viel zu hoch ist die Zahl derjenigen, die vor allem auf Grund der unerträglich hohen Arbeitslosigkeit auf soziale Leistungen angewiesen sind. Wenn man es zusammenfaßt, dann ist der Kern Ihrer Politik gewesen, mehr Beschäftigung durch Sozialabbau zu erreichen. Diese Politik ist in den letzten Jahren jämmerlich, kläglich gescheitert. Die Alternative der SPD war: Stabilisierung des Sozialsystems durch mehr Beschäftigung, also eine völlig andere Orientierung.
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- Ich zitiere einmal die „Süddeutsche Zeitung" vom 20. August:
Überall in der Europäischen Union nimmt die Arbeitslosigkeit ab, hier mehr, dort weniger, in der Bundesrepublik immer noch am wenigsten. in der weltweiten Diskussion über die Arbeitsmärkte in globalisierten Volkswirtschaften figuriert die Bundesrepublik
- nach Auffassung aller Experten als abschreckendes Beispiel.
Weiter heißt es:
Die niederländischen Zeitungen haben mit Amüsement berichtet, daß es Wirtschaftsminister Günter Rexrodt für wert befunden habe, eine Pressekonferenz einzuberufen, um seine Prognose für das Wirtschaftswachstum mutig von 2,8 auf 2,9 Prozent hochzufahren.
Was will man dazu noch sagen? Was soll man dem noch hinzufügen? Ich sage Ihnen: Sie werden diese Wahlauseinandersetzung nicht bestehen, weil Sie im Kern Ihrer Strategie gescheitert sind. Der Kern Ihrer Strategie war - nochmals -: Mehr Beschäftigung durch massiven Sozialabbau, durch massive Eingriffe in die sozialen Schutzrechte der Arbeitnehmerschaft. Diese Strategie ist angesichts der soeben vorgetragenen Datenlage jämmerlich gescheitert.
Im übrigen, ganz nebenbei gesagt: Wir sind - neben Spanien, wo eine besondere Situation gegeben ist - das einzige Land in Europa, das sich noch den Luxus einer konservativ-reaktionären Regierung erlaubt. Es gibt nicht zufälligerweise einen Zusammenhang zwischen ebendiesem Luxus, den sich Deutschland noch erlaubt, auf der einen Seite und der absoluten Negativbilanz im Bereich der Beschäftigungs-
und Sozialpolitik auf der anderen Seite. Da gibt es in der Tat handfeste Entsprechungsverhältnisse.
Nun will ich Ihnen ein weiteres Zitat nicht vorenthalten, ein Zitat von Herrn Prantl aus der „Süddeutschen Zeitung". Ich schätze Herrn Prantl nicht immer, aber ich glaube, daß er den Nagel auf den Kopf trifft, was die Folgerungen aus dieser Strategie insbesondere für die Fraktion der CDU/CSU und die Volksparteien CDU und CSU anbelangt; es sind ja beides Volksparteien. Es heißt in dem Kommentar von Herrn Prantl vom 29. August:
Neuerdings stellt der Kanzler auch mißbilligend fest, daß die Wirtschaft den Standort Deutschland schlechtredet. Das fällt ihm zu spät auf. Vor zwei Jahren hat Kohl sich das törichte Agitieren der Wirtschaftsfunktionäre zu eigen gemacht und das Bündnis für Arbeit platzen lassen - es war sein kapitalster Fehler. Auf diese Weise gerieten die Reformen seiner Amtszeit in die Konfrontation, standen die Kirchen gegen die Sozialpolitik der Regierung auf - und damit gewannen die Gewerkschaften neue Legitimation. Die Regierung Kohl hat den Konsens geopfert, weil sie sich von der vulgär-liberalen Arroganz der Industrieführer vom Schlage Henkel & Co. anstecken ließ. So etwas kann sich allenfalls eine Klientelpartei wie die FDP leisten, nicht aber eine Volkspartei. Die CDU ist durch die konfrontative Sozialpolitik geschwächt worden, und daran leidet sie und ihr Wahlkampf. Die Partei ist also doppelt geschwächt: durch nachwirkende Fehler und durch die Unklarheiten an der Spitze.
Das ist eine präzise, richtige Beschreibung der Entwicklung der letzten vier Jahre.
Der Versuch, die großen Probleme Deutschlands auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Beschäftigungs- und auf dem sozialen Feld über die Entwicklung von Gemeinsamkeiten aller verantwortlichen Akteure in
den Griff zu kriegen, ist 1996 gescheitert, nachdem der Bundeskanzler, übrigens auf Anraten einiger Funktionäre von der anderen Seite, die Gewerkschaften mit für die Gewerkschaften völlig unannehmbaren Forderungen vom runden Tisch davonjagte. Ich will nur an das Stichwort erinnern, das Herr Henkel in die öffentliche Debatte geworfen hatte. Es lautete „Konsenssoße". Das Wort „Konsenssoße" ist unter anderem vom Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aufgegriffen worden. Sie haben damals Ihren zentralen Fehler gemacht, indem Sie von dem Versuch, politische Gemeinsamkeiten zu finden - das gilt auch für die Rente, Herr Blüm -, auf eine brutale Konfliktstrategie umgeschaltet haben. Die Ergebnisse dieser Konfliktstrategie lassen sich jetzt, einige Zeit später, besichtigen.
Ich will Ihnen das am Beispiel von Herrn Geißler vorführen, der hier vorn sitzt. Herr Geißler, an Ihrem Beispiel und am Beispiel der soeben von Frau Dr. Babel erwähnten Verschlechterung des Kündigungsschutzes von 1996 kann man exemplarisch Ihre Strategie und das jämmerliche Scheitern dieser Strategie vorführen. Ich will Sie aus der Debatte vom 23. Mai 1996 zitieren. Der Herr Kollege Dr. Geißler sagte damals im Rahmen der Diskussion des entsprechenden Themas:
Nun, warum machen wir das?
Er meinte die Verschlechterung der Lohnfortzahlung, Verschlechterung im Bereich der Lebensarbeitszeiten, Verschlechterung im Bereich des Kündigungsschutzes und wie die Themen alle hießen, also das, was wir eine klassisch neoliberale Angebotspolitik nennen. Das war ja Ihre Strategie: Eingriff in die sozialen Schutzrechte, und dies sollte mehr Beschäftigung schaffen. Dr. Geißler führte damals aus - ich sage das exemplarisch im Blick auf die Gesamtanlage der Politik in der abgelaufenen Legislaturperiode -:
Nun, warum machen wir das? Das Ganze dient nur dem Zweck, neue Arbeitsplätze zu schaffen. ...
Die Analyse des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks kommt zu dem Ergebnis: Wenn Ihr das macht, dann werden ungefähr 40 Prozent der Handwerksbetriebe - bei 1 Million Betrieben wären das 400 000 - neue Leute einstellen. Herr Murmann erklärte in der letzten Ausgabe der „Welt am Sonntag", er rechne im nächsten Jahr
- also 1997 mit 500 000 neuen Stellen durch das Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung. Das wurde ja jeweils nicht in arcanis, im Geheimen, gesagt, sondern öffentlich. Darüber hinaus machen wir das mit den Familienarbeitsverhältnissen. Bernhard Jagoda sagt, damit könnten 300 000 bis 400 000 Arbeitsplätze zusätzlich ermöglicht werden.
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- Das ist nun wirklich das größte. Da fragt dieser Herr Clown, was daran falsch sei. Das ist doch wirklich nicht zu fassen!
Herr Abgeordneter Schreiner, das Wort „Clown" ist ein unparlamentarischer Ausdruck.
Ich habe, Frau Präsidentin, „Herr Clown" gesagt. Aber es ist wirklich nicht zu fassen! Was war denn daran falsch? Das ist im Ernst nicht zu fassen. Das mindeste, was hier versprochen worden ist, war, daß allein durch die Verschlechterung des Kündigungsschutzes 500 000 zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse bis zum Jahr 1997 geschaffen werden sollten.
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- Ja, es ist mir schon klar, daß Ihnen diese Wahrheiten außerordentlich unangenehm sind. Es ist mir schon klar, daß Sie am Ende einer völlig gescheiterten Legislaturperiode jetzt allmählich in Panik geraten. Nur, Sie sollten Reste von menschlichem Anstand in diesem Hause bewahren.
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Ich könnte Ihnen das an einem Dutzend weiterer Beispiele deutlich machen. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich es Ihnen am Beispiel des Kündigungsschutzes aufzeigen kann. Darüber ist damals gesagt worden, daß ein veränderter Kündigungsschutz binnen Jahresfrist 500 000 neue Beschäftigungsverhältnisse bringe. Er hat aber nicht nur nicht zu 500 000 neuen Beschäftigungsverhältnissen geführt; vielmehr kam es alleine beim Handwerk innerhalb eines Jahres zum Verlust von fast 140 000 Beschäftigungsverhältnissen. Die Gesamtbilanz 1996/97 wies nicht 500 000 neue Beschäftigungsverhältnisse auf, sondern ergab fast genau 500 000 Arbeitslose mehr.
Ich will Ihnen damit nur noch einmal mit Hilfe eines Beispiels sagen: Wenn es jemals eine Strategie der Regierung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in dieser abgelaufenen Legislaturperiode gegeben hat - das völlig einseitige Setzen auf die Verbesserung der unternehmerischen Angebotsbedingungen
-, dann ist diese Strategie jämmerlich gescheitert. Schon deshalb gehören Sie am 27. September abgewählt. Neue Kräfte, neue Ideen, neue Phantasien und neue Überlegungen braucht dieses Land.
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Wir brauchen eine neue Verteilung der Arbeitszeit. Wir brauchen ein mutiges Sonderprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Ein Entwurf dafür liegt dem Parlament seit dem 1. Oktober letzten Jahres, also seit fast einem Jahr, vor. Wir brauchen ein vernünftiges Programm zur Förderung von Menschen, die nur einfache Tätigkeiten ausüben können
- hier sind wir hochdefizitär -, und vieles andere mehr. Die Debatten darüber sind bekannt.
Ich möchte ein letztes Wort an den Kollegen Arbeitsminister richten. Er hat heute hier seine letzte Rede als Arbeitsminister gehalten. Er hat wieder eine Wunderkerze gezündet. Nur: Diese Wunderkerzen werden nicht mehr dazu beitragen, Weder dieses Parlament noch die Republik zu erhellen. Die Menschen wissen, daß Sie, Herr Minister, immer ein anständiger Kerl waren. Aber die Menschen wissen auch: Entscheidend bei der Bewertung dessen, was Sie gemacht haben, ist nicht Ihr Charakter - Sie sind ein anständiger Kerl gewesen und geblieben -, entscheidend ist das - was uns der Bundeskanzler immer wieder lehrt -, was hinten herauskommt. Hinten herausgekommen ist beschäftigungs- und sozialpolitisch ein verheerender Mist! Das ist das Ergebnis dieser Regierung.
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Aus diesen Gründen werden wir uns nach dem 27. September hier in aller Freundlichkeit wiedersehen.
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Schönen Dank und eine schöne Zeit bis dahin.
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Ich erteile jetzt das Wort dem Abgeordneten Dr. Heiner Geißler, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Siegfried Hornung und ich fühlen uns durch die Rede des Herrn Schreiner nicht verletzt, obwohl Dummheit manchmal weh tun kann.
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Jemand - ich glaube, es war Andrea Fischer - hat vorhin von der Infragestellung oder sogar von der Zerstörung der Glaubwürdigkeit der Demokratie gesprochen. Ich bin über diese Debatte nicht traurig. Zu dem, was hier vorgetragen worden ist - auch von Ihnen, Frau Fischer; das muß ich leider sagen - ({1})
- „Leider", weil ich von ihr manchmal die eine oder andere durchaus konstruktive Idee gehört habe. - Was Sie, Frau Fischer, ebenso wie die Kollegen Dreßler und Schreiner hier gesagt haben, ist genau das, was wir vielen Wirtschaftsführern gegenüber in der Vergangenheit auf andere Weise auch immer wieder beklagt haben. Ich denke zum Beispiel an das, was Hans-Olaf Henkel im Ausland gemacht hat. Diese Wirtschaftsführer haben den Standort Deutschland ohne triftigen Grund schlechtgeredet, und Sie reden den Sozialstaat ohne Grund kaputt.
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Herr Schreiner hat doch tatsächlich gerade gesagt, wir würden die Familien unter allen europäischen Ländern am schändlichsten behandeln. Dann hat er eine Statistik über die europäische Situation aufgeführt.
Jetzt frage ich Sie einmal: Wo gibt es in einem anderen europäischen Land - vielleicht mag es das eine oder andere geben - zum Beispiel Kündigungsschutz von drei Jahren für berufstätige Frauen, die Kinder erziehen? Anerkennung von Erziehungsjahren: drei Jahre für ein Kind - wo? Wo gibt es eine Krankenversicherung, in der für einen Beitrag die gesamte Familie, und wenn sie sechs Kinder hat, in den Sozialversicherungsschutz einbezogen ist? Wo gibt es in Europa eine Pflegeversicherung, von der Pflegebedürftige bis zu 3 300 DM - in der Pflegestufe III 2 800 DM, in der Pflegestufe II 2 500 DM und in der Pflegestufe I 2 000 DM - bekommen? Wo werden die Leute, die die Pflege übernehmen, in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert? Lassen Sie die Verleumdung unseres Sozialstaates bleiben, Herr Schreiner, wenn Sie hier das Wort ergreifen!
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Was Sie, Frau Fischer, hier machen, ist um kein Haar besser. Das will ich anhand von zwei Beispielen belegen, die auch Herr Schreiner genannt hat. Nun bringt ihr die europäischen Statistiken und vergleicht unsere Arbeitslosenstatistik mit der englischen, mit der schwedischen, mit der französischen. Mancher Dumme kommt sogar noch auf die Idee, sie mit der amerikanischen Arbeitslosenstatistik zu vergleichen. Die Amerikaner haben überhaupt keine. Die ermitteln die Zahlen mit der Demoskopie; da wird geschätzt. Bei den Engländern kommen nur die in die Statistik hinein, die eine Leistung erhalten. In England hört die Leistung nach einem halben Jahr auf. Über 2 Millionen Langzeitarbeitslose sind in der englischen Statistik überhaupt nicht enthalten. Wenn wir die Statistikmerkmale hätten, die die Engländer, die Schweden und andere Länder haben, dann hätten wir eine Arbeitslosenstatistik, die überhaupt nicht mehr zu kritisieren wäre. Wir haben eine ehrliche Statistik, obwohl man auch über sie noch reden kann.
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Ich habe das schon einmal beklagt: Ich finde es sehr bedauerlich, daß in diesem Parlament Diskussionen geführt werden, bei denen offenbar keiner dem anderen zuhört. Da hat Kurt Biedenkopf heute vormittag völlig zu Recht aufgeschlüsselt, wie es mit den Arbeitslosen ist: 30 Prozent, 40 Prozent, noch einmal 30 Prozent. Er hat die Sache problematisiert, so wie es sich gehört. Er hat zum Beispiel die 30 Prozent Sucharbeitslosen - nach meiner Meinung völlig zu Recht - aus der eigentlichen Arbeitslosenproblematik herausgenommen.
Herr Dr. Geißler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?
Ungern. Aber bitte, Herr Schreiner.
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Muß ich jetzt leise weinend fragen, oder darf man ganz normal fragen? - Herr Kollege Geißler, ich wollte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß es eine Statistik der Europäischen Gemeinschaft gibt. Diese Statistik ist bereinigt. Selbst wenn man auf diese Statistik aus Brüssel nicht zurückgreifen würde, könnte man immer noch die Entwicklung der Beschäftigungsverhältnisse zu Rate ziehen. Wir haben jetzt am Ende der Legislaturperiode - das ist die Arbeitsmarktbilanz dieser Legislaturperiode - 700 000 Arbeitslose mehr als zu Beginn der Legislaturperiode, und wir haben rund 1 Million Beschäftigungsverhältnisse weniger als zu Beginn dieser Legislaturperiode. Diese Entwicklung ist dramatisch. In keinem anderen europäischen Land finden Sie eine auch nur annähernd ähnlich negative Entwicklung.
Im übrigen, was den Kollegen Ministerpräsident Biedenkopf anbelangt: Es hätte sich sehr gelohnt, auf vieles einzugehen.
Hätten Sie es doch gemacht!
Ich wollte Sie fragen, ob auch Sie zur Kenntnis genommen haben, daß er gewissermaßen die Opposition als Umwegstation benutzt hat, um der Regierungskoalition, vor allen Dingen der Bundesregierung, in aller Deutlichkeit zu sagen, daß einer der zentralen Fehler, die Sie in den vergangenen Jahren gemacht haben, war, pausenlos den Standort Deutschland herunterzureden. Wo soll da mutiges Engagement zur Verbesserung der Leistungsbereitschaft herkommen? Das war die Frage von Professor Biedenkopf an Ihre Adresse. Vielleicht nutzen Sie die Gelegenheit, sie jetzt zu beantworten.
Sie reden schneller, als Sie denken können.
({0})
Ich habe Ihre Frage nicht verstanden. Da ging soviel durcheinander; ich kann diese Frage nicht ordentlich beantworten. Ich weiß nur das eine: Wenn wir diese europäische Statistik zugrunde legen, dann liegen wir nicht an der schändlichsten, der letzten Stelle. Vielmehr liegen wir in der ordentlichen Mitte. Das habe ich noch einigermaßen in Erinnerung.
Ich möchte noch einmal auf das Problem zurückkommen, mit dem wir uns hier beschäftigen - Frau Fischer hat das auch angesprochen -, nämlich auf das Kaputtreden unserer Situation. Das war auch das Thema von Kurt Biedenkopf heute morgen. Ich möchte Sie vielleicht noch auf folgendes zum Thema Jugendarbeitslosigkeit hinweisen: 10,7 Prozent der
Jugendlichen unter 25 Jahren sind arbeitslos. Aber über die Hälfte dieser jungen Leute bekommt innerhalb von sechs Monaten einen Arbeitsplatz und 90 Prozent dieser Leute während eines Dreivierteljahres. Übrig bleiben 10 Prozent; das sind die 45 000, um die wir uns kümmern müssen. Die anderen bekommen einen Job. Sie müssen längere Zeit warten; das ist wahr.
Wir befinden uns in einer Umbruchgesellschaft. Worauf wir uns bei der Jugendarbeitslosigkeit konzentrieren müssen, das sind die 40 000 bis 45 000, die minder qualifiziert oder nicht qualifiziert sind. Dafür machen wir unsere Vorschläge: Kombilohn. Dafür haben wir das Quas-Programm, das der Bundesarbeitsminister zusammen mit dem Hamburger Senat realisiert hat. Das sind die richtigen Maßnahmen.
Zum Lehrstellenmangel: 735 000 junge Leute haben im letzten Jahr eine Lehrstelle gesucht; Stichtag war der 30. September. Das Angebot war etwa genauso hoch, 735 000. Es haben nicht alle eine Lehrstelle bekommen. Das hat eine ganze Reihe von Gründen. Ich glaube, 25 000 Menschen haben keine bekommen.
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Es ist auch nicht immer kompatibel, weil die Wünsche, Neigungen und Eignungen nicht immer ganz mit dem übereinstimmen, was an Stellen angeboten wird.
Wenn Sie diese Zahlen aber einmal zur Kenntnis nehmen: Man kann die Situation ja an dem einen oder anderen Punkt beklagen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß denn dieses Katastrophenszenario sein? Ich halte mir einmal vor Augen, was da gesagt worden ist: Sozialabbau, Verarmung, Verelendung, Ausbeutung. Frau Fischer hat das gesagt. Sie haben offensichtlich Lust an Katastrophen. Sie haben dazu inzwischen offenbar ein erotisches Verhältnis; ich kann mir das überhaupt nicht anders erklären.
Zur Frage der Armut, Herr Dreßler. Natürlich ist der Sozialhilfebezug kein Indiz für Armut.
Herr Dr. Geißler, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Niehuis?
Wir haben heute morgen darüber gesprochen. - Aber, bitte schön.
Herr Dr. Geißler, ich hätte eine Frage zu Ihrem Katastrophenszenario. Sie haben mich heute morgen auf die Idee gebracht, einmal nachzulesen, was Sie 1975 im Deutschen Bundestag gesagt haben. Ich frage Sie, ob Sie das noch immer meinen. Sie haben ausweislich des Protokolls vom 16. Januar 1975 gesagt:
Meine Damen und Herren, es wird immer wieder der Versuch unternommen, diejenigen, die es wagen, den Finger auf die Wunden zu legen, als Horrormaler, die ein unwirkliches Bild zeichnen, abzutun.
Das sagten Sie 1975. Wie stehen Sie zu Ihrer damaligen Aussage - die Quote bei Sozialhilfeempfängern unter 18 Jahren betrug damals 2,1 Prozent; 1996 lag diese Quote bei 6,3 Prozent - im Vergleich zu Ihrer heutigen Aussage?
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Frau Kollegin, Sie können diese Zahlen und Zitate von mir hier vortragen. Aber das eine weiß ich mit absoluter Sicherheit: Solche Reden, wie der Kollege Dreßler und der Kollege Schreiner sie gehalten haben, habe ich zu diesem Punkt mit Sicherheit nicht gehalten.
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Ich habe nicht gesagt, die Sozialdemokratische Partei
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- Frau Fuchs, Sie wissen das genau - würde den Sozialstaat kaputtmachen. Wie käme ich dazu, eine solche Behauptung aufzustellen? Das habe ich nicht getan. Aber Sie machen das, und zwar ohne jeden rationalen Grund.
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Sie setzen Szenarien in die Welt, als ob die Jahrtausendwende, die Endzeitpropheten und die Chiliasten auf Sie Einfluß genommen hätten, und versuchen, die Leute zu ängstigen.
Ich bin über diese Debatte gar nicht unglücklich, weil ich der Auffassung bin, daß Sie einen großen Fehler machen, und zwar in der Totalpersonalisierung und Amerikanisierung Ihres Wahlkampfes. Zudem begehen Sie einen Fehler, indem Sie glauben, mit einem solchen Szenario die Leute überzeugen zu können.
Die Union hat ein Problem. Das ist gar keine Frage. Die Leute sagen: 16 Jahre! Das heißt übrigens nicht, daß diese 16 Jahre schlecht waren. Das habe ich noch von niemandem gehört. Vor vier Jahren habe ich das Buch von Joschka Fischer vorgestellt. Darin steht der schöne Satz:
Wahrscheinlich wird die Geschichtsschreibung der späteren Jahre einmal feststellen, daß diese Zeiten
- damit hat er die Jahre von 1982 bis 1994 und besonders das Jahr 1989 gemeint zu den glücklichsten Jahren der Demokratie in diesem Jahrhundert gehört haben.
Das kann sich in den letzten vier Jahren wohl nicht geändert haben. Die Menschen - da hat Joschka Fischer völlig recht - denken gar nicht so. Sie sagen sich einfach: 16 Jahre, nun steht ein Wechsel an. - Das kann man nicht einfach vom Tisch wischen. Das muß die Union dazu bringen, zu begründen, warum man am 27. September wieder die CDU wählen soll. Dafür gibt es einige sehr gute Gründe.
Wir haben, wie Sie wissen, über die Arbeitsmarktentwicklung geredet. Tun Sie doch nicht so, als ob die Verantwortung dafür ausschließlich und allein bei der Bundesregierung und der Politik überhaupt liegt.
Der Computer hat unsere Arbeits- und Wirtschaftswelt radikal verändert. Die Folge ist, daß wir jedes Jahr ein höheres Bruttosozialprodukt erarbeiten: mit einem immer geringeren Arbeitsaufwand und auch immer weniger Menschen. Die Verwendung von Computern hat zu Rationalisierungen geführt, zu Umstrukturierungen unserer Unternehmen, und zwar in allen Industriestaaten. Bei uns hat das etwas länger gedauert, weil ein Ereignis eingetreten ist, das bei Ihrer Betrachtungsweise offenbar völlig ausgeblendet wird - es spielt bei Ihnen überhaupt keine Rolle mehr, wahrscheinlich weil es bei Ihnen auch vorher keine so große Rolle gespielt hat -:
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Im Jahre 1989/90 hat nämlich die deutsche Einheit stattgefunden. Deswegen haben wir im Vergleich zu Amerika, England und Frankreich eine um zwei bis drei Jahre verschobene konjunkturelle Entwicklung. Das gilt selbstverständlich auch für den Arbeitsmarkt.
Der Umstrukturierungsprozeß ist nun im wesentlichen abgeschlossen. Unsere moderne Wirtschaft ist auf dem Weltmarkt inzwischen wieder konkurrenzfähig. Unser Exportvolumen umfaßt 520 Milliarden Dollar. Die Amerikaner haben gerade einmal 60 Milliarden Dollar mehr, dort gibt es aber auch 180 Millionen Einwohner mehr. Das heißt: Wir sind wieder voll konkurrenzfähig. Jeder zweite Arbeitsplatz ist vom Export abhängig. Diese Umstrukturierungen und diese Modernisierung haben dazu geführt, daß, unterstützt durch unsere Reformen, die Betriebe jetzt wieder Leute einstellen können, daß wir über 1 Million offene Stellen haben. Diese Situation ist keine Eintagsfliege, als welche Sie sie immer wieder hinstellen. Sie ist vielmehr das Ergebnis des Umstrukturierungsprozesses in der deutschen Wirtschaft, das Ergebnis der Reformen und Folge unseres klaren Ja zu den modernen Technologien; denn in den modernen Technologien und den damit verbundenen Dienstleistungen entstehen die Arbeitsplätze von heute und von morgen.
Diese neue Welt mit den neuen Technologien muß aber eine menschliche Welt bleiben. Wir dürfen die Sache nicht so laufen lassen. Die neue Welt mit den neuen Technologien darf nicht über Leichen gehen. Deswegen brauchen wir eine Antwort auf die Globalisierung unserer Wirtschaft und eine internationale soziale Marktwirtschaft. Wir brauchen also den goldenen Mittelweg: soziale Marktwirtschaft auch auf der globalen Ebene. Das müssen wir den jungen Leuten sagen. Das ist die Konzeption der CDU.
Eine Wirtschaftsordnung, die sich möglicherweise so präsentiert, daß ein großes Unternehmen, eine große Bank in einer Presseerklärung sagt: „Wir haben noch nie soviel Gewinne gemacht - 6,7 Milliarden DM -" und „Wir müssen in den nächsten fünf Jahren 6000 Leute entlassen", ist nicht die WirtDr. Heiner Geißler
schaftsordnung, die wir als Christliche Demokraten für richtig halten, um dies einmal ganz klar zu sagen.
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Das ist nicht unsere Wirtschaftsordnung, und deswegen brauchen wir hier eine Entwicklung, die internationale soziale Marktwirtschaft möglich macht.
Ein zweites gutes Argument - das hat etwas mit Sozialpolitik zu tun -, die CDU/CSU zu wählen: Der Euro kommt. Aber wir wollen ja, daß dieser Euro mindestens genauso stabil wird wie die D-Mark, die stabil geworden ist, seit die Union an der Regierung ist.
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- Entschuldigung, das weiß ich aber ganz genau. Frau Fuchs hat mir damals, im Oktober 1982, im Ministerium das Amt übergeben. Sie hatten damals eine Inflationsrate von 5,5 Prozent, für die einfache Lebenshaltung eines Kindes von 7,3 Prozent, Herr Dreßler. 1 Prozent Inflation zog den Leuten damals 18 Milliarden DM aus der Tasche. Jetzt können Sie hochrechnen, was bei 5 Prozent Inflation mal 18 den Leuten in der Tasche fehlt. Die Inflation tobt sich auf dem Rücken der kleinen Leute, der Rentnerinnen und Rentner und der Familien mit Kindern aus.
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Der Abschnitt „Kinderarmut" - das habe ich schon heute morgen in der Ausschußsitzung gesagt - beschränkt sich auf sieben Seiten des Kinder- und Jugendberichtes, der 343 Seiten hat.
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Er beschäftigt sich auf sieben Seiten, auf den Seiten 88 bis 95, mit der Armut. Mit allen anderen Themen, zum Beispiel dem Thema Medien, die in diesem sehr guten Bericht enthalten sind, beschäftigen Sie sich nicht. Sie konzentrieren sich auf die sieben Seiten, weil dort soziologische Pendel ausgebreitet werden, über die man wirklich debattieren kann. Aber, Herr Dreßler, ich will Ihnen eine Antwort geben: Sozialhilfe ist kein Beweis für Armut.
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Die Sozialhilfe verhindert Armut.
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Aber die Sozialhilfe ist sehr wohl ein Indiz dafür, wo sich in unserer Gesellschaft Veränderungen vollzogen haben, die wir korrigieren müssen. Das war auch damals, im Jahre 1975, bei der sozialliberalen Koalition der Fall. Damals hatten wir Armut, insoweit sie zum Beispiel verschämte Armut war, verschämte Altersarmut. Das hat sich inzwischen etwas verändert.
Herr Dr. Geißler, es besteht ein weiterer Wunsch nach einer Zwischenfrage, und zwar von der Abgeordneten Dr. Höll.
Nein. Von jemandem, der in der Nachfolge einer Partei ist, die den Frauen 300 Ostmark als Rente zugebilligt hat, lasse ich mir keine Frage zur Armut stellen, um das einmal ganz klar zu sagen. Das mache ich nicht mit.
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Ich will dazu nur folgendes sagen: Sozialhilfebezug ist ein Indiz - das ist wahr -, daß irgendwo in einer Gesellschaft Veränderungen vorgenommen werden. Die Altersarmut ist zurückgegangen. Inzwischen haben sich neue Entwicklungen ergeben, die wir genau beobachten müssen, zum Beispiel die Armut von Ausländerkindern.
Wir haben ein Problem bei Alleinerziehenden, allerdings nicht bei Alleinerziehenden in den ersten zwei Jahren des Kindes. Da haben wir keine Probleme, denn eine solche Frau bekommt auf Grund unserer Gesetzgebung 600 DM Erziehungsgeld, 600 DM Sozialhilfe, einen 20 prozentigen Mehrbedarfszuschlag, und das Kind bekommt ungefähr 300 DM. Jetzt bin ich schon bei 1500 DM, und dann kommt noch der Mietzuschuß hinzu. Das heißt, die Frau bekommt über 2000 DM netto. Nach dem zweiten Jahr des Kindes wird die Sache schwierig, aber zum Beispiel nicht in Baden-Württemberg und auch nicht in Bayern; denn dort gibt es ein Erziehungsgeld für das dritte Jahr.
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In den anderen Ländern, für die Sie verantwortlich sind, gibt es dieses Erziehungsgeld nicht. Ab dem vierten Jahr haben wir keine Probleme in den Ländern, in denen wir einen hundertprozentig realisierten Anspruch auf Kindergartenplätze haben. Auch diese haben wir wieder nur in Baden-Württemberg, Bayern und in Rheinland-Pfalz, dort aber nicht wegen der SPD-Regierung, sondern das war schon zu der Zeit so, als ich dort Minister war. In NordrheinWestfalen und in Niedersachsen haben wir nicht ausreichend Kindergartenplätze.
Das Problem der Kinderarmut müssen wir alle miteinander beraten und auch lösen - der Bund dort, wo er die Verantwortung trägt, und die Länder dort, wo sie die Verantwortung tragen.
Ich komme noch einmal zum Euro zurück. Der Euro muß natürlich genauso stabil werden wie die D-Mark, die stabil geworden ist, seit wir an der Regierung sind. Ob das geschieht, entscheidet sich in den kommenden vier Jahren. Sagen Sie nicht: Es ist reiner Materialismus. Ich habe es Ihnen gerade schon gesagt: Es hat etwas mit Sozialpolitik zu tun. Es entscheidet sich in den kommenden vier Jahren, ob der Stabilitätskurs durchgesetzt wird. Nach dem, was Sie inflationspolitisch bis Ende 1982 geleistet haben, weiß ich nicht, ob ausgerechnet die Aufgabe, unser neues Geld stabil zu halten, bei Ihnen in guten Händen wäre. Auch bei den Grünen weiß ich das nicht.
Ich will es auf einen Nenner bringen: Der Euro kommt. Wenn wir jetzt das Geld wechseln, dann sollDr. Heiner Geißler
ten wir gescheiterweise nicht auch noch die Regierung wechseln.
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Es gibt einen dritten wichtigen Grund, die CDU und CSU zu wählen: Das ist die Reformfähigkeit unserer Gesellschaft. Hierzu nicht fähig ist eine politische Partei, die sich anschickt, unser Volk in das nächste Jahrhundert zu führen, sich im Grunde genommen aber bei allen wichtigen Reformvorhaben verweigert hat.
Frau Fischer, Sie haben mich etwas enttäuscht, als Sie gesagt haben: Wir machen das alles rückgängig. Sie müssen doch eine Antwort auf die Frage der Finanzierung geben.
Ihre Vorschläge zur Rentenversicherung, Herr Dreßler, geben doch keine Antwort auf die Frage nach einer langfristigen Finanzierung zum Beispiel angesichts der höheren Lebenserwartung.
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- Nein, das haben Sie nicht. Das gilt für die Krankenversicherung genauso.
Was mich auf dem Gebiet der Krankenversicherung am meisten empört, ist, daß Sie auch hier wieder ein Angstszenario aufbauen, das mit der Realität überhaupt nichts zu tun hat. Sie verschweigen den Menschen nämlich, auch was die Kinderarmut anbelangt, daß 22 Millionen Menschen überhaupt keine Zuzahlung leisten müssen.
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Alle, die unter die Härtefallklausel fallen und im Westen ein Einkommen von unter 1736 DM - bei Verheirateten sind es 2387 DM; ich denke an ein Rentnerehepaar - zahlen keine Mark an Zuzahlung für Arzneimittel, Heil- und Hilfsmittel und Transportkosten. Es handelt sich um 22 Millionen Menschen, die keine Zuzahlung leisten müssen. Da reden Sie von Abbau des Sozialstaates!
Die Zuzahlung derjenigen, deren Einkommen oberhalb dieser Grenze liegt, ist begrenzt auf 2 Prozent ihres Bruttoeinkommens. Bei einer Verkäuferin mit einem Einkommen von 3000 DM sind das 60 DM. Gut, das sind 720 DM im Jahr. Chronisch Kranke müssen 1 Prozent zahlen, also 360 DM im Jahr. Es ist wahr, das ist eine Belastung. Dafür bekommt eine solche Frau aber das beste Gesundheitswesen der Welt,
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weil wir die Leute nicht - wie in England - selektieren und sagen: Wer älter als 80 Jahre ist, arm ist und kein Geld hat, der bekommt keine Bypassoperation, kein künstliches Hüftgelenk und keine Nierentransplantation. So sieht nicht die Gesundheitswelt aus, die wir für richtig halten. Deswegen ist die Zuzahlung sozial verträglich; sie ist der richtige Weg.
Sie haben keine Alternative. Es ist bedauerlich, daß Sie unsere Reformen rückgängig machen wollen.
Die Folge ist, daß die Beiträge wieder ansteigen. Dann haben die Leute netto weniger in der Tasche. Die Handwerker haben zu hohe Lohnzusatzkosten. Wir würden genau das Gegenteil von dem machen, was wir eigentlich machen müssen. Im Grunde genommen sind das, auf den Punkt gebracht, Ihre Vorschläge.
Wenn Sie nichts tun wollen, dann werden Sie die Probleme der Zukunft nicht lösen. Lieber Herr Dreßler, wo die Nächstenliebe nur darin besteht, nichts Böses zu tun, dort ist sie von der Faulheit kaum zu unterscheiden.
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Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention der Abgeordneten Dr. Höll, PDS.
Herr Geißler, da Sie es ja nicht bei einer einfachen Ablehnung der Bitte um eine Zwischenfrage belassen haben, sondern versucht haben, den unrichtigen Eindruck zu erwecken, daß es uns als demokratisch gewählten Abgeordneten im Bundestag nicht zustehe, uns zu bestimmten Fragen zu äußern - was ich schon für ein sehr eigenartiges Demokratieverständnis halte -, möchte ich einiges richtigstellen.
Bei aller in der DDR vorhandenen starken ideologischen Ausrichtung, die aber in den verschiedenen Zeitabschnitten der DDR und auch an den verschiedenen Orten jeweils sehr unterschiedlich war - wir haben dort gelebt, nicht Sie; das müssen Sie uns schon glauben -, gab es keine wie heute hier verankerte und immer mehr zunehmende soziale Begrenzung der Lebens- und Berufsaussichten von Kindern und Jugendlichen. Im Ergebnis Ihrer Politik ist es nun einmal so, daß der Anteil von Kindern aus Arbeiterhaushalten immer weiter zurückgeht, zum Beispiel bei Studenten und Studentinnen. In der DDR gab es - bei den von mir genannten Einschränkungen - eine sehr günstige Kinderbetreuung. Es gab Kinderkrippen, Kindergärten und Kinderhorte. Ich sage einmal: 50 Mark Kindergeld waren in dem System, welches wir nun einmal hatten,
({0})
zum Teil mehr als die 220 DM, die es heute für ein Kind gibt. Das ist einfach so. Ich mußte zu DDR-Zeiten keine Hustentabletten bezahlen, wie ich es inzwischen auch für Kinder machen muß.
({1})
In der DDR war auch die Kinderkleidung subventioniert. Deswegen kann man absolute Zahlen nicht nebeneinanderstellen.
Dasselbe gilt für die Rente. Niemand von uns bestreitet, daß die Renten, die DDR-Bürger heute erhalten, zum Teil sehr gut sind. Aber erstens haben Sie Rentenrecht als Strafrecht mißbraucht - das ist immer noch nicht vollständig aufgehoben -, und zweitens
haben gerade DDR-Frauen eine sehr gute Rente, weil sie ihr ganzes Leben lang berufstätig waren und sich ihre Rentenansprüche hart erarbeitet haben. Die 300 Mark Mindestrente, die alle bekamen, hatte man zumindest wirklich; man muß auch sehen, daß man für 10 Pfennige Straßenbahn fahren konnte. Versuchen Sie nicht den Eindruck zu erwecken, als ob das nichts gewesen wäre.
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Es ist doch bezeichnend, daß Sie bis heute immer wieder die Versuche der Opposition abgelehnt haben, tatsächlich über Armut und Reichtum zu diskutieren. Wir haben Sie aufgefordert: Erstellen Sie einen Reichtums- und einen Armutsbericht. Dann hätten wir wirklich eine gesicherte Grundlage. Sie haben es doch immer mit Ihren Mehrheiten abgelehnt, eine solche gesicherte Grundlage zu erstellen und auf dieser Basis mit allen Seiten der Opposition zu diskutieren.
Versuchen Sie hier nicht, anderen zu unterstellen, sie würden den Begriff Armut falsch interpretieren. Es ist natürlich so, daß die Sozialhilfe nur das Existenzminimum absichert und nicht mehr.
({3})
Herr Kollege Dr. Geißler, Sie haben die Möglichkeit, darauf zu antworten. - Bitte schön.
Frau Kollegin, wenn es bei Ihnen damals so schön und so gut war,
({0})
warum haben Sie denn die Leute eingesperrt und, wenn sie nach drüben wollten, erschossen?
({1})
Ich will Ihnen folgendes zu den Medikamenten sagen: Die guten Medikamente - die Kollegin hat es mir gerade noch einmal bestätigt -, die heute jeder Versicherte in Deutschland bekommt und die Versicherten in Westdeutschland immer bekommen haben, haben nur Ihre Funktionäre bekommen. Wenn der normale Bürger Medikamente aus Westdeutschland geschickt bekommen hat, haben Ihre Zollbeamten oder wer auch immer die Pakete aufgemacht und diese Tabletten aus den Paketen herausgenommen.
({2})
Das war die Realität in der sogenannten DDR gewesen.
Bei den Diskussionen, die wir heute geführt haben, fällt mir ein Sprichwort ein. Erich Kästner hat einmal gesagt: Wer das Schöne im Leben vergißt, wird böse; wer das Schlechte im Leben vergißt, wird dumm. Manche in Westdeutschland vergessen das Schöne, nämlich daß wir das Glück gehabt haben, miteinander in Freiheit, Demokratie und Sozialpartnerschaft dieses Land wiederaufzubauen. Es gibt genügend politische Kräfte, die das vergessen machen wollen. Deswegen wird die Diskussion bei uns wie zum Beispiel heute nachmittag bösartig. Im Osten gibt es Leute, die das Schlechte vergessen machen wollen, daß die Leute nämlich vor zehn Jahren noch in einer Diktatur, eingesperrt und bespitzelt, leben mußten. Sie wollen außerdem, daß die Leute vergessen, daß man nicht innerhalb von wenigen Jahren etwas erreichen kann, von dem wir miteinander gewünscht hätten, daß es einträte. Deswegen ist Ihr Ansinnen, das Schlechte vergessen machen zu wollen - frei nach Erich Kästner -, nichts anderes als der Versuch, das Volk zu verdummen. Die PDS ist die Volksverdummungspartei der Bundesrepublik Deutschland.
({3})
Eine Sekunde, Frau Kollegin Dr. Merkel. Wenn Sie hier eine Kurzintervention machen wollen, geht das nur, wenn Sie zur Rede von Herrn Geißler sprechen wollen. Sie können keine Kurzintervention auf eine Kurzintervention machen. Ich weiß nicht, wie ich Ihre Wortmeldung einordnen soll. - Wünschen Sie also das Wort zu der Rede vom Kollegen Geißler?
Ja, ich wünsche das Wort, weil ich gut verstehen kann, daß dem Kollegen Geißler der Hut hochgegangen ist und er deshalb eine Kurzintervention gemacht hat. Ich möchte aus dem Blick der anderen Seite genau das ergänzen, was Herr Kollege Geißler gesagt hat.
Entschuldigen Sie, Frau Kollegin, das kann ich nicht zulassen.
Warum nicht? Natürlich. Ich spreche zu der Kurzintervention von Herrn Kollegen Geißler
Zu der Rede!
- und zu der Rede von Herrn Geißler - das ist vollkommen klar -, weil ich glaube, daß es wichtig ist, daß ich bei dem Stand der Diskussion - Herr Präsident, wenn Sie mir das gestatten - noch einmal sage, daß die Frage der Armut, die hier in aller Breite immer wieder diskutiert wird, zuerst auch die geistige Armut und den geistigen Reichtum betrifft.
Wenn hier über Armut gesprochen und von anderen darauf verwiesen wird, daß in der DDR keine Armut geherrscht hätte, dann kann ich nur sagen: Auf das, was wir bis heute erreicht haben - ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz in der Bundesrepublik Deutschland; unter Bedingungen, die ermöglichen, daß Kinder freiheitlich erzogen werden könDr. Angela Merkel
nen, daß verschiedene Wege gegangen werden können -, können wir stolz sein,
({0})
weil wir - das ist mir wichtig - dieses auch im Zuge der deutschen Einheit erreicht haben.
Ich weiß nicht, ob es in der Bundesrepublik Deutschland den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz auch ohne die deutsche Einheit gegeben hätte. Deshalb ist das, wie ich finde, ein gutes Ergebnis. Das ist ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, so wie ich mir ihn vorstelle. Dieser Rechtsanspruch wurde nicht verwirklicht, weil die Arbeitskraft der Mütter gebraucht wird und der Staat froh ist, daß er Kinder vom ersten Lebensjahr an indoktrinieren kann.
Das ist der Unterschied zwischen Armut in der früheren DDR und Armut in der Bundesrepublik Deutschland.
Herzlichen Dank.
({1})
Frau Kollegin, wenn ich daran denke, daß Sie als Mitglied der Bundesregierung jederzeit das Recht haben, zu reden, habe ich ein Problem damit, das als eine Kurzintervention auf die Rede des Kollegen Geißler einzuordnen. Ich nehme an, Herr Kollege Geißler, daß Sie darauf nicht antworten wollen. Ist das richtig?
Ja.
Danke.
Für den Bundesrat spricht die Senatorin für Arbeit Berufliche Bildung und Frauen des Landes Berlin, Frau Dr. Christine Bergmann. Bitteschön.
Senatorin Dr. Christine Bergmann ({0}): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, auf das Thema Kindergartenplatz werde ich im Laufe meiner Ausführungen noch zu sprechen kommen und vielleicht etwas Sachliches dazu sagen. Das wäre ja auch nicht schlecht.
({1})
Herr Geißler, Sie haben, als Sie begannen, den Kollegen Schreiner kritisiert und gemeint, einige seiner Darstellungen seien nicht ganz sachgemäß und richtig gewesen. Wenn ich jetzt auf alle Ihre Unrichtigkeiten eingehen wollte, bräuchte ich mindestens eine Stunde, bevor ich zu meinem eigentlichen Thema komme.
({2})
Ich werde auf den einen oder anderen Punkt eingehen. Aber vieles von dem, was Sie gesagt haben - das wissen Sie selbst -, war nicht in Ordnung.
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Sie haben uns ein erotisches Verhältnis zu Katastrophenmeldungen zugeschrieben. Das halte ich schon für sehr zynisch. Ich bin jeden Tag in Berlin unterwegs und kämpfe um Ausbildungsplätze, kümmere mich darum, daß Jugendliche in den Arbeitsmarkt hineinkommen. Ich habe die Jugendlichen vor mir, die Mädchen und Jungen, die verzweifelt sind, weil es noch nicht geklappt hat, weil sie seit zwei Jahren suchen, oder - das ist natürlich besser - diejenigen, die glücklich sind, weil es endlich gelungen ist, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.
({4})
Darum geht es uns. Darum sollte es vielleicht auch einmal in einer solchen Debatte gehen. Es geht darum, Probleme im Lande zu lösen. Das, was ich Ihnen vorwerfe, ist, daß Sie einen ganz massiven Realitätsverlust haben.
({5})
Es geht nicht um Katastrophenmeldungen. Es geht darum, herauszufinden, wo die Probleme liegen und wie man sie gemeinsam anpacken kann. Wie groß Ihr Realitätsverlust ist, haben wir gerade deutlich gesehen, als Sie den Zehnten Kinder- und Jugendbericht vorgelegt haben. Die Ergebnisse sind nicht sehr schön; das geben wir alle hier sicher zu. Dann muß man sich aber hinsetzen und - vielleicht ist das eine etwas naive Meinung - sagen: Ich bin nicht einer Meinung mit den Gutachtern; ich bin nicht mit allem einverstanden. Laßt uns diskutieren; laßt uns darüber entscheiden, wie wir die Situation von Kindern, von Jugendlichen und von Familien in diesem Lande verbessern können.
Aber was machen Sie?
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- Ihre zuständige Ministerin hat aber zunächst eine Debatte darüber angefangen, wann jemand als arm anzusehen ist. Frau Merkel hat das gerade mit dem Thema der geistigen Armut fortgesetzt. Das ist auch ein wichtiges Thema, das will ich gar nicht abstreiten. Aber vielleicht sollten wir uns einmal mit der materiellen Armut befassen; denn darum geht es in diesem Kinder- und Jugendbericht.
Sie haben wenigstens - das gebe ich fairerweise zu; ich bin ja immer fair - angesprochen, daß der Umfang der Sozialhilfe mindestens ein Indiz dafür ist, daß etwas verbessert werden muß. Das ist ja schon einmal etwas. Von der Jugendministerin habe ich so etwas in den letzten Tagen nicht gehört. Ich habe von ihr eigentlich immer nur gehört, daß sie bestreitet, daß Sozialhilfebedürftigkeit durchaus problematisch ist.
Vielleicht ist Ihnen zur Kenntnis gekommen, daß es vor einem Jahr zur Lage in den neuen Ländern
Senatorin Dr. Christine Bergmann ({7})
einen Bericht der Diakonie und der Caritas „Menschen im Schatten" gegeben hat. Dort finden Sie eine Armutsdefinition, die mit dem soziokulturellen Existenzminimum arbeitet und die ganz klar besagt: Mit der Sozialhilfe, so wie wir sie jetzt haben, ist dieses sozio-kulturelle Existenzminimum eben nicht mehr gewährleistet. Es muß in dieser Gesellschaft um mehr als nur darum gehen, daß Kinder und Jugendliche nicht verhungern. Wir sollten alle zusammen ein bißchen mehr als das verlangen.
({8})
Es muß uns darum gehen - mir geht es besonders darum -, daß uns jedes Kind in dieser Gesellschaft gleich wichtig ist. Sie wissen angesichts der vor uns liegenden Zahlen ganz genau, daß es Unterschiede und Einschränkungen hinsichtlich der materiellen Bedingungen gibt.
Ich komme noch einmal auf den Bericht der Caritas und der Diakonie zurück. Sie haben von verschämter oder verdeckter Armut gesprochen. In diesem Bericht steht eine interessante Zahl, die Sie wahrscheinlich gar nicht zur Kenntnis genommen haben: In den neuen Ländern kommen auf zehn Sozialhilfeempfänger 17 Frauen oder Männer, die sozialhilfebedürftig sind, die Sozialhilfe aber nicht in Anspruch nehmen.
({9})
- Das ist verdeckte Armut in einem ganz erheblichen Umfang. Auch diese Tatsache müssen wir zur Kenntnis nehmen. Wir können doch nicht so tun, als ob das Ansprechen dieser Tatsache aus Lust an der Katastrophe geschähe. Es wäre uns allen lieber, es würden insbesondere für die Kinder und Jugendlichen bessere Zahlen auf dem Tisch liegen.
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Man kann nicht sagen, daß Sozialhilfe die Menschen aus der Armut herausführt und daß am Ende nur die übrigbleiben, die mit ihren persönlichen Problemen nicht fertig werden. Diese Aussage ist schon ziemlich zynisch. So kann man das Thema Armut sicherlich nicht vom Tisch bekommen. 22 Prozent der Kinder in den neuen Ländern und fast 12 Prozent in den alten Ländern sind betroffen. Ich weiß gar nicht, welche Zahlen wir eigentlich noch auf dem Tisch haben wollen, bevor wir uns mit dem Thema ernstlich befassen.
Wenn Sie über die Folgen dieser Kinderarmut nachdenken wollen - das würde nicht schaden -, dann gibt Ihnen der Bericht - Sie haben ja schon darauf hingewiesen, daß man sich nicht nur mit der Armut an sich beschäftigen sollte - sehr gute Hinweise. Sie wissen, daß Armut gesundheitliche Folgen und Folgen der sozialen Ausgrenzung hat. Das ist eben eine Tatsache. Ich lebe in einer Stadt mit vielen sozialen Brennpunkten. Wenn Sie die Situation der Kinder betrachten, deren Eltern von Arbeitslosigkeit betroffen sind und die daher nicht erleben können, daß ihre Eltern arbeiten, dann erkennen Sie die Benachteiligungen, auch Benachteiligungen bei der Bildung.
({11})
Wenn Sie den Kindern dann sagen: Strengt euch an, einen guten Schulabschluß zu erreichen, damit ihr eine Chance habt, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, dann antwortet Ihnen ein Teil dieser Kinder: Warum denn? Ich sehe ja bei meinen Eltern, daß das nichts bringt. - Am Ende trifft die sich selbst erfüllende Prophezeiung zu, daß die Kinder tatsächlich keinen ordentlichen Schulabschluß und damit keinen Ausbildungsplatz bekommen, weil sie schon vorher resigniert haben. Mit diesem Sachverhalt muß man sich auseinandersetzen.
Wir müssen das sozio-kulturelle Existenzminimum für Kinder und Jugendliche so definieren, daß nicht nur die materielle Grundausstattung der Kinder, also der Lebensunterhalt, gesichert sein muß, sondern daß auch Bildungserfordernisse und die soziale und kulturelle Förderung der Kinder berücksichtigt werden.
Wir haben es erlebt: Anstatt diese Empfehlungen aufzugreifen, kommen die berühmten Zahlen von seiten der Bundesregierung. Heute ist ja schon - Herr Waigel, ich glaube, Sie waren es - Wahrheit und Klarheit eingefordert worden. Sie haben den Betrag von 77 Milliarden DM genannt, der jetzt für die Familienförderung ausgegeben wird. Kinder leben ja in Familien. Das bedeutet: Wo Kinderarmut herrscht, sind die Familien in einer schlechten materiellen Situation.
Hinsichtlich des Betrages von 77 Milliarden DM haben Sie verschwiegen, daß wir inzwischen - darüber freue ich mich - die deutsche Einheit hatten, daß also das Land größer geworden ist. Es sind Familien mit relativ vielen Kindern - damals jedenfalls; jetzt ist das leider drastisch zurückgegangen - hinzugekommen. Sie haben weiterhin verschwiegen, daß es Verbesserungen beim Familienlastenausgleich gegeben hat. Bei der Berechnung der 77 Milliarden DM berücksichtigen Sie auch nicht, daß die Lebenshaltungskosten gestiegen sind. Weiter rechnen Sie Landesleistungen mit ein. Auch in diesem Punkt sind Sie nicht sehr genau.
Eines ist ja klar - die Mitglieder des Bundestages wissen sehr genau, wie die Situation wirklich war -: Die Erhöhung des Kindergeldes können Sie sich nicht auf die eigenen Fahnen schreiben. Dies ist nur durch die SPD-Mehrheit im Vermittlungsausschuß erreicht worden.
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Sie, Frau Nolte, haben hier im Bundestag noch dagegen gestimmt. Sich hier hinzustellen und zu sagen: „Das ist alles toll, was wir hier geleistet haben", hat schon ein Stück mit Chuzpe zu tun.
Sie wissen, was wir wollen. Wir wollen das Kindergeld auf 250 DM erhöhen. Wir brauchen natürlich einen stärkeren Familienlastenausgleich. Das fordern nicht die Sachverständigen in dem Armutsbericht. Das fordern zum Beispiel die Kirchen. In dem Sozialwort der beiden großen Kirchen zur wirtschaftlichen
Senatorin Dr. Christine Bergmann ({13})
und sozialen Lage steht ausdrücklich, daß die Familien in unserem Land besser gefördert werden müssen. Aber Sie nehmen dieses Wort der Kirchen genausowenig wie alle anderen Vorschläge ernst, die auf etwas mehr soziale Gerechtigkeit und Solidarität ausgerichtet sind.
({14})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geißler?
Senatorin Dr. Christine Bergmann ({0}): Sie können gerne Ihre Frage stellen.
Herr Kollege Geißler, bitte schön.
({0})
Darf ich Sie freundlich bitten, daß Sie, wenn Sie das nächste Mal über die Familienpolitik der Bundesrepublik Deutschland reden, zwar durchaus die 20 DM mehr für das erste und zweite Kind als eine Entscheidung verbuchen, die der Bundesrat durchgesetzt hat, aber dann vielleicht doch fairerweise die gesamte Familienpolitik darstellen, nämlich alles andere, wie die Erhöhung des Kindergelds in dieser Legislaturperiode auf erst 200 DM und dann 300 DM für das dritte Kind, 350 DM für das vierte und jedes weitere Kind,
({0})
die Verbesserung der Unterhaltszuschußkassen, die Anerkennung von Erziehungsjahren - drei Jahre für ein Kind schon ab der nächsten Legislaturperiode - und alles, was damit zusammenhängt, und nicht nur die 20 DM Kindergelderhöhung, die Sie völlig zu Recht für sich verbuchen können. Aber es sind eben nur 20 DM und sonst nichts.
Senatorin Dr. Christine Bergmann ({1}): Wir wollen auch mehr. Fairerweise sage ich, wie Sie es gefordert haben, noch etwas zum Erziehungsgeld. Dabei müßte Ihnen eigentlich das Herz bluten; denn Sie wissen genau, daß die Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld, seit es eingeführt wurde - es war sehr gut, das Bundeserziehungsgeld einzuführen; Sie wollen ja, daß ich das Gute benenne -, nie angepaßt wurden. Wir haben eben jetzt die Situation, die Sie kennen, daß nämlich früher neun von zehn Familien das Geld bekamen und heute nur noch vier von zehn Familien es bekommen. Das finde ich weniger toll. Ich denke, Sie stimmen mir in diesem Punkt zu.
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Sie haben auch dem Vorschlag der SPD nicht zugestimmt, die Einkommensgrenzen anzupassen, das Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub zu Elterngeld und Elternurlaub umzugestalten, was noch nicht einmal etwas gekostet hätte. Das wäre auch unter familienpolitischen und frauenpolitischen Gesichtspunkten vernünftig gewesen. Ich denke, auch das gehört zu diesem Punkt der Leistung für Familien. Hier muß mit Sicherheit mehr passieren.
Ich sage es noch einmal deutlich: Es ist zunächst einmal eine Sache des Bundes. Der Versuch, nun immer zu sagen: „Das sollen einmal die Länder machen", bringt nichts. Sie tun schon, was sie können. Wir und die Kommunen haben aber bereits andere Aufgaben, die sowieso bei den Ländern landen: die Sozialhilfe, immer mehr die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Jugendarbeitslosigkeit. Die Förderung der Familien - darüber sollten wir uns einig sein - ist eine Sache des Bundes.
Ich möchte noch einen anderen Punkt nennen. Wenn wir uns darüber unterhalten, wer von dieser Kinder- und Jugendarmut am meisten betroffen ist, dann stellen wir fest, daß dies die kinderreichen Familien und die Alleinerziehenden sind. Diese haben heute in der Debatte noch kaum eine Rolle gespielt. Es sind auch die Zuwandererfamilien.
Hier muß man sich fragen: Was ist in den letzten Jahren zur Verbesserung der Situation der Frauen, vor allen Dingen der Frauen in der Erwerbsarbeit passiert? 30 Prozent alleinerziehende Frauen leben von Sozialhilfe. So toll leben sie nicht. Herr Geißler hat es vorgerechnet: Wenn das Erziehungsgeld nicht mehr gewährt wird, sieht es also sehr „mau" aus. Da muß man sich auch als Familien- und Frauenministerin darum kümmern, was man tun kann, um diese Frauen besser auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen.
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Jetzt sind wir beim Thema Kinderbetreuung. Ich hatte angekündigt, etwas dazu zu sagen. Das hat etwas damit zu tun, daß man sich deutlich darum kümmern muß, daß Frauenförderung zum Beispiel auch im Bereich der Wirtschaft eine größere Rolle spielt. Es reicht eben nicht, wenn wir ein Gleichstellungsgesetz haben, das nur für den öffentlichen Dienst gilt.
Frau Nolte, Sie haben so viele schöne Vorgaben gehabt, zum Beispiel das Quotenurteil des Europäischen Gerichtshofs und das Vergaberechtsänderungsgesetz. Hier hätte man richtig etwas verbessern können. Aber auf die noch verbleibenden vier Wochen kommt es jetzt auch nicht mehr an. Wir als SPD werden es danach hinbekommen.
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Man muß den Frauen in diesem Lande deutlich sagen: Wenn es um den Anteil der Frauen an der Erwerbsarbeit geht, muß - das ist für die Frauen dringend notwendig - noch erheblich mehr getan werden; denn die Anrechnung von drei Jahren Erziehungszeit sichert den Frauen keine anständige Rente. Deshalb muß man sehen, wie man sie auf dem Arbeitsmarkt unterbringt. Man darf eben nicht zulassen, daß im Arbeitsförderungsgesetz zu Lasten der Frauen Leistungen abgebaut werden. Wir haben IhSenatorin Dr. Christine Bergmann ({5})
nen, Frau Nolte, als Frauenministerin und dem Arbeitsminister einen ganzen Katalog von Regelungen vorgelegt, die nicht sein dürfen: der Wegfall der Anrechnung von Erziehungszeiten, die Erweiterung der Kriterien der Zumutbarkeit, das Fehlen von Mußvorschriften bei der Quotierung. Das alles haben Sie nicht aufgegriffen. Hier hätten Sie nun wirklich eine ganze Menge mehr tun können, wenn Sie das Ziel, den Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen zu erhöhen, ernst nehmen würden.
In dem Zusammenhang noch ein Satz zu Herrn Biedenkopf, der heute früh die Empfehlungen der sächsisch-bayerischen Zukunftskommission angeführt hat.
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Mit einem Blick zu mir hat er von „kritischen Auseinandersetzungen" gesprochen. In der Tat, wir haben uns mit dieser Streitschrift - wer sie haben will, dem kann ich sie zur Verfügung stellen - kritisch auseinandergesetzt. Nur, eigentlich hätten Sie, Frau Nolte, sich mit diesen Empfehlungen auseinandersetzen müssen. Denn manches von dem, was da zur Frauenerwerbsarbeit ausgeführt wird, ist schon dramatisch.
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Wenn, so wird ziemlich deutlich gesagt, die Frauen, insbesondere die Ostfrauen, nicht so renitent wären und unbedingt erwerbstätig sein wollten, gäbe es gar kein so großes Problem auf dem Arbeitsmarkt. Ein Mitglied dieser Kommission hat uns auf einer Veranstaltung in Berlin gesagt: Na gut, wir haben begriffen: Die Ostfrauen wollen unbedingt; da kann man wohl nichts machen. Aber daß die Westfrauen das nun auch alle wollen, das geht j a wohl nicht.
Ich gebe Ihnen den Rat: Setzen Sie sich einmal mit dem Bericht dieser Zukunftskommission auseinander, wenn es Ihnen wirklich um die Gleichstellung von Frauen geht! Wie gesagt: Wir werden hier sehr vieles anders und besser machen.
Kinderbetreuung ist ebenfalls ein wichtiger Punkt. Herr Geißler hat aufgezählt, in welchen Bereichen das alles funktioniert. Die Realität, die ich erlebt habe, zum Beispiel letzte Woche in Baden-Württemberg, ist anders. Dort ist, so heißt es, der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz umgesetzt. Aber wie sieht das dann aus? Ein Kita-Platz von 8 bis 12 Uhr oder von 13 bis 17 Uhr - sicher nett für die Kinder. Aber wie sollen erwerbstätige Mütter mit solchen KitaPlätzen agieren? Hier muß wesentlich mehr passieren. Insbesondere Kinder alleinerziehender Mütter brauchen schon vor dem dritten Lebensjahr eine Betreuung - und auch noch in der Schulzeit. Wie sonst soll die eigenständige Existenzsicherung von Frauen, um die es uns geht und die die Frauen wollen, funktionieren? Sie haben noch nicht ganz mitbekommen, daß sich bei den Frauen einiges geändert hat, und zwar nicht nur im Osten.
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Auch zum Thema geringfügige Beschäftigungsverhältnisse - das ist schon angesprochen worden - hätte ich mir von der Frauenministerin ein kräftiges Wort gewünscht. Denn auch dieses Problem betrifft überwiegend Frauen.
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Im Grunde genommen sind wir uns ja einig, Herr Blüm, daß wir all unsere sozialen Sicherungssysteme erhalten wollen. Sie - Herr Geißler war es - müssen uns nicht vorhalten, wir wollten an den Sozialstaat heran. Ich kann mich nicht erinnern, daß jemand von uns das will - im Gegenteil. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht zu Millionen - sie tun es ja meist nicht freiwillig - in die Scheinselbständigkeit, in die geringfügige Beschäftigung gedrängt werden. Immer sind Frauen ganz besonders betroffen. Dagegen hätte schon längst etwas getan werden können.
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Ich will noch einen Punkt aus dem Kinder- und Jugendbericht aufgreifen - eine Umsetzung würde gar nichts kosten -, der zeigt, wie unsere Gesellschaft mit Kindern und Jugendlichen umgeht. Ich meine das Thema Kinderrechte in der Verfassung.
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Sind wir bereit, auch in der Verfassung festzulegen, daß Kinder ein Recht auf Förderung ihrer Entwicklung, ein Recht auf gewaltfreie Erziehung haben? Man kann argumentieren, das sei schon in der Verfassung festgeschrieben. Aber wir kennen das von der Frauendebatte: Es schadet nichts, das noch einmal deutlich zu verankern.
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Ich stimme mit Ihrem Appell, die Gesellschaft müsse sich kinderfreundlicher verhalten, überein. Da haben Sie uns alle voll an Ihrer Seite. Aber als Politikerin muß ich an der Spitze der Bewegung stehen. Die Menschen erwarten genau solche Signale. Wir sollten signalisieren: Wir wollen mit den Kindern in der Gesellschaft anders umgehen.
Sie lehnen diese Forderung ab, obwohl sie im Grunde genommen von Ihnen erhoben werden müßte. Ich kann das nicht ganz verstehen.
Ich komme zum letzten Punkt, zum Thema Jugendarbeitslosigkeit. Hier werde ich nun wirklich bitter; denn was Herr Biedenkopf heute vormittag etwas verharmlosend dargestellt hat, entspricht nicht unserer Realität. Wir haben eine Zunahme der
Senatorin Dr. Christine Bergmann ({13})
Jugendarbeitslosigkeit zu verzeichnen, und das nicht nur in Berlin.
Herr Waigel - jetzt ist er weg -,
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Sie haben gesagt, in den letzten Jahren sei es gelungen, den Menschen ihre Angst zu nehmen. Beim Thema Angst bin ich immer sehr empfindlich; denn ich habe lange in einer Diktatur gelebt, in der permanent Angst herrschte. Ich kann es überhaupt nicht vertragen, wenn jemand mit Angst operiert. Nur, es gibt Angst unter den Jugendlichen. Ich bitte Sie, das ernstzunehmen.
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Frau Nolte hat im vergangenen Jahr die Shell-Studie vorgelegt, in der steht: Die Krise der Gesellschaft hat die Jugend erreicht. Reden Sie einmal mit Jugendlichen, die monatelang einen Ausbildungsplatz gesucht haben! Sie machen sich Sorgen um ihre Zukunft, und nicht nur sie, sondern die ganze Familie mit ihnen. Es muß uns doch gelingen, diesen Jugendlichen eine Chance zu geben. Es darf einfach kein Jugendlicher nach Abschluß der Schule in die Arbeitslosigkeit gehen.
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Aber sie gehen natürlich in die Arbeitslosigkeit.
Herr Rüttgers hat hier so schöne Zahlen genannt. Ich könnte jetzt stundenlang darauf eingehen; aber das mache ich nicht. Ich möchte nur einmal sagen, was die IHK, zumindest in meinem Umfeld - vielleicht ist das in anderen Bundesländern anders -, anbietet. Es sind Ausbildungsplätze, die zum größten Teil wir finanzieren, voll oder auch teilweise. Die Ausbildungsplätze, die wir brauchen, um jedes Jahr die Lücke zu schließen, finanzieren wir als Land - und Berlin ist ein armes Land. In diesem Jahr haben wir wieder 25 Millionen DM mehr ausgegeben, um Ausbildungsplätze zu finanzieren. Es sind eben nicht Ausbildungsplätze der Wirtschaft. Wenn wir die Verantwortung dafür nicht wieder der Wirtschaft übergeben, dann können wir das Problem nicht lösen und den Jugendlichen auch nicht ihre Angst nehmen. Dies hat für uns absolute Priorität. Das werden wir den Jugendlichen auch deutlich vermitteln.
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Herr Schreiner hat es schon angesprochen: Wer sich dann hier hinstellt und argumentiert: „Das ist bei uns kein Thema. Wir liegen ja unter dem EU-Durchschnitt;
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der liegt bei 21 oder 22 Prozent" - ich habe mich geärgert, daß das wieder in der Stellungnahme zu diesem Kinder- und Jugendbericht steht; und in Berlin sind wir bald bei dem Wert von 21 oder 22 Prozent angelangt -, wer also so tut, als ob wir bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit nicht mehr tun müßten, weil wir unter dem EU-Durchschnitt liegen, der ist schlichtweg zynisch. Wer so mit der Zukunft der Jugend unseres Landes umgeht, hat auch das Recht zur politischen Gestaltung verloren.
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Lassen Sie mich mit einem Satz aus dem Zehnten Kinder- und Jugendbericht schließen, der das politische Handeln wieder bestimmen muß und den ich in der Debatte bisher nicht gehört habe. Herr Geißler hat uns aufgefordert, auch über andere Dinge zu reden. Es hätte mich gefreut, wenn darüber diskutiert worden wäre. Im Bericht steht nämlich: Für Kinder und Jugendliche muß erkennbar sein, daß die Gesellschaft auf sie wartet und Bildungs- und Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt, die den Weg zur Arbeit und zum selbstverantwortlichen Leben erschließen. Das ist unser Leitbild, das Leitbild der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Wir wollen am 27. September dafür sorgen, daß genau das für Kinder und Jugendliche in der Gesellschaft verwirklicht wird.
Danke schön.
({20})
Ich gebe der Abgeordneten Rita Grießhaber das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Geißler hat sich eben bitter beklagt, daß dieser wunderbare Kinderbericht, der uns vorliegt, einzig und allein dazu benutzt wird, hier eine Armutsdebatte zu führen. Aber, meine Damen und Herren von der Koalition, das hat allein die Reaktion Ihrer Ministerin ausgelöst. Sie hat die Schlagzeilen produziert, daß die Kinder gar nichtwirklich arm seien. Sie hat das Problem geleugnet. Sie hat diese Reaktion überhaupt hervorgerufen.
Dabei kann dieses Thema überhaupt nicht überraschen. Schon 1996 anläßlich des UN-Kinderrechtsausschusses wurde die Bundesregierung darüber belehrt, daß es beschämend sei, daß das reiche Land Bundesrepublik Deutschland so wenig gegen Kinderarmut tut.
Es war die Bundesbank, die im April 1996 getitelt hat: Kinder sind das Armutsrisiko Nummer eins in diesem Land geworden. Es war nicht die Erfindung der Opposition.
Die Menschen, die sich um ihre Kinder kümmern, die sehen müssen, wie sie das organisieren, daß beispielsweise eine Klassenfahrt noch bezahlt wird, die sich überlegen müssen, ob sie ihre Kinder zum Zahnarzt schicken können, fühlen sich von dieser Diskussion total verschaukelt. Das ist nicht die Aufgabe einer Familienministerin.
({0})
Frau Nolte hatte angemessen Zeit, auf diesen Bericht zu reagieren. Erst wollte sie ihn wegsperren. Die Öffentlichkeit hat es moniert. Jetzt diskutieren wir ihn. Sie hat sich aber nicht hingestellt und gesagt: Jawohl, auch ich bin über gewisse Entwicklungen besorgt, ich sehe, daß wir da etwas tun müssen, und ich bedaure, daß die Situation an diesen Punkten so ist. Das fehlt uns, und es fehlt den Betroffenen.
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Sie hat sich hier hingestellt und behauptet, für vieles, was in diesem Bericht beklagt wird, ist die Politik gar nicht verantwortlich. Vielleicht sind Ihre vier Jahre Regierungstätigkeit zu kurz, um dafür verantwortlich zu sein. Aber angesichts von 16 Jahren christlichliberaler Koalition trägt man doch Verantwortung dafür, wie die Situation im Land ist.
({2})
Die Kommission kommt zu dem Schluß, daß die Lebens- und Entwicklungschancen von Kindern so ungleich verteilt sind, daß wir das nicht länger dulden dürfen. Aber, Frau Nolte, daß Sie darauf verweisen, daß bei uns Kinder nicht hungern wie in Korea, ist bodenlos. Daß eine Familienministerin solche Vergleiche anstellt, schlägt alles, was wir bisher an solchen Diskussionen gehört haben. Mir reicht schon, daß Kinderarbeit ein Problem nicht nur in Brasilien oder Indien ist, sondern zum Beispiel auch in Brandenburg, wo jedes dritte Schulkind der siebten bis zehnten Klasse arbeitet, und dies nicht, um das Taschengeld aufzubessern. 30 Prozent dieser Kinder schätzen ihre Arbeit als schwer und notwendig für den Unterhalt der Familie ein. Das muß uns doch zu denken geben.
Armut bewegt sich vom Rand in die Mitte der Gesellschaft. Zumindest phasenweise kann materielle Not einfach eine sogenannte Normalfamilie mit zwei Kindern mit einem durchschnittlichen Einkommen treffen, je nachdem, in welcher Stadt man eine Wohnung braucht und ob man die Miete noch bezahlen kann, je nachdem, welche außerschulische Betreuung man für die Kinder braucht oder ob die Eltern erwerbslos geworden sind. Die Familienverbände sprechen in diesen Fällen von einem prekären Wohlstand.
Aber jenseits all dieser Begriffe ist doch eines klar: Alle Bilanzen und Familienagenden, die Frau Nolte in den letzten Monaten veröffentlicht hat, können nicht darüber hinwegtäuschen: In diesem Punkt hat die Bundesregierung versagt.
({3})
Das bißchen Mehr, das Sie den Familien geboten haben, hat das Verfassungsgericht erzwungen. Es war nicht Ihre Idee.
({4})
Die Expertenkommission stellt ganz klar fest, daß in den 80er und 90er Jahren der Spielraum der Familien durch sämtliche Reformen des Einkommens- und Steuersystems eingeengt statt erweitert wurde. Was Sie gemacht haben, war ein Etikettenschwindel.
Statt den Familienlastenausgleich noch so zu nennen, haben Sie ihn in „Familienleistungsausgleich" umbenannt. Natürlich haben Sie das Kindergeld etwas erhöht. Aber Sie mußten den Familien wenigstens wieder einen Teil dessen zurückgeben, was Sie ihnen vorher aus der Tasche gezogen haben.
Wir Grüne sehen in diesem Bericht sehr viele unserer Forderungen durch die Ergebnisse der Sachverständigen bestätigt. Nur ein paar Beispiele: Wir wollen ein Kindergeld von 300 DM, wir wollen die Erhöhung des Existenzminimums, und wir wollen andere Steuertarife.
Aber auch bei der Integration der hier lebenden ausländischen Kinder legt die Kommission den Finger in die Wunde. Die hier geborenen Kinder nichtdeutscher Eltern müssen endlich die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen. Einbürgerung und doppelte Staatsangehörigkeit gehören endlich erleichtert. Flüchtlingskinder brauchen Schutz statt Abschottung.
({5})
Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht nur eine Finanzierungsfrage. Mit einer Flexibilisierung des Erziehungsurlaubs zum Zeitkonto hätten Sie da tätig werden können.
Ich will ja nicht sagen, daß die Ministerin untätig gewesen sei. Aber was hat sie gemacht? Was hat die Regierung gemacht? - Sie haben den Schwangeren die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gekürzt, Sie haben für Eltern die zumutbaren Fahrzeiten zur Arbeit erhöht, Sie haben die Möglichkeit gestrichen, gleichzeitig Erziehungsgeld und Arbeitslosenhilfe zu bekommen. Für die Mütter ist diese Politik bitter und zynisch, und den Kindern verbaut sie die Zukunft.
Als es allerdings darum ging, die Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch zu verschärfen, sind Sie, Frau Nolte, ohne Not vorneweg marschiert. Als es darum ging, die Situation von Familien zu verbessern, mußten Sie leise jammern und feststellen, daß es im Kabinett nicht durchsetzbar war. Mit dieser Politik verabschieden Sie sich zunehmend aus den Strukturen, die Kinder schützen, stärken und ihnen Perspektiven bieten. Insoweit ist wirklich Zeit für einen Wechsel.
Vielen Dank.
({6})
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, daß die Gelegenheit besteht, im Rahmen der Grundsatzdebatte über künftige Politik sich auch ein erstes Mal mit dem Zehnten Kinder- und Jugendbericht zu beschäftigen, der sehr gute und interessante InforSabine Leutheusser-Schnarrenberger
mationen über Kinder bis 14 Jahre enthält. In dieser Komplexität hat es das bis heute nicht gegeben. Deshalb ist eine seriöse Beschäftigung mit diesen Fragen geboten: seriös, was die Situation von Kindern von alleinerziehenden Müttern und kinderreichen Familien in materieller und in immaterieller Hinsicht angeht.
Kinderarmut, die in der öffentlichen Diskussion eigentlich fast ausschließlich mit diesem Bericht verbunden wird, ist ein wichtiger, aber natürlich nicht der einzige Teil dieses Berichtes. Wenn man sich die Ausführungen dazu ganz nüchtern und realitätsbezogen ansieht, dann wird deutlich, daß es sehr unterschiedliche Entwicklungen gibt.
Nimmt man als Kriterium den Bezug von Sozialhilfe oder die umstrittene Definition, daß Armut immer dann vorliege, wenn nur die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens erzielt werde, dann ist im Vergleich der letzten zehn Jahre in den alten Bundesländern der Anteil gesunken. 1988 war die Situation in den alten Bundesländern schlechter als heute. Aber natürlich gehört dazu, daß in den östlichen Bundesländern - das können wir jetzt seit einigen Jahren beobachten - eine entgegengesetzte Entwicklung stattfand. Eine seriöse Betrachtung aber muß doch beides in das Blickfeld nehmen.
Dann muß, unabhängig von der Auseinandersetzung um Definitionen, überlegt werden - das kann man, wie ich denke, sehr wohl bei den insgesamt sehr kritischen Ansätzen, die auch von Experten und Wissenschaftlern kritisch gesehen werden -, wo man Handlungsbedarf zielorientiert sieht.
Dabei ist eines ganz klargeworden: Bei Familien, bei Alleinerziehenden, bei Personen mit niedrigem Einkommen muß in jedem Fall die Belastung mit Abgaben reduziert oder ganz beseitigt werden. Deshalb gehört in diese Debatte auch, daß die Steuerbelastung bei niedrigen Einkommen von derzeit 25,9 Prozent auf 15 Prozent gesenkt werden muß, wie es die F.D.P. will.
({0})
Wir wollen eine gerechte und damit natürlich auch auf die tatsächliche Situation bezogene richtige und faire Besteuerung. Das hat dann natürlich Folgerungen für den gesamten linearen Tarif.
({1})
Ein weiterer ganz wesentlicher Bereich - Frau Senatorin Bergmann, Sie haben es angesprochen - ist der Bereich Gewalt, Gewalt gegenüber Kindern in Familien wie überhaupt Gewalt in der Gesellschaft. Daß es in Familien einen hohen Anteil an Gewalt gibt, wird, auch wenn es keine neue Erkenntnis ist, in diesem Bericht noch einmal gesagt. Es heißt aber auch, daß eine Ursache für auffälliges Verhalten von Kindern bis 14 Jahren in ihrer Unsicherheit über das liegt, was sie wert sind, wie weit sie in der Familie, aber auch in der Gesellschaft akzeptiert und anerkannt werden. Deshalb ist es richtig, sich über Erziehung und Inhalte von Erziehung zu unterhalten, auch über die Frage von Gewalt in der Erziehung.
Die Regierung und die Koalition haben in der Kindschaftsrechtsreform klargemacht, daß wir keine Gewalt als zulässiges Mittel der Erziehung wollen. Aber der Bericht sagt auch deutlich, daß gewaltfreie Erziehung zwar wichtig ist, aber ohne Sanktionsandrohungen. Man muß sich mit dieser Frage also in einem breiteren Ansatz beschäftigen. Denn dieser Bericht will auch keine Kriminalisierung und Verunsicherung von Eltern, die sich zum Teil in wirklich schwieriger Lage befinden.
Eine Befassung mit dem Bericht muß zum Schluß auch eine Bilanz erlauben über das, was zur Stärkung der Stellung der Kinder getan worden ist. Ich glaube, mit der Kindschaftsrechtsreform ist in dieser Legislaturperiode ein Werk geglückt, das das Kindeswohl stärker berücksichtigt.
Zum Schluß darf ich sagen: In der nächsten Legislaturperiode wird die F.D.P. unter anderem alles daransetzen, daß der Vorbehalt, der gegen die Kinderkonvention der Vereinten Nationen eingelegt worden ist, schnell aufgehoben wird. Das ist überfällig. Das schaffen wir jetzt nicht mehr, aber es wird bereits geprüft. Ich denke, das ist eines der ersten Dinge, die wir erledigen, weil wir nämlich die Stellung der Kinder nicht nur rechtlich betrachten, sondern die Kinder als Wesen sehen, die wirklich die Schwächsten in unserer Gesellschaft sind und für die wir alles tun müssen.
Vielen Dank.
({2})
Ich gebe das Wort dem Bundesminister für Gesundheit, Horst Seehofer.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte als zuständiger Minister etwas zur Sozialhilfe und auch zu den heutigen Ausführungen von Herrn Dreßler zum deutschen Gesundheitswesen sagen.
Sozialhilfe schafft keine Armut, Sozialhilfe verhindert, daß Menschen in Deutschland in Armut leben müssen.
Dieser Satz stammt aus einer Information des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit vom August 1976, und die Ministerin war damals Frau Dr. Focke, SPD. Trotzdem ist dieser Satz richtig, meine Damen und Herren. Sozialhilfe schafft keine Armut, sondern Sozialhilfe verhindert, daß Menschen in Deutschland in Armut leben müssen.
({0})
Frau Bergmann, ich bitte Sie dringend - ich habe das schon mehrmals in diesem Haus getan -: Wir müssen endlich damit Schluß machen, Sozialhilfeempfänger in Deutschland zu stigmatisieren.
({1})
Das Gegenteil ist erforderlich. Sozialhilfe ist ein unverzichtbarer Pfeiler unseres deutschen Sozialstaates. Niemand muß sich schämen, wenn er Sozialhilfe beantragt und auch Sozialhilfe bekommt.
({2})
- Sie tragen dazu bei.
Meine Damen und Herren, wenn ein behinderter Mensch in einer Behinderteneinrichtung versorgt und betreut wird, dafür 4000, 5000 oder 6000 DM monatlich aufgebracht werden und dieser Sozialhilfeaufwand dann in der Sozialhilfestatistik erscheint, dann ist dies nicht Ausdruck von Armut in Deutschland, sondern Ausdruck eines hochentwickelten Sozialstaates.
({3})
Frau Bergmann, Sie müssen noch einiges zulegen. Sozialhilfe ist mehr als das physische Existenzminimum. Sozialhilfe ist mehr, als man zum Leben braucht. Sozialhilfe ist nach der Definition des Begriffs und des Gesetzes seit 30 Jahren so ausgerichtet, daß der Mensch neben dem, was er zum Leben und Überleben braucht, auch am kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann. Frau Grießhaber, das war auch Ihr Fehler wieder: Reden Sie den Leuten doch nicht Dinge ein, die in der Praxis so nicht stimmen, womit Sie einen Schaden auslösen, der gar nicht nötig ist!
({4})
Eltern, deren Kind an einem Schulausflug teilnehmen will, die das aber nicht bezahlen können, sollen mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der man zum Amt geht, um Ausbildungsförderung zu beantragen, zum Sozialamt gehen können und für diesen Schulausflug eine einmalige Hilfe beantragen, damit das Kind den Schulausflug mitmachen kann.
({5})
Aber wenn Sie den Menschen ständig einreden: „Das ist etwas Unanständiges, ihr steht am Rande der Gesellschaft und gehört eigentlich zu den ganz Armen und zum letzten Rest unserer Gesellschaft" - so wie Sie beide das heute getan haben -, dann dürfen Sie sich nicht darüber wundem, daß bei diesen Menschen auch Scham entsteht.
({6})
Wir haben einen hochwertigen Sozialstaat. Die Sozialhilferegelsätze, mit denen gewissermaßen der Bedarf für einen Sozialhilfeempfänger abgedeckt wird, sind in den 16 Jahren unserer Regierungszeit nominal um sage und schreibe 58 Prozent gestiegen. Die Arbeitslöhne sind um 46 Prozent gestiegen. Ich halte hier fest: In unserem Sozialstaat ist die Sozialhilfe in den 16 Jahren unserer Regierung stärker gestiegen als es bei den Arbeitslöhnen der Fall war. Deshalb ist es einfach falsch, wenn immer wieder behauptet wird, daß bei der Sozialhilfe ein Sozialabbau stattgefunden habe. Das stimmt einfach nicht.
({7})
Herr Minister Seehofer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Keine Zwischenfrage. Danke.
Ich wende mich nun den angesprochenen Zahlen und den Ausgaben für die Sozialhilfe zu. Seit 1961, seit es ein reformiertes Sozialhilferecht gibt, sind die Sozialhilfeausgaben im Jahre 1996 zum erstenmal auf unter 50 Milliarden DM gesunken. 1997 sind sie noch einmal um 5 Milliarden DM gesunken. Das entspricht einem Rückgang der Sozialhilfeausgaben innerhalb von zwei Jahren von 52 Milliarden DM auf 44 Milliarden DM. Dafür gibt es verschiedene Gründe. An erster Stelle nenne ich die Pflegeversicherung und an zweiter Stelle die Sozialhilfereform mit der Deckelung der Regelsätze und der Deckelung der Pflegesätze in Einrichtungen.
Es ist falsch, immer wieder zu behaupten, daß diese Regierung dazu beigetragen habe, den finanziellen Spielraum von Kommunen, die die Sozialhilfe bezahlen, durch die Ausuferung von Sozialhilfeausgaben einzuengen. Vielmehr ist richtig, daß in den letzten zwei Jahren durch politische Maßnahmen, die wir getroffen haben, erstmals seit Bestehen des Bundessozialhilferechts die Sozialhilfeausgaben massiv um 8 Milliarden DM auf 44 Milliarden DM zurückgegangen sind. Daran wird deutlich, daß wir die Kommunen nicht zusätzlich belastet haben, sondern sie durch unsere Politik im Bereich der Sozialhilfe entlastet haben.
({0})
Es ist richtig, daß die Zahl der Sozialhilfeempfänger gestiegen ist. Ich bin Frau Leutheusser-Schnarrenberger sehr dankbar, daß sie das einmal in einem anderen Zusammenhang differenziert hat. Man muß sich nämlich einmal die Gründe ansehen, die zu einer Erhöhung der Zahl der Empfänger auch von Hilfe zum Lebensunterhalt beigetragen haben. In bezug auf die Pflegebedürftigkeit und die Hilfe in Behinderteneinrichtungen habe ich schon gesagt, daß es sich um einen Fortschritt des Sozialstaates handelt, wenn hier mehr aufgewendet wird und mehr Menschen versorgt werden.
Zwischen 1985 und 1996 ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahre, die Hilfe zum Lebensunterhalt bekommen haben, in der Tat um etwa 400 000 gestiegen. Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe: Der erste und alles entscheidende Grund ist die Wanderungsbewegung, und zwar nicht
nur von ausländischen Kindern, sondern auch von Kindern deutscher Aussiedler. Diese Entwicklungen und eine Wanderungsbewegung im Zusammenhang mit der deutschen Einheit machen alleine einen Anteil von 280 000 Kindern und Jugendlichen an dem Anstieg von 400 000 aus. Wenn wir in dieser Größenordnung Zuwanderer über das deutsche Sozialhilferecht unterstützen, dann ist das nicht ein Indiz für zunehmende Armut in der Bundesrepublik Deutschland, sondern ein Indiz für die Bereitschaft der deutschen Bevölkerung, Zuwanderern zu helfen.
({1})
Zusätzlich zu den 280 000 Jugendlichen und Kindern kommen 50000 hinzu, die deshalb in der Sozialhilfestatistik erscheinen, weil es Leistungsverbesserungen für Kinder von Alleinerziehenden gab - wir haben beispielsweise die Mehrbedarfszuschläge für Kinder von Alleinerziehenden massiv um 40 bis 60 Prozent erhöht -, weil es außerdem Leistungsverbesserungen in der Form gegeben hat, daß man familienpolitische Leistungen nicht als Einkommen auf die Sozialhilfe angerechnet hat, wie zum Beispiel das Erziehungsgeld, und weil, wie ich schon sagte, die Sozialhilferegelsätze in Deutschland in den letzten 16 Jahren stärker gesteigert wurden, als die Arbeitslöhne in der Bundesrepublik gestiegen sind. Das hat einen Sozialhilfezuwachs bei Kindern und Jugendlichen durch Leistungsverbesserungen im Sozialrecht von 50 000 Personen erbracht.
Deshalb muß man differenzieren und, wie Herr Biedenkopf heute sagte, einfach der Wahrheit ins Auge sehen. Von den 400 000 erklären sich drei Viertel durch Zuwanderung und durch Leistungsverbesserung. Jede andere Darstellung ist falsch und politisch motiviert.
Meine Damen und Herren, wenn man Sozialhilfebezug zum Kennzeichen von Armut nehmen würde, dann gäbe es allerdings bei einer regionalen Betrachtung in Deutschland ein erstaunliches Ergebnis: Es gibt in Niedersachsen, obwohl dort die Zahl der Bevölkerung nur halb so groß ist wie die in allen neuen Bundesländern zusammen, mehr Sozialhilfeempfänger als in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen zusammen:
({2})
339 000 Sozialhilfeempfänger in Niedersachsen - Stand: 31. Dezember 1997 - und 320 000 Sozialhilfeempfänger in allen neuen Bundesländern zusammen.
Wenn Sie bei der Definition bleiben, daß Armut mit Sozialhilfebezug gleichzusetzen ist, dann ist das Land Niedersachsen das Armenhaus der Bundesrepublik Deutschland. Das liegt nicht an der Bundesregierung. Das liegt auch nicht an der Bevölkerung in Niedersachsen. Vielmehr liegt es an den politischen Rahmenbedingungen, die man in Niedersachsen selbst gesetzt hat. Denn für Niedersachsen gelten die gleichen Gesetze wie für alle anderen Länder auch.
Man kann die Sozialhilfeempfängerzahlen reduzieren, wie das dankenswerterweise viele Kommunen machen, indem sie Sozialhilfeempfängern, die erwerbsfähig sind, Arbeit anbieten. Da ist Erstaunliches geleistet worden; dafür kann man den Kommunen nur dankbar sein. Es gibt fast eine Verdoppelung der Maßnahmen bei der Hilfe zur Arbeit.
Aber das ganz Erstaunliche und Widersprüchliche ist, daß 1996 in Niedersachsen das Landesprogramm zur Beschäftigung von Sozialhilfeempfängern eingestellt wurde. Da wird pausenlos von sozialer Verantwortung gesprochen, und der niedersächsische Ministerpräsident versteht von Sozialpolitik so viel wie eine Schildkröte vom Stabhochsprung.
({3}) Das ist widersprüchlich, zwiespältig.
Meine Damen und Herren, die Sozialhilfe ist kein Maßstab für die Armut in unserem Lande, sondern Ausdruck eines hochwertigen Sozialstaates. Ich kann nur „Guten Morgen, Herr Schröder! " sagen, wenn er sagt, wir müßten den unwilligen Sozialhilfeempfängern die Sozialhilfe kürzen. Guten Morgen! Das steht im Gesetz! Das haben wir längst gemacht, weil wir etwas praktizieren, von dem Herr Schröder nur schwadroniert: Wir unterscheiden zwischen den Leistungsunwilligen und den Leistungsschwachen. Den Leistungsschwachen gehört unsere Solidarität, unsere Hilfe. Den Leistungsunwilligen muß, wenn ihnen eine zumutbare Arbeit angeboten wird und sie abgelehnt wird, die Sozialhilfe gekürzt werden. Das haben wir realisiert.
({4})
Lassen Sie mich noch einen Satz zu dem Vorschlag der Grünen sagen: Grundsicherung in der Sozialhilfe, mit den Beträgen, die sie veröffentlicht haben. Das bedeutet für eine Familie mit drei Kindern 4 000 DM Sozialhilfe. Das bedeutet mehr, als ein Facharbeiter in der Bundesrepublik Deutschland netto hat. Ich kann nur sagen: Das ist kein Programm für Arbeitnehmer, sondern ein Programm für Aussteiger. Wenn ich 4000 DM ohne jede Arbeitsleistung erhalte, dann sehe ich nicht mehr ein, daß man arbeiten soll. Dann gehe ich zum Sozialamt und sichere mir die 4 000 DM durch eine Grundversorgung. Das ist ein Programm für Aussteiger.
({5})
Ein Wort an Herrn Dreßler, der offensichtlich nicht mehr da sein kann, zur Gesundheitspolitik: Meine Damen und Herren, das deutsche Gesundheitswesen steht blendend da. Wir haben eine erstklassige Medizin und Pflege für alle Bevölkerungsschichten, unabhängig vom Alter und vom Einkommen. Dafür, daß wir diese hochwertige Versorgung haben, gibt es ein starkes Indiz: Wenn die Deutschen im Ausland erkranken, haben sie nur einen Wunsch: so schnell wie möglich in die Obhut des deutschen Gesundheitswesens zurückzukehren.
Das verdanken wir den Frauen und Männern, denen Sie täglich vorwerfen, daß sie unwirtschaftlich arbeiten: dem Pflegepersonal in den Krankenhäusern, den Ärzten, den Zahnärzten, den Krankengymnasten, den Masseuren und den Pflegekräften der Sozialstationen.
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Sie sind hochmotiviert, hochqualifiziert. Sie arbeiten effizient, und sie arbeiten vor allem im Dienste derer, die auf ihre Hilfe angewiesen sind. Wir haben erstens eine erstklassige Medizin und Pflege.
Zweitens. Meine Damen und Herren, wir haben seit sechs Jahren in Westdeutschland stabile Beiträge: am 1. Januar 1993 13,4 Prozent und jetzt 13,5 Prozent. Wir haben keinen Stillstand in der Politik, sondern einen Stillstand bei den Beiträgen. Das wird auch so bleiben. Wir haben in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Rücklage von fast 8 Milliarden DM.
({7})
Deshalb können auch die westdeutschen Krankenkassen den ostdeutschen helfen, ohne daß es zu Beitragserhöhungen kommen muß. Auch das ist innerdeutsche Solidarität.
Meine Damen und Herren, wir haben keine besorgniserregende Finanzentwicklung, wie die SPD in der letzten Woche völlig falsch veröffentlicht hat. Im letzten Jahr hat Herr Kirschner gesagt, wir haben 20 Milliarden DM Defizit in der Krankenversicherung zu erwarten. Am Ende des Jahres hatten wir 1 Milliarde DM Überschuß. Da liegen Lichtjahre zwischen Prognose und Realität. Jetzt hat er gesagt, wir haben 2,4 Milliarden DM im ersten Halbjahr. Wir haben unter 2 Milliarden DM.
({8})
Meine Damen und Herren, wir werden in der Krankenversicherung insgesamt ein ausgeglichenes Ergebnis erzielen, weil die Einnahmen im zweiten Halbjahr traditionell immer wesentlich höher sind als im ersten Halbjahr. Wir teilen diese Einschätzung übrigens auch mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen. Deshalb können wir den Menschen sagen, die Beiträge bleiben stabil, die Versorgung bleibt erstklassig. Deshalb haben wir ein blendendes Gesundheitswesen.
Wenn Sie den Zahnersatz ansprechen, Frau Fuchs: Informieren Sie die Leute nicht falsch. Es stimmt, daß wir die Regelungen für den Zahnersatz für Jugendliche unter 18 Jahren verändert haben.
({9})
- Nein! - Wir haben ihn aber nicht in der Weise verändert, wie Sie das immer darstellen. Meine Damen und Herren, wir haben die Prophylaxe verstärkt. Wer Mundhygiene betreibt, wer zum Zahnarzt geht, der wird auch weiterhin seinen Zahnersatz bekommen,
wenn er seine Zähne aus Gründen verliert, die er nicht zu vertreten hat.
({10})
Bei einem Unfall mit Zahnverlust: weiterhin Zahnersatz für Jugendliche. Bei einer Erkrankung der Mundhöhle mit Zahnverlust: weiterhin Zahnersatz für Jugendliche. Bei einer schweren Allgemeinerkrankung mit Zahnverlust: weiterhin Zahnersatz für Jugendliche. Wenn es um eine schwere Kieferfehlstellung geht, die nur operativ so zu behandeln ist, daß die Zähne herausgenommen werden: weiterhin Zahnersatz für Jugendliche.
Das heißt, es gibt auch künftig Zahnersatz für Jugendliche in den Fällen, wo Zahnverlust eintritt, die der Jugendliche nicht zu verantworten hat. Aber, meine Damen und Herren, es gibt keine Reparatur mehr, wenn sich durch Schlamperei, durch mangelnde Mundhygiene oder mangelnden Zahnarztbesuch der Zahnverlust in 30 oder 40 Jahren einstellt.
({11})
Das ist richtig verstandene Solidarität.
Ganz zum Abschluß die neueste Zahl; Heiner Geißler konnte sie nicht wissen. Die Zuzahlung ist Voraussetzung, daß wir erstklassige Medizin und Pflege ohne Erhöhung der Sozialversicherung für alle gewährleisten können. Nach den neuesten Zahlen sind 24 Millionen Versicherte von jeder Zuzahlung bei Arznei- und Heilmitteln völlig befreit. Das ist ein Drittel der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung.
({12})
Man muß schon sehr böswillig sein, meine Damen und Herren, wenn man hier mangelnde soziale Verantwortung beklagt. Wenn ein Drittel der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung von jeder Zuzahlung bei Arznei- und Heilmitteln völlig befreit ist und darüber hinaus noch einmal 300 000 Menschen teilweise befreit sind, dann ist das Ausdruck einer sozialen Verantwortung, die wir bei der Verabschiedung dieses Gesundheitsstrukturgesetzes gepflegt haben.
({13})
Meine Damen und Herren, wer alles allen verspricht, erlebt, daß er am Ende nichts mehr bezahlen kann. Frau Höll, das ist der Unterschied zu dem, was Sie heute gepriesen haben, zwischen der ehemaligen DDR und uns: Bei Ihnen waren alle gleich, aber alle gleich arm. Die Funktionäre und Bonzen haben sich zu Lasten der Allgemeinheit eine bessere gesundheitliche Versorgung gegönnt. Das wollen wir in der Bundesrepublik nicht.
({14})
Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich auf der Tribüne die PräVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
sidentin des Bundesrechnungshofes, Frau Dr. von Wedel, begrüßen.
({0})
Frau Präsidentin, wir freuen uns, daß Sie mit Ihrem Besuch vielleicht eine neue Tradition begründen und mit Ihrer Anwesenheit zum Ausdruck bringen, daß der Bundesrechnungshof die Beratungen des Hauses zum Haushalt mit derselben Aufmerksamkeit verfolgt, wie wir die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes ungeteilt und mit großem Interesse sehr aufmerksam zur Kenntnis nehmen. Herzlich willkommen.
Nun gebe ich der Abgeordneten Edelgard Bulmahn das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und liebe Kolleginnen! Bis zum heutigen Tag hätte ich die Bildungs- und Forschungspolitik der Bundesregierung folgendermaßen bilanziert: Homo sapiens versteht zwar verstandesgemäß, was die Stunde geschlagen hat, handelt aber nicht danach. Nach der heutigen Debatte muß ich das leider etwas anders sagen: „Homo rüttgerens" hat auch verstandesgemäß nicht erfaßt, worum es geht.
({0})
Nach dem, was Herr Seehofer zur Sozialhilfe ausgeführt hat, muß ich das auf ihn erweitern. Herr Seehofer, was Sie zur Sozialhilfe gesagt haben, grenzt an Heuchelei.
({1})
Wer diskreditiert denn seit Jahren Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger? Das sind Sie von der rechten Seite des Hauses.
({2})
Ich bin der Auffassung, daß es völlig richtig ist, daß es keine Schande ist, Sozialhilfe zu empfangen. Wer aber verschweigt, daß es nicht die freie Wahl der Frauen und Männer ist, Sozialhilfe zu empfangen, sondern daß es eine Not ist und daß die Menschen dazu gezwungen werden, weil sie keinen Arbeitsplatz erhalten, wer verschweigt, daß das eigentliche Versagen dieser Bundesregierung darin liegt, daß sie die Arbeitslosigkeit nicht bekämpft hat, sondern daß wir Jahr für Jahr eine Steigerung der Arbeitslosenzahlen feststellen müssen, und wer verschweigt, daß es ein Ergebnis Ihrer Politik ist, daß immer mehr Menschen in die Sozialhilfe gedrängt werden - alleinerziehende Frauen entscheiden sich doch nicht dafür, Sozialhilfeempfängerinnen zu sein; sie haben keine andere Wahl, weil sie keinen Arbeitsplatz finden -, der heuchelt. Heuchelei ist das, was die Menschen in diesem Lande absolut zu Recht verärgert.
({3})
Wer verschweigt, daß es heute für viele Menschen eben nicht mehr möglich ist, am kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, weil die Sozialhilfe dazu nicht ausreicht, und wer verschweigt, daß viele Frauen immer wieder Prozesse vor den Sozialgerichten führen müssen, damit sie Geld für das Spielzeug oder für den Klassenausflug ihrer Kinder bekommen, der heuchelt.
({4})
Wer verschweigt, daß nach unseren Erkenntnissen in den alten Bundesländern auf eine Frau oder auf einen Mann, die Sozialhilfe erhalten, eine weitere Person kommt, die sich scheut, einen Sozialhilfeantrag zu stellen, und wer verschweigt, daß das in den neuen Bundesländern noch dramatischer ist, weil dort nämlich auf eine Person, die einen Sozialhilfeantrag stellt, zwei Personen kommen, die aus Scham keinen Sozialhilfeantrag stellen, der versündigt sich an diesen Menschen.
({5})
Das ist der eigentliche Unterschied zwischen der Politik von CDU, CSU und F.D.P. und der der SPD.
({6})
Sie gaukeln den Menschen vor, daß man die Lebensverhältnisse durch Sozialabbau, durch Kürzungen, durch eine immer weitere Belastung der durchschnittlich Verdienenden sowie durch eine Rücknahme und Verschlechterung der Bedingungen für diejenigen, die noch in Arbeit stehen, tatsächlich verbessern könnte. Sie scheuen sich, aktiv und offen eine Politik zu betreiben, mit der endlich wieder Arbeit geschaffen wird, damit diese Menschen die Möglichkeit erhalten, sich ihre eigene Existenz zu verdienen. Das ist der eigentliche Unterschied.
({7})
Ich muß Ihnen ganz klar sagen: Sie hätten heute darüber reden sollen, wie Sie den Menschen wieder einen Arbeitsplatz verschaffen wollen. Sie werden im September keinen Erfolg haben, weil Ihnen das nicht gelungen ist, uns das aber zum Beispiel in Niedersachsen gelungen ist. Deshalb helfen Ihnen die ganzen Diffamierungen, die Sie heute wieder versucht haben, nicht weiter.
({8})
Die Menschen haben gesehen, daß die Arbeitslosigkeit in Niedersachsen überproportional zurückgegangen ist. Das ist es, was sie wollen. Sie wollen keine Almosen, sondern das Recht auf einen Arbeitsplatz. Sie wollen selber für ihre Existenzsicherung aufkommen. Darum hätte es in dieser Debatte gehen müssen.
({9})
Wir setzen auf Innovation und nicht auf Sozialabbau. Darüber möchte ich jetzt weiter reden, weil es die Kernfrage betrifft, ob es uns gelingt, in einem größeren Maße Arbeitsplätze zu schaffen.
Als die konservativ-liberale Koalition im Herbst 1982 die Regierungsverantwortung im Bund übernommen hat, verfügte die Bundesrepublik Deutschland über eine gute Ausgangsbasis, auch im Vergleich zu anderen Ländern, im internationalen Wissenschafts- und Technologiewettbewerb. Kein Staat der Welt wandte damals mehr für Wissenschaft, Bildung, Forschung und Entwicklung auf als die Bundesrepublik. Wir standen damals auf Platz eins. Inzwischen, 16 Jahre später, sind wir auf Platz neun abgestürzt. 2,1 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt sind bei der wachsenden Bedeutung von Forschung und Entwicklung, bei der wachsenden Bedeutung von Bildung und Qualifizierung für die Entwicklung, für die Entwicklungsfähigkeit und die Zukunftssicherung eines Landes kein tragfähiges Fundament.
Da nützt es auch überhaupt nichts, Herr Minister Rüttgers, wenn Sie über den Investitionsstandort Deutschland schwadronieren. Fakt ist, wir sind auf Platz neun herabgerutscht, und Fakt ist, daß viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, viele Studierende, viele Forscher, viele kleine und mittlere Betriebe inzwischen sagen: So geht es nicht mehr weiter.
({10})
Unsere Arbeitsbedingungen haben sich so verschlechtert, daß wir nicht mehr wissen, wie wir das finanzieren und leisten sollen, was wir eigentlich leisten könnten.
({11})
Ich sage Ihnen ganz klar: Es gehört schon eine ungeheure Menge Unverfrorenheit dazu, wenn Sie, die über Jahre die Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung gekürzt haben, die den Anteil der Ausgaben des Bundes für Wissenschaft und Forschung von 4,7 Prozent im Jahre 1982 auf inzwischen 3,3 Prozent herabgesenkt haben, im Lande herumgehen und die Notwendigkeit höherer Bildungs- und Wissenschaftsausgaben anmahnen und beklagen.
({12})
Das ist eine Dreistigkeit, die nicht oder kaum noch zu übertreffen ist.
Glücklicherweise merken die Leute das. Wenn die realen Pro-Kopf-Ausgaben so, wie Sie es durchgeführt und zu verantworten haben, von 234 DM im Jahre 1982 auf 153 DM in diesem Jahr gesenkt worden sind, dann sind das Kürzungen, die nicht mehr durch Effektivitätssteigerungen, die nicht mehr durch eine bessere Arbeitsleistung im System aufgefangen werden können, sondern die sich dramatisch auf die Bedingungen für Bildung, Wissenschaft und Forschung in diesem Land auswirken. Das sind Kürzungen, mit denen Sie den Menschen in diesem Land Lebenschancen nehmen. Wenn Sie dies nicht begreifen, dann müssen Sie die Quittung erhalten.
({13})
Dann müssen andere ran, die nämlich genau dieses wahrmachen und nicht nur schwadronieren und reden, sondern auch entsprechend handeln.
Zu Niedersachsen nur einige wenige Zahlen.
({14})
- Ein schönes Land, und die Menschen, die dort leben, finden dies ebenfalls. Wenn Sie sagen: „Ein trauriges Land", dann, so kann ich nur sagen, ist das falsch. Ich finde, diese Menschen haben eine richtige Entscheidung getroffen.
({15})
Diese Regierung in Niedersachsen hat in den Jahren 1990 bis 1997 die Wissenschafts- und Forschungsausgaben um 30 Prozent gesteigert, in realen Zahlen von 2,7 Milliarden DM auf 3,5 Milliarden DM. Da kann ich Ihnen nur sagen: Ich wäre froh, wenn wir solche Steigerungsraten auch im Bundeshaushalt hätten. Dann ginge es uns nämlich ein ganzes Stück besser.
({16})
Die Bundesregierung - daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln - vernachlässigt die junge Generation, und damit versündigen Sie sich an der jungen Generation. Sie haben es mit Ihrer Untätigkeit zu verantworten, daß das duale System der Berufsausbildung in die Krise geraten ist. Trotz des Lehrstellenversprechens und trotz erheblicher öffentlicher Förderung sowohl durch den Bund wie auch durch die Länder gibt es kein ausreichendes Lehrstellenangebot für alle Jugendlichen.
Die Verharmlosung, die Sie immer wieder betreiben und die Sie auch heute wieder betrieben haben, finde ich unerträglich. Das muß ich Ihnen einmal ganz klar sagen. 45 000 arbeitslose Jugendliche - so viele waren es in der offiziellen Statistik im letzten Jahr - sind für Sie offensichtlich kein Problem. Zigtausende, Zehntausende von Jugendlichen - wir wissen nicht genau, wieviel es sind, ob es 70 000, 80 000 oder 90 000 sind -, die in die Schulen zurückgedrängt worden sind, obwohl sie dies eigentlich nicht wollten, sind für Sie offensichtlich kein Problem. Für mich ist das ein Problem. Für mich sind jedes Mädchen und jeder Junge, die keinen Ausbildungsplatz erhalten und denen die Tür vor der Nase zugeknallt wird, wenn sie wirklich den Schritt in das eigenständige Leben machen wollen, ein Problem.
({17})
Deshalb finde ich es unerträglich, wenn Sie immer wieder verharmlosen, statt Ihrer Verantwortung wirklich einmal gerecht zu werden, die notwendigen Rahmenbedingungen zu setzen und verläßliche Vereinbarungen zu treffen, damit eine ausreichende Zahl von Ausbildungsplätzen geschaffen wird.
Ich kann nur das wiederholen, was mein Parteivorsitzender heute morgen gesagt hat: Wir werden mit unserem Versprechen und unserem Ziel Ernst maEdelgard Bulmahn
chen, dafür zu sorgen, daß alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz erhalten.
({18})
Wir werden versuchen, dies im Bündnis für Arbeit zu erreichen. Einige Tarifvertragsparteien - im übrigen auch in Niedersachsen - haben uns gezeigt, daß sie dazu durch einen Tarifvertrag, der von beiden Tarifvertragsparteien vom Ergebnis her überprüft wird, willens sind.
Wenn uns dies nicht gelingt, wenn die Arbeitgeberseite nicht dazu bereit ist, dies freiwillig, zum Beispiel durch Tarifvertragsvereinbarungen, durch Beteiligung an Verbundsystemen, durch Kammerumlagen oder durch einzelbetriebliche Aufwendungen in die Tat umzusetzen, dann müssen wir den Weg einer gesetzlichen Regelung gehen, so wie es Oskar Lafontaine heute morgen zu Recht gesagt hat. Die Arbeitgeber haben es in der Hand; sie entscheiden es. Wir werden in den Bündnis-für-Arbeit-Gesprächen versuchen, zu verbindlichen Ergebnissen zu kommen. Aber wir brauchen verbindliche Ergebnisse und keine billigen Trostworte von Jahr zu Jahr, so wie Sie sie in den letzten Jahren immer wieder geäußert haben.
Das gleiche gilt im übrigen auch für die Studierenden. Die Studierenden sind immer stärker vom Sozialabbau betroffen worden. Gleichzeitig wird aber darüber geredet, daß die Studienzeiten zu lang sind. Das ist doch wirklich Heuchelei hoch drei! Wenn die Studierenden aus finanziellen Gründen gezwungen sind, neben ihrem Studium - und zwar nicht nur in den Semesterferien, so wie wir das gemacht haben, sondern während des Semesters - zu arbeiten, dann braucht man sich doch nicht über längere Studienzeiten zu wundern.
({19})
Können Sie mir einmal begreiflich machen, wie Sie es mit dem Anspruch auf Gewährleistung von Chancengleichheit eigentlich vereinbaren wollen, daß Sie das BAföG Jahr für Jahr ausgehöhlt haben? Das war doch das heimliche Sparschwein von Minister Rüttgers, mit dem er seine anderen Haushaltslücken praktisch überdeckt hat. Sie weigern sich seit mehreren Jahren, die Verantwortung hierfür zu übernehmen. Die Vorschläge, die zu einer wirklichen Verbesserung geführt hätten, sind von Ihrer Seite schlichtweg kalt vom Tisch gewischt worden. Auch deshalb ist es notwendig, daß wir eine andere Bundesregierung erhalten, damit Chancengleichheit nicht nur ein in unserer Verfassung niedergelegter Anspruch ist, sondern ein Leitziel im konkreten politischen Handeln. Auch deshalb brauchen wir eine andere Bundesregierung.
({20})
Die Bundesregierung weigert sich, ihre Verantwortung beim Hochschulbau wahrzunehmen. Überlastete Hochschulen, die auch international an Attraktivität in Lehre wie Forschung verlieren, sind die Konsequenz. Im Bereich der Forschungspolitik herrscht seit mehreren Jahren konzeptionelle Ratlosigkeit. Auch das ist nicht dadurch zu überdecken, daß man ein „Programmchen" nach dem anderen „Programmchen" auflegt.
Bildung, Wissenschaft, Qualifikation und Forschung leisten den entscheidenden Beitrag zur Unterstützung des Strukturwandels und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Diese Bedeutung wird in den nächsten Jahren noch steigen. Wissenschaft und Forschung sind nicht nur für die Sicherung und für die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen wichtig; sie sind auch wichtig, damit wir tragfähige, zukunftsweisende Antworten auf die Zukunftsfragen unserer Gesellschaft entwickeln. Diese neuen Ideen, die wir für neue Produkte und neue Verfahren brauchen, entstehen in den Köpfen von Menschen. Männer und Frauen sind diejenigen, die diese neuen Ideen entwickeln und die unseren gesellschaftlichen Wohlstand erarbeiten. Deshalb geht ohne gut ausgebildete, qualifizierte Menschen überhaupt nichts, und deshalb brauchen wir eine ausreichende Förderung der Hochschulen, der Forschungseinrichtungen, eine gute berufliche Ausbildung für alle, damit wir die Menschen wieder in die Lage versetzen, dies zu leisten, und damit die Hochschulen und Forschungseinrichtungen wirklich wieder zu Zukunftswerkstätten unseres Landes werden.
Wir brauchen noch mehr. Wir brauchen mehr als Geld. Wir müssen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, den Studierenden, den Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern auch die Freiräume geben, damit sie mit ihrer Kreativität, mit ihrem Können und ihrem Wissen zur Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, zur Stärkung unseres Produktionsstandortes beitragen können und nicht durch bürokratische, obrigkeitsstaatliche Regelungen im Haushaltsrecht, im Dienstrecht behindert werden.
({21})
Sie hatten nicht die Courage und das Rückgrat, genau diese Aufgaben anzupacken. Unsere Anträge haben Sie immer wieder abgelehnt. Da kann ich nur sagen: Schandbar! Auch das kann man nicht mit Finanzen entschuldigen.
({22})
Mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf unterstreicht diese Bundesregierung, daß sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. In dem vorliegenden Haushaltsentwurf ist zwar für nächstes Jahr eine kleine Erhöhung vorgesehen, damit man ein wenig die Kürzungen der letzten Jahre überdecken kann; aber wenn man in die mittelfristige Finanzplanung schaut, muß man leider feststellen, daß nach diesem Jahr nichts mehr geschieht. Bis zum Jahre 2002 bleibt der Haushaltsansatz auf dem gleichen Niveau. Das heißt im Klartext: Er bleibt festgefroren, und trotz steigender Gesamtsumme des Bundeshaushaltes wird der Anteil von Bildung und Forschung dann wieder sinken. In der Konsequenz würde das elf Jahre Nullwachstum bedeuten. Inflationsbereinigt führt das zu massiven Einschnitten und bedeutet
schlechtere Bildungsbedingungen, Abbau und Vernichtung von Forschungskapazitäten, von Knowhow, von Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten.
Ein noch genauerer Blick in den Haushaltsentwurf fördert weitere Ungereimtheiten und Versäumnisse zutage. So wird die Projektförderung keineswegs, wie uns in Pressemitteilungen der Bundesregierung weisgemacht werden soll, hochgefahren. Vielmehr sind bis zum Jahre 2002 weitere Kürzungen von über 100 Millionen DM in diesem volkswirtschaftlich so wichtigen Bereich vorgesehen. Die Mittel für Energieforschung sollen in dem Zeitraum im übrigen genauso wie die für ökologische Forschung und wichtige Schlüsseltechnologiebereiche zusammengestrichen werden, obwohl wir wissen, daß hier ein ganz wichtiger Ansatzpunkt ist, sowohl um umweltpolitische Ziele zu erreichen als auch um das Erneuerungspotential unserer Wirtschaft und unserer Forschungsinstitutionen für Energieeinsparung um- und einzusetzen und den Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung einzuschlagen.
Transdisziplinarität und Internationalität von Wissenschaft und Forschung sind die Erfordernisse der Gegenwart. Aber auch hier nur Worte statt Taten: Sie haben das DAAD-Programm zusammengekürzt. Sie sind nicht bereit, die Forschungsprogramme so umzustrukturieren, daß sie dem Anspruch von Transdisziplinarität wirklich gerecht werden.
Meine Damen und Herren, wir brauchen aber noch mehr. Wir brauchen insgesamt bessere Rahmenbedingungen. Auch das ist eine Binsenweisheit, das wissen wir seit vielen Jahren. Die Bundesregierung redet zwar gelegentlich davon, aber es passiert auch hier nichts. Neue Produkte - wie zum Beispiel die Solartechnik - und viele Umweltschutzprodukte werden sich nur dann verbreiten, wenn der Staat ausreichende Rahmenbedingungen für die Startnachfrage schafft. Das kann öffentliche Beschaffung sein, das kann aber auch die richtige Grenzwertsetzung oder auch eine entsprechende Unterstützung bei Normen- und Standardsetzung sein, weil Sie dort ja auch durchaus eine beratende Funktion haben.
Wir brauchen in Zukunft Wachstum. Wir brauchen vor allen Dingen ein Wachstum unserer Binnenwirtschaft. Wir brauchen aber auch nachhaltiges Wachstum, das in seiner Gesamtbilanz unsere Umwelt erhält und Rohstoffe nicht verschwendet. Wenn wir diesen Weg endlich einmal beschreiten würden, dann würden wir ein Innovationspotential mobilisieren, das nicht nur unter ökologischen Gesichtspunkten Erfolg verspricht, sondern auch unserer Wirtschaft eine gute Ausgangsposition bei der Eroberung von Zukunftsmärkten verschafft. Diese Chance haben Sie nicht begriffen. Ich finde, es ist an der Zeit, daß das Leitziel der Nachhaltigkeit in Forschung und Entwicklung, ebenfalls in der wirtschaftlichen Entwicklung, endlich auch als Chance für Politikmanagement begriffen wird. Sonst verschlafen wir auch hier wieder die Zukunft.
({23})
Meine Damen und Herren, es ist ein Fehler, wenn die Politik versuchen würde, alles im Detail zu regeln. Das wollen wir nicht.
({24})
Wir wollen aber Leitlinien und Rahmenbedingungen vereinbaren, weil Politik, Frau Baumeister, sich nicht dadurch auszeichnet, daß sie nur nachläuft, sondern Politik zeichnet sich dadurch aus, daß sie Gestaltungsziele verfolgt und auch den Willen hat, diese Gestaltungsziele durchzusetzen.
({25})
Deshalb ist es notwendig und richtig, daß auch Leitlinien und Rahmenbedingungen vereinbart werden, die eine zukunftsfähige Entwicklung ermöglichen. Wir müssen gemeinsam Zukunftsvisionen formulieren, Leitbilder entwerfen und Innovationen freisetzen, statt dem Irrglauben zu unterliegen, Innovationen im Detail verordnen zu wollen. Dafür ist, wie gesagt, Gestaltungswille gefragt. Wir haben ihn; bei Ihnen ist er nicht zu finden.
({26})
Meine Damen und Herren, unsere Gesellschaft braucht eine neue Gründerwelle. Um die Chancen von neuen Märkten zu nutzen, ist die Förderung der Eigenkapitalbildung für innovative kleine und mittlere Unternehmen von zentraler Bedeutung. Für Unternehmen, die zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, wird deshalb von einer SPD-geführten Regierung ein Anteil des Unternehmensgewinns zur Stärkung des Eigenkapitals von der Steuer freigestellt werden. Ebenso werden wir die Zusammenarbeit von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen erleichtern und die Einstellung von Forschungspersonal fördern.
Diese Ansätze werden forschungsintensive und innovative Unternehmen, die sich gerade in einer schwierigen Phase der Etablierung am Markt befinden, stützen. Zudem werden wir ein Schwergewicht auf Existenzgründer und auf den Mittelstand legen. Wir werden das Engagement von Privatanlegern für Wagniskapital für besonders junge Unternehmen fördern.
Von ebenso großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Vernetzung der vielfältigen Aktivitäten, nicht deren Parallelisierung.
({27})
Aktivitäten sowohl von Wirtschaftspolitik als auch von Forschungspolitik, Autonomie und Vernetzung sind deshalb Schlüsselbegriffe einer offensiven Innovations- und Qualifikationsstrategie.
Die Bildungs- und Forschungspolitik einer sozialdemokratisch geführten Regierung wird vor diesem Hintergrund folgende Schwerpunkte setzen.
Erstens. Wir werden Bildung, Wissenschaft und Forschung finanziell und strukturell deutlich stärken
und ihrem Bundeshaushalt wieder Priorität einräumen.
Zweitens. Wir werden die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildungs- und Forschungspolitik wieder auf eine vertrauensvolle Grundlage stellen und Schluß machen mit der Konfrontationspolitik, die Sie in den letzten Jahren betrieben haben und die weder den Studierenden noch den Hochschullehrern nützt. Sie ist vielmehr destruktiv. Hier ist eine kooperative, vertrauensvolle Arbeit mehr als überfällig.
({28})
Drittens. Wir werden die Hochschulen und Forschungseinrichtungen von bürokratischer Bevormundung befreien und ihnen ein Höchstmaß an Autonomie und Entscheidungsfreiheit einräumen. Wir werden in diesem Zusammenhang die Personalstruktur und das Dienstrecht in Zusammenarbeit mit den Betroffenen grundlegend reformieren, das machen, wozu Sie keine Courage hatten.
Wir werden eine Qualifikationsoffensive starten, weil ohne qualifizierte Menschen nichts läuft. Wir werden eine umfassende Modernisierung der beruflichen Aus- und Fortbildung, die den Grundsätzen der Chancengleichheit, der Gleichwertigkeit und der Durchlässigkeit verpflichtet ist, verwirklichen. Wir werden in diesem Zusammenhang im übrigen dafür sorgen, daß alle Jugendlichen, die ausgebildet werden, einen qualifizierten Ausbildungsplatz angeboten bekommen.
({29})
Wir werden die bestehenden Ausbildungsverordnungen zügig modernisieren müssen. Wir werden vor allen Dingen auch die Benachteiligtenprogramme, weil diese wirklich eine deutliche staatliche Förderung und Unterstützung brauchen, bedarfs- und zielgerecht weiterentwickeln; denn das ist Aufgabe der Bundesregierung - momentan also Ihre Aufgabe - in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern.
({30})
- Sie müssen gelegentlich bitte auch etwas lesen. Manchmal denke ich, Weiterbildung für den Deutschen Bundestag wäre auch nicht schlecht, vor allem, nachdem ich heute einige Redebeiträge gehört habe und feststelle, daß einige in diesem Haus noch nicht einmal lesen können, da sie uns vorwerfen, daß nach unserem Konzept der Umlagefinanzierung zum Beispiel der Bäckermeister eine Umlage zahlen müßte, wenn er keinen Lehrling findet, obwohl er einen Lehrlingsplatz angeboten hat. Jeder könnte nachlesen, daß das, was Sie sagen, falsch ist und daß wir bei dieser Person keine Umlage erheben könnten.
Ich kann also nur sagen: Lesen können sollte eigentlich Grundvoraussetzung für ein Bundestagsmandat sein.
({31})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Friedrich?
Aber selbstverständlich.
Frau Kollegin Bulmahn, sind Sie bereit, zuzugeben, daß Ihre ganze Rede unter einem Finanzierungsvorbehalt steht und daß wir schon jetzt wissen, daß niemand all das, was Sie hier versprechen, bezahlen kann?
Erstens haben wir ausdrücklich gesagt - das haben sowohl unser Parteivorsitzender wie auch unser Kanzlerkandidat immer wieder gesagt -: Wir werden in einem Bereich eine Ausnahme machen. Wir werden die Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung deutlich erhöhen.
({0})
Auch dazu kann ich nur sagen: Bitte lesen lernen. Das steht nämlich in unserem Wahlprogramm wie auch in unserem Kurzprogramm.
Zweitens habe ich eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, zum Beispiel betreffend die Änderung der Personalstruktur und des Dienstrechtes, wo es nicht um Geld geht, sondern wo es um strukturelle Veränderungen geht, die Sie nicht angefaßt haben, weil Sie Angst hatten, sich mit Interessenverbänden anlegen zu müssen.
({1})
Ich kann nur sagen: Wer kein Rückgrat in der Politik hat, der sollte wirklich - um es einmal so auszudrücken - den Schwanz einziehen und durch die Tür hinausgehen.
({2})
- Es trifft aber die Sache. Zu mir paßt es nicht, das stimmt. Da ich ja Rückgrat habe, brauche ich den Schwanz auch nicht einzuziehen.
({3})
Wir werden dafür Sorge tragen, daß alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz erhalten. Wir werden vor allen Dingen die wichtige Aufgabe angehen, endlich in diesem Land für eine vernünftige Weiterbildung zu sorgen. Auch das ist überfällig; auch diese Aufgabe haben Sie nicht angepackt, weil sie nicht einfach zu regeln ist. Sich hinzustellen und zu sagen: „Wir leben in einer Wissensgesellschaft", aber gleichzeitig die Weiterbildung völlig zu ignorieren ist nichts anderes als dumm. Deshalb ist es überfällig, daß wir die Weiterbildung deutlich stärken.
Wir werden das BAföG reformieren und ein Verbot von Studiengebühren verankern, weil wir nicht wollen, daß der Zugang zu den Hochschulen vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist.
({4})
Wir werden für eine verbesserte Abstimmung von Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik und für eine bessere Vernetzung von Forschung und Wirtschaft sorgen. Wir werden die Grundlagenforschung mit anwendungsbezogener Forschung und mit Produktentwicklung vernetzen und Inter- und Transdisziplinarität zu leitenden Förderprinzipien machen.
Wir werden zukunftsträchtige Technologiefelder mit Querschnittscharakter wie die Materialforschung, die Informations- und Kommunikationstechnologien, die Energieforschung, die Biotechnologie und die Umwelttechnologien gezielt fördern.
Wir werden das Leitziel der dauerhaft sozial- und umweltverträglichen Entwicklung zum integralen Bestandteil der Forschungsförderungsprogramme machen.
Wir werden ferner die Innovationsfähigkeit der kleinen und mittleren Betriebe gezielt stärken, die Sie sträflich vernachlässigen. In diesem Punkt nützt Ihnen keine Schönfärberei.
({5})
Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher: Mit einer neuen Schwerpunktsetzung auf Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation, mit innovativem Wissen, mit umweltverträglichen Technologien und mit einem aufgeschlossenen gesellschaftlichen Klima können wir unsere Zukunft erfolgreich gestalten.
Ich wünsche Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, daß Sie nach dem 27. September Zeit für einen innovativen Prozeß finden, nämlich zu einer dringend erforderlichen inhaltlichen und personellen Erneuerung in Ihren Reihen.
Vielen Dank.
({6})
Ich gebe das Wort der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Claudia Nolte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, daß wir im Rahmen dieser Debatte auch die Möglichkeit haben, über die unterschiedlichen familien- und kinderpolitischen Konzepte von Regierung und Opposition zu diskutieren. Erlauben Sie mir deshalb, daß ich auf die vorhergehende Runde zurückkomme.
Es stimmt: Die Haushaltsspielräume sind eng. Nicht alles, was sich eine Familienministerin wünscht, ist sofort umsetzbar. Aber die Bundesregierung hat deutlich gemacht, daß Familienpolitik für sie Priorität hat. Noch einmal zur Erinnerung: In dieser Legislaturperiode haben wir das Kindergeld für alle Kinder deutlich erhöht, auf je 220 DM für das erste und zweite Kind, auf 300 DM für das dritte und auf 350 DM für das vierte und für weitere Kinder. Das heißt, allein die Mittel für Kindergeld und Kinderfreibetrag sind in dieser Legislaturperiode um 35 Prozent auf jetzt 50 Milliarden DM im Jahr angestiegen.
({0})
Weil Sie diesen Punkt wieder ansprechen, möchte ich zur Klarstellung feststellen: Weder ich noch andere Vertreter der Koalition haben gegen die Kindergelderhöhung von 20 DM gestimmt.
({1})
Tatsache ist, daß wir dafür votiert haben, diese Leistung ein Jahr später in Kraft treten zu lassen. Auch aus heutiger Sicht wäre es sehr wohl zu rechtfertigen gewesen, nach einer Steigerung des Kindergeldes von weitaus mehr als 7 Milliarden DM im Jahr 1996 die nächste Steigerung erst 1998 in Kraft treten zu lassen. Ich halte dieses Vorgehen in Anbetracht der Tatsache, daß wir finanzielle Spielräume sorgsam ausloten müssen, für gerechtfertigt und richtig. Deshalb bitte ich Sie, hier keine Mythen zu verbreiten.
({2})
Gerade der Zehnte Kinder- und Jugendbericht, der ja von so vielen zitiert wird, die ihn nicht gelesen haben, und der auch wesentlich mehr enthält als das, was zur Zeit in der Öffentlichkeit diskutiert wird, weist zu Recht auf besondere Schwierigkeiten und Benachteiligungen von Familien hin, die wir ernst nehmen müssen. Deshalb sage ich immer wieder, daß wir mit unseren Hilfen ganz konkret bei den Problemen ansetzen müssen. Da mit steigender Kinderzahl das Pro-Kopf-Einkommen einer Familie sinkt, bekennen wir uns zum Zählkindergeld. Deshalb werden wir auch in Zukunft bei Kindergeldverbesserungen nicht nur das erste und das zweite Kind berücksichtigen, sondern eben auch das dritte und weitere Kinder.
Weil auch Alleinerziehende besonders häufig in einer materiell schwierigen Situation sind, haben wir doch die Leistungen im Unterhaltsvorschußgesetz 1993 verdoppelt, sowohl was die Bezugsdauer als auch was die Altersgrenze anbelangt. Wir haben 1992 die Mehrbedarfszuschläge für Alleinerziehende erhöht. Mein Ziel ist es, daß wir in der nächsten Legislaturperiode Unterhaltsvorschußverbesserungen erreichen können. Allerdings brauche ich dazu die Länder, die bislang nicht bereit waren, dies mitzutragen.
Wir werden auch in der nächsten Legislaturperiode finanzielle Spielräume konsequent für Verbesserungen der Familienförderung nutzen, um damit die bewährten familienpolitischen Instrumente weiterzuentwickeln. Was wir aber nicht machen werden, sind ungedeckte Versprechen. Die SPD und die Grünen versprechen Kindergelderhöhungen von knapp 6 bis
über 15 Milliarden DM, die sie natürlich konsequenterweise über Steuererhöhungen finanzieren wollen.
({3})
Dabei dokumentieren sie in aller Deutlichkeit ihre familienpolitische Phantasielosigkeit: keine Verbesserung beim Kindergeld für das dritte und jedes weitere Kind, keine Verbesserung beim Unterhaltsvorschuß im Wahlprogramm vorgesehen, keine Verbesserung beim Erziehungsgeld, obwohl sie hier ständig tönen, daß etwas gemacht werden müßte. Was sie versprechen, stellen sie unter Finanzierungsvorbehalte. Familien brauchen keine unseriösen Versprechungen, sondern gezielte Hilfen.
({4})
Dort, wo das eigene Einkommen nicht ausreicht und dies auch nicht allein durch die Familienförderung ausgeglichen werden kann, greift die Sozialhilfe. Hier möchte ich mit meinem Kollegen Seehofer sagen: Sozialhilfe verhindert Armut. Sie schafft sie nicht. Deshalb hören Sie bitte genau zu:
Armut ist ein relativer Begriff. Nach Berechnung von Wirtschaftsstatistikern übertrifft der Lebensstandard eines deutschen Sozialhilfebeziehers den jedes zweiten Europäers. Auch sind die verfügbaren Haushaltseinkommen von Sozialhilfebeziehern in den letzten Jahren stärker gestiegen als die des Durchschnitts aller Haushalte. Das Niveau der Mindestsicherung hat sich demnach nicht verschlechtert. Natürlich muß ein Sozialhilfeempfänger mit jedem Pfennig rechnen. Doch menschenunwürdige Armut gibt es bei uns glücklicherweise nicht mehr.
({5})
Ich stimme diesen Aussagen Ihres Genossen Gerster, des rheinland-pfälzischen Sozialministers, ausdrücklich zu. Das hat er erst ziemlich zu Anfang dieses Jahres in einem sehr ausführlichen Beitrag des „Focus" ausgebreitet, übrigens unter der netten Überschrift „Märchen aus dem grünen Schlaraffenland". Ich bin erstaunt, wie liebevoll Sie schon heute mit Ihren Wunschpartnern umgehen. Aber das zeigt nur den Stil, den wir in Ländern mit rotgrüner Koalition beobachten können.
Deshalb darf ich mit den Worten Gersters fortfahren:
Widersprechen möchte ich auch der These, daß die Zahl der Sozialhilfeempfänger ständig und stark ansteigt. Der Anteil der Haushalte, die Sozialhilfe beziehen, hat sich zwar auf rund 13 % erhöht. Rechnet man jedoch die Ausländer aus diesen Haushalten heraus, so sinkt der Anteil deutscher Sozialhilfeempfänger auf rund 10 %. Daß die im europäischen Vergleich großzügige Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen ein Beleg für dramatisch zunehmende Armut in Deutschland ist, kann wohl nicht ernsthaft behauptet werden.
Soweit Florian Gerster. Auch wenn ich ihn ansonsten scharf kritisiere, zum Beispiel dafür, daß er in Rheinland-Pfalz das von der CDU eingeführte Landeserziehungsgeld ersatzlos gestrichen hat - da sind wieder Anspruch und Wirklichkeit der Genossen bei der SPD -, muß ich in diesem Fall sagen: Wo er recht hat, hat er recht.
Ich warne deshalb noch einmal ausdrücklich davor, den Anstieg der Zahl der Sozialhilfebezieher als Armutsanstieg zu definieren. Es ist hier zu Recht darauf hingewiesen worden, was das bedeuten würde, nämlich daß wir dank der Leistungsverbesserungen die Armut vergrößert hätten. Das kann sinnfälligerweise nicht richtig sein.
Es lenkt auch von der Notwendigkeit ab, den Blick darauf zu richten, wo Hilfe wirklich nötig ist, wenn wir uns an Definitionen halten, die wirklich unsinnig sind, zum Beispiel, daß derjenige arm ist, der über weniger als 50 Prozent des Durchschnittsverdienstes verfügt. Was bedeutet denn diese Definition? Wenn sich das Einkommen eines jeden einzelnen verdoppelt, haben wir nicht weniger Arme. Wenn sich das Einkommen aller Deutschen halbiert, haben wir dadurch nicht mehr Arme.
So wie der Tiefgang eines Schiffes in einer Schleuse vom Wasserstand der Schleusenkammer unabhängig ist, bleibt nach obiger Definition auch die Armutsquote bei noch so hohen Einkommen immer gleich. Nur das war es, liebe Frau Grießhaber, was ich darstellen wollte. Deshalb würde ich Sie bitten, mich in Zukunft richtig zu zitieren.
Es war Herr Geißler, der heute morgen im Ausschuß darauf verwiesen hat, daß so eine unsinnige Definition eben dazu führen könnte, daß in einem Land wie Nordkorea plötzlich weniger Arme als in Deutschland vorhanden sind, obwohl die Menschen in Nordkorea hungern. Die Relativität dieses Begriffes zeigt, daß es eben nicht sinnvoll ist, eine solche Definition anzuwenden.
({6})
Diese Definition gibt Einkommensrelationen wieder. Es ist ja durchaus wichtig, diese zu betrachten und das ernst zu nehmen. Aber dieser Begriff taugt eben nicht für eine Armutsdefinition, also für eine Erfassung von Armut.
({7})
Das muß man auch sagen dürfen, wenn sie von einer Expertenkommission vorgelegt wird, die man selbst berufen hat und die ansonsten - wofür ich ihr auch gedankt habe - gute Arbeit geleistet hat.
Deshalb werbe ich dafür, sich nicht in unhaltbare Armutsdefinitionen zu verstricken, sondern die Instrumente einer gezielten Familienförderpolitik zu stärken. Das haben wir getan. Das hat die Bundesregierung unter Helmut Kohl seit 1982 getan. Frau Bergmann hat es selber angesprochen - ich nenne die Zahlen noch einmal, damit sie sich auch festsetClaudia Nolte
zen -: Die familienpolitischen Leistungen wurden in diesem Zeitraum, seit 1982, von rund 27 Milliarden DM auf rund 77 Milliarden DM erhöht. Nun kann ich verstehen, liebe Frau Bergmann, daß man Sie nach der Diskussion im Ausschuß heute morgen noch eilends gebrieft hat und man hier noch einmal alle Argumente angeführt hat, die man schon für heute morgen zusammengesucht hat.
Nach der Debatte heute morgen muß ich zwar annehmen, daß Wiederholungen nichts nützen, weil Argumente anscheinend nicht auf offene Ohren treffen. Aber für diejenigen, die interessiert sind, sage ich es noch einmal: Hinter diesen Steigerungen steht nicht nur die deutsche Einheit, obwohl ich es schon eine großartige Leistung finde, daß sich die Lebensbedingungen dank der deutschen Einheit für 16 Millionen Menschen - darunter sind eben auch Familien und gerade Kinder - entschieden verbessert haben. Auch das wird - das ist doch vollkommen in Ordnung - mit diesen Leistungen ausgedrückt.
({8})
Aber diese Zahlen spiegeln auch ganz reelle neue Leistungen wider: Es war die Union, die das Erziehungsgeld eingeführt hat. Es war die Union, die eine Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rente eingeführt hat.
({9})
Wir haben den Familienleistungsausgleich reformiert. Wir haben das Baukindergeld erhöht,
({10})
um nur einige Punkte reeller Leistungsverbesserungen zu nennen.
({11})
Auch in Anbetracht des großen Nachholbedarfs, den es 1982 nach 13 Jahren sozialdemokratischer Regierungsverantwortung auch im familienpolitischen Bereich gab,
({12})
kann sich unsere Bilanz sehen lassen. Die Familien können sich darauf verlassen, daß wir auf diesem Weg weitermachen.
({13})
Meine Damen und Herren, häufig wird die SPD - nicht nur von uns - kritisiert, sie sage nicht, was sie wirklich wolle, sie führe einen Wahlkampf der Beliebigkeit, man vermisse eine inhaltliche Ausrichtung.
({14}) Die Kritik stimmt. Sie ist berechtigt.
({15})
Wer jedoch sieht, was Sie dort machen, wo Sie bereits Verantwortung tragen, der erkennt, wohin der Hase läuft. Da wird zum einen inzwischen die These vertreten, Familie sei schon überall dort, wo man gemeinsam aus einem Kühlschrank ißt. Zum anderen werden von Rotgrün in Nordrhein-Westfalen die Mittel für Kinderbetreuungseinrichtungen gekürzt und die Elternbeiträge erhöht. Mütter und Väter, die sich bemühen, Familie und Beruf zu vereinbaren, haben deshalb vollkommen zu Recht heute in Düsseldorf gegen eine solche Politik demonstriert. Ich verstehe deshalb überhaupt nicht Ihre Betroffenheitserklärungen hier. Wenn Sie die Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt beklagen, wenn Sie sagen, es müsse um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehen, warum handeln Sie denn dort, wo Sie Verantwortung tragen, nicht entsprechend, verdammt noch mal?
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Demgegenüber erhöhen SPD und Grüne in Schleswig-Holstein die Mittel für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften um 25 Prozent und schaffen im gleichen Atemzug das Familienministerium ab. Meine Damen und Herren von der SPD, Ihre Art und Weise, Familienpolitik zu gestalten, müssen gerade diejenigen, die Verantwortung für Kinder tragen, als Bedrohung empfinden.
({17})
Viel reden, schlecht handeln - so könnte man die Regierungspolitik der SPD in den Ländern umschreiben. Wer noch ein Beispiel braucht: In Niedersachsen wurde die Förderung familienbezogener Maßnahmen allein im laufenden Haushaltsjahr um 37,5 Prozent gekürzt. Es reicht eben nicht aus, wenn nur im Bund Familienpolitik betrieben wird. Gerade weil Familienpolitik Querschnittsaufgabe ist, weil sie alle Bereiche betrifft, muß sie in Kommunen und Ländern ebenso verantwortungsvoll wahrgenommen werden. Alle tragen Verantwortung für eine kinderfreundliche Gesellschaft. Deshalb appelliere ich an Sie, daß jeder dort, wo er Verantwortung trägt, Politik im Blick auf die Interessen von Familien und Kindern gestaltet.
Daß die Länder einen erheblichen Anteil an der Gestaltung der Lebenssituation für die Familien, für Arbeitnehmer, für Jugendliche haben, zeigt zur Genüge der Vergleich der Länder, der heute oft genug angeführt worden ist. Ich kann es nur wiederholen: Bei derselben Bundesregierung liegt der Anteil der Sozialhilfeempfänger in Bayern bei 2,1 Prozent, in Niedersachsen bei 4,3 Prozent. Bei derselben Bundesregierung liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei unter 25jährigen in Bayern bei 6 Prozent, in Niedersachsen bei 13,9 Prozent. - Das ist die Leistungsbilanz Ihres Kanzlerkandidaten. Ich kann ja verstehen, daß die SPD in Niedersachsen ihn gerne loswerden will. Ich finde aber, das rechtfertigt noch lange nicht, ihm Verantwortung in Bonn zu übertragen.
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Sie wissen es selbst: Wer sich auf Ihren Kandidaten und seine Politik verläßt, der ist verlassen.
Für junge Menschen ist entscheidend, daß sie Perspektiven haben. Aus guten Gründen erhöhen wir die Mittel für den Bundesjugendplan 1999 um 4 Millionen DM; wir wissen nämlich, wie wichtig aktive Jugend- und Verbandsarbeit ist. Das sind inzwischen knapp 30 Prozent mehr als 1990 - natürlich auch wegen der Wiedervereinigung, aber eben auch wegen realer Zuwächse. Da stimmt es mich schon traurig, daß die rotgrüne Landesregierung in NordrheinWestfalen den Landesjugendplan für 1999 ein weiteres Mal kürzt. Seit 1990 hat man so dem Landesjugendplan in Nordrhein-Westfalen 20 Prozent der Mittel genommen. Sie müssen sich nur anhören, was der Landesjugendring in Nordrhein-Westfalen zu dieser politischen Leistung sagt.
Ich habe auch keinerlei Verständnis dafür, daß - wiederum in Niedersachsen - die Mittel für den Kinderschutzbund spürbar gekürzt wurden. So schlimm darf es doch um keinen Haushalt bestellt sein, weder im Bund noch in den Ländern, daß man dort spart, wo es um den Schutz von Kindern und Jugendlichen geht.
Ich versichere Ihnen, daß wir unsere Arbeit zur Bekämpfung von Kindesmißbrauch, Kinderpornographie und Kindersextourismus konsequent fortsetzen und in diesem Zusammenhang auch darauf drängen werden, die internationale Strafverfolgung zu verbessern. Sie wissen, Deutschland hat im internationalen Vergleich eine führende Rolle bei der Umsetzung des Aktionsplans von Stockholm eingenommen. Wir werden auch weiterhin das Bestmögliche tun, um Kinder und Jugendliche zu schützen und jedes Verbrechen an ihnen umfassend zu verfolgen und zu bestrafen.
Ich danke in diesem Zusammenhang allen NichtRegierungsorganisationen, die in Deutschland in diesem Bereich für den Schutz der Kinder aktiv sind, für die gute Zusammenarbeit. Gemeinsam schaffen wir ein umfassendes Netz an Beratungs- und Hilfsangeboten, sowohl für die betroffenen Kinder als auch für Eltern und Pädagogen. Um hier entsprechend Unterstützung leisten zu können, habe ich die Mittel im Kinder- und Jugendplan meines Hauses verdoppelt.
Es gibt viele Punkte, in denen man das, was Sie sagen und machen, wenn Sie denn einmal konkret werden, kritisieren kann. Aber daß man Sie in diesem Punkt kritisieren muß, finde ich schon sehr traurig. Ihr Problem ist, daß Sie nicht nur nicht sagen, was Sie machen wollen, sondern daß Sie, wenn Sie etwas machen, es auch noch falsch machen.
Wir in der Bundesregierung haben dagegen als Koalition von CDU/CSU und F.D.P. gezeigt, daß wir die Herausforderungen, vor denen wir auch in diesem Politikbereich stehen, gut bewältigen können. Wir werden dies auch in Zukunft tun.
Herzlichen Dank.
({19})
Ich gebe dem Abgeordneten Matthias Berninger das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin Nolte, in der Diskussion um den Zehnten Jugendbericht geht es nicht darum, Ihnen allein die Schuld für den Befund zu geben, die Schuld dafür, daß die Situation von Kindern in Deutschland so schlecht ist, wie es dieser Jugendbericht darstellt, sondern darum, daß wir von der Opposition befürchten, daß diese Bundesregierung mit dem Zehnten Jugendbericht genauso umgeht, wie sie mit dem Neunten Jugendbericht umgegangen ist: alle Verantwortung von sich weisen, sagen, man sei nicht zuständig, die Probleme zum Teil leugnen, zum Teil schönreden, zum Teil relativieren und dann mit offenem Mund dastehen, wenn die damals beschriebenen Probleme - ich nenne nur als Beispiele die Perspektivlosigkeit von Jugendlichen in den neuen Ländern, die Ausbildungsplatzprobleme, den Rechtsradikalismus und die fehlenden Angebote in den neuen Ländern - uns als Politikerinnen und Politikern ein oder zwei Jahre, nachdem ein solcher Bericht vorgelegt worden ist, um so härter auf die Füße fallen. Die Art und Weise, wie Sie mit dem Problem umgehen, dieses Leugnen und Schönreden, und die Tatsache, daß Sie sich nicht an die Spitze derer stellen, die handeln und etwas verändern wollen, ärgert mich.
({0})
Sie wissen so gut wie ich, daß für Kinder und Jugendliche mehr getan werden müßte. Sie wissen so gut wie ich, daß in diesem Jugendbericht auf ein sehr ernsthaftes Problem hingewiesen wird, das Konservative, die die Familienideologie zum Teil überhöht hatten, eigentlich ins Herz treffen müßte, nämlich daß das Leben mit Kindern für viele Menschen in diesem Land zu einem Armutsrisiko geworden ist oder zu einem Armutsrisiko werden kann. Ich kann beim besten Willen die Diskussion nicht weiterhin dulden und für okay finden, die Sie da letzten Endes führen, die lautet:
({1})
Bezug von Sozialhilfe bedeutet im Grunde keine Armut, und um Gottes willen, wenn wir jetzt von Armut sprechen, dann diskriminieren wir diese Familien auch noch, und wenn es ein Problem gibt, dann sind es die Städte und Gemeinden, und dann sind es vor allen Dingen böse rote oder rotgrüne Landesregierungen, die schuld sind.
({2})
Diese Schwarzweißmalerei geht mir gehörig auf die Nerven. Das will ich Ihnen sagen.
({3})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Singhammer?
Selbstverständlich gestatte ich sie.
Herr Kollege Berninger, weil Sie jetzt wieder auf das Thema „Armut bei Kindern" eingegangen sind: Sind Sie bereit zuzubilligen, daß die Zahl, die im Kinder- und Jugendbericht enthalten ist, von 1 Million Menschen unter 18 Jahren, die im Jahre 1996 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten, auch 245 000 Kinder oder Jugendliche ohne deutschen Paß beinhaltet,
({0})
und daß weitere 189 000 ausländische Personen unter 18 Jahren Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten? Sind Sie mit mir auch der Meinung, daß dies nicht für eine massenhafte Verelendung spricht, sondern vielmehr Zeichen einer außerordentlichen Hilfsbereitschaft ist?
({1})
„Diese Bundesregierung verhält sich" - damit komme ich zu der Antwort auf Ihre Frage - „gegenüber der Generation von Migranten, die hier in Deutschland geboren worden ist und bisher keinen deutschen Paß erhalten hat und keine Rechte hat, außerordentlich hilfsbereit" . Mir geht das langsam auf die Nerven.
({0})
Die CSU weigert sich, das Staatsangehörigkeitsrecht zu reformieren. Herr Seehofer redet davon, daß Einwanderung eine Ursache dafür ist, daß so viele junge Menschen von Sozialhilfe leben müssen. Gleichzeitig weigern Sie sich, Einwanderung anzuerkennen, und führen einen spiegelfechterischen Kampf, der mit der Realität nichts zu tun hat. Das geht mir gehörig auf den Senkel, denn das ist nicht die Art und Weise, wie man mit Problemen in diesem Land umgeht. Ihre Hilfsbereitschaft gegenüber diesen jungen Migranten würde ich nur als eine sehr begrenzte Hilfsbereitschaft ansehen. Ich wünsche mir unter anderem deshalb eine rotgrüne Regierung, um dieser Generation zu sagen: Wir sind nicht nur bereit, euch Almosen zu geben, wir sind nicht nur bereit, euch in irgendeiner Form zu unterstützen und ein Leben am Rand des Existenzminimums zu ermöglichen, sondern wir wollen, daß ihr in die Mitte unserer Gesellschaft kommt. Das ist unser politisches Ziel. Zuallererst gehört dazu: Wer hier geboren wird, bekommt die deutsche Staatsangehörigkeit. Wenn Sie dem zustimmen, sind wir an diesem Punkt einen ganzen Schritt weiter.
({1})
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Fuchs?
Aber selbstverständlich.
Bitte schön.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß von den Sozialhilfeempfängern die größte Gruppe Kinder unter sieben Jahren sind, und sind Sie mit mir weiterhin der Meinung, daß Kinder von Ausländern, die hierherkommen, nicht durch Sozialhilfe finanziert werden sollten, sondern dies eine Bundesaufgabe ist und eigentlich die Bundesregierung für diese Kinder aufkommen müßte?
({0})
Im Prinzip ist es völlig richtig, daß sich in diesen Zahlen eine Verlagerung der Lasten, die eigentlich der Bund übernehmen müßte, auf die Kommunen widerspiegelt. Sie haben angesprochen, daß es eine große Zahl von Kindern gibt, die heute von der Sozialhilfe leben müssen. Dafür war die Sozialhilfe ursprünglich nicht konzipiert. Sie war ursprünglich für etwas anderes konzipiert. Der Zehnte Kinder- und Jugendbericht enthält eigentlich noch eine weitere Botschaft, über die bei den heutigen gegenseitigen Schuldzuweisungen so gut wie überhaupt nicht geredet worden ist: Wir brauchen in der Sozialhilfe eine Strukturreform. Wir brauchen eine Hilfe für Menschen in diesen Lebenslagen, die ihren Lebenslagen auch entspricht.
({0})
Diese Strukturreform, eine grundsätzliche Änderung der Sozialhilfe, wird eine der Hauptaufgaben einer rotgrünen Regierung sein, natürlich neben einer Erhöhung des Kindergeldes und einer Verbesserung der Ausstattung von Familien.
Frau Nolte, in diesem Punkt bin ich ehrgeiziger als Sie. Ich bin ehrgeiziger, weil man, wenn man Finanzpolitik ernst nimmt, Herrn Waigel mehr die Stirn zeigen muß, als Sie das tun. Dann muß man mehr tun, als Sie tun, dann muß man sagen: Die nächste Bundesregierung muß die Ausstattung von Familien verbessern, unabhängig davon, wer ihr vorsteht. Sie hingegen versuchen immer nur larmoyant von Rahmenbedingungen zu reden.
({1})
Diese Verbesserung der Situation von Familien ist aus meiner Sicht einer der wichtigsten Punkte überhaupt. Interessanterweise wird heute die sozialpolitische Debatte, weil Bundesbildungsminister Rüttgers rechtzeitig, bevor die Agenturen dichtmachen, seine Rede halten wollte, mit einer Bildungsdebatte vermengt. Es hängt auch zusammen. Es gibt einen Satz, den auch der Bildungsminister häufig gebraucht, nämlich daß sich die neue soziale Frage entlang der Bildung entscheiden wird. Dieses Zitat halte ich für absolut zutreffend. Zugleich wird daraus deutlich, wie schlecht die Bilanz dieser Bundesregierung ist. Wenn es nämlich stimmt, daß junge Leute in Deutschland immer stärker auf staatliche Hilfe angewiesen sind und immer häufiger in Armut aufwachsen, wenn richtig ist, daß sich die soziale Spaltung, vor der ja immer gewarnt wird, in der jungen GeneMatthias Berninger
ration schon voll gezeigt hat, dann besteht eine der Hauptaufgaben der Politik darin, sich darum zu kümmern, dieser Generation ein Recht auf Bildung zu ermöglichen.
Dazu müssen aus meiner Sicht zwei wichtige Dinge passieren. Das eine - hier können wir wieder Schuldzuweisungen verteilen - ist eine Aufgabe der Länder: Die Botschaft Nummer eins ist, sich in den Schulen schwerpunktmäßig darum zu kümmern, daß die junge Generation eine Chance bekommt, daß Armut und relativ niedriger Bildungsstand der Eltern sich nicht weitervererben.
Die Botschaft Nummer zwei ist das, was ich von der nächsten Bundesregierung erwarte: eine BAföG-Reform, die ihren Namen verdient und das Recht auf Bildung wieder verwirklicht. Ich glaube, daß Rot und Grün auch da mutiger und weiter als Sie sind, Herr Minister Rüttgers. Ich habe es zwar vier Jahre lang erlebt, wie Sie in Ihrem Ministerium die Bedingungen für BAföG verschlechtert haben, aber ich habe es nicht erlebt, daß Sie sich mutig an die Spitze gestellt und gesagt hätten, auch hier bräuchten wir eine Strukturreform, die den neuen Verhältnissen angemessen sein muß. Diese Strukturreform wird nach der Bundestagswahl kommen - das ist meine feste Überzeugung -, und sie wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten, daß Bildungschancen nicht davon abhängen, wo man geboren wird, ob man Gewinner oder Verlierer der „Samenlotterie" ist.
Meine Damen und Herren, dieser zentrale Punkt in der Bildungsreform, daß wir das Recht auf Bildung verwirklichen, führt mich zu einem weiteren Punkt der bildungspolitischen Debatte. Herr Minister Rüttgers, der bei den Ländern in der Kreide steht, weil er seinen Verpflichtungen im Hochschulbau nicht nachkommt, der im Grunde eine ziemlich beschämende Bilanz hat, weil er es nicht geschafft hat, das Regierungversprechen einzulösen, daß insgesamt mehr Geld für Bildung ausgegeben werde, dieser Bildungsminister - er steht in den hinteren Reihen der CDU/CSU-Fraktion; da wird er in Zukunft häufiger sitzen -,
({2})
der letzten Endes eine Hauptverantwortung für die Finanzmisere hat, legt jetzt Programme auf, in denen er sagt, er wolle das nicht mit den Ländern in Kooperation machen, sondern allein oder wolle mit ihnen in Konkurrenz treten. Damit verfolgt er eine Grundlinie, die ich ablehne und die dazu führt, daß sich Bund und Länder wechselseitig die Schuld für Versäumnisse geben. Ich wünsche mir eine Bildungspolitik, in der Bund und Länder wieder gemeinsam an Reformen arbeiten. Der Bund muß bereit sein, die Länder zu entlasten und den Ländern helfen, statt großkotzig davon zu reden, daß man ach so toll sei und ach so viel erreicht habe, während allein die Länder schuld hätten.
Mich haben heute den ganz Tag hier die berühmten Ländervergleiche, die uns sicherlich auch morgen wieder beschäftigen werden, tierisch genervt. Interessanterweise sind geographische Kenntnisse im konservativen Lager nicht so weit verbreitet; denn man hat bei all diesen Schilderungen vom bösen Niedersachsen, dem Reich des Bösen, vom guten Bayern und vom guten Baden-Württemberg vergessen, daß es noch ein Bundesland, nämlich Hessen, gibt, das am allermeisten in den Bund-Länder-Finanzausgleich zahlt. Ich gehe nicht so weit zu sagen, daß dies nur daran liege, daß Hessen eine rotgrüne Landesregierung hat. Aber offensichtlich schadet das dem Land Hessen überhaupt nicht. Es gibt auch mehr Geld für Bildung als Bayern aus.
Ich sage jetzt nicht, wir sind so toll, daß wir das alles alleine machen könnten. Eine solche Art und Weise zu diskutieren finde ich hohl. Es ist nichts anderes als der Versuch, in diesem Haus eine Wahlkampfdebatte auf niedrigstem Niveau zu führen. Das mag Ihnen Freude bereiten. Es wird Ihnen aber an einer Stelle nichts nützen: Es wird Ihnen für die Politik, die Sie gemacht haben, keine Mehrheit wiederbeschaffen. Sie bekommen auch eine Abreibung für die Art und Weise, wie Sie heute mit der Haushaltsdebatte umgegangen sind.
Ich bedanke mich.
({3})
Der Abgeordnete Rolf Kutzmutz möchte seine Rede zu Protokoll geben. *) Ich nehme an, daß darüber Einverständnis besteht.
Dann gebe ich dem Abgeordneten Rolf Schwanitz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte eigentlich eine erste Bemerkung zu Frau Nolte machen. Aber sie hat sofort nach ihrer Rede den Saal verlassen.
Herr Kollege, sie ist anwesend.
Sie wird auf der Regierungsbank vertreten; vielleicht ist sie auch anwesend. Ich kann es nicht überblicken. Nolte war wohl der Name, der heute nach dem Namen Kohl am häufigsten hier in diesem Raum gefallen ist. Das ist schon eine besondere Form von Ignoranz. Das wollte ich zum Anfang ganz deutlich gesagt haben.
({0})
Eine zweite Bemerkung will ich mir auch nicht ersparen: Die Rede von Frau Nolte war sehr lang, es wurden viele Worte, schnelle Sätze gesprochen. Nun ist dieses Thema nicht mein ureigenes Sach- und Hausthema.
({1})
- Gut, bitte, wenn Sie wollen, können Sie das gern kommentieren, ist in Ordnung.
*) Anlage 2
Roll Schwanitz
Man muß sich einmal die Kommentarlage vergegenwärtigen: 12 Prozent der Kinder und Jugendlichen in sozialer Bedrückung in den alten Bundesländern, 22 Prozent im Osten. Das waren ja die Botschaften. Wer sich dann unmittelbar nach dieser Kommentierung hier hinstellt und herumfilibustert, ob es sich hier um arm oder um einkommensschwach oder irgend etwas anderes handelt, ist Schlichtweg unakzeptabel, meine Damen und Herren.
({2})
- Wunderbar, ich bedanke mich. - Besonders übel nehme ich das jemandem, der aus dem Osten kommt. Warum? Ganz klar: Wir haben bei diesem Prozeß des Aufwuchses auf 22 Prozent - Frau Bulmahn hat es völlig zu Recht erwähnt - eine massive Dunkelziffer, wie wir sie in den alten Bundesländern nicht kennen. Auf etwa zwei Anspruchsberechtigte, die sich bei der Sozialhilfe nicht melden - aus Scham, aus Nichtwissen oder irgendwelchen sonstigen Gründen -, kommt eine Person, die dann in der Statistik erscheint. Und das alles ist in acht Jahren aufgewachsen. Die enormen mentalen Probleme, die mit diesem Aufwuchs auf 22 Prozent zusammenhängen, kommen ja noch hinzu.
({3})
- Ja, ich habe das heute gelernt: Das ist alles falsch, wir sehen es falsch, es ist alles nicht so schlimm. Meine Damen und Herren, eine Ministerin, die sich mehr Sorgen um die Statistik macht als um die Kinder und Jugendlichen, die ihr anvertraut sind, hat ihre Funktion einfach verfehlt.
({4})
Eine zweite Bemerkung will ich zu Herrn Geißler machen. Ich beginne mit einem Kompliment. Das muß in einer solchen Debatte auch einmal gestattet sein. Er ist nicht mehr da, aber ich sage es trotzdem. Es gibt Abgeordnete in diesem Hohen Haus, vor denen man unabhängig vom Parteibuch auf Grund ihrer Biographie, auch der Debattenbeiträge, die man erlebt hat, Respekt hat. Dazu gehört Herr Geißler. Ich sage das aus meiner Warte ausdrücklich. Dennoch gab es da heute einen Satz, bei dem es mir kalt den Rücken hinuntergelaufen ist. Diesen Satz will ich einmal aufgreifen. Herr Geißler hat sich in seiner Rede ja sehr mit dem Thema „Angst schüren" in dieser Wahlkampfzeit und mit dem Thema „Wahrhaftigkeit" auseinandergesetzt. Das war der Bogen in seiner Rede. Dann kam von ihm der Satz: Wenn wir die Währung wechseln, sollten wir nicht auch noch die Regierung wechseln - und dies in Kombination mit dem Thema „Angst schüren".
Meine Damen und Herren, hieraus spricht nicht nur eine besondere Art von Chuzpe und Scheinheiligkeit, sondern mir ist an diesem Satz noch einmal so richtig deutlich geworden, in welcher Bedrängung
Sie sich kurz vor den Bundestagswahlen befinden, wenn jetzt sogar der Euro für Ihre Zwecke instrumentalisiert werden muß.
({5})
Aber bleiben wir einmal bei dem angesprochenen Spannungsbogen der Wahrhaftigkeit, denn ich finde, das ist wirklich eine interessante Geschichte. Ostdeutschland hat heute eine große Rolle gespielt. Bekanntlich beschreiben Sie ja in Ihren Wahlkampfbroschüren, bei Ihren Auftritten und auch heute in verschiedenen Reden erneut die blühenden Landschaften. Wir in der Opposition haben uns - ich sage das offen - in den Jahren nach 1990 gar nicht mehr getraut, dieses Wort zu verwenden, weil es nach 1990 als Bild so diskreditiert war. Sie haben es jetzt wieder aus der Mottenkiste gezogen. Das ist in Ordnung. Sie tun das trotz aller Warnsignale, die Sie intern haben; es ist ja nicht so, daß Sie nicht über die Informationen verfügten. Aber Sie blenden diese Warnsignale völlig aus und wischen sie einfach vom Tisch.
({6})
Die Akzeptanz der Marktwirtschaft und der Demokratie - so sagen uns die Demoskopen in Ostdeutschland - ist dramatisch zurückgegangen. Diese Information wird auch bei Ihnen intern diskutiert - Diskussionsrunde im Bundeswirtschaftsministerium; ich weiß davon. Das wird aber völlig ausgeblendet. Mir ist auch klar, warum Sie das ausblenden. Sie blenden es aus, weil Sie die Ursachen für diese Befindlichkeit, für dieses Votum und für diese erschrekkende Botschaft durch Ihre Politik selber gesetzt haben.
({7})
Sie haben beispielsweise Ursachen dadurch gesetzt, daß die Ostdeutschen Politiker erlebt haben, die in den letzten Jahren serienweise Versprechungen gemacht haben, ohne daß eine dieser Versprechungen auch real eingehalten worden ist. Sie haben Ursachen gesetzt, weil Sie die Tiefe des Umbruchs in Ostdeutschland seit 1990 in den zurückliegenden Jahren - ich sage: bis zum heutigen Zeitpunkt - in seiner ganzen Dramatik noch immer nicht richtig erfaßt, zumindest aber nicht richtig beschrieben haben. Das macht die Frustration aus und erklärt die Erscheinung, von der ich vorhin gesprochen habe.
({8})
Man muß auch feststellen, daß Sie die Ursachen dadurch gesetzt haben, daß Sie die Vereinigungspolitik kurzsichtig betrieben haben und daß bei Ihnen Machtinteresse und Machtpolitik zugunsten der Union immer Vorrang vor dem Interesse hatten, in Ostdeutschland klare Aussagen zu machen. Man sieht das an vielen Stellen.
Ich will das an einigen Beispielen noch einmal aufzeigen: Das erste Beispiel läßt sich mit dem Begriff - er hat auch heute schon eine Rolle gespielt; vielleicht wird es das Unwort des Jahres 1998- „Wahlkampf-ABM" beschreiben. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal daran erinnern, was tatsächlich passiert ist. Schauen wir uns doch einmal an,
was die Bundesregierung gemacht hat: Sie hat 1997 eine Diffamierungskampagne gegen eine aktive Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland geführt. Sie hat das Arbeitsförderungsgesetz - wie die Koalition das immer nennt - reformiert und mit massiven Restriktionen in das SGB III überführt. Sie hat die Menschen in die Arbeitslosigkeit geschickt. Ende 1997 waren ungefähr 170000 Personen - wenn man die Vorruheständler einrechnet - weniger in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Dadurch, daß Sie 1997 kaum Neubewilligungen zugelassen haben, haben Sie sich natürlich eine Bindungsfreiheit für das Wahljahr geschaffen. Das war Ihr erstes großes Thema.
Das zweite, was Sie gemacht haben: Sie haben Anfang dieses Jahres der Bundesanstalt für Arbeit einen Erlaß auf den Tisch gelegt. Mit diesem Erlaß sind auf dem Verwaltungswege - ohne daß das geltende Recht geändert worden ist - die Restriktionen - für die Sie hier monatelang schwer gekämpft haben - in Sachen arbeitsplatzvernichtende beschäftigungspolitische Maßnahmen wieder rückgängig gemacht worden. Die sogenannte Vergabe-ABM ist ausgehebelt worden. Alle Dämme wurden weggeräumt. Sie haben dadurch seit Jahresanfang mit einem unheimlichen Einsatz, den wir selbst 1994 - als wir ähnliches kennengelernt haben - nicht erlebt haben, rund 200 000 Personen in Ostdeutschland wieder mit Maßnahmen versorgt. Das ist die Situation. Ich kann nur sagen: Sie haben damit Hoffnungen geweckt, Hoffnungen geschürt, von denen Sie genau wissen, daß sie bei Fortsetzung Ihrer Politik nach der Bundestagswahl bitter enttäuschen werden.
({9})
Warum? - Die Antwort ist ganz klar. Sie greifen vor allen Dingen in der jetzigen Zeit massiv auf Kurzzeitmaßnahmen zurück. Die Welle der Rückkehrer, die in Drei-Monats-ABM beschäftigt sind, ist vorprogrammiert. Nach der Bundestagswahl wird es anfangen. Wenn es keine Änderung der aktuellen Politik gibt, wird es ein böses - übrigens auch politisch böses - Erwachen geben; denn diese Menschen werden anders dastehen als früher, als sie sich noch in der klassischen ABM mit einem Jahr Laufzeit befanden. Sie werden ohne Lohnersatzansprüche dastehen. Das ist die große Sauerei, meine Damen und Herren.
({10})
Die perfide Strategie in bezug auf die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ist leider nicht zu ändern. Es geht ja weiter. Jetzt gibt es eine neue Botschaft - ich dachte, daß Sie das in der heutigen Debatte deutlicher herausstellen -, die lautet: Nein, nein, keine Sorge. Im nächsten Jahr wird die Arbeitsmarktpolitik im Osten weitergeführt werden. Ich kann Ihnen dazu nur sagen, daß das bei dem jetzigen Politikansatz ganz klar unwahrhaftig ist. Es zeichnet sich auch ganz klar ab, warum. Natürlich haben Sie durch diese Maßnahmen - wahlkampforientiert, wie Sie das in diesem Jahr gemacht haben - die Vorbindungen für das Jahr 1999 massiv ausgereizt. Das heißt, der Spielraum für Neubewilligungen im Wahlfolgejahr wird ganz gering sein, und die arbeitsmarktpolitisch entlastende Wirkung im Jahr 1999 - bei einer unveränderten Politik - wird unvergleichlich geringer sein, verglichen mit dem, was man im Wahljahr erreicht hat. Das ist die Situation. Es gibt bereits Prognosen bei den ostdeutschen Landesarbeitsämtern, die besagen, daß bei gleichem Haushaltsansatz 1999 zwischen 90 000 und 100 000 Personen weniger mit Maßnahmen versorgt sein werden als im Wahljahr. Das ist die Realität, das ist der zynische Umgang mit den Erwartungen der Menschen im Osten.
({11})
Deswegen sagen wir: So kann das nicht gehen. Man darf die Menschen nicht alleine lassen. Wir werden diese arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nach dem 27. September als solide Maßnahmen fortführen. Wir werden daraus Jahresmaßnahmen machen. Wir werden diesen politischen Sprengstoff entschärfen. Denn Arbeitsmarktpolitik muß wegkommen von einem Instrument der reinen machtpolitischen Gelüste. Sie muß sich wieder um die Arbeitslosigkeit kümmern. Darum wird es gehen.
({12})
Herr Kollege Schwanitz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehnel?
Bitte.
Herr Kollege Schwanitz, Sie haben gerade von zynischem Umgang mit den Erwartungen der Menschen gesprochen. Sie haben im Vogtland, wo Sie sich als Wahlkreiskandidat bewerben, den Vorschlag gemacht, einen Fonds zu gründen, um Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu finanzieren, und haben schon 1 000 DM eingezahlt. Würden Sie dem Plenum und Ihrer Fraktion erklären, wie Sie mit den Menschen umgehen, wenn Sie solche Vorschläge machen?
Das kann ich Ihnen ganz klar sagen. Die Idee mit dem Fonds ist gemeinsam mit den Gewerkschaften geboren worden und setzt genau an der Stelle an, wo Sie den Scherbenhaufen hinterlassen haben. Sie haben nämlich 1997 die Eigenmittelbeteiligung der Beschäftigungsförderungsgesellschaften massiv nach oben geschraubt, so daß sie die Maßnahmen nicht finanzieren konnten. Das war ein Knebel.
({0})
Deswegen habe ich gemeinsam mit den Gewerkschaften vorgeschlagen: Laßt uns, wenn die Bundesregierung - wir kriegen erst 1998 eine andere - das so tut, versuchen, ob man mit regionalen Mitteln in
diesem Engpaß Eigenmittelzuschüsse finanzieren kann. Das ist die Grundüberlegung gewesen.
({1})
Jetzt sage ich Ihnen natürlich auch: Das war eine Grundüberlegung aus dem Frühjahr dieses Jahres. Ich will Ihnen gerne zugestehen, daß die besondere Situation des Wahljahres - jetzt gibt es Eigenmittelzuschüsse, jetzt gibt es wundersame Dinge, von denen wir 1997 überhaupt nicht zu träumen wagten - zu einer Änderung geführt hat. Die Gelder sind nach wie vor in dem Fonds. Der Vorschlag liegt auf dem Tisch: Wir werden mit diesen Mitteln ein Projekt im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik initiieren, übrigens gekoppelt mit dem Thema „Arbeit statt Sozialhilfe "; da gibt es vernünftige Ansätze in der Region. Da gibt es keine Trickserei. Das Geld ist da und wird verwendet. Übrigens bin ich da mit dem Landrat der CDU sehr einig, daß man es vernünftig einsetzen kann.
Herr Kollege Schwanitz, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Dehnel?
Bitte.
Herr Kollege Schwanitz, Sie haben gerade zu diesen Maßnahmen erklärt, es seien praktisch doch die falschen Mittel gewesen. Wie erklären Sie sich dann, daß der Landkreis Vogtland jetzt eine Spitzenposition einnimmt, daß er die Arbeitslosigkeit im größten Maße abgebaut hat, heute in den neuen Bundesländern an dritter Stelle steht und damit eine hervorragende Position einnimmt? Weil wir diese Maßnahmen entsprechend dem Arbeitsförderungsgesetz eingeführt haben! Würden Sie das bitte zur Kenntnis nehmen? Es waren nicht Ihre Maßnahmen, die dort gegriffen haben, sondern unsere Maßnahmen.
Herr Dehnel, ich habe Ihnen erläutert, wie das mit dem Vorschlag ist.
({0})
Daß im Vogtland die Arbeitslosigkeit ganz besonders gesunken ist, hängt damit zusammen, daß ganz besonders viele Wahlkampf-ABM im Vogtland initiiert worden sind, und mit einem zweiten Effekt, der aus den offiziellen Statistiken nicht abzulesen ist: Wir haben im Vogtland ungefähr 5000 Pendler. Das ist soviel wie sonst in drei Arbeitsamtsbezirken in Sachsen zusammen. Das schönt natürlich die Statistik. Die gehen alle nach Franken, wo 40 000 Ostdeutsche Arbeit finden. Das ist eine besondere Situation meines Wahlkreises, die in der Nähe zum ehemaligen Grenzgebiet begründet ist.
Meine Damen und Herren, ich will noch auf eine neue Mogelpackung im Zusammenhang mit dem Thema Arbeitsmarktpolitik zu sprechen kommen. Es ist die Mogelpackung „offene Stellen" . Auch das hat heute schon einmal eine Rolle gespielt. Ich glaube, Herr Waigel hat die Zahl eingeführt; 1,0 Millionen seien es.
({1})
- Ich kenne auch die Zahl 1,5 Millionen aus entsprechenden Verlautbarungen. Er hat „ 1 Million" gesagt. Ich will jetzt nicht darum streiten.
({2})
- Herr Waigel sprach von 1 Million. Deswegen habe ich das korrigiert; ich wollte ihn nicht falsch zitieren. Darum streite ich jetzt nicht.
Es heißt, das sei jetzt der große Indikator für den Aufschwung. Vergessen worden ist bei dieser Zahl der offenen Stellen zu sagen, daß zu ihnen auch die noch nicht besetzten ABM-Stellen gezählt werden.
({3})
Vergessen wurde, daß auch die SAM - Strukturanpassungsmaßnahmen - als offene Stellen mitgezählt werden, wenn sie noch unbesetzt sind. Vergessen wurde, daß die Hälfte dieser Stellen mit einer Befristung versehen worden ist. Vergessen wurde, daß Verleihfirmen mitgezählt werden, die bei Arbeitsämtern Mehrfachnennungen haben. Vergessen worden ist, daß es CDU-Abgeordnete gibt, die herumfahren und sagen, vor dem 27. September möge man doch bitte schön noch schnell befristet einstellen; denn die CDU müsse gerettet werden. Das ist eine neue Mogelpackung. Ich sage, nach der Bundestagswahl muß es aufhören mit diesen statistischen Lügereien, meine Damen und Herren.
({4})
Ich möchte gerne eine Bemerkung zu dem Thema machen, das heute morgen ganz am Anfang eine Rolle gespielt hat: die Diskussion über den finanziellen Rahmen des Aufbaus Ost bzw. über die finanzielle Situation der neuen Bundesländer. Zum Thema Länderfinanzausgleich ist, glaube ich, heute morgen Umfangreiches gesagt worden. Das will ich nicht alles wiederholen. Es sei mir nur gestattet, ausdrücklich zu sagen: Ich finde es zynisch und verlogen, sich hier hinzustellen und zu sagen: Bitte schön, wir gehen zum Verfassungsgericht und klagen - in einer Situation, in der die ostdeutschen Länder 86 Prozent des Länderfinanzausgleichs bekommen -, und gleichzeitig zu erklären, das hat mit Ostdeutschland nichts zu tun. Also, für so dumm kann man die Ostdeutschen nicht verkaufen, meine Damen und Herren; das wird nicht funktionieren.
({5})
Ich möchte gerne noch einen weiteren Bereich ansprechen, der mich mindestens genauso besorgt macht: Das ist die Entwicklung, die sich mit neuen Schlagworten verbindet, mit Schlagworten wie Herrn Waigels „Finanzkonzept 2010" oder auch dem
Schlagwort des Wettbewerbsföderalismus. Das hat heute auch eine Rolle gespielt.
({6})
- Natürlich hat er das gestern aufgenommen, übrigens in einer inhaltlich hervorragenden Art und Weise. Das können Sie nachlesen.
Ich will dazu ein klares Wort von meiner Position aus sagen. Wenn Herr Waigel vorschlägt, daß das Steuersystem neu zu ordnen sei, indem man die Gemeinschaftssteuern quasi entflechtet, die indirekten Steuern dem Bund zuweist und die Einkommen- und Körperschaftsteuern den Ländern gibt, mit der Möglichkeit, eigene Hebesätze festzulegen, dann halte ich das schlichtweg für einen abenteuerlichen Vorschlag, meine Damen und Herren. Warum? Die Folgewirkungen sind ganz klar. Während der Bund die gut sprudelnden Mehrwertsteuern bekommt, verbleiben die stark konjunkturabhängigen Einkommen- und Körperschaftsteuern bei den Ländern. Während die reichen Länder die Steuersätze bei den Einkommen- und Körperschaftsteuern nach unten setzen können und dadurch natürlich auch Standortvorteile, beispielsweise bei Betriebsansiedlungen, organisieren können, bleiben die finanzschwachen Länder auf ihren Standortnachteilen sitzen. Während wir in Europa, auch hier im Bundestag, über Steuerharmonisierung sprechen und die Notwendigkeit sehen, Steueroasen im europäischen Bereich abzubauen, soll nun im Inland bis 2010 nach Waigels Vorschlag ein neuer Steuerwettlauf organisiert werden. Dies werden wir nicht mitmachen, meine Damen und Herren.
({7})
Eine solche Finanzverfassung ist nach meiner Einschätzung in höchstem Maße unsolidarisch und verlogen. Während Sie - das haben Sie heute mehrfach getan - vom Saarland und von Bremen sprechen, meinen Sie in Wirklichkeit Brandenburg und Thüringen, meine Damen und Herren. Dieses Konzept richtet sich unmittelbar gegen Ostdeutschland.
({8})
Dort brauchen wir die solidarische Unterstützung. Deswegen sage ich: Mit diesen Mogelpackungen muß Schluß sein, meine Damen und Herren!
({9})
Außerdem: Ich habe diese neoliberale Strategie in den letzten Jahren mehrfach beobachten können. Da wird zuerst die Einnahmeseite zertrümmert, um anschließend, nachdem die Einnahmen weggebrochen sind, damit die Kürzung der Ausgaben begründen zu können. Solche Strategien werden mit uns nicht laufen, meine Damen und Herren.
({10})
Wir wollen keinen neuen Egoismus, auch nicht, wenn er sich hinter neuen, schönen Worten wie Wettberwerbsföderalismus verbirgt. Für uns bleibt der Bundesstaat in erster Linie eine solidarische Gemeinschaft. Dafür treten wir ein, meine Damen und Herren.
({11})
Zum Schluß möchte ich noch eine Bemerkung zur gegenwärtigen Politik machen. Ich habe den Eindruck, während die Union im Wahlkampf draußen schöne Reden hält, geht im Innenbereich das Verfolgen von knallharten Entscheidungen und knallharter Politik weiter. Ich will das Beispiel der BvS ansprechen, der Treuhandnachfolgeorganisation. Seit längerer Zeit ist erkennbar, daß es eine politische Strategie bei der Union, bei der Bundesregierung gibt, daß die BvS so schnell wie möglich zu Grabe getragen werden soll, obwohl der gesetzliche Auftrag der BvS noch längst nicht erfüllt ist. So wird offensichtlich noch vor der Bundestagswahl ein massiver Personalabbau bei der BvS organisiert, der ihre Funktionsfähigkeit intensivst in Frage stellt. Die SPD sagt klar: Wir brauchen auch nach der Wahl die Begleitung der ostdeutschen Unternehmen, die privatisiert worden sind, durch die BvS. Wir brauchen die Kontrolle der Verträge, wir brauchen das Vertragsmanagement. Wir brauchen die Unterstützung und Hilfe für schlecht privatisierte, für in Not geratene Unternehmen. Wir brauchen nicht zuletzt die Information der Länder durch die BvS. Das alles ist ohne die BvS nicht zu bewerkstelligen.
Wenn die Informationen zutreffen, daß die BvS-Spitze jetzt auch dem Vorsitzenden des Hauptpersonalrates betriebsbedingt kündigen will, weil er eine kritische Position einnimmt - es gibt entsprechende Meldungen, die man nicht in den Wind schlagen sollte -, dann wächst sich diese Strategie zu einem arbeitsrechtlichen Skandal aus.
({12})
Morgen ist Verwaltungsratssitzung bei der BvS. Ich fordere Herrn Waigel auf, auch wenn er nicht mehr anwesend ist: Pfeifen Sie Herrn Himstedt, den Chef der BvS, zurück, damit dort nicht diese arbeitsrechtlichen Skandale ablaufen!
({13})
Meine Damen und Herren, in der „Süddeutschen Zeitung" war heute im Kommentar unter Hinweis auf Bundeskanzler Helmut Kohl folgender Satz zu lesen - ich zitiere - :
Wenn die Leute die Politik als höchste Form der Lüge ansehen, dann meinen sie in erster Linie ihn.
Wahrheit, Klarheit und Glaubhaftigkeit müssen wieder Einzug in Regierungshandeln halten, damit die Demokratie im Osten, aber auch im Westen nicht weiter an Akzeptanz verliert.
({14})
Daß Sie dazu nicht in der Lage, aber auch nicht willens sind, habe ich in den letzten acht Jahren hier im Deutschen Bundestag erlebt. Deswegen wird der Wähler am 27. September eine klare Entscheidung fällen und einer neuen Regierung einen Auftrag geben.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Angela Merkel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche hier jetzt als Abgeordnete, weil für uns alle in der Fraktion und in der Bundesregierung der Aufbau Ost Priorität hat.
({0})
Wir müssen nichts zur Chefsache erklären, hier sprechen nicht nur Bundesminister, hier kann sich jeder Abgeordnete zu diesem Thema äußern.
Herr Schwanitz, Ihr Beitrag war heute seitens der SPD der einzige aus der Sicht Ostdeutschlands, soweit ich das gesehen habe. Ich bin etwas enttäuscht, weil ich gedacht habe, daß Sie sich mit den Fragen befassen, die Kurt Biedenkopf heute sehr intensiv angesprochen hat. Es ging um die Fragen, wie wir die strukturellen Probleme und die Probleme der Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern angemessen lösen können.
Welche Konzepte und welche Vorstellungen haben hier die Sozialdemokraten? Wenn ich als zentrale Botschaft höre, daß Sie gegen den Wettbewerb zwischen den Ländern sind, der doch erreichen kann, daß Geld in die Kassen kommt, mit dem anschließend wieder der Ausgleich organisiert werden kann, dann bin ich schon einigermaßen enttäuscht.
({1})
Lieber Herr Schwanitz, es ist doch nicht zu bestreiten, daß hohe finanzielle Aufwendungen und große Investitionen in den letzten acht Jahren möglich waren. Ich hoffe, auch Sie bestreiten das nicht. Ich nenne beispielhaft: 50 Milliarden DM für Telekommunikation, 37 Milliarden DM für Infrastruktur wirtschaftsnaher Art und 87 Milliarden DM für Verkehrsinfrastruktur. Dies alles war nur möglich, weil 1990 im Westen Deutschlands, nämlich in der Bundesrepublik Deutschland, eine Regierung bereits acht Jahre regiert hat, die finanziell die Kraft dazu hatte, das wirtschaftliche Desaster in den neuen Bundesländern - zunächst ansatzweise - zu verbessern.
({2})
Das resultiert daraus, daß es Zahler gibt, die in den
Bund-Länder-Finanzausgleich einzahlen. Dafür muß
der Wettbewerb zwischen den Ländern organisiert werden. Wir dürfen ihn nicht behindern, weil wir sonst den Standort Deutschland insgesamt behindern.
({3}) Das ist die erste Aussage.
Die zweite Aussage lautet: Die Länder, die besonders erfolgreich sind, müssen die Chance haben, ein wenig davon zu profitieren; das ist heute nicht mehr der Fall. Die neuen Bundesländer können und werden davon profitieren. Daher sind diese Aussagen nicht gegen die neuen Bundesländer gerichtet; das wissen Sie ganz genau. Vielmehr bieten sie die Chance, auch über die Jahrhundertwende hinweg die Förderung der neuen Bundesländer auf substantielle Art und Weise durchzusetzen.
({4})
Deshalb sage ich Ihnen: Die Frage des Wettbewerbs zwischen den einzelnen Bundesländern ist für mich ein Kernstück des Föderalismus. Ich fände es schön, wenn wir den Menschen in den neuen Bundesländern wenigstens die Grundgedanken des Grundgesetzes gemeinsam nennen könnten. Dann würde es nämlich auch mit der Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft wieder besser. Wenn wir uns alle darin überbieten, zu kritisieren - dazu leisten die Sozialdemokraten leider einen wesentlichen Beitrag -, dann wird das Verständnis für die Grundordnung dieser Bundesrepublik Deutschland in den neuen Ländern noch langsamer wachsen, als das bisher der Fall ist.
({5})
Wir sollten uns also gemeinsam fragen, Herr Schwanitz: Was ist gut für die neuen Bundesländer? Da hat Ihr Kanzlerkandidat heute etwas ganz besonders Schönes gesagt. Er hat sich nämlich in der Chemnitzer „Freien Presse" zu der Frage geäußert, wie es denn nun mit den Bündnissen zwischen SPD und PDS stehe, und gesagt, er habe einmal eine andere Meinung gehabt, aber er habe zur Kenntnis nehmen müssen, daß man in Ostdeutschland „sehr selbstbewußt das tut, was für die Länder gut ist".
({6})
Mit einem Wort: Herr Höppner tut das, was für die Länder gut ist.
Herr Schwanitz, einmal abgesehen davon, daß Sie zur sächsischen Sozialdemokratie gehören, die zu der ganzen Frage offensichtlich eine etwas andere Meinung hat - ich weiß nicht, ob der stellvertretende Parteivorsitzende da ausschert -, sage ich Ihnen am Beispiel von Mecklenburg-Vorpommern, was nach Meinung der PDS gut für das Land ist. Die PDS sagt in Gestalt ihrer Fraktionsvorsitzenden im mecklenburg-vorpommernschen Landtag, daß sie nach wie vor der Meinung sei, daß die A 20, die Autobahn von Lübeck nach Stettin, Blödsinn ist.
({7})
- Sehen Sie, Frau Höll klatscht auch gleich reflexartig. Bei der PDS sind alle noch einer Meinung; das
klappt immer. - Die PDS ist gegen den Transrapid von Berlin nach Hamburg.
({8})
- Nein, so einfach ist das nicht. Auch Herr Ringstorff ist inzwischen gegen den Transrapid, weil er sich anschickt, mit der PDS zu kooperieren, so daß Herr Schröder, als er in Rostock zu Gast war und dort eine Pressekonferenz gab, bei der er vom Transrapid im Emsland schwärmte, zu Herrn Ringstorff, der das Wort ergreifen wollte, sagte: „Wenn ich mal hier bei euch bin, dann möchte ich alleine sprechen" und ihm das Wort verbot.
Also: Was ist gut für Mecklenburg-Vorpommern? Nach Herrn Schröders Ansicht wahrscheinlich doch der Transrapid, nach der Ansicht von Herrn Ringstorff weniger der Transrapid. Ich kann nur sagen: Ich halte den Transrapid für eine wichtige Technologie in den neuen Bundesländern.
({9})
Denn wir wissen doch, Herr Schwanitz, daß wir den Wettbewerb nicht in den Bereichen gewinnen können, in denen es schon in den alten Bundesländern strukturelle Schwierigkeiten gibt, sondern daß wir versuchen müssen, in den neuen Bundesländern mutig und offensiv neue Felder zu besetzen, mit denen wir dann übrigens auch beispielhaft für ganz Deutschland sein können.
Nun will ich gar nicht davon sprechen, daß die PDS natürlich gegen die NATO-Osterweiterung ist. Ich weiß wirklich nicht, ob das gut für Sachsen oder für Mecklenburg-Vorpommern ist, und für Brandenburg ist es mit Sicherheit auch nicht gut. Die PDS schickt sich an, Soldaten als Mörder zu beschimpfen und die Bundeswehr abschaffen zu wollen.
({10})
- Einzelne von Ihnen zumindest.
({11})
Immerhin ist die Bundeswehr der größte Arbeitgeber in meinem Heimatland, in Mecklenburg-Vorpommern. Da muß man sich dreimal überlegen, mit wem man Bündnisse eingeht. Wenn sich Herr Holter als PDS-Landesvorsitzender dafür ausspricht, die Beamten im öffentlichen Dienst sollten keinen Eid mehr auf das Grundgesetz ablegen, dann frage ich mich, was das soll und warum das gut ist für die neuen Bundesländer.
({12})
Wenn Sie heute hier weiter nichts fordern als das, was Frau Engelen-Kefer seit Jahr und Tag fordert, nämlich daß der zweite Arbeitsmarkt eine bestimmte Rolle einnimmt, dann sieht man daran, daß Sie Angst davor haben, daß die Tatsache, daß wir in den neuen und alten Bundesländern einen Aufschwung erleben, Ihnen Ihr erstrebtes Ziel vermasselt. Das ist der Punkt; deshalb wollen Sie das nicht wahrhaben.
({13})
Herr Schwanitz, Sie wissen doch, daß wir in den neuen Bundesländern Probleme haben, ob das Zittau ist, ob das andere Regionen sind; ich könnte Ihnen die in Vorpommern aufzählen. Aber Sie wissen ganz genau, daß es auch blühende Landschaften gibt. Warum in aller Welt nehmen Sie den Ostdeutschen jede Möglichkeit, auf das Erreichte stolz zu sein? Warum erklären Sie unentwegt der ganzen Welt, daß es mit dem Erreichten noch nicht soweit her sei?
({14})
Jetzt sage ich es Ihnen mit einem Beispiel, das mich immer erschreckt. Wenn wir die Menschen in Deutschland fragen „Hat sich seit 1990 die Umweltsituation in den neuen Bundesländern verbessert? Ist sie heute gut oder besser oder relativ gut?", dann haben 1998 17 Prozent der Westdeutschen gesagt, sie habe sich verbessert, während wenigstens 53 Prozent der Ostdeutschen dies zur Kenntnis genommen haben. Was heißt das? Nur 17 Prozent der Westdeutschen haben mitbekommen, daß sich die Umweltsituation in den neuen Bundesländern dramatisch verbessert hat. Anders als Frau Fuchs es dargestellt hat, hat sie sich verbessert. Das ist überhaupt keine Frage.
Womit hängt das zusammen? Das hängt damit zusammen, daß wir in der öffentlichen Darstellung den Ostdeutschen nicht den Erfolg für das gönnen, was wir inzwischen längst geschafft haben. Als ich Sie eben wieder gehört habe, Herr Kollege Schwanitz, mußte ich feststellen, daß Sie dazu ganz wesentlich beitragen.
({15})
Lassen Sie das weg und beschreiben Sie die Realität, so wie sie ist! Kurt Biedenkopf hat heute richtigerweise gesagt: Fangen wir bei einer korrekten Beschreibung der Wirklichkeit an und überlegen wir uns dann, welche Maßnahmen wir treffen müssen.
Für mich ist klar - dafür haben alle Abgeordneten aus den neuen Bundesländern immer wieder gekämpft -, daß wir aus strukturellen Gründen noch über lange Jahre hinweg den zweiten Arbeitsmarkt brauchen werden. Aber Sie, Herr Schwanitz, haben kein einziges Wort zur Reform des Arbeitsrechtsgesetzes verloren, das wir im übrigen ohne Ihre Zustimmung verabschieden mußten, weil Sie nicht bereit waren, mit uns im Bundesrat darüber zu debattieren. In diesem Gesetz haben wir viele Brücken gebaut, um für die Menschen die Durchlässigkeit zwischen zweitem und erstem Arbeitsmarkt zu erreichen. Ich denke an die Lohnkosten- und Einarbeitungszuschüsse. Es ist vieles geschehen, was sehr viel sinnvoller ist als das, was vorher war. Sagen Sie doch zum Beispiel, daß eine große Zahl der Mittel heute gar nicht mehr in die klassische ABM fließt, sondern daß inzwischen ganz andere Möglichkeiten vorhanden sind, aus denen der bessere Teil der ArbeitsloDr. Angela Merkel
senstatistik resultiert. Darauf sind wir stolz, weil dies die einzig mögliche Brücke in den ersten Arbeitsmarkt ist.
({16})
Ich wundere mich in den vielen Stunden dieser Debatte, daß Sie von den Sozialdemokraten, die Sie uns so gern kritisieren, nicht deutlich machen können, was wir aus den neuen Bundesländern für den Fortschritt in ganz Deutschland einbringen können. Sprechen Sie doch einmal vom Abitur in Sachsen nach zwölf Jahren Schulbesuch. Das ist doch eine gute Sache; da sind wir Vorbild für alle bundesdeutschen Länder. Sprechen Sie doch einmal davon, daß man bei uns auch in der ersten Klasse schon Zensuren bekommen kann. Auch das finden wir toll. Sprechen Sie doch davon, daß an der Technischen Universität Dresden Zwischenprüfungen ganz normal sind und die Studenten ihr Studium nach fünf oder sechs Jahren beenden. Das alles würde auch ganz Deutschland guttun.
Ich möchte im Deutschen Bundestag auch deutlich machen, daß die Ostdeutschen nicht immer nur Empfänger von Hilfe sind. Wir brauchen sie. Aber wir brauchen sie, weil wir allein auf die Beine kommen wollen. Wir haben inzwischen gelernt - was für die gesamte Bundesrepublik Deutschland wichtig ist -, wichtige Dinge einzubringen, um den Standortwettbewerb gegen andere im fairen Vergleich zu gewinnen. Wenn Sie schon für sich - zusammen mit einer Partei, die ohnehin nicht an die Macht kommt - in Anspruch nehmen, die Ostdeutschen zu vertreten, dann wünschte ich mir ein bißchen, daß Sie hier diesen Stolz, diese Freude und das, was wir können, vermitteln. Das ist meine Bitte an Sie.
Herzlichen Dank.
({17})
Das Wort hat der Kollege Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Merkel - Sie haben als Abgeordnete gesprochen -, mir ist bei Ihrer Rede spontan ein alter DDR-Witz eingefallen: Wenn eine Regierung dem Ende entgegengeht, wenn sie sich noch einmal bemüht und auf dem Regierungsdampfer Volldampf gibt, dann gehen mindestens 60 Prozent zum Tuten und 40 Prozent zur Vernebelung drauf. Wenn Sie davon reden, daß in Mecklenburg-Vorpommern die Bundeswehr der größte Arbeitgeber ist, dann kann es mit dem wirtschaftlichen Aufbau in Ihrem Bundesland wohl nicht allzuweit her sein. Das würde mich eher sehr skeptisch stimmen. Es hätte uns auch früher nicht beglückt, wenn die NVA oder die Rote Armee dort der größte Arbeitgeber gewesen wäre.
Wir haben heute lange genug über diesen Haushalt diskutiert. Ich will diese Diskussion nicht strapazieren. Der Bundesfinanzminister hat einen Wahlkampfhaushalt eingebracht, an den keiner in diesem Haus glaubt und der so ungewiß ist wie der Standort des lang verschollenen Bernsteinzimmers. Jedenfalls führen wir hier im Moment eher Wahlkampfauseinandersetzungen. Es ist natürlich kein Geheimnis, daß in Wahljahren die Erfolge der Bundesregierung immer groß sind, alles gut ist und alles glänzen muß.
({0})
- Ich verstehe das, Herr Repnik. Es ist logisch, daß dann auch der Aufbau Ost glänzen muß. Wolfgang Schäuble sagt, das sei die größte Erfolgsgeschichte in diesem Jahrhundert. Nun sind wir in diesem Jahrhundert nicht gerade mit Erfolgen und mit ruhmreicher Geschichte verwöhnt worden. Ich will diese Erfolge überhaupt nicht bestreiten; es gibt sie ja.
Bei der Lebensqualität und bei der Infrastruktur sind wir sehr gut vorangekommen, und zwar schneller als bei der Industrie, dem Gewerbe, bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und beim Export; das müssen wir sagen. Der Aufschwung ist da. Das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber - das ist die tragische Situation - der Osten kann nicht jeden gebrauchen. Das erfahren die Leute dort. Im Grunde genommen bietet sich eine Perspektive, die nicht für jeden Erfolgsmöglichkeiten bietet. Es ist ja nicht so, daß Ihnen jeder im Osten zujubelt und sagt, ich teile diese Ansicht, habe diese Aufbruchstimmung und diese positive Perspektive. Meiner Meinung nach könnten wir schon viel weiter sein.
Ich habe heute Professor Biedenkopf wirklich aufmerksam zugehört. Er hat an vielen Stellen recht. Aber die Diskussion sollten wir dann wirklich ernsthaft und vom Ursprung her führen. Wieso haben wir die Diskussion über die große Steuerreform - Sie, Herr Repnik, sind ja einer der Protagonisten - erst 1996/97 ernsthaft geführt, warum denn nicht schon 1990, als absehbar war, daß wir dieses verkorkste Steuersystem nicht auf den Osten übertragen können?
({1})
Das war schon in der Volkskammer Inhalt unserer ersten Reden. Sie, Frau Merkel, haben das als Pressesprecherin vielleicht mitverfolgt. Wir haben damals schon darüber geredet; da war schon klar, daß sich das Wirtschaftswunder der Bundesrepublik in den 50er Jahren bei diesem Steuerrecht mit Sicherheit nicht ereignet hätte. Hätte es damals schon die jetzige Regelungsdichte gegeben, würden Sie heute noch darauf warten. Das war damals schon überfällig.
Oder lassen Sie uns ehrlich über den Länderfinanzausgleich reden: Wir hätten ihn schon 1990 gebraucht. Warum sind wir denn ausgewichen und haben erst den Fonds Deutsche Einheit geschaffen? Alle alten Länder wären Geberländer geworden, egal - darüber brauchen wir gar nicht reden -, ob sie CDU- oder SPD-regiert waren. Dem sind wir ausgewichen. Statt dessen haben wir die Einheit auf Pump finanziert und einen Fonds Deutsche Einheit eingerichtet. Im Rahmen aufwendiger Solidarpaktverhandlungen haben wir 1994 den Länderfinanzausgleich - übrigens mit Billigung aller Länder - eingerichtet. Ich habe nichts gegen Wettbewerb zwischen
Werner Schulz ({2})
den Ländern; der ist gesund und muß sein. Dabei sollten wir uns vielleicht auch einmal überlegen, ob wir im Rahmen der europäischen Einigung nicht vergleichbare Regionen brauchen, die die gleiche Wirtschaftskraft usw. haben. Ich will jetzt nicht über Ländergebietsreformen reden, aber darüber hätte man durchaus sinnvoll debattieren können. Warum haben wir das nicht gleich gemacht? Wieso führen wir jetzt eine Verfassungsdiskussion über einen Gegenstand, auf den man sich 1994 einvernehmlich im Rahmen des Solidarpaktes geeinigt hat?
1990 haben wir auch gewußt, daß die sozialen Sicherungssysteme nicht tragfähig sein werden, wenn soundso viel Millionen Rentner und Arbeitslose im Osten dazukommen. Damals wußten wir schon, daß die demographische Entwicklung einen Reformbedarf der sozialen Sicherungssysteme mit sich bringt. Hier ist doch enorm viel verschleppt worden. Die Gestaltungs- und Modernisierungschance ist überhaupt nicht genutzt worden.
Ein weiteres Beispiel ist die Treuhand: Warum haben wir denn erst einmal eine ganze Volkswirtschaft komplett abgeräumt und deindustrialisiert? Jetzt werben wir händeringend um Neuansiedlungen. 1991 haben wir ein Gesetz zur Sanierung von bestimmten Industriebereichen mit Hilfe von staatlichen Anschubfinanzierungen und Subventionen eingebracht. Das ist hier regelmäßig abgelehnt worden. Es gibt nur ein einziges Beispiel in Ostdeutschland, wo das gelungen ist. Dort ist kein Stein auf dem anderen geblieben, man hat alles umgekrempelt. Man hat Gebäude abgerissen, Flächen saniert, obwohl kein marktfähiges Produkt und keine Servicelinien und dergleichen mehr da waren.
({3})
- Richtig. Das Unternehmen heißt Jenoptik AG. - Den Mann, der das gemacht hat, hat sich Helmut Kohl jetzt als Berater geholt. Ich finde das ja gut, aber es ist - nomen est omen - etwas spät. Etwas spät greift er auf Leute zurück, die im Grunde genommen eine völlig andere Politik verfolgt haben, als sie diese Bundesregierung für richtig hielt.
({4})
- Das kann in dem Falle sein. Helmut Kohl greift auch sehr spät auf die These von Heiner Geißler zurück und entsinnt sich, daß man eventuell noch einen Koalitionspartner mehr braucht als den, der da allmählich abnippelt, daß man eine Perspektive braucht. Es gibt auch späte Einsichten - das ist hochinteressant.
Ich meine, wir haben in Ostdeutschland noch ein ganz anderes Problem, und das haben wir gemeinsam: Es ist das Bewußtsein für diese Demokratie, das nicht sonderlich ausgeprägt ist. Man hört und liest davon, daß nur 30 Prozent der Ostdeutschen überhaupt noch an die Demokratie und daran glauben, daß sie in der Lage ist, etwas zu ändern.
Ich glaube, es kommt sehr darauf an, den politischen Wechsel, die politische Veränderung zu erleben und zu realisieren, daß der Umzug nach Berlin auch mit einem politischen Neuanfang verbunden ist. Sonst bekommen die Kräfte Zulauf, die momentan mit plumpen Parolen, mit sehr einfachen Faustformeln hantieren und im Grunde genommen auf die Politikverdrossenheit aufbauen, die sich in 16 Jahren Ara Kohl gesammelt hat, die sich als Reformstau in der Wirtschaft und überall in der Gesellschaft zeigt und die sich in einer gewissen Weise auch auf den Osten übertragen hat.
({5})
Das Wort hat der Kollege Adolf Roth, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, nach einem langen, lebhaften Debattentag ist es nicht ganz unangebracht, in der Schlußphase dieser Haushaltsdebatte wieder auf den Ausgangspunkt zurückzukommen, nämlich auf die Vorlage des Bundeshaushalts für das Jahr 1999, die heute von Finanzminister Theo Waigel mit einer eindrucksvollen Rede eingebracht worden ist.
Wenn Haushalt in Zahlen gegossene Politik ist, dann ist es der Koalition am heutigen Tag gelungen, diese Politik für Deutschland auch deutlich zu machen. Ihnen ist es nicht gelungen, den Bundesfinanzminister und die Bundesregierung so, wie Sie es sich vorgenommen hatten, politisch ins Wanken zu bringen. Sie haben keine vernünftige und glaubwürdige politische Alternative anzubieten. Das ist die erste Bilanz dieser Haushaltsdebatte.
Der Bundesfinanzminister hat mit seiner Einbringungsrede auch deutlich gemacht, daß er - er ist ja der Finanzminister des deutschen Einigungsprozesses - nicht nur vor die größten Herausforderungen gestellt war, die je ein Bundesfinanzminister seit dem zweiten Weltkrieg zu bewältigen hatte, sondern daß er sie auch jeweils angepackt hat, daß er vor Schwierigkeiten und Rückschlägen nicht zurückgeschreckt ist und daß er mit seiner gestaltenden Politik die Dinge im Griff hat. Ich glaube, es ist die wichtigste Garantie für die Menschen in Deutschland für die nächsten Jahre, daß sie wissen: Diese Bundesregierung ist mit ihrer Reformpolitik auf dem richtigen Weg. Sie hat auch die richtige parlamentarische Unterstützung dabei.
({0})
Meine Damen und Herren, die Rede des Finanzministers und dieses Zahlenwerk sind Ausdruck von Leistung und Kompetenz, aber auch Ausdruck einer beharrlichen Konsequenz in einer auf Wachstum und Stabilität ausgerichteten Finanz- und Haushaltspolitik. Das beginnt schon damit, daß diese Debatte heute stattfindet, daß der Bundeshaushalt vor der Bundestagswahl eingebracht worden ist - vollständig und bis ins letzte Detail durchbuchstabiert -, auch wenn der Wahltermin vor der Tür steht. Das haben wir 1994 in gleicher Weise gehandhabt. Dies stärkt uns nur in unserer Verpflichtung und in unserem
Adolf Roth ({1})
Auftrag, mit einer rechtzeitig vollständig vorgelegten Haushaltsvorlage den Menschen auch klar zu sagen, wo es nach der Wahl hingeht.
Der Kanzlerkandidat der SPD regiert seit neun Jahren in Niedersachsen. Er hat es versäumt, in seinem Bundesland einen Haushaltsentwurf für 1999 vorzulegen, weil er es scheut, die Finanzlage seines Bundeslandes aufzudecken. Was hat denn der oberste Kassenstürzer in Deutschland zu verbergen, daß er seinen Bürgern in Niedersachsen die Offenlegung der Zahlen verweigert? Wenn ein Regierungschef, der neun Jahre Regierungsverantwortung als Ministerpräsident in einem Bundesland getragen hat, über die nationale Kassenlage nicht informiert ist und unentwegt nach einem Kassensturz und nach einer Überprüfung des Bundeshaushalts ruft, dann ist das ein politisches Armutszeugnis. Das ist die erste haushaltspolitische Niederlage dieses Kandidaten.
({2})
Er müßte ja nur den Bundeshaushaltsplan lesen. Dieser ist acht Jahre nach der Vollendung der deutschen Einheit und ein Jahr vor dem Beginn der Europäischen Währungsunion ein in sich schlüssiges und umfassendes Zahlenwerk.
Deutsche Währungsunion und Europäische Währungsunion sind zwei wichtige Stationen der Entwicklung in den letzten Jahren. Beide Ereignisse sind mit den Namen Helmut Kohl und Theo Waigel verbunden. Aber sie sind nicht mit den Namen Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder verbunden. Sie waren gegen den Einigungsvertrag und haben im Bundesrat gegen die Wirtschafts- und Währungsunion gestimmt. Sie haben den Aufbauprozeß mit Neinsagerei und mit Bremserei begleitet. Das ist die schlechteste Grundlage, um die Einigung in unserem Lande herbeizuführen.
Ich muß einen Punkt mit aller Deutlichkeit ansprechen: Wenn Oskar Lafontaine jetzt unmittelbar vor dieser Haushaltsdebatte ein sogenanntes Grundlagenpapier des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden für eine wachstumsorientierte Finanzpolitik für den Zeitraum 1998 bis 2000, auf dünnen sieben Seiten zusammengefaßt, vorlegt, es aber darin nicht eine Erwähnung dessen und nicht eine Fußnote darüber gibt, daß die Vollendung der deutschen Einheit mit ihren Herausforderungen und Aufgaben in bezug auf den Aufbau, die Investitionen und die großen Transferleistungen die deutsche Finanzpolitik in den letzten Jahren am allermeisten geprägt und herausgefordert hat, dann ist dies ein Eingeständnis der Tatsache, daß man an dieser großen historischen Aufgabe keinen aktiven Anteil gehabt hat und daß man auch heute noch diesen Prozeß nur mit einer distanzierten und reservierten Haltung begleitet.
In diesem Jahrzehnt zwischen der deutschen und der Europäischen Währungsunion hat die Finanzpolitik ihre größte Herausforderung erfolgreich gemeistert. Es ist der umfangreichste Umbau einer europäischen Volkswirtschaft geleistet worden. Wir haben diesen Prozeß aber ohne ökonomische Verwerfungen meistern können. Das Geld ist stabil wie nie zuvor. Wir haben die niedrigsten Zinsen, und wir haben den wirtschaftlichen Aufschwung. Vor allen Dingen aber hat nicht nur der Arbeitsmarkt neue Schubkraft bekommen, sondern auch das Netz der sozialen Sicherung in Deutschland hat in diesen Jahren absolut gehalten. Wo in der Welt war eine ähnlich erfolgreiche und positive Entwicklung nach dem Zusammenbruch des Kommunismus zu beobachten?
({3})
Das ist die Leistung von Theo Waigel und Helmut Kohl.
({4})
Wir können deshalb mit dieser haushaltspolitischen Bilanz getrost in die Wahlentscheidung am 27. September gehen. Wir haben nicht nur 600 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt in den Aufbau Ostdeutschlands investiert, und wir werden nicht nur im nächsten Jahr 95 Milliarden DM zusätzlich investieren, sondern wir haben dies auch geschafft, ohne daß ein Sozialabbau, wie es die Sozialdemokratie immer wieder behauptet, in diesem Lande stattgefunden hat. Diese Behauptung ist bösartig und demagogisch, denn im letzten Jahr hatten wir 1256 Milliarden DM im Sozialbudget. Das ist seit 1991 eine Steigerung von immerhin 42 Prozent, obwohl die gesamtwirtschaftliche Leistungssteigerung in diesen Jahren nur 28 Prozent betragen hat. Auch das ist ein Beweis dafür, daß wir die Menschen in dieser schwierigen Zeit der Umstellung und der eigenen Anstrengungen nicht hängenließen. Frau Ministerin Merkel hat den berechtigten Stolz der Menschen in Ostdeutschland eben sehr gut zum Ausdruck gebracht.
In den zurückliegenden Jahren haben wir die Arbeitsmarktausgaben im Bundeshaushalt auf weit über 40 Milliarden DM verfünffacht. Wir haben die Rentenzuschüsse im Bundeshaushalt in sieben Jahren auf jetzt 110 Milliarden DM erhöht und damit mehr als verdoppelt. Wir haben damit auf die veränderte demographische Struktur in unserer Bevölkerung auf die höhere Lebenserwartung der Menschen reagiert. Wir haben damit einen Beitrag zur langfristigen Sicherung unseres Rentensystems geleistet. Die Menschen in Deutschland haben längst begriffen, daß wir uns anstrengen müssen und daß wir Reformbereitschaft zeigen müssen, wenn wir das Erreichte und das gemeinsam Aufgebaute auch in den nächsten Jahren verteidigen wollen.
Was wir mit den Reformschritten der letzten Jahre ebenfalls erreicht haben, ist, daß wir die Leistungsträger in unserem Land, also die arbeitenden Menschen, die Steuer- und Beitragszahler, um 100 Milliarden DM entlastet haben. Wir haben sie entlastet, ohne daß dadurch die soziale Treffsicherheit für die wirklich Schutzbedürftigen in Deutschland verlorengegangen ist. Das ist die wesentliche Leistung in unserer sozialpolitischen Bilanz.
({5})
Wenn jetzt die SPD Rücknahme der Reformen, gesetzliche Zwangsregelungen, mehr DezentralisieAdolf Roth ({6})
rung, mehr Staat, weniger Flexibilisierung propagiert, wenn der Rückwärtsgang in der Entwicklung als Startprogramm verkauft wird, dann kann ich nur sagen: Auf diese Art politischer Geschwindigkeitsbegrenzung können die Menschen in Deutschland mit gutem Recht verzichten.
({7})
Bei Ihrer Kritik an der Haushaltspolitik sind am heutigen Tag auch immer wieder die Verschuldung und die hohe Zinslast angesprochen worden. Natürlich ist es wahr, daß in den letzten Jahren der Aufwand für diese großen Reformen und Veränderungsprozesse gestiegen ist. Aber warum verschweigt die SPD bei ihrer anklagenden Kritik, daß zwei Drittel des Zinsanstiegs in diesem Jahrzehnt unmittelbare Folge der Übernahme kommunistischer Erblasten nach dem Zusammenbruch der DDR gewesen sind? Zwei Drittel der Zinsanstiege haben darin ihre Ursache.
({8})
Es ist nicht Theo Waigel, der diese Schulden gemacht hat,
({9})
sondern es ist die Bundesregierung, es ist der Bund, der die Lasten des zusammengebrochenen Kommunismus tragen und finanzieren muß. Das ist die große Leistung, die hinter allem steht.
({10})
Ihre Antwort darauf waren Gesetzgebungsblokkade und eine rücksichtslose Verhinderungspolitik. Das ist unsoziale Politik, weil sie sich gegen die Politik der wirtschaftlichen Dynamik und damit gegen neue Arbeitsplätze richtet.
({11})
Herr Lafontaine hat auch heute wieder sein besonderes Programm zur Stärkung der Massenkaufkraft und zur Stärkung der Binnennachfrage vorgestellt. Diese Politik der Lohn- und Kosteninflation hat uns schon in den 70er Jahren ins Abseits gebracht. Sie haben aus den Fehlern der damaligen Zeit überhaupt nichts gelernt. Wir brauchen keine Lohn- und Kosteninflation. Wir brauchen keine laxe Geldpolitik. Wir brauchen eine Politik stabiler Rahmenbedingungen, und wir brauchen eine Politik, in der die wirtschaftliche Dynamik, die Angebotskräfte gestärkt werden.
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Sie haben damals in elf Jahren die Staatsquote von 39 auf 51 Prozent erhöht. Sie haben damals den Staatsapparat aufgebläht. Sie haben die Stellenzahl im öffentlichen Dienst explosionsartig erhöht.
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Sie haben im Rücktrittsjahr von Willy Brandt Einkommenssteigerungen von sensationellen 14 Prozent gehabt.
All dies war eine Politik, die angeblich für die Menschen organisiert war und die Massenkaufkraft steigern sollte. In Wahrheit aber hat sie zu Inflation und Arbeitslosigkeit geführt. Ich glaube, daß die Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung, die Politik der Stabilität auch in der Zukunft für uns Maßstab und Inhalt bleiben muß.
({14})
Herr Schröder hat unsere Politik der Reduzierung der Staatsquote disqualifiziert. Er hat gesagt, es sei nicht möglich, die Verschuldung, die Staatsquote, abzubauen und gleichzeitig 150 Milliarden DM Transferleistungen nach Ostdeutschland zu finanzieren. Das übersteige die Kräfte. Wer dies verkünde, irre sich. Meine Damen und Herren, wir haben beides geleistet. Wir haben die Staatsquote gesenkt und die Transferleistungen finanziert. Geirrt hat sich Herr Schröder. Aber er hat sich nicht nur geirrt, sondern er vertritt gemeinsam mit Oskar Lafontaine eine Politik, die das gar nicht ändern soll, weil nämlich im Endergebnis diese Politik nicht zu einer wirklichen Reduzierung der Staatsaktivitäten führen soll, sondern, wie er in seinem Grundlagenpapier schwammig ausgedrückt hat, nur eine „tendenzielle Rückführung" in den nächsten Jahren ermöglichen soll.
Wir bleiben bei unserem politischen Kurs. Wir werden nach der Bundestagswahl unsere Politik der Reformen fortsetzen. Wir werden auch dafür sorgen, daß wir mit der Steuerreformpolitik die Weichen richtig stellen, und zwar so, wie es die Reformkommission Soziale Marktwirtschaft der Bertelsmann-, der Nixdorf- und der Ludwig-Erhard-Stiftung formuliert hat, in der auch namhafte Sozialdemokraten wie Herr Mosdorf, Hermann Rappe und auch der „parteilose Sozialdemokrat" Jost Stollmann mitarbeiten. In diesen Empfehlungen heißt es:
Nur ein großer Schritt mit kräftiger Senkung der Steuersätze schafft neue Wachstums- und Beschäftigungsdynamik. Politische Widerstände gegen eine deutliche Senkung der Spitzensteuersätze für nichtgewerbliche Einkünfte beruhen auf kurzsichtigem, nicht vertretbarem Sozialneid.
Wenn man sich dies, von namhaften Sozialdemokraten unterstützt, vor Augen führt, dann frage ich die Sprecher der SPD: Wo sind die Konsequenzen aus dieser Politik in Ihrem Startprogramm für die nächsten Jahre? Ich sage: Wir werden die Politik der Blockaden überwinden und damit der reaktionären Absicht der SPD, den Reformprozeß in Deutschland wieder zurückzuführen, entgegentreten.
({15})
In diesem Sinne ist unser Wahlversprechen die Stabilität. Wir wollen die Kreditaufnahme des Staates zurückführen. Wir wollen die Staatsquote weiter zurückführen. Wir glauben, daß unsere Politik in der Konsequenz auch für Deutschland in einigen Jahren eine Politik des Haushaltsausgleichs ohne NeuverAdolf Roth ({16})
schuldungen möglich machen wird. Das ist Inhalt des Konzepts „Finanzpolitik 2010" von Theo Waigel. Dieses Konzept trägt nicht nur zur Reform der Finanzverfassung bei, sondern auch zu einer Änderung unserer politischen Entwicklung in Deutschland, hin zu einer Reduzierung der Staatsaufgaben auf ihren wirklichen Kernbereich, zur Verschlankung, zur Modernisierung. Es leistet somit einen Beitrag zum Fortschritt.
Mit dieser Politik sind wir Partner unserer Bürger. Wir werben um das Vertrauen dieser Bürger bei der Wahl am 27. September. Ich bin sicher, dieses Konzept wird bei dieser für Deutschland wichtigen Richtungs- und Entscheidungswahl Erfolg haben.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Weng, F.D.P.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In einer Phase wirtschaftlich günstiger Entwicklungen in Deutschland, in einer Phase endlich wieder positiver Zahlen vom Arbeitsmarkt legt die Bundesregierung uns einen Haushaltsentwurf vor, der den politischen Erfordernissen unseres Landes entspricht.
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Ausdrücklich lobend erwähnen will ich: Der Bundesfinanzminister hat diesen Entwurf mit den Fraktionen der Koalition abgestimmt und damit seinen Respekt vor dem Parlament dokumentiert.
Konsequent bleibt die Koalition im Zeitplan - im geordneten Verfahren seit jetzt 16 Jahren -, von der Einbringung bis zur geplanten Beschlußfassung. Das zugrundeliegende Zahlenwerk zeigt Realitätssinn und Solidität, auch im Wahljahr. Trotz der anstehenden Bundestagswahl keine unerfüllbaren Wahlversprechungen zu machen belegt die Seriosität der Koalition und unterscheidet sich einschneidend vom Verhalten der Opposition.
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Insbesondere die SPD muß sich entscheiden. In der vergangenen Ausgabe der „Bild am Sonntag" wurde der SPD-Haushaltssprecher als fachlicher Berater des SPD-Kanzlerkandidaten vorgestellt. Dieser Kollege hat im „Spiegel" vom 6. Juli erklärt, im Falle einer sozialdemokratisch geführten Regierung solle der Haushalt unverändert erneut im Parlament eingebracht werden. Erst dann sollten weitere Beratungen vorgenommen werden.
({2})
Wenn diese Äußerung eine Logik hat, dann doch die:
Auch Herr Diller weiß, daß für die vielfältigen Wahlversprechungen der SPD Haushaltsspielräume nicht vorhanden sind.
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Im Lichte dieser Logik, Herr Kollege Catenhusen - Sie waren ja lange forschungspolitischer Sprecher Ihrer Fraktion, können also vermutlich logisch denken -, sieht der sogenannte Finanzierungsvorbehalt, unter den die SPD all ihre Programme gestellt hat, völlig anders aus. Der Ruf nach einem Kassensturz soll bei den Bürgern den Eindruck erwecken, die Finanzsituation sei nicht bekannt. Wie bei einem Sparschwein, dessen Öffnung immer für Überraschungen gut ist, könnte eine neue Regierung plötzlich zusätzliche Mittel entdecken und diese dann ausgeben. Dies ist einfach nicht der Fall. Alle Fakten liegen auf dem Tisch, sie sind allgemein bekannt. Also sind die SPD-Wahlversprechungen reine Luftbuchungen.
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Meine Damen und Herren, wenn man sich zusätzlich in Erinnerung ruft, in welchem Umfang die SPD-Bundestagsfraktion bei vergangenen Etatberatungen Mehrausgaben gefordert hat, ohne für diese eine Finanzierung durch Einsparungen sicherzustellen, erkennt man um so mehr, daß hier ein durchsichtiges Wahlkampfspiel gespielt wird. Darauf werden die Bürger in unserem Lande nicht hereinfallen.
Für den Fall der Machtübernahme signalisiert die SPD, daß sie den Austausch von zirka 300 Spitzenbeamten für notwendig hält; ich glaube, der Kollege Wieczorek hat diese Zahl genannt. Hier wird eine Parteibuchwirtschaft in nie dagewesenem Ausmaß angekündigt. Ich finde das unerhört. Wir von der Koalition haben die Zahl der öffentlich Bediensteten in langen Jahren Zug um Zug auf das im Haushalt finanziell Tragbare reduziert, eine Politik, mit der wir fortfahren werden, eine Politik, die in unserem Lande notwendig ist.
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige wenige Schwerpunkte herausgreifen, die für die F.D.P. besondere Bedeutung haben. Wir wollen und werden der Mittelstandsförderung auch im neuen Haushalt einen ganz besonderen Stellenwert einräumen. Die vielfältige Palette von Fördermaßnahmen, die ein stabiles und ausgewogenes Verhältnis von großen, mittleren und kleinen Wirtschaftsunternehmen im Land sichern, wird fortentwickelt. Damit honorieren wir ganz bewußt die Tatsache, daß der Mittelstand im Bereich der Ausbildung die allergrößte Leistung erbringt. Hierfür sind wir Freien Demokraten ausdrücklich dankbar.
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Ein weiteres wichtiges Ziel bleibt die Versöhnung von Wirtschaft und Umwelt. Deutschland ist hier Vorreiter geworden und soll auch Vorreiter bleiben; denn der schonende Umgang mit der Umwelt bei
Adolf Roth ({7})
dennoch kontinuierlicher Wirtschaftsentwicklung ist eine Daueraufgabe, der wir uns stellen.
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Die Privatisierung wird fortgesetzt. Ordnungspolitisch richtig hat sie uns auch haushaltsmäßig geholfen. Daß die betroffenen Betriebe einen enormen Schub erhalten haben, einen enormen Aufschwung verzeichnen konnten, zeigen beispielhaft die Entwicklungen bei der Post, der Telekom und der Deutschen Lufthansa.
Einen zusätzlichen und besonders wichtigen zukunftsweisenden Schwerpunkt setzt die F.D.P. im Bereich der Bildung, und zwar im gesamten Spektrum Schule/Hochschule und bei der beruflichen Bildung.
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Die Investitionen in die Aus- und Fortbildung insbesondere junger Menschen sind in einer Zeit, in der sich Technologie rasant fortentwickelt, von noch größerer Bedeutung als in früheren Zeiten. Deswegen haben wir die deutliche Erhöhung des Haushalts für Bildung und Forschung ausdrücklich begrüßt. Auch und gerade in diesem Punkt zeigt die F.D.P., zeigt die Koalition ihre Zukunftsfähigkeit - Zukunft durch Leistung.
Meine Damen und Herren, es mag nur eine Kleinigkeit sein, aber erlauben Sie bitte den Hinweis: Auch bei der Integration junger Menschen aus anderen Ländern müssen wir mehr tun.
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Ausbildung braucht Sprache. Der Sprachunterricht muß verbessert werden.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, alljährlich ist das Haushaltsgesetz für den Deutschen Bundestag ein besonderes Gesetz. Hier findet in vielen Bereichen eine sehr direkte Mitwirkung des Parlaments an der Gestaltung der Politik statt. So sind auch die Abgeordneten des Haushaltsausschusses immer in einer besonderen Verantwortung gegenüber dem gesamten Bundestag wie auch der Öffentlichkeit. Es ist eine gute Erfahrung, daß dort aus Sacharbeit ein besonderer Korpsgeist entsteht. Dieser wird dadurch verstärkt, daß wir häufig nein sagen müssen, wenn wir unsere Aufgabe richtig erfüllen wollen, ein Alleinstellungsmerkmal der Haushälter in der Politik. Nein sagen müssen wir häufig auch an Stellen, wo es uns schwerfällt. Auch diese Selbstüberwindung verbindet.
Wenn man einmal Haushälter ist, legt man dies nicht mehr ab, auch wenn man irgendwann einmal nicht mehr Mitglied im Haushaltsausschuß ist. Man gehört weiterhin dazu. Ich sage heute in meiner letzten Bundestagsrede als Haushaltssprecher meiner Fraktion: Ich bin stolz darauf dazuzugehören.
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Meine Damen und Herren, das Haushaltsrecht ist das Königsrecht des Parlaments. Ein starkes Parlament ist das Herzstück der Demokratie. Ich wünsche unseren Bürgerinnen und Bürgern für die Zeit nach der Bundestagswahl ein starkes Parlament mit starken Haushältern. Ich wünsche mit Blick auf einen niedrigen Staatsanteil, auf mehr Investitionen, auf weniger Schulden bei starker liberaler Mitwirkung immer bessere Haushalte.
Die F.D.P.-Fraktion in der 13. Wahlperiode hat den Rahmen des Regierungsentwurfs zum Haushalt 1999 begrüßt und akzeptiert. Die F.D.P.-Fraktion in der 14. Wahlperiode wird, durch das Votum der Wähler gestärkt, den Etat umgehend beraten und mit liberalen Schwerpunkten verabschieden.
Vielen Dank.
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Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Weng, das war - Sie haben es selbst gesagt - Ihre letzte Rede im Deutschen Bundestag. Da ziemt sich zum Schluß ein gutes Wort.
Aus Ihrem geschriebenen Lebenslauf im „Kürschner" habe ich entnommen, daß Sie jahre-, um nicht zu sagen: jahrzehntelang auf verschiedenen Ebenen politisch mitgearbeitet haben, in der Kommune, im Landtag von Baden-Württemberg, in Ihrer Partei, der F.D.P. Seit 1983 sind Sie, wie ich auch, Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Hier habe ich, hier haben wir alle Sie als einen streitbaren, schlagfertigen Kollegen kennengelernt, der nicht darum herumredet, sondern klar sagt, was er für richtig und was er für falsch hält. Das hat Ihnen nicht immer die allgemeine Zustimmung eingebracht, aber sehr wohl den ungeteilten Respekt all derer, die wissen und wollen, daß Parlament geregelter Streit ist und sein muß. Das ist nach außen manchmal schwer zu vermitteln, weil das allgemeine Harmoniebedürfnis groß ist. Dennoch bleibt richtig, daß es bei Lösungen politischer Probleme absolute Wahrheiten nicht gibt, sondern immer nur mehr oder weniger plausible Positionen, über die gestritten werden muß.
Daran haben Sie sich als überzeugter Haushälter mit Leidenschaft, manchmal mit Schärfe, bisweilen mit gutem Witz beteiligt. Eben dies zeichnet den guten Parlamentarier aus. Herr Kollege Dr. Weng, ich danke Ihnen im Namen des Präsidiums und des ganzen Hauses.
({0})
Die Kolleginnen Anke Fuchs ({1}), SPD, und Dr. Barbara Höll, PDS, geben ihre Reden zu Protokoll *). Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist.
*) Anlage 2
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu den Anträgen des Bundesministeriums der Finanzen zur Entlastung der Bundesregierung für die Haushaltsjahre 1995 und 1996 sowie zu den Bemerkungen des Bundesrechnungshofs 1997, Drucksache 13/10 904. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung der Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland auf Drucksache 13/11368 an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 11 398 soll ebenfalls an diesen Ausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 2 a bis 2 m sowie die Zusatzpunkte 1 und 2 auf. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 2 a:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung ({3}) des Rates zur Änderung der Verordnung ({4}) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, auf Staatsangehörige von Drittländern
- Drucksachen 13/9819 Nr. 2.29, 13/10 598 Berichterstattung:
Abgeordneter Rudolf Meyer ({5})
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 2 b:
Beratung und Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({6}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission
Aktionsplan zur Förderung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer
- Drucksachen 13/9668 Nr. 2.44, 13/10 599 Berichterstattung:
Abgeordnete Marieluise Beck ({7})
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 2 c:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({8})
- zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Tilo Braune, Horst Kubatschka, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bundesbericht Forschung 1996
- Drucksachen 13/4554, 13/7128, 13/9744, 13/9746, 13/11096 Berichterstattung:
Abgeordnete Erich Maaß ({9}) Edelgard Bulmahn
Dr. Manuel Kiper
Dr. -Ing. Karl-Hans Laermann
Wolfgang Bierstedt
Wir stimmen zunächst über die Beschlußempfehlung zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., Drucksache 13/11096, Buchstabe a, ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/9744 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Wir kommen nun zur Beschlußempfehlung zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, Drucksache 13/11096, Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/ 9746 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 2 d:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({10})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Günter Rixe, Klaus Barthel, Heinz Schmitt ({11}),
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Jugend braucht Zukunft - Ausbildungsoffensive jetzt verwirklichen
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 1998
- Drucksachen 13/10665, 13/10651, 13/11097 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ing. Rainer Jork Günter Rixe
Antje Hermenau
Dr. Karlheinz Guttmacher
Maritta Böttcher
Auf Drucksache 13/11097, Buchstabe a, empfiehlt der Ausschuß, den Antrag auf Drucksache 13/10665 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Auf Drucksache 13/11097, Buchstabe b, empfiehlt der Ausschuß, den Bericht auf Drucksache 13/10651 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 2 e:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({12}) zu dem Antrag der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul, Gerd Andres, Hans-Werner Bertl und weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD
Sicherung der Arbeitsplätze bei der Hoechst Marion Roussel Deutschland GmbH
- Drucksachen 13/10028, 13/11110 Berichterstattung:
Abgeordnete Margareta Wolf ({13})
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/10028 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 2 f:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({14}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dietmar Schütz ({15}), Marion Caspers-Merk,
Friedhelm Julius Beucher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Klimaschutz durch Minderung von Stand-byVerlusten bei Elektrogeräten
- Drucksachen 13/9254, 13/11121 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Paziorek
Dietmar Schütz ({16})
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9254 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 2 g:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({17})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt ({18}), Gila Altmann ({19}), Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Novellierung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm
- zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Ganseforth, Elke Ferner, Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm
- Drucksachen 13/6346, 13/7498, 13/11140 Berichterstattung: Abgeordneter Horst Friedrich
Auf Drucksache 13/11140, Buchstabe a, empfiehlt der Ausschuß, den Antrag auf Drucksache 13/6346 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD angenommen.
Auf Drucksache 13/11140, Buchstabe b, empfiehlt der Ausschuß, den Antrag auf Drucksache 13/7498 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/11140 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Tagesordnungspunkt 2 h:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({20}) zu dem Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt ({21}), Gila Altmann ({22}), Michaele Hustedt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Vorlage eines Gesetzes zum Schutz vor Verkehrslärm an Straßen und Schienen
- Drucksachen 13/6958, 13/8925 Berichterstattung:
Abgeordneter Heinz-Günther Bargfrede
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6958 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 2 i:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({23}) zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele Iwersen, Achim Großmann, Peter Conradi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Vorlage eines Vierten Berichtes über Schäden an Gebäuden
- Drucksachen 13/10449, 13/11145 Berichterstattung:
Abgeordnete Josef Hollerith Gabriele Iwersen
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/10449 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Tagesordnungspunkt 2j:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({24}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission
Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union
- Drucksachen 13/10588 Nr. 2.21, 13/11160 Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Hempelmann
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 2 k:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({25})
Sammelübersicht 375 zu Petitionen - Drucksache 13/11193 ({26}) Wer stimmt dafür? - Dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 375 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 21:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({27})
Sammelübersicht 377 zu Petitionen ({28})
- Drucksache 13/11195 Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag auf Drucksache 13/11388? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 377 ist angenommen; Mehrheitsverhältnisse wie vor.
Tagesordnungspunkt 2m:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({29})
Sammelübersicht 381 zu Petitionen ({30})
- Drucksache 13/11330 Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 11386? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 381 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von PDS und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des BundesImmissionsschutzgesetzes
- Drucksache 13/11118 -({0})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
- Drucksache 13/11381 Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Schmitz ({2})
Dr. Peter Paziorek
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Jürgen Rochlitz Birgit Homburger
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von PDS und Bündnis 90/ Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen, Mehrheitsverhältnisse wie vor.
Zusatzpunkt 2:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
Bürgerkrieg und humanitäre Situation im Süd-Sudan
- Drucksache 13/11387 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu einer überplanmäßigen Ausgabe bei der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk für Hilfsmaßnahmen außerhalb des Bundesgebietes, Drucksache 13/11389, zu erweitern. Über die Vorlage soll jetzt gleich ohne Aussprache abgestimmt werden. Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushalts- und Wirtschaftsführung 1998 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 29
- Bundesanstalt Technisches Hilfswerk - Titel 532 03
- Hilfsmaßnahmen außerhalb des Bundesgebietes - bis zur Höhe von 12 340 TDM
- Drucksachen 13/10929, 13/11122, lfd. Nr. 1.3, 13/11389 Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 13/11389 zustimmen möchten, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen.
Damit sind wir am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 3. September 1998, 9.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.