Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst möchte ich dem Kollegen Gottfried Tröger, der am 20. Februar 1995 seinen 60. Geburtstag feierte, nachträglich die herzlichsten Glückwünsche des Hauses aussprechen.
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Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Beginn der Verhandlungen der Bundesregierung mit der Regierung in Belgrad am 6. März 1995 über die Rückführung von Asylbewerbern und/ oder Bürgerkriegsflüchtlingen ({1})
2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung der Bundesregierung zur künftigen Ausgestaltung des Familienlastenausgleichs
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gila Altmann ({2}), Albert Schmidt ({3}), Rainder Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Senkung der Promille Grenze im Straßenverkehr auf 0,0 Promille - Drucksache 13/694 4. weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({4})
a) Erste Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die Besetzung von Gremien - Drucksache 13/693 -
b) Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Schuldenverwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes - Drucksache 13/692 5. weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({5})
a) Zweite und Dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern - Drucksachen 13/203, 13/686 -
b) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Erneute Überweisung von Vorlagen aus früheren Wahlperioden - Drucksache 13/725 6. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ({6}) - Drucksachen 13/57, 13/207, 13/ 716 7. Erste Beratung des von den Abgeordneten Annelie Buntenbach, Kerstin Müller ({7}), Elisabeth Altmann und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes ({8}) - Drucksache 13/691 -
8. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiederherstellung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen - Drucksache 13/715 -
9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rita Grießhaber und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Zeit und Geld für Kinder - Drucksache 13/711 -
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Weiterhin ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 8, Programm für Klimaschutz, abzusetzen. Außerdem soll am Freitag die Beratung des Entwurfs zum Arbeitsförderungsgesetz vor Tagesordnungspunkt 13 aufgerufen werden. Die Beratungen ohne Aussprache werden heute vor der Fragestunde, die gegen 14.15 Uhr beginnen wird, aufgerufen.
Sind Sie mit diesen interfraktionellen Vereinbarungen einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und b auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Agrarbericht 1995
Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung
- Drucksachen 13/400 und 13/401 ({9}) Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({10})
Haushaltsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Waldzustandsbericht der Bundesregierung 1994
- Drucksache 13/146 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({11})
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Zum Agrarbericht liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., der SPD sowie der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. Zum Waldzustandsbericht liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Jochen Borchert.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein schwieriges Unterfangen, wenn man in der vorgegebenen kurzen Zeit zwei umfangreiche und in ihren Auswirkungen weitreichende Berichte der Bundesregierung vorstellen soll.
Nach dem Agrarbericht 1995 sind im früheren Bundesgebiet die Gewinne der landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe im Wirtschaftsjahr 1993/94 durchschnittlich um etwa 6 % gesunken, und zwar auf 41 962 DM je Vollerwerbsbetrieb und 29 152 DM je Familienarbeitskraft. Ursachen dieser Entwicklung waren vor allem preisbedingt geringere Einnahmen bei Milch und Schweinen.
Die Einkommensentwicklung ist, abhängig von einer Reihe von Faktoren, regional sehr unterschiedlich. Generelle Einkommensverbesserungen konnten die Betriebe in Bayern und in den neuen Ländern erzielen. In Bayern ist die positive Gewinnentwicklung u. a. auf die Aufstockung des soziostrukturellen Einkommensausgleichs mit Landesmitteln zurückzuführen - Auswirkungen der von der SPD jetzt auch wieder im Entschließungsantrag kritisierten Gießkannenförderung. Andere Bundesländer haben den Landwirten dieses Geld - immerhin fast 1 800 DM je Vollerwerbsbetrieb - vorenthalten.
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In den neuen Ländern hat sich die Einkommenssituation insgesamt weiter verbessert. Es erwirtschafteten je Arbeitskraft die Einzelunternehmen 43 634 DM, die Personengesellschaften 55 766 DM und die juristischen Personen 31 478 DM an Gewinn. In dem Gewinn sind die Fremdlöhne enthalten, um hier vergleichbare Zahlen zu erreichen.
Die Prognose für das laufende Wirtschaftsjahr 1994/95 ist zwar wieder günstiger. Zu der Einkommensverbesserung, die prognostiziert wird, trägt sicher auch bei, daß die Agrarreform erste Erfolge zeigt, daß z. B. die Getreidemärkte entlastet sind. Das Marktgleichgewicht trägt dazu bei, daß sich die Marktpreise vom Interventionspreisniveau wegentwickelt haben. Vor allem aber erwarten wir auf Grund der positiven Preisentwicklung bei Veredlungsprodukten eine bessere Entwicklung.
Aber prozentuale Einkommenssteigerungen bedeuten nur sehr wenig, wenn die absolute Höhe unzureichend ist. Dies ist der Fall. Bei den meisten Betrieben dürfte trotz der erwarteten Zuwächse von 7 % bis 12 % noch nicht wieder das Gewinniveau von 1988/89 erreicht werden. Damit bleibt die Einkommenssituation auch im laufenden Wirtschaftsjahr außerordentlich schwierig.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird weiterhin dafür eintreten, den Agrarstandort Deutschland mit einer leistungsfähigen, marktorientierten und umweltverträglichen Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft zu sichern. Dies muß der künftige Weg sein.
Fortschritte bei der Sicherung des Agrarstandortes Deutschland sind zu begrüßen, so sie denn wirklich eingetreten sind.
So der Kollege Sielaff. Angesichts der jetzt beschlossenen Neukonzeption der einzelbetrieblichen Investitionsförderung, Herr Kollege Sielaff, werden Sie die Erfolge der Bundesregierung sicher zu würdigen wissen.
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Wir haben die Fördergrundsätze weiterentwickelt und vereinfacht und bereits 1995 die einzelbetriebliche Investitionsförderung gezielt um 100 Millionen DM durch Umschichtungen in der Gemeinschaftsaufgabe verstärkt. Damit können bereits 1995 mit den zusätzlichen Mitteln der einzelbetrieblichen Förderung des Bundes und der Länder Investitionen in Höhe von rund 1 Milliarde DM in den Einzelbetrieben zusätzlich gefördert werden. Dies ist, glaube ich, eine deutliche Unterstützung der Anstrengungen der landwirtschaftlichen Betriebe, sich auf den europäischen Wettbewerb vorzubereiten. Wir erreichen damit, daß junge Landwirte, die einen Investitionsantrag stellen, nicht auf die Warteliste kommen, sondern sehr schnell gefördert werden.
Herr Kollege Thalheim, das 100-Millionen-DMDing Borcherts ist keine Mogelpackung par excellence, wie Sie dies wahlkampftaktisch noch im September in einer Pressemeldung verkündet haben.
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Das „100-Millionen-DM-Ding" wurde zur Stärkung unserer Landwirtschaft umgesetzt. Ich hoffe, daß Sie dies jetzt auch verkünden.
Ziel der Agrarpolitik ist auch für die Zukunft, mit einer intensiven Förderung der Investionen der Betriebe und mit gezielten Maßnahmen für unterschiedliche Standorte eine flächendeckende Landwirtschaft zu sichern, Bauern im Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt zu unterstützen, indem die Wettbewerbsverzerrungen innerhalb Deutschlands und innerhalb der Europäischen Union abgebaut haben. Dazu gehört auch, daß wir die Agrarreform weiter vereinfachen und sie dort weiterentwickeln, wo ihre Ziele nicht erreicht werden. Wir werden deshalb die Zielerreichung nach der Umsetzung der dritten Stufe der Agrarreform sehr kritisch überprüfen und sie dort weiterentwickeln, wo die Ziele der Agrarreform nicht erreicht worden sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Wald-und Forstwirtschaft haben für die Bundesregierung eine herausragende Bedeutung. Dies spiegelt sich auch in unseren Fördermaßnahmen zur Stärkung unserer Wälder und in den Maßnahmen zur Luftreinhaltung und Umweltentlastung wider. Dennoch gibt es nach dem Waldzustandsbericht 1994 bei den Waldschäden noch keinen Anlaß zur Entwarnung.
25 % der Bäume - das entspricht in etwa dem Vorjahresniveau - sind deutlich geschädigt. Die Bundesregierung wird daher ihre Vorsorgestrategie auf nationaler und internationaler Ebene konsequent fortführen, um den Waldzustand zu verbessern. Dabei setzen die Maßnahmen in allen Bereichen an, die zur Beeinträchtigung der Wälder führen. Ohne Zweifel beeinflußt auch die Landwirtschaft - ebenso wie jeder andere Wirtschaftszweig und die gesamte Bevölkerung - Klima und damit Ökologie und somit auch den Wald.
({3})
Aber ich meine, wir sollten die Kirche im Dorf lassen.
({4})
Einseitige Schuldzuweisungen, die die Landwirtschaft als Hauptverursacher von Waldschäden in die Ecke stellen, sind völlig überzogen und gehen an den Realitäten vorbei.
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Die Ursachen für die neuartigen Waldschäden mit den Luftschadstoffen Schwefeldioxid, Stickstoffoxid, Ammoniak und Ozon sind zu vielschichtig, als daß man sie mit einer einseitig begründeten Schablone erklären könnte.
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Mit den Luftreinhaltemaßnahmen der Bundesregierung haben sich in den alten Ländern von 1980 bis 1991 die Schwefeldioxidemissionen um 70 % und die Stickstoffoxidemissionen um 15 % vermindert. Die Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft verringerten sich von 1985 bis 1991 um gut 20 %.
Politik der Bundesregierung ist daher, die konsequente Vorsorgestrategie für Umwelt, Klima und Wälder und die konsequente Zukunftssicherung für eine leistungsfähigere Land- und Forstwirtschaft fortzusetzen. Hauptschwerpunkte werden dabei auch in Zukunft sein: Fortsetzung der Luftreinhaltemaßnahmen und ein Ausbau dieser Maßnahmen; notwendige flankierende forstliche Maßnahmen; Fortsetzung der Waldschadensforschung und regelmäßige Überwachung des Waldzustandes sowie Unterhaltung einer möglichst großen genetischen Vielfalt von Baum- und Straucharten - und dies auf nationaler Ebene, aber auch in einer engen internationalen Zusammenarbeit.
({7})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Horst Sielaff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin schon ein wenig verdutzt
({0})
und frage: Ist das alles, was der Landwirtschaftsminister in dieser Situation bei der Vorstellung des Agrarberichts 1995 zu sagen hat? Er hat sich auf wenige Sätze zur Darstellung der Situation der landwirtschaftlichen Betriebe beschränkt,
({1})
und wichtige Themen wurden ausgeklammert.
Meine Damen und Herren, dies ist der erste Agrarbericht, den Bundesminister Borchert in voller eigener Verantwortung vorstellt. Da schaut der Interessierte genauer hin und ist neugierig, wie das Versprechen zur Sicherung des Agrarstandortes Deutschland eingehalten werden soll und wo deutliche Akzente des verkündeten „Neuen Weges" gesetzt oder erkennbar sind. Ich gebe zu, Herr Minister, meine Erwartungen waren hoch, vermutlich zu hoch. Leider werden deshalb die Erwartungen enttäuscht, und man wird sich in einem Punkt dem Urteil des Göttinger Agrarwissenschaftlers Professor Günther Schmitt zum Agrarbericht 1995 - leider, sage ich - anschließen müssen: „Agrarpolitik ohne jede Orientierung".
({2})
- Liebe Frau Kollegin, wenn Sie dazwischenrufen, das hätte ich gestern schon aufgeschrieben, dann muß ich Sie enttäuschen. Ich gebe Ihnen gerne meine „fliegenden" Blätter, die ich soeben hier beschrieben habe, und ich gebe Ihnen auch gerne mein Manuskript, das gestern geschrieben worden ist. Dann werden Sie feststellen, daß ich aktuell auf das eingehe, was hier gesagt wird, und nicht lediglich vorfabrizierte Stellungnahmen verlese.
({3})
Meine Damen und Herren, dieser Bericht, der uns vorgelegt worden ist, und das, was Herr Borchert soeben gesagt hat, hören sich wie ein ManagementbeHorst Sielaff
richt eines Unternehmens an. Ich gestehe, ich kann angesichts der dramatischen Situation in unserer Landwirtschaft nicht so ruhig bleiben. Wenn, Herr Bundesminister, nach vielen Jahren Ihrer Agrarpolitik nahezu 50 % der Vollerwerbsbetriebe in den neuen Ländern Vermögensverluste erleiden und Sie das zugeben müssen, also die Betriebe von der Substanz leben, wie der Bericht ausweist, dann ist das kein Grund, auf diese Politik stolz zu sein.
({4})
Sie müssen, glaube ich, deutlicher werden, in sich gehen und den Bäuerinnen und Bauern endlich sagen, wie sie im nächsten Jahrhundert bestehen sollen. Sie müssen den Bäuerinnen und Bauern sagen, was sie ihren Kindern raten sollen, welchen Berufsweg sie angesichts dieser Entwicklung einschlagen sollen. Sie müssen endlich auch eine Gesamtkonzeption für die Entwicklung des ländlichen Raumes vorlegen. Davon ist in diesem Bericht und auch in Ihren Ausführungen nichts zu finden.
Statt klarer Worte, statt Transparenz - ich wiederhole das, was mein Kollege Thalheim richtig benannt hat - werden Mogelpackungen als großer Erfolg verkauft. Gerade die Diskussion um die angebliche Aufstockung der einzelbetrieblichen Investitionsförderung, die Sie heute erneut angesprochen haben, ist ein Beispiel dafür. Abgesehen davon, daß diese Mittel an anderer Stelle in der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur" nicht zur Verfügung stehen, wird sich das Mehr allenfalls in der Bewilligung von Verpflichtungsermächtigungen niederschlagen. Das heißt nichts anderes, als daß sich die Investitionen zur Verbesserung der Umweltverträglichkeit, der Marktorientierung und der Wettbewerbsfähigkeit in der deutschen Landwirtschaft nicht 1995, sondern bestenfalls in den folgenden Jahren niederschlagen werden. Das hat zur Folge, daß dann gleichzeitig nur wenige Investitionen zur Verbesserung der Infrastruktur in ländlichen Räumen und im Rahmen der Dorferneuerung gefördert werden können, meine Damen und Herren. Krönung dieser „Erfolgspolitik" ist, daß neben dieser Umschichtung Kürzungen der Bundesmittel zur Entwicklung landwirtschaftlicher Betriebe und des ländlichen Raumes in der Gemeinschaftsaufgabe 1995 um immerhin 76 Millionen DM vorgenommen werden.
Meine Damen und Herren, auch die im Anschluß an Schweinepest und Rinderwahnsinn jetzt anlaufenden Bemühungen ({5})
- nicht nur in Niedersachsen; da sind wohl einige sehr schlecht informiert, Herr von Schorlemer - um Herkunftsnachweise, Markenprogramme zeigen Versäumnisse dieser Bundesregierung auf.
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Diese Bemühungen sind zwar richtig und sinnvoll - wir haben das ausdrücklich gesagt -, aber sie kommen viel zu spät. Unterhalten Sie sich, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, z. B. einmal mit den Verantwortlichen von „Neuland", die seit
Jahren dabei sind, ein Markenfleischprogramm auf den Weg zu bringen. Die Unterstützung der Bundesregierung hierfür war bisher gleich null. Ohne die Unterstützung von Niedersachsen und NordrheinWestfalen in der Anlaufphase wäre dieses Markenfleischprogramm, das einen gewissen Pilotcharakter hat, nicht auf den Weg gebracht worden.
({7})
Meine Damen und Herren, wir sollten in schwierigen Situationen den Schwarzen Peter nicht immer hin- und herschieben. Darum sagen wir: Wir wollen eine Gesamtkonzeption, die aufeinander abgestimmt ist. Wir wollen nicht, daß sich der Agrarminister in Wahlkämpfen in Nordrhein-Westfalen und anderswo einmischt und so tut, als sei er nicht verantwortlich, und hinterher den Ländern die Schuld gibt.
Meine Damen und Herren, ich sagte, die Situation - das hat Herr Borchert bestätigt - für die bundesdeutsche Landwirtschaft bleibt dramatisch. Eine Strategie zur Entwicklung der ländlichen Räume oder zum Erhalt ihrer Funktionsfähigkeit ist nicht erkennbar. Auch in der EU ist die Handschrift des bundesdeutschen Ministers nicht ,auszumachen, obwohl Korrekturen an der EU-Agrarreform dringend notwendig sind.
Ich nenne einige Beispiele: Die lange Bindung der Ausgleichszahlungen an die Produktion führt - verständlicherweise - dazu, daß die Landwirte ihre betrieblichen Entscheidungen vorwiegend an den Prämien ausrichten. Im jetzigen System werden einseitig die Marktfruchtbetriebe begünstigt und die arbeitsintensiveren Veredelungsbetriebe benachteiligt, obwohl gerade letztere die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft, in der Vermarktung und Verarbeitung auch im ländlichen Raum bewerkstelligen und begünstigen. Die Bindung der Ausgleichszahlungen an die Produktion führt außerdem dazu, daß die Kreislaufwirtschaft und die Nachhaltigkeit der Landbewirtschaftung empfindlich gestört werden, ist also auch ökologisch problematisch.
Die Bundesregierung muß deshalb tatkräftiger werden, um in Brüssel die Produktionsbezogenheit der Ausgleichszahlungen zu mildern oder langfristig gar zu beseitigen. Soziale und ökologische Kriterien müssen in der Praxis und beim Vollzug der EU-Agrarreform einen wesentlich höheren Stellenwert erhalten, und der erforderliche Arbeitseinsatz in den unterschiedlichen Betriebsformen muß bei der Prämiengewährung wesentlich stärker berücksichtigt werden.
({8})
Sich abzeichnende Fehlentwicklungen der EU-Agrarpolitik müssen schnellstens korrigiert werden.
Es muß auch dem Eindruck entgegengearbeitet werden, als werde in Brüssel vorwiegend in der übermächtigen Kommission entschieden, die Agrarminister selbst seien vorwiegend zu FrühstücksdirektoHorst Sielaff
ren degradiert und national könne nichts mehr entschieden werden.
({9})
Meine Damen und Herren, wir haben gestern eine Veranstaltung mit der Milchwirtschaft gehabt. Was dort berichtet worden ist, muß uns hellhörig machen. Der Minister ist verpflichtet, im Ministerrat zumindest die Dinge anzusprechen, die in der Kommission praktisch unter der Decke ständig geregelt und verändert werden. Tut er das nicht, dann sind die nationalen Agrarminister entweder überflüssig, oder sie kommen ihren Aufgaben nicht nach. Wir können uns aussuchen, auf welche Seite wir uns stellen. Wir erwarten von Ihnen, Herr Borchert, stärkere Konturen auch in Brüssel.
({10})
- Herr Scharping ist nicht Agrarminister dieser Bundesregierung.
({11}) Sie sollten bei Ihren eigenen Leuten bleiben.
Meine Damen und Herren, wir wollen eine flächendeckende, umweltverträgliche Landbewirschaftung nach nachprüfbaren Kriterien. Begriffe wie „ordnungsgemäß" und „gute fachliche Praxis" oder gar Ihre Formulierung aus dem Entschließungsantrag: „ ... die Belange sowohl der Landwirtschaft als auch des Natur- und Umweltschutzes weitestmöglich in Einklang zu bringen" sind zu nichtssagend, als daß sie hierfür tauglich wären. Landwirtschaft muß auch da erhalten werden, wo sie aus ökologischen Gründen, wo sie von der Benachteiligung der Böden und des Klimas her nicht wettbewerbsfähig sein kann und wo sonst eine Verödung der Landschaft eintritt.
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Bäuerliche Landwirtschaft heißt dann auch: verbesserte Mindestanforderungen für artgerechte Tierhaltung. Ist es artgerechte Tierhaltung, Herr Borchert, wenn 90 % der rund 99 Millionen Legehennen bei uns weiterhin in Käfigen gehalten werden mit dem Platzanspruch von ungefähr einer Telefonbuchseite? Ich weiß, daß es genügend Wissenschaftler gibt, die mit dem schlagenden Argument, nur ein optimal gehaltenes Tier bringe derart hohe Leistungen, wie es diese Hühner tun, von dieser Diskussion immer wieder ablenken wollen. Wenn wir die bäuerliche Landwirtschaft ernst nehmen, dann müssen wir die bäuerliche Produktion in allen Bereichen in den Vordergrund stellen und dürfen uns nicht vor diesen Diskussionen drücken.
Und auch diesen Punkt möchte ich ansprechen: Wir müssen mit der Gentechnologie auch in der Landwirtschaft vorsichtig umgehen. Den Verzicht darauf, den Einsatz der Gentechnik bei der Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln voranzutreiben, halte ich für notwendig, da wir gentechnologische Verfahren in unserem Bereich nicht brauchen, sie überflüssig sind und in der Regel wenig für die Bauern bringen und wenig mit bäuerlicher Landwirtschaft zu tun haben.
Meine Damen und Herren, was von der bisherigen Agrarpolitik dieser Bundesregierung zu halten ist, hat Ihnen und uns ein Insider aus Ihren Reihen erst kürzlich deutlich gemacht. Der langjährige Parlamentarische Staatssekretär und letzte Vorsitzende des Umweltausschusses des Bundestages und jetzige Präsident der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, von Geldern,
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hat Ihnen und Ihren Parteifreunden ein langes Sündenregister in Sachen Agrarumweltpolitik vorgelegt.
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Extensivierung der Landbewirtschaftung, Flächenbindung der Tierhaltung, den längst überfälligen Erlaß der Düngeverordnung - jetzt soll sie ja endlich kommen, sie wurde von Halbjahr zu Halbjahr verschoben - und einiges andere mehr mahnt er zu Recht an.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.
Ja, Herr Präsident, ich bin beim Schlußsatz.
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Das alles sind Forderungen, die wir seit langem mit Nachdruck erheben. Das Urteil aus Ihren eigenen Reihen über Ihren „Neuen Weg", den Agrarstandort Deutschland zu sichern, ist verheerend. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Egon Susset.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß der Kollege Sielaff hohe Erwartungen in die Tätigkeit unseres Bundeslandwirtschaftsministers hat, hat er ja zum Ausdruck gebracht. Er hat zwar noch höhere gehabt,
({0})
aber nur für den Fall, daß der Wähler keine Einsicht mit dieser Republik gehabt hätte. Wenn Frau Griefahn hier jetzt Erwartungen erfüllen müßte,
({1})
dann sähe es schlechter aus, wo doch feststellbar ist - ich habe dazu gerade ein paar Pressemeldungen gesehen -, daß sie sich um die Einkommen der eigenen Familie weit besser kümmert als sie sich um die Einkommen der Landwirte gekümmert hätte.
({2})
Meine Damen und Herren, ich habe gedacht, daß Herr Kollege Sielaff auf seinen Entschließungsantrag eingeht.
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Er ist auf unseren Entschließungsantrag eingegangen. Ich möchte, bezugnehmend auf den Entschließungsantrag der SPD, den Kollegen Dr. Thalheim, der, wie ich gehört habe, als nächster sprechen wird, fragen, wie er den Landwirten in den neuen Ländern klarmachen will, wie es aussähe, wenn die einseitige Begünstigung der Marktfruchtbetriebe im Interesse einer nachhaltigen Landbewirtschaftung abgebaut würde.
({4})
Wie stünde es dann wohl um die Einkommen der Betriebe dort?
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Wie Sie das erklären, Dr. Thalheim, ist dann Ihre Sache.
Wer die produktionsbezogenen Zuwendungen hier wieder völlig in Frage stellt, der stellt natürlich auch die Agrarpolitik in Frage, die wir wollen,
({6})
und zwar im Interesse der jungen Landwirte, die auch in den Jahren 1994, 1995 und 1996 bereit sind, einen landwirtschaftlichen Betrieb zu übernehmen.
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Meine Damen und Herren, der Agrarbericht beschreibt mit vielen Fakten und Zahlen die Lage und die strukturelle Entwicklung der Landwirtschaft. Die Einkommensentwicklung ist durchwachsen; wir wissen das. Nach deutlichen Gewinnrückgängen in den beiden Vorjahren hat sich die Einkommenslage in vielen Betrieben erfreulicherweise wieder etwas aufgehellt. Das findet auch in wachsender Investitionsbereitschaft seinen Niederschlag. Auch daran läßt sich das ablesen.
Die Landwirtschaft in den neuen Bundesländern hat - auch dank umfangreicher, von der SPD in ihrem Entschließungsantrag nun in Frage gestellter Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung - erhebliche Fortschritte in der Umstrukturierung hin zu einer wettbewerbsfähigen Landwirtschaft gemacht. Die Einkommen sind zwar je nach Betriebsform unterschiedlich, aber insgesamt günstig.
Der Minister hat gerade auf die Einkommensentwicklung in Bayern hingewiesen. Ich möchte auf die in Baden-Württemberg hinweisen; wir sind an zweiter Stelle.
({8})
Das hat wie in Bayern auch mit Landesagrarpolitik zu tun.
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Unser Ziel ist es, den Agrarstandort Deutschland in Europa zu sichern und der Landwirtschaft mit einem beachtlichen Produktionswert von mehr als 60 Milliarden DM den Weg in die Zukunft zu ebnen, damit sie die von der Gesellschaft gewünschten vielfältigen Funktionen erfüllen kann, nämlich auch die Landschaft zu erhalten und gleichzeitig Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und im vor- und im nachgelagerten Wirtschaftsbereich zu sichern.
Die umfangreichen Direktzahlungen sind auch Ausgleich für Leistungen der Landwirtschaft bis hin zur Landschaftspflege und haben damit ihren stabilisierenden Effekt auf den ländlichen Raum. Kürzlich hat ein Gespräch mit dem Deutschen Bauernverband und den Verbänden der Agrarwirtschaft beim Bundeskanzler stattgefunden. Wir konnten allenthalben der Presse entnehmen, daß die Vertreter zufrieden gegangen sind, weil der Bundeskanzler - auf Bundeskanzler Kohl ist, wenn es um die Agrarpolitik geht, Verlaß - der Landwirtschaft die Hilfen auch auf Dauer zugesichert hat. Dies ist anzuerkennen.
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Die Bundesregierung stellt auch in diesem Jahr im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern den vollen Anteil des soziostrukturellen Einkommensausgleichs und der Anpassungshilfen für die neuen Länder zur Verfügung.
({11})
Die Bundesregierung hat auch ohne Zögern Mittel für Verluste der Landwirte durch die Schweinepest bereitgestellt, damit die Verweigerungshaltung Niedersachsens nicht zu Lasten der betroffenen Schweinehalter geht.
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Zu den Erfolgen, meine Damen und Herren, zählt die im allseitigen Konsens beschlossene Agrarsozialreform. Sie garantiert für die Landwirtschaft eine finanziell stabile und verläßliche Alterssicherung, sorgt für Beitragsgerechtigkeit und bringt den Bäuerinnen die seit langem geforderte soziale Absicherung.
Herr Kollege Susset, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf?
Bitte.
Bitte schön.
Habe ich eben richtig verstanden, Herr Kollege, daß Sie von der Verweigerungshaltung Niedersachsens gesprochen haben? Wenn ich richtig informiert bin - und ich glaube, das ist das ganze Hohe Haus -, hat das Land Niedersachsen gerade vor dem Hintergrund der Schweinepest erhebliche finanzielle Aufwendungen getätigt, um die Landwirte in den betreffenden Regionen davor zu bewahren, daß sie praktisch vor dem Aus stehen. Ich bitte Sie ganz konkret: Stellen Sie in diesem Hause einmal klar, welche Finanzleistungen das Land Niedersachsen vor dem Hintergrund der Schweinepest erbracht hat und welche Finanzleistungen der Bundeslandwirtschaftsminister, diese Bundesregierung, erbracht hat!
({0})
Das Land Niedersachsen hat - wie alle anderen Bundesländer - die Leistungen erbracht, die auf dieses Bundesland auf Grund der Schweinepestfälle dort entfielen. Es hat aber für die Zukunft erklärt, daß es nicht bereit sei, diese Hilfe weiterhin zu leisten,
({0})
sondern die Mittel vom Bund haben möchte. Das Land ist in der Zwischenzeit vor Gericht gegangen, und vor Gericht soll geklärt werden, wer zahlungspflichtig ist. Meiner Meinung nach, Herr Kollege Graf, ist es vor dem Hintergrund der schwierigen Situation der betroffenen Betriebe überhaupt nicht einsehbar, daß man erklärt: Wir sind nicht mehr bereit zu zahlen. Der Bund ist bereit zu zahlen. Der Bundeslandwirtschaftsminister hat seinerzeit auch vor dem Hintergrund der Haushaltsberatungen entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt.
Herr Kollege, lassen Sie eine zweite Zwischenfrage zu?
({0})
Dann dauert meine Rede etwas länger.
Das ist das Schicksal, das wir gemeinsam teilen.
Ich habe nichts dagegen. Ich bin zur Stunde verfügbar.
Herr Kollege Graf.
Herr Kollege, Sie haben meine Frage leider nicht beantwortet. Ich hatte nach konkreten Zahlen gefragt: Was hat das Land Niedersachsen im Rahmen der Schweinepest an Zahlungen an die Landwirte geleistet, und was hat der Bund geleistet?
({0})
Wenn Sie jetzt sagen, das Land verweigert sich, dann wissen Sie genausogut wie ich, daß Bund und Land praktisch vereinbart haben, daß das Land Niedersachsen klagt, und daß der Bund sich, solange die Klage anhängig ist, verpflichtet hat, für den Fall, daß Ankaufsaktionen stattfinden, den entsprechenden Anteil zu übernehmen.
Herr Kollege Graf, Sie müssen schon eine Frage stellen.
Ich habe die erste noch einmal -
„Stimmen Sie
mir zu ...", oder so ähnlich.
Jawohl.
Die EU und die jeweiligen Bundesländer - eines davon ist Niedersachsen - haben die Kosten, die durch Keulung entstanden sind, ersetzt. Vielleicht können Sie die Zahlen über die Höhe der Kosten nachliefern. Dann werde ich sie dem Hohen Hause mitteilen.
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Meine Damen und Herren, deutliche Fortschritte konnten bei der Milchquotenregelung erreicht werden. Die Bedingungen für die Milcherzeugung sind durch erleichterte Handelbarkeit, Saldierung der Milchquoten und mehr Pächterschutz wesentlich verbessert worden. Das Verbot der Anwendung des Leistungssteigerers BST gilt für weitere fünf Jahre. Das ist ein Erfolg der deutschen Präsidentschaft in Brüssel und ein Erfolg von Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert.
Von der Bundesregierung erwarten wir für die Zusammenführung der unterschiedlichen Milchquotensysteme in Deutschland ein Konzept, das betriebliche Entwicklungsmöglichkeiten bietet.
Die Agrarreform hat eine positive Entwicklung in Gang gesetzt. Die Marktentlastung bei Getreide und Rindfleisch hat die Erwartungen zum Teil übertroffen. Es gibt heute schon Nachfragen nicht nur nach Rindfleisch, sondern auch nach Butter, die nicht bedient werden können. Das ist ein Faktum. Auch gestern abend - Herr Kollege Sielaff, Sie haben dieses Gespräch gerade erwähnt - war davon die Rede.
Aus gutem Grund setzen wir wie EU-Agrarkommissar Fischler auf Kontinuität in der reformierten Agrarpolitik einschließlich des Preisausgleichs und damit auf Verläßlichkeit für die Landwirte. Das ständige Reformgerede verunsichert in unverantwortliEgon Susset
cher Weise die Landwirte, die einen tiefgreifenden Anpassungsprozeß durchmachen. Die Kommissionsvorschläge für Preissenkungen noch vor der dritten Reformstufe, wie sie jetzt vorliegen, lehnen wir strikt ab.
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Wohl aber brauchen wir einen weiteren Abbau an Bürokratie sowie größere Praxisnähe.
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Um unsere Landwirtschaft für die Zukunft zu rüsten, müssen Wettbewerbsverzerrungen in der EU und strukturelle Defizite abgebaut werden.
Die deutsche Landwirtschaft muß entsprechend dem Ratsbeschluß vom Dezember 1994 vor Währungsnachteilen angemessen geschützt werden. Die Währungsturbulenzen der letzten Tage und die Entwicklung des belgischen Franc und der D-Mark mahnen uns zu Wachsamkeit. Wir wissen, daß es schon heute Probleme beim Export in Weichwährungsländer wie beispielsweise Italien gibt. Hier entstehen schon Einnahmeverluste. Deshalb kommt es uns darauf an, daß die Währungsunion so früh wie möglich zustande kommt, damit diese Ungerechtigkeiten beseitigt werden können.
Eine Harmonisierung beim Pflanzen- und Tierschutz ist überfällig. Unsere Landwirte brauchen Chancengleichheit im europäischen Wettbewerb.
Bei der strukturellen Anpassung der Betriebe leistet die Bundesregierung mit der verbesserten investiven Förderung ab diesem Jahr einen beträchtlichen Beitrag. Aber auch künftig müssen Kapazitätsausweitungen im Schweinesektor gefördert werden können, jedenfalls dort, wo die regionale Erzeugung laufend zurückgeht; denn sonst verlieren wir ständig Marktanteile.
({3})
In der Veredelung gibt es viele Probleme. Schlechte Nachrichten über Schweinepest, Tierquälereien beim Transport und die Rinderseuche BSE haben die Verbraucher stark verunsichert. Leidtragende sind die Rindfleischerzeuger und die Fleischwirtschaft, weil der Rindfleischverzehr in der Zwischenzeit stark zurückgegangen ist.
Die deutschen Verbraucher können jedoch dem qualitativ hochwertigen Rindfleischangebot vertrauen. Daher wird die Auseinandersetzung um ein Importverbot für Rindfleisch aus Großbritannien seitens der SPD-regierten Länder mit Scheinheiligkeit geführt.
({4})
Auch die vom SPD-regierten Niedersachsen angeblich zum Schutz bäuerlicher Betriebe eingebrachte
Gesetzesinitiative richtet sich in Wirklichkeit gegen die bäuerliche Veredelung.
({5})
- Eben das ist im Bundesrat eingebracht worden. Wir werden darüber diskutieren.
Im übrigen müssen Landwirtschaft und Handel über Herkunft und Erzeugungsweise klar und eindeutig informieren und beim Verbraucher den Heimvorteil nutzen.
Jetzt, Herr Kollege Sielaff, zum Markenfleischprogramm. Markenfleischprogramme machen die Bundesländer, ob es Schleswig-Holstein, Bayern oder Baden-Württemberg ist. Herkunfts- und Qualitätszeichen sind in erster Linie eine Sache der Bundesländer,
({6}) und so soll es auch bleiben.
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Meine Damen und Herren, es gilt, das Aufgabenfeld der Landwirtschaft Schritt für Schritt zu erweitern, auch durch die sinnvolle Nutzung von Brachflächen für Energie- und Industrierohstoffe.
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Die Chancen der erneuerbaren Energien, insbesondere der nachwachsenden Rohstoffe für Klima- und Umweltschutz, Sicherung der Energieversorgung und Ressourcenschonung werden zunehmen; das ist anerkannt. Daher muß vor allem die weitere Markteinführung der nachwachsenden Rohstoffe durch ökonomische Anreize und Steuervorteile, aber auch durch ordnungsrechtliche Maßnahmen wie Anwendungsgebote unterstützt werden.
Wenn SPD und GRÜNE ihre Ideologie vergessen und uns dabei unterstützen, dann, glaube ich, kommen wir dabei ein Stück weiter und geben wir unseren jungen Hofnachfolgern Zeichen der Ermutigung.
Meine Damen und Herren, wir debattieren auch über den Waldzustandsbericht. Wir appellieren an Sie, Herr Minister, bald das angekündigte Programm zur Zukunft des Waldes vorzulegen. Die Bedingungen für eine lohnende Forstwirtschaft müssen verbessert werden, weil nur eine intakte Forstwirtschaft die Waldpflege leisten kann, die für die Gesundheit unserer Wälder unabdingbar ist. Im übrigen führen wir unsere konsequente Politik für den Schutz des Waldes von der Aufforstung bis zur Förderung des Holzabsatzes fort.
Aber mit aller Entschiedenheit, so muß ich jetzt doch sagen, verwahren wir uns gegen die wissenschaftlich nicht haltbaren Vorwürfe des Präsidenten der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, unseres ehemaligen Kollegen von Geldern. Ich würde also
hier durchaus sagen: Lieber Wolfgang, du hast jetzt mehr Zeit, seit du nicht mehr im Parlament bist; informiere dich besser, bevor du dann hier solche Dinge in die Welt setzt.
({9})
Meine Damen und Herren, in der Agrarmarktpolitik hat die Bundesregierung ein großes Arbeitspensum zu erledigen. Wir unterstützen uneingeschränkt die Position des Bundeslandwirtschaftsministers, im Grundsatz am bewährten System der EU-Zuckermarktordnung festzuhalten. Der Bundeswirtschaftsminister sollte hier auch nach Möglichkeit seine doch im Moment noch deutlich werdende Verweigerungshaltung etwas zurücknehmen. Vielleicht könnten die Kollegen der F.D.P. sich einmal mit dem Kollegen Rexrodt in Verbindung setzen.
({10})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Günther Bredehorn?
Bitte.
Herr Kollege Susset, ist Ihnen zu diesen Gesprächen zwischen Landwirtschaftsminister, Finanzminister und Wirtschaftsminister vielleicht bekannt, daß man sich im Grundsatz einig ist, die Zuckermarktordnung um sechs Jahre zu verlängern?
({0})
Gut, wenn das so ist. Ich habe nämlich dem Herrn Bundeswirtschaftsminister einen Brief geschrieben und habe eigentlich erwartet, daß ich bis heute Antwort habe. Weil die Dinge nun so angesprochen worden sind, habe ich gedacht: Da wir jetzt so nahe beisammen sind, könnten wir ja einmal nachfragen. - Also, es ist gut, wenn dann Ende März beim Agrarministerrat entschieden werden kann.
Nun, meine Damen und Herren, die Reform der Weinmarktordnung muß darauf abzielen, Überschüsse bei Tafelwein abzubauen. Gleichzeitig müssen nationale Zuständigkeiten für Qualitätswein und die bewährten Weinbereitungsverfahren der nördlichen Anbaugebiete der EU davon unberührt bleiben. Einschnitte in die Qualitätsweinproduktion würden nicht helfen, den Tafelweinmarkt zu ordnen.
Deshalb ist es gut, daß die Bundesregierung, die Bundesländer und die Weinwirtschaft einvernehmlich diese Position einnehmen. Wir sind auch mit den Kollegen aus dem Europäischen Parlament in ständiger Diskussion und hoffen, daß wir hier eine vernünftige, annehmbare Regelung zustande bringen.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion tritt für geeignete und verläßliche Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft, in der Ernährungswirtschaft und in der Forstwirtschaft ein, damit in allen Regionen Deutschlands auch in Zukunft - ich sage: in allen Regionen; Herr Kollege Sielaff, da bin ich Ihrer Meinung; auch in Gebieten, die von Natur aus nicht so begünstigt sind - Landbewirtschaftung betrieben werden kann. Aber die Landwirte müssen eigenverantwortlich ihre Betriebe auch in überbetrieblicher Zusammenarbeit weiterentwikkeln und sich neuen Herausforderungen stellen.
({0})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist auch in Zukunft ein verläßlicher Partner der Land- und Ernährungswirtschaft.
({1})
Wir wissen, daß wir mit Jochen Borchert einen Minister haben, der nicht nur im Kabinett der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch in Brüssel mit unserer Unterstützung die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft und damit den ländlichen Raum und alle, die in diesen Bereichen ihre Arbeitsplätze haben, unterstützt.
({2})
Daß dies für die nächsten vier Jahre möglich ist, war an dem Abend, als ich mich hier das erste Mal mit der Ministerin Griefahn gestritten habe, zumindest auf dieser Seite noch nicht absehbar. Aber der Wähler hat für uns und für die Landwirtschaft entschieden.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat nun die Kollegin Ulrike Höfken-Deipenbrock.
Sehr verehrte Kollegen und Kolleginnen! Sehr verehrter Herr Minister! Herr Susset, ich bin sehr überrascht. Sicher haben sich der Wähler und die Wählerin für Sie entschieden. Aber damit haben sie sich mit Sicherheit nicht für die Landwirtschaft entschieden,
({0})
wie wir ja auch an Hand dieses Agrarberichts sehen können.
Ich bin auch sehr überrascht über die Äußerungen von Minister Borchert zum Agrarbericht. Drei dürre Sätze zur Situation der Landwirtschaft und zur künftigen Entwicklung! Da ich weiß, daß der Herr Minister sehr detailgenau und kenntnisreich ist, hätte ich doch eine glänzendere Bestattungsrede erwartet.
({1})
Was als Erfolg gekennzeichnet wird, ist wie immer unterschiedlich - von uns auf jeden Fall - zu sehen. Der Rückgang der Betriebsgewinne und des verfügbaren Einkommens in der Landwirtschaft - besonders in den alten Ländern - zeigt auf, daß der Auftrag, die Einkommen der Landwirte in Europa zu sichern, nicht erfüllt worden ist. Die Gewinne in den neuen Bundesländern sehen zwar auf dem Papier schön aus, sind aber durchaus in Frage gestellt, wenn man berücksichtigt, daß die Verpflichtung zur Rückzahlung von Schulden und zur Zahlung von Zinsen jetzt einsetzt.
Es ist sehr gewagt von der Bundesregierung, vorauszusagen, daß sich die Betriebsergebnisse verbessern werden - insbesondere im Hinblick auf die jetzigen Währungsdisparitäten. Es ist zwar richtig, eine Währungsunion zu fordern - das tun wir auch -, aber es sind Einkommensverluste und vor allem eine ganz entscheidende Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirte gegenüber den europäischen Ländern zu erwarten.
Hier sind die britischen Großrinderzüchter und Milchviehhalter in einer sehr viel besseren Situation als wir.
Die Wettbewerbsverzerrung greift aber natürlich nicht nur innereuropäisch, sondern sehr wohl auch außereuropäisch. In einer solchen Situation erwarte ich ein paar Worte über das Ziel der Bundesregierung, die Landwirtschaft der Bundesrepublik auf den internationalen Wettbewerb auszurichten. Die Gefahr ist groß, daß man dann vor der Situation steht, daß sich genau diese Orientierung als Bumerang erweist und die Landwirte in eine ganz schlechte Situation bringt. Eine regionale Ausrichtung der Produktion, der Landwirtschaft, der Verarbeitung und der Vermarktung wäre sehr viel hilfreicher, um das Einkommen der Betriebe zu sichern und die Arbeitsplätze zu halten.
({2})
Wir haben einen ganz drastischen Verlust von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum zu verzeichnen; allein 50 000 Arbeitsplätze in der direkten landwirtschaftlichen Produktion im Berichtszeitraum. Das ist eine Zahl, an der die Bundesregierung ganz offensichtlich völlig vorbeigeht. Bei jedem Betrieb - wie bei Zeiss Jena, ähnlichen Betrieben oder dem Kohlebergbau - würde man aufschreien; aber in der Landwirtschaft wird diese Arbeitsplatzvernichtung still übergangen. Eine solche Entwicklung
({3})
- natürlich steht sie im Bericht, aber Sie haben sie nie erwähnt; sie wird letztendlich immer unterschlagen - erfordert ein ganz massives arbeitsmarktpolitisches Beschäftigungsprogramm für den ländlichen Raum und die Landwirtschaft. Aus arbeitsmarktpolitischen
Überlegungen kann sich die Bundesregierung eine solche Entwicklung nicht weiter leisten.
({4})
Je nach Betriebsstruktur werden 30 bis 50 % des Einkommens der Landwirte und Landwirtinnen auf Grund von Subventionen und öffentlichen Geldern erzielt. Ich finde es absurd, Herr Susset, daß Sie immer auf Bayern mit einem besseren Betriebsergebnis durch staatliche Zahlungen verweisen. Wo sind wir denn, daß wir eine solche Situation als Erfolg feiern können! Wir wollen das landwirtschaftliche Einkommen durch die Preise der Produkte sichern und nicht durch staatliche Subventionszahlungen, die ja letztendlich das Einkommen der Betriebe nicht langfristig sichern und vor allem die Ansprüche der Verbraucher und Verbraucherinnen auf gesunde Lebensmittel sowie der Umwelt nicht erfüllen.
({5})
Die Seuchen in der Tierhaltung sind erwähnt worden.
Wir müssen verzeichnen, daß wir immer stärkere Probleme in der Qualität der Nahrungsmittel erhalten. Sie lassen sich nicht wegreden. Da hilft es auch nicht, Sündenböcke zu suchen oder die Landwirtschaft reinwaschen zu wollen. Diese Entwicklung insbesondere im tierischen Bereich ist eine Folge einer verfehlten Agrarpolitik. Hier ist eine Wende in der Tierhaltung angesagt. Eine artgerechte Tierhaltung muß eingeleitet werden, selbstverständlich verbunden mit einer Verbesserung des Betriebseinkommens und besseren Produkten.
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Wir haben über 100 Milliarden DM Kosten für ernährungsbedingte Krankheiten. Herr Sielaff hat die Gentechnik erwähnt. Die Gentechnik in der Landwirtschaft wird die Verbreitung von Allergien noch verstärken. Darin sind sich die Wissenschaftler einig.
({7})
Herr Ernährungsminister, wir brauchen eine Wende in der Ernährungspolitik, die uns von diesen Kosten befreit und die Gesundheit der Menschen wiederherstellt. Das beinhaltet, daß Nahrungsmittel rückstandsfrei und frei von Krankheitserregern sein müssen.
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- Aber selbstverständlich liegt das an der Landwirtschaft. Die Nahrungsmittel werden von der Landwirtschaft bereitgestellt.
Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Es ist die Nahrungsmittelindustrie, die die Nahrungsmittel verändert!)
- O nein, nicht nur die Nahrungsmittelindustrie. Aber sie gehört zu unserem Tätigkeitsbereich.
Zum Thema Klimaschädigungen. Natürlich sind nicht nur nachwachsende Rohstoffe ein Beitrag zur möglichen Verbesserung des Klimas, sondern ein Beitrag muß auch darin bestehen, alle klimaschädigenden Emissionen aus der Landwirtschaft zu reduzieren und zu beseitigen. Es ist nun einmal Tatsache, daß die ökologische Landwirtschaft um fast 40 % weniger CO2-Emissionen aufweist als die konventionelle.
Zur einzelbetrieblichen Förderung mein letzter Satz. Nach dem Gießkannenprinzip ausgeteilt, wird sie keine Verbesserung der landwirtschaftlichen Situation erreichen können. Wir fordern, die Mittel der einzelbetrieblichen Förderung an die Kriterien der umweltgerechten Landwirtschaft zu binden und die Hälfte der Gelder im Bereich der Förderung von Vermarktung und der Schaffung moderner Dienstleistungsstrukturen für den Agrarbereich zu verwenden. Dann können wir uns sicher darauf einigen, daß damit mehr Betriebe erhalten werden können als mit den staatlichen Subventionen insgesamt.
Danke schön.
({9})
Das Wort hat nun der Kollege Günther Bredehorn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Agrarbericht 1995 ist trotz einiger kritischer Stimmen von Professoren und Journalisten, wie ich meine, eine hervorragende Dokumentation der Situation in der Landwirtschaft.
Die Gewinne - das haben wir gehört - sind noch einmal zurückgegangen. Der Strukturwandel hält weiter an, ja, er hat sich in den letzten fünf Jahren sogar eindeutig verstärkt. Für das laufende Wirtschaftsjahr werden zwar wieder Gewinne prognostiziert. Aber man muß hier ganz deutlich feststellen: Wir erreichen noch nicht einmal das Gewinniveau zu Anfang der 90er Jahre.
Trotzdem - auch das muß man sagen - zeigt der Agrarbericht: Gut geführte Betriebe mit ausreichenden Produktionskapazitäten sind auch unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen in der Lage, eine Entlohnung wie in der gewerblichen Wirtschaft zu erzielen. 17,5 % der Vollerwerbsbetriebe erreichen immerhin einen Gewinn von über 70 000 DM. Die Einkommen je Arbeitskraft in den durchweg besser strukturierten landwirtschaftlichen Unternehmen in den neuen Bundesländern lagen deutlich höher als in Westdeutschland.
Diese wenigen Angaben aus dem Agrarbericht zeigen die Tendenz: Der Strukturwandel wird sich weiterhin fortsetzen, und es wird zu einem weiteren Rückgang der Erwerbstätigkeit in der Landwirtschaft kommen.
Welche Folgerungen können wir daraus ziehen? Welche Erkenntnisse haben wir? Für mich sind es alarmierende Warnzeichen, daß die deutsche Landwirtschaft im eigenen Land ständig Marktanteile verliert und die deutschen Landwirte bei den Betriebsgewinnen im unteren Drittel der EU-Mitgliedstaaten liegen.
Die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit unter Beachtung umweltverträglicher Wirtschaftsweise, die Stärkung der Unternehmerlandwirtschaft sowie Marktorientierung haben daher höchste Priorität für die F.D.P.-Agrarpolitik.
({0})
Die einzelbetriebliche Förderung muß zukünftig stärker an der Wirtschaftlichkeit ausgerichtet, vereinfacht und finanziell deutlich besser ausgestattet werden. Daher begrüße ich für die F.D.P.-Fraktion, daß die Bundesmittel für die einzelbetriebliche Investitionsförderung im Jahre 1995 um 100 Millionen DM erhöht werden. Diese Politik wollen wir weiterentwickeln, um die Finanzmittel noch gezielter für die Zukunftsentwicklung unserer Landwirtschaft einzusetzen.
Nach Auslaufen der EU-Sonderregelung für die neuen Bundesländer brauchen wir gleiche Förderbedingungen in ganz Deutschland. Wir können unsere im EU-Vergleich deutlich sichtbaren Strukturdefizite nicht länger durch eine Politik der Strukturerhaltung ausgleichen. Diese Politik haben wir schon zu lange betrieben.
({1})
Ein besonders eklatantes Beispiel falscher Weichenstellung ist der von der niedersächsischen SPD-Landesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Begrenzung der Konzentration in der Tierhaltung. Mit diesem Gesetz trifft man gerade die flächenarmen, viehstarken, bäuerlich strukturierten Veredelungsbetriebe bis ca. 40 ha. Für diese Betriebe, die bisher nicht gewerblich waren, will man sämtliche staatlichen Förderleistungen, steuerlichen Erleichterungen sowie Begünstigungen im Baurecht, Grundstücks-und Landpachtverkehrsrecht sowie die Gasölverbilligung streichen.
Mit einem solchen Gesetz behindert man die Einkommens- und Entwicklungsmöglichkeiten bisher gesunder bäuerlich strukturierter Betriebe, nimmt ihnen die Wettbewerbsfähigkeit und zwingt sie zur Aufgabe. Mit diesem Gesetz wird aber keineswegs die Entwicklung zu den sogenannten Massentierhaltungen und Agrarfabriken verhindert, die auch bisher gewerblich waren. Dieses Machwerk ist schon im Jahre 1993 eingebracht worden.
({2})
- 1993 von Niedersachsen. - Der Bundesrat hat es
Gott sei Dank mit großer Mehrheit abgelehnt. Damals hieß das Ding ja noch „Gesetz zum Schutz der
bäuerlichen Betriebe". Jetzt ist man wohl ein wenig ehrlicher geworden; denn diese Namensgebung ist ja fast schon zynisch, denn genau das Gegenteil wird erreicht.
({3})
In den neuen Bundesländern gibt es - darüber freuen wir uns - eine positive Entwicklung der Einkommen. Das zeigt doch auch, daß wir dort mit der Umstrukturierung der Landwirtschaft auf dem richtigen Weg sind. Die Politik hat trotz der Fehler, die auch gemacht worden sind - das ist unbestreitbar -, die richtigen politischen Rahmenbedingungen geschaffen. Aber entscheidend waren die Menschen, die mit sehr viel Mut und Unternehmerwillen unter schwierigsten Begleitumständen einen Neuanfang gewagt haben.
Ich bin fest davon überzeugt, daß die in den neuen Bundesländern entstehenden wettbewerbs- und leistungsfähigen Betriebe gute Markt- und Zukunftschancen haben und der Konkurrenz in Europa gewachsen sind.
Nicht nur für Landwirte, sondern für Hunderttausende von Menschen, die im Schutz der Deiche an der Nordseeküste leben, ist der Küstenschutz, der ja im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zu 70 % aus Bundesmitteln bezahlt wird, lebensnotwendig, ja überlebensnotwendig. Seit der großen Sturmflut 1962 nehmen die Höhe und die Häufigkeit der Sturmfluten ständig zu. Allein in Niedersachsen müssen von den rund 600 km Seedeichen über 100 km dringend erhöht werden.
Als Abgeordneter aus dem Küstenbereich bin ich in großer Sorge, weil mit den zur Verfügung stehenden Küstenschutzmitteln immer weniger Deichbaumaßnahmen möglich sind. Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sowie immer höhere Ansprüche des Natur- und Umweltschutzes - daraus resultierend Mehrkosten durch Deichverstärkung nur noch Binnenlands; keine Bodenentnahmen im Deichvorland, keine Sandentnahme im Watt, dadurch erhöhte Transportwege für Kleiboden und Sandanfuhr - erfordern erheblich höhere Aufwendungen. Dadurch stehen für den eigentlichen Deichbau leider immer weniger Mittel zur Verfügung. Teilweise sind diese Anforderungen total überzogen und ökologisch auch nicht begründbar. Man rechnet damit, daß so mindestens rund 10 % und in Einzelfällen durchaus bis zu 30 % der Mittel abfließen. Wenn also in Niedersachsen 1995 rund 94 Millionen DM für den Küstenschutz ausgegeben werden, stehen von diesen Mitteln über 10 Millionen DM für den Deichbau überhaupt nicht zur Verfügung. Das heißt, mindestens zwei Kilometer Deiche können nicht verstärkt und gesichert werden. Ich meine, hier ist die Politik gefragt und keine Ideologen wie unsere niedersächsische Greenpeace- Aktivistin.
({4})
Es geht um die Frage, ob nicht ein vernünftigerer Ausgleich zwischen dem notwendigen Land- und Menschenschutz und dem berechtigten Anliegen des Naturschutzes möglich ist. Ich erwarte vom Bundesminister, daß er bei den Gesprächen mit den Ländern darauf achtet, daß die knappen Mittel für den Küstenschutz möglichst sachgerecht und effektiv eingesetzt werden.
({5})
Für die Zukunftsentwicklung auf dem Milchmarkt müssen wir eigentlich jetzt die Weichen stellen. Die vor zehn Jahren eingeführte Milchquotenregelung - wir feiern ja in diesem Jahr Jubiläum; ob es ein Grund zum Feiern ist, habe ich meine Zweifel - hat ihr Ziel nach meiner Ansicht nicht erreicht. Es gibt nach wie vor den Mengenüberschuß: 120 % Selbstversorgung. Der Finanzbedarf aus öffentlichen Haushalten ist nach wie vor hoch, und die Erzeugerpreise sind niedriger als vor zehn Jahren. Vor zehn Jahren haben wir einen Erzeugerpreis von 61,7 Pfennig gehabt; er ist dann bis zum Jahre 1989 auf 68,6 Pfennig angestiegen. Im Jahr 1994 waren es 56,6 Pfennig.
Ich zeige Ihnen das einmal an einem praktischen Beispiel auf. Ein ganz normaler mittelständischer bäuerlicher Betrieb mit 50 Kühen und 300 000 Kilo Milchanlieferung erzielt in diesem Jahr 36 000 DM weniger als vor fünf Jahren, und das angesichts der Kostensteigerung, die er ja auch auffangen muß. Daran erkennt man die Dramatik in diesem Bereich. Was noch gravierender ist: Ein großer Teil der Quote, rund 50 %, ist bei Landwirten, die selber nicht mehr melken. Hier wurden handelbare Besitzstände geschaffen zu Lasten der noch aktiv melkenden Landwirte.
({6})
Wir diskutieren ja zur Zeit alle möglichen Lösungsvorschläge. Da spricht man über eine Bewirtschafterregelung ähnlich wie in den neuen Bundesländern, über einen Quotenpool, über A- und B-Quote. Meine Damen und Herren, ich frage: Sollten wir nicht den Mut haben, eine mehr marktwirtschaftliche Lösung anzustreben und darüber nachzudenken und zu diskutieren, ob wir die Quote nach dem Jahr 2000 in dieser Form noch brauchen?
Ich möchte zum Schluß kommen. Die deutsche Landwirtschaft befindet sich auch durch die Auswirkungen der EU-Agrarreform und der GATT-Vereinbarungen sicher in einem schwierigen strukturellen Anpassungsprozeß. Um so wichtiger sind klare und verläßliche Rahmenbedingungen durch eine zukunftsorientierte Agrarpolitik. Für die F.D.P. heißt das: Förderung der Wettbewerbsfähigkeit unserer leistungsbereiten, marktorientierten und umweltverträglich wirtschaftenden landwirtschaftlichen Betriebe, Förderung des Übergangs in den Zu- oder Nebenerwerb oder alternativer Erwerbsmöglichkeiten im ländlichen Raum, Bezahlung für ökologische und landschaftspflegerische Leistungen der Landwirtschaft, die über die Vorgaben einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung hinausgehen, und soziale Abfederung durch Produktionsaufgaberente oder Altershilfe für ausscheidende Landwirte. Daran wird die F.D.P.-Fraktion in dieser Legislaturperiode arbeiten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat nun der Kollege Günther Maleuda.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Allgemein bekannt ist, daß der Agrarbericht in der Öffentlichkeit eine recht kritische Bewertung erfahren hat, sowohl in den Betrieben und Verbänden als auch in den Fraktionen. Das betrifft vor allem das Schönreden von Ergebnissen. Ich meine, der bisherige Verlauf der heutigen Debatte bestätigt eigentlich diese Tendenz des Schönredens von Ergebnissen.
Meine Damen und Herren, die Dr. Seibold Marketingforschung GmbH hat Ende 1994 im Auftrag der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft und der Deutschen Messe AG Hannover eine Umfrage zu Problemen und Informationsbedürfnissen von Landwirten in West- und Ostdeutschland durchgeführt. Diese Untersuchungen erfolgten gleichzeitig in weiteren sieben Ländern der Europäischen Union und in der Schweiz. Dabei zeigten sich eine ganze Reihe interessanter Ergebnisse.
Von den fünf am meisten genannten Themen stand nur in Deutschland das Problem der Einkommenssituation und der Einkommensalternativen an erster Stelle. In allen anderen Ländern kommt dieses Thema unter den ersten fünf Schwerpunkten gar nicht vor. Die zweite Stelle nimmt in Deutschland das Thema „Zukunft der EU-Agrarpolitik " ein.
Ich meine: Das Dilemma der deutschen Bauern ist - wie auch durch den vorliegenden Agrarbericht 1995 bestätigt wird -, daß ihre Interessen auf dem Altar der Exportinteressen der Industrie und einer überholten Landwirtschaftsstrategie geopfert werden. Es fehlt eine differenzierte, zukunftsorientierte Agrarpolitik.
Bei jeder Kritik durch die Bauern wird der Schwarze Peter nach Brüssel geschoben. Die deutschen Bauern fordern deshalb zu Recht eine klare Antwort auf die Frage: Wie geht es mit der Landwirtschaft in Deutschland in den nächsten Jahren weiter? Die dazu im Agrarbericht gegebenen Antworten reichen nicht aus. Das zeigt sich vor allem an folgenden Problemen.
Erstens. Das Höfesterben hat sich in Westdeutschland wieder beschleunigt fortgesetzt. 1993/94 stieg die Anzahl der Betriebsaufgaben um 2,9 % gegenüber dem Vorjahr. Allein 1993 haben in den alten Bundesländern ca. 20 000 Landwirte die Rinder- und ca. 22 000 die Schweineproduktion aufgegeben. Ein>chätzungen besagen, daß in den nächsten Jahren noch 50 % der Betriebe die Milchproduktion einstellen könnten.
Zweitens. Seit 1989/90 sind die Einkommen in der westdeutschen Landwirtschaft mit einer geringfügigen Verbesserung 1991/92 auch ohne Einbeziehung der Inflationsrate kontinuierlich zurückgegangen.
({0})
Berücksichtigt man eine durchschnittliche Verzinsung des Eigenkapitals, dann bleibt den Vollerwerbsbetrieben ein Arbeitsertrag von durchschnittlich 16 280 DM je Arbeitskraft und Jahr. Ich stimme hier der Argumentation und Bewertung bezüglich der Einkommen in der Landwirtschaft, wie sie gerade von Frau Höfken dargestellt wurde, zu. Eine Konsequenz aus all diesen Problemen ist, daß bei Betriebsinhabern mit einem Alter von über 45 Jahren nur rund ein Drittel einen Hofnachfolger benennen kann.
Drittens. Die sich verschlechternden Rahmenbedingungen, die steigenden Kosten und sinkenden Erlöse und das Fehlen von Arbeitsplätzen im nichtlandwirtschaftlichen Bereich zwingen die Bauern, ihre Betriebe weiter zu spezialisieren und die Produktion zu intensivieren.
Die sich daraus ergebenden Umweltbelastungen können auch nicht mit dem Argument vom Tisch gewischt werden, daß in den letzten sechs Jahren der Absatz von Stickstoffdüngemitteln um 34 % zurückgegangen ist. Verglichen mit dem Einsatz im Jahr 1980/81 sank der Stickstoffeinsatz nur um 17 % bei einer Flächenstillegung von fast 10 % Dünger- und Pflanzenschutzaufwand erfolgt also vor allem auf den ertragreichen Flächen. Wie sonst soll man sich ständig steigende Erträge je Hektar erklären? Es stellt sich die Frage: Warum fehlt im Agrarbericht die früher vorhandene Zeile „Nährstoffaufwand je Hektar genutzter Fläche"?
Viertens. Trotz einer Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse in den ostdeutschen Agrarunternehmen hat die Agrarpolitik der Regierung auch dort tiefe Spuren hinterlassen. 78 % der 1989 in der Landwirtschaft Beschäftigten haben inzwischen ihren Arbeitsplatz verloren; im letzten Jahr mußten wieder 15 % entlassen werden.
Fünftens. Durch die Vernichtung von Arbeitsplätzen und von Produktivvermögen ist es für ostdeutsche Bauern besonders schmerzlich, daß z. B. in Sachsen-Anhalt an Stelle der Selbstversorgung des Landes mit Fleisch, Milch und Eiern nur noch ein Selbstversorgungsgrad von 50 % erreicht wird; in Mecklenburg-Vorpommern liegt er bei Schweinefleisch weit unter 50 %. Von drei modernen Schlachthöfen in Mecklenburg-Vorpommern ist einer zuviel. Nicht einmal mit der Produktion aus Westdeutschland ist die Versorgung im Osten zu sichern. Wir haben keine Überproduktion auf diesem Gebiet; wir haben einen großen Importbedarf.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.
Herr Präsident, ich nahm an, daß in dieser Runde zehn Minuten zur Verfügung stehen.
Dann ist es hier falsch angezeigt worden. Ich bitte um Entschuldigung.
Ich bedanke mich.
In Brüssel versucht Herr Bundesminister Borchert zu Recht, lange Tiertransportzeiten zu verhindern. Im eigenen Land erfolgt jedoch zu wenig, um den Rückgang der Tierbestände aufzuhalten, um so lange Massentiertransporte überflüssig zu machen. Während die dänischen Landwirte in den zurückliegenden fünf Jahren die Schlachtschweinproduktion um 5 Millionen Stück und die Holländer um 1,5 Millionen Stück erhöht haben, sind bei uns die Schlachtschweinbestände um 10 Millionen zurückgegangen. Eine eigentümliche Arbeitsteilung! All das sind doch letztlich Zeichen verfehlter Agrarpolitik.
Sechstens. Mit dem Gesetz über die Bodenprivatisierung in Ostdeutschland, den ständig steigenden Zinsen für die Altschulden, der Verschleuderung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens, der notwendigen Auszahlung der Genossenschaftsanteile an ausgeschiedene LPG-Mitglieder und dem fehlenden Eigenkapital ist ein weiterer Prozeß der Differenzierung und Beseitigung von Agrarpotential in Ostdeutschland vorprogrammiert. Das Wachsen und Weichen wird bei Fortsetzung der gegenwärtigen Agrarpolitik dort leider auch weitergehen. Die Einwände des CDU-Landwirtschaftsministers aus Sachsen über eine zu positiv eingeschätzte Situation der Landwirtschaft in Ostdeutschland gründen sich gerade auf die Instabilität vieler landwirtschaftlicher Unternehmen, über die auch die gestiegenen Einkommen nicht hinwegtäuschen können.
Die Antwort der Bundesregierung auf all diese Tatsachen und auf die Forderung der Bauern nach einer zukunftsorientierten Agrarpolitik lautet, daß der Agrarstandort Deutschland am ehesten durch eine leistungs- und wettbewerbsfähige, marktorientierte und umweltverträgliche Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft gesichert werden kann. Was für eine Zukunft aber haben Unternehmen, die nicht über ein einkommenssicherndes Ertragspotential verfügen? Wie soll ökologisches Wirtschaften bei sinkendem Einkommen der Verbraucher realisiert werden? Auf welchem Wege sollen wettbewerbsfähige Strukturen entstehen bzw. weiter ausgebaut werden?
Die Problemlösung wird im Agrarbericht auf der Seite 14 sehr ernüchternd formuliert. Wörtlich heißt es:
Der Strukturwandel wird in den kommenden Jahren maßgeblich durch Betriebsaufgaben im Zuge des Generationswechsel bestimmt werden.
Statt auf zukunftsorientierte Agrarpolitik setzt die Bundesregierung offensichtlich auf diesem Gebiet auf eine biologische Lösung.
Aus alledem kann es nur eine Konsequenz geben: Eine erstrebenswerte Zukunft gibt es für die Landwirtschaft nur durch eine neue Agrarpolitik. Die Landwirtschaft ist und bleibt eine tragende Säule für die Entwicklung der ländlichen Räume. Das erfordert, zukünftig Agrarpolitik untrennbar mit Regional- und Umweltpolitik zu verbinden. Ausgangspunkt für die Agrarstrukturpolitik muß es sein, Übereinstimmung zwischen Nachfrage nach Nahrungsgütern mit gesichertem Verbraucherschutz, landwirtschaftlichen Rohstoffen und Umweltleistungen einerseits und der Produktion dieser Güter andererseits herzustellen.
Vertragslandwirtschaft steht auf der Tagesordnung der Bundesrepublik Deutschland. Es muß eine stabile Kette von der Rohstoffproduktion über die Verarbeitung bis zum Handel geschmiedet werden. Die Tätigkeit von Erzeugergemeinschaften und CMA weisen bereits in die richtige Richtung. Der Erfolg wird wesentlich davon abhängen, wie es gelingt, das Mitspracherecht der Bauern als Unternehmenseigner bei jedem Schritt zu sichern und sie nicht zum Empfänger von Befehlen aus Brüssel zu machen.
Die Abgeordnetengruppe der PDS ist der Meinung, daß der Agrarstandort Deutschland nicht nur marktorientiert definiert werden kann; im Mittelpunkt aller Überlegungen müssen vielmehr die sozialen Interessen der Bauern, der in der Landwirtschaft Beschäftigten, der Menschen, die auf den Dörfern leben, und aller Bürger unseres Landes stehen, die sich gesund ernähren wollen und die die Erhaltung des natürlichen Lebensraumes brauchen wie die Luft zum Atmen.
Meine Damen und Herren, meine begrenzte Redezeit gestattet mir nur noch einige Bemerkungen zum Waldzustandsbericht 1994. Es wäre wohl richtiger, „Waldschadensbericht" zu sagen, da ja zu belegen ist, daß 1994 jeder vierte Baum erhebliche Schäden aufwies.
Unsere Abgeordnetengruppe unterstützt die von der SPD in ihrem Entschließungsantrag formulierte Position. Andererseits verweisen wir auf den Umstand, daß seitens der Regierung geeignete Maßnahmen ergriffen werden sollten, die den Wald als Allgemeingut schützen.
Dieser Schutz erfordert schon gar nicht die Privatisierung von Staats-, Kommunal- und Treuhandwald. Vielmehr müssen die Ziele, Aufgaben und Funktionen des Waldes zunehmend unter Kontrolle gestellt werden.
({0})
Die Bundesregierung sollte berücksichtigen, welche Gefühle bei den Bürgern in den neuen Bundesländern aufkommen, wenn sie als neue Waldeigentümer solche Namen hören wie Fürst Alexander von Isenburg, Prinz von Sachsen-Coburg,
({1})
Prinz Reuß, Prinz Hohental usw.
({2})
Wir sind gegen eine großflächige Beschilderung „Privatwald - Betreten verboten". Da ist uns die „Umwelteule" lieber.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat der Kollege Albert Deß.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ein starkes Stück, wenn ein Vertreter der SED-Nachfolgepartei das Höfesterben beklagt. Waren es nicht die Kommunisten und ihre Helfershelfer, die in einem unvorstellbaren Ausmaß bäuerliche Strukturen zerschlagen haben?
({0})
Der Agrarbericht für 1995 zeigt, daß trotz einer zu erwartenden Einkommensverbesserung im laufenden Wirtschaftsjahr alle Anstrengungen notwendig sind, um unseren Bäuerinnen und Bauern und vor allem unserer Jugend wieder eine Perspektive zu geben.
Die positive Vorausschätzung im laufenden Wirtschaftsjahr ist mit größter Vorsicht zu bewerten, da gerade die Währungsturbulenzen in einigen europäischen Ländern dem deutschen Agrarexport größte Probleme bereiten. Der Verfall der Lira z. B. führt zu dramatischen Erlösverlusten im Export nach Italien.
Seit der Wiedervereinigung unseres Landes betragen die Einkommensverluste unserer Vollerwerbslandwirte in den alten Bundesländern - summiert gesehen - 24,2 %. Um diese Verluste rechnerisch auszugleichen, wären allein 32 % Gewinn notwendig. Mit 7 bis 12 % Gewinn in der Vorausschätzung sind wir also noch weit von einem Ausgleich für die Einkommensverluste der vergangenen Jahre entfernt. Es sind deshalb alle Anstrengungen notwendig, um die Einkommenstrendwende abzusichern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es darf in Brüssel keine weiteren Preisbeschlüsse geben, die sich negativ auf die landwirtschaftlichen Einkommen auswirken.
({1})
- Herr Sielaff, Sie können das Protokoll nachlesen.
Der von Brüssel verfolgten Preisdruckpolitik muß massiver Widerstand entgegengebracht werden. Ziel der Agrarreform war es, die Agrarmärkte zu entlasten, um über den Markt wieder bessere Agrarpreise zu erreichen. Deshalb war es für mich unverständlich, daß man in Brüssel kurz vor dem Ziel eingeknickt ist und die Flächenstillegungsrate von 15 auf 12 % - wohlgemerkt: gegen den Widerstand von Minister Borchert - gesenkt hat. 7 Millionen Tonnen Getreide können dadurch mehr produziert werden und belasten damit wieder die Märkte.
Wer sich so verhält, verliert jede Glaubwürdigkeit. Brüssel soll statt dessen dafür sorgen, daß Wettbewerbsverzerrungen in Europa zum Nachteil der deutschen Landwirtschaft schnellstens beseitigt werden.
Die deutlich verbesserte Gewinn- und Einkommenssituation in den neuen Bundesländern ist für die CSU-Landesgruppe Anlaß, die Förderbedingungen in den alten und den neuen Bundesländern möglichst schnell anzupassen, um Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil der bäuerlich strukturierten Landwirtschaft in den alten Bundesländern abzubauen. Der bayerische BBV-Präsident Gerd Sonnleitner hat recht, wenn er sagt: „Die Entwicklung einer blühenden ostdeutschen Landwirtschaft darf nicht mit dem Verwelken der bäuerlichen Landwirtschaft in den alten Bundesländern einhergehen." Ab 1. Januar 1997 müssen in Ost und West gleiche Förderbedingungen gelten.
Die CSU bekennt sich auch weiterhin zum bäuerlichen Familienbetrieb als dem Leitbild ihrer Landwirtschaftspolitik sowie zu den notwendigen und unverzichtbaren Leistungen, die der Flankierung des schwierigen strukturellen Anpassungsprozesses in der Landwirtschaft dienen.
Es darf nicht sein, daß wir eine EU-Verordnung nach der anderen in nationales Recht umsetzen, während in Italien bis heute das Milchgarantiemengensystem nur auf dem Papier existiert. Unsere Bauern haben einfach kein Verständnis mehr für immer neue Auflagen und Vorschriften.
({2})
- Ja, Sie müssen mit Ihren Agrarministern reden, dort, wo die Sozialdemokraten in Europa regieren, damit der Minister Mehrheiten zusammenbringt.
({3})
Gern unterstützt die CSU Herrn Minister Borchert in seinem Bemühen, in Brüssel einen Abbau des bürokratischen Aufwandes bei der Umsetzung der Agrarreform zu erreichen.
Die EU-Regelungen bezüglich des Anbaus nachwachsender Rohstoffe auf Stillegungsflächen sind unerträglich. Um gerade die Bauern nicht zu entmutigen, die als Pioniere die Sache der nachwachsenden Rohstoffe voranbringen, müssen hier praxisgerechte Lösungen gefunden werden. Ich möchte mich bei Bundesminister Theo Waigel für seine positiven Entscheidungen zugunsten von nachwachsenden Rohstoffen bedanken. Ohne seine Mithilfe gäbe es heute nicht bereits über 300 Biodieseltankstellen in Deutschland.
({4})
Erfreulich ist auch, daß immer mehr Autohersteller ihre Fahrzeuge biodieseltauglich anbieten.
({5})
Albert Dell
Hier kann bereits von einem Erfolg gesprochen werden. In Bayern entstehen immer mehr Anlagen, die aus Biomasse Energie erzeugen. Ministerpräsident Edmund Stoiber hat vorgegeben, daß bis zum Jahr 2000 5 % des bayerischen Energiebedarfs mit Biomasse gedeckt werden sollen.
({6})
Damit hat Bayern im Gegensatz zu SPD-regierten Ländern wieder einmal eine Vorreiterrolle übernommen. Und, Herr Kollege Sielaff, der bayerische CSU-Landwirtschaftsminister Reinhold Bocklet hat in seinem Ministerium mehr Finanzmittel zur Förderung der nachwachsenden Rohstoffe zur Verfügung als alle SPD-regierten Bundesländer zusammen.
({7})
Auffallend im Agrarbericht 1995 ist, daß unter den alten Bundesländern Bayern das einzige ist, in dem die Bauern einen Einkommenszuwachs von 2,6 % verzeichnen konnten. Die Auszahlung des Länderanteils beim soziostrukturellen Einkommensausgleich durch den Freistaat Bayern hat dabei entscheidend mitgewirkt.
Herr Kollege Sielaff, es ist schon ein Stück Heuchelei und Unverfrorenheit,
({8})
wenn die SPD in ihrem Antrag den Eigenkapitalverlust vieler Betriebe beklagt und dort, wo sie in den Ländern die politische Verantwortung trägt, den Bauern berechtigte Ausgleichszahlungen vorenthalten werden.
({9})
Auf der anderen Seite werden die Bauern durch überzogene Auflagen schikaniert. Wer sich so verhält, ist agrarpolitisch unglaubwürdig.
({10})
Die Angst vor einer Bundesumwelt- und Landwirtschaftsministerin Griefahn war bei den bayerischen Bauern so groß, daß sie mit über 85 % die CSU gewählt haben.
({11})
Ich bin der Meinung, die Angst war begründet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die deutsche Landwirtschaft hat in den letzten Jahren einen enormen Wandel im Osten und im Westen ertragen müssen. Wir müssen jetzt dafür sorgen, daß die Rahmenbedingungen so vorgegeben werden, daß die Bäuerinnen und Bauern in unserem Land eine Chance erhalten, an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilzunehmen.
In keinem Land der Welt sind im Verhältnis zur Kaufkraft die Nahrungsmittel so billig wie in Deutschland. Wer, wie die Kommission in Brüssel, weiter Preisdruckpolitik betreibt, muß wissen: Man kann die Agrarpreise so weit absenken, bis keine Bauern mehr da sind. Die Zeche würden dann mit Sicherheit die Verbraucher bezahlen.
Vielen Dank.
({12})
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Dr. Gerald Thalheim.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister, im vorliegenden Agrarbericht mußten Sie einräumen, daß im früheren Bundesgebiet im Wirtschaftsjahr 1993/94 die Gewinne der landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe um 6,1 % zurückgingen. Von einer ganzen Reihe Redner wurde das hier bestätigt. Herr Susset, ob man das lediglich als „durchwachsen" bezeichnen kann? Da wäre ich skeptisch. Ich bin der Meinung, viele der Betroffenen sehen das sehr dramatisch. Die Verunsicherung und die Zukunftsängste bei den Landwirten sind groß.
Herr Bundesminister, daran ändert auch die Tatsache nichts, daß Sie für das Wirtschaftsjahr 1994/95 wieder eine Einkommenssteigerung prophezeien, ohne - das räumen Sie ein - daß der Stand der Vorjahre wieder erreicht werden soll. Angesichts der aktuellen Risiken auf den Kapitalmärkten finde ich eine solche Prognose mehr als gewagt. Der deutschen Landwirtschaft drohen auf Grund der D-Mark-Aufwertung erhebliche Wettbewerbsnachteile. Ich kann Sie von dieser Stelle aus nur auffordern, alles in Ihrer Macht Stehende zu tun, um hier Nachteile für die deutsche Landwirtschaft abzuwenden. Das gilt auch für die Ausgleichszahlungen wegen Überschreitung der im Blair-House-Abkommen garantierten Ölsaatenflächen. Von einer Regelung, wie sie jetzt vorgesehen ist, wären vor allem die neuen Länder betroffen. Ich kann Sie nur auffordern, endlich das Regelungschaos in diesem Bereich zu beenden.
Herr Borchert, in der Haushaltsdebatte im September haben Sie für den Fall eines Wahlsieges der SPD davor gewarnt, daß Landwirtschaftspolitik aus dem Hinterzimmer des Umweltministeriums gemacht würde. Von einigen Rednern ist das hier wiederholt worden. Angesichts der Einkommensentwicklung der Landwirte wäre ich mit solchen Behauptungen wesentlich vorsichtiger.
Kollege Deß, es kann auch nicht die Lösung sein, daß Eigenkapitalverluste der Landwirtschaft mit öffentlichen Mitteln ausgeglichen werden. Auch wenn es in Bayern so ist, kann das nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Politikansatz an dieser Stelle falsch ist.
({0})
Um bei Ihrem Bild mit dem Hinterzimmer zu bleiben: Ich habe manchmal eher den Eindruck, Sie betreiben Politik wie aus dem Hinterzimmer einer WerDr. Gerald Thalheim
beagentur, mit vielen Broschüren - Sie wollen in Ihrem Etat allein 1,7 Millionen DM dafür ausgeben ({1})
und vor allem mit Ankündigungen.
({2})
- Ja, schön bebildert mit dem Konterfei des Ministers, Herr von Stetten. Da haben Sie schon recht.
({3})
Am Anfang war es Ihr sogenannter „neuer Weg". Dann kam die mindestens zehnmal verkaufte Erhöhung der Mittel für die einzelbetriebliche Förderung. Auch heute wurde das hier wieder genannt. In der Öffentlichkeit haben Sie es versäumt, darauf aufmerksam zu machen, daß die Mittel für die Gemeinschaftaufgabe, aus der diese ja kommen, gekürzt wurden und daß das Ziel mit Umschichtungen erreicht wird, daß also auf anderen Gebieten weggenommen wird.
Man fragt sich: Was wird Ihre nächste Ankündigung sein? Bei der Agrarsozialreform kündigten Sie großartige Änderungen bei der Pflichtversicherung in einigen Bereichen an,
({4})
obwohl Sie sehr genau wissen, daß die erreichten finanziellen Stabilisierungen über die Defizithaftung des Bundes die solidarische Pflichtversicherung zur Voraussetzung hatten. In der Öffentlichkeit haben Sie versucht, den Eindruck zu erwecken, als wäre es die SPD, die sich einer solchen Korrektur entgegenstellte. Herr Minister, richtig ist, daß Sie mit dem Ansinnen, die Befreiungstatbestände zu erweitern, bereits bei Ihren eigenen Sozialpolitikern gescheitert wären, erst recht beim Bundesfinanzminister. Herr Minister, so kann man als ehemaliger Haushälter nicht Politik betreiben.
Deshalb möchte ich hier ausdrücklich positiv feststellen, daß die Kollegen Susset und Heinrich für die Koalitionsfraktionen am erreichten Konsens bei der Altersversorgung der landwirtschaftlichen Familien festhalten wollen. Dies begrüßen wir ganz außerordentlich.
({5})
Auch der Bundeskanzler hat gegenüber dem Deutschen Bauernverband ausdrücklich die zukunftsweisende Agrarsozialreform gelobt.
Sie bringen den Einwand, daß es doch Verbesserungen gegeben habe. Wichtig ist aber vor allem, erst einmal die Betroffenen umfassend zu informieren. Ein Großteil der Kritik geht auch auf mangelnde Kenntnisse zurück.
Eine Verbesserung halten wir tatsächlich für außerordentlich wichtig: die Durchlässigkeit zwischen den Systemen. Daß Anwartschaften mitgenommen werden können, war auch unser Vorschlag schon bei der Formulierung des Agrarsozialreformgesetzes. Ich kann Sie nur auffordern, diese Möglichkeiten aufzugreifen. Wir sind hier auf alle Fälle zu einem Gespräch und zu Verbesserungen in der Sache bereit.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sielaff?
Ja.
Herr Kollege Thalheim, ist Ihnen bekannt, daß es - Sie wissen, wir haben in der Fraktion darüber diskutiert, daß die Durchlässigkeit und einige Korrekturen an der Agrarsozialreform sinnvoll sein können - einen Brief unseres Kollegen Schreiner an den Minister Blüm gibt, aber der Minister Blüm bisher das von uns erbetene Gespräch nicht zustande kommen läßt?
({0})
Ich halte das nicht nur für sinnvoll, Herr Kollege Sielaff, sondern auch für notwendig. Ich wiederhole mich an dieser Stelle: In nächster Zeit muß darüber diskutiert werden; aber wichtig ist, hier erst einmal die Entwicklung abzuwarten. Wir müssen die Beratung der Betroffenen verstärken. Sozialpolitik ist im Grunde genommen Politik für den Einzelfall, in den alle Dinge bis hin zur Sozialbiographie eingehen. Hier ist einfach eine umfassende Information im Einzelfall notwendig.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?
Ja.
Herr Kollege Thalheim, sind Sie mit mir der Meinung, daß wir die einzelnen Positionen sehr sorgfältig überprüfen müssen, daß wir abwarten müssen, bis wir von den Alterskassen auch entsprechende Statistiken vorgelegt bekommen, um dann auch die Einzelfälle richtig würdigen zu können, und daß wir uns davor hüten sollten, Schnellschüsse auch in der Form, wie sie gerade vom Kollegen - ({0})
- Gespräche darüber sind nur sinnvoll, wenn man Unterlagen dafür hat.
Herr Kollege Heinrich, nicht anders wollte ich mein Plädoyer verstanden wissen. Bloß wäre es richtig gewesen, Sie hätten diese Hinweise bereits einmal innerhalb der KoaliDr. Gerald Thalheim
tionsfraktionen gegeben, als es um die Abfassung der Presseerklärungen zur Ankündigung der Korrekturen im Agrarsozialreformgesetz ging.
({0})
- Das ist aber ein erheblicher Mangel, wenn er Sie als profilierten Sozialpolitiker Ihrer Fraktion nicht konsultiert.
({1})
Herr Dr. Thalheim, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Deß?
Ja.
Herr Kollege Thalheim, sind Sie bereit, bezüglich des Vorwurfs des Kollegen Sielaff, Minister Blüm habe einen Brief nicht beantwortet, zur Kenntnis zu nehmen, daß im Hause Blüm Staatssekretär Rudolf Kraus für die Agrarsozialreform zuständig ist und dieser nach einer schweren Erkrankung erst seit Montag wieder im Hause Blüm anwesend ist?
({0})
Herr Kollege Deß, die Bundesregierung hat so viele Staatssekretäre, daß ich der Meinung bin, es hätte sich durchaus jemand finden lassen, der diesen Brief beantwortet.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nach den Angaben des Agrarberichts - damit möchte ich zu einem weiteren schwierigen Problem kommen - ist der Einkommensrückgang vor allen Dingen die Folge niedrigerer Erzeugerpreise insbesondere bei Schlachtvieh, in zunehmendem Maße auch bei Milch. Erst gestern abend konnten wir zu diesem Thema eindrucksvolle Zahlen hören. So deutlich diese Aussage ist - auch heute hier in der Debatte -, so unklar bleibt, welche Schlußfolgerungen die Bundesregierung aus dieser Entwicklung zieht. Im Agrarbericht zumindest finden sich kaum Hinweise darauf, wie die Bundesregierung dem begegnen will. Es besteht die Gefahr, daß alle Maßnahmen mit öffentlichen Geldern zur Einkommensstabilisierung in der Landwirtschaft durch einen weiteren Rückgang der Erzeugerpreise zunichte gemacht werden. Das Problem im Agrarsektor ist nicht, von einigen Ausnahmen abgesehen, die Konzentration auf der Seite der Produzenten, sondern die Konzentration bei den Abnehmern.
Solange sich die Großkonzerne der Lebensmittelverarbeitung und des Lebensmitteleinzelhandels von besonders niedrigen Preisen bei Fleisch und Milchprodukten, sprich: Sonderangeboten, einen Wettbewerbsvorteil im Kampf um die Märkte versprechen, werden alle unsere Bemühungen zur Erzeugerpreisstabilisierung ins Leere gehen.
({1})
Wenn ich das hier sage, so nicht in der Illusion, daß wir von seiten der Politik viele Möglichkeiten zur Korrektur hätten. Ich sage das vor allem unter dem Aspekt, das öffentliche Bewußtsein für diese Entwicklung zu schärfen.
Die Landwirte brauchen die Verbraucher als Verbündete in der Auseinandersetzung um angemessene Preise für gute Qualität, wobei wir bei guter Qualität nicht nur an die Einhaltung lebensmittelhygienischer Vorschriften denken. Dazu gehören nach unserer Auffassung auch die Bedingungen, unter denen bestimmte Agrarerzeugnisse produziert werden. Dabei denke ich an Punkte wie den Tierschutz oder die umweltverträgliche Landwirtschaft. Die Ursachen für die Einkommensverluste sind jedoch nicht nur bei den Preisen zu suchen. In Ost und West wurden die Möglichkeiten der Kostenminderung zu wenig genutzt.
Es wäre eine Chance, Herr Bundesminister, für Ihren neuen Weg gewesen, hier Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Ich denke dabei an vielfältige Wege der Kooperation bis hin zur Erleichterung der Erschließung außerlandwirtschaftlicher Einkommensquellen. Nicht ohne Grund haben die Gesellschaften bürgerlichen Rechts in den neuen Ländern die besten Einkommensperspektiven. Im Rahmen der Umstrukturierung nimmt ihre Zahl deutlich zu. Ich denke, das könnte auch ein Beispiel sein und Modellcharakter haben, was die Lösung der Probleme in der Landwirtschaft in den alten Ländern, vor allem auf dem Gebiet der Einkommen, anbelangt.
Herr Bundesminister, mir geht es ähnlich wie Ihnen. Die Zeit ist zu kurz - bei mir natürlich in umgekehrtem Sinne -, um die Versäumnisse der Bundesregierung in den zehn Minuten aufzuzählen. Ich habe mir noch vier Punkte aufgeschrieben, was die neuen Länder anbelangt. Lassen Sie mich auf zwei Aspekte eingehen.
Trotz aller positiven Entwicklungen - herauszuheben sind die Investitionen im Vermarktungsbereich -gibt es nach wie vor große Probleme. Es wäre ein Fehler, einzelne positive Beispiele der Einkommensentwicklung dafür zu benutzen, die Förderung insgesamt zurückzufahren. Der Rückgang der Tierbestände ist ausreichend Beleg dafür, wie kompliziert die Situation ist.
Ich bin der Meinung, wir brauchen Korrekturen vor allem auf zwei Gebieten. Zum einen sind die Basisflächen zu nennen. Sie wissen, daß in den nächsten Jahren die prämienbegünstigten Flächen um 150 000 ha zurückzufahren sind. Das würde eine ganze Reihe Betriebe vor erhebliche Schwierigkeiten stellen und die Einkommen weiter reduzieren. Der andere Punkt sind nach wie vor die Probleme bei der Entschuldung. Beide Schwerpunkte wirken nicht sofort. Es gibt erst einmal noch Luft in den nächsten
Jahren. Wenn wir aber eine zukunftsträchtige Entwicklung der Betriebe herbeiführen wollen, dann sind Lösungen für die beiden Probleme notwendig. Ich kann Sie nur bitten, diese Hinweise aufzunehmen. Nicht umsonst hat auch der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Herr Heereman, gefordert, bei den Altschulden etwas zu unternehmen. Ich kann mich diesen Forderungen nur anschließen.
Besten Dank.
({2})
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Ulrich Heinrich.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Zustand des Waldes ist fast vergleichbar mit der finanziellen Situation unserer Landwirtschaft. Fast 30 % sind in ihrer Existenz bedroht. Ich glaube, das ist eine Zahl, die man zur Kenntnis nehmen muß und die auch dieser Agrarbericht deutlich ausweist. Ich möchte mich aber in meiner Rede nicht auf die Situation im Agrarbereich konzentrieren, sondern mich mehr mit dem Waldzustandsbericht auseinandersetzen. Aber bevor ich hierauf näher eingehe, möchte ich noch einmal die grundlegende Bedeutung des Waldes für die gesamte Gesellschaft verdeutlichen.
Deutschland ist zu nahezu 30 % mit Wald bedeckt. Damit stellt der Wald für uns auch flächenmäßig einen unverzichtbaren Teil menschlichen Lebensraums dar. Der Wald bietet vielfältige Nutz-, Schutz-und Erholungsfunktionen. Davon profitiert letztendlich die gesamte Gesellschaft.
({0})
Dieses vielfältige Leistungsangebot konnte bisher nahezu kostenlos von allen Bürgern genutzt werden, da die Waldbesitzer die Finanzierung der Pflege und Aufrechterhaltung aus dem Erlös des Holzes erwirtschaften konnten.
Die Gesunderhaltung des Waldes ist untrennbar mit einer rentablen Forstwirtschaft gekoppelt. Lohnt sich die Arbeit im Forst nicht mehr, ist die Gesundheit des Waldes doppelt gefährdet.
({1})
Deshalb muß den Waldbesitzern wieder eine vernünftige Perspektive geboten werden. Dies ist aus ökologischen und ökonomischen Gründen sinnvoll und richtig.
Wir wissen heute sehr viel mehr über die Ursachen und Verursacher der Waldschäden als noch vor zehn Jahren. Möglich war dies nur durch eine intensive Forschung. In diesem Zusammenhang ist natürlich die Frage wichtig, ob wir das zusätzliche Wissen zur Beseitigung der Schadursachen auch erfolgreich genutzt haben. Ich sage hier: zum Teil ja. Erfolge sind z. B. bei der Reduzierung der Schwefeldioxidemissionen und durch die Einführung des Dreiwegekatalysators erzielt worden. Ermutigend ist auch die Entwicklung in den neuen Bundesländern. Gegenüber den 36 % festgestellten deutlichen Schäden im Jahre 1990 hat es eine Verbesserung auf 23 % im Jahre 1994 gegeben. Das ist wirklich eine erfreuliche Tatsache, und daran sieht man auch, Herr Kollege Maleuda, was die Landwirtschaft bzw. die Volkswirtschaft in der damaligen DDR hinterlassen hat, das können wir heute langsam, aber sicher verbessern, im Gegensatz zu dem, was Sie uns vorhin hier erzählt haben.
({2})
Insgesamt besteht aber kein Grund zur Entwarnung. 25 % aller Bäume weisen deutliche Schäden auf, d. h. jeder vierte Baum hat einen Nadel- bzw. Blattverlust von mehr als 25 %.
({3})
Am stärksten betroffen sind die Laubbäume mit 30 %, wobei die Eiche mit 45 % vorn liegt.
Noch besorgniserregender ist die Entwicklung in den Höhenlagen über 500 m, z. B. im Schwarzwald. Dort sind die Waldschäden am deutlichsten zu registrieren; d. h. der Anteil der Waldflächen in den Schadstufen 2 bis 4 hat sich zwischen 1991 und 1994 um 11 % auf sage und schreibe 33 % erhöht. Das heißt, jeder dritte Baum ist deutlich geschädigt.
Meine Damen und Herren, wo liegt die Ursache für die weitere Verschlechterung des Waldzustandes? Unser Ökosystem ist ein hochkompliziertes und komplexes Gebilde, das auf Schadstoffe, wenn bestimmte Grenzen überschritten werden, mit starken Reaktionen antwortet. Diese kritischen Punkte wurden beim Wald teilweise wesentlich überschritten. Hauptverantwortlich dafür ist die Verbrennung fossiler Energieträger. Insbesondere der weiterhin steigende Kraftverkehr ist die Ursache für die zunehmende Schädigung des Waldes. Obwohl wir wichtige Erfolge bei der Verringerung der SO2-Emissionen erreichen konnten, hat der zunehmende Kraftverkehr diese Erfolge wieder kompensiert.
Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Erkenntnissen? Den Weg in die richtige Richtung zeigen nachwachsende Rohstoffe, regenerative Energien. Sie sind von zentraler Bedeutung auch zur Verbesserung des Waldzustandes. Dabei ist die Palette möglicher Nutzungen riesengroß. Die wichtigsten Einsatzbereiche sind zur Zeit der sogenannte Biodiesel und die thermische Nutzung von Biomasse. Gerade die bessere energetische Verwertung von Reststoffen aus der gewerblichen Be- und Verarbeitung von Holz, die das Stromeinspeisungsgesetz jetzt ermöglicht, oder die Förderung regionaler Blockheizkraftwerke genauso wie die Nutzung der Wind- und Wasserkraft gehören mit dazu. Schließlich stellt auch die Wärmedämmung von Gebäuden einen wichtigen Bereich dar, in dem nachwachsende Rohstoffe in der Zukunft eine bedeutende Rolle spielen werden.
({4})
Die in der Koalitionsvereinbarung beschlossene Markteinführung nachwachsender Rohstoffe ist ein erfolgversprechender Weg, um die Belastung mit klimarelevanten Emissionen zu senken und damit den Wald zu entlasten. Berechnungen zeigen, daß alleine die Verwertung des deutschen Biomassepotentials zur Wärme- und Stromproduktion den jährlichen CO2-Ausstoß um bis zu 120 Millionen t senken könnte. Um das einmal in die richtige Relation zu bringen: Dies wären nach den vorliegenden Berechnungen beachtliche 13 % weniger CO2-Emissionen als im Vergleichsjahr 1993. Dieses Potential, meine sehr verehrten Damen und Herren, muß genutzt werden; denn in relativ kurzer Zeit haben wir hier eine hohe Wirtschaftlichkeit zu erwarten.
({5})
Als weitere Maßnahme zur CO2-Minderung sollte generell eine aufkommensneutrale CO2-/Energiesteuer eingeführt werden, die als Lenkungssteuer einen sparsamen Energieverbrauch praktisch erzwingt. Darüber hinaus brauchen wir eine aufkommensneutrale Umlage der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer und die Einführung einer ökologisch sinnvollen und verkehrsunabhängigen Entfernungspauschale. Auch die Einführung treibstoffsparender Fahrzeuge würde natürlich dem Klima und dem Wald guttun. Als Beispiel sei hier nur der Treibstoffverbrauch von durchschnittlich drei Litern bei dem Swatchauto genannt.
Diese Maßnahmen müssen wir massiv fordern und unterstützen. Ich fasse zusammen: Diese Maßnahmen sind ökologisch sinnvoll und - ich bitte Sie, hier genau zuzuhören - finanzierbar für den Verbraucher und führen zudem zu einer Reduzierung unnötiger Bürokratie, wie wir sie heute leider Gottes haben.
({6})
Das sind entscheidende Vorteile, die insbesondere im direkten Vergleich, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, auffallen. Die Erhebung zusätzlicher Abgaben und Steuern, wie Sie das immer wieder fordern, ist keine sinnvolle Alternative. Was grüne Umweltpolitik heißt, wird deutlich, wenn man sich die vorgeschlagenen Maßnahmen noch einmal vor Augen führt. Das hört sich dann so an: Einführung einer Schwerverkehrsabgabe, Einführung einer Stickstoffabgabe, Erhöhung der Mineralölsteuer auf runde fünf Mark,
({7})
sofortiger Ausstieg aus der Kernenergie und natürlich die Einführung einer Energiesteuer als Ersatz für den Kohlepfennig.
Ein solches Sammelsurium von Vorschlägen, die nicht zu Ende gedacht sind, bringt unserer Umwelt überhaupt nichts. Meine Damen und Herren, Ihre Vorschläge sind vom Bürger schlichtweg nicht finanzierbar. Das kann sich nur eine ganz geringe Upper-class leisten,
({8})
wo Sie, Herr Fischer, Ihr Klientel in der Zukunft offensichtlich vermuten. Aber der durchschnittliche Arbeitnehmer, der Arbeiter, kann dieses Programm nicht finanzieren.
({9})
- Mir als gestandenem Hohenloher Bauer - Herr Fischer, hören Sie zu! - brauchen Sie nicht vorzumachen, wer hier der Anwalt kleiner Leute ist und wer es nicht ist.
({10})
- Das weiß ich, deshalb sage ich das ja direkt zu Ihnen. Ich bin erst vor wenigen Tagen durch Ihren ehemaligen Wohnort gefahren.
({11})
- Ich weiß, unten im Tal.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wo es darum geht, die Verursacher von klimarelevanten Emissionen zu suchen, können wir selbstverständlich auch nicht die Landwirtschaft außen vor lassen. Es wäre unredlich, hier so zu tun, als würde nicht auch die Landwirtschaft einen negativen Beitrag dazu leisten. Wir sind aufgefordert, mitzuhelfen, daß die Methan-, Ammoniak- und die Distickstoffoxidemissionen, das sogenannte Lachgas, in Zukunft reduziert werden. Dabei machen wir selbstverständlich mit, und ich fordere die Bundesregierung auf, durch entsprechende Rahmenbedingungen und Unterstützungen auch Investitionen mitzufördern.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich sage aber eines: Nicht richtig ist die Behauptung der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, daß die Landwirtschaft der Hauptverursacher für das Waldsterben sei. Das ist total daneben.
({0})
Die deutsche Landwirtschaft macht selbst nach dem Bericht der Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" nur einen ganz geringen Teil der Waldbelastung aus. Aber ich stehe dazu, und ich bin bereit, daran mitzuarbeiten, auch diesen geringen Teil abzubauen.
({1})
- Ich habe es gerade gesagt. Hätten Sie zugehört, wüßten Sie es.
({2})
Herr Präsident, ich habe noch einen schönen Schlußsatz.
({3})
Leider ist der Wald längst nicht mehr die Sparkasse der Bauern. Die Gesellschaft hat diese Reserve der Landwirte angezapft und den Wald ohne Entschädigung als Deponie für die von ihr verursachten Luftschadstoffe benutzt. In der Sparkasse sind deshalb allenfalls noch Hosenknöpfe.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich erteile nun das Wort der Kollegin Steffi Lemke.
Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor uns liegt der Waldschadensbericht der Bundesregierung 1994. Ich gratuliere Ihnen zu diesem Werk, Herr Borchert. Ihnen ist es gelungen, wenn auch auf hohem Niveau, den Schaden zu begrenzen. Alles wird wieder gut werden. - So jedenfalls will der vorliegende Bericht gelesen werden, und so suggerieren es uns auch die Koalitionsredner.
Unsere Aufgabe als Oppositionsfraktion in diesem Bundestag ist es aber nicht, etwas schönzureden. Das können andere ohnehin viel besser als ich. Wir haben die vorgelegten Leistungsnachweise der Bundesregierung kritisch zu überprüfen. In dieser Hinsicht ist der Waldschadensbericht leider ein sehr dankbares Aufgabengebiet.
Herr Borchert, es ist nicht nur kein Anlaß zur Entwarnung gegeben, sondern auch Zeit, die Warnung des Waldökosystems endlich ernst zu nehmen.
({0})
Ich möchte nicht nur die Kirche im Dorf lassen, sondern auch die Bäume. Ich hätte mir deshalb auch gewünscht, Herr Maleuda, daß Sie etwas intensiver auf den Waldschadensbericht eingegangen wären und diese Debatte nicht als Eigentumsdebatte mißbraucht hätten.
({1})
Der Bericht sagt aus, daß die Waldschäden das hohe Niveau der Vorjahre beibehalten haben. Diese Tatsache an sich ist schon bedrohlich genug. Sie spiegelt aber nur die halbe Wahrheit wider, nämlich den bundesweiten Durchschnitt. Wenn wir aus der heutigen Bundesrepublik die Länder gesondert betrachten, für die Sie seit 10 und mehr Jahren zuständig sind, hilft auch der tiefste Griff in die Wundertüte der Statistik nicht mehr viel. Im Klartext: In den mordwestdeutschen Bundesländern ist der Anteil der optisch gesunden Bäume der niedrigste seit Beginn der
Schadenserfassung 1984, und noch nie war ein so hoher Prozentsatz der Bäume geschädigt. Eine ähnliche Tendenz ist für die südlichen Bundesländer zu beobachten. Hier ist noch ein knappes Drittel der Bäume optisch gesund; noch nie gab es wie 1994 29 % stark geschädigte Bäume.
Inzwischen ist die lebenswichtige Filterfunktion des Waldes so stark beeinträchtigt, daß teilweise Schadstoffausträge - das muß Mann und Frau sich auf der Zunge zergehen lassen - in umweltbelastendem Ausmaß aus dem Wald zu verzeichnen sind. Ich kann dies bei bestem Willen nicht als ein Verharren auf hohem Niveau interpretieren, sondern nur als eine weitere deutliche Verschlechterung des Waldzustandes.
({2})
Gemessen an Ihren eigenen Ansprüchen und Ankündigungen sind 10 Jahre Waldschadensbericht 10 vergeudete Jahre.
Besser wirkt auf den ersten Blick die Entwicklung in den neuen Bundesländern, die im Gesamtdurchschnitt positive Akzente setzt. Aber an welchem Maßstab orientiert sich diese Einschätzung? Daß der großflächigen Deindustrialisierung im Osten dieses Landes, also dem Sterben zugegebenermaßen schadstoffschleudernder Betriebe auch geringere Schadstoffniedergänge folgen, ist logisch. Diese gerade im sozialen Bereich mit verheerenden Folgen belastete Entwicklung aber in der Hochglanzverpackung „Waldzustandsbericht" zu verkaufen grenzt an Zynismus.
({3})
Ich komme aus einem Bundesland, in dem die Entwicklung als besonders positiv dargestellt wird. Entwarnung in Sachsen-Anhalt? Um diese Frage zu beantworten, bringt ein kleiner Spaziergang in den Elbauen mehr als Ihr Waldschadensbericht. Der Zustand unserer Eichen dort ist erschreckend und verschlechtert sich nach wie vor. Die Überlebenschancen der Bäume sind in der Summe gering. Dabei sind die meisten dieser Riesen, die unter normalen Bedingungen 1 000 Jahre und mehr alt werden können, nicht einmal 200 Jahre alt. Hier stirbt nicht allmählich eine Baumart, hier stirbt eine Landschaft.
Von einer solchen Entwicklung ist im Waldschadensbericht nichts zu lesen, was auch auf seine systematischen Schwächen zurückzuführen ist. Stark geschädigt geschlagene, sozusagen notgeschlachtete Bäume tauchen im Waldzustandsbericht erst gar nicht auf. Im Gegenteil, sie wirken sich durch ihr Nichtauftauchen positiv auf die Gesamtstatistik aus. Durch die Darstellung von reinen Länderdurchschnittswerten wird die regional teilweise drastische Entwicklung außerdem verdeckt. Selbst an zusammenhängenden Waldstücken ändert sich an Ländergrenzen auf wunderbare Weise die Entwicklungstendenz.
Betrachtet wird des weiteren nur der Zustand der Baumkronen. Aussagen z. B. zum Zustand des Waldbodens - überlebenswichtig vor allem für die Wälder kommender Generationen - werden nicht getroffen.
Wurzelschäden sind kein Kriterium. Die ausschließliche Fixierung auf Kronenschäden macht nur Spätwirkungen deutlich und verschleiert die jetzige Tendenz.
Ich will gar nicht leugnen, daß einige technische Entwicklungen der letzten Jahre den Schadstoffeintrag, insbesondere von Schwefel, gesenkt haben. Diese zu begrüßende Entwicklung reicht aber bei weitem nicht aus, um die notwendigen Verbesserungen des Waldzustands zu erreichen. Die positiven Wirkungen der Katalysatoreinführung werden z. B. durch das ungebrochene Wachstum des Verkehrsaufkommens und die weitere Verlagerung von Güterverkehren auf die Straße mehr als neutralisiert.
Ich stehe hier heute als eine der jüngsten Bundestagsabgeordneten vor Ihnen und fordere Sie deshalb auf, Herr Borchert und die Regierungskoalition, die Zukunftssicherung für folgende Generationen zu betreiben, und zwar eine Zukunftssicherung, die diesen Namen auch verdient.
({4})
Die Instrumentarien dazu liegen bereit. Einige von ihnen hat Herr Heinrich genannt. Ich bleibe dabei, daß wir eine ökologische Steuerreform brauchen, die nicht aufkommensneutral ist. Was Sie versprechen - nachwachsende Rohstoffe als Allheilmittel -, ist gerade im Bereich des Waldschadensberichtes auch nur eine Illusion. Sie wissen, daß der Stickoxidausstoß bei Biodiesel nicht niedriger ist als bei normalem Kraftstoff und daß gerade dieser Schadstoff im Augenblick der Hauptschädling für die Wälder ist.
Die Rettung unserer Waldbestände ist keine Aufgabe, die zum Aussitzen taugt. Das sollten Sie in den letzten zehn Jahren gelernt haben. Die Bevölkerung dieses Landes weiß dies auch. Nach einer Burda-Umfrage aus dem Jahre 1993 wären 77 % unserer Bürgerinnen und Bürger bereit, im Jahr 100 DM für die Aufforstung geschädigter Wälder zu spenden. Sie sehen, werte Ministerinnen und Minister, wie groß der Glaube der Bevölkerung in Ihre Umweltpolitik immer noch ist.
In meiner Heimat sind zur Zeit Luther-Zitate sehr in Mode. Eines kennt fast jeder, und mit diesem möchte ich schließen:
Und wenn ich wüßt', daß morgen die Welt untergeht, würd' ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.
({5})
Lassen Sie sich hinsichtlich des Waldschutzes von diesem durch Aktivität geprägten Optimismus zu unser aller Nutzen leiten.
Danke.
({6})
Frau Kollegin, das war Ihre erste Rede in diesem Hause. Ich möchte Ihnen nach der Übung dazu herzlich gratulieren.
({0})
Ich erteile nun dem Kollegen Ulrich Junghanns das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich noch einmal den Fragen der Landwirtschaftsbetriebe in unseren jungen Bundesländern zuwenden. Dafür ist eine Vorbemerkung notwendig, um Tatsachen sprechen zu lassen.
Betreffs der jungen Bundesländer wird heuer aus dem Agrarbericht 1995 immer so vordergründig herausgelesen, den Bauern im Osten gehe es besser als den westdeutschen. Als Abgeordneter aus Brandenburg könnte ich ja an solchen Erfolgsszenarien Freude hegen, wenn, ja, wenn solche oberflächlichen, undifferenzierten Betrachtungen nicht so trügerisch wären.
({0})
Der Agrarbericht ist zwar durch ein weiter ausgereiftes Netz ausgewerteter Landwirtschaftsbetriebe belegt; die Ergebnisse reichen jedoch noch nicht für eine Hochrechnung. Sie werden wie in den Vorjahren als arithmetische Durchschnitte ausgewiesen. Gesicherte Aussagen über die nachhaltige wirtschaftliche Lage der Landwirtschaftsbetriebe in den verschiedenen Rechtsformen sind noch nicht möglich.
Davon ausgehend, wird die agrarpolitische Betrachtung erst solide, wenn neben der Gewinnbetrachtung gleichermaßen gesehen und gewertet wird, daß ostdeutsche Vollerwerbsbetriebe eine sehr dünne Kapitaldecke und die Landwirtschaftsbetriebe aller Rechtsformen einen höheren Investitionsbedarf bei geringer Deckung haben, die bei großer Fremdfinanzierungsbelastung die Unternehmensstabilität beeinträchtigen.
Im Agrarbericht wird deshalb richtig resümiert, daß die Ergebnisse nach wie vor von der anhaltenden Umstrukturierung geprägt sind - eine beispiellose Umstrukturierung, wie ich meine, bei der im Rückblick der wohl schwierigste Streckenabschnitt zurückgelegt wurde. Nach zwei Anwendungsjahren der Agrarreform haben sich die 22 477 Vollerwerbsbetriebe, Einzelunternehmen und Personengesellschaften sowie rund 2 800 juristische Personen privaten Rechts weitestgehend auf die Rahmenbedingungen eingestellt. Ich möchte entgegen anderen Darstellungen in dieser heutigen Debatte hervorheben, daß diese sehr wohl unternehmerische Visionen haben, die sie auch mit Kraft und Energie umzusetzen gewillt sind.
Das bestätigt, meine ich, die agrarpolitische Kursbestimmung von Koalition und Bundesregierung. Zudem sprechen diese Fortschritte für die unternehmerischen Leistungen der Bauern unserer Länder, was
auch einmal von dieser Stelle Anerkennung finden soll.
({1})
Dabei bin ich überhaupt nicht geneigt, Mißstände unter den Teppich zu kehren. Schwarze Schafe sind kein spezifisches ostdeutsches Problem, aber nach der Erfahrung, daß schon eine schlechte Bohne den Kaffee verderben kann, muß in unseren Ländern auch heute noch Hinweisen nachgegangen werden, die beispielsweise auf Geschäftsführungen hindeuten, denen persönlich das Hemd näher ist als der Rock und die die Unternehmen samt Existenzen gefährden oder Vermögensauseinandersetzungen hintertreiben.
Unsere bisherigen Erfahrungen, meine Damen und Herren, lassen uns mit einer sehr klaren Problemsicht zuversichtlich auf den weiteren Umstrukturierungsprozeß der ostdeutschen Land- und Ernährungswirtschaft blicken. Maßgeblich ist dafür, daß die EU-gestützten Fördersonderkonditionen für unsere jungen Länder bis 1996 Gültigkeit haben. Gleichzeitig sind mit dem Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts, dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz und dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz wichtige Rahmenbedingungen für die weitere Unternehmensoptimierung gesetzt. Diese werden und wollen aber niemandem - das möchte ich betonen - das unternehmerische Risiko abnehmen. Hier teile ich die Erwartung, daß das im Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz begründete Bodenerwerbsprogramm nun schnell umgesetzt wird.
Dringender ist aber noch, weil keine Pachtphase vorgeschaltet ist, die Privatisierung des Waldes unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten des Gesetzes ohne Verzug in Gang zu setzen. Zu Recht erwarten die Beteiligten da einfache Verfahrensregeln.
Lieber Kollege Maleuda, an dieser Stelle möchte ich sagen: Die ideologische Mär von der Verteufelung des Privatwaldes lassen wir lieber im Stall stehen. Ich empfehle, im Waldgesetz zur Sozialverpflichtung des Waldbesitzes nachzulesen. Ich glaube, da können wir auch erleben, daß wir auf diesem Gebiet der Waldpflege sehr gut vorankommen.
Die brennendste Frage ist aber jetzt, meine Damen und Herren: Wie wird die Förderkulisse für die Betriebe in unseren neuen Ländern ab 1. 1. 1997 aussehen? - Meine Auffassung ist:
Erstens. Die zukünftige einheitliche deutsche Agrarpolitik muß offensiv die tatsächlichen strukturellen Unterschiede berücksichtigen sowie die fortschreitende Entwicklung zu effizienten Betriebsstrukturen wirksam unterstützen. Die vom Bundeskanzler gegenüber dem Berufsstand für die Landwirtschaft in Deutschland formulierte Zukunftsmaxime „Einheit in Vielfalt" trifft den Kern der Sache.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sielaff?
Herr Sielaff? Natürlich, bitte schön.
Herr Kollege, Sie sprachen soeben die Vielfalt der Betriebsformen an. Können Sie mir vielleicht sagen, wie Sie folgende Äußerung unseres Kollegen Norbert Schindler hier im Deutschen Bundestag, des pfälzischen Bauernpräsidenten - der an der Debatte hier leider seit längerer Zeit nicht teilnimmt -, bewerten? Er hat nach einem Zeitungsbericht am 4. März erklärt:
Er sehe die Zukunft der Landwirtschaft insbesondere in einer gesunden mittelbäuerlichen Struktur und erteilte Großbetrieben, wie sie in Frankreich vorzufinden sind, eine Absage.
- Jetzt kommt der entscheidende Satz -:
Auch die Großbetriebe in den neuen Bundesländern müßten verkleinert werden, sagte der Bauernpräsident.
Herr Schindler ist Ihr Kollege. Meine Frage: Wie bewerten Sie diese Aussage, wenn Sie von der Vielfalt der Betriebe sprechen?
Ich sage Ihnen und meinem Kollegen Schindler, daß ich bei der Strukturentwicklung sowie bei Optionen und Visionen dieser Entwicklung in der zweiten Instanz von Größenordnungen spreche und in erster Instanz für mich wichtig ist, welches tragfähige Unternehmenskonzept in Gang kommt.
Für mich ist das - weil die Diskussion zu oberflächlich geführt wird - keine Frage nach Größenordnungen. Sie ist an einer Stelle, was die Umweltverträglichkeit angeht, natürlich eine sehr relevante Frage. Aber wir sollten uns auf diesem Weg, auf dem wir, glaube ich, gemeinsam noch zu lernen haben, doch nicht durch solche kontroversen Fragen letztlich in Grabenkämpfe zurückziehen, sondern uns die Offenheit bewahren, über neue Wege nachzudenken.
Herr Sielaff, Sie möchten noch eine Frage stellen? - Bitte.
Herr Kollege, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie sagen, daß diese Diskussion überflüssig ist, Gräben aufreißt und allein die Umweltverträglichkeit nach Ihrem Verständnis Kriterium für die Größe der Betriebe sein kann?
Sie haben mich falsch verstanden. Das ist nichts Neues. Diese Verkürzung gibt nicht meine Antwort im ersten Teil wieder.
Zweitens. Ich halte unter Berücksichtigung der Ziel-1-Gebietsfestlegung bis 1999 Forderungen nach unveränderter Verlängerung aller Sonderkonditionen für ebenso unvertretbar, wie es töricht wäre, glauben zu wollen, daß überhaupt keine Spezifizierungen neuer Bundesländer mehr notwendig seien.
Vor allem die Tierproduktion bedarf gegenüber den entwickelten Marktfruchtbetrieben weitergehender Flankierungen. Das ist ein akutes Problem, wie das schon verschiedene Vorredner hier anführten.
Mangelnde Kapitalausstattung für erforderliche Investitionen, aber ebenso die verbreitete Unternehmensauffassung, sich zunächst einmal auf der sicheren Seite des Marktfruchtanbaus bewegen zu wollen, werden heute als Gründe angeführt, die im Zusammenhang mit der Diskussion um den drastischen Tierbestandsabbau geführt werden.
Das kann es aber nicht gewesen sein. Das sage ich ganz bewußt auch an die Bauern in den neuen Bundesländern. Unternehmenserträge aus Arbeit sind vor allem über eine moderne Veredlung machbar. Da füllen die ostdeutschen Unternehmen ihre eigentliche Marktposition noch nicht aus.
Man hat ja bis zu einem bestimmten Punkt Verständnis, wenn Landesminister den Druck abwälzen wollen, indem sie wieder einmal zu dieser Frage mehr investive Hilfen vom Bund einfordern. Aber bei diesem Problem ist der Handlungs- und Gestaltungsspielraum in den Ländern tatsächlich größer. Die Ziel- 1 -Gebietsfördermittel sowie das Investitionsfördergesetz Aufbau-Ost bieten den Rahmen für landes-spezifische, problembezogene Investitions- und Kapitalhilfen, wenn man das will. Ich meine, in diesem Saal müßten wir uns als Agrarpolitiker darüber einig sein, daß in den neuen Bundesländern diese Mittel nicht an der Land- und Forstwirtschaft vorbeigetragen werden.
Nun noch zur Grundflächenüberschreitung in unseren jungen Ländern: Nach der Aufstockung 1993 um 331 000 ha zeigt die Überschreitung von 134 000 ha 1994, daß noch immer ein Basisflächenproblem besteht. Die Bemühungen der Bundesregierung, den Sanktionsmechanismus abzuwenden, sind bislang in Brüssel auf Granit gestoßen. Unvoreingenommen muß auch einmal hervorgehoben und anerkannt werden, daß allseits bekannte Sanktionsverfahren nicht dazu vereinbart sind, um sie dann im Überschreitungsfall auszusetzen. Darauf sollte man sich langsam, aber sicher einstellen.
Aus Erkenntnis der Sanktionswirkungen in unseren Ländern, besonders in Brandenburg mit einem ohnehin großen Stillegungsanteil, auf die Betriebsergebnisse bitte ich Sie dennoch, Herr Bundesminister Borchert, weiterhin für Erleichterungen einzutreten.
Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich komme zum Schluß.
Das heißt, Ihre Redezeit ist schon vorbei.
Ein kurzer Gedanke noch. - Denkbar ist, die zusätzlichen Stilllegungen nicht auch noch mit dem Abzug von Ausgleichszahlungen zu belegen und im Jahre 1995 Saldierungsmöglichkeiten einzuräumen. Auch sollte untersucht werden, welche Ursachen zur Überschreitung geführt haben.
({0})
Wir stellen fest, Herr Fischer, daß sie in unseren Ländern vor allen Dingen auf die zusätzliche Inanspruchnahme freiwilliger Flächenstillegung zurückzuführen ist.
({1})
Sie müssen jetzt wirklich aufhören, Herr Kollege.
Ich möchte damit sagen
Nein, Sie möchten jetzt nichts mehr sagen. Es ist jetzt eine Minute überzogen.
- daß diese differenzierte Betrachtung auch eine differenzierte Reaktion möglich machen sollte.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Heidi Wright.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Alle Jahre wieder schlagen im Mai die Bäume aus, fallen im Herbst die Blätter und legt die Bundesregierung im Dezember den Waldschadensbericht vor. Das war einmal. Im Mai schlagen immer weniger Bäume aus, weil viele den Winter- und Frühjahrsstürmen zum Opfer gefallen sind. Im Herbst fallen immer weniger Blätter, weil von Bäumen der Schadensgruppe 4 und 5 eh nichts mehr fällt, und der Waldschadensbericht im Dezember ist zu einem Waldzustandsbericht mutiert, eine rein rhetorische Schadensbegrenzung.
Herr Minister Borchert hat sich auch nur in dürren Worten dem Waldzustandsbericht gewidmet. Das paßt zu dem Zustand des Waldes: dürr.
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Seit mehr als zehn Jahren werden die Schäden, pardon, der Zustand des Waldes statistisch erfaßt, werden Ursachen, Emittenten und Tonnen der Emissionen gemessen und aufgelistet. Um den Hauptverursacher der Waldschäden kann ein Wettkampf geführt werden. Das beruhigt dann den jeweiligen Verlierer. Aber nicht Ablenkungs- und Verharmlosungsstrategien, Betroffenheits- oder VerdrängungsrhetoHeidi Wright
rik, sondern politische Verantwortung müssen endlich Platz greifen, mit dem einzigen Ziel, Schadstoffeinträge in großem Maße zurückzuführen und dem Wald und uns selbst zum Überleben zu verhelfen,
({1})
auch in dem Wissen und der Bürde, daß selbst radikale Minderung der Schadstoffeinträge noch lange zu einer Verschlechterung der Böden, des Trinkwassers, des Klimas und des Waldes führt; denn die Gifteinträge sind nachhaltig. Es hat aber gar keinen Zweck, die Kummerfurche entlangzuharken und Verantwortlichkeiten umzuschichten, Statistiken durch Weglassen der Schadensstufe 5 - die haben wir ja gar nicht - zu verschönen. Nein, wir müssen endlich handeln.
Es ist dies eine Querschnittsaufgabe des Wirtschaftsministeriums - dazu hat Herr Heinrich Worte gefunden -, des Umweltministeriums, des Landwirtschaftsministeriums, Herr Borchert, ja der gesamten Bundesregierung. Denn es geht selbstverständlich nicht nur um den deutschen Staats-, Körperschafts-und Privatwald. Es geht nicht nur um die Schwarzwaldtanne und die Spessarteiche. Es geht um die Rettung eines lebenswichtigen Ökosystems.
Kolleginnen und Kollegen, trotz aller richtigen Erkenntnisse in den Waldzustandsberichten der vergangenen Jahre und aller Beteuerungen in den Sonntags- und Bundestagsreden ist festzustellen: Ja, Herr Heinrich, wir wissen zwar immer mehr, verändern aber viel zuwenig.
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Ich will mich auf die Waldwirtschafts-, Forst- und Landwirtschaftspolitik beschränken, Herr Minister Borchert. Es ist festzuhalten: Der deutsche Wald ist Holzacker, der so langfristig keine wirtschaftliche Perspektive bieten kann. Denn er ist ein unnatürlicher, labiler Altersklassenwald. Das heißt, er ist zum Kahlschlag sortiert, aufgelistet nach Baumart und Baumalter. Er ist Monokultur, und es ist ihm eine monofunktionale Rolle zugedacht. Kriterien waren und sind kurzfristige Funktionalität und Rentabilität.
Weil ich ein optimistischer Mensch bin, suche, erkenne und benenne ich gern auch positive Entwicklungen. So ist festzustellen, daß sich bei privaten Waldbesitzern schon über Generationen die Erkenntnis durchgesetzt hat, daß naturnahes Wirtschaften und biologische Vielfalt des Waldes, also nachhaltige Waldwirtschaft, Segen bringt.
Schäden sind hier weit geringer als in den staatlich geführten Wäldern. Der privat geführte Wald ist weniger anfällig gegen Windbruch und Insektenplage, ist widerstandsfähiger, weil naturnah. Dennoch möchte ich nicht einem Ausverkauf des Staatswaldes hin zu einer Wald-AG das Wort reden, sondern einer Politik die nachhaltige Forstwirtschaft, ökologische Landwirtschaft und wirksamen Umweltschutz zum Schutz unserer Wälder festschreibt.
Herr Staatssekretär Gröbl, eine Wald-AG würde nicht die positive Waldpflege der privaten Waldbesitzer bringen. Diese Erfahrungen und diese Verantwortlichkeit ist dort in Generationen im Familienbetrieb weitergegeben worden. Aktionäre einer Wald-AG hätten sicherlich ganz andere Ziele.
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Ein weiterer Punkt: Es hat die Industriemanager der Auto-, Energie- und Schwerindustrie in der Vergangenheit nicht in den Schmollwinkel getrieben, als ihre tödliche, schädliche Luftfracht als Verursacher des Waldsterbens benannt wurde. Warum also, Herr Minister Borchert, jetzt, nach den drastischen Worten der Schutzgemeinschaft „Deutscher Wald", die jetzt die Landwirtschaft als Hauptverursacher der Waldschäden darstellt, der Schmollwinkel?
Es ist entbehrlich, die Rangfolge der Emittenten streitig zu diskutieren. Vielmehr muß nach dem Motto „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt" gehandelt werden.
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Aber, Herr Minister, Sie müssen die Gefahr erkennen, auch die Gefahr, die von der Landwirtschaft ausgeht. Ihre Aufgabe, Herr Minister Borchert - wir werden Ihnen im Ausschuß sehr gerne dabei helfen -, ist es doch, Land- und Forstwirtschaft, aber auch Umwelt- und Landwirtschaftspolitik aufeinander abzustimmen.
Nur eine ökologisch wirtschaftende Landwirtschaft mit der Verantwortung für ihre Produkte ebenso wie für die Böden, das Trinkwasser und den Wald findet die Akzeptanz der Bevölkerung. Das Ziel der SPD-Politik und das Ziel jeder verantwortlichen Politik muß es sein, konsequent reformerisch die Bedürfnisse der Menschen in der Gegenwart so zu erfüllen, daß die Lebensbedingungen auch zukünftiger Generationen berücksichtigt sind, also einen sozialen und ökologischen Generationenvertrag zu schaffen und zu erfüllen.
Am Beispiel Wald ließe sich das exemplarisch statuieren. Allen Wohl und keinem Wehe - das wird nicht gehen. Deshalb wird die SPD Forderungen erheben, die dann in der Umsetzung mittel- und langfristig den Weg zu einer auch von der Forstwirtschaft akzeptierten Landwirtschaft bereiten.
Wir brauchen die Bindung der Tierhaltung an die Fläche, die Einführung einer Düngemittelverordnung, eine nationale bzw. eine europaeinheitliche Abgabe auf mineralische und organische Stickstoffe, eine Regelung der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln durch eine Änderung des Pflanzenschutzgesetzes. Wir brauchen die Revision des Bundesnaturschutzgesetzes mit der Verankerung einer naturverträglichen Land- und Forstwirtschaft.
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Wir brauchen aber auch eine Perspektive für den deutschen Holzmarkt, der sich zur Zeit gegen das unter Sozial- und Ökodumping geschlagene Holz aus dem Osten behaupten muß.
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- Nein, Herr Heinrich, ich bin gleich fertig. Meine Redezeit ist schon abgelaufen.
Wir brauchen in unserer Forstwirtschaft gut ausgebildete Fachleute. Deren Bestand darf nicht bis zur Schmerzgrenze reduziert werden. Es gibt viel zu tun, Herr Minister Borchert. Ich hoffe, Sie haben die politische Entschlossenheit und den politischen Mut.
({7})
Ich gratuliere Ihnen im Namen des Hauses zu Ihrer ersten Rede.
({0})
Dann bekommt man doppelten Beifall.
Jetzt hat die Abgeordnete Hannelore Rönsch das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Eigentlich wollte ich mich heute bei der Diskussion des Agrarberichts 1995 auf die sozial- und ernährungspolitischen Teile konzentrieren. Aber das, was die Kollegen, die vor mir gesprochen haben, dazu gesagt haben, hat mich veranlaßt, hiervon abzuweichen.
Herr Kollege Sielaff, als Neuling in der Landwirtschaftspolitik war ich natürlich ausgesprochen gespannt, welche Perspektiven der Landwirtschaftspolitik Sie entwickeln würden. Sie haben in Ihrer Rede einen Ist-Zustand beschrieben. Sie haben, wie das Ihrer Rolle als Opposition entspricht, nur auf den Landwirtschaftsminister eingedroschen, aber keine eigenen Vorstellungen entwickelt, bis die Redezeit zu Ende war.
Dann habe ich gedacht: Dr. Thalheim wird vortragen, wie die Opposition in der Zukunft die Landwirtschaftspolitik gestaltet sehen will.
({0})
Auch da war die Redezeit sehr schnell zu Ende, und wir haben immer noch nichts von den Perspektiven gehört, auf die sich unsere Bäuerinnen und Bauern verlassen können.
({1})
Das ging dann munter so weiter.
Der Kollege Graf ist vielleicht jetzt in seinem Büro und schaut auf der Seite 143 des Agrarberichts nach. Dort werden nämlich die Fragen, die er meinem Kollegen Susset gestellt hat, beantwortet; da geht es um die Schweinepest. Er wollte wissen, was diese Bundesregierung hier konkret getan hat. Diese Bundesregierung hat ein Notprogramm in Höhe von 15 Millionen DM aufgelegt und weitere 20 Millionen DM für die betroffenen Landwirte zur Verfügung gestellt.
Egon Susset wurde auch noch gefragt: Was macht denn Niedersachsen? Das will ich Ihnen sagen. Niedersachsen verweigert sich. Das ist für mich vollkommen unverständlich.
({2})
Sie wissen ganz genau, daß sich der Landwirtschaftsminister in Niedersachsen für die Landwirte verwenden müßte. Ich fordere die niedersächsischen Kollegen ausdrücklich auf, dies ebenfalls zu tun und darauf hinzuwirken, daß Niedersachsen seinen 30%igen Anteil zahlt. 70 % zahlt die EU; jetzt sollen auch die Niedersachsen ihren Beitrag leisten. Sie wissen, daß sie dazu verpflichtet sind.
({3})
Ich möchte auch ganz kurz zur Kollegin HöfkenDeipenbrock Stellung nehmen. Frau Kollegin, es bedrückt schon ein wenig, wenn Sie die Landwirte dafür verantwortlich machen, daß es in unserer Gesellschaft ernährungsbedingte Krankheiten gibt. Leider liegt dies vielfach am Verhalten der Verbraucher. Wir dürfen die Landwirte mit ihren Produkten dafür nicht in die Haftung nehmen.
({4})
Hier, meine ich, müssen wir sehr deutlich unterscheiden und müssen auch in der Sprache ausgesprochen vorsichtig sein.
({5})
Abenteuerlich wird es, wenn die PDS über Waldschäden spricht.
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Sie ist die Nachfolgerin der SED, die den Wald in den fünf neuen Bundesländern -
Frau Kollegin Rönsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Larcher?
Aber selbstverständlich. Ich hätte nur den Gedanken über die PDS noch gern zu Ende gesagt, Herr Kollege von Larcher. Dann sehr gerne.
Die PDS, Nachfolgepartei der SED, die in der ehemaligen DDR den Wald ausgedünnt hat, kaum nachgeforstet hat und durch die Umweltbelastung natürlich auch diese Schäden verursacht hat, will uns heute erklären, wie Waldschäden zu verhindern
Hannelore Rönsch ({0})
sind. Abenteuerlich wird es aber dann, wenn auch noch den Zeiten nachgetrauert wird, als Erich Honecker in der Schafheide das Wild vor der Flinte hatte.
({1})
- Sie wissen es selbstverständlich besser als ich. Ich habe dort nie gejagt, glauben Sie es mir.
({2})
Ich habe mir sagen lassen: Die Schorfheide war eingezäunt. Da stand ein Schild: „Staatsgebiet". Dann ist das Wild dorthin getrieben worden, so daß er es abschießen konnte.
Und von Ihnen sollen wir uns jetzt sagen lassen, wie der Wald neu zu gestalten ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, da muß ich sagen: Ich bin nicht bereit, das mitzumachen.
({3})
Ich wollte mich auf die Sozialpolitik konzentrieren und will jetzt ganz kurz darauf eingehen.
Sie wollten jetzt aber die Zwischenfrage zulassen, ja?
Entschuldigung. Ja, selbstverständlich.
Also, Herr Larcher. - Ich halte die Uhr an.
Frau Kollegin Rönsch, könnten Sie uns bitte die Zahlen sagen, nämlich wieviel Millionen DM Niedersachsen während der letzten Schweinepest ausgegeben hat?
({0})
Herr Kollege Larcher, ich glaube, es waren um die 65 Millionen DM. Nun muß ich sagen: Ich stehe nicht hier, um die Landespolitik Niedersachsens zu vertreten. Momentan ist es da ja auch ein bißchen schwierig, zu wissen, wer da Verantwortung trägt. Darüber wird ja, glaube ich, gerade noch geredet. Ich habe die Zahlen für Niedersachsen nicht exakt präsent. Aber ich glaube, es sind 65 Millionen. Nur, es ist nicht meine Aufgabe, hier die Zahlen von Niedersachsen zu vertreten. Ich möchte jetzt, Herr Kollege von Larcher, in meiner Rede fortfahren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke, daß uns der Agrarbericht insgesamt hoffen läßt. Wir haben nach einem großen Strukturwandel Vorschätzungen von 1994 und 1995, die mit Sicherheit einen guten Schritt nach vorne weisen. Nach dem Rückgang in den vergangenen Jahren haben wir auch bei den alten Ländern ein wenig Hoffnung.
Wir setzen auf die Entwicklung leistungs- und marktgerechter Betriebe. Wettbewerb und Leistung müssen sich für alle Betriebe wieder lohnen.
({0})
Ich wünsche mir dies ganz besonders für die Familienbetriebe, deren Erhalt auch für die Zukunft sichergestellt sein muß. Sie sind das Kernstück unserer Landwirtschaft.
Ich bin deshalb ausgesprochen glücklich darüber, daß wir jetzt 110 000 Bäuerinnen mit in die Altersversorgung der Landwirte aufnehmen können.
({1})
Das hat sehr lange gedauert. Ich bin ebenfalls froh darüber, daß dies im Konsens geschehen konnte.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt jetzt einige Punkte, die zum Nachdenken Anlaß geben. Uns alle erreichen Briefe, daß es an der einen oder anderen Stelle nach der Einführung am 1. Januar 1995 zu Schwierigkeiten kommt. Aber wenn Sie mit den betroffenen Frauen oder ihren Männern darüber diskutieren, sehen Sie, daß es oft Fragen sind, die durch Beratung noch gelöst werden können. Ich wende mich ein wenig dagegen, das ganze Gesetz, das wir gerade verabschiedet haben, jetzt in Frage zu stellen.
({3})
Ich glaube, daß wir den Frauen durch Beratung ein wesentliches Stück entgegenkommen können und daß wir noch in diesem Jahr einen großen Teil der Kritikpunkte ausräumen können.
({4})
Der Herr Kollege Larcher will es noch einmal mit einer Zwischenfrage versuchen.
Nein.
Nicht mehr?
Die werde ich nicht mehr zulassen. Herr Kollege von Larcher, kommen Sie in den Landwirtschaftsausschuß; da wird man klüger - auch ich.
({0})
Meine Damen und Herren, schwierig bleibt weiterhin die Situation der Landwirtschaft und der Frauen in der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern.
({1})
Hannelore Rönsch ({2})
- Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe gerade in dieser Woche ein Zitat von Johannes Rau gelesen,
({3})
der irgend etwas zu den Schreiern in den Parlamenten sagte. Ich habe es nicht ganz präsent, Herr Sielaff, aber ich kann es Ihnen nachher geben; ich habe es in der Tasche. Es war nämlich sehr spannend.
Lassen Sie mich noch einige Gedanken zur Situation der Frauen in der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern sagen; denn sie sind es, die von der Umstrukturierung ganz besonders betroffen sind.
({4})
Ihr Anteil an der Arbeitslosigkeit in der Landwirtschaft lag 1993 bei 59,6 %.
Die Bundesregierung hat daher verstärkt Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im landwirtschaftlichen Bereich durchgeführt. Darüber hinaus werden Modellprojekte auch in den einzelnen Bundesländern, z. B. in Sachsen-Anhalt, durchgeführt, und es sind Beratungsstellen eingerichtet worden. Die Gesamtkosten belaufen sich bis 1996 auf 8 Millionen DM. Ich denke, jede einzelne Mark ist hier ausgesprochen gut angelegt.
Wir müssen den Frauen helfen, daß sie ihr Selbstwertgefühl erhalten oder wiedererlangen. Auf alle Fälle müssen wir auch erreichen, daß sie eine finanzielle Unabhängigkeit zurückgewinnen.
Ich hätte gerne noch zum ernährungspolitischen Teil dieses vorliegenden Berichts einige Anmerkungen gemacht. Aber die Redezeit gibt das nicht mehr her.
Ich warne nur noch uns alle und ganz besonders diejenigen, die im Landwirtschaftsausschuß sind, daß wir mit Panikmache Einbrüche auch auf den deutschen Märkten und bei den deutschen Landwirten erzielen. Unsere Landwirte bürgen für gute und qualitativ hochwertige Waren. Wir sollten nicht in Panikmache verfallen; denn die Einbrüche sind sonst auch auf dem deutschen Markt zu spüren.
Die Landwirte und ihre Familien können nach diesem Agrarbericht in eine gute Zukunft schauen. Ich glaube auch, die Verbraucherinnen und Verbraucher sind mit den Produkten, die unsere deutsche Landwirtschaft erzeugt, ausgesprochen gut bedient.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Ehrentribühne hat das Präsidium des niedersächsischen Landtages unter Vorsitz des Landtagspräsidenten, Herrn Horst Milde, Platz genommen.
({0})
Wir sind sehr aktuell; Niedersachsen spielte in der Debatte durchaus eine Rolle.
Ich heiße Sie im Namen des ganzen Hauses herzlich willkommen und hoffe, daß Ihr kurzer Besuch in Bonn zu einer weiteren Vertiefung unserer guten parlamentarischen Kontakte beiträgt.
Herr Larcher hat das Wort zu einer Kurzintervention erbeten.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bisher habe ich gedacht, Zwischenfragen dienen dazu, die Debatte zu beleben. Ich verstehe nicht, wie man sagen kann: Kommen Sie in den Landwirtschaftsausschuß, dann werden Sie klüger. Ich fand, Ihre Rede zeugte nicht von ausgesprochener Klugheit in Landwirtschaftsfragen.
({0})
Ich will nun das, was ich Sie fragen wollte, in der Kurzintervention vortragen. Sie haben gesagt: Wir wollen nicht ein Gesetz ändern, das gerade erst in Kraft getreten ist. Ich kenne den ganz konkreten Fall einer Frau eines Nebenerwerbslandwirts, die zehn Jahre lang Lohnempfängerin war und dann aufgehört hat, weil sie Kinder bekommen hat, und die gerne wieder arbeiten will. Sie hat jetzt das Problem, daß sie seit dem 1. Januar in die Alterskasse der Landwirte einzahlen muß, ohne nachher etwas herauszubekommen, weil sie ja nicht über die entsprechende Dauer in diese Kasse einzahlen wird. Sie möchte gerne, daß es zu einer Verrechnung zwischen der Alterskasse der Landwirte und der Rentenversicherung kommen kann. Ich glaube, hier ist in der Tat eine Gesetzeslücke, die man schließen muß. Ich hoffe, Sie werden sich dem nicht verweigern.
({1})
Die Kurzintervention ist nicht dazu gedacht, daß man eine Frage stellt.
Jetzt gebe ich der Kollegin Rönsch das Wort zur Antwort, ebenfalls in Form einer Kurzintervention.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der erste Teil Ihrer Frage besteht aus Chauvi-Sprüchen; die hätten Sie vielleicht gestern am Weltfrauentag besser loswerden können. Das sollten wir doch im Plenum bleibenlassen.
Herr Kollege von Larcher, ich habe sehr deutlich gemacht, daß es noch Kritikpunkte gibt; denn es hat sich jetzt, nach Inkrafttreten des Gesetzes, herausgestellt, daß es an der einen oder anderen Stelle noch hakt. Insofern müssen wir uns neue Gedanken machen. Wir müssen als erstes beraten, und dann müssen wir sehen, welche Irritationen noch bestehen und was geändert werden muß. Ich habe Ihnen dies von hier vorne ausdrücklich zugestanden. Zuhören hätte an dieser Stelle sicher ein Stückchen weitergeführt.
Nun gebe ich dem Abgeordneten Georg Pfannenstein das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute das Vergnügen, meine Erstlingsrede hier im Parlament zu halten. Der Zustand unserer Wälder, mit dem sich meine Rede befaßt, ist für mich allerdings weit weniger Grund zur Freude als die Gelegenheit, heute die rhetorische Feuertaufe in diesem Hohen Hause zu bestehen.
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Die Vorlage des Waldzustandsberichts durch die Bundesregierung ist längst zu einem Ritual geworden, das möglichst pflichtschuldig abgespult wird. Die gezielte Verharmlosung, die damit betrieben wird, beginnt bereits mit der Formulierung der Überschrift. Sie heißt beschönigend „ Waldzustandsbericht", wohingegen sie doch zumindest Waldschadensbericht oder noch zutreffender Waldsterbensbericht lauten müßte.
({1})
Gleichsam in Watte verpackt, versucht die Bundesregierung in diesem Bericht, den katastrophalen Zustand unserer Wälder zu verharmlosen und das Problem zu verniedlichen, um von ihrem Versagen abzulenken. 1983 wurde ein Aktionsprogramm „Rettet den Wald" beschlossen. Das Ziel dieses Aktionsprogramms, die Schadstoffemissionen aus Verkehr, Industrie, Energieerzeugung und Landwirtschaft in so ausreichendem Maße zu verringern, daß zumindest eine Stagnation der Waldschäden auf dem damals bereits hohen Niveau erreicht werden könnte, wurde schlichtweg verfehlt, was letztendlich auch niemanden verwundern kann; denn die Aktivität der Bundesregierung reduziert sich zumeist auf Ankündigungen von Aktivitäten zur Rettung des Waldes.
({2})
Mit unzureichenden und unbefriedigenden Aktionen ist aber niemandem gedient, am allerwenigsten dem Ökosystem Wald und dem Patienten Wald. Nach nunmehr zwölfjähriger Tatenlosigkeit, einhergehend mit einem ausgeprägten Hang zur Verdrängung dieses die ganze Bevölkerung betreffenden Problems, muß endlich gehandelt werden.
({3})
Jeder versäumte Tag beschleunigt den Schädigungsprozeß und führt zu irreversiblen Schäden am Ökosystem Wald und an der Gesundheit der Bevölkerung und damit zu enormen Verlusten für die Volkswirtschaft.
Wer die ökonomische und ökologische Leistungsfähigkeit der Wälder nachhaltig schützen will, muß zwingend die gesamte Bevölkerung in einen Denk-und Lernprozeß einbinden, um die Akzeptanz für einschneidende waldrettende Maßnahmen zu erzielen.
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Um dies zu erreichen, muß mit mehr Ehrlichkeit und mehr Offenheit als bisher operiert werden. Das tatsächliche Ausmaß der Waldkatastrophe muß jedem vor Augen geführt werden. Die Transparenz und die daraus resultierende Akzeptanz sind aber mit den bisher praktizierten Schadenserhebungen nicht machbar. Wer sich - wie die Bundesregierung - bei der Schadensfeststellung lediglich auf die stichprobenartige Erfassung des Zustands der Baumkronen beschränkt und die Flächen mit abgestorbenen und gefällten Bäumen sowie die abgeräumten Waldflächen aus der Schadensbilanz heraushält, muß sich den allzu berechtigten Vorwurf der Verschleierung gefallen lassen. Erst wer die Begutachtung der Waldböden, die Wasserversorgung, den Wurzelzuwachs und den Holzzuwachs in die Begutachtung einfließen läßt, wird einen Schadensbericht ermöglichen, der ungeschönt den tatsächlichen Zustand des Ökosystems Wald wiedergibt.
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Wie groß mögen die tatsächlichen Schäden sein, wenn schon die Begutachtung der Baumkronen eine so desaströse Bilanz ergibt? Keinem seriösen Arzt würde es einfallen, einen Schwerkranken lediglich vom Hals aufwärts zu untersuchen, ohne den übrigen Körper einzubeziehen.
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Trotz dieser kopflastigen Beobachtungsmethoden veranschaulichen die Ergebnisse des jährlichen Waldschadensberichts aber immerhin Trends und liefern Anhaltspunkte für einen höchst alarmierenden Zustand. Jeder vierte Baum weist deutliche Schäden auf. Nur noch 1 % der über 60 Jahre alten Bäume kann als gesund eingestuft werden.
Angesichts dieser vernichtenden Bilanz erscheint es geradezu absurd, wenn wir Drittweltstaaten die Ausbeutung und Vernichtung der tropischen Wälder vorwerfen, während wir in unserem ureigensten Lebensraum nahezu tatenlos dem Siechen des Waldes zusehen, obgleich wir ungleich größere Möglichkeiten zum Gegensteuern hätten als die Staaten des Südens.
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Meine Damen und Herren, solange wir im Glashaus sitzen, sollten wir tunlichst nicht mit Steinen werfen.
Die das Waldsterben verursachenden Faktoren sind längst ausgemacht und wissenschaftlich hinreichend belegt. Die zerstörerische Wirkung von Luftschadstoffen wie Schwefeldioxid, Stickoxiden, Ammoniak und flüchtigen Verbindungen wie Benzol ist ebenso bekannt wie deren Herkunft und deren Folgen. Es fehlt lediglich das Handeln. Nur in einer integrierten Verkehrs-, Agrar- und Umweltpolitik können die umfassenden und notwendigen Maßnahmen zur Rettung des Ökosystems Wald und zur drastischen Verminderung der Luftschadstoffe und damit ein durchgreifender Klimaschutz durchgesetzt werGeorg Pfannenstein
den. Eine verantwortungsbewußte Bundesregierung muß weitaus konsequenter und intensiver, als dies derzeit der Fall ist, durch ressortübergreifende Maßnahmen zur Tat schreiten.
Ich möchte mich hier auf zwei Bereiche konzentrieren: die Verkehrs- und die Energiepolitik, weil hier schnelle und tiefgreifende Erfolge für unsere Umwelt zu erzielen sind. Verkehr vermeiden, verlagern und schadstoffärmer als bisher abwickeln - so muß die Devise lauten. „Freie Fahrt für freie Bürger", dieser beliebte wie unvernünftige Slogan, dem unter den EU-Staaten zumindest in Sachen Tempolimit nur noch die Deutschen verfallen sind, ist angesichts der unübersehbaren Folgen einer ungezügelten Verkehrsentwicklung längst nicht mehr zeitgemäß.
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Die waldschädigende Luftverunreinigung durch den Autoverkehr ist längst bewiesene Tatsache. Die Begrenzung dieser Auswirkung hat höchste Priorität und ist überfällig. Die Verlagerung des Personen-und Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene muß über neue Leistungsanteile geregelt werden. Hier ist die neue Bahn AG wirklich gefordert, auch über Preise etwas zu tun.
Bestehende Wasserwege können intensiver für den Gütertransport und damit wirtschaftlicher genutzt werden.
Das Verhalten der Verkehrsteilnehmer muß und kann in Richtung Verkehrsvermeidung und umweltverträglicher Verkehr positiv beeinflußt werden. Die Abgasgrenzwerte für Pkws und Lkws müssen weiter herabgesetzt werden. Der Schadstoffausstoß des Autoverkehrs muß über einen durchschnittlichen Höchstverbrauch von fünf Litern pro gefahrene 100 km begrenzt werden.
Europaeinheitliche Geschwindigkeitsbeschränkungen und die aufkommensneutrale Umwandlung der bisherigen Kilometerpauschale in eine Entfernungspauschale sind unabdingbare Rahmenbedingungen für ein geändertes, positives Verkehrsverhalten. Auch umweltschädigende Subventionen wie die Steuerfreistellung des gewerblich verbrauchten Flugbenzins müssen aufgehoben werden.
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Im Energiebereich muß die effektivere Energienutzung und die Erschließung alternativer Energiequellen Priorität erhalten. Die Solarenergie muß so gefördert werden, daß sie nicht länger ein Schattendasein fristet, sondern ihren verdienten Platz an der Sonne bekommt und damit zu einem bedeutenden Energieträger der Zukunft werden kann.
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Meine Damen und Herren, wenn nur ein Teil der von mir angesprochenen Maßnahmen bei konsequenter Umsetzung und bei Durchbrechung liebgewordener, aber unsinniger Tabus die Situation unseres Waldes deutlich verbessert, wirkt sich das auch auf die Lebensqualität der Menschen aus. Es ist keine leere Formel, wenn man sagt: Zuerst stirbt der Wald und dann der Mensch. Wenn sich die Kronen der Bäume lichten, wird sich der Mensch, die angebliche Krone der Schöpfung, irgendwann um Kopf und Kragen bringen. Er atmet die gleiche Luft wie der Wald, nur noch etwas intensiver.
Vielen Dank.
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Lieber Herr Kollege, wir gratulieren Ihnen zu Ihrer ersten Rede. Sie war auch von vorbildlicher Kürze.
({0})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Jochen Borchert.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wäre jetzt gern auf einige Perspektiven der Opposition in bezug auf die Agrarpolitik eingegangen. Da diese aber fehlen, will ich mich wenigstens mit einigen Kritikpunkten auseinandersetzen, die von der Opposition in der Debatte geäußert wurden.
Herr Kollege Sielaff, es ist schon interessant, daß auch heute wieder das Doppelspiel deutlich geworden ist: Die SPD hat heute kritisiert, daß wir eine Gemeinschaftsaufgabe um 76 Millionen DM gekürzt haben. Herr Kollege Waigel, ich bin sicher, in der letzten Märzwoche wird dann wieder heftig kritisiert werden, daß Sie nicht konsequent genug konsolidieren.
Sie haben darüber hinaus kritisiert, daß die 100 Millionen DM Umschichtung 1995 nicht zu Investitionen, sondern zu Verpflichtungsermächtigungen führen. Aber sie werden sicher zu einem Teil zu Investitionen führen. Insgesamt wird diese Umschichtung von 100 Millionen DM dazu führen, daß 1995 Investitionen in den Betrieben in der Größenordnung von 1 Milliarde DM zusätzlich bewilligt werden können.
In welchem Umfang dies bereits 1995 zu Barausgaben führt, hängt natürlich vom Tempo der Bewilligungen und von der Durchführung der Maßnahmen ab. Unstrittig aber ist, daß mit dieser Umschichtung das Investitionsniveau insgesamt um 1 Milliarde DM aufgestockt wird.
Ich würde es ja gern sehen, daß nicht nur in diesem Jahr, 1995, mehr bewilligt wird. Deswegen habe ich bereits im letzten Jahr die Länder aufgefordert, mehr Mittel für die einzelbetriebliche Förderung zur Verfügung zu stellen. Leider ist dies nicht passiert. Deshalb haben wir uns zu der Regelung durchgerungen, diese Mittel im Vorwegabzug zu sperren, damit hier mehr umgesetzt wird.
Aber Ihre Kritik an der einzelbetrieblichen Förderung geht ja weiter, wie aus einer Pressemeldung deutlich wird. Die Umstellung in der einzelbetriebliBundesminister Jochen Borchert
chen Förderung wird von Ihnen als Abwendung von einer gezielten Förderung kritisiert; denn die Einführung und stärkere Betonung eines Agrarkreditinstruments wird von Ihnen als Gießkannenförderung bezeichnet. Zum Glück wird dieser Agrarkredit ja nicht nur von uns durchgesetzt, sondern vom Berufsstand in seiner gesamten Breite gefordert und begrüßt.
Wer den Agrarkredit als Gießkannenförderung bezeichnet, der bringt doch damit zum Ausdruck, daß er den Bauern offensichtlich unternehmerische Entscheidungen nicht zutraut. Man muß beim Agrarkreditprogramm doch davon ausgehen, daß hier Kredite aufgenommen werden, um für die Entwicklung der Betriebe sinnvolle Investitionen vorzunehmen. Wer dies kritisiert, hat offensichtlich ein merkwürdiges Verständnis von der unternehmerischen Tätigkeit der Bauern.
Ein weiterer Punkt: Sie haben bemängelt, daß in der europäischen Agrarpolitik die Handschrift Deutschlands nicht ausreichend auszumachen sei. Sie hätten korrekter sagen sollen, daß hier zum Glück die Handschrift der SPD nicht auszumachen sei.
({0})
- Nein, aber Sie vermissen natürlich, was Sie gern durchgesetzt hätten.
Die SPD hat noch 1992 gefordert: Die Bundesregierung muß von dem von ihr im wesentlichen immer noch verfolgten falschen agrarpolitischen Konzept der Mengensteuerung wegkommen, sie muß dagegen stärker zu dem in einer Marktwirtschaft wichtigen Instrument der Steuerung über die Preise übergehen. In Verbindung damit haben Sie gleichzeitig die Forderung erhoben: Von der allgemeinen Zielsetzung, einen freien Welthandel mit offenen Grenzen zu schaffen, darf der EG-Agrarbereich nicht ausgenommen werden.
Diese Handschrift in der Agrarpolitik der Europäischen Union haben wir zum Glück verhindert.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Höfken?
Aber gern.
Ich wüßte doch gerne einmal, wo Sie denn die unternehmerische Freiheit der Landwirtinnen in der Bundesrepublik sehen erstens angesichts der Nachfragemacht der Konzerne auf der Handelsseite, zweitens angesichts von Milchquoten und Weinmengenregulierungen und drittens angesichts einer staatlich verordneten Preispolitik bei unzureichendem Ausgleich.
Erstens. Soweit es um die staatlichen Preise im Rahmen der EG-Agrarpolitik geht, gibt es Ausgleichszahlungen.
Zweitens. Die Betriebe haben im Bereich der Veredlungswirtschaft und in vielen anderen Bereichen ausreichende Möglichkeiten, durch zusätzliche Investitionen ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern. Sie haben im Rahmen der Investitionen natürlich auch die Möglichkeit, mit Investitionen weiter zu rationalisieren, damit Kosten zu sparen und ihre Betriebe unternehmerisch besser auf die zukünftige Situation auszurichten.
Ich will gern noch einen Punkt von Herrn Sielaff aufgreifen. Wenn Sie kritisieren, daß die Marktfruchtbetriebe überdurchschnittlich begünstigt würden, dann hätte ich dazu gern ein Wort von Herrn Thalheim gehört, wie er dies den Marktfruchtbetrieben in den neuen Ländern verdeutlichen will. Sie wissen, daß die Ausgleichszahlungen im Zuge der Agrarreform die Preissenkungen ausgleichen und nicht zu einer überdurchschnittlichen Bevorzugung der Marktfruchtbetriebe führen. Aber ich bin gern bereit, diese Kritik von Ihnen in den neuen Ländern zu vertreten.
Herr Graf, zum Thema Schweinepest in Niedersachsen. Niedersachsen hat sich geweigert, die notwendigen Mittel des Landes für die Seuchenbekämpfung zur Verfügung zu stellen. Niedersachsen hat erklärt, daß es keine Aufkaufmaßnahmen mehr finanziere. Erst dann haben wir erklärt: Der Bund ist bereit, eine Vereinbarung abzuschließen. Wir dürfen diesen Streit nicht auf dem Rücken der Bauern austragen. Deshalb haben wir gesagt: Wir treten in Vorlage, wir finanzieren, bis das Urteil vorliegt. Aber der richtige Weg wäre doch gewesen, daß Niedersachsen in Vorlage tritt, weil das eine Landesaufgabe ist. Wenn es Zweifel gibt - diese Zweifel hat nur Niedersachsen und kein anderes Land -, ob diese Finanzierung eine Landesaufgabe ist, können wir sie so lange übernehmen, bis es gerichtlich geklärt ist.
Hinter der Weigerung steht, daß das Land Niedersachsen seit Jahren die nach der Verfassung zulässige Grenze der Kreditaufnahme überschritten hat und alles tut, um eine weitere Kreditaufnahme zu verhindern. Deswegen war es nicht bereit, die Kosten der Seuchenbekämpfung in Niedersachsen weiter zu übernehmen. Hier wird deutlich, wie groß das Engagement und die Bereitschaft der SPD sind, Landwirten in einer schwierigen Situation zu helfen.
Vielen Dank.
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Das Wort zu einer Kurzintervention von zwei Minuten gebe ich dem Abgeordneten Gerald Thalheim.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sehe mich durch den Redebeitrag des Kollegen Maleuda von der PDS zu einer Kurzintervention veranlaßt. Herr Maleuda hat in seinem Beitrag die BetriebsaufDr. Gerald Thalheim
gaben in der alten Bundesrepublik lautstark bedauert. Ich bin als Kind Zeuge der zwangsweisen Betriebsaufgaben in der alten DDR geworden, die meinen politischen Lebensweg mit geprägt haben. Ich habe sehr viel Abstand zur Politik gehalten.
Man muß wissen: Herr Maleuda war Vorsitzender der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands in der ehemaligen DDR.
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Die Zwangskollektivierung hat geradezu zum Selbstverständnis der DBD gehört. Die Zwangskollektivierung war nicht nur mit Eingriffen in die Eigentumsverhältnisse verbunden, sondern auch in erheblichem Umfange mit Menschenrechtsverletzungen.
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Wenn man als langjähriger Vorsitzender einer solchen Partei, die einen Teil der politischen Verantwortung dafür mitzutragen hat, heute Betriebsaufgaben bedauert, dann ist das für mich nicht viel mehr als peinliche Heuchelei.
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Ebenfalls zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Graf.
Die letzten Bemerkungen des Bundeslandwirtschaftsministers veranlassen mich zu dieser Intervention. Herr Borchert, es ist schon nicht in Ordnung, daß Sie hier in der Öffentlichkeit den Schwarzen Peter wieder dem Land Niedersachsen zuschieben, obgleich Sie in Ihren internen Berichten, die uns ja allen bekannt sind, die Leistungen des Landes Niedersachsen gewürdigt haben.
Ich möchte das in aller Deutlichkeit wiederholen: Wir haben immer gesagt, daß die Schweinepest sicherlich eine besondere Situation des Landes darstellt. Aber wir haben eine solche Situation auch in Mecklenburg-Vorpommern, in Nordrhein-Westfalen und auch in Bayern gehabt. Ich weiß nicht, wie Sie reden würden, wenn die Schweinepest so massiv, wie es in Niedersachsen der Fall gewesen ist, in Bayern auftreten würde.
Ich nenne Ihnen einmal die Zahlen: Allein aus Tierseuchengründen wurden 160 Millionen DM aufgewandt, und zwar 80 Millionen DM von der Tierseuchenkasse und 80 Millionen DM vom Land Niedersachsen. Darüber hinaus hat das Land für den nationalen Anteil 69,5 Millionen DM für Ankauf, Transport, Kühlung und Schlachtung aufgewandt. Das ist schon ein Riesenberg. Daß ein Land dabei irgendwann an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit herankommt, ist einzusehen.
Ich sage Ihnen: Die Tierseuchenbekämpfung ist letztlich eine nationale Aufgabe. Es geht um die deutsche Landwirtschaft in ihrer Gesamtheit. Dazu haben Sie heute in dieser Debatte keinerlei Antwort gegeben. Ich halte das schon fast für skandalös.
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Ebenfalls zur Kurzintervention gebe ich das Wort dem Abgeordneten Borchert.
Herr Kollege Graf, von allen Bundesländern wird unstrittig anerkannt, daß Seuchenbekämpfung Landessache ist. Alle Länder finanzieren die Maßnahmen der Tierseuchenbekämpfung.
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- Natürlich streiten wir darum.
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- Natürlich streiten wir darum, ob die Finanzierung der Seuchenbekämpfung Landesmaßnahme ist oder nicht.
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Diese Maßnahmen werden von allen Bundesländern aus Landesmitteln finanziert. Niedersachsen hat in diesem Jahr nach erneuten Schweinepestausbrüchen im Lande erklärt, daß es weitere Beihilfeaktionen im Rahmen der Seuchenbekämpfung nicht mehr finanziert. Damit war der Aufkauf von Schweinen im Emsland gefährdet, obwohl die Bauern nicht wußten, wohin mit den Schweinen. In dieser Situation haben wir erklärt, daß wir den Streit nicht auf dem Rücken der Bauern austragen dürfen; wenn Niedersachsen behauptet, dies sei keine Landesmaßnahme, sind wir als Bund bereit, unter der Voraussetzung in Vorlage zu treten, daß Niedersachsen gleichzeitig klagt, damit endgültig geklärt wird, ob dies eine Landes- oder eine Bundesmaßnahme ist. Aber dadurch, daß das Land Niedersachsen die dringend notwendigen Maßnahmen den Schweinehaltern in Niedersachsen verweigert hat, hat es die Bauern praktisch zum Pfand gemacht, um den Bund zu erpressen, hier die Finanzierung vorzunehmen. Dies hat es noch in keiner anderen Situation gegeben. Deswegen mußte der Bund hier eintreten.
Herr Graf, wir können die Diskussion ja gern fortführen. Wie schwierig die Verhandlungen in dieser Situation sind, wissen Sie ja am besten. Bereits Gespräche auf der Arbeitsebene zwischen dem Bundesernährungsministerium und dem zuständigen Landesministerium in Niedersachsen sind von Ihnen zu falschen Presseerklärungen mißbraucht worden.
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- Aber natürlich! Als wir darüber verhandelt haben, wie die Finanzierung durchgeführt werden soll, wollten Sie in einer Pressemeldung den Eindruck erwekken, der Bund würde sich seiner Zusage entziehen, obwohl Sie wußten, daß dies nicht stimmt. Der Bund steht zu seinen Zusagen; das Land hat sich seiner Verpflichtung verweigert.
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Ich schließe damit die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/400, 13/401 und 13/ 146 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor.
Der Agrarbericht 1995 soll zusätzlich dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, dem Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie dem Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden.
Der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU und der F.D.P. auf Drucksache 13/697 und der Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/708 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden wie der Agrarbericht.
Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/713 soll zur federführenden Beratung dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie zur Mitberatung dem Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, dem Haushaltsausschuß und dem Ausschuß für Wirtschaft überwiesen werden.
Der Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/707 soll an dieselben Ausschüsse wie der Waldzustandsbericht überwiesen werden.
Der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/714 soll zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie zur Mitberatung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, den Ausschuß für Verkehr, den Ausschuß für Wirtschaft und an den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung überwiesen werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Damit sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ältestenrates zur
Gestaltung der Sitzanordnung im neuen Plenarsaal im Reichstagsgebäude in Berlin
- Drucksache 13/685 Dazu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Peter Conradi, Franziska Eichstädt-Bohlig, KlausJürgen Warnick und weiterer Abgeordneter vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sollen die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD je zehn Minuten, die Fraktionen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie die PDS je fünf Minuten Redezeit erhalten. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Brigitte Baumeister.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach mehr als einem Jahr intensivster Diskussion in der Baukommission über die Sitzanordnung des neuen Plenarsaales in Berlin sind wir heute zusammengekommen, um in diesem Hause darüber zu befinden.
Zur Diskussion stehen zwei Varianten der Sitzanordnung: zunächst einmal die kreisrunde, wie wir sie in diesem neuen Plenarsaal haben, und zum anderen eine elliptische Form. Baukommission und Ältestenrat - das ist Ihnen bekannt - haben sich für die elliptische Form entschieden, und dies aus gutem Grund. Man mag sich vielleicht fragen, ob es überhaupt noch sinnvoll ist, darüber in diesem Hohen Hause noch einmal zu diskutieren. Aber, Herr Conradi, wir sind gerne dem Wunsch der Opposition nachgekommen, darüber zu dieser Stunde zu diskutieren und zu entscheiden.
Kreisförmig oder elliptisch - das ist die Frage, das sind die Möglichkeiten. Wir alle wissen, es gibt in den verschiedenen Parlamenten der Welt verschiedenste Sitzanordnungen. Ich glaube, eine Sitzanordnung, die von uns Europäern als traditionsreich empfunden wird, ist die englische.
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Frau Kollegin, entschuldigen Sie bitte.
Ich bitte um etwas mehr Ruhe. Es ist für die Kollegin sonst sehr schwer zu sprechen. Ich bitte auch, den Mittelgang frei zu machen.
Sie haben das Wort.
Die traditionsreiche englische Sitzanordnung ist uns allen geläufig. Das englische Parlament mußte zweimal darüber entscheiden, nämlich nach einem Brand 1834 und 1943, als Bomben das Parlamentsgebäude in England zerstört haben. Sie haben sich aus gutem Grunde immer für die gleiche Sitzanordnung entschieden.
Wir Deutsche haben schon mehrfach über die Sitzanordnung befunden. In jüngster Geschichte stehen sich gegenüber: der alte Plenarsaal, den manche noch kennen, das für viele, die hier sitzen, noch altvertraute Wasserwerk und dieser neue Plenarsaal, in dem wir auch schon einige Erfahrungen haben sammeln können. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß wir der Empfehlung des Ältestenrates nachkommen sollten. Wir sollten aus den Erfahrungen, die wir geBrigitte Baumeister
macht haben, lernen und uns deshalb für die elliptische Anordnung entscheiden.
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Unser gemeinsames Ziel war - und damit möchte ich das begründen -, daß wir ein dichteres, ein von der Atmosphäre günstigeres Parlament schaffen, daß wir eine Anordnung schaffen, in der eine interessantere und lebhaftere Debattenführung möglich ist, als sie hier in diesem Plenarsaal zur jetzigen Stunde vollzogen wird.
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Ich bin mir zwar darüber klar, daß eine optimale Sitzanordnung die wäre, bei der alle in der ersten Reihe sitzen, wo Sie sitzen, Herr Fischer.
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Aber uns ist nach intensiven Beratungen nicht vergönnt gewesen, eine solche Lösung zu finden. Die gibt es meines Wissens nur bei der ARD, und die haben wir kürzlich schon einmal diskutiert.
Eine Voraussetzung dafür, diese dichtere Atmosphäre zu schaffen, näher an Redner und Zuhörer heranzurücken, ist, daß man den Abstand verringert. Der Abstand hier in diesem sogenannten BehnischSaal beträgt 7 m.
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Bei der kreisförmigen Anordnung in dem Vorschlag von Foster, den die SPD favorisiert, beträgt dieser Abstand nahezu 8 m. Bei der elliptischen Form, die wir favorisieren, beträgt der Abstand zwischen erster Sitzreihe und Redner 5,6 m. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese 2 m Differenz machen deutlich, worum es uns geht, nämlich um eine bessere Funktionalität, um eine bessere Debattenführung und um eine lebhafte Diskussion, die wir ganz gern haben möchten.
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Für einige Kolleginnen und Kollegen von der SPD scheint diese Funktionalität nicht im Vordergrund zu stehen, sondern sie orientieren sich an etwas anderem, nämlich an ihrer Ideologie.
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Nach dieser Ideologie darf es nicht sein und soll es nicht sein, daß sich Regierung und Parlament gegenübersitzen. Es soll auch nicht sein, daß es bei Bundesrat und Bundesregierung eine Erhöhung gibt, die in diesem Plan allein damit zu begründen ist, daß eine bessere Sichtbeziehung ermöglicht wird. Aber dies - hier spreche ich die GRÜNEN an - ist für uns keine Frage der Ideologie. Darauf können wir gern verzichten.
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Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Büttner?
Gern.
Kollegin Baumeister, ich habe nur eine Frage. Sie sagten, der Abstand ist bei Ihrer Ellipse geringer. Aber wie ist es bei den Leuten, die an den Außenpunkten der Ellipse sitzen? Können Sie vielleicht dem Hause mitteilen, wie weit die dann vom Zentrum der Ellipse entfernt sind?
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Herr Kollege Büttner, ich habe eben gesagt, ideal wäre es für mich, wenn alle mit gleichem Abstand in der ersten Reihe säßen. Da uns dies nicht gelungen ist, haben wir versucht, dieses Problem zu optimieren, und bei einer Optimierung ist diese Ellipse herausgekommen.
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Herr Büttner möchte eine Nachfrage stellen. Gestatten Sie das?
Ja.
Ich habe die Nachfrage: Wie weit ist denn der Abstand, wenn ich draußen an der Ellipse sitze? Sie sprechen von Optimierung. Dann muß das doch weiter sein.
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Ich habe Ihnen gesagt, die optimale Lösung gibt es nicht. Im übrigen sind wir an die räumlichen Gegebenheiten des Reichstages gebunden. Da bestimmen die Außenwände die Größenordnung. Dadurch gibt es Ungleichgewichte, übrigens auch beim Kreis. Es ist genau dasselbe, wenn Sie die Kreisfunktion haben und hier diese Linie ziehen; das ist ja klar.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu dieser ideologischen Betrachtung möchte ich Ihnen sagen, daß Bundesrat, Bundesregierung und Parlament nach meinem Verständnis nun einmal verschiedene Verfassungsorgane sind und sich eben nicht in einem herrschaftsfreien Diskurs am runden Tisch befinden. Dies wird in unserer Anordnung der elliptischen Form auch zum Ausdruck gebracht und bedeutet keinerlei Bevorzugung von Bundesregierung und Bundesrat.
Die Debatte vom 5. Juni 1987 und auch die vom 13. Oktober 1988 - wenn man sie nachliest - haben im übrigen auch zum Ausdruck gebracht, daß die elliptische Form damals durchaus eine große Chance gehabt hätte, wenn sie schon vorgelegen hätte. Denn die Alternative lautete damals: entweder kreisförmig oder eine frontale Anordnung wie im alten Bonner
Plenarsaal. Deren Nachteile aber, auf die in der Debatte immer wieder verwiesen wurde, sind in der nunmehr vorliegenen elliptischen Form nicht enthalten.
Der Kollege Conradi hat hier damals Winston Churchill zitiert, der gesagt hat:
Die Essenz einer guten Unterhausdebatte ist ihr Gesprächscharakter, ist die Möglichkeit für rasche, informelle Unterbrechungen und Wortwechsel.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer das House of Commons kennt, weiß, daß dies dort mit am besten möglich ist.
Unser damaliger Plenarsaal wurde als überdimensionierte Turnhalle bezeichnet; in dieser sei eine Atmosphäre für eine Plenardebatte kaum oder nicht gut möglich. Ich meine, daß die Nachteile bei dieser elliptischen Form, wie wir sie favorisieren, ausgemerzt sind und daß eine Schulatmosphäre dort nicht aufkommt. Im übrigen teile ich diese meine Ansicht, die auch die der Fraktion ist, auch mit Professor Eller, der für den nordrhein-westfälischen Landtag verantwortlich zeichnete.
Fritz Bohl hat den Befürwortern der runden Sitzordnung damals entgegengehalten, daß eine lebendige Parlamentsdebatte in erster Linie eine Frage der Geschäftsordnung und der Abgeordneten selbst sei. Dies kann ich nachdrücklich unterstützen. Deshalb liegt es in erster Linie an uns, wie wir diese gestalten, und hat nur in zweiter Linie etwas mit der Sitzanordnung zu tun. Das Hauptargument für eine kreisrunde Anordnung war im übrigen, daß wir uns ins Gesicht sehen können. Dies ist auch bei der elliptischen Anordnung gewährleistet.
Herr Ehmke hat damals gesagt, eine kreisförmige Sitzanordnung würde die Besucher und die Fernsehzuschauer optisch erfahren lassen, daß die Regierung weder dem Parlament vorsitzt noch ihm übergeordnet ist. Sie würde die Bank des Bundesrates als Strukturelement unserer föderativen Ordnung in die Gesamtdebatte einbauen. Das, meine Damen und Herren, ist aber ein weiteres Argument dafür, daß wir die elliptische Anordnung wollen. Denn wenn Sie heute einen Blick auf die Bundesratsbank werfen,
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sehr geehrter Herr Radunski, dann stellen Sie fest - auch im Fernsehen -, daß diese Bänke leerer als die der Parlamentarier sind.
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Wenn die Zuschauer draußen dies sehen, sind sie immer der Meinung, daß sich die Abgeordneten nicht hier, sondern außerhalb dieses Hohen Hauses befinden.
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Schließlich war immer von „Belebung der Parlamentsarbeit" die Rede. Ich denke, wir sollten uns, wie ich schon sagte, nichts vormachen: Dies hängt nicht in erster Linie von der Sitzordnung ab, sondern von den Menschen und von der Spannkraft des Geistes, von der Überzeugungskraft der Sprache, von der Klarheit der Argumente, von der Souveränität der Redenden und Handelnden. Qualität, so meine ich, und so hat es damals die SPD-Abgeordnete Dr. Hartenstein zu Protokoll gegeben, speist sich aus anderen Quellen. Sie ist weder durch eine kreisförmige noch durch eine elliptische Sitzanordnung zu erzeugen.
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Ich denke, daß die Ellipse die besten Voraussetzungen für eine gute Debatte, für eine lebhafte Diskussion in diesem Hohen Hause schafft. Sie wissen, daß die CDU/CSU immer für die beste aller Lösungen zu gewinnen ist. Deshalb stimmen wir diesem Vorschlag zu. Ich bitte Sie, dem Votum der Baukommission und des Ältestenrates zuzustimmen, die für eine elliptische Sitzanordnung im neuen Reichstagsgebäude votiert haben.
Vielen Dank.
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Es spricht jetzt Peter Conradi.
„Hat der Bundestag nichts Wichtigeres zu tun, als über seine zukünftige Sitzordnung zu diskutieren?',
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so mag sich mancher Zuhörer fragen. - Ihre Reaktion, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, erstaunt mich. Es ist kaum ein Jahr her, da haben wir hier auf Wunsch von Dr. Wolfgang Schäuble und Ihrer Fraktion eine zweistündige Debatte über die 14tägige Umhüllung des Reichstagsgebäudes durch Christo geführt und in namentlicher Abstimmung darüber entschieden. Alle anderen Fraktionen waren der Meinung, das könne man im Ältestenrat beraten.
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Aber wir sind Ihrem Wunsch nachgekommen. Gerüchteweise habe ich gehört, die CSU wolle, daß wir nächstens hier im Plenum auch über Joseph Beuys und die Kuppel reden.
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Wenn wir hier zwei Stunden über eine 14tägige Kunstaktion gesprochen haben, dann wird das Haus doch wohl Zeit finden, über seine eigene Sitzordnung zu diskutieren und zu befinden.
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Die Sitzordnung trägt dazu bei, ob unsere Debatte eine langweilige Vorlesung oder ein lebhafter Austausch von Argumenten ist. Darüber hinaus macht sie unser Verständnis von Parlament und auch unser Verhältnis zur Regierung deutlich. Im Plenarsaal wird die Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk sichtbar, und die bauliche Form, in der das geschieht, ist keineswegs belanglos. Architekturformen sind nun einmal nicht beliebig, sie sind nicht autonom. Sie zeigen den Zustand einer Gesellschaft, und sie zeigen, was uns wichtig ist.
Dieser Plenarsaal beispielsweise hat uns weithin in der Welt, weit über Deutschland hinaus, Ansehen und Anerkennung eingetragen.
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Von einer gelassenen, heiteren Selbstdarstellung des Parlaments haben die Kritiker gesprochen. Und im Blick auf den Reichstagsumbau: Dies hier ist kein pathetischer, sondern ein bescheidener Bau, der die Menschen nicht klein macht, der sie nicht ausrichtet, sondern ihnen etwas über uns ausrichten will. Er hat auch etwas Spielerisches, etwas Heiteres; Politik ist ja nicht immer nur todernst. Ich wünschte mir, es gelänge uns - vielleicht finde ich da Ihre Zustimmung -, ein wenig von der rheinisch-katholischen „Leichtigkeit des Seins" , die für die alte Bundesrepublik gar nicht so schlecht war, in das preußisch-durchsäuerte und gelegentlich pathetisch-steinerne Berlin mitzubringen.
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Das täte Berlin gut, und dafür wollen wir es an „Anmut und Mühe" , an „Leidenschaft und Verstand" nicht fehlen lassen.
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Wir entscheiden heute über die Sitzordnung. Ich vertrete hier nicht einen SPD-Antrag, sondern einen interfraktionellen Antrag, unter dem Namen von Abgeordneten aus allen Fraktionen außer der F.D.P. stehen. Es kommt darauf an, eine Sitzordnung zu finden, die Konzentration schafft und die bei allem Trennenden nach außen deutlich macht, was uns zusammenhält, was uns gemeinsam ist. Welche Form wäre dafür besser geeignet als der Kreis? Der Kreis ist eine starke, einprägsame Form.
Wolfgang Schäuble hat in der Debatte über die Reichstagsumhüllung von der Kraft des Symbols gesprochen. Nicht ohne Grund haben sich in der ehemaligen DDR nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes die Menschen am Runden Tisch zusammengesetzt. Vorher war das anders. In der Volkskammer saß die Regierung oben, und die Abgeordneten saßen wie im Hörsaal vor der Regierung. Das heißt, in der DDR war der Runde Tisch ein Symbol, und ich fände es ein gutes Symbol, wenn wir den Runden
Tisch von Regierung, Bundesrat und Parlament beibehalten würden. Frau Kollegin Baumeister, es geht nicht um die Frage „Kreis oder Ellipse?" - wobei ich vermute, daß die Quadratur der Ellipse mindestens so schwierig wäre wie die Quadratur des Kreises -,
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sondern es geht um unser Selbstverständnis als Parlament. Das war in der heiß umstrittenen Debatte damals vor acht Jahren schon so: Wir wollen nicht, daß die Regierung über uns sitzt, daß sie uns vorsitzt.
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Die Mitglieder der Regierung sind nicht unsere Vorgesetzten, der Bundesrat schon gar nicht.
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Es ist eine Regierung des Parlaments. W i r sind vom Volk gewählt, nicht die Regierung, und w i r wählen die Regierung; wir wählen sie auch wieder ab. Auch wenn sich ab und zu einmal ein paar Beamte einschleichen, es ist eine parlamentarische Regierung, und das soll sichtbar werden. Sie ist uns nicht vorgesetzt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schwalbe?
Bitte, Herr Kollege!
Herr Conradi, ist Ihnen eigentlich aufgefallen, daß die Regierung bei der jetzigen Sitzanordnung in diesem Saal genauso hoch sitzt wie bei der elliptischen Anordnung des Reichstages?
Wir haben damals eine Sitzordnung beschlossen, bei der der Bundeskanzler und der Vizekanzler hier vorn im inneren Kreis saßen.
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Auf Wunsch von Herrn Kohl - hier sitzen Zeugen des damaligen Gesprächs - ist das dann eine Stufe zurückgesetzt worden.
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- Nein, nicht mit meiner Zustimmung! Das wissen Sie sehr wohl, Herr Rüttgers. Zwischenrufe von der Regierungsbank sind so eine Sache. Wenn Sie als Abgeordneter eine Zwischenfrage stellen wollen, Herr Rüttgers, bin ich einverstanden.
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Die Theorie der Gewaltenteilung - da die Regierung, dort das Parlament - stimmt nicht mehr. In Wirklichkeit haben wir eine GewaltenverschränPeter Conradi
kung: Die Mehrheit des Hauses bildet aus ihrer Mitte die Regierung, trägt sie durch dick und dünn,
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verteidigt sie tapfer gegen die völlig unberechtigten und bösen Anwürfe der Opposition. Die Opposition dagegen versucht, der Regierung und der Mehrheit das Leben schwerzumachen und so rasch wie möglich selbst parlamentarische Regierung zu werden.
Das Bild der Regierung, die dem Parlament erhöht gegenübersitzt, entstammt einer früheren Verfassungswirklichkeit. Es ist interessant, daß in großen traditionellen Parlamenten, etwa in England oder in Frankreich, kein Mensch auf die Idee käme, die Regierung dem Parlament gegenüberzusetzen. Da sitzt die Regierung mitten im Parlament, und zwar vor den Fraktionen, die sie tragen.
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Nun mag es bei uns - vermutlich in allen Fraktionen - Abgeordnete geben, die ein besonderes Bedürfnis nach Obrigkeit haben, sei es die Obrigkeit der Bundesregierung oder die Obrigkeit der Fraktionsführung. Der eine oder die andere von uns mag natürlich auch hoffen, eines Tages als Minister oder Parlamentarischer Staatssekretär da oben auf dem Treppchen zu stehen, aber die rechnerische Wahrscheinlichkeit ist relativ gering.
Deswegen sage ich: Lassen Sie uns auch in Berlin aus dem Oben und Unten, aus dem Gegenüber wieder ein Miteinander im Kreis machen, und haben Sie keine Sorge: Auch bei der kreisförmigen Anordnung werden unter uns Gleichen einige ein wenig gleicher sein.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klein?
Herr Abgeordneter, mit Freuden.
Herr Kollege Conradi, würden Sie mir zustimmen, daß es eine höchst fragwürdige Angelegenheit ist, sich aus einem anderen parlamentarischen und Wahlrechtssystem ein Stück herauszuschneiden und in eine völlig anders geartete Tradition eingliedern zu wollen? Denn Sie haben in England, das Sie als Beispiel gerade angeführt haben, ein Wahlrecht, das immer klare Verhältnisse zwischen Opposition und Regierungsmehrheit schafft. Folglich sitzt man sich da in anderer Weise gegenüber. Dagegen schafft unser Wahlrecht eine völlig anders geartete Situation, in der das Gegenüber von Parlament und Regierung auch einen anderen Sinn ergibt.
Ich stimme Ihnen gerne zu. Ich habe nicht vorgeschlagen, bei uns die englische Sitzordnung des Gegenübers oder die französische Sitzordnung des Halbkreises einzuführen. Ich habe vielmehr darauf hingewiesen, daß in diesen parlamentarischen Demokratien die Regierung als Teil
des Parlaments unter den Parlamentariern sitzt und nicht wie früher in der DDR gegenüber auf der Empore. Es ist doch gerade das Kennzeichen totalitärer Parteien und Regierungsformen, daß die Abgeordneten wie im Kino den Hinterkopf des Vordermanns sehen und oben dann die Regierung thront. Genau das wollen wir nicht.
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Wir wollen diese Debatte. Deswegen halte ich bei Zwischenfragen die Uhr an. Herr Kollege Klein hat sich zu einer weiteren Zwischenfrage gemeldet.
Herr Kollege Conradi, würden Sie mir auch zustimmen, daß es auf der Welt eine Reihe bedeutender und unzweifelhafter Demokratien gibt, in denen die Regierung dem Parlament gegenübersitzt, und daß dies nichts mit totalitären Systemen zu tun hat?
Das ist richtig. Aber in der Mutter der Parlamente, im britischen Unterhaus, wie in der französischen Nationalversammlung - das sind nun einmal die ältesten demokratischen Parlamente - ist es anders. Auch bei uns hier hat sich das doch bewährt.
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Wir haben nach der damaligen strittigen Debatte die Regierung vom Podium in unsere Mitte heruntergeholt. Das hat dem Parlament und unserem Ansehen nicht geschadet.
Ich bitte Sie deshalb, für den Änderunsantrag zu stimmen, weil der Kreis auch in der Politik ein schönes, starkes, einfaches, verständliches Symbol ist und weil der Kreis, in dem Bundesregierung und Bundesrat mit dem Parlament zusammen über die Zukunft unseres Landes reden, der Verfassungswirklichkeit besser entspricht als das Gegenüber aus der Kaiserzeit.
Ich weiß, es geht „nur" um eine Formsache. Aber jede Form, auch jede Architekturform, hat ihren Inhalt, und jeder Inhalt sucht die ihm gemäße Form. So sucht auch die Demokratie für ihren zentralen Raum, den Plenarsaal, die geeignete bauliche Gestalt. Wir wollen das nicht überbewerten. Wie diese Abstimmung hier ausgeht, das wird die deutsche Demokratie nicht erschüttern, und ich räume ein, es gibt gewichtigere Fragen deutscher Politik als diese. Gleichwohl meine ich, wir sollten diese Frage nicht unter Wert behandeln. Wir würden uns selbst damit unter Wert behandeln; mit den oft zitierten Worten von Adolf Arndt aus seiner Rede „Demokratie als Bauherr":
Eine Demokratie ist nur soviel wert, wie sich ihre Menschen wert sind, daß ihnen ihr öffentliches Bauen wert ist.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gerald Häfner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir kommt das, was wir hier betreiben, ein bißchen wie die Echternacher Springprozession vor. Schon 1988 habe ich in der Debatte zum selben Punkt gesagt, jeder blamiert sich, so gut er kann, und da gab es noch Applaus von allen Seiten. Jetzt soll es also noch schlimmer werden: Das ist heute mittlerweile die sechste Debatte des Bundestages über seine Sitzordnung. 1948 hat Professor Schwippert schon sehr deutlich - und es lohnt sich, das nachzulesen - die Meinung vertreten, daß eine kreisrunde Sitzordnung die einer Demokratie baulich angemessenste wäre.
({0})
Darauf hat Herr Dr. Adenauer erwidert, das sei zwar richtig und der Vorschlag ausgezeichnet, aber - ich zitiere - für den Anfang der parlamentarischen Arbeit sollte man nicht gleich zu solch radikalen Neuerungen greifen. - Das war 1948, meine Damen und Herren.
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Ich frage mich allerdings ernsthaft, welche Überzeugungskraft dieses Argument jetzt, da wir seit Jahren in einem kreisrunden Plenarsaal tagen, noch haben soll und ob dies wirklich noch solch eine radikale Vorstellung ist.
Ich erinnere mich auch an das Verhalten der F.D.P. 1987 und 1988. Wir hatten hier im Hause nach langer Debatte endlich eine kreisrunde, höhengleiche Sitzordnung beschlossen, und dann kam die Partei der schlechten Verlierer und sagte: April, April, das nehmen wir nicht hin; und die F.D.P. verlangte eine erneute Abstimmung, weil es ja immer schon offenbar für einige im Hause weitaus wichtiger war, erhöht zu sitzen, als Fragen der Demokratie, des Grundgesetzes, der Gewaltenteilung ernst zu nehmen und zum Ausgangspunkt unserer Politik zu machen.
Dann haben wir wieder darüber debattiert, uns wieder für die höhengleiche kreisrunde Sitzordnung entschieden, und jetzt kommt sie wieder, die Debatte, ob wir einen kreisrunden oder lieber doch wieder einen frontalen elliptischen Plenarsaal haben wollen, wie das früher war.
Das ist beileibe kein unbedeutendes Thema, sondern die Baugestalt ist Ausdruck einer Denkhaltung und auch Ausdruck einer politischen Haltung. Sie spiegelt unser Verständnis von Demokratie und das von unserer eigenen Arbeit wider. Deshalb, lieber Kollege Conradi, bei aller inhaltlichen Zustimmung: Es ist nicht nur eine symbolische Frage; es ist zwar eine symbolische, aber es ist eben auch eine ganz praktische Frage; es ist eine Frage, wie wir uns selbst als Volksvertretung verstehen und in einem solchen Raum verhalten.
Wir bauen ja in Berlin, in einer Stadt, in der die Menschen jahrzehntelang um Demokratie und Freiheit kämpfen mußten, in einer Stadt, in der im Osten die Parteibonzen selbstverständlich immer über und gegenüber den macht- und kompetenzlosen Volksvertretern thronten und in der im Westen lange nur eingeschränkte Souveränität bestand.
Wir bauen in einer Stadt, in der die Bürgerinnen und Bürger selbst mit dem Ruf „Wir sind das Volk" den Regierenden entgegenschrien, was das Grundaxiom der Demokratie ist, nämlich: alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, so Art. 20 des Grundgesetzes, also nicht mehr Herrschaft über das Volk, sondern Regierung durch das Volk und für das Volk. Wir bauen in einer lange Zeit und in vielen Bereichen immer noch geteilten Stadt, und wir wollen, daß diese Stadt und ihre Menschen und daß die Menschen in beiden Teilen dieser Republik zusammenwachsen. Worin könnte sich all dies besser ausdrücken als in einer runden Sitzordnung?
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Wir bauen auch in der Stadt der runden Tische, und ich möchte, daß wir diese bedeutende Tradition nicht so schnell vergessen. Ein Stück weit kann und sollte auch das Parlament ein Runder Tisch sein!
Schließlich bauen wir in einem Gebäude, das in seiner ganzen Gestalt vom Geist des Wilhelminismus, vom Geist des Kaiserreiches geprägt ist. Wir können diesen Plenarsaal gestalten und sollten dabei der Schwere und Last dieses Gebäudes hier etwas von Leichtigkeit, von Offenheit, von Transparenz, von Dialog und vom Geist lebendiger Demokratie entgegensetzen.
Es ist der Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Mahlo geäußert worden.
Selbstverständlich, gerne.
Herr Kollege, könnten Sie sich vorstellen, daß Sie als Opposition einmal einen Minister kritisieren und ihn ansprechen wollten, und finden Sie es dann sehr praktisch, daß Sie sich dabei den Hals verrenken und nach hinter sich sprechen müßten?
Lieber Herr Kollege Mahlo, ich finde es ausgesprochen praktisch und angenehm, daß wir hier nicht mehr wie im Kino, wie im Omnibus oder wie im Hörsaal sitzen und Vorträgen erlauchter Herren lauschen,
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sondern daß wir miteinander reden können und ich Sie, lieber Herr Kollege, wenn ich hier spreche oder da drüben sitze, sehen kann - nicht nur den Minister und den Redner. Ich finde es gut, daß wir alle einander im Blick haben und dadurch Auge in Auge und auf gleicher Höhe miteinander debattieren können.
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Aber es geht ja nicht nur um die kreisrunde Form. Es geht ja noch um etwas viel Erstaunlicheres. Das steht übrigens gar nicht in dem Antrag. Das hat man ein wenig versteckt, aber es steht in den Unterlagen zum Antrag: Die Regierung legt Wert darauf, erhöht zu sitzen, sagt die Koalition; sie möchte über dem Parlament thronen. Ich kann eine Legitimation dafür im Grundgesetz nicht finden. Im Grundgesetz ist von Gewaltenteilung und von Gewaltenverschränkung die Rede. Von einer Über- oder Unterordnung steht dort jedoch nichts geschrieben.
Es liegt noch eine Bitte des Abgeordneten Heinrich um eine Zwischenfrage vor.
Herr Kollege Häfner, nach Ihrer Aussage gerade eben habe ich den Eindruck, daß Sie die Pläne noch nicht gesehen haben; denn auch bei der elliptischen Form sitzen selbstverständlich Opposition und Regierung oder gegebenenfalls die großen Parteien einander gegenüber. So gesehen besteht überhaupt kein Unterschied.
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Ich möchte außerdem darauf hinweisen: Sie haben gerade eben fälschlich noch einmal gesagt, daß es uns auf eine Erhöhung ankomme. Es kommt uns aber nicht auf eine Erhöhung an, sondern es kommt uns darauf an, wie die Anordnung insgesamt vorgenommen wird.
Herr Kollege, Sie hätten eine Frage stellen müssen.
Herr Kollege, die Vielzahl spontaner Debattenbeiträge in dieser Debatte ist ja im Grunde erfreulich und ist das, was ich mir unter einem lebendigen Parlament vorstelle.
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Deswegen bin ich auch nicht böse, daß Sie keine Frage gestellt haben.
({1})
- Doch, haben Sie? - Dann bitte ich Sie, die Frage zu wiederholen.
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Ich habe eine längere Ausführung gehört und dabei Ihren Standpunkt kennengelernt und verstanden.
Ich habe Sie gefragt, ob Sie denn nicht die Pläne gelesen hätten, in denen ganz klar zum Ausdruck kommt, daß man auch in
der elliptischen Form einander gegenüber sitzt.
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Jetzt hatte ich gehofft, Ihnen würde eine bessere Frage einfallen als die nach dem Lesen der Pläne.
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Ich habe die Pläne gelesen und eben aus diesem Grund so Stellung genommen, wie Sie das soeben von mir gehört haben. Das, was Sie heute so schönfärberisch elliptische Form nennen, bedeutet, daß das Plenum, das hier im Moment zum Kreis gebogen ist, zurückgedrängt wird auf gut die Hälfte des Plenarsaals und daß dafür die Regierung und auch der Bundesrat - den wir nicht vergessen wollen, auch wenn er selbst heute und übrigens auch sonst nicht sehr zahlreich vertreten ist - uns auf der andern Seite gegenüber sitzen.
Ich möchte aber zum Schluß noch einmal auf den Wunsch der Koalition nach Erhöhung der Regierungssitze zurückkommen. Wir sollten das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich halte das wirklich für einen architektonischen Anschlag auf das Grundgesetz und auf die Demokratie.
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Das hat mit unserer Verfassungsordnung nichts zu tun. Das konnte man zu Zeiten des Kaiserreiches im Preußischen Landtag machen, aber doch nicht in einem demokratischen Parlament.
Gestattest Du eine Zwischenfrage der Abgeordneten Baumeister?
Ich möchte gerade den Gedanken noch vollenden. Dann gestatte ich selbstverständlich die Zwischenfrage.
Diese Sache ist ja nicht die einzige beabsichtigte Änderung. Der Kanzler möchte und hat durchgesetzt, daß - anders als von den Architekten vorgesehen - das Kanzleramt höher ist als die auf der Achse im Parlamentsviertel daneben liegenden Parlamentsbauten. Ich finde das peinlich und lächerlich. Ich finde, das haben weder der Kanzler noch diese Bundesregierung nötig.
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Wer Größe durch bauliche Höhe ausdrücken muß und will, der hat schon verloren.
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Jetzt bitte ich um Ihre Frage.
Herr Kollege, haben Sie in meiner Rede mitbekommen, daß es mir in keinster Weise um eine Erhöhung der Bundesregierung ging, sondern daß ich gesagt habe, daß dies überhaupt keine Frage für uns ist? Vielmehr wurde aus anderen Gesichtspunkten heraus diskutiert. Aber wir sind gerne bereit, darauf zu verzichten.
({0})
Im übrigen: Wenn Sie das nicht gehört haben sollten, dann darf ich noch bemerken, daß dies an der schlechten Akustik dieses Plenarsaals liegt, wo Sie eben wesentlich weiter auseinander sitzen
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und, lieber Herr Kollege, aus diesem Grunde Ihnen wahrscheinlich diese meine Passage nicht gegenwärtig ist.
({2})
Liebe Frau Kollegin, ich will den weniger sachlichen Teil Ihrer Frage nicht beantworten, aber den, über den ich mich freue; denn er zeigt, daß solche Debatten Sinn haben. Wenn Sie nach dieser Debatte tatsächlich die 17,5 cm, über die inzwischen wirklich schon alle lachen, aus dem Antrag streichen, dann sind wir schon ein ganzes Stück näher beieinander.
Ich habe mir erlaubt und möchte dies zum Abschluß -
Nein, Ihre Redezeit war leider schon abgelaufen. Ich habe anschließend die Frage und Ihre Antwort zugelassen. Aber Ihre Redezeit war tatsächlich leider vorbei, auch für weitere Zwischenfragen. Das tut mir leid, Herr Kollege.
Ich bedaure das sehr, denn ich habe ein Gedicht zu diesem Anlaß geschrieben. Ich hätte das gerne zum besten gegeben, kann es aber leider nicht mehr tun.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({0})
Moment! Ich habe so selten ein selbstgemachtes Gedicht in diesem Hause gehört, daß ich ausnahmsweise dazu das Wort gebe.
({0})
Vielen Dank! Jetzt hoffe ich, liebe Präsidentin, daß das nicht zu lang wird. Das Gedicht hat nämlich zwei
Strophen. Es ist eine Abwandlung des berühmten Goethe/Schiller-Distichons. Es heißt:
Das ist nicht des Kanzlers Größe: zu sitzen auf erhabnem Thron. Klimatod sofort bekriegen,
Arbeitslosigkeit besiegen,
Argumente klug zu wiegen gäb' echte Größe, höher'n Lohn.
({0})
Die zweite Strophe, der Rat an den Kanzler, lautet:
Äußerlich erhöht zu sitzen,
das ist läppisch, führt zu Witzen! Höher steh'n an Geist und Taten, würden wir dem Kanzler raten!
({1})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinrich.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich heute wieder einmal mit sich selbst, und das aus gutem Grund. Aber es ist natürlich deutlich zu sagen, daß das zuständige Gremium für den Umbau des Reichstags, der Ältestenrat, ein klares Votum abgegeben hat, bei dem die Opposition in der Minderheit geblieben ist. Aus diesem Grund müssen wir uns heute erneut mit dem Sachverhalt beschäftigen, und zwar im Plenum des Deutschen Bundestages.
Es ist ein Novum, daß man innerhalb von acht Jahren zweimal einen Plenarsaal, ein nationales Parlament, an verschiedenen Orten planen, bauen und umbauen soll. Hier spiegelt sich ganz sicherlich die bewegte Geschichte unseres deutschen Vaterlandes wider. Wir haben somit die Chance, über die Erfahrungen, die wir hier im neuen Plenarsaal gemacht haben, zu befinden und notwendige Korrekturen vorzunehmen.
({0})
Herr Kollege, einen kleinen Moment. Ich muß für Ruhe sorgen. Es ist jetzt dermaßen unruhig, daß ich bitte, den Raum in der Mitte sofort freizumachen, damit der Kollege in Ruhe sprechen kann.
({0})
Am meisten stört mich, daß der Blickkontakt zwischen Redner und Plenum in diesem Plenarsaal nicht so gut ist, wie er im Wasserwerk war.
({0})
Das, glaube ich, ist doch schon ein deutlicher Hinweis. Man redet ein bißchen ins Leere, auch wenn der Saal gut gefüllt ist, wie wir das zur Zeit haben. Ich denke zu Recht mit Wehmut an das Wasserwerk, wo wir in diesem Punkt wesentlich bessere Verhältnisse hatten.
Die Voraussetzungen für eine lebhafte und interessante Debatte, in einem Raum, wo Rede, Gegenrede, Zwischenrufe und Mißfallensäußerungen eine dichte Debattenatmosphäre entstehen lassen, sind bei der von der Opposition vertretenen Variante nicht optimal. Dies kommt von der runden Sitzanordnung, die zwangsläufig eine größere Distanz zwischen Redner und Plenum zur Folge hat.
({1})
Wären Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, bereit, diese Argumente für eine optimale Debattengestaltung aufzunehmen und zur Grundlage Ihrer Entscheidungen zu machen, müßten Sie eigentlich für die elliptische Form stimmen.
({2})
Aber es ist schon bezeichnend, daß Sie, wenn ich Sie richtig verstanden habe, mehr oder weniger eine ideologische Betrachtungsweise in dieser Richtung als Ihre Grundhaltung darstellen.
({3})
Was soll es denn, wenn wir alles nivellieren und nicht mehr erkennbar machen wollen, wie sich die einzelnen Verfassungsorgane im Parlament des Deutschen Bundestages widerspiegeln.
({4})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?
Ja.
Herr Kollege, da Sie das Lieblingswort der Regierungsfraktion „Ideologie" jetzt eingeführt haben und eine Ideologie in der Regel einen philosophischen Urvater hat, könnten Sie mir bitte sagen, welchen philosophischen Vater Sie beim Kreis, der ältesten Form, die wir in der Menschheitsgeschichte kennen, ausmachen?
Herr Kollege Duve, es geht hier nicht um die Frage der ideologischen Beschreibung des Kreises, sondern es geht darum,
({0})
ob wir die verfassungsmäßigen Verhältnisse unserer Bundesrepublik Deutschland, nämlich die eines föderativen Staatsaufbaus, auch für diejenigen, die oben in den Zuschauerrängen und vor dem Fernsehen sitzen, noch erkennbar machen, wer Bundesrat, Bundesregierung und Bundestag ist.
({1})
Wir wollen keine Nivellierung, und wir wollen keine Vermischung, sondern wir wollen, daß auch der Betrachter von außen das erkennen soll. Sie legen offenbar keinen Wert darauf; denn es hat sich deutlich gezeigt, daß Sie mit Ihrer Zwischenfrage in eine ganz andere Richtung gezielt haben.
Ich möchte sagen: Wir haben im Deutschen Bundestag und hier im Plenum klare und exakte Regeln. Wir versagen z. B. einem Mitglied des Bundesrates, sich zwischen den Gängen und den Sitzreihen der Abgeordneten zu bewegen. Das gleiche gilt für Minister der Bundesregierung, die nicht gleichzeitig ein Bundestagsmandat haben. Diese Regelung ist gut so. An dieser Regelung wollen wir festhalten.
Dann möchten wir aber auch, daß, wenn wir schon solche Regelungen haben, diese auch für den Betrachter von außen erkennbar sind; denn unsere Demokratie leidet auch darunter, daß vieles mißverstanden wird und daß der Bürger draußen nicht mehr versteht, was hier tatsächlich vollzogen wird.
Dazu gehört für mich nicht nur ein Stück Symbolik, sondern auch ein Stück spiegelbildlicher Darstellung unserer repräsentativen demokratischen Struktur in der Bundesrepublik Deutschland.
Gestatten Sie, Herr Kollege, eine Zwischenfrage der Kollegin Köster-Loßack?
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege, um der Nivellierung, die Sie als Problem beschworen haben, eventuell entgegenzuwirken: Vielleicht könnten wir uns das Modell des Orchestergrabens für die Regierungsbänke vorstellen?
({0})
Darüber können wir dann in der Baukommission noch einmal befinden. Wenn wir uns für die elliptische Form entschieden haben, dann sind wir offen. Wie das die Kollegin Baumeister bereits signalisiert hat, kommt es uns nicht darauf an, die Regierung und den Bundesrat erhöht zu plazieren, sondern wir sind durchaus auch der Meinung, daß wir die Sitzbänke auf einer Ebene mit dem Bundestag anordnen lassen sollten.
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt: Wenn Sie Ihre ideologische Betrachtungsweise - ich
sage das betont noch einmal, Herr Kollege Duve - einmal beiseite schieben und sich den Argumenten öffnen, die ich gerade vorgetragen habe, dann werden Sie Ihrem eigenen Antrag nicht zustimmen, sondern die Ergebnisse der Baukommission und des Altestenrates akzeptieren.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus-Jürgen Warnick.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich zum alles und alle bewegenden Problem der Sitzordnung komme, möchte ich ein paar grundsätzliche Ausführungen machen. Ich habe in den letzten vierzehn Tagen im Zusammenhang mit der beabsichtigten Einführung des Vergleichsmietensystems in Ostdeutschland viele gut besuchte Mieterveranstaltungen durchgeführt.
Dabei hatte ich stets auch Gelegenheit, Rechenschaft über meine Arbeit im Bundestag abzulegen. Ich kann Ihnen sagen: Die Bürgerinnen und Bürger sind immer wieder hellauf begeistert, wenn sie hören, mit welchen immens wichtigen Themen wir uns hier beschäftigen. Viele sind arbeitslos oder wissen nicht mehr, wie sie in Zukunft die Miete bezahlen sollen. Währenddessen befassen sich ihre Volksvertreter damit, wie sie irgendwann im Reichstag sitzen werden. Die Vorredner haben ja zum Teil schon auf diese Peinlichkeit hingewiesen. Sie befassen sich damit hier nur deswegen, weil sie sich in Kommissionen nicht einigen können. Man muß sich auch einmal die Debatte von vorhin anschauen, diese „unwichtige Debatte" zum Waldzustandsbericht. Man muß einmal sehen, wie viele Leute da im Saal waren und wie viele Leute im Saal waren, als es um verschwendete Fördergelder im Osten ging. Es waren 30, 40 Parlamentarier. Jetzt haben wir einen vollen Saal. Alle diskutieren mit Feuereifer und sind voll dabei, mit Zwischenrufen und mit Zwischenfragen.
Seit ich hier in Bonn ein klein wenig mitmachen darf, verstehe ich zum Teil das unheimlich schlechte Ansehen von Abgeordneten in der breiten Öffentlichkeit viel besser. Bei repräsentativen Umfragen nach dem Image kommen wir ziemlich weit hinten.
Gestern in der Baukommission war auch wieder so eine Sternstunde der Parlamentarier. Es ging um die Frage der zukünftigen Kuppel im Reichstag. Da kann uns vielleicht auch noch so eine lustige Debatte ins Haus stehen wie zur heutigen Frage der Sitzordnung. Ich muß hier ehrlich sagen: Obwohl ich als Abgeordneter zweiter Klasse in der Kommission nicht mit abstimmen darf und demzufolge dafür keine Verantwortung trage, habe ich mich trotzdem geschämt, geschämt vor dem Architekten, der mittlerweile ein furchtbares Bild von der Entschlußkraft von Abgeordneten haben muß, geschämt bei dem Gedanken, ein paar „Otto Normalverbraucher" von draußen hätten das Trauerspiel miterleben können. Ich bin gegangen.
({0})
Wir haben uns interfraktionell darauf geeinigt, endlich etwas für Obdachlose zu tun. Gestern nachmittag haben wir noch einmal mit Vertretern der verschiedensten Ausschüsse zusammengesessen. Einerseits finden wir keinen haushaltstechnischen Weg, um die benötigten 50 Millionen DM für ein minimales Obdachlosenprogramm aufzutreiben, diskutieren andererseits eine Stunde später über den Kuppelneubau im Reichstag, der ca. 30 Millionen DM kosten wird.
Nun aber zur Sitzordnung. Die ideologischen Grabenkämpfe sind gewaltig. Rund oder Ellipse, das ist hier die Frage. Aber im Ernst: Wenn man sich schon entscheiden muß, dann ist nach unserer Auffassung die Kreisform wesentlich günstiger; wir favorisieren sie. Sie spiegelt unser Verständnis vom Verhältnis von Parlament zur Regierung besser wider.
({1})
Daß es bei dieser Sitzordnung auch schon einmal vorkommen kann, daß der Fernsehzuschauer bei zu weitem Kameraschwenk am Bildschirmrand die ungeliebten Abgeordneten der PDS sieht, wird diese Demokratie doch wohl unbeschadet überstehen.
({2})
Noch ein paar Worte zur Abstimmung über die zukünftige Sitzordnung. Altbundespräsident von Weizsäcker hat in der vergangenen Woche etwas Bemerkenswertes festgestellt, daß nämlich ein Instrument die parlamentarische Demokratie beherrsche, welches in unserer demokratischen Verfassung offiziell gar nicht vorkomme: die Macht der Fraktionsdisziplin, und daß dadurch bei eigentlich klaren Mehrheitsmeinungen unter den Abgeordneten trotzdem keine entsprechenden Mehrheiten im Parlament zustande kämen. Ich muß zugeben: Noch vor einem halben Jahr war ich so naiv, zu glauben, daß es im Bundestag geheime Abstimmungen gibt. Nun muß ich feststellen, daß das Gewissen der einzelnen Abgeordneten unter sehr guter Kontrolle ist. Hammelsprung, Handheben oder namentliche Abstimmung sollen dafür sorgen, daß ein Gewissen ja nicht in die Versuchung gerät, zu stolpern und womöglich von der Fraktionsmehrheit abzuweichen. Lediglich bei Personalentscheidungen und im extremen Einzelfall dürfen die Parlamentarier - mit viel Angst der Fraktionsoberen - frei und geheim entscheiden. Wie schön könnte es sein, wenn die Abgeordneten jetzt über die Sitzordnung geheim abstimmen würden. Da wäre wenigstens ab und zu ein wenig Spannung vor den Entscheidungen im Parlament.
({3})
Ein Gutes hat die Diskussion aber doch. Die Eiereien mit der PDS werden in den Skizzen zur neuen Sitzordnung wiederum deutlich. Zu Recht planen Sie uns auch für die nächsten Wahlperioden ein.
({4})
Es ist aber eine Sitzordnung eingezeichnet, die es so mit Sicherheit nicht geben wird. Die PDS in zurückgesetzter Reihe, wieder als Aschenputtel - das ist im Reichstagsgebäude eine Illusion. Denn entweder sind wir in vier Jahren im Bundestag als Fraktion vertreten oder gar nicht. Denn, meine Damen und Herren von der Koalition, Sie würden mich schwer enttäuschen, wenn Sie nicht bis zur nächsten Bundestagswahl eine Möglichkeit finden würden, das Schlupfloch, über die drei Direktmandate in den Bundestag zu gelangen, zu schließen. Da ist ja auf Sie auf alle Fälle Verlaß.
Ich danke Ihnen.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über den Änderungsantrag der Abgeordneten Peter Conradi, Franziska Eichstädt-Bohlig, Klaus-Jürgen Warnick und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 13/727, kreisrunde Sitzordnung. Wird eine namentliche Abstimmung beantragt? - Herr Hörster, bitte.
({0})
Frau Präsidentin, ich beantrage, wie vorhin bereits angekündigt, namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag des Kollegen Conradi und weiterer Kollegen.
Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich eröffne damit die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe damit die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen, und unterbreche bis zum Vorliegen des Ergebnisses die Sitzung.
({0})
Meine Damen und Herren, ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag des Abgeordneten Peter Conradi, der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 13/727 bekannt: Abgegebene Stimmen 632. Mit Ja haben gestimmt 306; mit Nein haben gestimmt 324. Enthaltungen 2.
({0})
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 632; davon:
ja: 306
nein: 324
enthalten: 2
Ja
CDU/CSU
Wolfgang Börnsen ({1})
SPD
Brigitte Adler Gerd Andres Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Dr. Ulrich Böhme ({2}) Arne Börnsen ({3}) Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({4}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer ({5}) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Dagmar Freitag Anke Fuchs ({6})
Katrin Fuchs ({7})
Arne Fuhrmann Monika Ganseforth
Norbert Gansel Konrad Gilges Iris Gleicke
Günter Gloser
Günter Graf ({8}) Angelika Graf ({9}) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl-Hermann Haack ({10})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({11}) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({12}) Frank Hofmann ({13}) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Maria Anna Hovermann Lothar Ibrügger
Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({14}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner
Ernst Kastning Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Christine Kurzhals Dr. Uwe Küster Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({15}) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({16})
Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({17}) Ursula Mogg
Jutta Müller ({18}) Christian Müller ({19}) Volker Neumann ({20}) Gerhard Neumann ({21}) Dr. Edith Niehuis
Vizepräsidentin Dr. Antie Vollmer
Dr. Rolf Niese
Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Hermann Rappe
({22})
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Otto Reschke
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Gerhard Rübenkönig
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({23})
Dagmar Schmidt ({24}) Wilhelm Schmidt ({25}) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({26})
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann ({27})
Reinhard Schultz ({28}) Volkmar Schultz ({29})
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({30}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wolfgang Spanier
Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Dietmar Thieser Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Günter Verheugen
Ute Vogt ({31}) Karsten D. Voigt ({32}) Hans Georg Wagner
Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({33}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({34}) Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier Helmut Wieczorek ({35}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Berthold Wittich
Dr. Wolfgang Wodarg Hanna Wolf
Heide Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
({36}) Gila Altmann ({37}) Volker Beck ({38}) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({39}) Joseph Fischer ({40}) Rita Grießhaber
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken-Deipenbrock Michaele Hustedt
Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Vera Lengsfeld
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({41}) Winfried Nachtwei Christa Nickels
Cem Özdemir
Gerd Poppe
Dr. Jürgen Rochlitz Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({42}) Wolfgang Schmitt
({43})
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe Werner Schulz ({44}) Rainder Steenblock Marina Steindor
Christian Sterzing
Manfred Such
Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({45}) Margareta Wolf-Mayer
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs
Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Andrea Lederer
Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({46}) Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun ({47}) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({48}) Peter H. Carstensen
({49}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann
Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Kurt Faltlhauser Jochen Feilcke
Dr. Karl H. Fell Ulf Fink
Dirk Fischer ({50}) Klaus Francke ({51}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther ({52}) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({53}) Gerda Hasselfeldt Rainer Haungs
Otto Hauser ({54}) Hansgeorg Hauser
({55}) Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig
Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinz Hornhues Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung ({56}) Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dr. Bernd Klaußner Hans Klein ({57}) Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler
({58})
Manfred Kolbe Norbert Königshof en Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus
Wolfgang Krause ({59}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({60})
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus
Walter Link ({61}) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({62})
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Friedrich Lohmann
({63}) Julius Louven
Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({64}) Dr. Dietrich Mahlo
Claire Marienfeld Erwin Marschewski Günter Marten
Dr. Martin Mayer
({65}) Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Friedrich Merz
Rudolf Meyer ({66})
Elmar Müller ({67})
Dr. Gerd Müller Engelbert Nelle
Bernd Neumann ({68}) Johannes Nitsch
Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost
Eduard Oswald Norbert Otto ({69}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Peter Harald Rauen Otto Regenspurger
Christa Reichard ({70}) Klaus Dieter Reichardt
({71})
Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Roland Richwien Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl ({72}) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Rönsch
({73}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({74}) Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer ({75}) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee
Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({76}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({77})
Andreas Schmidt ({78}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
({79})
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr
von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte
({80}) Gerhard Schulz ({81}) Frederik Schulze Diethard Schütze ({82}) Clemens Schwalbe Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters
Johannes Selle Bernd Siebert
Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann
Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr
von Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({83})
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm ({84}) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({85}) Matthias Wissmann Simon Georg Wittmann
({86}) Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
FDP
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({87})
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({88}) Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Detlef Kleinert ({89}) Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laerman Heinz Lanfermann
Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng ({90})
Enthalten
SPD
Brigitte Schulte ({91}) Dr. Norbert Wieczorek
Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Der Sache nach bedeutet das eine Mehrheit für die Beschlußempfehlung des Ältestenrates auf Drucksache 13/685, über die wir meines Erachtens nicht mehr abstimmen müssen.
({92})
- Wir stimmen also formal darüber ab. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ältestenrates auf Drucksache 13/685? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
({93}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ältestenrates
Rechtsstellung der Abgeordneten der PDS im 13. Deutschen Bundestag
- Drucksache 13/684 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dazu liegt ein Änderungsantrag der PDS vor.
Interfraktionell ist für die Aussprache eine FünfMinuten-Runde vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Hörster.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in der konstituierenden Sitzung des 13. Deutschen Bundestages bereits über das hier anstehende Problem gesprochen. Wir haben damals die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages aus der 12. Wahlperiode übernommen. Das hatte zur Konsequenz, daß diesem Hohen Hause nach der Geschäftsordnung vier Fraktionen angehören, nämlich die der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P., und daß wir darüber hinaus gemäß § I 0 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung die Mitglieder der PDS als Gruppe akzeptieren.
Abgesehen von einem Bundestagsbeschluß im Jahre 1960 bekam die Frage der Gruppenbildung und der Rechte von Gruppen innerhalb des Bundestages erst wieder aktuelle Bedeutung, als wir unser Vaterland vereinigen konnten und aus der Volkskammer 144 Abgeordnete in den Deutschen Bundestag delegiert wurden, darunter 24 von der PDS.
Zu Beginn der 12. Wahlperiode waren als Folge der getrennten Anwendung der Fünfprozentklausel im westlichen und östlichen Wahlgebiet politische Gruppierungen in den Bundestag gewählt worden, deren Mandatsanteil unter 5 % lag. Das führte dazu, daß wir diese Gruppierungen im Bundestag als geschlossene politische Gruppierungen, sozusagen als Gruppe, anerkannten. Dieser Beschluß wurde auf die PDS und die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angewendet.
Der vom Ältestenrat verabschiedete und in der 12. Wahlperiode vom Bundestag beschlossene Gruppenstatus stellte sicher, daß die Mitglieder der Gruppen an der parlamentarischen Meinungs- und Willensbildung umfassend beteiligt wurden. Sie erhielten in den Plenarverhandlungen Redezeit entsprechend ihrer Stärke. Es ist darauf hinzuweisen, daß ihnen in der Praxis großzügig entgegengekommen wurde.
({0})
Sie konnten wie Fraktionen nach dem angewandten Proportionalverfahren vollberechtigte Mitglieder in die Fachausschüsse entsenden. Sie hatten das Recht, Gesetzentwürfe, Anträge, Entschließungsanträge sowie Große und Kleine Anfragen einzubringen. Das heißt, es ist in vollem Umfang ihrem Anliegen Rechnung getragen worden.
Das Verfahren ist dann Gegenstand einer Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht gewesen. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt:
Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien beeinflußt nicht den Status der Abgeordneten
im Parlament. Zwar folgt die Anerkennung der
Parlamentsfraktion als einer notwendigen Einrichtung des Verfassungslebens aus der Anerkennung der Parteien ({1}). Das ändert aber nichts daran, daß die Bildung der Fraktionen auf der in Ausübung des freien Mandats getroffenen Entscheidung der Abgeordneten beruht und der Bundestag für die Festlegung der Fraktionsstärke einen eigenen, auf seiner Geschäftsordnungsautonomie beruhenden Gestaltungsspielraum hat.
Das Bundesverfassungsgericht hat also das, was der Deutsche Bundestag in der 12. Wahlperiode in seiner Geschäftsordnung festgeschrieben hatte, quergeschrieben und außer Streit gestellt, was die Verfassungskonformität anbetrifft.
({2})
Seit dieser Zeit haben sich die Verhältnisse nicht so verändert, daß man an diesen Entscheidungen des 12. Deutschen Bundestages etwas ändern muß. Wir haben die Fraktionsstärke des Deutschen Bundestages gegenüber der 12. Wahlperiode unverändert gelassen. Da die PDS auf Grund der Entscheidung der Wähler in diesem Hohen Hause die Fraktionsstärke nicht erreicht hat, muß sie sich mit dem Status einer Gruppe zufriedengeben, was der Verfassung entspricht und was auch den Entscheidungen der Wähler Rechnung trägt. Daher werden wir dem Änderungsantrag der PDS nicht zustimmen, sondern der Beschlußempfehlung des Ältestenrates.
Herr Kollege Hörster, darf ich Sie eine Sekunde unterbrechen. - Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gysi?
Ich möchte die Zwischenfrage nicht gestatten,
({0})
weil wir uns in der Sache sehr intensiv beraten haben und ich nicht den Eindruck habe, daß die Zwischenfrage des Kollegen Gysi das Plenum erhellen könnte.
({1})
Es ist Ihre freie Entscheidung, die keiner Begründung bedarf. Sie haben das Wort.
Ich wollte es aber gerne begründen, Herr Präsident.
Wir haben in den zurückliegenden Wochen und Monaten die Gremien des Deutschen Bundestages besetzt. Wir haben bei der Besetzung dieser Gremien entgegen dem, was die PDS in der Öffentlichkeit fälschlicherweise behauptet, diese Gruppierung nicht ausgegrenzt,
({0})
sondern wir haben sie mit vollen Rechten an den Ausschuß- und Gremienbesetzungen teilnehmen lassen,
({1})
soweit das ihre zahlenmäßige Stärke in diesem Hohen Hause gerechtfertigt hat. Nur, wenn der Wähler entschieden hat, daß Sie hier lediglich mit 30 Abgeordneten sitzen, dann können Sie nicht dieselben Ansprüche geltend machen wie die großen Fraktionen wie SPD und CDU/CSU die auf Grund des Wählervotums mit 250 und mehr Abgeordneten in diesem Hause vertreten sind.
({2})
Das kann auch durch eine Geschäftsordnungsentscheidung, wie Sie sie gerne hätten, nicht geändert werden.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({3})
Ich erteile nun dem Kollegen Peter Struck das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute eine wichtige Entscheidung über den Status der Kolleginnen und Kollegen der Gruppe der PDS zu treffen. Ich kann verstehen, daß das für diese Gruppe von besonderer Bedeutung ist und daß das Ergebnis dieser Entscheidung für die Kolleginnen und Kollegen aus dieser Gruppe möglicherweise Anlaß sein wird, unsere Entscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen, wenn sich die Mehrheit in diesem Hause auf Grund der Beschlußempfehlung des Ältestenrats gegen ihre Änderungsanträge ausspricht.
Ich spreche für die SPD-Fraktion und erkläre, daß wir der Beschlußempfehlung des Ältestenrates aus verschiedenen Gründen zustimmen. Nach unserer Auffassung stimmt unsere Geschäftsordnung, die die Fünfprozentklausel für den Status einer Fraktion enthält, mit dem überein, was auch im Wahlrecht gilt. Es gibt keinen Grund, davon abzuweichen. Wenn wir in der Geschäftsordnung von der Fünfprozentklausel abweichen würden, meine Damen und Herren von der Gruppe der PDS, dann stellt sich schon die Frage, an welchem Punkt der Fraktionsstatus beginnen soll. Wir haben das in der vergangenen Legislaturperiode nach der Bundestagswahl 1990 an Hand des Status der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und auch an Hand des Status der Gruppe der PDS ausführlich diskutiert.
Die Entscheidungen des Ältestenrates und des Plenums sind Gegenstand eines Überprüfungsverfahrens in Karlsruhe gewesen. Ich bin der festen Überzeugung, daß das, was der Ältestenrat mit Mehrheit vorschlägt, dem entspricht, was das Bundesverfassungsgericht festgelegt hat. Ich würde niemals einer Beschlußempfehlung des Ältestenrates zustimmen, wenn ich Sorge habe müßte, daß das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung aufhebt. Es ist unsere Verantwortung als Abgeordnete, die Rechtsprechung unseres höchsten Gerichtes zu berücksichtigen. Das tun wir, und deshalb kann ich in keinem Punkte dem Änderungsantrag zustimmen, den die Gruppe der PDS vorgelegt hat.
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- Nun wollen Sie wohl eine Zwischenfrage stellen. Wenn der Präsident Ihnen das Wort erteilt, habe ich nichts dagegen, Herr Kollege Gysi.
Na bitte, Herr Kollege Gysi, dann können Sie Ihre Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Struck, ich möchte die Frage stellen, ob Sie nicht akzeptieren, daß das Bundesverfassungsgericht nur darüber entschieden hat, was im Umgang eines Parlaments mit den eigenen Abgeordneten rechtlich möglich ist, wohingegen es heute zunächst um eine politische Entscheidung geht. Der Spielraum, den das Parlament hat, ist ja vom Bundesverfassungsgericht nicht dergestalt begrenzt worden, daß man uns nicht den Fraktionsstatus geben dürfte, sondern allenfalls dergestalt, daß man ihn uns nicht geben muß.
Besteht da nicht doch ein Unterschied, ob man ein Sonderwahlrecht für eine Legislaturperiode hat, als es möglich war, mit nur 5 % der Stimmen in den neuen Bundesländern in den Bundestag einzuziehen, oder ob es um das Wahlrecht geht, das hier seit Jahrzehnten gilt? Jetzt sind wir nach einem Wahlrecht in diesen Bundestag eingezogen, das genauso schon 1965 oder 1975 gegolten hat, also ohne jede Sonderregelung. Muß man da nicht davon ausgehen, daß ein nach Wahlrecht gleichberechtigter Einzug dazu führen sollte, daß es Einschränkungen in den Rechten einer Partei im Bundestag nicht gibt, die bei dem zu verabschiedenden Gruppenstatus doch ziemlich erheblich sind? Das ist in erster Linie eine politische Frage.
Im übrigen geht es hierbei auch darum, daß man nicht automatisch 20 % der Stimmen in den neuen Bundesländern wesentlich geringer bewertet als einen solchen Anteil in den alten Bundesländern.
Und nun kommt noch Ihre Frage, wenn ich das richtig verstehe.
Ich habe sie schon verstanden, Herr Präsident, auch wenn er es nicht in Frageform gekleidet hat. - Also, Herr Kollege Gysi, wir sind jetzt schon in einer rechtlichen Bewertung dessen, was der Ältestenrat vorgelegt hat und was Sie mit Ihrem Änderungsantrag rechtlich erreichen wollen. Man kann juristisch schon so argumentieren wie Sie. Ich bin selbst Jurist von Beruf und weiß - Sie wissen das auch -, daß diejenigen, die juristisch ausgebildet sind sagen: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. - Möge es dann doch das BunDr. Peter Struck
desverfassungsgericht entscheiden, wenn Sie den Weg dorthin gehen.
Meine Position ist folgende: Ich sehe bei dem, was der Ältestenrat vorgeschlagen hat - Sie haben mit Recht gesagt, es sei eine politische Frage -, keine politische Diskriminierung Ihrer Gruppe. Ich bin vielmehr der Auffassung, daß wir - Herr Kollege Hörster hat das in etwas polemischer Art dargelegt; es ist bekanntlich nicht meine Art, polemisch vorzutragen ({0})
die Gruppe, der Sie vorsitzen, Herr Kollege Gysi, schon so behandelt haben, als sei sie eine Fraktion, so daß ich nicht glaube, daß Ihr Argument - das Sie auch in der Öffentlichkeit darstellen -, Sie würden über diesen Status auch politisch diskriminiert, berechtigt ist.
Fazit: Die Entscheidung, die das Plenum heute vermutlich gegen Ihren Antrag treffen wird, muß juristisch überprüft werden, wenn Sie glauben, daß das juristisch nicht zu vertreten sei. Ich bin aber der festen Überzeugung, daß unsere Entscheidung auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird.
Ich erteile nun dem Kollegen Werner Schulz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum wiederholten Male - hoffentlich letztmalig und in aller Klarheit -: Wir wollen, daß die PDS volle parlamentarische Rechte und damit Arbeitsmöglichkeiten erhält und als Fraktion Anerkennung findet. Wir werden deswegen der Beschlußempfehlung des Altestenrates nicht zustimmen und in der Konsequenz dessen den Änderungsantrag der PDS unterstützen. Unsere Geschäftsordnung läßt es zu, daß die 30 Abgeordneten der PDS - es fehlen nur vier am Fraktionsstatus - als Fraktion anerkannt werden können. Doch hier geht es eigentlich nicht um eine Geschäftsordnungsfrage, sondern um eine politische Frage.
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Ich sage noch einmal mit aller Klarheit: Wir wollen, daß die Mitglieder der Partei, die vor kurzem noch zu 90 % einer Partei angehört haben, die Opposition kriminalisiert hat, heute - und darin liegt die Souveränität der parlamentarischen Demokratie - die Möglichkeit bekommen, Opposition auszuüben oder zu üben;
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denn der innerparteiliche Leitsatz der PDS heißt doch wohl: Veränderung beginnt mit Opposition. - Wir nehmen das ernst, was sich die PDS selbst als Aufgabe gestellt hat.
Alle betonen die inhaltliche Auseinandersetzung mit der PDS. Wohlan, dann greifen wir sie doch auf! Ein Hauptinhalt ihrer Politik ist im Moment die starre Empörung über die Situation der Benachteiligten. Das gehört zum festen Repertoire, das sind die festen
Redebausteine, mit denen Gregor Gysi jongliert, mit denen er mittlerweile die Hälfte seiner Reden auf Parteitagen ausfüllt. Genau mit dieser Mischung aus Betroffenheit, aus Empörung und aus Befindlichkeit wird Zustimmung erreicht; denn die wenigsten in den ostdeutschen Bundesländern möchten doch dieser Partei „Dem Morgenrot entgegen" folgen, weil die Skepsis überwiegt, daß man mit diesen Brüdern weder „zur Freiheit" noch „zur Sonne" kommt.
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Wer die PDS nicht als Fraktion anerkennt - ich sage das an die Adresse der Koalition -, macht sie groß. Aber das will die Koalition offensichtlich; denn unter dem Daueraufkleber „Wir sind ausgegrenzt" verschwindet eigentlich die politische Schwäche der bunten Liste, die quer im Lager der Opposition liegt.
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Nur so läßt sich verdecken, daß der Wahlkampfjoker Stefan Heym nun wahrlich kein parlamentarisches As ist. Aber offenbar möchte die Koalition, daß die PDS das nächste Mal nicht allein über drei Direktmandate in den Bundestag kommt, sondern die Fünfprozenthürde überspringt.
Die PDS ist allerdings nicht so ausgegrenzt, wie sie immer tut, oder zurückgesetzt, wie es Gregor Gysi sagt. Er als einzelner sitzt z. B. - anschaulich - in der gleichen Reihe wie der Bundeskanzler,
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um die vorherige Debatte über die Sitzordnung aufzugreifen.
Meine Damen und Herren, geben wir der PDS doch keine Chance zur Verfassungsklage! Schließlich sollten die Gelder der SED, die längst nicht alle bekannt sind, in gemeinnützige Zwecke fließen und nicht in Prozeßkosten und damit in die Bundeskasse oder womöglich in die Taschen von Anwälten - ich will nicht sagen, sogar von Notaren.
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Ich erteile nun dem Kollegen Jörg van Essen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorhang geht heute auf für eine neue Aufführung des immer gleichen Stücks: arme, benachteiligte PDS. Daß die PDS nicht arm ist, weiß jeder. Benachteiligt ist sie auch nicht. Sie ist mit ihren Abgeordneten demokratisch in dieses Haus gewählt worden. Sie kann - selbstverständlich für eine Demokratie - sich an der Arbeit in diesem Hause beteiligen. Wer sich einmal anschaut, was der Ältestenrat für die Rechtsstellung der Abgeordneten der PDS empfiehlt, stellt schnell fest, daß Ihrer Gruppe nahezu alle Rechte eingeräumt werden, die auch einer Fraktion zustehen. Insbesondere die wichtigen Mitgestaltungsmöglichkeiten stehen ihr ohne Einschränkungen zu. Sie kann stimmberechtigte Mitglieder in Ausschüsse und Kommissionen entsenden, Gesetzentwürfe, Anträge, Entschließungsanträge sowie
Große und Kleine Anfragen einbringen und Aktuelle Stunden verlangen. Und sie macht auch Gebrauch davon.
All das macht deutlich, daß weiterhin das gilt, was Vertreter des Bundestages in der mündlichen Verhandlung bei einer früheren Klage der PDS vor dem Bundesverfassungsgericht erklärt haben: Sinn der Handhabung der Geschäftsordnung des Bundestages ist es, die im Deutschen Bundestag vertretenen Gruppen zu integrieren, und nicht, sie auszugrenzen.
Wir haben uns bei unserer Entscheidung im Ältestenrat in vollem Umfang an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 16. Juli 1991 gehalten. Zu den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts gehört auch, daß die Anerkennung der Parlamentsfraktionen als eine der notwendigen Einrichtungen des Verfassungslebens aus der Anerkennung der Parteien in Art. 21 Grundgesetz folgt, dies aber nichts daran ändert, daß der Bundestag für die Festlegung der Fraktionsstärke einen eigenen, auf seiner Geschäftsordnungsautonomie beruhenden Gestaltungsspielraum hat. Dieser Gestaltungsspielraum bedeutet, daß er weder gezwungen werden kann, die Zahl der Mitglieder für Fraktionen niedriger anzusetzen als in seinem heute noch geltenden Beschluß von 1969, als noch niemand an die PDS gedacht hat, noch daß er daran gehindert ist, sie gegebenenfalls sogar höher anzusetzen.
Die praktische Arbeit des Bundestages hat im übrigen bisher gezeigt, daß in der Frage der Mitwirkungsmöglichkeiten der PDS eher großzügig als zurückhaltend verfahren worden ist. In einer Vielzahl von Fällen ist der PDS mehr Redezeit eingeräumt worden, etwa wenn sie Antragstellerin war und es daher sachgerecht war, ihr eine besondere Möglichkeit zur Antragsbegründung einzuräumen.
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- Das ist so geschehen, Herr Gysi, das können Sie nicht bestreiten. Wir haben das auch jetzt getan. Ich bin zwar als Geschäftsführer neu im Amt, weiß aber, daß es so etwas durchaus schon oft gegeben hat. Ich bin sicher, daß wir auch in Zukunft nicht anders verfahren werden.
Ich höre, daß die PDS erneut das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anrufen wird. Ich kann das nur begrüßen; denn dann werden die Fragen geklärt. Sie wird nach meiner Einschätzung keinen Erfolg haben und durch das Ergebnis des Prozesses dazu beitragen, daß aus dem Vermögen der nicht armen und nicht benachteiligten PDS dann doch die eine oder andere Mark im Staatssäckel landet.
Vielen Dank.
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Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Manfred Müller.
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- Es kann trotzdem teuer werden, Herr Kollege Gysi.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Debatte ist schon deutlich geworden, daß hier politisch entschieden wird. Ich habe immer noch die Hoffnung, daß es gelingt, die Abgeordneten von unserer Argumentation, die im übrigen nicht neu ist, zu überzeugen.
Der Ältestenrat hat einige Zeit gebraucht, um zur Rechtsstellung der Abgeordneten der PDS eine Beschlußempfehlung vorzulegen. Ich erinnere - das haben meine Vorredner auch schon getan -: Die PDS hat vier Direktmandate errungen, ist mit insgesamt 30 Abgeordneten in den 13. Bundestag eingezogen gegenüber 17 Abgeordneten der PDS/Linke Liste im 12. Deutschen Bundestag, und sie hat nahezu 5 % der Abgeordnetensitze errungen. Die Situation der PDS im 13. Deutschen Bundestag hat sich also gegenüber der Situation der PDS/Linke Liste im vorigen Bundestag erheblich verändert, u. a. auch deshalb, weil die PDS/Linke Liste 1991 über eine Sonderregelung in den Bundestag eingezogen war.
Noch 1991 ist vor dem Bundesverfassungsgericht im Organklageverfahren zur Rechtsstellung der PDS/Linke Liste erklärt worden, daß einer Partei, die nur knapp die Fünfprozentgrenze verfehlt habe, der Fraktionsstatus zu gewähren sei. Diese Äußerung war kein Fauxpas, sondern entsprach einer Rechtsauffassung, wie sie insbesondere von dem früheren Kommentator der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, dem ehemaligen Direktor beim Deutschen Bundestag, Hans Trossmann, vertreten wurde. Damals hat wohl noch niemand damit gerechnet, daß man mit einer PDS im 13. Deutschen Bundestag in eine solche vertrackte Situation kommen würde.
Wir werden den Deutschen Bundestag aber nun beim Wort nehmen - heute mit der Abstimmung über unsere Anträge, für den nicht überraschenden Fall der Ablehnung dieser Anträge vor dem Bundesverfassungsgericht. Wir, die Abgeordneten der PDS, haben nun auch genug Gründe, an der Aufrichtigkeit derjenigen Fraktionen zu zweifeln, die für diese Beschlußempfehlung des Ältestenrats zeichnen, daran zu zweifeln, daß es ihnen um den Ablauf der parlamentarischen Arbeit im Bundestag geht.
Wie in der Begründung zu unseren Anträgen ausführlich dargestellt, wurde in früheren Legislaturperioden auch kleineren Zusammenschlüssen von Abgeordneten, so der Deutschen Bauernpartei oder dem Zentrum, der Fraktionsstatus gewährt, ohne daß die sogenannte Funktionstüchtigkeit der parlamentarischen Arbeit für den Bundestag jemals in Frage stand. Die Zusammenschlüsse waren den großen Fraktionen nämlich politisch genehm, es waren keine Gegner und keine Konkurrenten.
Die Gründe für die jetzige Ausgrenzung der PDS zeigen sich deutlich vor diesem historischen Hintergrund und angesichts der vielfältigen Behinderungen unserer parlamentarischen Arbeit, etwa bei der Verweigerung von längeren, zusammenhängenden Redezeiten, der Wahl zum Vermittlungsausschuß oder gar dem ungeheuerlichen Verhalten bei der Wahl zum Gemeinsamen Ausschuß.
Manfred Müller ({0})
Einer der Höhepunkte dieser ganzen Auseinandersetzung ist auch die Verweigerung von finanziellen Zuwendungen des Bundes an eine parteinahe Stiftung der PDS. Das ist kleinkariert, intolerant und undemokratisch.
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Bekämpfen Sie uns politisch-inhaltlich - da stimme ich Ihnen, Herr Schulz, voll zu -, die Geschäftsordnung ist dafür untauglich!
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Wer von der herrschenden Meinung abweichende Auffassungen und Haltungen nicht ertragen kann, sollte zumindest akzeptieren, daß die Abgeordneten der PDS von mehr als zwei Millionen Wählerinnen und Wählern gewählt wurden, die sich ebenfalls ausgegrenzt fühlen müssen.
Juristisch ist das alles nur haltbar, wenn mit der Funktionstüchtigkeit des Deutschen Bundestages zusammenhängende Gründe geltend gemacht werden können. Wie aber wollen Sie das erreichen? In der Beschlußempfehlung des Ältestensrates sind jedenfalls keine Gründe genannt. Das zirkelschlüssige Argument, unser Gruppenstatus - mit den damit einhergehenden eingeschränkten Rechten - habe sich bewährt, können Sie wohl nicht ernsthaft ins Feld führen. Für 30 Ihrer Kolleginnen und Kollegen hat er sich nicht bewährt. Wie wollen Sie begründen, daß 30 Abgeordnete der PDS von einer vollen Mitwirkung im Ältestensrat ausgeschlossen werden, von einem Organ, das wesentlich zur Verständigung beitragen soll, wenn nicht damit, daß Sie mit den 30 Abgeordneten der PDS tatsächlich keine politische Auseinandersetzung, erst recht keine Verständigung wollen? Wie wollen Sie sachlich begründen, daß Sie der PDS verweigern, nach § 35 unserer Geschäftsordnung in größeren Debatten Redezeiten bis zu 15 Minuten zusammenzufassen?
Die Willkürlichkeit - und deren politischer Hintergrund - wird erst recht offenbar an der Tatsache, daß Sie der PDS lediglich den hälftigen Grundbetrag zubilligen und uns damit in unserer Arbeitsfähigkeit entscheidend schwächen. Die PDS würde ca. 3 Millionen DM jährlich an Grundbeträgen mehr erhalten, wenn sie nur vier Sitze mehr errungen hätte. Wo ist da der Sinn, wenn es nicht der ist, unsere Arbeit gegenüber den anderen Fraktionen zu behindern? Wie wollen Sie an Hand dieser Vergleichszahlen rechtfertigen, daß Sie den kleineren Fraktionen, die keineswegs doppelt so groß sind und auch nicht doppelt soviel Arbeit leisten, einen doppelt so hohen Grundbetrag zubilligen, übrigens einen ebenso hohen Grundbetrag wie den großen Fraktionen?
Mit unseren Hilfsanträgen verfolgen wir das Ziel, gerecht behandelt und den Fraktionen mindestens gleichgestellt zu werden. Auch wenn Sie unserem Hauptantrag nicht zustimmen wollen: Hören wir gemeinsam auf mit kleinkarierter Rechthaberei! Unterstützen Sie zumindest unsere Hilfsanträge! Nur dann können Sie bei der nächsten Wahl erklären, Sie hätten einen gleichberechtigten Gegner bekämpft.
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Zwingen Sie uns also nicht, unser Recht wie schon 1991 erneut vor dem Bundesverfassungsgericht einzuklagen!
Ich danke Ihnen.
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Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ältestenrates und über verschiedene Anträge der PDS. Wir haben es verstanden, die relativ einfache Problemlage in eine ziemlich komplizierte Geschäftsordnungslage zu verwandeln.
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Deshalb bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit.
Wir stimmen zunächst über Nr. 3 der Beschlußempfehlung des Ältestenrates auf der Drucksache 13/684 ab. Der Ältestensrat empfiehlt, den Antrag der PDS auf Drucksache 13/4 - Änderung von § 10 der Geschäftsordnung in der Weise, daß die PDS Fraktion wird - abzulehnen. Wer für diese Beschlußempfehlung ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS angenommen.
Nun kommen wir zu den Nrn. 1 und 2 der Beschlußempfehlung des Ältestenrates auf Drucksache 13/684. Dazu liegen Änderungswünsche der PDS auf Drucksache 13/724 vor.
Mit Buchstabe A dieser Änderungswünsche wird Anerkennung der PDS als Fraktion durch besonderen Beschluß des Bundestages beantragt. Wer für den Buchstaben A des Änderungsantrages der PDS stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist dieser Änderungsantrag der PDS mit der gleichen Mehrheit wie vorhin abgelehnt.
Unter Buchstabe B des Änderungsantrages auf Drucksache 13/724 werden sieben Änderungen des in der Beschlußempfehlung des Ältestenrates vorgesehenen Gruppenstatus gewünscht. Darüber stimmen wir jetzt ab. Wer für diese Änderungen stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Änderungsantrag unter Buchstabe B ist mit der gleichen Mehrheit wie vorhin abgelehnt.
Damit ist der Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 724 insgesamt abgelehnt.
Nun kommen wir zu den Nrn. 1 und 2 der Beschlußempfehlung des Ältestenrates auf Drucksache 13/684. Wer diesen Nrn. 1 und 2 der Beschluß-
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
empfehlung des Ältestenrates zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann sind die Nrn. 1 und 2 der Beschlußempfehlung mit der gleichen Mehrheit wie vorhin angenommen. Damit ist die Beschlußempfehlung des Ältestenrates auf Drucksache 13/684 zur Rechtsstellung der Abgeordneten der PDS im 13. Deutschen Bundestag insgesamt angenommen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - 3. SGB V-Änderungsgesetz - ({1})
- Drucksache 13/340 -
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Bericht des Bundesministeriums für Gesundheit zur Entwicklung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und zur Umsetzung der Empfehlungen und Vorschläge der Konzertierten Aktion zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
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- Drucksache 12/8570 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Seehofer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesundheitsstrukturgesetz ist bekanntlich am 1. Januar 1993 in Kraft getreten. Die wesentlichen Instrumente dieses Gesetzes sind ebenso wie die Budgetierung auf drei Jahre ausgelegt, also bis Ende 1995. Deshalb haben wir jetzt zwei Drittel der Laufzeit dieses Gesetzes im Kern hinter uns. Es ist sicher an der Zeit, im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Auftrag zur Berichterstattung über die Beitragsentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Bilanz zu ziehen.
Das Ziel dieses Gesetzes war es, die Harmonie von Einnahmen und Ausgaben festzustellen. Wir können auch nach dem zweiten Jahr der Laufzeit festhalten, daß dieses Ziel nicht nur erreicht, sondern sogar übertroffen worden ist. Nach dem sehr großen Überschuß im Jahre 1993 haben wir nach den Finanzergebnissen auch 1994 innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt einen Überschuß von rund 2,1 Milliarden DM erwirtschaftet. Nach der Ausgabenexplosion mit Rekorddefiziten und dem sprunghaften Anstieg der Beitragssätze in den Jahren 1991 und 1992 steht die gesetzliche Krankenversicherung damit wieder auf einem soliden Fundament. Man kann mit Fug und Recht sagen, daß diese Reform ein Erfolgsmodell war und ist.
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Der durchschnittliche allgemeine Beitragssatz wurde zum 1. Januar 1995 in den alten Ländern aul 13,2 % und in den neuen Ländern auf 12,8 % reduziert.
Die erste Botschaft: Wir haben nach wie vor Überschüsse und eine Tendenz zu sinkenden Beiträgen in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die zweite wesentliche Botschaft - auch das war ein Kernziel des Gesundheitsstrukturgesetzes -: Die Beitragssatzunterschiede zwischen den verschiedenen Krankenkassen sind spürbar verringert worden. Das ist ein Erfolg des Risikostrukturausgleichs. 36 aller gesetzlich Krankenversicherten hatten zu Beginn der Gesundheitsreform einen Beitragssatz, der mehr als einen Prozentpunkt vom durchschnittlichen allgemeinen Beitragssatz abwich. Jetzt ist diese Abweichung nur noch bei 16 % der Krankenversicherten gegeben. Wenn man einmal die Versicherten betrachtet, die sogar um mehr als zwei Punkte vom allgemeinen durchschnittlichen Beitragssatz abweichen, dann stellt man fest, daß sich dieser Anteil von 16 % Anfang 1993 auf jetzt unter 3 % verringert hat. Der Risikostrukturausgleich hat also seine gewollten Wirkungen entfaltet. Damit sind entscheidende Voraussetzungen für einen fairen Kassenwettbewerb und auch für die erweiterte Wahlfreiheit der Versicherten ab 1996 geschaffen worden.
Das dritte - auch das war und bleibt ein Ziel dieser Reform -: Die Qualität der medizinischen Versorgung ist gesichert. Ich denke, wir haben in den letzten 24 Monaten den Beweis dafür angetreten, daß Leistungsfähigkeit einerseits und Sparsamkeit andererseits kein Gegensatz sind. Die erzielten Einsparungen gingen nicht zu Lasten der medizinischen Versorgung. Vielmehr wurden Wirtschaftlichkeitsreserven mobilisiert.
Ich stelle nach zwei Jahren Gesundheitsstrukturreform mit besonderer Freude fest: Das deutsche Gesundheitswesen gehört nach wie vor zu den leistungsfähigsten auf der Welt. Ich behaupte sogar, es ist das leistungsfähigste auf dieser Erde. Das ist die wichtigste Botschaft für die Versicherten und für die Kranken: Das Sparen ging nicht zu ihren Lasten.
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Ich möchte einige Einzelpunkte aus der Finanzentwicklung 1994 gesondert herausgreifen.
In den neuen Ländern hatten wir ein leichtes Defizit von 200 Millionen DM. Das ist eine Folge der gewollten großzügigen Ausnahmen aus den Budget-und Übergangsregelungen, die der Gesetzgeber bewußt eingegangen ist, um den Übergang in den neuen Ländern auf ein selbstverwaltetes freiheitliches Gesundheitssystem ohne größere Verwerfungen zu ermöglichen.
Ich nenne als Besonderheit des Jahres 1994 zweitens die siebenprozentige Steigerungsrate bei der konservierenden zahnärztlichen Behandlung. Ich erwähne dies deshalb, weil man die Behauptung einiger zahnärztlicher Funktionäre im September und Oktober des Jahres 1994, man könnte Patienten mangels Finanzen nicht mehr behandeln, also die Boykottdiskussion, bei einer Steigerungsrate von 7 nachträglich nur als - um keinen härteren Begriff zu gebrauchen - gesundheitspolitisches Schauermärchen des Jahres 1994 einstufen kann. Es hat sich das herausgestellt, was wir bereits im September/Oktober gesagt haben, daß die Versorgung der Patienten zu jedem Augenblick auch finanziell gewährleistet und gesichert war. Man sollte sich diesen Vorgang merken, denn wir werden mit Sicherheit, wenn nicht dieses Jahr, aber vielleicht auch schon dieses Jahr, ähnliche Schauermärchen und den Versuch solcher Schauermärchen wieder erleben.
Ein Sorgenkind sind die stationäre Versorgung und die Fahrtkosten. Hier liegen die Ausgaben bei weitem über den Einnahmen. Die stationären Kosten sind in den alten Bundesländern annähernd um 7 gestiegen, die Fahrtkosten um 14 %. Damit haben die Fahrtkosten im vierten Jahr hintereinander zweistellige Steigerungsraten.
Meine Damen und Herren, da gibt es jetzt nicht nur eine Verantwortung der Selbstverwaltung, sondern hier sind auch alle Bundesländer in besonderer Weise gefordert, die im Bereich der Fahrtkosten und der Krankenhäuser besondere Verantwortung tragen.
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Ich füge ausdrücklich hinzu, daß ich hier Verständnis für die Klage der niedergelassenen Ärzte habe, die Klage nämlich, daß sie sehen müssen, wie ein Teil des Sparvolumens aus den Sparmaßnahmen, die sie im ambulanten Bereich mit sehr hohem Verantwortungsbewußtsein verwirklicht haben, vom stationären Bereich, vom Krankenhausbereich, geschluckt wird. Ich füge hinzu: Es kann nicht so bleiben, daß ein Teil der Beteiligten im deutschen Gesundheitswesen sich sehr korrekt an die gesetzgeberischen Vorgaben hält und in einem anderen Teil mit außerordentlicher Großzügigkeit diese Sparanstrengungen zunichte gemacht werden.
Ich möchte mich ausdrücklich beim gesamten Pharmabereich und beim gesamten ambulanten medizinischen und ärztlichen Bereich bedanken, weil dort die Sparmaßnahmen des Gesundheitsstrukturgesetzes sehr korrekt und verantwortungsbewußt eingehalten und umgesetzt wurden.
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Zur Finanzentwicklung 1995. Die Prognose für die Grundlohnsummenentwicklung beträgt in den alten Ländern 1,7 %, in den neuen Ländern 3,5 %. Meine Damen und Herren, das ist eine sehr geringe Steigerungsrate.
Viele werden sich fragen: Wieso nur 1,7 % und 3,5 % Steigerung, wenn aktuelle Tarifabschlüsse, die doch deutlich darüber liegen, vorausgesagt werden?
Das liegt an einer Entscheidung des Gesetzgebers, die parteiübergreifend im Zusammenhang mit der Rentenreform 1989 gefällt wurde, nämlich daß für Arbeitslose nicht mehr von 100 %, sondern nur noch von 80 % ihrer Bemessungsgrundlage die Beiträge an die Krankenversicherung ab 1995 gezahlt werden. Das verringert die Einnahmeerwartung der gesetzlichen Krankenversicherung ganz erheblich, in Milliardenhöhe, meine Damen und Herren, und dies führt dazu, daß die Einnahmeentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung 1995 nur sehr schmal ist, und die Budgets beziehen sich ja auf die sehr schmale Einnahmeerhöhung.
Ich füge aber noch einmal hinzu, daß dies eine Entscheidung des Deutschen Bundestages aus dem Jahre 1989 war, parteiübergreifend im Zusammenhang mit dem Konsens zur Rentenreform, und daß wir gewissermaßen jetzt auch die Folgen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu vollziehen haben.
Gleichzeitig - auch das muß hinzugefügt werden - haben wir eine Entlastung der Krankenversicherung durch die Pflegeversicherung ab 1. April 1995 von bis zu 3 Milliarden DM, weil die Pflegegelder und Pflegehilfen in der gesetzlichen Krankenversicherung wegfallen und von der Pflegeversicherung erwirtschaftet werden. Insgesamt können wir davon ausgehen, daß wir auch 1995 finanziell ein ausgeglichenes Ergebnis in der gesetzlichen Krankenversicherung erreichen können, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß die Instrumente des Gesundheitsstrukturgesetzes mit größter Sorgfalt und Ausgabendisziplin umgesetzt werden.
Ansonsten, meine Damen und Herren, könnte es sein, daß wir schon 1995 in eine Schieflage bei der Einnahmen- und Ausgabenentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung kommen. Das ist keine neue Erkenntnis. Die Koalition hat bereits im Frühjahr 1992, also bevor das Gesundheitsstrukturgesetz verabschiedet wurde, mehrfach öffentlich erklärt, daß aus ihrer Sicht das Gesundheitsstrukturgesetz nur zeitlich befristet Wirkung entfalten wird und daß wir deshalb eine weitere Reform brauchen.
Meine Damen und Herren, im Moment können wir zufrieden sein. Wir dürfen uns aber nicht darauf verlassen, daß diese gesundheitspolitische Schönwetterperiode anhält. Spätestens mit dem Ablauf der dreijährigen Budgetierung müssen wir uns wieder auf schwierigere Zeiten einrichten.
Meine Damen und Herren, daran ändern auch utopische, visionäre und meines Erachtens sehr theoretische Vorstellungen mancher Beteiligter in der derzeitigen Diskussion nichts. Ich bekomme immer den Vorschlag, doch noch die Strukturelemente des Gesundheitsstrukturgesetzes umzusetzen; dann brauchten wir keine weitere Gesundheitsreform und liefen nicht Gefahr, an der Schnittstelle von 1995 zu 1996 möglicherweise in rote Zahlen zu kommen.
Ich stelle hier noch einmal öffentlich fest: Alle Strukturelemente des Gesundheitsstrukturgesetzes, die einen Finanzeffekt auslösen können, sind umgesetzt. Es ist von keiner Maßnahme, die struktureller
Natur ist, ein zusätzlicher finanzieller Ertrag zu erwarten.
Ich nehme als ein Beispiel für viele andere Dinge die immer wieder in die Diskussion gebrachte Positivliste bei den Arzneimitteln. Meine Damen und Herren, es war immer meine Auffassung - darauf komme ich noch zurück -, daß eine Liste der verordnungsfähigen Medikamente allenfalls unter Qualitätsgesichtspunkten diskussionswürdig ist, daß es aber eine blanke Illusion ist, zu glauben, eine Liste der verordnungsfähigen Medikamente könnte auch nur 1 DM zugunsten der gesetzlichen Krankenversicherung einsparen.
Meine Damen und Herren, ich habe große Skepsis. Ich sage: Nach meiner Überzeugung wird die Positivliste nicht kommen.
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Ich stelle jetzt den Anhängern der Positivliste, damit sie sich nicht zu sehr mit der Stange im Nebel der Theorie in den nächsten Wochen und Monaten in Interviews in manchen Boulevardzeitungen noch herumbewegen, drei ganz einfache Fragen, und zwar Fragen, die mir von der Anhängerschaft der Positivliste als Bedingungen definiert worden sind.
Erste Frage: Will jemand von der SPD wirklich, daß auch nur ein Medikament der Naturheilmittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgegrenzt wird? Sagen Sie das hier der deutschen Öffentlichkeit!
Zweite Frage: Wollen Sie, daß auch nur ein einziges Bagatellarzneimittel aus der Liste der verordnungsfähigen Medikamente mit der Folge ausgegrenzt wird, daß es der Versicherte selbst zu bezahlen hat?
Dritte Frage: Wollen Sie, daß auch nur eine Indikation - wie von manchen beabsichtigt - bei den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung mit der Folge ausgegrenzt wird, daß beispielsweise Mittel gegen Gehirnleistungsstörungen, die bei Alzheimer-Krankheiten für die Betroffenen eine sehr notwendige Hilfe sind, herausfallen?
Wenn ich aber die Fragen beantworten würde, so wie sie die SPD in der Öffentlichkeit gegenüber der Bevölkerung beantwortet, muß ich folgendes feststellen: Sie wollen das Naturheilmittel nicht herausfallen lassen. Das wollen auch wir nicht. Sie wollen nicht, daß Bagatellarzneimittel zu Lasten der kleinen Leute, die einen schmalen Geldbeutel haben, ausgegrenzt werden. Das wollen auch wir nicht. Wir alle wollen nicht, daß ganze Indikationen in der Versorgung der Bevölkerung aus der Leistungspflicht bei Medikamenten herausgenommen werden.
Meine Damen und Herren, ich stelle mir die Frage: Was soll denn die theoretische Diskussion über eine Positivliste, wenn die drei wesentlichen Elemente nach Übereinstimmung aller Politiker in der Bundesrepublik Deutschland nicht angetastet werden sollen?
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Wer dies weiter verfolgt, meine Damen und Herren, wird von mir Tag für Tag die Frage bekommen: Wollen Sie, daß in diesen drei Gebieten zu Lasten der Versicherten irgend etwas ausgegrenzt wird? Weichen Sie dann nicht aus mit dem WIdO und 6 Milliarden DM für zweifelhafte Arzneimittel in der Bundesrepublik Deutschland!
Lieber Kollege Dreßler, setzen wir uns zusammen! Ich lege Ihnen eine Liste vor, und Sie streichen mir die Medikamente an, die zu Lasten der Versicherten ausgegrenzt werden sollen. Ich bin überzeugt, Herr Dreßler, Sie werden mir kein einziges Arzneimittel ankreuzen. Das ist doch auch die Art und Weise der Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland, daß man damit ganze Talk-Shows - eineinhalb Stunden - bestreiten kann. Alle reden über die Positivliste und treten für sie ein, aber kein Journalist kommt auf den Gedanken, einen der teilnehmenden Politiker oder Ärzte zu fragen: Sagen Sie mir bitte ein Medikament, das nach Ihrer Ansicht ausgegrenzt werden soll! Das ist die Art und Weise der Diskussion, die in der Bundesrepublik Deutschland geführt wird.
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Wir werden uns an alles halten, was im Gesetz steht. Aber Sie werden Gelegenheit bekommen, uns konkret zu sagen, welches Medikament zu Lasten der Versicherten ausgegrenzt wird; denn, meine Damen und Herren, Positivliste heißt im Klartext: Das soll eine Liste sein, die weniger Medikamente für die Versicherten vorsieht als heute.
Da gibt es nur drei Möglichkeiten: Entweder verordnet der Arzt überhaupt kein Medikament mehr, weil er der Meinung ist, das Gespräch reicht aus, oder der Arzt verordnet, und der Versicherte muß es bezahlen, oder der Arzt verordnet nicht mehr das Medikament, das ausgegrenzt wurde, sondern ein anderes Medikament, das in der Liste ist.
Wir wissen aus der Vergangenheit, daß dies dazu führt, daß Medikamente, die bisher billig waren, durch teure ersetzt werden, und Medikamente, die man bisher zur sanften Medizin gezählt hat, plötzlich durch die Chemie ersetzt werden. Beides ist sozialpolitisch und gesundheitspolitisch unerwünscht. Das ist die Realität.
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- Lieber Kollege Dreßler, ich bin gut aufgelegt. Ich gestatte eine Zwischenfrage. Ich bin einverstanden.
Herr Kollege Dreßler, dann schreiten Sie zur Tat.
Herr Minister Seehofer, darf ich aus Ihren Darlegungen, die Sie gegenüber dem Bundestag gerade gemacht haben, entnehmen, daß Ihnen erst in den letzten zwei Monaten, sprich: nach ungefähr zweijähriger Gültigkeit eines Gesetzes, die inhaltliche Ausgestaltung einer Positivliste durch Ihre Beamten erklärt worden ist?
Nein, lieber Herr Dreßler, ich bin von Ihnen persönlich aufgeklärt worden. Wir beide haben darüber gesprochen. Der Kollege Dreßler hat mir einige Bedingungen als Geschäftsgrundlage für eine Positivliste genannt. Einen Teil dieser Bedingungen habe ich jetzt hier für die Öffentlichkeit wiedergegeben.
({0})
Eines ist der wesentliche Unterschied zum Jahre 1992. Diejenigen, die uns die Positivliste vorgeschlagen haben, können jetzt nicht nachschieben: Dieses und jenes und ein Drittes kommt mit uns aber nicht in Frage. Ich sage, Herr Dreßler; Sie und einige Ihrer Kolleginnen und Kollegen haben sich durch öffentliche Festlegungen, durch Podiumsdiskussionen gemeinsam mit Koalitionsabgeordneten in einer Weise eingelassen, daß ich nicht mehr davon ausgehen kann, daß diejenigen, die uns die Positivliste vorgeschlagen haben, die wir 1992 mitbeschlossen haben, in der Öffentlichkeit dazu stehen, wenn es konkret wird.
Ein Spiel mache ich nicht mit: daß wir etwas umsetzen, was Sie uns vorgeschlagen und was wir mit beschlossen und mit zu verantworten haben, und anschließend werden wir von Ihnen dafür geprügelt, daß wir das umsetzen, was Sie uns vorgeschlagen haben. Das machen wir nicht mit.
({1})
Sind Sie einverstanden, daß Herr Dreßler eine zweite Frage stellt?
Ja.
({0})
Unabhängig davon, Herr Minister, daß das letzte, was Sie hier geäußert haben, eine Unterstellung war, frage ich Sie, ob Sie sich erstens erinnern, daß ich in dem Gespräch, das wir erwähnterweise geführt haben, die Frage gestellt habe, ob Sie bereit wären, falls Gerüchte stimmten, daß der Elferrat den Gesetzestext bei seiner Beschlußfassung verletze, der da sagt, daß positiv monographierte homöopathische Mittel bis zum 31. Dezember 1992 automatisch in die Positivliste kommen, sich dem zu widersetzen, und ob Sie sich zweitens erinnern, daß Sie mir darauf geantwortet haben: „Falls Sie das nicht einhalten, werde ich das nicht unterschreiben", und daß ich dann gesagt habe: Dann sind wir uns einig; dann gibt es keine Probleme.
Dann gibt es keine Positivliste, haben Sie gesagt.
Dann gibt es keine Probleme, habe ich gesagt. Das ist ja nun wirklich eine
Unterstellung. Das nehmen Sie jetzt bitte aber zurück, damit hier kein falscher Eindruck entsteht.
Das nehme ich zurück.
Gut.
Aber dann darf ich aus den Gesprächen, die wir dazu geführt haben, zitieren.
({0})
Ich sage ja: Ich habe die Fragestellungen, die ich hier eingebracht habe, für mich beantwortet. Herr Dreßler hat gesagt: Naturheilmittel, homöopathische Mittel, die positiv monographiert sind, können nicht ausgegrenzt werden. Da habe ich gesagt, das wäre rechtswidrig, das könnte nicht gemacht werden. Ganz eindeutig.
({1})
Ich habe jetzt die Frage gestellt: Gibt es im Deutschen Bundestag jemanden, der ein Naturheilmittel, ein sanftes Arzneimittel, aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgrenzen will? Das habe ich für mich beantwortet: Ich will das nicht. - Darin stimmen wir überein.
Nur, Herr Kollege Dreßler, das Problem beginnt dann, wenn eine ganze Indikation ausgegrenzt wird. Wenn eine ganze Indikation ausgegrenzt wird, können Sie nicht sagen: Das chemische Arzneimittel wird aus dem Leistungskatalog der GKV herausgeworfen, und das Naturheilmittel bleibt drin. - Das würde beim Verfassungsgericht keinen Tag gelten.
({2})
Da haben Sie mir gesagt, Sie hätten vor Ihrer Fraktion - nicht jetzt, sondern damals bei der Verabschiedung des GSG - die Zusicherung gegeben. Das haben mir verschiedene Fraktionskollegen erzählt, auch der damalige Fraktionsvorsitzende, der mich um Auskunft gebeten hat. Ich habe gesagt: Das steht zwar nicht im Gesetz, aber offensichtlich sind diejenigen, die das Gesetz verabschiedet haben, von der Geschäftsgrundlage ausgegangen, daß Naturheilmittel nicht ausgegrenzt werden können und sollten, jedenfalls diejenigen nicht, die positiv monographiert jetzt auf dem Markt sind, auch dann nicht, wenn ein ganzes Indikationsgebiet ausgegrenzt wird.
({3}) Das ist mein Problem.
Herr Kollege Dreßler, wenn Sie hier heute öffentlich sagen: „Ganze Indikationsgebiete auszugrenzen trage ich mit, auch dann, wenn Naturheilmittel betroffen sind; ich bin bereit, Mittel gegen geringfügige Gesundheitsstörungen in die Verantwortung des PaBundesminister Horst Seehofer
tienten zu übertragen" - das hat nämlich nichts mit Qualität zu tun, sondern mit sozialen Aspekten -, dann lade ich Sie ein, zum Institut zu fahren und das fachlich zu erörtern.
Nur eines kann man nicht machen: Man kann nicht für die Positivliste eintreten und gleichzeitig Bedingungen dafür definieren, was mit der Positivliste nicht geschehen darf, und zwar sozial, pharmakologisch und medizinisch. Herr Dreßler, aus dieser Diskussion werde ich Sie nicht entlassen.
({4})
Nach § 92a Abs. 5 Nr. 3 Sozialgesetzbuch V können Arzneimittel gegen geringfügige Gesundheitsstörungen in der Positivliste nicht mehr enthalten sein. Nennen Sie der deutschen Öffentlichkeit ein oder zwei Arzneimittel, die nach Ihrer Auffassung jetzt zu Lasten des Versicherten ausgegrenzt werden sollen!
Ich bitte um Vorschläge. Wenn Sie die Vorschläge nicht selbst machen wollen, könnte ich Ihnen über einen Pharmakologen eine Liste zukommen lassen, und Sie kreuzen mir das an, was nach § 92a Abs. 5 Nr. 3 ausgegrenzt werden soll. Wir müssen in Deutschland damit aufhören, daß man als Politiker ständig nur mit allgemeinen Aussagen Politik betreiben kann und nicht die moralische Pflicht hat, konkret zu werden.
({5})
Herr Minister, der Kollege Dreßler möchte noch eine Frage stellen.
Bitte.
Herr Kollege Seehofer, nachdem wir den ersten Teil des Gesetzes abgearbeitet und augenscheinlich einvernehmlich festgestellt haben, was bis zum 31. Dezember positiv monographierte Präparate betrifft, darf ich Sie jetzt fragen: Ist Ihnen bekannt, daß wir beide gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestags in dieses Gesetz im folgenden Absatz den Fall geregelt haben, daß andere Präparate, Indikationsgruppen nicht durch mich oder durch Sie - das ist nämlich nicht unsere Aufgabe -, sondern durch das Arzneimittelinstitut zur Streichung vorgeschlag en werden, und daß das logischerweise in der Konsequenz auch homöopathische Indikationsgruppen treffen kann?
Wenn das so ist - und das steht im Gesetz -, frage ich Sie: Wo liegt eigentlich Ihr Problem, Herr Minister?
Ihr Problem liegt in Ihrer Aussage mir gegenüber ({0})
- Ich habe damit überhaupt kein Problem.
({1})
Wir haben ein Gesetz und zwei Möglichkeiten. Wahrscheinlich müssen wir beide Möglichkeiten beschreiten. Die eine Möglichkeit ist, daß Sie den Sachverständigen sagen, das wollen Sie oder wollen Sie nicht.
Die zweite Möglichkeit ist, daß Sie vom Gesundheitsminister, der nach dem Gesetz dafür verantwortlich ist, eine Liste bekommen, die Sie im Bundesrat billigen oder ablehnen können. Ich sage Ihnen nur: Die Liste wird drei Dinge nicht enthalten. Sie wird keine Indikationsgebiete ausschließen, weil ich das aus verschiedenen Gründen - es würde die Zeit heute überschreiten, darauf einzugehen - für außerordentlich verhängnisvoll halte. Sie wird keine Ausgrenzung von Bagatellarzneimitteln zu Lasten der Versicherten enthalten.
({2})
- Ich habe kein Problem, Herr Schmidbauer. Sie haben in der „AZ" gesagt, wenn ich diese Meinung verträte, würde ich wortbrüchig. Jetzt werden wir einmal sehen, welchen Dingen Sie zustimmen und welchen nicht. Sie veranstalten nach außen ein Theater, und nach innen sind wir offensichtlich einer Meinung, daß die Positivliste nicht der große Renner sein kann.
({3})
- Nein, Wolfgang Lohmann, Herr Möllemann, Herr Thomae und Wolfgang Zöller haben in aller Gelassenheit auf dieses Problem hingewiesen. Sie haben gesagt: Gehen wir ehrlich mit der Bevölkerung um. Der große Wurf wird das nicht werden. Deshalb: Finger weg! - Dann haben Sie von Wortbruch gesprochen. Wir halten mit allen Mitteln daran fest. Jetzt stehen Sie im Deutschen Bundestag auf und sagen: Wo ist eigentlich das Problem? In den Punkten, die Sie genannt haben, sind wir einer Meinung.
({4}) Wir halten das fest, Herr Dreßler.
({5})
- Wir halten fest, Frau Schaich-Walch und Frau Steen: Wir sind einer Meinung. Dann darf aber auch Herr Schmidbauer nicht mehr in München rumlaufen und sagen: Wortbruch. Es kümmert mich zwar nicht so sehr, wenn der das sagt. Das bereitet mir keine schlaflose Nacht. Ich stelle jetzt fest: Wir sind in unserer Meinung ziemlich deckungsgleich. Ich halte das für das Protokoll fest.
Das zweite ist die Illusion, man könnte die Budgetierung fortführen. Erstens müssen Sie auch hier innerhalb der SPD Klarheit schaffen. Herr MüntefeBundesminister Horst Seehofer
ring, Sozialminister von Nordrhein-Westfalen hat am 9. Dezember 1994
({6})
- 9. Dezember 1994, Ende des letzten Jahres - in der „Ärzte-Zeitung" erklärt: „Wir halten uns an das, was in Lahnstein vereinbart worden ist. Die Budgetierung hat ein Ende und es wird so kommen, wie es vereinbart worden ist. Das zeigt die Begrenztheit planwirtschaftlicher Instrumente. "
({7})
- Der SPD-Sozialminister Müntefering in der „ÄrzteZeitung" im Dezember 1994. Nachdem ein führender Gesundheitspolitiker der SPD im Dezember 1994 erklärt hat, daß die Budgetierung kein Mittel über 1995 hinaus ist, kann doch die SPD-Bundestagsfraktion von der Koalition, wie geschehen, nicht fordern: Hört euer Geschwätz mit der Dritten Reform auf; verlängert die Budgetierung. Auch das ist doppelzüngige Politik, die wir nicht durchgehen lassen.
({8})
Deshalb bleibt nur eine Möglichkeit. Wir müssen uns rechtzeitig Gedanken machen, wie wir das deutsche Gesundheitswesen mit seiner sozialen Ausrichtung und in seiner hohen Qualität zukunftsweisend für den Rest dieses Jahrhunderts und darüber hinaus gestalten. Es führt kein Weg daran vorbei, sich diesen Reformüberlegungen zu stellen. Trotz des GSG und des von mir nicht bestrittenen Erfolges des GSG auch bei vielen strukturellen Maßnahmen - den Risikostrukturausgleich habe ich ja angesprochen - müssen wir zur Kenntnis nehmen: Die Bremswirkung verliert zunehmend an Kraft. Ich bin dafür, daß wir nicht wieder so lange warten, bis uns das Wasser an der Unterlippe steht und wir dann unter Zeitdruck ohne ausreichende fachliche Abklärung in der Hektik ein Gesetz machen. Vielmehr bin ich dafür, daß wir Politiker jetzt die Zwischenzeit nutzen, um ein langfristiges, möglichst von vielen partnerschaftlich mitgetragenes Konzept für die Zukunft zu entwikkeln. Ich frage: Muß denn die Politik mit Reformen immer warten, bis der Leidensdruck so groß ist, daß man keine Wahl mehr hat?
({9})
Wir brauchen diese Reformen, nicht um die Menschen zu ärgern, sondern um dieses gewaltige und hochwertige System sicher in die Zukunft hinüberzuführen.
({10})
Das ist der Weg; ihn beschreiten wir. Ich setze auf die Partnerschaft mit allen Beteiligten. Die Gespräche, die wir bisher geführt haben, haben mich in meinem Optimismus leicht bestärkt, daß wir die nächste Gesundheitsreform möglicherweise in Partnerschaft mit den Krankenkassen, den Ärzten, den Krankenhäusern und dem Pharmabereich zustande bringen.
Wir sind noch längst nicht über den Berg; es wird ein monatelanger Prozeß. Aber ich bin in meinem Optimismus leicht bestärkt worden, daß diese Partnerschaft möglich ist.
Meine Damen und Herren, es wird ein freiheitliches und sozial ausgerichtetes Gesundheitswesen bleiben. Herr Dreßler, was Sie immer wieder in manchen Interviews mit dem sehr charmanten Begriff „Schweinekram" umschreiben, ist eine bloße Unterstellung, eine pure Vermutung.
({11})
Herr Dreßler, ich sage hier noch einmal: Eine Gesundheitsreform, die etwa den Schwerpunkt hätte, daß Kranke die Zeche bezahlen, wird es mit diesem Gesundheitsminister und auch mit der CDU/CSU nicht geben.
({12})
Wir können doch keine aktuelle Diskussion führen, die besagt: Die Menschen sind mit Steuern und Abgaben nicht weiter zu belasten. Politiker, die das erkennen, können nicht gleichzeitig den Kranken eine höhere Selbstbeteiligung auferlegen. Das kann es nicht geben. Deshalb bleibt es eine soziale Krankenversicherung. Man kann nicht den einfachen Weg gehen, einfach irgendwelche Leistungen herauszuschmeißen - das ginge dann zu Lasten der Versicherten - oder die Selbstbeteiligung zu erhöhen. Wir müssen schon unser Gehirnschmalz einsetzen, um Strukturelemente zu finden, die aus sich heraus geeignet sind, diese Dinge in den richtigen Proportionen zu halten.
Darüber hinaus ist es mein Anliegen - das werden wir in der Koalition gemeinsam machen -, die Selbstverwaltung zu stärken und der Selbstverwaltung im Vertragswesen und im Wettbewerb die Möglichkeiten zu geben, die sie seit Jahren von der Politik einfordert, damit sie aus eigener Kraft heraus Qualität, soziale Dimension und Beitragssatzstabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung gewährleisten kann. Vorfahrt für die Selbstverwaltung - das werden wir jetzt mit allem Ernst verwirklichen. Gleichzeitig werden wir die Beitragssatzstabilität gewährleisten. Beide Dinge gleichzeitig sicherzustellen, das ist eine bessere Antwort auf die Probleme, als immer wieder neue Paragraphen und Gesetze zu schaffen.
Es sind seit 1977 6 800 Einzelbestimmungen ergangen. Mit 6 800 Einzelbestimmungen hat der Gesetzgeber immer wieder in das deutsche Gesundheitswesen eingegriffen. Aber er war nicht in der Lage, die Finanzprobleme dauerhaft zu lösen. Deshalb müssen wir einmal innehalten und überlegen, ob der alte Weg der Regulierungsspirale der richtige ist oder ob wir nicht neue Wege gehen müssen, um das Gesundheitswesen von dem ständigen politischen und staatlichen Eingriff freizuhalten.
Ich bin für den neuen Weg, für den Vorrang der Selbstverwaltung unter Aufrechterhaltung der sozialen Ausrichtung der gesetzlichen Krankenversicherung.
({13})
Herr Kollege Martin Pfaff, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Plenardebatte sollte eigentlich zum 3. SGBV-Änderungsgesetz sein, Herr Minister, und die heutige Plenardebatte sollte eigentlich zum Zweiten Bericht des Bundesministeriums der Gesundheit zur Entwicklung der Beitragssätze und zur Umsetzung der Empfehlungen der Konzertierten Aktion sein. Sie sollte auch - das war sie teilweise sogar - zur Umsetzung des Gesundheitsstrukturgesetzes sein.
Die heutige Debatte hat aber für mich, für uns, meine ich, das gesundheitspolitische Dilemma aufgezeigt, in dem Sie sich, Herr Seehofer, in dem sich die Koalition befindet. Sie hat die Widersprüche aufgezeigt, in denen sich Ihre eigenen Berichte und Ihre persönlichen Aussagen verstricken. Dennoch hat sie ein klein wenig, so hoffe ich jedenfalls, eine Chance für diese Legislaturperiode aufgezeigt.
Ich beginne mit dem strategischen Dilemma. Unser früherer Kollege Paul Hoffacker hat es auf den Punkt gebracht, als er sagte: Sie können hier einerseits unstreitige Gesetze einbringen, wie das, was von dem GKV-Anpassungsgesetz jetzt noch im 3. SGB-V-Änderungsgesetz enthalten ist. Das heißt, Sie können hier faktisch den Eindruck, den viele haben, verstärken, daß nämlich die Regierungskoalition in der Gesundheitspolitik dieser Epoche ein zahnloser Tiger ist. Und dies ist ein Beispiel.
Sie können andererseits natürlich nichtzustimmungsbedürftige Gesetze einbringen. Sie können aus der Mottenkiste - Sie haben es kurz angesprochen - die Selbstbeteiligung wieder auferstehen lassen.
Ich war doch sehr erstaunt, Herr Bundesminister: Ist es nicht so, daß Sie am 10./11. Januar in den Gesprächen mit den Ärzten die Selbstbeteiligung thematisiert haben, daß Sie die Ärzte gefragt haben, daß Sie einen Prüfauftrag an Ihr eigenes Haus gegeben haben, über die Steuerungswirkung der Selbstbeteiligung zu recherchieren? Dabei wissen wir doch alle, daß sie nicht steuerungswirksam ist - deshalb kann man sie vergessen - und daß sie die sozialpolitischen Ziele der gesetzlichen Krankenversicherung verletzt - deshalb muß man sie vergessen. Sie haben ja fähige Fachbeamte. Warum hören Sie nicht auf sie? Warum bringen Sie dieses Gespenst, das wir in Lahnstein, hoffte ich, endgültig begraben hatten, heute wieder in den Bundestag?
Herr Kollege Pfaff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seehofer?
Selbstverständlich.
Lieber Herr Kollege Pfaff, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich bei all den Gesprächen der letzten drei Monate auf dem Petersberg immer wieder auf folgenden Umstand hingewiesen habe: Wer durch höhere Selbstbeteiligung einen zusätzlichen Ertrag zugunsten der gesetzlichen Krankenversicherung erzielen will, wird dies nur erreichen können, wenn er den Krankenhausaufenthalt und die ärztliche Behandlung in diese Selbstbeteiligung einbezieht.
Wer dies nicht tut, hat keine Mark zusätzliche Einnahmen, weil in allen anderen Bereichen die Selbstbeteiligung zum Teil schon über 10 % liegt - übrigens auch auf Grund des Vorschlages der SPD-Bundestagsfraktion, die Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln von der Packungsgröße abhängig zu machen. Sie haben zwar nicht die Selbstbeteiligung vorgeschlagen, aber die Art und Weise der Bemessungsgrundlage vorgeschlagen und zur Bedingung gemacht. Diese Bedingung hat die Versicherten 600 Millionen DM mehr gekostet.
Weil wir diese nicht mehr weiter belasten können, habe ich den Ärzten und anderen gesagt: Sie müssen wissen, wenn Sie solche Forderungen stellen, daß dies die Beteiligung an der ärztlichen Dienstleistung und am Krankenhausaufenthalt bedeutet. Aber beides ist aus meiner Sicht nicht vorstellbar.
({0})
- Ob er das zur Kenntnis nehmen will, Herr Schmidbauer. Sie müssen lernen zuzuhören.
Herr Bundesminister Seehofer, ich nehme natürlich gerne alles zur Kenntnis - auch wenn es mich manches Mal erstaunt -, was Sie zur Gesundheitspolitik sagen. Sie denken aber über eine unsinnige Regelung - so ähnlich haben Sie und andere Kollegen die Regelung an anderer Stelle genannt - im Krankenhaus nach, wo der einzelne Patient bzw. die einzelne Patientin eine äußerst beschränkte Einwirkung auf die Verweildauer, auf die Behandlungsdauer hat. Wir wissen doch, daß die jetzigen Formen eigentlich unsinnig sind, weil sie größtenteils zu hohe Verwaltungskosten nach sich ziehen. Die Wirkung der zehnprozentigen Selbstbeteiligung, die Sie auf dem Petersberg am 10./11. thematisiert haben, kennen wir.
Auch Ihre Fachbeamten waren bei der Vier-Länder-Konferenz vor wenigen Tagen, bei der es um die Reformerfahrungen in den USA, in Kanada, Holland und Deutschland ging. Dort war das einhellige Votum der führenden Gesundheitsökonomen der Welt: Laßt doch die Hände von der Selbstbeteiligung. Entweder steuert sie nicht - dann kann man sie vergessen -, oder sie schränkt die Inanspruchnahme durch die unteren sozialen Schichten ein; dann muß man sie vergessen. Ich bin eigentlich enttäuscht, daß Sie das hier immer wieder vorbringen müssen.
({0})
Der Kollege Zöller würde ebenfalls gerne eine Zwischenfrage stellen.
Ja, gerne, wenn es meine Redezeit nicht verändert, Herr Präsident, mit Genuß.
Natürlich nicht. - Bitte, Herr Kollege Zöller.
Herr Kollege Pfaff, sind Sie mit mir einer Meinung, daß man, wenn man eine Frage stellt und die Hintergründe damit durchleuchtet, auch zu der Erkenntnis kommen kann, daß man gerade das, was Sie uns unterstellen, ausschließen will und daß man den Leuten, die immer von mehr Selbstbeteiligung sprechen, mit Zahlen klarmachen will, daß die Forderung nach mehr Selbstbeteiligung ein Schuß in den Ofen ist?
Herr Kollege Zöller, würden Sie mir zustimmen, daß es, wenn man eine Frage stellt, für die man die Antwort eigentlich schon in der Tasche hat, eine Form der Verdummung der Gesprächspartner und eine Schaufensteraktion ist und keine inhaltlich-materielle Handlung?
({0})
Denn Ihre Beamten wissen ganz genau - auch Sie wissen es -, wie sich die Selbstbeteiligung auswirkt.
({1})
Herr Kollege Pfaff, Sie sollten vielleicht nicht ganz so streng in der Beurteilung sein. Sonst dürfte ich als amtierender Präsident einen Großteil der Fragen nicht zulassen.
Alles klar. Ich danke Ihnen, Herr Präsident, für diese Information.
Sie haben eine zweite Möglichkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition: Sie können noch tiefer in die Mottenkiste hineingreifen und solche Änderungen im Leistungsrecht durchführen, für die Sie die Zustimmung des Bundesrates nicht brauchen. Aber wenn Sie das machen, dann verletzen Sie nicht nur den Geist von Lahnstein, dann verletzen Sie nicht nur den ausbalancierten Konsens des Gesundheitsstrukturgesetzes,
({0})
dann, Herr Bundesminister, gehen Sie hinter Ihr eigenes Wort zurück, das Sie im Ausschuß mehrfach gegeben haben. Deshalb sage ich noch einmal: Was im Konsens vereinbart wurde, kann nur im Konsens verändert werden.
({1})
Offensichtlich habe ich im Vergleich zu anderen ein größeres Interesse an dem Thema des heutigen Tages, nämlich vor allem am Zweiten Bericht und auch ein wenig am Dritten Änderungsgesetz. Hier sehe ich erhebliche Widersprüche. Auf der einen
Seite sagen Sie, die Demographie und der technische Fortschritt seien keine kurzfristigen Faktoren für die Ausgabendynamik; aber langfristig müsse man sehr wohl das gesamte System in Frage stellen. Mit Freude glaubte ich feststellen zu können, daß Sie vor Weihnachten und heute teilweise wieder gesagt haben: Wir wollen keine Rationierung; wir wollen keine Schmälerung des Leistungskataloges; wir wollen keine Regel- und Wahlleistungen, und wir wollen keine Privatisierung der Gesundheitsrisiken. Aber genau das machen Sie. Sie sprechen in Ihren Fragen an den Sachverständigenrat die Leistungsausgrenzung, die Rationierung, das Abkassieren, die Regel-und Wahlleistungen und ähnliches mehr an.
({2})
Wenn ich noch im Sachverständigenrat wäre, Herr Bundesminister, würde ich mich echt veräppelt fühlen. Denn entweder ist dieser Auftrag an den Sachverständigenrat ernst - dann müßte man eigentlich auch warten, bis die Befunde vorliegen -, oder es ist ebenfalls nur eine Schaufensterveranstaltung.
Ich komme jetzt zur Empfehlung der Konzertierten Aktion. Dazu wird in dem Bericht zu Recht und korrekterweise festgestellt, daß die Empfehlungen zum Krankenhausbereich noch nicht vollständig, zu den Heil- und Hilfsmitteln kaum und im Rettungsdienst gar nicht umgesetzt sind. Dann folgt die Kritik an der Konzertierten Aktion, daß sie nicht in der Lage ist zu steuern. Jetzt sage ich aber: Die Konzepte, die hier zugrunde liegen, also die Budgetierung der Ausgaben und die Steuerung über Mengen und Preise, stehen eigentlich seit 1977 im Gesetz. Das sollte einmal jemand verfolgen. Nein, es ist doch am mangelnden politischen Willen und am fehlenden Mut gescheitert, unpopuläre Entscheidungen gegen mächtige Interessengruppen durchzusetzen. Das war doch das Problem.
({3})
Herr Bundesminister, wir bekennen uns zum Gesundheitsstrukturgesetz.
({4})
Wir fordern auch ein, daß es nach Buchstabe korrekt umgesetzt wird.
Herr Professor, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Horst Seehofer?
Ja, natürlich, Herr Präsident.
Bitte sehr.
Herr Kollege und Professor Pfaff, Sie wissen ganz genau, daß in der Konzertierten Aktion alle Bundesländer sitzen. Sie wisHorst Seehofer
sen auch ganz genau, daß mein dreijähriges Bemühen in der Konzertierten Aktion in wichtigen Feldern, die Sie gerade angesprochen haben, an dem massiven Widerstand der Bundesländer gescheitert ist, insbesondere bei den Fahrtkosten und den im vierten Jahr zweistelligen Steigerungsraten.
Herr Kollege Seehofer, jetzt müßten Sie aber etwas fragen.
Ich frage deshalb, ob es denn zutrifft, daß zu diesen mächtigen Lobbyistenverbänden in der Konzertierten Aktion, die Sie genannt haben, möglicherweise auch das eine oder andere SPD-geführte Land gehört, das bei den Krankenhaus- und den Fahrtkosten sehr wohl die Interessen der dortigen Träger vertreten hat und nicht zu Sparmaßnahmen bereit war.
Herr Bundesminister, eine Ihrer Aussagen, die ich wirklich mit Respekt zur Kenntnis genommen habe, war folgende. Im Gesundheits-Reformgesetz haben wir den Krankenhausbereich wegen der Macht der Länder ausgeklammert. Sie haben gesagt: Ich habe daraus gelernt; das war falsch, das wollen wir im Gesundheitsstrukturgesetz nicht wiederholen. Jetzt frage ich Sie: Warum existiert diese Lernfähigkeit nicht auch bei den Themen, die wir hier ansprechen? Warum werden die bösen Buben immer in den Ländern, bei der Konzertierten Aktion, bei den Spitzenverbänden oder bei den Ärzteverbänden gesucht? Wenn wir die Schwächen dieses Instruments so lange gekannt haben, dann gibt es keine Entschuldigung dafür, daß wir nicht versucht haben, diese zu beheben.
({0})
Ich komme zum nächsten Punkt. Herr Bundesminister, der Bericht zeigt auf - Sie haben es heute wieder betont -, daß das Beitragsniveau gesunken ist und daß sich die Beitragssatzspanne verringert hat. Das ist richtig. Allerdings haben Sie heute nicht deutlich genug dargestellt - jedenfalls für mich nicht deutlich genug -, daß die Grundlohnsumme im Jahre 1994 in den alten Bundesländern um 2,5 % und in den neuen Bundesländern um 9,17 % gestiegen ist, daß die Kassenausgaben aber um ein Vielfaches, nämlich um 6,8 % in den alten Ländern und um 15,5 % in den neuen Ländern, gestiegen sind.
Das heißt, es zeichnet sich exakt dieselbe Situation ab, die wir schon einmal hatten. Es ist eine bekannte Situation: Bei jedem Kostendämpfungsgesetz gibt es, wie wir wissen - das Gesundheitsstrukturgesetz ist ein Kostendämpfungs- und ein Strukturgestaltungsgesetz - mehrere Phasen. Zunächst gibt es die An-kündigungs- oder Vorwegnahmephase. Die hatten wir im Jahre 1992. Da sind die Ausgaben beim Zahnersatz gestiegen.
Dann kam die Umsetzungsphase des Gesetzes. Die Ausgaben sind entsprechend gesunken, und die Beiträge haben sich stabilisiert oder wurden gar gesenkt.
Im Jahre 1994 begann bereits wieder die Ausgabendynamik. Sie wird sich im Jahre 1995 fortsetzen. Dies ist eine bedrohliche Entwicklung, die nicht mit dem Berichtstext und auch nicht mit Ihrer Darstellung übereinstimmt.
Es ist ja keine Kunst, ein Kostendämpfungsgesetz zu formulieren und es zeitlich so zu plazieren, daß man über die nächste Bundestagswahl kommt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die „Budgetierung mit Zähnen", die wir ja gemeinsam beschlossen haben - lassen Sie uns das nicht vergessen -, jetzt ein anderes Muster bewirkt. Wir sehen bisher, daß sich die alten Muster auch jetzt wiederholen, so daß, wenn nichts geschieht, eine ganz ernsthafte Entwicklung auf uns zukommt.
({1})
- Das werden wir sehen.
Ich komme zu den Strukturelementen des Gesundheitsstrukturgesetzes. Ich weiß, daß, wie ein internationaler Vergleich zeigt, die Budgetierung die Ausgaben steuern kann, wenn sie richtig angewendet wird. Sie garantiert aber nicht rationale Strukturen. Das wissen wir aus der internationalen Erfahrung. Die Hoffnung aller, die hier in diesem Hause sitzen, muß es doch sein, daß diese Form der „Budgetierung mit Zähnen" wirksamer ist als das, was wir beim KVKG, beim KVEG und beim GRG und ähnlichem erlebt haben. Da bin ich wirklich sehr skeptisch geworden.
Ich bin übrigens auch sehr erstaunt, Herr Bundesminister, daß Sie es für wichtiger erachtet haben, heute vormittag die Presse über diese Ergebnisse zu unterrichten, bevor Sie dem Plenum des Deutschen Bundestages zu einer so wichtigen Entwicklung Rede und Antwort gestanden haben. Das verstehe ich wirklich nicht.
({2})
Nun komme ich zu den strukturgestaltenden Elementen des Gesundheitsstrukturgesetzes. Ja, es gibt Bereiche, die nicht genügend geregelt wurden. Das sage ich ohne Wenn und Aber. Beispielsweise haben wir wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit die Wettbewerbsparameter nach einem Risikostrukturausgleich in Lahnstein nicht im Detail diskutieren können. Das konnten wir auch im Gesetzgebungsverfahren nicht verfolgen. Flexible Vertragsformen und Erprobungsregelungen sind legitime Themen, über die man reden kann. Es geht auch um die Frage: Wer hat die Verantwortung für die Steuerung in einer Welt von Fallpauschalen und Sonderentgelten? Das einzelne Krankenhaus kann man nicht prügeln, wenn es sich an die Strukturen anpaßt. Wer trägt aber die Gesamtverantwortung, insgesamt und in der Region? Wo sind die regionalen Instrumente?
Übrigens noch etwas. Wenn wir schon die Wettbewerbslandschaften neu ordnen wollen, Herr Bundesminister - Sie haben ja eine Kommission mit ProfesDr. Martin Pfaff
sor Wasem als Vorsitzenden -, dann gehört auch die Wettbewerbslandschaft innerhalb der PKV geregelt; denn es geht doch nicht an, daß einzelne PKV-Versicherte nicht umwechseln können, weil sie die Rücklagen nicht mittragen. Noch weniger geht es an, daß der Wettbewerb im Rosinenpicken zwischen PKV und GKV in der Zukunft fortgesetzt wird.
Es wäre des Schweißes der Edlen würdig zu fragen, welche Konsequenzen sich in einer solchen, besseren Wettbewerbsordnung ergeben. Darauf haben wir bisher keine Antwort gegeben.
Zweitens gibt es aber auch Konkretisierungsdefizite bei Bereichen, die wir in Lahnstein geregelt haben, beispielsweise dabei, wie die Verzahnung von ambulant und stationär tatsächlich aussehen soll.
Dann gibt es Umsetzungsdefizite bei geregelten und konkretisierten Bereichen, und, Herr Bundesminister, da kann ich Ihnen überhaupt nicht folgen. Fangen wir doch einmal beim Krankenhaus an: Fallpauschalen und Sonderentgelte. Sie decken einen viel zu geringen Teil des Leistungsgeschehens. Es ist heute absehbar, daß sie nicht kostendämpfend, sondern in der Tendenz eher kostensteigernd wirken werden.
({3})
- Ja, dank der Bundespflegesatzverordnung, natürlich.
Es wird weiter leider einen Verschiebebahnhof geben, wo Teile der Kosten, die eigentlich in die Pauschalen gehörten, zu dem noch immer nach dem alten Prinzip der Selbstkostendeckung geregelten Bereich verschoben werden.
Das ist die Achillesferse des gesamten Gesundheitsstrukturgesetzes; denn ohne eine wirksame Steuerung im Krankenhaus wird es nie und nimmer eine Beitragssatzstabilität im deutschen Gesundheitswesen geben. So einfach und so bedrohlich ist das.
Auch was die Monistik angeht - selbst wenn wir in Lahnstein eine allgemeine Richtung vorgegeben haben -, so reicht das nicht aus. Man müßte da weiter gehen.
Die EBM-Reform: Ich würde mich ja freuen, wenn die Leistungskomplexhonorare dem entsprechen würden, was wir in Lahnstein wollten. Man kann doch nicht sagen, Herr Bundesminister, dies sei materiell umgesetzt, weil es ein Papier gibt oder weil eine Vereinbarung existiert. Nein, nicht die formelle, sondern die materielle Wirkung dieser Instrumente ist wichtig. Wir haben doch alle ein vitales Interesse daran, daß die Strukturelemente funktionieren.
Ich sage jetzt schon: Das, was angedacht ist - Ordinationsgebühr, Konsultationsgebühr, Therapiemodule, 50 bis 55 % in Leistungskomplexen, und zwar für die Zuwendung und nicht für die Technik -, verhindert leider nicht die Fortsetzung der Ausgabendynamik, der Mengendynamik in diesem Bereich. Das ist bedenklich.
Wo ist die materielle Umsetzung der Arztzahlsteuerung? Auch bei der Kapazitätsverordnung wird entweder die Bedarfsplanung weniger restriktiv gehandhabt - dann muß aber budgetiert werden -, oder, wenn sie wirklich restriktiv gehandhabt wird, dann wird sich eine Situation ergeben, die wir in Lahnstein allesamt nicht vorhergesehen haben, daß es nämlich junge Ärztinnen und Ärzte gibt, die schon Mitte der neunziger Jahre keine Zulassung mehr finden werden.
Großgeräterichtlinien - Abstaffelung weder formell noch materiell noch Bedarfsplanung. Ambulantes Operieren im niedergelassenen Bereich; Honorarzuwachs durch die Mengenexpansion aufgefressen; im Krankenhausbereich zu geringe Anreize - bis zu 10 % des Leistungsgeschehens kämen hierfür in Frage. Richtgrößen: Fehlmeldung, außer, natürlich, aus Bayern, Herr Bundesminister. Darüber werden wir uns natürlich nicht streiten. Wo sind die Richtgrößen, die wir eigentlich alle haben wollten, die Arzneimittelfestbeträge usw. usf.?
Meine Redezeit ist nicht mehr so lang, sonst wäre ich sehr gern auf die Positivliste eingegangen. Herr Bundesminister, tun Sie doch Ihren Teil, damit uns diese Positivliste, die als Phantom durch die Diskussionen geistert, endlich einmal vorgelegt werden kann, damit wir uns inhaltlich damit auseinandersetzen können.
({4})
Ich höre hier Wertungen, ohne daß die Liste vorgelegt ist. Deshalb sage ich: Es ist nicht die Aufgabe des Deutschen Bundestages, über einzelne Naturheilmittel, über Bagatellheilmittel oder über Pharmakotherapie zu entscheiden. Das ist die Aufgabe der Sachverständigen und nicht der Politik. Damit wäre sie auch hinlänglich überfordert.
Zum Risikostrukturausgleich gäbe es mehreres zu sagen. Das ist, Herr Bundesminister, dankenswerterweise einer der Bereiche, wo die Umsetzung - mit einigen Pannen - im großen und ganzen geklappt hat. Ich erinnere mich noch an unsere Dialoge und nehme mit breitem Lächeln die tatsächliche Umsetzung zur Kenntnis; denn das, was wir an Unschärfen gesehen und als praktisch machbar eingeschätzt hatten, hat sich realisiert. Auch die Individualisierung der Rentnerbeiträge wäre möglich gewesen, wenn man die zwei Jahre etwas besser genutzt hätte.
Jetzt komme ich zum Ausblick. Herr Bundesminister, Sie selbst haben die Zukunft angesprochen. Ich sage noch einmal: Es gibt zwei Strategien. Entweder muß man die Strukturelemente beschleunigen und mit Biß versehen. Aber da sehe ich, wie uns allen die Zeit davonläuft. Oder es gibt die zweite Strategie: Wenn wir vermeiden wollen, daß die Kosten explodieren, wenn wir nicht eine Ausgabendynamik altgewohnter Art ab 1. Januar haben wollen, dann müssen wir, ob wir es wollen oder nicht - es gibt sehr positive, aber auch kritische Argumente -, die Budgetierung in irgendeiner Form fortsetzen.
(Zuruf des Abg. Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]
Diejenigen, die das nicht wollen, die sich verweigern, tragen eine besondere Verantwortung. Das sagt einer, der sich für Fallpauschalen und Sonderentgelte und für Leistungskomplexe im ambulanten Bereich ausgesprochen hat.
({5})
- Herr Bundesminister, die Fachleute sagen uns übrigens auch, daß die Positivliste aus Qualitäts- und Transparenzgesichtspunkten notwendig ist. Sie sagen: Die Zeit schreit nach einem Konsens, die Zeit schreit nach einem sinnvollen inhaltlichen Dialog aller, die sachkundig sind.
({6})
Herr Bundesminister, Sie sagten, Sie setzen auf die Partnerschaft. Aber es ist doch nicht die SPD, die in der jetzigen Situation den Konsens verweigert. Es ist die Koalition, die unter sich nicht einig werden kann und deshalb keine Perspektiven hat.
({7})
Herr Bundesminister, wenn Sie so weitermachen, wenn Sie GKV-Anpassungsgesetze bringen, von denen Sie selber wissen, daß sie Lahnstein in Frage stellen, wenn Sie die Positivlisten in Frage stellen, wenn Sie die Umsetzung nicht mit Nachdruck betreiben, dann provozieren Sie geradezu ein Schlußwort von mir: Herr Bundesminister, nicht in Lahnstein, in Philippi sehen wir uns wieder!
({8})
Herr Kollege Wolfgang Lohmann, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Professor Pfaff, ich habe einen Teil der Einlassungen von Ihnen nicht erwartet, von Herrn Dreßler oder Herrn Kirschner eher, die ich länger kenne. Denn Sie konnten zumindest immer den Eindruck vermitteln,
({0})
daß Sie in der Sache diskutieren und vor allen Dingen nicht mit Unterstellungen oder sogar Verleumdungen arbeiten. Deswegen bin ich ein bißchen enttäuscht.
Sie haben mit dem Hinweis begonnen - das war zu Recht -, wir seien zusammengekommen, um den Bericht des Bundesministers zu diskutieren und die Zahlen zu hören. Die Zahlen hat er Ihnen genannt, das Positive und das teilweise Bedenkliche an den Zahlen. Unsere Fraktion und unsere Koalition sagen: Die Zahlen sind das eine.
Verzeihung, Herr Kollege Lohmann. Solange Sie sich in Ihrer Rede an den Kollegen Dreßler wenden: Er ist im Moment abgelenkt, wenn auch auf eine sehr angenehme Weise.
({0})
Bitte fahren Sie fort.
Es hat mir nichts ausgemacht. Bei Herrn Dreßler hatte ich es nicht anders erwartet. Aber ich sprach soeben mit Herrn Professor Pfaff.
Unsere Koalition sagt: Das eine zur Kenntnis nehmen, aber an die Zukunft denken und auf dieser Basis nach neuen Lösungen suchen. Wenn immer wieder behauptet wird: Ihr seid nicht bereit, bestimmte Dinge des Lahnstein-Kompromisses umsetzen, beispielsweise die Positivliste, dann kann ich nur mit Adenauer sagen, Herr Kollege Dreßler und Herr Kollege Kirschner: Sie werden mich nicht daran hindern, wieder etwas klüger geworden zu sein.
({0})
Denn wo kämen wir hin, wenn Politik darin bestehen müßte, daß einmal mit größerer oder kleinerer Mehrheit Beschlossenes nie wieder in Frage gestellt werden dürfte?
({1})
Zum Stichwort Positivliste stellen wir fest, daß es seit jener Zeit eine Reihe von Änderungen, Regelungen und Ergebnissen gegeben hat - siehe Verordnungsverhalten der Ärzte beispielsweise -,
({2})
so daß auf diese Horrorliste verzichtet werden könnte, von der Sie sich selbst längst verabschiedet haben.
({3})
- Zu Ihnen komme ich noch, Herr Kirschner.
Nun haben Sie klagend festgestellt, daß die Budgetierung fortgesetzt werden müßte, weil weitere große Defizite drohten. Niemand von uns kann tatsächlich sagen, daß die Gefahr von Defiziten nicht wieder auf uns zukäme. Das ist gar keine Frage. Der Minister hat das eindeutig erklärt. Deshalb muß weitergedacht werden: Was kommt danach? Das haben wir von Anfang an gesagt.
Wir sind der Auffassung, daß wir zu unserem Wort stehen müssen: Die Budgets müssen ersatzlos wegfallen.
({4})
Wolfgang Lohmann ({5})
Denn wir waren uns bei der Verabschiedung des Gesetzes im Herbst 1992 einig, daß eine dauerhafte oder langfristige gesetzliche sektorale Budgetierung zu Rationierungseffekten im System
({6})
und damit letztendlich zur Verschlechterung der Versorgungsqualität führen muß.
Herr Kollege Lohmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pfaff?
Ich hatte vorhin das Vergnügen, ständig an den Zwiegesprächen teilzunehmen, die sich daraus ergaben, daß von verschiedenen Seiten Zwischenfragen kamen, und wäre jetzt dankbar, wenn ich im Zusammenhang fortsetzen könnte. Vielleicht habe ich zum Schluß noch ein bißchen Zeit für Zwischenfragen.
({0}) - Durch Sie vor allen Dingen klüger werden, ja.
({1})
Sie beklagen also Defizite, Sie unterstellen nicht umgesetzte Bestandteile des Gesundheitsstrukturgesetzes, und das einzige, was Ihnen auf Grund der befürchteten künftigen Defizite einfällt, ist die Fortsetzung der Budgetierung um mindestens drei Jahre. Damit das nicht so auffällt, wird uns die Schuld in die Schuhe geschoben: Normalerweise hätten Sie - die SPD - sich längst daran gehalten, und es würde ausfallen; aber wir müssen es jetzt leider so machen, weil ja die böse Regierung oder Koalition einen Teil des bisherigen Beschlusses noch nicht umgesetzt hat.
Der Minister hat mit Recht gesagt, daß alles, was finanzwirksam ist, umgesetzt sei. Es geht ja leider in weiten Bereichen um die Finanzen. Das System selbst, was die Versorgung der Bevölkerung anbelangt, ist im Grunde genommen gut, ist spitze, wie gesagt worden ist.
Wir setzen demgegenüber auf die Fortsetzung einer modernen Gesundheitsstrukturpolitik und sind es deswegen auch leid, nach jedem Kostendämpfungsschritt - Herr Dreßler, Sie waren ja in den siebziger Jahren auch immer dabei - stets nur auf eine neue Kostenexplosion quasi zu warten, um dann erneut mit Kostendämpfung reagieren zu müssen. Wir wollen endlich aus dieser Kostendämpfungs- und Regelungsspirale heraus und zu auch dauerhaft tragfähigen Strukturen kommen.
Da sollte man nicht mit Unterstellungen und Mutmaßungen oder mit den eben schon einmal genannten, ausgesprochen gut klingenden Begriffen wie „Schweinkram", „Eigenbeteiligung bei Medikamenten" und „stärkere Ausgrenzung von Leistungen" arbeiten, also mit all den Unterstellungen, die Sie eben wiederholt haben. Nehmen Sie doch bitte einmal zur Kenntnis, daß es inzwischen mehrere Veröffentlichungen von an der Diskussion Beteiligten - auch von mir - gibt, die genau die von Ihnen gemachten Unterstellungen ausdrücklich in Abrede stellen und klarstellen, daß so etwas in dem neuen Gesetzentwurf nicht kommen-wird, den wir hoffentlich im Konsens verabschieden werden.
({2})
Herr Kollege Lohmann - Wolfgang Lohmann ({0}) ({1}): Das gilt bei mir zunächst fort.
Was? Daß Sie keine Zwischenfrage beantworten?
Herr Kollege Pfaff weiß, daß ich für Zwiegespräche mit ihm immer sehr aufgeschlossen bin. Aber nach dem, was ich eben erlebt habe, bin ich skeptisch geworden.
({0})
Ihre Alternative, nach der wir ja immer fragen, ist die konsequente Umsetzung der strukturellen Elemente des Gesundheitsstrukturgesetzes - ich habe mir das aufgeschrieben -, die Verlängerung der gesetzlichen sektoralen Budgetierung um zwei bis drei Jahre, um diese Umsetzungsphase abzusichern, und anschließend, also ab 1998, die Fortführung der Reformüberlegungen im Hinblick auf das kommende Jahrtausend. Wenn ich es überspitzt formuliere, heißt das doch: kein Handlungsbedarf, lieber mit Scheuklappen weiter, bis das System vor die Betonwand der Unbezahlbarkeit läuft, und dann können wir wieder mit dem Hammer zuschlagen.
Andererseits pfeifen die Spatzen - nämlich Ihre eigenen Spatzen in der SPD - von allen Dächern, daß es längst nicht alle so sehen, wie Sie es behaupten. Die SPD-regierten Länder sind ja längst mit Eifer dabei, ihre gesundheitspolitischen Vorstellungen für eine Fortführung der Gesundheitsstrukturpolitik zu erarbeiten. Aber was will nun eigentlich die SPD? Ich zitiere einmal aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 23. Februar 1995:
Der Sozialstaat stößt an die Grenzen der Bezahlbarkeit ... Unsere Gesellschaft wird sich auf Dauer nicht der Mühe entziehen können, das soziale Sicherungssystem in allen seinen Verästelungen darauf abzuklopfen, ob und in welchem Umfang es zu ergänzen, zu verstärken oder an neue Entwicklungen anzupassen ist.
({1})
- Das hat Friedhelm Farthmann, Chef der sozialdemokratischen Landtagsfraktion in Nordrhein-WestfaWolfgang Lohmann ({2})
len, gesagt. Ich muß sagen: Recht hat der Mann, und wo er recht hat, soll er es auch bekommen.
({3})
Ich möchte deswegen noch ein paar Anmerkungen zur Umsetzung machen. Wie Sie wissen, hat das Ministerium am 16. Februar 1995 im Gesundheitsausschuß eine Bilanz der bisherigen Umsetzungsarbeit vorgelegt. Diese Bilanz - das ist heute wiederholt worden - zieht den eindeutigen Schluß, daß die eben genannten finanzwirksamen Elemente alle umgesetzt sind. In zwei strittigen Bereichen - auch das ist heute schon diskutiert worden - wird allerdings das, was im GSG steht, selbst von Ihnen ins Gegenteil verkehrt. Der eine Bereich ist die Positivliste und der andere sind die Instandhaltungsinvestitionen im Krankenhaus.
Bei der Verabschiedung des GSG war es Konsens, daß neben den sogenannten Erst- oder Ersatzinvestitionen auch die Instandhaltungsinvestitionen im Grundsatz in die Finanzierungs- und Planungsverantwortung der Länder fallen. Auf der Grundlage einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom Januar 1993 haben die SPD-geführten Länder diese bisher unstrittige Auffassung geändert und in ihr Gegenteil verkehrt. Nunmehr sind, jedenfalls so die SPD, für die Finanzierung der Instandhaltungsinvestitionen plötzlich die Krankenkassen zuständig. Die SPD verschiebt mit dieser Kehrtwendung um 180 Grad so ganz nebenbei 1 Milliarde DM in die finanzielle Verantwortung der Krankenkassen.
Wenn also Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, die Union öffentlich davor warnen zu müssen meinen, doch ja die Beschlüsse von Lahnstein nicht zu verlassen, so frage ich: Was ist denn Ihre konkrete Politik? Was tun die SPD-geführten Bundesländer, die ja auch beteiligt waren?
Ich mache das einmal an dem vorhin schon zitierten, früheren Kollegen und wichtigen Minister in Nordrhein-Westfalen Müntefering fest. Ich habe den Artikel dabei.
({4})
- Ja eben. Deswegen lassen Sie sich das einmal sagen. Er sagt: „Es wird Zeit, Alarm zu schlagen." In den letzten Wochen, so Müntefering, zeige sich immer deutlicher, daß die Koalition von Teilen des Reformwerkes abrücke und die Umsetzung des Gesetzes blockiere.
({5})
Da frage ich mich: Wo lebt dieser Mann eigentlich?
({6})
Das ist doch diese typische Politik: Haltet den Dieb!
Das heißt, sich einerseits im Krankenhausbereich für
die Instandhaltungsinvestitionen nicht mehr zuständig zu fühlen, das Gesetz im Grunde genommen zu konterkarieren - um kein stärkeres Wort zu gebrauchen -, und andererseits zu sagen: Guckt einmal dorthin, die anderen sind schon viel weiter weggelaufen! - Meine Damen und Herren, wir sind es einfach leid, die Politik in dieser Weise zu betreiben.
Deswegen noch ein Satz zur Positivliste. Das gilt hier genauso. Die Gründe, warum wir der Auffassung sind, daß eine Positivliste kontraproduktiv wäre, nicht mehr benötigt wird und auch nicht kommen wird, sind bekannt. Was Sie darüber denken und in Nuancen die einzelnen Kolleginnen und Kollegen geäußert haben, ist doch auch offensichtlich. Hier wird im Grunde genommen ein schlimmes Spiel getrieben. Es wird gesagt: Wir wollen die Positivliste. Ein gemeinsamer Beschluß muß ohne Wenn und Aber durchgesetzt werden. Was dann in der Positivliste möglicherweise steht, soll der Bundesminister entscheiden und verantworten, und zwar auf Grund der Vorschläge des Instituts.
Sind Sie zur Beantwortung einer Zwischenfrage bereit, Herr Kollege?
Nein, ich bleibe dabei. - Dann werden wir diejenigen sein, die der Öffentlichkeit zeigen können, daß das, was dort auf Grund der Vorschläge eventuell ausgegrenzt werden soll, von uns, nämlich der Opposition, im Interesse der Patienten verhindert worden ist. - So soll gespielt werden. Wir meinen: So spielen wir nicht.
Herr Kollege Kirschner, ich sehe, daß Sie heute noch einen Redebeitrag zu leisten haben. Sie waren nicht in der Lage oder nicht bereit, die Frage in einer der letzten Sitzungen des Gesundheitsausschusses zu beantworten, die ich an Sie gestellt habe, ob Sie beispielsweise bereit sind, eines der Mittel, mehrere oder alle Mittel gegen periphere arterielle Durchblutungsstörungen, Nootropika, systematische und topische Venenmittel oder externe Antirheumatika - ich habe die Liste hier; ich könnte sie Ihnen noch einmal vorlesen, will es Ihnen aber ersparen -, wodurch insgesamt ungefähr 6 Milliarden DM eingespart werden könnten, nicht mehr als Bestandteil einer Liste anzuerkennen und dies auch mit zu vertreten. Wenn Sie den Mut hätten, dazu etwas zu sagen, und wenn Sie sagen würden: Jawohl, das haben wir gewollt; die Sachverständigen haben das vorgeschlagen, der Minister hat es unterschrieben, wir stehen dazu!, dann kann man vielleicht noch einmal über das Thema reden, so aber nicht.
({0})
Herr Kollege Lohmann, es liegt schon wieder ein Zwischenfragewunsch vor.
Ich habe eigentlich gedacht, Herr Präsident -
Ich bin leider verpflichtet, Sie jedesmal zu fragen. Wenn die Kollegen es nicht einsehen, kann ich es nicht ändern. Ich muß Sie immer wieder von neuem fragen.
Ich würde mir nie erlauben, Sie zu kritisieren. Ich wollte nur sagen, ich verstehe nicht, daß einige Kollegen es nicht hören können, was ich gesagt habe. Ich möchte jetzt im Zusammenhang vortragen.
Frau Schaich-Walch, ich habe auch den erwähnten Text dabei. Ich will es nur zeigen, damit nicht jemand sagt, daß ich das so nicht gesagt habe. Die Veröffentlichung liegt sogar schriftlich als Aufsatz vor. Sie haben sinngemäß folgendes gesagt:
Erstens. Die Positivliste darf kein Korrekturinstrument für erteilte Zulassungen werden.
Zweitens. Es dürfen durch die Positivliste keine Innovationsbehinderungen eintreten. Es müssen soziale Belange berücksichtigt werden.
Drittens. Substitutionseffekte und damit Verteuerungen der Arzneimittelversorgung müssen vermieden werden.
Viertens. Die bewährten hausärztlichen Medikamente - dazu zählen auch die Arzneimittel der besonderen Therapieeinrichtungen - müssen in die Positivliste aufgenommen werden. Es darf, so Frau Schaich-Walch, weder ein Substitutionseffekt noch eine Therapielücke entstehen.
Dazu sage ich, ähnlich wie vorhin bei Herrn Farthmann: Recht hat die Frau! Und wo sie recht hat, muß sie auch recht behalten. Ich frage dann nur: Wozu dann eigentlich eine Positivliste, eine Liste, in der alles das steht, was wir zur Zeit auch haben? Wollen Sie, weil die Farbe Ihnen besser gefällt, die „Rote Liste" des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, des BPI,
({0})
die gültig ist, zur Positivliste erheben? Vielleicht ist Ihnen diese Farbe lieber, aber jedenfalls steht das alles da drin.
Wir möchten uns an diesen Spiegelfechtereien nicht beteiligen und wollen deswegen auch die Gespräche, die jetzt geführt werden, woran einige haben teilnehmen können, andere nicht. Es ist das Natürlichste von der Welt, daß man versucht, alle auf dem Gesundheitsmarkt in allen Schichten der Bevölkerung und unter allen Beteiligten diskutierten unterschiedlichen Lösungsansätze, wenn man ehrlich und fair ist, zunächst einmal seriös zu diskutieren, abzufragen, was der einzelne will, ob er dafür seriöse Gründe anbringen kann oder ob er möglicherweise Hintergedanken für solche Wünsche hat, um sich auf dieser Basis ein Urteil zu bilden. Und wenn Sie dann so freundlich sind und diese und jene Äußerung auch einmal nachlesen und auch wirklich ernst nehmen - dafür wäre ich dankbar; gleiches möchte ich auch bei Ihnen gern tun -, dann werden Sie feststellen, daß die vorhin gemachten Unterstellungen alle falsch sind.
Ziel verantwortungsbewußter Gesundheitspolitik muß es doch sein, das in Lahnstein im Konsens Entschiedene da zu ergänzen und zu ändern, wo eine Realisierung nicht sinnvoll oder sogar kontraproduktiv sein würde.
({1})
Meine Damen und Herren von der SPD, wer nicht mehr in der Lage ist, dazuzulernen und Entscheidungen der Vergangenheit in Frage zu stellen, der verliert jede Politikfähigkeit.
({2})
Die CDU/CSU-Fraktion möchte sich das jedenfalls nicht nachsagen lassen.
Da ich jetzt sogar noch zwei Minuten Zeit habe, wäre ich in der Lage, Fragen zu beantworten.
({3})
Wenn die aber nicht kommen, dann bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Pfaff; bitte vom Platz aus.
Herr Kollege Lohmann, das Protokoll wird es zeigen, Sie haben mir nicht nur Fehlaussagen bzw. Unterstellungen, sondern auch Verleumdungen hier in den Mund gelegt, und das trifft mich schon angesichts der Rolle, die ich versucht habe im letzten Deutschen Bundestag und auch in Lahnstein bei diesem Gesetzgebungsverfahren zu spielen. Wenn Sie mir rhetorische Überspitzungen - na gut, das gehört auch mal dazu - vorwerfen, dann sage ich dazu gar nichts. Aber ich möchte Sie jetzt doch ganz herzlich bitten - das sage ich ohne jede Polemik -, entweder diesen Vorwurf zurückzunehmen oder ihn jetzt zu belegen.
Danke.
({0})
Herr Kollege Lohmann.
Herr Kollege Pfaff, was den Beleg anbelangt, was Sie ganz konkret gesagt haben, so muß ich genau wie Sie warten, bis das Protokoll da ist. Meine Erinnerung ist - deshalb stehe ich auch dazu -, daß Sie u. a. gesagt haben: Wer schon solche Fragen stellt - beispielsweise zum Stichwort Selbstbeteiligung -, der hat auch die entsprechenden Vorstellungen und die entsprechenden Wünsche. Dann haben Sie entsprechende Behauptungen vorgetragen. Ich sage: Das ist eben eine Verleumdung. Wenn Sie das so gesagt haWolfgang Lohmann ({0})
I ben und auch so gemeint haben, dann kann es nicht anders sein.
({1})
Herr Professor Pfaff, wenn ich sage: Sie sehen jünger aus, als Sie sind!, und Sie mir dann unterstellen wollten, ich wollte Sie verleumden, dann ist das doch sicher falsch, oder nicht?
({2})
Also nach normalen Regeln, Herr Professor Pfaff, war dies eine ganz tolle Feststellung.
Ich erteile das Wort der Kollegin Marina Steindor.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gesundheitspolitisch kommt es in Deutschland derzeit zu allerlei Merkwürdigkeiten. Durch die Vorgaben des Grundgesetzes ist in weiten Bereichen der Gesundheitspolitik ein politisches Patt entstanden, da Bundesregierung und SPD-Bundestagsfraktion in dieser Frage regelrecht aneinandergekettet sind. Es kommt in dieser Frage, wie wir es eben sehr schön erlebt haben, zu geradezu theaterreifen Aufführungen.
({0})
Thema heute sollte eigentlich die relativ unumstrittene Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch sein. Wir sollten einen veralteten Bericht des Bundesministers für Gesundheit
({1})
über die Entwicklung der Beitragssätze der Krankenversicherung diskutieren, der noch den Geist von Lahnstein, der hier immer wieder einmal beschworen wird, atmet.
({2})
In dem Text dieses Berichtes ist keine Kritik an dem Gesundheits-Strukturgesetz zu entdecken. Derselbe CDU/CSU-Minister hat sich aber, wie sein Abrücken von der Positivliste zeigt, wie seine Presseverlautbarungen zeigen, innerlich schon lange vom GSG verabschiedet.
({3})
Er forderte - das hat er heute ausdrücklich gesagt - schon vor der Verabschiedung des GSG eine dritte Stufe.
({4}) Begründet wird diese Forderung vordergründig mit dem demographischen Wandel, dem medizinischtechnischen Fortschritt und den steigenden Kosten.
Herr Minister, Sie als Minister dürfen selbstverständlich immer, wenn Sie es wünschen, eine Pressekonferenz abhalten. Aber mich hat es doch sehr befremdet, daß Sie heute morgen, bevor Sie das dem Parlament zugeleitet haben, neue Daten zur Gesundheitsstrukturreform, zur Krankenkassenabrechnung vorgelegt haben. Das wollte ich hier einmal gesagt haben. Ich fand schon, daß das eine Mißachtung des Parlaments war.
Es hat sich gezeigt, daß die SPD in der Tat unablässig Bekenntnisse zum GSG ablegt. Aber viel interessanter sind die Pressemitteilungen der CDU der letzten Zeit, im Vorfeld dieser gesundheitspolitischen Debatte, die wir hier heute haben. Herr Lohmann, von Ihnen hätte ich hier eine ganz andere Rede erwartet.
({5})
Sie haben in der letzten Zeit ein Papier veröffentlicht, in dem Sie ein neues Konzept für die Gesundheitspolitik entwickelt haben und in dem Sie sich ganz im Sinne des Neokonservatismus der 90er Jahre geäußert
({6})
und hin zu Facetten der F.D.P.-Politik bewegt haben.
({7})
Dort haben Sie sich von Prinzipien, die man eigentlich bei Wählern Ihrer Partei gut aufgehoben vermutet, verabschiedet.
({8})
Um das Ganze zu vernebeln - ich werde noch ausführen, was Sie vorgeschlagen haben -, kommt es Ihrerseits unablässig zu Bekenntnissen zum Solidarsystem. Man beachte aber die feinsinnigen Unterscheidungen: Heute hat der Minister nur noch von „sozialer Ausrichtung" des Gesundheitssystems gesprochen.
({9})
Ich konnte Ihrer Pressemeldung entnehmen, daß Sie einen Teilausstieg aus dem Solidarsystem der Krankenversicherung planen,
({10})
indem Sie die Arbeitgeber ein Stück weit aus der Gesamtverantwortung für die Krankenkasse entlassen, die Arbeitgeberbeiträge durch Schaffung einer Obergrenze prozentual festlegen und den Rest der Krankenkassenbeiträge auf dem Rücken der Versicherten frei floaten lassen.
({11})
- Das ist ein anderes Politikfeld, Herr Möllemann. Das wissen Sie ganz genau. Aber wir sind ja beide neu in der Gesundheitspolitik.
({12})
Ich werte diese Presseerklärung als einen Abbau des Solidarsystems, als die Entwicklung eines Schmalspursolidarsystems, das Sie im Hinterkopf haben.
({13})
Ich hätte von Ihnen eigentlich erwartet, daß Sie das hier offen ausführen und nicht nur in Pressemitteilungen an die Öffentlichkeit geben.
Sie haben vor, die Diskussion um die Krankenkassenbeiträge an die Standortsicherungsdebatte zu koppeln. Die SPD, die solchen Änderungen ja im Bundesrat zustimmen muß, wird in den nächsten Jahren - davon bin ich fest überzeugt - in dieser Debatte unter Druck gesetzt, in der Hoffnung, daß sie, ähnlich wie bei der Pflegeversicherung, irgendwann einmal, nach jahrelanger Auseinandersetzung, wenn man das genügend hochgeschaukelt hat, umfällt.
({14})
Ich hoffe nicht, daß es soweit kommt.
Aber ich möchte Ihnen noch etwas anderes sagen. Sie haben heute ausgeführt, Herr Minister Seehofer, daß unser Gesundheitssystem in der letzten Zeit durch 6 800 Einzelbestimmungen geändert worden ist. Meine Damen und Herren, auch wir finden, daß dieses Gesundheitssystem wirklich Konstruktionsfehler hat, weil es aus Versatzstücken unterschiedlicher, nicht miteinander vereinbarer Sozialstaatsmodelle besteht.
({15})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. Ich möchte meine Äußerungen zu diesem Teil gern ohne Unterbrechung zu Ende bringen. Wenn ich schnell genug bin, am Ende der Rede, selbstverständlich. Wir können uns aber auch im Ausschuß noch unterhalten.
Wir haben die Situation, daß ein marktliberal ausgerichtetes System von sogenannten freien Berufen - dazu gehören Masseurinnen und Masseure, Ärztinnen und Ärzte, Krankengymnastinnen und Krankengymnasten und auch marktliberaler ausgerichtete Krankenhäuser - auf ein nach innen solidarisch ausgerichtetes Krankenkassensystem folgt. In Lahnstein hat ein christlich-sozialer Minister mit dem Risikostrukturausgleich und der Kassenwahlfreiheit einen Schritt - das wurde von der SPD eingebracht - in Richtung wohlfahrtsstaatliche Einheitskasse akzeptiert. Eigentlich hätte man erwarten können, daß Sie, Herr Minister, in der Tradition der bismarckschen konservativen Sozialstaatspolitik das Kastensystem der nach gesellschaftlichen Schichten und Berufsgruppen aufgeteilten Krankenkassen mit Zähnen und Klauen verteidigt hätten. Jetzt erkenne ich Tendenzen, daß die Christlich-Soziale Union auf dieses Schmalspursolidarsystem einschwenkt. Das geht in Richtung der Linie der F.D.P.
Die F.D.P. würde sich bei diesem Kurs, wenn Sie ihn weiterfahren, politisch durchsetzen. Das wird sie sehr freuen; denn die F.D.P. betreibt eine Politik, mit der sie bei dem Durcheinander der Facetten unseres Gesundheitssystems die Systemgegensätze marktliberal ausgleichen will. Sie will, daß alles marktliberal wird. Die Krankenkassen sollen privatisiert werden; auch die Arbeitgeberentlastung ist ihre Idee.
Wir hingegen sagen bei Kenntnisnahme dieser widersprüchlichen Facetten des Gesundheitssystems, daß die Erhaltung und der Ausbau des Solidarsystems der Krankenversicherung der Ausgangspunkt für jegliche Reform des Gesundheitswesens sein muß. Wir wollen solidarisch ausgerichtete Ärztinnen und Ärzte sowie Versorgungsstrukturen. Wir wollen die ambulante Versorgung aus dem Konzept des EBM genauso befreien wie die SPD. Wir wollen aber auch Krankenhäuser, die die Versorgung der Patienten im Vordergrund sehen und nicht Gewinninteressen.
Für uns - das möchte ich noch einmal ausdrücklich betonen - ist Gesundheit kein Bereich für die Marktwirtschaft. Es geht dabei um existentielle Bedürfnisse der Menschen.
({0})
Es geht um ein gewachsenes System der kollektiven Absicherung von Lebensrisiken. Für uns ist die solidarische Krankenversicherung eine kulturelle Errungenschaft von höchstem Wert.
({1})
Die gesetzliche Krankenversicherung ist ein tragendes solidarisches Band in dieser fragmentierten, individualisierten Gesellschaft, und sie ist einer der Grundpfeiler unserer Demokratie. Deshalb kann es nicht angehen, daß man die Arbeitgeber ein Stück weit daraus entläßt. Bei Gesundheitspolitik geht es um Schmerzen, um Krankheiten, um Angst vor dem Tode, und das darf keine Sache des Geldbeutels werden.
Wenn Sie, Herr Minister Seehofer, immer behaupten, wir müßten das Solidarsystem der Krankenkassen vom Staub des letzten Jahrhunderts befreien, dann sage ich, daß das, was Herr Lohmann derzeit an die Presse gibt, die Menschen ein Stück weit in die existentielle Angst des letzten Jahrhunderts zurückversetzt,
({2})
als Gesundheit noch viel stärker als heute eine Frage der sozialen Schicht war.
({3})
Herr Kollege Lohmann, jetzt werden Sie zu einer Zwischenfrage geradezu aufgefordert.
Ich möchte die knappe Zeit nicht lange in Anspruch nehmen. Ich frage deshalb mit einem einzigen Satz: Sind Sie in der Tat der Meinung, daß unsere Sozialsysteme schlechthin und das Gesundheitssystem im besonderen in keinerlei Beziehung zu den ökonomischen Verhältnissen und zu der Frage Standort Deutschland stehen? Dieser Meinung sind Sie in vollem Umfang und mit allen Konsequenzen tatsächlich? - Die Frage ist zu Ende!
Diese Frage ist natürlich sehr schwierig. Wir haben weitere Vorschläge zu machen. Wir sagen, daß die Konstruktion des Gesundheitssystems nicht stimmt. Wenn Sie darin marktliberale Systeme haben, die vorrangig gewinnorientiert arbeiten, dann kann das immer nur dazu führen, daß die Kosten steigen. Sie können in diesem Bereich keine reellen Preise haben. Wir sind der Auffassung, daß bei dem System der kollektiven Absicherung die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer in dieser Gesellschaft gleichermaßen mitmischen müssen. Da kann man die Arbeitgeber nicht einfach aus der Sache entlassen.
({0})
Der Gesundheitsmarkt an sich - dem würde ich natürlich zustimmen - ist ein sehr großer. Wir hatten das bei der letzten Debatte schon diskutiert. Der Gesundheitsmarkt hat einen größeren Umfang als der gesamte Bundeshaushalt. Es stimmt schon, daß er an sich ein Wirtschaftsfaktor ist.
({1})
Ich erteile dem Kollegen Jürgen Möllemann das Wort.
({0})
Ich habe gewußt, lieber Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen, daß der Hinweis mit der Jungfernrede kommen würde. Es ist schon etwas Ungewöhnliches, in meinem Alter und bei meinen Dienstjahren hier eine Jungfernrede halten zu dürfen.
({0})
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Gesundheitswesen ist krank. Es krankt an Überregulierung. Es krankt an den Wirkungen eines seit 20 Jahren währenden Kostendämpfungsbürokratismus in Gestalt von 6 800 Einzelregelungen. Dirigismus und Interventionismus sind der Rheumatismus unseres freiheitlichen Gesundheitssystems.
({1})
Gesundheitspolitischen Rheumatismus behandelt man aber nicht mit Ideen, die selbst rheumatisch sind, weil sie zu lange in den Feuchtkellern der Bürokratie gelagert haben. Die gesellschaftlichen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte, die das Gesundheitswesen an die Politik stellt, sind enorm. Sie sind mit einem System, das sich hart an der Grenze zum staatlichen Gesundheitswesen bewegt, nicht zu meistern. Die F.D.P. wird sich daher dem Konzept eines bloß graduellen Wandels, der den gegenwärtigen Regulierungsdschungel weiter düngt, entgegenstellen.
Herr Kollege Möllemann, Herr Kollege Professor Pfaff meldet sich zur ersten Zwischenfrage, die man Ihnen gerne stellen würde.
Ich hätte sie früher erwartet, aber bitte schön.
Herr Kollege Möllemann, ich bin jetzt total verwirrt. Ihr Koalitionspartner, Herr Bundesminister Seehofer, hat unser Gesundheitswesen das beste in der Welt genannt, und Sie sagen, daß es krank ist. Können Sie mich bitte ein bißchen aufklären?
Herr Kollege, die Tatsache, daß Sie total verwirrt sind, habe ich vorhin schon an Ihrer Rede beobachten können.
({0})
Das ist nichts Neues. Deswegen werde ich das nicht weiter kommentieren. Hören Sie einfach weiter zu. Dann wird Ihnen das, glaube ich, nicht entgehen.
Wir wollen keinen graduellen, wir wollen einen prinzipiellen Wandel im Gesundheitswesen. Wir lehnen die Konzepte derjenigen ab, die Probleme dadurch glauben lösen zu können, daß sie auf einen gesundheitspolitischen Druckkessel schlicht einen weiteren Deckel legen. Wer glaubt, das wirke positiv,
versteht weder etwas von elementarer Physik noch von Gesundheit.
({1})
Denn wer wollte ernsthaft glauben, eine chirurgische Ausgabenkappung sei ohne krasse Qualitätsverluste möglich? Die Budgetierung ist und war kein Steuerungsinstrument der Gesundheitspolitik, sondern eine etatistische Notbremse, die wir Liberalen nur unter der Bedingung ihrer zeitlichen Begrenzung akzeptiert haben. Die negativen Auswirkungen der Budgetierung beispielsweise auf die ärztliche Versorgungssituation sind bekannt. Der Punktwert für das ambulante Operieren ist so weit gefallen, daß viele Anbieter nicht mehr in der Lage sind, kostendeckend zu arbeiten, es sei denn, unter Verzicht auf die Behandlung von Kassenpatienten. Das kann doch von niemandem gewünscht sein. Alle diejenigen, die sich auch über das Jahr 1995 hinaus auf dem Budgetierungssofa ausruhen wollen, lade ich daher zu einem gesundheitspolitischen und gedanklichen Trimmsport ein.
Wir brauchen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nach dem, was Sie bisher gesagt haben, Lösungen und keine Ausreden. Selbst Herr Müntefering - er ist nun einmal Gesundheitsminister im Land Nordrhein-Westfalen -,
({2})
beklagt sich mittlerweile - ich zitiere ihn - über die klassisch planwirtschaftliche Situation, Stichwort Budgetierung, unseres Gesundheitswesens.
({3})
Ist es eigentlich vernünftig, etwas, was im Konsens beschlossen wurde, von dem dann einer Ihrer führenden Kollegen selbst sagt, das sei eine klassische planwirtschaftliche Situation, um des Konsenses willen zu erhalten? - Ich meine das nicht. Ich würde gerne von Johannes Rau wissen, was denn nun gilt: die Meinung seines ortsansässigen Kollegen Dreßler oder die seines Ressortministers Müntefering.
({4})
Auf der anderen Seite verwahren wir uns, meine Damen und Herren, auch gegen eine Art intellektuellen Schweinsgalopp, mit dem mancher noch in allernächster Zeit eine vermeintlich neue Struktur des Gesundheitswesens politisch präjudizieren und festzurren möchte. Das Gebot der Stunde kann unseres Erachtens nur lauten - übrigens ein typisches Gebot der Fastenzeit, lieber Herr Fischer; ich dachte, Sie seien mit der beschäftigt -,
({5})
innezuhalten, Raum zu schaffen für einen gesundheitspolitischen Paradigmenwechsel.
Wir veranstalten deswegen hier im alten Plenarsaal Wasserwerk einen gesundheitspolitischen Kongreß, um im Dialog mit allen Beteiligten die Eckpunkte eines nach wettbewerblichen Gesichtspunkten strukturierten Gesundheitswesens zu erarbeiten.
({6})
Das Gesundheitssystem der Zukunft darf den Namen der Freiheit nicht nur tragen, um dem alten Dirigismus neuen Schmuck anzulegen.
({7})
Nein, das Gesundheitssystem der Zukunft muß freiheitlich im Sinne eines wettbewerblich organisierten und gesteuerten Systems sein, und in einem solchen Wettbewerbsmodell wird die Budgetierung ebensowenig einen Platz haben wie eine Positivliste.
({8})
Da mögen Sie darüber lamentieren, daß wir uns aus dem Konsens von Lahnstein hinausschleichen wollten, aber hier liegt ein Irrtum vor. Wir schleichen uns nicht hinaus, wir gehen hinaus, aufrecht und klar, weil wir an diesem Punkt lieber sachdienliche Politik machen, als uns an einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu klammern, und ich füge hinzu: Ein Lahnstein II sollte es nicht geben.
({9})
Meine Damen und Herren, ein Wettbewerbsmodell, wie immer dies im einzelnen auch aussehen mag, wird die Wettbewerbskräfte auf breiter Front zur Entfaltung bringen müssen. Es muß dem Versicherten ein Höchstmaß an Wahlmöglichkeiten an die Hand geben.
({10})
So muß sich der Versicherte für Kostenerstattung, für Beitragsrückvergütungssysteme oder innovative Versorgungsformen entscheiden können. Das Motto lautet natürlich Selbstverantwortung, Selbststeuerung und Selbstbeteiligung.
Ich kann hier nur staunen, wie man einen Begriff zu diskreditieren versucht, der in weiten Teilen des Gesundheitswesens doch von allen gemeinsam gewollt wird. Deswegen wird man so nicht weiter vorgehen können.
Auch im Vertragsrecht müssen wettbewerbliche Freiräume geschaffen werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich würde den Gedanken gern erst zu Ende führen.
Warum müssen sich die Aufsichtsbehörden permanent in Verträge einmischen, die auf freiwilliger Basis zwischen Leistungsanbietern und Kankenkassen geschlossen worden sind? Warum müssen Verträge eigentlich einheitlich und gemeinsam von den Krankenkassen geschlossen werden, wenn sie doch im Wettbewerb zueinander stehen sollen? Warum will
man verhindern, daß Krankenkassen die positiven Effekte ihres Verhandlungsgeschicks gegenüber den Leistungsanbietern über niedrigere Beitragssätze an ihre Versicherten weitergeben können?
({0})
Freiberuflichkeit, Therapiefreiheit und freie Arztwahl sind und bleiben Grundpfeiler unseres Gesundheitswesens. Die heutigen Zulassungsbeschränkungen müssen in einem System, das flexibel sein soll, auf den Prüfstand. Wer eine Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau will, muß auf das Wissen der Leistungsanbieter setzen, der darf z. B. nicht den anerkannten Heilberuf des Apothekers durch angebliche Rationalisierungsmaßnahmen à la Versandhausapotheke kaputtmachen.
Dem Versicherten muß die Möglichkeit gegeben werden, über den Umfang seiner Aufwendungen für Gesundheit selbst zu entscheiden. Es ist zwar klar, daß es einen solidarisch zu finanzierenden Kernbereich des medizinisch Notwendigen geben muß. Diese Forderung darf aber nicht dazu mißbraucht werden, einer Volksversicherung das Wort zu reden.
Es ist mit unseren liberalen Überzeugungen jedenfalls nicht zu vereinbaren, daß der Staat darüber entscheidet, wieviel seinen Bürgern ihre Gesundheit wert zu sein hat. Hier müssen die Entscheidungskompetenzen aus den Händen des Staates in diejenigen seiner Bürger zurückgegeben werden.
({1})
Deshalb gehen die Vorstellungen - etwa der Zahnärzte - in die richtige Richtung: Grundversorgung über die gesetzliche Krankenversicherung, alles darüber hinaus in die freie Entscheidung der Versicherten.
({2})
Im übrigen soll sich jeder sein eigenes Gesundheitspaket auch selbst und eigenständig gestalten können.
Wir werden ein solches Wettbewerbsmodell gegen die gedankliche „große Koalition" derjenigen vertreten, die den heute bestehenden Interventionismus, Bürokratismus und Etatismus unter lediglich anderem Namen fortschreiben wollen. Etatismus nenne ich jede Bevormundung des Bürgers in Fragen der Gesundheitspolitik, die in den ureigensten Entscheidungsbereich des einzelnen fallen.
Meine Damen und Herren, auch im Gesundheitswesen muß der erwähnte Etatismus endlich abdanken. Es reicht nicht aus, wenn Herr Müntefering auf der einen Seite und die gesundheitspolitischen Sprecher der Koalition und der Bundesminister auf der anderen Seite vollkommen zu Recht das Dilemma beklagen, daß nun schon über fast zwei Jahrzehnte ein Interventionismus nach dem anderen, eine Kette von Interventionismen, erfolgt ist, die zu der erwähnten großen Zahl von mehreren tausend Regelungen geführt hat, und daß letztendlich schon wieder über die nächste Kette nachgedacht wird.
Nur ein liberales, nach wettbewerblichen Kriterien strukturiertes Gesundheitswesen wird aus unserer Sicht der Größe der Aufgaben gewachsen sein können, die in der Gesundheitspolitik auf uns zukommen.
An die Adresse meiner Vorrednerin habe ich dann doch die Bitte: Frau Kollegin, Sie haben, wie auch ich, das zu bürokratischen Perfektionismen neigende System der Vergangenheit kritisiert. Aber Sie haben dann darauf verzichtet, darzulegen, welche Alternative die GRÜNEN demnächst denn entwickeln wollen.
({3})
Sie haben sich darauf beschränkt, darzulegen, daß sich Gesundheitspolitik und das Gesundheitssystem nicht an Marktmechanismen orientieren sollen.
({4})
- Diese Botschaft - ich weiß nicht, ob Sie die tatsächlich ernstgemeint haben. Dies meine ich etwa im Blick auf den Umgang von Krankenhäusern mit öffentlichen Mitteln. Diese Botschaft, glaube ich, wäre nun wirklich nicht zu vertreten.
Ich freue mich jedenfalls darauf, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, an der vom Bundesminister und den Sprechern der Koalition des öfteren angekündigten tatsächlichen Reform unseres Gesundheitswesens unter dem Titel „Weg von staatlicher Bevormundung und Intervention hin zu einem wirklichen Freiheits- und Wettbewerbsmodell" mitarbeiten zu können.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Ruth Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der heute zur Debatte stehende zweite Bericht des Bundesministeriums für Gesundheit zur Entwicklung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und zur Wirksamkeit der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen bestärkt leider erneut, jedenfalls für mich, die Erkenntnis, daß die Regierung vor der großen Aufgabe, die gesetzliche Krankenversicherung langfristig - ich betone: langfristig - zu stabilisieren, versagt hat.
Fest steht: Alle bisherigen Interventionsbemühungen haben nur kurzfristige Wirkung erzielt und letztlich mehr neue Probleme geschaffen, als bestehende gelöst. Mit dem Gesundheits-Reformgesetz, das 1989 in Kraft trat, wurden zwar erhebliche finanzielle Aufwendungen auf die Versicherten abgewälzt, die damit angestrebte Kostendämpfung wurde jedoch bestenfalls für nur zwei Jahre erreicht.
Bereits 1992 war erneut eine dramatische Situation in der gesetzlichen Krankenversicherung entstanden. Bei einem Rekorddefizit von fast 10 Milliarden
DM stieg der durchschnittliche Versicherungsbeitrag mit 13,4 % auf einen neuen Höchstwert. Auch den letzten Zweiflern mußte übrigens in diesem Zusammenhang klarwerden, daß Zuzahlung und Selbstbeteiligung als Steuerungsinstrumente in der gesetzlichen Krankenversicherung absolut untauglich sind.
Zugleich war erneut erkennbar, daß solche enormen Kostenschübe unmittelbar nach einem Kostendämpfungsgesetz nichts mit den im Gesundheitswesen durchaus vorhandenen, aber nur längerfristig wirksamen aufwandssteigernden Faktoren zu tun haben. Sie sind ganz eindeutig vor allem das Ergebnis der aktuellen Strukturmängel und Steuerungsfehler innerhalb des Versorgungssystems.
Dennoch drehte es sich auch bei dem im zweiten Halbjahr 1992 eingebrachten Gesundheitsstrukturgesetz trotz der später hinzugekommenen Elemente einer echten Strukturreform erneut mehr oder weniger nur um eine kurzfristige finanzielle Entlastung der Krankenversicherungen. Daß diese allerdings wirklich nur im Sinne jener vielbeschworenen Notbremsung für die Jahre 1993 und 1994 erreicht wurde, ist allerdings nicht sonderlich verdienstvoll, ist sie doch in erster Linie das Ergebnis durchgreifender Budgetierungen aller wichtigen Sektoren des Gesundheitswesens, aber auch solcher Instrumenta - rien wie nochmals erhöhter finanzieller Belastungen der Patienten oder Zulassungssperren für ärztliche Niederlassungen.
Die Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen haben trotz Härtefallregelungen inzwischen für viele chronisch kranke, ältere und behinderte Menschen ein kaum noch erträgliches Maß erreicht.
Auch wuchert innerhalb des Gesundheitswesens die Bürokratie weiter. Eine nicht mehr übersehbare Zahl von Prüfverfahren, Richtgrößen und anderen Reglementierungen erschweren die medizinische Arbeit.
Besonders schlimm finde ich auch, daß mit den kurzfristig verfügten Niederlassungssperren die beruflichen Perspektiven der jungen Ârztegeneration drastisch in Frage gestellt sind, statt mehr Ärzten mehr Raum für eine zuwendungsorientierte Medizin zu geben. In der Konsequenz hat sich inzwischen auch die Zahl der Weiterbildungsstellen in den Krankenhäusern erheblich verringert - all das angesichts von etwa 80 000 Humanmedizinstudenten, die in den nächsten Jahren ins Berufsleben eintreten wollen.
Andererseits ist festzustellen, daß ausgerechnet die strukturellen Reformelemente des Gesetzes bisher noch gar nicht oder nur in Ansätzen wirksam geworden sind. Hier sei nur an die vorgesehenen Veränderungen in der Krankenhausfinanzierung oder auch an die ersten Schritte zum Umbau des ärztlichen Vergütungssystems erinnert - vom speziellen Schicksal der Positivliste ganz zu schweigen.
Während also das Gesundheitsstrukturgesetz in seinen Auswirkungen noch keineswegs übersehen werden kann, wird nun bereits zu einer neuen Reformetappe geblasen. Regierung und Koalition kündigen dabei das Kunststück an, die Budgetierung zum Ende dieses Jahres, wie vorgesehen, aufzuheben und gleichzeitig die Beitragssätze stabil halten zu wollen. Dabei ist bekannt, daß es damit, vermittelt über welche Mechanismen auch immer, über kurz oder lang entweder zu gravierenden Leistungseinschränkungen oder aber zu neuen schweren finanziellen Belastungen der Patienten kommen muß.
({0})
- Wir werden es sehen. Ich würde mich freuen, wenn es umgekehrt wäre, Herr Thomae. Aber ich befürchte es so, und ich stehe nicht alleine da, wie mir bekanntgeworden ist.
({1})
Jedenfalls sehen große Teile der Bevölkerung, vor allen Dingen der Betroffenen, das auch so.
Auch ein Wettbewerb der Kassen, der offensichtlich sogar auf der Grundlage unterschiedlicher Leistungsangebote geführt werden soll, bietet keinerlei Garantie dafür, ein solches Szenario zu verhindern.
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, erleben wir gegenwärtig eine geradezu gespenstische Debatte. Da wird munter geredet von Eigenverantwortung und Eigenvorsorge, von Regel- und Wahlleistungen, vom Abspecken des Leistungskatalogs oder auch von einem Einfrieren der Beitragssätze, aber möglichst nur des Arbeitgeberanteils. Es scheint also im Gesundheitswesen inzwischen so etwas wie eine „unheilige Allianz" am Werk zu sein, die zu allem möglichen entschlossen ist, nur nicht zum einzig Notwendigen: zu einer vernünftigen Strukturpolitik.
Sicher ist allerdings: Sollte auch nur einiges von diesen obskuren Botschaften verwirklicht werden, so wäre das gleichbedeutend mit dem Ende des bisherigen sozialstaatlichen und solidarischen Krankenversicherungssystems in Deutschland.
({2})
- Das steht nirgendwo. Ich sage das so, und ich befürchte das so.
Was seit der Bismarckschen Sozialgesetzgebung speziell auch im Gesundheitswesen an Sozialstaat, an Interessenvertretungen für die sozial schwächsten Teile der Bevölkerung und insgesamt an zivilgesellschaftlichem Fortschritt erreicht wurde, soll nun wieder aufgehoben werden. Um nicht mehr und nicht weniger geht es unseres Erachtens gegenwärtig.
Herr Kollege Möllemann, Sie sprachen von Bevormundung durch den Staat. Ich komme aus einem Staat, der bevormundet hat. Auch ich wünsche das nicht. Aber um Fürsorge des Staates geht es mir.
({3}) Zum Abschluß noch ein Wort.
({4})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin?
Ich habe diesbezüglich schon einmal negative Erfahrungen gemacht. Ich bitte, jetzt noch nicht. Ein halbes oder dreiviertel Jahr später bin ich gerne bereit, auf solche Fachfragen zu antworten.
({0})
Ich möchte nur noch einen Satz sagen. Ich wünsche dem heute ebenfalls auf der Tagesordnung stehenden Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch, und zwar in der vorliegenden Form, eine rasche Verabschiedung und eine schnelle Inkraftsetzung, denn in der Praxis wird diese Umsetzung gebraucht.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Kirschner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf des Änderungsgesetzes zum SGB V ist mit dem Satz umschreibbar: Er kommt spät, aber er kommt wenigstens.
Denn mehr als ein Drittel der Bestimmungen des vorgelegten Gesetzentwurfes soll rückwirkend in Kraft treten. Ich kann nur feststellen, Herr Bundesgesundheitsminister: Auch ein Bundesminister hat zuerst seine Hausaufgaben zu machen. Dem Profil eines Bundesankündigungsministers für Gesundheit
({0})
- ja, das wird Ihnen nicht gefallen - entsprechen Sie spätestens seit Ihren Versprechungen vom April 1994,
({1})
wo Sie angekündigt haben, zum BSE eine klare Linie einzuschlagen
({2})
- beim BSE -, als das jetzt mit der Verordnung der Fall ist. Ich sage nur: Das können wir uns nicht leisten.
Sie kündigen die nächste Reformstufe für die gesetzliche Krankenversicherung an, und andererseits werden die Hausaufgaben von Ihnen sträflichst vernachlässigt. Nun weiß jeder, daß die gesetzliche Krankenversicherung ein vermintes Gelände - das bestreitet niemand - und alles andere als eine vergnügungspflichtige Angelegenheit ist. Das befreit Sie aber nicht von der Pflicht, Herr Bundesgesundheitsminister, das GSG umzusetzen. Das gilt auch für die Positivliste, wie es im Gesetz steht.
({3})
Ich sage Ihnen: Es ist unverständlich, wenn Sie einerseits fordern, die Instrumente des GSG konsequent umzusetzen, und dann die Positivliste in Frage stellen. Nicht das Parlament und nicht die Mitglieder des Gesundheitsausschusses sind hier in der Verantwortung. Sie sind in der Verantwortung, einen entsprechenden Verordnungsentwurf vorzulegen.
({4})
Sie wissen ganz genau, was das Gesetz vorschreibt. Dieser Verantwortung - dazu fordern wir Sie auf - haben Sie zunächst einmal nachzukommen. Wenn Sie hier fragen, welches Medikament hinein soll oder herausgenommen werden soll, dann kann ich Ihnen nur eines sagen: Ich kenne Ihren Verordnungsentwurf bis heute noch nicht. Wir warten alle gespannt auf Ihren Vorschlag, den Sie zu unterbreiten haben.
Die drei Fragen, die Sie hier stellen, müssen Sie sich selbst beantworten. So ist der Weg, und der Bundesrat wird dem zustimmen oder nicht. Das ist Ihre Aufgabe, dafür sind Sie letzten Endes Minister. Ganz einfach.
({5})
- Herr Kollege Seehofer, ich habe noch nie eine Frage abgelehnt.
Herr Kollege Kirschner, würden Sie politisch, nicht in Ihrer Kompetenz als Mitglied des Deutschen Bundestags, sondern als Angehöriger der Mehrheitspartei, die im Bundesrat die Mehrheit stellt, einer Liste zustimmen, die der Gesundheitsminister in seiner Verantwortung vorlegt und die zugunsten der Patienten die Arzneimittel umfaßt, die heute in Deutschland zugelassen sind und für die Verordnung zur Verfügung stehen? Ich würde momentan eine solche Liste als die einzige mögliche Alternative unter gesundheitspolitischen und sozialen Gesichtspunkten betrachten. Würden Sie einer solchen Liste zustimmen?
({0})
Er hat gesagt, ich habe eine Verantwortung. Die möchte ich gerne wahrnehmen. Aus meiner Verantwortung heraus halte ich es gegenüber den Patienten, den Kranken und den Versicherten nur für verantwortbar, alle Medikamente, die heute für die Therapie zur Verfügung stehen und zugelassen sind, dem Bundesrat als Positivliste zuzuleiten.
Ich wollte Herrn Kirschner, der diese Verantwortung eingefordert hat, fragen, ob er einer solchen Liste politisch seine Unterstützung in Aussicht stellen kann.
Herr Kirschner, bitte.
Herr Bundesgesundheitsminister,
({0})
§ 34a SGB V lautet:
Der Bundesminister für Gesundheit erläßt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Vorschlagsliste nach § 92a Abs. 5 als Liste verordnungsfähiger Fertigarzneimittel in der vertragsärztlichen Versorgung nach Prüfung ihrer Vereinbarkeit mit den in § 92 a aufgestellten Voraussetzungen und anderen Rechtsvorschriften.
({1})
Die Rechtsverordnung ist erstmals bis zum 31. Dezember 1995 zu erlassen.
Das heißt ganz einfach: Wir warten einmal darauf, was Sie denn eigentlich vorlegen werden.
({2})
So einfach ist das. Ich wüßte nicht, daß die Mehrheitsverhältnisse plötzlich anders geworden sind, so daß Sie jetzt einen Rollentausch machen wollen.
Gestatten Sie eine zweite Frage des Abgeordneten Seehofer?
Gern.
({0})
Herr Kollege Kirschner, der Bundesminister für Gesundheit würde es nach dem heutigen Informationsstand unter Beachtung des § 34 a SGB V, den Sie gerade vorgelesen haben, unter juristischen, pharmakologischen, medizinischen und sozialen Gesichtspunkten
Sie müssen fragen, Herr Minister.
- für notwendig erachten, die heute zugelassenen Arzneimittel in die Liste der verordnungsfähigen Medikamente aufzunehmen, weil alles andere juristisch, pharmakologisch, gesundheitspolitisch und sozial zu Lasten der Menschen geht. Wenn ich die Verantwortung in der Art wahrnehme, wie Sie es von mir fordern, möchte ich Sie fragen: Würden Sie heute die politische Unterstützung für ein solches Vorgehen signalisieren können?
Herr Kollege Seehofer, Sie werden mich doch nicht dazu bringen,
({0}) daß ich Ihnen die Arbeit abnehme.
({1})
Ich sage Ihnen doch nur ganz einfach eines - ich freue mich ja, daß das zu Heiterkeitsstürmen geradezu herausfordert -: Noch gibt es - ich denke, da sind wir uns einig - eine klare Verantwortungsteilung zwischen Exekutive und Legislative. Ich denke, zuerst einmal ist der Bundesgesundheitsminister am Zug, seinen Vorschlag vorzulegen. Dann wird man ja sehen, was in seinem Vorschlag enthalten ist. Dann wird darüber zu diskutieren sein. Wir warten zuerst einmal auf das, was die Fachleute vorlegen.
({2})
- Entschuldigen Sie bitte; ich kenne doch überhaupt gar nicht, was der Bundesgesundheitsminister vorlegen will. Das soll er zuerst einmal machen.
Die Listen, die der Kollege Lohmann herumreicht, habe ich nicht.
({3})
Ich sage Ihnen nur eines - ich weiß nicht, ob ich das Gesetz falsch lese -: Das Gesetz sieht doch zunächst einmal vor, daß ein Vorschlag der Sachverständigen des Arzneimittelinstituts kommt. Dieser Vorschlag wird dann dem Bundesgesundheitsminister zugeleitet. Danach ist es seine und nicht meine Aufgabe, eine Vorschlagsliste zu unterbreiten.
({4})
Dann werden wir unsere Meinung dazu sagen; vorher werden wir nichts unternehmen. Wir wollen einmal abwarten, was der Bundesgesundheitsminister vorschlägt.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage der Kollegin Fuchs?
Ja, selbstverständlich.
Herr Kollege, teilen Sie meine Sorge, daß nach den Bemerkungen des Bundesgesundheitsministers von eben nur alles das in die Liste geschrieben wurde, was heute schon verordnet werden kann, und daß der Bundesgesundheitsminister mit dieser Positivliste gar keine Strukturreform beabsichtigt, sondern versucht, sich aus der Verantwortung zu schleichen? Teilen Sie diesen Eindruck, den ich aus seiner Frage gewonnen habe?
Ich kann das nur voll und ganz teilen.
({0})
Für uns ist die Positivliste ein Instrument der Qualitätssicherung.
({1})
- Da haben Sie recht. - Ich wiederhole mich: Für uns ist die Positivliste ein Instrument der Qualitätssicherung. Deshalb warten wir ab, was vorgelegt wird. Aus dieser Verantwortung werden wir den Bundesgesundheitsminister nicht entlassen. Das sind seine Aufgabe und seine Verantwortung.
({2})
- Soll ich weiterreden? Ich frage Sie: Wollen Sie sich da hinsetzen?
({3})
In Anbetracht der Tatsache, daß Herr Seehofer jederzeit in seiner Eigenschaft als Bundesminister reden darf, stellt sich die Frage, ob wir ihm mehr als zwei Zwischenfragen einräumen sollten.
({0})
Wenn Sie das gestatten? - Bitte.
Herr Kollege Kirschner, ich frage Sie jetzt noch einmal - das ist meine Verantwortung nach der Prüfung -: Wenn ich eine Verordnung mit zwei Paragraphen vorlege, die besagen, daß erstens in die Liste der verordnungsfähigen Medikamente alle derzeit zugelassenen Arzneimittel aufgenommen werden - das wäre der § 1 - und daß diese Verordnung - das wäre § 2 - am 1. Januar 1996 in Kraft tritt, könnten Sie dann einer solchen Sache politisch zustimmen?
({0})
Herr Kollege, ich unterbreite Ihnen den Vorschlag: Reden Sie doch nicht ständig, was in die Liste aufgenommen werden soll oder nicht,
({0})
sondern kommen Sie dem nach, was das Gesetz vorsieht. Das ist Ihre Aufgabe als Verordnungsgeber, nichts anderes.
({1})
- Der Bundesgesundheitsminister hat einen Vorschlag zu machen, und den hat er dem Bundesrat zuzuleiten. Dann wird dies zu prüfen sein.
({2})
Lassen Sie uns doch abwarten, was er da alles vorlegt. Eine Liste, wie sie der Herr Kollege Lohmann ständig durch die Gegend flattern läßt, interessiert mich nicht. Vielmehr geht es darum, daß der Bundesgesundheitsminister seiner Verantwortung nachzukommen hat. Wir werden nicht zulassen, daß die Rollen vertauscht werden. Auch das sage ich Ihnen klipp und klar.
({3})
Es gibt eine weitere Bitte nach einer Zwischenfrage von der Kollegin Steindor.
Ja, bitte schön.
({0})
Aber ich bitte doch alle Kollegen, im Interesse auch derjenigen, die später noch reden müssen - ich halte ja jedesmal die Uhr an -, mit den Zwischenfragen etwas zurückhaltend zu sein. Aber bitte, wenn Sie sie gestatten.
Herr Kirschner, teilen Sie meine Auffassung, daß eine Positivliste per definitionem nicht die gesamte Liste der verordnungsfähigen Medikamente sein kann und daß in den europäischen Nachbarstaaten, die eine Positivliste haben, die Menschen nicht gesünder und nicht kränker sind als in der Bundesrepublik Deutschland?
Zum letzteren: Es ist sicherlich sehr schwierig, das zu vergleichen. Aber ich will grundsätzlich dazu sagen - ich denke, darauf zielt Ihre Frage ab -: Das Instrument der Positivliste ist nicht in der Bundesrepublik Deutschland erfunden worden, sondern auch andere Länder arbeiten damit mit sehr guten Erfolgen. Ich denke, darum geht es letzten Endes bei dem Instrument der Positivliste.
({0})
Eine weitere Zwischenfrage, bitte.
Herr Kollege Kirschner, wie beurteilen Sie den Vorgang unter dem Gesichtspunkt des heute Gesagten, daß hochrangige Beamte beispielsweise aus dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie in öffentlichen Veranstaltungen auftreten und darum bitten,
der Bundesregierung Argumente dafür zu liefern, die dazu führen können, daß die Positivliste, die ja im Gesetz steht, nicht umgesetzt werden muß?
Herr Kollege Tauss, es ist doch völlig klar - wer will denn das bestreiten? -, daß es bei der gesetzlichen Krankenversicherung - der Kollege Möllemann hat das vorher deutlich gemacht - sehr unterschiedliche Interessen gibt. Dabei ist unbestritten, daß bei einer Positivliste auch wirtschaftliche Interessen berührt werden. Genau darum geht es.
Deshalb sage ich noch einmal: Wir halten die Positivliste für notwendig. Es muß entschieden werden, was zur vertragsärztlichen Verordnung gehört, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Qualität. Um nichts anderes geht es.
({0})
Daß dabei wirtschaftliche Interessen berührt sind, sagte ich schon.
({1})
- Kollege Dr. Thomae, was heißt denn das - das würde ich schon gerne wissen wollen -: „Wie ist es mit der Therapiefreiheit?" Heißt das - darf ich Sie so interpretieren? -, daß alles - ({2})
- Aber, jetzt bitte ich Sie! Wir führen doch eine sehr ernsthafte Diskussion - die führen Sie in Einzelgesprächen, die führen wir im Ausschuß - darüber: Was ist notwendig, was ist nicht notwendig?
Ich sage dazu nur eines: Wir werden hier doch in Kürze den Entwurf eines Psychotherapeutengesetzes beraten. Auch da wird darüber diskutiert werden müssen: Was ist notwendig und was nicht? Sonst wäre das schon lange im Leistungskatalog drin.
Nur das Schlagwort „Therapiefreiheit" in den Raum zu stellen - ich bitte Sie! Sie können doch nicht sagen: Alles, was heute an Therapien überhaupt angeboten wird, gehört in den Leistungskatalog. Vielmehr geht es darum - und das ist Aufgabe aller Beteiligten, nicht zuletzt auch Aufgabe der Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen, d. h. des Bundesausschusses -, festzulegen, welche Therapien gesichert sind.
Allerdings sage ich Ihnen auch ganz offen: Uns geht es darum, daß alles das, was zur Behandlung von Krankheiten medizinisch notwendig ist, ohne Abstriche in den Leistungskatalog hineinkommt.
Meine Damen und Herren, nun möchte ich noch ein paar Bemerkungen zur Umsetzung der strukturellen Maßnahmen des Gesundheitsstrukturgesetzes machen. Der Bundesgesundheitsminister hat vorhin gesagt: Die Instrumente des GSG sind konsequent umzusetzen. Die Finanzdaten, die er vor wenigen Stunden der Öffentlichkeit vorgestellt hat, zeigen beispielsweise: Wir haben eine Grundlohnsummensteigerung von knapp 2,5 % und Ausgabensteigerungen zwischen 6,5 und 7,5 %. Ich meine, diese Warnsignale kann doch niemand ignorieren. Im übrigen können wir die Aussagen zu den Ausgabenentwicklungen der letzten Jahre in dem heute unter diesem Tagesordnungspunkt vorgelegten Bericht nachlesen. Ich denke, notwendig ist - deshalb läßt sich diese Diskussion auch nicht von der Positivliste trennen -, die Instrumente des GSG wirklich konsequent umzusetzen.
Meine Damen und Herren, noch einige Bemerkungen zum vorliegenden Gesetzentwurf. Ein Beispiel für wichtige Regelungen, die längst hätten in Kraft getreten sein müssen, sind die Verteilungsregelungen für die Krankenversicherungsbeiträge, die von den Rentenversicherungen für die pflichtversicherten Rentner an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gezahlt werden, die diese dann an die Krankenkassen zu leiten hat.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, um das Unwort des Jahres 1994 nicht noch einmal in Mißkredit zu bringen: Es handelt sich bei der seit dem 1. Januar 1995 bestehenden Regelungslücke nicht um „peanuts"; es geht vielmehr um fehlende Regelungen für annähernd 30 Milliarden DM.
Das erst jetzt vorgelegte 3. SGB-V-Änderungsgesetz enthält immer noch nicht sämtliche für die Krankenversicherung notwendigen Regelungen. Ein Beispiel für einen Mangel des 3. SGB-V-Änderungsgesetzes ist das weitere Hinausschieben von im Gesundheitsstrukturgesetz verbindlich vorgegebenen Transparenzregelungen. Bekanntlich ist ja zur Verbesserung der Kosten- und Leistungstransparenz in der gesetzlichen Krankenversicherung neben anderen Transparenzdaten die Einführung der Diagnoseverschlüsselung im ambulanten und im stationären Bereich zum 1. Januar 1995 vorgesehen. Die jetzt angestrebte Verschiebung der Verschlüsselung um ein Jahr ist ein Rückschritt und eine Verbeugung vor der bisherigen Untätigkeit der Ärzteschaft, den Diagnoseschlüssel fristgerecht einzusetzen. Sie ist aber auch eine Ohrfeige für die Krankenhäuser, die den Diagnoseschlüssel fristgerecht einsetzen. Damit wird die Umsetzung des GSG-Konzeptes zur Verbesserung der Leistungs- und Kostentransparenz und der darauf basierenden Regelungen zur Wirtschaftlichkeitsprüfung und Qualitätssicherung vorerst nicht möglich.
Letztlich werden damit auch weiterhin Entscheidungen aus dem hohlen Bauch provoziert. Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, so kleinklein sich diese Regelung auch anhört: Transparenzdaten bilden die Grundlagen für weitreichende Entscheidungen zur Steuerung des Gesundheitswesens. Kein Unternehmen, das immer wieder Entscheidungen ohne betriebswirtschaftlich fundierte Kennzahlen treffen muß - genau darum geht es -, hat auf Dauer eine Überlebenschance, wenn dadurch mögliKlaus Kirschner
cherweise kostenintensive Fehlentscheidungen herausgefordert werden. Das ist eines der größten strukturellen Defizite im System der gesetzlichen Krankenversicherung.
Nachdem es nun aber so ist, wie es ist, das GSG damit auch in diesem Punkt nicht konsequent umgesetzt wird und nachdem jetzt eine neue Fassung des Diagnoseschlüssels zum 1. Januar 1996 angekündigt worden ist, werden wir unter Rückstellung aller Bedenken und unter der Voraussetzung, daß ab 1. Januar 1996 die neue Fassung zeitgleich Anwendung sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich findet, den Gesetzentwurf insgesamt mittragen. Ich sage Ihnen aber jetzt schon: Wir werden einen entsprechenden Entschließungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion zur Einführung des ICD-Schlüssels einbringen. Ich kündige Ihnen dies hiermit an. An der Zustimmung Ihrerseits, daß dies verbindlich zum 1. Januar 1996 in Kraft tritt, werden wir ja sehen, wie glaubwürdig Ihr Verschiebungsargument ist.
({4}) - Das werden wir dann sehen.
Meine Damen und Herren, ein weiteres Beispiel dafür, daß der vorgelegte Gesetzentwurf noch immer nicht alles Notwendige enthält und damit immer noch nicht einem entsprechenden Auftrag des Gesundheitsauschusses des Deutschen Bundestages zum GSG gerecht wird, sind die fehlenden Folgeregelungen zu der festgelegten Schließung des DO-Systems bei den sogenannten RVO-Krankenkassen.
Meine Damen und Herren, wir werden diesen Gesetzentwurf - das habe ich Ihnen gesagt - zügig beraten. Ich warne Sie jedoch vor der Versuchung, wie beim GKV-Anpassungsgesetz Wahlgeschenke zu verteilen oder sich von gemeinsam ausgehandelten Grundlagen für die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens zu verabschieden, wie Sie es im vergangenen Jahr bereits erfolglos getan haben.
Ich sage Ihnen auch eines: Versuchen Sie nicht, das Artikelgesetz für Aussiedler mit dranzuhängen. Solche Spielchen werden wir nicht mitmachen, bzw. dann sage ich Ihnen nicht mehr die zügige Beratung zu. Ich denke, es ist in unser aller Interesse, daß Sie das nicht tun.
Meine Damen und Herren, ich sagte vorhin: Wir könnten schon weiter sein. Im vergangenen Jahr haben Sie den Entwurf eines GKV-Anpassungsgesetzes vorgelegt. Dieser Entwurf ist an uns gescheitert, weil wir die damals vorgesehenen Mehrausgaben in Höhe von 600 Millionen DM nicht akzeptieren konnten.
({5})
- Kollege Dr. Thomae, ich frage mich: Wie glaubwürdig sind Sie eigentlich, wenn Sie einerseits sagen, die Lohnnebenkosten dürften sich nicht erhöhen, da es um die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie gehe, während andererseits mir nichts, dir
nichts kurz vor der Bundestagswahl 600 Millionen DM als Wahlgeschenke über den Tisch geschoben werden sollen, die letzten Endes die Versicherten hätten zahlen müssen?
({6})
Wir haben Ihnen den richtigen Weg gewiesen, indem wir gesagt haben: Gefragt ist die Solidarität innerhalb der Ärzteschaft. Diese Umverteilung hat innerhalb der Ärzteschaft stattzufinden. Dieses ist der richtige Weg.
Im übrigen: Lassen Sie sich doch etwas einfallen, und denken Sie über das nach, was innerhalb der Ärzteschaft diskutiert wird, nämlich ob es nicht sinnvoll ist, zwei getrennte Honorartöpfe zu schaffen. Dann haben Sie das Problem gelöst. Wir sind für entsprechende Vorschläge offen.
Meine Damen und Herren, ich erinnere auch an den von Ihnen ebenfalls im Entwurf eines GKV-Anpassungsgesetzes unternommenen und von uns vereitelten Versuch der Abkehr vom Sachleistungsprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Ich erinnere ferner an den Versuch - der Kollege Möllemann hat ja darauf hingewiesen -, in der zahnmedizinischen Versorgung bei den Zahnfüllungen ein Konzept der Grund- und Wahlleistungen durch die Hintertür einzuführen. Das ist Leistungsausgrenzung durch die kalte Küche. Das wird die SPD nicht mitmachen.
({7})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bei Herrn Kollegen Zöller immer.
Danke schön. - Auf Grund dessen, was Sie eben sagten, frage ich Sie: Stimmen Sie meiner Meinung zu, daß das bisherige System eigentlich ungerecht ist? Wenn nämlich jemand eine Zahnversorgung für 4 000 DM wählt, bekommt er einen Zuschuß von 40 %. Hat er aber mehr Geld und wählt sich einen Zahnersatz für 12 000 DM, bekommt er einen absolut gesehen wesentlich höheren Zuschuß. Wir befinden uns also momentan in der fatalen Situation, daß wir die Reichen auf Kosten derer bezuschussen, die weniger verdienen.
Der höchste Zuschuß beträgt 60 %. Ich gebe Ihnen gern zu, daß das ein Problem ist. Herr Kollege Zöller, ich nehme aber diese Unzulänglichkeit lieber in Kauf, als zu einem Festbetragssystem zu kommen, was ein großer Teil der deutschen Zahnärzte will. Sie alle kennen doch die Gefahren, die dahinterstecken: Ein Festbetragskonzept läuft letzten Endes auf eine Versorgung nur noch mit Grundleistungen hinaus, und darüber hinaus gibt es eben Wahlleistungen. Damit haben Sie
dann durch die Hintertür die Zweiklassenmedizin eingeführt.
Ich sage Ihnen ein Zweites: Alles, was über die Festbeträge hinausgeht, fällt aus der Wirtschaftlichkeitsprüfung und aus den Qualitätssicherungsmaßnahmen heraus. Wenn Sie dies tun, Herr Kollege Zöller, werden Sie ein anderes Krankenversicherungssystem schaffen. Dann bekennen Sie sich bitte auch dazu! Mit uns werden Sie das nicht hinbekommen.
({0})
Ich sage noch einmal: Das jetzige System weist Unzulänglichkeiten auf, aber das Konzept von Grund-und Wahlleistungen wird unsere gesetzliche Krankenversicherung völlig verändern in Richtung einer Zweiklassenmedizin. Ich kann nur hoffen, daß Sie dies nicht wollen.
Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen machen zu der derzeit geführten und, wie ich Ihnen sagen möchte, völlig überhasteten und unproduktiven, ja sogar kontraproduktiv angezettelten Diskussion über eine weitere Reform im Gesundheitswesen. Sie können sich noch so sehr davon distanzieren, aber Ihr Fragenkatalog fragt letzten Endes nach Leistungskürzungen und nach einer grundlegenden Neubestimmung des Leistungskatalogs, nach einer Klassifizierung des gesundheitsgefährdenden Verhaltens und letzten Endes nach einem Ausschluß von mehr oder weniger selbstverschuldeten Krankheiten.
Herr Minister Seehofer, wenn Sie dem Kollegen Möllemann vorhin aufmerksam zugehört haben, können Sie doch nicht bestreiten, daß die F.D.P. - ich denke, daß der Herr Möllemann für die F.D.P. und damit für einen Teil der Regierungskoalition redet - wohl eine ganz andere Intention dieser Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung in den Raum stellt, als Sie es vorhin mit Ihren Fragen und Antworten getan haben.
Sie können hier nicht sagen, die SPD male ein Schreckensbild an die Wand. Wenn ich mir die Rede von Herrn Kollegen Möllemann noch einmal vor Augen halte, dann war es genau das, was Sie in Abrede gestellt haben, was aber ein Teil der Koalition will, nichts anderes.
({1})
Ich sage Ihnen noch eines, meine Damen und Herren von der Koalition. Bevor Sie sich zu weiteren Reformankündigungen motiviert fühlen, die Sie dann, wenn Sie die Mehrheitsverhältnisse endlich begriffen haben, wieder zurücknehmen müssen, sage ich Ihnen zum x-tenmal: Für die SPD ist die Rationierung von Leistungen indiskutabel.
({2})
- Wenn wir uns einig sind, ist das ja prima.
Aber Ihre Redezeit ist jetzt zu Ende.
Lassen Sie mich einen Schlußsatz sagen, Frau Präsidentin. Die SPD setzt auf Kontinuität und Berechenbarkeit. Wir werden unter dem geschilderten Vorbehalt den vorgelegten Entwurf eines 3. SGB-V-Änderungsgesetzes zügigst beraten.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt Herr Minister Seehofer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Damit sich in den nächsten Wochen bis zur Wahl in Nordrhein-Westfalen nicht einige Dinge immer wieder festmachen, die niemand will, möchte ich ganz klar feststellen:
Erstens. Niemand beabsichtigt Rationierung oder Leistungsausgrenzung.
({0})
Zweitens. Ich habe hier noch einmal gesagt: Ich halte höhere Selbstbeteiligungen im deutschen Gesundheitswesen nicht mehr für verantwortbar und möglich.
Drittens. Herr Kirschner, damit Sie auch zu den Vertrags- und Wahlleistungen keinen Popanz aufbauen: Es könnte durchaus sein, daß man zu der Auffassung kommt, die Vertragsleistungen seien der Leistungskatalog, den wir heute in der deutschen Zahnheilkunde haben.
({1})
Ich möchte Sie fragen, ob Sie dagegen sein können.
Viertens. Noch einmal zur Positivliste: Ich lasse es einfach nicht im Raum stehen, wenn gesagt wird, unsere Haltung zur Positivliste sei ein Kniefall vor der Pharmalobby.
({2})
Wir beurteilen das allein im Hinblick auf die Auswirkungen auf den Patienten.
({3})
Und wenn für den Patienten 10 000 oder 20 000 Medikamente weniger zur Verfügung stehen als heute, ist dies zunächst einmal ein Schlag gegen die Versicherten und Kranken.
({4})
Wir haben einen Schlag mitgemacht, den Sie zu verantworten haben, Herr Kirschner, Herr Pfaff und Herr Schmidbauer, nämlich die Umstellung der Selbstbeteiligung auf die Packungsgröße, die die Versicherten mit 600 Millionen DM mehr belastet. Sie verschweigen in der Öffentlichkeit, daß diese Umstellung, die Sie zur Bedingung für die Zustimmung zur Gesundheitsreform gemacht haben, die Versicherten mit 600 Millionen DM belastet.
({5})
Ein zweiter Schlag gegen die Versicherten und Patienten, den Sie uns aufdrücken wollen und den wir dann politisch zu verantworten haben, findet mit der Koalition nicht statt: eine Leistungsausgrenzung auf Grund einer Positivliste, aus der wir nach Ihrer Vorstellung das eine oder andere Naturheilmittel herausnehmen müßten, weil wir ganze Indikationen herausnehmen, aus der wir Billigarzneimittel herausnehmen müßten, weil das nach Ihrer Vorstellung weiter verfolgt werden soll.
({6})
- Dann sagen Sie bitte, daß Sie das nicht wollen; dann ist die Positivliste heute um 15.43 Uhr mit Zustimmung der Opposition beerdigt. Aber sagen Sie es!
({7})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kirschner?
Ich lasse die Zwischenfrage zu, aber vielleicht kann der Fragesteller noch auf folgendes eingehen.
Herr Kirschner, wenn ich mich recht erinnere, haben wir am Ende der letzten Legislaturperiode hier im Bundestag und mit Zustimmung der Bundesländer eine Reform des Arzneimittelrechts im Konsens verabschiedet,
({0})
und zwar eine Reform des Arzneimittelrechts mit der Qualitätssicherung bei den Nachzulassungen der fiktiv zugelassenen Arzneimittel. Mit Ihrer Zustimmung ist beschlossen worden, daß fiktiv zugelassene Arzneimittel, also Alt-Arzneirhittel, entweder ein normales Zulassungsverfahren durchlaufen oder, wenn das nicht gewollt ist, bis zum Jahre 2004 verkauft werden können.
Herr Kirschner, wie wollen Sie der Öffentlichkeit erklären, daß Sie vor wenigen Monaten hier im Deutschen Bundestag mit beschlossen haben, daß diese Arzneimittel, die Sie heute als bedenklich einstufen, nach dem Arzneimittelrecht bis zum Jahre 2004 verkauft werden dürfen? Jetzt wollen Sie die gleichen Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zu Lasten der Patienten hinauswerfen. So liederlich und so schlampig dürfen Politiker bei der Gesetzgebung nicht arbeiten,
({1})
daß wir nun das Gegenteil dessen machen, was wir vor einigen Monaten gemacht haben.
Vielleicht beerdigen wir sie jetzt, wenn Sie, Herr Kirschner, mir hier erklären: Keine Naturheilmittel raus, keine ganzen Indikationsgebiete raus und keine Bagatellarzneimittel raus. Das will niemand in der Koalition, weil es den kranken Menschen treffen würde. Wenn Sie das hier erklären - mittlerweile ist es 15.45 Uhr -, dann wäre die Positivliste heute im großen Konsens beerdigt.
Herr Bundesgesundheitsminister, ich weiß gar nicht, warum Sie sich so erregen.
Nein, ich bin sehr gelassen. Warten Sie mal ab, wenn ich mich aufrege!
({0})
Ich wollte Ihnen nur die Frage stellen, ob Ihnen nicht gegenwärtig ist, welchen Text wir gemeinsam in den § 92a hineingeschrieben haben. Dann frage ich Sie des weiteren, Herr Bundesgesundheitsminister: Warum lassen Sie nicht zu, daß die elf Sachverständigen des Arzneimittelinstituts ihren Vorschlag auf den Tisch legen, um dann Ihre Entscheidung zu treffen? Warum nehmen Sie nicht Ihre Verantwortung wahr? Gehen Sie mit mir einig, daß Sie diese Verantwortung wahrzunehmen haben? Oder wollen Sie sie nicht wahrnehmen?
({0})
Zum zweiten. Herr Bundesgesundheitsminister, wenn Sie so tun, als ob eine Positivliste des Teufels wäre, warum haben Sie bzw. Ihr Vorgänger eine Negativliste in Kraft gesetzt?
Ich fange bei dem letzten und Einfachsten an. Ein Arzneimittel, das negativ monographiert ist, kommt in der Vergangenheit und in der Zukunft auf die Negativliste und wird nicht verordnet. Darum geht es nicht.
({0})
- Herr Kirschner, wir müssen hier doch wirklich keinen Unterricht erteilen. Das negativ monographierte hat mit Bagatellarzneimitteln überhaupt nichts zu tun. Es ist ein zweifelhaftes Arzneimittel. Ein Bagatellarzneimittel ist ein Arzneimittel, das aus sozialen Gründen ausgegrenzt werden kann, weil es so billig ist oder nur bei geringfügigen Gesundheitsstörungen eingesetzt wird.
Noch einmal, damit wirklich klar ist, was wir meinen - jetzt wird mir erst deutlich, daß wir offensichtlich völlig unterschiedliche Informationsstände haben -: Das, was negativ monographiert ist, ist in der Vergangenheit auf die Negativliste gekommen und wird in der Zukunft auf die Negativliste kommen.
Zweitens. Im Jahre 1992 hatten wir im Grundsatz noch einen totalen Konsens über die Positivliste. Jetzt stelle ich nach x Podiumsdiskussionen fest, daß die SPD-Abgeordneten, weiblich und männlich, erklären: Das und jenes kommt mit mir persönlich nicht mehr in Frage.
Drittens. Natürlich spreche ich mit den Sachverständigen und mit dem Bundesausschuß Ärzte/Krankenkassen. Wenn die ein völlig neues Argument haben - was die Koalition und ich heute nicht sehen -, werden wir das gewichten und in unsere Entscheidung einbeziehen.
Ich habe Ihnen vorhin eine Frage gestellt. Aus heutiger Sicht würde ich in Wahrnehmung meiner Verantwortung beim Prüfen des § 34 a, der die Rechtsgrundlage für die Verordnung ist, dem Bundesrat eine Verordnung mit zwei Paragraphen zuleiten. Ich würde schreiben: § 1. Alle Arzneimittel, die in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen sind - und damit qualitativ in bezug auf die Wirksamkeit und das Risiko geprüft, also in Ordnung sind -, bilden die Liste der verordnungsfähigen Medikamente. - Denn ich will den Patienten nichts wegnehmen. - § 2. Diese Verordnung tritt am 1. Januar 1996 in Kraft.
Eines können wir nicht machen. Mit Ihrer Zustimmung haben wir im September 1994, wenn ich mich recht erinnere, gegenüber der Öffentlichkeit in einem Gesetz gesagt: Arzneimittel sind erstens zugelassen, wenn sie ausdrücklich ein Zulassungsverfahren durchlaufen haben, und zweitens können alle übrigen Arzneimittel noch bis zum Jahre 2004 verkauft werden. Jetzt können wir nicht wenige Monate später den Patienten und den Herstellern sagen: Das alles war ein Irrtum; jetzt geht alles von vorne los. Das geht nicht. Ein bißchen Geradlinigkeit und Glaubwürdigkeit tut dem Deutschen Bundestag bei seinen Entscheidungen gut.
({1})
Ich schließe damit die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/340 und 12/8570 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16a bis 16f sowie die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf:
16. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. März 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko über Kindergeld
- Drucksache 13/665 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({0})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. September
1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik über Kindergeld
- Drucksache 13/664 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes
- Drucksache 13/117 -Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß
d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Zweiunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({2})
- Drucksache 13/188 -Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({3}) Finanzausschuß
e) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung des Standortübungsplatzes München ({4})
- Drucksache 13/432 -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
f) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen
Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung einer Teilfläche der bundeseigenen Liegenschaft „Lee-Barracks" in Mainz-Gonsenheim an die Grundstücksverwaltungsgesellschaft der Stadt Mainz mbH ({5})
- Drucksache 13/551 -
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß
ZP4 weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die Besetzung von Gremien
- Drucksache 13/693 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({6})
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
b) Beratung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Schuldenverwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes
- Drucksache 13/692 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({7})
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Ausschuß für Wirtschaft
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17a bis 17x sowie die Zusatzpunkte 5 a und 5 b auf:
17. Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite und Dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen ({8})
- Drucksache 13/119 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({9})
- Drucksache 13/706 -
Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Harald Kahl
b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, F.D.P. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über parlamentarische Gremien
- Drucksache 13/543 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({10})
- Drucksache 13/662 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dieter Wiefelspütz
c) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({11}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 05 02 Titel 686 30
- Beitrag an die Vereinten Nationen - Drucksachen 13/151, 13/438 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Erich Riedel ({12}) Ina Albowitz
Eckart Kuhlwein
Antje Hermenau
d) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({13}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 05 02 Titel 686 43
- Beitrag zu den Kosten der EU-Friedensmission in Jugoslawien - Drucksachen 12/8538, 13/439 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Erich Riedel ({14}) Ina Albowitz
Eckart Kuhlwein
Antje Hermenau
e) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({15}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 09 02 Titel 891 91
- Kapitalzuführung an die DFA-Fertigungs- und Anlagenbau GmbH - Drucksachen 13/42, 13/440 Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt Rossmanith Dr. Wolfgang Weng ({16}) Manfred Hampel
Antje Hermenau
f) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({17}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 23 02 Titel 686 08 - Ernährungssicherungsprogramme -
Kapitel 23 02 Titel 686 24 - Nahrungsmittelhilfe -
- Drucksachen 12/8567, 13/441 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Emil Schnell Michael von Schmude
Antje Hermenau
Jürgen Koppelin
g) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({18}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushaltsführung 1994;
Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 23 02 Titel 836 02
- Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am Kapital der Internationalen Entwicklungsorganisation ({19}) -
- Drucksachen 12/8566, 13/442 -
Abgeordnete Dr. Emil Schnell
Michael von Schmude
Antje Hermenau
Jürgen Koppelin
h) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 12 15 - Flugsicherung -
Titel 671 02 - Erstattung von Einnahmeausfällen der DFS Deutsche Flugsicherung
GmbH auf Grund von Gebührenbefreiungen -
- Drucksachen 13/103, 13/443 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Georg Wagner Bartholomäus Kalb
Kristin Heyne
Jürgen Koppelin
i) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 25 02 Titel 622 01
- Zuweisungen an Länder zur Verbilligung von Zinskosten -
- Drucksachen 12/86 08, 13/444 -
Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Pützhofen
Jürgen Koppelin Dr. Rolf Niese
Antje Hermenau
j) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({2}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 23 02 Titel 896 03
- Bilaterale Technische Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern -
- Drucksachen 13/66, 13/445 -
Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Emil Schnell
Michael von Schmude
Antje Hermenau
Jürgen Koppelin
k) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 31 04 Titel 685 02
- Sonderprogramm zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze in den neuen Ländern und Berlin ({4}) - und bei Kapitel 31 04 Titel 685 03 - Beteiligung des Europäischen Sozialfonds am Sonderprogramm zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze in den neuen Ländern und Berlin ({5}) -
- Drucksachen 12/8585, 13/446 -
Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Schanz
Steffen Kampeter Antje Hermenau Jürgen Koppelin
1) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({6}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 18 03 Titelgruppe 01
- Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz -
- Drucksachen 13/92, 13/447 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Jacoby Ina Albowitz
Siegrun Klemmer
Kristin Heyne
m) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 17 04 Titel 681 23
- Sonderleistungen für Zivildienstleistende nach Maßgabe des Unterhaltssicherungsgesetzes -
- Drucksachen 12/8562, 13/448 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Jacoby Ina Albowitz
Siegrun Klemmer
Kristin Heyne
n) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({8}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Titel 646 12
- Erstattung von Invalidenrenten und Aufwendungen für Pflichtbeitragszeiten bei Erwerbsunfähigkeit in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet -
- Drucksachen 12/8559, 13/449 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller Hans-Joachim Fuchtel Antje Hermenau
Ina Albowitz
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
o) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({9}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Titel 656 04
- Zuschüsse zu den Beiträgen zur Rentenversicherung der in Werkstätten beschäftigten Behinderten -
- Drucksachen 12/8554, 13/450 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller Hans-Joachim Fuchtel Antje Hermenau
Ina Albowitz
p) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({10}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Titel 681 02
- Aufwendungen des Bundes für die gesetzliche Unfallversicherung -
- Drucksachen 12/8550, 13/451 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller Hans-Joachim Fuchtel Antje Hermenau
Ina Albowitz
q) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({11}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 13 Titel 656 04
- Zuschüsse zu den Beiträgen zur Rentenversicherung der in Werkstätten beschäftigten Behinderten -
- Drucksachen 12/8605, 13/452 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller Hans-Joachim Fuchtel Antje Hermenau
Ina Albowitz
r) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({12}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Haushalts- und Wirtschaftsführung 1994;
Antrag auf Erteilung der Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 40 Titel 896 21
- Leistungen zur Schaffung von Lebensgrundlagen für die deutschen Minderheiten - bis zur Höhe von 28 500 TDM -
- Drucksachen 13/22, 13/453 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Ina Albowitz
Uta Titze-Stecher
Antje Hermenau
s) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({13}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 Titel 681 11
- Eingliederungshilfe für Spätaussiedler -- Drucksachen 12/8606, 13/454 - Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller
Dietrich Austermann
Antje Hermenau
Ina Albowitz
t) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({14}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 Titel 681 11
- Eingliederungshilfe für Spätaussiedler -- Drucksachen 13/170, 13/456 -Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller
Dietrich Austermann
Antje Hermenau
Ina Albowitz
u) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({15}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 Titel 681 12
- Sachkosten bei Teilnahme an Deutsch-
Sprachlehrgängen für Spätaussiedler -- Drucksachen 12/8604, 13/457 - Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller
Dietrich Austermann
Antje Hermenau
Ina Albowitz
y) Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({16}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Außerplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 11 12 apl. Titel 856 32
- Darlehen an die Bundesanstalt für Arbeit -
- Drucksachen 13/175, 13/458 -Berichterstattung:
Abgeordnete Karl Diller
Dietrich Austermann
Antje Hermenau
Ina Albowitz
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
w)Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({17})
Sammelübersicht 14 zu Petitionen - Drucksache 13/576 -
x) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 15 zu Petitionen - Drucksache 13/577 -
ZP5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite und Dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern
- Drucksache 13/203 - ({19})
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({20})
- Drucksache 13/686 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Frick Christine Scheel
Johannes Selle
Volker Kröning
b) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/ CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
Erneute Überweisung von Vorlagen aus früheren Wahlperioden
- Drucksache 13/725 Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zu Tagesordnungspunkt 17a: Wer dem vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes - Drucksachen 13/119 und 13/706 - in der Ausschußfassung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 17b: Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, F.D.P. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Vorschriften über parlamentarische Grémien, Drucksachen 13/543 und 13/662. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Wir kommen nun zu 20 Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses zu über- und außerplanmäßigen Ausgaben im Haushaltsjahr 1994. Der Haushaltsausschuß empfiehlt jeweils Kenntnisnahme.
Da die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Gruppe der PDS unterschiedlich abzustimmen wünschen, ist es mir nicht möglich, über die Beschlußempfehlungen gemeinsam abstimmen zu lassen. Ich habe deshalb mehrere Abstimmungsblöcke gebildet.
Tagesordnungspunkt 17c: Wir kommen zunächst zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu überplanmäßigen Ausgaben beim Beitrag an die Vereinten Nationen, Drucksachen 13/151 und 13/438. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist damit einstimmig angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 17d - Drucksachen 12/8538 und 13/439 -: Beitrag zu den Kosten der EU-Friedensmission in Jugoslawien. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 17e - Drucksachen 13/42 und 13/440 -: Kapitalzuführung an die DFA-Fertigungs- und Anlagenbau GmbH. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Gruppe der PDS mehrheitlich angenommen.
Tagesordnungspunkte 17f und 17g - Drucksachen 12/8567, 13/441, 12/8566 und 13/442 -: Ernährungssicherungsprogramme und Nahrungsmittelhilfe, Beteiligung am Kapital der Internationalen Entwicklungsorganisation. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 17h - Drucksachen 13/103 und 13/443 -: Erstattung von Einnahmeausfällen der Deutschen Flugsicherung GmbH. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit den Stimmen aller anderen Fraktionen und Gruppen angenommen.
Tagesordnungspunkte 17i bis 17k - Drucksachen 12/8608, 13/444, 13/66, 13/445, 12/8585 und 13/446 -: Verbilligung von Zinskosten, Bilaterale Technische Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, SchafVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
fung zusätzlicher Ausbildungsplätze in den neuen Ländern. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkte 171 und 17m - Drucksachen 13/92, 13/447, 12/8562 und 13/448 -: Kindergeld, Sonderleistungen für Zivildienstleistende. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Beschlußempfehlungen sind bei Enthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit den Stimmen aller anderen angenommen.
Tagesordnungspunkte 17n bis 17q - Drucksachen 12/8559, 13/449, 12/8554, 13/450, 12/8550, 13/451, 12/8605 und 13/452 -: Erstattung von Invalidenrenten, gesetzliche Unfallversicherung, Zuschüsse zu Rentenversicherungsbeiträgen. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die Beschlußempfehlungen einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 17r - Drucksachen 13/22 und 13/453 -: Leistungen zu Lebensgrundlagen deutscher Minderheiten. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Ablehnung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und einiger Stimmen der Gruppe der PDS sowie bei einigen Enthaltungen ist die Beschlußempfehlung mehrheitlich angenommen.
Tagesordnungspunkte 17s und 17t - Drucksachen 12/8606, 13/454, 13/170 und 13/456 -: Eingliederungshilfen für Spätaussiedler. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS sind die Beschlußempfehlungen mehrheitlich angenommen.
Tagesordnungspunkt 17u - Drucksachen 12/8604 und 13/457 -: Deutsch-Sprachlehrgänge für Spätaussiedler. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen aus der Gruppe der PDS ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen aller anderen angenommen.
Tagesordnungspunkt 17v - Drucksachen 13/175 und 13/458 -: Darlehen an die Bundesanstalt für Arbeit. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen?-BeiEnthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ist diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen aller anderen angenommen.
Tagesordnungspunkte 17w und 17x: Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses auf den Drucksachen 13/576 und 13/577. Das sind die Sammelübersichten 14 und 15. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlungen? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlungen sind bei Enthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe der PDS mit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen.
Zusatzpunkt 5 a: Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, Drucksache 13/203. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/686, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit den Stimmen aller anderen in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei einigen Enthaltungen mehrheitlich angenommen.
Zusatzpunkt 5 b: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. auf erneute Überweisung von Vorlagen aus früheren Wahlperioden, Drucksache 13/725. Wer stimmt für den Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Einstimmig so angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde
- Drucksache 13/676 Wir kommen zuerst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht bereit,der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser.
Die Fragen 25, 26 und 27 werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Ulrich Junghanns auf:
Wie gewährleistet die Bundesregierung entgegen neuerlicher, durch schleppenden Baufortgang genährter Zweifel die termingerechte, für Mitte 1995 vorgesehene Fertigstellung und Inbetriebnahme der Gemeinschaftszollanlage am Grenzübergang Frankfurt ({21})/Swiecko II, und zu welchem Zeitpunkt wird die Fertigstellung der Nordbrücke Grenzübergang Frankfurt ({22}) BAB 12 gesichert?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Junghanns, die Liberalisierung des Warenverkehrs in Osteuropa hat das Verkehrsaufkommen an den großen Grenzübergängen zur Republik Polen um ein Vielfaches ansteigen lassen. Die zum Teil gravierenden Abfertigungsprobleme sind auf die nach wie vor unzureichende Infrastruktur zurückzuführen. Die Bundesregierung ist bestrebt, durch Neu- und Umbauten sowie durch provisorische Maßnahmen die Situation zu entspannen. Sie hat insgesamt für eigene große Baumaßnahmen und Zuschüsse zu polnischen Baumaßnahmen Mittel in Höhe von insgesamt 260 Millionen DM veranschlagt und zum Teil auch bereits verausgabt.
Die Bundesregierung verfolgt auch weiterhin die Politik der Öffnung neuer Grenzübergänge, weil sich dadurch der Verkehr verteilen kann und so die einParl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser
zelnen Übergänge entlastet werden. Wegen der großen politischen Bedeutung haben auch der Bundeskanzler und der polnische Ministerpräsident hier Impulse gegeben und miteinander geredet.
Die Fertigstellung der Gemeinschaftsanlage in Swiecko, der sogenannte Terminal II, fällt allerdings ausschließlich in den Verantwortungsbereich der polnischen Seite. Neben einer Vielzahl von Gesprächen auf allen Ebenen, Herr Kollege, in denen immer wieder auf die große Bedeutung des Grenzübergangs Frankfurt ({0})/Swiecko und die Dringlichkeit der Angelegenheit hingewiesen worden ist, versucht die Bundesregierung, durch unterstützende Maßnahmen den Baufortgang zu beschleunigen. So sind bereits 20 Millionen DM im September 1994 für die Bauarbeiten zur Verfügung gestellt worden. Von der polnischen Verwaltung sind allerdings erst 8,6 Millionen DM abgerufen und verausgabt worden. Also an unserem Geld und unserer Bereitschaft scheint es offenbar nicht zu liegen. Nach jüngsten Mitteilungen des zuständigen Ressorts ist dennoch mit der Fertigstellung der Anlage etwa im Juli 1995 zu rechnen.
Die zuständigen Ressorts achten darauf, daß der Umzug der deutschen Dienste zum Terminal II reibungslos und zügig vonstatten gehen kann. Die Fertigstellung und Inbetriebnahme der zweiten Oderbrücke im Zuge der Richtungsfahrbahnen WarschauBerlin der A 12/E 30 soll im Dezember 1995 erfolgen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, weil zwischen diesen beiden Baumaßnahmen, dem Terminal Swiecko II und der Nordbrücke in Frankfurt ({0}) im Zuge der Autobahn, in der Tat internationale Projekte miteinander in Verbindung stehen, frage ich, um eine Sicherstellung des laufenden Betriebes über das ganze Jahr und über alle Bauschritte hinweg zu gewährleisten: Welches Ressort in der Bundesregierung hat die Aufgabe der Koordinierung zwischen diesen Projekten?
Meines Wissens ist das das Bauministerium in Zusammenarbeit mit dem Verkehrsministerium. Aber wer in Einzelfragen - das sind ja verschiedene Fragestellungen - jeweils die Zuständigkeit hat, müßte ich Ihnen schriftlich mitteilen.
Dann rufe ich die Frage 29 des Abgeordneten Junghanns auf:
In welcher Weise haben die im September 1994 von dem Chef des Bundeskanzleramtes und dem polnischen Ministerrat getroffenen Vereinbarungen zur Entspannung der teilweise chaotischen Situation an den deutsch-polnischen Grenzübergängen - vornehmlich in Frankfurt ({0}) BAB 12 und Stadtbrücke - geführt, und welche Auswirkungen auf die Grenzabfertigung hat das jüngst von Polen eingeführte Importverbot für Schrottfahrzeuge?
Herr Kollege, im Rahmen der von Ihnen in Ihrer Frage angesprochenen Vereinbarung zwischen dem Chef des Kanzleramtes und dem polnischen Ministerrat ist es an dem Grenzübergang Frankfurt ({0}) zu erheblichen Verbesserungen gekommen. Seit dem 9. September 1994 wird z. B. beim Grenzübergang Frankfurt ({1})-Stadtbrücke die Ein- und Ausreise für Pkws auf insgesamt vier Spuren durchgeführt. Davor erfolgte die Abfertigung in jeder Fahrtrichtung einspurig. Das ist also eine wesentliche Erleichterung. Diese Erhöhung der Abfertigungskapazitäten war nach der Umsetzung sehr schnell spürbar, die Wartezeiten am Grenzübergang Stadtbrücke sind nach Meldungen, die uns vorliegen, spürbar zurückgegangen. Mittlerweile kann man von normalen Verhältnissen sprechen, was auch von der Stadt Frankfurt ({2}) bestätigt wird.
Seit dem 30. September 1994 wird beim Grenzübergang Frankfurt ({3})-Autobahn die Pkw-Einund -Ausreise insgesamt auf acht Spuren abgefertigt, was zu einer Verkürzung der Wartezeiten führte. Ich hoffe, daß diese acht Spuren auch immer entsprechend besetzt sind und es nicht so ist wie etwa am Brenner. Dort gibt es zwar fünf oder sechs Spuren, aber nur in einem Häuschen sitzen die Abfertigungsbeamten. Ich hoffe, das ist in diesem Fall nicht so. Zuvor erfolgte die Abfertigung auf zwei Spuren pro Richtung.
Beide Seiten arbeiten ständig daran, die Lkw-Abfertigung zu verbessern. Die Abfertigungsmodalitäten werden ständig an die veränderten Verkehrs-und Raumverhältnisse angepaßt. Eine grundlegende Verbesserung der Situation in West-Ost-Richtung wird es erst geben, wenn die für Juli 1995 von der polnischen Seite in Aussicht gestellte Fertigstellung der gesamten Güterabfertigungsanlage Swiecko II tatsächlich verwirklicht wird. Erst dann kann dort die polnische Einfuhrabfertigung in Betrieb gehen. Dadurch wird die Möglichkeit gegeben sein, die durch den Lkw-Stau hervorgerufenen schwierigen Verhältnisse im Bereich der Zufahrt zum Grenzübergang auf deutschem Gebiet zu entspannen.
Das von Polen vor kurzem eingeführte Importverbot für Schrottfahrzeuge führte zu einem erheblichen Rückgang dieser Transporte nach Polen. Transporte von Schrottfahrzeugen, die im Transit durch Polen befördert werden, haben dagegen zugenommen.
Keine weitere Zusatzfrage. - Dann rufe ich die Frage 30 des Abgeordneten Frederik Schulze auf:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um den Bestand der Hettstedter Firma Mansfelder Kupfer-und Messingwerk ({0}) zu sichern und dort eine möglichst hohe Zahl von Arbeitsplätzen zu erhalten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Schulze, der Beteiligungs-Management-Gesellschaft Berlin GmbH liegen mehrere Angebote zur Privatisierung der MKM, der Mansfelder Kupfer und Messing GmbH, vor. Diese Angebote werden derzeit unter Einschaltung einer unabhängigen Investmentbank ausgeParl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser
wertet und beurteilt, wie dies bei großen Vorhaben üblich ist und sein muß.
Ziel ist es, die MKM so zu privatisieren, daß im Rahmen eines tragfähigen Konzeptes eine möglichst hohe Zahl von Arbeitsplätzen auf Dauer erhalten werden kann. Die Prüfung der Übernahmeangebote wird zügig durchgeführt, um die Privatisierungsverhandlungen bald abschließen zu können.
Herr Staatssekretär, können Sie einen etwaigen Zeitrahmen nennen?
Nein.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Dann hat der Kollege Rössel das Wort.
Die Region Hettstedt/ Mansfeld gehört zu den in Deutschland am meisten von Arbeitslosigkeit betroffenen Regionen. Ende August enden Fördermaßnahmen für 800 frühere Beschäftigte des Betriebes, weil die Maßnahmen nach § 249h des Arbeitsförderungsgesetzes auslaufen. Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, den Bestand von 800 Arbeitsplätzen durch eine gezielte Förderung mit Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit zu gewährleisten, und, wenn ja, wie könnte die Hilfe aussehen?
Wie sie meiner Antwort auf die Frage von Herrn Kollegen Schulze schon entnehmen konnten, setzt die Bundesregierung darauf, möglichst viele Arbeitsplätze durch die Privatisierung sicherzustellen. Wir sind daran interessiert, daß die Privatisierung möglichst schnell vorangetrieben wird. Sie wissen, daß die Maßnahmen nach dem von Ihnen genannten § 249h gewissermaßen Hilfsmaßnahmen, Defensivmaßnahmen sind. Wir setzen auf die offensive Strategie.
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Nein, Sie haben leider nur eine Zusatzfrage. Nur der Fragesteller selbst hat zwei. Aber es gibt noch eine weitere Frage, die mit diesem Thema zu tun hat, nämlich die Frage 31, die ich jetzt aufrufe:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bisher ergriffen, um eine möglichst hohe Zahl von Arbeitsplätzen in der Hettstedter Firma Aluhett zu erhalten?
Von der Kreditanstalt für Wiederaufbau, Herr Kollege Schulze, wurden der Aluhett bereits im Rahmen ihres Umweltprogramms Mittel in Höhe von 5,19 Millionen DM und im Rahmen des Mittelstandsprogramms weitere 18,3 Millionen DM gewährt. Damit hat die KfW einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Arbeitsplätze bei der Aluhett geleistet.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß eine handlungsfähigere Regierung im Land Sachsen-Anhalt diese Entwicklung positiv begleiten könnte?
Ich stelle anheim, welche Fördermittel die Landesregierung zur Verfügung stellt und aus welchem Haushalt. Ich könnte mir vorstellen, daß man über eine Bürgschaft für Kredite weitere Maßnahmen vornimmt. Das würde allerdings voraussetzen, daß ein Unternehmenskonzept vorliegt, das nach strenger Einzelfallprüfung für erfolgversprechend gehalten wird. Das Bürgschaftsprogramm des Bundes ist von dem Unternehmen bisher nicht in Anspruch genommen worden, und ein Antrag wurde auch noch nicht gestellt. Nehmen Sie das als Hinweis.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Rössel.
Zum Problemkreis Aluhett: Der Betrieb befindet sich in Gesamtvollstrekkung, eingeleitet vom Amtsgericht Halle. Im Zusammenhang damit werden etwa 120 Arbeitskräfte entlassen. Dazu die Frage: Gibt es seitens der Bundesregierung Möglichkeiten, den Abbau der Arbeitsplätze im Rahmen der Gesamtvollstreckung sozialverträglich dadurch zu gestalten, daß 118 Arbeitskräfte, die jetzt entlassen werden sollen, durch Fördermaßnahmen unterstützt werden? Dies vor allem deshalb, weil es sich um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer handelt, die 54 Jahre und älter sind. Für solche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer existieren bei Treuhandbetrieben und bei Betrieben der Treuhandnachfolge Sonderbedingungen dergestalt, daß sie bis zum Erreichen des Rentenalters 80 % ihres Nettolohnes bekommen. Meine Frage lautet: Kann die Bundesregierung darauf hinwirken, daß diese Möglichkeit auf einen Betrieb, der nicht mehr in Treuhandnachfolge steht, ausgedehnt wird, und, wenn ja, wie könnte das aussehen?
Herr Kollege, soweit mir Informationen vorliegen - ich sage das mit einem gewissen Vorbehalt, wie man es bei Einzelfällen immer tun sollte -, ist dieses Aluminiumwerk im Rahmen eines Management-Buy-out von der Treuhandanstalt bereits im Jahre 1992 privatisiert worden. Die wesentlichen Bedingungen und Verpflichtungen des Privatisierungsvertrages sind erfüllt worden.
Für die Nachfolgeorganisation der Treuhandanstalt, die Bundesanstalt für Vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, gibt es - das haben wir geprüft Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser
keine Möglichkeit, dem Unternehmen im Rahmen des Vertragsmanagements zu helfen. Aber gegenwärtig wird geprüft, wie es mit der Privatisierung aussieht. Die amerikanische Investmentgesellschaft namens „advent international" - was immer das auch sei - hat an der Übernahme von Aluhett großes Interesse gezeigt. Ich glaube, das wäre ein vernünftiger Weg.
Herr Schulze, haben Sie auch noch eine Zusatzfrage?
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- Gut. Dann ist damit die Frage 31 abgeschlossen.
Wir kommen zur Frage 32 der Abgeordneten Michaele Hustedt.
Folgt die Bundesregierung der Einschätzung von Teilen des Bayernwerke-Managements und der Preußen-Elektra AG, welche ihren Ausstieg aus dem Projekt Mochovce damit begründete, daß der ökonomische Nutzen des Projektes nicht gewahrt sei, daß - wie auch die Europäische Investitionsbank feststellt - die Energieerzeugung durch Erdgas finanziell günstiger sei, daß die Entsorgungsfrage ungeklärt sei und daß die vom Westen geforderte Abschaltung der Risikoreaktoren von Bohunice im Jahr 2000 unsicher und aus Gründen der nationalen Souveränität der Slowakei nicht durchsetzbar sei?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung, Frau Kollegin, hat keine Mitteilung seitens des Bayernwerke- oder des Preußen-Elektra-Managements erhalten, die die in Ihrer Frage angeführten Bedenken gegen das Vorhaben zum Gegenstand hat. Darüber hinaus ist es nicht richtig, Frau Kollegin, daß sich das Bayernwerk gegen das Vorhaben entschieden hat. Das Bayernwerk hat zuletzt am 14. Februar bei einem Treffen mit anderen Projektsponsoren in Wien bestätigt, sich an dem Projekt zu beteiligen, d. h. an der Betreibergesellschaft gemeinsam mit der französischen Gesellschaft Electricité de France und der slowakischen Elektrizitätsgesellschaft. Das sind unsere Erkenntnisse.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Sollte Ihnen ebenso nicht bekannt sein, daß die amerikanische Regierung einen Brief an die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung geschrieben hat, in dem sie bezweifelt, daß die Daten, die herausgegeben werden, richtig sind?
Die amerikanische Regierung?
Die amerikanische Regierung.
An wen hat sie einen Brief geschrieben?
An die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, an die EBRD. Ist Ihnen auch das nicht bekannt?
Das ist uns nicht bekannt, nein. Wenn Sie den Brief vorliegen haben, wäre es interessant, wenn Sie ihn der Bundesregierung zur Verfügung stellen würden. Es wäre ein ungewöhnlicher Vorgang.
Eine zweite Zusatzfrage bitte.
Plant die Bundesregierung, dem deutschen Direktor bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung eine Anweisung dahingehend zu geben, dem Kredit für die Nachrüstung des slowakischen AKW Mochovce zuzustimmen?
Sie wissen, daß die entsprechenden Kriterien für die Kreditvergabe gegenwärtig noch einmal sorgfältig geprüft werden. Das habe ich auch im Finanzausschuß den Kollegen schon mitgeteilt. Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Erst dann wird die Bundesregierung entsprechende Weisungen geben.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Ganseforth.
Herr Staatssekretär, wenn Sie keine Briefe und Berichte über diesen Vorgang bekommen haben: Hat sich die Bundesregierung vielleicht selber darum gekümmert? Es gibt ein Gutachten, das nachweist, daß die Wirtschaftlichkeit des Fertigbaus nicht gegeben ist, weil - ein ganz aktuelles Thema - die Umrechnung des Dollarkurses nicht richtig berücksichtigt worden ist und die Verzinsung z. B. der Rückstellungen auch nicht berichtigt worden ist. Das heißt, daß es Rechenfehler gibt - die auch zugegeben werden -, die dazu führen, daß der Zubau rentabel gerechnet wird. Wenn Sie also keine entsprechenden Briefe bekommen haben: Haben Sie sich selber um dieses Gutachten und um den Vorgang gekümmert?
Zunächst einmal, Frau Kollegin, ist es sicherlich nicht Aufgabe der Bundesregierung, alle Briefvorgänge irgendwelcher internationaler Banken vorliegen zu haben. Das würde ich für eine administrative Überforderung einer Regierung halten. Das gilt ganz generell.
Zum ökonomischen Nutzen dieses Kraftwerkes. Es wurde von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung eine Least-Cost-Analyse erstellt. Hiernach ist die Fertigstellung der zwei Blöcke des Kernkraftwerkes Mochovce die kostengünstige AusParl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser
baualternative für die Slowakei. Somit kann auch nicht, wie Sie vermuten, pauschal festgestellt werden, daß die Energieerzeugung durch Erdgas finanziell günstiger ist.
In einer solchen Studie werden natürlich nicht ausschließlich günstige oder ausschließlich schlechte Werte für den vergleichbaren Gaspreis berücksichtigt. Vielmehr wird versucht - systematisch richtig, wie ich meine -, einen Mittelwert verschiedener Schätzungen zu finden. Nichts anderes ist in den Untersuchungen, die der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung bisher vorliegen, geschehen.
Abweichende Schlußfolgerungen, Frau Kollegin, der Europäischen Investitionsbank beruhen auf einer recht günstigen Annahme über die Entwicklung der Gaspreise. Andere Institutionen hingegen, wie z. B. die Internationale Energie-Agentur der OECD, sagen ihrerseits weit höhere Gaspreise für die Zukunft voraus. Das zeigt, daß Sie die Parameter nehmen können, wie Sie wollen. Seriöserweise müssen Sie Mittelwerte annehmen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Saibold, bitte.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung denn nun die Tatsache, daß die Preußen-Elektra aus der Finanzierung ausgestiegen ist und das Bayernwerk aber dabeibleibt? Sind die Sicherheitsvorkehrungen, die Preußen-Elektra aussteigen lassen, für das Bayernwerk ausreichend? Sind Sie auch der Meinung, daß das deswegen beibehalten werden kann?
Ich kann nicht irgendwelche Entscheidungen von Firmen nachvollziehen. Das ist nicht Aufgabe der Bundesregierung. Das Bayernwerk - so war die Behauptung in der ersten Frage - sei nicht mehr dabei. Ich habe gesagt: Nach unserer Erkenntnis ist das Bayernwerk dabei. Warum es dabeibleibt, ist seine Sache. Das ist ein privates Unternehmen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin Schönberger, bitte.
Selbst wenn es nicht Aufgabe der Bundesregierung ist, die Unternehmenspolitik von PreußenElektra zu bewerten, so ist es jedoch signifikant, daß die Preußen-Elektra z. B. erklärt hat, ein Grund für ihr Aussteigen sei, daß sie als Energieversorgungsunternehmen über genügend Strom verfüge und die Refinanzierung, die ja über Stromlieferungen aus Mochovce in die Bundesrepublik geplant ist, für sie überhaupt keinen Wert habe, weil sie genügend Strom habe. Ähnlich ist es mit allen anderen Energieversorgungsunternehmen.
Nun ist das Finanzministerium ja auch dafür zuständig, daß mit solchen Fragen, da ja auch deutsches Geld in den Krediten steckt, verantwortungsvoll umgegangen wird. Deswegen die Frage an Sie: Wie beurteilen Sie diesen Fall, in dem die Refinanzierung dieser Kredite wohl sehr unsicher ist, u. a. deswegen, weil die bundesdeutschen Energieversorgungsunternehmen genügend Strom haben?
Sie haben letztlich eine Reihe von Fragen gestellt.
Ich wiederhole, daß wir nicht beabsichtigen, die Unternehmensentscheidungen - gleichgültig, welchen privaten Unternehmens in der Bundesrepublik Deutschland - zu beurteilen. Jedes Energieversorgungsunternehmen kann aus einem Projekt aussteigen, weil es ohnehin zuviel Strom hat, weil es meint, es habe eine ausreichende Versorgung. Die Unternehmen können aussteigen, weil sie die Sicherheitslage für nicht ausreichend halten; sie können aussteigen, weil sie die administrativen Vorläufe für zu lang halten. Gleichgültig wie, wir beurteilen dies nicht.
Wir beurteilen nur eines: Auf welcher Grundlage wird die Europäische Bank urteilen? Die Prüfung läuft schon sehr lange, wenn ich darauf hinweisen darf; nach meinem Wissen zwei Jahre. Nach welchen Kriterien urteilt diese Bank, urteilt die Bank richtig, und können wir unserem Vertreter in dieser Europäischen Bank in London entsprechende Empfehlungen geben? Diese Empfehlungen können noch nicht gegeben werden, weil die Prüfungen noch nicht abgeschlossen sind.
Bei der Prüfung durch die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung werden, wenn ich richtig informiert bin - lassen Sie mich einmal blättern, damit ich das möglichst präzise vortrage -, insgesamt vier Kriterien zugrunde gelegt: Erstens müssen westliche Sicherheitsstandards erfüllt sein. Zweitens muß die Stillegung eines risokoträchtigeren Kernkraftwerkes in Bohunice erfolgen; das ist ein Block älterer sowjetischer Bauart. Drittens muß eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgreich abgeschlossen sein. Viertens muß die Fertigstellung dieses Kraftwerks die wirtschaftlich günstige Alternative für die Slowakei darstellen. Es sind also vier Prüfungskriterien, auf die wir uns konzentrieren werden.
Lassen Sie mich aber zu Ihrer Frage nach der Wirtschaftlichkeit noch eine Bemerkung machen - die Konzentration auf die Wirtschaftlichkeit dieses Kraftwerkes erstaunt mich schon -: Ich glaube, wir sollten unsererseits ein hohes Interesse daran haben, daß in den östlichen Staaten, die ja nicht so weit weg sind, sichere Kraftwerke gebaut werden und alte, sehr unsichere Kernkraftwerke endlich abgeschaltet werden.
({0})
Deshalb ist eine entsprechende Investition in ein Kraftwerk mit westlichem Standard eine, wie ich meine, auch für unsere Sicherheit gute Investition.
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Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Buntenbach.
Sie haben ja eben von dem Überprüfungsverfahren gesprochen, das da läuft. Meines Wissens ist ein Kriterium dieser Überprüfung, daß die Entsorgungsfrage geklärt ist und daß die vom Westen geforderte Abschaltung der Risikoreaktoren von Bohunice im Jahr 2000 sichergestellt ist. Diese Abschaltung ist ja nach wie vor unsicher und aus Gründen der nationalen Souveränität der Slowakei eventuell nicht durchsetzbar.
Wenn dies eins der Kriterien ist - das war ja ein Teil der Frage 32 der Kollegin Hustedt, den Sie noch nicht beantwortet haben -, hätte ich schon gern noch eine Antwort auf die Frage, wann diese Überprüfungen endgültig abgeschlossen sind.
Sie haben zwei Fragen gestellt, Frau Kollegin. Das erste ist die Frage des Zeitpunkts. Ich stelle anheim: Ich kann Ihnen nicht sagen, wann diese Prüfungen abgeschlossen sind. Das sind unabhängige Institutionen, die die Überprüfungen durchführen. Ich weise nur darauf hin, daß die Prüfung schon relativ lange läuft.
Die zweite Frage ist die nach der Entsorgung. Nach meiner Kenntnis - ich könnte Ihnen das auch noch schriftlich übermitteln auf Grund der vielen Unterlagen, die es hierzu gibt - haben sie eine Zwischenlagerungskapazität von mindestens 90 Jahren. Für die Endlagerung gibt es internationale Gespräche, wie das gegenwärtig üblich ist.
Wir kommen zur Frage 33 der Abgeordneten Hustedt:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß die Gewährung von Krediten und Beihilfen ({0}) für ein ökonomisch fragwürdiges Projekt die Gefahr in sich birgt, Steuergelder in gewaltiger Höhe zu verschwenden, zumal die Umrüstung der Reaktoren von Greifswald - wie in Mochovce der sowjetische Reaktortyp WWER 440/213 - zur Erreichung eines westlichen Sicherheitsstandards aus sicherheitstechnischen und finanziellen Erwägungen heraus von der Bundesregierung abgelehnt wurde und keinesfalls sicher ist, daß die beantragten 1,3 Mrd. DM ausreichen werden, um in Mochovce einen westlichen Sicherheitsstandard zu gewährleisten, wie auch das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 15. Februar 1995 betont?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, die Bundesregierung teilt die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommende Ansicht nicht. Das Vorhaben Mochovce ist kein ökonomisch fragwürdiges Projekt, sondern es zeichnet sich nach der Durchführung umfangreicher Studien unter Abwägung verschiedener Alternativen als die wirtschaftlichste Alternative aus.
Es ist richtig, daß die Reaktoren von Greifswald und die in Mochovce einem gleichen sowjetischen Reaktortyp, nämlich dem WWRR 440/213, entsprechen. Es ist aber nicht richtig, Frau Kollegin, daß die
Nachrüstung auf einen westlichen Sicherheitsstandard in Greifswald nicht möglich gewesen wäre. So hat die Bundesregierung bereits in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Feige und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/8529 vom 17. Oktober 1994 mitgeteilt, daß auch das Kernkraftwerk Greifswald nachrüstbar gewesen wäre.
Dies hat Bundesumweltministerin Frau Dr. Merkel noch einmal in der Aussprache zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Nichtbewilligung des EBRD-Kredits für den Weiterbau des Atomkraftwerks in der Slowakei betont. Ich verweise hier auf die Bundestagsdrucksachen 12/8529 vom 17. Oktober 1994 und 13/309 vom 25. Januar 1995.
Das Kernkraftwerk Greifswald wurde damals nicht nachgerüstet, Frau Kollegin, weil sich kein Betreiber fand, der bereit gewesen wäre, die mit einer solchen Nachrüstung in Deutschland verbundenen verfahrensmäßigen Risiken - und das sind auch politische Risiken; das will ich aber jetzt hier nicht ausweiten, obwohl das sehr interessant wäre - und daraus resultierenden Kosten zu übernehmen.
Das sind ja nicht nur Kosten hinsichtlich der Technik, sondern das sind vor allem Kosten hinsichtlich der Zeit, Kosten bezüglich der Finanzierung, der Unsicherheit und der hohen Risiken, die mit solchen Investitionen verbunden sind. Es sind im übrigen nicht die Risiken der Auswirkungen gemeint, sondern die Risiken, die die Frage betreffen, ob man das Projekt überhaupt realisieren darf.
Vor allem standen damals genügend alternative Kapazitäten in Ostdeutschland zur Verfügung. Sowohl die Reaktorblöcke in Greifswald wie in Mochovce sind nach Einschätzung westlicher Experten grundsätzlich nachrüstbar.
Die EBWE hat von renommierten westlichen Institutionen, nämlich der Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit GmbH und dem französischen Institut de Protection de Sûreté Nucléaire, die Frage der sicherheitstechnischen Nachrüstung prüfen lassen. Diese Institutionen sind zu dem Ergebnis gekommen, daß diese Anlage einen westlichen Sicherheitsstandard gewährleistet.
Die Empfehlungen dieser Institutionen wurden selbstverständlich bei der Prüfung des Vorhabens durch die Bank berücksichtigt und gehen auch vollständig in die Kostenanalyse ein. Insofern, Frau Kollegin, kann nicht behauptet werden, daß die beantragten 1,4 Milliarden DM - in Ihrer Anfrage sagen Sie 1,3 Milliarden DM - nicht ausreichen werden, um in Mochovce einen westlichen Sicherheitsstandard zu gewährleisten.
Bei der Frage der Sicherheit sollten aber nicht nur die Aspekte der Nachrüstbarkeit berücksichtigt werden, sondern auch die Frage, was wäre, wenn westliche Finanzinstitutionen ein solches Vorhaben wie Mochovce nicht unterstützen würden. In diesem Fall kann man wohl davon ausgehen, daß das Kernkraftwerk dort mit einem Sicherheitsstandard fertiggeParl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser
stellt wird, der auf westlichem Niveau liegt. Dies wäre eine deutliche Verbesserung nicht nur der Umweltauswirkungen, sondern auch des Sicherheitsstandards vor Ort und für uns.
Eine Nachfrage der Kollegin Hustedt.
Können Sie mir sagen, wann die Entscheidung über die Kreditvergabe fällt?
Ich habe Ihnen gesagt, daß ich über Zeitvorgänge keine Auskünfte geben kann.
Meine Information ist, daß sie nächste Woche fällt.
Dann sind Sie besser informiert als ich.
Dann erspare ich mir alle weiteren Fragen.
({0})
Dann eine Nachfrage der Kollegin Schönberger.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade sehr weit ausgeführt, daß Mochovce nach Fertigstellung westlichen Sicherheitsstandard erfüllen würde. Es ist klar, daß Mochovce nach Fertigstellung kein Containment haben wird,
({0})
daß es keine Sicherung gegen Flugzeugabstürze haben wird, daß es nicht erdbebensicher sein wird, daß es z. B. in der Bundesrepublik Deutschland und übrigens auch in Frankreich schlicht und einfach nicht genehmigungsfähig wäre. Wie können Sie angesichts dessen sagen, daß dieses Atomkraftwerk nach Ausrüstung mit Steuerungssystemen von Siemens westlichen Sicherheitsstandards genügen würde? Das würde es natürlich nicht.
Der Finanzminister, den ich hier, Frau Kollegin, vertrete, behauptet seinerseits nicht, daß die entsprechenden westlichen Sicherheitsstandards sichergestellt sind. Der Finanzminister weist darauf hin, daß seriöse Institutionen, die das ausführlich und lange geprüft haben, ihrerseits gesagt haben: Dieses Konzept entspricht den westlichen Sicherheitsstandards. Das berichte ich Ihnen hier. Nur so kann ich seriöserweise vorgehen.
Eine Nachfrage des Kollegen Kubatschka.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade von seriösen Stellen gesprochen, die das überprüfen. Welchen Sicherheitsstandard aus welcher Zeit nehmen sie an, aus dem Jahre 1965 oder aus dem Jahre 1995? Auch bei uns hat sich ja der Sicherheitsstandard verändert.
Herr Kollege, Sie wissen sicherlich, daß das Atomrecht vorschreibt, daß jeweils das aktuellste Sicherheitsniveau zugrunde zu legen ist. Das ist Gesetzestext, den Sie, wie ich mich erinnere, mit verabschiedet haben.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Ganseforth.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die einstimmige Empfehlung des österreichischen Parlaments, aus ökonomischen und ökologischen Gründen den Ausstieg aus der Nachrüstung von Mochovce zu empfehlen, und könnten Sie sich vorstellen, daß der Bundestag eine ähnliche Empfehlung ausspricht?
Zunächst einmal kann ich mir nicht vorstellen, daß der Bundestag in seiner Mehrheit eine ähnliche Empfehlung ausspricht. Aber das müßte man einer entsprechenden Vorprüfung, die ja, wie ich schon wiederholt gesagt habe, noch nicht abgeschlossen ist, anheimstellen.
Es ist mir, wenn ich Ihnen das sagen darf, bekannt, daß es auch einen Schriftverkehr zwischen der österreichischen Regierung und der Bundesregierung in dieser Frage gibt. Es bleibt den Österreichern überlassen, in ihrer Atompolitik so zu verfahren, wie sie es tun. Ich will das nur in einem Satz kommentieren: Ich halte es doch für bedenklich, daß man seinerseits im eigenen Land keine Atomkraftwerke duldet, aber den Strom von Kraftwerken nimmt, die einen sehr dubiosen Sicherheitsgrad haben. Ob das eine international wirklich vertretbare Position ist, wage ich zu bezweifeln.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Saibold.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die feste Überzeugung des Europaparlaments, daß die Sicherheit kein verhandlungsfähiges Thema sein kann und daß eine Senkung europäischer Sicherheitsstandards keinesfalls in Betracht gezogen werden dürfe, noch dazu, wenn es darum geht, daß auch mit deutschen Mitteln ein Atomkraftwerk wie in Mochovce unterstützt wird? Sie wissen auch, daß sich Ihre CSU-Kollegen vor Ort ganz ausdrücklich gegen dieses Vorhaben in Mochovce aussprechen. Teilen Sie nicht die
Meinung, daß deren Sorgen wirklich begründet sind, genau wie die des Europaparlaments?
Ich würde die Auffassungen des Europaparlaments ausdrücklich zu meinen eigenen Überzeugungen machen. Senkung des Sicherheitsstandards, bitte schön, nicht. Deshalb wird die Prüfung ergeben müssen, wenn man Geld gibt, daß die Sicherheitsstandards westlicher Niveaus tatsächlich eingehalten werden. Deshalb wird ja auch geprüft. Ich würde aber hinzufügen, daß die realen Sicherheitsstandards in Europa dadurch verbessert werden, daß ein derartiges Kernkraftwerk an die Stelle kommt, an der vorher ein wesentlich maroderes stand.
({0})
- Bitte?
({1})
- Wenn Sie das als Zusatzfrage
Das geht nicht.
Dann mache ich einen Zusatz ohne Frage. Es gibt ausdrücklich die Zusage des Präsidenten, daß für den Fall der Finanzierung dieses Kraftwerks das alte abgeschaltet wird. Mehr als diese Zusage kann man wirklich nicht erwarten. Also stellen Sie hier nicht Behauptungen auf, die in keiner Weise belegt sind!
Eine Zusatzfrage des Kollegen Behrendt.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben gesagt, daß auch Sie die Nachrüstung des Kernkraftwerks für eine ökonomisch sinnvolle Lösung halten. Ist Ihnen bekannt, daß das Öko-Institut Freiburg an der Least-Cost-PlanningStudie, die eine wesentliche Grundlage der Entscheidung der EBRD sein wird, ganz erhebliche Kritik geäußert und u. a. gesagt hat, man gehe in der Studie von überhöhten Energiebedarfsprognosen aus, es sei mit fehlerhaftem Zahlenmaterial gearbeitet worden, insbesondere habe man einen überhöhten Stromverbrauch und überhöhte Verbrauchszuwächse zugrunde gelegt und neben der Unterschätzung der Entsorgungskosten insbesondere auch einen zu niedrigen Abzinsungsfaktor zugrunde gelegt?
Wenn ich den einzigen Punkt, der den Finanzminister betreffen kann, herausgreife, nämlich den Abzinsungsfaktor, so weise ich Sie darauf hin, daß zunächst einmal nach meiner Kenntnis in einem ersten Versuch der Abzinsungsfaktor auf 12 % festgelegt worden ist. Das ist ein Abzinsungsfaktor, den ich persönlich für abenteuerlich hoch ansehe. Üblicherweise werden 10 % zugrunde gelegt. Wenn man den üblicherweise zugrunde gelegten Abzinsungsfaktor von 10 % zugrunde legt, dann rechnet sich das ganz ausgezeichnet.
Sonstige Bemerkungen zu einem Institut habe ich als Vertreter des Finanzministers hier nicht zu machen. Wenn ich hier in der Aussprache stehen würde, würde ich allerdings meine Bemerkungen dazu machen. Darauf können Sie sich verlassen.
Das dürfen Sie nicht. - Es gibt keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 34 können wir nicht beantworten, weil die Kollegin nicht im Raum ist. Damit verfällt die Frage.
Wir kommen zur Frage 35 der Abgeordneten Ursula Schönberger:
Kann die Bundesregierung Pressemeldungen bestätigen, denen zufolge die Least-Cost-Studie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ({0}) in einer ursprünglichen Fassung zuungunsten des Atomkraftwerks Mochovce ausgefallen ist und erst nach politischer Einflußnahme eine Parameterkonstellation gewählt wurde, welche das Atomkraftwerk als wirtschaftlichste Alternative erscheinen läßt, und welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um eine unbeeinflußte Einschätzung der Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Alternativen zu erhalten?
Frau Schönberger, um eine unbeeinflußte Einschätzung der Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Alternativen zu erhalten, läßt die Bundesregierung die vorgelegte Least-Cost-Studie unter Zuhilfenahme von Experten auf die Berechtigung ihrer Annahmen und Plausibilität sorgfältig prüfen.
Sie merken, es wiederholt sich. Ihre Fragen haben ja auch einen Wiederholungscharakter.
Bei ihren Wirtschaftlichkeitsberechnungen ist die Europäische Bank in London ursprünglich von mehreren Diskontierungsfaktoren ausgegangen. In Beantwortung Ihrer Frage betone ich noch einmal, daß der Diskontierungsfaktor von 10 % ein sinnvoller wäre.
Im übrigen: Selbst bei einem Diskontierungsfaktor von 12 % wäre die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens immer noch gegeben, auch wenn der Unterschied zur nächstbesten Alternative auf Grund der erhöhten Kapitalkosten nicht so deutlich ausfallen würde. Sie können selbst für den von mir persönlich als aberwitzig hoch angesehenen Diskontierungsfaktor von 12 % immer noch eine Wirtschaftlichkeit errechnen.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Schönberger.
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang - das war auch Teil meiner Frage, auf den Sie nicht eingegangen sind - einen Artikel des „Handelsblatts" vom 31. Januar, in dem genau aufgeführt worUrsula Schönberger
den ist, daß in einem ersten Vorergebnis dieser Studie andere Alternativen, u. a. ein Gaskraftwerk, als wesentlich wirtschaftlicher bezeichnet waren? Das „Handelsblatt" schreibt:
Interventionen seitens des französischen EBRD-Projektmanagers haben dem Vernehmen nach zu einer Veränderung der Untersuchungen geführt. Man spricht in diesem Falle von Manipulationen.
Wie beurteilen Sie als Bundesregierung ein solches Vorgehen, bei dem es um ein für die Zukunft und Gesundheit von vielen Menschen so wichtiges Projekt geht?
Frau Kollegin, halten Sie es nicht für eine Zumutung, zu verlangen, daß die Bundesregierung auf Dinge, die in einer Zeitung dem Vernehmen nach unterstellt werden, und auf Einflußnahmen, die niemand überprüfen kann und die irgend jemand behauptet, eingehen soll? Ich verweigere jede Aussage auf Grund derartiger sehr nebulöser Berichte.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Behrendt.
({0}): Ich habe noch eine zweite Zusatzfrage!]
- Richtig, Entschuldigung.
Zweite Zusatzfrage der Abgeordneten Schönberger.
Wie erklärt sich denn die Bundesregierung, daß in dieser Least-Cost-Studie eine Verzinsung der Rückstellungen für Entsorgung von 8 bis 15 %, d. h. ein Nominalzins von 11 bis 19 %, angenommen wurde? Es ist üblich, eine Verzinsung von 2 bis 4 % anzunehmen. Geben Sie mir recht, daß eine solche Annahme über die Verzinsung für die Rückstellung von Entsorgung höchstens bei Spekulationsgeschäften zutrifft, aber nicht bei einer realen Anlage von Kapital?
Ich gebe Ihnen nicht recht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Behrendt.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die Tatsache, daß die Europäische Kommission die Europäische Investitionsbank beauftragt hat, ein eigenes Gutachten zu finanz- und volkswirtschaftlichen Aspekten der Finanzierung auszuarbeiten, zu der Überlegung Anlaß gibt, daß man auch dort der Least-Cost-Studie, die von der EBRD in Auftrag gegeben worden ist, erhebliche Zweifel entgegenbringt?
Herr Kollege, ich will nicht von „erheblichen Zweifeln" sprechen. Auf Grund der Berichte und der Diskussion hat die Bundesregierung ihrerseits die Prüfung mit besonderer Sorgfalt noch einmal aufgenommen - das ist klar -, und zwar in jeder Beziehung. Die Begutachtung dieses Projekts wird von der Bundesregierung mit hoher Aufmerksamkeit und großer Sorgfalt verfolgt. Darauf können Sie sich verlassen.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Saibold.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bei der Überprüfung dieser Least-Cost-Studie aufgefallen, daß bei der Berechnung der Preise für die Brennstoffkosten ein anderer Wechselkurs angenommen wurde als bei den anderen Kosten, was dazu geführt hat, daß die Gaskraftwerke schlechter abschneiden, da sich ihre Kosten zu einem großen Teil aus Brennstoffkosten zusammensetzen?
Frau Kollegin, ich werde hier Ihren Einzelprüfungen von Gutachten oder von entsprechenden Berechnungen nicht weiter folgen. Ich halte das nicht für seriös. Mir liegt dieses Gutachten nicht vor. Ihnen liegen offenbar auch nur, Ausschnitte vor. Wir können uns hier nur auf ein korrektes Verfahren einlassen, nämlich daß die Bundesregierung mit ihren qualifizierten Kräften die entsprechenden Untersuchungen, die von der Europäischen Bank in Auftrag gegeben worden sind, sorgfältig nachprüft. Dann erst kann man eine Entscheidung treffen.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Ganseforth.
Herr Staatssekretär, ich habe jetzt zur Kenntnis genommen, daß Sie die ökonomische Kritik auf seriöse Weise nachprüfen wollen. Ist Ihnen bekannt, daß es hierbei nicht darum geht, ein gut oder schlecht nachgerüstetes Atomkraftwerk zu betreiben, sondern daß es um die Alternative Atomkraftwerk oder Gaskraftwerk geht?
Frau Kollegin, die Einleitung Ihrer Frage hat sofort meinen Widerspruch herausgefordert. Die Bundesregierung prüft nicht in besonderer Weise nur die ökonomischen Aspekte, sondern selbstverständlich alle Aspekte der gesamten vier Bereiche, die ich Ihnen am Anfang schon genannt habe. Sonst wäre es keine seriöse vollständige Prüfung durch die Bundesregierung.
Ich verkneife es mir aber nicht, doch eine Bernerkung zu dem Aspekt der ökonomischen Prüfung zu machen, insbesondere wenn die Fragen von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN kommen. Es geht Ihnen nach unserer Überzeugung darum, ein
neues, nach unserer Einschätzung sicheres Kernkraftwerk möglicherweise zu verhindern. Die ökonomische Argumentation ist - so scheint es mir - für Sie eine Hilfsbrücke, um besser dagegen argumentieren zu können. Es ist ja erklärt worden, daß die Sicherheitskriterien in ausreichender Weise erfüllt werden.
({0})
Sie können keine Zusatzfrage mehr stellen. - Eine Zusatzfrage der Kollegin Buntenbach.
Herr Staatssekretär, daß die ökonomischen Nachfragen lediglich als Hilfsbrücke dienen, möchte ich zurückweisen. Es geht um die Vergabe dieses Kredites.
Ich habe auch noch eine ökonomische Nachfrage. Wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, haben Sie auf die Frage der Kollegin Schönberger gesagt, daß eine Verzinsung der Rückstellungen mit nominal 11 % bis 19 % auch anders als über Spekulationsgeschäfte zu erreichen wäre. Meine Frage: In welchen Bereichen läßt sich das außerdem erreichen?
Ich habe schon zu Ihrer Kollegin gesagt, daß ich die Verzinsungsannahmen, die Sie vergleichend anstellen, nicht für adäquat halte. Ich glaube aber nicht, daß wir jetzt über Verzinsungsgrößenordnungen in den verschiedensten Bereichen einen Dialog führen sollten.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Hustedt.
Habe ich Sie bei der Beantwortung der Frage von Frau Ganseforth richtig verstanden, daß Sie die Alternative, dort ein Gaskraftwerk zu bauen, nicht überprüfen? Ist das überhaupt nicht in Ihrem Überprüfungsauftrag enthalten?
Erstens darf ich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung nicht baut und kein Projektträger ist.
Zweitens darf ich Sie darauf hinweisen, daß wir nur das prüfen können, was tatsächlich vorliegt. Es geht hier darum - das ist unsere Aufgabe -, die Seriosität der Vergabe eines Kredites einer internationalen Bank, an der wir beteiligt sind, zu prüfen. Diese Prüfung erfolgt nach verschiedenen Kriterien, nach Sicherheits-, Wirtschaftlichkeits- und sonstigen Kriterien; diese habe ich Ihnen schon vorgetragen. Weitere Prüfungen haben wir nicht vorzunehmen.
Wenn ich es richtig sehe, werden keine weiteren Zusatzfragen gewünscht. Dann bedanke ich mich bei Ihnen, Herr Staatssekretär Faltlhauser, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Dr. Kolb bereit.
Hinsichtlich der Fragen 36 und 37 ist eine schriftliche Beantwortung beantragt worden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zu Frage 38 des Abgeordneten Volker Neumann ({0}):
War der Bundesregierung bekannt, daß während des irakischiranischen Krieges, als sie Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter an die Kriegsgegner durch die Münchner Firma Telemit zuließ, die DDR in ähnlicher Weise unbedenklich über Firmen des Bereichs „Kommerzielle Koordinierung" den Irak und den Iran mit Rüstungsgütern belieferte?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Neumann, die Bundesregierung war darüber unterrichtet, daß die DDR während des ersten Golfkrieges zwischen dem Irak und dem Iran, d. h. von 1980 bis 1988, beide Parteien mit Rüstungsgütern beliefert hat. Die Bundesregierung hat ihre Erkenntnisse über Lief erungen der damaligen DDR an den Irak und den Iran dem 1. Untersuchungsausschuß mitgeteilt.
Ich verweise zudem auf die Ausführungen des Abschlußberichtes, in dem auf den Seiten 189 bis 194, 492 bis 494, 516 bis 517 und 521 bis 522 die entsprechenden Aktivitäten der DDR umfassend dargestellt werden.
Ich habe eine Zusatzfrage.
Eine Zusatzfrage. Bitte, Herr Neumann.
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß die DDR an zwei kriegsführende Parteien gleichzeitig Waffen geliefert hat, und wie bewertet sie ihr eigenes Verhalten, daß sie im gleichen Zeitraum westdeutschen Firmen Genehmigungen für Rüstungsexporte an diese kriegsführenden Parteien erteilt hat?
Herr Kollege Neumann, soweit hier Bewertungen abzugeben waren, hat die Bundesregierung dies im 1. Untersuchungsausschuß getan. Ich glaube, Sie waren Mitglied dieses Untersuchungsausschusses,
({0})
der sehr umfangreiches Material geliefert hat: den Abschlußbericht, den Anhang, drei Anlagebände, zusammen fast 5 000 Seiten beschriebenes Material. Ich habe dem insbesondere aus Sicht des Bundesministeriums für Wirtschaft hier nichts hinzuzufügen.
Ich habe eine zweite Zusatzfrage.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte.
Zu dem Zeitpunkt war uns noch nicht bekannt, daß die Bundesregierung in der gleichen Weise westdeutschen Firmen Genehmigungen erteilt hat, Rüstungsgüter zu exportieren, wie es die DDR gemacht hat. Unsere Bewertung der Tatsache wäre sicher anders ausgefallen, wenn wir das gewußt hätten. Deshalb frage ich aus heutiger Sicht: Wie bewerten Sie das Verhalten der Bundesregierung, der Firma Telemit Genehmigungen zu erteilen, während des ersten Golfkrieges sowohl an den Irak als auch an den Iran Rüstungsgüter zu liefern?
Herr Kollege Neumann, auch hier habe ich keine Bewertung hinzuzufügen. Wenn Sie keine Kenntnis von diesen Ausfuhren hatten, ist es für Sie natürlich eine bedauerliche Tatsache. Die Tatsache aber, daß Ausfuhrgenehmigungen an die Firma Telemit erteilt worden sind, war keine Geheimsache. Es sind ja auch keine Exporte nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz gewesen, sondern es sind für sonstige Rüstungsgüter nach dem Außenwirtschaftsgesetz und der Außenwirtschaftsverordnung Genehmigungen erteilt worden. Aber, wie gesagt, aus Sicht der Bundesregierung sind hierzu keine zusätzlichen Bewertungen abzugeben.
Wir kommen dann zur Frage 39 der Abgeordneten Probst, die jetzt im Raum ist:
Wie ist die Haltung der Bundesregierung zu Stromimporten nach Deutschland aus Mittel- und Osteuropa, wo der Strom z. T. in Atomkraftwerken ohne Containment erzeugt wird, die in Deutschland niemals genehmigungsfähig wären?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Probst, es liegt grundsätzlich in der unternehmerischen Entscheidung der deutschen Verbundunternehmen, ob und, wenn ja, in welchem Umfang sie stromwirtschaftlich mit Partnerunternehmen in Mittel- und Osteuropa zusammenarbeiten.
Zum Stromaustausch und damit auch zu Stromimporten sind technische Möglichkeiten zum einen durch die zur Zeit noch gegebene Integration des ostdeutschen Hochspannungsnetzes in den osteuropäischen Stromverbund sowie zum anderen über eine Gleichstromkurzkopplung zwischen Etzenricht in Bayern und Hradec in Tschechien gegeben.
In den Jahren 1993 und 1994 hat ein Stromaustausch in geringen Mengen lediglich mit Polen und Tschechien stattgefunden. Bei saldierter Betrachtung ergibt sich für Polen dabei ein Überschuß der Lieferungen aus Deutschland, und zwar 1994 von
12 Millionen Gigawattstunden. Für Tschechien ist demgegenüber saldiert ein leichter Exportüberschuß nach Deutschland, also ein Stromimport nach Deutschland, von 990 Gigawattstunden in 1994 festzustellen.
Generell gilt für den Stromaustausch im internationalen Verbund, daß die Austauschmengen nicht bestimmten Kraftwerkskapazitäten zugeordnet werden können, da bei der Stromerzeugung in der Regel verschiedene Energieträger eingesetzt werden.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Probst, bitte.
Bei einer solchen politischen Nicht-Verantwortlichkeit fällt mir leider nichts mehr ein.
Das war keine Frage. - Eine Zusatzfrage der Kollegin Saibold.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Kolb, begrüßt die Bundesregierung die Absicht der Bayernwerk AG, aus Mochovce Atomstrom zu einem Preis von ca. 6 Pfennig pro Kilowattstunde einzuführen und dann in der Bundesrepublik zu einem Preis von mindestens 18 Pfennig zu verkaufen, oder sieht sie darin nicht auch eine neue Form der Ausbeutung der Slowakischen Republik, von den ökologischen Folgen jetzt einmal ganz zu schweigen?
Frau Kollegin Saibold, ich bin zunächst einmal froh, daß es Ihnen nicht die Sprache, insbesondere nicht die Frage verschlagen hat. Aber ich glaube, ich werde später noch zu Mochovce mich zu äußern hier Gelegenheit haben. Ich will die Frage, ob das Bayernwerk und wenn ja, zu welchem Preis Strom aus diesem Kraftwerk importiert - wie gesagt, eine Zuordnung zu einem einzelnen Kraftwerk ist ohnehin nicht möglich - hier aber nicht kommentieren. Das ist auch nicht die Aufgabe des Bundesministeriums für Wirtschaft.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Kubatschka.
Herr Staatssekretär, bedeutet die Aussage, die Sie gemacht haben, daß zur Zeit die Tschechische Republik nicht fähig wäre, Strom zu exportieren?
Ich habe nur gesagt, daß das zur Zeit saldiert nicht stattfindet. Ob die Tschechische Republik dazu in der Lage wäre, entzieht sich meiner Beurteilung. Aber ausschließen kann ich es nicht.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Schönberger.
Ich habe eine Zusatzfrage, weil mir eines an Ihren Ausführungen nicht ganz klar ist:
({0})
Es ist doch so, daß die Refinanzierung des Kredits teilweise über Stromlieferungen aus Mochovce unter anderem auch nach Deutschland stattfinden soll. Wir wissen alle, daß das natürlich nicht unbedingt heißt, man kann jetzt genau sehen, wieviel Strom da herauskommt. Es findet vielmehr eine Verrechnung statt.
Bitte die Frage.
Es steht sozusagen klar da: Soundsoviel Prozent aus der Stromproduktion von Mochovce - das wird noch genau ausgehandelt - soll in die Bundesrepublik kommen und mit 6 Pfennig pro Kilowattstunde vergütet werden. Also beziehen wir damit Strom aus Mochovce. Daher können Sie doch nicht sagen: Nein, das tun wir nicht. Das ist doch Teil der Refinanzierung des Kredits.
Frau Kollegin Schönberger, ich will darauf hinweisen, daß es sich zwar um Wirtschaftlichkeitsrechnungen handelt, aber gleichwohl mehr eine finanzwirtschaftliche Betrachtung ist. Insofern kann und will ich Ihnen hier auch keine Antwort geben, die Ihnen der Kollege Faltlhauser als der Vertreter des zuständigen Bundesministeriums der Finanzen hätte geben müssen, geben wollen oder geben können.
({0})
Ich bin auf jeden Fall nicht der richtige Adressat für Ihre Frage.
Wir kommen damit zur Frage 40 der Abgeordneten Schönberger:
Wie schätzt die Bundesregierung angesichts von Liberalisierungstendenzen auf dem internationalen Markt für Erdgas die Tatsache ein, daß in der Least-cost-Studie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ({0}) zum Atomkraftwerk Mochovce Gaspreissteigerungen bis zum Jahr 2000 in einer Höhe von 5-9 Prozent ({1}) pro Jahr angenommen werden und damit deutlich höhere Annahmen getroffen werden als entsprechende Einschätzungen der Weltbank und der Europäischen Investitionsbank ({2}) und damit die Wirtschaftlichkeit eines Gaswerkes, welche bekanntlich erheblich von den angenommenen Brennstoffkosten abhängig ist, verworfen wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Schönberger, die Bundesregierung hat in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 17. Oktober 1994 ausführlich zur Fertigstellung des Kernkraftwerks Mochovce Stellung genommen. Sie befürwortet das Projekt, bei dem zwei Anlagen mit westlicher Sicherheitstechnik nachgerüstet und verbessert werden. Damit wird eine möglichst frühe Außerbetriebnahme der alten Blöcke Bohunice 1 und 2 ermöglicht.
Die Bundesregierung betrachtet es nicht als ihre Aufgabe, Gaspreisprognosen durchzuführen und zu veröffentlichen.
In der Least-Cost-Analyse der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung zum Atomkraftwerk Mochovce werden auch die Investitionen und Kosten eines kombinierten Gas- und Dampfkraftwerks als Alternative zur Fertigstellung der zwei Kernkraftwerksblöcke untersucht.
Bei der Prognose der Gaspreise haben die Autoren wegen der Unsicherheit der Voraussage von zukünftigen Gaspreisen und wegen der unterschiedlichen Aussage der verschiedenen Prognosen drei Szenarien unterstellt: Im unteren Szenario wird die auch von Ihnen angesprochene Prognose der EIB verwendet. Dabei wird unterstellt, daß sich die Preise für Erdgas weiterhin an den Preisen des Heizöls orientieren. Neue Technologien bei der Erschließung neuer Felder würden den Anstieg der Gaspreise verringern und relativ niedrige Gaspreise bringen.
Beim Basisfall - das ist die Erhöhung um ca. 5 % - wurden die Prognosen der IEA verwendet. Der Preisanstieg bei dieser Prognose ist höher, da neben der Orientierung am Ölpreis auch die Rentabilität der Förder- und Transportanlagen stärker in Betracht gezogen wird.
Das dritte Szenario ist das Hoch-Szenario, also die Erhöhung um ca. 9 %. Da wird die Prognose der UNIPEDE, also des Verbandes der Internationalen Stromproduzenten und -verteiler, herangezogen.
Zur Wahrscheinlichkeit des Eintreffens dieser drei Szenarien kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, daß das untere Szenario mit Schätzungen der EIB wahrscheinlicher ist als das Hoch-Szenario und deshalb auch ein höheres Gewicht haben sollte. Beim unteren Szenario wird von einem Preisanstieg in 1999 von 1,7 % und für 2000 von 1,8 % ausgegangen.
Im übrigen: Der von der Weltbank verwendete Gaspreis bezieht sich ausschließlich auf die Ukraine und sieht keine Steigerung vor. Nach der Studie ist dieser Preis allerdings nicht auf die Slowakei übertragbar, und zwar erstens wegen der höheren Transportkosten und zweitens wegen der unterschiedlichen Beziehungen zu Rußland.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Schönberger, bitte.
Wenn ich das, was Sie gesagt haben, richtig verstanden habe, nimmt die Bundesregierung von sich aus keine Bewertung der Entwicklung der Gaspreise vor, sondern verläßt sich ganz auf die Studie der EBRD. Wie bewerten Sie denn in diesem Zusammenhang, daß die US-amerikanische Regierung anscheinend nicht so großes Vertrauen darin hat, eben auf Grund der ganzen Entwicklungen, die diese Studie durchgemacht hat, wie ich vorhin ausgeführt
habe? Wie bewerten Sie die Tatsache, daß die US-amerikanische Regierung eine neuerliche Berechnung des Alternativszenarios Gaskraftwerk fordert?
Könnte es nicht sein, daß die Bundesregierung, da sie ja in einer Entscheidungsverantwortung steht, gut daran täte, sich dem Anliegen der US-amerikanischen Regierung anzuschließen und eine neuerliche Berechnung dieser Alternative Gaskraftwerk vorzunehmen?
Frau Kollegin Schönberger, Sie haben mich richtig verstanden. Ich zitiere gern noch einmal den einschlägigen Satz meiner Antwort: „Die Bundesregierung betrachtet es nicht als ihre Aufgabe, Gaspreisprognosen durchzuführen und zu veröffentlichen."
Was das Verhalten oder Aktionen der US-amerikanischen Regierung anlangt, so steht es mir nicht an, dieses zu kommentieren.
Eine zweite Zusatzfrage der Kollegin Schönberger, bitte.
Kann ich - für mich abschließend - hinsichtlich dessen, was Sie und Ihr Kollege ausgeführt haben, annehmen, daß Sie sich allein auf dieses sehr umstrittene Gutachten der EBRD stützen werden, daß Sie also nicht eigenverantwortlich mit eigenen Überprüfungen und vielleicht auch etwas kritischer an dieses Projekt herangehen werden?
Für sich persönlich, Frau Kollegin Schönberger, können Sie dies gern tun. Ich kann Ihnen allerdings dazu nicht die Zustimmung, die Billigung der Bundesregierung aussprechen. Kollege Faltlhauser hat deutlich gemacht, daß es zunächst die Aufgabe der kreditvergebenden Bank ist, die entsprechenden Prüfungen durchzuführen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Behrendt.
Herr Staatssekretär, können Sie mir erläutern, warum die Weltbank auf Grund des von ihr erstellten Gutachtens zu der Überzeugung gelangt, keine Darlehen für Nuklearprojekte in Mittel- und Osteuropa zu vergeben, Sie aber zu einer völlig gegensätzlichen Schlußfolgerung kommen?
Herr Kollege Behrendt, das kann ich leider nicht, da ich dieses Gutachten nicht kenne.
({0})
Eine Zusatzfrage der Kollegin Saibold.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung auf Grund der ganzen Debatte, die ja schon längere Zeit läuft, doch mitbekommen hat, daß es hier um eine sehr umstrittene Angelegenheit geht. Deswegen frage ich Sie: Sind denn bereits einmal Verhandlungen mit der Slowakischen Republik dahin gehend geführt worden, daß die Bundesregierung Unterstützung bei der Erschließung des vorhandenen Energieeinsparpotentials, bei besserer Energienutzung oder dem Aufbau von alternativen Energiequellen leistet? Oder wird sie es in Zukunft noch tun, bevor diese Anweisung an die Bank geht?
Frau Kollegin Saibold, die Bundesregierung ist im ständigen Austausch mit der slowakischen Regierung. Ich kann Ihnen allerdings auf Grund der Vielzahl der jeweils diskutierten Themen nicht aus eigener Kenntnis beantworten, ob dieses Thema bisher eine Rolle gespielt hat. Ich nehme aber gern mit, daß hier eine besondere Sensibilität besteht.
({0})
- Nein, mein Name ist Kolb.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Hustedt.
Unter Aufnahme Ihres Freudschen Versprechers frage ich Sie: Wollen auch Sie uns nicht sagen, wann die Entscheidung über die Kreditvergabe fallen wird?
Dann müßte ich die Gegenfrage stellen, welchen Freudschen Versprecher Sie meinen; denn es ist ja das Wesen von Versprechern, daß sie einem selbst nicht auffallen. Aber ich kann es nicht kommentieren, weil ich die Grundlage nicht habe.
({0})
Liebe Kollegen, wir sind eigentlich am Ende der für die Fragestunde ausgemachten Zeit. Es gibt eine Zusatzfrage der Kollegin Buntenbach, die ich noch zulasse. Herr Staatssekretär wird antworten. Dann müssen wir die Fragestunde abschließen.
Ich möchte von Ihnen gern wissen, wann denn über diese Kreditvergabe entschieden wird.
Die Frage, Kollegin Buntenbach, haben Sie ja dem Kollegen Faltlhauser schon gestellt.
({0})
Er ist Vertreter des zuständigen Ministeriums. Das Bundesministerium für Wirtschaft kann Ihnen - da nicht betroffen - diese Antwort nicht geben. Tut mir leid.
Damit sind wir am Ende der für die Fragestunde ausgemachten Zeit, ja, schon darüber hinaus. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung. Die restlichen Fragen werden schriftlich beantwortet werden.
Ich schließe die Fragestunde.
Wir kommen nunmehr zum Zusatzpunkt 2: Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zur künftigen Ausgestaltung des Familienlastenausgleichs
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier.
({0})
Herr Präsident! Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vorschläge der Koalition sind ein deutlicher Schritt in Richtung auf unser SPD-Modell eines einheitlichen Kindergeldes in Höhe von 250 DM vom ersten Kind an. Ich stelle mit Genugtuung fest: Hätten wir unser 250-DM-Kindergeld-Modell nicht immer wieder so hartnäckig vertreten und gegen Ihre Kritik verteidigt, dann wäre die Regierung heute nicht so weit, wie sie ist.
({0})
Erinnern Sie sich noch? Noch vor zwei Wochen wollte Finanzminister Waigel das Erstkindergeld überhaupt nicht anheben. Erst unser Druck hat Bewegung in Ihre Reihen gebracht. Das ist ein Erfolg der Opposition.
({1})
Trotzdem kann man mit Ihrem Vorschlag nicht zufrieden sein. Drei Mängel fallen besonders auf; da muß die Regierung nachbessern.
Erster Mangel: Der Vorschlag ist unzureichend. Viele Familien bekommen keine oder nur eine geringe Entlastung; Familien mit mehreren Kindern verschlechtern sich unter Umständen sogar gegenüber dem geltenden Recht. Das darf nicht sein. Deswegen bleibt das Ziel der SPD: 250 DM Kindergeld vom ersten Kind an und 350 DM ab dem vierten Kind.
Zweiter Mangel: Der Vorschlag ist nach wie vor sozial nicht gerecht. Da Sie bei der Steuer am Kinderfreibetrag festhalten, werden doch Spitzenverdiener monatlich sehr viel mehr entlastet als Durchschnitts-und Geringverdiener. Können Sie uns einmal erklären, warum Sie, wenn Sie, wie Sie sagen, kein Geld haben, um das Erstkindergeld stärker als auf 200 DM zu erhöhen, das Geld haben, bei der Steuer über den Kinderfreibetrag Spitzenverdienern - das sind die, die mehr als 240 000 DM zu versteuerndes Einkommen im Jahr haben - Monat für Monat über den Kinderfreibetrag 277 DM Entlastung zu geben? Das sind 77 DM jeden Monat und 924 DM im Jahr mehr für Spitzenverdiener als für den Durchschnittsverdiener. Das Verfassungsgericht fordert dies nicht. Deswegen fordern wir Sie auf, das Geld, das Sie da hineinstekken, zu benutzen, um das Kindergeld für das erste und das zweite Kind weiter anzuheben.
({2})
Dritter Mangel: Der Familienlastenausgleich bleibt weiterhin sehr kompliziert. Sie schaffen zwar die Einkommensgrenzen beim Kindergeld und den Kindergeldzuschlag ab; das ist positiv. Aber es ist halbherzig; denn wir bleiben bei dem dualen System - Kindergeld und Kinderfreibetrag - mit einer sehr komplizierten Regelung für die Steuerbürger. Diese müssen sich nach Ihren bisherigen Vorstellungen am Jahresanfang entscheiden, ob sie das eine oder das andere wählen. Wie kann das ein Arbeitsloser wissen, wenn er gar nicht weiß, ob er im Laufe des Jahres eine Anstellung findet? Unser SPD-Modell eines einheitlichen Kindergeldes als Abzug von der Steuerschuld bleibt, auch was die Verwaltungsvereinfachung angeht, die bessere Alternative, und deswegen treten wir dafür ein.
Der gravierendste Mangel ist aber der zuerst genannte, die unzureichende Höhe des Kindergeldes. Die von Frau Nolte verwandten Zahlen sind irreführend. Sie preist eine Kindergelderhöhung von 130 DM an. Da kann ich mich nur wundern! Erinnern Sie sich denn nicht an die Debatte von vor genau einem Jahr, bei der - quer durch alle Fraktionen - herbe Kritik an der Vorgängerin, Frau Rönsch, geübt wurde, weil sie bei der Übergangslösung zum Existenzminimum den Beziehern niedrigster Einkommen den Kindergeldzuschlag vorenthalten hat? Statt sich dafür zu schämen, prahlt die Familienministerin mit einer Zahl, die nur dadurch zustande kommt, daß den Familien mit niedrigsten Einkommen bleibendes Unrecht über Jahre zugefügt wurde.
({3})
Nein, wir stellen fest: Die Entlastung von 65 DM beim Erstkindergeld ist ein richtiger Schritt; aber er reicht nicht. Beim zweiten Kind beträgt die Entlastung nur noch 5 DM; auch das ist unzureichend. Beim dritten Kind kann eine Entlastung von 15 DM nicht das letzte Wort sein. Beim vierten Kind und bei weiteren Kindern gibt es sogar eine Verschlechterung von mindestens 5 DM; das ist doch abenteuerlich! Kann denn bei Ihnen eigentlich niemand rechnen?
Die Menschen rufen in unseren Büros an. Ich sage ihnen: Rufen Sie nicht bei der SPD an,
({4})
rufen Sie beim Bundeskanzler an! Der ist für diesen unzureichenden Vorschlag verantwortlich, und der soll das gefälligst ändern. Wir Sozialdemokraten bleiben bei 250 DM, und das ist besser, meine Damen und Herren.
({5})
Das Wort hat der Kollege Dr. Heiner Geißler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Matthäus-Maier, wenn wir jetzt schon beim Rechnen sind und Sie ein Existenzminimum von 7 200 DM für richtig halten - ({0})
- Nein, nein.
({1})
Herr Präsident, darf ich die Kollegin kurz fragen, welches Existenzminimum sie für richtig hält?
Herr Kollege Geißler, wir können an sich von den Regeln der Aktuellen Stunde nicht abweichen. Ich würde Ihnen einfach raten, daß Sie Ihre eigene Meinung vortragen. Das wäre das Einfachste. Sie verbrauchen Ihre Zeit, Herr Kollege. Sie sollten Ihre Meinung vortragen.
Also gut, ich mache weiter.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, damit wir uns darüber im klaren sind: Selbst wenn Sie sich auf das Existenzminimum von 6 264 DM einließen, kämen Sie mit den 250 DM, die Sie vorschlagen, auch nicht hin. Da fehlt dann zwar nicht viel; aber bei einem Steuersatz von 53 % fehlen mindestens - rechnen Sie es nach - 22 DM, und wenn Sie den Solidaritätszuschlag noch dazurechnen, dann fehlen Ihnen 30 oder 40 DM. Diese verfassungsrechtliche Problematik müssen Sie lösen. Aber darüber wollte ich eigentlich hier gar nichts sagen.
Die Debatte ist hier von Frau Matthäus-Maier so begonnen worden, wie wir mit der letzten aufgehört haben. Gerichtsurteile sind damals verlesen worden, Professorengutachten, SPD-System, CDU-Modell, F.D.P.-Vorschlag und alles mögliche. Die Leute wollen von uns nicht hören, mit welchem System wir sie beglücken, sondern die Väter und Mütter mit ihren Kindern wollen von uns hören, wie wir ihre konkrete Lage verbessern, und zwar auch im Vergleich zu denen, die keine Kinder und infolge dessen eine geringere Belastung, ein doppeltes Einkommen und im Alter eine doppelte Rente haben. Das wollen die Leute!
({0})
Deswegen sage ich ganz einfach, was wir wollen: Wir wollen statt 70 DM für das erste Kind 200 DM für das erste Kind, statt 130 DM für das zweite Kind 200 DM für das zweite Kind, statt 220 DM für das dritte Kind 300 DM und statt 240 DM für das vierte Kind ebenfalls 300 DM.
({1})
Der Freibetrag wird von etwas über 4 000 DM auf 6 264 DM erhöht.
Schließlich machen wir noch etwas: Nicht Beamte und Bürokraten verrechnen und gleichen aus, sondern die Bürgerinnen und Bürger haben das freie Recht, zu entscheiden, ob sie den Freibetrag oder das Kindergeld wollen. Das entscheiden sie danach, was für sie günstiger ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Lösung ist im übrigen auch geeignet, verfassungsrechtlich das Problem zu lösen - da haben Sie recht -, daß ich mit 200 DM nicht die Freibetragswirkung erreiche, die ich auch für einen Einkommensbezieher zwischen 160 000 DM und 280 000 DM erreichen muß. Das ist verfassungsrechtlich einwandfrei und beläuft sich auf 272 DM. Das erreichen Sie mit Ihren 250 DM auch nicht. Deswegen ist es gut, daß diese Einkommensbezieher für den Freibetrag votieren können.
Frau Matthäus-Maier, niemand - mit ganz wenigen Ausnahmen; ich zeige Ihnen diese Tabelle - steht sich schlechter. Das ist einfach nicht wahr! Vor allem verbessern wir für die unteren Einkommensbezieher die Situation ganz entscheidend: Jemand mit A 3 und einem Kind: 704 DM mehr, A 9: 620 DM mehr, A 12: 458 DM mehr, A 15: 400 DM mehr. Bei einem Verheirateten mit zwei Kindern: A 3: 704 DM mehr, Facharbeiter mit 65 000 DM: 1 156 DM mehr, A 12: 1 000 DM mehr, verglichen mit dem Tarif 1990. Wir haben bei Einkommensbeziehern mit vier Kindern in ganz wenigen Gruppierungen Schlechterstellungen gegenüber dem jetzigen Zustand - und das auch nur in einstelligen Beträgen. Und wenn der neue Grundfreibetrag einberechnet ist, dann ist höchstwahrscheinlich auch diese Schlechterstellung beseitigt.
Mir - uns allen - wären, Frau Matthäus-Maier, 250 DM auch lieber als 200 DM. Das ist richtig.
({2})
Wir unterscheiden uns von Ihnen nur dadurch, daß wir klar sagen: Mehr als 6 Milliarden DM können wir nicht finanzieren. Sie können diese 250 DM auch nur deswegen finanzieren, weil Sie das Ehegatten-Splitting in einer Größenordnung von 10 Milliarden DM kappen wollen. Genau dies halten wir nicht für richtig. Dies ist möglicherweise verfassungswidrig. Es ist politisch falsch. Wenn Sie diese Kappung des EheDr. Heiner Geißler
gatten-Splittings nicht haben, landen Sie, genauso wie wir, bei 200 DM. Deswegen müssen Sie Ihren Finanzierungsvorschlag mit 250 DM noch einmal überlegen.
Ein letztes Wort.
Ihre Redezeit ist abgelaufen, Herr Dr. Geißler.
Selbstverständlich müssen wir im Laufe dieser Legislaturperiode über die 200 DM reden.
Herr Dr. Geißler, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Wir sagen ja: Entsprechend dem Existenzminimum muß in dieser Legislaturperiode auch der Familienleistungsausgleich insgesamt - und damit auch das Kindergeld und nicht nur der Freibetrag - angehoben werden.
({0})
Ich erteile der Kollegin Andrea Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für alle Beobachter und Beobachterinnen des steuerlichen Geschehens ist es kaum mehr zu begreifen: Seit Jahr und Tag foppen Sie uns und die Eltern mit zaghaften, halbherzigen, ideenarmen Vorschlägen für Reförmchen. Die Probleme der Lebensgemeinschaft mit Kindern sind davon nicht kleiner geworden, aber deren Zorn auf schlechte Familienpolitik der Bundesregierung dafür immer größer.
Herr Waigel, das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen doch umfangreiche Hausaufgaben ins Heft geschrieben; Sie müssen das Existenzminimum freistellen und das Leben mit Kindern finanziell erleichtern.
({0})
Verstehen Sie mich nicht falsch: Nicht daß ich es für besonders glücklich hielte, daß das Bundesverfassungsgericht die Richtlinien der Steuerpolitik festlegt. Aber was blieb denn den Geringverdienenden und den Eltern anderes übrig, als sich an diese Instanz zu wenden, wenn die Bundesregierung ihnen nur die kalte Schulter zeigt?
({1})
Und was muten Sie uns jetzt zu? - Unverdrossen krähen Sie „Weiter so! " Es bleibt beim Nebeneinander von Kinderfreibetrag und Kindergeld. Mit dem schicken Begriff der Wahlfreiheit vertuschen Sie, daß es Kindergeld für die Einkommensschwächeren und Kinderfreibetrag für die Gutverdienenden geben soll - das Ganze mit dem pikanten Ergebnis, daß das Kindergeld für untere Einkommensgruppen niedriger ausfällt als die Steuerentlastung bei Familien mit höherem Einkommen. Meinen Glückwunsch an die Familienpolitiker der Koalition zu diesem verteilungspolitischen Gesellenstück!
Bei Ihrem neuesten Modell scheint unter all diesem Stückwerk schon die Ahnung hervor, daß damit das Problem längst nicht befriedigend gelöst ist. Sie denken weitere Stufen der Reform an. Warum denn damit warten? Warum sind Sie so kleinmütig? Mit der sogenannten Finanzamtslösung haben Sie doch zugegeben, daß das bisherige Nebeneinander einen unnötig hohen Verwaltungsaufwand erfordert.
Meine Damen und Herren, es ist unmöglich, die Reform des Familienleistungsausgleichs von der anderen großen Aufgabe, der Freistellung des Existenzminimums, zu trennen. Beides zusammen ist zweifelsohne - das haben auch Sie gerade gesagt - eine gewaltige Aufgabe. Deswegen wird sie auch nicht zu packen sein, ohne an liebgewordene Besitzstände heranzugehen. Ich meine - im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Geißler -, daß es heute ein Anachronismus ist, rund 40 Milliarden DM in die steuerliche Subventionierung der Ehe zu stecken.
({2})
So hoch sind die Steuerausfälle durch das EhegattenSplitting. Aber beim Kindergeld geizen Sie und feilschen um jede Mark.
Mühsam arbeiten Sie sich an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ab und werden dabei bestenfalls nur den Mindestanforderungen der verschiedenen Urteile gerecht. Aber es geht doch um mehr als um steuer- und familienpolitische Flickschusterei. Es geht darum, die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit niedrigem Einkommen und von Menschen mit Kindern sicherzustellen. Es geht darum, Solidarität und Gemeinsinn nicht als wohlfeile Form für Feiertagsreden zu reservieren, sondern praktisch und konkret werden zu lassen.
Wir Bündnisgrünen werden Ihnen deshalb ein integriertes Steuerreformpaket vorlegen, das drei Eckpunkte umfassen wird: erstens die steuerliche Freistellung des Existenzminimums, zweitens die sozialverträgliche Ablösung des Ehegatten-Splittings durch eine individualisierte Besteuerung der Ehegatten mit dem notwendigen Ausgleich für die Bezieher niedriger Einkommen und drittens ein einkommensunabhängiges Grundkindergeld von 300 DM pro Kind, das bei niedrigem Einkommen aufgestockt wird. Zweifellos werden auch diese Reformen nicht alle der Probleme lösen, über die wir heute reden. Aber ich meine, daß sie der sozialen Ausgrenzung deutlich etwas entgegensetzen würden.
Bei Meinungsumfragen fand das Allensbacher Institut heraus, daß nahezu alle Menschen eine bessere finanzielle Förderung des Lebens mit Kindern wollen. Gleichzeitig ist aber nur bei relativ wenigen die Bereitschaft vorhanden, vom Eigenen für dieses hehre Ziel abzugeben. Meine Damen und Herren
Andrea Fischer ({3})
von der Koalition, in diesem traurigen Sinne sind Ihre Vorschläge populistisch. Die Folgen wird die schwindende Zahl von Eltern mit Kindern bitter zu spüren bekommen.
({4})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Diese Debatte ist nicht eine Debatte um die Familie, sondern sie ist eine sehr konkrete Debatte für die Familie. Eines will ich vorwegnehmen: Sieger sind die Familien. Daß mich dies auch als Vater von drei kleinen Kindern besonders freut, liegt auf der Hand.
Die vorgelegte Lösung ist familienfreundlich, verwaltungsvereinfachend, finanzpolitisch solide und vor allem verfassungsfest.
({0})
Das zeigt auch, daß diese Koalition handlungs- und entscheidungsfähig ist. Wir alle - da schließe ich ausdrücklich die Opposition mit ein - sind ja auch nicht deshalb in den Bundestag gewählt worden, um uns gegenseitig Fehler vorzurechnen, sondern um die Zukunft für dieses Land zu gestalten.
({1})
Und deshalb ist es gut, daß die Aktuelle Stunde nicht von einem unfruchtbaren Streit über unterschiedliche Lösungsansätze geprägt ist. Sie ist und sollte davon geprägt sein, daß diese Koalition einen konkreten Vorschlag vorgelegt hat, von dem ich meine und hoffe, daß dieser eine breite Zustimmung des gesamten Deutschen Bundestages findet.
Der Kinderfreibetrag wird auf das Existenzminimum von 6 264 DM im Jahr erhöht. Das Kindergeld wird für das erste und zweite Kind auf 200 DM im Monat und ab dem dritten Kind auf 300 DM im Monat erhöht. Die Familien haben ein Wahlrecht zwischen der Inanspruchnahme von Kindergeld und Kinderfreibetrag, so daß sich jeder Steuerpflichtige auswählen kann, ob er das Existenzminimum für seine Kinder steuerfrei gestellt haben will oder ob er einen Abzug des Kindergeldes von der Steuerschuld wählt.
Die F.D.P. hat sich in ihrem Wahlprogramm für mehr Leistungen für die Familie und für eine Verwaltungsvereinfachung eingesetzt. Die F.D.P. hat sich für das Bürgergeld eingesetzt und freut sich, daß mit diesem Modell der erste Schritt in diese Richtung gegangen wird.
({2})
Wir freuen uns auch über Begleiter auf diesem Wege.
Das F.D.P.-Modell sieht vor, das Existenzminimum für Kinder von der Steuer freizustellen, das Kindergeld spürbar zu erhöhen und den Steuervorteil aus dem Steuerfreibetrag mit dem Kindergeld zu verrechnen. Dieses sollte über das Finanzamt erfolgen.
Von der Koalition wurde dieser Vorschlag übernommen und nur in einem Punkt abgeändert: Das Kindergeld wird nicht mit dem Steuervorteil verrechnet, sondern es wird ein Wahlrecht eingeräumt, und mit dieser Änderung kann die F.D.P. leben.
In den Gesprächen mit dem Koalitionspartner ist es also gelungen, diese gute Lösung in wesentlichen Teilen umzusetzen. Insbesondere möchte ich Familienministerin Nolte herzlich für ihr Engagement und ihre eigene Meinung in dem gesamten Diskussionsprozeß danken. Denn es ist wahrlich nicht üblich, daß sich ein Minister oder eine Ministerin zugunsten einer als besser erkannten Lösung dafür einsetzt, daß das Ministerium zukünftig gut 20 Milliarden DM nicht mehr auf der Ausgabenseite vorweisen kann. Aber gute Politik zeigt sich eben in der Sache und nicht nur in der Ausgabenseite eines Etatpostens.
({3})
Die wichtigsten Vorzüge des Koalitionsmodells bestehen darin, daß der verfassungsrechtliche Grundsatz des Freistellens des Existenzminimums erfüllt ist, das Erstkindergeld deutlich erhöht wurde, das Verwaltungsverfahren drastisch vereinfacht wird. Die doppelte Antragstellung gegenüber dem Finanzamt und dem Arbeitsamt entfällt. Der Verwaltungskostenzuschuß von 650 Millionen DM pro Jahr an die Bundesanstalt für Arbeit für die Auszahlung von knapp drei Vierteln des Kindergeldes entfällt. Mehr als 1 000 öffentliche Verwaltungen werden von der Auszahlung des Kindergeldes entlastet. Angesichts knapper öffentlicher Kassen konnte eine Verbesserung an Leistungen für die Familien von 6 Milliarden DM erreicht werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Demokratie krankt an mangelnder Verständlichkeit unterschiedlichster Regelungen. Wer das derzeitige System des Familienleistungsausgleichs - welches in einer Broschüre der Bundesregierung auf annähernd 40 Seiten dargestellt wurde - verstehen will, muß schon Spezialist sein. - Wenn wir heute die Stunde Null hätten, würde ich garantieren, daß keinem die derzeitige Regelung einfallen würde.
({4})
Im übrigen sind wir auch gar nicht so weit auseinander. Das begrüße ich ausdrücklich. Insofern - auch das möchte ich an dieser Stelle sagen - bedanke ich mich für die „weiche" Reaktion seitens der SPD auf unsere Vorschläge. - Ein System, welches die Bürger aber nicht verstehen können, kann von ihnen auch nicht als gut empfunden werden.
Dieser Vorschlag der Koalition ist ein Vorschlag für die Familien, für mehr Verständlichkeit in der Demokratie und legt damit die Grundlage für mehr Akzeptanz gegenüber unserem Staat.
Ich würde mich freuen, wenn in der Familienpolitik diese revolutionäre Veränderung des bisherigen Systems
({5})
breite Zustimmung finden könnte. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, daß die Kommunen und die Länder nicht schlechtergestellt werden sollen, sondern von dem Bund einen entsprechenden Ausgleich aus dem Steueraufkommen des Bundes erhalten sollen.
Lassen Sie uns zugunsten der Kinder, zugunsten der Frauen und zugunsten unserer Familien nunmehr kleinliches Töpfchen- und Rollendenken zurückstellen und diesen Schritt mutig in die neugestaltete Zukunft gehen.
({6})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Barbara Höll.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Jahre wieder legt der Bundeskanzler ein herzergreifendes Bekenntnis zur Familie ab. Unübertroffen ist die scharfsinnige Einsicht, die Herr Kohl dem Bundestag in seiner Regierungserklärung am 5. November 1994 mitteilte:
Wir wissen, daß die Familie der Ort ist, wo über unsere Zukunft entschieden wird.
Zweieinhalb Jahre benötigte die Bundesregierung, um tatsächlich Vorschläge für familienpolitische Beschlüsse vorzulegen, nachdem das Bundesverfassungsgericht festgestellt hatte, daß das Existenzminimum für Kinder steuerfrei zu stellen ist - getreu dem Motto der Regierungspolitik: Aussitzen und „Es muß etwas geschehen, aber es darf nichts passieren! "
Wenn Frau Ministerin Nolte jetzt erkennt, daß Familienförderung endlich Vorfahrt haben muß, so frage ich Sie, liebe Frau Ministerin: Wer hat denn - um bei Ihrem Bild zu bleiben - bis heute den Kreisverkehr bevorzugt? Bei der faktischen Abschaffung des Asylrechtes oder beim Einsatz der Bundeswehr in Somalia haben Sie doch ein ganz anderes Tempo vorgelegt und auch durchgezogen.
Mehr als 2,2 Millionen Kinder, d. h. jedes siebte Kind in den alten und jedes fünfte Kind in den neuen Bundesländern, leben in Familien, deren Nettoeinkommen unterhalb der Armutsgrenze, unterhalb des Sozialhilfesatzes, liegt. Mindestens eine weitere Million Kinder wachsen in Familien auf, die alleine auf Sozialhilfe angewiesen sind. Auch ein zunehmender Teil der Jugendlichen lebt von der „Stütze", in Ostdeutschland bereits jeder dritte.
Pünktlich zum Internationalen Frauentag hat die Koalition nun mitgeteilt, wohin es familienpolitisch gehen soll. Doch selbst die regierungsfreundliche Presse war nicht zu Jubelarien aufgelegt. Ich muß sagen: Das wundert mich nicht. Denn wer selber unter der Förderung der Familien nur die Förderung der Ehe versteht, der wird bei einer Lösung, deren wichtigster Aspekt für Herrn Waigel darin besteht, daß er nur 6 Milliarden DM anstatt 16 Milliarden DM bei Zahlung eines erhöhten einheitlichen Kindergeldes bereitstellen muß, keine Vorfahrt für Familienförderung erkennen können.
Wir demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten waren und sind der Auffassung, daß einzig eine nur nach dem Alter gestaffelte einheitliche Kindergeldzahlung an jedes Kind in Höhe des tatsächlichen Existenzminimums eine sozial gerechte und auch unbürokratische Lösung darstellt. Das EhegattenSplitting wäre zumindest durch ein Familien-Splitting zu ergänzen. Herr Waigel, Ihre Vorschläge sind eine einzige Mogelpackung!
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Die Behauptung in der Beschlußvorlage der Koalitionsfraktionen, das Existenzminimum der Kinder werde durch den erhöhten Freibetrag voll berücksichtigt, entbehrt jeglicher Grundlage. Die seit dem 1. Juli 1994 geltenden Regelsätze des Bundessozialhilfegesetzes weisen für die Kinder Regelsätze zwischen 248 und 269 DM aus. Das Statistische Bundesamt schätzt die Aufwendungen für ein Kind auf durchschnittlich 800 DM pro Monat.
Bei der Wahl zwischen Kindergeld und Kinderfreibetrag wird nur ein kleiner Personenkreis bei der Entscheidung für den Freibetrag besser abschneiden als mit der Wahl der Zahlung von pauschal 200 bzw. 300 DM Kindergeld. Erst wenn die Grenzsteuerbelastung bei Ein- und Zweikindfamilien 38,3 % übersteigt, rentiert sich der Kinderfreibetrag. Diese Grenzsteuersätze werden z. B. bei einem zu versteuernden Einkommen von 77 112 DM bzw. 154 224 DM erreicht. Für die Masse der Steuerpflichtigen wäre damit der Kinderfreibetrag abgeschafft und durch ein einheitliches Kindergeld ersetzt - was die Oppositionsparteien immer forderten und die Koalitionsfraktionen stets ablehnten. Jetzt versuchen sie, ihren Schwenk auch noch zu vertuschen, indem sie demagogisch von einer Wahlfreiheit reden, die für die meisten keine ist.
Der Vorschlag, den Sie vorgelegt haben, muß sich schließlich auch am bisher geltenden System messen lassen und daran, was im Referentenentwurf zum Jahressteuergesetz 1996 zum höheren Kindergeld und zu höheren Kinderfreibeträgen steht. Der Kinderfreibetrag von 4 104 DM bedeutete bei einem Grenzsteuersatz von 19 % eine Begünstigung von rund 65 DM im Monat, so daß mit dem bisherigen Kindergeld 135 DM für das erste Kind herauskamen, für das zweite Kind 195 DM, für das dritte mindestens 285 DM und für das vierte mindestens 305 DM.
Der Referentenentwurf sieht jedoch eine Grenzbelastung von 29 % vor. Damit macht der Kinderfreibetrag bereits 99,18 DM im Monat, also rund 100 DM, aus. Das erste Kind brächte damit 170 DM, das zweite jedoch bereits nur 230 DM, das dritte 320 DM und das vierte 340 DM. Das heißt, nur Einkindfamilien würden entsprechend dieses neuen Vorschlags eine leichte Verbesserung erhalten. Zweikindfamilien bleiben bei Null, und bei Dreikindfamilien ist es schon wesentlich schlechter.
Frau Dr. Höll, Sie müssen zum Abschluß kommen.
Ein letzter Satz. - Aus Ihren Meldungen geht überhaupt nicht hervor, wie das bei Empfängerinnen von Unterhalt gerechnet werden soll. Wird das Kindergeld weiter wegen die Sozialhilfe aufgerechnet? Dann ist es eine glatte Lüge, daß mit diesen Vorschlägen alle Kinder bessergestellt werden.
Ich muß sagen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition: Wir von der PDS sind nicht enttäuscht. Wir haben von Ihnen leider schon nichts anderes mehr erwartet.
Ich danke.
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Ich erteile das Wort der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Claudia Nolte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorgestern hat die Koalition ein Eckwertepapier zum Familienleistungsausgleich beschlossen, das es verdient, in einer Aktuellen Stunde debattiert zu werden. Sie werden verstehen, daß ich als Familienministerin mich über die gefundene Lösung ganz besonders freue. Unser Konzept des dualen Familienleistungsausgleichs ist ein großer Erfolg für die Familien in Deutschland.
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Gestatten Sie mir, daß ich noch einmal die Eckwerte nenne, die mir besonders wichtig waren. Wir erfüllen die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts und besteuern nicht das Einkommen der Eltern, das für den Unterhalt der Kinder benötigt wird. Wir erhöhen das Kindergeld auf 200 DM für das erste und das zweite Kind und auf 300 DM für das dritte und jedes weitere Kind. Damit verbessern wir die Familienförderung für Familien mit mittleren und unteren Einkommen erheblich.
Natürlich, Frau Matthäus-Maier, weiß ich um die Schwachstellen, die wir heute noch haben. Um so besser ist es doch, daß wir einen Ausgleich herbeiführen. In der Praxis ergeben sich für Familien in den genannten Einkommensbereichen real die zitierten Verbesserungen.
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Da wir wissen, daß das Pro-Kopf-Einkommen in den Familien mit zunehmender Kinderzahl sinkt, halten wir an einem Zählkindergeld fest. Ein Einheitskindergeld wird der Belastung, die Mehrkinderfamilien haben, nicht gerecht. Aus diesem Grunde sind wir dafür, daß ab dem dritten Kind ein höheres Kindergeld gezahlt wird.
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- Frau Matthäus, wer mehr als zwei Kinder hat, wird es wissen: In der Praxis fängt die größte Mehrbelastung ab dem dritten Kind an.
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- Für das zweite Kind werden wir eine weitere Entlastung vielleicht beim nächsten Schritt realisieren können. Aber ich denke, ab dem dritten Kind und den weiteren Kindern wird es für die Familien immer schwieriger, den Unterhalt sicherzustellen.
Zugegeben, der derzeitige Familienlastenausgleich mit Kindergeldzuschlag, Kinderfreibetrag, Kindergeldsockelbeträgen, Minderungsstufen beim Einkommen ist kompliziert. Um so besser ist der jetzige Vorschlag, weil er Vereinfachung schafft. Er ist schlüssig, und im Ergebnis wird er auch die Verwaltung entlasten.
Zwischen dem, was die SPD will, und unserer Lösung gibt es zwei wesentliche Unterschiede:
Erstens. Unser Optionsmodell ist verfassungskonform. Ihr Einheitsvorschlag könnte in Karlsruhe nicht bestehen, da er den Vorgaben der einschlägigen Urteile des Bundesverfassungsgerichts nicht standhält.
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Wir stellen in allen Einkommensgruppen, so wie es erwartet wird, das Existenzminimum für Kinder frei. Wer dagegen polemisiert, der muß letztendlich sagen, was er wirklich will: Will er die Steuerprogression abschaffen, die nämlich die Ursache dafür ist, daß entsprechend der Leistungsfähigkeit von Familien die Steuer progressiv ist und entsprechend dann auch Entlastungen progressiv wirken, oder will er bewußt eine nicht verfassungsmäßige Regelung in Kauf nehmen?
Zweitens. Unser Optionsmodell ist finanzierbar. Ich will die Familienentlastung zum Januar 1996 und nicht irgendwann an einem Sankt-Nimmerleins-Tag oder irgendwann im nächsten Jahrtausend.
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Natürlich könnte auch ich mir ein höheres Kindergeld vorstellen. Das wünschen wir uns alle. Aber eine Diskussion nach dem Motto „Wer bietet mehr?" ist doch vollkommen unseriös. Die Finanzminister der SPD-regierten Bundesländer haben selbst erklärt, das von Ihnen auch heute wieder vorgeschlagene 250-DM-Einheitskindergeld ist derzeit überhaupt nicht finanzierbar. Ihre Parteigenossen errechneten einen Fehlbetrag von über 13 Milliarden DM; ich glaube, daß das eher die untere Grenze ist. Das Loch würden Sie auch nicht allein mit der Abschaffung des Ehegatten-Splittings stopfen können.
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Erstens halte ich das für familienpolitisch falsch. Zum anderen würde das nicht den Entlastungsbetrag bringen, den Sie dafür haben müßten.
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Der Vorschlag der Koalition dagegen ist finanzierbar. Ich danke ausdrücklich meinen Kollegen und Kolleginnen der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion, die an diesem neuen Vorschlag sehr konstruktiv gearbeitet und von Familienförderung nicht einfach nur gesprochen haben. Denn auch das ist ein Fakt: Nur durch solide Finanzpolitik ist es überhaupt nur möglich, daß wir 1996 Familien um insgesamt 6 Milliarden DM entlasten.
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Wenn die Finanzminister der Länder konstruktiv mit uns zusammenarbeiten, dann werden wir es schaffen, daß diese erheblichen familienpolitischen Leistungen 1996 wirklich erreicht werden. Natürlich haben wir vor, diese weiter auszubauen. Denn auch ich glaube, diesem wichtigen und guten Schritt müssen weitere Schritte folgen. Die Mütter und Väter erwarten von uns nicht, daß wir darüber streiten, wie die beste Lösung rein theoretisch aussehen könnte, sondern sie wollen von diesen Verbesserungen endlich etwas spüren, die wir alle im Wahlkampf angekündigt haben.
Die Koalition hat ein Modell eingebracht, das die finanziellen Spielräume der Familien spürbar verbessert, verfassungskonform und solide finanziert ist. Wenn es Ihnen wirklich um die Familien geht, dann schließen Sie sich unseren Vorstellungen an.
Danke.
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Ich erteile der Kollegin Lydia Westrich das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Geißler und auch Frau Ministerin Nolte, wir wissen schon lange, daß Frau Matthäus-Maier viel besser rechnen kann als die meisten aus der Koalition.
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Sie vergessen bei Ihrer Rechnung nämlich immer die Mindestentlastung aus dem Kinderfreibetrag oder den Zuschlag. Sie beträgt für jedes Kind einfach 65 DM. Das bedeutet: Für das erste Kind gibt es 135 DM - bis jetzt 70 DM Kindergeld und 65 DM Entlastung -, für das zweite Kind 195 DM - 130 DM Kindergeld und 65 DM Entlastung -, für das dritte Kind 285 DM - 220 DM Kindergeld und 65 DM Entlastung -, für das vierte Kind 305 DM - 240 DM Kindergeld und 65 DM Entlastung.
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Durch diesen Koalitionsvorschlag erhalten Familien also höchstens folgende reale Entlastungen: Für das erste Kind 65 DM, für das zweite Kind 5 DM, für das dritte Kind 15 DM, beim vierten und allen weiteren Kindern führt die vorgeschlagene Regelung sogar zu einer Verschlechterung.
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Das ist Tatsache, und das benutzt auch Herr Dr. Fell in seiner Veröffentlichung.
Heute wird von Ihnen - auch von Herrn Thiele - viel von vertikaler und horizontaler Gerechtigkeit geredet und wiederholt das Verfassungsgericht bemüht. Kein Mensch versteht das: horizontale und vertikale Gerechtigkeit, aber es klingt herrlich wissenschaftlich; also muß es natürlich auch richtig sein.
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Dabei umschreibt diese Formel die schreiende Ungerechtigkeit, daß das Existenzminimum von Kindern nicht gleichmäßig beurteilt wird; denn um nichts anderes geht es als um das nackte Existenzminimum für Kinder, wenn wir uns den bisherigen Familienlastenausgleich von Kindergeld, Kindergeldzuschlag und Kinderfreibetrag anschauen. Das gilt auch für die neuen Vorschläge.
Wenn wir aber schon auf der minimalen Stufe Familienleistungsausgleich betreiben, dann kann mir niemand klarmachen, warum diese Förderung nicht für alle Kinder gleich sein soll, ja gleich sein muß.
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Das Bundesverfassungsgericht hätte 1990 mit seinem Urteil nicht im Traum an Nachhilfestunden, Klavierstunden oder ähnliches, was wir für die Kinder sonst noch machen müssen, zu denken gewagt. Wir reden hier über die allernotwendigsten Ausgaben für Essen, für Kleidung, für Wohnung, und die sind für alle Kinder gleich.
Daß auch der neue Ansatz von 200 DM Kindergeld zu niedrig ist, wird nicht nur von den Familienverbänden kritisiert, sondern auch von Teilen Ihrer Fraktion. Deshalb ist unser SPD-Modell, das gleichmäßiges Kindergeld von 250 DM für das erste, zweite und dritte Kind und 350 DM ab dem vierten Kind vorsieht, das einzige, das sowohl die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts als auch die Grundbedingungen sozialer Gerechtigkeit erfüllt. Die Finanzierung haben wir wiederholt dargestellt.
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Das Ehegatten-Splitting ist für mich keine heilige Kuh. Es ist einfach nicht einzusehen, daß z. B. Leute wie ich ohne Kinder durch Kappung - ausdrücklich: Kappung! - des Ehegatten-Splittings nicht zur Finanzierung des Familienleistungsausgleichs herangezogen werden können. Es ist also durchaus noch Luft da, um Familien besser fördern zu können.
Erstens könnte durch den Wegfall des Kinderfreibetrages ohne weiteres das Kindergeld jetzt schon etwas angehoben werden, so daß alle Familien ein einheitliches Kindergeld für ihr Kind erhalten könnten. Freibeträge haben es ja an sich, oft diejenigen zu fördern, deren Förderung es weniger bedarf. Zweitens könnten zudem zusätzliche Mittel durch die Kappung des Ehegatten-Splittings aufgebracht werden.
In Ihrem Vorschlag fehlt es an wirklichem, tatsächlichem Mut, neue Wege zu gehen, Unangenehmes anzupacken, um Familien besser fördern zu können.
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Ihre Vorlage schweigt sich auch darüber aus, wann sich die Familien für welche Lösung - Kindergeld oder Freibetrag - zu entscheiden haben oder ob sie gar die Entscheidung zu ihrem Vorteil revidieren können. Mit der Wahlmöglichkeit zwischen Kindergeld und Kinderfreibetrag setzt die Bundesregierung voraus, daß jede Familie selbst zu wissen hat, was für sie besser ist, das Kindergeld oder der Kinderfreibetrag. Die Transparenz fehlt in Ihrem Vorschlag ganz.
Gleichwohl ist Ihr neuer Vorschlag ein Schritt in die richtige Richtung und spricht für Ihre Lernfähigkeit - warum auch nicht?
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Unser Trommelfeuer konnte Ihren Ohren ja auch kaum länger verborgen bleiben. Seien Sie mutiger, meine Damen und Herren von der Koalition, und bleiben Sie nicht auf halbem Wege stehen! Der richtige Weg ist ein einheitliches höheres Kindergeld für jedes Kind, das vom Finanzamt ausgezahlt werden kann. Das ist dann eine wirkliche eklatante Steuervereinfachung - für die Beamten, für die Arbeitgeber und für die Familien.
Frau Kollegin, Sie müssen aber wirklich zum Schluß kommen.
Das wäre echt schlanker Staat. Die Familien werden Ihnen für jede Mark mehr danken.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Friedrich Merz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 6 Milliarden DM mehr für die Familien, das ist die Botschaft dieser Entscheidung der Koalition, insgesamt für 14 Millionen Kinder in Deutschland 42 Milliarden DM Kindergeld. Kein Land auf dieser Welt kann mehr bieten, kein Land stellt die Kinder besser als wir in Deutschland.
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Meine Damen und Herren von der Opposition: Jede Familie, egal mit welcher Kinderzahl, stellt sich so besser als vorher und als gegenwärtig mit der komplizierten Regelung von Kindergeld, Kindergeldzuschlag und Kinderfreibetrag.
Ich will Ihnen, Frau Westrich und Frau Kollegin Matthäus-Maier, die Zahlen dazu vortragen. 4 800 DM Kindergeld im Jahr für eine Familie mit zwei Kindern ist unser Vorschlag. Heute: Eine Familie mit einem Jahresbruttoeinkommen von 15 000 DM, also einem sehr niedrigen Einkommen, hat eine Entlastung von knapp 4 000 DM - bestehend aus Kinderfreibeträgen, Kindergeld und Kindergeldzuschlag.
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- Ich komme auch zu allen anderen Zahlen, Herr Kollege.
Alle Familien stellen sich besser. Ein Facharbeiter, 65 000 DM Jahreseinkommen brutto, bekommt durch Kinderfreibetrag, Kindergeld und Kindergeldzuschlag heute 3 654 DM, in Zukunft 4 800 DM. Das ist für den Großteil unserer Familien in Deutschland eine exemplarische Zahl: 1 146 DM mehr durch den Vorschlag der Koalition, meine Damen und Herren.
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So könnten wir die Beispiele beliebig fortsetzen. Die Botschaft lautet: Alle Familien in Deutschland werden durch diesen Vorschlag der Koalition begünstigt.
Lassen Sie mich ein Wort zu der Aufteilung zwischen Kindergeld für das erste und zweite und Kindergeld ab dem dritten Kind sagen. Es ist ehrenhaft, daß wir lange um die Frage gerungen haben, ob wir bereits dem ersten Kind ein höheres Kindergeld zukommen lassen sollen.
Dies ist keine Frage der politischen Zockerei, sondern dies ist ehrenhaft, weil wir uns lange um die Frage kümmern mußten, Frau Matthäus-Maier: Wo können wir mit begrenzten Mitteln am meisten für die Familie tun?
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Unsere Erkenntnis lautet: Für viele Familien ist es nicht die Entscheidung, ob sie ein Kind, zwei Kinder, drei Kinder oder vier Kinder haben wollen, sondern für viele Familien in Deutschland lautet die Frage: Wollen wir ein Kind oder kein Kind?
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Deswegen ist es richtig, daß wir einen erheblichen Beitrag für das erste Kind in den Familien leisten.
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Es ist aber auch richtig, daß wir für das dritte Kind einen erheblich höheren Beitrag leisten. Die Familienministerin hat darauf hingewiesen, daß dies richtig ist.
Lassen Sie mich zum Schluß zwei Bedingungen sagen, die, Frau Matthäus-Maier, sozusagen die Geschäftsgrundlage für diesen Vorschlag sind: Es muß dabei bleiben, daß ein Wahlsystem beibehalten wird, daß diejenigen, die für den Steuerfreibetrag optieren wollen, dies auch können.
Zweitens - und dies ist die Aufforderung an die SPD - : Es muß dabei bleiben, daß diese Leistung für die kinderreichen Familien von Bund, Ländern und Gemeinden gleichermaßen finanziert wird.
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Die Ernsthaftigkeit Ihrer Forderungen, ein noch höheres Kindergeld auszuzahlen, können Sie dadurch unter Beweis stellen, daß die SPD-geführten Bundesländer bei diesem Modell ihre Zustimmung erteilen
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und es nicht allein dem Bund überlassen, einen erheblichen Teil des Kindergeldes für die Familien zu zahlen, die die Option Kindergeld wählen.
Meine Damen und Herren, hier steht der Bund gemeinsam mit den Ländern in der Verantwortung, und an dieser Frage wird sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren herausstellen, wie ernsthaft die Forderung der SPD ist, den Familien in Deutschland ein höheres Einkommen zukommen zu lassen.
Herzlichen Dank.
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Ich erteile das Wort der Abgeordneten Hildegard Wester.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich weniger mit den Zahlenspielereien beschäftigen, als vielmehr eine Wortspielerei machen.
Was uns derzeit nämlich von den Regierungsparteien vorgelegt wird, ist angeblich der Versuch, den Familienlastenausgleich zu einem Familienleistungsausgleich weiterzuentwickeln. Dieses Vorhaben setzt aber voraus, daß wir es zum jetzigen Zeitpunkt schon mit einem tatsächlichen Familienlastenausgleich zu tun haben.
Familienlastenausgleich heißt hier nicht mehr und nicht weniger, als daß die Familien das Existenzminimum ihres Kindes steuerfrei behalten. Dies ist keineswegs eine Förderung der Familie, sondern ist allenfalls die Herstellung steuerlicher Gerechtigkeit.
({0})
Das Bundesverfassungsgericht stellte nämlich bereits 1990 fest - ich muß leider noch einmal zitieren; es wurde eben beklagt, daß das Gericht so oft zitiert werden muß -, „daß der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen muß, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird" und „daß bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben muß".
Ich stelle also fest: Weder ist es eine familienpolitische Großtat der Koalition, den Kompromißvorschlag jetzt vorzulegen, denn die Vorgabe des Verfassungsgerichts ist sehr eindeutig und zudem auch noch sehr betagt, noch ist er das, als was er verkauft werden soll, nämlich ein Familienleistungsausgleich. Er ist nicht mehr als der zaghafte Versuch - in Anlehnung an das SPD-Modell, nur leider nicht so konsequent und folgerichtig -, steuerliche Gerechtigkeit für Familien herzustellen.
Wenn man sich die Zahlen etwas genauer ansieht, stellt man fest, daß es tatsächlich nur ein Versuch ist. 6 312 DM galten schon für das Jahr 1991 als Existenzminimum für Kinder. Für heute, also für 1994/ 95, hat der wissenschaftliche Beirat für Familienfragen schon eine Summe von 7 200 DM ermittelt. Sie wurde eben von Herrn Geißler bestätigt. In der Vereinbarung sind 6 264 DM ausgewiesen, also ein Fehlbetrag von ca. 1 000 DM jährlich.
Entsprechend ist die Zahl von 200 DM für das Kindergeld zu gering. 250 DM, wie unser Vorschlag lautet, müßten es schon sein, wenn sie, wie das Verfassungsgericht es vorgibt, das Ergebnis der Steuerfreistellung des Existenzminimums sein sollen. Warum sind Sie so halbherzig? Ist es denn tatsächlich so, daß die Vorgabe von Herrn Waigel, daß der ganze Spaß nicht mehr als 6 Milliarden DM kosten darf, für Sie wichtiger ist als die Herstellung steuerlicher Gerechtigkeit für Familien?
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Immerhin ist es tröstlich, daß angekündigt wird, den von den Koalitionsfraktionen so bezeichneten Familienleistungsausgleich in den Folgejahren unter Berücksichtigung der Veränderung des Kinderexistenzminimums weiterzuentwickeln. Das ist auch eine zwingende Notwendigkeit und hat, wie ich schon eingangs erwähnte, noch nichts mit einem tatsächlichen Familienleistungsausgleich zu tun. Die getroffene Regelung berücksichtigt und honoriert noch nicht einmal im Ansatz das, was sie vorgibt, nämlich die Leistungen der Familien für die Gesellschaft, indem sie Kinder erzieht.
„Zukunft des Humanvermögens" hat die Bundesregierung ihren Fünften Familienbericht genannt. Damit hat sie sich schon im Titel dazu bekannt, daß Kinder zu haben und zu erziehen keine reine Privatangelegenheit ist, sondern daß dies eine gesellschaftliche Leistung ist, auf die wir und spätere Generationen existentiell angewiesen sind. Die ökonomischen Lasten, die durch die Versorgung und Erziehung von Kindern entstehen, von den reinen Unterhaltskosten bis hin zu Einnahmeeinbußen durch teilweise oder völlige Berufsaufgabe und Verzicht auf eine eigenständige, tatsächliche Altersabsicherung, werden derzeit noch nicht einmal im Ansatz ersetzt. Nein, im Gegenteil, sie sind noch immer nicht im Bewußtsein der Bevölkerung und erst recht nicht der Regierung verankert; denn noch immer spricht Frau Nolte z. B.
davon, daß es bei dem, was uns heute vorgelegt wird, um eine Förderung der Familie handelt. Ich habe gerade dargestellt, daß es bestenfalls um eine steuerliche Gerechtigkeit geht.
Kindergeld und Steuerfreibetrag werden von den meisten Menschen als Förderung der Familie betrachtet. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, deutlich zu machen, daß dieser Zustand bei weitem noch nicht erreicht ist. Selbst wenn man alle staatlichen Leistungen an den durchschnittlichen Versorgungs-und Betreuungsaufwendungen für Kinder betrachtet, stellt man fest, daß diese nicht mehr als 10 % ausmachen; denn hier muß der Tatsache Rechnung getragen werden, daß Familien selbst am Aufkommen der Einkommen-, Lohn- und Umsatzsteuer beteiligt sind.
Noch ein Wort zu der angeblichen Wahlfreiheit, die im Modell der Koalition enthalten ist und über die schon mehrfach gesprochen wurde. Es liegt doch völlig klar auf der Hand, daß diese Maßnahme nur deswegen eingeführt wurde, um den 10 %, die die Steuerkomponente wählen werden, ihre Vorteile zu erhalten, die sie bei jeder Form der Steuerlösung haben werden.
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Außerdem darf nicht darüber hinweggesehen werden, daß die Entlastung durch das Kindergeld als Auszahlungsbetrag bei zunehmender Kinderzahl abnimmt. Auch das wurde eben von meiner Kollegin Westrich noch einmal sehr eindeutig dargestellt.
Familien müssen also in Zukunft sehr genau prüfen, welche Lösung für sie die bessere ist. Dazu werden viele einen Steuerberater aufsuchen müssen. Wo also auf der einen Seite durch die Finanzamtslösung bürokratischer Aufwand weggenommen wird, wird auf der anderen Seite neuer produziert.
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Warum gibt es keine klaren Lösungen, die dazu führen, daß tatsächlich jedes Kind dem Staat gleich viel wert ist? Ein Existenzminimum ist ein Existenzminimum, egal für welches Kind. Wir werden unsere Bemühungen, dieses Ziel und darüber hinaus die Anerkennung der Leistung von Familien zu erreichen, fortsetzen.
Ich danke Ihnen.
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Ich erteile der Kollegin Renate Diemers das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, es immer wieder verdrängen oder vergessen machen wollen: Unverwechselbares Merkmal unserer Familienpolitik ist, daß wir Rahmenbedingungen geschaffen haben, die die Familien fördern und stärken. Das sind Rahmenbedingungen, die zu Zeiten der SPD-Regierung utopisch schienen.
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Wir werden diese Rahmenbedingungen kontinuierlich ausbauen. Dazu gehört der Familienlastenausgleich, den wir weiter verbessern und durch einen Familienleistungsausgleich neu gestalten.
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Dieser Familienleistungsausgleich ist so angelegt, daß er, wie es Bundeskanzler Helmut Kohl bereits 1991 in seiner Regierungserklärung formuliert hat, „Familien um so stärker fördert, je niedriger ihr Einkommen und je höher die Kinderzahl ist".
Unter Berücksichtigung der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai und 12. Juni 1990 werden wir mit unserem Familienleistungsausgleich bewirken: erstens die steuerliche Freistellung des Existenzminimums von Kindern, zweitens die Förderung der Familie um so mehr, je geringer das Einkommen und je größer die Kinderzahl ist, und drittens den Abbau wirtschaftlicher Benachteiligung von Eltern mit Kindern im Vergleich zu Kinderlosen.
Diese Zielsetzung wird mit unseren Vorstellungen im Rahmen des Familienleistungsausgleichs erreicht. Wir wollen, daß jede Familie frei entscheiden kann, ob sie das deutlich erhöhte Kindergeld oder den steuerlichen Freibetrag, der das volle Existenzminimum abdeckt, in Anspruch nehmen will. Deshalb, meine Damen, meine Herren, halten wir auch beim Familienleistungsausgleich am dualen System fest.
({2})
Mit der neuen Familienförderung wollen wir mehr Transparenz und gleichzeitig steuerliche Vereinfachungen durch einen einheitlichen Einkommensbegriff schaffen.
Beide Wege der Familienförderung - Freistellung des Existenzminimums für Kinder und Kindergeld - sollen über die Finanzämter erfolgen. Dabei werden wir eine unveränderte Lastenverteilung zwischen den Gebietskörperschaften beim Familienleistungsausgleich sicherstellen.
Unsere Weiterentwicklung des Familienlastenausgleichs durch einen Familienleistungsausgleich bedeutet - ich sage das noch einmal im Klartext - Freistellung des Existenzminimums von jetzt 4 104 DM auf 6 264 DM pro Jahr. Das Kindergeld für das erste und zweite Kind wird auf 200 DM monatlich angehoben, für die weiteren Kinder erfolgt eine Erhöhung auf 300 DM pro Monat.
Ich stelle fest: Mit der Freistellung des Kinderexistenzminimums in einem Schritt erfüllen wir nicht nur präzise die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts. Vielmehr verbessern wir damit deutlich die finanziellen Leistungen für rund zehn Millionen Familien. Damit ist sichergestellt, daß künftig keine Mutter und kein Vater mehr Sozialhilfe beantragen muß, um den Lebensunterhalt für die Kinder zu decken.
Mit den genannten Eckdaten des Familienleistungsausgleichs lösen wir unsere Zusage ein, deutliche Verbesserungen für die Familienförderung bei einer stärkeren Orientierung des Kindergeldes am Einkommen und gemessen an der Kinderzahl zu schaffen.
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Mit dieser Umgestaltung, die nach unserer festen Überzeugung am 1. Januar 1996 wirksam werden muß, werden die Familien mit einem Finanzvolumen von 6 Milliarden DM entlastet. Dabei steht für uns außer Frage, daß der Familienleistungsausgleich in den Folgejahren unter Berücksichtigung der Dynamisierung des Kinderexistenzminimums einer ständigen Weiterentwicklung unterliegt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin davon überzeugt: Unser Familienleistungsausgleich, der die Förderung von Familien mit geringem Einkommen und entsprechend der Kinderzahl gewährleistet, wird nicht nur von uns, er wird von den Familien und der Bevölkerung als richtig und gerecht empfunden.
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Ich erteile das Wort dem Staatssekretär Faltlhauser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Reaktionen der Opposition gestern, die Ausführungen heute und die Gesamtstimmung bestätigen eigentlich eines: Die Opposition ist über den Vorschlag der Koalition erschrocken, etwas geschockt. Wir haben sie - wie man etwas salopp sagen kann - kalt erwischt.
({0})
Wir haben eine gute Einigung zustande gebracht, die erstens verfassungskonform ist, zweitens steuersystematisch und logisch sauber ist und die obendrein noch den Rahmen von 6 Milliarden DM einhält. Das hätten Sie nicht gedacht; das ärgert Sie.
({1})
Meine Damen und Herren, es gibt im Haushalt ein generelles Moratorium. Trotz hoher Anforderungen gibt es im Jahre 1995 einen Anstieg des Haushalts von nur 0,9 %. Das hat etwas damit zu tun, daß alle Währungen dieser Welt gegenwärtig in das stabile Land Deutschland fließen, daß die D-Mark Zufluchtswährung wird. Das ist ein Erfolg dieser Regierung und ihrer Stabilitätspolitik.
({2})
Trotz dieser Stabilitätspolitik und der soliden Haushaltspolitik haben wir gesagt: Ein Bereich muß ausgenommen bleiben, die Familie. Angesichts der haushaltspolitischen Vorgaben stellen die 6 Milliarden DM ohne Gegenfinanzierung ein außergewöhnlich positives Signal dar.
Frau Matthäus-Maier fragt: Können Sie mir erklären, wie Sie in Ihren Berechnungen auf die 6 Milliarden DM kommen?
({3})
Frau Matthäus-Maier, wir rechnen so: Nach unserem bisherigen System geben wir 36,5 Milliarden DM aus. Das neue System kostet 42,5 Milliarden DM. Die Differenz beträgt 6 Milliarden DM. Ich nenne Ihnen auch gleich die Rechnungsgrundlagen, so daß Sie nicht falsch nachrechnen, sondern ausnahmsweise einmal richtig. Wir sind davon ausgegangen, daß von 16 Millionen sogenannten steuerlichen Kindern - es klingt schlecht; aber es heißt so - 2,2 Millionen ohne Kindergeldanspruch sind und 1 Million für den Kinderfreibetrag optieren. Dadurch kommen wir ziemlich genau auf diese 6 Milliarden DM.
Jetzt sagt Frau Wester: Sie betreiben hier Zahlenspielereien. Ich glaube, die Leute interessieren die Zahlen, und weiter die Frage, was sie am Ende des Monats bekommen und was sie am Ende des Jahres haben. Auf der Basis unseres Modells sehen diese Zahlen außergewöhnlich gut aus. Ich glaube, wir sollten die Zahlenspielereien weitertreiben.
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2 700 DM - Frau Kollegin; konzentrieren Sie sich einmal auf das Zuhören und nicht auf das Dazwischenschreien - im Monat bei drei Kindern ergibt unter Berücksichtigung der weiteren Möglichkeiten dieses Vorschlags 225 DM und über den Tarif, der im Jahressteuergesetz steht, zusätzlich noch 51 DM. Das sind dann für diese Familie pro Monat 276 DM mehr.
({5})
Oder nehmen wir den Fall des klassischen Durchschnittsverdieners, der ein Einkommen von 4 500 DM und zwei Kinder hat und in der Steuerklasse II ist. Er kriegt insgesamt 164 DM im Monat mehr; das sind im Jahr rund 2 000 DM mehr. Ich glaube, das ist wirklich eine wesentliche Verbesserung.
({6})
Jetzt sagen Sie, Frau Matthäus-Maier, lässig: Welchen Mut haben Sie eigentlich? Sie können nicht rechnen. - Ich sage Ihnen: Sie rechnen falsch, und zwar wissend.
({7})
Sie haben mich schon einmal in der Fragestunde
darum gebeten, daß ich Ihnen vorrechnen soll,
warum Ihre 250 DM nicht verfassungskonform sind.
Da habe ich Ihnen gesagt: Ich schicke Ihnen die detaillierten Berechnungsgrundlagen. Das habe ich mit Schreiben vom 24. Februar gemacht. Darin habe ich Ihnen dargelegt, daß es einfach verfassungsrechtlich notwendig ist, eine typisierende Betrachtung bei den Steuersätzen und bei der Umrechnung von Kindergeld in Kinderfreibetrag vorzunehmen, daß dabei aber zwei Bedingungen zu erfüllen sind: Erstens. Es darf nur eine relativ kleine Zahl von Steuerpflichtigen, die auf Grund ihrer Einkommenshöhe mit einem höheren Steuersatz als dem angenommenen belastet werden, benachteiligt werden. Zweitens. Diese Steuerpflichtigen dürfen nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts nicht zu hoch benachteiligt werden.
Ich habe Ihnen vorgerechnet, daß auf Basis dieser Vorgaben für die Umrechnung eines einheitlichen Kindergeldes, wie Sie es vorschlagen, ein Steuersatz von mindestens - das ist meine persönliche Einschätzung - 51 % notwendig ist. Vor dem Hintergrund dieser unwiderlegten und, wie ich meine, unwiderlegbaren Vorgabe sind Ihre 250 DM zuwenig und deshalb verfassungswidrig.
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Sie stellen sich hierher und sagen, unser Vorschlag wäre nicht ausreichend. Ihr Vorschlag ist falsch; das ist der Punkt.
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Diese Koalition hat einen Vorschlag vorgelegt, der verfassungskonform ist, der haushaltsmäßig und steuersystematisch richtig ist. Sie stehen mit einem eigentlich zerbrochenen Krug eines Vorschlags da, der nicht ausreicht. Ich glaube, das ist eine ziemlich schwache Position. Die Bürger draußen merken das mittlerweile.
Gemäß unserem Vorschlag - Frau Kollegin Wester, Sie sind darauf eingegangen - besteht folgende Situation: Derjenige, der 200 DM Kindergeld für das erste Kind bekommt, ist damit bis zu einem Steuersatz von 38,3 % gewissermaßen verfassungsgemäß bedient. Dies ist logisch, weil sein Einkommen mit seinem individuellen Steuersatz bemessen wird. Diejenigen, deren Einkommen mit einem Steuersatz belastet wird, der über diesen 38,3 % liegt, haben die Möglichkeit, den Freibetrag zu wählen. Dieser Freibetrag ist von dieser Regierung in einem Bericht, der Ihnen schriftlich vorliegt, übereinstimmend mit 6 288 DM vorgegeben.
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Manchmal gibt es leichte DM-Änderungen; das hat etwas mit dem Teilungsfaktor 12 zu tun.
Das heißt, wir haben hier einen Vorschlag vorliegen, der im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen wesentlich sauberer ist.
Lassen Sie mich aber noch eines zum Schluß sagen, liebe Kollegen von der SPD: Sie brauchen für die Realisierung dieses Vorschlags draußen, in der
Administration, die sogenannte Finanzamtslösung, wie uns Herr Kollege Poß wiederholt vorgetragen hat. Auch Ihr Vorschlag, also der nichtverfassungskonforme,
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braucht diese Finanzamtslösung. Herr Scharping sagt: Ich will das; das muß durchgesetzt werden! Bis jetzt haben wir von den SPD-Finanzministern immer Signale bekommen, daß sie das nicht wollen, daß es ihnen zuviel ist.
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Wir, diese Bundesregierung, der Bundesfinanzminister und die Familienministerin Nolte, schreiben morgen die Finanzminister der Länder ausführlich an. Wir schreiben Ihnen, wie es ist, und stellen Ihnen auf der Basis dieses Systems präzise Fragen. Dann sagt uns bitte, ob ihr es macht oder nicht.
Ich kann nur sagen: Sie von der SPD haben es in der Hand, daß dieses System von den Ländern umgesetzt wird, weil Sie die Mehrzahl der Finanzminister stellen.
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Sie sind aufgefordert, mit Ihren Kollegen draußen in den Ländern zu reden und zu sagen: Setzt das Finanzamtssystem durch! Blockiert nicht, damit es den Familien und Kindern zugute kommen kann. Sie sind dran, meine Damen und Herren!
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Ich erteile nun der Kollegin Nicolette Kressl das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Und sie bewegen sich doch - dieses leicht abgewandelte Zitat von Galileo Galilei fiel mir spontan ein, als die Eckwerte der Koalition zum Familienlastenausgleich bekannt wurden.
Erleichtert, nicht erschrocken, Herr Faltlhauser, kann man feststellen, daß es hier eine politische Bewegung der Koalition gegeben hat, eine Bewegung in die Richtung, die die SPD mit ihrem Antrag auf einen gerechten, unbürokratischen und verfassungsgemäßen Familienleistungsausgleich vorgeschlagen hat.
({0})
Man geht davon aus, daß Galileo Galilei diese Worte nach der Folter gesagt haben soll. Natürlich gehe ich in diesem Fall nicht von Folter aus. Offensichtlich aber waren die politischen Argumente der SPD ganz wirkungsvoll.
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Zweifellos ist es eine Bewegung in die richtige Richtung, daß eine gleiche Entlastung von 200 DM angeboten wird, was wahrscheinlich für 90 % der Eltern günstiger als der Freibetrag sein wird. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten fordern diese gleiche Entlastung für alle Familien. Aber die Bewegung ist eben nur ein kleiner Halbkreis, wenn Sie bei den ungerechten Freibeträgen bleiben, die ja bekanntermaßen Spitzenverdiener mit mehr Geld fördern.
Es ist eine Bewegung in die richtige Richtung, daß eine Finanzamtslösung gesucht wird. Als ich hier übrigens am 19. Januar für die SPD-Fraktion die Finanzamtslösung vorgestellt habe, habe ich aus den vorderen Reihen höhnische Bemerkungen gehört, und nun findet sich genau diese Finanzamtslösung in Ihren Eckwerten.
({2})
Aber auch hier ist doch die Bewegung in die richtige Richtung wieder nur ein kleiner Kreis statt eines großen Schrittes. Ein wirklich unbürokratischer Weg wäre auch hier gefunden worden, wenn Sie nicht bei einem Zweiklassensystem von Freibeträgen für hohe Einkommen und Kindergeld für alle anderen stekkengeblieben wären und nicht auch noch die Entscheidung für eines von beiden den Steuerzahlerinnen und -zahlern aufgebürdet hätten.
Es ist eine Bewegung in die richtige Richtung, daß Familien mit niedrigem Einkommen stärker entlastet werden, ebenfalls eine der sozialdemokratischen Forderungen seit langem. Aber auch hier wieder nur Halbherzigkeit. Statt 250 DM Kindergeld für jedes Kind, wie von der SPD vorgeschlagen, gibt es nur 200 DM. Das ist unzureichend. Dazu kann ich auch Ihren Kollegen Herrn Fell zitieren, der z. B. gesagt hat: Für das zweite Kind erhält man heute ein Kindergeld von 130 DM und einen Kindergeldzuschlag bzw. eine Mindestentlastung von 65 DM, also 195 DM. Das sind 5 DM weniger als Ihre vorgeschlagenen 200 DM. Das gleiche können Sie übrigens auch in der „Süddeutschen Zeitung" bei Herrn Hennemann nachlesen.
Es ist, wie gesagt, die richtige Richtung, eine gleiche Entlastung vorzuschlagen. Aber Ihr Existenzminimum ist zu niedrig. Auch dazu hat sich Herr Fell entsprechend geäußert. Ganz abgesehen davon arbeiten Sie mit Ihrem Betrag des Existenzminimums im besten Fall für den heutigen Tag, aber bestimmt nicht für den 1. Januar 1996, an dem diese Regelung in Kraft treten soll. Sagen Sie bitte nicht, es gäbe keine Möglichkeiten, den Familien mehr - im wahren Sinne des Wortes - gerecht zu werden. Im SPD-Antrag werden konkrete und realistische Finanzierungsvorschläge gemacht.
Aber bleiben wir doch einmal beim 1. Januar 1996. Dann soll, und zwar nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes, die neue Regelung in Kraft treten. Da müssen Sie sich dann noch viel mehr bewegen. In das Jahressteuerpaket - so hört man - soll die Regelung nicht aufgenommen werden.
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Konkrete Gesetzesvorschläge liegen auch noch nicht auf dem Tisch. Da kann sich niemand des Eindrucks erwehren, daß es ja nicht zu schnell gehen soll; eher soll ein wenig verzögert werden. Da soll noch mit den Ländern geredet werden; da muß noch überprüft werden. Ich frage Sie: Warum haben Sie bei der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nicht mit den Ländern und den Kommunen ausführlich geredet?
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Es werden hier keine Schwarzen Peter zu Lasten der Familien hin- und hergeschoben.
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Daß es jetzt aber endlich schnell geht, das erwarten die Menschen, und das fordern wir von der Regierung ein. Setzen Sie Ihre Eckwerte schnell um! Machen Sie schnell detaillierte Vorschläge! Wenn Sie dann noch ein paar Ungerechtigkeiten ausmerzen, können wir im Interesse der Familien gemeinsam den ersten großen Bogen schlagen. Dann ist eines sicher: Wenn die Richtung stimmt, wenn auch die Wege stimmen, bewegt sich die SPD mit.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile nun dem Kollegen Johannes Singhammer das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist erfreulich, wenn sich alle hier im Bundestag versammelten Parteien gemeinsam um das Wohl der Familie und ihre finanzielle Situation Sorgen machen. CDU und CSU haben sich aber nicht nur Sorgen gemacht, sondern haben Ankündigungen vor der Wahl rasch in ein Konzept umgesetzt. Dieses Konzept bietet der Familie als Lebensform mit Zukunft wieder eine finanziell feste Basis.
({0})
Auf dem jetzt gefundenen Fundament des Familienlastenausgleiches kann planvoll weitergebaut werden, um vor allem Familien mit mehr Kindern von den Randbereichen unserer Leistungsgesellschaft wegzubringen. Weitere Bausteine sind: Erleichterungen für den Erwerb von Wohnungseigen-turn für Familien mit Kindern, Anerkennung von Familienarbeit in der Rentenversicherung und Verbesserungen beim Erziehungsgeld. Das alles ist auch notwendig. Wenn die Geburtenentwicklung ein Indikator für die Befindlichkeit der Familien in Deutschland ist, dann kann es uns eben nicht gleichgültig sein, wenn die Geburtenzahlen wie z. B. im vergangenen Jahr um 3,7 % zurückgehen.
Was die Familien in den nächsten Jahren brauchen, ist eine konzertierte Aktion aller Gutwilligen in Bund, Ländern und Kommunen. Nur wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen, kann eine nachhaltige Veränderung erreicht werden.
({1})
In diesem Zusammenhang muß es auch erlaubt sein, zu fragen, was dort, wo die SPD oder die GRÜNEN die Möglichkeit haben, selbst federführend Familienpolitik zu gestalten, getan worden ist - Taten statt Worte.
Ich betrachte einmal München, meine Heimatstadt, die ein besonders schwieriges Pflaster für Familien ist - ich rede da nicht von ungefähr, denn als Vater von sechs Kindern weiß ich, wovon ich spreche -: Seit 1990 hat eine rot-grüne Stadtregierung das Sagen, und seither geschah folgendes: Gestrichen wurde das Sonderförderprogramm für mehr als 7 000 Familien im Wohnungsbau; gestrichen wurde das kommunale Wohngeld für mehr als 5 100 Familien; abgeschafft wurde die Umzugskostenbeihilfe für rund 3 100 Familien; gekürzt und gekappt wurde selbst der Fahrdienst für Familien mit behinderten Kindern.
Es macht keinen Sinn, wenn auf Bundesebene bei den Familienleistungen zugelegt wird und in der größten deutschen Kommune im wiedervereinigten Deutschland mit der Abrißbirne gegen freiwillige Familienleistungen vorgegangen wird.
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Neben allem finanzpolitischem Engagement ist es genauso wichtig, die traditionelle Familie als Leitbild nicht ständig zu demontieren und ein Zerrbild zu zeichnen: Als würden unter deutschen Dächern Kinder pausenlos mißhandelt, Ehepartner sich permanent gegenseitig mit dem Scheidungsanwalt drohen, und als würde nur darauf gewartet, daß Großeltern in Heime abgeschoben werden können - wie eine Münchener Zeitung vor kurzem sinngemäß zitiert hat.
Ein Umdenken in der Bewertung der Familie ist auch bei denjenigen im Deutschen Bundestag notwendig, die in dieser Debatte den Begriff „Familie" zwar oft verwenden, aber bei der entscheidenden Beratung diesen Begriff nicht über die Lippen bekommen. Den GRÜNEN ist es in der zurückliegenden Legislaturperiode bei der Vorlage ihres Verfassungsentwurfs zu Art. 6 des Grundgesetzes - trotz ausführlicher sechs Absätze mit 35 Zeilen - konsequent gelungen, den Begriff „Familie" nicht ein einziges Mal zu erwähnen. Statt dessen ist dort viel von Lebensformen und Lebensgemeinschaften, welcher Art auch immer, die Rede.
Aber eines ist auch klar: Wer die herausragende Stellung der Familie, wie sie in Art. 6 des Grundgesetzes festgeschrieben ist, nivelliert, abträgt, wer sie mit anderen Lebensformen gleichstellt, verbessert nicht die Fördermöglichkeiten für Familien, sondern verringert sie.
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Was die Familien in Deutschland von der Politik erwarten, sind die richtigen Worte und gute Taten. Das Koalitionskonzept ist eine gute Tat. Wir sollten es ums etz en.
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Herr Kollege Singhammer, bei einem Vater von sechs Kindern ist es etwas gewagt, von einer Jungfernrede zu sprechen.
({0})
Aber da es die erste Rede ist, die Sie in diesem Haus gehalten haben, möchte ich Ihnen im Namen des Hauses herzlich gratulieren.
({1})
Ich erteile nun der Kollegin Lisa Seuster das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin seit 1987 im Bundestag und seitdem auch im Familienausschuß. Wir haben in jedem Jahr den Familienlastenausgleich mindestens einmal im Ausschuß und auch mindestens einmal im Plenum des Deutschen Bundestages heftig diskutiert.
Die SPD-Fraktion hat immer ihr Modell, das einheitliche Kindergeld, als ihren Favoriten dargestellt und deutlich gemacht, daß es gerecht und eben auch verfassungskonform ist. Wir haben im Laufe dieser Jahre lediglich den Betrag geändert. Wir waren ursprünglich einmal bei 200 DM, und wir sagen jetzt: Es müssen mindestens 250 DM sein, um den Familien gerecht zu werden.
Wer diese Diskussion in den vielen Jahren verfolgt hat, weiß, daß Sie immer behauptet haben, unser Modell sei nicht verfassungskonform. Und das haben Sie heute schon wieder getan. Diese Regierung hat jahrelang gegen das Modell gewettert.
Anläßlich des 50. Geburtstages von Frau Rönsch hat der heutige Bundespräsident - damals noch Verfassungsgerichtsprâsident - eine Rede zum Familienleistungsausgleich gehalten. Sicherlich war das Geburtstagskind der Hoffnung, er würde unser Modell als verfassungswidrig darstellen. Ganz im Gegenteil, er hat dieser Regierung ganz deutlich gesagt, daß die niedrigen Leistungen für die Familien nicht verfassungskonform seien und die Regierung aufgefordert sei, endlich etwas zu tun, damit die Familien gerecht behandelt werden.
({0})
Er hat auch sehr deutlich gesagt, daß dieser Ausgleich durchaus durch Steuerfreibeträge plus Kindergeld geleistet werden könne. Er hat aber auch sehr deutlich gesagt, daß man dies nur durch ein Kindergeld abdecken könne, daß das System egal sei, die Höhe müsse stimmen. Das ist der Punkt.
Selbst diese Worte von Roman Herzog haben bei der Koalition keinen Wandel ihrer Modellvorstellung gebracht. Noch vor wenigen Wochen ist in der Debatte über den Familienleistungsausgleich wiederum
gesagt worden - und zwar von Herrn Dr. Fell, der ja gleichzeitig Präsident des Familienbundes der Deutschen Katholiken ist -, daß unser Modell ungerecht, nicht verfassungskonform und irreführend sei.
Heute sagt er auch wieder, das Modell, das die Koalition diesmal ist es die Koalition - vorgelegt habe, sei nicht verfassungskonform, weil der Betrag zu niedrig sei. Diesmal muß ich Herrn Dr. Fell zustimmen.
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Wenn ich sehe, daß beim zweiten Kind lediglich 5 DM mehr an Leistung erfolgen und bedenke, daß Sie unser Modell immer kritisiert haben, ist es klar, daß Sie jetzt Ihrer Argumentation auch treu bleiben.
Wenn die von der Koalition geplante Lösung mit der Wahlmöglichkeit zwischen Kindergeld und Steuerfreibetrag zwar auch nicht völlig unserem Modell entspricht, aber ihm in der Umsetzung zumindest nahekommt - in Ihren eigenen Reihen war zu hören, daß etwa 90 % der Betroffenen sich für das Kindergeld entscheiden werden, also 10 % für die Wahlmöglichkeit des Freibetrags -, so bedeutet das, daß Sie zu 90 % auf unseren Vorschlag eingegangen sind. Jetzt fehlen noch die 10 %, und die könnten Sie auch noch bringen.
({2})
Heute begrüßt Frau Rönsch, daß dieser Kompromiß geschlossen worden ist, den sie jahrelang durch ihr starres Festhalten am dualen System „Kinderfreibetrag - Kindergeld" bekämpft und verhindert hat.
Um es noch einmal zu sagen: Diese Lösung hat Macken. Wir sind damit nicht einverstanden. Spitzenverdiener erhalten wieder deutlich mehr, auch wenn es jetzt nur noch 10 % sind. Sie erhalten 77 DM mehr als die Familien mit dem geringen Einkommen.
({3})
- Ja, sie erhalten mehr Entlastung für ihre Kinder. Genau das ist es, was wir als ungerecht empfinden, und dagegen wehren wir uns.
Gehen Sie also den letzten Schritt auf uns zu! Gehen Sie auf die 250 DM zu!
Wenn Herr Geißler mit seinem Zwischenruf: „Wie hoch ist das Existenzminimum bei Ihnen?" Nebelkerzen werfen will, muß ich sagen: Herr Geißler, eines ist ganz sicher, 250 DM sind mehr als 200 DM. Das können wir mit Sicherheit sagen.
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Damit sollten Sie sich nicht über die Macken hinwegretten können. 250 ist vielleicht auch noch wenig, aber mehr als 200.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden das in den Ausschüssen noch beraten. Ich hoffe, daß wir uns über die 10 % dann auch noch werden einigen können.
({5})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans Michelbach.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als stolzer Vater von drei Töchtern
({0})
freue ich mich, daß wir heute die Möglichkeit haben, über die Förderung von Familien mit Kindern zu diskutieren. Ich freue mich ebenfalls darüber, daß sich mittlerweile auch die SPD und selbst die GRÜNEN des Themas Familienförderung annehmen, wenn auch halbherzig, sehr spät und leider oft nur zu Wahlkampfzwecken.
Dagegen war und ist die Familienförderung für die Union eine politische und gesellschaftliche Kernaufgabe. Politik für die Familie hat für uns stets allererste Priorität.
({1})
Als Partei, die sich des Wertes von Ehe und Familie stets bewußt war und ist und die dem Schutz von Familie und Ehe seit jeher Vorrang einräumt, haben wir unsere langjährige Regierungsverantwortung genutzt und wichtige familienpolitische Errungenschaften auf den Weg gebracht. So war es die Union und niemand anders, die den Familien das Erziehungsgeld, den Erziehungsurlaub und die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung gebracht hat.
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Seit Dienstagnachmittag aber freue ich mich vor allem über eins: Unsere intensive Meinungsbildung in der Koalition zum Familienleistungsausgleich hat zu einem transparenten, gerechten und vor allem finanzierbaren Ergebnis geführt.
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Wir haben ein gutes Konzept erreicht; eine Lösung für eine klare, steuergerechte und soziale Familienförderung ist gefunden. Unser Modell ist ein wirklicher Gewinn für die Familien.
Dagegen ist der SPD-Vorschlag verfassungswidrig. Die GRÜNEN wollen natürlich die Auflösung des Ehegatten-Splittings,
({4})
weil sie die Familien eher schwächen wollen. Aber das Ehegatten-Splitting impliziert gerade die steuerliche Anerkennung der Familienarbeit, und das ist uns wichtig.
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Mit dem Familienleistungsausgleich ist es uns jetzt gelungen, zwei Vorgaben gleichzeitig zu erfüllen: Zum einen bleibt der finanzielle Aufwand innerhalb der vorgegebenen 6-Milliarden-DM-Grenze, und zum anderen entspricht der Freibetrag in etwa dem Existenzminimum eines Kindes und gewährleiHans Michelbach
stet somit seine vom Bundesverfassungsgericht gebotene steuerliche Freistellung nach dem Leistungsprinzip sowie vertikale und horizontale Gerechtigkeit. Unser Vorschlag ist deshalb der einzige verfassungskonforme, der gleichzeitig die Situation der Familien im Bereich der niedrigen Einkommen klar und deutlich verbessert.
Sie müssen immer in allen Einkommensbereichen Ehepaare mit Kindern besserstellen als kinderlose Paare. Warum wollen Sie von der SPD das nicht begreifen? Mit Steuergerechtigkeit hat der SPD-Vorschlag nichts zu tun. Dazu kommen die Neidargumente - sie sind ja bekannt - gegen höhere Einkommen. Aber was soll das? Der Staat nimmt den Beziehern der höheren Einkommen nur weniger weg; er gibt ihnen nichts. Das sollten Sie einmal klar und deutlich sehen.
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Unsere Pläne entlasten die Familie, stärken ihre finanzielle Leistungsfähigkeit und werden der obersten Maxime der Familien- und Steuerpolitik der Union gerecht, die da lautet: Ehepaare mit Kindern und Alleinerziehende müssen steuerlich besser dastehen als kinderlose Steuerzahler. Im übrigen wurde die Berücksichtigung der „kindesbedingten Minderung der Leistungsfähigkeit" im Steuerrecht stets auch vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich verlangt.
Unser Förderansatz wird die Familien um 6 Milliarden DM zusätzlich entlasten. Insgesamt werden so über 42 Milliarden DM für deren finanzielle Unterstützung zur Verfügung stehen, was eine Steigerung von immerhin 16 % bedeutet. Wenn das keine Steigerung für die Familienförderung ist!
Sie können natürlich viel mehr fordern. Warum fordern Sie eigentlich nicht gleich 1 000 DM?
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Unsolide, Frau Matthäus-Maier, und populistische Forderungen der SPD sind in diesem Zusammenhang - das haben auch unsere Leute draußen begriffen - zwar publikumswirksame Wahlfangköder, schweben aber im realitätsfernen Raum. Das sollte man deutlich sehen. Ihre Vorschläge dienen nicht wirklich dem Wohl der Familien, weil sie nicht durchsetzbar sind. Sie sind eher ein verzweifelter Versuch, über plakative Versprechungen unzufriedene Wähler hinter sich zu scharen.
({8})
Ich meine, daß wir einen guten Weg gehen, wenn wir der Stabilität den absoluten Vorrang vor politischen Wunschvorstellungen geben. Wir halten außer direkten Familienfördermaßnahmen eben auch die Stabilität der Finanzen und eine niedrige Inflationsrate für die besten sozialen Leistungen für unsere Bürger. Deshalb sollten wir sowohl bei den Steuervergünstigungen als auch beim Kindergeld diese Lösung schaffen. Lassen Sie es uns gemeinsam tun!
({9})
Ich möchte nur vorsorglich den neuen Kolleginnen und Kollegen sagen, daß unsere Geschäftsordnung nicht vorschreibt, daß man bei seiner ersten Rede die Zahl seiner Kinder angibt.
({0})
Herr Kollege, es ist Ihre erste Rede gewesen, und ich möchte Ihnen dazu im Namen des Hauses ebenfalls herzlich gratulieren.
({1})
Ich erteile dem Kollegen Dr. Karl Fell das Wort nach § 30 der Geschäftsordnung. - Sie haben zwei Minuten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von Frau Kollegin Westrich, ihr folgend in einem Zwischenruf von Herrn Kollegen Poß und dann auch noch einmal von den Kolleginnen Kressl und Seuster bin ich gewissermaßen zum Kronzeugen ihrer Kritik an dem Modellvorschlag der Koalition aufgerufen worden. Dagegen verwahre ich mich, und das möchte ich klarstellen.
Erstens. Wer genau gelesen hat, weiß, daß mein Vorwurf mangelnder Verfassungskonformität gegenüber dem Koalitionsvorschlag sich darauf beschränkte, daß beim Existenzminimum für ein Kind 6 264 DM und nicht 7 200 DM zugrunde gelegt worden sind. Das ist der Vorwurf der nicht ausreichenden Verfassungskonformität.
({0})
Zweitens habe ich immer deutlich gesagt - insoweit ist Ihnen meine Position bekannt -, daß ich für eine Entlastung, für die Gewährleistung der Steuergerechtigkeit und für eine Förderung nach der Bedarfsgerechtigkeit im dualen System unverändert bin.
Drittens. Wenn mein Vorwurf der Nichtverfassungskonformität aus Ihrer Sicht gegenüber dem Vorschlag der Koalition berechtigt ist, dann ist er es erst recht gegenüber Ihrem Vorschlag;
({1})
- Frau Matthäus-Maier, Sie müßten es wirklich besser wissen - denn mit Ihrem einheitlichen Kindergeld wären Sie erst und nur dann verfassungskonform, wenn es die Höhe von mindestens 53 % des Existenzminimums für Kinder erreichen würde.
({2})
Der Koalitionsvorschlag erreicht mit dem Wahlrecht diese Verfassungskonformität sehr wohl, weil er für die Bezieher höherer Einkommen durch die Wahl des Freibetrages die Steuerentlastung sicherstellt, und bei allen Einkommensbeziehern, bei denen der Grenzsteuersatz niedriger als 38,2 % ist, ist diese Freistellungsquote in dem Kindergeld von 200 DM enthalten.
Herr Dr. Fell, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie müssen sich hier auf eine persönliche Erklärung beschränken.
Viertens. Frau Kollegin Kressl, der Freibetrag bedeutet keine ungerechte Förderung, sondern lediglich die Beseitigung einer von der Verfassung nicht gerechtfertigten Besteuerung.
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Der Tagesordnungspunkt 8 ist abgesetzt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9a und 9 b auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 7 zu Petitionen
({1})
- Drucksache 13/332 -
b) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 8 zu Petitionen
({3})
- Drucksache 13/333 Zur Sammelübersicht 7 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zur Sammelübersicht 8 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Frederick Schulze.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In ihrer Eingabe vom 2. Februar 1994 fordert die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschisten, eine Überprüfung der Praxis deutscher Waffenexporte mit dem Ziel, solche Exporte grundsätzlich zu unterbinden. Dem Schreiben des Vorsitzenden dieser Vereinigung, Herrn Lorenz Knorr - ich komme auf ihn später zurück -, läßt sich unschwer entnehmen, daß er der Auffassung ist, daß die Bundesregierung und die sie stützenden Fraktionen keinerlei Interesse an einer Verschärfung der Bedingungen und Kontrollen für den Rüstungsexport haben. Es wird unterstellt, daß die Bundesregierung aus wirtschaftlichen Gründen sogar daran interessiert sei, diese Bestimmungen zu lockern.
In einer sachgleichen Eingabe wird die Forderung aufgestellt, Hermes-Bürgschaften für Rüstungsexporte deutscher Unternehmen gesetzlich zu verbieten.
Was ist nun von solchen Darstellungen und Vorschlägen zu halten? Grundsätzlich herrscht sicherlich Übereinstimmung in diesem Hohen Haus, daß Rüstungsexporte ein sensibles Thema darstellen. Da brauche ich gar nicht erst die gern zitierte deutsche Vergangenheit zu bemühen. Auch ohne diese kann es sich eine demokratische, den Prinzipien von Frieden und Freiheit verpflichtete Gesellschaft wie die unsrige nicht leisten, sich durch hemmungslosen und unkontrollierten Waffenexport hervorzutun. Von daher ist jedem Hinweis nach Verstößen gegen die geltenden Gesetze und jeder Kritik an der Unzulänglichkeit dieser Gesetze nachzugehen.
Herr Kollege, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen?
Selbstverständlich.
Meine verehrten Kollegen, ich bitte, die Gespräche nach draußen zu verlegen, wenn Sie dem Redner nicht zuhören wollen.
Aber, meine Damen und Herren, moralisch fragwürdig ist auch die Instrumentalisierung des Themas Rüstungsexport aus ideologischen Gründen, z. B. um die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen in das Licht von hemmungslosen Rüstungsexporteuren zu stellen.
Die Eingabe der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes ist von ihrem Bundessprecher, Herrn Lorenz Knorr, verfaßt worden. Besagter Herr Lorenz Knorr hat sich auch als Verfasser einer bei Pahl-Rugenstein, einem von einer gewissen Partei dieses Hauses gesponserten Verlag, herausgegebenen „Geschichte der Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland" einen Namen gemacht. Dort erfährt man Wissenswertes über den politischen Standpunkt des Petenten. So kommentiert er den Regierungswechsel der Jahre 1982/83 - übrigens ein hervorragender Glücksfall für Deutschland - folgendermaßen - ich zitiere:
Mit der CDU/CSU waren und sind jene Kräfte wieder an die Regierungsmacht gelangt, die mit der Gründung der BRD den neuen Staat mit US-Hilfe auf die alte militärobrigkeitsstaatliche Tradition festlegten.
({0})
- Ich komme gleich darauf zurück. - Wie bereits gesagt: Das Thema Rüstungsexport ist immer eine offene Diskussion wert. Daß allerdings Herr Knorr und seine Gesinnungsgenossen nur vordergründig an
diesem Thema interessiert sind, braucht nicht bezweifelt zu werden.
Da seine Petition nur eine von mehreren sachgleichen Anfragen war, werde ich im folgenden versuchen, mit einer Schilderung der Exportpraxis und Exportkontrolle bei Rüstungsgütern die Haltung der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen zu erläutern.
Diese führte den Petitionsausschuß im Januar dieses Jahres übrigens dazu, sich den in den Petitionen gestellten Forderungen nicht anzuschließen, vielmehr die Petitionsverfahren abzuschließen. Die Koalition plant keine Aufweichung der bewährten und strengen Rüstungsexportrichtlinien aus dem Jahre 1982, die insbesondere für Nicht-NATO-Staaten restriktive Bestimmungen vorsehen. Die liberaleren Exportpraktiken anderer Länder werden keineswegs von der Bundesregierung angestrebt. Vielmehr ist es das erklärte Ziel unserer Politik, eine Harmonisierung der Rüstungsexportpolitik innerhalb der Europäischen Union unter Zugrundelegung der strengen deutschen Maßstäbe zu erreichen. Unsere Maßstäbe gelten weltweit als die absolut strengsten.
({1})
In den vergangenen Jahren hat die Bundesregierung das deutsche Exportkontrollsystem den aktuellen Gegebenheiten angepaßt. Dabei gilt es auch, die Strukturen im Bereich des illegalen Technologietransfers zu bekämpfen. Initiativ gewesen ist die Bundesregierung auch bei der Schaffung eines UN-Waffenregisters. Dies sollte auch bekannt sein. In Brüssel wird zur Zeit eine Gemeinschaftsregelung für die Ausfuhrkontrolle von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck erarbeitet. Das Inkrafttreten dieser Verordnung macht einige Anpassungen in der deutschen Außenwirtschaftsverordnung notwendig. Die geplante EU-Verordnung sieht umfassende Ausfuhrkontrollen für Dual-use-Güter vor, die alle potentiellen Interessenten mit gleicher Strenge behandeln. Es muß auch das Ziel der Bundesregierung sein, daß wir unsere sehr stringenten Forderungen im EU-Rahmen weiter durchsetzen. Daran arbeiten wir, und ich bin guter Hoffnung, daß wir dieses Ziel erreichen werden.
Ich bitte daher, das Petitionsverfahren abzuschließen, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat der Kollege Gernot Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es geht um eine Petition, in der Einspruch erhoben wird gegen ein von der Bundesregierung genehmigtes Rüstungsexportgeschäft mit Indonesien. Der Kaufvertrag stammt vom 24. November 1992. Es geht um 39 Kriegsschiffe, die rechtlich am 4. Januar 1993 an die indonesische Regierung übergeben wurden, aber danach noch in Werften des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern teilentmilitarisiert und fahrfertig gemacht wurden. Der Kaufpreis ist nie bekanntgegeben worden.
Die Liste der Kriegsschiffe, mit denen sich diese Petition beschäftigt, umfaßt 16 Küstenschutzschiffe der PARCHIM-Klasse, 12 Landungsboote Frosch I, 2 Gefechtsversorger Frosch II und 9 Minensuch- und -räumboote der Kondor-II-Klasse.
Die Schiffe wurden dadurch teilentmilitarisiert, daß Waffenleitanlagen ausgebaut wurden und Raketen- und Artilleriebewaffnung entnommen wurde. Aber es ist noch eine erhebliche militärische Bewaffnung geblieben, u. a. Fliegerabwehrbewaffnung, UBoot-Abwehrbewaffnung, Anlagen für elektronische Kampfführung - das ist alles draufgeblieben, Herr Kollege -, ferner Minenabwehrbewaffnung, irrtümlich sogar Fliegerfaustabschußgeräte, die abgebaut werden sollten, und Buglandeklappen.
Man kann also nicht sagen, daß diese Schiffe in Ausflugsschiffe umgewandelt worden sind, sondern sie sind Kriegsschiffe geblieben. Der offizielle Vertragszweck ist Küstenschutz, Seewegsicherung, Bekämpfung von Piraterie und Schmuggel und dabei besonders Drogenhandel.
Technisch verwundert es natürlich ein bißchen, daß man für diese Zwecke u. a. zwölf Landungsboote braucht. Jeder weiß, daß das Entscheidende nicht die Bewaffnung eines Schiffes ist, sondern die Panzerung, die es zu einem kriegstauglichen Gerät macht.
Seitdem dieser Vertrag bekannt ist, ist er in der ganzen bundesdeutschen Öffentlichkeit umstritten, und er hat auch mehrfach den Bundestag beschäftigt. Der Grund liegt in dem Vertragspartner, nämlich der Art des Regimes in Indonesien. Es ist ein Regime, das West-Papua widerrechtlich besetzt hält, das seit 1975 Ost-Timor widerrechtlich annektiert hat und das den Widerstand, der dort dagegen geleistet wurde, rücksichtslos unterdrückt hat. Es gab 300 000 Tote in West-Papua und 200 000 Tote - das ist ein Drittel der dortigen Bevölkerung - in Ost-Timor.
Alles, was wir aus diesem Land hören, läßt die Kette eines kompletten Registers von Menschenrechtsverletzungen und Völkerrechtsverletzungen, von Terrorakten, von Massakern, von sogenannten extralegalen Hinrichtungen, Verschleppungen, Verschwindenlassen und Unterdrückung von öffentlicher Meinung erkennen.
Nun hat die Bundesregierung immer versichert, daß sie genau geprüft habe, ob die nationalen Vorschriften eingehalten worden sind, also das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Außenwirtschaftsgesetz und die bekannten politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 28. April 1982.
({0})
Wir wissen alle, daß diese Vorschriften verlangen, daß, wenn es sich um Waffenlieferungen handelt, um Verträge über den Export von Rüstungsgütern außerhalb der NATO, diese nur ausnahmsweise zulässig sind, nämlich dann, wenn - das ist jetzt ein wörtliches Zitat - „vitale außenpolitische und sicherheitsGernot Erler
politische Interessen der Bundesregierung" dafür sprechen. In mehreren Antworten auf parlamentarische Anfragen hat die Bundesregierung immer wieder behauptet, daß diese „vitalen Interessen" vorhanden seien. Sie hat es aber nicht einmal für nötig gehalten, das auch tatsächlich zu begründen.
({1})
Und doch hat auch die Bundesregierung bei dieser Angelegenheit kalte Füße bekommen. Im November 1991 hat sie die Verhandlungen mit Blick auf die Menschenrechtssituation in Indonesien vorübergehend unterbrochen, hat sie aber „nach erneuter Prüfung" , wie sie gesagt hat, 1992 wieder aufgenommen.
In Wirklichkeit hat sich aber die Menschenrechtssituation in dieser Phase keineswegs verbessert. Das kann man leicht an den internationalen Entschließungen und Resolutionen ablesen, etwa der UN-Menschenrechtskommission, die im März 1993 - interessanterweise sogar auf Mitinitiative der Bundesregierung - eine Verurteilung dieser Menschenrechtsverletzungen in Indonesien ausgesprochen hat. Man kann es ablesen an der Empfehlung des Europarates und des Europaparlamentes, die die Aufforderung enthält, kein Kriegsmaterial nach Indonesien zu verkaufen. Das war im Februar 1993, also zwei Monate nach der rechtlichen Erfüllung des Vertrages. Man kann es auch an einem sehr wichtigen Beschluß der WEU - auch er ist unter Mitwirkung der Bundesrepublik zustande gekommen - ablesen, der am Ende die Aufforderung enthält - ich zitiere -, „ ein unverzügliches Waffenembargo über Indonesien zu verhängen und unverzüglich militärische Abkommen mit Indonesien und Hilfe für Indonesien auszusetzen".
Da das alles Forderungen waren - letztere stammt z. B. vom 17. Juni 1993 -, die zusammen mit unseren westlichen Verbündeten und Freunden, die ja auch in der WEU versammelt sind, formuliert worden sind, bedeutet das, daß sich die Bundesregierung in der Frage dieses Waffengeschäftes ins Abseits gestellt hat, sich völlig isoliert hat. Sie hat sich nicht einmal an die Aufforderung, die sie in diesem Kontext selber initiiert und formuliert hat, gehalten.
Dieselbe Bundesregierung erklärt uns häufig - gerade in diesen Tagen wieder -, daß unter dem Begriff der Harmonisierung der Regelungen mit denen der Mitglieder der EU bei uns möglicherweise liberalere Rüstungsregeln Platz greifen sollen. Offenbar heißt „Harmonisierung" aus der Sicht der Bundesregierung, eine Einbahnstraßenidee zu verwirklichen: Harmonisierung dann, wenn es um größere Liberalisierung der Rüstungsexporte geht, nicht aber dann, wenn man mit den eigenen Bündnispartnern ein Signal gegen ein solches menschenverachtendes Regime setzen wollte.
Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt uns diese Petition eine Chance. Wir alle wissen, daß die Schiffe nicht mehr rückholbar sind; sie sind bereits in der Hand Indonesiens. Da wir erst eindreiviertel Jahre, nachdem die Petition eingebracht wurde, darüber beraten, kann man in der Praxis nichts mehr machen. Aber wir haben die große Chance, den zweiten großen Schatten, der auch auf die Verwertung des enormen Waffenerbes der DDR, nämlich der NVA, gefallen ist, zu korrigieren. Der eine Schatten besteht darin, daß die gewaltige Armeeausrüstung mitten hinein in den kurdisch-türkischen Bürgerkrieg geliefert worden ist, der andere Schatten in diese Lieferung von 39 Kriegsschiffen.
Es ist wahrscheinlich kein Zufall, daß die Antragsteller aus Dresden und aus Halle kommen, daß gerade sie sich mit dieser Petition an den Deutschen Bundestag gewandt haben. Wir haben die Chance, ein Zeichen zu setzen, nämlich heute anders zu entscheiden: so wie uns das die UN-Menschenrechtskommission empfiehlt, wie es das Europaparlament empfiehlt, wie es der Europarat empfiehlt und wie es die WEU beschlossen hat. Wir müssen die erschütternden Berichte der Menschenrechtsorganisationen, von Amnesty International und von anderen NGOs ernst nehmen und uns auf die Seite der bedrängten und bedrohten Menschen - in der Region West-Papua, in Aceh, in Osttimor - in diesem Lande schlagen, wo sie nach wie vor Terror, Verfolgung und Vernichtung ausgesetzt sind.
Gerade wegen dieses Vertrages haben wir als Bundesrepublik eine besondere Verpflichtung zur Beobachtung und Einwirkung auf das nach wie vor menschenverachtende Regime in Indonesien. Das alles können wir zum Ausdruck bringen, indem wir ein solches Zeichen setzen und praktisch ein Stück weit einen Fehler korrigieren, der uns insgesamt belastet.
In diesem Kontext, wohl wissend, daß in der Sache nichts mehr zu machen ist, empfehle ich, dem Anliegen der Petenten aus Dresden und Halle zu entsprechen und dem Änderungsantrag, den die SPD-Fraktion gestellt hat, zuzustimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Meine verehrten Kollegen, ich möchte Sie noch einmal bitten, die Gesprächsrunde nach draußen zu verlegen; sonst werde ich die Sitzung unterbrechen.
Ich erteile nun das Wort der Abgeordneten Angelika Beer.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei dieser Debatte geht es um zwei Petitionen. Die zweite enthält die Aufforderung an die Bundesregierung, gesetzgeberische Maßnahmen zur Verbesserung der Rüstungskontrolle im Hinblick auf mögliche Menschenrechtsverletzungen vorzunehmen. Es ergibt sich von selber, daß diese Petition mit der Petition zu Indonesien zusammengezogen worden ist.
In diesem Zusammenhang halte ich es für notwendig, noch einmal darauf hinzuweisen, daß Deutschland zu den führenden Rüstungsexporteuren der Welt gehört. Nach Angaben des Stockholmer FrieAngelika Beer
densforschungsinstituts SIPRI und des UN-Waffenregisters belegte Deutschland 1992 den dritten und nach dem Zerfall der früheren Sowjetunion den zweiten Platz im Bereich der weltweiten Rüstungsexporte. Diese Waffen kamen und kommen auch heute noch in vielen Konflikten zum Einsatz. Ich nenne nur einige: Nicaragua, Afghanistan, den Nahen Osten, den indischen Subkontinent. Wie sich während des ersten Golfkrieges zeigte - in der heutigen Fragestunde ist das durch die Bundesregierung noch einmal bestätigt worden -, wurden deutsche Waffen sogar an die Kriegsgegner geliefert, nämlich sowohl an den Iran als auch an den Irak. Das heißt, daß Menschenrechtsverletzungen immer noch in Kauf genommen und befördert werden, wenn es um wirtschaftlichen Profit und die Vertretung deutscher Interessen geht.
Viele Bürgerinnen des Landes, die den friedenspolitischen Auftrag des Grundgesetzes weitaus ernster nehmen als die Bundesregierung, sind über die Rüstungsexportpolitik Deutschlands zu Recht empört. Sie fordern im einen Fall konkret die Einstellung der Waffenlieferungen nach Indonesien und im anderen Fall die Verschärfung der Rüstungsexportkontrolle.
Die Koalition allerdings hält es nicht für notwendig, sich mit den Bedenken, die die Petentinnen und Petenten geltend gemacht haben, überhaupt ernsthaft auseinanderzusetzen. Seit Mitte der 80er Jahre ist die militärische Zusammenarbeit mit Indonesien ausgebaut worden. Inzwischen werden dort Hubschrauber der DASA und Kriegsschiffe der LürssenWerft in Lizenz nachgebaut.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Irmer?
Gern, Herr Kollege Irmer.
Vielen Dank. - Ich komme etwas spät, weil ich Mühe hatte, auf mich aufmerksam zu machen.
({0})
Trotzdem möchte ich Sie gern fragen, Frau Kollegin, ob Sie nicht den Unterschied zwischen deutschen Rüstungsexporten, d. h. solchen, die offiziell stattfinden und von der Bundesregierung genehmigt werden, und solchen, die unter Umgehung sämtlicher gesetzlicher Bestimmungen von kriminellen Elementen illegal vorgenommen werden, kennen und ob Sie mir nicht bestätigen wollen, daß wir vor etlichen Jahren, als diese illegalen Exporte bekannt wurden, unser Waffenexportgesetz so verschärft haben, daß es jetzt das schärfste in der Welt überhaupt ist, das von den Gesetzen in keinem anderen Land übertroffen wird.
({1})
Herr Kollege Irmer, bei der Zahl der Länder, in denen sich deutsche Waffen befinden und in die sie trotz der sogenannten restriktiven Rüstungsexportkontrolle der Bundesregierung auch weiterhin geliefert werden, dürften wir heute an führender Stelle sein, wenn zugleich die Frage der Menschenrechtsverletzungen überprüft wird. Ich erinnere an die Fragestunde heute nachmittag, in der es darum ging, ob es NVAWaffen waren, die an den Iran und den Irak gleichzeitig geliefert worden sind, was durch die Bundesregierung bestätigt wurde.
Auf die Frage, ob der Bundesregierung bekannt sei, daß gleichzeitig bundesdeutsche Waffen an zwei Kriegsgegner, die jeweils im eigenen Land nicht nur die Opposition zielstrebig hinrichten und ermorden, sondern sich auch gegenseitig bekämpfen, geliefert wurden und die gleiche Praxis erfolgte, sah sich die Bundesregierung heute leider nicht in der Lage, das zu kommentieren oder gar eine Art des Bedauerns deutlich zu machen.
Gestatten Sie eine Frage des Kollegen Kolb?
Ja.
Bitte schön.
Frau Kollegin, nachdem Sie wiederholt die heutige Fragestunde angesprochen haben: Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß das Bundesministerium für Wirtschaft heute in keiner Weise NVA-Exporte in die betroffenen Regionen bestätigt oder sonstwie eingeräumt hat?
Aber, Herr Kollege, wir haben doch strafrechtliche Verfahren und Urteile gehabt, in denen nachgewiesen wurde, daß, durchaus mit Kenntnis der Bundesregierung - ich gebe zu, da sind durch die Opposition noch einige Lücken zu klären, insbesondere was die Tätigkeit des damaligen BND-Chefs Kinkel betrifft; aber wir sind dabei, auf dieser guten Spur voranzukommen -, westdeutsche Waffen von westdeutschen Lieferanten in die gleichen Krisenregionen geliefert worden sind. Ich verweise auf das Beispiel Türkei, - die Türkei ist ein NATO-Partner -, wo ein Völkerkrieg gegen die kurdische Bevölkerung stattfindet. Auch in diesem Fall herrscht unverständliche Blindheit. Gerade gestern hat der Haushaltsausschuß 150 Millionen DM für Kriegsschiffe, für Fregatten, für eine Armee freigegeben, die im eigenen Land die Opposition zielstrebig vernichtet. Ich glaube, daß das als Beispiel reicht, um die Bedeutung der, wie man so schön sagt, restriktiven Exportpraxis der Bundesregierung deutlich zu machen.
({0})
Verehrte Damen und Herren, wir sagen gar nicht, daß diese nicht vollständig demilitarisierten Kriegsschiffe in Ost-Timor eingesetzt werden. Aber ich bitte
diejenigen, die sich im Menschenrechtsbereich engagieren, einmal auf ihr Faxgerät zu sehen. Vor einer Stunde kam von Amnesty International eine neue „urgent action" mit der Bitte, sich für 30 verhaftete Oppositionelle in Indonesien einzusetzen, weil man befürchtet, daß sie der schwersten Folter unterliegen. Das ist der eigentliche Kern der Politik, die wir kritisieren und um die es in dieser Petition geht. Der Bundesregierung scheint es egal zu sein, ob die Opposition in Indonesien gefoltert oder ermordet wird, ob die Zeitungen, die über diesen skandalösen Waffendeal berichtet haben, hinterher verboten worden sind oder Protestdemonstrationen wie damals in China auf dem „Platz des Himmlischen Friedens" blutig niedergeschlagen worden sind. Das ist die Blindheit einer Außenwirtschaftspolitik, die hier zur Debatte steht. Es ist eigentlich traurig, daß Sie sie hier noch verteidigen.
({1})
Ich möchte bei diesem Punkt auf das Auswärtige Amt hinweisen, das sich auch mit dieser Petition beschäftigt hat. Es hat bestätigt, daß im Falle der Exporte nach Indonesien „vitale - d. h. außen- und sicherheitspolitische - Interessen der Bundesrepublik" für die Lieferung der Waffen sprechen würden. Weiterhin hat Herr Regierungssprecher Vogel gesagt, in Rüstungsexportfragen sei man bemüht, Indonesien einem NATO-Staat gleichzustellen.
({2})
Das ist doch eine Blindheit und eine massive Unterstützung von Menschenrechtsverletzungen des Regimes in Indonesien. Wir sind nicht bereit, das hinzunehmen.
({3})
Ich möchte - die Zeit ist zu Ende - zum Abschluß appellieren, beiden Anträgen, sowohl dem Änderungsantrag der SPD als auch dem des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, zuzustimmen. Wir dürfen in dieser wichtigen Frage, die in der aktuellen Debatte nur ein Land, ansonsten aber unzählige mehr betrifft, nicht zulassen, daß die Bundesregierung die ernsthaften Bedenken der Menschen aus der Bevölkerung, die sich an die Regierung wenden, ignoriert. Diese Frage sollte im Parlament und in der Bundesregierung beraten werden, damit wir tatsächlich zu einer effektiven Politik kommen. Das bedeutet für uns, daß langfristig Rüstungsexporte an diese Regime generell eingestellt werden.
Danke schön.
({4})
Herr Kollege Günther Nolting, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das Hauptaugenmerk auf die Petition legen, die sich mit der Lieferung von Schiffen aus Beständen der ehemaligen NVA nach Indonesien beschäftigt. Sie alle wissen, daß die Bundesregierung in mehreren Stellungnahmen eindeutig geäußert hat, daß die Menschenrechtssituation in Indonesien nach wie vor unbefriedigend ist und daß sie weiterhin auf allen Ebenen darauf hinwirken wird, Verbesserungen herbeizuführen.
({0})
Dennoch, meine Damen und Herren, hat sie im vorliegenden Fall auf der Basis einer gründlichen Einzelfallprüfung der Lieferung von unbewaffneten - Herr Kollege Erler, ich betone hier ausdrücklich: von unbewaffneten - Küstenschutzschiffen aus den immensen Beständen der ehemaligen NVA zugestimmt. Ich will dazu folgende Bemerkungen machen.
Erstens. Die Bundesregierung hat in ihrem AsienKonzept festgeschrieben, daß sie den Dialog mit den asiatisch-pazifischen Staaten vertiefen will. Das heißt, Gespräche und Gesprächsbereitschaft sind die Grundlage dafür, auch unsere Vorstellungen von Menschenrechten transportieren zu können.
Zweitens. Als besondere Problembereiche deutschen Interesses - Herr Kollege, Sie sind darauf eingegangen - im Hinblick auf diese Region bezeichnet das Asien-Konzept die Sicherheit der pazifischen Seewege, den Schutz vor Terrorismus und Piraterie und die Eindämmung des Drogenhandels. Beim Kampf gegen das internationale Verbrechen muß also notwendigerweise und richtigerweise auch mit den Staaten Asiens kooperiert werden, und ich denke, dem stimmen Sie auch zu.
Zu Ihrer Information: Die Schwerpunkte internationaler Piraterie liegen in indonesischen Gewässern. Dort hat es zwischen 1991 und 1993 jährlich über 100 registrierte Akte der Piraterie gegeben, wobei wahrscheinlich die Dunkelziffer noch bedeutend höher liegen wird.
Drittens. Ich komme auf einen Punkt, den Sie angesprochen haben. Die an Indonesien überlassenen Schiffe sind laut Vertragsvereinbarungen im demilitarisierten Zustand übergeben worden,
({1})
das heißt, die Waffenleitanlagen sowie die Raketen und die Artilleriebewaffnung sind entfernt worden. Das heißt darüber hinaus, Herr Kollege, daß die Boote aufgrund ihres von mir genannten Ausrüstungsstandes nur zum Küstenschutz, zur Seewegsicherung und zur Bekämpfung der Piraterie und des Schmuggels, besonders des Drogenhandels, eingesetzt werden können.
Es geht also nicht um Waffen, wie Sie hier vorgetragen haben, und Sie haben ja den WEU-Beschluß ausdrücklich erwähnt, sondern es geht um Schiffe für den Küstenschutz - wie von mir aufgezeigt.
({2})
Viertens. Im konkreten Fall kann auch kein Zusammenhang zu Menschenrechtsfragen hergestellt werden, denn eine Bedrohung von Menschenrechtsgruppen, Dissidenten oder der Opposition geht nicht von Schiffen und Booten aus, die in internationalen Gewässern zur Verbrechensbekämpfung eingesetzt werden.
({3})
Meine Damen und Herren, aus diesen Gründen ist die getroffene Einzelfallentscheidung der Bundesregierung berechtigt. Die F.D.P. ist daher dafür, das Petitionsverfahren abzuschließen. Ich verweise hier auch auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der SPD
Herr Kollege Nolting - Günther Friedrich Nolting ({0}): - einen Moment, bitte - zu dieser Thematik vom 28. Dezember 1993, Drucksache 12/6512. Herr Kollege Erler, Sie hätten dies noch einmal nachlesen sollen; ich denke, dann hätten Sie diese falschen Behauptungen hier nicht wiederholt.
Herr Kollege Nolting, die Kollegin Beer möchte gern eine Zwischenfrage stellen. Inzwischen hat sich auch der Kollege Erler erhoben, um eine Zwischenfrage zu stellen.
Sind Sie bereit, beide Zwischenfragen zu beantworten?
Ja, ich bin bereit, beide Zwischenfragen zu beantworten.
Ich bitte meine Bemerkung eben zu entschuldigen.
Die Uhr steht schon. - Bitte, Frau Beer.
Herr Kollege Nolting, ist Ihnen bekannt, daß die neuwertigen Minenräum- und -suchschiffe Kondor II nicht, wie vom Bundessicherheitsrat verlangt, vollständig demilitarisiert waren, sondern daß die funktionstüchtigen Abschußrampen mitgeliefert worden sind, d. h. daß die Schiffe nicht, wie Sie hier behaupten, demilitarisiert, sondern nur teildemilitarisiert waren?
Ist Ihnen weiter bekannt, daß im Bereich gerade der fraglichen Region eine Aufrüstung im Marine- und Luftbereich stattfindet, d. h. mit einer Kriegsschiffausrüstung auch die Militäroption Indonesiens erhöht wird?
Es ist mir bekannt, daß sich an einigen wenigen Schiffen nicht, wie Sie sagen, Abschußrampen befinden, sondern daß es Möglichkeiten zur eingeschränkten Flugabwehr gibt, daß aber darüber hinaus die weiteren Behauptungen, die Sie hier aufstellen, nicht zutreffen.
Herr Kollege Nolting, nachdem Sie mich hier der Falschaussage bezichtigt haben, möchte ich Sie fragen: Haben Sie denn Veranlassung, an der schriftlich vorgelegten Drucksache 12/ 6512, an der Beantwortung durch die Bundesregierung, zu zweifeln? Dort wird nämlich zu der Teildemobilisierung ausgeführt - ich zitiere jetzt nur einmal von einer der Schiffsklassen, der „PARCHIM"Klasse -, daß dort noch vorhanden sind:
Fliegerabwehrbewaffnung, U-Boot-Abwehrbewaffnung, hydroakustische und funktechnische Geräte, Anlagen gegen die elektronische Kampfführung, Anlagen für den magnetischen Eigenschutz, ABC-Schutzeinrichtungen;
So geht das weiter bei den anderen Schiffsklassen. Würden Sie unter dem Eindruck dieser Drucksache, deren Richtigkeit zu bezweifeln ich keinen Anlaß habe, vielleicht Ihre Behauptung, ich hätte hier falsche Aussagen über die Teildemobilisierung gemacht, zurücknehmen?
Herr Kollege, Sie haben in diesem Zusammenhang erwähnt, daß hier gegen die Opposition vorgegangen werden könnte, daß hier die Menschenrechte verletzt werden könnten. Ich stelle die Gegenfrage: Kann mit einer der Einrichtungen in irgendeiner Weise das bezweckt werden, was Sie hier behauptet haben?
({0})
Herr Präsident, ich möchte bitte fortfahren. - Auf Grund des hier Vorgetragenen lehnen wir auch den Änderungsantrag der SPD ab.
Zu den Eingaben, die hier gekommen sind, die die Verbesserung der Rüstungsexportkontrollen fordern, und zum Änderungsantrag vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN will ich mich kurz fassen. Die Bundesrepublik - und ich wiederhole hier das, was der Kollege Irmer in der Frage vorhin schon angedeutet hat - hat nach wie vor die restriktivsten Rüstungsexportkontrollen der Welt.
Frau Kollegin Beer, es nützt überhaupt nichts, wenn Sie hier heute wieder das SIPRI-Märchen aus dem Jahr 1992 mit Deutschland als dem angeblich drittgrößten Rüstungsexporteur der Welt wieder aufwärmen. Diese Fiktion ist durch eine Studie der Stiftung „Wissenschaft und Politik" bereits im letzten Jahr, also 1994, widerlegt worden, die ich Ihnen gerne gleich noch zur Lektüre weitergebe. Aber ich denke, Sie verfahren hier nach dem Motto:
({1})
Ich lasse mir meine Vorurteile nicht kaputtrecherchieren. - Ich übergebe Ihnen gerne gleich diese Studie, und ich hoffe, daß Sie dann zu einem anderen Ergebnis kommen.
({2})
Meine Damen und Herren, die vorhandenen rechtlichen Grundlagen für den Export von Rüstungsgütern sind umfassend und ausreichend. Aus diesem Grunde ist die F.D.P.-Fraktion für den Abschluß des Verfahrens und gegen den Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Eva-Maria Bulling-Schröter.
({0})
So ist es. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist es traurig, daß sich Bürgerinnen und Bürger mit Problemen an den Petitionsausschuß wenden müssen, die unter einer Regierung, die sich christlich, liberal und sozial nennt, gar nicht zur Diskussion stehen dürften.
In den abzustimmenden Petitionen werden gesetzgeberische Maßnahmen zur Verbesserung der Rüstungsexportkontrollen im Hinblick auf mögliche Menschenrechtsverletzungen gefordert und Regelungsvorschläge unterbreitet, so im konkreten Fall der Lieferung von 39 Kriegsschiffen aus Beständen der ehemaligen NVA-Armee nach Indonesien. Wir
meinen, die Anliegen der Petenten sind berechtigt.
({0})
Wenn die Bundesregierung behauptet, sie halte sich an politische Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, die auch dem Problem der Menschenrechtsverletzungen Rechnung tragen, dann frage ich mich: Was sind das für Grundsätze? Nach den tiefgreifenden Veränderungen in den letzten Jahren in vielen Ländern der Erde stellt sich darüber hinaus die Frage, inwieweit diese Grundsätze diesen Veränderungen Rechnung tragen.
Selbst wenn der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium für Wirtschaft in seiner Stellungnahme vom 28. März 1994 zur Petition feststellt, daß die Bundesregierung über eines der weltweit strengsten und wirksamsten Exportkontrollsysteme verfügt, bleibt die Feststellung: Aus Deutschland werden Waffen exportiert. Mit Rüstung „made in Germany" werden Kriege geführt. Das geschieht in wachsendem Maße - z. B. im Krieg Ankaras gegen das kurdische Volk. Im übrigen: Die nächsten 150 Millionen für Fregatten für die Türkei sind genehmigt.
Diese Grundsätze erlauben auch per Ausnahmegenehmigung die Lieferung von Kriegsschiffen nach Indonesien zur Aufrechterhaltung der Militärdiktatur, obwohl selbst die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zugesteht, daß die Einhaltung der Menschenrechte in Indonesien unbefriedigend ist.
Frau Kollegin, ich darf Sie einen Moment unterbrechen. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, die Geräuschkulisse ist sehr groß.
({0})
Eine ganze Reihe von Gesprächen wird an den Rändern geführt. Ich bitte Sie, wenn Sie Gespräche führen wollen: Tun Sie das außerhalb des Saals!
({1})
Bitte, fahren Sie fort.
Begründet werden die Rüstungsexporte mit vitalen, d. h. außen- und sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Die Frage ist: Wessen Interessen werden hier vertreten? Vielleicht die von KraussMaffei, Siemens, Dasa und einiger anderer?
({0})
Mit Hermes-Bürgschaften werden dann die Boten des Todes finanziert. Statt dessen könnten die Gelder für tatsächlich humane Projekte jeglicher Art eingesetzt werden.
Deutschland ist laut Friedensforschungsinstitut SIPRI auf Platz drei der Rüstungsexporteure aufgerückt, ein wahrlich unrühmlicher Rekord; denn damit werden Konflikte in Krisenregionen nicht entspannt, sondern verschärft, werden Völkermord und Unterdrückung unterstützt.
({1})
Die Partei des Demokratischen Sozialismus fordert deshalb: erstens - ({2})
Frau Kollegin, ich fürchte, Sie werden nicht mehr alle aufzählen können. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
({0})
Sie werden das sicher in einer anderen Debatte hören. Kurz und gut: Wir fordern, dem berechtigten Anliegen der Petenten zu entsprechen.
({0}) - Ich bin aus Bayern.
({1})
Herr Kollege Wolfgang Dehnel, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! PetiWolfgang Dehnel
tionsverfahren werden im Ergebnis nicht besser, wenn sie immer neu aufgerollt werden. Es ist wie bei Speisen, die man zu oft aufwärmt: Sie bekommen einen faden Beigeschmack.
({0})
Das betrifft auch die Petitionen zu den Rüstungsexportkontrollen im Hinblick auf mögliche Menschenrechtsverletzungen im allgemeinen - siehe die Sammelübersicht 7 - und zum Export von 39 Schiffen der ehemaligen NVA-Marine nach Indonesien im besonderen - siehe Sammelübersicht 8.
Schon mehrfach hatten der Deutsche Bundestag und seine Fachausschüsse über diese Problematik beraten und die Exportpolitik bei Rüstungsgütern einer parlamentarischen Kontrolle unterzogen. Das Ergebnis war immer eindeutig: Der Bundesregierung kann keine Verletzung der politischen Grundsätze von 1982 für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vorgeworfen werden.
({1})
Es trifft zu, daß es immer wieder Verstöße und ein Unterlaufen der Gesetzgebung von einzelnen Firmen gibt. Doch haben die Bundesregierung und die Justiz die nötigen Konsequenzen walten lassen, um diese Fälle aufzuklären.
Ich bin auf Grund des bisherigen Vorgehens der Bundesregierung sicher, daß einer immer wieder angesprochenen und befürchteten Aufweichung dieser bewährten Richtlinien, die auch dem Problem der Menschenrechtsverletzungen Rechnung tragen, entschieden und rechtzeitig entgegengewirkt wird.
Meine Damen und Herren, angesichts der vielen Krisenherde, Menschenrechtsverletzungen und der Zunahme der internationalen Kriminalität verstehe ich natürlich die Besorgnis der Petenten und auch der Opposition. Aber warum verweigerte diese dann die Zustimmung zum Verbrechensbekämpfungsgesetz und zu dem darin geforderten sogenannten Lauschangriff?
({2})
Wie will man denn den bestens ausgerüsteten kriminellen Einzeltätern und Banden auf die Schliche kommen? Ja, man muß schon in seinen Forderungen und in seinem Handeln konsequent sein.
({3})
Vor dieser Aufgabe sah sich auch die Bundesregierung bei der Eingliederung und Umstrukturierung der NVA der Ex-DDR in die Bundeswehr und NATO gestellt. Was gerade auf diesem Gebiet in kurzer Zeit geleistet wurde, ist doch unbestritten ein herausragendes und historisch einzigartiges Beispiel der Zusammenführung zweier völlig konträrer Systeme.
({4})
In dieser Einschätzung stimmen übrigens die Militärs und Politiker inner- und außerhalb Europas überein.
So sind für mich die Abrüstung von ehemaligen Kriegsschiffen der NVA und der anschließende Export nach Indonesien sowie deren überprüfte und zugesicherte dortige Verwendung ausschließlich für Zwecke des Küstenschutzes und der Seewegsicherung
({5})
sowie zur Bekämpfung des Schmuggels, insbesondere des Drogenschmuggels, sicherheits- und haushaltspolitisch nicht zu beanstanden.
({6})
Man denke daran, daß Indonesien einen Inselstaat mit über 1 000 Inseln darstellt.
Im Gegenteil: Die Verschrottung der sonst unbrauchbaren Schiffe hätte dem Bund erhebliche Kosten aufgebürdet, ganz zu schweigen von Vertragsstrafen, von Konkursen beteiligter Firmen an der Ostseeküste, die erst mit hohen Kosten seitens der Treuhand, des Bundes und der Länder produktionstechnisch umgestellt werden mußten.
Meine Damen und Herren, ich halte die regelmäßige Unterrichtung der Bundesregierung an die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages über Stand und Entwicklung der Ausfuhrgewährleistungen des Bundes für ausreichend. So werden parlamentarische und öffentliche Kontrolle gewährleistet. Gerade für dieses demokratische Grundrecht bin ich schon vor der Wende eingetreten.
({7})
In der DDR wurden ja sogar Waffen exportiert, die mit sogenannten Solidaritätsgeldern, also Spenden der Bevölkerung, finanziert wurden. So war es nicht verwunderlich, daß in vielen Krisengebieten Kalaschnikows, Panzer der T-Serie, MIG-Flugzeuge und anderes Kriegsgerät, meist sowjetischer Bauart und Lizenz, auftauchten. Mit der vor fünf Jahren erkämpften deutschen Einheit und der damit verbundenen Demokratie haben wir nicht nur diesem Unwesen den Garaus gemacht.
({8})
Die Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik in Verbindung mit Menschenrechtsfragen bleibt für mich - gerade bei den sich gegenwärtig vollziehenden Neugliederungen und -formierungen von Staaten und deren gesellschaftlichem Neuaufbau - ein besonders sensibler Bereich, auf den auch sensibel reagiert werden muß.
Aber, meine Damen und Herren, ich vertraue der Bundesregierung und den Kollegen in den entsprechenden Fachausschüssen, ich bin davon überzeugt, daß sie weiterhin in besonderem Maße den neuen politischen Entwicklungen Rechnung tragen, und ich empfehle deshalb, die Petitionsverfahren der Sammelübersichten 7 und 8 abzuschließen.
Danke schön.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
({0})
Wenn Sie, Herr Nolting, die Debatte unterbrechen könnten, dann kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/332, Sammelübersicht 7. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/710 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Wir kommen jetzt zur Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/333, Sammelübersicht 8. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/712 vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
({1})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Elisabeth Altmann ({2}), Helmut Wilhelm ({3}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verkauf ehemals militärisch genutzter Wohnungen durch das Bundesministerium der Finanzen
- Drucksache 13/364 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuß ({4})
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Vielleicht können wir den Auszug derjenigen, die dieser Debatte nicht folgen wollen, etwas beschleunigen und auch etwas ruhiger gestalten. Dann können wir nämlich mit der Tagesordnung fortfahren.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zehn Minuten erhalten soll. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Elisabeth Altmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Abzug der Alliierten wurden und werden im gesamten Bundesgebiet viele Wohnungen und die dazugehörigen ehemalig militärisch genutzten Flächen frei. Bei unserer allgemeinen Wohnungsnot und den überhöhten Mieten könnten wir uns darüber freuen. Hier sind Wohnungen frei; sie könnten sofort als Sozialwohnungen bezogen werden. Das wäre eine längst überfällige Entlastung für den Wohnungsmarkt, eine dringend notwendige Entlastung für die gebeutelten Portemonnaies von Beziehern niedriger und mittlerer Einkommen, von kinderreichen Familien, alleinerziehenden Müttern und Sozialhilfeempfängern und -empfängerinnen.
Zu unserer Erinnerung: Eine Million Menschen in Deutschland verfügen über keine Wohnung oder sind obdachlos. Die Mietbelastung ist für 1,8 Millionen Menschen untragbar geworden. Immer mehr Menschen droht die Zwangsräumung. Es ist allerhöchste Zeit, schnellstens aktiv zu werden.
Frau Kollegin, ich muß Sie einen Moment unterbrechen. - Verehrte Kollegen, die Sie im Mittelgang eine Konferenz abhalten: Tun Sie das bitte außerhalb!
Bitte fahren Sie fort.
Was geschieht jedoch bis heute mit diesen leerstehenden Wohnungen und Freiflächen? Ich will dies exemplarisch an Hand einiger Beispiele aus Bayern aufzeigen.
Erstens Herzogenaurach: Allein in meinem Wahlkreis in Herzogenaurach stehen auf der Herzobase 108 große Wohnungen leer. Als ich im vergangenen Sommer mit dem Fahrrad über die Herzobase fuhr, kam sie mir vor wie eine Geisterstadt. Alles vorhanden: Kindergarten, Schule, Geschäfte, weite Grünflächen - nur menschenleer. Anderenorts gibt es Familien, die auf kleinstem Raum zusammenleben müssen, keine Grünflächen haben - und da liegt es brach.
Zweitens Schwabach: Dort stehen einerseits seit fast drei Jahren 102 große Wohnungen leer; andererseits haben 500 Familien dort Antrag auf Sozialwohnung gestellt.
Des weiteren liegen in Augsburg riesige Flächen an der Prinz-Karl-Kaserne brach; in Kitzingen sind ca. 750 ha zu verplanen - das ist ein Sechstel der Fläche der gesamten Gemeinde -; in Fürth sind es 1 400 Wohnungen.
Im übrigen: Im Großraum Nürnberg haben sich in den letzten fünf Jahren die Mieten um ca. 50 % erhöht. Es herrscht ein riesiger Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Hier hätten die Wohnungen nicht länger als einen Monat leerstehen dürfen.
In Aschaffenburg werden noch 900 Wohnungen von der US-Army mit Beschlag belegt, aber sie werElisabeth Altmann ({0})
den nicht mehr voll genutzt. Würde man jetzt planen, so könnte man die Übergabe vorbildlich vollziehen.
Diese Beispiele gelten nicht nur für Bayern, sondern für das gesamte Bundesgebiet. Die Familie, die hier eben auch von den Unionsparteien so hochgehalten wurde, steht angeblich im Zentrum der Bundespolitik. Ich frage: Wie sieht dann diese Familienpolitik ganz konkret aus? Da geht es doch nicht um menschliche Schicksale. Vielmehr werden zuerst einmal Paragraphen erfüllt; denn laut Bundesgesetz müssen die Wohnungen verkleinert werden, damit sie als Sozialwohnungen vermietet werden können. Wie lange können und wollen Sie sich das leisten?
Der lange Leerstand der Wohnungen verursacht zudem Schäden an der Bausubstanz, verführt zu Vandalismus und belastet wieder die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen. Das ist doch ein sozialer Mißstand.
({1})
Deshalb fordere ich die Regierungsparteien auf, die Wohnungen unverzüglich an die Kommunen zu verkaufen, und zwar zu einem bezahlbaren Preis.
Was aber tut angesichts dieser Situation der Bundesfinanzminister, der eben noch hier saß?
({2})
- Okay.
Um das Schuldenloch zu stopfen, tritt er wie ein Spekulant auf. So läßt er z. B. die Kommune zuerst einen Bebauungsplan erstellen und legt dann bei der Bewertung den stark gestiegenen Grundstückspreis zugrunde. Anschließend gibt er 50 % Rabatt.
({3})
Das kann dann so aussehen: Bei militärischer Nutzung, so z. B. in München, liegt der Wert bei 20 bis 30 DM pro Quadratmeter. Bei Baugrund schnellt der Wert auf 1 500 DM in die Höhe; das ist eine riesige Steigerung. Davon kann der Minister dann 50 % Rabatt geben.
Herr Waigel, als Bayer müßten Sie doch die bayerische Verfassung kennen. Dort heißt es: Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- und Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen. Können Sie sich darüber hinwegsetzen? Können Sie mir erklären, welchen Arbeits- und Kapitalaufwand Sie hier getätigt haben?
Ein Tauziehen ganz spezieller Art entwickelte sich zwischen den Kommunen und dem Minister Waigel. In Erlangen habe ich dieses Hickhack ganz nah erlebt. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft hatte seit Monaten alle Voraussetzungen für eine Übernahme der Siedlung geschaffen. Nichtsdestotrotz wollte der Minister daran vorbei. Der Preis wurde von 20 Millionen DM auf 32 Millionen DM heraufgeschraubt. Dann, bevor wieder ein Nachlaß gegeben wurde, sah es so aus, als sollten die Wohnungen an Spekulanten teuer verkauft werden - nach dem
Motto: Entweder kauft die Stadt zu einem hohen Preis, oder die Wohnungen werden öffentlich ausgeschrieben. Zu diesem Zeitpunkt entstand unser Antrag.
Erst massiver Protest des Stadtrats, des Bürgermeisters, von Bürgern und Bürgerinnen und Abgeordneten aller Parteien konnte diesem Treiben ein Ende bereiten. Letzte Woche ist es dann endlich zu einer Einigung gekommen. Alle betroffenen Kommunen warten nun auf die Bekanntgabe des Ergebnisses - es wird recht spannend gemacht - und erhoffen sich dann eine zügige Übergabe und einen akzeptablen Preis.
Wie war es denn in Neu-Ulm, Herr Waigel? In Ihrem Wahlkreis hat die Übergabe sehr früh zu einem sehr günstigen Preis stattgefunden. 800 DM pro Quadratmeter kosteten da die Wohnungen. Deshalb verstehe ich die Vorgänge in Erlangen nicht. Die Stadt Erlangen hat ebenso wie Neu-Ulm einen Mietspiegel; sie hat wie Neu-Ulm eine Entwicklungssatzung und eine städtische Wohnungsbaugesellschaft. Die Verhandlungen aber gestalteten sich wesentlich schwieriger.
In Bad Tölz z. B. standen die Blocks über zwei Jahre lang leer; dort verhandelte man drei Jahre. Einige Wochen nach einer Aktuellen Stunde im Bayerischen Landtag gab es dann vom Bund einige Millionen DM Preisnachlaß. Welche politischen Zusammenhänge es da mit Ihrem Parteifreund Stoiber gegeben hat, Herr Waigel, kann und will ich hier nicht mehr untersuchen.
Um Licht in dieses Dunkel zu bringen, fordern wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, erstens einen Bericht zu erstellen, wem der Wohnungsbestand nach Abzug der Alliierten zum Kauf angeboten wurde, zweitens mitzuteilen, an wen dann tatsächlich verkauft wurde, und drittens, darüber hinaus zu einem fairen Preis vorrangig an die Kommunen oder ihre Wohnungsbaugesellschaften zu verkaufen.
({4})
Erst dann sind die Kommunen in der Lage, Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Wichtige planerische Vorhaben der Kommunen wie sozialer Wohnungsbau, sinnvolle Ausweisung von Gewerbe-, Freizeit- und Naturschutzflächen dürfen nicht ausgebremst werden, erst recht nicht vom Bundesfinanzministerium. Bezahlbare Wohnungen zu bauen und zur Verfügung zu stellen ist auch eine kommunale Aufgabe.
Ganz folgerichtig hat der Deutsche Städtetag die zögerliche Übergabe der Liegenschaften mit Rückübertragungsansprüchen bemängelt. Diese Liegenschaften wurden den Kommunen, z. B. Schwabach und Gießen, während der NS-Zeit geraubt bzw. vom Bürgermeister „verschenkt", was immer auch das zu der Zeit geheißen hat.
Was tut der Bund? Um noch einmal auf Schwabach zurückzukommen, auf das Kasernengelände. Er treibt den Streitwert mit der Kommune so hoch, daß sie nicht mehr mithalten kann. 20 Millionen Streitwert, die Gerichtskosten gehen in die Millionen,
Elisabeth Altmann ({5})
500 000 DM für einen Rechtsanwalt. Da geht eine Kleinstadt einfach in die Knie. Ich fordere Sie auf, dieses seit über 50 Jahren bestehende Unrecht wieder rückgängig zu machen.
Die Kommunen hatten schwer zu tragen.
Erstens. Sie waren in ihren Entwicklungsmöglichkeiten durch die militärischen Areale gehemmt.
Zweitens. Die Bevölkerung trug die Belastungen der militärischen Übungen all die Jahre. Das heißt, sie akzeptierten Tiefflüge, Panzerübungen, Truppenbewegungen, NATO-Herbst-Manöver.
Drittens. Auch die Beseitigung der Altlasten werden die Kommunen mitzutragen haben. Truppenübungsplätze, Militärflughäfen, Munitionsdepots hinterlassen gravierende Umweltschäden. Ein Teil der Erlöse aus den Verkäufen müßte zur Sanierung verwendet werden.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Noch ein Satz.
Es ist an der Zeit, 50 Jahre nach Beendigung des Krieges Grund und Wohnungen jenen zu geben, denen sie eigentlich gehören. Hier könnten Sie den schlanken Staat praktizieren und zeigen, wie ernst Sie es damit meinen, Genehmigungen zu beschleunigen. Damit könnten Sie ein Stück Geschichtsbewußtsein demonstrieren.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Susanne Jaffke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe soeben gelernt, daß Erlangen eine Kleinstadt mit 100 000 Einwohnern in Bayern ist. Damit kann ich nicht dienen. Ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern. Da haben wir winzige Siedlungen. Aber ich bin immer lernfähig; ich finde das schön.
Liebe Kollegen, lassen Sie mich zunächst auf diese Dinge allgemein eingehen.
Dem Bund wurden seit dem Jahre 1990 Liegenschaften mit einer Gesamtfläche von 2 900 Quadratkilometer zugeführt. Zu diesen Liegenschaften zählen u. a. auch 1 149 Kasernenareale und 3 144 Wohnliegenschaften mit einem Bestand von über 100 000 Wohnungen.
Die Konversion dieser Liegenschaften war von Anfang an das erklärte Ziel. Aus diesem Grunde wurde bereits Anfang 1992 von der Bundesregierung ein breitgefächertes Verbilligungsprogramm für die Veräußerung von Liegenschaften entwickelt. Die Förderungen reichen vom sozialen Wohnungsbau und vom Studentenwohnungsbau über zahlreiche soziale Anliegen wie Altenheime, Pflegeheime, Behinderteneinrichtungen, Krankenhäuser, Jugendhilfeobjekte sowie die Förderung von Schulen und Hochschulen bis hin zum Aufbau der Verwaltung in den neuen Bundesländern.
Vielleicht waren es zu Beginn objektive oder auch subjektive Gründe im Verwaltungsverfahren, wenn es nicht überall in den Kommunen zu einer zügigen Umsetzung von Grundstücksverwertungen gekommen war. Vielleicht waren es auch Schwierigkeiten der Bauleitplanung, die von Fall zu Fall zu unterschiedlichen Problemen geführt hatten. Das kann ich für sie im Spezialfall nicht beurteilen. Aber mit Sicherheit hat sich das Verfahren bewährt. Denn allein im Januar und Februar wurden sowohl von den Berichterstattern als auch den Kollegen im Haushaltsausschuß schon wieder insgesamt zwölf Liegenschaftsverkäufe gebilligt, vor allen Dingen auch unter der Maßgabe der Preisverbilligung.
So wurden zur Linderung der Wohnungsnot mehrere tausend Wohnungen veräußert, insgesamt bis Februar 21 000 Stück. Von den insgesamt übernommenen Wohnungen sind 84 000 vermietet, davon allein 68 000 in den neuen Bundesländern. In den großen Universitätsstädten unseres Landes trägt der Bund durch den um 50 % verbilligten Verkauf von Grundstücken zur Schaffung von studentischem Wohnraum bei.
Jetzt lassen Sie mich auf ein anderes Beispiel eingehen. Das Konzept der Stadt Freiburg in bezug auf das Gelände der ehemaligen französischen Vabanque-Kaserne hat dazu geführt, daß auf dieser Fläche der erhöhte Bedarf der Stadt nach Wohn- und Gewerbeflächen gedeckt und dem Studentenwerk Freiburg die Möglichkeit zur Errichtung von mehr als 1 000 Wohnheimplätzen gegeben wird. Ich denke, das spricht auch für sich.
Zu dem hier vorliegenden Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN läßt sich nun folgendes sagen: Die Forderung, ehemals militärisch genutzte Wohnungen vorrangig an Kommunen bzw. an kommunale Wohnungsbaugesellschaften preisverbilligt anzubieten, ist durch das Gesetz abgedeckt und wird durch das Bundesministerium der Finanzen realisiert. Dabei kommen den Kommunen zusätzlich Sonderkonditionen zugute, sofern die erworbenen Liegenschaften gemäß Haushaltsvermerk Nr. 5 bei Kap. 0807 im Einzelplan 08, Bundesministerium der Finanzen, für den sozialen Wohnungsbau genutzt werden sollen. Den Erwerbern wird dabei bei einer Belegungsbindung von mindestens 15 Jahren ein Preisnachlaß bis zu 50 % gewährt, wenn sichergestellt ist, daß die bebauten bzw. unbebauten Grundstücke für den öffentlich geförderten Wohnungsbau verwendet werden. Dieser Preisnachlaß kann auch dann gewährt werden, wenn der Erwerber selbstgenutztes Wohneigentum bildet und die Voraussetzung für eine Förderung im sozialen Wohnungsbau nach den jeweiligen Landesbestimmungen erfüllt, jedoch Fördermittel wegen Ausschöpfung des Verpflichtungsrahmens nicht bewilligt werden können. Gleichzeitig können Kaufpreisstundungsregelungen nach Haushaltsvermerk Nr. 20 im Kap. 0807 beantragt werden.
Zu dem hier in der Begründung des Antrags vorliegenden konkreten Fall der ehemaligen Housing Area in Erlangen möchte ich den Ausführungen der Kollegin Karwatzki, die sich diesbezüglich eher eingearbeitet hat, nur so viel hinzufügen, daß seit 1994 bei der Kaufpreisbildung für bundeseigene Geschoßwohnungen der ortsübliche Vergleichsmietzins für den öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau bei der Veräußerung an Gebietskörperschaften und von diesen getragene Wohnungsbaugesellschaften zugrunde gelegt wird, sofern diese Wohnungen für mindestens 20 Jahre zu einem entsprechenden Mietzins an Sozialmieter vermietet werden. Dieser Haushaltsvermerk besteht seit dem Haushaltsjahr 1994 und wird nach unseren Vorstellungen von der für das Haushaltsjahr 1996 geplanten Veränderung nicht betroffen sein.
Bei den bislang getätigten Veräußerungen der ehemals militärisch genutzten Liegenschaften, die ja der Zustimmung der Berichterstatter zum Einzelplan 08 bedurften, wurden meines Wissen vorrangig immer die Kommunen berücksichtigt. Ich mache das ganze erst seit dieser Legislaturperiode; deshalb kann ich nur für diesen Zeitraum Aussagen treffen.
Dabei wurde fast ausnahmslos von der Sonderkondition Gebrauch gemacht. Aus diesem Grund sehe ich den Punkt a des hier vorliegenden Antrags schon als erfüllt an. Der Punkt b wird mit Sicherheit ein zu bewältigendes Problem für die Beamten der Liegenschaftsabteilung im BMF sein, so daß wir dann in den Ausschüssen den Bericht zur Kenntnis nehmen können.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})
Ich erteile dem Kollegen Karl Diller das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Frau Altmann, es soll kein persönlicher Vorhalt Ihnen gegenüber sein, weil Sie ja neu hier im Plenum sind, aber ich hätte mich gefreut, wenn sich Ihre Fraktion in der letzten Wahlperiode bezüglich dieser Frage auch nur ein einziges Mal im Haushaltsausschuß engagiert hätte.
Der Haushaltsausschuß ist federführend, beginnend 1989/90. Damals hat der amerikanische Verteidigungsminister Cheney bekanntgegeben, daß weltweit zwölf Airbases der Amerikaner geschlossen werden, darunter auch die in meinem Bundesland gelegene Airbase „Zweibrücken". Ich habe mich im Haushaltsausschuß bezüglich dieser Frage engagiert.
Die Haltung der Koalition und der Bundesregierung, insbesondere des Finanzministeriums, war zunächst von völliger Ablehnung geprägt, was die Frage angeht, inwieweit sich der Bund bei der Bewältigung der Konversion engagiert.
Jahr um Jahr hat es bei den Haushaltsplanberatungen unseres Engagements bedurft, Stück für Stück das an Verbilligungstatbeständen, an Vergünstigungen für die Gemeinden und die betroffene Bevölkerung überhaupt zu erreichen, was wir jetzt erreicht haben. Wir stellen es mit Stolz fest; aber es ist nach wie vor völlig unzureichend.
({0})
Der jüngste Erfolg in den laufenden Haushaltsberatungen wurde auf mein Betreiben erzielt. Vor einem halben Jahr habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß es beispielsweise der Caritas Trier nicht möglich war, Wohnungen zu erwerben, um dort modellhaft die Unterbringung von Obdachlosen zu organisieren und sie über längere Zeit zu betreuen. Es war der Caritas nicht möglich, dafür eine Verbilligung zu erreichen. Jetzt ist es gelungen, diese Verbilligung zugunsten der Unterbringung von Obdachlosen in die Verbilligungstatbestände aufzunehmen. Ich bedanke mich bei den Mitberichterstattern ausdrücklich für dieses Verständnis.
Wir begrüßen auch, daß es gelungen ist, eine gewisse Vorrangstellung für Familien mit Kindern bei dem Erwerb von Liegenschaften, von Häusern zu ermöglichen, die beispielsweise von den Briten und den Belgiern in NRW, die im Unterschied zu den amerikanischen und französischen Wohnungen nicht im Geschoßwohnungsbau errichtet wurden, sondern einzelnstehende Häuser sind, freigemacht wurden. Sie sollen vorrangig Familien mit Kindern angeboten werden. Durch diese Vorrangstellung der Familien mit Kindern ist automatisch der Kreis der möglichen Mitmieter eingegrenzt. Durch die Auflage, daß die Wohnungen nur zur Eigennutzung verbilligt erworben werden können, ist klar, daß sie damit eine gewisse Vorrangstellung haben und eine gewisse Vergünstigung finanzieller Art erreichen können. Das nenne ich positiv.
Aber das, was erreicht worden ist, bleibt weit hinter dem zurück, was notwendig ist.
Deshalb hat meine Fraktion im Haushaltsplanberatungsverfahren beantragt, endlich ein Bundeskonversionsprogramm zu schaffen. Wir haben vorgeschlagen, dazu einen Grundstock finanzieller Art mit 50 Millionen DM anzulegen, und hinzugefügt, daß alle Mehreinnahmen aus Vermietung und Verpachtung bzw. aus dem Verkauf militärischer Liegenschaften diesem Konversionsfonds zur finanziellen Aufstockung zusätzlich zufließen sollen. Nach jetziger Erkenntnis wären das im laufenden Haushaltsjahr mehrere hundert Millionen DM gewesen. Leider Gottes ist dieser Vorschlag am unverständlichen Nein der Koalition gescheitert. Wir kritisieren das ausdrücklich.
({1})
Meine Damen und Herren, diese Mittel - so unser Vorschlag - sollten in Ergänzung des KONVER-Programms der Europäischen Union und ergänzend zu den Hilfen der einzelnen Länder gewährt werden, und zwar finanzschwachen Gemeinden in strukturell schwierigen Gebieten. Denn ausgerechnet dort ist ja das Problem, in einer relativ kleinen Gemeinde eine
riesige militärische Liegenschaft einer zivilen Nutzung zuzuführen, in seiner Herausforderung extrem. Es kann nur durch zusätzliche Hilfen auch des Bundes bewältigt werden.
Meine Damen und Herren, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß diese Koalition nicht nur die von uns zu begrüßenden Verbesserungen beschlossen hat, sondern gleichzeitig Verschlechterungen, die wir zu kritisieren haben. Die Koalition hat darauf bestanden, daß der bisher mögliche Stundungszinssatz - das waren 5 % im Westen und 4 % in den neuen Bundesländern - auf 2 v. H. über den Diskontsatz verschlechtert wird. Das heißt, der Stundungszinssatz geht gegenwärtig von 5 % bzw. 4 % auf 6,5 %.
Der Antrag der SPD, generell für soziale Zwecke Liegenschaften verbilligt an Gemeinden, Kirchen usw. zu veräußern, ist leider Gottes ebenfalls am Nein der Koalition gescheitert.
Die Sozialdemokraten werden sich weiter dafür einsetzen, daß erstens ein Konversionsfonds des Bundes geschaffen wird, zweitens die Verbilligungstatbestände ausgeweitet werden und, drittens, insbesondere die Rücknahme der Verbilligungsprozentsätze neu beraten und darüber neu entschieden wird.
Ich mache darauf aufmerksam: Nach geltendem Recht werden ab dem Jahre 1996 z. B. Liegenschaften, die im Jahre 1992 freigegeben worden sind, nicht mehr verbilligt abgegeben werden können. Denn eine Verbilligung von 50 % soll es ab 1996 nur noch im ersten Jahr nach der Freigabe geben, eine Verbilligung von 40 % im zweiten Jahr, eine von 25 % im dritten Jahr und eine von 0 % ab dem vierten Jahr nach der Freigabe. Wir halten das für unzumutbar.
Ich weise darauf hin, daß der Präsident der Oberfinanzdirektion Koblenz bei einer Anhörung im Land Rheinland-Pfalz zu Protokoll gegeben hat, er halte diese degressive Staffelung für zu knapp bemessen. Demokratie, so sein Hinweis, braucht Zeit. Deswegen müssen wir den Kommunen Zeit lassen, diese neue Herausforderung der Freigabe einer Liegenschaft zu bewältigen. Man kann nicht sagen: Nur wenn ihr im ersten Jahr schon zugreift, kriegt ihr 50 %, egal, was ihr hinterher machen könnt. Das ist unzumutbar.
({2})
Im Rahmen der Konversion bleibt die zügige Freigabe der Liegenschaften durch die Militärs eine unverzichtbare Forderung für die SPD. Es ist nicht hinzunehmen, daß die Alliierten beispielsweise erst dann einen Wohnblock räumen, wenn auch der letzte Amerikaner oder die letzte französische Familie ausgezogen ist. Das ist unzumutbar. Wir müssen mit den Alliierten darüber reden, daß die Freigabe Zug um Zug erfolgt.
Eine für die SPD unverzichtbare Forderung ist, daß der Bund als Eigentümer dieser Liegenschaften endlich auch seiner gesamtstaatlichen Verpflichtung gerecht wird und sich um das Problem der Beseitigung ökologischer Altlasten kümmert.
({3})
Es geht nicht an, daß der Bund einfach sagt: Das hat jetzt 40 oder 30 oder 20 Jahre vor sich hingegammelt; dann kann das auch noch weitere 40 oder 30 oder 20 Jahre vor sich hingammeln. Dies ist unser Land. Dies ist Eigentum des Bundes. Deswegen haben wir als Eigentümer die Verantwortung, hier für geordnete Verhältnisse zu sorgen.
({4})
Das Problem, das die Kollegin der GRÜNEN, Frau Altmann, angeschnitten hat, ist - das haben meine Ausführungen, glaube ich, hinreichend deutlich gemacht - nur ein Teilaspekt einer sehr komplexen Fragestellung.
Das auslösende Moment „Erlangen" ist zur Zufriedenheit aller, wie ich hoffe, gelöst. Dennoch bleibt das Anliegen grundsätzlicher Art. Deswegen stimmen wir der Überweisung zu und würden uns freuen, wenn künftig auch die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN im Haushaltsausschuß in diesem Bereich engagiert mitdiskutieren würde.
({5})
Frau Kollegin, bevor ich Ihnen das Wort gebe, erlauben Sie mir, ein Wort an die Adresse eines Besuchers auf der Tribüne zu richten, dem ich gerade durch einen entsprechenden Wink das Zeitunglesen sozusagen untersagt habe. - Wissen Sie, es gibt gewisse Formen der demonstrativen Unhöflichkeit, die nur hier unten erlaubt sind.
({0})
Frau Kollegin Lisa Peters, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren! Meine Damen! Eigentlich wäre ich nun geneigt, mich hier hinzustellen und von der Konversion in unserer Stadt zu erzählen. Ich will mich aber doch ein bißchen an meinem Konzept entlanghangeln und hoffe, daß ich das in fünf Minuten schaffe.
Der von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachte Antrag beschäftigt sich mit der aktuellen Situation einer Liegenschaftsveräußerung in Erlangen. Dieser aktuelle Anlaß läßt sich nach meiner Ansicht - das haben meine Vorredner schon gesagt - auch auf München, Cottbus, Rostock, Kassel und Buxtehude übertragen. In vielen Gemeinden der Bundesrepublik werden ehemals militärische Liegenschaften einer zivilen Nutzung zugeführt. Ausgelöst wurde das Ganze durch die Wiedervereinigung. Das mußte hier nicht noch erwähnt werden.
In der 12. Wahlperiode habe ich mich sehr intensiv mit Konversion beschäftigt, weil das wirklich völliges Neuland war. Damals mußte man sich alles das, was wir jetzt wissen, erarbeiten. Die Beschlüsse des Sommers 1991, die die Auflösung oder Dezimierung von militärischen Standorten zum Inhalt hatten, trafen manche Gemeinde, manche Stadt und manche Region hart. Auch das ist schon gesagt worden.
Alliierte Streitkräfte und Soldaten der Bundeswehr stellten einen großen Wirtschaftsfaktor dar. Gemeinden und Städte, die Länder und der Bund mußten viele Gespräche führen. Es wurde hart um Details gekämpft und letztendlich um Geld gerungen. Dabei wurden Kompromisse gemacht, der Strukturwandel berücksichtigt, auf die entleerten Räume Rücksicht genommen, Fördergebiete neu angepaßt und Verbilligungstatbestände geschaffen. Es ist wirklich alles gemacht worden.
Nun möchte ich meinen Vorredner ansprechen, den Herrn aus dem Haushaltsausschuß. Das Steueränderungsgesetz 1992 schuf Klarheit. Die Länder erhielten 2 % mehr aus dem Mehrwertsteueraufkommen. Die Konversion lag damit bei den Ländern. Ein Konversionsfonds des Bundes wurde nicht gebildet. Die Länder haben es ausdrücklich so gewollt. Ich sage es noch einmal: Die Länder haben es ausdrücklich so gewollt, und zwar sehr gegen unsere Meinung. Wir hätten es gern anders gehabt. Wir hätten auch gern einen Fonds beim Bund angesiedelt. Das ist damals aber einvernehmlich von den Landesregierungen nicht gewollt worden.
Heute kann man feststellen, daß die Umwandlung der militärischen Liegenschaften sehr flott vonstatten geht, aber sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Wir sind jetzt mittendrin. Liegenschaften werden von der Bundesregierung über das Bundesministerium der Finanzen veräußert. Das bringt trotz aller Abschläge noch gutes Geld. Das weiß man, wenn man im Haushaltsausschuß ist. Da keine Erfahrungen vorlagen, war das alles ein langwieriger Prozeß.
Auch von seiten des Finanzministers - das muß ich sagen - wurde oft zu hoch gepokert; das ist hier auch schon angesprochen worden. Der höchste Preis ist nicht immer die beste Lösung. Liegenschaften müssen sehr schnell veräußert werden. Der Übergang in der Bewirtschaftung von militärischer zu ziviler Nutzung muß fließend erfolgen. Leerstand ist Wertverlust, und zwar für den Bund. Inzwischen hat Herr Waigel das eingesehen. Jedenfalls sind das meine Erfahrungen.
Alle Kommunen, die sich rechtzeitig damit befaßt haben, die rechtzeitig nachgedacht und geplant haben, haben jetzt die Nase vorn. Sie haben in der Regel die Verträge unter Dach und Fach, bevor die Nutzung aufgegeben wird. Vertrauensvolle Gespräche mit dem zuständigen Vermögensamt oder mit der Oberfinanzdirektion sind natürlich Voraussetzung. Kaufen kann man dann, wenn man die zukünftige Nutzung rechtzeitig geplant hat und so Verbilligungstatbestände schon beim Ankauf in Abzug bringen kann.
({0})
Deshalb halte ich all das, was eben hier gesagt worden ist, überhaupt nicht für richtig. Wir wissen das doch alle seit Sommer 1991. Es sind hinterher nur einige Liegenschaften hinzugekommen. Spätestens im Herbst 1991 hätte jeder wissen müssen, was er mit einer solchen Liegenschaft, sofern er eine in seiner Kommune hat, machen will. Nein, nein, es geht gar nicht ums Geld. Das ist auch anders zu machen. Dafür haben wir ja wirklich gute Verbilligungstatbestände. Ich weiß, wovon ich rede; wir haben ein 23ha-Arsenal in Buxtehude übernommen. Wir haben auch vor dem 31. Dezember gekauft und werden es entsprechend verwerten. Aber fragen Sie nicht, wieviel Gespräche geführt werden mußten und wie wir von allen Seiten versucht haben, dieses Problem zu lösen.
Ich kann also nur dazu auffordern, daß unsere Kollegen und Kolleginnen in den Kommunen ihr Mandat wirklich ernst nehmen und, wenn sie es denn noch nicht getan haben, sich jetzt sehr beeilen. Nur dann kann es für die Kommunen gut ausgehen, und dann brauchen wir dieses Thema hier auch nicht zu jeder Zeit wieder zu erörtern. Das ist eine direkte Aufforderung, all das zu tun, damit es zu einem guten Ende geführt wird. Sand im Getriebe gibt es überall.
({1})
Das Wort hat der Kollege Klaus-Jürgen Warnick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Geschäftsgebaren der Bundesregierung im Umgang mit nicht mehr benötigten, ehemals militärisch genutzten Immobilien steht nicht zum erstenmal auf der Tagesordnung. Schon in der vergangen Wahlperiode hat die PDSBundestagsgruppe vorgeschlagen, dieses Bundesvermögen den Kommunen zur Erfüllung von wohnungs- und sozialpolitischen Aufgaben stark verbilligt oder sogar kostenlos zu übergeben. Deswegen begrüßen wir auch den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausdrücklich.
Gleichzeitig möchten wir darauf hinweisen, daß sich das geschilderte Problem grundsätzlich auch auf die inzwischen bundeseigenen Wohnungsbestände der NVA der DDR bezieht. Hinsichtlich dieser NVAWohnungen stimmt es eben nicht, was die Kollegin von der CDU/CSU gesagt hat, daß nämlich der
Punkt a schon mehr oder weniger erfüllt sei. Ich beziehe mich hier auf eine Anfrage vom vorigen Herbst. Dazu wurde ausgesagt, daß 65 000 Wohnungen der NVA übernommen wurden. Davon wurden lediglich 1 894 verkauft, und zwar 1 177 an Kommunen, 54 an Wohnungsbaugesellschaften, ganze 26 an Mieter und 637 an private Investoren. Gerade diese Zahl, fast 40 % an private Investoren, macht uns logischerweise mißtrauisch.
Wir sind sehr dafür, frei gewordene bzw. frei werdende Wohnungen der Alliierten, der Bundeswehr und der NVA vorrangig den Kommunen bzw. kommunalen Gesellschaften zum Kauf anzubieten. Das allein genügt aber nicht in jedem Fall. Nötig sind Sonderkonditionen bei vielen Verkäufen. Dabei muß die Tatsache berücksichtigt werden, daß vor allem kleinere Kommunen finanziell nicht in der Lage sind, selbst bei Verringerung des Kaufpreises die benötigten Summen aufzubringen. Deswegen sollte die Bundesregierung sogar so weit gehen, in gerechtfertigten Gründen auf einen Kaufpreis völlig zu verzichten, allerdings nur unter der Bedingung, daß die Kommune diese Objekte zweckgebunden einsetzt und bei der Übernahme von Wohnungen dauerhafte Mietpreisbindungen und Belegungsrechte gewährleistet.
Für die Bundesrepublik, der diese ehemals militärischen Flächen durch die deutsche Einheit zugefallen sind, entsteht trotzdem ein großer Vorteil. Wenn sie es will, kann sie mit diesen Wohnungen in vielen Regionen die größte Wohnungsnot mildern, ohne daß ihr zusätzliche Kosten für den sozialen Wohnungsbau bzw. für Förderungsmittel entstehen.
Es macht aber keinen Sinn, diese Objekte möglichst gewinnträchtig an Investoren zu verkaufen, um mit diesem erworbenen Geld zwei Kilometer weiter über den Umweg des Bundeshaushalts sozialen Wohnungsbau zu betreiben, und zwar zu finanziell wesentlich schlechteren Bedingungen, was den Einsatz von Mitteln im Verhältnis zu den geschaffenen Wohnungen betrifft.
Wenn die Bundesregierung allerdings mehr an den Gewinnen für Banken und privaten Investoren als an einer Verbesserung der Wohnungssituation in den Kommunen interessiert ist, so sollte sie dies sagen.
Negative Erfahrungen mit dem Bundesfinanzministerium gibt es aus meiner brandenburgischen Heimat, z. B. in Strausberg. Obwohl die große Mehrzahl der Mieter in ca. 5 000 Bundesmietwohnungen der ehemaligen NVA an einer Genossenschaftsbildung interessiert ist und dies schriftlich bekundet hat, hintertreibt das Bundesfinanzministerium diese Absichten, indem mit finanzkräftigen Investoren an den Mietern vorbei verhandelt wird. Auch hier wird der eigene Anspruch, den Menschen bei der Schaffung von Wohneigentum zu helfen, ins Gegenteil verkehrt. Im übrigen kann ich diesen Leerstand auch nur bestätigen, der hier schon mehrfach berichtet wurde.
Ihre Zeit ist weit überschritten.
Meine Zeit ist überschritten.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({0})
Ich brauche das Einverständnis des Hauses, daß die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Finanzen ihre Einlassung zu Protokoll gibt.*) - Es erhebt sich dagegen kein Widerspruch.
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beendigung dieses Themas. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/364 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einverstanden? - Dies ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b sowie Zusatzpunkt 3 auf:
11. a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
- Drucksache 13/422 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({0}) Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der weiteren Abgeordneten der PDS Senkung der Promille-Grenze im Straßenverkehr auf 0,0 Promille
- Drucksache 13/612 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({1}) Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Gesundheit
ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gila Altmann ({2}), Albert Schmidt ({3}), Rainder Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Senkung der Promille-Grenze im Straßenverkehr auf 0,0 Promille
- Drucksache 13/694 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr
Rechtsausschuß ({4}) Innenausschuß
Ausschuß für Gesundheit
*) Anlage 24
Vizepräsident Hans Klein
Nach einer Vereinbarung ist im Ältestenrat für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Siegfried Scheffler das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn sich der Deutsche Bundestag heute erneut mit dem Problem der Absenkung der Alkoholpromillegrenze sowie der Anerkennung der Atemalkoholanalyse beim Führen von Kraftfahrzeugen befassen muß, dann nur deshalb, weil die Koalition dieses Thema mit Rücksicht auf die F.D.P. seit nunmehr vier Jahren mit taktischen und parlamentarischen Winkelzügen verschleppt.
({0})
Denn bereits seit 1991 liegt dem Bundestag ein SPDAntrag zur genannten Problematik vor, dem 1992 ein entsprechender Gesetzentwurf des Bundesrates folgte. Ich betone: Nachgewiesenermaßen, auf Grund der Verzögerungstaktik der F.D.P., konnten diese Entwürfe nicht mehr in der 12. Legislaturperiode verabschiedet werden. Und das vor dem Hintergrund dramatisch steigender Zahlen von Unfällen mit Personenschäden und Verkehrstoten unter Alkohol.
Deshalb sogleich die neuesten vorliegenden Zahlen ausgewählter Länder des Statistischen Bundesamtes zu Straßenverkehrsunfällen unter Alkohol vom November 1994. Leider ist im Vergleich zu 1993 eine erneute Steigerung der bereits auf hohem Niveau liegenden Zahlen zu verzeichnen, so z. B. in Brandenburg um 15,9 %, in Berlin um 16,1 %, in Mecklenburg-Vorpommern gar um 26,6 %; aber auch in den alten Bundesländern: in Schleswig-Holstein um 46,5 %, in Sachsen gar um 48,8 %.
Offensichtlich hat die Bevölkerung aus dieser Entwicklung mehr gelernt als die Mehrheit der Regierungsparteien. Denn laut Agenturmeldung vom 3. März 1995 sind 79 % der Bevölkerung für eine Senkung der Promillegrenze im Straßenverkehr. Das ergab eine in der vorigen Woche veröffentlichte EMNID-Umfrage. Und in den neuen Bundesländern war die Zustimmung mit 91 % besonders hoch. In den alten Ländern sprachen sich 76 % für eine niedrigere Promillegrenze aus. Nur 19 % waren bundesweit gegen die Einführung der 0,5-Promille-Grenze. Meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, hier geht es nicht mehr um Ihre alleinigen Interessen. Es geht um die Durchsetzung der berechtigten Interessen der Gesamtbevölkerung.
Sie sollten sich die Auswertung der wissenschaftlichen Literatur zur Wirkung von Alkohol als Entscheidungshilfe einmal ansehen. Folgende Ergebnisse könnten Sie nämlich feststellen: Bis etwa 0,3 Promille können keine deutlichen Ausfallerscheinungen beobachtet werden. Über 0,7 Promille dagegen steigen die Ausfälle in allen Handlungsbereichen stark an, unabhängig davon, wie lange das
Trinkende zurückliegt. Im Bereich zwischen 0,3 und 0,7 Promille hängt die Stärke der Ausfallerscheinungen davon ab, welche Art der Leistung gefordert wird und wie lange das Trinkende her ist.
Die gleiche Blutalkoholkonzentration wirkt um so gefährlicher, je mehr kontrollierte Handlungen gefordert sind, also etwa in schwierigen Fahrsituationen. Ich denke, der Straßenverkehr stellt heute fast überall schwierige Fahrsituationen dar,
({1})
vor allem natürlich bei Ungeübten oder sonst in der Fahrtüchtigkeit eingeschränkten Fahrern.
Unbestritten ist auch, daß schon ab 0,3 Promille eine differenzierte Ausfallsituation feststellbar ist, wobei bei der Frage, wieviel es denn sein darf, wissenschaftlich mehrheitlich nachgewiesen wird, daß 0,5 Promille in etwa die Grenze darstellt. Deshalb auch unser Antrag mit der Festlegung auf 0,5, was einem Grenzwert von 0,4 Promille einschließlich eines Sicherheitszuschlages von 0,1 Promille entspricht.
({2})
Leider ist der Kollege Dirk Fischer nicht hier. Es wundert mich schon, daß er als Obmann der CDU/ CSU-Fraktion im Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages in einem Interview mit der „Welt" vom 2. Januar 1995 die Meinung vertreten hat, daß Alkohol in Maßen zur deutschen Ernährung wie das tägliche Brot gehört.
({3})
Ich sage Ihnen: Diese Aussage führt dazu, daß alkoholgewöhnte und -gefährdete Autofahrer angesichts einer Alkoholentwarnung von oberster Stelle aufatmen.
({4})
Sie erhalten auf diese Weise das Signal, daß sie in Wirklichkeit kein Gefährdungsproblem darstellen. Ich denke, Dirk Fischer sollte sich lieber den Aussagen des Berliner CDU-Verkehrssenators Haase oder seines Fraktionskollegen Norbert Otto von der CDU anschließen, die nämlich eingesehen haben, daß Menschen hätten gerettet werden können, wenn die 0,5-Promille-Grenze bereits seit Jahren gesetzlich verankert wäre. Haase nennt die 0,8-PromilleGrenze sogar unverantwortlich. Recht hat er!
({5})
Zustimmen kann ich natürlich - und das ist auch unsere Forderung -, daß die erlebte Dichte der polizeilichen Überwachung wesentlich erhöht werden muß und daß die Verstärkung der Kontrollen auf den Straßen ein Signal setzen muß, daß der Staat den Schutz der Verkehrsteilnehmer vor alkoholbedingten Gefahren auch durchsetzen will.
({6})
Auch Herrn Jobst als Vorsitzenden des Verkehrsausschusses sehe ich hier nicht. Es ehrt ihn zwar, daß er bereit war, sich durch eigene Erfahrungen mit Tests und durch Aussagen von Verkehrsexperten umstimmen zu lassen. Aber warum erst nach so vielen Jahren und nicht schon bei vorangegangenen Abstimmungen? An der Fahruntauglichkeit durch Alkohol hat sich doch in den letzten Jahren nichts geändert - fast nichts.
({7})
Eine Veränderung bei der Fahruntauglichkeitsgrenze hat es allerdings gegeben: Nach geltender Rechtsprechung liegt ab 1,1 Promille auch ohne Fahrfehler oder Unfall stets absolute Fahruntüchtigkeit vor. Zu deren Überprüfung sollte der Gesetzgeber der Weiterentwicklung der Technik Rechnung tragen, wenn für die Betroffenen die Wahrung ihrer körperlichen Unversehrtheit zu gewährleisten ist. Dies ist durch die Meßmethode der Atemalkoholanalyse, wie wir sie in unserem Antrag gefordert haben, gegeben.
Politiker von CDU/CSU und F.D.P. bezweifeln immer noch, daß nach einer Senkung der Promillegrenze die Verkehrsunfälle mit Alkoholeinfluß tatsächlich zurückgehen. Ihnen möchte ich an dieser Stelle das Beispiel der Niederlande nahebringen, wo nach der Absenkung von 0,8 auf 0,5 Promille eine deutliche Verringerung der Fahrten unter Alkoholeinfluß zu verzeichnen war. Es kam danach zwar zu einem geringen Wiederanstieg, der jedoch noch bis zum heutigen Tage, nach zehn Jahren, erheblich unter der Rate von 4 % gegenüber ca. 12 % vor der Absenkung blieb.
Herr Kollege Scheffler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Ich möchte hier weitermachen, da die Debatte sowieso nur 30 Minuten dauern soll und es schon spät ist.
({0})
- Herr Fischer, ich mache Ihnen zuliebe ja eine Menge, ich spiele mit Ihnen auch gerne Fußball; das wissen Sie. Aber da ich noch ein bißchen Schwierigkeiten mit dem Stehen habe, möchte ich hier weitermachen.
({1})
Bei unserem Nachbarland wurde als weiterer Einflußfaktor dieser positiven Entwicklung die Einführung der einfachen, handhabbaren und zuverlässigen Atemalkoholanalyse hervorgehoben. Nicht von ungefähr schlossen sich diesen Kontrollmethoden inzwischen England, Frankreich, Österreich und weitere Länder an.
Es gibt natürlich noch andere wissenschaftliche Erkenntnisse, so z. B. eine 1992 publizierte US-Studie, die den positiven Effekt einer geringeren Promillegrenze für junge Fahrer nachweist.
({2})
Auch in Deutschland sind motorisierte Jugendliche besonders gefährdet. Ich verweise auf die hohen Unfallzahlen nach alkoholisierten Discobesuchen. Die Unfallstatistiken weisen nach, daß Jugendliche schon bei niedrigen Blutalkoholwerten, ab 0,3 Promille, eher verunglücken.
An dieser Stelle möchte ich auf die ehemalige Familienministerin Frau Rönsch zu sprechen kommen, auch wenn ich sie hier nicht sehe. Unsere Forderung nach weniger Verkehrstoten als „Profilierungssucht auf Kosten der Autofahrer" zu bezeichnen, wie sie es getan hat, grenzt meines Erachtens schon an Zynismus.
({3})
Frau Rönsch setzt sich ja an anderer Stelle - was durchaus legitim sein mag - vehement für das ungeborene Leben ein.
({4})
Aber es steht jedem Politiker auf der Welt gut an, sich für den Schutz des geborenen Lebens - um bei dieser Sprachweise zu bleiben - in allen Bereichen einzusetzen. Auch deshalb diskutieren wir hier über die Erhöhung der Verkehrssicherheit.
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit dem vorgelegten Antrag der PDS besteht meines Erachtens Aufklärungsbedarf in bezug auf die vorgeschlagene 0,5-Promille-Grenze. Es wird behauptet, bei einer solchen Grenze könne man nicht einmal mehr ein Glas Bier zum Abendessen trinken. Dem ist nicht so. Alle neueren Ergebnisse der Alkoholforschung zeigen vielmehr, daß durchaus geringe Mengen Alkohol getrunken werden können, ohne den Grenzwert zu erreichen bzw. zu übersteigen.
In diesem Zusammenhang möchte ich begründen, warum dem Antrag der PDS auf 0,0 Promille aus unserer Sicht nicht zugestimmt werden kann. Es wäre rechtspolitisch sehr bedenklich, ein Gesetz zu formulieren, dessen massenhafte Übertretung von vornherein in Kauf genommen wird. Außerdem wird zum Teil, wie z. B. in der Vergangenheit in der DDR, ohnehin eine Alkoholkonzentration von bis zu 0,2 Promille toleriert. Damit stünde die Glaubwürdigkeit des Gesetzgebers auf dem Spiel. Doch Gesetze sind nicht dazu da, daß sie täglich millionenfach übertreten werden.
Im übrigen verstieße die Bestrafung geringster Blutalkoholkonzentrationen gegen das Verfassungsgebot der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Ich denke, die Einnahme von Medizin mit Alkoholanteilen, z. B. von Hustensaft, aber auch geringe RestalkoholmenSiegfried Scheffler
gen oder der Genuß eines Eisbechers mit Eierlikör bzw. von flambierten Gerichten können doch nicht dazu führen, daß die Konsumenten zu Kriminellen gemacht werden. Es sollte nicht eine denkbare Idealregelung verordnet werden, sondern der Gesetzgeber ahndet schuldhaftes, vorwerfbares Fehlverhalten.
Mir persönlich wäre es nach der deutschen Einheit sehr viel lieber gewesen, wenn wir uns auf eine Senkung auf 0,3 Promille verständigt hätten; denn ich stimme mit denjenigen überein, die bereits ab dieser Grenze, die auch noch gut nachweisbar und vertretbar ist, eine Verminderung der Fahrtüchtigkeit sehen und verlangen, daß bei Verkehrsunfällen vom Gesetzgeber dieses schuldhafte Verhalten geahndet wird.
Aber Politik ist auch immer die Suche nach Kompromissen zwischen den verschiedenen Argumenten der Politiker und Fachexperten sowie den Interessen breiter Schichten der Bevölkerung, eben die Kunst des Machbaren. Deshalb ist mir dieser Kompromiß mit 0,5 Promille lieber.
Abschließend noch ein Wort zu Europa
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist schon ein Stück überschritten. Ich bitte Sie, nur noch einen Abschlußsatz zu sagen.
Meines Erachtens besteht in dieser Richtung keinerlei weiterer Handlungsbedarf; so haben wir es auch im vorigen Jahr im Verkehrs- und im Rechtsausschuß diskutiert.
Sollten die Regierungsparteien erneut die Federführung des Rechtsausschusses einfordern, so wäre dies meines Erachtens reine Verzögerungstaktik und in keiner Weise gerechtfertigt, noch dazu, wo dies gegen die Stimmen der SPD im Ältestenrat eingefordert würde.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Freiherr von Stetten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Wir haben das Thema im letzten Jahr behandelt und einschließlich Anhörung und Debatten ausführlich diskutiert. Zunächst einmal kann ich erfreulicherweise feststellen, daß die Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle auch im Jahre 1994 zurückgegangen ist. Die Behauptung von PDS und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, daß 50 % dieser tödlichen Unfälle auf das Konto von Alkohol zurückzuführen seien, ist schlichtweg falsch.
Ich werde noch auf die Zahlen zurückkommen. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, daß 96 % der
Autofahrer ohne jeden Alkohol fahren und daß von den 4 % der Autofahrer, die mit mehr als 0,3 Promille fahren, nur ein ganz geringer Prozentsatz an Unfällen beteiligt ist, weil Gott sei Dank nicht alle, die mit Alkohol fahren, auch einen Unfall verursachen.
({0})
- Herr Fischer, mit Alkohol sollten Sie nicht so übermäßig umspringen.
Von den ca. 521 000 Unfällen mit fahrerischem Fehlverhalten ist bei 93 % - Sie sollten sich die Zahlen ruhig anhören - überhaupt kein Alkohol im Spiel. Bei den restlichen 7 % sind 0,84 % mit Fahrrädern beteiligt, 0,72 mit Motorrädern, und 5,56 % sind Autofahrer. Von 521 000 Unfällen werden also insgesamt etwas mehr als 30 000 von Autofahrern unter Alkoholeinfluß verursacht, von denen wiederum nur etwa 1 500 - das sind 0,28 % - mit einem Alkoholgehalt von 0,5 his 0,8 Promille. Letztere werden fast alle strafrechtlich behandelt, weil sie als Unfälle mit Alkohol indiziert werden.
Eine Regelungsbedürftigkeit kann daher nicht als dringend angemahnt werden, insbesondere schon deswegen nicht, weil allein die Herabsetzung der Ordnungswidrigkeitengrenze von 0,8 auf 0,5 Promille die Fahrer und Täter, die mit mehr als 0,8 Promille fahren, überhaupt nicht berührt und kaum erwartet werden kann, daß diejenigen, die bisher mit 0,5 bis 0,8 Promille gefahren sind oder einen Unfall verursacht haben, auf Grund dieser Vorschrift weniger trinken werden. Das ist ein Trugschluß und durch Holland überhaupt nicht bewiesen.
Um es klarzustellen: Wenn heute die 0,5-Promille-Grenze bestünde, würde ich keinesfalls für eine Änderung auf 0,8 Promille plädieren; aber ich sehe auch keinen Anlaß, aus Gründen, die wissenschaftlich nicht untermauert sind, ein Gesetz zu ändern. Übrigens wissen die Befürworter selber ganz genau - die Beispiele aus Polen, der ehemaligen DDR und anderen Ländern zeigen es klar -, daß die Herabsetzung von Promillesätzen keine Ergebnisse bringt.
Wir wollen das Alkoholkonsumproblem überhaupt nicht verniedlichen. Wir wollen notfalls auch drastische Maßnahmen ergreifen, um vor Alkoholfahrten abzuschrecken. Dazu gehört - darauf sollten wir uns in den Ausschüssen sehr schnell einigen -, daß wir verdachtsfreie Alkoholkontrollen durchführen können und zu diesem Zweck beweiskräftige Atemalkoholanalysen zulassen.
({1})
- Hören Sie doch erst einmal zu! - Gegebenenfalls muß, was der eine oder andere Verfassungsrechtler fordert, dazu auch das Grundgesetz geändert werden, weil eine verdachtsfreie Alkoholkontrolle ohne Zustimmung letztlich ein Eingriff in die persönliche Freiheit, gegebenenfalls auch die körperliche Unversehrtheit ist. Darüber sollten wir sehr schnell einen breiten Konsens finden, weil damit die AbschrekDr. Wolfgang Freiherr von Stetten
kung und damit die Wirkung am schnellsten zu erreichen sind.
({2})
Im übrigen möchte ich in diesem Zusammenhang - im Gegensatz zu Ihnen, Herr Scheffler - deutlich betonen, wie verantwortungsbewußt der größte Teil der jungen Autofahrer heutzutage z. B. zu Diskotheken hin- und zurückfährt. In den allermeisten Fällen wird von vornherein einer ausgesucht, der fährt und keinen Alkohol trinkt.
({3})
- „Haschisch" ist kein guter Zwischenruf. Den Besitz von Haschisch wollen Sie für straffrei erklären, aber Alkohol wollen Sie kriminalisieren. Was Sie da sagen, ist doch völlig falsch.
({4})
- Sie, Herr Fischer, wollen Haschisch doch freigeben, und die Alkoholgrenze wollen Sie auf 0,0 Promille setzen. Da ist in Ihrer Weltanschauung doch irgend etwas schief.
({5})
- So scheint es zu sein.
Wenn es dennoch immer wieder zu schweren Verkehrsunfällen jugendlicher Fahrer auch mit tödlichem Ausgang kommt, dann liegt das oft an mangelnder Fahrpraxis, jugendlichem Leichtsinn, Geschwindigkeitsrausch und gegebenenfalls auch Imponiergehabe gegenüber Mitfahrern.
({6})
- Ich komme auf den Alkohol, Herr Scheffler, warten Sie es doch ab! - Der Alkohol ist weit weniger im Spiel als angenommen.
In diesem Zusammenhang die neuesten Zahlen vom Statistischen Bundesamt - dies gilt vor allem für die GRÜNEN und die PDS, weil sie falsche Zahlen auf den Tisch legen -: 1993 gab es insgesamt 9 949 Verkehrstote, davon leider auch etwa 2 700 zwischen 15 und 25 Jahren. Davon war Alkohol nur bei 2 048 Verkehrstoten ursächlich. Das sind 21 % und nicht, wie Sie behaupten, 50 %.
({7})
- Nun hören Sie doch zu! Sie müssen doch erst einmal zuhören, bevor Sie protestieren! Sie behaupten, es sind 50 %, und es sind 21 %. Das sind doch ganz
deutliche Zahlen, und daran müssen Sie sich halten!
({8})
Auch im Osten sind die Zahlen nicht anders. Im Osten sind es bei 3 000 Toten 23 % alkoholbedingte Verkehrstote. Es ist doch schlichtweg eine falsche Behauptung, hier von 50 % zu sprechen.
Meine Damen und Herren, wenn nach der Statistik - ich sage das in Anführungszeichen, damit Sie sich nicht so aufregen müssen - „nur" 60 bis 100 Tote bei Verkehrsunfällen ums Leben kommen, die mit einem Promillegehalt von 0,5 bis 0,8 Promille verursacht wurden, dann kann ich nur sagen: Schlimm genug! Aber nochmals zur Verdeutlichung: 7 900 Menschen sterben ohne jeden Zusammenhang mit Alkohol. Das sind doch die Zahlen, die auf dem Tisch liegen, und daran sollten Sie sich halten.
Herr Kollege von Stetten, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fuhrmann?
Bitte schön.
({0})
- Sie hören nicht zu. Sonst würden Sie einen solchen Zwischenruf nicht machen.
Bitte schön.
Würden Sie mir recht geben, daß es sich lohnt und legitim ist, ein Gesetz zu ändern, wenn es damit möglicherweise dazu kommt, daß man eine Zahl von 2 400 Toten reduziert bzw. auf eine Zahl von 2 350 herunterdrücken kann?
({0})
Aber selbstverständlich. Nur ist Ihre Illusion, wenn wir die Grenze von 0,8 auf 0,5 Promille senken, daß diejenigen - das sind über 90 % -, die mit über 0,8 und 1,0 Promille fahren, deswegen weniger trinken. Das Gegenbeispiel haben wir doch in der ehemaligen DDR, in Polen und in Holland. Das ist alles eine Illusion.
Aber Ach komme zu einem Vorschlag, den wir vielleicht gemeinsam annehmen können.
Verzeihung, die Kollegin Altmann würde ebenfalls gern eine Zwischenfrage stellen.
Ich glaube, es reicht jetzt.
({0})
- Meine Damen und Herren, Sie sollten, wenn Sie Anträge schreiben, nicht falsche Angaben machen.
Ich möchte meine Rede jetzt zum Schluß bringen.
({1})
- Es ist nett, Herr Schlauch, daß Sie mir Beifall klatschen. Das habe ich mir immer erträumt.
Von sehr viel prominenten Polizeibeamten, Richtern und Staatsanwälten und aus eigener Anschauung mit drei Kindern zwischen 18 und 24 Jahren weiß ich, daß die Einführung des Führerscheins auf Probe eine außerordentlich heilsame Wirkung auf junge Fahrer ausgeübt hat. Hier sollten wir - dieses Problem sollten wir ernsthaft miteinander beraten - überlegen, ob wir nicht für alle, die einen Führerschein auf Probe haben, auf 0,0 Promille mit Toleranz setzen, weil hier von Wissenschaftlern - diese Erkenntnisse liegen vor, und sie wurden in der Anhörung vorgetragen - in der Tat vermehrt ein Zusammenhang mit Unfällen, verursacht durch Alkohol, gesehen wird. Professor Krüger von der Universität Würzburg und Professor Schöch von der Universität Göttingen haben in einer Untersuchung überzeugend dargelegt, daß es einen sehr engen Zusammenhang zwischen Alter, Dauer des Führerscheinbesitzes und Unfällen mit geringen Alkoholwerten gibt.
Sie erklären dies sehr einleuchtend damit, daß bei der Jugend zu dem vorhandenen Leichtsinn, dem vorhin schon erwähnten Geschwindigkeitsrausch und auch dem Imponiergehabe das Ungewohntsein zunächst auch nur geringer Alkoholmengen kommt. Nach statistischen Unterlagen verdoppeln junge Menschen im Alter zwischen 18 und 24 Jahren ihren mittleren Alkoholkonsum. Das heißt, hier liegt eine Gewöhnungsphase vor, deren Gefährlichkeit in den ersten Jahren der Fahrerlaubnis durch ein totales Alkoholverbot entgegengewirkt werden könnte.
Ich habe mit vielen Jugendlichen über dieses Problem diskutiert. Sie würden dies nicht als Diskriminierung oder Sondermaßregelung betrachten, sondern akzeptieren. Wir hätten damit eine Chance, dort, wo die Gefahr am größten ist, effektiv einzugreifen.
Meine Damen und Herren, wir sollten nun, ohne polemisch zu sein, darangehen, in kurzer Zeit eine vernünftige Lösung zu finden, damit wir Alkoholkontrollen ohne Verdacht einführen können und so notfalls auch jemanden, der sich nicht bereit erklärt zu blasen, zur Blutprobe bringen können. Das wäre das beste Mittel, um dem Problem Alkohol im Verkehr entgegenzuwirken.
Danke schön.
({2})
Jetzt hat die Kollegin Gila Altmann das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir wurde gerade noch nachgerufen, ich solle bei diesem Problem an die Glaubwürdigkeit denken. Ich denke, das möchte ich meinem Vorredner auch einmal ins Stammbuch schreiben. Das, was hier über die Alkoholtoten gesagt worden ist nach dem Motto: sterben müssen wir alle mal, und da ist es wurscht, wodurch; ist mehr als zynisch gewesen.
({0})
Sie wissen doch genau, daß es gerade die Jugendlichen sind, die sich an den Wochenenden immer unter Alkoholeinfluß im Geschwindigkeitsrausch um den „Baum wickeln".
({1})
Genau Ihre Art der Argumentation bekräftigt diese Haltung noch: Man kann ja Alkohol trinken, ist ja alles gar nicht so schlimm.
({2})
Dann auch noch den Vorschlag zu machen, bis 24 dürfen sie nicht trinken, aber danach kann es losgehen, da kann ich einfach nur sagen: Einem Opfer, das totgefahren wird, ist es wurscht, ob da ein Junger oder ein Alter sitzt. Alter schützt nun einmal nicht vor Torheit.
({3})
Ich finde es sehr schade, daß nur noch so wenige da sind. Die anderen sind wahrscheinlich schon in die Kneipe abgewandert. Aber das sollen sie auch, solange sie sich hinterher nicht hinter das Steuer setzen.
Verzeihung, Frau Kollegin, vielleicht könnten wir den Ton etwas mäßigen Gila Altmann ({0}) ({1}): Ja, Entschuldigung.
- und die Rede nicht darauf abstellen, was Sie verstanden haben wollen, was ein Vorredner gesagt hat.
({0})
Ich denke, wer etwas trinken möchte, der soll das tun. Es geht hier heute darum, daß sich niemand alkoholisiert ans Steuer setzen sollte.
({0})
Das wird nämlich immer zu wenig deutlich gesagt.
Gila Altmann ({1})
In der heutigen Debatte über die Herabsetzung der Promillegrenze am Steuer geht es nicht nur um die gesellschaftlich anerkannteste und völlig legalisierte Massendroge - das haben wir leider so zur Kenntnis nehmen müssen -, es geht auch um ein Stück Nachlaßverwaltung des halbfertigen Einigungsvertrages mit der ehemaligen DDR, wo bislang nur der Grüne Pfeil übriggeblieben ist.
({2})
Es wird sich innerhalb dieser Diskussion zeigen, ob die ostdeutschen Abgeordneten erneut und fraktionsübergreifend von der Winzer- und Hopfenfraktion und den Leittrinkern über den Wessitresen gezogen werden oder nicht.
({3})
Solange die Volksdroge Alkohol in dieser Gesellschaft, unterstützt durch die Werbung und durch solche Beiträge, mit Lebensgefühl, Glück und Entspannung assoziiert wird, werden auch die Zahlen der Verkehrstoten - da kann ich Ihnen einfach nur sagen: jeder einzelne Verkehrstote ist einfach zuviel - nicht sinken.
({4})
Frau Kollegin Altmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Wo ist er denn? ({0})
Na ja, machen Sie mal!
Bitte sehr, Herr Kollege.
Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß es z. B. in Ungarn die 0,0-PromilleGrenze gibt und in Polen die 0,2-Promille-Grenze
({0})
und daß in Ungarn 14,2 % aller Unfälle trotz 0,0-Promille-Grenze Alkoholunfälle sind und in Polen bei einer 0,2-Promille-Grenze, wie ich eben sagte, 28 % aller Verkehrstoten leider Alkoholtote sind? Worauf führen Sie das zurück? Sind Sie der Meinung, daß dann, wenn man diesen Grenzwert auf 0,0 herabsetzt, sich aber niemand daran hält, das Problem bewältigt ist? Es ist doch allemal besser, hier schärfer zu kontrollieren, als etwas zu beschließen, das von den meisten Bürgern dann zu guter Letzt nicht eingehalten wird.
({1})
Da kann ich natürlich die Gegenfrage stellen: Welchen Schluß ziehen Sie daraus? Heißt das, wir können es sowieso nicht kontrollieren, also saufen bis zum Umfallen und dann Auto fahren? Das kann es doch nun wohl auch nicht gewesen sein.
({0})
Bei uns ist es so, daß ca. die Hälfte der Verkehrsunfälle auf Alkoholkonsum zurückzuführen ist.
({1})
Ich möchte Ihnen dazu ein paar Zahlen sagen. Es gibt diesen Großversuch von Köln. Den kennen auch Sie. 20 000 Fahrer und Fahrerinnen sind im Regierungsbezirk Köln kontrolliert worden. Man hat 95 Blutproben genommen, 66 Führerscheine entzogen, und der höchste Wert lag bei 3,96 Promille. Ich würde sagen: Diesen Wert erreicht man nicht einmal hier im Bundestag. Wollen Sie das als Grenzwert nehmen?
({2})
Meistens sind nämlich die nichtalkoholisierten und die schwächeren Verkehrsteilnehmer - das sind Fußgänger, das sind Radfahrer, und das sind vor allem auch Kinder, die eben nicht über Stoßstangen, Sicherheitsgurte und Airbags verfügen - Opfer dieser betrunkenen Autofahrer. Alkohol - das möchte ich auch einmal sagen - ist kein Stammtischthema.
Hier wurde vorhin von Herrn Scheffler gesagt: Bei 0,5 Promille fangen die ersten Fehleinschätzungen an.
({3})
- Ja, genau, das wollte ich auch sagen. Schon bei 0,3 Promille gibt es die ersten Fehleinschätzungen. Insofern muß man ganz klar sagen, daß es da auch zu Selbstüberschätzungen kommen kann.
Grundsätzlich: Trunkenheit am Steuer ist und bleibt eine Straftat und wird in dieser Gesellschaft leider immer noch als Kavaliersdelikt aufgefaßt.
({4})
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Es muß endlich unmißverständlich deutlich gemacht werden: Alkohol und Auto fahren schließen sich aus. Ich finde, wir sollten im Bundestag mit 0,0 Promille anfangen.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist lange abgelaufen.
Die besten Entscheidungen lassen sich in nüchternem Zustand treffen.
Ich muß noch kurz etwas sagen.
Nein, jetzt nichts mehr.
Ich habe ein Röhrchen mitgebracht. Zum Pusten ist alles da. Wer das möchte, dem kann ich das geben.
Vielen Dank.
({0})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Horst Friedrich.
Herr Präsident! Die Kollegin Altmann hat in ihrer Rede fälschlicherweise festgestellt, die Liberalen seien in der Kneipe. Ich bitte, für das Protokoll festzuhalten, daß deutlich mehr Liberale diese Debatte verfolgen, als GRÜNE im Plenum anwesend sind.
({0}): Ihr habt es auch nötig, die
Debatte zu verfolgen, im Gegensatz zu uns!
- Heiterkeit bei der SPD und der PDS)
Kurze Replik, Frau Altmann, bitte.
Ich wollte dazu nur sagen: Erstens. Man kann auch darüber streiten, wer es nötig hat und wer nicht.
({0})
Zweitens. Ich habe nicht zwischen den einzelnen Fraktionen unterschieden, sondern ich habe grundsätzlich darauf hingewiesen.
Ich muß dazu hervorheben: Auch in meiner Fraktion wird dieses Thema unterschiedlich gesehen. Aber wir haben eine Grundsatzentscheidung.
({1})
Das Wort hat der Kollege Heinz Lanfermann.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Zur Promillegrenze kann ich sagen: Die gegenwärtig bestehenden Regelungen halte ich für absolut angemessen."
({0})
- Der Widerspruch aus den Reihen der SPD nötigt mich jetzt dazu zu sagen, daß ich diesen Satz nicht erfunden habe, sondern daß ich ihn wiederholt habe nach Ihrem Partei- und Fraktionsvorsitzenden Scharping, der im Mai 1994 - das war, vielleicht zufällig, ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl - in der Zeitung „Auto und Straßenverkehr" damit durchaus zutreffend zitiert wurde.
({1})
Alle Jahre wieder wird die Diskussion neu entfacht, werden neue Antragsnummern über alte Texte gesetzt und, wie wir gehört haben, findet auch ein gewisses Recycling von Argumenten statt.
Meine Damen und Herren, wer den Bürgerinnen und Bürgern Vorschriften für ihr Verhalten machen will, muß natürlich nicht nur seine vielleicht wirklich gutgemeinten Motive vortragen. Er muß vor allem die Frage beantworten, ob das von ihm vorgeschlagene Mittel, also die vom Bürger verlangte Einschränkung, denn zur Erreichung des vorgegebenen Ziels überhaupt geeignet ist. Über das Ziel sind wir uns einig: die Zahl der Alkoholfahrten und Unfallopfer so weit wie möglich zu senken. Jeder Tote im Straßenverkehr ist einer zuviel, und das natürlich erst recht, wenn der Unfall auf Alkoholeinfluß zurückzuführen ist.
Die Frage ist aber, ob eine Verschärfung oder Ausdehnung des Strafrechts wirklich ein geeignetes Mittel ist, die Unfallzahlen zu senken. Wenn allein die Verschärfung strafrechtlicher Normen zu einer wirksamen Bekämpfung von Verstößen ausreichen würde, dürfte es die Vielzahl der Verstöße gegen die geltende Promillegrenze gar nicht geben. Ich darf in Erinnerung rufen, daß es nach seriösen Schätzungen eine enorme Dunkelziffer gibt und daß daher auch nur etwa eine von 600 Fahrten unter Alkoholeinfluß, aufgedeckt wird. Das Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht und das Verkehrsstrafrecht haben aber leider nicht einen solchen Einfluß auf das Verhalten der Verkehrsteilnehmer, wie viele - dazu gehören selbst Juristen und Politiker - glauben.
Hinzu kommt: Strafvorschriften, die ins Leere laufen, weil sie nicht ausreichend kontrolliert und durchgesetzt werden, nutzen niemandem und machen den Gesetzgeber letztlich unglaubwürdig.
({2})
Wer glaubt, ein Problem gelöst zu haben, hat es in Wirklichkeit nur auf eine andere Ebene verschoben.
Verzeihung, Herr Kollege, ich muß für einen Moment unterbrechen. - Die kleine Regierungskonferenz ist jetzt beendet, und am Ausgang neigt sich die Gesprächsrunde hoffentlich dem Ende zu.
Bitte, fahren Sie fort.
Ich hoffe, daß die Uhr nur für mich weitergelaufen ist, aber nicht für die Zählung der Minuten meiner Redezeit.
Meine Damen und Herren, der Kollege von Stetten hat hier schon eine Reihe von Zahlen gebracht, so daß ich mich nur noch auf einen Punkt beschränken möchte. Nach der Unfallstatistik liegen die alkoholbedingten Unfälle weitaus überwiegend oberhalb der 0,8-Promille-Grenze, 90 % bei mehr als 1,1 Promille und sogar mehr als die Hälfte bei über 1,5 Promille. Sie müssen, wenn Sie solche Anträge stellen, ehrlich dazusagen, daß eine Senkung unterhalb dieses Bereichs, nämlich von 0,8 auf 0,5 Promille, die eigentliche Problemzone gar nicht berührt, in diesem Sinne das Gewünschte auch nicht bewirken kann.
Untersuchungen, z. B. der Professoren Krüger und Schöch, haben gezeigt, daß im Bereich zwischen 0,3 und 0,5 Promille eine gewisse Konsumsperre liegt, die regelmäßig von vielen nicht überschritten wird, daß aber diejenigen, die die Grenze von 0,5 Promille überschreiten, sicherlich nicht vor der 0,8-Promillegrenze haltmachen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich habe eines vermißt. Sie haben hier einen Antrag gestellt, der eine Ordnungswidrigkeits- und letztlich auch eine Strafrechtsnorm verändern soll. Ich habe aber kein Wort über die Systematik gehört, die es in unserem Gesetz gibt. Sie haben an der Sache, nämlich an der rechtlichen Änderung, ganz einfach vorbeiargumentiert. Ich möchte entgegen dem Eindruck, der hier erweckt worden ist, noch einmal ganz klar feststellen: Die 0,8-Promille-Grenze ist keine staatliche Erlaubnis für Trunkenheitsfahrten.
({1})
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ein wohl durchdachtes Sanktionssystem, das die notwendigen festen Grenzen für Strafbarkeit und Ordnungswidrigkeit von 1,3 und 0,8 Promille mit einer Strafandrohung für tatsächlich vorliegende Fahruntüchtigkeit unabhängig von dem konkreten Meßwert an Blutalkohol kombiniert. Dabei ist die hier angesprochene 0,8-Promille-Grenze lediglich der absolute und in jedem Fall geltende Grenzwert, selbst wenn keinerlei Anzeichen für einen Alkoholeinfluß auf die Steuerungsfähigkeit objektiv feststellbar ist.
Aber bereits jetzt, bei der geltenden Rechtslage, wird jeder Fahrer bestraft, der mit einer Alkoholkonzentration selbst von z. B. nur 0,3 Promille alkoholbedingte Auffälligkeiten im Straßenverkehr zeigt, insbesondere natürlich wenn er auch nur am leichtesten Unfall beteiligt ist. Selbst bei Fahrten über Rotlicht gehen die Gerichte davon aus, daß dieser Steuerungsfehler auf den Alkoholeinfluß zurückzuführen ist, zum großen Erstaunen mancher Fahrer, die davon betroffen sind.
({2})
Es ist also keineswegs so, daß jeder sorglos bis zu 0,8 Promille trinken dürfte, ohne daß ihm dafür eine strafrechtliche Verfolgung drohte.
({3})
Meine Damen und Herren, jedem Verkehrsteilnehmer sollte die erhöhte Gefährlichkeit einer jeden auch nur leicht alkoholisierten Autofahrt bereits heute bewußt sein. Dieses Bewußtsein der Bürger zu schärfen ist der entscheidende Beitrag für eine höhere Verkehrssicherheit.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich fürchte, meine Rede war durch Störungen etwas beeinflußt. - Dann will ich zum Schluß kommen.
Wenn dies nicht hilft, muß der Staat zu anderen Mitteln greifen. Aber das geeignete Mittel ist nicht die Absenkung der Promillegrenze, sondern sind erheblich verbesserte und effektivere Kontrollen, wobei die Atemalkoholanalyse natürlich von großer Bedeutung ist, weil sie viel leichter einführbar ist.
({0})
Hierzu haben meine Vorredner einiges gesagt.
Herr Kollege!
Gestatten Sie mir noch einen letzten Satz, Herr Präsident. Ich will darauf hinweisen, daß es insbesondere die Länder sind, die durch eine notwendige Personal- und Sachausstattung der Polizei dazu einen Beitrag leisten müssen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Wenn wir so knapp bemessene Debattenzeiten haben, dann ist der amtierende Präsident natürlich gehalten, besonders streng auf die Einhaltung der Redezeit zu achten. Ich bitte darum, bei dem Hinweis „die Redezeit ist abgelaufen" nur noch einen Satz zu sagen und nicht eine Minute weiterzureden.
({0})
Ich erteile der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann das Wort.
({1})
Sie müssen mich schon noch ertragen. - Meine angeschlagene Stimme ist übrigens keine Säuferstimme.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gestehe: Wir haben Gott sei Dank noch rechtzeitig gemerkt, daß uns beim Abschreiben des Antrags ein
Fehler unterlaufen ist, und haben einen neuen Entwurf vorgelegt. Leider haben die Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unseren Fehler übernommen.
Ich stelle hier also ganz deutlich fest: Wir gehen noch nicht davon aus, daß allein schon Autofahren, egal ob mit oder ohne Alkohol, eine Ordnungswidrigkeit darstellen sollte.
({0})
- Ich habe ja gesagt: „noch".
Ich hoffe, daß es den vorliegenden Anträgen zur Senkung der Promillegrenze im Straßenverkehr nicht so ergeht wie in der letzten Legislaturperiode, als deren Behandlung mit fadenscheinigen Argumenten von seiten der Regierungskoalition über mehrere Jahre verschleppt wurde, was aus Ihrer Sicht, meine Damen und Herren von der Koalition, durchaus zu verstehen ist; denn Sie wissen genau, daß Sie sich in einer Minderheitsposition befinden, in einer gesellschaftlichen Minderheit auf jeden Fall - die Zahlen sind hier angesprochen worden -, und wahrscheinlich befürchten Sie wegen der Dissidentinnen und Dissidenten in Ihren eigenen Reihen auch eine Niederlage hier im Parlament. Ich schätze, da hat der Kollege Schäuble wohl noch ein hartes Stück Arbeit zu leisten.
Im Jahre 1993 ging - Herr von Stetten, wir müssen vielleicht mal unsere Quellen überprüfen; ich habe nämlich andere Zahlen als Sie - die Hälfte aller Verkehrstoten, nämlich 4 956 von 9 913 Unfallopfern, auf das Konto von Alkohol am Steuer. Die wenigsten Opfer waren tatsächlich die Schuldigen. Das sollte man dabei immer bedenken.
Bei Unfällen mit Personenschaden verläuft der Unfall unter Beteiligung einer alkoholisierten Person deutlich schwerer als mit einer nüchternen.
Ich denke, daß allein diese Zahlen ausreichende Argumente dafür sind, daß in der Frage Alkohol am Steuer dringender Handlungsbedarf besteht
({1})
und daß es in Sachen Promillegrenze keine Kompromisse geben darf. Egal, ob 0,3 oder 0,5: Jeder Grenzwert ist willkürlich, stellt aber grundsätzlich einen Freibrief für alkoholisiertes Fahren dar. Das belegt unter anderem das drastische Ansteigen der Zahl alkoholbedingter Unfälle in den neuen Bundesländern nach dem Wegfall der 0,0-Promille-Regelung. Bei nicht wenigen war das das Signal: Endlich dürfen wir trinken und fahren. Wieviel menschliches Leid hat das gebracht? Auch daran sollten wir denken.
Um nicht mißverstanden zu werden: Die PDS ist keine Partei der Askese oder der Blaukreuzler, und unser Pressesprecher ist nicht gerade ein Beleg für unsere Forderung. Dennoch: Nur ein klares Votum für 0,0 Promille kann zum Bewußtsein beitragen, daß sich Alkoholkonsum und das Führen eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich ausschließen müssen.
Es geht hier um die Formulierung eines Gebots im Straßenverkehr. Es geht nicht allein um die rechtliche Würdigung dieses Problems. Genau von dieser Entwicklung des Bewußtseins sind wir meilenweit entfernt. Alkohol am Steuer gilt - ganz besonders unter Männern - noch immer als Kavaliersdelikt, als etwas, das schon mal vorkommen kann, wenn nach den drei, vier Bierchen die Selbstüberschätzung einsetzt und vor der Kneipentür die geballten Pferdestärken warten.
Frau Kollegin, bitte.
Ich bin gleich fertig.
Es ist allerdings auch tatsächlich ein Kavaliersdelikt; denn nachgewiesenermaßen sind Männer am Lenkrad aggressiver und rücksichtloser als Frauen. Ich meine, daß hier im Gegensatz zum Schwarzfahren ein wirklicher Handlungsbedarf besteht.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/422, 13/612 ({0}) und 13/694 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Federführung ist jedoch strittig: Die Fraktion der SPD wünscht die Federführung beim Ausschuß für Verkehr, die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. beim Rechtsausschuß. Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der SPD? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Überweisungsvorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P.? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Überweisungsvorschlag ist angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ({1})
- Drucksachen 13/57, 13/207 -({2})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3})
- Drucksache 13/716 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Röttgen Dr. Jürgen Meyer ({4})
Vizepräsident Hans Klein
Darf ich Sie bitten, den Saal ein bißchen rascher zu verlassen, damit wir mit der Beratung der Tagesordnung, die sich ohnehin schon um zweieinhalb Stunden verzögert hat, fortfahren können.
Zu diesem Tagesordnungspunkt liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Burkhard Hirsch, Hans-Dietrich Genscher, Cornelia Schmalz-Jacobsen, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig und Dr. Max Stadler vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dagegen erhebt sich offenkundig kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Norbert Röttgen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung beinhaltet die Umsetzung einer Resolution des UNO-Sicherheitsrates aus dem Jahre 1993. Der Sicherheitsrat hat darin beschlossen, einen internationalen Strafgerichtshof zur Verfolgung von Personen zu errichten, denen schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien zur Last gelegt werden.
Ich glaube, wir sollten diese Debatte über die Errichtung dieses Gerichtshofes dazu nutzen, um uns zu vergegenwärtigen, daß hiermit seit den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg und Tokio erstmalig wieder ein internationaler Strafgerichtshof errichtet wird. Damit kommt der Errichtung eines solchen Gerichtes eine besondere Bedeutung zu; denn die Errichtung dieses Gerichtes bringt in besonderer Weise die Umbruchphase zum Ausdruck, in der wir uns befinden, die Umbruchphase in der politischen Weltordnung, übrigens mitsamt ihrer Ambivalenz.
Zum einen gab es in der Zeit des Ost-West-Konfliktes keinen Krieg in Europa. Jetzt gibt es ihn. Er wird mit barbarischen Methoden und mit einer Grausamkeit geführt, die sich Menschen wie ich z. B., die diese Realität nicht erlebt haben, wohl gar nicht vorstellen können.
Auf der anderen Seite war die Weltgemeinschaft in der Zeit des Ost-West-Konfliktes nicht in der Lage, sich auf die Errichtung eines solchen internationalen Strafgerichtshofs und einer solchen Strafgerichtsbarkeit zu verständigen. Insofern ist die Erkenntnis wohl richtig: Unsere Weltordnung ist instabiler geworden. Aber diese Instabilität bringt auch die Chance mit sich, eine neue und auch eine gerechtere Weltordnung als die alte, stabile des Ost-West-Konflikts zu schaffen.
In Beziehung dazu sehe ich auch die Errichtung des internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien. Ich halte die Errichtung dieses Gerichtes für ein Element dieser neuen, gerechteren Weltordnung, einer neuen Weltfriedensordnung. Ich glaube, wir müssen dieses Gesetz in dieser Dimension sehen. Es geht um nichts anderes als um die Durchsetzung elementarer Regeln der internationalen Gemeinschaft. Es geht darum, absolute Mindeststandards der Humanität durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, die kardinale Schwäche des Völkerrechts war doch immer, daß es an einem wirksamen Sanktionsinstrumentarium gefehlt hat. Es hat nicht an gutem Willen oder an materiellem Recht gefehlt. Es hat vielmehr gefehlt und fehlt an Institutionen und Sanktionen. Es hat an der Durchsetzung des materiellen Rechts gefehlt. Darum ist die Errichtung dieses Jugoslawien-Strafgerichtshofs ein ganz bedeutender Schritt für eine Veränderung, für eine Verbesserung unserer politischen internationalen Ordnung.
({0})
Diese grundsätzlich positive Feststellung aber bedeutet natürlich nicht, daß wir diese Resolution des UNO-Sicherheitsrats und auch das deutsche Umsetzungsgesetz unkritisch betrachten. Das kann es bei aller positiven Feststellung und Bewertung dieser Entwicklung ganz sicher nicht heißen. Es geht unter anderem und in besonderer Weise darum, daß auch die sich nun in der Entwicklung befindende internationale Strafjustiz in der gesamten Bandbreite der Verfahren von der Ermittlung bis hin zur Vollstrekkung den Grundsätzen entspricht, die wir an ein rechtsstaatliches Verfahren stellen.
Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sind der Auffassung, daß die Errichtung des Jugoslawien-Strafgerichtshofes diesen rechtsstaatlichen Anforderungen gerecht wird, wenngleich sich dies natürlich, wie ich bereits festgestellt habe, insgesamt noch in der Entwicklung befindet und die einzelnen Instrumente noch entwicklungsfähig sind.
Ich möchte feststellen: Die Todesstrafe wird ausgeschlossen. Der Grundsatz „ne bis in idem" ist verankert. Ausgeschlossen ist auch ein Verfahren gegen Abwesende. Grundlegende rechtsstaatliche Garantien sind also festgehalten.
Ich möchte auf einen besonderen Gesichtspunkt eingehen, der mit dem strafrechtlichen Legalitätsgrundsatz zusammenhängt: In dem Statut, das hierfür maßgeblich ist, sind keine konkreten Strafandrohungen fixiert. Wie bereits gesagt, ist der Ausschluß der Todesstrafe festgestellt. Im übrigen aber gilt: Die Sanktion ist Freiheitsstrafe.
Nun könnte man überlegen: Ist das zu unbestimmt? Ich hin der Auffassung, daß dies letztlich nicht zu beanstanden ist. Zum einen ist es sowohl im Völkergewohnheitsrecht als auch im Vertragsrecht üblich, keine konkreten Strafen anzudrohen; es entspricht also dem, was völkerrechtlicher Standard ist. Zum anderen möchte ich feststellen: Bei der Verwerflichkeit und dem Ausmaß der Verwerflichkeit der Straftaten im ehemaligen Jugoslawien, um die es hier geht - gröbste Delikte wie Völkermord und anderes - kann offenkundig nur eine Freiheitsstrafe in
Betracht kommten deren angemessene Höhe dann in das Ermessen des Gerichts gestellt wird. Wir sind der Auffassung, daß hier keine durchgreifenden Bedenken bestehen.
Ich möchte auf einen letzten Gesichtspunkt eingehen, der natürlich ein sehr zentraler und wichtiger ist. Er betrifft die Frage der Überstellung der Personen, gegen die sich der Verdacht richtet, an einer solchen Straftat beteiligt gewesen zu sein, oder auch die Überstellung an ein Land zur Vollstreckung. Sowohl in der Resolution als auch in dem Umsetzungsgesetz, dort in § 3, ist fixiert, daß die Überstellung möglich ist.
Ich möchte auch an dieser Stelle, hier im Deutschen Bundestag, feststellen, daß nach Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes die Bestimmung der Überstellung nicht auf deutsche Staatsangehörige anwendbar ist; das ist ganz wichtig. § 3 dieses Gesetzes ist also im Zusammenhang mit Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes zu sehen. Aus dieser verfassungsrechtlichen Bestimmung folgt unmittelbar, daß die Überstellung Deutscher ausgeschlossen ist. Daß dieses Gesetz, auch das Umsetzungsgesetz, nicht auf Deutsche anwendbar ist, bedeutet ein unmittelbares, verfassungsrechtliches Verbot der Auslieferung, hier konkret der Überstellung.
Wir haben im Rechtsausschuß sehr intensiv diskutiert, ob diese Verfassungsrechtslage sozusagen deklaratorisch Aufnahme in das Umsetzungsgesetz finden soll. Es wurde konkret folgende Formulierung vorgeschlagen: „Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes bleibt unberührt." Diese Formulierung haben wir auf Anregung der F.D.P. intensiv erörtert.
Wir sind nach dieser intensiven Diskussion einhellig zu der Überzeugung gekommen, daß wir von diesem Formulierungsvorschlag Abstand nehmen sollten, und zwar deshalb, weil es eine völlige Selbstverständlichkeit ist, daß das einfache Gesetz nicht geeignet ist, die Verfassung zu ändern. Darum wollen wir diese Feststellung auch nicht in das einfache Gesetz aufnehmen. Wir halten es nicht für eine gute Gesetzgebungstechnik, zu sagen: Ein einfaches Gesetz verändert die Verfassung nicht. Das ist eine völlige Selbstverständlichkeit. Aus der Zusammenschau des einfachen Rechtes und des Verfassungsrechtes ergibt sich die klare und eindeutige Rechtslage: Deutsche werden nicht ausgeliefert und auch nicht überstellt.
Wir haben, glaube ich, einen guten Kompromiß für dieses Problem gefunden.
({1})
Wir haben nämlich gesagt: Wir nehmen das in die Begründung des Gesetzes auf, so daß ausdrücklich festgestellt wird, daß der Deutsche Bundestag dieses Problem gesehen hat.
Ich möchte eine letzte Bemerkung dazu machen. Dies ist ein Gesetz, das nicht in breiten Bevölkerungskreisen Anwendung findet, so daß man sagen könnte: Hier besteht ein besonderer Informationsbedarf, wie die Rechtslage ist. Es ist ein bei Völkermord und ähnlichen Tatbeständen sehr punktuell greifendes Gesetz. Ich glaube, daß es eine ausreichende Klarstellung ist, wenn wir dies in die Begründung aufnehmen. Die Rechtslage ist eindeutig.
Zur Sachfrage als solcher möchte ich bemerken: Sie ist damit nicht geklärt. Wir haben im Rechtsausschuß mit der gleichen Einmütigkeit festgestellt, daß wir die Frage, die davon zu trennen ist, ob wir die Möglichkeit eröffnen wollen, deutsche Staatsangehörige zu überstellen, ob wir also die Verfassung ändern wollen - das ist die Voraussetzung dafür -, bei diesem Gesetzentwurf nicht debattieren wollen. Wir wollen das separat erörtern. Das ist sicherlich eine Diskussion, die man sehr sorgfältig, sehr abwägend führen muß. Das wollen wir mit dieser aktuellen Debatte nicht vermischen. Wir sind zu einer separaten sachlichen Diskussion darüber bereit, ob in diesem Punkt eine Verfassungsänderung durchgeführt werden soll.
Insgesamt möchte ich abschließend feststellen: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß dieser Gesetzentwurf politisch nachdrücklich zu begrüßen ist und durchgreifende rechtliche, auch rechtsstaatliche Bedenken nicht bestehen. Wir machen mit der Errichtung dieses Gerichts einen großen weltpolitischen Fortschritt. Ich glaube, es ist nicht vermessen, das so zu formulieren.
Danke sehr.
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Herr Kollege Professor Dr. Jürgen Meyer, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin mit meinem Vorredner der Auffassung, daß die heute anstehende Verabschiedung des Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetzes ein nicht unwichtiger Meilenstein auf dein Weg zur Weiterentwicklung des internationalen Strafrechts ist. Nach Jahrzehnten erfolglosen Bemühens gelingt es nun erstmals, für genau aufgeführte schwerste Verbrechen einen internationalen Strafgerichtshof einzurichten, der für Verbrechen, begangen in einem bestimmten Zeitraum in einem bestimmten Territorium, nämlich seit 1991 im ehemaligen Jugoslawien, zuständig sein soll.
Dies ist ein beachtlicher Fortschritt für den Gedanken des Völkerstrafrechts. Wir erfüllen damit einen Teil der völkerrechtlichen Verpflichtung aus Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen. Aber dieses Gesetz ist nur ein erster Schritt zur Unterstützung des internationalen Gerichtshofes.
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Nach geltendem deutschen Verfassungsrecht dürfen nämlich nur ausländische, nicht aber deutsche Angeklagte an den Gerichtshof überstellt werden. Ein vom Generalbundesanwalt wegen schwerster Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien angeklagter Beschuldigter wird demnächst nur deshalb in Den Haag zur Rechenschaft gezogen werden können,
Dr. Jürgen Meyer ({1})
weil er serbischer Staatsangehöriger ist. Es kann aber nach unserer Auffassung und auch nach der Auffassung des Bundesrates nicht hingenommen werden, daß sich deutsche Söldner, die im ehemaligen Jugoslawien Mord, Folter, Vergewaltigung oder andere Verbrechen begangen haben sollen, oder Rüstungsexporteure, die sich am Völkermord beteiligt haben, nicht vor diesem Gerichtshof verantworten müssen.
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Deshalb ist zu begrüßen, daß der Rechtsausschuß dem Wunsch der SPD und des Bundesrates zugestimmt hat, über eine Änderung des Verbotes der Auslieferung und der Überstellung von deutschen Staatsangehörigen weiterzuberaten, um die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auch insoweit erfüllen zu können. Der Internationale Strafgerichtshof darf keine Sondereinrichtung nur für ausländische Straftäter sein. Es handelt sich also um einen unvollkommenen Schritt, den wir heute tun.
Wir Sozialdemokraten wollen ebenso wie der Bundesrat, daß durch ein weiteres, verfassungsänderndes Gesetz möglich gemacht wird, daß deutsche Staatsangehörige, die schwerste Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien begangen haben, an den Internationalen Strafgerichtshof überstellt werden und sich vor diesem Gericht verantworten müssen.
Die Problematik wird sehr schwierig, wenn es an die verfassungsrechtliche Umsetzung geht. Deshalb ist es sicher klug, daß wir im Rechtsausschuß gesagt haben: Wir wollen dieses gesondert beraten.
Da stellt sich z. B. die grundsätzliche Frage, ob und inwieweit das Auslieferungsverbot nach Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes für deutsche Staatsangehörige noch zeitgemäß ist. Sicher gilt weiterhin der Grundgedanke, daß deutsche Staatsangehörige dem Staat gegenüber eine Loyalitätsverpflichtung haben und deshalb auch einen Schutzanspruch gegenüber dem Staat haben. Aber ich frage: Steckt hinter dem absoluten Auslieferungsverbot nicht auch so etwas wie Mißtrauen gegenüber fremden Justizorganen?
Ich weise auf die ganz erheblichen Probleme hin, die es im Rechtshilfeverkehr etwa zwischen der Bundesrepublik und den Ländern des angloamerikanischen Rechtskreises gibt. Beispielsweise kann ein amerikanischer Tourist oder früherer Besatzungssoldat, der in der Bundesrepublik eine schwere Straftat begangen hat und nicht verhaftet werden konnte und in seine Heimat zurückgekehrt ist, für diese schwere Straftat bisher nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Warum? In den USA und in anderen Ländern des angloamerikanischen Rechtskreises gilt das Territorialitätsprinzip, d. h. die amerikanische Strafgewalt gilt nur für Taten, die auf amerikanischem Territorium begangen worden sind. Deshalb sind die USA bereit, auch eigene Staatsangehörige an andere Staaten - in meinem Beispielfall an die Bundesrepublik - auszuliefern, allerdings unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit. Das heißt, wir müßten auch bereit sein, deutsche Staatsangehörige zur Verhandlung vor einem amerikanischen Gericht auszuliefern. Dem steht jedoch die Verfassung entgegen.
Das ist ein Problem, das sich in einer Vielzahl von Fällen in den vergangenen Jahrzehnten gestellt hat und über das wir nachdenken müssen.
Eine Lösung könnte darin bestehen, den Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes drastisch einzuschränken. Eine andere aber - dafür habe ich immer wieder plädiert - könnte darin bestehen, unter den zivilisierten Staaten der Welt den Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege durchzusetzen.
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Das würde bedeuten, daß beispielsweise die USA in Erweiterung des Territorialitätsprinzips bereit wären, eigene Staatsangehörige, aber auch andere Straftäter, die in den USA festgenommen werden, vor Gericht zu stellen, gegebenenfalls abzuurteilen, und dieses Urteil - Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege - dann von anderen zivilisierten Staaten
- selbstverständlich auch von der Bundesrepublik - anerkannt würde. Das ist die andere Möglichkeit, und darüber müssen wir nachdenken.
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- Das ist eine Frage der Geltung rechtsstaatlicher Grundsätze. Ich nehme an, die Länder, die ich genannt habe, Herr Kollege Hirsch, sind doch über jeden Zweifel erhaben.
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- Ja, Herr Kollege Lanfermann, dann müssen Sie auch Roß und Reiter nennen, wenn Sie anderer Auffassung sind.
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- Ich nehme Ihre Rücknahme gern entgegen.
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- Dann sagen Sie, was Sie nicht waren, und ich werde Ihnen sagen, was daran verkehrt gewesen ist.
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In unserem Zusammenhang geht es aber um einen zunächst einmal kleineren Schritt, nämlich die Möglichkeit, durch eine Modifizierung des Auslieferungsverbots dafür zu sorgen, daß auch deutsche Söldner - ich nannte die Fallgruppe - dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag überstellt werden können. Natürlich geht es bei dem, was die F.D.P. vorschlägt, nicht darum, daß sie straffrei bleiben sollen. Aber ist es denn, frage ich Sie, überzeugend, ausländische Kriegsverbrecher dem Gericht in Den Haag zu überstellen und deutsche Staatsangehörige, die dieselben Taten begangen haben, der Verhandlung eines Provinzgerichts ohne gleiche SachkenntDr. Jürgen Meyer ({9})
nis und Kompetenz zu überantworten? Ist es eigentlich überzeugend, deutsche Richter an einem internationalen Strafgericht über ausländische Staatsangehörige richten zu lassen, nicht aber über deutsche?
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Herr Kollege Meyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirsch?
Ja, bitte.
Verehrter Herr Kollege, nun verstehe ich Sie überhaupt nicht mehr. Ist es denn nicht so, daß Sie mit dem Gesetzentwurf, den Sie hier beschließen wollen, auch nach Ihrer eigenen Aussage genau das beschließen, was Sie zu beklagen vorgeben? Denn Sie ändern ja, wie Sie vorhin ausgeführt haben, doch mit diesem Gesetz auch nicht die Verfassung. Das heißt, daß auch mit dem Gesetzesbeschluß, den Sie hier vertreten, die Folge eintritt, die Sie gar nicht haben wollen. Sie müßten doch dann die Verfassung ausdrücklich ändern. Oder wie sehe ich das?
Herr Kollege Hirsch, Ihre Frage ist nur scheinbar scharfsinnig;
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denn ich habe vorhin ausgeführt - gestatten Sie mir, es zu wiederholen -, daß wir dieses Gesetz nur als ersten Schritt ansehen und daß wir als sozialdemokratische Bundestagsfraktion gemeinsam mit dem Bundesrat den zweiten Schritt einer Modifizierung des absoluten Auslieferungsverbots einfach auch deshalb für notwendig halten, weil dieses eine völkerrechtliche Verpflichtung aus der UN-Charta ist, über die wir uns nicht einfach hinwegsetzen können.
Und jetzt will ich Ihnen in meiner Antwort auch gleich sagen, warum ich Sie überhaupt nicht verstehe.
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Sie haben doch in Ihrem Änderungsantrag den Vorschlag gemacht
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- den Sie sicherlich schön begründen könnten, wenn Sie auf der Rednerliste stünden
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- sehr gut -, daß im Gesetz selbst festgeschrieben werden soll: Art. 16 Abs. 2 Grundgesetz bleibt unberührt. Nun sagen Sie damit einmal - das hat mein Vorredner schon richtig ausgeführt - etwas Selbstverständliches. Daß in einem einfachen Bundesgesetz die Verfassung nicht geändert werden kann, ist eine Banalität und muß nicht festgestellt werden. Sonst müßten wir in jedem Bundesgesetz sagen, daß wir das Grundgesetz damit nicht ändern. Wichtiger
aber ist, daß Sie damit eine Weichenstellung versuchen - bitte, fühlen Sie sich da durchschaut! -,
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den zweiten Schritt, den ich vorhin als notwendig erläutert habe, auf Dauer zu unterlassen. Sie wollen, daß Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes, was deutsche Staatsangehörige angeht, unberührt - also unverändert - bleibt. Und wir wollen - es ist die Mehrheit im Rechtsausschuß, die das will - genau darüber sehr intensiv und aufgeschlossen weiterverhandeln. Ihnen fehlt die notwendige Aufgeschlossenheit.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, solange das Auslieferungsverbot unserer Verfassung nicht für die Verfahren des Internationalen Strafgerichtshofes modifiziert ist, haben wir unsere völkerrechtliche Verpflichtung aus Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen nicht erfüllt. Das Zusammenwachsen der Staaten auch in Europa ist nach unserer Überzeugung nur auf dem Weg der Kompetenzübertragung möglich, also auch auf dem Weg der Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen, wie sie in Art. 24 Abs. 1 des Grundgesetzes ausdrücklich vorgesehen ist. Und das ist keine Aufgabe rechtsstaatlicher Grundsätze, sondern eine Frage des Vertrauens in die Rechtsstaatlichkeit zwischenstaatlicher oder supranationaler Organe. Ich fordere Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., also auf: Lassen Sie ab von national-liberalem Denken und verabschieden Sie sich von einem überholten Souveränitätsdenken! Darum geht es doch beim Zusammenwachsen innerhalb Europas.
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Der Internationale Strafgerichtshof ist ein wichtiges Instrument auf dem Weg zu einer europäischen Friedensordnung. Wenn Sie das Recht mit uns als ein nicht unwesentliches Mittel zur Herstellung von Frieden sehen - mit Justinian: „opus iustitiae pax" -, dann sollten Sie den Gesetzen zur Einrichtung einer internationalen Strafgerichtsbarkeit mit uns zustimmen, und zwar nicht halbherzig, sondern indem Sie die heute noch offenen Fragen mit uns einer baldigen Lösung zuführen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat der Kollege Gerald Häfner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden in diesem Hause gerade in diesen Tagen besonders häufig über Verbrechensbekämpfung, über drakonische Strafen für Ladendiebe und für Schwarzfahrer und über viele andere Petitessen mehr. Gleichzeitig - und ich habe der Debatte entnommen, daß wir alle das mit Abscheu und Ohnmacht registrieren - laufen Mörder und Schlächter, die ihre Morde und grausamen Taten unter dem Schutz eines verbrecherischen politischen Systems vollbracht haben, frei herum, ohne daß sie Strafen in irgendeiner Weise beGerald Häfner
fürchten müssen. Im Gegenteil, es ist in der Regel so, daß die, die sich in besonders übler Weise in entsprechend totalitären und diktatorischen Systemen hervorgetan haben, auch anschließend wieder oben schwimmen. Das ist etwas, was uns und was das internationale Recht nicht in Ruhe lassen kann. Insofern kann Rechtspolitik, denke ich, auch immer wieder frustrieren, wenn man feststellt, daß hier den kleinen Verbrechern nachgelaufen wird, während die schrecklichsten Taten, die in der Welt vollbracht werden, ungesühnt bleiben.
Insofern ist der heute hier vorliegende Gesetzentwurf tatsächlich ein Meilenstein im internationalen Recht, im Völkerrecht. Er ist ein Meilenstein, weil er deutlich macht, daß das Prinzip der Nichteinmischung im Bereich von Mord, Völkermord, Vergewaltigung usw. auf dieser Erde nicht mehr weiter gelten kann und darf. Er ist ein Meilenstein, weil er endlich auch denen, die unter dem Schutz eines totalitären Regimes in großem Umfang Menschen umbringen und vergewaltigen, unmißverständlich klarmacht, daß sie in Zukunft möglicherweise doch Strafe befürchten müssen. Das halte ich für etwas außerordentlich Wichtiges.
Gleichwohl ist das, was wir hier auf den Weg bringen, zwar einerseits eine historische und wichtige, andererseits aber doch auch eine heikle Sache, die rechtlich nicht ohne gravierende Probleme ist. Ich denke, auch das muß gesagt werden. Der Internationale Strafgerichtshof basiert nämlich nicht auf einem völkerrechtlichen Vertrag, sondern wurde auf Grund einer Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen errichtet. Es gibt begründete Zweifel daran, daß eine solche Resolution die Kompetenz zur Einsetzung eines solchen Internationalen Strafgerichtshofes deckt. Ich bin allerdings der Meinung, daß diese Kompetenz von einer solchen Resolution abgedeckt ist, solange die so geschaffene Gerichtsbarkeit auf einen bestimmten Konflikt und damit auch auf einen örtlich und zeitlich eng definierten Anwendungsbereich begrenzt ist. Das bedeutet - darauf hat mein Kollege Professor Meyer zusammen mit anderen hier und in der Rechtsausschußdebatte ja ebenfalls schon hingewiesen -: Wir werden das, was wir hier in diesem einen konkreten Fall und noch auf sehr dünnem rechtlichen Eis beginnen, ganz dringend ausdehnen und sehr schnell auf ein völkerrechtlich abgesichertes Fundament stellen müssen. Wir brauchen einen Internationalen Gerichtshof, der Verbrechen gegen humanitäre Grundsätze, gegen die Menschlichkeit verbindlich zu ahnden vermag.
Ich möchte kurz noch etwas zu Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes sagen. Ich denke, wir sind uns einig, daß Art. 16 Abs. 2 von diesem Gesetzentwurf nicht berührt werden kann. Und ich will noch eine weitere Anmerkung machen, die rechtspolitisch vielleicht ein bißchen spitzfindig klingt. Sie bezieht sich auf die Bedenken, die hinsichtlich des Art. 101 des Grundgesetzes - also das Verbot eines Ausnahmegerichtes - geltend gemacht werden. Ich denke vielmehr, daß hier gerade kein Ausnahmegericht geschaffen wurde, sondern etwas - wenn auch rechtlich noch auf dünnem Eis -, was Verfassungsgrundsätze der
Bundesrepublik Deutschland im internationalen Bereich wenigstens in ersten Spurenelementen durchzusetzen hilft. Wir sollten uns also einen Ruck geben und mit der Verabschiedung dieses Gesetzes das jetzt Notwendige und Mögliche tun.
Gleichzeitig ist der klarstellende Hinweis, Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes bleibe unberührt, richtig, unschädlich und somit auch kein Stilbruch in diesem Gesetz, vor allem, wenn wir uns wechselseitig selbst verpflichten, mit dem Ziel eines völkerrechtlich verbindlich abgesicherten Internationalen Gerichtshofs langfristig auch an diesen Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes heranzugehen. Dieser Artikel ist ja seinerzeit unter völlig anderen Gesichtspunkten geschaffen worden. Den Verfassungsgebern hat damals sicherlich nicht die Möglichkeit eines Internationalen Gerichtshofes vor Augen gestanden, wie wir ihn hier, zunächst bezogen auf einen einzigen Fall, schaffen und wie wir ihn in Zukunft sicherlich auch darüber hinaus brauchen werden.
Wir werden also dem Gesetzentwurf zustimmen und uns an der Erarbeitung eines späteren erweiterten Entwurfes beteiligen, der dann auch die Änderung des Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes beinhalten muß.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Detlef Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Eine Weltfriedensordnung, und zwar eine Weltfriedensordnung viel mehr und viel lieber durch das Recht als durch Waffen, ist etwas, wovon wir alle immer wieder träumen, worum wir alle uns bemühen müssen und worum es schon sehr viele Bemühungen gegeben hat. Ich stimme den Vorrednern zu, daß mit der Einrichtung dieses Strafgerichtshofes nach Jahrzehnten vergeblicher Bemühungen in dieser Richtung, wie Herr Kollege Meyer ausgeführt hat, ein ganz wesentliches Stück zur Weiterführung solcher Absichten gegeben ist.
Es liegt in der Natur dieser großen Aufgabe, die immer wieder so viele Rückschläge mit sich gebracht hat - bis in die jüngste Zeit, schmerzlich sichtbar und fühlbar -, daß die Schritte, die derzeit überhaupt nur möglich sind, nicht vollkommen sind. Deshalb ist auch das Gesetz, das heute hier zur Verabschiedung ansteht, im wahrsten Sinne des Wortes eine lex imperfecta. Es ist ja nicht so ganz die Art des feinen Gesetzgebers, daß wir den größten Teil der Einwohner dieses Landes und insbesondere alle deutschen Bürger von der Auslieferung, die wir hier gesetzlich regeln wollen, ausdrücklich ausnehmen und nur diejenigen ausliefern, die mehr oder weniger zufällig in unser Land geraten sind und sich hier als Ausländer aufhalten. Da muß man sich schon einmal überlegen, was es in Wirklichkeit bedeutet, ein deutsches Gesetz mit dieser Auswahl zu verabschieden.
({0})
Detlef Kleinert ({1})
Deshalb hat es auch gewisse Schwierigkeiten bei der hier mehrfach angesprochenen Frage gegeben, ob und wie wir das unseren internationalen Partnern, denen gegenüber wir ja verpflichtet sind, hier handelnd tätig zu werden, mit dem Wortlaut des Gesetzes genügend deutlich machen. Daher kam unsere Anregung in der Sitzung des Rechtsausschusses zu erwägen, ob nicht durch den Zusatz „Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes bleibt unberührt" das durchaus Selbstverständliche - ich folge dieser Beurteilung aller Vorredner -, daß nämlich das Grundgesetz nicht einfachgesetzlich gebrochen werden kann, jedenfalls aus Gründen der Fairneß, aus gewissen Stilgründen auch im Gesetzestext und nicht nur, wie jetzt geschehen, im Bericht des Ausschusses zum Ausdruck gebracht werden sollte.
Es gibt Gegenargumente, die schon dargestellt worden sind. Wir haben uns von diesen Gegenargumenten letztlich überzeugen lassen. Gegen die Begründung, die ich soeben hier skizziert habe, steht die andere Begründung, daß man erstens etwas Selbstverständliches nicht ins Gesetz hineinschreiben soll. Dieses Gegenargument allerdings würde ich gegenüber dem Gebot der größeren Klarheit gerade im internationalen Bereich nicht so hochschätzen.
Das zweite war der Gedanke, wir könnten damit zum Ausdruck bringen wollen, daß wir an eine Änderung des Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes überhaupt nicht denken. Ich muß also überhaupt nicht nationalliberal sein. Die Freien Demokraten würden durchaus bereit sein, sich mit Ihnen darüber zu unterhalten, welche enormen Verdienste unsere Vorgänger gehabt haben, die sich nationalliberal genannt haben. Wenn man allerdings Mißverständnisse vermeiden will, müßte man immer wieder neu definieren, was das in dieser Zusammensetzung heißt, damit es dann nicht eines Tages aus Versehen nicht mehr liberal ist. Deshalb wollen wir uns diese Diskussion heute wohl nicht weiter gönnen. Dieser Einwand überzeugt jedenfalls.
Wir wollten das gesamte Verfahren, dem schließlich konkrete Anlässe zugrunde liegen, bei unserer Wertschätzung dieses Schrittes überhaupt nicht weiter behindern. Deshalb sind wir dankbar, daß durch die Diskussion deutlich gemacht worden ist: Wir alle wollen sehr gründlich über notwendige weitere Konsequenzen, insbesondere über eine Änderung des Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes für solche und vergleichbare Zwecke, nachdenken.
Herr Kleinert, bitte!
Dazu gehört allerdings auch, wie Herr Häfner es schon angedeutet hat, daß man sich in zukünftigen Fällen sehr genau mit der Frage befaßt, ob die materiellen und formalen Regelungen, nach denen ein solcher Gerichtshof arbeitet, so ausgestaltet sind, daß wir es im Hinblick auf unser mühsam errungenes rechtsstaatliches System verantworten können, unsere Staatsbürger einer solchen Gerichtsbarkeit auszuliefern. Das wird Gegenstand solcher Überlegungen sein müssen.
Ich danke Ihnen sehr.
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Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Uwe-Jens Heuer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf und die dahinterstehende Resolution des Sicherheitsrates haben mich in einen ernsthaften Konflikt gebracht, der mich veranlaßt, mich bei der Abstimmung der Stimme zu enthalten. Ich will Ihnen die Gründe dafür darlegen.
Einerseits bin ich für die strafrechtliche Verfolgung schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit im ehemaligen Jugoslawien wie anderswo, wie ich überhaupt für eine internationale Strafgerichtsbarkeit zur Verfolgung von Verbrechen gegen den Frieden, von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bin.
In diesem Zusammenhang begrüße ich auch die jahrelangen Bemühungen der UN-Völkerrechtskommission, einen internationalen Strafgerichtshof zur Verfolgung dieser Verbrechen zu schaffen. Ich frage mich erstens jedoch - hier stimme ich auch dem zu, was der Kollege Häfner gesagt hat -, ob die Einsetzung von Sondertribunalen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein geeignetes und durch die UN-Charta legitimiertes Verfahren ist, nur weil die Völkergemeinschaft bisher nicht in der Lage war, den notwendigen Strafgerichtshof zu bilden. Der Sicherheitsrat wirkt hier als Gesetzgeber und mit dem Tribunal, das als sein Hilfsorgan fungiert, zugleich als Richter. Für beide Funktionen gibt ihm die Charta in meinen Augen kein Mandat.
Dieser tiefe Eingriff in die Gerichtsbarkeit und das Auslieferungsrecht aller Staaten ist mit einer Berufung auf Kapitel VII der Charta nicht zu rechtfertigen. Dem Sicherheitsrat sind dort quasi Polizeifunktionen zugeordnet. Er kann Maßnahmen zur Wahrung und Wiederherstellung des Friedens gegen einen Staat ergreifen. Der Sicherheitsrat kann aber nicht - das ist dort nicht festgelegt - als Gesetzgeber und - mittelbar - als Richter gegen Personen auftreten. Das gibt die UN-Charta nicht her.
Die Schaffung von Ad hoc-Gerichten ist zweitens immer fragwürdig. Sie ist es insbesondere, weil sie notwendig selektiv ist. Das gewählte Verfahren schließt es von vornherein aus, daß es gegen den Willen eines ständigen Mitglieds des Sicherheitsrates ein internationales Tribunal geben wird. Inzwischen haben wir schon zwei Ad hoc-Tribunale: eines für das ehemalige Jugoslawien und eines für Ruanda. Vielleicht haben wir schon morgen ein drittes und viertes. Daß wir je eines zur Verfolgung von Verbrechen etwa in Tschetschenien haben werden, ist wohl ausgeschlossen, weil Rußland das mit einem Veto verhindern würde. Nach meiner Ansicht würde nur ein auf einer soliden völkerrechtlichen Grundlage errichteter Strafgerichtshof die Probleme lösen.
Ich habe drittens schließlich auch Bedenken wegen der unpräzisen Strafnormsetzung durch den Sicherheitsrat. Das Statut des Tribunals enthält zwar
die Beschreibung der verbotenen Handlungen, der in Art. 24 enthaltene Strafrahmen - „die allgemeine Praxis der Gerichte im ehemaligen Jugoslawien" - ist aber mehr als vage. - Hier in diesem Hause wurde häufig auf die Verletzung strafrechtlicher und strafprozessualer Prinzipien der DDR hingewiesen, teilweise leider durchaus zu Recht. Dann müssen Sie aber hier gleiche Maßstäbe anlegen! - Herwig Roggemann hat in der „Zeitschrift für Rechtspolitik" - Heft 8/94 - zutreffend darauf hingewiesen, daß es praktisch an einer konkreten Strafdrohung mit Strafart und Strafrahmen fehlt. Täterschaft und Teilnahme, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe sind teils ungenau, teils gar nicht geregelt. Ich meine also, daß das Ganze - darauf ist hier auch von anderen hingewiesen worden - in hohem Maße der rechtsstaatlichen Qualität ermangelt, und das bedeutet, daß die gute und billigenswerte Absicht in Frage gestellt wird. Es sind diese rechtsstaatlichen Bedenken
Herr Kollege Heuer, Ihre Redezeit!
- ich bin beim letzten Satz, Herr Präsident -, die mich veranlassen, dem Entwurf meine Zustimmung zu versagen und mich der Stimme zu enthalten. Ich darf anfügen, daß die Mehrheit der Gruppe der PDS diese Ansicht teilt.
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Ich erteile das Wort der Bundesministerin der Justiz, Sabine LeutheusserSchnarrenberger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Interesse der Sache liegt mir daran, festzuhalten, wie weitgehend die Übereinstimmung innerhalb der Fraktionen in allen Grundsatzfragen ist. Wir alle stehen fassungslos vor den Entwicklungen im ehemaligen Jugoslawien, den Greueltaten, die dort begangen worden sind, und sind betroffen, zu erfahren, wie beschränkt die Einwirkungsmöglichkeiten der Staatengemeinschaft auf die am Bürgerkrieg Beteiligten sind.
Eine gewisse Hoffnung ergibt sich nun aus der Entschlossenheit der Vereinten Nationen, zumindest für eine strafrechtliche Ahndung der im Verlauf des Konflikts begangenen Verbrechen gegen das humanitäre Völkerrecht zu sorgen. Wir alle waren und sind uns auch heute noch einig, mit dieser Aufgabe einen von der Völkergemeinschaft legitimierten Internationalen Gerichtshof zu betrauen. Also müssen wir es begrüßen, daß der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gerade auch deutschen Vorschlägen gefolgt ist und einen Internationalen JugoslawienStrafgerichtshof in Den Haag eingerichtet hat.
Das dem Gerichtshof von den Vereinten Nationen gegebene Statut enthält für alle Staaten Verpflichtungen, die auf das in der UN-Charta enthaltene Recht der Vereinten Nationen zurückgeführt werden, friedenssichernde Maßnahmen anzuordnen. Diese Verpflichtungen, die über die internationale strafrechtliche Rechtshilfe weit hinausgehen - weshalb sie von einem deutschen Rechtswissenschaftler auch als „Quantensprung" bezeichnet wurden -, sind wir nach Maßgabe des vorliegenden Gesetzes zu erfüllen bereit, und damit besonders auch dazu, auf Ersuchen des Gerichtshofs hier anhängige Strafverfahren auf den Gerichtshof überzuleiten und mutmaßliche Täter an den Gerichtshof zu überstellen.
Für uns hat dies dadurch besondere Brisanz und Dringlichkeit erhalten, daß sich der erste Fall, der im April dieses Jahres vor dem Internationalen Jugoslawien-Strafgerichtshof verhandelt werden soll, gegen einen in Deutschland inhaftierten Serben richtet. Auch wenn er sich, falls er nicht nach Den Haag überstellt würde, ab April wegen mehrfachen Mordes und Beihilfe zum Völkermord vor einem deutschen Gericht auf Grund der Anklage des Generalbundesanwalts - und nicht irgendeines Provinzanklägers - verantworten müßte, müssen wir bestrebt sein, ihn rechtzeitig dem Gerichtshof zu überantworten. Dies können wir nur dann tun - und dadurch auch einen Vorwurf gegenüber Deutschland vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ausschließen -, wenn wir noch in diesem Monat die gesetzliche Grundlage dafür schaffen.
Vor diesem Hintergrund sieht das Ihnen vorliegende Gesetz die Auslieferung ausländischer Angeklagter vor. Wir sind uns alle einig, daß mit diesem Gesetz eine Überstellung Deutscher an den Gerichtshof nicht ermöglicht wird, da dies gegen das Verbot in Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes verstieße. Eine Überstellung von Deutschen an den Gerichtshof wäre eben erst dann möglich, wenn zusätzlich ein verfassungsänderndes Gesetz verabschiedet würde. Die Bundesregierung hat den Entwurf eines verfassungsändernden Gesetzes nicht vorgelegt.
Lassen Sie mich in aller Deutlichkeit sagen, daß Rang und Bedeutung unserer Verfassung, auch unter Berücksichtigung etwaiger völkerrechtlicher Verpflichtungen, es verbieten, leichtfertig Eingriffe in Grundrechte vorzunehmen, zumal in solche, die seit fast 200 Jahren im Recht deutscher Länder - in Baden-Württemberg seit 1803 - verwurzelt sind, hohe Bedeutung für die Souveränität des Staates, aber auch für den konkreten Schutz des einzelnen gegenüber fremder Gewalt haben; aber auch in Grundrechte, die von den Nationalsozialisten durch massenhafte Deportationen jüdischer Mitbürger unterlaufen wurden, weshalb unsere Verfassung mit Bedacht das Auslieferungsverbot in Art. 16 GG in den Kontext des Ausbürgerungsverbotes gestellt hat.
Wir stehen also nicht unter Zeitdruck und sollten diese Frage deshalb sehr sorgfältig und vor allem auch im Rahmen einer öffentlichen Diskussion behandeln.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Vizepräsident Hans Klein
Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich dem Kollegen Dr. Burkhard Hirsch zur Begründung des Änderungsantrages auf Drucksache 13/743 das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Meyer, wenn Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes eine Ausgeburt nationalstaatlichen Denkens ist, dann ist das eine sehr mutwillige Interpretation der Vorstellungen der Verfassungsväter.
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Der Änderungsantrag behindert in keiner Weise die Auslieferung eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers aus Jugoslawien an den Internationalen Gerichtshof. Es geht uns um etwas ganz anderes, nämlich um den eindeutigen Umgang mit unserer Verfassung, d. h. um die eindeutige gesetzliche Bestimmung für die Frage, ob und wann wir einem Menschen den Schutz unserer Rechtsordnung versagen und ihn dem Internationalen Gerichtshof für Entscheidung und Strafvollzug überstellen.
Das Gesetz geht nach seinem eindeutigen Wortlaut und dem Sachzusammenhang davon aus, daß alle Personen, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit, dem Gericht zur Verhandlung und zur Strafvollstreckung bei Straftaten auszuliefern sind, für die das internationale Gericht zuständig sein soll. Der klare Wortlaut des Gesetzes steht in einem eindeutigen und klaren Widerspruch zu Art. 16 Abs. 2 unserer Verfassung. Das ist der Punkt.
Die Begründung des Gesetzentwurfes geht noch weiter: In ihr wird ausgeführt, daß wir durch die Entscheidung des Sicherheitsrates völkerrechtlich verpflichtet seien, unsere Verfassung zu ändern. Der Rechtsausschuß geht in seinem Bericht davon aus, daß die Resolution des Sicherheitsrates ohne weitere Umsetzungsakte unmittelbar bindende Wirkung für die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen schaffe. Es gehe um die reibungslose Erfüllung bestehender Verpflichtungen.
Ich will hier nicht darüber debattieren, was wir in Zukunft tun sollten. Der Gesetzgeber entscheidet, was er jetzt tut - nicht de lege ferenda. Da muß man ja sehr wohl die Frage stellen, ob unsere Verfassung wirklich zur Disposition des Sicherheitsrates steht. Ich bin der Überzeugung, daß über unsere Verfassung nur dieser Gesetzgeber und sonst niemand zu entscheiden hat.
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Darum fragen wir uns, warum der Gesetzgeber ohne zwingende Not einer Entscheidung ausweicht, die er treffen muß. Denn wenn der Gesetzgeber selber einen Konflikt zwischen einer dargestellten völkerrechtlichen Verpflichtung auf der einen Seite und der verfassungsrechtlichen Rechtslage auf der anderen
Seite sieht, dann kann er sich der Entscheidung nicht entziehen und nicht sagen: Da vertraue ich schon darauf, daß ein Gericht das später richten wird und die Entscheidung für mich trifft.
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Nun hat der Berichterstatter darauf hingewiesen, daß im Bericht des Rechtsausschusses die Rechtslage klargestellt sei. Nur, verehrter Herr Kollege: Gesetzesbeschluß wird nicht die Gesetzesbegründung, schon gar nicht der Bericht des Rechtsausschusses. Gesetzesbeschluß wird der Text, den wir beschließen - nichts sonst. Das ist der Punkt. Ein Gesetz soll und muß so sein, daß der Leser den Worten trauen kann, die er liest, und daß er nicht erst später, wenn er etwas über Normenhierarchie lernt, erkennt, daß er über den wirklichen Inhalt einer Bestimmung im dunkeln gelassen wird. Bei irgendwelchen Kleinigkeiten könnte man das vielleicht als läßliche Sünde akzeptieren. Aber in der Frage, welchen Rechtsschutz wir nach unserer Verfassung einer Person gewähren, die unserer Rechtsordnung vertraut, darf es keine Unklarheit und keine Zweideutigkeiten geben. Das ist der Sinn unseres Änderungsantrages.
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Meine Damen und Herren, zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf des Jugoslawien- Strafgerichtshof-Gesetzes, Drucksachen 13/57, 13/207 und 13/716, hat der Kollege Hirsch soeben den Änderungsantrag auf Drucksache 13/743 der Abgeordneten Dr. Burkhard Hirsch, Hans-Dietrich Genscher, Cornelia Schmalz-Jacobsen, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig und Dr. Max Stadler begründet. Darüber stimmen wir zunächst ab. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen möchten, um ihr Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer lehnt den Gesetzentwurf ab? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, 10. März 1995, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.