Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst möchte ich dem Kollegen Dr. Horst Waffenschmidt zu seinem 65. Geburtstag am 10. Mai ganz herzlich gratulieren.
({0})
Wir haben noch drei 60. Geburtstage: Der Kollege Arnulf Kriedner, wurde am 16. Mai, die Kollegin Dr. Gisela Babel am 23. Mai und die Kollegin Katrin Fuchs ({1}) am 25. Mai 60 Jahre alt. Allen dreien wünsche ich von Herzen alles Gute, vor allem Gesundheit und daß sie die kommende Zeit im Wahlkampf gut überstehen.
({2})
Der Abgeordnete Jens Heinzig hat für die verstorbene Kollegin Kurzhals am 13. Mai 1998 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen ganz herzlich. Auch Ihnen viel Glück!
({3})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern und teilweise umzustellen. Der geänderte Ablauf der Tagesordnung dieser Woche und die Ergänzungen liegen Ihnen mit der Zusatzpunkteliste vor:
Ablauf der Tagesordnung Donnerstag:
TOP 5 Mittelstandsdebatte
TOP 6 Debatte Neue Bundesländer
TOP 10 u. 11 Bildungspolitische Debatte
TOP 12 Wahl des Datenschutzbeauftragten
TOP 21 a Namentliche Abstimmung zur Grundgesetzänderung
TOP 20 u. 21 Beratungen ohne Aussprache
TOP 9 NS-Unrechtsurteile
ZP 12 Aktuelle Stunde auf Verlangen der SPD-
Fraktion „Gesetzliche Krankenversicherung”
TOP 7 Gen-Datei
TOP 8 Bundesgrenzschutzgesetz
TOP 13 Sportförderung
ZP 14 Verbot von Nuklearversuchen ZP 15 Bekämpfung der Kinderarbeit
TOP 14 Lebenssituation behinderter Mädchen und
Frauen
TOP 21 g) Wahlstatistikaufhebungsgesetz ({4})
Freitag: unverändert
Zusatzpunkte
1. Vereinbarte Debatte zur Sicherheit von Castor-Transporten ({5})
2. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu den ausländerpolitischen Beschlüssen der CSU ({6})
3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Luther, Gerhard Schulz, Dr. Hermann Pohler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jürgen Türk, Paul K. Friedhoff und der Fraktion der F.D.P.: Mangelnde Zahlungsmoral verbessern - Drucksache 13/10794 4. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Halo Saibold, Gila Altmann ({8}), Franziska Eichstädt-Bohlig und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Förderung des Tourismus neu gestalten - Drucksachen 13/8107, 13/10662 5. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Wachstums- und Beschäftigungspolitik für die neuen Länder fortsetzen - Drucksache 13/10821 6. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs ({10}), Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verlängerung des Veräußerungstermins von nicht betriebsnotwendigen Vermögenswerten im Zusammenhang mit der Altschuldenregelung der Landwirtschaft in den neuen Ländern - Drucksachen 13/1772, 13/2782 7. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Dr. Gerald Thalheim, Hans-Joachim Hacker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verlängerung der Pachtverträge landwirtschaftlicher Flächen in den neuen Ländern - Drucksachen 13/9942, 13/10732 8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Franz Thönnes, Klaus Barthel, Dieter Grasedieck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Lebensbegleitendes Lernen auf eine neue Grundlage stellen - die Weiterbildung zum vierten Bildungsbereich weiterentwikkeln - Drucksache 13/10814 Vizepräsidentin Michaela Geiger
9. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({12})
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Untersuchung von Unfällen und Störungen bei dem Betrieb ziviler Luftfahrzeuge und zur entsprechenden Anpassung anderer luftrechtlicher Vorschriften - Drucksache 13/10738 -
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom L März 1991 über die Markierung von Plastiksprengstoffen zum Zweck des Aufspüren - Drucksache 13/10741 -
c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des § 42 Abs. 2 des Wohngeldgesetzes und des § 9 Abs. 3 und 4 des Eigenheimzulagengesetzes - Drucksache 13/10792 ({13}) -
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Helmut Wilhelm ({14}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Eigenheimzulagengesetzes ({15}) - Drucksache 13/10788 -
e) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften über die Rückgabe von unrechtmäBig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und zur Änderung des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ({16}) - Drucksache 13/10789 -
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. August 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Turkmenistan über den Luftverkehr - Drucksache 13/10739 -
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 24. Februar 1995 und 30. Juli 1997 des Übereinkommens vom 1. September 1970 über internationale Beförderungen leicht verderblicher Lebensmittel und über die besonderen Beförderungsmittel, die für diese Beförderungen zu verwenden sind ({17}) - Drucksache 13/10740 -
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Karl Lamers, Dr. Erich Riedl und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Ina Albowitz und der Fraktion der F.D.P.: Angemessene deutsche personelle Repräsentanz in inter- und supranationalen Organisationen - Drucksache 13/10793 10. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({18})
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({19}) zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 2/98 und zur Streitsache 2 BvE 1/98 - Drucksache 13/10763 -
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Patentgesetzes und anderer Gesetze ({20}) - Drucksachen 13/9971, 13/10847 -
11. - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze - Drucksache 13/4184 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verordnung über die Tätigkeit von Notaren in eigener Praxis - Drucksachen 13/2023, 13/10589 -
12. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung der Bundesregierung zu Äußerungen des Bundesgesundheitsministers zur Weiterentwicklung der Gesetzlichen Krankenversicherung auf dem Deutschen Ärztetag
13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Riegert, Engelbert Nelle, Dirk Fischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann und der Fraktion der F.D.P.: Staatliche Sportförderung - Drucksache 13/10806 -
14. a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 24. September 1996 über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen - Drucksachen 13/10075, 13/10402, 13/10694 -
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Vertrag vom 24. September 1996 über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen - Drucksachen 13/10076, 13/10345, 13/10695 15. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Forderungen an das neue Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation ({21}) zur Bekämpfung der Kinderarbeit - Drucksache 13/10844 16. Beratung des Antrags des Abgeordneten Cem Özdemir und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Integrationsbemühungen für Aussiedlerinnen und Aussiedler verstärken - Drucksache 13/10787 17. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Für eine verantwortungsvolle Aussiedlerpolitik - Drucksache 13/10862 18. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: 4. Vertragsstaatenkonferenz in Buenos Aires im November 1998 - Weitere Schritte zu mehr Klimaschutz - Drucksache 13/10805 19. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({22}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Monika Ganseforth, Michael Müller ({23}), Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Monika Ganseforth, Michael Müller ({24}), Elke Ferner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Umsetzung der Selbstverpflichtungserklärung deutscher Wirtschafts- und Industrieverbünde zum Klimaschutz - Drucksachen 13/3988, 13/ 6704, 13/7258, 13/10827 20. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({25})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Albert Schmidt ({26}), Dr. Jürgen Rochlitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Beschluß der Bundesregierung zum Klimaschutzprogramm der Bundesrepublik Deutschland auf der Basis des Vierten Berichts der Interministeriellen Arbeitsgruppe "CO2-Reduktion" ({27}) - Drucksachen 13/8936, 13/8993, 13/10828 21. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({28})
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Horst Kubatschka, Michael Müller ({29}), Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Horst Kubatschka, Michael Müller ({30}), Edelgard Bulmahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Elektrosmog
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Manuel Kiper, Michaele Hustedt, Matthias Berninger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zehn-Punkte-Programm gegen Elektrosmog
- Drucksachen 13/3184, 13/5256, 13/6728, 13/3365, 13/ 10829 22. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Gruppe der PDS: Haltung der Bundesregierung zu den Äußerungen der Bundesminister Blüm und Kanther zum Abbau und zur Bezahlung von Überstunden
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunkteliste aufmerksam:
Der in der 222. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Rechtsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Achten Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
- Drucksachen 13/9996, 13/10122 überwiesen:
Ausschuß für Gesundheit ({31})
Sportausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 i sowie die Zusatzpunkte 3 und 4 auf:
5. Mittelstandsdebatte
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Hansjürgen Doss, Ernst Hinsken, Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Jürgen Türk, Dr. Otto Graf Lambsdorff und der Fraktion der F.D.P.
Situation und Perspektiven des Einzelhandels in der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksachen 13/7201, 13/8937 -
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Hansjürgen Doss, Ernst Hinsken, Gunnar Uldall und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Jürgen Türk und der Fraktion der F.D.P.
Situation und Perspektiven des Handwerks
in der Bundesrepublik Deutschland
- Drucksache 13/9475, 13/10495 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Hiksch, Hans Berger, Hans Büttner ({32}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Situation der bundesdeutschen Möbel- und Polstermöbelindustrie
- Drucksache 13/9216 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Schwanhold, Ingrid Becker-Inglau, Hans Berger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Beschäftigung und Innovation für den Mittelstand
- Drucksache 13/10696 - e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({33})
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.
Mehr Beschäftigung im Dienstleistungssektor
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe Jens, Ernst Schwanhold, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Schaffung von Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor
- Drucksachen 13/9599, 13/5353, 13/10600 -
Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Uwe Jens
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({34}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Anke Fuchs ({35}), Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Sicherung der Arbeitsplätze durch Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie
- Drucksachen 13/2588, 13/6363 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Christian Ruck
g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({36}) zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Müller ({37}), Ernst Schwanhold, Anke Fuchs ({38}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Außenwirtschaftliche Stärkung des Mittelstandes
- Drucksachen 13/5754, 13/10259 -
Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz
h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({39}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Ernst Schwanhold, Anke Fuchs ({40}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Für eine zukunftsorientierte, innovative Mittelstandspolitik - Neue Ausrichtung und Konzentration der Förderung
- Drucksachen 13/6097, 13/10264 -
Berichterstattung: Abgeordneter Paul K. Friedhoff
i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des WirtschaftsVizepräsidentin Michaela Geiger
plans des ERP-Sondervermögens für das
Jahr 1999 ({41})
- Drucksache 13/10723 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({42})
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsausschuß
ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Luther, Gerhard Schulz, Dr. Hermann Pohler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jürgen Türk, Paul K. Friedhoff und der Fraktion der F.D.P.
Mangelnde. Zahlungsmoral verbessern - Drucksache 13/10794 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({43}) Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß
ZP4 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus ({44}) zu dem Antrag der Abgeordneten Halo Saibold, Gila Altmann ({45}), Franziska Eichstädt-Bohlig und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Förderung des Tourismus neu gestalten - Drucksachen 13/8107, 13/10662 Berichterstattung:
Abgeordnete Halo Saibold Klaus Brähmig
Susanne Kastner
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Bundesregierung ist Mittelstandspolitik keine Randgruppenpflege. Sie ist vielmehr Herzstück unserer Wirtschaftspolitik. Die Schlachten, die wir in diesem Bereich schlagen, entscheiden über das Wohl und Wehe von zwei Dritteln der Beschäftigten. Das sind 20 Millionen Menschen in Deutschland.
Mittelstandspolitik an der Schwelle zum 21. Jahrhundert muß sich wie unsere gesamte Wirtschaftspolitik den Anforderungen stellen, die im Zuge des weltweiten Wettbewerbs auf uns zukommen. Die Globalisierung erreicht jeden Betrieb - auch kleine und mittlere Betriebe, unmittelbar oder mittelbar -, und sie erreicht jeden Arbeitsplatz. Wir haben in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion eine
Antwort auf diese globale Veränderung des Wettbewerbs gefunden.
Meine Damen und Herren, wer leidet heute am meisten unter den europäischen Unterschieden? Das sind nicht die Großunternehmen. Es sind die kleinen Unternehmen, die das Risiko oft nicht absichern können; es sind die kleinen, die durch die hohen Umtauschgebühren belastet werden; es sind die kleinen, die keine Devisenabteilung haben.
({0})
Und es ist der Euro, der kleinen und mittleren Betrieben die Chance gibt, den europäischen Markt zu durchdringen. Deshalb ist der Euro ein Stück Mittelstandspolitik.
({1})
Offene Märkte gehen mit der Überwindung der klassischen Industriegesellschaft einher. Das wiederum bedeutet mehr Selbstverantwortung, mehr Selbständigkeit, mehr Dienstleistungen, mehr Projektarbeit, mehr Betriebe und mehr Freiberufler. Wir sind mittendrin in dieser Entwicklung. Niemand kann sie aufhalten.
Mittelstandspolitik bedeutet, dieser Entwicklung den richtigen Rahmen zu geben, Freiräume zu schaffen und auch Hilfen zu geben, wenn das angebracht ist. Dies ist der erste Aspekt unserer Mittelstandspolitik.
Der zweite Aspekt, meine Damen und Herren: D i e Mittelstandspolitik gibt es nicht, wie es auch d e n Mittelstand nicht gibt. Der Mittelstand reicht vom Blumenhändler bis zum High-Tech-Ingenieur, vom Kfz-Mechaniker bis zum Anlagenbauer, vom Steuerberater bis zum Software-Entwickler, vom Pizzadienst bis zum Reisebüro und vom Sportstudio bis zur Anwaltskanzlei. Mittelständler haben neben gemeinsamen auch sehr unterschiedliche Interessen und zum Teil sogar gegensätzliche Vorstellungen von der richtigen Politik. Sie wollen immer - und zu Recht - mehr Freiräume für ihr Geschäft. Sie wollen weniger Bürokratie und weniger Steuern.
({2})
Beim Ladenschluß, bei Berufsordnungen und Honorarsätzen ist aber dann von Übereinstimmung ganz und gar keine Rede mehr.
({3})
Die Bundesregierung und die Koalition wollen mit ihrer Politik den innovativen Mittelständlern gerecht werden. Aber wir wollen auch den Unternehmen helfen, die sich mit dem Herauskommen aus dem Schutz gewachsener Strukturen schwertun. Dabei setzen wir schwerpunktmäßig auf Existenzgründer, und wir setzen auf die Wagemutigen, die Veränderungen als eine Chance begreifen.
({4})
Und die gibt es überall, nicht nur im High-Tech-Bereich, sondern auch in den klassischen Handwerksberufen und bei Freiberuflern. Diese Unternehmen haben beste Aussichten, im Wettbewerb zu bestehen.
Meine Damen und Herren, auch Herr Schröder hat nach seinen großindustriellen Projekten bei Preussag Stahl und VW nun den Mittelstand entdeckt. Sein Mittelstandsherz schlägt. Nicht zu laut schlägt dieses Mittelstandsherz für Privatisierung, Deregulierung und Senkung der Lohnnebenkosten.
({5})
In Herrn Schröders Pressemitteilung vom 25. Mai heißt es, der Leistungskatalog in der Sozialversicherung werde überprüft. Herr Dreßler und andere in der SPD wissen auch schon, wie diese Überprüfung enden wird: Die von der Koalition beschlossene Rentenreform soll rückgängig gemacht werden.
({6})
Das steht dann in Reinschrift auch noch im SPD-Programm. Im gleichen Augenblick aber spricht man vom Mittelstand und dessen Stärken, von Deregulierung und von Senkung der Lohnnebenkosten.
({7})
Was bedeutet das denn, Frau Fuchs?
Herr Schröder schwärmt von den Ausbildungsleistungen des dualen Systems. Aber gleichzeitig will Ihre Partei die Unternehmen mit einer Ausbildungsabgabe belegen.
({8})
Herr Schröder spricht von Steuersenkungen für den Mittelstand. Aber was hat denn die SPD, was hat denn das Land Niedersachsen getan, als die große Steuerreform im Bundesrat anstand?
({9})
Sie haben sie zu Fall gebracht, vorerst jedenfalls, meine Damen und Herren.
({10})
Und was tun Sie in diesen Tagen? Sie beschließen eine drastische Steuererhöhung für Kfz bis zu 3,5 Tonnen.
({11})
Was meinen Sie denn, mit welchen Fahrzeugen der Mittelstand unterwegs ist? Ist er etwa mit Fahrrädern unterwegs?
({12})
Nein, meine Damen und Herren. Die knappe Milliarde Steuereinnahmen, auf die Sie hinauswollen, entziehen Sie geradewegs den kleinen und mittleren Unternehmen. Das muß einmal gesagt werden.
({13})
Herr Schröder hat auch das Thema Wissens- und Technologietransfer für den Mittelstand entdeckt. Aber auch hier wimmelt es von Widersprüchen in der Politik. Die einen möchten die Hochschulen stärker auf die Wirtschaft zuschneiden.
({14})
Die anderen wollen, daß die Universitäten marktfreie Zonen bleiben.
Auch beim Thema Wagniskapital haben wir uns von niemandem etwas sagen zu lassen. Keine Belehrungen!
({15})
Die Bundesregierung hat die Probleme aufgegriffen, während Sie das Thema verschlafen hatten und noch gar nicht wußten, was das ist.
({16})
Bereits 1995 gab es ein Programm der Koalition zum Thema Wagniskapital. Dieses Programm haben wir vollständig umgesetzt. Sie sprechen erst seit ein paar Monaten davon und meinen, damit noch Punkte machen zu können.
({17})
Unsere Mittelstandspolitik ist Reformpolitik.
({18})
Das ist der eine Aspekt. Der andere Aspekt ist ein Bündel mittelstandspolitischer Maßnahmen. Mit unserer Reformpolitik verbessern wir die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gerade für kleine und mittlere Unternehmen. Niemand profitiert in größerem Maße von einer Steuerreform als der Mittelstand. Es ist ein Unterschied, ob jemand mit 47 oder mit 39 Prozent besteuert wird.
({19})
Ich bin sicher: Die Verabschiedung der Steuerreform in diesem Jahr hätte bereits in diesem Jahr gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen.
({20})
Das wäre ein Signal für diejenigen gewesen, die auf
der einen Seite für Investitionen zuständig sind und
auf der anderen Seite durch die existierenden Steuersätze am meisten geschröpft werden.
({21})
Das kann nicht angehen. Aber Sie haben die Steuerreform blockiert.
Niemand leidet unter den hohen Lohnnebenkosten mehr als kleine und mittlere Unternehmen, Freiberufler und Handwerker.
({22})
- Wir haben gegen Ihren Widerstand eine Menge getan. Da, wo Sie noch immer draufgesattelt haben, wo Sie unsere Reformen blockiert haben, haben wir gegen riesige Widerstände zunächst einmal die Höhe der Lohnnebenkosten stabilisiert.
({23})
Wir haben durch eine Rentenreform, nämlich durch die Abschaffung der Praxis bei der Frühverrentung, etwas getan. Wir haben' etwas im Krankenkassenbereich getan, wo jetzt Wettbewerb herrscht.
({24})
- Frau Fuchs, da brauchen Sie gar nicht zu schreien. Es ist doch ein Faktum
({25})
- Ihr seid vielleicht stark in der Argumentation -, daß die Krankenkassen durch den Wettbewerb, den wir eingeführt haben, wieder schwarze Zahlen schreiben.
Was ist denn durch die Reform der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall geschehen, gegen die Sie und andere sich so massiv gewehrt haben? Enorme Erleichterungen sind mittelbar für den Mittelstand geschaffen worden. Das hat dazu geführt, daß der Krankenstand wieder auf ein normales Maß zurückgegangen ist und daß wieder eingestellt wurde. - Das ist unsere Politik, und das andere ist Ihre Politik.
({26})
Niemand braucht mehr Freiräume im Arbeitsrecht als kleine und mittlere Betriebe, die auf extreme Schwankungen in der Auftragslage reagieren müssen. Mit höheren Schwellenwerten im Kündigungsschutz und mit besseren Möglichkeiten für Zeitverträge haben wir ganz wichtige Korrekturen im Interesse zusätzlicher Arbeitsplätze vorgenommen.
Noch wichtiger und endlich Wirklichkeit ist: Die Tarifparteien ziehen mit, wenn es darum geht, die Arbeitswelt flexibler zu gestalten und die Tarifverträge der Wirklichkeit in den kleinen und mittleren Unternehmen anzupassen. Gift sind dagegen die Vorstellungen und Vorschläge, die darauf hinauslaufen, eine 32-Stunden-Woche einzuführen, und das bei nur moderatem Ausgleich der zusätzlichen Lohnkosten. Das ist das, was kleine und mittlere Unternehmen von Investitionen abhält. Das iSt ein Griff in die Mottenkiste.
({27})
Auch 620-DM-Jobs muß es im Interesse der Unternehmen und der Beschäftigten weiterhin geben. Das ist so. Man möge endlich zur Kenntnis nehmen, daß vier Fünftel derer, die diese Jobs ausfüllen, mit dieser Art der Arbeit sehr zufrieden sind.
({28})
Niemand ist stärker auf zügige und einfache Verwaltungsverfahren angewiesen als der Mittelstand. Der Erfolg unserer Deregulierungspolitik liegt auf der Hand. Dank der Deregulierungspolitik - beispielsweise in der Biotechnologie - hat sich die Zahl der Unternehmen in dieser Branche während nur eines Jahres verdoppelt.
({29})
Niemand hat ein größeres Interesse an Privatisierung und Liberalisierung als der innovative Mittelstand. Hier setzen wir mit unserer Liberalisierungspolitik an. Noch nie zuvor wurde in so kurzer Zeit in wichtigen Bereichen wie bei der Post und Telekom sowie auf den Strom- und Gasmärkten, aber auch im Sachverständigenwesen und im Prüfwesen eine Marktöffnung herbeigeführt. Das sind Reformen, die sich sehen lassen können, Reformen, an denen lange gearbeitet worden ist und die wir am Ende durchgesetzt haben.
Kleine und mittlere Unternehmen haben das genutzt. Allein in der Informationstechnologie wurden in 1996 und 1997 netto jeweils 50000 Arbeitsplätze neu geschaffen. In diesem Jahr werden es 100 000 sein. Glauben Sie, daß das mit den alten Strukturen möglich gewesen wäre? - Niemals!
({30})
Das ist der Erfolg der Liberalisierungspolitik. Liberalisierungspolitik ist immer auch Politik für kleine und mittlere Unternehmen.
Wir haben die Kartellrechtsnovelle auf den Weg gebracht. Sie steht kurz vor ihrer endgültigen Verabschiedung. Sie berücksichtigt unter anderem durch das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis die Belange der mittelständischen Unternehmen.
Was die Privatisierung angeht, so sind jetzt die Kommunen und Länder gefordert, die so oft von Ihnen regiert werden, endlich einmal Privatisierung zu machen.
({31})
Da sind enorme Potentiale: bei Wasser und Abwasser, im Gesundheitswesen, im öffentlichen Personennahverkehr. Riesige Potentiale gibt es auch bei der Strom- und Gasversorgung und bei anderem
I mehr. Sie sollten einmal dafür sorgen, daß bei den Kommunen, auf deren Leitungen Sie Einfluß haben, dieses Problem der Privatisierung im Interesse der kleinen und mittleren Unternehmen überhaupt zu einem Thema wird.
Unsere mittelstandspolitischen Maßnahmen greifen.
({32})
Unser Land ist wieder Gründerland. Trotz der hohen Insolvenzrate lag der Gründersaldo in den letzten Jahren in den alten Bundesländern bei rund 80 000 und in den neuen Bundesländern bei 11000.
({33})
Wir haben ERP-Programme auf den Weg gebracht. 120 000 Unternehmen pro Jahr werden daraus finanziert. Wir haben für den Mittelstand im Osten Deutschlands enorm viel getan. Dort sind 522 000 kleine und mittlere Unternehmen sowie Freiberufler aus dem Nichts entstanden. Durch unser Rahmenwerk, durch unsere Förderung ist zumindest dazu beigetragen worden.
({34})
Die Unternehmen haben das gemacht; das muß laut und deutlich gesagt werden.
Die Mittelstandspolitik ist bei allen Schwierigkeiten, die kleine und mittlere Unternehmen haben und immer haben werden, eine Erfolgsstory. Sie ist vor allem eine Erfolgsstory, weil wir einen positiven Gründersaldo haben. Es wird immer wieder über Liquidationen und Pleiten diskutiert. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Pleiten und Liquidationen wird es auch in Zukunft geben. Wir sollten nicht einfach darüber hinweggehen, weil dahinter menschliche Schicksale stehen.
Eines aber ist ganz sicher: Solange mehr Unternehmen entstehen als Unternehmen ausscheiden, sind wir auf dem richtigen Wege. Das war die Entwicklung der letzten Jahre in Westdeutschland und in Ostdeutschland. Das ist für mich das Entscheidende. Der Blick darf nicht nur auf die Liquidationen und Pleiten gerichtet werden. Unsere Mittelstandspolitik ist eine Erfolgsstory. Dazu stehe ich. Die Zahlen beweisen das.
({35})
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen: Ich leugne die Probleme vieler kleiner und mittlerer Unternehmen überhaupt nicht, die aus dem mangelnden Kapitalstock und Liquiditätsproblemen erwachsen sind. Aber ich behaupte: Mit neuem Geld, mit neuen Programmen kann man diese Probleme nicht lösen. Sicherlich kann man das eine oder andere neu akzentuieren. Aber man braucht nicht zusätzlich Geld in die Hand zu nehmen.
Wir können die Probleme schon gar nicht mit einer Abschottung der Märkte lösen. Wir wollen vergleichbare Chancen. Deshalb gibt es die Hilfen im einzelnen, besonders im Osten.
Darüber hinaus setzen wir auf Reformen. Die Steuern müssen herunter; das ist das Entscheidende. Hören Sie auf mit Ihrer Verweigerung bei der Steuerreform! Mit einer Steuerreform ist den Menschen, den kleinen und mittleren Betrieben am besten geholfen. Darauf kommt es an.
({36})
Die Bundesregierung wird nicht nachlassen, Sie in die Pflicht zu nehmen, im Interesse der Selbständigen, der kleinen und mittleren Unternehmen sowie der Freiberufler. Wir werden diesen Kurs fortsetzen. Die Steuerreform wird es genauso geben wie eine Fortsetzung dieser erfolgreichen Mittelstandspolitik.
({37})
Das Wort hat die Abgeordnete Anke Fuchs, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei Herrn Rexrodt kam nicht viel Neues. Er hat hier einen Popanz aufgestellt, so, als ob wir mehr Geld und als ob wir uns abschotten wollten. Deswegen belasse ich es einmal bei meinem schon oft zitierten Satz: Ach, Herr Rexrodt, was soll's?
Ich will gerne auf etwas hinweisen, damit Sie, Herr Minister Rexrodt, wissen, wie die Beschlußlage ist. Unsere Anfragen aus dem Jahr 1995 haben all die Themen aufgenommen, von denen Sie gesprochen haben: Möglichkeit zur Förderung von Existenzgründungen, Stillstand in der Mittelstandspolitik beenden, Risikokapital für junge Technologieunternehmen. Es ist also schon richtig, daß wir in diesem Haus oft diskutiert haben und daß wir uns übrigens über weite Strecken auch einig sind, daß wir alle wissen, wie wichtig der Mittelstand ist. Aber Sie haben sich in den entscheidenden Fragen, über die ich gern sprechen möchte, immer verweigert. Immer wenn es um unsere Anträge ging, haben Sie sie abgelehnt. So einfach ist die Sachlage. Deswegen können Sie von uns nicht erwarten, daß wir es hinnehmen, wenn Sie uns vorwerfen, wir hätten nichts getan.
({0})
Aber zunächst einmal möchte ich mich bei der CDU/CSU, bei Herrn Schäuble, Herrn Sohns - auch Herr Sohns steht auf der Mitteilung des Pressedienstes der CDU/CSU, wie soll ich das jetzt verstehen? - und Herrn Glos - ({1})
- Sie stehen hier mit auf der Nachricht des Pressedienstes der CDU/CSU als Miteinladender. Das ist erstaunlich. Aber wie auch immer.
({2})
Anke Fuchs ({3})
Sie haben Herrn Schröder eingeladen, heute hier zur Mittelstandsdebatte zu erscheinen.
({4})
Ich nehme die Einladung stellvertretend für ihn gerne an.
({5})
- Wunderbar. Ich bin da. Sie werden mit mir diskutieren. Wir diskutieren das Mittelstandsprogramm der SPD. Damit komme ich zur Sache. Wenn Sie etwas zu erzählen haben, was wichtig genug wäre, werden wir das Herrn Schröder gerne sagen. Allerdings Herrn Rexrodt zuzuhören wäre eine Zumutung. Statt dessen soll er lieber im Lande Wahlkampf machen.
({6})
Fangen wir einmal mit der Mittelstandspolitik an. Ich will etwas zu dem sagen, was wir Sozialdemokraten wollen. In der Tat sind wir uns einig: Der Mittelstand ist der Motor für Beschäftigung, Innovation und Ausbildung. Ich will an diesem Punkt ganz besonders den Handwerksbetrieben und den kleinen und mittleren Unternehmen danken, die ihre Ausbildungspflicht erkannt und vorbildlich erfüllt haben. Dafür herzlichen Dank! Diese Mittelstandsunternehmen sind der Garant dafür, daß das duale Bildungssystem erhalten bleibt.
({7})
Ich füge aber hinzu, Herr Rexrodt: Für uns ist es politisch wichtig, daß wir in dieser Demokratie wahrmachen und einhalten können, daß jeder junge Mann und jedes junge Mädchen einen Ausbildungsplatz bekommt. Das muß diese Demokratie gewährleisten. Wir wollen es wie die Bauwirtschaft machen. Sie hat nämlich einen Fonds. In ihn wird von denjenigen eingezahlt, die nicht ausbilden, und von ihm bekommen diejenigen Unterstützung, die ausbilden. Wir setzen auf Konsens, also darauf, daß die Wirtschaft zusammen mit dem Staat die Ausbildungsmöglichkeiten einräumt.
Wenn es aber nicht funktioniert, wenn es nicht gelingt, genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, dann können wir uns nicht hinsetzen und sagen: Es schuckelt sich schon hin; nächstes Jahr wird es besser. Dann brauchen wir eine Finanzierung, damit wir mit anderen Maßnahmen dafür sorgen können, daß junge Menschen einen Ausbildungsplatz bekommen. Dabei bleibt es.
({8})
- Auch Herr Schröder sagt das. Wir haben ein Wahlprogramm.
Ich will noch einmal die Abfolge erläutern. Wir setzen auf das Verantwortungsbewußtsein kleiner und mittlerer Betriebe, wie die Branche der Bauindustrie. Sie hat es gelöst, wie Sie wissen. Oder wissen Sie es nicht? Außerdem setzen wir auf Konsens. Wenn das nicht funktioniert, so hat Herr Schröder gesagt, dann werden wir eine Finanzierung sicherstellen. Da können Sie sich drehen und wenden, wie Sie wollen. Das wird so kommen.
Wenn wir nach dem 27. September regieren, muß es in diesem Land Realität werden, daß die jungen Menschen nicht hin und her laufen und sich anbiedern müssen. Sie haben einen Anspruch darauf, daß ihnen diese Gesellschaft Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt und den Einstieg ins Erwerbsleben ermöglicht. Das hat mit der Qualität von Demokratie zu tun.
({9})
Frau Abgeordnete Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schauerte?
Aber immer. Das verlängert meine Redezeit. Vielen Dank, Herr Kollege.
Bitte schön, Herr Schauerte.
Frau Kollegin, Sie haben zum Erstaunen des Hauses behauptet, daß Sie hier Herrn Schröder vertreten. Nehmen wir das einmal so hin! Können wir nach Ihren Ausführungen nun davon ausgehen, daß Herr Schröder uneingeschränkt für eine Ausbildungsabgabe, die zur Belastung aller mittelständischen Betriebe - ob sie nun ausbilden oder nicht - führt, ist?
({0})
Herr Schröder steht uneingeschränkt dazu, daß wir erreichen, daß jeder junge Mann und jedes junge Mädchen einen Ausbildungsplatz bekommt.
({0})
- Ja. - Wir fordern die Wirtschaft auf, der Baubranche zu folgen und in jedem Wirtschaftsbereich sicherzustellen, daß Ausbildungsplätze angeboten werden. Wir fordern Konsensgespräche, so daß es den jungen Menschen möglich ist, aus dem Angebot einen für sie passenden Ausbildungsplatz auszuwählen. Ich sage mit Herrn Schröder: Wenn das alles nicht funktioniert, werden wir nach Finanzierungsmöglichkeiten für einen Fonds suchen müssen, damit wir in der Lage sind, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.
({1})
Meine Damen und Herren von der Koalition, daß Sie versuchen, noch soviel Wirbel um dieses Thema zu machen, ist doch unsinnig. Es bleibt dabei.
Anke Fuchs ({2})
Ich finde, es ist wichtig für die Demokratie, daß wir sagen: Junge Mädchen und junge Männer sollen nicht anstehen und sich nicht anbiedern müssen; vielmehr haben sie einen Anspruch darauf, daß sie in der Gesellschaft gebraucht werden. Welches Menschenbild steckt eigentlich dahinter, wenn wir Schulabgängern sagen: „Nun schaue einmal, wo du bleibst; du hast eigentlich in dieser Gesellschaft keinen Platz"? Wenn wir uns Wahlergebnisse anschauen, dann werden wir feststellen, daß in dieser Mißachtung der jungen Leute eine Ursache für Verwerfungen liegt, die wir alle miteinander nicht wollen können.
({3})
Jetzt will ich aber zu dem kommen, was ich mir vorgenommen habe. Ich will Ihnen nämlich von den vielen Konferenzen berichten, die die SPD-Bundestagsfraktion veranstaltet hat, um mit Vertretern von kleinen und mittleren Unternehmen auszuloten, welche Politik überhaupt möglich ist. Denn wir wollen Politik mit dem und für den Mittelstand machen. Es sind uns sehr viele Informationen vermittelt worden, daß der Mittelstand von der jetzigen Bundesregierung gar nichts erwartet. Man erwartet vielmehr einen Wechsel. Man erwartet Dialogfähigkeit und Hilfe bei den Problemen, die sich in der Realität stellen. Unser Angebot eines Dialogs ist auf große Zustimmung gestoßen.
Das Wichtigste war für mich - das war interessant; das ist ein Punkt, der für uns alle von Bedeutung ist -, daß die Unternehmer gefordert haben: Baut die Bürokratie ab! Verkürzt die Zeit der Genehmigungsverfahren! Paßt auf, daß das Angebot an Förderungsmaßnahmen gebündelt wird! - Die Vielzahl von Förderungsprogrammen
({4})
- das gilt doch für uns alle; es hat gar keinen Sinn, Herr Schauerte, wenn Sie auf die Länder und Kommunen schimpfen; bei denen regieren Sie ja auch mit; ich will hier jetzt auch nicht auf den Bund schimpfen - ist bedauerlich. Ebenso bedauerlich ist es - das haben wir alle miteinander noch immer nicht hinbekommen -, daß die große Zahl der Förderinstrumente und der Möglichkeiten, Hilfe zu bekommen, sich auf verschiedene Töpfe verteilt und verschiedene Zuständigkeiten und Antragsverfahren beachtet werden müssen. Viele Firmen haben uns dazu gesagt: Dieses Dickicht muß durchforstet werden; es muß transparenter gemacht werden. Man kann sogar Geld einsparen, wenn man es den Unternehmen ermöglicht, zügig an Fördermaßnahmen heranzukommen. Das wäre die Hauptsache.
Deswegen sage ich im Namen von uns allen: Der Abbau von Bürokratie und von Hemmnissen bei den Antragsverfahren sollte unser gemeinsames Anliegen sein. Vielleicht stimmen wir ja wenigstens in diesem Punkt überein. Es muß dann aber auch gehandelt werden.
({5})
Ein weiterer Punkt. Das Stichwort „Motor der Beschäftigung" habe ich bereits erwähnt. Sie sagen zu Recht, daß die Abgaben und Steuern insgesamt zu hoch seien. Kleine und mittlere Unternehmen, insbesondere die Handwerksbetriebe, leiden unter zu hohen Arbeitskosten. Deswegen müssen die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Das haben auch wir immer gesagt. Das kann aber nicht so geschehen, wie sich das Herr Rexrodt vorstellt.
({6})
Zu dem Bereich der Lohnnebenkosten gehört nämlich auch die Frage: Auf welchem Arbeitsmarkt agieren eigentlich kleine und mittlere Unternehmen? Es kann nicht angehen, daß wir die 620-DM-Verträge hinnehmen, daß wir auch Schwarzarbeit und illegale Beschäftigungsverhältnisse weiterhin zulassen. Vielmehr müssen wir einen Weg finden, daß diese „Schmutzkonkurrenz nach unten" aufhört. Deswegen brauchen wir Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Das ist aus meiner Sicht der beste Weg, Lohnnebenkosten zu senken. Denn wenn alle in die Sozialversicherungssysteme einzahlen, dann können wir die Beiträge senken. Das ist der wichtigste Beitrag zur Senkung der Lohnnebenkosten.
({7})
Stichwort „Schmutzkonkurrenz" : Wenn die „Schleckers" weiterhin Vollzeitarbeitsplätze zerstükkeln und daraus 620-Mark-Arbeitsplätze machen, dann muß man von Schmutzkonkurrenz sprechen. Dies hat auch für die kleinen und mittleren Betriebe Auswirkungen. Damit diese Schmutzkonkurrenz aufhört, müssen verläßliche Rahmenbedingungen wiederhergestellt werden. Das gilt auch für Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung. Das alles hat etwas mit fairem Handel, mit fairer Wirtschaftspolitik zu tun.
Sie werden heute im „Stern" gelesen haben - das ist für mich nur ein Beispiel -: „Noch mehr Baustellenverbote". Wieder sind Baustellenverbote ausgesprochen worden, weil Stettiner Baufirmen, die die Aufträge bekommen haben, genau das praktizieren, was kleinen und mittleren Unternehmen besondere Probleme schafft: Sie halten sich nicht an die Spielregeln. Diese Schmutzkonkurrenz muß aufhören. Deswegen ist auch bei dem Thema „Steuern und Abgaben" darauf zu achten, daß Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt wiederhergestellt werden und dafür gesorgt wird, daß Menschen nicht Tagelöhner sind, sondern mit ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen können.
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Mein nächstes Stichwort - darauf geht auch der Herr Bundeskanzler oft ein -: der Generationenwechsel bei kleinen und mittleren Unternehmen. Ich glaube, wir sind uns einig, daß diesbezüglich Handlungsbedarf besteht. Es geht um die Frage, wie man den Übergang regelt und welche Steuerpolitik man dazu braucht. Wir dürfen nicht auf der einen Seite jemanden privilegieren, der vielleicht gar nicht im Betrieb arbeiten will, und müssen auf der anderen Seite dafür sorgen, daß der Übergang nicht existenzgeAnke Fuchs ({9})
fährdend ist. Da ist Phantasie erforderlich. Unternehmen müssen durch Beratung und Qualifizierung unterstützt werden; aber auch die erbrechtlichen und steuerrechtlichen Dinge müssen geklärt sein.
Stichwort „Modernisierung der Unternehmenslandschaft und mehr Existenzgründungen". Darüber reden wir alle; die Frage ist nur, wie man das eigentlich schafft. Ich glaube - da gebe ich Herrn Rexrodt sogar recht -, es hat sich bezüglich der Zuversicht, sich selbständig machen zu können, eine Menge getan. Ich finde das gut. In diesen Komplex spielt aber auch die Gewährung von Existenzdarlehen und die Frage hinein, inwieweit Eigenkapital erforderlich ist. Wir sollten uns nicht vorrangig darum sorgen, wer welchen Antrag zuerst eingebracht hat, sondern die Frage klären: Welche Hilfen brauchen die, die sich selbständig machen? Viele, vor allem jene in Ostdeutschland, brauchen Hilfe, weil sie kein Eigenkapital haben.
In den vielen Konferenzen, an denen wir teilnahmen, wurde immer wieder geklagt: Die Banken geben zwar den Großkunden schnell Kredite, aber sind viel zu pingelig, wenn es darum geht, Existenzgründern eine Chance zu geben. Deswegen ist es richtig, wenn wir fordern, daß Existenzgründerdarlehen besondere Kriterien erfüllen und zügig abgewickelt werden müssen. Aber sie müssen auch so gestaltet sein, daß Menschen ermutigt werden, sich selbständig zu machen, und nicht gleich völlig ohne sozialen Schutz dastehen. Deswegen brauchen wir andere Programme. Da sind wir auch nicht weit auseinander.
({10})
- Nein, Sie sagen immer: Jeder muß das Risiko selbst tragen. Das ist nur bedingt richtig. Ich finde es richtig, daß wir dieses Ziel - mit dem Meister-BAföG und mit Gründungsoffensiven - finanziell begleitet haben. Denn wir können den Existenzgründern das Risiko nicht abnehmen. Aber wir müssen dafür sorgen, daß veränderte Kriterien angelegt werden.
Stichwort nöffentliche Aufträge"; das habe ich schon beim Thema Baustellenverbot angedeutet. Wenn ich es richtig sehe, wird das Vergaberecht - nach der Vermittlungsausschußsitzung heute nachmittag - geändert. Ich glaube, daß man bei öffentlichen Aufträgen eine Mischung hinbekommen kann: zügig zu reagieren und dennoch ein paar Kriterien einzuhalten.
Auch das wollte ich Herrn Rexrodt noch einmal sagen: Es macht doch keinen Sinn, wie Sie darauf hinzuweisen, daß arbeitsrechtliche Erleichterungen das A und O seien. Ich sage: Es müssen Spielregeln eingehalten werden. Die Absenkung des Kündigungsschutzes, die Sie durchgesetzt haben, hat zu keinem zusätzlichen Arbeitsplatz geführt. Auch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist kein Kriterium für mehr Arbeitsplätze.
({11})
Wer den sozialen Rechtsstaat erhalten will, der muß
diese Dinge wieder in Ordnung bringen. Das hat etwas mit Grundkonsens und mit Anstand zu tun. Franz Müntefering sagt immer: Die Arbeitnehmer müssen sich mit dem Betriebsinhaber auf derselben Augenhöhe begegnen können. Es darf nicht sein, daß sie wie Tagelöhner gebückten Ganges in den Betrieb gehen müssen. Was ich hier formuliere, wollen auch die kleinen und mittleren Betriebe.
({12})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kolb?
Gern.
Bitte schön.
Frau Kollegin Fuchs, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß laut einer Veröffentlichung des ZDH vor vier Wochen durch die Veränderung des Kündigungsschutzes mindestens 20 000 Arbeitsplätze im Handwerk geschaffen worden sind?
({0})
- Nein, das ist nicht bestellt, das ist eine Tatsache.
Wären Sie darüber hinaus bereit, zuzugeben, daß wir mehr Arbeitsplätze hätten schaffen können, wenn Ihre Fraktion, wenn Ihre Partei, die SPD, nicht eine Steuerreform in Deutschland verhindert hätte, weil die Binnenkonjunktur in Deutschland wesentlich von zusätzlicher Nachfrage lebt, die nur über Steuersenkungen geschaffen werden kann?
Sind Sie bereit, vor diesem Hintergrund einzuräumen, daß es richtig war, Veränderungen beim Kündigungsschutz vorzunehmen, aber daß wir eine größere Wirkung hätten erzielen können, wenn Sie bereit gewesen wären, hier mitzuhelfen?
Sehr verehrter Herr Kollege, ich danke Ihnen sehr herzlich für diese Fragen. Nun kann ich das alles noch einmal schön erläutern, weil das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Erstens. Ich erinnere daran, daß Sie jetzt 16 Jahre lang regieren. Von Sozialabbau zu Sozialabbau haben Sie gesagt, jetzt würde die Arbeitslosigkeit sinken. Es fing damit an, daß Norbert Blüm sagte: lieber befristete Beschäftigung als unbefristet arbeitslos. Sie haben das Beschäftigungsförderungsgesetz eingeführt. Damit ist das sichere Arbeitsrecht durchlöchert worden. Die Folge ist, daß die Befristung von Arbeitsverträgen heute an der Tagesordnung ist. Es ist kein zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen worden; aber der Weg in ungesicherte Arbeitsverhältnisse und das Tagelöhnertum, das Herr Rexrodt gerne möchte - Stichwort „620-Mark-Verträge" -, ist geöffnet worden.
({0})
Anke Fuchs ({1})
Deswegen ist völlig falsch, was Sie immer wieder sagen: Wir rupfen an dem sozialen Standard eines Arbeitsverhältnisses und bilden uns ein, daß das ein Instrument sei, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Das Gegenteil ist richtig. Die Balance muß wieder her, damit die Menschen, die einen Arbeitsplatz geben, und diejenigen, die einen Arbeitsplatz wollen, wissen, auf welcher sicheren sozialen Grundlage sie einen Vertrag schließen. Deswegen sage ich: Nein, ich stimme Ihnen nicht darin zu, daß die Änderungen im Kündigungsschutz etwas gebracht haben.
({2})
Zweitens. Ich stimme Ihnen zu, daß wir eine Steuerreform brauchen, aber eine andere, als Sie wollen. Das ist ein anderes Thema. Es ist an der Zeit, daß wir eine Steuerreform machen.
({3})
- Solange Sie stehen bleiben, gelten meine Ausführungen als Beantwortung Ihrer Frage, so daß ich noch länger reden kann. Aber Sie dürfen sich jetzt setzen.
Die Steuerreform möchte ich nicht mit drei Sätzen abhandeln, weil dann der schiefe Eindruck entstehen könnte, als ob man das in kurzen Worten erklären könnte. Aber ich stimme Ihnen zu: Wir müssen endlich dazu kommen, daß die Steuern, die man zahlen muß, auch tatsächlich beim Finanzamt abgeliefert werden.
({4})
Das heißt, weg mit den illegalen Schlupflöchern. Wir wollen die Steuersätze senken, wir wollen die Bemessungsgrundlage verändern. Das Steuerrecht muß wieder transparenter werden. Ich glaube, wir alle sind uns dabei ein bißchen näher, als wir meinen.
Wir können natürlich keine Steuerreform machen, die nicht finanzierbar ist. Wo wollen Sie die 50 oder 100 Milliarden DM hernehmen, in deren Höhe Sie zunächst einmal eine Steuerentlastung durchsetzen wollen? Über diese Frage diskutieren wir.
Drittens. Auf die andere Frage möchte ich ganz deutlich sagen: Wir sind gut beraten gewesen, eine Balance zwischen wirtschaftlicher Produktivität und sozialer Sicherheit auch im Arbeitsrecht zu halten. Ich bin stolz darauf, daß wir immer wieder sagen konnten: Lohnfortzahlung und Kündigungsschutz sind Grundrechte für die Menschen, die Arbeit suchen. Diese Balance muß wiederhergestellt werden. Nur so schaffen wir auf Dauer Arbeitsverhältnisse, mit denen Frauen und Männer ihren Lebensunterhalt verdienen können. Das Tagelöhnertum muß aufhören!
({5})
Mein letzter Punkt ist der Euro: Herr Rexrodt, wir sind beide für die europäische Entwicklung. Wir sind auch für den Euro, und das ist in Ordnung. Aber tun Sie bitte nicht so, als ob der Euro als Selbstzweck irgendeine Entwicklung einleiten könnte. Es kommt jetzt vielmehr darauf an, wie wir die europäische
Politik beschreiben. Der Finanzminister wird froh sein, daß wir beim Stichwort Harmonisierung oder Mindestharmonisierung von Steuern ein bißchen weiter sind. Wir Sozialdemokraten sagen: Es muß weitergehen mit einer Beschäftigungspolitik in Europa.
Wir sehen schon an der Frage: „Wer kann wo zu wessen Lasten zum Zahnarzt gehen?", daß sich die sozialen Systeme angleichen werden. Deswegen wird nicht die Kernfrage sein, ob der Euro eingeführt wird. Das haben wir beschlossen. Kernfrage wird vielmehr sein, welche Europapolitik wir machen.
Nach einem Wahlsieg werden wir Sozialdemokraten mit unseren vielen sozialdemokratischen Freunden in den Regierungen in Europa dafür sorgen, daß die Beschäftigungspolitik auf die Tagesordnung kommt und daß darin gerade auch die kleinen und mittleren Betriebe ihren Platz finden.
({6})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hansjürgen Doss, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine hochverehrten Kollegen! Dies ist die Woche des Mittelstandes in Bonn. Es geht mit der Debatte, die wir heute führen, für den Mittelstand zu Ende.
({0})
Gestern hatten wir einen großen Kongreß im Wasserwerk, bei dem Wolfgang Schäuble zu uns sprach. Er hat im wesentlichen dargelegt, wie wir uns die Politik für den Mittelstand vorstellen.
({1})
- Der Lärm, den Sie verursachen, bringt uns nicht weiter. Wir sollten zur Sache reden.
Am Montag hatten Sie Ihren Kongreß im Wasserwerk
({2})
- er war gut besucht, wie der unsere auch -, und das war ein klarer Fehlstart. Wie ich finde, Frau Fuchs, hat das, was Sie hier geboten haben, diesen Fehlstart noch einmal unterstrichen.
({3})
Sie sind so eine Art, sagen wir einmal: Wunderwaffe in der Politik. Als Mitglied des IG-Metall-Vorstandes reden Sie hier zur Mittelstandspolitik, vertreHansjürgen Doss
ten dann zu diesem Thema den Herrn Schröder, der sich wohl nicht traut, hier herzukommen,
({4})
nachdem er die neue Mitte ausgerufen hat. Wir werden uns damit zu beschäftigen haben, was Sie darunter verstehen.
({5})
Wenn ich Ihren Beitrag heute, der mittelständische Probleme bestenfalls tangiert hat, richtig verstanden habe, sind Sie so etwas wie die Verkörperung dieser neuen Mitte, jener Aufbruch, den wir brauchen. Es ist wirklich beeindruckend.
({6})
Ich finde, wir sollten Ihre Rede publizieren, damit die Mittelständler sehen, was Sie vom Mittelstand verstehen. Nämlich nahezu nichts!
({7})
Nichts verstehen Sie von dem Leistungsträger in unserer Gesellschaft.
({8})
Nach Ihrem Kongreß am vergangenen Montag gibt es einen Kommentar in der „FAZ", den ich Ihnen nicht vorenthalten will:
...was Schröder als zukunftsweisendes Programm vorgelegt hat, grenzt an UnternehmerVerdummung. In wohlgesetzten Worten wird dort das Leitbild des modernen mittelständischen Unternehmers beschworen, doch die geplanten wirtschaftspolitischen Maßnahmen werden kaum genannt. Das ist auch besser so. Was die SPD plant, trifft Mittelständler nämlich mehr als Großbetriebe:... Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe, die Verschärfung des Kündigungsschutzes für Kleinunternehmen, die Einbeziehung der Selbständigen in die Sozialversicherung, die Rückgängigmachung der Rentenreform und die Wiedereinführung der Vermögensteuer. In einem Punkt wird Schröder konkret: ... Senkung der Körperschaftsteuer. Doch die wird von Mittelständlern meist nicht gezahlt; für sie ist die Einkommensteuer entscheidend. Doch vielleicht haben das die SPD-Strategen noch nicht gemerkt.
Ich finde, vernichtender kann man Ihren Fehlstart nicht kommentieren als diese kompetente, seriöse Zeitung.
({9})
Die neue Mitte, so meinen wir, ist einer von diesen großangelegten PR-Clous, Politikersatz. Wenn ich das, was Sie vorhaben, beobachte, dann können wir feststellen, daß neue Mitte ein Kürzel für neue Mittelstandssteuer ist. Das ist die Konsequenz.
({10}) - Sie reden doch gar nicht.
({11})
Unsere wirtschaftliche Zukunft hängt in einem sehr großen Maße vom Mittelstand ab. Dies gilt insbesondere für die Schaffung neuer zukunftsfähiger Arbeitsplätze. Sie werden vor allem im Mittelstand geschaffen. Zwischen 1991 und 1996 haben kleine und mittlere Betriebe alleine in Westdeutschland rund 1 Million neue Arbeitsplätze geschaffen, während in den Großbetrieben leider 750 000 Arbeitsplätze verlorengegangen sind. Das heißt, wenn wir über Wirtschaftspolitik reden - Herr Wirtschaftsminister, die Betonung des Mittelstandes bedarf im Rahmen der Gesamtwirtschaftspolitik einer besonderen Ausprägung -, dann sollten wir in erster Linie über den Mittelstand reden. Er ist das Kernstück unserer Wirtschaft.
Die Kennzahlen kennen Sie alle; ich will sie trotzdem erwähnen. Der Mittelstand stellt 99 Prozent aller Betriebe in Deutschland, zwei Drittel aller Arbeitsplätze sowie 80 Prozent aller Ausbildungsplätze. Für den, der es immer noch nicht weiß, erinnere ich daran, daß der größte Arbeitgeber in Deutschland das Handwerk ist. Das muß man wissen. Wenn man über Arbeitsplätze redet, redet man über das Handwerk. Speziell zum Handel und zum Handwerk sind die Antworten der Bundesregierung auf die Große Anfrage in dieser Angelegenheit außerordentlich weiterführend. Ich empfehle sie Ihrer Aufmerksamkeit.
Die Ausbildungsleistung des Mittelstandes ist überhaupt nicht hoch genug zu bewerten.
({12})
Anstatt die Ausbilder immer nur zu drangsalieren, sollten wir ihnen einmal von dieser Stelle aus für das, was sie geleistet haben, Dank sagen.
({13})
Der Mittelstand, meine Damen und Herren, braucht weniger Pathos in Sonntagsreden und anerkennendes Schulterklopfen durch den jovialen Kanzlerkandidaten der „neuen Mitte". Er braucht vielmehr konkret verbesserte Rahmenbedingungen. Wir müssen die schönen Reden des Herrn Schröder entzaubern.
({14})
Was das Beispiel Ausbildungsplätze angeht, Frau Fuchs, möchte ich auf folgendes aufmerksam machen. Sie haben sich ja selbst als Schröder-Ersatz heute vorgestellt
({15})
und erklärt, daß die Fondslösung bei der Bauwirtschaft für Sie ein Modell sein könnte. Also sagen Sie
damit indirekt ja zur Ausbildungsabgabe. Man muß wissen, daß bei uns auf dem Bau die Lohnzusatzkosten bei 106 Prozent liegen und daß das einer der wesentlichen Gründe für die Probleme ist, die wir mit der Beschäftigung am Bau haben.
({16})
Sie sollten sich einmal ein paar Grundkenntnisse über die Rahmenbedingungen aneignen, die Betriebe benötigen, damit sie Arbeitsplätze schaffen.
({17})
- Ich halte sie nicht für geeignet; dabei bleibe ich.
({18})
Schröder sagt nein zur Ausbildungsabgabe. Sie sagen für ihn in einer differenzierten Form ja. Herr Schwanhold sagte unlängst auf dem Petersberg nein, in Leipzig hingegen ja. Im Bundestag liegen die Gesetzentwürfe von PDS, Grünen und SPD vor. Das heißt, jeder kann sich etwas aussuchen. Die neue Mitte ist also ein diffuser Begriff. Genauso diffus ist Ihre Politik, meine Damen und Herren.
({19})
Herr Abgeordneter Doss, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schwanhold?
Bitte schön, Herr Schwanhold.
Herr Kollege Doss, da wir beide gemeinsam auf dem Petersberg waren, bitte ich Sie sehr herzlich, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich in folgender Abfolge drei Aussagen gemacht habe: Erstens. Wir wollen Ausbildungsplätze und möglichst keine Abgabe.
({0})
- Er soll das bitte zur Kenntnis nehmen, und ich frage ihn, ob er dazu bereit ist. So habe ich diese Frage eingeleitet, Frau Präsidentin.
({1})
Herr Kollege Doss, ich frage Sie also, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir erstens Ausbildungsplätze und möglichst keine Abgabe wollen.
Zweitens. Wir wollen die Unternehmen entlasten, die überdurchschnittlich viel ausbilden und damit einen besonderen Beitrag zur Lösung des Problems leisten, wie junge Menschen den Einstieg in den Beruf finden können.
Drittens. Wir wollen jene Unternehmen, die sich aus dieser Verantwortung herausstehlen und zum Beispiel mehrere 100 Millionen DM an Subventionen kassieren, daran beteiligen, daß die Ausbildung für die mittelständischen Unternehmen erleichtert wird. Dies muß man im Zweifelsfalle, wenn nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen, auch durch eine Abgabe machen.
In dieser dreistufigen Abstufung habe ich das gesagt.
Ihre Frage kann ich wie folgt beantworten: Sie verwirren unsere Mitbürger mit Ihren Aussagen. Kein Mensch weiß mehr, woran er ist. Kein Mensch weiß mehr, was er wählt, wenn er Sie wählt. Es ist ein absolut diffuses Bild, das die Sozialdemokraten hier bieten.
({0})
Wie ich sagte, haben wir einen hervorragenden Kongreß mit den Spitzen der deutschen Wirtschaft gehabt. Wolfgang Schäuble hat dort gesprochen, und wir haben anschließend folgendes gehört.
({1})
- Liebe Kollegin, Sie haben dermaßen viele Interpreten, die das Melken an der Pappkuh gelernt haben, daß wir ab und zu von denjenigen einmal etwas hören sollten, die wirklich das tun, wovon wir alle reden. Ich zum Beispiel bilde seit 30 Jahren aus. Ich weiß, wovon ich rede, und andere wissen es auch, unter anderem Herr Stihl. Er sagte gestern auf unserer gemeinsamen Tagung von PKM und MIT folgendes:
Eine Ausbildungsplatzabgabe rüttelt an den Grundfesten unseres Bildungssystems. Sie ist nichts anderes als eine Strafsteuer. Die Übertragung betrieblicher Verantwortung auf ein anonymes Kollektiv bewirkt eine zunehmende Entfremdung. Die Abgabenbelastung der Betriebe läge bei 30 Milliarden DM. Das ist das Gegenteil dessen, was wir uns unter einer Politik für einen starken Mittelstand vorstellen.
({2})
Es ist völlig klar, daß Sie von der Wirtschaft mehr verstehen als der Unternehmer Stihl. Nur so sind diese „hervorragenden" Ergebnisse Ihrer Politik zu verstehen.
({3})
Sie haben keine Ahnung von der Materie!
Unsere Mittelstandspolitik ist kein Selbstzweck, sie ist keine Klientelpolitik. Unsere Leitlinie sind vielmehr Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft, mehr Eigenverantwortung und weniger staatliche Reglementierung. In diesem Sinne haben wir - das muß wiederholt werden, weil zu wenige Leute es wissen - die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall neu geregelt, das Schlechtwettergeld in der Baubranche neu geregelt, das Arbeitsrecht modernisiert, die arbeitsmarktpolitischen Instrumentarien erweitert und die Substanzsteuern beseitigt. Das ist ein Riesenerfolg!
({4})
Einem Betrieb, der sich in einer schwierigen Situation befindet, noch zusätzliche Steuern abzunehmen, heißt, ihn dem Konkurs näherzubringen. Und Sie wollen die Vermögensteuer wieder einführen, weil sie sich für Ihre Neidpolitik besonders gut eignet.
Herr Abgeordneter Doss, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schuster?
Nein, vielen Dank. Ich möchte jetzt fortfahren.
Die Privatisierungen von Telekom und Bahn sind vorangebracht worden; hinter uns liegt eine Legislaturperiode der großen Leistungen. So sollte man das sehen. Auch beim Aufbau Ost kommen wir voran. Der Umbau des Sozialstaates ist eingeleitet. Wir haben die Handwerksordnung modernisiert, und wir haben das Kartellgesetz novelliert. In diesem Bereich hat mein Freund Hartmut Schauerte Beeindruckendes geleistet. Wir haben das Beitragsrecht der Industrie- und Handelskammern auf eine neue Grundlage gestellt. Wir haben das gemeinsam getan, und das finde ich gut. Wir haben für die ständige Erneuerung des Mittelstandes durch Gründung neuer selbständiger Existenzen eine ganze Menge getan. Heinz Riesenhuber, herzlichen Dank für deine Initiativen!
({0})
Die Erfolge sind erkennbar. Wir haben bei der Selbständigenquote einen Zuwachs von 2 Prozent. Der Anteil der Selbständigen ist von 8 auf 10 Prozent angestiegen. Wenn wir mehr Arbeitsplätze wollen, dann brauchen wir mehr Unternehmer. Nur auf diesem Weg kommen wir voran.
Was wir von den Grünen und den Roten zu erwarten haben, das sind - auf den Punkt gebracht - mehr Kosten, mehr Staat, mehr Bürokratie und mehr Bevormundung - wenn wir durch einen tragischen Wählerirrtum keine Mehrheit mehr bekommen sollten, was ich nicht glaube.
({1})
Schröders Wahlprogramm - im Gegensatz zu ihm können wir rechnen - bedeutet einen ungedeckten Scheck von 85 Milliarden DM. Theo Waigel hat das vorgerechnet:
({2})
50 Milliarden DM für den Bundeshaushalt, 25 Milliarden DM für die Länder und die Kommunen, 5 Milliarden DM für die Bundesanstalt für Arbeit und 5 Milharden DM für die gesetzliche Krankenversicherung. Das ist der Unterschied zwischen der Koalition der Mitte und Rotgrün.
Deswegen: Mittelständler, paßt auf, daß ihr richtig wählt!
({3})
Für euch würde ein solcher Weg ganz klar die Wiedereinführung der Vermögensteuer bedeuten, die Einführung einer Devisen- und Aktiensteuer, die Erhöhung der Erbschaftsteuer, die Einführung von Energie- und Ökosteuern, die Einführung von Mindeststeuern als Strafsteuern für Investitionen, die völlige Streichung des Verlustrücktrages, das heißt existenzbedrohende Liquiditätsverluste. Wenn die Freiberufler einmal zur Kenntnis nehmen sollten, daß die Sozialdemokraten sie mit in die Gewerbesteuer aufnehmen wollen, dann wird das bei diesen vermutlich große Begeisterung auslösen. Rotgrüne Steuerpolitik würde immer mehr Steuern, immer mehr Abgaben, immer mehr Drangsalierungen für unsere Mitbürger und keine Entlastung, die wir eigentlich brauchen, bedeuten.
Der absolute Gipfel aber ist folgendes: die „neue Mitte", die angebliche Entlastung und die werbewirksamen Veranstaltungen des Herrn Schröder. In der Zeitung steht: Der Mittelstand wird umgarnt von Schröder. Zur gleichen Zeit legen seine Finanzminister im Bundesrat ein Gesetz zur Erhöhung der Kfz-Steuer für leichte Nutzfahrzeuge vor. Kostenpunkt: 1 Milliarde DM.
Das trifft alles den Mittelstand. Diese Politik und diese Sprüche angesichts der Realität bekommt man doch nicht mehr in den Kopf. Oder ist Ihre Partei so wenig organisiert, daß nicht einmal mehr einfache Absprachen getroffen werden können? Das ist ein absoluter Skandal.
({4})
Die Zeitung „Der Tagesspiegel" vom 27. Mai 1998, ein unverdächtiges Medium - damit Sie nicht denken, wir alleine würden uns so äußern -, schreibt dazu:
An einem Tag um das Vertrauen der Kleinunternehmer zu werben, ihnen am nächsten aber eine dicke Ohrfeige anzudrohen, ist unverantwortlich. Wer den Spagat zwischen Mittelstandspolitik und den finanzpolitischen Gelüsten der Länderfürsten schon jetzt nicht bewältigt, muß sich fragen lassen, wie er in der Regierungsverantwortung die Interessenkonflikte zwischen Finanz-und Wirtschaftspolitik bewältigen will.
({5})
So wird Ihre Politik bewertet.
Meine Damen, meine Herren, ich bin der Meinung, wir sind auf einem guten Weg.
({6})
Kein Mensch verniedlicht die Schwierigkeiten, die wir haben.
({7})
Wir sind in vielen Bereichen, und zwar in der gesamten Gesellschaft, nicht allein in der Politik, bei der
Durchführung der Reformen etwas nachlässig geworden. Ich meine damit auch die Tarifparteien, die bei der Gestaltung der Lohnzusatzkosten zu 50 Prozent mitwirken. Ich kann sie nur ermutigen, daß sie den Weg dieser Bundesregierung und dieser Koalition ebenfalls gehen. Eine Verbesserung der Rahmenbedingungen, um mehr Beschäftigung zu erreichen, geht nur über den Mittelstand.
({8})
Insofern bin ich sehr dankbar, daß wir heute über den Mittelstand reden.
Bedauerlicherweise ist Ihr Kanzlerkandidat heute nicht da. Er hat die Einladung nicht angenommen. Er hat sich vertreten lassen.
({9})
Menschlich habe ich, Frau Fuchs, viel Respekt vor Ihnen. Allerdings weiß ich nicht, ob Sie die richtige Person sind, um die Interessen des Mittelstandes zu vertreten und hier sozialdemokratische Politik vorzutragen. Ihre Rede hat dies nicht belegt.
({10})
Danke für die Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Margareta Wolf, Bündnis 90/ Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte, bevor ich zum Thema komme, mein Entsetzen über den Tod von Thomas Linke zum Ausdruck bringen. Wir haben heute im „Handelsblatt" gelesen, daß Thomas Linke gestern einem grausamen Tod anheimgefallen ist. Er ist sehr früh im Alter von 38 Jahren gestorben. Gerade uns Wirtschafts- und Finanzpolitiker hat er in der Vergangenheit begleitet. Ich denke, wir sollten seiner Familie und seinen Freunden unser Beileid überbringen.
Sehr geehrter Herr Kollege Doss, Sie haben vorhin gesagt, Sie seien auf einem guten Wege. Herr Rexrodt sagt das auch immer gerne. Es freut mich, wenn Sie auf einem guten Wege sind und Ihre Danksagungen an Ihre Kolleginnen und Kollegen heute so zu verstehen sind, daß Sie in der nächsten Legislaturperiode nicht mehr hier im Parlament sind.
({0})
- Das war eine ganz freundliche Bemerkung, Herr Doss. Wir schätzen uns ja.
Ich finde, daß das Thema Mittelstand ökonomisch zu schwer wiegt, um es immer wieder erst kurz vor irgendwelchen Landtagswahlen und auch jetzt vor der Bundestagswahl hier zu debattieren. Der Mittelstand ist das Kernstück der deutschen Wirtschaft; er ist das Kernstück der europäischen Wirtschaft. Das ist auch gut so. 99,8 Prozent der Unternehmen in Europa sind mittelständisch strukturiert, und sie beschäftigen 66 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Erhaltung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen sind in Europa und in Deutschland die Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des sozialen Zusammenhaltes, für eine positive Regionalentwicklung und für eine Verbesserung der Beschäftigungssituation. Wir müssen uns aber doch den Fragen stellen, Herr Rexrodt: Wie geht es den kleinen und mittleren Unternehmen? Wo ist die Politik gefordert? Und welche Rahmenbedingungen sind falsch gesetzt worden? Da muß ich mich schon wundern, Herr Kollege Doss und auch Herr Rexrodt. Herr Doss, Sie haben gesagt, wir befänden uns in einer Legislaturperiode der großen Erfolge. Herr Rexrodt sagte heute morgen, daß der Erfolg auf der Hand liegt.
Ich habe mir gestern aus dem Internet die „Mitteilung für die Presse" des Statistischen Bundesamtes Vom 7. Mai 1998 gezogen. Dort geht es um die Insolvenzen im Februar 1998, verehrter Herr Minister. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes summiert sich die Gesamtzahl der Insolvenzen in den ersten zwei Monaten dieses Jahres auf 5 580, was ein Plus von 6,9 Prozent bedeutet. Herr Rexrodt, bei diesen Zahlen können Sie doch nicht von einem Erfolg reden. Herr Doss, Sie können doch nicht sagen, wir seien in der Legislaturperiode der großen Erfolge. Das Frühjahrsgutachten und auch diese Statistik haben gezeigt: Wir laufen im Moment Gefahr, daß wir den Osten abhängen. Daran ändert sich auch nichts, wenn Sie hier Ihre Erfolge auflisten.
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Im Osten haben wir 19,2 Prozent mehr Insolvenzen als in den entsprechenden Vorjahresmonaten. Darüber müssen wir uns Gedanken machen. Diese „Weiter so" -Parolen helfen überhaupt nicht weiter.
({2})
Verehrter Herr Minister, ich weiß nicht, ob Sie das Buch von Warnfried Dettling „Wirtschaftskummerland?" kennen. An dieses Buch mußte ich vorhin denken. Warnfried Dettling weist in diesem Buch darauf hin, daß der Ihnen allen bekannte Philosoph Karl R. Popper zu Beginn seiner Vorlesung immer eine Geschichte erzählte. Der Held dieser Geschichte ist ein Betrunkener. Dieser Betrunkene verliert jeden Abend auf dem Nachhauseweg seinen Schlüssel. Er weiß, daß er den Schlüssel im Dunkeln verloren hat. Wo sucht er aber den Schlüssel? Er sucht ihn immer unter der Laterne. Darauf angesprochen, warum er immer nur unter der Laterne sucht, wo er doch weiß, daß er dort den Schlüssel nicht findet, sagt er: Weil es hier so schön hell ist. - Genauso kommen mir Ihre „Weiter so"-Geschichten vor.
({3})
Margareta Wolf ({4})
Sie suchen nach wie vor den Schlüssel zum Erfolg im dritten Viertel unseres Jahrhunderts. Sie machen auf mich den Eindruck, als würden Sie sich wie E. T. nach Hause sehnen. Sie sind nicht in der Lage, die Herausforderung des Aufbruchs zu neuen Ufern in diesem Land tatsächlich anzunehmen. Sie sind nicht in der Lage, gleichzeitig innovativ zu denken und zu handeln. Ich traue gerade Ihrem Staatssekretär ersteres durchaus zu. Sie sind aber nicht in der Lage, innovativ zu handeln. Hier liegt das Kernproblem Ihrer Politik, sehr verehrter Herr Minister.
Was sind die Probleme des Mittelstandes, und was gilt es zu tun? Das erste Problem - so titelte am 13. Mai auch die Zeitung „Blick durch die Wirtschaft" - ist die Finanznot. Zitat von der ersten Seite: „Finanznot verhindert Innovation im Mittelstand" .
({5})
Herr Minister, es ist zwar richtig, daß Sie seit 16 Jahren davon reden, daß wir einen funktionsfähigen Risikokapitalmarkt aufbauen müssen. Ich frage Sie aber: Wo ist die steuerliche Gleichstellung der Anlageformen? Wir haben immer noch eine Privilegierung bei Immobilien und Lebensversicherungen und eine Schlechterstellung von Investitionen in Produktivkapital. Das hätten Sie beim Dritten Finanzmarktförderungsgesetz korrigieren können.
({6})
Hören Sie einmal, was Goldman-Sachs sagt. Hören Sie einmal, was an der Londoner Börse über diesen Standort gesagt wird. Dort wird gesagt, wir müssen endlich eine Börsen- und Beteiligungskultur in Deutschland etablieren. Herr Santer sagt dies seit Jahren. Darüber wird in den Zeitungen geschrieben. Aber es passiert nichts. Wir müssen in diesem Land wegkommen von einem Aktienrecht, das den Eigentümern nur wenig direkten Einfluß ermöglicht. Wir müssen wegkommen von der einseitigen Fixierung auf die Umlagefinanzierung im Rentensystem. Wir müssen endlich die Rahmenbedingungen für Vermögensbildung und für Vorsorge in diesem Land aktiv flankieren. Das haben Sie versäumt.
({7})
Wir müssen wegkommen von einem Wertpapier-und Börsenrecht, das sich vor allen Dingen dadurch auszeichnet - das sagen Ihnen doch die ausländischen Banken und die potentiellen Investoren -, daß es einen Mangel an Transparenz und Wettbewerb gibt. Dieser Mangel an Wettbewerb innerhalb des Bankensystems geht zu Lasten von Innovation und zu Lasten der KMUs. Er geht weiterhin zu Lasten von Beschäftigung und zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit dieses Standorts. Wenn Sie zum Ende dieser Legislaturperiode eine Leistungsbilanz aufstellen, müssen Sie auch das kritisch reflektieren.
Der zweite zentrale Punkt - über den ist schon gesprochen worden - ist die Belastung der kleinen und mittleren Unternehmen mit Steuern und Abgaben. Diese Belastung muß drastisch reduziert werden.
({8})
- Haben Sie keinen Friseur, der mit Ihnen redet? Sie machen dauernd Zwischenrufe, statt sich hier hinzustellen und einmal zu sagen, was Sie meinen, verehrter Herr Kollege.
({9})
Erstens - das geht gleichzeitig an Herrn Schröder -: Die beiden großen Fraktionen sagen ständig, die Abgabenbelastung sei zu hoch. Das ist richtig. Herr Schäuble hat ein Konzept vorgelegt, wie man die Mineralölsteuer erhöhen und damit die Sozialabgaben senken kann. Herr Repnik hat dieses Konzept auch. Es war aber offensichtlich nicht durchsetzbar.
Ich möchte Ihnen einmal - weil auch Herr Henkel das immer gerne tut - einen kleinen Blick über die bundesdeutschen Grenzen hinaus gewähren, nämlich nach Dänemark. Am 10. Mai stand in der „Welt am Sonntag", wie Dänemark es geschafft hat, mit seinem Haushalt in die schwarzen Zahlen zu kommen, eine Arbeitslosenquote von nunmehr nur noch 5,8 Prozent zu haben - vor acht Jahren hatte es eine Arbeitslosenquote von fast 14 Prozent -, einen Innovationswettlauf anzuregen und so geringe Abgaben zu haben wie noch nie. Dänemark hat 1990 damit angefangen, schrittweise in eine ökologische Steuerreform einzusteigen. Es ist bekannt, daß Dänemark ein Land mit sehr hohen sozialen Standards und sehr hohen Leistungen ist, zirka 16 000 DM pro Einwohner im Jahr. Wissen Sie, wer diese heute bezahlt? 20 Prozent dieser Abgaben zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, und der Rest wird aus dem Fonds, der sich aus dem Energiesteueraufkommen angesammelt hat, finanziert. Dänemark ist strukturpolitisch vorne, und wir sind hinten.
({10})
Der zweite Punkt: Steuerreform. Ich gehe mit vielen hier im Hause konform, die sagen, daß es bei der Realisierung des Optionsmodells der SPD erhebliche Probleme gäbe. Wir lehnen es ab. Meine Fraktion - das ist kein Geheimnis - ist für eine Senkung des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent. Wir sind für einen Körperschaftsteuersatz auf international üblichem Niveau von 35 Prozent. Wir wünschen uns natürlich, daß diese Spitzensteuersätze angeglichen werden. Das ist die Perspektive.
Meine Damen und Herren von der SPD, vielleicht haben Sie es nicht gehört, aber die Freiberufler und die Selbständigen lehnen das Optionsmodell ab, weil sie eine Differenzierung zwischen Betriebs- und Privatvermögen bräuchten. Diese gibt es bei den Freiberuflern nicht.
Ein dritter Punkt. Wir müssen Bürokratie abbauen.
({11})
Bürokratiekosten sind für die kleinen und mittleren
Unternehmen heute ein ganz entscheidender Faktor.
Margareta Wolf ({12})
Warum haben wir denn den Bürokratie-TÜV, Herr Kollege Kolb? Was geschieht denn dort? Ich sehe überhaupt nicht, daß Sie tatsächlich einmal die Gesetze und Verordnungen durchforsten und sie reduzieren.
({13})
- Sie sprechen doch bestimmt noch. Quatsch ist es nicht.
Die Dauer der Genehmigungsverfahren ist im Land Hessen am niedrigsten. Hessen hat 1992, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, damit angefangen, sukzessive Verwaltung als bürgernah zu begreifen. Die Genehmigungsdauer liegt heute dort zwischen einem und drei Monaten. Damit liegt Hessen bundesweit an der Spitze. Da kann man sich, glaube ich, etwas abgucken.
Nächster Punkt. Wir brauchen Kooperationen zwischen kleinen und mittleren Unternehmen, und wir brauchen Kooperationen zwischen großen und kleinen Unternehmen. Sie kennen das Mentorenmodell aus Frankreich, wo erfolgreiche Existenzgründer neue Existenzgründer beraten. Die Frage, die ich mir stelle, ist: Warum sind die deutschen IHKs, warum ist der DIHT nicht in der Lage, diese Kooperationsmodelle offensiv zu fahren?
Wir brauchen - da haben Sie schon ein Vorzeigeprojekt installiert - eine Öffnung der Hochschulen und der Schulen für Wirtschaft. Wir brauchen - wie Herr von Rosen vom Deutschen Aktieninstitut das fordert - ein Schulfach Wirtschaft. Da reicht das Vorzeigeprojekt nicht aus.
({14})
Ein letzter Punkt. Das Schröder-Papier enthält ganz zum Schluß ein Bekenntnis - das hier vermutlich auch noch erfolgen wird - zum Meisterbrief im Handwerk. Unabhängig davon, daß ich nicht der Meinung bin, daß sich Politiker als Kirchenvertreter verstehen sollten und Bekenntnisse formulieren sollten: Wir müssen uns Gedanken machen, warum der Anteil der Schwarzarbeit im Handwerk so groß ist, verehrter Herr Kollege Kolb. Wir brauchen ein wettbewerbsfähiges Handwerk. Sie wollen Sozialsysteme in Europa harmonisieren, und Sie wollen Steuersysteme harmonisieren. Gewerberechtlich sind wir absolute Dinosaurier. Damit will ich keine Kritik am Handwerk üben. Wir Politiker sind aber gefordert, beim Gewerberecht sukzessive zu modernisieren, zu harmonisieren und somit auch das Handwerk wettbewerbsfähig zu machen.
Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der F.D.P.-Fraktion, Dr. Hermann Otto Sohns.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Frau Wolf danken, daß sie an den schlimmen Tod des Redakteurs des „Handelsblatts" Thomas Linke erinnert hat; er hätte diese Debatte gerne beobachtet und über sie berichtet. Auch wir bedauern seinen Tod zutiefst, und unsere Teilnahme gilt seiner Familie, seinen Freunden und seinen Kollegen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Graf Lambsdorff hat immer gesagt, die beste Mittelstandspolitik ist eine gute Wirtschaftspolitik. Das ist richtig. Heute kann man das sogar beinahe umdrehen: Eine gute Mittelstandspolitik ist die beste Wirtschaftspolitik. Warum? - Weil die Bedeutung des Mittelstandes in unserer durchmischten Wirtschaft Jahr um Jahr zunimmt und die Bedeutung der Großindustrie abnimmt. Wenn Sie das an der Entwicklung der Beschäftigtenzahlen und an der Entwicklung der Zahl der Selbständigen ablesen, wird das um so deutlicher. Diese Zahlen sind beeindruckend. Wenn ich die selbständigen Landwirte einbeziehe, sind es dreieinhalb Millionen selbständige Existenzen mit über 20 Millionen Beschäftigten. Das macht ein Gutteil der Wirtschaft aus - mit 80 Prozent der Auszubildenden. Genau hierauf müssen wir unsere Konzentration in der Wirtschaftspolitik richten. Denn diese selbständigen Existenzen werden auch in Zukunft in erster Linie die Arbeitsmarktprobleme lösen können und zu lösen haben.
Aber eine gute Mittelstandspolitik ist eben nicht eine Mittelstandspolitik, die mit der linken Hand nimmt, um mit der rechten Hand geben zu können.
({0})
Wir müssen die mittelständischen Betriebe nur laufen lassen. Wir müssen ihre Innovationskraft und ihre Leistungsbereitschaft auslösen. Dann werden sie es von selbst tun. Das heißt: weniger Abgaben, weniger Steuern, weniger Vorschriften, weniger Gängelung, weniger Bevormundung und weniger Subventionen. Hier ist viel zu tun. Denn die Subventionen fließen dem Mittelstand nur zu zwei bis vier Prozent zu. Das andere kassieren die Großen; die Kleinen müssen es aber bezahlen. Deswegen sind wir seinerzeit auch so entschlossen und als einzige Partei öffentlich für den Abbau der Steinkohlesubventionen nachdrücklich eingetreten. Selbst die Grünen, die sich immer dazu bekannt haben, sind dann schnell - im Schulterschluß mit den Kumpels - vor die Kameras gelaufen, um ihre Überzeugung vor dem Fernsehen abzuliefern. Meine Damen und Herren, so geht es eben nicht.
Mittelstandspolitik ist der Kern der Wirtschaftspolitik. Hier haben wir erhebliche Erfolge erzielt. Günter Rexrodt hat darauf hingewiesen. Die Erfolge sind sichtbar, sind auch im Osten sichtbar.
({1})
Dr. Hermann Otto Sohns
520000 selbständige Existenzen, die ja fast ausschließlich neu entstanden sind, sind doch eine ungeheuer beeindruckende Zahl.
({2})
Daß dann auch die Zahl der Zusammenbrüche solcher neu gegründeten Unternehmen steigt, ist selbstverständlich, weil es nicht alle schaffen. Trotzdem ist die Zahl der Neugründungen höher als die Zahl der Konkurse. Dies ist auch in der gegenwärtigen Zeit eine ermutigende Botschaft.
Ich will jetzt nicht auf die ganzen einzelnen Maßnahmen hinweisen. Wir haben ja vieles getan. Ich will nur darauf hinweisen, daß wichtige Reformmaßnahmen, die wir getroffen haben, von der Opposition bis heute bekämpft werden. Bis heute wird angedroht, daß Sie diese Maßnahmen zurücknehmen wollen.
({3})
Frau Fuchs, wir haben Herrn Schröder gemeinsam - übrigens auch in einer Pressemeldung der F.D.P. - gebeten, an dieser Debatte teilzunehmen, weil er ja in dieser Woche sein Mittelstandspaket vorgestellt hat.
({4})
Es wäre doch das Selbstverständlichste von der Welt,
({5})
daß er, wenn er als Kanzlerkandidat auftritt und Ministerpräsident ist, seine Vorstellungen hier verteidigt und begründet.
({6})
Aber ich sage Ihnen voraus: So wie er diesen Platz hier auf der Bank des Bundesrates leer läßt, so wird er diesen Platz hier, wo der Herr Bundeskanzler sitzt, im Herbst ebenfalls nicht ausfüllen.
({7})
Denn wer sich so um seine Verantwortung drückt, der gehört nicht auf diesen Platz. Das will ich hier eindeutig sagen.
({8})
Meine Damen und Herren, was er hier als Mittelstandspaket vorstellt, das ist ja nun eine ausgemachte Mogelpackung. Er will die Mittelständler hinters Licht führen, nichts anderes. Das ist ein schön in Hochglanzpapier verpacktes Geschenkpaket, mit guten Gerüchen umnebelt, aber es steht daran: „Bitte erst nach der Wahl öffnen" . Denn seine Methode ist: Erst wählen, dann zahlen!
({9})
Dann haben es die Mittelständler zu bezahlen. Das ist die Methode Schröder: jedem nach dem Munde reden, aber in Wirklichkeit überall den Kopf einziehen, wo seine Parteikollegen gegensätzliche Vorstellungen verkünden.
Ich komme jetzt zur Ausbildungsplatzabgabe; Herr Kollege Doss hat schon darauf hingewiesen. Was sagt Herr Schröder dazu? Am 8. Oktober 1997 hat er im Landtag in Hannover gesagt:
Solange ich in diesem Land etwas zu sagen habe, wird eine Ausbildungsplatzabgabe nicht eingeführt.
({10})
Die von Ihnen nominierte Schattenministerin Frau Bulmahn sagt,
({11})
wer so redet, sei mit ideologischer Borniertheit geschlagen. - Das wird ein schönes Kabinett werden; das kann ich mir vorstellen.
({12})
Ich komme zur Steuerpolitik. In dem Mittelstandspapier steht: Sie wollen Steuern senken, und zwar einheitlich.
({13})
Das hätten Sie längst tun können. Unser Vorschlag war eine Steuersenkung für die Betriebe auf einheitlich 35 Prozent. Warum haben Sie das nicht unterstützt?
({14})
Sie belügen doch die Öffentlichkeit! Sie hätten es in der Hand gehabt. Herr Schröder ist doch Ministerpräsident. Er hätte zustimmen können. Dann hätten wir eine Mehrheit gehabt. Das ist ganz einfach.
({15})
Nun erklärt er, wenn er an die Regierung komme, wolle er die Steuern senken. Gleichzeitig sagt der Parteivorsitzende Lafontaine: Aber unter 49 Prozent dürfen wir nicht gehen. - Jeder weiß, daß es verfassungsrechtlich nicht möglich ist, bei den Betrieben auf 35 Prozent und bei den anderen Einkünften auf 49 Prozent zu gehen; denn 90 Prozent unserer Unternehmen sind Personengesellschaften.
({16})
Was sagt Herr Schröder zu der Forderung von Herrn Lafontaine hinsichtlich einer Mindestbesteuerung? Das ist etwas, was in unser Steuerrecht überhaupt nicht hineinpaßt. Es ist in Wirklichkeit die Flucht vor der Verantwortung, die steuerlichen Ausnahmetatbestände abzuschaffen; denn das wollen Sie ja gerade nicht. Sie wollen die steuerlichen Ausnahmetatbestände, die die Arbeitnehmer betreffen, nicht abschaffen. Dann bekommen wir eben kein geDr. Hermann Otto Sohns
rechtes und gleichmäßig wirkendes Steuersystem. All das muß auch einmal öffentlich gesagt werden.
Für die Mittelständler und Freiberufler besonders interessant ist: In dem Mittelstandspapier steht, die Freiberufler sollten wie Unternehmer besteuert werden. Was heißt das denn? Das heißt nichts anderes als Gewerbesteuer für die freien Berufe, eine drastische Steuererhöhung für den großen Kreis der freien Berufe, die keine Gewerbebetriebe sind und die Infrastruktur auch gar nicht in der Weise belasten.
({17})
Dazu kommt die Kfz-Steuer. Sie soll noch in dieser Woche im Bundesrat behandelt werden. Eine Milliarde DM Belastung zusätzlich für die ohnehin kränkelnde Bauwirtschaft - eine wunderbare Unterstützung für die wirtschaftliche Situation.
({18})
Das sollte auch die Bauarbeitergewerkschaft endlich einmal zur Kenntnis nehmen.
Meine Damen und Herren, wichtig ist auch der heute zur Diskussion stehende Antrag zur Verbesserung der Zahlungsmoral. Ich bedanke mich ausdrücklich bei meinem Kollegen Jürgen Türk,
({19})
der aus Cottbus kommt und die Situation insbesondere der kleinen Betriebe im Osten kennt. Er hat sich seit Monaten um dieses Thema gekümmert. Wir haben uns in der Koalition zu diesem Thema nun geeinigt. Das ist von ganz großer Bedeutung. Es ist insbesondere eine Ermahnung an die öffentlichen Hände, hier zu handeln. Es geht nicht, daß die öffentlichen Hände Aufträge beispielsweise an das örtliche Bauhandwerk vergeben und mit den Zahlungen Monate auf sich warten lassen. Das muß endlich beendet werden.
Meine Damen und Herren, hier stehen sich unterschiedliche wirtschafts- und gesellschaftspolitische Auffassungen gegenüber. Die Koalition tritt entschlossen für die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft ein. Die baut auf dem Grundgedanken eigenverantwortlichen Handelns und der Förderung der Leistungsbereitschaft der Menschen auf.
Die Sozialdemokraten trauen den Menschen nicht.
({20})
Deswegen sind sie mehr für eine staatsinterventionistische Wirtschaft.
({21})
Sie wollen über Umverteilung lenken. Was heißt das
in Wirklichkeit? Sie glauben, daß sie es besser wissen
als die vielen Millionen Menschen draußen. Sie wollen ihnen sagen, was sie zu tun haben, weil sie den Menschen kein Vertrauen entgegenbringen.
({22})
Als Hesse sage ich: Die Grünen vertrauen auf das Prinzip der Vetternwirtschaft.
({23})
Sie nennen es verniedlichend Cousinenwirtschaft.
({24})
Da wird ein Beziehungsgeflecht unter Parteifreunden aufgebaut, die dann mit Staatsmitteln Gutachten zugeschoben bekommen und davon leben. Aus diesen verschiedenen Überzeugungen, Vetternwirtschaft und Staatswirtschaft, entsteht dann eine rot-grüne Katastrophenmischung.
({25})
Ich darf Ihnen das anhand von Beispielen aus Schleswig-Holstein erklären.
({26})
- Hören Sie doch einmal zu, Herr Fischer. Es ist Ihre Politik. Bekennen Sie sich dazu!
Beschäftigungsförderungspolitik im Lichte von Rot-Grün sieht vollkommen anders aus. Das dokumentiert die Koalitionsvereinbarung von Kiel. Der Katalog der ohnehin schon zahlreichen Beauftragten wird inflationiert: Kinderbeauftragter für die Staatskanzlei, Behindertenbeauftragter für die Staatskanzlei, Beauftragter für Flüchtlinge und Ausländer bzw. Ausländerinnen für den Landtag - alles finanziert aus Staatsknete. Darüber hinaus: ein Weltbeirat der Landesregierung für die Betreuung außerschleswigholsteinischer Entwicklungsvorhaben,
({27})
Fachkommission „Frauen planen Wohnen",
({28})
Enquete-Kommission „Gentechnik",
({29})
Besuchskommission für psychisch Kranke, Härtefallkommission für Flüchtlinge,
({30})
Fachbeirat „Wohnungsbau", Beratungsstelle für wohnungs- und obdachlose Frauen, Ansprechpartner bei der Regierung für Radfahrer.
({31})
Meine Damen und Herren, auf diese Weise werden viele unfähige Leute in Arbeit und Brot gebracht - das stimmt schon - und in den Reihen der grünen Partei gehalten.
Wir stellen uns soziale Marktwirtschaft und Mittelstandspolitik nicht so vor.
({32})
Wir vertrauen auf die Menschen. Wir wissen, daß sie ihr Schicksal besser selbst in die Hand nehmen können; sie brauchen keine staatliche Bevormundung und Überregulierung.
({33})
Deshalb wollen wir dafür mehr Freiraum schaffen. Wir wollen die Steuern drastisch senken und nicht nur umverteilen. Die SPD hingegen will die Sozialabgaben senken, die Steuern dafür erhöhen. Das ist eine Nullsummenrechnung, weil es für den Arbeitnehmer völlig Wurscht ist, warum er netto so wenig bekommt.
({34})
Für ihn ist entscheidend, daß er netto so wenig bekommt. Deswegen sagen wir:
({35})
- Mehr netto für alle! Genau, das ist die Botschaft. Das versteht auch jeder. Umverteilung hilft nicht.
Nur wer auf die Menschen setzt, wer ihnen Mut gibt, sich wieder selbständig zu machen,
({36})
wer ihnen die Kraft und die richtige Ausbildung gibt
- deswegen brauchen wir ja auch eine Reform des Bildungssystems -, der wird wieder mehr neue Unternehmen schaffen, der wird wieder mehr Arbeitnehmerverhältnisse schaffen, und der wird zu einer Gesundung der Gesellschaft beitragen.
({37})
Ich sehe die Lösungskompetenz für diese Fragen - für Sie von der Opposition muß ich sagen: leider - nur auf seiten der Koalition. Machen Sie mit Ihrer Umverteilungswirtschaft und mit Ihrer Vetternwirtschaft wie in Hessen weiter - Sie werden sehen: Der Wähler wird es bemerken.
Vielen Dank.
({38})
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Ingrid Matthäus-Maier, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Kollege Solms, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, die SPD habe durch ihr Nein zur Steuerreform verhindert, daß die Steuersätze für die Betriebe auf 35 Prozent abgesenkt werden.
({0})
- Gerade weil ich dabei war, Herr Hörster, weiß ich sehr genau - und auch Sie, Herr Kollege Sohns, wissen es -: Die SPD war und ist der Meinung, daß die betrieblichen Steuersätze deutlich abgesenkt werden müssen, weil sie im internationalen Vergleich zu hoch sind.
({1})
Nicht die Belastungen mit Steuern sind zu hoch, weil es sehr viele Ausnahmen gibt, aber die Sätze. Deswegen haben wir gesagt und sind bis heute der Ansicht: Runter mit dem Körperschaftsteuersatz auf 35 Prozent und darüber hinaus Absenkung der Einkommensteuer für Betriebe zur Gleichbehandlung des Mittelstandes und des Einzelhandels von 47 Prozent auf 35 Prozent.
Warum haben wir uns nicht geeinigt, obwohl wir uns in dieser Frage hätten einigen können?
({2})
Weil diese Koalition im Windschatten der Absenkung der betrieblichen Steuersätze immer wieder massiv die Absenkung der nichtgewerblichen, der privaten Steuersätze anstrebt. Das ist der Unterschied! Wir sagen Ja zu der Absenkung der betrieblichen Steuersätze, und wir halten die Absenkung der nichtgewerblichen Einkommensteuersätze von heute 53 Prozent auf 49 Prozent für richtig, aber nicht, wie Sie es sagen, auf 39 Prozent. Wer zahlt denn ab welchem Einkommen diese privaten Steuersätze? Wenn man in diesem Lande als Verheiratete mehr als 240 000 DM zu versteuerndes Einkommen hat, dann zahlt man nicht etwa, wie die Menschen denken, 53 Prozent auf diese 240 000 DM insgesamt, sondern auch bei diesem Einkommen fängt es bei null bzw. mit 25,9 Prozent an. Die durchschnittliche Belastung beträgt 33 Prozent.
Da sagen wir als SPD: Wer angesichts von fast 5 Millionen Arbeitslosen in diesem Lande mit der Steuerreform das Hauptziel verfolgt, den Steuersatz der Menschen, die jährlich mehr als 240 000 DM zu versteuerndes Einkommen haben, mit Riesenkosten auf 39 Prozent zu senken, der liegt falsch. Das machen wir nicht mit.
({3})
Unser Gegenentwurf ist es, die Durchschnittsverdiener, die Leistungsträger und die Familien mit Kindern zu entlasten, und zwar in Höhe von 2500 DM.
Mit dieser unterschiedlichen Konzeption gehen wir in den Wahlkampf.
Herr Solms, Sie sagen, es dürfe den Unterschied zwischen 35 Prozent und 49 Prozent nicht geben, denn das sei verfassungsrechtlich nicht erlaubt. Aber Sie wissen es besser. Nirgendwo im Bundesfinanzministerium oder im Bundesjustizministerium gibt es auch nur einen Hinweis darauf, daß dies verfassungswidrig wäre. Ich habe es genau geprüft. Abgesehen davon ist dies auch im Ausland so geregelt.
({4})
Herr Dr. Sohns, bitte.
Frau Matthäus-Maier, Sie kennen sich zuerkanntermaßen im Steuerrecht wirklich gut aus. Deshalb bedauere ich es, daß Sie wiederum die Unwahrheit darstellen.
({0})
Es ist ganz einfach so, daß Sie, wenn Sie die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Gleichmäßigkeit der Besteuerung in Deutschland wahren wollen, ein zu starkes Auseinanderklaffen der verschiedenen Steuersätze nicht zulassen dürfen.
({1})
Sie könnten diese Spreizung nur durchführen, wenn Sie die 90 Prozent Einzelkaufleute und Personengesellschaften anders behandelten als die Körperschaften, die Kapitalgesellschaften. Weil Sie das wissen, kommen Sie ja auf Ihr Optionsmodell, das Frau Wolf gerade zu Recht kritisiert hat. Aber es ist nun wirklich keine Mittelstandspolitik, wenn die Kleinen höher besteuert werden als die Großen.
({2})
Wenn Sie das nicht wollen, müssen Sie diese 90 Prozent zum Beispiel in Kapitalgesellschaften zwingen, was eine fundamentale Schwächung unserer Wirtschaftsstruktur bedeutete.
({3})
Denn das Rückgrat der mittelständischen Struktur wird ja gerade durch die Personengesellschaften gefestigt, nämlich dadurch, daß der Unternehmer und seine Familie mit ihrem Einkommen und ihrem Besitz hinter dem Unternehmen stehen, was sie dazu zwingt, bis zum letzten um ihre Existenz zu kämpfen.
({4})
Wenn Sie diese Struktur nicht zerstören wollen, können Sie nicht zu diesem Ergebnis kommen.
Wenn wir uns einig wären, bei den betrieblichen Einkünften auf 35 Prozent zu gehen, kämen Sie also nicht umhin, die Spitzenbelastung auch bei den anderen Einkünften zu senken. Dabei kann ich mich nicht auf einen Prozentpunkt genau festlegen; aber eine Spreizung von 14 Prozent wäre verfassungsrechtlich niemals abzusichern
({5}) und würde beim nächsten Prozeß scheitern.
({6})
Ich empfehle Ihnen dazu ein Gespräch mit Professor Kirchhof. Der wird es Ihnen dann genau erklären.
({7})
Meine Damen und Herren, bleiben wir also bitte bei der Wahrheit: Eine saubere Steuerreform muß dazu führen, daß alle, auch die Bezieher von Spitzeneinkommen, Steuern zahlen. Das heißt, die steuerlichen Ausnahmetatbestände müssen umfassend abgeschafft werden und nicht selektiv, wie Sie das vorschlagen.
({8})
Dann werden wir dazu kommen, daß trotz niedriger Steuersätze gerade jene mehr Steuern zahlen müssen als heute. Genau dies ist auch unsere Zielsetzung. Damit kommen wir zu einem gerechten Steuersystem.
({9})
Wir haben eine weitere Kurzintervention und setzen anschließend die Debatte fort. Die Kurzintervention kommt von Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Ich hatte mich spontan auf den Redebeitrag von Frau Matthäus-Maier gemeldet. Dies ist nach der Geschäftsordnung auch so möglich.
({0})
Ich möchte in Ergänzung zu dem, was Kollege Sohns gesagt hat, auf folgenden Sachverhalt aufmerksam machen: Frau Matthäus-Maier, es wird Ihnen nicht gelingen -
Herr Abgeordneter Repnik, ich würde gern wissen, auf welchen Redebeitrag Sie eingehen. Eine Kurzintervention zu einer Kurzintervention geht nicht.
Dann antworte ich jetzt auf die Kurzintervention des Kollegen Solms.
({0})
Nein, Sie müssen sich auf eine Rede beziehen.
({0})
Kollege Sohns ist in seiner Rede auf das Vermittlungsverfahren eingegangen. Auf diesen Zusammenhang möchte ich noch einmal zu sprechen kommen, wenn Sie gestatten, sehr verehrte Frau Präsidentin.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben - darauf ist der Kollege Sohns eingegangen - nachhaltig versucht, gerade im Rahmen der großen Steuerreform und des entsprechenden Vermittlungsverfahrens einem Sachverhalt gerecht zu werden, der zu mehr Arbeitsplätzen, zu mehr Wachstum und damit zum Abbau von Arbeitslosigkeit führt. In allen diesbezüglichen Verfahren hat sich die SPD ganz eindeutig wachstumsfeindlich, arbeitsmarktfeindlich und mittelstandsfeindlich verhalten.
({1})
Es kann überhaupt nicht bestritten werden, daß die SPD gegen die Durchführung wichtiger Maßnahmen war, nämlich gegen die Abschaffung der Vermögensteuer, gegen die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer
({2})
und gegen die mittelstandsfreundliche Absenkung der Gewerbeertragsteuer. Ich darf daran erinnern, daß die SPD bei einem gerade für den Mittelstand ganz wichtigen Punkt, bei der Erbschaftsteuer, dagegen war, im Rahmen betrieblicher Vermögen eine Erhöhung des Freibetrages durchzuführen. Auch dagegen hat sich die SPD gewandt.
({3})
Ich darf noch einmal betonen und darauf aufmerksam machen - auch dies hat der Kollege Sohns angesprochen -: Wir haben in unserem Steuersystem nicht die Chance, wie es die SPD anbietet, zwischen privaten und betrieblichen Vermögen zu differenzieren. Die Verfassungslage läßt dies nicht zu. In der Bundesrepublik Deutschland sind 90 Prozent aller Unternehmen Personengesellschaften. Wir würden sie mit dem Modell der SPD nicht entlasten.
Deswegen sind alle Maßnahmen, die die SPD zu diesem Sachverhalt vorgetragen hat, mittelstandsfeindlich, unternehmensfeindlich und wachstumsfeindlich. Sie schaffen nicht die Möglichkeiten, die wir brauchen, um neue Arbeitsplätze zu schaffen.
({4})
Herr Dr. Sohns will nicht antworten. Frau Matthäus-Maier, Sie können kurz darauf antworten.
Herr Kollege Repnik, gerade weil wir zusammen erhebliche Steuerpakete geschnürt haben - es sind ja viele verabschiedet worden, zum Beispiel die Jahressteuergesetze 1996 und 1997 -, muß ich zurückweisen, daß Sie sagen, wir seien gegen die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer gewesen.
({0})
Wir haben die Gewerbekapitalsteuer mit Ihnen abgeschafft. Aber wir haben erst dafür sorgen müssen, daß die Gewerbeertragsteuer im Grundgesetz abgesichert wurde. Denn auch die wollen Sie abschaffen. Das wollen wir nicht.
({1})
Wir waren für die Abschaffung der betrieblichen Vermögensteuer. Das habe ich hier mehrfach vorgetragen. Wogegen wir waren und sind, ist, daß Sie im Windschatten der Abschaffung der betrieblichen Vermögensteuer auch für reiche und reichste Vermögensmillionäre die private Vermögensteuer abgeschafft haben.
({2})
Es ist wirklich nicht wahr - Herr Sohns, diesen Punkt sollten Sie in Ihrer Koalition klären; denn ich habe nachgefragt -: Es gibt kein einziges Anzeichen dafür, daß eine Spreizung zwischen betrieblichen Steuersätzen von 35 Prozent und nichtgewerblichen von 49 Prozent verfassungsrechtlich nicht erlaubt sei. Nicht erlaubt ist - das wissen wir, und das wollen wir auch nicht -, eine große Spreizung bei den Steuersätzen von Körperschaften und Einzelhandel sowie Handwerk herbeizuführen. Genau das wollen wir nicht. Wir als SPD wollen, daß Einzelhandel, Handwerk und Mittelstand steuerlich genauso behandelt werden wie die großen Unternehmen. Es kann nicht sein, daß die großen entlastet werden und die kleinen in die Röhre schauen. Deswegen ist unser Konzept mittelstandsfreundlich.
({3})
Es besteht der Wunsch nach einer weiteren Kurzintervention auf die Rede von Herrn Dr. Sohns, und zwar von dem Abgeordneten Oswald Metzger, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte etwas zur Rede des Kollegen Solms sagen, weil er unserer Fraktion und Partei entsprechend eingeschenkt hat. Daß Wahlkampf ist, merkt jeder, merken vor allem die Zuhörer. Wenn man austeilt, Kollege Solms, muß man auch einstecken. Auf die Steuerreform komme ich nachher noch zu sprechen.
({0})
Die F.D.P. geht jetzt im Wahlkampf mit ihrem Entlastungsprogramm hausieren, ohne zu sagen, wie sie das angesichts der Leere in den Staatskassen gegenfinanzieren will.
({1})
Vorgesehen ist eine Abschaffung der Gewerbeertragssteuer. Das bedeutet Ausfälle in Höhe von 50 Milliarden DM für die Kommunen in Deutschland. Eine solche Forderung wundert mich nicht; denn die F.D.P. ist kommunalpolitisch in Deutschland praktisch nicht mehr vorhanden.
Darüber hinaus soll die Einkommensteuer weit über das hinaus gesenkt werden, was die Koalition in ihren Petersberger Entscheidungen beschlossen hat. Dies führt zu Ausfällen für Bund, Länder und Gemeinden in Höhe von insgesamt 80 Milliarden DM.
({2})
Die vorgesehene Abschaffung des Solidaritätszuschlags führt zu weiteren Ausfällen in Höhe von 20 Milliarden DM für den Bundeshaushalt.
({3})
Wenn ich mir dann noch Ihr Wiesbadener Parteiprogramm anschaue, das als Ziel ein Verbot der Neuverschuldung des Bundes formuliert,
({4})
dann frage ich mich: Wie kann sich diese Kraft, die dritte Kraft in Deutschland werden will, ernsthaft als seriös, solide und mittelstandsorientiert verkaufen? Da fehlen mir die Worte.
({5})
Ich komme dann zum Thema Steuerrecht. Unsere Fraktion hat sich an der einkommensteuerpolitischen Debatte des letzten Jahres bei Gott mit einem eigenen Konzept beteiligt.
({6})
Bei dem Streit, Kollege Thiele, ging es nicht darum, wie abgesenkt wird, sondern ob eine Nettoentlastung überhaupt möglich ist oder nicht. Einigkeit bestand dagegen darin, daß eine deutliche Senkung der Grenzsteuersätze durch eine breitere Bemessungsgrundlage refinanziert werden sollte. Wir sagen: 45 Prozent bei der Einkommensteuer und 35 Prozent bei der Körperschaftsteuer.
Wir sind uns darüber im klaren, daß die Spreizung nicht über die Maßen groß sein darf und daß bei einer Neuverteilung der Steuer- und Abgabenlast berücksichtigt werden muß, daß vor allem die Mittelschicht der Gesellschaft - abhängig beschäftigte Gutverdiener wie Selbständige - heute der Lastesel unserer Gesellschaft ist.
Wenn wir durch ein modernes konkurrenzfähiges Steuerrecht sowohl verhindern wollen, daß der Staat Einnahmen verliert, als auch unter dem Gesichtspunkt der Bekämpfung der Schattenwirtschaft mehr Leistungsbereitschaft in der Gesellschaft erreichen wollen, dann kann es doch nicht - das müssen wir den Leuten klarmachen -, weil der Staat objektiv wenig in der Tasche hat, zu einer Riesennettoentlastung kommen. Das geht nicht.
Deshalb sagen wir Grünen auch in einem Wahljahr: Wir sind nicht der billige Jakob. Wir wollen seriös agieren. Wir wollen zwar eine große Einkommensteuerreform. Aber die riesige Nettoentlastung, die die Koalition versprochen hat, ist nicht finanzierbar. Alles andere wäre Lug und Trug.
({7})
Herr Dr. Solms, Sie können antworten.
({0})
Zur Vetternwirtschaft will ich jetzt nichts mehr sagen.
({0})
- Wenn Sie es noch einmal hören wollen, dann kann ich als Hesse nur sagen: Wenn Sie Ihre gesamte Parteimitgliedschaft über die Staatshaushalte finanzieren wollen, dann werden Sie niemals einen Staatshaushalt sanieren.
Aber, meine Damen und Herren, der Kollege Metzger ist ein ernstzunehmender Finanzpolitiker. Es gibt bei den Grünen auch Ausnahmen. Ich hoffe, ich habe Ihnen jetzt nicht geschadet.
({1})
Herr Abgeordneter Fischer, das Wort hat jetzt Herr Dr. Solms.
({0})
Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.]: Der Herr Fischer hat doch immer das Wort. Aber an dem Inhalt mangelt es leider manchmal.
Ich stelle immer wieder fest, wie gering das Vertrauen in finanzpolitische Bewegungen ist. Nehmen Sie sich doch einmal ein Beispiel an anderen Ländern - wir haben es in diesem Hause schon tausendmal gesagt -, die mit mutigen Entscheidungen in Vorlage gegangen sind. Hinterher hatte sich die Volkswirtschaft so positiv verändert, daß sie zum Schluß Überschüsse in den Budgets gehabt haben.
Jetzt will ich Ihnen das an einer ganz einfachen Zahl erklären. Wenn es gelingt, über eine mutige Entlastungspolitik bei den Abgaben, bei den Steuern und bei den bürokratischen Vorschriften mehr Dynamik in diese Wirtschaft zu bringen,
({1})
dann wird es möglich sein, in wenigen Jahren eine Zahl von 2 Millionen zusätzlich Beschäftigten zu erreichen. Pro 100 000 Beschäftigte werden die Staatskassen um rund 5 Milliarden DM entlastet. Wenn Sie das hochrechnen - das traue ich Ihnen noch zu -, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, daß das bei 2 Millionen ein Umfinanzierungspotential von 100 Milliarden DM ergibt.
In den wenigen Jahren zwischen 1985 und 1989 ist es gelungen, mehr als 3 Millionen zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse zu bekommen. Das konnte geschehen durch eine gute Politik dieser Koalition
({2})
und durch das Engagement von Millionen von Arbeitnehmern und Unternehmern im Lande. Das wären 150 Milliarden DM Umfinanzierungspotential.
({3})
Und Sie fangen jetzt an, um wenige zehn Milliarden zu feilschen. Das zeigt die Engstirnigkeit Ihres Denkens.
({4})
Wer hätte denn gedacht, daß die Vereinigten Staaten nach der Reaganschen Steuerreform mit einem Defizit des Staatshaushalts von 300 Milliarden in den 90er Jahren als Folge dieser Politik 14 Millionen Beschäftigte mehr haben und daß der amerikanische Bundeshaushalt Überschüsse in Höhe von 40 Milliarden Dollar aufweist? Ich wäre gerne in der Situation, daß ich mich mit Ihnen darüber streiten könnte, wie wir Gelder, die wir als Überschüsse erwirtschaftet haben, ausgeben können.
({5})
In diese Situation möchte ich gern kommen. Mit den Instrumenten, die Sie vorschlagen, wird man nicht dort hinkommen. Wenn wir die Steuerreform im letzten Jahr beschlossen hätten, dann hätten wir heute
schon 200 000 oder 300 000 Arbeitslose weniger und 400 000 oder 500 000 Beschäftigte mehr. Das ist die Wahrheit.
({6})
Die Zahlen zeigen doch, daß wir auf einem guten Weg sind. Die Beschäftigtenzahlen weisen doch eine Verbesserung auf - übrigens im Westen wie im Osten. Wir müssen die Politik, die das ermöglichte, beschleunigt betreiben und dürfen nicht sagen - das tun die Sozialdemokraten -: Wir müssen die durchgeführten Reformen wieder rückgängig machen. Das zu tun wäre vor dem Hintergrund der Entwicklung, die wir heute haben, wirklich eine Bankrotterklärung. Das würde nämlich bedeuten, daß man die positive Enwicklung abstoppt. Das darf nicht sein. Deswegen müssen wir die Wähler davon überzeugen, daß diese Koalition diese Politik fortsetzen muß.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rolf Kutzmutz, PDS.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will gleich auf die Kurzinterventionen eingehen und noch einmal eindeutig sagen: D e n Mittelstand als wirtschaftliche Einheit gibt es nicht, obwohl das hier immer wieder behauptet wird. Die Unterschiede zwischen den Unternehmen - Herr Kolb, das müßten Sie als Mittelstandsbeauftragter wissen -, den Branchen und nicht zuletzt - das sage ich besonders mit Blick auf Ostdeutschland - zwischen den Standorten sind erheblich. Den vielfältigen Problemen mittelständischer Unternehmen mit einer ständig zelebrierten Unternehmensteuerdebatte begegnen zu wollen, das ist schlicht Roßtäuscherei.
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Wie lange eigentlich wollen Sie die Handwerker, die kleinen Händler, die Unternehmer und Selbständigen noch verkohlen?
Die Bundesregierung spricht in der Einleitung ihrer Antwort auf die Große Anfrage „Situation und Perspektiven des Handwerks in der Bundesrepublik Deutschland" von einer „eindrucksvollen Bilanz" im Osten und attestiert sich selbst Unterstützung nach besten Kräften. Diese Gaukelei von Ende April zerplatzt schon Wochen später an den harten Kanten der Realität. Die aktuellste Konjunkturumfrage des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks spricht da Bände. Das erhoffte magere Umsatzwachstum im Westen um 1,5 Prozent basiert allein auf der Exportkonjunktur einzelner Branchen; die Umsatztalfahrt im Osten geht ungebremst weiter.
Frau Kollegin Wolf, heute früh sind die neuesten Zahlen über die Insolvenzen gekommen. Im Osten gab es ein Plus von 18,4 Prozent, im Westen ein Plus von 6,9 Prozent. Überall in Ost und West - das ist das Dramatische dabei - sacken die Zahl der ArbeitsRolf Kutzmutz
plätze und - zumindest in den neuen Bundesländern - die sowieso schon geringe Zahl der Ausbildungsplätze ab.
Schlechte Zahlungsmoral und Zahlungsausfälle der Kunden verfestigen sich zu einem strukturellen Grundproblem dieses, aber nicht nur dieses Wirtschaftsbereiches. Es ist schlicht falsch, diese Tatsachen in erster Linie auf Unternehmensteuern oder Arbeitgebersozialbeiträge zurückzuführen. Nein, wer nichts verkaufen kann, weil die Konsumenten kein Geld haben, der kann auch nichts verdienen. Mit ihm braucht man also über die Höhe von irgendwelchen Steuern auf Einnahmen gar nicht erst zu reden. Da wird das Pferd schlicht am Schwanz aufgezäumt.
Ohne kräftige Impulse für die Binnennachfrage sowohl der privaten Haushalte als auch der öffentlichen Hände können weder das Handwerk noch der übrige Mittelstand auf solche Umsatz- und Gewinnmargen kommen, bei denen zu hohe Unternehmensteuern relevant werden könnten. Wer allein für weniger Steuern für Unternehmen trommelt, der betreibt das Geschäft der Multis und nicht das des Mittelstandes.
Spätestens mit Daimler-Chrysler wurde die Mär vom Hochsteuerland BRD endgültig ad absurdum geführt. Offensichtlich liegt die Steueroase für Großunternehmen nicht am Michigan-See oder anderswo, sondern schon heute am Rhein. Nur nutzt das jenen, die hier tatsächlich Arbeits- sowie Ausbildungsplätze und nicht nur Renditen sichern, reichlich wenig.
Sie von der Koalition haben jetzt noch schnell einen Antrag zur Verbesserung der Zahlungsmoral in diese Debatte geschoben. Ich muß sagen: Dessen Scheinheiligkeit ist kaum noch zu überbieten. Auf die treffende Analyse der gegenwärtigen Lage folgen seitenlange Lobpreisungen der bisherigen Bundesaktivitäten und, wie fast immer, eine Länder- und Kommunenschelte. Da die Lage aber nun einmal so ist, haben die Aktivitäten der Bundesregierung logischerweise versagt. Das sollte man dann auch offen zugeben.
Unter dem Strich bleiben von sechs Seiten schließlich drei kleine Vorschläge: beschleunigte Vollstrekkungszustellung, höhere Verzugszinsen und Überbrückungskredite für Zahlungsverzugsgeschädigte. Sie von der Koalition legen dabei nichts anderes als Wahlkampfspeck aus, und der ist schon ranzig.
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Die beiden erstgenannten Vorschläge sind heiße Luft. Denn wo nichts zu holen ist, helfen weder schnellere Pfändung noch höhere Zinsen. Die Idee der Überbrückungskredite haben Sie einfach abgeschrieben, im übrigen auch bei der PDS. Beispielsweise hat meine Kollegin Frau Luft diesen Vorschlag schon im November 1996 während der Haushaltsberatungen hier gemacht.
Kann es eigentlich noch mehr doppelte Moral geben? Sie nennen das Magdeburger Modell einen „einmaligen Skandal im Nachkriegsdeutschland", aber haben keine Probleme, von dem „SED-Komprimat", wie ja wohl die neue Sprachregelung im
Adenauer-Haus jetzt ist, abzuschreiben. Den Untergang des christlichen Abendlandes befürchten demnach offensichtlich auch Sie nicht - nur einen Regierungswechsel. Um einmal auf das neueste Plakat abzuheben: Irgendwann tragen die Männer und Frauen auf den Plakaten der CDU/CSU vielleicht rote Nasen. Aber ich will Alkoholikern nicht zu nahe treten.
Allerdings haben wir Sozialisten durchaus zunehmend Zweifel, ob es tatsächlich zu einem Politikwechsel kommen wird. Dagegen scheinen beispielsweise die beiden SPD-Anträge jüngeren Datums zur Mittelstandspolitik zu sprechen, die ebenfalls Gegenstand der Debatte sind. Ich will schon an dieser Stelle erklären: Wenn wir nachher zweimal mit der Koalition stimmen - ich hoffe, Sie kommen da nicht in Verlegenheit -, so nicht, weil wir die Position des Regierungslagers teilen. Im Gegenteil: In diesen SPD-Papieren sind uns zu viele Anleihen aus der bisher gescheiterten sogenannten Mittelstandsförderung enthalten, als daß wir sie unterstützen könnten.
Zweifel habe ich auch nach der Präsentation eines Mittelstandskonzeptes durch den Kanzlerkandidaten der SPD am Montag. Welche acht Prioritäten setzt Gerhard Schröder? Erstens: Aufbruchstimmung erzeugen. Zweitens: einen Mittelstandsdialog führen. Also scheint auch ihm die Psychologie das Wichtigste, anstatt ein praktisches politisches Handeln anzugehen. Drittens: Unternehmensteuern senken. Beim wichtigsten praktischen Schritt fällt also auch Schröder nichts anderes als der Koalition ein. Viertens: Wagniskapital, vor allem mit diversen Anlagefonds, beschaffen. Wie er das ohne einen regulierenden Eingriff in die gegenwärtig ausufernden Geld-und Vermögensanlagen - hin zu produktiven realwirtschaftlichen Investitionen - schaffen will, muß aber erst erklärt werden. Wie soll man mehr als eine müde Mark aus neuen Pensionsfonds bei Mittelständlern erwarten, wenn sich beispielsweise die Deutsche Bank damit brüsten kann, daß der Börsenwert ihrer Daimler-Aktien in den ersten vier Monaten dieses Jahres von 14,1 auf 22,5 Milliarden DM gestiegen ist?
Aus Zeitgründen lasse ich die anderen Punkte weg. Ich will nur sagen: Es bringt wenig, alten Schäuble-Wein in neuen Schröder-Schläuchen verkaufen zu wollen.
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Keiner der acht Punkte berührt das tatsächliche Kardinalproblem des Mittelstandes, die umgehende Stärkung der Binnennachfrage.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht überrascht es Sie, folgendes von uns Sozialisten zu hören: Jawohl, wir brauchen eine Steuerreform - aber zunächst zugunsten der Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. Denn sie machen die Masse der Konsumenten aus; ihre Einkommen fließen schnell und umfassend in den Wirtschaftskreislauf zurück. Gerade an ihrem Tropf hängen Einzelhändler und viele Handwerker. Sie können nur aufblühen, wenn dieser Tropf weit besser als bisher gefüllt ist.
Wir brauchen eine verstetigte, kontinuierliche aktive Arbeitsmarktpolitik, damit mangels Eigenkapital
brachliegende Beschäftigungspotentiale in kleinen Betrieben, jeglicher Eigentumsform und jeglicher Branche, tatsächlich genutzt werden, also beispielsweise auch in Genossenschaften und im soziokulturellen Bereich - und dies, ohne über den Umweg der grassierenden Aushöhlung des Tarifvertragssystems die Kaufkraft der Beschäftigten wieder zu schwächen. Es geht darum, den Teufelskreis von mittlerweile sogar sinkenden Nominallöhnen, sinkender Massenkaufkraft und daraus resultierender geringer Absatzerwartung, die weder zu mehr Investitionen noch zu mehr Beschäftigungsangeboten anreizen, zu durchbrechen.
Wir brauchen aber nicht nur mehr private Nachfrage, wir brauchen vor allem auch ein längerfristig angelegtes ökologisches Zukunftsinvestitionsprogramm der öffentlichen Hand. Vom Ausbau und Erhalt beispielsweise des öffentlichen Personennahverkehrs und des nichtmotorisierten Verkehrs oder kommunaler Ver- und Entsorgungsinfrastruktur, der Sanierung von Umweltaltlasten könnten gerade Handwerker und Mittelständler als Auftragnehmer profitieren. Zu finanzieren wären solche öffentlichen Investitionen, wenn endlich die Kostendeckung beim Transport von Gütern und Personen hergestellt würde, auch hinsichtlich der ökologischen Folgen.
Auch wir demokratischen Sozialisten denken beispielsweise an eine Primärenergiesteuer und an eine belastungsabhängige Schwerverkehrsabgabe statt der heutigen zeitbezogenen Lkw-Straßenbenutzungsgebühr. All das würde bei einer schon erwähnten zumindest zeitgleichen sozial gerechten Einkommensteuerreform nicht zu unsozialen Belastungen führen. Anders, als seit Anfang 1997 fortlaufend geschehen, würden die Nettoeinkommen der Masse der Bevölkerung zunächst deutlich steigen und nicht mehr sinken. Allem Getöse über die weitere Kostenbelastung zum Trotz: Eine solche schrittweise Verteuerung der Umweltbelastung wäre sogar noch höchst mittelstandsfreundlich.
Zunehmende Regionalisierung wirtschaftlicher Tätigkeiten wäre dann nicht nur eine Willensbekundung, sondern eine sich durch Kosten-Nutzen-Rechnung durchsetzende Tatsache. Regionalisierung entlastet aber nicht nur die Umwelt, sie verbessert auch die Konkurrenzsituation für jene Anbieter, die schon durch ihre Größe und Finanzkraft sowieso auf lokale Märkte beschränkt sind: eben die kleinen.
Im übrigen würde dann auch das beliebteste Totschlagargument gegen jegliche großen öffentlichen Investitionsprogramme ins Leere laufen. Es wäre eben nicht mehr zwangsläufig so, daß angesichts der Öffnung der Märkte zur Konjunkturankurbelung eingesetzte Steuermilliarden sonst irgendwo Arbeitsplätze finanzieren, bloß nicht in der Heimat der Steuerzahler.
Aber ich gebe zu, daß alle diese Fragen eigentlich müßig sind. Denn daß diese Regierung zwar vollmundig entsprechende Erklärungen abgibt und sich einen Mittelstandsbeauftragten leistet, in Wirklichkeit aber nur ein Lobbyverein des Kartells der Großbanken und -unternehmen ist, pfeifen nunmehr seit 16 Jahren die Spatzen von den Dächern.
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Allein solche wie die beschriebenen Veränderungen der Rahmenbedingungen der Wirtschaft wären schon eine Mittelstandsförderung erster Güte. Wenn dann noch die eigentliche Förderpolitik ernsthaft reformiert würde, könnte es tatsächlich zum Durchbruch im Kampf gegen die Eigenkapitalschwäche der Kleinunternehmen und der Existenzgründer kommen, und damit könnte eine Brücke zur Oberwindung der Massenarbeitslosigkeit gebaut werden.
Daß der Kern solcher Reform in einer besseren Mobilisierung privaten Wagniskapitals liegen könnte - wie es mittlerweile alle anderen Bundestagsparteien meinen -, daran haben wir demokratischen Sozialisten ernsthafte Zweifel. Schließlich ist schon der Name verräterisch: Wer sollte denn ein „Wagnis" eingehen, wenn er anderswo - beispielsweise in Dax-Werten - viel sicherer sein Geld hecken lassen könnte. Das Wagnis durch allerlei steuerliche Anreize ausschalten zu wollen, wird für die öffentliche Hand und damit für alle Bürgerinnen und Bürger letztlich allemal teurer als jede direkte Subvention von Arbeitsplätzen. Dafür sprechen zumindest die bisherigen Erfahrungen mit den verschiedensten Instrumenten von Wirtschaftsförderung per Steuerrecht.
Wir plädieren deshalb nach wie vor für eine grundlegende Reform der direkten Wirtschaftsförderinstrumente. Die von uns vor Jahresfrist erstmals vorgeschlagene sogenannte stille Beteiligung der öffentlichen Hand zielt gerade auch auf den Mittelstand. Mit ihr ließe sich die von der Regierung in ihren großen, aber substanzarmen Antworten gepriesene Kreativität der bisherigen Unternehmerinnen und Unternehmer, der künftigen Existenzgründer, die zunächst kein anderes Kapital haben als ihre innovative Idee, und die jener Belegschaften, für deren Erhalt und Vergrößerung Steuergelder mobilisiert werden, tatsächlich fördern.
Zugleich würde gespart, und zwar an staatlichem Verwaltungsaufwand, an privater Mitnahmementalität, an Allmacht der Banken und letztlich sogar an öffentlichen Ausgaben.
Ganz so verkehrt können wir mit solchen Ideen nicht gelegen haben, sonst hätten die Wirtschaftspolitikerinnen und -politiker von SPD und Bündnisgrünen im Wirtschaftsausschuß dagegen gestimmt. Das haben sie in diesem Fall nicht getan. Daß diese Parteien hier im Plenum die Courage allerdings wieder verlassen hat, kann ich verstehen. Schließlich war auch schon im März der Lagerwahlkampf abzusehen. Jeder versucht natürlich nach besten Kräften, da gut rauszukommen. Nach dem 27. September allerdings muß mehr Courage gezeigt werden, sonst fällt der Aufbruch für einen modernen Mittelstand aus, egal, wer dann auf dem Kanzlersessel ruht.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat jetzt Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.
Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler ({0}): Meine Damen und Herren von der SPD, seien Sie doch froh, daß Sie einen Kanzler sehen! Sie sehen ja nicht einmal den Kandidaten!
({1})
Wenn nicht alle Anzeichen trügen, sehen Sie ihn auch nicht mehr vor der Bundestagswahl, und nach der Bundestagswahl sehen Sie ihn wieder hier auf der Ministerpräsidentenbank. Das ist der Lauf der Dinge.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Daß die Lage des Mittelstandes in unserem Land eine zentrale Frage ist und eine zentrale Debatte verdient, ist hier Gott sei Dank unbestritten. Mit vielem von dem, was gesagt wurde, stimmen wir auch überein. Wir sind gemeinsam der Meinung, daß eine wirklich gelebte soziale Marktwirtschaft ohne einen lebensfähigen Mittelstand nicht denkbar ist. Die Geschichte unserer Bundesrepublik - in ein paar Wochen begehen wir den 50. Geburtstag unserer D-Mark - wäre ohne die gewaltigen Beiträge und Leistungen des Mittelstands nicht denkbar gewesen. Das weiß auch jeder.
({3})
Da aber all jene Männer und Frauen, die in diesem Bereich arbeiten - egal, ob als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer -, in einer sehr stark von Medien geprägten Gesellschaft viel weniger Chancen haben, ihre Leistungen deutlich zu machen als etwa Repräsentanten von Großbetrieben - etwa auf ihrer Jahresversammlung, wenn sich die Aktionäre versammeln und sich die Scheinwerfer der Öffentlichkeit auf sie richten -, ist es richtig, hier darüber zu sprechen.
Der Mittelstand ist der größte Arbeitgeber in Deutschland. Zwei Drittel unserer Arbeitnehmer finden dort Arbeit und Brot. Für mich ist ganz besonders wichtig: Der Mittelstand ist der wichtigste Ausbilder der Nation. Vier Fünftel aller Lehrstellen - man kann das nicht oft genug sagen - finden sich dort. Das heißt, vier Fünftel der jüngeren Generation außerhalb des akademischen Bereichs werden dort ausgebildet. Der Mittelstand ist der bedeutendste Steuerzahler.
Was vielleicht noch sehr viel wichtiger ist: Dieser Mittelstand ist gerade in der sozialen Marktwirtschaft ein gesellschaftlicher Bereich, wo sich in einer ungewöhnlich glücklichen Weise die Fähigkeit zum Miteinander von Arbeitgeber und Arbeitnehmer täglich zeigt, und zwar in einer ganz modernen Form.
({4})
In diesen Betrieben muß man keine Diskussionen
über Leistungsbereitschaft und Leistungswillen führen; denn ohne Leistungsbereitschaft und Leistungswillen gäbe es diese Betriebe nicht.
({5})
Für die Inhaber vieler dieser Betriebe gibt es nicht eine feste Arbeitszeitordnung, wie sie für andere Bereiche kodifiziert ist. Vielmehr geht es bei vielen einfach darum, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Was ich immer als besonders glücklich empfinde: Es gibt - in vielen Fällen, nicht immer - eine sehr persönliche Bindung und Beziehung zwischen Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer. Der französische Begriff „patron" läßt etwas davon offenbar werden. Er hat nichts Onkelhaftes an sich, sondern er hat etwas mit einer solchen Beziehung zu tun. Wenn mittelständische Betriebe in große Schwierigkeiten geraten und etwa Arbeitnehmer entlassen müssen, dann ist schon die Tonart im Umgang miteinander völlig anders, als man das leider in manchen deutschen Großbetrieben beobachten kann.
({6})
Nirgendwo in der Gesellschaft findet sich auch eine so persönliche Bindung an die Region oder, genauer gesagt, an die Heimat. Es ist ja kein Zufall, daß sich gerade in der Kommunalpolitik quer durch die Rathäuser Deutschlands viele Männer und Frauen aus dem Mittelstand in allen Parteien in einer besonderen Weise engagieren. Die mittelständischen Unternehmer haben nicht einen Fünfjahresvertrag, sondern eine lebenslange Verpflichtung. Insoweit haben sie auch eine ganz besondere persönliche Bindung an ihren Betrieb und zu den Arbeitnehmern in ihrem Betrieb.
({7})
Daher haben wir allen Grund, diesen Männern und Frauen unseren besonderen Respekt zu erweisen. Dem will ich gleich ein Wort des Dankes anfügen. Was mich immer wieder ganz besonders beeindruckt, ist ihre Bereitschaft, in Generationen zu denken. Wer in Generationen denkt, ist auch fähig, an die nachwachsende Generation zu denken. Damit sind wir schon mitten in der Diskussion, die wir Jahr für Jahr zum Thema Lehrstellen führen. Ohne die Bereitschaft des Mittelstandes - des Einzelhändlers genauso wie des Freiberuflers oder des Handwerkers - wäre es überhaupt nicht möglich, Jahr für Jahr über 600 000 Lehrstellen jungen Leuten zur Verfügung zu stellen.
({8})
Wer sich so wie ich persönlich seit vielen Jahren in dieser Frage engagiert, kann ermessen, was es heißt, wenn in einer Diskussion bei einer Handwerkskammer oder bei einer IHK gesagt wird, man müsse die Zahl der Ausbildungsplätze in diesem Jahr erhöhen. Wenn dann einige erklären, sie würden ein paar Auszubildende mehr aufnehmen, dann liegt das daran, daß sie eine persönliche Verpflichtung, eine Bindung jungen Leuten gegenüber empfinden.
({9})
Deswegen verdienen alle, die das tun, unsere besondere Sympathie und Unterstützung. Aber sie verdieBundeskanzler Dr. Helmut Kohl
nen es überhaupt nicht, mit einer Sondersteuer belegt zu werden.
({10})
Natürlich weiß ich auch, daß diese Bereitstellung von Lehrstellen immer wieder einen gewissen Einsatz und eine gewisse Aktivität notwendig macht. Würden wir da alle mehr zusammenarbeiten und würde nicht der eine oder andere dieses Werk mit Häme verfolgen, dann wäre es sehr viel leichter.
({11})
Kaum ist ein neues Jahr angebrochen, erscheint schon eine bestimmte Dame vom Deutschen Gewerkschaftsbund im Fernsehen und verkündet die Lehrstellenkatastrophe.
({12})
Der Vorteil ist, daß sich die Leute inzwischen an dieses Bild gewöhnt haben und wissen, daß das, was diese Dame sagt, nicht stimmt.
({13})
Wer die Interessen von Arbeitnehmern vertritt, hat aus meiner Sicht zunächst einmal die Pflicht, sich darum zu kümmern, daß junge Leute Lehrstellen finden, und darf das Ganze nicht mit Häme belegen.
Die Bundesregierung hat es während ihrer Regierungszeit Jahr für Jahr mit Unterstützung vieler, übrigens auch mit Unterstützung vieler Betriebsräte in vielen deutschen Betrieben - das will ich lobend erwähnen -, immer wieder erreicht, daß junge Männer und Frauen ihre Ausbildungsstelle gefunden haben. Natürlich können wir angesichts der Gesamtentwicklung unserer Wirtschaft nicht jedem seinen gewünschten Traumberuf versprechen. Das hat es zu keiner Zeit gegeben.
Heute gilt auch mehr denn je der Satz, daß Ausbildung Vorrang vor Übernahme hat. Natürlich wünschen wir uns, daß möglichst viele eine Anschlußbeschäftigung finden. Aber noch wichtiger ist, daß möglichst alle einen Ausbildungsplatz finden. Daß dies vor allem in den neuen Bundesländern angesichts einer erst heranwachsenden Infrastruktur im Mittelstand und Handwerk schwierig ist, weiß jeder. Wir haben unsere Pflicht immer darin gesehen, die notwendigen staatlichen Mitttel zur Verfügung zu stellen, um in den neuen Ländern das duale System aufzubauen. Ich füge klar hinzu: Das kann nur für den Übergang gelten; denn das duale System lebt davon, daß die Wirtschaft auf Dauer die notwendigen Voraussetzungen selbst erfüllt.
({14})
Nach den sich jetzt abzeichnenden Zahlen wird es auch in diesem Jahr so sein. Wir werden ungefähr 650000 Stellen brauchen. Nach den jetzt vorliegenden Prognosen bin ich ganz sicher, daß wir diese Zahl auch in diesem Jahr erreichen. Auch dafür bedanke ich mich.
Ein Problem wird allerdings darin bestehen - das muß man offen aussprechen -, daß die bisherige Entwicklung nur noch wenige Jahre anhalten wird und daß sich nach dem Jahre 2005 für die jetzt nachwachsenden Jahrgänge - auch in bezug auf das duale System - völlig neue Probleme stellen. Dann wird die Zahl derjenigen, die die Schule verlassen und eine Stelle suchen, viel geringer sein.
Das Stichwort „Schule" bringt mich dazu, ein Problem anzusprechen, zu dessen Lösung ich im Programm der Sozialdemokraten keine Spur finde, obwohl ihnen in diesem Bereich ein entscheidender Teil der Mitverantwortung zukommt. Für mich ist es ein Skandal - ich halte dieses Wort für angemessen -,
({15})
daß 10 Prozent der Schulabgänger in Deutschland nicht in der Lage sind, einen ganz normalen Lehrvertrag einzugehen, weil sie die Grundvoraussetzungen dafür nicht erfüllen. Diese Tatsache ist gleichzeitig eine Anklage gegen das bestehende Schulsystem. Die SPD sollte sich damit endlich einmal beschäftigen.
({16})
Wer auf seine Mehrheit in der Länderkammer stolz ist und diese Mehrheit bei jeder Gelegenheit auch parteitaktisch nutzt, der sollte sich auch in diesem Bereich seiner besonderen Verantwortung bewußt sein.
({17})
Wenn sich von mehr als 600 000 Schulabgängern in Deutschland 10 Prozent - das sind 60 000 junge Menschen - in den letzten Jahren auf Grund dessen, was sie in ihrer Schule nicht mitbekommen haben, außerstande sehen, eine Ausbildung aufnehmen zu können, dann müssen wir darüber nachdenken, was das auf Dauer für die soziale Dimension unserer Gesellschaft bedeutet. Wenn wir uns vor Augen halten, daß etwa die Hälfte der rund 1 Million Langzeitarbeitslosen vor allem deswegen in diesen - für sie persönlich bedrückenden - Zustand geraten sind, weil sie keine abgeschlossene Ausbildung haben, dann müssen wir erkennen, daß dieses Problem eines der wichtigsten sozialen Themen ist, mit denen wir uns zu beschäftigen haben.
({18})
Im laufenden Haushaltsjahr geben wir über die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit fast 900 Millionen DM aus, um jungen Leuten, die die Schule verlassen haben, aber die notwendigen Anforderungen zur Aufnahme einer Lehrstelle nicht erfüllen, eine Chance zur Weiterbildung zu geben. Wenn ich es auch bejahe, daß wir es im Augenblick tun, so kann es aber langfristig doch nicht so bleiben. Das heißt: Wer über Mittelstand redet, wer über Lehrstellen redet und wer über Zukunft redet, der muß auch über die überfällige Schulreform in Deutschland sprechen. Daran kann es überhaupt keinen Zweifel geben.
({19})
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD, von der Zukunft reden, dann möchte ich Ihnen gerne das Angebot machen, auch außerhalb dessen, was in
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
den Bereich der Bundeszuständigkeit fällt - ich weiß sehr wohl, was das ist -, gemeinsam zu überlegen, wie wir auf diesem Feld zu Veränderungen kommen können. Hier geht es wirklich um Zukunft. Es geht nicht um eine Zukunft, die einen wenige Monate entfernt liegenden Wahltermin umfaßt; vielmehr geht es um die Zukunft der jungen Generation. Veränderungen in diesem Bereich sind dringend notwendig.
({20})
Das überfällige Umdenken, das hier Platz greifen muß, ist keine Beschimpfung der Kultusministerkonferenz, wie mir nach dieser Rede sofort nachgesagt werden wird.
({21})
Innovative mittelständische Unternehmen und Existenzgründungen sind die Voraussetzungen für Wachstum und Beschäftigung. Wachstum und neue Arbeitsplätze sind ohne eine dynamische Entwicklung des Mittelstandes in Deutschland überhaupt nicht denkbar; deswegen war die Politik der Koalition und der Bundesregierung immer auf dieses Ziel ausgerichtet. Soweit unsere Mehrheit dies zugelassen hat, haben wir die dafür notwendigen Entscheidungen getroffen, beispielsweise zur Neuregelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Allein im Handwerk wenden fast 50 Prozent der Betriebe die neuen Möglichkeiten an. Das macht deutlich, daß diese Reform einen wichtigen Beitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen leistet.
Sie haben jetzt erklärt, daß Sie unsere Reformen zurücknehmen werden. Dabei ist es allerdings etwas sonderbar, daß Sie auf der einen Seite erklären, es sei überhaupt nichts geschehen, Reformen fänden nicht statt,
({22})
und auf der anderen Seite die angeblich nicht stattgefundenen Reformen wieder zurücknehmen wollen.
({23})
Welche Verhetzungen es im Bereich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in den vergangenen Jahren gegeben hat, spottet wirklich jeder Beschreibung.
({24})
Sie wissen so gut wie ich, daß wir damit eine Entlastung in der Größenordnung von rund 20 Milliarden DM möglich machten. Sie wissen so gut wie ich, daß neben anderen Gründen auch diese Regelung dazu geführt hat, daß sich in Deutschland die Situation beim Krankenstand und vieles andere mehr wesentlich verbessert hat.
({25})
Diejenigen unter Ihnen, die hier nicht nur am Pult laut schreien, Frau Kollegin, sondern auch nachdenken und ganz nüchtern überlegen, wie der Zustand unserer Volkswirtschaft ist,
({26})
wissen so gut wie ich, daß diese Regelung nicht rückgängig gemacht werden kann.
({27})
Ich erinnere noch an ein anderes Beispiel: Vor dem Hintergrund der Veränderungen beim Kündigungsschutz ist der Zusammenbruch des Sozialstaates an den Horizont gemalt worden. Es ist doch wahr - auch das gehört in diese Bilanz -, daß im Handwerk durch diese Regelung bis jetzt bereits etwa 20000 neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Aus den jüngsten Umfragen des Handwerks selbst ergibt sich, daß jetzt rund 40 Prozent der Handwerksbetriebe zusätzliche Mitarbeiter einstellen wollen.
({28})
- Was ist das eigentlich für ein Zwischenruf? Wenn der Zentralverband des Deutschen Handwerks eine Veröffentlichung bekanntgibt, können Sie doch nicht automatisch sagen, sie sei falsch.
({29})
- Machen Sie doch keine Sachen! Sie sind in einer Weise blind für ein fachliches Gespräch geworden, die jeder Beschreibung spottet.
({30})
Sprechen Sie doch einmal vor Ort mit verantwortlichen Leuten aus der Gewerkschaft.
({31})
- Wissen Sie, mit Ihrem Geschrei bringen Sie doch keine Argumente! Es mag sein, daß Sie damit auf irgendeinem entlegenen Bremer Platz drei Leute anlocken, aber normale Leute hören Ihnen bei dieser Tonart wirklich nicht zu.
({32})
Wenn Sie mit in der Verantwortung stehenden Betriebsräten sprechen,
({33})
die nicht unter öffentlichem Druck stehen, hören Sie von ihnen, daß in dieser konkreten Situation auch der Abschluß befristeter Arbeitsverträge die Arbeitsmarktsituation verbessert hat. Das ist doch die Wahrheit.
({34})
Deswegen, meine Damen und Herren, waren die Reformen richtig. Wenn Sie jetzt sagen, Sie nehmen sie zurück, dann sagen Sie bitte dazu, daß Sie damit die Arbeitslosigkeit in Deutschland erhöhen.
({35})
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Es ist hier etwas zur Reduzierung der Bürokratie gesagt worden; ich unterstütze das. Da tragen wir alle - ohne Ausnahme, auch alle Parteien, wenn man einmal von der PDS absieht - Verantwortung.
({36})
- Ja doch, ich stehe dazu.
({37})
Im real existierenden Sozialismus gab es bekanntlich keine Bürokratie; deswegen habe ich Sie ausgenommen.
({38})
Ich spreche jetzt aber zum Thema Bürokratie. Wir sind uns ja in der Beobachtung einig, daß in den vergangenen Jahrzehnten auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene und leider Gottes in zunehmendem Maße auch auf der Ebene der Brüsseler Kommission die Bürokratie so ausgeufert ist, daß sie gerade für die kleinen und mittelständischen Unternehmen eine enorme Last bedeutet.
({39})
Wenn wir uns einig wären, dem entgegenzuwirken, dann wären wir schon ein Stück weiter.
Ich habe die Absicht, in wenigen Tagen auf dem EU-Gipfel in Cardiff gemeinsam mit meinem französischen Kollegen die Tagesordnung so zu verändern, daß unter Punkt 1 die Frage der Zuständigkeiten der Kommission und ihrer weiteren Entwicklung unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität behandelt werden.
({40})
Es ist hier schon viel von den Existenzgründern gesprochen worden.
({41})
- Ich weiß nicht, wie ich Sie bezeichnen soll.
({42})
- Ja, es fällt mir schon lange nichts mehr zu Ihnen ein. Im Oktober wird sich auch der Schrumpfungsprozeß Ihrer Fraktion fortgesetzt haben.
({43})
Wir stimmen - zumindest verbal - in dem Punkt überein, daß die zukünftige Entwicklung in unserem Land entscheidend von denen in der Gesellschaft beeinflußt werden wird, die bereit sind, das Wagnis einer Existenzgründung auf sich zu nehmen. Die Bundesregierung und die Koalition haben in diesem Bereich eine ganze Menge auf den Weg gebracht. Ich will in diesem Zusammenhang erwähnen - diese Zahl wird leicht vergessen -, daß in den letzten Jahren ein enormes Interesse am Meister-BAföG zu verzeichnen ist. Wenn Sie die Ausgaben der öffentlichen Hand im universitären Bereich für Studenten mit den Ausgaben im Handwerksbereich für die Meisteranwärter vergleichen, dann kommen Sie zu dem
Schluß, daß die Einführung des Meister-BAföGs überfällig war.
({44})
Die Lohnkostenzuschüsse für Existenzgründer zeigen Wirkung. Im Gegensatz zu dem, was eben hier gesagt wurde, haben wir jungen Unternehmen den Gang an die Börse und die Aufnahme von Beteiligungskapital erleichtert. Die Substanzsteuern auf Gewerbekapital und -vermögen wurden abgeschafft. Insgesamt ist doch erkennbar, daß diese Reformpolitik das wirtschaftliche Klima verbessert hat. Wir sind zwar noch nicht so weit, wie ich es mir wünsche, aber es hat doch eine wesentliche Verbesserung gegeben.
Weil Sie so gerne die Zahl 16 Jahre erwähnen, will ich Sie darauf hinweisen, daß der Anteil der Selbständigen an der Gesamtzahl der Erwerbspersonen vom Beginn des Jahres 1982 bis zum heutigen Tag in den alten Bundesländern von 6,9 Prozent auf 9,6 Prozent gestiegen ist. Es ist also etwas in Deutschland passiert.
({45})
- Sie können noch soviel schreien; das ändert nichts an der Tatsache.
Im vergangenen Jahr haben 530 000 Existenzgründer den Schritt in die Selbständigkeit gewagt. Das ist die höchste Zahl seit der Wiedervereinigung. Es ist auch wahr, daß nicht alle erfolgreich waren. Aber der deutliche Überschuß von 90 000 ist eine entscheidende Voraussetzung, die Verhältnisse zu verbessern.
({46})
Existenzgründer schaffen neue Arbeitsplätze. Aber wenn man das von der SPD jetzt veröffentlichte Programm in die Hand nimmt, dann stellt man fest, daß keine Rede davon sein kann, daß Sie das Einstellen neuer Arbeitnehmer und Existenzgründungen erleichtem. Sie erschweren sie vielmehr. Wenn Sie eine Mindeststeuer einführen, wenn Sie die Vermögensteuer wieder erheben und wenn Sie eine Ausbildungsabgabe durchsetzen, dann ist das keine Politik für den Mittelstand. Diese Politik richtet sich ganz konkret - das hat etwas mit Ihren alten Vorstellungen zu tun - gegen Selbständige, Existenzgründer und Arbeitsplätze und damit gegen die Zukunft.
({47})
Es ist doch kein Wunder, daß Sie diese Politik verfolgen; auch der Mann, der Ihre Partei - zumindest optisch - nach außen federführend vertritt, hat diese Politik in seinem Bundesland praktiziert. Niedersachsen hat mit Nordrhein-Westfalen - die Verhältnisse dort werden sich ab dieser Woche durch eine neue Lichtgestalt verändern - den niedrigsten Anteil der Selbständigen an der Gesamtzahl der Erwerbspersonen in den alten Bundesländern. Das ist doch die Wahrheit.
({48})
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
In Niedersachsen waren es 1996 8,2 Prozent, in Nordrhein-Westfalen 8,1 Prozent. Der Durchschnitt der alten Bundesländer lag bei 9,2 Prozent.
Wenn Sie einmal ins Detail gehen und sich den Unterschied zwischen Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern anschauen, stellen Sie fest, daß 1996 für junge Existenzgründer in Niedersachsen nur 9,7 Millionen DM als Wagniskapital zur Verfügung standen, während es in Bayern 359 Millionen DM und in Baden-Württemberg 258 Millionen DM waren.
({49})
Das sind nachweisbare Zahlen. Als ich RheinlandPfalz verlassen habe, habe ich Zahlen vorgelegt, von denen Sie in Niedersachsen nur träumen können.
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Lassen Sie sich einmal von Herrn Scharping in diese Zahlen einführen. Da haben Sie einen Spezialisten, der Ihnen genau sagen kann, was er damals übernommen hat. Vielleicht ist er traurig darüber, daß er Rheinland-Pfalz wieder verlassen mußte. Das mag sein.
({51})
Wir sind dafür, das Klima für Existenzneugründungen zu verbessern. Wenn wir sagen, wir brauchen eine neue Kultur der Selbständigkeit, ist das nicht nur eine Frage des Geldes, sondern vor allem eine Frage des Umdenkens. Es ist eine Frage, inwieweit die junge Generation schon im Elternhaus und in der Schule in dieser Hinsicht positiv beeinflußt wird. Jürgen Rüttgers hat in den letzten Jahren Umfragen durchführen lassen und veröffentlicht. Im Gegensatz zu den Studenten an amerikanischen Universitäten sagen in Deutschland rund 50 Prozent der Befragten, daß sie eigentlich in den öffentlichen Dienst wollen. In den Vereinigten Staaten liegt diese Zahl bei 15 Prozent.
Wir müssen dafür Sorge tragen, daß diejenigen, die den Schritt in die Selbständigkeit wagen wollen, auch die notwendige Unterstützung in der Gesellschaft bekommen. Fast alle hier im Saal haben bei Meisterfreisprechungsfeiern zum Beispiel der Handwerkskammern junge Leute mit bester Qualifikation erlebt, die durchaus bereit waren, sich selbständig zu machen, und zwar nicht nur, indem sie den väterlichen Betrieb übernehmen, sondern auch, indem sie selbst eine Existenzgründung wagen. Aber wenn Sie die gleichen jungen Leute ein Jahr später treffen und mit ihnen über ihre Erfahrung auf diesem Weg reden, erhalten Sie zutiefst deprimierende Antworten.
Deswegen müssen wir alles tun, daß hier ein Umdenken stattfindet. Das haben wir, soweit es die öffentliche Hand und den Bund betrifft, auf allen Feldern getan.
({52})
Ich nenne - weil Sie jetzt schreien - einmal ein Beispiel, das Sie ganz unmittelbar angeht. Wir haben das Konkursrecht gegen viele Widerstände mittelstandsfreundlich geändert. Warum? - Weil wir erlebt haben, daß junge Leute, die einen Betrieb eröffnen, Aufträge haben, Leute einstellen und alles mit sich bringen, um erfolgreich zu sein, die ersten zwei Jahre oft nicht überstehen, weil die Anschlußzahlungen bei miserabler Zahlungsmoral vieler Kunden
({53})
ihnen die Luft zum Atmen nehmen. Wenn ein solcher Betrieb in Konkurs geht, ist der Betriebsinhaber bis zu seinem Lebensende gezeichnet. Die Amerikaner, die auf diesem Feld die gleichen Probleme wie wir hatten, haben ihr Konkursrecht schon vor Jahren geändert.
Das Konkursrecht soll nach der Vorlage der Bundesregierung auch in Deutschland geändert werden. Aber der Bundesrat ist jetzt nicht bereit, das neue Konkursrecht fristgemäß auf den Weg zu bringen. Also schimpfen Sie nicht hier darüber, sondern reden Sie innerhalb der SPD darüber, damit der Widerstand gebrochen wird.
({54})
Dies ist eines der vielen typischen Beispiele dafür, daß Ihr Reden und Ihre Wahlpropaganda auf der einen Seite und die Wirklichkeit Ihres Tuns auf der anderen Seite himmelweit auseinanderklaffen.
Trotz aller Schwierigkeiten ist offenbar, daß die wirtschaftliche Entwicklung für den Mittelstand in Deutschland günstiger wird. Die Reformarbeit trägt Früchte. Der Aufschwung gewinnt an Breite.
({55})
- Meine Damen und Herren, Sie können noch so viel vor sich hinschreien, Sie werden die Tatsache nicht ändern, daß wir in diesem Jahr 2,5 Prozent Zuwachsrate beim Wirtschaftswachstum haben werden und im nächsten Jahr 3 Prozent. Sie werden nicht leugnen können, daß es eine zunehmende wirtschaftliche Dynamik gibt. Und im übrigen bestätigen Sie das doch: Sie machen doch gerade in einer ungewöhnlich kessen Weise Wahlpropaganda, indem Sie den Leuten jetzt suggerieren, die positive Veränderung komme aus der Vorfreude, weil Herr Scharping am Horizont erscheint.
({56})
Da haben Sie recht. - Wahr ist: An Frechheit in den Äußerungen waren Sie nie zu überbieten.
({57})
Es ist nicht zu leugnen, daß unsere Politik sozial ist. Das zeigt sich vor allem in der Preisstabilität. Eine Preissteigerung von nur rund 1 Prozent ist soziale Politik für die Leute mit kleinem Einkommen. Die Tatsache, daß die Zinsen auf dem niedrigsten Niveau seit Bestehen der Bundesrepublik sind, ist eine herBundeskanzler Dr. Helmut Kohl
vorragende Botschaft für die Investitionen, nicht zuletzt im Bereich des Wohnungsbaus.
({58})
Und weil Sie diese Zahlen so gerne hören, konkret: Ein Baudarlehen von 250 000 DM kostete im Frühjahr 1983 - ein Datum, das Sie besonders schätzen ({59})
im Monat fast 2300 DM. Heute sind es - bei gesunkenen Zinsen - für die gleiche Summe 1250 DM. Das ist Politik für den Mittelstand und übrigens auch für kleine Einkommen.
({60})
Wir brauchen jede Unterstützung für den Mittelstand, weil nur aus diesem Bereich in Tat und Wahrheit neue Arbeitsplätze in größerer Zahl kommen können.
({61})
Das ist doch eine ganz nüchterne Erkenntnis. Sie wissen so gut wie ich, daß im Bereich des öffentlichen Dienstes - bei Bund, Ländern und Gemeinden - neue Arbeitsplätze nicht in großer Zahl entstehen. Nach meiner Überzeugung wird es und muß es aus den vorhin genannten Gründen Änderungen im pädagogischen Bereich und im Bereich der inneren Sicherheit geben. Aber wenn wir einen schlankeren Staat wollen, heißt das doch ganz konkret, daß wir in den anderen Bereichen weniger Personal brauchen. Und es ist auch wahr, daß im Bereich der Großindustrie, der sogenannten Multis, die Entwicklung und die weltweiten Engagements dazu führen, daß es keine große Zahl von Neueinstellungen geben wird. Wenn wir also wirklich die Wende am Arbeitsmarkt wollen - und das wollen wir doch gemeinsam -, brauchen wir möglichst viele mittelständische Unternehmungen und Neugründungen, die die Leute einstellen. Das muß doch das Ziel unserer Politik sein!
({62})
Aber dazu brauchen wir eine entsprechende Steuerpolitik. Vorhin gab es ja schon eine längere Diskussion darüber. Ich will mich an ihr nicht beteiligen, sondern will nur eines sagen: Warum haben Sie nicht mitgemacht, wenn das alles ganz klar war? Warum haben Sie nicht einmal jetzt eine solch klare Aussage zu den Steuersätzen? Jeder von Ihnen sagt etwas anderes. Und der neue Rentenfachmann der SPD geht ja schon davon aus, daß es überhaupt keine Steuerreform mehr geben wird.
Meine Damen und Herren, glauben Sie, das ist eine Motivation für den Mittelstand in Deutschland? - Das glauben Sie doch selbst nicht!
({63})
Die große Steuerreform ist und bleibt der Schlüssel für mehr wirtschaftliche Dynamik und Beschäftigung. Wir reden zu Recht darüber, daß wir mehr Investitionen aus dem Ausland in unserem Land brauchen. Aber nahezu alle Diskussionen mit Investoren, nicht zuletzt aus dem Dollarraum, die viel Sympathie für die Bundesrepublik, vor allem auch für die neuen
Länder, haben - um nur die Diskussion um das Chemiedreieck, die ich vielfältig erlebt habe und erlebe, in Erinnerung zu rufen -, landen an dem Punkt, wo sie sagen: Mit diesen Steuersätzen kann ich als Fondsmanager in Amerika meinen Fondszeichnern nicht sagen: Wir gehen nach Deutschland.
Gehen Sie beispielsweise nach Großbritannien, wo der derzeitige Regierungschef nicht daran gedacht hat, die Steuersätze, die von Margret Thatcher und John Major eingeführt wurden, zu verändern. Im Gegenteil: Er hat damit den Wahlkampf geführt und geht jetzt dazu über, die Steuern noch weiter zu senken. Das ist die Erfahrung.
({64})
Meine Damen und Herren, das müßte doch wirklich jeder begreifen: Warum sind im Schnitt der letzten fünf Jahre aus dem Dollarraum achtmal mehr Investitionen nach Großbritannien als nach Deutschland gegangen, obwohl bei uns mehr Investitionsmöglichkeiten - gerade in den neuen Ländern - vorhanden waren?
({65})
Weil Sie die Steuerreform blockiert haben. Sie haben Staatsstillstand betrieben.
({66})
Sie wissen so gut wie ich, daß man in Ihren Reihen hier im Saal wie in der SPD insgesamt ohne Schwierigkeiten vier oder fünf Persönlichkeiten findet, mit denen man sich innerhalb einer Stunde verständigen könnte. Denken Sie nur an die Vorschläge zurück, die der Finanzminister von NRW, Schleußer, gemacht hat. Es wäre doch in kurzer Zeit möglich gewesen, sich mit dem Mann zu einigen. Aber nein: Sie haben mit Ihrem Beschluß „Vor der Wahl wird blockiert, um den Stillstand dieser Regierung und dieser Koalition in die Schuhe zu schieben" ganz bewußt Ihre Pflicht verweigert.
({67})
Auf dem anderen großen Gebiet, das eng mit den Steuern verzahnt ist - der Sozialpolitik, vor allem auch der Rentenpolitik -, ist es doch das gleiche. Sie wissen so gut wie ich, daß die Ankündigung, die Rentenreform werde zurückgenommen, nicht umgesetzt werden kann. Das ist nicht machbar. Die demographischen Daten, die die Deutschen selbst gesetzt haben, erzwingen diese Rentenreform. Es kann gar nicht bestritten werden, daß das so ist. Auch Sie wissen es. Aber wider besseres Wissen wollen Sie den Leuten einreden: Ihr müßt nur eine andere Regierung wählen, dann kommt alles ganz von alleine; Belastungen oder gar Opfer oder Mühen braucht ihr nicht auf euch zu nehmen. Das ist eine alte sozialistische Mogelpackung, nicht mehr und nicht weniger. Dabei bleibt es auch.
({68})
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
Meine Damen und Herren, die Sache ist sehr einfach: Der Sozialstaat, den wir gemeinsam erhalten wollen
({69})
- niemand will den Sozialstaat abbauen; ({70})
das ist Teil Ihrer Propaganda -, muß bezahlbar gemacht werden; das wissen Sie so gut wie ich. Wer den Sozialstaat finanziell nicht sichert, wird ihn zerstören. Deswegen müssen wir die notwendigen Reformen vornehmen.
Der alles betreuende Staat hat keine Zukunft. Er ist nicht finanzierbar. Er erstickt die Selbstverantwortung und die Eigeninitiative. Deswegen gibt es zur Politik dieser Bundesregierung und dieser Koalition keine Alternative.
({71})
Ob Ihr Kandidat die Auseinandersetzung hier scheut oder nicht, ist im Prinzip gleichgültig. Wir werden den Wählern in Deutschland sagen: Die Brücke zum 21. Jahrhundert ist sicher und stabil gebaut. Aber es kostet Anstrengung, von dieser Zeit in die andere zu kommen. Wer etwas anderes sagt, belügt die Wähler. Daran beteiligen wir uns nicht. Das wird sich zeigen.
({72})
Der nächste Redner ist der Fraktionsvorsitzende der SPD, Rudolf Scharping.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist durchaus legitim, Debatten des Deutschen Bundestages für Zwecke des Wahlkampfes zu benutzen.
({0})
Aber ich will Ihnen, Herr Bundeskanzler, sagen, daß es ein besonderes Stück von Dreistigkeit ist, von einem Versagen in einer wichtigen staatspolitischen Verantwortung abzulenken. Sie waren es doch, der den Menschen in Deutschland gesagt hat, es werde blühende Landschaften geben und es werde niemandem schlechter-, sondern allenfalls bessergehen.
({1})
Sie waren es doch, Herr Bundeskanzler, der den Eindruck erweckt hat, daß man nach der deutschen Einheit nicht wirklich die Kräfte anspannen müßte, sondern daß das alles gewissermaßen wie das warme Messer durch die Butter gehen würde. Wer sich dann nach 16 Jahren Regierungstätigkeit mit der unterstellten, unausgesprochenen Botschaft hinstellt, eigentlich - wenn überhaupt - seien an den Problemen die Sozialdemokraten, die Opposition und die Schulen - ja, eigentlich die! - schuld, dem muß ich sagen: Eine so plumpe Ablenkung von eigener Verantwortung läßt Ihnen niemand in Deutschland durchgehen.
({2})
Das ist vielleicht für die CDU/CSU ganz nett, sonst aber für niemanden.
Ich kann sehr gut verstehen, daß Sie auf Parteitagen, in Bundestagssitzungen und bei anderen Gelegenheiten einen dringenden Bedarf haben, die Stimmung wenigstens in Ihrer Truppe zu verbessern.
({3})
Aber das hat doch überhaupt nichts mit dem zu tun, was wir in Deutschland an Entscheidungen zu treffen, an Weichen zu stellen und an Zukunft zu sichern haben.
({4})
Das wird auch am Thema selbst deutlich. Sie haben eben über den Mittelstand geredet. Wir sollten auch über das Handwerk und über viele andere reden. Meinen Sie denn, daß es wirklich Sinn macht, alle vier Jahre mit der Regelmäßigkeit, Zuverlässigkeit und Langweiligkeit der Eieruhr über die Belange von Handwerk und Mittelstand zu reden und in den dreieinhalb Jahren dazwischen alles zu vergessen, was Sie bei Gelegenheiten wie dieser an schönen Worten sagen?
({5})
Glauben Sie denn im Ernst, daß irgend jemand in Handwerk und Mittelstand darüber hinwegsehen kann und darüber hinwegsehen wird, daß Sie alle, aber wirklich alle Ihre Bringschulden versäumt haben?
({6})
Wo sind die stabilen Rahmenbedingungen? Was haben Sie für ein Hin und Her veranstaltet beim Meister-BAföG, in der Steuerpolitik, bei den Lohnnebenkosten, bei anderen Rahmenbedingungen? Sie haben immer wieder kurzatmig, hektisch und kleinkariert, aber jedenfalls nicht konzeptionell auf die Herausforderungen, die sich in Deutschland stellen, reagiert.
({7})
Gerade Handwerker und Mittelständler - gerade die, die nicht über die großen Stabsabteilungen und nicht über die Möglichkeiten der Beeinflussung von Entscheidungsprozessen verfügen - brauchen verläßliche Rahmenbedingungen. Gegen dieses Prinzip
haben Sie eklatant und mehrfach - nicht nur in dieser Wahlperiode - verstoßen.
({8})
Was bedeutet das? Ich bleibe einmal bei dem Zusammenhang, den Sie selber deutlich gemacht haben, nämlich Sozialstaat, Lohnnebenkosten usw. Zunächst möchte ich eine einfache Feststellung treffen. Herr Bundeskanzler, um die Fehlentscheidung, nicht von Anfang an die Wahrheit gesagt zu haben, wenigstens halbwegs zu kaschieren, haben Sie die deutsche Einheit zu großen Teilen über die Sozialversicherung finanziert.
({9})
Es ist ganz unbestreitbar, daß wir mit der Modernisierung des Sozialstaates eine Aufgabe vor uns haben. Aber den Menschen zu suggerieren, daß er insgesamt zu teuer sei, ist - wenn überhaupt - die halbe Wahrheit; denn es ist doch ganz unbestreitbar, daß wir anders als alle anderen Länder in Europa die hohen Lohnnebenkosten nur deshalb haben, weil Sie zu feige waren, den Steuerzahlern bei der Finanzierung der deutschen Einheit die Wahrheit zu sagen, und Sie deshalb die Kosten in der Sozialversicherung versteckt haben.
({10})
Herr Bundeskanzler, ich will Ihren allgemeinen Bemerkungen über die Bedeutung von Mittelstand und Handwerk gar nicht widersprechen. Wer wollte das? Die Frage ist: Was folgt daraus konkret? Es ist außerordentlich bezeichnend, daß Sie nicht ein einziges konkretes Wort zu Ihren Absichten, zu Ihrer Politik, zu dem gesagt haben, was Sie in Sachen Lohnnebenkosten verantworten müssen.
Wenn die deutsche Einheit von allen gemeinsam fair finanziert worden wäre, wenn Sie den Mut gehabt hätten, den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit zu sagen und auch die notwendige Beteiligung abzuverlangen, und zwar auf eine wirtschaftlich vernünftige und sozial gerechte Weise, dann hätten wir keinen Rentenversicherungsbeitrag von 20,3 Prozent, sondern einen, der deutlich darunter liegt, etwa in der Größenordnung von 18 Prozent; dann hätten wir keinen Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 6,4 Prozent, sondern einen von vielleicht 4,5, möglicherweise darunter.
({11})
Jeder Handwerker, jeder Mittelständler kann an seinen Zahlen nachrechnen, was Ihre Politik an Belastung für Arbeitsplätze und Einkommen und für Unternehmensgewinne gleichermaßen bewirkt hat. Sie haben diesen strukturellen Fehler von Anfang an gemacht. Schöne Worte über die Bedeutung des Mittelstandes haben Sie dennoch nicht daran gehindert, eine mittelstandsfeindliche Politik zu betreiben.
({12})
Das gilt nicht nur für die Lohnnebenkosten. Bleiben wir bei der Frage des Sozialstaates. Wer hat denn hier im Deutschen Bundestag - übrigens, Herr Bundeskanzler, mit Ihrer Stimme - abgelehnt, daß man die Arbeitsmarktpolitik neu organisiert, sie auf eine problemnähere, flexible Weise betreibt, und zwar vor Ort? Wer hat denn die Beteiligung der Tarifpartner, also auch der Handwerkskammern und somit auch der Handwerker und Mittelständler abgelehnt? Das waren Sie! Wenn Sie sich dann hier hinstellen und sagen, die Modernisierung des Sozialstaates sei notwendig und sinnvoll, dann ist es erstens richtig und beantwortet zweitens die Frage nicht, warum Sie alles an Vorschlägen blockiert haben, was in dieser Richtung aus der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gekommen ist.
({13})
Ich sage Ihnen noch ein Drittes. Ich stimme Ihnen zu: Der Mittelstand ist wegen seiner Arbeitsplätze, wegen seiner Bereitschaft zur Ausbildung der Jugend, wegen seiner Flexibilität und wegen seiner Innovationskraft das Rückgrat unserer Wirtschaft. Das alles ist richtig. Aber wenn es richtig ist, dann wird die Frage um so bedeutsamer: Warum haben Sie dem, was Sie jetzt hier wenige Wochen vor einer Bundestagswahl an hehren Allgemeinplätzen verkünden, nicht schon in den Jahren zuvor die entsprechenden Taten folgen lassen?
({14})
Ihre Nervosität geht doch so weit - ich habe das in einem dieser Mittelstandsorgane mit Interesse gelesen -, daß auf Ihrem Parteikongreß eine dieser Vereinigungen gezwungen wurde, ein Plakat des SPD-Kanzlerkandidaten abzuhängen, weil Sie auf Ihrem Parteitag auch diese Auseinandersetzung gescheut haben.
({15})
- Entschuldigung. In „Markt intern" können Sie nachlesen, daß einer von Ihnen nach der bekannten Methode gehandelt hat. Das kennen wir ja schon.
({16})
Ich will Ihnen eines sagen, Herr Bundeskanzler. Was Sie an Allgemeinplätzen gesagt haben, war ganz schön. Aber nun kommen Sie doch einmal her und erläutern Sie im Zusammenhang mit Existenzgründungen - auf das andere Thema komme ich gleich noch -, warum dann gerade heute erklärt werden muß, daß die Zahl der Insolvenzen erneut auf einen Höchststand gestiegen ist!
({17})
Können Sie hier wirklich ernsthaft behaupten, daß in Deutschland die Dinge in Ordnung sind und in die richtige Richtung gehen, wenn wir in einem Land leben, das unbeschadet seiner Stärke und seiner Möglichkeiten für die Zukunft doch mit dem Hauptproblem zu kämpfen hat, daß der Arbeitsmarkt die betroffenen Menschen ausgrenzt, ihnen keine Chance
gibt und die anderen in den Arbeitsplätzen in einem Maße belastet, von dem wir vorher so keine konkrete Vorstellung haben konnten. Sie haben das doch zu verantworten?
({18})
Dann will ich Sie auf eine andere Bringschuld hinweisen: Sie haben hier in der gebotenen Allgemeinheit über die Steuerpolitik gesprochen. Wären Sie konkret geworden, wäre es für Sie selbst ein bißchen peinlicher geworden.
({19})
Denn ich habe sehr genau in Erinnerung, wie wir im späten Herbst 1997 über diese Frage in teilweise kleinen Kreisen gesprochen haben. Ich habe sehr genau in Erinnerung, wie das Abstimmungsverhalten der F.D.P.-Bundestagsfraktion zu entsprechenden Möglichkeiten war. Wenn ich recht informiert worden bin, dann haben genau zwei Abgeordnete der F.D.P. zugestimmt. Die anderen haben alle Vorschläge in der Befürchtung abgelehnt, es könnte Ihnen ein Wahlkampfthema verlorengehen.
({20})
Wir wären einen großen Schritt in Richtung Steuerreform vorangekommen, wenn dann nicht nach dem Jahreswechsel auf der Seite der Koalition - von Ihnen auch noch veröffentlicht - dummerweise oder Gott sei Dank - wie Sie wollen - gesagt worden wäre: Wir wollen mit der SPD darüber nicht mehr sprechen. Wir könnten einen wesentlichen Schritt weiter sein. Wenn Sie hier die sozialdemokratische Opposition, den Bundesrat oder andere beschimpfen, sie seien nicht bereit gewesen, eine Steuerreform durchzusetzen, dann ist festzustellen: Wir waren und sind bereit, eine Steuerreform durchzusetzen, die wirtschaftlich vernünftig, sozial gerecht und für die öffentlichen Finanzen verkraftbar ist. Dies alles muß zusammengeführt werden.
({21})
Ich muß sehr deutlich sagen: Es ist ein bißchen lästig, daß man sich mit einem Kanzler auseinandersetzen muß, der von seiner eigenen Verantwortung regelmäßig abzulenken sucht, sich den Ergebnissen seiner eigenen Politik nicht stellt und der dann den Eindruck erweckt, für die Herausforderungen, für die Chancen sei er und für die Schwierigkeiten sowie Probleme seien garantiert immer andere zuständig. Das ist keine glaubwürdige Haltung, Herr Bundeskanzler, das nimmt Ihnen auch niemand mehr ab.
({22})
Wenn Sie mir eine kleine Reminiszenz an ein gemeinsames Erlebnis gestatten: Im Sommer 1994 waren Sie Gast der Vollversammlung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Ich erinnere mich sehr gut daran, daß Sie eine sehr optimistische Rede gehalten haben nach der Methode: Wir bekommen das alles in den Griff; sorgt nur dafür, daß wir gewinnen. Wenn ich jetzt die letzten vier Jahre Revue passieren lasse, frage ich: Was haben Sie denn in den Griff bekommen?
({23})
Sie haben überhaupt nichts zustande gebracht.
({24})
Vor diesem Hintergrund ergänze ich die Erinnerung mit einem anderen Hinweis. Ich weiß noch sehr genau, daß ich dort sagte: Es könnte sein, daß durch diese Art von Optimismus die Bereitschaft der Bevölkerung zu notwendigen strukturellen Reformen verschüttet wird, obwohl wir diese doch so dringend brauchen. Ich erinnere mich noch an die Reaktionen darauf. Mich wundert überhaupt nicht, daß Herr Schleyer, Herr Stihl oder andere jetzt Äußerungen machen,
({25})
die zum Teil weit an der Sache vorbei sind, aber nach einer einzigen Methode ablaufen: Nutzt es der Koalition und den sie tragenden Parteien? Das ist die einzige Methode, die dahinter steckt.
({26})
Deswegen möchte ich Sie auf eines aufmerksam machen - das ist aus Gesprächen mit Betriebsräten, Handwerkern und Mittelständlern, die wir ja in großer Regelmäßigkeit und Dichte führen, meine Erfahrung und die vieler anderer in der Sozialdemokratie -: Die Wirklichkeit in diesem Land ist weit von dem entfernt, was der Bundeskanzler über Beamte oder andernorts vermittelt bekommt. Wir haben eine wesentlich flexiblere Gestaltung der Arbeitswelt und der Arbeitskraft. Wir haben eine kluge und verantwortungsbewußte Tarifpolitik - leider mit dem Nebenergebnis, daß im Zusammenwirken mit Ihrer unverantwortlichen Steuer- und Abgabenpolitik die Kaufkraft seit sieben Jahren stagniert und im letzten Jahr sogar zurückgegangen ist.
Wer über den Mittelstand spricht - Herr Bundeskanzler, wenn ich Ihre Aufmerksamkeit noch einen Moment beanspruchen darf -, ohne ein Wort darüber zu verlieren, daß wir zum Beispiel im Handel oder in der Nachfrage nach Dienstleistungen eine große Lücke und eine lahmende Binnenkonjunktur haben, weil Ihre Abgabenpolitik am Ende alles zunichte gemacht hat, was verantwortungsbewußte Tarifpolitik aufbauen wollte, übersieht eine Tatsache in der Bundesrepublik Deutschland.
({27})
Dann haben Sie gesagt - das ist auch zustimmungsfähig -, daß Handwerk und Mittelstand eine große Leistung in der Ausbildung vollbringen. Das stimmt. Das tun sie auf eine dankenswerte und unterstützenswerte Weise.
({28})
Wenn Sie sich in Europa einmal umschauen, dann
stellen Sie fest, daß es anderen Ländern offenkundig
viel besser gelingt, jedem jungen Menschen eine
Ausbildung zu garantieren, als es zur Zeit bei uns in Deutschland geschieht.
({29})
- Schauen Sie einmal nach Dänemark. Das ist nicht so weit weg. - Doch, von Bayern ist es relativ weit weg. Schauen Sie dort einmal hin!
({30})
Das erste, was wir zu tun hätten, wäre, die Garantie auf Ausbildung für junge Menschen nicht nur auszusprechen, sondern auch einzulösen.
({31})
Sie haben sie immer nur ausgesprochen, aber nie eingelöst. Deswegen sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit und ziemlich nüchtern: Der Schaden, der dort angerichtet wird, ist ein doppelter. Es ist ein wirtschaftlicher - er betrifft die Zukunft der jungen Leute -, und es ist - wie wir auf erschreckende Weise hier und da leider sehen müssen - ein politischer.
({32})
Herr Bundeskanzler, ich weiß, daß das eine Kategorie ist, die Ihnen nicht fremd ist. Aber ich wundere mich, daß Sie in öffentlichen Debatten nie darauf zurückgreifen. Ein junger Mann in Ostdeutschland beispielsweise, der 23 Jahre alt ist, war zum Zeitpunkt des Falls der Mauer ein heranwachsendes Kind und hat wahrscheinlich noch eine ziemlich intensive Erinnerung daran, mit welchen Hoffnungen seine Eltern nach Hause kamen: Die Mauer ist weg, Gott sei Dank! Wir haben die Chance, in einem gemeinsamen Land zu leben, frei und in Wohlstand.
Können Sie sich vorstellen, was in den Herzen solcher Menschen vorgeht, wenn dann die Suche nach der Lehrstelle beginnt, die Eltern arbeitslos geworden sind und das alles in einem Umfeld stattfindet, in dem zum Beispiel die christlichen Kirchen leider nicht den Stellenwert haben, den ich mir jedenfalls wünschen würde,
({33})
folglich auch die freie Jugendpflege, die Sozialarbeit, das Auffangen in einem kulturellen und sozialen Netz nicht so funktioniert, wie es funktionieren müßte? Können Sie sich vorstellen, wie Ihre Worte einen fast schon mit leichtem Zynismus belegten Beigeschmack bekommen, wenn Sie dann beklagen, daß in den Schulen dies oder jenes nicht gelinge, und gleichzeitig eine Finanzpolitik betreiben, die alles das ruiniert hat?
({34})
Ich muß Ihnen sagen, das Thema ist mir zu ernst, als daß man mit leichter Hand und manchmal, obwohl Zeit genug wäre, Herr Bundeskanzler, einfach darüber hinweggeht, ohne es überhaupt zu erwähnen.
({35})
Wenn es in unserem Lande nicht gelingt, jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen, wenn es nicht gelingt, die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen wieder zu einem Thema zu machen,
({36})
wenn es nicht gelingt, die Mentalität zu überwinden, den Gewinn und den Aktienkurs - das ist alles berechtigt; aber in der Einseitigkeit wird es zu einem Fehler - zum Maßstab wirtschaftlichen Erfolges zu machen, wenn es nicht gelingt, insbesondere die großen Unternehmen an ihre gesellschaftliche und politische Verantwortung zu erinnern, dann ist es leider auch notwendig, das im Zweifel mit gesetzgeberischen Entscheidungen zu tun. Nicht mehr und nicht weniger.
({37})
Im übrigen muß ich, Herr Bundeskanzler, wenn ich mir die Politik Ihrer Partei betrachte, sagen: Sie sind in einem objektiven Dilemma, auch wenn Sie versuchen, das in Wahlkampfzeiten zu übertünchen. Es war Ihre Politik, die zur Gefährdung konservativer Werte viel mehr beigetragen hat als manches andere, das Sie beklagen.
({38})
Es war Ihre Politik, die die Familien stärker belastet hat, als verantwortbar ist. Alles das spielt in dem Umfeld der Lehrstellen leider eine große Rolle. Wer eine solche Politik betreibt, die den Halt, die klaren Maßstäbe in der Gesellschaft so verschiebt, wie Sie es getan haben, der registriert etwas, was ich mit großer Aufmerksamkeit feststelle, nämlich daß die Politik einer Bundesregierung noch nie zuvor mit so kritischen Stellungnahmen aus dem kirchlichen Bereich kommentiert worden ist wie in diesen Tagen.
({39})
Ich erwähne das aus einem sehr einfachen Grund im Zusammenhang mit Handwerk und Mittelstand. Es geht hier um die harten Bedingungen des Wettbewerbs und die Möglichkeiten, das zu erhalten, was die deutsche Volkswirtschaft gegenüber anderen in besonderer Weise auszeichnet: persönliche Verantwortung, Ausbildungsbereitschaft und anderes in Handwerk und Mittelstand, in kleinen und mittleren Unternehmen.
Es geht darum, die Voraussetzungen zu verbessern, unter denen sich die Bereitschaft zu Leistung und Verantwortung entfalten kann. Das haben Sie in den letzten Jahren versäumt. Sie haben es zum Teil in schönen Worten erneut beschrieben, aber das ändert überhaupt nichts daran, daß die Fakten dem nicht entsprechen, was Sie selbst für sich in Anspruch nehmen. Im Gegenteil: Sie haben Tatsachen geschaffen, die gerade Handwerker und Mittelständler viel stärker als andere belasten.
Schauen Sie sich die Steuerleistungen dieser Betriebe im Verhältnis zu den großen an. Schauen Sie sich die Ausbildungsleistung dieser kleinen Betriebe im Verhältnis zu der der großen an.
({40})
Schauen Sie sich auch anderes an - das geht bis zur persönlichen Verantwortung für Arbeitsplätze. Wenn man das registriert, dann hat man auch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, diesen vielen selbständigen Unternehmern und Handwerkern Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ihnen in der Zukunft erlauben und attraktiv machen, ihre Verantwortung wahrzunehmen und ihre Leistung zum Wohle des ganzen deutschen Volkes einzubringen.
({41})
Sie haben es aber nicht nur an den harten Fakten fehlen lassen, sondern Sie haben es auch an der Bewahrung eines kulturellen, eines sozialen und - wenn man so will - von konservativen Werten geprägten Umfeldes fehlen lassen. Beides zusammen macht Ihre Unglaubwürdigkeit aus.
Es sollte auch in Wahlkampfzeiten - in denen leben wir ja ganz offenkundig - nicht vergessen werden: Wir haben die Verpflichtung, gerade im Interesse von Handwerk und Mittelstand die Steuersätze zu senken. Wir haben die Verpflichtung, das Steuerrecht zu vereinfachen und ökonomisch vernünftiger auszugestalten; das werden wir tun. Und wir haben die Verpflichtung, die Lohnnebenkosten zumindest um den Teil zu entlasten, über dessen Verwendung der Gesetzgeber in fahrlässiger und, wie wir finden, falscher Weise entschieden hat. Ich meine den Teil, der mit der Finanzierung der deutschen Einheit zusammenhängt.
({42})
Wir stehen vor einer gemeinsamen Herausforderung. Das kann niemand bestreiten. Natürlich müssen wir unsere Schulen verbessern. Das ist ganz selbstverständlich. Wir müssen auch unsere Universitäten verbessern. Manches würde leichter fallen, wenn wir - ich erinnere Sie da an einen anderen Punkt - auch im Bereich der Finanzierung fairer miteinander umgingen. Das tun Sie mit den Ländern nicht.
({43})
- Wenn Sie es schon anschneiden, dann will ich doch daran erinnern, daß wir im Herbst letzten Jahres mit unseren Vorschlägen für ein modernes Dienstrecht an Ihnen gescheitert sind, daß wir mit unseren Vorschlägen für eine Bezahlung im öffentlichen Dienst nach dem Leistungsprinzip und für die Besetzung von Spitzenpositionen auf Zeit an Ihnen gescheitert sind. Alle diese Maßnahmen hätten auch Wirkungen im Bildungsbereich gezeigt. Wir sind an Ihnen gescheitert.
({44})
Deshalb will ich mit einem Hinweis schließen - wir werden die Erbschaft nicht ausschlagen können; wir wollen es übrigens auch nicht -:
({45})
Wir werden mit dem, was Sie uns in diesem Bereich hinterlassen haben, mit Blick auf die Zukunft konsequenter und übrigens auch ehrlicher umgehen, als das in Ihrer Rede von heute zum Ausdruck kam.
({46})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dagmar Wöhrl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir in der Schule wären, dann würde es jetzt heißen: Schüler Scharping, setzen, Thema verfehlt!
({0})
Ich finde es unverantwortlich, wie aus Gründen der Wahlkampftaktik unser Standort schlechtgeredet wird, ein Standort, der mit seinen im Moment niedrigen Zinsen, mit seiner guten Infrastruktur und seinem sozialen Frieden unwahrscheinlich gute Voraussetzungen bietet. Es ist sehr wichtig, daß wir begreifen: Wir müssen noch besser werden. Das ist überhaupt kein Thema. Wer aufgehört hat, darüber zu reden, besser zu werden, hat - so heißt es - aufgehört, gut zu sein.
({1})
Unser Ziel war und ist ein leistungsfähiger Mittelstand. Wir brauchen unseren Mittelstand - das ist unzweifelhaft -, und zwar nicht nur als Garanten für Wohlstand und Beschäftigung, sondern auch als gesellschaftsprägende Kraft. Eines - das ist heute leider sehr wenig angesprochen worden - ist ganz wichtig: Unsere mittelständischen Familienunternehmen zeigen vorbildlich das, was man unter unternehmerischen Tugenden versteht. Dort bedeutet Arbeit nicht nur Broterwerb; dort bedeutet Arbeit auch Verantwortung ({2})
nicht nur gegenüber der Familie, sondern auch gegenüber den Mitarbeitern der vorangegangenen und der nachfolgenden Generationen. Dort wird nicht darauf geschaut, wie lange man in der Woche arbeitet, sondern auf das, was zu tun ist.
Die wirklichen Stützen von Familienbetrieben sind in vielen Fällen die Frauen. Die Frauen führen oft neben der Mitarbeit im Unternehmen den Familienhaushalt und betreuen meist noch die Kinder. Weil das vorhin angesprochen worden ist, muß ich sagen: Es war eine ganz tolle Leistung von uns, daß wir es
geschafft haben, das Volumen der familienpolitischen Leistungen von 1982 bis heute von 27 Milliarden DM auf 76 Milliarden DM zu erhöhen - auch, um diese Frauen zu unterstützen.
({3})
Wir hören in den letzten Wochen immens vollmundige Ankündigungen des niedersächsischen Ministerpräsidenten. Er wolle jetzt die Bastionen der Union bei Handwerk und Mittelstand stürmen. Am Montag dieser Woche hat er - das war das Neueste - erklärt, es müßten „Leistungskräfte" der mittelständischen Unternehmen mobilisiert werden. Das ist lobenswert; das ist gut.
({4})
Aber man muß schon einmal fragen: Wo waren Sie denn die letzten Jahre, als es darum ging, Gesetze zugunsten des Handwerks und des Mittelstandes zu verabschieden? Wir mußten diese Gesetze gegen Ihren heftigsten Widerstand durchsetzen.
({5})
Wirtschaftsfreundliche Sprüche helfen dem Mittelstand nicht. Notwendig sind vielmehr konkrete Aussagen darüber, wie man ihn unterstützen will. Konkrete Aussagen haben Sie eigentlich nur in einem Fall getroffen: Reformen wieder rückgängig machen zu wollen. Zu mehr sind Sie nicht fähig. Bei Ihnen heißt es: Reregulierung statt Deregulierung, starre Vorschriften statt Flexibilität. Das ist eine rückwärtsgewandte Politik,
({6})
die wir unseren Mittelständlern, unseren Handwerkern für die Zukunft nicht zumuten können. Denn gerade die kleinen und mittleren Betriebe sind auf vernünftige arbeitsrechtliche Bedingungen angewiesen, viel mehr als die kapitalintensiven Großunternehmen. Der Mittelstand erwartet von uns keine Subventionen, im Gegensatz zu vielen anderen. Aber er erwartet das eine: eine Befreiung aus dieser Zwangsjacke von zu hohen Steuern und Abgaben.
({7})
Er erwartet eine Nettoentlastung, und eine solche ist ja in diesem Haus am 30. Juni 1997 von uns beschlossen worden.
({8})
Aber sie konnte Ihretwegen, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht durchgesetzt werden. Sie haben es verhindert, daß der Mittelstand aus dieser Zwangsjacke befreit wird.
({9})
Ihre steuerlichen Vorschläge werden immer konfuser. Inzwischen ist von einem Optionsmodell, von einer - mittelfristig - rechtsformunabhängigen Unternehmensbesteuerung die Rede. Darüber ist hier schon ausführlich gesprochen worden.
({10})
Für mich ist nicht ersichtlich, ob das jetzt SchröderLinie oder SPD-Linie ist. Wessen Meinung ist das eigentlich? Jeden Tag hören wir etwas Neues. Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion hat noch vor ein paar Tagen erklärt, Selbständige und Unternehmer trügen seiner Meinung nach zuwenig zum Steueraufkommen bei.
({11})
Wie wollen Sie denn dann den Mittelstand entlasten? Sie strafen doch Ihre eigenen Aussagen Lügen.
({12})
Sie haben gesagt: Mittelstand, die neue Mitte. Die einzige konkrete Aussage, die Sie machen, ist die, daß Sie die Körperschaftsteuer für die investierten Gewinne auf 35 Prozent senken wollen. Es sind aber nur 10 Prozent aller Firmen Kapitalgesellschaften. 90 Prozent - das ist erwähnt worden, aber man kann es nicht oft genug sagen - sind Personengesellschaften. Wenn man sieht, daß Sie auch noch die Bemessungsgrundlage verbreitern wollen, bedeutet das für den Mittelstand, daß er durch Ihre Politik nicht nur keine Entlastung bekommt, sondern daß auf ihn noch eine zusätzliche Belastung zukommt.
({13})
Auch müssen Sie sagen, was bei Ihnen noch alles dazukommt. Sie reden von einer neuen Energiesteuer, von einer höheren Mineralölsteuer, von der Wiedereinführung der Vermögensteuer,
({14})
vielleicht noch von einer „Mindeststeuer", Herr Lafontaine. Das haben wir alles schon von Ihnen gehört.
Zu dem, was Sie vorhaben, gehört noch eine „wahre Perle", die sogenannte Ausbildungsplatzabgabe. Hier soll ein Zwangsfinanzierungssystem eingeführt werden, das heißt, daß auf die Betriebe zukünftig neue Belastungen und staatliche Gängelei zukommen. Unabhängig davon, daß es zu einem immens hohen Bürokratiekostenaufwand kommen würde, würden sich auch viele Betriebe - das können Sie mir glauben - von dieser Abgabe freikaufen. Aber noch viel gefährlicher ist, daß wir zukünftig zu einer Verstaatlichung unserer Berufsausbildung kommen würden.
({15})
Unser duales System, das sich seit Jahren bewährt
hat - seinetwegen schauen unsere Nachbarn neidisch auf uns - würde langfristig abgeschafft werden.
Ich finde es ganz toll, wenn sich Herr Schröder hinstellt und sagt: Mit mir ist eine Ausbildungsplatzabgabe nicht zu machen. - Wir sind von dieser EhrlichDagmar Wöhrl
keit schwer beeindruckt; das können Sie uns glauben. Bloß, was haben das Handwerk und der Mittelstand davon, wenn die SPD-Bundestagsfraktion nach dieser Aussage einen anderslautenden Antrag zur Beschlußfassung vorlegt? Die „Durchsetzungsfähigkeit" Ihres Kanzlerkandidaten ist erst vor kurzem in Sachsen-Anhalt sehr deutlich unter Beweis gestellt worden.
({16})
Aber eines kann sich Herr Schröder auf jeden Fall sparen, nämlich den Versuch, uns Nachhilfe über Mittelstandsförderung zu erteilen. Wer als Regierungschef die landeseigene Mittelstandsförderung massiv abbaut, hat auf diesem Feld nur eines, nämlich ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Einige Fakten: Erstens. Die niedersächsische Wirtschaftsförderung wurde während seiner Amtszeit von 285 Millionen DM auf 154 Millionen DM zurückgefahren. Zweitens. Das Landesdarlehensprogramm wurde von 143 Millionen DM auf 50 Millionen DM reduziert. Drittens. Er hat großmundig ein Technologieförderprogramm in Höhe von 400 Millionen DM versprochen. Es umfaßte 1996 ganze 23,5 Millionen DM. Viertens. Ebenso hat er die Komplementärfinanzierung zu EU-Mitteln vollständig abgeschafft.
Da brauchen Sie sich nicht zu wundern, daß Niedersachsen bezüglich der Selbständigenquote weit hinter Bayern zurückliegt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen von Ihnen keinen Nachhilfeunterricht.
Herr Schröder hat einmal gesagt: Jede Politik muß sich an ihren Ergebnissen messen lassen. Wir messen Herrn Schröder an seinen Ergebnissen in seinem Bundesland.
({17})
Bei Ihnen ist der Mittelstand als Rückgrat unserer Wirtschaft abgeschrieben. Für wen war denn der Mittelstand immer das Wichtigste in der Wirtschaftspolitik? - Für uns! Über Jahre hinweg konnte sich der Mittelstand auf uns verlassen; er kann es auch heute noch. Jetzt auf einmal, weil der Wahlkampf vor der Tür steht, entdecken Sie Ihr großes Herz für den Mittelstand. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Das Original ist bei weitem besser als die Kopie, denn eine Kopie hält nicht, was sie verspricht.
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Zum Schluß möchte ich nur noch ein Wort sagen, nämlich ganz einfach danke. Danke an unsere vielen kleinen Unternehmerinnen und Unternehmer für ihren wirklich großartigen Einsatz, den sie Tag für Tag für Wohlstand und Beschäftigung in unserem Land leisten.
Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ernst Schwanhold.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, Frau Wöhrl, Sie reden zu häufig mit den Funktionären des Mittelstandes und zuwenig mit denen, die als Unternehmer in den Betrieben tätig sind.
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Wenn Sie sich von denen die Situation schildern lassen, dann werden Sie erfahren, welche Kritik sie an Ihrer Politik üben, die zu den bekannten Ergebnissen geführt hat.
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Statt dessen mißbrauchen Herr Schleyer und andere ein quasi öffentliches Amt - das die Mitgliedsverbände mit Zwangsbeiträgen finanzieren -, um sich wahltaktisch und parteipolitisch in die Auseinandersetzung dieser Tage einzumischen.
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Die bestellte Presseerklärung, die heute morgen über den Sender ging, deutet darauf hin, daß sich die Unternehmen zwischenzeitlich - völlig zu Recht - aus diesen Organisationen, die sich ausschließlich als Hilfstruppen von CDU und F.D.P. verstehen, verabschieden.
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Man kann diejenigen, die dieses zum Schwerpunkt ihrer Kritik machen, nur ausdrücklich beglückwünschen. Man kann ihnen nur sagen: Hoffentlich bekommt diese Bewegung noch mehr Kraft, als sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt schon hat.
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Dabei, meine Damen und Herren, kann man darüber nicht froh sein. Eigentlich bräuchten wir Organisationen wie den Zentralverband des Deutschen Handwerks und die Industrie- und Handelskammern. Sie wissen ganz genau, daß sich die Sozialdemokraten bei den Gesetzesnovellierungen sehr intensiv darum gekümmert haben, daß es hier zu einem Ausgleich kommt. Diesen Teil wird man sicher an anderer Stelle noch einmal miteinander diskutieren müssen. Wir haben heute darüber zu diskutieren, wie die Ausgangsbasis der mittelständischen Wirtschaft ist.
Heute morgen wird veröffentlicht, daß 1998 die Zahl der Insolvenzen im ersten Quartal um mehr als 1000 angestiegen ist - die höchste Zahl der Insolvenzen, die es je in einem ersten Quartal eines Jahres gegeben hat. Das ist das Ergebnis der Politik, die Sie betrieben haben.
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Die Unternehmen gehen doch nicht pleite, weil sie alle zu faul sind oder nicht arbeiten wollen, sondern weil Sie ihnen nicht die Rahmenbedingungen geboten haben, die notwendig sind.
Schauen Sie sich bitte Ostdeutschland an. Da gehen die Unternehmen in Konkurs, die schon einmal gefördert worden sind: teilweise, weil die öffentliche Hand nicht bezahlt, teilweise, weil die Steuer- und Abgabenquote zu hoch ist. Wir haben in unseren vielen Mittelstandsforen im letzten Jahr mit mehr als 7000 Mittelständlern vor Ort geredet und nicht so sehr mit den Funktionären. Diese Mittelständler sagen uns: Die Abgabenlast ist das Problem. - Genau dafür tragen Sie die Verantwortung. 6 Prozent Abgabenlast haben Sie draufgepackt.
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Also, senken Sie die Abgaben! Dazu haben Sie überhaupt keinen Vorschlag vorgelegt, der diskussionsfähig gewesen wäre. Sie haben statt dessen dafür gesorgt, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Das kann kein Ansatz sein, um mittelständischen Unternehmen, insbesondere denen der Bauindustrie und denen des Handwerks, zukünftig Aufträge zu bringen. Dieses macht die Aufträge teurer und fördert eher die Schwarzarbeit.
Ich sage Ihnen auch etwas zur Zahl der Selbständigenquote: In diesem Land haben wir zur Zeit 9,2 Prozent Selbständige. Im vergleichbaren europäischen Ausland liegt die Quote bei 13 bis 14 Prozent. Da ist es nur ein scheinbarer Erfolg, daß die Quote von rund 7 Prozent auf 9,2 Prozent angestiegen ist. Wir müßten längst bei 14 Prozent sein. Wir selbst hatten zu unserer Regierungszeit 16 Prozent. Die Konzentration im Handel, die Sie zugelassen haben - dort haben Sie Politik zugunsten der Großen gemacht -, hat dazu geführt, daß die mittleren Städte ausbluten, daß es kaum noch selbständige Handelshäuser gibt. Das ist doch Ihre Politik!
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Erst jüngst haben wir in der Kartellgesetznovelle darum gerungen, dem mittelständischen Handel eine eigene Chance zu eröffnen, indem wir den Verkauf unter Einstandspreis, den Verdrängungswettbewerb und andere Dinge verbieten. Sie haben versucht, das zu blockieren. Erst mit massivem Druck war es möglich, am Ende zu einem Ergebnis zu kommen. Herr Rexrodt läuft doch noch heute durch die Gegend und sagt, das, was wir gemeinsam und mit unserem Druck erreicht haben, sei ein schlechtes Ergebnis. Nein, es war die Antwort auf Ihre verfehlte Politik, die sich ausschließlich an den großen Handelshäusern ausrichtet und nicht an dem mittelständischen Handel, den wir in den Städten so dringend benötigen.
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Genauso ist es doch gestern noch gewesen, als wir Ihnen abringen mußten, daß es bei den großen Aufträgen, die der öffentliche Dienst zu vergeben hat, möglich ist, die Lose so aufzuteilen, daß die mittelständischen Handels- und Handwerksunternehmen davon etwas haben, daß wir innerhalb der jeweiligen Region Wertschöpfung bekommen und daß die Menschen dort beschäftigt sind, die in der Region wohnen, und nicht diejenigen, die von Subunternehmern aus dem Ausland herbeigeholt werden und auf den Baustellen zu Dumpingpreisen arbeiten, die die
Preise versauen und dafür sorgen, daß die Menschen über Transferleistungen alimentiert werden. 30 000 Bauarbeiter sind in Berlin arbeitslos. Auf den Baustellen dort arbeiten aber weitaus mehr Menschen, die eigentlich keine Arbeitsberechtigung haben. Alle Razzien ergeben, daß dort Menschen zu Dumpingpreisen arbeiten. Einen Stundenlohn von 2,17 DM hat ein norddeutsches Arbeitsamt ermittelt, und Sie reden hier von Chancengleichheit! Nein, wir brauchen ein Vergaberecht, das der mittelständischen Wirtschaft eine eigene Chance ermöglicht.
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Wenn Sie von Reformen reden, dann haben die Menschen in der Vergangenheit geglaubt - das geht insbesondere den Unternehmern so -, daß es um Verbesserungen für ihr Leben gehe. Heute halten sich die Menschen als erstes einmal ihre Taschen zu, weil sie Angst davor haben, daß die Reform wieder an ihre Substanz herangeht. Dies ist Ihre Form von Politik, die dazu geführt hat, daß Vertrauen verlorengegangen ist.
Die mittelständischen Unternehmer brauchen über einen längeren Zeitraum Planungssicherheit für das, was sie vorhaben, weil sie mit ihrem ganzen Vermögen haften. Das ist anders als in anderen Unternehmen. Das hat übrigens die niedersächsische Landesregierung dazu geführt, schon im März 1996 ein integriertes Mittelstandskonzept vorzulegen, welches zu erheblichen Erfolgen bei der Neugründung und bei der Beschäftigung geführt hat. Sie tun hier aber so, als sei dies alles nichts. Wie tief steckt eigentlich bei Ihnen die Angst, daß sich die Sozialdemokraten zwischenzeitlich die in der Vergangenheit zugegebenermaßen Ihnen näherstehende Stammklientel erarbeitet haben und daß die Unternehmer aus dem Mittelstand von den Sozialdemokraten erwarten, daß diese ihre Probleme lösen? Daß sie von Ihnen gelöst werden, da haben sie keinerlei Hoffnung mehr.
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Herr Hinsken, wenn Sie sich jetzt äußern, ist es ja völlig berechtigt. Sie sind ja einer der letzten Interessenvertreter des Mittelstandes in der CSU. Daran sieht man, wie die CSU verkommen ist: von einem anständigen Bäckermeister hin zu einem großen Kaufhauskonzern, was den wirtschaftspolitischen Sprecher anbelangt. - Herr Hinsken, Sie können gerne eine Frage stellen.
Herr Kollege Schwanhold, Sie haben eben - genauso wie Herr Scharping vorhin - das Hohelied auf den Mittelstand, auf den selbständigen Unternehmer gesungen.
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Ich möchte Sie fragen, wie Sie die Aussage Ihres Fraktionskollegen Günter Rixe deuten, der im „Deutschen Wirtschaftsblatt" vor nicht allzulanger Zeit schrieb: „Das große Problem der Selbständigen war und ist, daß die Sozialdemokraten immer glauben, daß Selbständige Ausbeuter sind, die in dieser Partei
nichts zu suchen haben." Geben Sie mir bitte darauf eine Antwort.
Günter Rixe ist selbst Handwerksmeister. Er ist ein kluger Mann und hat bei dem, was er schrieb, natürlich eines im Sinn gehabt - das muß ich Ihnen schon sagen, verehrter Herr Hinsken -: In der Sozialdemokratischen Partei gibt es mehr selbständige Unternehmer, als die F.D.P. vor der Vereinigung Mitglieder hatte.
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- Dann können Sie ja einmal hinzuzählen, Herr Kolb und Herr Gerhardt, die Sie so locker herumschreien, wie viele mittelständische Unternehmer aus Ostdeutschland hinzugekommen sind. Woher haben Sie denn eigentlich Ihren Zuwachs in der Mitgliedschaft? Sind das Selbständige oder sind das Wendehälse gewesen, die beim 40. Jahrestag auch auf den Balkonen gestanden und die Erfolge des Sozialismus gefeiert haben?
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Es mag ja sein, daß Ihnen dies nicht gefällt. Angesichts der Aussagen, die Sie in diesen Tagen machen, kann man Sie gar nicht oft genug daran erinnern, mit welcher Unverschämtheit und welcher Unverfrorenheit Sie sich den Wendehälsen zugewandt haben, die seinerzeit alle mitgefeiert haben.
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Schauen Sie sich bitte an, wie viele in Ihren eigenen Reihen sitzen. Sie bekennen sich sogar im Handbuch des Deutschen Bundestages dazu. Ich werde Ihnen das gerne vorlesen.
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Herr Kollege Schwanhold, Herr Hinsken möchte nachfragen.
Ich möchte mich der Eigenkapitaldecke im Mittelstand zuwenden und ein paar Aussagen dazu machen.
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- Herr Kollege, ich habe Ihnen eine Antwort auf Ihre Frage gegeben. Sie dürfen sich wieder setzen. Sie haben mir die Chance gegeben, diesen Teil meiner Rede - außerhalb der angerechneten Redezeit - zu verdeutlichen. - Frau Präsidentin, meine Redezeit ist während der Beantwortung der Zwischenfrage fälschlicherweise um eine Minute weitergelaufen.
Die Eigenkapitaldecke im Mittelstand hat sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. 1997 hatten mehr als 32 Prozent aller kleinen und mittleren Unternehmen eine Eigenkapitaldecke von weniger als 10 Prozent. Das ist eine katastrophale Eigenkapitalausstattung. Wir haben gemeinsam dafür zu sorgen, daß die Eigenkapitaldecke wieder verbessert wird. Dazu ist eine Steuerreform notwendig, die zu einer Entlastung des Mittelstandes führt und nicht zu einer Entlastung derjenigen, die Sie mit Ihrer Steuerreform im Sinn gehabt haben.
In Ostdeutschland liegt die Zahl derjenigen Unternehmen, die weniger als 10 Prozent Eigenkapital haben, sogar bei 44 Prozent. Deshalb haben wir Ihnen Vorschläge unterbreitet, deren Umsetzung dazu führt, daß die Eigenkapitaldecke in Ostdeutschland verbessert wird. Wir haben Ihnen immer wieder Eigenkapitalhilfeprogramme vorgelegt. Sie haben Ihre diesbezüglichen Maßnahmen sehr spät aufgestockt. Ich denke zum Beispiel an das von Ihnen initiierte Existenzgründungsprogramm.
Ich will einen anderen Bereich ansprechen, der mir viel mehr Sorge macht. Es handelt sich um den Tatbestand, daß Unternehmen in Konkurs gehen, obwohl sie sowohl volle Auftragsbücher als auch prüffähige und auch bezahlbare Rechnungen haben. Wir haben, so glaube ich, gesetzliche Vorsorge dafür zu treffen, daß keine weiteren Unternehmen, die in Ostdeutschland gut auf dem Markt existieren können, Konkurs anmelden müssen. Die Konkurse des letzten Jahres haben 250 000 Arbeitsplätze mehr vernichtet, als wir durch alle Neugründungen haben schaffen können. Mittelstandspolitik der Zukunft hat zwei Säulen: einerseits Bestandspflege - die haben Sie gröblich vernachlässigt - und andererseits Neugründungen - diesen sind Sie mit den vorhandenen Möglichkeiten nicht nachgekommen.
Wir haben Ihnen in den Jahren 1995 bis 1998 verschiedene Anträge zum Chancenkapital vorgelegt. Wir haben Ihnen Anträge vorgelegt, deren Umsetzung die Selbständigkeit befördern kann. Wir haben Ihnen Anträge vorgelegt, die insbesondere für den Mittelstand den Gang auf die Weltmärkte erleichtern. Alle diese Anträge sind von Ihnen zunächst abgelehnt worden - und dann mit zeitlicher Verzögerung doch ins Bundesgesetzblatt hineingekommen. Wenn Sie sich unseren Vorschlägen gleich angeschlossen hätten, dann hätten Sie viele Pleiten vermeiden können. Der Mittelstand wäre heute in einer deutlich besseren Situation, als er zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist. Sie tragen für die schlechte Situation der mittelständischen Wirtschaft Verantwortung. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, daß viele Unternehmer und viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ungeheurem Engagement und durch sehr flexible Regelungen manches Unternehmen um Klippen herumgeschifft haben. Dafür haben wir uns bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der mittelständischen Wirtschaft, die dies ermöglicht haben, in besonderem Maße zu bedanken.
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Das, was die ostdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihre mittelständischen Unternehmen eingebracht haben, ist eine ungeheure Leistung gewesen - gerade weil sie nicht auf Rosen gebettet sind und weil die bereits abgeschlossenen Tarifverträge gegenwärtig noch nicht eingehalten werden. Dieses Verhalten ist eine Option, ein Wechsel auf die Zukunft und auf Arbeitsplätze gewesen. Ich halte
dies für vernünftig und gut. Wir sollten nicht so tun, als ob die ostdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine Vorleistungen erbracht hätten; vielmehr sollten wir uns bei ihnen bedanken. Wir sollten ihnen keine zusätzlichen Abzüge zumuten, und wir sollten sie für ihre Situation nicht durch unverantwortliche Reden mit Hinweisen auf zu hohe Löhne in Ostdeutschland verantwortlich machen. All dies ist hanebüchen und schlägt den Leuten, die auf viel Einkommen verzichtet haben, ins Gesicht.
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Wir brauchen eine straffere öffentliche Verwaltung und eine Initiative von Bund und Ländern, die dazu führt, daß es neue Freiräume für mittelständische Unternehmen gibt. Dies ist die Aufgabe, die Sie im Bund haben - bis zum 27. September. Viele sozialdemokratische Länder sind daran beteiligt. Die F.D.P. kommt im Bund und in den Ländern kaum vor. Auch dort muß eine Verzahnung stattfinden; die öffentliche Hand muß sich als Dienstleister für die mittelständische Wirtschaft verstehen.
Übrigens waren Sie es, die verhindert haben, daß aus den 670 Förderprogrammen ein durchschaubares Förderpaket wird. Meine Kollegin Skarpelis-Sperk wird dazu noch etwas sagen. Wenn mittelständische Unternehmer heute zunächst einen Förderprogrammberater benötigen, um dieses Programm verstehen zu können, dann ist das mehr als beschämend. Wir haben Ihnen hier Maßnahmen zur Abhilfe vorgelegt. Sie haben bisher verzögert und es noch nicht einmal zur Beratung kommen lassen.
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Ich möchte Ihnen gerne in Form eines ganz kurzen Zitates zum Abschluß sagen, daß das, was Sie uns bisher weiszumachen versucht haben, den Mittelstand nicht erreicht hat:
Es ist nicht genug, zu wissen, man muß auch anwenden; es ist nicht genug, zu wollen, man muß auch tun.
Dieses hat schon Goethe gesagt; das muß man auch Ihnen ins Stammbuch Ihrer Mittelstandspolitik schreiben.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Kristin Heyne.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte ist ein weiteres Mal von allen Seiten das Hohelied des Mittelstandes zu hören - und das ganz sicher zu Recht. Es ist der Mittelstand, der neue Arbeitsplätze schafft; es ist der Mittelstand, der für Ausbildung sorgt. Der Mittelstand ist die Basis unseres Wirtschaftssystems, und die Förderung des Mittelstands ist der wesentliche Schlüssel zur Lösung des Beschäftigungsproblems.
Nun hat sich in dieser Woche der DIHT gegen einen Richtungswechsel in der Mittelstandspolitik ausgesprochen. Man muß sich natürlich fragen, wessen Lied dort gesungen wird.
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Mittelständische Betriebe sind beschäftigungsintensiv. Sie bieten überdurchschnittlich viele Arbeitsplätze an; deswegen ist der Mittelstand in hohem Maße durch Lohnnebenkosten belastet. Der Mittelstand trägt über die Sozialversicherung zusätzliche Kosten der deutschen Einheit, und er wird für soziale Leistungen herangezogen, die eigentlich die gesamte Gesellschaft und nicht allein Beschäftigte und Arbeitgeber tragen müßten. Auch haben die großen Unternehmen eher die Möglichkeit, Steuern zu umgehen, indem sie ihre Firmensitze ins Ausland verlegen oder durch Abschreibungstricks ihren Beitrag zur Erstellung von Infrastruktur, für Bildung und für das soziale System in diesem Lande verweigern.
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Wenn sich Herr Sohns heute hier hinstellt und die Beratungsstellen für obdachlose Frauen als eine überflüssige Einrichtung bezeichnet, dann zeigt das, in welche Richtung die F.D.P. geht; das zeigt das Klima der sozialen Kälte und entspricht dem Grundsatz: Freie Fahrt für den Starken.
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Wir stehen für soziale Marktwirtschaft. Soziale Marktwirtschaft heißt auch, daß der Stärkere den Schwächeren unterstützt. Davon wollen Sie, meine Herren von der F.D.P., nichts mehr wissen.
Es ist allerdings so, daß durch das bestehende Steuer- und Abgabensystem der Mittelstand bei uns in ganz besonderer Weise belastet wird. Es ist der Mittelstand, und es sind die mittleren Einkommensgruppen, die die Packesel dieser Gesellschaft sind und die die Lasten zu tragen haben. Da muß man sich doch fragen: Für wen spricht der DIHT mit der Forderung: Weiter so, Deutschland? Ganz sicherlich nicht für den Mittelstand.
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Es ist höchste Zeit, daß die Mittelständler endlich frei zwischen ihrer Zugehörigkeit zu den Industrie- und Handelskammern oder ihrer Zugehörigkeit zu eigenen mittelständischen Vertretungen entscheiden können.
Herr Rexrodt hat in der heutigen Debatte darauf hingewiesen, daß der Euro ein Stück Mittelstandspolitik sei. Herr Rexrodt, das könnte tatsächlich so sein. Der Euro schafft neue Chancen und Möglichkeiten auf den innereuropäischen Märkten, aber es wachsen natürlich auch neue Konkurrenten auf den
innereuropäischen Märkten. Der Mittelstand muß sich diesen veränderten Bedingungen anpassen.
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- Wenn Sie nicht reden dürfen, machen Sie das doch mit Ihrer Fraktion aus. Sie rufen hier ständig dazwischen.
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Ein guter Zwischenruf ist in Ordnung, aber dieses ständige Gerede stört ein wenig.
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- Okay, nächstes Mal dürfen Sie wieder.
Umfrageergebnisse und auch Erfahrungsberichte der Banken besagen, daß sich viel zu wenige gerade der kleinen und mittelständischen Unternehmen bisher auf die neuen Marktverhältnisse unter Euro-Bedingungen eingestellt haben. Diese Bundesregierung hat sich zu lange an der Debatte um die 3,0 Prozent festgehalten. Sie hat damit den Eindruck vermittelt, als ob diese gemeinsame europäische Währung noch irgendwo in den Sternen steht. Sie hat es nicht einmal erreicht, daß sich die Verwaltungen rechtzeitig auf die Einführung des Euros umgestellt haben.
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Nur in der Bundesrepublik wird es ab 1999 nicht möglich sein, Steuererklärungen auch in Euro abzugeben. Das gilt jedenfalls, soweit es abzusehen ist, bisher so.
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Nur Hessen hat bis jetzt angekündigt, ab 1999 tatsächlich Steuererklärungen in Euro zu akzeptieren. Das heißt: Verantwortliche Mittelstandspolitik hätte gerade in dieser Währungsfrage frühzeitig klare Verhältnisse geschaffen. Sie hätte frühzeitig für Aufklärung und Unterstützung gesorgt, und sie hätte damit dieses Feld nicht allein den Banken überlassen. Von einer erfolgreichen Mittelstandspolitik kann also auch in dieser Hinsicht nicht die Rede sein.
Was allerdings Herr Schröder als sein Mittelstandsprogramm vorgestellt hat - ich muß es so sagen -, gleicht eher einer Wundertüte.
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Der Kanzlerkandidat kündigt eine Senkung der Steuersätze an. Er verschweigt aber, welche Abschreibungsmöglichkeiten er streichen will. Auch Ihr Optionsmodell kommt an dieser Frage natürlich nicht vorbei. Herr Schröder kündigt eine Senkung der Lohnnebenkosten an. Seine Partei wagt sich aber nicht an das heiße Eisen der Rentenreform heran. Eine ökologisch soziale Steuerreform à la SPD würde nach dem derzeitigen Stand der Debatte innerhalb von vier Jahren gerade einmal eine Senkung der Lohnnebenkosten um einen halben Prozentpunkt ermöglichen. Das kann ich aber leider nicht als wirksame Unterstützung des Mittelstands bezeichnen.
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Wer Entlastung verkündet, der muß auch den Mut haben, zu sagen, wo sie denn herkommen soll.
Wir haben ein Steuerkonzept vorgelegt, das althergebrachte Steuerprivilegien ganz deutlich beschneidet und damit eine spürbare Senkung der Steuersätze, beim Eingangs- wie beim Spitzensteuersatz, ermöglicht. Unsere Reform steht für eine transparente und gerechte Besteuerung, die der wirklichen Leistungsfähigkeit entspricht. Wir haben klar gesagt: Wer Arbeit entlasten will, der muß zeigen, wie das finanziert werden kann. Eine ökologisch soziale Steuerreform, die Arbeit entlastet und Umweltverbrauch belastet, ist die dringend gebotene Fortentwicklung des bestehenden Steuersystems.
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Wir haben auch klargestellt, daß die Belastung von Umweltverbrauch einhergeht mit sozialverträglichen Regelungen für niedrige Einkommen und auch mit Übergangsregelungen für energieintensive Branchen. Sowohl die Entlastung bei den Lohnnebenkosten als auch der Anreiz für energiesparende Technologien werden gerade dem Mittelstand die Möglichkeit zur Entwicklung neuer, umweltfreundlicher Produkte und Dienstleistungen eröffnen. Mit innovativen Dienstleistungen und Produkten werden Existenzgründungen erfolgreich und dauerhaft sein. Vor allem im Dienstleistungsbereich werden dadurch neue Arbeitsplätze entstehen können.
Diese Zukunftsbranchen werden wir mit unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik fördern.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Sigrid Skarpelis-Sperk.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Trotz des Theaterdonners im Rahmen des Wahlkampfes, der hier ausgebrochen ist, darf man feststellen, daß sich alle im Parlament vertretenen Parteien in dieser Debatte einig waren, wie wichtig die drei Millionen mittelständischen Betriebe für unser Land, für die Beschäftigung, für die Ausbildung, für die Innovation - das heißt auch: für die mittelfristige Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes - sind. Deswegen werden die wesentlichen Mittelstandsförderungsprogramme - an erster Stelle nenne ich die Förderprogramme aus dem ERP-Sondervermögen, aus dem jährlich Kredite über etwa 13 bis 14 Milliarden DM für Existenzgründungen, für Innovation, für Umweltprogramme und für Ausbildungsprogramme finanziert werden - von diesem Hause einstimmig verabschiedet.
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Gerade weil dieser Theaterdonner ausgebrochen ist, muß man diesen Punkt offen ansprechen.
Auch wenn wir als SPD in bezug auf viele der Förderprogramme Sonderwünsche gehabt und wenn wir die eine oder andere Regelung zusätzlich gewünscht hätten, haben wir doch immer dafür gesorgt, daß wir so schnell und so konstruktiv wie möglich diese Programme auf den Weg gebracht haben, weil wir der Meinung sind, daß sowohl die Arbeit im Westen, aber insbesondere auch die erhebliche Aufbauarbeit im Osten im Bereich der Existenzgründungen, des Handwerks und der gewerblich produzierenden Betriebe viel zu wichtig sind, als daß man darüber streiten könnte.
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Uneinig waren wir uns in diesen zentralen Fragen nicht. Da haben wir den Konsens gesucht. Uneinig sind wir dagegen in der Frage, ob es genug ist, was hier passiert, ob die Wirtschafts-, Finanz-, Haushaltsund Geldpolitik, die von dieser Regierung betrieben wird, den kleinen Unternehmen nicht mehr schadet, als wir mit all unseren Förderprogrammen wieder ausgleichen können. Uneinig sind wir uns auch darüber, ob die Instrumente der Mittelstandsförderung den Herausforderungen der Zukunft noch gewachsen sind.
Ich will einige Punkte kritisch ansprechen. Alle loben den Mittelstand, aber gerade 2 bis 4 Prozent aller öffentlichen Subventionen fließen in die Mittelstandskassen und -taschen. Ich meine, es ist ein Stück Unredlichkeit, zu sagen, daß Großartiges geleistet wurde, wenn 96 Prozent in andere Bereiche und gerade einmal 4 Prozent in den Mittelstand fließen.
({2})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Mit Vergnügen, Herr Kollege Hinsken.
Frau Kollegin Sperk, ich pflichte Ihnen ja bei, daß gerade, was Förderungsmaßnahmen anbelangt, für den Mittelstand nicht genug getan werden kann. Deshalb meine Frage an Sie, wie Sie es sehen und ob Sie es als richtig empfinden, daß zum Beispiel die landeseigenen Hilfen des Landes Niedersachsen für Existenzgründer seit 1994 ersatzlos gestrichen wurden und darüber hinaus gerade das Landesdarlehensprogramm für Existenzgründer von 1990 von 150 Millionen DM auf 50 Millionen DM, also auf ein Drittel, gekürzt worden ist. Paßt das, was Sie hier sagen, mit der Politik zusammen, die Ihr Kanzlerkandidat für den Mittelstand macht? Das geht in eine ganz andere Richtung, als Sie es hier fordern.
Lieber Ernst, verehrter Herr Staatssekretär, wenn du hier die Sprechzettel aus dem Hause Hintze vorliest, werde ich dir darauf nicht antworten,
({0})
weil dies - das sage ich dir einmal ganz offen - keine Frage an eine Bundestagsabgeordnete ist, die mit dir darüber reden will, warum ihr seit 15 Jahren 96 Prozent aller Subventionen den fetten Katzen in die Tasche steckt statt dem Mittelstand, für den auch du die ganze Zeit dastehst.
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Entschuldige, bitte, aber es geht nicht, daß du dich hier hinstellst, irgendwelche Sachen aus deiner Wahlkampfzentrale vorträgst, die ich im Moment gar nicht nachprüfen kann, und von dem eigentlichen Problem abzulenken suchst. Das sage ich dir hier.
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Es ist sicher einfacher, Ernst, hier Rundumschläge zu machen, als sich darüber zu unterhalten, wo die kleinen und mittleren Unternehmen im Wettbewerb gegenüber den großen Unternehmen heute noch benachteiligt sind. Der erste Punkt ist: Sie kommen nur schwer an Eigenkapital heran. Zweitens: Die Zinsen sind im Privatbankensystem für die kleinen Betriebe deutlich höher als für die großen Betriebe. Man muß sich einmal mit den Banken darüber unterhalten, warum sie die Hoffnungsträger unserer Wirtschaft mit einem derartigen Risikozuschlag versehen. Drittens - auch das ist ein Punkt, über den ihr euch hättet unterhalten können -: Kleine und mittlere Unternehmen - das hat eine Studie des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes ergeben - zahlen im Durchschnitt mehr Steuern, und zwar 4 Prozent mehr als Großunternehmen.
15 Jahre hattet ihr Zeit, daran etwas zu ändern. Warum habt ihr da eigentlich nichts getan?
({3})
Wir wären gerne bereit gewesen, den kleinen und mittleren Unternehmen zu hellen.
Auch die Betriebsübergabe an jüngere Nachfolger ist ein Problem. Der Zugang zu Informationen ist objektiv schwieriger, weil zeitaufwendiger und kostspieliger.
Frau Kollegin, es besteht noch ein Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Gerne, aber ich möchte diesen Punkt erst zu Ende führen. Dann lasse ich sie gerne zu.
Ein weiterer Punkt, bei dem Sie auch nichts geliefert haben, ist: Die Gesetze, Vorschriften und Verwaltungsverfahren sind, auch in der Bundesverwaltung - dort zuvörderst -, auf Großunternehmen zugeDr. Sigrid Skarpelis-Sperk
schnitten und nehmen auf die praktischen Alltagsgegebenheiten der mittelständischen Unternehmen in aller Regel keine Rücksicht. Das gilt ganz besonders für die Vergabe öffentlicher Aufträge und die Forschungsmittel. Wir haben Sie doch mit unseren Anträgen wie den Hund zum Jagen tragen müssen, bis Sie sich gestern endlich wenigstens bei der Bauauftragsvergabe ein Stückchen weiterbewegt haben, damit es für kleine und mittlere Bauunternehmen auch kleinere Baulose und Unterteilungen gibt. Das können Sie doch nicht leugnen.
Sprüche über Bürokratie zu klopfen ist einfach. Aber sich 15 Jahre hinzusetzen und praktisch nichts zu tun, um die kleinen und mittleren Betriebe zu entlasten, und zwar dort, wo Sie etwas tun könnten, nämlich bei der Auftragsvergabe und bei der öffentlichen Forschung, das ist ein Kunststück, von dem ich sagen muß: Ich bewundere Ihre Chuzpe.
({0}) Jetzt können Sie Ihre Frage stellen.
Frau Kollegin, warum unternehmen Sie den Versuch, Wirtschaft zu teilen? Als mittelständischer Unternehmer bin ich bevorteilt, wenn es der Wirtschaft insgesamt gut geht und wenn ich mir als mittelständischer Unternehmer natürlich die Vorteile aus der gesamten sozialen Marktwirtschaft auch für die großen Unternehmen zunutze machen kann.
Wie sehen Sie bei Ihrer Schelte der Wirtschaftsförderung für die Großunternehmen die Situation, daß genau in Niedersachsen in der Mittelstandsförderung diese starken Rückgänge stattgefunden haben, wie sie Frau Kollegin Wöhrl dargestellt hat: Wirtschaftsförderung von 285 Millionen DM zurückgefahren auf 154 Millionen DM, Landesdarlehenprogramm für den Mittelstand von 143 Millionen DM zurückgefahren auf 50 Millionen DM? Wenn Sie schon Wirtschaft teilen, frage ich Sie: Kann man mit diesen Geldern vielleicht ein Stahlwerk finanzieren?
Lieber Herr Kollege, Sie geben mir die Gelegenheit, jetzt einmal über die Möglichkeiten zu sprechen, die die Wirtschaftsminister der Länder haben, in einer Zeit der zurückgehenden Staatseinnahmen ihre Haushalte auszugleichen.
({0})
Es ist Ihre schlechte gesamtwirtschaftliche Politik, die eine Erhöhung der Zahl der Arbeitslosen zur Folge hat. Der Verschiebebahnhof zu Lasten der Länder und der Kommunen mit hoher Arbeitslosigkeit hat dazu geführt, daß die Finanzminister der Länder wahre Künstler und Jongleure sein müssen, um die permanent zurückgehenden Einnahmen ausgleichen zu können. Meine böhmische Großmutter pflegte dazu zu sagen: Nimm Haare vom Frosch!
Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Wülfing?
Als Allgäuer Abgeordnete bedanke ich mich für die vielfältigen Zwischenfragen zu Niedersachsen, aber ich werde versuchen, sie so weit wie möglich zu beantworten.
Frau Skarpelis-Sperk, wollen Sie zur Kenntnis nehmen, daß es nicht so ist, wie Sie behauptet haben, daß 90 Prozent aller Forschungsförderungsmittel an große Unternehmen gehen, sondern daß im Gegenteil 40 Prozent aller Forschungsförderungsmittel für die gewerbliche Wirtschaft an die kleinen und mittleren Unternehmen gehen, obwohl sie sich nur zu 14 Prozent an der Forschung beteiligen? Wenn man die Mittel vom Wirtschaftsministerium noch hinzunimmt, sind es 56 Prozent aller Forschungsförderungsmittel, die an kleine und mittlere Unternehmen mit bis zu 500 Beschäftigten gehen. Wollen Sie das bitte zur Kenntnis nehmen oder nicht?
Liebe Frau Kollegin, ich nehme das mit Vergnügen zur Kenntnis, insbesondere deshalb, weil ich ja nicht von der Forschungsförderung gesprochen hatte, sondern von den öffentlichen Subventionen. Nach Berichten der Regierung fließen nur zwischen 2 und 4 Prozent davon in die mittelständischen Bereiche.
({0})
Übrigens mache ich Ihnen den Vorschlag, dieses Problem in der neuen Legislaturperiode gemeinsam zu lösen. Niemand weiß doch genau, wieviel Mittel tatsächlich in diesen Bereich fließen, weil die amtliche Statistik und die öffentliche Haushaltsrechnung von Ihnen mittlerweile so massakriert worden sind, daß niemand mehr sagen kann, ob es zwei oder vier Prozent sind.
Ich muß Ihnen auch sagen, liebe Frau Kollegin: Sie wissen doch, daß ich mich auf solche Debatten vorbereite. Ich habe diese Zahlen selbstverständlich den entsprechenden Berichten der Bundesregierung und des verehrten Kollegen Kolb, des Mittelstandsbeauftragten der Bundesregierung, entnommen.
({1})
Auf die Zwischenfrage des Kollegen Michelbach möchte ich noch bemerken: Wir brauchen in der Tat keine Spaltung zwischen den großen und den kleinen Unternehmen; denn nur sie gemeinsam machen die pluralistische Industrie- und Wirtschaftsstruktur unseres Landes aus.
Bisher waren wir uns aber auch einig - zumindest im Wirtschaftsausschuß -, daß kleine und mittlere Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil haben, daß sie schlechter an Kapital herankommen, daß sie höhere Sicherheiten bieten und mehr Zinsen zahlen
müssen. Da müssen wir gezielt etwas tun. Ich frage mich, warum man zum Beispiel bei Insolvenz- und Konkursproblemen gegenüber den großen Unternehmen so viel entgegenkommender ist als gegenüber den kleinen Unternehmen - bei den Banken und beim Staat.
Die beste Wirtschaftspolitik für die kleinen und mittleren Unternehmen ist in der Tat
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eine andere Wirtschaftspolitik, die endlich zu Kenntnis nimmt, daß der Einzelhandel, daß das Baugewerbe, daß die Unternehmen, die Massenkonsumgüter im Bereich Textilien, Glas, Keramik und Möbel produzieren, daß das Hotel- und Gaststättengewerbe sowie die Tourismusbetriebe ohne steigende Einkommen der Lohn- und Einkommensbezieher keine Chance haben werden, zu bestehen; denn sie haben wenig Möglichkeit, sich im Wettbewerb positiv zu etablieren.
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Wir debattieren hier leider nicht über die realen Probleme des Mittelstandes, eine Umstrukturierung der Mittelstandsförderung und konkrete Hilfen. Wir wissen aber: Es ist nicht allein das Geld: In vielen Punkten ist es die fehlende Information, ist es die Zersplitterung der Hilfen, ist es die fehlende Unterstützung im Exportbereich, die den Mittelständlern die eigentlichen Probleme bereiten, sich auszuweiten und neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Aber darüber haben wir heute nicht reden können. Sie haben es offensichtlich auch nicht gewollt. Seit anderthalb Jahren liegt diesem Haus ein Antrag der SPD vor, dem zu entnehmen ist, was wir konkret tun können, damit kleine und mittelständische Unternehmen die Zukunft besser bewältigen können: vom Internet bis hin zu praktischer Beratung. Aber Sie zitieren lediglich die Subventionsberater. Sie klagen darüber. Wir haben Ihnen auch dazu Vorschläge gemacht. Sie haben keine Antworten gegeben. Sie haben in der heutigen Debatte noch nicht ein Wort zu unseren Vorschlägen gesagt. Das ist bedauerlich.
({4})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Schauerte.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Reden von Frau Skarpelis-Sperk und Herrn Schwanhold haben bei mir den Eindruck erweckt, als gäbe es in der Frage Mittelstand und Wirtschaftsförderung in Deutschland nur die Zuständigkeit des Bundes. Ich möchte mit meiner Kurzintervention darauf hinweisen, daß es neben der klaren Zuständigkeit des Bundes nach wie vor eine ganz erhebliche Zuständigkeit der Länder gibt.
Vor diesem Hintergrund ist es nur redlich, einmal nachzusehen, in welchen Ländern bei gleicher Rahmengesetzgebung in Bonn gute und in welchen schlechte Entwicklungen zu verzeichnen sind. Lassen Sie mich das an wenigen Punkten verdeutlichen.
In Nordrhein-Westfalen kommen auf 18 Millionen Einwohner etwa 580 000 Selbständige, in Bayern auf 12 Millionen Einwohner etwa 570 000 Selbständige.
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Der Anteil der Selbständigen an der Bevölkerung - bei gleichen Rahmenbedingungen in Bonn - beträgt in Nordrhein-Westfalen 3,3 Prozent und in Bayern 4,7 Prozent. Das sind 44 Prozent mehr.
Es wurde über die Insolvenzen gesprochen. Bei gleichem Konkursrecht, bei gleichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben wir in Nordrhein-Westfalen bezogen auf 10 000 Unternehmen eine Insolvenzquote von 80 Prozent, in Bayern eine von 66 Prozent und in Baden-Württemberg eine von 59 Prozent.
Bei gleichen Rahmenbedingungen sind auf 100 000 Einwohner in Bayern 808 Ausbildungsplätze und in Nordrhein-Westfalen 672 Ausbildungsplätze gemeldet.
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Bei den Patenten - und es geht um die Förderung von Patenten sowie um Erneuerung und Innovation - ist die Situation derart: In Baden-Württemberg kommen auf 100 000 Einwohner 95 Patente, in Niedersachsen 35. Man möge sich den Unterschied vorstellen.
Ich komme zu den Ausgaben für Wissenschaft und Forschung, die für das Klima für Existenzgründungen wichtig sind: Sachsen, Herr Professor Biedenkopf, und Thüringen liegen mit 485 DM pro Kopf und pro Jahr ganz deutlich vorne. Das hat besondere Hintergründe: Es zeigt auch, wieviel wir miteinander für die neuen Länder tun, damit solche Ausgaben möglich sind.
Jetzt aber kommen die westdeutschen Zahlen: In Bayern sind es 445 DM, in Nordrhein-Westfalen 354 DM, in Niedersachsen 355 DM und im Saarland 372 DM pro Kopf und pro Jahr. Das sind in den zuletzt genannten, sozialdemokratisch regierten Ländern ungefähr 100 DM pro Kopf und pro Jahr weniger für Wissenschaft und Forschung. Da sehen Sie, wie die Rahmenbedingungen in den Ländern sind.
Herr Kollege Schauerte, Sie haben nur drei Minuten für eine Kurzintervention. Es darf sich nicht um einen Debattenbeitrag handeln.
Ich komme zum Schluß, Frau Präsidentin.
Ich wollte nur darauf hinweisen: Es gibt Zuständigkeiten des Bundes und Zuständigkeiten der Länder. Die Sozialdemokraten werden aufgefordert,
die Situation in ihren Ländern in Ordnung zu bringen. Dann ginge es uns besser!
Herzlichen Dank.
({0})
Die Antwort, bitte.
Herr Kollege Schauerte, was Sie gerade vorgeführt haben - übrigens sehe ich mit Ihnen jetzt schon den vierten Sprechzettelverleser in diesem Haus; ich muß Herrn Hintze ein Kompliment machen, wie er das gestreut hat: Jeder bekam einen Sprechzettel und durfte etwas verlesen! -, ist für eine Bundestagsdebatte wirklich eine merkwürdige und schäbige Art, von Ihren eigenen Versäumnissen abzulenken.
({0})
Zudem: Als bayerische Abgeordnete, insbesondere als Allgäuer Abgeordnete freue ich mich, daß die Kultur der Selbständigkeit bei uns in der Tat seit mehr als einem Jahrhundert eine andere Tradition hat - übrigens auch im Baden-Württembergischen und im Schwäbischen. Das ist auch gut so. Bei uns nehmen die Leute die Sache selbst in die Hand, und sie schaffen etwas. Ihnen ist übrigens häufig gar nichts anderes übrig geblieben, weil es in diesen Gebieten keine großen Unternehmen gab und weil eine Industriepolitik, die das geändert hätte, im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts nicht vorhanden war.
({1})
- Wissen Sie, Herr Schäuble, die Industrielandschaft des 19. und 20. Jahrhunderts ist weder Ihr noch unser Verdienst, sondern hat sich aus der Industriegeschichte unseres Landes ergeben.
({2})
Ich war der Meinung, daß die Frage von Selbständigkeit kleiner Unternehmen und die Förderung der Betriebsübergabe bisher noch eine gemeinsame Sache dieses Hauses ist und nicht zu einem - entschuldigen Sie den Ausdruck - Nebenkriegsschauplatz für einen Bundestagswahlkampf zu Lasten der Selbständigen und der kleinen und mittleren Betriebe mißbraucht werden sollte. Ich finde das schäbig.
({3})
Deswegen werden wir uns - egal, wie Ihre Debatten verlaufen - nicht davon ablenken lassen, weiter zusammen mit den Betroffenen darüber nachzudenken, wie wir den kleinen Betrieben konkret helfen können. Dazu sind Schaufensterreden und Maßnahmen allein an der steuerlichen Front nicht geeignet. Das wissen Sie genausogut wie jeder andere. Den Chef, der in einem Betrieb mit drei bis vier Leuten die „eierlegende Wollmilchsau" sein muß - er ist gleichzeitig Produktionschef, Kostenrechner, Innovator, Personal- und Vertriebschef -, interessieren diese großen Donnerreden nicht. Solche Menschen sagten uns auf den Mittelstandsforen: Die Steuerfragen sind es nicht allein, die uns retten. Die Rahmenbedingungen der Gesamtwirtschaft - vom Absatz auf dem Binnenmarkt über die Einkommensentwicklung breiter Schichten bis zu den Zinsen - sind unser Problem.
({4})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zu den Überweisungen und Abstimmungen. Zunächst lasse ich über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10815 abstimmen. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS abgelehnt worden.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/9216, 13/10723 und 13/ 10794 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD zur Beschäftigung und Innovation für den Mittelstand. Das ist die Drucksache 13/10696. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS abgelehnt worden.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zu mehr Beschäftigung im Dienstleistungssektor. Das ist die Drucksache 13/10600 Buchstabe a. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9599 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen! - Gibt es Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Schaffung von Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor. Das ist die Drucksache 13/10600 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5353 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS angenommen worden. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Sicherung der Arbeitsplätze durch Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie. Das ist die Drucksache 13/6363. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Drucksache 13/2588 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS angenommen worden. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur außenwirtschaftlichen Stärkung des Mittelstandes. Das ist die Drucksache 13/10259. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5754 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der SPD angenommen worden. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten.
({0})
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer zukunftsorientierten, innovativen Mittelstandspolitik. Das ist die Drucksache 13/10264. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6097 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung?
({1})
Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der SPD angenommen worden. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten.
({2})
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Neugestaltung der Förderung des Tourismus. Das ist die Drucksache 13/ 10662. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8107 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen! - Enthaltungen?
({3})
Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.
Damit sind wir am Ende der Abstimmungen angelangt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6h sowie die Zusatzpunkte 5 bis 7 auf:
6. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roll Schwanitz, Anni Brandt-Elsweier, Christel Deichmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Neuorientierung des wirtschaftlichen Aufbaukonzeptes für Ostdeutschland
- Drucksache 13/10436 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({4}) Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß
b) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS
Beschäftigungs- und bildungspolitisches Sofortprogramm für die neuen Bundesländer
- Drucksache 13/10290 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({5})
Finanzausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({6})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs ({7}), Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Altschulden in der Landwirtschaft der neuen Länder
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Günther Maleuda, Eva-Maria Bulling-Schröter, Dr. Christa Luft, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Regelung der Altkredite der LPG-Rechtsnachfolger
- Drucksachen 13/812, 13/1330, 13/3310 -Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Junghanns Dr. Gerald Thalheim
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({8})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs ({9}), Rolf Schwanitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenhang mit den Altschulden der Landwirtschaft in den neuen Ländern und dem dazu ergangenen Prüfauftrag des Bundesverfassungsgerichts an die Bundesregierung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Ulrike Höfken, Werner Schulz
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verfassungsrechtliche Problematik der Altschulden landwirtschaftlicher Betriebe in den neuen Bundesländern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Ulrike Höfken und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den landwirtschaftlichen Altschulden
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Günther Maleuda, Eva-Maria Bulling-Schröter, Dr. Christa Luft, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsbeschwerde betreffend LPG-Altschulden
- Drucksachen 13/7442, 13/4011, 13/7709, 13/7903, 13/9786 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Ulrich Junghanns
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({11}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Günther Maleuda, Dr. Christa Luft, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Änderung des Paragraphen 50 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes
- Drucksachen 13/9391, 13/10070 - Berichterstattung:
Abgeordneter Siegfried Hornung
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({12})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Dr. Herta Däubler-Gmelin, Rolf Schwanitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Der Bundesminister der Justiz und die Enteignungen von 1945 bis 1949 in der damaligen SBZ
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Günther Maleuda, Klaus-Jürgen Warnick, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Nichtrückgängigmachung der Enteignung auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage ({13})
- Drucksachen 13/6410, 13/6528, 13/10257 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Hans-Joachim Hacker
g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({14}) zu dem Antrag des Abgeordneten Werner Schulz ({15}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Neue Chancen für Ostdeutschland - Drucksachen 13/8645, 13/10170 - Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Kutzmutz
h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({16}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Christa Luft, Wolfgang Bierstedt, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Vermögen der DDR entsprechend den Festlegungen des Einigungsvertrages verwenden
- Drucksachen 13/8656, 13/10570 - Berichterstattung:
Abgeordneter Reiner Krziskewitz
ZP5 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Wachstums- und Beschäftigungspolitik für die neuen Länder fortsetzen
- Drucksache 13/10821 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({17}) Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß
ZP6 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({18}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Anke Fuchs ({19}), Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verlängerung des Veräußerungstermins von nicht betriebsnotwendigen Vermögenswerten im Zusammenhang mit der Altschuldenregelung der Landwirtschaft in den neuen Ländern
- Drucksachen 13/1772, 13/2782 - Berichterstattung:
Abgeordneter Siegfried Hornung
ZP7 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({20}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Dr. Gerald Thalheim, Hans-Joachim Hacker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verlängerung der Pachtverträge landwirtschaftlicher Flächen in den neuen Ländern
- Drucksachen 13/9942, 13/10732 - Berichterstattung:
Abgeordneter Siegfried Hornung
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Abgeordneten Rolf Schwanitz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat in dieser Legislaturperiode, in den letzten vier Jahren, nur ein einziges Mal in einer Debatte des Deutschen Bundestages das Wort zum Aufbau Ostdeutschlands ergriffen. Das ist nicht gerade furchtbar häufig. In der Regel übernahm - heute ist das offensichtlich wieder so - seinen Part der Bundesminister Rexrodt, der einer Partei angehört, die, wie es einmal der sächsische Ministerpräsident - Sie, Herr Biedenkopf - mit Recht bemerkte, „offensichtlich Ostdeutschland parteipolitisch abgeschrieben hat und deshalb glaubt, auch keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen" . Ich erinnere an das Stichwort der Abschaffung des Solidaritätsbeitrages.
Diese Regierung hat in den vergangenen vier Jahren für die neuen Bundesländer zu wenig getan.
({0})
Das spürt jeder; das weiß jeder, der sich die Entwicklung der letzten Jahre vor Augen führt. Das weisen im übrigen auch die amtlichen Statistiken unmißverständlich aus. Sie haben zu wenig getan. Dafür erhielten und erhalten Sie von den Wählern ,die Quittung: in Sachsen-Anhalt und am 27. September dieses Jahres bei den Bundestagswahlen.
({1})
Die Menschen in den neuen Bundesländern erwarten, daß ihre Probleme - das ist im Kern der wirtschaftliche Aufbau Ostdeutschlands - in den Mittelpunkt der deutschen Politik gestellt werden. Sie erwarten mit Recht kein Hü und Hott mehr, keine Unberechenbarkeit und Unbeständigkeit mehr sowie keine wahltaktisch motivierten Aktionismen mehr, wie wir das bisher erlebt haben. Deshalb sagen wir: Der Aufbau Ost muß eine gesamtdeutsche Aufgabe von höchster Priorität werden.
({2})
Wir werden im Kanzleramt eine Zentralstelle „Zukunft Ost" einrichten, um damit zu unterstreichen: Eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung wird den Aufbau Ost zur Chefsache machen.
Wir haben in Ostdeutschland ein zentrales Problem, dem sich die Bundesregierung hartnäckig verweigert, ja sie nimmt es nicht einmal zur Kenntnis. Jüngstes Beispiel sind Ihre Auslassungen, Herr Minister Rexrodt, gestern bei der Bundespressekonferenz anläßlich des Jahresberichtes zur deutschen Einheit. Oder nehmen wir das erst gestern abend im Eiltempo noch vorgelegte Papier, den Antrag der Koalition bezüglich der neuen Länder, der hier heute auch zur Debatte steht.
Meine Damen und Herren, ein kurzer Blick auf die Statistik macht schlagartig deutlich, um was es geht.
1993 und 1994 hatten wir in den neuen Ländern Wachstumsraten von fast 10 Prozent. Damals, im Wahlkampf 1994, konnte der Bundeskanzler noch von Ostdeutschland als der dynamischsten Wirtschaftsregion Europas sprechen. Das ist längst vorbei.
({3})
Es waren übrigens die sechs führenden Wirtschaftsinstitute, die die Bundesregierung bereits 1995 kritisierten, den wirtschaftlichen Aspekten der deutschen Einigung werde nicht genug Rechnung getragen. Sie erinnern heute mit Verbitterung daran, daß sie damals von der Bundesregierung „einen politischen Kraftakt forderten, um die Fortsetzung des Aufholprozesses über das kommende Jahr hinaus zu gewährleisten" .
({4})
Wir wissen heute, daß die Bundesregierung zu diesem politischen Kraftakt weder bereit noch fähig war.
({5})
Die Folgen dieser Politik sind in den Statistiken klar abzulesen. Schon 1995 halbierte sich die Wachstumsrate auf 5,2 Prozent, um dann 1996 auf nur noch 1,9 Prozentpunkte zu fallen. Seit dieser Zeit ist die Aufholjagd Ostdeutschlands gegenüber Westdeutschland zum Stillstand gekommen. Seit dem letzten Jahr fallen die neuen Länder sogar wieder hinter die alten Länder zurück. Das ist der klare, unleugbare Tatbestand, vor dem sich die Bundesregierung nunmehr schon seit Jahren drückt. Dabei gibt es noch unendlich viel zu tun, um die soziale und wirtschaftliche Spaltung zwischen Ost und West zu überwinden. Eine einzige Zahl mag dies deutlich machen: Die Wirtschaftskraft je Einwohner in den neuen Bundesländern lag im vergangenen Jahr bei nur 56 Prozent derjenigen in den alten Ländern. Das ist die Lage. Statt aufzuholen, wird die Lücke zwischen Ost und West wieder größer.
Das entscheidende Problem, vor dem Ostdeutschland steht und das die jetzige Bundesregierung verdrängt, lautet: Das bisherige Bündel an wirtschafts-, finanz- und arbeitsmarktpolitischen Instrumenten und Hilfen garantiert keinen weiteren entscheidenden Fortschritt mehr beim wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern. Wir brauchen deshalb eine Neuorientierung des wirtschaftlichen Aufbaukonzepts für Ostdeutschland.
Die Politik der CDU und F.D.P. ist gescheitert. Nirgendwo wird dies so deutlich wie in den neuen Bundesländern. Die Menschen in Ostdeutschland brauchen eine neue Chance. Für uns ist der wirtschaftliche Aufbau Ostdeutschlands eine gesamtdeutsche Aufgabe von höchster Priorität.
({6})
Wir werden deshalb ein Aufbauprogramm „Zukunft Ost" auflegen und umsetzen, das den kurzatmigen, unberechenbaren Aktionismus der BundesRolf Schwanitz
regierung durch ein längerfristiges, verläßliches Entwicklungskonzept ablöst. Lassen Sie mich unsere Vorstellungen kurz zusammenfassen.
Wir wollen Ostdeutschland zum Zentrum der staatlichen Innovationspolitik machen. Zentrale wirtschaftspolitische Zielorientierung für die neuen Bundesländer kann nur der Aufbau eines Produktionspotentials mit leistungsstarken industrie- und produktionsnahen Dienstleistungsunternehmen sein.
Der Förderung von innnovativen Unternehmen, von Forschung und Entwicklung, insbesondere der betriebsnahen Forschung und Entwicklung, kommt deshalb eine Schlüsselstellung in der nächsten Entwicklungsstufe des wirtschaftlichen Aufbaus zu. Wir werden die kleinen und mittleren Unternehmen in Ostdeutschland mit einem Sonderprogramm „Innovativer Mittelstand" unterstützen. Gezielte steuerliche und außersteuerliche Maßnahmen sind notwendig, wie zum Beispiel ein Sonderzuschlag bei allen Forschungs- und Entwicklungsprogrammen des Bundes. Wir werden die enge Kooperation zwischen Industrie und Universitäten, Fachhochschulen und Forschungsinstituten fördern und unterstützen.
Angesichts des dramatischen Eigenkapitalmangels in den neuen Ländern werden wir die Bereitstellung privaten Wagnis- und Chancenkapitals vor allem für kleine und mittlere Unternehmen zusätzlich fördern. Ihr Gang an die Börse muß weiter erleichtert werden.
({7})
Wir werden eine vermögenspolitische Initiative Ost starten. Angesichts der öffentlichen Investitionsförderung kann es nicht länger hingenommen werden, daß das wachsende Produktivvermögen ausschließlich in der Hand der Kapitalgeber konzentriert wird, während Arbeitnehmer leer ausgehen. Der wirtschaftliche Aufbau in Ostdeutschland muß endlich zu einer neuen Initiative zur Bildung von Produktivvermögen in Arbeitnehmerhand genutzt werden.
Wir werden einen neuen institutionellen Rahmen für den Aufbau Ost schaffen.
Dazu gehört erstens: Der Aufbau Ost muß endlich zur Chefsache gemacht werden.
({8})
Wir halten es für notwendig, die unnötige Aufspaltung und Zersplitterung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten des Bundes beim wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern durch die Einrichtung einer Zentralstelle „Zukunft Ost" im Bundeskanzleramt mit einem Koordinator im Range eines Kabinettsmitglieds zu beenden.
({9})
Dazu gehört zweitens: Wie die Japaner nach dem zweiten Weltkrieg brauchen wir in Ostdeutschland eine schlagkräftige Außenwirtschaftsorganisation, die die außenwirtschaftlichen Aktivitäten von Staal und Wirtschaft, insbesondere auch im Bereich dei Anwerbung von ausländischen Investoren, bündell und koordiniert. Hier hat die Bundesregierung jahrelang fest geschlafen und dann nur halbherzig und unzureichend reagiert.
Wir schlagen schließlich vor, daß sich die neuen Bundesländer auf die Einrichtung einer gemeinsamen Ausschreibungsagentur verständigen, um ostdeutschen Unternehmen mehr Chancen auf den öffentlichen Beschaffungsmärkten einzuräumen. Es kommt insbesondere darauf an, durch staatliche Nachfrage nach High-Tech-Produkten, zum Beispiel auch im Bereich der Bundeswehrbeschaffungen auf unserer Ebene, junge, innovative Unternehmen in ihrem schwierigen Entwicklungsprozeß zu stärken.
({10})
Wir werden die Wirtschaftsförderung vereinfachen. Die Vielfalt der staatlichen Förderprogramme führt nicht selten zu Bürokratismus, zu Richtlinienwirrwarr, zu Antragshürden, Überschneidungen und unübersichtlichen Zugangsverfahren, die den Weg zu einer wirksamen Förderung versperren. Es ist dringend erforderlich, sich auf ein umfassendes, tragfähiges und mittelfristig angelegtes Entwicklungskonzept Ost zu verständigen. Die Vielzahl der Programme sollte zu einer kleinen Anzahl von Sonderprogrammen mit transparenten Zugangsbedingungen zusammengefaßt werden. Die verschiedenen Maßnahmen zur Förderung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten könnten ebenso zu einem Sonderprogramm gebündelt werden, wie das bei der Förderung von Existenzgründungen, der Verbesserung der Eigenkapitalbasis der Unternehmen und des überregionalen Absatzes der Fall sein könnte.
Wir werden unmittelbar nach der Bundestagswahl eine Wachstumsinitiative Ostdeutschland ins Leben rufen. Angesichts der anhaltenden Wachstumsschwäche und der sich zuspitzenden Beschäftigungskrise in den neuen Ländern ist es dringend erforderlich, vor allem die öffentlichen Investitionen in Ostdeutschland zu verstärken und zeitlich vorzuziehen.
Unser Grundsatz lautet: Arbeit statt Arbeitslosigkeit.
({11})
Deshalb gilt: Solange noch ein Drittel der Ostdeutschen ohne reguläre Arbeit auskommen muß, bleibt die öffentlich geförderte Beschäftigung ein wichtiges Element der Arbeits-, Sozial- und Strukturpolitik in Ostdeutschland. Wir werden die in den letzten Jahren in diesem Bereich vorgenommenen Einschnitte der Bundesregierung korrigieren.
Schließlich - das ist unser zentraler politischer Ansatz - werden wird unmittelbar nach der Bundestagswahl ein echtes Bündnis für Arbeit - ein Bündnis, das diesen Namen auch wirklich verdient - auf den Weg bringen. Was die Bundesregierung in diesem Zusammenhang bislang zustande gebracht hat, ist ein völliger Fehlschlag. Der Hauptgrund für diesen Fehlschlag liegt im Verhalten der Bundesregierung
selbst. Es ist doch widersinnig, was Sie hier gemacht haben: Sie schließen mit den Tarifparteien ein Bündnis für Arbeit Ost und erwarten zum Beispiel von den Gewerkschaften moderate und mehr flexible Tarifabschlüsse, die die Gewerkschaften im übrigen auch umsetzen. Gleichzeitig setzen Sie einen arbeitsmarktpolitischen Kahlschlag in Gang, der zur Folge hat, daß Hunderttausende von Arbeitnehmern auf dem zweiten Arbeitsmarkt in die Arbeitslosigkeit entlassen werden.
({12})
Da brauchen Sie sich, meine Damen und Herren von der Koalition, nicht zu wundern, daß die Gewerkschaften sich hier geprellt fühlen. Deren Bereitschaft zum Dialog und Kompromiß wird von Ihnen nur ausgenutzt - das ist die eigentliche Ursache des Problems.
({13})
Nein, meine Damen und Herren, wir brauchen grundlegende Reformen in unserem Land - in der Steuerpolitik, in der Sozialpolitik, in der Arbeitsmarktpolitik und beim Aufbau in Ostdeutschland. Wer wollte das bestreiten? Wir werden diese Reformen jedoch nur dann erfolgreich verwirklichen können, wenn wir die großen, entscheidenden Gruppen in unserer Gesellschaft von der Notwendigkeit dieser Reformen überzeugen und sie für ein Reformbündnis gewinnen, anstatt die Gesellschaft zu spalten.
({14})
Wir Sozialdemokraten wissen: Eine Politik des Dialogs und des Ausgleichs ist bei der Bewältigung großer Reformvorhaben allemal erfolgreicher als eine Politik der Konfrontation. Das können wir nicht zuletzt aus der Geschichte der Bundesrepublik nach dem zweiten Weltkrieg lernen. Deshalb werden wir den Grundansatz Ihrer Politik durch eine Politik des Dialogs und des Ausgleichs ersetzen; denn nur so werden wir die innere Einheit Deutschlands verwirklichen können.
Herzlichen Dank.
({15})
Ich erteile das Wort jetzt dem Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen, Professor Dr. Kurt Biedenkopf.
({0})
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({1}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schwanitz, wir sind für jeden Vorschlag, der uns in Ostdeutschland weiterbringt, dankbar. Aber der Vorschlag, den Sie für Ihre Fraktion vertreten haben, bringt uns nicht weiter. Ich kann Ihre Auffassung nicht teilen - obwohl ich meine Position jetzt nicht ausführlich in diesem Zusammenhang begründen kann -, daß die Bundesregierung nicht genug tue. Sie sichert immerhin die politische Basis für eine Transferleistung von jährlich rund 4,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes von West nach Ost. Das kann nur die Mehrheit in diesem Hohen Hause mit ihren Haushaltsentscheidungen bewilligen. Diese Mehrheit trägt die Bundesregierung.
({2})
Es gehört zu den großen Leistungen einer nationalen Solidarität und verdient immer wieder Anerkennung, daß eine solche Transferleistung jetzt seit 1991 erbracht wird, daß sie sich in den letzten sieben Jahren kaum verringert hat und daß sie nach wie vor von einer Mehrheit - ich nehme an: von einer großen Mehrheit - in diesem Hohen Hause getragen wird.
Doch nun zu dem Antrag selbst, zu dem ich gerne Stellung nehmen möchte. Das erste, was an diesem Antrag auffällt, ist, daß die ostdeutschen Länder nicht vorkommen, sondern von „Ostdeutschland" die Rede ist. Inzwischen hat sich Ostdeutschland aber ausdifferenziert. Wir haben Länder in Ostdeutschland, die die gleiche Stellung und die gleiche Berechtigung haben wie die Länder in Westdeutschland - und diese unterscheiden sich.
({3})
Sie schlagen eine „Zentralstelle Zukunft Ost" vor und wollen die Sache zur Chefsache machen. Es ist doch ganz interessant, dann einmal der Frage nachzugehen, wie das Verhältnis zwischen diesem Chef und den Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder aussehen soll. Sollen wir wieder in eine Art Vormundschaft genommen werden, weil wir selbst nicht in der Lage sind, die Probleme zu lösen? Die Zentralstelle ist keine Hilfe.
({4})
Die Zentralstelle ist das genaue Gegenteil von dem, was wir gebrauchen können.
({5})
Wir kommen ja auch nicht auf die Idee, im Bundeskanzleramt eine Zentralstelle für hochverschuldete Bundesländer einzurichten.
({6})
- Sachsen würde in diesem Fall mit Sicherheit nicht
mitbetreut werden müssen. Denn es hat im Jahre
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({7})
1998 in seinem Haushalt Zinsausgaben in Höhe von 276 DM pro Kopf; das Saarland hat 868 DM pro Kopf. Wir stehen also auch in bezug auf die Gesamtverschuldung so gut dar, daß wir diese Art von Betreuung nicht brauchen.
({8})
Ein Zweites wird in dem Antrag überhaupt nicht behandelt, nämlich die bisher sieben Jahre lang erbrachte Leistung. Herr Schwanhold hat vorhin dankenswerterweise von dieser Leistung in einem bestimmten Zusammenhang gesprochen. Aber in dem ganzen Antrag - weder im Antrag noch in der Begründung - wird nicht auch nur mit einem Wort erwähnt, was die Bevölkerung, was die Investoren, was die Bürgermeister, was die Landräte, was der Westen, was der Osten für diese siebenjährige Aufbauleistung getan haben.
({9})
Es gehört für mich zu den kaum erklärbaren Paradoxien des deutschen Einigungsprozesses, daß wir in aller Welt für das Ergebnis dieses Einigungsprozesses bewundert werden und selbst offenbar die Fähigkeit verloren haben, zu erkennen, welch enorme politische, geistige, kulturelle und wirtschaftliche Leistung in den letzten sieben Jahren erbracht worden ist.
({10})
Wenn man - wie Sie das wollen - eine Neuorientierung will, muß man von der gegebenen Situation ausgehen. Man kann den Menschen in Ostdeutschland nicht die Anerkennung für die große Leistung der letzten sieben Jahre vorenthalten und so tun, als sei alles das, was dort geschehen ist, so wenig wertvoll, daß es keiner Begründung bedarf, warum eine Neuorientierung überhaupt nötig ist.
({11})
- Natürlich geschieht das. Alles das, was bereits geleistet wurde, findet keine Erwähnung. Die historische Dimension dieser Leistung, nicht nur die Überwindung der SED-Herrschaft durch die Menschen selbst, sondern auch der große Akt der nationalen Solidarität, die Aufbauleistung - Neues lernen, Altes aufgeben, neue Erfahrungen sammeln, alte abgeben müssen - und die Ergebnisse dieser Leistungen - im großen und ganzen befriedigende Wohnverhältnisse, besser gewordene Straßen, besser gewordene Infrastruktur, eine exzellente Telekommunikationsinfrastruktur und vieles andere mehr - werden
({12})
- zu der Arbeitslosigkeit komme ich gleich - von allen bewundert.
Nach Sachsen kommen viele Besucher - Herr Kollege Schwanitz, das wissen Sie doch - aus aller Welt, insbesondere aus den Ländern, in denen ähnliche
Transformationen stattfinden, Besucher, die uns fragen: Wie haben Sie das gemacht, wie haben Sie das fertig bekommen, wie war es möglich, diese Umwälzungen ohne Streiks, ohne Auseinandersetzungen, ohne soziale Konvulsionen zu leisten? Was hat die Menschen motiviert, diese Leistungen zu erbringen? Wie war es möglich, sie finanziell zu unterstützen?
({13})
Wer diese Anerkennung nicht an den Anfang zukünftiger Programme stellt, der kann keine Motivation erwarten. Aus dem Stolz auf diese Leistung erwächst auch die Kraft, neue und weitere große Schwierigkeiten zu bewältigen.
({14})
In Ihrem Antrag ist die Rede davon, die Aufholjagd sei zu Ende. Lassen Sie mich dazu sagen, daß jedenfalls wir in Sachsen nie von einer Aufholjagd gesprochen haben, weil wir von Anfang an wußten, daß es eine solche Jagd überhaupt nicht geben kann. Ich habe im Frühjahr 1992 ausführlich begründet, warum der Wiederaufbau in Ostdeutschland etwa eine Generation dauern wird, daß er mit nachhaltigen Rückschlägen verbunden sein wird, daß schon allein die Wachstumsraten, die man sich damals vorgestellt hat - und zwar keineswegs nur die Bundesregierung, sondern auch die Institute -,
({15})
völlig überhöht waren, daß die Wachstumsraten sinken müssen und dann wieder steigen werden, weil sich hinter diesen Veränderungen enorme Umschichtungen im Produktionskapital verbergen und ähnliches.
Wie messen wir eigentlich die Erfolge in Ostdeutschland? Messen wir sie nur nach dem Bruttoinlandsprodukt, oder fragen wir auch nach anderen Dingen? Es haben Umschichtungen stattgefunden. Zum Beispiel betrug das reale Wachstum im verarbeitenden Gewerbe 1997 in Ostdeutschland fast 11 Prozent, in Westdeutschland 3,4 Prozent, in Sachsen 13,4 Prozent. Das produzierende Gewerbe ist 1997 im Osten um 3,4 Prozent, im Westen um 2,1 Prozent und in Sachsen um 4,4 Prozent gewachsen.
Wenn die Wachstumsrate insgesamt gleichwohl zurückgegangen ist, dann deshalb, weil die Bauwirtschaft jetzt ihre dominierende Rolle der ersten Jahre einbüßt, die sie auf Grund von Entscheidungen hatte, die - soweit ich weiß - Anfang der 90er Jahre im breiten Konsens getroffen worden sind, nämlich auf Grund der intensiven Abschreibungsunterstützung von Immobilieninvestitionen. Diese haben inzwischen dazu geführt, daß wir praktisch keine Wohnungsnot mehr und ein reichliches Angebot an Büroflächen haben, das es am Anfang nicht gab. Daß jetzt in einem Bereich die Zahl der Beschäftigten sinkt und in einem anderen Bereich steigt, wird uns noch in den nächsten Jahrzehnten begleiten.
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({16})
Was ist denn zum Beispiel mit der Aufholjagd für die älteren Menschen? Wir haben heute 70-ProzentRenten, gemessen an den ostdeutschen Einkommen. Da ist die Aufholjagd im wesentlichen abgeschlossen. Wir können doch nicht erwarten, daß die Rentner in Ostdeutschland 80 oder 85 Prozent der Aktiveinkommen erzielen. Das würde einen Ost-West-Konflikt auslösen, den ich nicht ausstehen möchte.
Natürlich teilen die Rentner in Ostdeutschland die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland. Aber bezogen auf die Bedingungen in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt oder anderswo haben sie das Ziel erreicht. Die Lohnstückkosten sind in den letzten Jahren nachhaltig abgebaut worden. Sie sind immer noch zu hoch. Das ist richtig. Die Einkommen sind geringer; darauf ist hingewiesen worden. Die Menschen in Ostdeutschland bringen Opfer für ihre Arbeitsplätze. In allen ostdeutschen Ländern ist das der Fall.
Aber zum Beispiel bei der Telekommunikationsinfrastruktur ist die Aufholjagd längst abgeschlossen. Auch Westdeutschland bescheinigt uns, daß wir die modernste Telekommunikationsinfrastruktur in Sachsen und in den anderen ostdeutschen Ländern haben.
Wir haben ein Abitur nach zwölf Jahren. Im Westen bemüht man sich jetzt langsam, dort hinzukommen.
({17})
Da sind wir also, was die Aufholjagd anbetrifft, dem
Westen schon voraus. Ich habe gerade heute morgen
) eine Mitteilung bekommen, daß es im Herzforschungszentrum Leipzig zum erstenmal in der ganzen Welt gelungen ist, mit einem Roboter eine Bypassoperation durchzuführen. Da haben wir den Westen also auch längst überholt.
Unser Hauptproblem ist der Arbeitsmarkt. Dieser Arbeitsmarkt bereitet uns natürlich auch die allergrößten Sorgen. Was ist nun im Arbeitsmarkt tatsächlich passiert? Wir haben in Ostdeutschland - hier muß man Ostdeutschland wieder als Einheit sehen - eine Erwerbstätigenquote - das heißt effektiv arbeitende Menschen von 15 bis 65 Jahren - von 90 Prozent gehabt. Diese 90 Prozent oder, in Zahlen ausgedrückt, fast zehn Millionen Beschäftigten zum Ende der DDR konnten überhaupt nicht erhalten bleiben. Das weiß jeder. Wenn man die westdeutsche Erwerbstätigenquote von damals zugrunde legt, dann hätte die effektive Beschäftigung in der damaligen Noch-DDR und im anschließenden halben Jahr auf etwa sechs Millionen zurückgehen müssen. Genau das ist geschehen. Die Erwerbstätigenquote beträgt heute rund sechs Millionen.
Ich will Ihnen das an einem Beispiel zeigen. Der Mikrozensus von 1997 zeigt - wir müssen wissen, wovon wir reden; das müßte im Antrag stehen als Grundlage für weitere Maßnahmen -,
({18})
daß die Erwerbsquote - das sind also die Erwerbstätigen und die Arbeitsuchenden - im Westen 70,5 Prozent betrug, im Osten 76,5- das sind also 6 Prozent mehr -, bei Männern 80,5 Prozent im Westen, 79,7 Prozent im Osten, bei Frauen 60,3 Prozent im Westen, 73,6 Prozent im Osten. Hier kommt die große Zahl der arbeitslosen Frauen zum Ausdruck.
Jetzt fragen wir doch bitte einmal: Wie ist es mit der tatsächlichen Beschäftigung - Erwerbstätige pro tausend Einwohner, ohne Arbeitslose, nur Erwerbstätige? Im Westen - das sind jetzt die statistischen Durchschnitte von 1997 - 41,3 Prozent, im Osten 41,9 Prozent. Das heißt, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen in diesem Punkt den Westen weit überholen, wenn wir unsere Arbeitslosigkeit auch nur auf das westliche Niveau reduzieren wollen.
Dieses Problem steht vor uns. Die Frage, wie man das in einer Wirtschaft, die sich im Aufbau befindet, löst, wie man Arbeitsplätze in einer sich ständig umstrukturierenden und verändernden Wirtschaft schafft, müßte uns bei einem solchen Antrag vorrangig interessieren.
({19})
Das ist weder mit einer Bonner Zentralstelle noch mit irgend etwas anderem zu schaffen.
Nach der Struktur der Arbeitslosigkeit muß ebenfalls gefragt werden.
({20})
Weil wir eine dauernde Umschichtung der Produktionskapazitäten in Ostdeutschland erleben - zur Zeit in großem Umfange von der Bauwirtschaft in andere Bereiche -, haben wir eine hohe Mobilitätsarbeitslosigkeit. 30 Prozent der Arbeitslosen in Ostdeutschland sind weniger als drei Monate arbeitslos und dann wieder in Arbeit. Das heißt, diese 30 Prozent sind kein sozialpolitisches Problem, sondern Ausdruck einer sich schnell wandelnden Wirtschaftsstruktur. Ohne diese sich schnell wandelnde Wirtschaftsstruktur, die notwendigerweise Mobilitätsarbeitslosigkeit auslöst, sind wir überhaupt nicht in der Lage, wieder höhere Wachstumsraten zu erzeugen.
({21})
Wir haben hier also einen inneren Zusammenhang mit einem Teil der Arbeitslosigkeit. Davon ist in Ihrem Antrag mit keinem einzigen Wort die Rede.
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In Sachsen haben wir im Jahr 1997 411 Erwerbstätige pro 1000 Einwohner gehabt, in Rheinland-Pfalz zum Beispiel 358. Wir haben da natürlich auch einen gewissen Anteil des zweiten Arbeitsmarktes; er macht ungefähr 5 Prozent aus. Wenn wir diese Situation weiter verbessern wollen - das ist unser aller politischer Wille -, müssen wir die Arbeitsmarktpolitik hochgradig dezentralisieren;
({23})
Ministerpräsident Dr. Kurt Biedenkopf ({24})
denn die Bedingungen, unter denen Arbeit geschaffen werden kann, sind sogar innerhalb Sachsens regional völlig verschieden,
({25})
und die Arbeitsmärkte sind auch völlig verschieden. Deshalb, Herr Kollege Schwanitz, sind alle von Ihnen angestrebten bundesgesteuerten Maßnahmen ziemlich sinnlos.
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Die Verantwortung für die Dezentralisation können nur die Länder tragen. Mein Wunsch als Ministerpräsident eines im Osten gelegenen Bundeslandes ist, daß wir, wenn wir uns nun daranmachen, diese Probleme zu lösen, das in anderer Weise als durch Zentralisierung in Bonn machen.
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Das gleiche gilt für die Förderprogramme. Herr Kollege Schwanitz, die Ministerpräsidentenkonferenz hat 1995 den Versuch gemacht, die Förderprogramme zu vereinfachen, und hat dafür Kommissionen eingesetzt. Wir haben in Sachsen dafür Vorschläge gemacht. Diese Vorschläge waren im Kreis der Ministerpräsidenten - dies sage ich insbesondere im Blick auf die SPD-regierten Länder, aber auch auf andere westdeutsche Länder - nicht mehrheitsfähig. Die Kommission hat ihre Arbeit im Grunde genommen ohne Ergebnis einstellen müssen. Wir haben daraufhin selbst die Dinge weitgehend konzentriert.
({28})
- In Thüringen und in anderen Ländern auch.
Wir haben heute im wesentlichen noch fünf Förderbereiche. In diesen fünf Förderbereichen, die wir gebündelt haben, werden die verschiedenen Einzelprogramme zum Teil bis hin zur Individualisierung gemeinsam mit den entsprechenden Beratungen durch die Aufbaubanken und andere Institutionen angeboten. Sie empfehlen in Ihrem Antrag, auf Einzelförderung weitgehend zu verzichten. Das Ergebnis ist die Gießkanne.
({29})
Wenn Sie nicht Einzelfallförderung machen, dann können Sie nicht die schwarzen von den weißen Schafen trennen, und Sie bekommen riesige Mitnahmeeffekte.
({30})
Das heißt, wir haben gerade Methoden entwickelt, um trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten möglichst zielgenau zu handeln.
Lassen Sie mich zum Abschluß sagen, warum wir das tun müssen. Wir müssen davon ausgehen, daß die Haushalte der ostdeutschen Länder sich in den nächsten Jahren nominal nicht erhöhen werden. Wir müssen also im Grunde genommen die Ressourcenverwendung in jedem Jahr weiter optimieren. Wir müssen sie immer zielgenauer machen. Wir haben die herzliche Bitte, daß diese ungewöhnlich schwierige Aufgabe nicht zusätzlich dadurch erschwert wird, daß neue Bundesinstitutionen, Bundesprogramme, Bundeszentralen und ähnliches geschaffen werden, die alle den Bürokratieaufwand erhöhen, die Vielfältigkeit und vor allen Dingen den Wettbewerb unter den Ländern erschweren und damit einen ganz wesentlichen Impulsgeber für eine noch wirksamere Politik „Aufbau Ost" beseitigen. Das wünsche ich mir, wenn ich das sagen darf, auch von diesem Hohen Hause.
({31})
Das Wort hat jetzt der Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafontaine.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist sicherlich von Wichtigkeit, daß wir hier einen ernsthaften Dialog darüber versuchen, wie die Entwicklung in jedem einzelnen der neuen Länder zu beurteilen ist und welche Maßnahmen wir ergreifen müssen, um die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Ländern voranzubringen.
Der Beitrag von Professor Biedenkopf hat sich mit einigen Zahlen beschäftigt, die in der Sache unstreitig sind. Aber es gibt zwei wesentliche Punkte, die das Problem beschreiben. Der Kollege Schwanitz hat darauf hingewiesen. Dazu haben Sie, Herr Kollege Biedenkopf, relativ wenig gesagt. Es ist keine Polemik der Opposition, sondern eine Feststellung der Wirtschaftsinstitute, daß die Wachstumsraten im Osten lange Zeit durchaus zufriedenstellend waren, daß sie aber in den letzten beiden Jahren dramatisch zurückgegangen sind und daß eine Wachstumsrate, die niedriger als die Wachstumsrate in Westdeutschland ist, auf Dauer nicht akzeptabel ist.
({1})
Diese Feststellungen beschreiben das Kernproblem, auf das man eingehen muß.
({2})
Differenzierte Betrachtungen über den Arbeitsmarkt nützen in diesem Zusammenhang nicht.
({3})
Herr Kollege Schwanitz hat darauf hingewiesen, daß die Lohnstückkostenentwicklung sehr unbefriedigend ist, und hat das Kernproblem dadurch beschrieben, daß er den Zusammenhang mit den Wachstumsraten hergestellt hat.
Nun haben Sie, Herr Kollege Biedenkopf, gesagt, in dem Antrag sei zuwenig die Rede davon, daß die Menschen in den neuen Ländern eine große Aufbauleistung erbracht haben. Ich will Ihrem Hinweis durchaus zustimmen, daß die Menschen, die diese Aufbauleistung erbracht haben, Anerkennung verMinisterpräsident Oskar Lafontaine ({4})
dienen und daß dies immer wieder deutlich gemacht werden muß. Das ist unstreitig.
({5})
Sie haben ebenso - es ist gut, wenn ein ostdeutscher Ministerpräsident das tut - darauf hingewiesen, daß 4,5 Prozent des nominalen Sozialproduktes transferiert werden und daß dies über Jahre hinweg die Grundlage des wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebens in den neuen Ländern ist. Sie haben dafür auch anerkennende Worte gefunden.
In diesem Zusammenhang habe ich den polemischen Schlenker auf die verschuldeten Länder im Westen nicht verstanden,
({6})
weil - Geduld, meine Damen und Herren von der Koalition! - die Situation ganz anders aussähe, wenn nur die Steuerzahler der CDU-regierten Länder im Westen diese Transferleistungen zahlen würden. Auch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler der stärker verschuldeten Westländer sind an dem Aufbau Ost in großem Umfang beteiligt. Was sollen also solche törichten Unterscheidungen?
({7})
Diese Frage kann man insbesondere auf diejenigen Problemregionen im Westen beziehen, die auf Grund ihrer historischen Entwicklung in den letzten Jahren mit höheren Schulden konfrontiert waren. Herr Kollege Biedenkopf, es hat keinen Sinn, so zu argumentieren; es könnte nämlich der eine oder andere zurückfragen, warum denn solche Pro-KopfÜberweisungen nicht auch im Westen stattfinden. Mit einer solchen Betrachtungsweise tun Sie Ihren Ländern keinen Gefallen, um das hier einmal in aller Klarheit zu sagen.
({8})
Wenn Sie beispielsweise die Diskussionen in den Kernregionen an der Ruhr verfolgen, wo Städte teilweise eine weitaus höhere Arbeitslosenquote und einen niedrigeren Beschäftigungsstand als denjenigen haben, den Sie hier genannt haben, dann frage ich mich: Wem wollten Sie eigentlich einen Gefallen erweisen, als Sie darauf hingewiesen haben, daß der Stand der Beschäftigung im Osten bereits höher ist als im Westen? Wem wollten Sie als sächsischer Ministerpräsident damit eigentlich einen Gefallen tun?
({9})
Zu welchen Konsequenzen wollten Sie den einen
oder anderen veranlassen, als Sie so etwas hier vorgetragen haben? Ich würde mir an Ihrer Stelle doch
überlegen, ob es sinnvoll ist, solche Zahlen hier anzuführen;
({10})
denn Sie haben sich dort auf ein gefährliches Gleis begeben, Herr Kollege Biedenkopf, auf ein gefährliches Gleis, weil Sie darauf hingewiesen haben, daß sich die Frauen- und die Männererwerbsquoten in Ost und West über Jahre hinweg unterschiedlich entwickelt haben. Daraus darf nicht geschlossen werden, daß sich die Frauenerwerbsquote im Osten gefälligst der Frauenerwerbsquote im Westen annähern muß. Dieser Fehlschluß liegt aber Ihren Ausführungen zugrunde.
({11})
Ihre Analyse ist richtig, aber die von Ihnen mehr oder weniger intendierte Schlußfolgerung muß ja nun wirklich hinterfragt werden.
Wenn wir schon über das Zusammenwachsen von Ost und West sprechen, dann brauchen wir etwas Verständnis füreinander.
({12})
Es ist nun einmal eine Tatsache, daß auf Grund der besonderen Geschichte die Frauen im Osten in weitaus größerem Umfang der Erwerbsarbeit nachgegangen sind als im Westen.
({13})
Daraus können wir doch nur den Schluß ziehen, daß wir versuchen müssen, die Erwerbsarbeit auch der Frauen im Westen zu steigern; denn auch im Westen wollen die Frauen einen Zugang zum Erwerbsleben. Es kann doch nicht der Schluß gezogen werden, im Osten müßte jetzt die Frauenerwerbsquote zurückgeführt werden.
({14})
Nachdem wir darüber gesprochen haben, daß die Menschen natürlich und mit Recht auf ihre Leistungen stolz sein können, müssen wir uns gleichwohl der Frage zuwenden, warum es soviel Enttäuschung im Osten gibt.
({15})
Davon war in Ihrem Beitrag, Herr Kollege Biedenkopf, nicht die Rede. Warum gibt es so viele junge Menschen, die enttäuscht sind? Warum gibt es so viele Arbeitslose und auch Arbeitende, die enttäuscht sind? Bei allem berechtigten Stolz auf Leistungen, die man nennen kann
({16})
- beruhigen Sie sich doch! -, möchte ich hier in aller
Klarheit sagen: Arbeitslose Jugendliche und Langzeitarbeitslose können mit diesen Betrachtungen
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({17})
nichts anfangen, weil sie mit der Frage konfrontiert sind, wie es mit ihnen selber weitergeht und was sie selber tun können, um ihre Lebenssituation zu verbessern.
({18})
Nun unterstelle ich Ihnen nicht, daß Sie das bei Ihrer durchaus auch von der Motivation her verständlichen Darstellung der Situation im Osten ausblenden wollten, aber als Antwort auf den Beitrag des Kollegen Schwanitz war das in der Sache nicht gerechtfertigt,
({19})
denn er hatte folgende drei Ansätze:
Erstens. Die Wachstumsraten sind deutlich hinter denen im Westen zurückgeblieben. Das kann so nicht weitergehen.
Zweitens. Die Entwicklung der Lohnstückkosten ist äußerst unbefriedigend. Wir könnten lange darüber reden, welchen Anteil Sie daran haben, daß das so ist.
Drittens. Wir haben viel zu viele Arbeitslose und junge Menschen, die für sich selber keine Chance und keine Perspektive sehen.
Mit diesen Fragen sind wir nun einmal konfrontiert. Dazu bedarf es sachlicher Antworten. Die Antwort, die hier der Kollege Schwanitz zu geben versucht hat, war nicht die, daß wir nun eine Zentralstelle einrichten müßten. Im übrigen waren ja die Zwischenrufe berechtigt, die danach fragten, was für eine Rolle Herr Geil bei dem spielte, was Sie hier vorgetragen haben. Das müßten Sie dann neu definieren, Herr Kollege Biedenkopf. Ich habe das zumindest Ihren Ausführungen nicht entnehmen können.
({20})
Herr Kollege Schwanitz wollte hier vortragen, daß man die Wirtschaftsförderung im Osten auf die gewerbliche Produktion konzentrieren muß. Das wollen wir herüberbringen. Es ist viel zu lange über Steuersubventionen gesprochen worden; da haben Sie, Herr Gerhardt, gar keinen Grund, hier zu protestieren.
({21})
- Sie haben das gemacht.
Wir haben Luxuswohnungen, Büroflächen und Gewerbeflächen mit Hilfe von Steuersubventionen entstehen lassen, die sich als eklatante Fehlinvestitionen in den neuen Ländern herausstellten. Das ist doch nicht mehr zu bestreiten.
({22})
Wer dann die Forderung erhebt, daß wir die Fördermittel auf die gewerbliche Produktion konzentrieren
müssen, redet nicht einem Zentralismus das Wort,
sondern geht schlicht und einfach von der Erkenntnis aus, daß sich die Wachstumsraten im Osten denen im Westen erst dann wieder annähern werden, wenn dort eine ähnliche gewerbliche Produktion aufgebaut sein wird wie im Westen. Anders ist das, auch auf Dauer und mit hohen Transferleistungen, nicht zu machen. Deshalb werden wir diesen Ansatz in den Vordergrund unserer Politik stellen. Hier sehen wir eine Möglichkeit, die Entwicklung der Lohnstückkosten in den Griff zu bekommen.
Frau Kollegin Matthäus-Maier, Sie haben eine Frage.
Das muß allerdings erst die Präsidentin genehmigen. - Bitte schön, Frau Kollegin.
Die Erwähnung von Herrn Geil hat uns dazu gebracht, einmal nachzuschauen, ob er hier ist. Er ist nicht anwesend. Hat man Sie, Herr Ministerpräsident, möglicherweise darüber aufgeklärt, warum Herr Geil bei dieser wichtigen Debatte nicht zugegen ist?
Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({0}): Frau Kollegin, ich habe keine Erkenntnisse darüber, warum er nicht anwesend ist. Es wird sicherlich noch eine Erklärung dazu geben, warum er nicht da ist. Warten wir sie einmal ab. Ich kann Ihnen die Frage nicht beantworten.
Ich möchte noch etwas zur Wachstumsentwicklung und zur Lohnstückkostenentwicklung sagen. Ich habe zur Kenntnis genommen, daß sich der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU zu Wort gemeldet hat. Er wird nachher wieder seine bekannten Thesen vortragen. Ich möchte dem vorgreifen.
Herr Kollege Schäuble, da Sie nachher wieder auf die Währungsunion zu sprechen kommen - wie ich Sie kenne, werden Sie das tun - und in diesem Zusammenhang sagen werden, wer im Bundesrat hinsichtlich ihrer Einführung Bedenken hatte, will ich schon jetzt ein Zitat von Ihnen bringen. Ich tue das ganz besonders im Hinblick auf die Menschen im Osten. In Ihrem Buch „Der Vertrag" schrieben Sie - ich glaube, es ist die Seite 98; diese Seitenangabe muß aber nicht stimmen -, daß es Tietmeyer, de Maizière und Ihnen klar war, daß die Ostwirtschaft unmittelbar nach Einführung der D-Mark zum Kurse von eins zu eins konkurrenzunfähig sein würde.
({1})
Da Sie so etwas geschrieben haben, Herr Kollege Schäuble, und im nachhinein noch glauben, irgend jemandem Vorwürfe machen zu können, sage ich Ihnen: Was Sie damals gemacht haben, war zynisch und verantwortungslos.
({2})
Ihre Partei hat diese Maßnahme des Jahres 1990- das können Sie ja in Ihrem Buch nachlesen Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({3})
zu verantworten. Sie haben aber noch einen draufgesetzt und geschrieben: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Sie haben damit den Menschen im Osten suggeriert, es könne sehr schnell das Niveau der Westlöhne erreicht werden. Sie sollten einmal die entsprechenden Plakate Ihres Wahlkampfes in Berlin herausholen und nicht die dämlichen Plakate aufhängen, die Sie jetzt in die Welt gesetzt haben und über die ganz Deutschland lacht. Ziehen Sie die zurück! Holen Sie die anderen wieder heraus: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!
({4})
Auf Grund dieser beiden Sachverhalte - auf der einen Seite haben Sie zynischerweise die Konkurrenzunfähigkeit in Kauf genommen, und auf dieses Problem haben Sie heute immer noch keine vernünftige Antwort; auf der anderen Seite haben Sie Lohnerwartungen geweckt, die im Grunde genommen nicht gerechtfertigt waren - haben Sie kaum eine Basis, vernünftig zu argumentieren.
Wir müssen versuchen, die Folgen dieser Fehlentscheidungen, die sich über Jahre aufgebaut haben, dadurch in den Griff zu bekommen, daß wir jetzt alle Mittel auf die gewerbliche Produktion konzentrieren. Es gibt überhaupt keinen anderen Weg. Die Abschreibungsmodelle und Abschreibungsobjekte waren teilweise richtig. Sie sind aber viel zu lange aufrechterhalten worden, Herr Kollege Rexrodt. Man hätte früher auf die gewerbliche Produktion umschalten müssen.
({5})
Im Hinblick auf die Entwicklung im Osten füge ich noch hinzu: Es war gerechtfertigt, daß Herr Schwanitz angemerkt hat - auch dazu gab es kein Wort von Ihnen -, bei diesen gewaltigen Steuersubventionen und direkten Zuschüssen wäre es richtig gewesen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Osten am Produktivvermögen zu beteiligen.
({6})
Angesichts der Tatsache, daß man teilweise Milliardenbeträge für die Schaffung von Arbeitsplätzen zugeschossen hat, muß ich fragen: Was war eigentlich das Argument, nicht auch die Arbeitnehmer an den dadurch aufgebauten Betriebsvermögen zu beteiligen? Bis zum heutigen Tag ist kein vernünftiges Argument vorgetragen worden. Diese Maßnahme wäre doch ein richtiges Gegengewicht gewesen. Nachdem sich schon auf Grund der Entwicklung mit der Rückgabe vor Entschädigung und auf Grund vieler anderer Entwicklungen die Menschen teilweise ungerecht behandelt gefühlt haben, hätte doch hier eine Möglichkeit bestanden, einen wirklichen Neuanfang zu machen.
Wir werden diesen Neuanfang machen. Ich unterstreiche das. Wir werden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schrittweise am Produktivvermögen beteiligen, weil es auf Dauer nicht gerechtfertigt ist, daß mit hohen Steuergeldern Vermögen einer investierenden Minderheit aufgebaut werden, die die
Früchte dessen aber nur ernten kann, wenn es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt, die mit ihrer Arbeit zu dem wirtschaftlichen Erfolg beitragen. Das ist die Begründung für die Beteiligung am Produktivvermögen.
({7})
Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Wolfgang Schäuble.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident Lafontaine, damit das gleich abgehandelt ist: Was die Beteiligung von Arbeitnehmern am Produktivvermögen betrifft, sollten Sie Ihr Wort nicht so sehr hier im Bundestag machen, zumal es so, wie Sie es sagen, nicht ganz zutreffend ist. Die Sache ist nämlich gerade im Vermittlungsausschuß anhängig, weil das vom Bundestag verabschiedete Gesetz bisher nicht die notwendige Zustimmung der von Ihnen geführten Mehrheit im Bundesrat gefunden hat. Also sorgen Sie dafür, daß das Gesetz nicht blockiert wird; dann sind wir einen Schritt weiter.
({0})
Herr Ministerpräsident Lafontaine, Sie haben sich offenbar ein bißchen darüber geärgert, daß Ministerpräsident Biedenkopf die Gesamtverschuldung eines neuen Bundeslandes mit der eines alten Bundeslandes verglichen hat. Natürlich sind die absoluten Zahlen nie ganz vergleichbar. Trotzdem finde ich, daß es gut war - und ich bin dem Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen dankbar dafür -,
({1})
daß er in dieser schwierigen Debatte über die Situation der Menschen in den neuen Bundesländern gesprochen hat, wo wir viele Erfolge haben, auf die die Menschen in ganz Deutschland stolz sein können, und wo wir zugleich viele Probleme haben, für die sich die Menschen in ganz Deutschland verantwortlich fühlen sollten. Beides ist doch richtig. Deshalb darf man nicht nur davon reden, was alles schlecht ist, was an Problemen noch nicht gelöst ist und was den Menschen noch fehlt. Die Menschen dort müssen viel mehr an Veränderungen aushalten, als sich die meisten in Westdeutschland vorstellen können.
({2})
Die Frage ist doch, wie das in der Zukunft besser zu bewältigen ist. Wenn wir ein wenig Luft holen und durchatmen, müssen wir doch alle sagen: Das, was Kurt Biedenkopf gesagt hat, ist unbestreitbar richtig. Wahrscheinlich denken das auch viele Sozialdemokraten. Der Stolz auf die erreichten Erfolge ist
die beste Motivation, um die vorhandenen Probleme weiter gut zu lösen.
({3})
Deswegen muß man differenzieren. Wenn wir die Probleme weiter gut lösen wollen, müssen wir auch über einen großen Unterschied zwischen dem Konzept der Opposition und dem Konzept der Koalition reden: Wir setzen auf Dezentralisierung, Sie setzen auf Zentralisierung.
({4})
- Können Sie einmal aufstehen, damit man einmal sieht, wer bei dieser Art von Ausführungen solche Zwischenrufe macht? - Wenn Sie sich zu Ihren Zwischenrufen nicht bekennen wollen, lassen Sie es bleiben.
({5})
Ich versuche nur zu erklären: Wenn wir in einem föderalen Staat die Verantwortung der Bundesländer ausschalten, werden wir die Probleme nicht gut lösen. Natürlich gibt es strukturelle Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. Mecklenburg-Vorpommern hat eine andere Struktur als Brandenburg und als Sachsen oder Sachsen-Anhalt, so, wie Baden-Württemberg eine andere Struktur hat als Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein. Aber wenn nicht in jedem der Bundesländer entsprechend der Struktur und im Sinne von föderaler Verantwortung und Subsidiarität die Verantwortung wahrgenommen wird, löst man die Probleme nicht. Das ist einer der grundsätzlichen Unterschiede zwischen Ihren und unseren Konzepten. Mit zentralen Lösungsansätzen werden Sie Deutschland nicht voranbringen, im Osten nicht und im Westen nicht.
({6})
Auch das andere ist doch wahr, und es hat gar keinen Sinn, daß wir die Menschen darüber hinwegtäuschen. Kurt Biedenkopf - ich habe ihn nicht so verstanden, und niemand, der gutwillig zugehört hat, konnte ihn so verstehen - wollte doch nicht sagen, daß es am Arbeitsmarkt keine Probleme gibt oder daß die Frauen an den Problemen schuld sind. Es tut mir leid, meine Damen und Herren, wir sollten nicht auf diesem Niveau diskutieren.
({7})
Aber der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen hat gesagt - das entspricht meiner Meinung, und deswegen wiederhole ich es -: Wir hatten in der ehemaligen DDR eine viel höhere Erwerbsquote als in Westdeutschland - aus welchen Gründen, sei dahingestellt. Nun hat sich die Ordnung der ehemaligen DDR als wirtschaftlich, politisch, sozial und auch ökologisch nicht wettbewerbs- und leistungsfähig erwiesen.
({8})
Deswegen haben die Menschen in ihrer überwiegenden Mehrheit eine friedliche Revolution gemacht.
Nun hat aber jedes Ding seine zwei Seiten. In dem
Moment, wo die Ordnung des zentralistischen, bürokratischen Staatssozialismus von den Menschen als gescheitert erkannt und abgeschafft war, mußte man sich unter die Bedingungen einer Wettbewerbswirtschaft begeben: freier Welthandel, Europäische Union und offene Märkte - mit all den gewaltigen strukturellen Veränderungen.
Das hat viele Vorteile. Bis zum Fall der Mauer haben die Menschen, wenn sie nicht Westbeziehungen oder D-Mark hatten, in der ehemaligen DDR bis zu 15 Jahre warten müssen, bis sie einen Trabant geliefert bekommen haben. Mit der Einführung der Währungsunion mußte die Produktion des Trabant eingestellt werden, weil ihn niemand mehr gekauft hat. Das ist die Realität, das sind die strukturellen Veränderungen.
({9})
Denken Sie doch darüber nach! Wenn wir die Menschen bei der Überwindung der Folgen von Teilung und Sozialismus den richtigen Weg führen wollen, müssen wir die Probleme richtig benennen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit des strukturellen Wandels, den Kurt Biedenkopf beschrieben hat.
Ich glaube nach wie vor - und nun ist es auch wahr -: In einer Wettbewerbswirtschaft mit den gewaltigen Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt, die wir ja - Herr Lafontaine, auch das ist wahr, darüber brauchen wir nicht zu streiten - nicht nur in den neuen Bundesländern haben, sondern auch in den alten Bundesländern, teilweise unterschiedlich, aber insgesamt mit zu hoher Arbeitslosigkeit und gewaltigen strukturellen Veränderungen, in einer solchen Situation ist es natürlich als Problembeschreibung der Erwähnung wert, zu sagen: Eine viel höhere Erwerbsquote, wie man sie in den Zeiten des bürokratischen, zentralistischen Staatssozialismus hatte, ist unter den veränderten Bedingungen von sozialer Marktwirtschaft noch eine ganz andere Herausforderung. Deswegen, wer das Problem und das richtige Verhältnis von Erfolg und noch vorhandenem Problem beschreiben will, muß so differenzieren, wie es Kurt Biedenkopf getan hat.
({10})
Ich wollte hier eigentlich nicht mehr die alten Schlachten von 1990 schlagen. Nur, Herr Lafontaine, Sie haben es noch immer nicht verstanden. Sie zitieren auch mein Buch nicht korrekt.
({11})
- Aber das können wir außerhalb des Raumes klären. Ich habe es im Moment nicht da; ich kann mein Buch von 1991 wirklich nicht dauernd mit mir herumtragen. Aber ich weiß schon, was Sache war. Also lassen Sie uns einfach in der Sache argumentieren! Wir haben beide genügend im Kopf, so daß wir nicht Papier brauchen.
Die Frage, um die es bei der Währungsunion doch ging, war doch letzten Endes nicht die Frage des Umtauschkurses. Das ist doch falsch! Sie erhalten diesen Irrtum immer noch aufrecht. Die Frage des Umtauschkurses war doch eine Frage, wie Schulden und
Guthaben umgestellt werden. Aber was die Fließgrößen anbetrifft, Löhne, Renten, Preise in einer einheitlichen Währungsunion, war doch die Frage des Wechelkurses zwischen Mark der DDR und D-Mark völlig irrelevant. Und in der Frage der Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft in der ehemaligen DDR - übrigens nicht nur in der ehemaligen DDR, sondern von der Elbe bis Wladiwostok, überall im Bereich des ehemaligen Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, wie er hieß - gilt doch, daß hat es nach Wegfall von sozialistischer Bewirtschaftung, nach Öffnung der Grenzen, nach Herstellung freier Konvertibilität der Währung und nach offenen Märkten keine wettbewerbsfähigen industriellen Arbeitsplätze gegeben hat. Das ist der Punkt, und das ist der Grund für den großen strukturellen Wandel.
({12}) Herr Ministerpräsident Lafontaine, - ({13})
- Mit den Vertretern der SED, die unter neuem Namen hier sitzen, mag ich darüber nicht diskutieren.
({14})
- Das Landgericht Hamburg hat den entsprechenden Antrag gegen den Bundesfinanzminister gerade heute zurückgewiesen. Das kann man bei dieser Gelegenheit dann auch gleich sagen.
({15})
Doch zur Sache zurück: Es geht mir darum, daß die Menschen das begreifen. Die Menschen wollten - um im Bild des Trabant zu bleiben - nicht mehr 13 bis 15 Jahre warten, bis sie einen Bezugsschein für einen Trabant bekommen, sondern sie wollten alles, was es für Geld auf dieser Erde zu kaufen gibt - mit der dann notwendigen Knappheitsfolge -, kaufen. Unter anderem deswegen haben sie die friedliche Wende gemacht. Nicht nur deswegen: Sie wollten Freiheit, und Einheit wollten sie auch.
Mit dem Strukturwandel sind immer auch Probleme verbunden. Es hat doch keinen Sinn, darüber hinwegzutäuschen. Wer das tut, wird keines der Probleme lösen. Sie wollten Anschluß an die Leistungsfähigkeit einer dynamischen, wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft. Das bringt überall da, wo bis 1989/90 der totalitäre Sozialismus regiert hat, gewaltige strukturelle Verwerfungen mit sich. Die sind heute in den neuen Ländern schon besser bewältigt als sonst irgendwo, wo bis 1989 der totalitäre Sozialismus regiert hat.
({16})
Die Folge, daß mit der Einführung einer frei konvertierbaren Währung und mit der Öffnung der Märkte nicht wettbewerbsfähige Arbeitsplätze in der Industrie wegfallen würden, haben wir gekannt. Dieses Problem war aber nicht durch den Umtauschkurs von Mark der DDR in D-Mark begründet.
({17})
- Ich habe es nicht geschrieben. - Darüber sollten Sie, Herr Lafontaine, bei aller Enttäuschung, 1990 nicht recht gehabt zu haben, nicht auch noch im Jahre 1998 hinwegtäuschen. Sie zeigen sich sonst unfähig, die Probleme der Jahre 1998, 1999 und 2000 zu lösen.
Ich komme zum nächsten Punkt. Ich will nicht die alten Schlachten schlagen, möchte aber anmerken: In dieser Situation war es doch unbestreitbar und unbezweifelbar richtig - ich glaube, es war in diesem Hause sogar weitgehend unbestritten -, zunächst einmal die Bauwirtschaft anzukurbeln, und zwar sowohl den Hoch- als auch den Tiefbau.
Übrigens ist das gar nicht so menschenunfreundlich. Wenn Sie Wohnungen aus der Zeit der DDR kennen und wissen, wie die Wohnungslage heute ist, Herr Lafontaine, dann sollten Sie nicht von Luxuswohnungen reden.
({18})
Vielmehr sollten Sie davon reden, daß es unserem Verständnis von Menschenwürde entspricht, daß sich der Wohnstandard der Menschen in den neuen Ländern dem im Westen einigermaßen angenähert hat. Das ist eine Politik für die Menschen und eine Politik im Sinne sozialer Gerechtigkeit. Ich würde das nicht diffamieren und sagen, das seien Luxuswohnungen. Was für ein zynisches Bild haben Sie denn?
({19})
Auch Herr Stolpe ist hier. Vielleicht sagt er noch etwas dazu, ob die Menschen heute noch so wohnen wollen, wie sie es bis 1989 überwiegend tun mußten, oder ob es nicht schön und gut ist, daß sich die Wohnsituation für die Menschen in den neuen Ländern trotz aller Probleme, die heute bestehen, enorm verbessert hat.
({20})
Zugleich haben wir die Infrastruktur verbessert. Es gibt viele neue Straßen. Wer sich erinnert, wie es 1989/90 in den neuen Ländern ausgesehen hat, und weiß, wie es dort heute aussieht, der wird dem zustimmen. Der, der nur alle paar Monate dort ist und sich nicht jede Woche oder sogar tagtäglich dort aufhält, nimmt die Veränderungen doch viel stärker wahr, sieht doch viel eher, welche gewaltigen Aufbauleistungen im Bereich von Straße, Schiene und nicht zuletzt beim Telefonnetz erbracht worden sind.
({21})
Ich habe kürzlich auf unserem Bundesparteitag gesagt - Sie von der PDS werden das gut verstehen -:
In der DDR ist bis 1989 mehr abgehört als telefoniert worden.
({22})
Heute haben wir in Deutschland das modernste Telefonnetz der Welt.
Nun ist der Nachholbedarf an Wohnungen, Büroflächen, Einkaufszentren und anderer Infrastruktur weitgehend gedeckt.
({23})
Deswegen kann die Bauwirtschaft nicht mehr den Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung haben, den sie in den ersten Jahren nach 1990 richtigerweise gehabt hat, haben mußte. Deshalb muß der Anteil zurückgefahren werden.
Herr Ministerpräsident Lafontaine, deswegen ist die Antwort von Herrn Biedenkopf richtig gewesen und Ihr Einwand falsch. Wir haben - das ist wahr, das ist beklagenswert; das sind die Umschichtungen, von denen Kurt Biedenkopf schon Anfang der 90er Jahre gesprochen hat - gesagt: Es wird Auf und Abs geben. Die Baukonjunktur, die die gesamtwirtschaftliche Entwicklung getragen hat, läuft aus. Jetzt haben wir eine starke Zunahme im verarbeitenden Gewerbe. Die Exporte sind - wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe; wenn es die falsche Zahl ist, korrigiert Paul Krüger sie nachher - im letzten Jahr um 26 Prozent gestiegen - natürlich auf niedrigem Niveau. Aber das ist doch gut. Vor ein paar Jahren haben wir noch einen zu geringen Anteil an Exporten beklagt. Die Forschungsinvestitionen steigen. Im verarbeitenden Gewerbe haben wir zweistellige Wachstumsraten. Insgesamt ist der starke Rückgang der Bauwirtschaft Ursache dafür, daß wir im letzten Jahr gesamtwirtschaftlich eine geringere Wachstumsrate hatten als im Westen. Darüber freuen wir uns nicht. Aber wer die Ursachen nicht richtig erkennt, ist zur Lösung der Probleme unter gar keinen Umständen fähig.
({24})
Deswegen sage ich: Wir sind auf dem richtigen Weg.
Es ist nicht wahr, Herr Ministerpräsident Lafontaine, wovon Sie hinsichtlich der Lohnstückkosten in Ostdeutschland gesprochen haben. Die Lohnstückkosten im verarbeitenden Gewerbe haben sich - das habe ich mir gerade noch angeschaut - in bezug auf Westdeutschland - Westdeutschland als Bezugswert mit 100 genommen - von 190 im Jahre 1990 auf 111 im Jahre 1997 verringert. Jahr für Jahr - ziemlich stark im vergangenen Jahr - haben sich die Lohnstückkosten im Osten denen in Westdeutschland angenähert. Wir sind mit der Angleichung der Lohnstückkosten, also mit der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in den neuen Ländern, auf dem richtigen Weg. Wir müssen diesen Weg konsequent fortsetzen.
Deshalb ist es albern, so wie eben eine Konzentration der Wirtschaftsförderungsmaßnahmen zu fordern, um dann auf den Zwischenruf des Kollegen
Gerhard zu sagen: Ach ja, das haben wir gemacht, aber wir fordern es trotzdem!
({25})
Es ist gemacht; es ist auch die richtige Entscheidung. Wir haben auch die im Vergleich zu Westdeutschland doppelt so hohen Investitionszulagen bis zum Jahr 2004 festgeschrieben.
Herr Lafontaine, wenn man Ihnen unvoreingenommen zugehört hat, hat man nicht - ({26}) - Ich habe es versucht.
({27})
Wenn man Ihnen unvoreingenommen zuzuhören versucht hat und wenn man Ihrem niedersächsischen Kollegen zuhört, erkennt man folgendes: Kurt Biedenkopf hat davon gesprochen, daß wir - und das ist eine beachtliche Leistung - jährliche Transferleistungen in einer Größenordnung von viereinhalb Prozent des Bruttoinlandsproduktes haben. Diese Leistungen hat diese Koalition, hat diese Bundesregierung seit 1990 auch den Menschen in Westdeutschland gegenüber politisch verantwortet. Sie hingegen waren in Ihren Plädoyers nicht immer sehr stringent. Herr Schröder zum Beispiel hat im Osten „Zu wenig! " und im Westen „Keine Mark niedersächsischer Steuerzahler für den Aufbau in den neuen Bundesländern! " gesagt.
({28})
- Das ist wahr! - Daß Sie sich, Herr Lafontaine, heute an dieses Pult stellen und sagen, die neuen Bundesländer seien schuld an der Verschuldung des Saarlands, das schlägt dem Faß wirklich den Boden aus!
({29})
Ich sagen Ihnen: Die Menschen in den neuen Bundesländern - ({30})
- Frau Präsidentin, wir können ja einmal eine kleine Auszeit machen. Ich weiß: Die Wahrheit tut weh.
({31})
Ich sage Ihnen - in aller Ruhe - noch einmal:
({32})
- Sie werden mich nicht daran hindern, das zu sagen, was ich vorhabe und was man den Menschen in den neuen Bundesländern sagen muß, weil wir nur dann vorankommen, wenn wir die Probleme richtig beDr. Wolfgang Schäuble
schreiben. Wir haben bei der Überwindung der Folgen von Teilung und Sozialismus eine Menge erreicht. Wir sind auf dem richtigen Weg. Die Menschen können auf das, was sie geleistet haben, stolz sein. Wir sind nicht am Ende der Probleme; wir müssen noch eine Menge tun.
Wir werden die Probleme aber nur lösen können, wenn die Länder ihre Eigenverantwortung stärker wahrnehmen. Deswegen ist es Gift, wenn den Menschen in Landtagswahlkämpfen wie zuletzt in Sachsen-Anhalt eingeredet wird, an allem und jedem sei immer nur Bonn schuld. So werden die Probleme nicht gelöst. Jeder muß seinen Teil dazu beitragen, sonst kommen wir nicht voran!
({33})
Wenn Sachsen-Anhalt im Vergleich zu den Jahren davor und auch im Vergleich zu Thüringen, Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern schlechtere Ergebnisse hat, dann muß man danach fragen, was in Sachsen-Anhalt falsch gemacht wird. Ich sage Ihnen: In der Zusammenarbeit mit der Partei des zentralistischen Staatsbürokratismus sind die Probleme unseres Landes nicht im Sinne zukunftsgerichteter Lösungen zu meistern.
({34})
Wir werden eine gute Zukunft nur durch die Stärkung der sozialen Marktwirtschaft und durch Solidarität der Menschen in Deutschland meistern, nicht durch ein Gegeneinanderaufhetzen und durch eine Fortsetzung der alten Politik von Teilung und Spaltung, sondern durch ein Miteinander in gemeinsamer Verantwortung, aber auch in der Freude über das Erreichte, im Stolz auf das Geschaffene und in der Hoffnung, daß die vorhandenen Probleme gelöst werden. Wir werden die Zukunft meistern in einem Deutschland, an dessen Einheit wir festgehalten haben und das wir gegen Ihren Widerstand zur Einheit gebracht haben.
Herzlichen Dank.
({35})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Schulz, Bündnis 90/ Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Professor Kurt Biedenkopf, ich höre Ihren intelligenten, sachlichen Reden immer wieder gerne zu, denn sie sind interessant. Aber, Herr Schäuble, wie schlecht mag es der Union wohl gehen, wenn sie heute auf die Hilfe von Kurt Biedenkopf angewiesen ist, der auf dem CDU-Parteitag des Jahres 1989 für seine innovativen Gedanken abgemeiert worden ist und der nun auf dem Parteitag, da es offensichtlich nur noch um die reine Machtfrage geht, die Größe hatte, Helmut Kohl demonstrativ unter die Arme zu greifen?
({0})
Herr Professor Kurt Biedenkopf, die Menschen in Ostdeutschland sind natürlich lernfähig. Sie haben in den letzten Jahren vieles gelernt. Es hat sich vieles geändert. Dazu, Wolfgang Schäuble, gehört übrigens auch, daß die PDS nicht mehr die SED ist.
({1})
- Jawohl, ich sage Ihnen das. Ich kann das besser beurteilen als Sie. Darauf können Sie sich verlassen. Ich bin wahrlich kein Freund der PDS.
({2})
Aber man muß schon ein bißchen differenzierter an das Thema herangehen.
Ich begreife bloß eines nicht, Herr Professor Kurt Biedenkopf. Sie sind in diesen acht Jahren, in denen wir die Debatte über die deutsche Einheit führen, so oft als Torpedo nach Bonn gestartet und von Helmut Kohl als Flaschenpost nach Dresden zurückgeschickt worden: Wann lernen Sie etwas dazu?
({3})
Wann lernen Sie, daß Ihre Gedanken hier nicht ankommen?
Natürlich haben Sie 1992 recht gehabt, als Sie meinten, daß das ein langer Prozeß sein wird, daß es eine Generation braucht. Das wird Ihnen und übrigens auch Oskar Lafontaine jetzt im Bericht zur deutschen Einheit der Bundesregierung bestätigt. Es ist ein langer Prozeß, und wir werden noch viele Jahre brauchen, bis die Lebensverhältnisse angeglichen sind. - Sie nicken zustimmend. Sie haben es damals gesagt; aber das wurde nicht beachtet. Hätte man das beachtet, hätte es eine andere Politik gegeben.
Was die Transferleistungen anlangt, sind wir natürlich dankbar, und ich in erster Linie. Ich kann gut beurteilen, was durch das Aufbringen von Finanzmitteln im Westen alles im Osten gemacht werden konnte. Aber diese Transferleistungen sind ambivalent. Es gab soziale Transferleistungen, die gesellschaftlich aufgebracht wurden und die von West nach Ost gegangen sind, und es gab einen erstaunlichen Vermögenstransfer mit privater Aneignung, der von Ost nach West gegangen ist.
({4})
Das schafft Frust und verschafft den Leuten, die wir hier unter „Ostalgysi" verbuchen können, Oberwasser. Auch das muß man sehen.
Stichwort Fehlsteuerungen. Warum haben Sie als ostdeutscher Ministerpräsident angesichts der Kapitalverschwendung bei den Bürobauten, die Sie hier als positiv bezeichnet haben, nicht aufgeschrien? Schauen Sie sich doch an, was für einen Überbestand, welch nutzlose Investierung von Kapital es im Umfeld von Leipzig gibt. Das hat diese BundesregieWerner Schulz ({5})
rung seit Jahr und Tag mitgetragen. Dort sind Komplexe, dort ist ein Nirwana aufgebaut worden, das überhaupt niemand braucht.
Schauen wir uns die Arbeitsmarktpolitik an. Ich glaube nicht, daß das nur eine Frage von Dezentralität oder Zentralität ist. Ich kenne Ihre These. Sie sagen: Es kann doch nicht sein, daß man im Norden Leipzigs Schweißer sucht und im Süden Leipzigs welche arbeitslos gemeldet sind. Doch so einfach sind die Probleme nicht, obwohl uns diese Bundesregierung das immer eingeredet hat. Sie hat gesagt: Wir schaffen die private Arbeitsplatzvermittlung; das darf nicht in der Bundesanstalt für Arbeit zentralisiert sein. Nun haben wir sie, aber wo hat sich das ausgewirkt? Das ist doch kein Verteilungsproblem. Diese Arbeitslosigkeit ist ein Beschaffungsproblem, ein Investitionsproblem.
({6})
90 Prozent Beschäftigung im Osten. Wir wissen, diese rückgestaute Arbeitslosigkeit in den großen Kombinaten war nicht immer produktive Arbeit. Auch das waren Beschäftigungen. Das ist richtig. Das ist das eine Problem. Das treffen Sie korrekt. Hinsichtlich der Frauen muß ich Ihnen aber widersprechen. Die hohe Erwerbsneigung der ostdeutschen Frauen ist nicht das Problem. Das Problem ist die hohe Qualifikation. Was machen wir denn mit diesem hochqualifizierten Humankapital, das wir haben? Das ist doch eine Frage, die diese Gesellschaft beantworten muß. Im Grunde genommen verschwenden wir hierbei leider unsere Ressourcen.
Ich meine, daß man beim Aufbau Ost einiges und vieles besser machen kann. Ihr Kollege Späth, der ja ein positives Beispiel für den Aufbau Ost gegeben hat - er hat gezeigt, wie es geht, wenn man die richtigen Beziehungsstrukturen beherrscht und die entsprechenden Subventionen bekommt; das ist wohl nicht jedem so gelungen wie dem Kollegen Späth bei Jenoptik -, hat das Handeln der Bundesregierung im Rahmen des Aufbaus Ost immer als Lamettaprogramm bezeichnet. Ganz so enorm viel scheint es ja dann doch nicht gewesen zu sein.
Ich meine, daß es richtig ist, den Aufbau Ost zur Chefsache zu machen. Es wäre natürlich auch sinnvoll, wenn der Chef sagt, was Sache ist. Da besteht, so glaube ich, noch etwas Nachholbedarf.
({7})
- Ich meine den zukünftigen Chef. - Mit dem Vorschlag, ein für den Aufbau Ost zuständiges Ministerium einzurichten, hat man den richtigen Punkt getroffen. Denn ich finde, das ist von Anfang an ein Problem gewesen. Helmut Kohl hat geglaubt - da sind wir bei der Biedenkopfschen Feststellung -, daß der Aufbau Ost viel schneller erfolgen könne, und hat das innerdeutsche Ministerium ohne Not aufgelöst, das im Grunde genommen über das Know-how verfügte. Man hätte dieses Ministerium eher umbilden müssen. Man hätte den Sonderbeauftragten, zunächst in der Person Ludewig und dann in der Person Rudi Geil - wo immer er sich jetzt befindet und was
immer er vom Aufbau Ost versteht -, viel früher mit höherer Kompetenz im Kabinett unterbringen müssen. Dieser Fehler ist von Anfang an gemacht worden.
Wenn wir von den neuen Bundesländern sprechen, dann sollten wir auch davon sprechen, daß es wirklich die modernsten Bundesländer werden. Das betrifft nicht nur die Infrastruktur. Natürlich ist hier einiges geschehen. Wir haben mittlerweile im Osten das modernste Telekommunikationsnetz. Wir haben aber auch einen verpatzten Strukturwandel. Über den müssen wir sprechen. Den Begriff der Deindustrialisierung hat sich doch nicht die Opposition ausgedacht. Das ist doch geschehen. Hier sind doch Industriestrukturen zusammengebrochen. Wir haben doch überhaupt keine großen Betriebe mehr im Osten. Wir haben nur noch kleine und mittelständische Betriebe. Das Problem ist: Wir haben überwiegend Filialbetriebe und Zweigbetriebe. Wir haben kaum Niederlassungen von großen Unternehmen, die notwendig wären, um im Osten ein entsprechendes unternehmerisches Bewußtsein zu schaffen, von dem Sie sprechen. Wir sind doch mühsam dabei, das aufzubauen.
Wir haben eine Vernachlässigung von innovativen Bereichen, der Forschung. Das hat der Kollege Schwanitz hier schon in vernünftiger Weise angesprochen.
Nicht nur die Lohnstückkosten sind das Problem. Die Bundesregierung verweist darauf, daß die Bruttolöhne gestiegen sind. Jawohl, sie sind gestiegen; bloß die Nettolöhne nicht. Das ist doch das, was den Menschen Sorge macht. Woran liegt das? Das liegt daran, daß Reformen verweigert und nicht durchgeführt worden sind. Nicht nur der Aufbau Ost ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Auch die Reformen in diesem Land sind eine gemeinschaftliche, gesellschaftspolitische Aufgabe. Es ist kein Zufall, daß das Wort des Jahres, „Reformstau", gerade in der Ara Kohl geboren wurde und entsprechend ausgewiesen worden ist.
Ich meine also, wir brauchen ein Reformprogramm. Helmut Kohl hat jetzt - man höre und staune - ein 100-Tage-Programm vorgelegt. Er scheint wirklich noch auf der Höhe der Zeit zu sein. Ich nehme an, er hat noch für die letzten 100 Tage, die er im Amt ist, ein Programm aufgelegt.
({8})
Herr Schäuble, Sie versuchen hier immer wieder zu polarisieren. Über die PDS können wir uns gerne auseinandersetzen. Ich bin einer der schärfsten Kritiker der PDS. Aber das, was Sie momentan tun, nützt der PDS. Das wollen Sie offensichtlich.
({9})
Werner Schulz ({10})
Denn Sie wissen ganz genau: Jede Stimme für die PDS ist eine Stimme für Helmut Kohl.
({11})
Ich sage Ihnen: Weder die PDS noch die CDU/CSU können den Menschen im Osten im Moment etwas Vernünftiges geben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wolfgang Gerhardt, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß wir untereinander nicht streitig darüber sein müssen, welche Aufbauleistung die Menschen vollbracht haben, wie sie sich dem Strukturwandel gestellt haben und welche Herausforderung es für sie persönlich, für ihre Familien und Kinder war, all diese Veränderungen zu bewältigen.
Wir streiten hier darüber, ob wir - West wie Ost - uns über die tatsächliche Ausgangslage klarwerden. Ich will meinen Beitrag mit der Feststellung beginnen: Wir sind zu allen Anstrengungen für den Aufbau Ost bereit.
Nicht mehr ertragen kann ich - eine Partei wie die PDS spiegelt das den Menschen vor -, daß wir uns nicht mehr im klaren darüber sind, wie die wirtschaftliche Lage damals wirklich war. Jeder aus diesem Hause kann die Protokolle des ZK der SED nachlesen.
Nach dem Herausdrängen von Herrn Honecker und dem Abhalftern von Herrn Mittag mußte der Abteilungsleiter nämlich die tatsächliche wirtschaftliche Lage vortragen. Das will ich jetzt zitieren, weil ich es leid bin, daß hier der Eindruck erweckt wird, die Treuhand hätte die Betriebe der DDR ruiniert. Die Marktwirtschaft hat nur aufgedeckt, wie vorher die wirkliche Lage war.
({0})
Das kann jedermann nachlesen. Das sind Wortprotokolle, die man jedem in Deutschland zur Pflichtlektüre machen müßte. Da heißt es:
Die Feststellung, daß wir über ein funktionierendes System der Leitung und Planung verfügen, hält einer strengen Prüfung nicht stand. Die Verschuldung im nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet ist seit 1971 auf eine Höhe gestiegen, die die Zahlungsfähigkeit der DDR in Frage stellt. In bestimmten Bereichen der Volkswirtschaft sind die Ausrüstungen so verschlissen, woraus sich ein überhöhter und ökonomisch uneffektiver Instandhaltungs- und Reparaturbedarf ergibt.
({1})
Infolge der Konzentration der Mittel auf den
Wohnungsneubau wurden dringende Reparaturmaßnahmen nicht durchgeführt. In solchen Städten wie Leipzig und insbesondere in Mittelstädten wie Görlitz und anderen gibt es Tausende von Wohnungen, die nicht mehr bewohnbar sind.
({2})
Die DDR hat ab 1989 eine Schuldendienstrate von 150 Prozent. Die Lage in der Zahlungsbilanz wird sich 1990 weiter verschärfen.
- ZK der SED. In den folgenden Jahren müssen höhere Exportüberschüsse erreicht werden. Allein das Stoppen der Verschuldung würde im Jahr 1990 eine Senkung des Lebensstandards um 25 bis 30 Prozent erfordern und die DDR unregierbar machen.
Wir wehren uns dagegen, daß die Profiteure der Nachfolgeorganisation heute zu solchen strategischen Positionen wie in Sachsen-Anhalt kommen.
({3})
Damals hat man in dem System auch Vorschläge dazu gemacht, was hätte getan werden müssen, um die Lage zu bewältigen: Abbau der Subventionen für Waren und Dienstleistungen des Grundbedarfs, Erhöhung der Preise und Tarife für Kinderbekleidung, Kinderschuhe und Spielwaren um 90 Prozent, Erhöhung der Elektroenergie- und Gaspreise um 120 Prozent, der Preise für feste Brennstoffe um 200 Prozent sowie der Preise für Trinkwasser um 300 Prozent.
Da treten Sie hier auf und erzählen Märchen über die tatsächliche Lage dieses sozialistischen Wirtschaftssystems und bezeichnen die als kühle Wirtschaftler, die etwas ändern wollen. Ich bin absolut dagegen, daß die diffamiert werden, die die Probleme lösen wollen, und die geschont werden, die die Probleme geschaffen haben.
({4})
Ich sage das deshalb, weil wir uns hier nichts vormachen dürfen, weil die Wahrheit ist, daß dort Menschen um den Ertrag ihrer Lebensleistung durch ein System betrogen worden sind, das nicht funktionieren konnte, und weil die Menschen heute wissen müssen, daß der Aufbau mühselig ist und daß wir - wie der sächsische Ministerpräsident gesagt hat - auch in Zukunft Rückschläge erleiden werden. Ich stimme ihm auch darin zu, daß das eine Generation dauern wird, im übrigen nicht nur, was den wirtschaftlichen Aufbau angeht, sondern auch, was die mentale Aufnahmebereitschaft der Wirklichkeit auf dieser Welt angeht.
Die Erscheinungsform der DVU kommt doch nicht von irgendwoher; vielmehr zeigt dies, daß politische Erfahrung, politische Bildung und die Fähigkeit im Umgang mit Veränderungen noch nicht ausreichen, um vor solchen Schatten deutscher Geschichte gefeit zu sein. Dazu gehört auch, daß man sich ein waches Bewußtsein beim Aufbau gegen Extreme jeder Art bewahrt.
Das Land wird - um es am Beispiel Sachsen-Anhalt deutlich zu machen - mit dieser Konstellation einen längeren Weg brauchen. Es wird teurer werden, und
es wird die Geduld mancher Menschen strapazieren, weil sie nicht mehr bereit sind, einen Weg nach rückwärts zu finanzieren. Die Deutschen wollen, was die weltweiten Herausforderungen angeht, vorwärtskommen.
({5})
Deshalb sage ich zum Aufbau Ost auch ein klares Wort an unseren geschätzten früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker: Es kann nicht die Lösung sein, eine Partei, die sich extrem gebärdet, aus Gründen demokratischer Erziehung in die Verantwortung einzubeziehen. Es muß der Auftrag an die demokratischen Parteien sein, den Wählern solcher Parteien eine Brücke zu echten demokratischen Parteien zu bauen, damit solchen Parteien die Grundlage entzogen wird.
({6})
Das Experiment einer strategischen Regierungsbeteiligung für die PDS unter Inkaufnahme einer längeren Dauer und größerer Kosten für den Aufbau kann nicht die Lösung für die neuen Länder sein.
Es gibt wenige ganz notwendige Aufgaben, die die Koalition im übrigen in ihrem Programm Aufbau Ost mit Zustimmung der SPD beschlossen hat: wirkliche Konzentration auf das verarbeitende Gewerbe, verläßliche Finanzierung in den nächsten Jahren, Konzentration auf produktionsnahe Dienstleistungen, Förderung der Bereitschaft zur Selbständigkeit. Nur wenn es diese Bereitschaft gibt, werden Programme überhaupt greifen können. Es nutzt nichts, noch eine weitere Million DM in ein Programm einzustellen, wenn die Bereitschaft, Risiken einzugehen und sich selbständig zu machen, geringer wird.
Deshalb ist das Konzept, das Sie, Herr Schwanhold, vorgetragen haben und das die Grundlage für Ihre zukünftige Regierungsarbeit - wenn Sie die Mehrheit bekommen sollten - darstellt, so falsch. Sie vernichten auf der einen Seite mit Ihren politischen Vorstellungen die Bereitschaft zur Selbständigkeit in Deutschland, hindern Menschen eher daran, Risiken einzugehen, setzen auf einen dauernd regulierenden Interventionsstaat und erwarten auf der anderen Seite, daß es Persönlichkeiten gibt, die dann die Programme tragen sollen, die Sie auflegen wollen. Dazu sage ich nein.
Sie dürfen nicht darauf bauen, daß der Aufbau Ost allein mit Förderprogrammen gelingt. Der Aufbau Ost wird nur dann gelingen, wenn wir eine Bereitschaft zur Veränderung in den Köpfen aller Deutschen erreichen. Man sollte sich nicht länger den tatsächlichen Gegebenheiten verschließen und sollte couragiert Reformen angehen.
Im Grunde genommen haben wir damals die Chancen verpaßt und die Lage falsch eingeschätzt, als wir die Wiedervereinigung als Geschenk der Geschichte für unsere politischen Anstrengungen erreicht haben. Vielleicht haben wir damals geglaubt, daß sich sehr viel für 17 Millionen Deutsche in den neuen Ländern ändern werde. Ich muß demgegenüber sagen: Es hat sich für uns alle sehr viel geändert - auch für die Einwohner in der alten Bundesrepublik
Deutschland mit ihren Biographien. Wir haben uns stark verschätzt in bezug auf die Dauer, die wir für die Umwandlung einer geschlossenen in eine offene Gesellschaft brauchen. Ich meine das nicht nur wirtschaftlich und finanziell, sondern vor allem auch hinsichtlich der Haltungen, die die Menschen einnehmen.
Nein, meine Damen und Herren, wir wissen sehr genau: Die neuen Länder brauchen unsere Solidarität - in finanzieller, aber auch in menschlicher und emotionaler Hinsicht. Die neuen Länder werden im übrigen auch dann noch Mittel brauchen, wenn der Solidaritätszuschlag schon längst abgeschafft worden sein wird.
({7})
Diesem Märchen, daß das ein Standbein der Finanzierung der deutschen Einheit sei, sollte entgegengetreten werden.
Der Aufbau Ost wird weitergehen. Er wird nur dann Erfolg haben, wenn die Wirtschaft wächst, wenn Arbeitsplätze geschaffen werden können, wenn die Demokratie stabiler gemacht wird. Er wird keinen Erfolg haben, wenn man Menschen etwas vormacht, wenn man die Vergangenheit schönt, wenn man nostalgisch schwärmt. Der Aufbau Ost geht nicht voran, wenn man nach rückwärts schaut; er geht nur dann voran, wenn man nach vorne schaut. Deshalb sage ich Ihnen, Herr Schwanhold: Solche Programme wie diejenigen, die Sie vorgeschlagen haben, unterliegen öffentlich durchzuführenden Glaubwürdigkeitstesten.
({8})
Der Aufbau Ost wird mit Konstellationen, wie sie jetzt in Sachsen-Anhalt eingeführt worden sind, nicht gelingen.
({9})
Das ist kontraproduktiv - nicht nur im geistigen Sinne. Dadurch wird nämlich ein Prozeß verzögert, dessen Tempo wir eher beschleunigen müssen.
Herr Schwanhold hat in dieser Debatte meiner Partei vorhin vorgeworfen, wir hätten uns mit Wendehälsen umgeben. Ich will dazu folgende abschließende Bemerkung machen: Wir haben in unserer Partei viele, die nach der Vereinigung ausgeschieden sind, die wohl auch die frühere LDPD als ein Stück Dach angesehen haben, ohne daß sie gleich ein breites inhaltliches Bekenntnis zu liberalen Positionen ablegen wollten. Wir haben viele Freunde und Kollegen in der Fraktion, deren persönliche Biographien Sie nachprüfen können, die ein anständiges Leben geführt haben und sich fair verhalten haben. Sie haben sich dagegen gewehrt, vereinnahmt zu werden. Sie haben bei uns ihre Chance bekommen, und sie sollen sie auch wahrnehmen können. Zu ihnen halte ich. Von Ihnen akzeptiere ich solche Vorwürfe nicht, die Sie sich von den Nachfolgern derer, die das System dort begründet haben, einen Ministerpräsidenten haben ins Amt hieven lassen.
({10})
Das Wort hat die Abgeordnete Dr. Dagmar Enkelmann, PDS.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir - gerade nach der Rede des Kollegen Gerhardt - eine Vorbemerkung. Ich habe ein bißchen gehofft, daß wir angesichts der gravierenden Probleme im Osten den Wahlkampf heute ein bißchen herauslassen können,
({0})
daß wir uns verständigen über Konzepte, über Ideen, über Alternativen, über Lösungen des Problems. Das ist nicht geglückt. Ich denke, viele Bürgerinnen und Bürger, die uns heute zusehen oder zuhören, werden enttäuscht sein. Wieder geht es nicht um sie, wieder geht es nur um Parteien, geht es um politische Macht.
({1})
Meine Damen und Herren, es ist wohl allerhöchste Zeit, Bilanz zu ziehen: Was haben acht Jahre deutsche Einheit gebracht? Wir verkennen dabei nicht - das will ich an den Beginn meiner Rede stellen -, daß diese Bilanz durchaus Seiten des Erfolges aufweist. Kollege Schäuble, heute muß man auf den Trabi in der Tat nicht mehr 15 Jahre warten - der Trabi wird nämlich nicht mehr produziert.
({2})
Zu den Erfolgen, die auch wir durchaus sehen: Ausbau einer modernen Infrastruktur und Telekommunikation, Sanierung und Modernisierung der Bausubstanz, Anschluß an technisches und wissenschaftliches Weltniveau in vielen Bereichen, aber auch - auch das gestehen wir zu - eine deutliche Erweiterung demokratischer Beteiligungsrechte, zum Beispiel im Planungsverfahren, die Ermöglichung von Widerspruchsrechten gegen staatliche Entscheidungen, die Verfassungsgerichtsbarkeit, Presse- und Reisefreiheit und vieles andere mehr.
Aber gerade in der Politik sollte man eben nicht nur seine Erfolge feiern. Wer Probleme und Mißstände aus den Augen verliert, bei dem bewahrheitet sich allzu schnell: Hochmut kommt vor dem Fall.
({3})
Den freien Fall werden Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, am 27. September erleben.
Wenn eine Bilanz über acht Jahre deutsche Einheit aufgemacht wird, dann wird auch gefragt: Was ist geblieben von den großartigen Versprechungen von „blühenden Landschaften" und „keinem wird es schlechtergehen"? Dann wird auch gefragt: Was ist aus den Hoffnungen, Wünschen, Erwartungen der Menschen vor allem im Osten geworden? Wo ist die große Euphorie über die Einführung der D-Mark oder die offenen Grenzen geblieben? Heute muß der Bundeskanzler seine Jubelchöre in Leipzig organisieren; 1989/90 kamen die Menschen noch freiwillig.
({4}) Was ist geblieben von den großen Idealen des Wendeherbstes, der eben nicht vordergründig die Wiedervereinigung forderte, sondern Demokratie, Freiheit der Presse, Reisefreiheit, tätige Mitgestaltung bei gesellschaftlichen Entscheidungen?
Ich gestehe: Für mich ist das heute auch ein Stück persönlicher Bilanz. Ich bin gerade in der Wendezeit politisch aktiv geworden, als sich um mich herum viele zurückgezogen und abgewartet haben, was denn da wohl passieren werde. Ich habe allzu viele Leute erlebt, die vor der Wende politische Verantwortung getragen haben und plötzlich mit all dem nichts mehr zu tun haben wollten. Ich selbst habe die Wende als Aufbruch begriffen, als große Chance, verkrustete Strukturen zu beseitigen, einen demokratischen Neubeginn zu wagen, als Möglichkeit, Gesellschaft zu verändern und zu gestalten.
Auch in meiner persönlichen Bilanz ist davon vieles auf der Strecke geblieben - eine Enttäuschung, die mit mir viele teilen.
({5})
- Ich bin Mitglied der PDS, und das werde ich auch bleiben. Die SED hatte mehr als zwei Millionen Mitglieder. Viele von ihnen sind inzwischen in den Reihen der CDU oder der F.D.P. gelandet. Über sie redet heute hier keiner.
({6})
Ich stehe wenigstens ehrlich zu meiner Vergangenheit, und damit kann ich gut umgehen.
({7})
Bis heute steht von seiten der Bundesregierung eine ehrliche, offene und kritische Analyse der Entwicklung im Osten seit 1990 aus. Die Politik dieser Bundesregierung hat hier versagt. Sie hat in eine Sackgasse geführt. All das, was Sie in dieser Debatte heute als Erfolg des „Kanzlers der Einheit" feiern wollen, gerät in den Hintergrund angesichts unzähliger zerstörter Lebensentwürfe, fehlender Zukunftschancen von auch immer mehr junger Menschen, Langzeit- und Massenarbeitslosigkeit, einer zunehmenden Zahl von Unternehmenskonkursen, wachsender Armut und Obdachlosigkeit.
Als Fazit bleibt, daß es nicht gelungen ist, im Osten einen sich selbst tragenden wirtschaftlichen Aufbau zu organisieren. Sie haben im Osten versagt.
({8})
Nun stellen Sie sich zum x-tenmal hierher und rechnen vor, welche finanzielle Belastung die Wiedervereinigung für Sie war und ist. Spüren Sie eigentlich nicht, wie Sie genau damit die Bürgerinnen und Bürger im Osten demütigen, sie als Alimentenempfänger abstempeln und ihnen dafür auch noch ewige Dankbarkeit abverlangen?
Abgesehen davon sind Ihre Berechnungen schlichtweg falsch: Nach eigenen Angaben hat Sie die Einheit bisher über 1 Billion DM gekostet. In dieser Zahl sind aber sowohl die Steuern, die inzwischen
in Ostdeutschland selbst entrichtet wurden, als auch die sogenannte Buschzulage, die Finanzierung der Bundeswehr im Osten, die Kosten für den Regierungsumzug, aber ebenso Leistungen an Bürgerinnen und Bürger wie Kindergeld und anderes enthalten, auf die im Westen ebenso Anspruch besteht. Nach Berechnung der Deutschen Bundesbank liegen die realen jährlichen Zahlungen bei zirka 50 Milliarden DM. Auch das ist noch eine bedeutende Summe, aber sie ist wenigstens sauber errechnet.
({9})
Es bleibt aber völlig ausgeblendet, welche Werte durch Eigentumswechsel, Privatisierung und Rückübertragung von Ost nach West gewandert sind. Im übrigen hat die SPD damals, Herr Ministerpräsident Lafontaine, für das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung gestimmt. Insofern trägt sie dafür ein Stück Verantwortung mit.
({10})
- Das ist korrekt. Das ist das Ergebnis der letzten Sitzungen der Volkskammer.
Ebensowenig gegengerechnet werden die Millionen von öffentlichen Fördergeldern, die direkt oder indirekt in westdeutsche Unternehmen geflossen sind.
({11})
Das Kapitel der vereinigungsbedingten Wirtschaftskriminalität und der Verschwendung öffentlicher Mittel bleibt völlig ausgeblendet. Legen Sie endlich ehrliche Bilanzen vor!
({12})
- Das scheint Sie sehr zu treffen.
Meine Damen und Herren, auch die PDS geht davon aus, daß öffentliche Transfermittel über einen längeren Zeitraum fließen müssen, um eine sich selbst tragende Entwicklung zu fördern. Damit ist eine gewaltige Chance verbunden, die bislang nicht gesehen, geschweige denn genutzt wurde. Viele Probleme des Ostens sind de facto keine typischen Ostprobleme. Strukturumbrüche, Zerfall alter wirtschaftlicher Einheiten, gesellschaftlicher Wandel, Globalisierung wirken sich nicht nur im Osten aus. Aber ein Neuanfang dort als wirkliche wirtschaftliche und ökologische Alternative mit Blick auf das 21. Jahrhundert hätte Modellcharakter für die gesamte Bundesrepublik und für die westlichen Industrieländer haben können. Diese Chance wurde von Ihnen bislang nicht genutzt.
Statt dessen wurde im Osten mit Deregulierung, ungehemmter Privatisierung, Entdemokratisierung - ich denke nur an die Beschleunigungsgesetze - und Sozialabbau nur vorweggenommen, was Monate später im Westen nachvollzogen wurde: der Osten als soziales Versuchskaninchen für den Westen.
({13})
Die deutsche Einheit haben im Westen nicht wenige erst in dem Moment gespürt, als es ihnen ans Portemonnaie ging. Dann wurde der Osten von dieser Bundesregierung zum Sündenbock erklärt. Genau damit aber wurden die Mauern, die 1989 eingerissen wurden, in den Köpfen wieder aufgebaut. Und da werfen Sie uns Spaltung vor!
({14})
Die Entwicklung der letzten Jahre hat schmerzhaft gezeigt, daß Sie die Probleme im Osten mit Ihren Konzepten nicht lösen können. Nein, es geht um eine Wende hin zu einer neuen sozial gerechten, ökologisch orientierten Politik. Ein grundsätzlicher Wandel in der Wirtschaftspolitik ist notwendig, der die großen Potenzen des Ostens freisetzt und entwickelt. Die neuen Bundesländer haben hochqualifizierte, motivierte und engagierte Menschen - ein Kapital, das nach wie vor weitgehend brachliegt. Die Erfahrungen, die an runden Tischen, in sozialen Selbsthilfegruppen und in regionalen Netzwerken gesammelt wurden, müssen bewußt genutzt werden. Für ein Modellprojekt Ost ist eine tatsächliche Reform der Arbeitsförderung, die diesen Namen auch verdient, notwendig. Die alten Rezepte helfen offenkundig nicht mehr.
Mit großer Sorge wird im Osten beobachtet, daß sich hier so gut wie gar nichts tut. Auf einem öffentlichen Forum in Bernau mit Frau Ministerin Hildebrandt hat der Bernauer Bürgermeister, Herr Handke ({15}), erklärt, daß es den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern in Vorbereitung der Bundestagswahl kaum noch vermittelbar ist, daß es die in Bonn etablierten Parteien mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ernst meinen.
({16})
Alle demokratischen Parteien hätten Programme und Konzepte zur Verringerung der Arbeitslosigkeit aufgestellt und würden jetzt mit diesen Konzepten durchs Land ziehen.
Das Ergebnis der Politik hier in Bonn aber sei eine gegenseitige Blockade der Parteien, die letzten Endes niemandem helfe. Solange es keine parteiübergreifende Initiative im Deutschen Bundestag zur Bekämpfung der wachsenden Arbeitslosigkeit gebe, würden die Wähler im Osten ihre Interessen in Bonn nicht vertreten sehen. Darin sieht er - Bürgermeister Handke ({17}) - „eine wesentliche Ursache für Wahlmüdigkeit und Politikverdrossenheit" in Deutschland. Ich denke, Bürgermeister Handke wird auch mit dieser Debatte heute sehr unzufrieden sein; denn nach demselben Schema läuft sie ab.
({18})
Wir brauchen eine Förderung von Beschäftigung statt weiterer Verwaltung von Arbeitslosigkeit. Eine Lösung könnte ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor sein. Der Vorschlag wird seit längerem nicht nur von der PDS ausgearbeitet. Bestehende BeDr. Dagmar Enkelmann
schäftigungsgesellschaften im Osten zeigen, wie es geht. Auf eine sichere finanzielle Grundlage gestellt, könnten sie ein interessanter Ansatz für eine beschäftigungspolitische Offensive sein.
Dringend müßte die Wirtschaftsförderung reformiert werden. Es geht hier nicht um das Gießkannenprinzip. Wesentlich stärker sollte sie an Beschäftigungseffekten orientiert werden und insbesondere kleine und mittlere Unternehmen in den Regionen fördern. Die Vergabe öffentlicher Aufträge an regionale Firmen sollte erleichtert werden. Der Marktzugang für ostdeutsche Produkte sollte gesichert werden.
Die PDS schlägt vor, einen Stabilitätsfonds für Unternehmen einzurichten, um deren Unterkapitalisierung - eines der größten Probleme des Mittelstands im Osten überhaupt - auszugleichen und sie vor drohenden Konkursen zu bewahren. Die Finanzkraft der Kommunen müßte drastisch gestärkt werden: durch Wiedereinführung der Investitionspauschale, durch eine rasche Entscheidung bei der Vermögenszuordnung und eine stärkere Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer.
Wir brauchen besondere Programme zur Investitionsförderung in benachteiligten Regionen, einer Art Sonderwirtschaftszonen mit speziellen steuerlichen Regelungen und Anreizen, vereinfachten behördlichen Genehmigungen und günstigen Rahmenbedingungen für den Kauf von Grund und Boden sowie zeitlich befristeten Lohnkostenzuschlägen.
Obligatorisch müßte jetzt eigentlich die Frage kommen: Und wer soll das alles bezahlen? Anders als Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, wollen wir keine weiteren Sparprogramme bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, bei Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, bei Leistungen der Krankenkassen und bei Asylbewerberinnen und Asylbewerbern.
({19})
Wir fordern die Wiedereinführung der Vermögensteuer - immerhin, 9 Milliarden DM sind dafür zu holen -, eine Erbschaftsteuerreform -15 Milliarden DM -,
({20})
eine befristete Abgabe auf große Geld- und Grundvermögen und eine Wertschöpfungsabgabe. Unsere Vorschlagsliste ist noch viel länger.
Die Vorschläge der PDS liegen seit langem auf dem Tisch. Von einer ernsthaften Prüfung kann keine Rede sein. Wieder ziehen Sie in den Wahlkampf mit dem Versprechen eines baldigen wirtschaftlichen Aufschwungs; der Markt oder der Euro würden es schon richten, die Durststrecke sei bald vorbei. Aber immer mehr Menschen verlieren den Glauben an Sie. Die Wahlergebnisse von Sachsen-Anhalt dokumentieren einen massiven Verlust des Vertrauens in die Politik der Bundesregierung.
({21})
Im übrigen, Kollege Gerhardt, die DVU ist kein Schatten deutscher Geschichte. Rechtsradikalismus existiert hier und heute und hat seine Ursachen in dieser Gesellschaft. Über diese Ursachen müssen wir reden.
({22})
Die Probleme im Osten sind von Ihnen nie wirklich wahrgenommen worden. Da wundern Sie sich über Erfolge der PDS? Undank, Nostalgie, Dummheit - so beschimpfen Sie unsere Wählerinnen und Wähler. Nein, meine Damen und Herren, die PDS wird so lange für Sie ein Phänomen bleiben, solange Sie sie durch die Brille parteipolitischer Dogmen der alten Bundesrepublik betrachten.
({23})
Die PDS ist weder eine kriminelle Vereinigung noch eine linksextremistische Organisation, noch, Herr Stolpe, undemokratisch. Übrigens, Herr Ministerpräsident Stolpe, in der letzten Legislaturperiode im Brandenburger Landtag haben Sie durchaus erfolgreich auch mit der PDS zusammengearbeitet. Der Brandenburger Weg war fast sprichwörtlich wie das Magdeburger Modell. Aber absolute Mehrheiten können ein bißchen zur Arroganz verführen.
({24})
Davor, denke ich, müßte man sich hüten. Aber ich kann Ihnen versprechen: Nach der nächsten Landtagswahl wird sich das ändern.
({25})
Die Erfolge der PDS liegen in erster Linie darin begründet, daß sie die Probleme der Menschen kennt, sie in die politischen Entscheidungsprozesse einbringt und realistische Lösungen anbietet, und das eben nicht nur in Wahlkampfzeiten. Genau das wird honoriert. Deswegen wird die PDS gewählt, auch im September. Die PDS wird gewählt, weil sie eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit fordert, ohne pauschale Aburteilung, ohne existentielle Nöte, mit der Chance eines Neubeginns, ohne sich verbiegen zu müssen.
Ich möchte gerne ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen der Koalition richten. Sie tun mir ein bißchen leid, Kollege Junghanns, Kollege Wonneberger und all die Kollegen, die dort sitzen, die in der ehemaligen DDR - auch ohne Mitglied der SED zu sein - alle eine beachtliche Karriere gemacht haben. Sie haben Doktortitel, Ingenieurdiplom usw. Das kann man im Handbuch nachlesen; alles liegt vor. Es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die verantwortlich waren, zum Beispiel für die Wehrerziehung an Schulen. All das war kein Widerstand. Sie müssen jetzt Ihre Biographien umstricken und in eine Widerstandsbiographie umschreiben. Wie kann man damit leben? Sie tun mir echt leid.
({26})
Da ich nicht wieder kandidiere und dies meine letzte Rede ist, gestatten Sie mir am Schluß einige Worte des Dankes. Dazu haben wir weiß Gott in diesem Plenum ansonsten wenig Gelegenheit.
Ich möchte mich zunächst bei meinen Kindern Dana, Janko und Diane bedanken, die sehr viel VerDr. Dagmar Enkelmann
ständnis für meine Arbeit hier in Bonn hatten. Ich bedanke mich bei meinen Eltern und der Familie Vrana, die mich so unterstützt haben, daß ich überhaupt in Bonn bleiben konnte. Ich bedanke mich bei meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Bonn und im Wahlkreisbüro Bernau, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundestagsgruppe sowie der Bundestagsverwaltung, die keine Unterschiede gemacht haben, ob wir PDS-Abgeordnete oder CDU-Abgeordnete sind.
({27})
Ich bedanke mich auch bei den Stenographen sowie bei den Kolleginnen und Kollegen des Parlamentsdienstes, bei allen, die mir die Arbeit hier erleichtert haben.
Ein letztes Wort an meine Gruppe: Liebe Leute, ihr habt es mir ja manchmal nicht leichtgemacht. Daß ich trotzdem ein bißchen traurig bin, hängt auch mit euch zusammen. Ihr habt mir geholfen, über die politische Kälte, die wir so oft erlebt haben, ein wenig hinwegzukommen und Wärme zu erleben. Ich wünsche mir sehr, daß dies bleibt: daß die Wärme in der PDS bleibt und daß die PDS im Bundestag bleibt.
({28})
Frau Kollegin Dr. Enkelmann, dies war Ihre letzte Rede im Bundestag. Ich wünsche Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg viel Glück und alles Gute.
({0})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst mit dem Argument auseinandersetzen, daß sich die wirtschaftliche Entwicklung im Osten von der wirtschaftlichen Entwicklung im Westen abgekoppelt habe. Sie, Herr Schwanitz, haben das heute mittag eingebracht und zu begründen versucht. In der Tat sprechen einige wichtige Zahlen für Sie. Wir hatten 1997 im Westen 2,2 Prozent Wachstum, im Osten nur 1,6 Prozent. Wir haben im Westen die Wende am Arbeitsmarkt erreicht, während 1997 die Arbeitslosigkeit im Osten noch einmal zugenommen hat.
Diese Aussagen stimmen; aber, meine Damen und Herren, sie stimmen eben nur auf den ersten Blick. Als wir vor vier Jahren - ich sage das auch, weil Sie das eingeführt haben - hervorragende statistische Werte aufzuweisen hatten, haben Sie sich in den Debatten mit dem befaßt, was tatsächlich oder mutmaßlich im Hintergrund steht. So wie Sie damals die Statistik negiert haben, möchte ich heute darum bitten, daß Sie ein Stück hinter die Zahlen des Jahres 1997 schauen und sich ansehen, welche Weichenstellungen und welche tatsächlichen Entwicklungen es gegeben hat.
Ich komme dann zu dem Ergebnis, daß vieles so eingefädelt und eingerichtet worden ist, daß ich bei allen Problemen, die noch vor uns liegen, davon ausgehen kann, daß wir auch in der Statistik, die allein ja nicht befriedigt, in absehbarer Zeit wieder Wachstumsraten und eine Entwicklung der Arbeitsmarktzahlen haben werden, die an das anknüpfen, was wir im Westen haben, und noch besser sein werden. Ich sage das trotz aller Berechtigung der Aussage, daß der Anpassungsprozeß in den neuen Ländern noch lange - noch 10, vielleicht auch noch 15 Jahre - dauern wird.
Meine Damen und Herren, wenn ich auf das gesamtwirtschaftliche Wachstum abstelle, dann muß ich aber auch im Auge behalten, daß das verarbeitende Gewerbe in Ostdeutschland und die Industrie im letzten Jahr um 10 Prozent zugelegt haben, daß die Auftragseingänge um 12 Prozent gestiegen sind, daß die Exportsteigerungen in der Nähe von 30 Prozent liegen und daß dahinter Investitionen stehen, die höher sind, als sie in den besten Zeiten des Wirtschaftswunders in der alten Bundesrepublik waren. Dann muß ich auch sehen, daß es eine glatte Verdoppelung der Produktivität gab und daß sich dies auch für die Menschen vor Ort auszahlt. Die Einkommen der Beschäftigten in den neuen Ländern - was sind das überhaupt für Zahlen, Herr Schulz, die Sie da genannt haben? - sind von 47 Prozent des Westniveaus - es handelt sich also durchaus um eine vergleichbare Basis - auf 74 Prozent des Westniveaus im Jahre 1997 gestiegen. Das sind doch reale Verbesserungen!
Ich habe mich nie daran beteiligt, die Dinge schönzureden. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Ich habe überhaupt keine Probleme damit, die Schwierigkeiten anzusprechen. Im Gegenteil: Wir müssen sie ansprechen. Wir müssen sagen, daß die Produktivität und die Lohnentwicklung in den neuen Ländern weit auseinander liegen, daß die Lohnstückkosten noch immer 23 Prozent höher sind als die im Westen und daß es auch beim Managementwissen noch enorme Mängel gibt. Darüber hinaus gibt es Absatzschwierigkeiten.
Richtig ist auch, daß der Kapitalstock im Osten noch immer zu gering ist. Diese Probleme wollen wir nicht kleinreden. Im Gegenteil: Sie müssen Ansporn sein, uns dazu zu bringen, noch mehr zu tun. Diese Probleme dürfen nicht benutzt werden, um im Wahlkampf als billige Argumente zu dienen.
Die Erfolge liegen auf der Hand. Die Umstrukturierung ist in vollem Gange. Strukturveränderungen bringen Probleme mit sich. Kombinate, die früher Zigtausende von Leuten beschäftigten, beschäftigen heute nur noch wenige hundert Menschen. Diese Kombinate sind auf einen Kern zusammengeschmolzen. Es ist schon gesagt worden, warum: weil diese Kombinate in einer offenen Weltwirtschaft nicht wettbewerbsfähig waren. Es gab gar keinen anderen Weg. Wie hätte man diese Kombinate denn erhalten können? Das war völlig unmöglich. Niemand hat sie kaufen wollen; niemand hat sie in den alten Strukturen neu aufbauen wollen.
Das ist für die Menschen, die ihre Arbeitsplätze verloren haben, bitter; aber diese Arbeitsplätze waBundesminister Dr. Günter Rexrodt
ren eben nur unter Comecon-Bedingungen und nicht auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig.
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- Wenn ich nach vorne schaue, dann muß ich auch sehen, daß es gar nicht selbstverständlich war, daß in den neuen Ländern, im Osten unseres Landes, eine leistungsfähige Chemieindustrie und auch andere Teile der Großindustrie erhalten werden konnten. Wenn ich nach vorne schaue, dann muß ich auch sehen, daß es gar nicht selbstverständlich war, daß es in den neuen Ländern weiterhin eine Eisen- und Stahlindustrie gibt, daß die riesigen Werften saniert wurden und daß der Maschinenbau wiederbelebt wurde. Das sind greifbare Erfolge, die niemand wegdiskutieren kann. Das muß man doch sehen!
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Auf die Verbesserung der Infrastruktur ist schon hingewiesen worden. Sie ist so wichtig und einschneidend, daß ich sie noch einmal erwähnen muß, ohne die bereits genannten Gedanken zu wiederholen. Vorhin kam von den Bündnisgrünen ein kritischer Unterton, es fehle an großbetrieblichen Strukturen. Sollten wir nicht stolz darauf und froh darüber sein, daß es insgesamt 520 000 Selbständige gibt, kleine und mittlere Unternehmen, die 3,2 Millionen Beschäftigte haben - mehr als die Hälfte der Beschäftigten in den neuen Ländern? Diese Infrastruktur ist aus dem Nichts heraus entstanden. Das sind doch Erfolge, die sich sehen lassen!
Ich bleibe aber dabei: Wir haben noch viel zu tun. Man fragt nach den Konzepten und mißt unsere Konzepte an dem, was von Ihnen an Konzepten vorgelegt wird. Wir sind uns einig: Wir wollen eine Verbesserung der Situation auf dem Arbeitsmarkt, wir wollen die Arbeitslosigkeit zurückführen. Herr Schwanitz, Sie haben von Ihrem Programm gesprochen. In seinen allgemeinen Aussagen stimmt es in vielen Punkten mit unseren Positionen überein: leistungsfähige Strukturen schaffen, den Mittelstand stärken und vieles andere mehr. Das ist alles okay.
Ich möchte auf die „Zentralstelle Zukunft Ost" im Kanzleramt zu sprechen kommen. Es ist schon von Herrn Biedenkopf die Frage gestellt worden: Was wollen Sie mit solchen zentralen Einrichtungen? Man kann die Förderpolitik koordinieren. Zur Zeit macht das Herr Geil. Er macht das richtig.
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- Daß er vorhin nicht da war, Frau Matthäus-Maier, hängt damit zusammen, daß heute im Zentralbankrat eine Diskussion über die Situation in den neuen Bundesländern stattfand. An dieser Diskussion hat er teilgenommen. Anschließend hat er das Problem gehabt, zurückzukommen, weil es auf der Autobahn einen Stau gab. Nun ist er hier. Er hat nichts anderes getan, als seine Koordinierungsaufgabe wahrzunehmen.
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Sie sprechen von Exportförderung, ich glaube, in Form einer eigenen Auslandsbörse. Damit kehren wir zu Strukturen zurück, die wir gerade überwunden haben. Wir wollen Exportförderung für die neuen Länder betreiben; aber wir diskriminieren im Ausland ja geradezu die Betriebe aus den neuen Ländern, wenn sie wieder in besonderer Weise gefördert werden und dadurch separiert und als Unternehmen mit einem besonderen Hintergrund in Erscheinung treten. Das hatte ja in den Jahren 1992 und 1993 gerade dazu geführt, daß die Aufträge aus den Ländern Ost- und Mitteleuropas ausblieben. Es kommt darauf an, ostdeutsche Unternehmen so zu organisieren und so auftreten zu lassen wie westdeutsche. Wir müssen die Unterschiede beseitigen.
Sie schreiben dann etwas von staatlichen Ausschreibungsagenturen für die neuen Länder. Staatliche Ausschreibungsagenturen helfen nicht weiter. Man kann die Förderung besser anders anlegen. Ich bin dafür, daß man Aufträge nach wirtschaftlichen Kriterien vergibt. Dafür muß man Unternehmen in die Lage versetzen, wirtschaftliche Angebote zu machen. Man darf aber nicht den umgekehrten Weg einschlagen, indem man Präferenzen gewährt. Das bringt es nicht und führt zu neuen Unterschieden, die den ostdeutschen Unternehmen in der Wahrnehmung durch ihre Kunden eher schaden werden. Das ist ein falsches Konzept.
Meine Damen und Herren, wir haben nun in unserem Konzept - Herr Lafontaine hat sehr lange darüber gesprochen - die steuerliche Förderung umstrukturiert und bis zum Jahre 2004 festgelegt. Wir haben die Abschreibungsvergünstigungen abgeschafft und andere Möglichkeiten, die es unmittelbar nach der Vereinigung gab. Ich mache gar keinen Hehl daraus, daß auch ich der Meinung bin, daß man die Abschreibungsvergünstigungen für einige Bereiche, zum Beispiel für Hotels und Gewerbebetriebe, ein oder zwei Jahre eher hätte abschaffen können. Ichhabe keine Probleme damit, das zuzugeben. Es ist aber falsch, zu sagen, daß diese Art der Wirtschaftsförderung unmittelbar nach der Vereinigung nicht hätte stattfinden dürfen. Das haben Sie so auch nicht gesagt. Das mußte sein, sonst sähen die Städte und Landschaften im Osten heute noch so ähnlich wie 1990 aus. Daß es vielleicht ein Jahr zuviel war, ist jetzt korrigiert worden. Wir halten statt dessen die Gemeinschaftsaufgabe Ost und die Forschungsförderung auf hohem Niveau. Es waren die Wirtschaftsminister der Länder, die dafür plädiert haben, daß die gegenwärtige Form der Forschungsförderung in den neuen Ländern beibehalten wird und kein neues System kommt.
Herr Schwanitz, Sie sollten jetzt das Telefon zur Seite legen und zuhören, denn das sind Ihre Vorschläge, mit denen wir uns hier an dieser Stelle auseinandersetzen müssen. Sie sollten bitte auch zur Kenntnis nehmen, daß es aus unserer Sicht falsche Vorschläge sind. Hören Sie sich das bitte auch an.
Dies alles bringt nichts. Dasselbe gilt für Ihre Aussagen über die ABM-Förderung und den sogenannten zweiten Arbeitsmarkt. Ich sage hier auch mit Blick auf die Menschen in den neuen Ländern ganz deutlich: Die Bundesregierung wird die Maßnahmen
am zweiten Arbeitsmarkt beibehalten. Wir wollen und können diese Maßnahmen aber nicht ausweiten,
({4})
und zwar nicht nur aus finanziellen Gründen, son-dem auch aus prinzipiellen Gründen. Diese Maßnahmen dienen dazu, um Brücken in den ersten Arbeitsmarkt zu schlagen. Sie dienen dazu, individuelle Härten abzubauen und individuelle Schicksale zu erleichtern. Aber mit AB-Maßnahmen und allen anderen Maßnahmen wird immer nur an den Symptomen der Arbeitslosigkeit herumkuriert, niemals werden hiermit die Ursachen der Arbeitslosigkeit bekämpft. Deshalb machen wir das nicht.
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Schauen Sie sich einmal an, was der Mittelstand in Ostdeutschland von an manchen Stellen und an manchen Orten überzogenen AB-Maßnahmen hält. Die privaten Gärtnereibetriebe - nur ein Beispiel -, die in den neuen Ländern entstanden sind, können sich gegenüber den ABM-Angeboten, die von allen Seiten kommen, nicht behaupten. Können wir das zulassen? Wollen wir das aufrechterhalten? Das geht nicht.
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- Dann machen es vielleicht einige so, daß sie dem einen oder anderen in der Region individuelle Gefallen tun. - AB-Maßnahmen auszuweiten, um den Mittelstand kaputtzumachen, das geht nicht.
Meine Damen und Herren, ich will noch ein weiteres Problem aufgreifen, das die Wahrnehmung der Menschen in den neuen Ländern betrifft. Es wird dort häufig Klage darüber geführt, daß die Banken bei ihrer Kreditgewährung vor allem an Selbständige und an Existenzgründer zu zögerlich und zu risikoscheu seien.
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Ich kann diesen Sachverhalt nur bestätigen.
Ich trete hier aber nicht in eine pauschale Kritik am Bankensystem ein. Sparkassen, Genossenschaftsbanken und private Banken haben beim Aufbau Ost enorm viel geleistet und auch große Risiken übernommen. Häufig sind sie aber noch zu risikoscheu, was sich in letzter Zeit eher noch verstärkt hat. Deshalb möchte ich an die Banken appellieren, diese Risiken zu tragen. Der Appell richtet sich nicht nur an die Bankenvorstände, die schon häufig ihre Solidarität bekundet haben, sondern auch an die Mitarbeiter, die auf mittlerer Ebene die Entscheidungen treffen.
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Es gibt ein zweites Problem, das gerade die mittelständischen Betriebe in den neuen Ländern beschäftigt, und zwar die schlechte Zahlungsmoral. Die Zahlungsmoral ist in den letzten Jahren eher noch schlechter geworden. Diese Entwicklung ist darauf zurückzuführen, daß einige nicht zahlen können und andere nicht zahlen wollen.
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Ich bin mir sehr wohl darüber im klaren, daß von Bundesseite - von staatlicher Seite überhaupt - die Zahlungsmoral allenfalls durch Appelle oder vielleicht durch eine Verkürzung und Entkomplizierung der Verfahren zu verbessern ist. Ob das den Durchbruch bringt, weiß ich nicht. Wir - in meiner Fraktion ist es der Abgeordnete Türk - arbeiten an der Lösung dieses Problems. Viel wichtiger ist es aber, daß die Menschen, die miteinander im Geschäftsverkehr stehen und die aufeinander angewiesen sind, auch in ihren wirtschaftlichen Dispositionen immer dann zu einer gemeinsamen Regelung kommen, wenn dies notwendig ist.
An dieser Stelle möchte ich einen zweiten Appell an die Wirtschaft richten. Dieser Appell beinhaltet die Forderung nach Aufbau von Selbsthilfeeinrichtungen der Wirtschaft. Es muß doch möglich sein, daß Handwerkskammern oder auch Handelskammern Selbsthilfefonds einrichten, aus denen Unternehmen, die in Not geraten sind, weil nicht gezahlt wurde, eine Überbrückungshilfe bekommen, und daß diese Selbsthilfeeinrichtungen bei den Gläubigern das Geld einziehen. Das ist nicht primär eine Aufgabe des Staates, sondern eine Aufgabe der Wirtschaft und ihrer Einrichtungen. Diese Einrichtungen sind gehalten, in diesem Bereich etwas für den Mittelstand praktisch zu tun.
Schlechte Zahlungsmoral und mangelnde Risikobereitschaft bei den Banken sind also die Probleme, die den Mittelstand in den neuen Bundesländern beschäftigen.
({10})
- Was ist denn Ihr Beitrag, Herr Fischer?
({11})
Außer Motzen - das ist nicht einmal mehr lustig; das ist verkniffen bis zum Gehtnichtmehr ({12})
haben Sie für die neuen Länder noch nie etwas getan.
({13})
Das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt ist die Quittung dafür.
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Nur mit Motzen, mit Handeln in Unkenntnis der Zusammenhänge und mit politischer Taktiererei nichts anderes beherrschen Sie; Sie haben noch nie
entsprechende Sachverhalte richtig durchdrungen - werden Sie, Herr Fischer, keine Erfolge in den neuen Ländern erzielen.
({15})
Wir brauchen beim Aufbau Ost Geduld, und zwar mehr als uns allen lieb ist. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir einräumen, daß es das Patentrezept, den Aufbau Ost per Knopfdruck voranzubringen, nicht gibt.
({16})
Wer die enormen Leistungen der Menschen in den neuen Ländern kennt, wird aber bestätigen: Obwohl es in der Bilanz des Aufbaus Ost Licht und Schatten gibt, ist der Aufbau auf gutem Wege. Er ist für uns Ansporn und Verpflichtung. Die Bundesregierung und die Koalition bleiben ihm verpflichtet. Er ist für uns die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Aufgabe Nummer eins.
Wir haben ein Konzept, das ohne Alternative ist, ein Konzept, das aufgehen wird. Wir brauchen leider mehr Geduld, als vorerst angenommen. Wer aber ein anderes Konzept hat, der soll es vorlegen und es an dem messen, was die Bundesregierung in Gang gesetzt hat.
Ich sage noch einmal mit allem Nachdruck: Es ist nicht richtig, daß sich die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Ländern abgekoppelt hat von dem, was wir im Westen haben. Wer genau hinschaut und die Zeichen erkennt, weiß, daß die Weichen für einen Aufschwung gestellt sind, der mindestens dieselbe Dynamik haben wird wie im Westen.
({17})
Das Wort hat der Ministerpräsident Manfred Stolpe.
Ministerpräsident Dr. Manfred Stolpe ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin Ihnen dankbar, daß das Thema Aufbau Ost hier zur Verhandlung kommt. Für uns ist das ein existentielles Thema. Deshalb steht mein Dank für die Behandlung der Fragen hier am Anfang. Ich will gleich dazusagen, daß ich gern die Gelegenheit wahrnehme, um zum Sachstand zu reden, wie er sich aus meiner Sicht mitten im Osten Deutschlands darstellt.
Es ist jetzt acht Jahre her, daß in der damals noch bestehenden DDR die D-Mark eingeführt wurde. Das war der Start zum Aufbau Ost. Heute will ich versuchen, eine kurze wirtschaftliche Gewinn- und Verlustrechnung aufzustellen und die nach meiner Überzeugung verbleibenden Kernaufgaben zu skizzieren.
Zunächst einmal muß immer wieder gesagt werden: Wir im Osten haben insgesamt und überwiegend gewonnen. Die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs wurde entscheidend verbessert. Die Verkehrsinfrastruktur wurde deutlich modernisiert. Die Telekommunikation hat einen Jahrhundertsprung gemacht. Die Umweltbedingungen wurden maßgeblich verbessert. Die Wohnqualität konnte für viele Bürger angehoben werden. Die Kaufkraft ist deutlich erhöht, selbst bei denen, die nicht mehr über ein Erwerbseinkommen verfügen. Die medizinische Versorgung ist hochwertiger geworden.
({1})
Diese Erfolge werde ich nicht kleinreden. Aber diese Erfolge haben auch ihren Preis. Ich nenne zwei nach meiner Überzeugung unerträgliche Belastungen: die Reduzierung der Industrie im Zusammenhang mit der Strukturveränderung - in Arbeitsplätzen gerechnet um 80 Prozent - und die Massenarbeitslosigkeit bei einer Arbeitslosenquote im Durchschnitt von 22 Prozent und in einigen Regionen um 50 Prozent. Da hilft es den Arbeitslosen auch nicht, wenn man ihnen vorrechnet, wie das zustande gekommen ist
({2})
und daß das vielleicht bei Lenin angefangen hat. Nein, die Realität betrifft den einzelnen. Dem müssen wir uns hier stellen; das wäscht uns kein Regen ab.
Viele heutige Probleme im Osten Deutschlands sind nicht einfach als DDR-Hinterlassenschaft abzutun. Sie sind auch hausgemachte Probleme der gesamten Bundesrepublik in den vergangenen acht Jahren.
({3})
Ich nenne hier die Vielzahl von Normen und Standards, Gesetzen, Verordnungen und Erlassen sowie deren ständige Veränderungen, die Planungen und verläßliche Aussagen erschweren
({4})
und damit Innovation und Investitionen behindern.
Ich nenne weiter eine falsche Politik, die jahrelang schnelle Privatisierung vor Sanierung stellte.
({5})
Die BvS darf nicht länger ein Sparschwein des Finanzministers sein, sondern muß ein Instrument für die Industrialisierung Ostdeutschlands werden.
({6})
Ich nenne - bei allem Respekt vor Ihrer mühsamen Arbeit, Herr Geil - die Koordinierungsmängel im Aufbau Ost. Der Koordinator ist in der Rolle des Hinterherlaufenden. Er braucht hier eine klare Position.
Ministerpräsident Dr. Manfred Stolpe ({7})
Er braucht Kompetenzen. Das ist genau das, was hier gemeint worden ist: nicht Zentralismus, sondern Koordinierung mit verbindlicher Wirkung.
({8})
Der Aufbau Ost war zu oft anderen Prioritäten der Politik und der Finanzen nachgeordnet. Oft brauchte es Nothilfe durch den Kanzler selbst, um Abstürze zu verhindern. Das war ein Nachlaufen. Kontinuierliche Steuerung der verschiedenen Maßnahmen kann die Effektivität deutlich erhöhen. Das ist das, was wir erwarten.
Der Osten Deutschlands, die Investoren wie die Länder und Gemeinden brauchen klare und berechenbare Rahmenbedingungen. Wir brauchen eine längerfristige und verläßliche Förderkulisse. Das ist die Voraussetzung, um zukunftssichere und wettbewerbsfähige Arbeitsplätze in der industriellen Produktion wie bei den produktionsnahen Dienstleistungen zu schaffen.
Der Mittelstand kommt in Ostdeutschland insgesamt gut voran und ist eine tragende Säule der Wirtschaftsentwicklung. Aber er ist auch auf die Industrie angewiesen. Nur im industrienahen Umfeld kann er seine mit Unternehmergeist, hohem persönlichen Einsatz und Mut erreichten Ergebnisse halten und, wie wir alle hoffen, ausbauen.
Die Leistungsfähigkeit der kleineren und mittleren Unternehmen muß gestärkt werden. Innovative Existenzgründungen müssen gefördert werden. Lohnkostenzuschüsse in kleineren und mittleren Unternehmen müssen die Einstellung auch von Forschungspersonal ermöglichen. Forschungsverbünde zwischen kleineren und mittleren Unternehmen sollten organisiert sowie die Zusammenarbeit mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen unterstützt werden. Erste Ansätze dafür gibt es glücklicherweise. Hier braucht es noch verstärkt der Hilfe der Länder und des Bundes.
Alle Anstrengungen müssen letztlich ein Ziel haben: die Belebung des Arbeitsmarktes durch eine aktiv gestaltende Politik. Arbeitsförderungsmaßnahmen, Herr Minister Rexrodt, sind angesichts der enormen Arbeitslosigkeit bis ins Jahr 2007 unverzichtbare Instrumente zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes.
({9})
Die Praxis vor Ort sieht ja doch so aus - ich habe das bei uns jedenfalls noch nicht erlebt -, daß sich Handwerkskammern, Vertretungen der Handwerkerschaft oder der Unternehmer keineswegs darüber beklagt haben, durch AB-Maßnahmen sei ihnen die Arbeit weggenommen worden. Vielmehr gibt es in aller Regel eine enge Abstimmung über diese Maßnahmen. Und auch die Unternehmer bei uns wissen, daß ein Rückbau der Massenarbeitslosigkeit ohne Arbeitsförderungsmaßnahmen völlig unmöglich ist. Wir brauchen hier eine Verstetigung.
({10})
Wir brauchen auch verläßliche Unterstützung für die Schaffung von Ausbildungsplätzen. Bis zum Jahr 2005 wird die Wirtschaft aller Voraussicht nach nicht in der Lage sein, allen Schulabgängerinnen und Schulabgängern Ausbildungsplätze bereitzustellen. Zusätzliche Maßnahmen des Bundes und der Länder sind unverzichtbar. Wegen fehlender Ausbildungsplätze darf nicht alljährlich eine monatelange dramatische Verunsicherung der Jugendlichen erfolgen. Sie müssen im Gegenteil erfahren können, daß sie geschätzt werden, daß wir froh sind, noch geburtenstarke Jahrgänge zu haben, und daß wir unsere Zukunftspartner auch entsprechend behandeln wollen.
({11})
Meine Damen und Herren, zusätzliche Arbeitslosigkeit im Osten droht in der Landwirtschaft. Die in der Agenda 2000 konzipierte europäische Agrarreform bedroht allein in Brandenburg durch Kappung der Förderung für größere Betriebe Tausende Arbeitsplätze im Agrarsektor, Hunderte bei den Zulieferbetrieben und im Handwerk. Wir müssen alles tun, um dies zu verhindern.
({12})
Außerdem können die noch im Aufbau befindlichen, weitgehend unterkapitalisierten landwirtschaftlichen Betriebe im Osten eine solche strukturelle Änderung der Förderbedingungen nicht verkraften.
Eines aber ist nach meiner Überzeugung vor allem notwendig und wichtig: Politik darf nicht nur reden, sondern muß handeln. Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt hat ein Fanal gesetzt, das uns allen gilt. 200 000 Wählerinnen und Wähler haben sich aus Enttäuschung über die Mechanismen der parlamentarischen Demokratie von den Nazis verführen lassen. Damit diese Seuche nicht um sich greift, muß der Aufbau Ost für die Menschen wieder erfahrbar werden.
({13})
Bei aller Freude über schon Erreichtes - ich rede da bestimmt nichts klein -: Wir brauchen neue Spatenstiche für Industrieansiedlungen, konkrete Stützung für die kleinen und mittleren Unternehmen, langfristige Verstetigung der Arbeitsförderung und dann im Ergebnis einen spürbaren Rückgang der Arbeitslosigkeit.
Meine Damen und Herren, die roten Socken oder roten Hände werden nach meiner Überzeugung die Wählerinnen und Wähler im Osten wenig beeindrukken.
({14})
Die Sorge um Arbeitsplätze ist ihnen um ein Vielfaches wichtiger als die Furcht vor einem vermeintlichen Neokommunismus. Polemik greift nicht mehr. Nur Taten zählen. Deshalb sollten wir schon jetzt
Ministerpräsident Dr. Manfred Stolpe ({15})
daran denken, daß es in Deutschland auch einen 28. September 1998 geben wird.
({16})
Der Aufbau Ost bleibt die zentrale innenpolitische Aufgabe Deutschlands für die beiden nächsten Legislaturperioden. Gelingt er, so gewinnen wir alle. Gelingt er nicht, werden wir alle hier Verlierer sein. Das darf im Wahlkampfgetöse nicht untergehen.
Ich bin überzeugt: Der Aufbau Ost kann gelingen, aber nicht durch Aktionismus und Propaganda, sondern mit Entschlossenheit und langem Atem. Ich bitte Sie alle um Entschlossenheit und langen Atem für den Aufbau Ost.
Ich danke Ihnen.
({17})
Das Wort hat der Kollege Dr. Paul Krüger, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Debatte ist von seiten der Opposition ein Szenario über die Situation in den neuen Bundesländern gezeichnet worden, das der Wirklichkeit so sicher nicht entspricht. Herr Stolpe, Sie waren da eine positive Ausnahme. Wenn wir die seit der Wende erreichten Leistungen, die Erfolge in den neuen Ländern hier wiederholt darstellen müssen, dann auch deshalb, um dieses irreale Bild, das Sie zeichnen, immer wieder richtigzustellen. Ich glaube, das ist notwendig.
Alle haben heute davon gesprochen, was im Bereich der Infrastruktur, im Bereich der Umwelt, beim Aufbau der Länderverwaltungen und der Kommunen, bei der Umstrukturierung der Wissenschafts-
und Forschungslandschaft - Herr Schwanitz, wir können nicht verstehen, warum Sie da Kritik üben und was Sie da verändern wollen - und nicht zuletzt bei der Umstrukturierung der Wirtschaft erreicht wurde. Die größte Leistung, die wir in den neuen Bundesländern erreicht haben und von der viel zu wenig gesprochen wird, ist, daß wir dort mittlerweile eine ähnlich hohe Arbeitsplatzdichte haben wie in den alten Ländern. Dieser Umstand wird nach meinem Ermessen viel zu wenig gewürdigt.
Es ist ein Gebot der Ehrlichkeit, zu sagen - das ist hier heute angesprochen worden -, daß alle Leistungen, die dort erreicht wurden, in erster Linie ein Verdienst der Menschen in den neuen Ländern sind.
({0})
Wir können auf diese Leistungen stolz sein. Wir müssen das immer wieder sagen; denn es ist wirklich die beste Motivation für die Menschen in den neuen Ländern, um den Aufbau erfolgreich fortzusetzen.
Gleichermaßen wichtig ist es, immer wieder die solidarische Leistung der Bevölkerung in den alten Bundesländern zu erwähnen - worauf wir ebenfalls stolz sein können -, um auch hier die Motivation für die Zukunft zu erhalten.
({1})
Es ist auch wichtig, festzustellen, daß die Politik der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsparteien eine gute Grundlage für die Erfolge, von denen wir hier heute gehört haben, war, ist und auch in Zukunft bleiben wird.
Trotz all dieser Erfolge - das ist hier heute mehrfach angesprochen worden - ist die Schaffung von Arbeitsplätzen das Hauptproblem seit der Wiedervereinigung. Es ist kein Geheimnis, daß es uns bisher nicht gelungen ist, eine ausreichende Zahl an Arbeitsplätzen für diejenigen, die Arbeit suchen und brauchen, zur Verfügung zu stellen.
Deshalb haben wir diese Entwicklung, Herr Stolpe, kontinuierlich mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen begleitet, und zwar in einem enormen Umfang. Nach unserer Auffassung bestehen die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nicht darin, Reservate zu schaffen, in die wir Arbeitswillige delegieren. Wichtig für uns ist, daß die Maßnahmen die betroffenen Menschen nicht nur finanziell absichern, sondern daß sie für die Menschen auch persönlich sinnvoll sind, indem sie ihnen zusätzliche, für den Arbeitsmarkt nützliche Qualifikationen vermitteln, indem sie ihnen soziale Anerkennung durch Arbeit ermöglichen, indem sie ihnen vor allem, wo irgend möglich, neue berufliche Perspektiven für den regulären Arbeitsmarkt erschließen.
({2})
Deshalb haben wir den Arbeitlosen mit dem Arbeitsförderungs-Reformgesetz, welches wir im letzten Jahr beschlossen haben, eine völlig neue Orientierung auf den regulären Arbeitsmarkt gegeben. Wir haben hier bereits wesentliche Erfolge erreicht. Ich will nur ein einziges Beispiel nennen: die Lohnkostenzuschüsse. Heute ist schon mehrfach darüber gesprochen worden. Wir werden in den neuen Ländern in diesem Jahr 150 000 Personen in Beschäftigungsverhältnisse bringen, die über den Lohnkostenzuschüssen liegen.
({3})
Das ist sicher eine Maßnahme, die nicht ewig trägt. Aber sie hat hier viel Positives bewirkt.
Wir haben das vielfältige Instrumentarium, das uns das neue Arbeitsförderungsrecht zur Verfügung stellt, noch lange nicht ausgeschöpft. Wir müssen an dieser Stelle an alle appellieren, daß wir hier noch in beträchtlichem Umfang Nachholbedarf haben, und an die Adresse aller Kommunen sagen, daß hier in Zukunft noch mehr zu tun ist.
({4})
Die SPD will uns Stillstand suggerieren. Das „Handelsblatt" titelt heute: „So freundlich war das Klima in der Ost-Industrie noch nie" und weist das an Hand konkreter Zahlen nach. Vielleicht sollten Sie, Herr Schwanitz, und Ihre Kollegen das „Handelsblatt" einmal lesen.
({5})
Die Wachstumsindikatoren im verarbeitenden Gewerbe sind bereits seit drei Jahren äußerst positiv. Wir haben 1997 ein Produktivitätswachstum von zirka 10 Prozent gehabt. Vom ersten Quartal letzten Jahres bis zum ersten Quartal dieses Jahres hat das Produktivitätswachstum sogar 20 Prozent betragen.
({6})
Wir haben in der chemischen Industrie, in der metall-
und kunststoffverarbeitenden Industrie, beim Maschinen- und Fahrzeugbau und im Bereich der Elektrotechnik Wachstum zu verzeichnen. Die Außenhandelsumsätze sind in den letzten Jahren zwischen 30 und 40 Prozent gewachsen. Wir haben bei den innovativen und wertschöpfenden Dienstleistungen in beträchtlichem Umfang Wachstum.
({7})
In vielen Bereichen verzeichnen wir derzeit zweistellige Zuwächse in der Arbeitsproduktivität. Das wirkt sich übrigens in beträchtlichem Umfang positiv auf die Lohnstückkosten aus, so daß wir auf einem enorm positiven Entwicklungspfad sind.
Die Steigerung der Arbeitsproduktivität verhindert aber derzeit noch, daß sich das Wachstum beim Bruttoinlandsprodukt unmittelbar im Wachstum an Arbeitsplätzen niederschlägt. Leider wirkt es auch auf die Schaffung von Ausbildungsplätzen negativ. Herr Stolpe, ich wundere mich über Ihre Aussagen, da Sie gerade gemeinsam mit den Ländern und mit der Bundesregierung ein neues Programm zur Schaffung von Ausbildungsplätzen verabschiedet haben.
({8})
Auch das muß man an dieser Stelle ganz deutlich erwähnen.
Wir brauchen in den neuen Bundesländern mehr Arbeitsplätze als in den alten Bundesländern. Ich bin Herrn Biedenkopf dankbar, daß er das heute herausgearbeitet hat. Wir haben eine Erwerbstätigenquote, die in den neuen Ländern in etwa so hoch wie in den alten Ländern ist. Aber die Nachfrage nach Arbeit ist größer. Dafür sind viele Ursachen genannt worden. Ich will eine weitere nennen, die für mich ganz besonders wichtig ist. In den neuen Bundesländern haben wir riesige Defizite im Vermögensbereich, die zu mangelndem Einkommen und dazu führen, daß die Menschen stärker, existentieller auf Arbeit angewiesen sind als in den alten Bundesländern.
({9})
Das ist kein Verschulden dieser Bundesregierung, sondern ein klares Verschulden der Damen und Herren, die auf der linken Seite des Hauses sitzen. Das ist das Ergebnis von 40 Jahren Sozialismus; das wünschen wir uns in den neuen Bundesländern nicht.
({10})
Wir brauchen in den neuen Bundesländern mehr Arbeitsplätze, um den Aufholprozeß der Menschen bezüglich der schrittweisen Angleichung der Lebensbedingungen erfolgreich zu gestalten. Der Ausstieg der Gewerkschaften aus dem „Bündnis für Arbeit Ost" bedeutet deshalb auch eine Entsolidarisierung bezüglich der Interessen der Menschen in den neuen Bundesländern.
({11})
Man fragt sich: Warum diese Entsolidarisierung der Gewerkschaften mit den Arbeitslosen? Warum werden unsere offensichtlichen Erfolge beim Aufbau Ost durch die Opposition permanent - auch heute wieder - schlechtgeredet? Warum werden viele Vorschläge der Regierungskoalition, die zu mehr Wachstum und Beschäftigung in den neuen Bundesländern führen, durch die SPD blockiert? Die Antwort ist relativ einfach: Die Opposition darf der Regierung in keinem Bereich Erfolge zubilligen. Wegen des eigenen Machtanspruchs darf die Regierung für die Opposition nicht erfolgreich sein. Das haben Sie heute demonstriert.
({12})
Herr Biedenkopf hat recht mit der Aussage: Die PDS ist der organisierte Widerstand gegen den Erfolg der deutschen Einheit.
({13})
Es ist besonders makaber, daß die SPD, indem sie sich nun wegen ihres Machtanspruchs in diesen Widerstand einreiht, die Solidarität mit Ostdeutschland aufkündigt. Es macht mich besonders betroffen, daß sich das mittlerweile im Nichtentstehen von Arbeitsplätzen zeigt. Die Ablehnung der im Bundestag beschlossenen Steuerreform durch die SPD im Bundesrat hat nämlich besonders negativ auf die Schaffung von Arbeitsplätzen in den neuen Bundesländern gewirkt. Denn ausländische Firmen, die sich jetzt nicht in Deutschland ansiedeln, hätten sich mit größerer Wahrscheinlichkeit - so weisen es die Zahlen aus - in den neuen Bundesländern niedergelassen, und zwar auf Grund der dort vorhandenen Förderpräferenzen und günstigen Standortbedingungen.
({14})
Insofern wirken Sie wirklich fatal negativ auf die Entwicklung in den neuen Bundesländern.
({15})
Wir brauchen dringend mehr Arbeitsplätze in Ostdeutschland - dringender als in Westdeutschland. Die erreichen wir aber nur durch mehr Investition, durch Verbesserung der Infrastruktur, durch mehr Initiative und nicht zuletzt durch mehr Innovation. In
den Anträgen, Herr Schwanitz, die Sie heute vorgelegt haben, wird leider nur sehr fragmenthaft ein Bild gezeichnet, was aus Ihrer Sicht zu tun ist. Sie erwekken den Eindruck, daß Sie nicht wissen, was für die neuen Länder bereits alles auf den Weg gebracht wurde; denn Sie stellen Forderungen auf, die bereits lange erfüllt sind. Und in vielen anderen Fällen haben Sie das, was Sie heute fordern, in der Vergangenheit verhindert.
({16})
Deshalb muß ich für Sie einiges in Erinnerung rufen. Sie fordern Lohnkostenzuschüsse; Sie selbst haben sie im Vermittlungsausschuß bzw. im Bundesrat lange blockiert. Mittlerweile sind sie seit einem Jahr erfolgreich eingesetzt, übrigens auch für Innovationen anwendbar. Sie fordern eine Vermögensbeteiligung im Sinne von mehr Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivvermögen; derzeit blockieren Sie das gerade im Bundesrat.
({17})
Sie wollen mehr innovative Technologien, aber Sie verhindern seit Jahren, daß der Transrapid gebaut wird, obwohl Sie sich früher dazu bekannt haben. Damit produzieren Sie Verunsicherung bei den Menschen in den neuen Bundesländern.
({18})
Bezüglich der Investitionen zum Beispiel haben wir ein Programm verabschiedet - Sie, Herr Schwanitz, haben damals zugestimmt und auch anerkennende Worte gefunden -, das bis zum Jahre 2004 enorme positive Auswirkungen in den neuen Bundesländern zeitigen wird. Wir geben damit den Mittelständlern in den neuen Bundesländern langfristige Sicherheit. Dieses Programm hat ein Gesamtvolumen von 34 Milliarden DM. Es ist also Unfug, davon zu reden, daß keine Sicherheit bezüglich der Kontinuität der Förderung bestünde. Wir haben in den neuen Bundesländern seit 1994 - nach wie vor - konstant ein erheblich höheres Investitionsvolumen als in den alten Bundesländern.
Heute ist über die Verantwortung der Länder gesprochen worden. Bei einem Vergleich der Länder Ost und der Länder West ergibt sich, daß es dort, wo die CDU regiert, durchschnittlich die höchsten Investitionsquoten gibt
({19})
- dies gilt für Westdeutschland, mittlerweile aber auch für Ostdeutschland -, während die SPD-regierten Länder die niedrigsten Investitionsquoten haben.
({20})
Es ist nicht erstaunlich, daß der Trend bei den Arbeitsplätzen diametral entgegengesetz ist. Deshalb brauchen wir von Ihnen in diesem Bereich mit Sicherheit keine Ratschläge.
Ich will noch auf einen Bereich eingehen, der mir besonders wichtig erscheint, nämlich auf die Innovationen. Wir sind uns einig, daß bei den Innovationen nach wie vor ein enormer Handlungsbedarf besteht. Dies gilt bezüglich des Wachstums in den neuen Bundesländern und auch bezüglich der Eroberung überregionaler Märkte, die in den neuen Ländern besonders wichtig ist. Auch bei Ihnen, bei der SPD, stimmen aber Worte und Taten nicht überein.
({21})
- Wie auch bei den anderen von der linken Seite, die heute gesprochen haben. - Wir haben zum Beispiel eine Innovationszulage als Instrument der Innovationsförderung vorgeschlagen. Herr Stolpe hat sich darauf bezogen. Aber ich darf Sie berichtigen, Herr Stolpe. Ihre Minister, Herr Dreher - mit ihm habe ich selber darüber gesprochen - und auch Frau Simon haben das genauso abgelehnt wie die SPD-Wirtschafts- und die SPD-Finanzminister der neuen Bundesländer in geschlossener Einheit. Deshalb ist es doppelzüngig, wenn Sie hier etwas fordern, was von den SPD-regierten Ländern abgelehnt worden ist.
Allgemeine Forderungen nach mehr Innovationen werden immer wieder konterkariert. Ich denke an Niedersachsen. Wir haben in Niedersachsen das Versprechen von Herrn Schröder gehört,
({22})
400 Millionen DM im Innovationsbereich zu investieren. 1996 sind es noch 23 Millionen DM gewesen.
({23})
Im Vergleich dazu zahlt der Bund 340 Millionen DM für die Forschung und Entwicklung und für Großforschungseinrichtungen an das Land Niedersachsen.
({24})
- Sie sollten Herrn Schröder an seinen Worten und an seinen Taten messen.
Bei der Förderung von Risikokapital sieht es ähnlich aus. Niedersachsen hat ganze 19 Beteiligungen mit einem Beteiligungsvolumen von 9,7 Millionen DM. Um im Gegensatz dazu einmal ein Beispiel aus den neuen Bundesländern zu nennen: Sachsen hat 158 Beteiligungen mit 125 Millionen DM. Ich glaube, wir haben, was Herrn Schröder angeht, keinen Belehrungsbedarf.
Herr Schwanitz, wenn Sie den Aufbau Ost nun zur Chefsache machen wollen, kann ich Ihnen nur sagen: Wir brauchen kein neues Zentralkomitee, hinter dem sich die Länder verstecken können.
Achten Sie bitte auf die Zeit, Herr Kollege.
Ich finde es gut, daß Sie nun auch begriffen haben, daß es gut ist, wenn man einen Chef hat, der sich um den Aufbau Ost kümmert. Bei uns ist das schon lange der Fall,
nämlich seit der Wiedervereinigung, und zwar mit Helmut Kohl und mit Wolfgang Schäuble.
({0})
Allerdings wird mir ein wenig angst, wenn ich an den einen oder anderen als Chef denke.
Herr Kollege Dr. Krüger, Sie müssen wenigstens reagieren, wenn ich sage: Achten Sie auf die Zeit.
Entschuldigung. Ich komme sofort zum Ende, Herr Präsident. Mir wird allerdings angesichts der Entwicklung in den Ländern ein wenig angst, wenn ich daran denke, daß das zur Chefsache wird.
({0})
Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten Jahren für den Strukturwandel in Ostdeutschland wichtige Voraussetzungen geschaffen. Die konjunkturellen Entwicklungen sind in vielen Bereichen positiv und beginnen jetzt bereits, positive Effekte auf dem Arbeitsplatz zu zeitigen. Nur bei kontinuierlicher Fortsetzung unserer Politik wird die Wirtschaft wachsen, werden Arbeitsplätze geschaffen, wird der Osten aufholen, wird die innere Einheit gelingen.
Vielen Dank.
({1})
Für eine Kurzintervention hat der Kollege Gerald Thalheim das Wort.
Herr Kollege Krüger, Sie haben heute erneut den Blockadevorwurf in Richtung SPD erhoben. Sie wissen, daß im Rahmen der heutigen Debatte auch über einige Anträge zur Landwirtschaft abgestimmt wird. Ich möchte Sie erstens fragen: Warum blockieren Sie die vernünftigen Vorschläge zur Regelung des Altschuldenproblems? Sie als Mecklenburger wissen ganz genau, wie viele Landwirtschaftsbetriebe gerade von der Lösung dieses Problems existentiell abhängen und in welchem Umfang Investitionen und damit auch Arbeitsplätze gefährdet werden.
Zweite Frage: Warum blockieren Sie die langfristige Verpachtung von landwirtschaftlichen Flächen? Auch das würde Arbeitsplätze sichern.
Ein dritter Punkt: Seit heute weiß ich, daß Sie den parteiübergreifenden Antrag unseres Ausschusses blockieren, endlich die Kartoffellieferungen nach Rumänien aus dem Jahre 1990 zu bezahlen. Das betrifft in Sachsen immerhin 158 Unternehmen und umfaßt eine Summe von 3,6 Millionen DM. Wohlgemerkt, das ist ein parteiübergreifender Antrag.
Das ist Ihre Blockadepolitik. Dafür werden Sie am 27. September dieses Jahres die Quittung erhalten.
({0})
Herr Dr. Krüger, bitte.
Herr Kollege Thalheim, was die Kartoffellieferungen nach Rumänien anbelangt, bin ich jetzt nicht kundig. Darauf kann ich Ihnen keine sofortige Antwort geben. Ich nehme an, daß mein Kollege Junghanns das beantworten wird ebenso wie die Vorwürfe, die Sie uns hier bezüglich der landwirtschaftlichen Altschulden machen.
Ich habe insbesondere die Blockade der Steuerreform angesprochen, die in den neuen Bundesländern in ganz nachhaltiger Weise dazu beigetragen hat, daß Arbeitsplätze vernichtet werden bzw. gar nicht erst entstehen.
({0})
Sie wissen ganz genau, wie sich die Investitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland in den letzten Jahren entwickelt haben. Sie wissen, daß ausländische Unternehmen fast nicht mehr in Deutschland investiert haben.
({1})
- Ich merke, daß ich Sie mit diesem Punkt unruhig gemacht habe. Sie bekommen die gestellten Fragen ja beantwortet. Wenn Sie zugehört hätten, dann hätten Sie gehört, daß die konkrete Frage zu den landwirtschaftlichen Altschulden von dem Kollegen Junghanns beantwortet wird, der sich darauf intensiv vorbereitet hat. Herr Kollege Thalheim, Sie werden also eine ganz konkrete und gute Antwort erhalten.
Zur angesprochenen 18jährigen Verpachtung sage ich Ihnen nur, daß das so sicher ist wie nur irgend etwas. Es ist festgeschrieben, daß 18 Jahre verpachtet wird. Es gibt überhaupt keinen Grund, daß Sie die landwirtschaftlichen Unternehmen in den neuen Bundesländern immer wieder mit irgendwelchen Meldungen verunsichern, die angeblich die Bodenreform betreffen. Von diesem Pult aus ist seitens der Bundesregierung immer wieder eine klare Haltung hierzu eingenommen worden, letztmalig von Fritz Bohl bei der zu diesem Thema angesetzten Aktuellen Stunde in diesem Haus. Inzwischen finde ich es unerträglich, in welcher Weise Sie in den neuen Bundesländern bei den Menschen im landwirtschaftlichen Bereich Verunsicherung in Punkten stiften, die dazu in keinerlei Weise Anlaß geben.
({2})
Ich will noch einmal auf die Steuerreform zurückkommen - das muß einfach einmal gesagt werden -: Die SPD hat in letzter Zeit versucht, Stillstand zu produzieren, um in Gesamtdeutschland Investitionen und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen zu verDr.-Ing. Paul Krüger
hindern. Dies wirkt sich besonders fatal in den neuen Bundesländern aus. Denn die meisten ausländischen Investitionen der letzten Jahre sind - wenn überhaupt investiert wurde - in den neuen Bundesländern getätigt worden. Wenn Sie auf Grund Ihrer Blockadepolitik Investitionen in Deutschland verhindern, dann hat das besonders fatale Auswirkungen auf die neuen Bundesländer.
({3})
Sie werden sehen: Wir werden uns in der nächsten Legislaturperiode hier wieder sprechen, wenn wir die Steuerreform durchgesetzt haben. Dann wird sich dieser Trend schlagartig ändern. Das werde ich Ihnen mit Zahlen nachweisen. Dann werde ich mich auf die heutige Rede beziehen, Herr Thalheim. Es ist also wichtig, über diese Blockade immer wieder besonders intensiv zu sprechen.
({4})
Ich gebe dem Abgeordneten Wolfgang Thierse das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor sieben Monaten haben wir uns hier im Deutschen Bundestag über einen Bericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit verständigt. - Gestern ist ein weiterer vorgestellt worden. - Ich habe damals für meine Fraktion erklärt, diese Bilanz sei eine Mischung aus Erfolgen und Enttäuschungen. Obwohl sich seither die Enttäuschungen vermehrt haben
({0})
- die Erfolge leider nicht -, möchte ich dabei bleiben:
Ja, es gibt wirkliche Erfolge, die auch sichtbar sind. Ich betone es, daß sie sichtbar sind. Aber Sie, Herr Schäuble und Herr Krüger, müssen sich doch ernsthaft fragen, warum die Enttäuschungen in Ostdeutschland so groß sind und warum die Enttäuschungen im Empfinden und in der Wahrnehmung sehr vieler Ostdeutscher die vorhandenen Erfolge in den Schatten stellen.
({1})
Da werden Sie unter anderem unausweichlich bei den verlogenen und nicht einzuhaltenden Versprechungen ankommen, die Sie gemacht haben. Damit haben Sie die Enttäuschungen provoziert, mit denen wir es jetzt zu tun haben und die die Stimmung tatsächlich schlechter werden lassen, als die Lage teilweise ist.
({2})
Das ist so. Dem müssen Sie sich doch auch stellen: daß es Versprechungen waren, die nicht einzuhalten gewesen sind.
({3})
Ich sage ausdrücklich: Es gab zahlreiche Erfolge. Sie sind genannt worden. Ich brauche sie nicht noch aufzuzählen. Ich sage deswegen auch ausdrücklich Dank für massenhafte Solidarität, die die Ostdeutschen erfahren haben. Selbstverständlich ist das etwas, was uns zusammenschweißt.
Aber es gibt eben auch Scheitern. Jüngstes Beispiel ist das Scheitern des sogenannten Bündnisses für Arbeit in Ostdeutschland. Das ist nicht gescheitert, weil der DGB angesichts der Tatenlosigkeit von Arbeitgebern und Regierung resigniert hat. Vielmehr ist es Monat für Monat mit der Vorlage der neuen Arbeitslosenzahlen gescheitert; denn Ziel der Verabredung von Bundesregierung, ostdeutschen Ländern, Arbeitgebern und Gewerkschaften war die Senkung der ostdeutschen Arbeitslosigkeit. Ergebnis aber ist deren Steigerung. Das ist die wesentliche Entwicklung seit Oktober des letzten Jahres.
({4})
Die andere Entwicklung hat sich im Wahlergebnis von Sachsen-Anhalt gezeigt. Eine Dankadresse an die Politik von CDU und F.D.P. war dieses Ergebnis mit Sicherheit nicht.
({5})
Jetzt versuchen Sie, daraus für den Wahlkampf Honig zu saugen. Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsparteien, nachdrücklich, zur Kenntnis zu nehmen, daß viele Menschen in Ostdeutschland nicht in denselben Kategorien denken, die sich hier im Westen über bald 50 Jahre eingebürgert haben. Sie hätten es nicht verstanden, sie wären daran verzweifelt, wenn eine Partei an der Regierung beteiligt worden wäre, die diese Wahl wie keine andere verloren hat.
({6})
Über die Weisheit dieser Auffassung kann man streiten, gewiß. Aber es ist nicht undemokratisch, so zu denken und zu fühlen. Die Konsequenz, eine Minderheitsregierung zu bilden, ist ebensowenig undemokratisch.
Erlauben Sie mir, aus einem Kommentar in der heutigen Ausgabe der „Berliner Zeitung" zu zitieren. Damit Sie es sich nicht so einfach machen: Der Verfasser dieses Kommentars war lange Zeit bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Da heißt es - ich zitiere -:
Die demokratisch gewählte SPD-Regierung in Sachsen-Anhalt läßt sich von einer ebenfalls demokratisch gewählten PDS-Fraktion tolerieren, das ist alles. Es ist so ziemlich das Gegenteil von dem historischen Vorgang, mit dem die CDU-Wahlkämpfer an den totalitären Ursprungsakt der PDS-Vorgängerpartei erinnern wollen.
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Man mag den politischen Kompromiß mißbilligen, den die SPD in Magdeburg mit der PDS geWolfgang Thierse
schlossen hat. Undemokratisch oder gar unfrei ist er nicht.
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Weiter heißt es:
Die Plakataktion der CDU richtet sich nicht gegen die SPD. Sie richtet sich auch nicht gegen die PDS. Sie richtet sich gegen die parlamentarische Demokratie selbst.
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Soweit das Zitat. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Undemokratisch wäre es - was einige ernsthaft vorschlagen -, jetzt am Aufbau Ost zu sparen, weil die Menschen dort zuviel PDS oder DVU gewählt haben. Wer Angst erzeugt, befördert nicht demokratische Gesinnung. Ich warne Sie.
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Wer demokratische Überzeugungen stärken will, der muß vor allem die wirtschaftliche und soziale Lage in Ostdeutschland so verbessern, daß weder eine in sich zerrissene ostdeutsche Milieupartei noch ein offen antidemokratischer Haufen, den Partei zu nennen ich mich scheue, Proteststimmen einsammeln können. Dabei weiß ich, daß die Bezeichnung „Proteststimmen" sehr problematisch ist. In ihr steckt ein Moment von Verharmlosung; denn es ist schlimmer, daß so viele junge Menschen DVU gewählt haben, daß auch anderswo in Ostdeutschland ein Drittel der jungen Leute mit rechtsextremistischen Positionen sympathisiert, wie gerade eine Studie aus Ostberlin belegt. Das ist die eigentliche Kampfansage an alle Demokraten. Wir haben die Pflicht, diese Herausforderung anzunehmen. Wir brauchen eine große, gemeinsame Anstrengung, um davon zu überzeugen, daß Pluralismus und Gewaltenteilung, daß parteipolitischer Streit und die Fähigkeit zum Kompromiß Grundbedingungen der einzigen politischen Ordnung sind, die Freiheit garantieren kann.
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Es kostet Mühe, und es braucht oft verdammt viel Zeit, bis in der Demokratie Entscheidungen fallen. Das aber ist ein Preis der Freiheit, ein Preis auch dafür, daß wir die Rechte der Minderheiten und die Interessen der im Entscheidungsprozeß Unterlegenen nicht außer acht lassen dürfen. Demokratie ist nicht auf schnelle Entscheidungen ausgerichtet, sondern auf legitimierte und sorgfältig erörterte Entscheidungen. Demokratie heißt, möglichst viele Bürger und Bürgerinnen zu beteiligen und sie auf den Weg der individuellen, der politischen und der sozialen Grundrechte mitzunehmen. Für die Demokratie zu werben ist unsere gemeinsame Aufgabe. Es ist nicht unsere Aufgabe, demokratisches Bewußtsein durch demagogische Tiraden zu gefährden.
({12})
Ich möchte Ihnen angesichts der von Ihnen inszenierten Aufgeregtheiten einfach einige Überlegungen anbieten, warum sich gerade jetzt in Ostdeutschland Erfolge rechtsextremer, antidemokratischer Propaganda einstellen. Ich appelliere um der Vernunft und unseres demokratischen Gemeinwesens willen an alle hier in diesem Hohen Hause, solche Überlegungen nicht wohlfeilen Wahlkampfsprüchen zu opfern.
Die hohe Arbeitslosigkeit und insbesondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit sind gesellschaftliche und individuelle Katastrophen, die den Anschein der Ausweglosigkeit erzeugen. Das ist doch bekannt aus unserer eigenen deutschen Geschichte; darüber kann es doch keinen Streit geben. Diese Ausweglosigkeit öffnet dem Extremismus die Köpfe und Herzen und verschließt sie zugleich gegenüber den Mitmenschen. Es kommt natürlich noch etwas hinzu: Wie alles in Ostdeutschland, spielt sich das vor dem Hintergrund der DDR-Vergangenheit und DDR-spezifischer Prägungen ab, die noch lange nachwirken - ob wir das nun wollen oder nicht.
Wenn ich mich an die Nachwendezeit erinnere, dann stelle ich fest: Die Erfahrungen der Ostdeutschen mit der jungen, neuen Demokratie in den 90er Jahren sind fundamental anders, als die Erfahrungen der Westdeutschen mit der jungen, neuen Demokratie in den 50er Jahren waren. Im Westen ging die Demokratie einher mit rasch wachsendem Wohlstand, mit einer spürbar wachsenden Sicherheit und schließlich auch mit einer Teilhabe aller daran, die als hinreichend gerecht empfunden werden konnte.
In Ostdeutschland wird die neue Demokratie ganz anders erlebt. Sie wird erlebt als Verlust von Arbeit, Sicherheit und Gerechtigkeit. Sie wird in mancher Hinsicht nicht als Aufbau neuer Strukturen und Industrien, sondern als deren Zerstörung wahrgenommen. Es erscheint vielen Menschen eben nicht so, daß sie allmählich festen Boden unter die Füße bekommen, sondern vielmehr erscheint es ihnen so, daß sie vermeintlich festen Boden verlieren. Viele junge Menschen erleben den vollen Zynismus eines Spruchs und späteren Buchtitels am eigenen Leibe, der lautet: Du hast keine Chance, aber nutze sie.
Nach der Wahl in Magdeburg hieß es in einem Zeitungskommentar: Weder die Union mit dem Versuch, rechtsextremistische Parolen zu übernehmen, noch die SPD mit ihrem sozialpädagogischen Ansatz würden dem Rechtsextremismus wirksam Paroli bieten können. Mich hat dieser Kommentar sehr geärgert. Er unterstellt demokratischen Volksparteien Haltungen, die sie - hoffentlich - nicht einnehmen. Jedenfalls höre ich in der Union genügend Stimmen, die vor der Versuchung warnen, Rechtsextremisten nach dem Munde zu reden. Wir Sozialdemokraten erliegen keinesfalls der Versuchung, ausgerechnet Antidemokraten mehr Zuwendung zukommen zu lassen als jungen Menschen, die sich um die Demokratie bemühen. Im Gegenteil: Gegen rechts brauchen wir Polizei und Justiz. Es kann keine Toleranz für die geben, die Toleranz abschaffen wollen.
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Mit der Politik, die ich eben skizziert habe, nämlich für die Mühen der Demokratie zu werben und zugleich Ausweglosigkeit durch Perspektiven und AusWolfgang Thierse
grenzung durch Integration zu ersetzen, müssen wir verhindern, daß sich der Rechtsextremismus in unserem Lande wieder ausbreitet.
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Ich möchte noch einen Kommentar aus dem Berliner „Tagesspiegel" von gestern zitieren:
Demokratie ist kein pädagogisches Projekt, und Ostdeutsche sind keine Kinder. Man überzeugt - wie sonst - durch Argumente und dadurch, daß man selbst Demokratie attraktiv lebt. Daran mangelt es im Westen allerdings. Über die Demokratisierung des Ostens entscheidet die Praxis im Westen.
Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, ich sehe mit Entsetzen, was Sie tun. Ihre „RoterHändedruck-Demagogie" ist gefährlich für die zarte Pflanze Demokratie in Ostdeutschland. Sie spaltet das Land. Ich kann Sie nur davor warnen, das weiter zu treiben.
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Ich gebe das Wort der Abgeordneten Steffi Lemke.
Verehrter Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! In den letzten Wochen und Monaten ist viel über die neuen Bundesländer debattiert worden - wohlgemerkt über die neuen Länder, nicht so sehr mit den neuen Ländern. Die Bundesregierung hat gestern bei der Vorstellung des Berichtes zur Deutschen Einheit eine positive Bilanz gezogen und ein Zusammenwachsen Deutschlands konstatiert. Probleme gebe es hingegen noch bei der Produktivität, im Management und bei der Zahlungsmoral von Firmen. Wer dies anders sehe, sei ein professioneller Schwarzseher. Es gebe halt Licht und Schatten.
Unbestritten ist in den neuen Ländern vieles erreicht worden. Ich glaube, dieses Bild vom „JammerOssi" , das hier oft gezeichnet wird, existiert im Osten weniger als in den Köpfen mancher Westpolitiker. Die Ostdeutschen gehen inzwischen sehr wohl selbstbewußt mit den Ergebnissen der deutschen Einheit um, und Larmoyanz ist keineswegs so vorherrschend, wie das hier häufig den Anschein hat.
Unbestritten ist der Lebensstandard höher als 1989. Die Wohnungsausstattungen sind verbessert, Umweltbelastungen sind gesunken - die Ursachen hierfür möchte ich in dieser Debatte einmal außen vor lassen -, und wir haben ein hochmodernes Telefonnetz. Ich frage mich aber trotzdem, ob Herrn Rexrodt - er ist jetzt leider nicht mehr hier - angesichts seiner Schlußfolgerung, die er gestern gezogen hat, daß sich die Menschen im Osten und im Westen nähergekommen seien, nicht das Gefühl beschleicht, an den Realitäten vorbeizureden. Werfen Sie einen Blick auf Ihre neuen Wahlplakate! Hat das etwas mit einem Näherrücken von Ost und West zu tun? Sie instrumentalisieren die politischen Vorgänge der letzten Woche in einer Art und Weise für Ihren Wahlkampf, die den Aufbau Ost, für den sich die Koalition durchaus Verdienste erworben hat, diskreditiert. Das hätten Sie Ihrem Kanzler nicht zumuten sollen.
({0})
Warum fällt es Ihnen so schwer, ein differenziertes Bild des Aufbaus Ost zu zeichnen? Warum fällt es Ihnen so schwer, Fehler, die gemacht worden sind, als solche zu benennen? Wenn man in der Kommune mit CDU-Abgeordneten des Kreistages redet, stellt man fest, daß ihnen das durchaus bewußt ist - ob das das Prinzip Rückgabe vor Entschädigung ist, ob das die Entwicklung im Abwasserbereich ist, die Kosten in Millionenhöhe verursacht hat und unter der die Bevölkerung heute zu leiden hat, ob das fehlgeschlagene Investitionsprojekte sind, ob das die fehlende aktive Arbeitsmarktpolitik ist. Da sind einfach Fehler gemacht worden, auch wenn Sie letzteres mit der Wiederaufnahme der Förderung von AB-Maßnahmen in letzter Zeit zum Teil korrigiert haben. Warum können Sie nicht viel selbstbewußter mit diesem Problem umgehen, warum müssen Sie das auf eine so miese Kampagne reduzieren, wie Sie sie vorbereitet haben?
({1})
Im Osten sind große Probleme zu bewältigen. Auch das ist, so denke ich, parteiübergreifender Konsens. Arbeitslosigkeit ist dabei an erster Stelle zu nennen. Aber auch Perspektivlosigkeit der Jugendlichen, Rechtsextremismus
({2})
und Distanz zum demokratischen System sind Konflikte, die sich dort viel schärfer stellen als in den alten Bundesländern.
Diese tatsächlichen Probleme des Aufbaus Ost haben aber in den politischen Debatten der letzten Wochen überhaupt keine Rolle mehr gespielt. Statt dessen ist ein elendes Parteiengezänk über die politisch korrekte Regierungsbildung in einem der neuen Bundesländer entbrannt. Der ganze Osten wird momentan in einer üblen Art und Weise für einen westdeutsch geprägten Bundestagswahlkampf verheizt. Glauben Sie tatsächlich, damit nur eines der existierenden Probleme auch nur in Ansätzen lösen zu können? Was ist geblieben von Ihren hochtrabenden Versprechungen, beispielsweise in der Arbeitsmarktpolitik? Was ist aus dem Bündnis für Arbeit für den Osten geworden? Das war ein durchaus positiver Ansatz; Sie haben ihn bloß nicht umsetzen können.
Mit dieser Ankündigungspolitik haben Sie die Leute im Osten einfach verprellt. Es wurde versprochen: 1997 findet kein Abbau von Arbeitsplätzen in den neuen Bundesländern statt. Statt dessen sind weitere 200 000 abgebaut worden. Ab 1998 sollten dann jährlich 100000 neue geschaffen werden. Von diesen durch nichts zu haltenden Versprechungen konnte sich Herr Rexrodt auch heute noch nicht lösen. Statt blühender Landschaften heißt es jetzt, wie schon seit vier Jahren: Aufschwung Ost.
Das Wahlkampfbonbon Ost, das Sie jetzt für die AB-Maßnahmen, für die aktive Arbeitsmarktpolitik zugestanden haben, ist zwar im Grundsatz zu begrüßen, aber daß Sie dafür im letzten Jahr die aktive Arbeitsmarktpolitik erst zurückfahren mußten und damit die sozialen Dienste in den neuen Bundesländern in die Bredouille bringen, zeugt von einer Ignoranz der Arbeitsmarktprobleme, die ich nicht weiter kommentieren möchte. Dies ist gegenüber den Leuten, die in diesen Projekten arbeiten, die zum Beispiel Jugendsozialarbeit leisten, verdammt zynisch.
Die Auswirkungen dieser Pingpong-Arbeitsmarktpolitik auf den ABM-Bereich zeigen sich durchaus auch in diesem rechtsextremistischen Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt. Wir haben in Sachsen-Anhalt versucht, die Lehrstellenproblematik zu lösen. Wir haben dort versucht, das, was von der Wirtschaft nicht geleistet worden ist, durch staatliche Maßnahmen aufzufangen. Das ist aber nicht in Gänze möglich. Sie können das nicht vollständig durch eine staatliche Lehrstellenpolitik auffangen. Es ist daher notwendig, ein Gesetz zu schaffen, das die Wirtschaft zwingt, die Lehrstellenprobleme zu lösen. Wir haben dazu einen Entwurf vorgelegt, der die dortigen Ansätze positiv aufgreift und vor allen Dingen der Wirtschaft den Spielraum eröffnet, sich aus der bisherigen Gesetzeslage zu befreien.
Ich denke, daß es bei der sachsen-anhaltischen Wahl unter den demokratischen Parteien keine Gewinner gibt. Das, was hier heute von der F.D.P. an Wahlkampfpolemik über das sachsenanhaltische Wahlergebnis abgeliefert worden ist, sollte in dieses Haus eigentlich keinen Eingang finden. Das gehört bestenfalls auf die Straße, aber dort richtet es den größten Schaden an. Von hier aus wird es dorthin transportiert.
Das Problem des Wahlergebnisses in Sachsen-Anhalt war nicht die Tatsache, daß die CDU nicht Juniorpartner in einer SPD-geführten Landesregierung geworden ist. Das Problem war auch nicht das Ergebnis meiner Partei oder das Ergebnis der F.D.P. oder das der PDS. Gewonnen hat keine dieser Parteien. Das Problem, das sich bei der sachsen-anhaltischen Wahl gestellt hat, war die DVU. Das, was Sie hinterher durch Ihre gegenseitigen Schuldzuweisungen daraus gemacht haben, ist auch ein Problem des Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern.
Das DVU-Wahlergebnis ist kein sachsen-anhaltisches Problem. Wenn sich Herr Biedenkopf heute hinstellt und völlig außen vor läßt, daß die NPD in Sachsen-Anhalt inzwischen Strukturen aufgebaut hat, die viel problematischer als das Ergebnis der DVU in Sachsen-Anhalt sind, zeugt das von einer Blindheit, die bei den nächsten Wahlen Probleme schaffen wird.
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- Ich habe eben versucht, Ihnen zu vermitteln, daß das Problem des Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern kein Problem der Regierung in Sachsen-Anhalt oder in Sachsen ist. Wenn Sie dieses
Thema im Wahlkampf unbedingt instrumentalisieren müssen, tragen Sie hinterher auch die Mitverantwortung für den Rechtsextremismus in Deutschland, vor allem in Ostdeutschland.
Dort besteht eine spezifische Situation, die sich von der in den westdeutschen Bundesländern unterscheidet. Es geht auch nicht mehr darum, daß irgendein dumpfbackiger DVU-Verleger aus München Reden für ostdeutsche Abgeordnete schreibt, sondern es geht darum, daß inzwischen mehr oder weniger offen zum Totschlagen von Leuten aufgerufen wird und dies von den demokratischen Parteien zu einem großen Teil toleriert oder zumindest unwidersprochen hingenommen wird.
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Ich habe versucht, Ihnen darzustellen, welche Jugendprobleme in den neuen Bundesländern zu verzeichnen sind.
({5})
- Das ist eben kein Problem von Sachsen-Anhalt. Ich hoffe, daß Sie das einmal aus so einer Debatte aufnehmen können, daß Sie vielleicht einmal eine Sekunde lang zuhören können und sich Gedanken darüber machen, auf welche Ursachen es zurückzuführen ist, daß man dort zwischen einem wirklich rechtsextremen Wählerpotential, das sich dort festgesetzt hat, und dem Protestwählerpotential unterscheidet; beiden können Sie nicht mit den gleichen Mitteln begegnen.
Ich glaube, daß das, was sich gestern in der Debatte zum 150. Jahrestag des deutschen Parlamentarismus abgespielt hat, der Demokratie in diesem Lande abträglich gewesen ist - so wie diese Debatte von Ihnen eröffnet worden ist. Ich möchte dazu eine persönliche Anmerkung als Schlußbemerkung machen: Ich bin vor vier Jahren mit 26 Jahren hier in den Bundestag gekommen. Ich stehe zu diesem parlamentarischen und zu diesem demokratischen System. Ich denke, daß die Diskussion über Parlamentarismus nicht nur den Protest Jugendlicher zum Ausdruck gebracht hat - mögen sie nun Arbeitsplätze haben oder nicht -, sondern daß sie wirklich das parlamentarische System selbst betraf. Aber wenn sich der Wahlkampf weiter in dem Ton abspielt, in dem er jetzt angefangen hat, erweisen Sie Parlamentarismus und Demokratie einen Bärendienst.
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Jürgen Türk.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war am Sonntag in Vogelsdorf, also in der Region Straußberg in Brandenburg, Herr Ministerpräsident Stolpe, und zwar zu einer Versammlung, zu der Innungsobermeister Patschke eingeladen hatte. Er erklärte, daß es keine Klageveranstaltung werden solle, aber das
Handwerk brauche Hilfe; die Politik sei dringend gefragt. Dem Mann und dem Handwerk sowie dem ganzen Mittelstand muß gehollen werden.
Wie beantwortet nun die Politik insbesondere die Frage zur immer noch unzureichenden Liquidität? Das ist nämlich eine ganz wichtige Frage, die sich im Osten stellt. Die SPD will eine Neuorientierung des wirtschaftlichen Aufbaukonzepts für Ostdeutschland, und Bündnis 90/Die Grünen neue Chancen. Nur, der Begriff „neu" allein reicht nicht. Es muß klar beschrieben werden, was „neu" bedeutet.
Wir wollen die Wachstums- und Beschäftigungspolitik für die neuen Länder fortsetzen. Das heißt nicht: „Weiter so!", sondern das heißt, endlich Reformen durchzusetzen.
({0})
Wir brauchen die Sache nicht weiter zu verkomplizieren, wie es teilweise hier geschieht.
Für die F.D.P. heißt Neuorientierung und neue Chancen für den Aufbau Ost: erstens Umsetzung der großen Steuerreform, einschließlich der Lohnnebenkostensenkung;
({1})
zweitens Anwendung des Gesetzes zur Fortsetzung der wirtschaftlichen Förderung in den neuen Bundesländern ab 1999 - da haben wir etwas gemeinsam hingekriegt -; drittens Verbesserung der Zahlungsmoral.
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Zu eins, zu drastischen Steuersenkungen für Unternehmen und Arbeitnehmer, gibt es natürlich keine Alternative. Wie die SPD ein solches Konzept ablehnen konnte, bleibt mir nach wie vor schleierhaft, zumal die Grundlage dafür - das Bareis-Gutachten -1995 nicht nur von der F.D.P., sondern auch von der SPD bejubelt wurde. Das haben Sie aber vergessen, wahrscheinlich bewußt verdrängt. Unverständlich bleibt die Haltung der SPD für mich, da Steuerprivilegien für große Unternehmen erheblich reduziert wurden, die Abgabenlast für kleine und mittlere Unternehmen drastisch gesenkt wurde, ebenso die Einkommensteuer. Wieso stimmt man einem solchen Konzept nicht zu?
Bei der Besteuerung von Zuschlägen und Lebensversicherungen waren wir nachweislich gesprächsbereit. Also, das kann es auch nicht gewesen sein. Die jetzt von der SPD vorgesehene Reduzierung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 49 Prozent bringt nichts, jedenfalls keine spürbare Entlastung, um Arbeitsplätze zu schaffen. Darum geht es ja wohl hauptsächlich.
Wie sich die SPD dem Konzept einer erfolgreichen Arbeitsplatzpolitik sozialdemokratisch regierter Nachbarländer so hartnäckig verweigern kann, bleibt ihr Geheimnis; denn Steuersenkungen sind nun mal das beste Vorhaben zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
({3})
Auf diese Art und Weise haben Sie als SPD den Abbau der Arbeitslosigkeit in Millionenhöhe verhindert.
Zu zwei, der weiteren Förderung in den neuen Bundesländern von 1999 bis 2004: Es ist richtig, die Sonderabschreibung abzuschaffen und die gesetzlich einklagbaren Investitionszulagen zu verdoppeln. Ich bin sicher, es wird helfen, die allgemeine Investitionszulage von 5 auf 10 Prozent und die Mittelstandszulage von 10 auf 20 Prozent zu verdoppeln sowie die Investitionszulage für den kleinen innerstädtischen Einzelhandel einzuführen. Wenn wir bei Existenzgründern und Betrieben mit bis zu 25 Arbeitnehmern die Fördermittelbürokratie durch Selbstberechnung der Zulage etwas abbauen könnten, würden wir so die notwendige Zahlungsfähigkeit rasch erreichen.
Zu drei, zur weiteren Stärkung der Liquidität durch Verbesserung der Zahlungsmoral beziehungsweise der Bekämpfung der Nichtzahlungskriminalität - denn das hat mit Moral nichts mehr zu tun -: Sie steht bei den Entwicklungshemmnissen noch vor zu geringer Eigenkapitalausstattung und noch vor zu hoher Abgabenbelastung - beides auch Ursachen für die Zahlungsunfähigkeit.
Aber es gibt immer mehr Zahlungsunwillige, und zwar inzwischen nicht nur in Ostdeutschland, sondern immer häufiger auch im Westen. Diesem Sittenverfall muß Einhalt geboten werden.
({4})
Hier muß jetzt gehandelt werden. Es kann nicht sein, daß in der sozialen Marktwirtschaft, deren Grundlage das Leistungsprinzip ist, dieses schrittweise abgeschafft wird. Es darf nicht sein, daß das Nichtbezahlen zum Volkssport wird. Deshalb haben wir in Abstimmung mit dem Mittelstand einschließlich des Handwerkes den Antrag „Mangelnde Zahlungsmoral verbessern" initiiert.
({5})
Herr Kollege Türk, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Kaspereit?
Sehr gern.
Lieber Herr Kollege Türk, wenn Sie dies erst bei der Besprechung in Vogelsdorf von Herrn Patschke erfahren haben, dann tut mir das natürlich leid. Wir reden seit mehreren Jahren über die schlechte Zahlungsmoral und suchen natürlich Wege, um sie einzudämmen. Glauben Sie, daß Sie zwei Sitzungswochen vor Ende dieser Legislaturperiode mit Ihrem Antrag hier tatsächlich noch etwas bewegen können und daß es überhaupt technisch möglich ist, diesen Antrag durch die Gremien zu bringen, oder würden Sie diesem Antrag eher den Stellenwert eines Schaufensterantrages geben?
Liebe Frau Kaspereit, ich glaube tatsächlich daran; denn erstens haben wir schon etwas getan, und zweitens haben wir uns schon des längeren und nicht erst seit einer Woche damit beschäftigt. Beispielsweise ist die 2. Zwangsvollstreckungsnovelle beschlossen worden, mit der Gläubiger Vollstreckungstitel künftig schneller und effektiver durchsetzen können. Diese Novelle liegt auf dem Tisch und ist gut. Der Nachteil dabei ist nur, daß sie erst 1999 in Kraft treten wird. Das war mit den Ländern nicht anders zu machen. Aber wir fordern hiermit die Länder auf, wenigstens bis zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Anwendung zu schaffen. Das ist schon ein ganz konkretes Instrument, das bereits auf dem Tisch liegt.
Des weiteren können wir das ebenfalls schon beschlossene Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz nutzen, wo wir § 32 des GmbH-Gesetzes - ({0})
- Das liegt schon vor. Sie haben gefragt, ob wir uns erst jetzt aus Wahlkampfgründen damit befassen. Ich mache das seit drei Jahren, und wir haben schon gesetzliche Grundlagen in diesem Bereich geschaffen.
Ebenso liegt die Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts vor, damit die außergerichtliche Streitschlichtung nicht nur für große Auslandsgeschäfte und Geschäfte in Milliardenhöhe, sondern gerade für das Handwerk genutzt wird. Hier gibt es schon Vorschläge von der Basis, natürlich aus Cottbus. Dort hat sich die IHK nach unserem Gespräch gemeldet und gesagt, sie werde ein Pilotprojekt initiieren und ein ständiges Schiedsgericht schaffen. Diese Tatsachen bestärken mich natürlich auch in dem Glauben, daß wir hier nach langer Zeit endlich einmal etwas Vernünftiges auf die Reihe kriegen. - Das zur Beantwortung Ihrer Frage.
Hier bestünde vielleicht die Möglichkeit, so etwas einmal zusammen zu machen. Aber das ist offensichtlich eine Illusion, wenn ich es richtig sehe. Auf jeden Fall muß noch - jetzt werde ich weiter konkret - in dieser Legislaturperiode das Zustellungsrecht geändert werden, so daß nicht billige Tricks angewandt werden können, daß also zum Beispiel jemand ständig nicht da ist und dadurch das Verfahren verzögert wird. Das Justizministerium arbeitet daran, das Zustellungsrecht noch in dieser Legislaturperiode zu novellieren. Das ist also eine ganz konkrete Möglichkeit, hier etwas zu machen.
Ich fordere die Bundesregierung auf, noch in dieser Legislaturperiode die Verdingungsordnung für Bauleistungen, also die VOB, zu ändern. Wir müssen dort die Zahlungsfristen verändern und auf jeden Fall verhindern, daß die Frist zur Prüfung von Rechnungen auf sechs Tage verkürzt wird. Es kann nicht sein, daß die Leute noch nach 30 Tagen sagen können, die Rechnung sei nicht prüffähig. Das ist eine weitere reale Möglichkeit, die wir anstreben. Das hat nicht nur mit Wahlkampf zu tun, natürlich auch - wie bei Ihnen auch -, bloß daß wir es mit konkreten Vorschlägen und Gesetzen untersetzen.
Ferner ist notwendig, daß wir - das könnten wir vielleicht zusammen machen - uns darüber unterhalten, ob der übliche Verzugszins von 4 bis 5 Prozent nicht erheblich erhöht werden muß. Er muß erhöht werden - das sagen jedenfalls alle Leute, die damit etwas zu tun haben, natürlich außer den Juristen -, um die Hemmschwelle der Zahlungsunwilligkeit zu erhöhen. Es geht also nicht nur darum, zu prüfen, ob wir den Verzugszins erhöhen müssen, sondern darum, in welcher Höhe er erhöht werden muß. Immerhin steht uns in dieser Frage die EU-Kommission zur Seite, die klar und deutlich sagt, daß der Verzugszins hier um 8 Prozent zu erhöhen ist - das als Grundlage, um zu zeigen, daß eine Erhöhung nicht aus der Luft gegriffen ist.
Schließlich fordern wir die Länder auf, Herr Stolpe, endlich zentrale Mahngerichte einzurichten. Für das Land Brandenburg könnte zum Beispiel der Standort Berlin genutzt werden. Es kann nicht sein, daß das Justizministerium dem entgegnet, daß ihm dann die Gebühren für die manuellen Mahngerichte entgingen. Das kann so nicht bleiben. Ich lade dazu ein, auf diesem Gebiet gemeinsam vorzugehen, damit die Einrichtung dieser Mahngerichte nicht noch so viele Jahre dauert, wie bisher schon vergangen sind.
Herr Kollege Türk, Ihre Redezeit ist zu Ende. Sie müssen zum Schluß kommen.
Zum Schluß will ich noch zum Ausdruck bringen, daß natürlich auch die Landwirtschaftsbetriebe zum Mittelstand gehören sollten und daß wir uns bei der Altschuldenfrage im Rahmen des Berichtes bis zum Jahr 2000 bemühen sollten, zu erkennen, ob die Bilanzen richtig bewertet worden sind. Das steht nicht außer Frage; vielmehr ist es ein wichtiges Thema, so wie es im Antrag der SPD zum Ausdruck gebracht worden ist.
Vielen Dank.
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Ulrich Junghanns.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Richtig ist, daß die viel zu hohe Arbeitslosigkeit auf dem flachen Land und in den Dörfern unserer jungen Bundesländer mit zusätzlicher Schärfe erlebbar ist. Es würde uns den Blick für Auswege verstellen und wäre daher falsch, daraus undifferenziert auf die Situation der Landwirtschaft zu schließen, etwa durch eine Behauptung von der Art, sie liege am Boden.
Das Gegenteil ist der Fall. Was in kurzer Zeit geschafft wurde, ist ermutigend. 80 Prozent der juristischen Betriebe und nahezu alle Haupterwerbsbetriebe - um nur zwei Zahlen zu nennen - haben in den vergangenen Jahren die einzelbetriebliche Investitionsförderung in Anspruch genommen. Hinter
Investitionen steht keine Depression; hinter Investitionen stehen Aufbruchwille und Zuversicht.
Aus dieser Situation kann man schlüssig ableiten, daß zweierlei klar ist:
Erstens. Die Bauern in den neuen Bundesländern haben die agrarpolitischen Wegweisungen der Koalition angenommen; sie haben sie sich zu eigen gemacht.
Zweitens. Wir brauchen keine ideologisch motivierte oder sich diffus darstellende Neuorientierung; vielmehr brauchen diejenigen, die investiert und sich ins wirtschaftliche Risiko begeben haben, Zuversicht und verläßliche agrarpolitische Rahmenbedingungen.
({0})
Dafür steht die Koalition auch in den Bereichen, wo es für uns manchmal nicht ganz bequem ist,
({1})
Kollege Thalheim. Auch dort, wo es nicht ganz bequem ist, sagen wir trotzdem, wohin der Weg führt und bedienen nicht einmal mit dem einen und einmal mit dem anderen Antrag einmal dieses und einmal jenes Klientel.
Zu den langfristigen Pachtverträgen. Es ist falsch, wenn Sie hier darstellen, daß mit diesen Pachtverträgen eine Unsicherheit beseitigt werde. Zwölf Jahre Pacht in den neuen Bundesländern, bezogen auf die von der BVVG vergebenen Pachtverträge, sichern ausreichend wirtschaftliche Basis für Entwicklung und Investitionen. Im Rahmen des deutschen Pachtrechts wäre es ganz schwierig, nach zwölf Jahren aus dieser Pacht einfach „herauszufliegen", wenn man gegen das Pachtrecht nicht gröblichst verstoßen hat. Das wissen Sie. Deshalb sagen wir: Es wäre ungerechtfertigt, unisono auch im Bereich der staatlichen Verpachtungen 18 Jahre vorzugeben, ohne vielleicht doch die Möglichkeit bestehenzulassen, dort, wo Verstöße gegen Pachtrecht und gegen Vermögensauseinandersetzungen stattfinden, dagegen vorzugehen. Deshalb sagen wir eindeutig: Zwölf Jahre, keine Verlängerung! Damit ist die Sicherheit für wirtschaftliche Entwicklung ausreichend gewährleistet.
({2})
Zu den Altschulden. Herr Thalheim, in unregelmäßigen Zeitabständen sagen Sie: Wir müssen die Altschulden streichen. Herr Thalheim, wir tun das, was das Bundesverfassungsgericht nach einschlägiger Rechtsprechung von uns verlangt. Wir untersuchen, so der definitive Auftrag, ob die Entlastung über die Besserungsscheinlösung, durch die die Betriebe über 20 Jahre die Möglichkeit erhalten, diese Altschulden abzutragen, wirklich eine ausreichende Entlastung darstellt.
Wissen Sie, was eigentümlich ist? Die Bundesregierung hat die Bundesforschungsanstalt Landwirtschaft und die Humboldt-Universität zu Berlin beauftragt, in die Betriebe zu gehen und zu untersuchen, ob ungerechtfertigte Belastungen - das ist übrigens letztlich im Einvernehmen mit den Ländern zustande gekommen; ich bin sehr dankbar dafür - bestehen. Eigentümlicherweise erklären sich die Betriebe nicht bereit, den untersuchenden Gremien die notwendige Freigabe von Informationen durch ihre Banken zu gewähren. Ich appelliere von dieser Stelle: Wenn es darum geht, ungerechtfertigte Belastungen von den Betrieben zu nehmen, muß dieser Auftrag erfüllt werden können. Es muß vor allen Dingen sichergestellt werden, daß die Untersuchung möglich wird. Eine Beteiligung an der Untersuchung ist immer im Interesse der Betriebe selbst.
({3})
Zum vergünstigten Flächenerwerb. In dem lauf enden Hauptprüfungsverfahren der Europäischen Union unternimmt die Regierung gegenüber der EU-Kommission alles, was in ihren Kräften steht, um den mit dem EALG für Ostdeutschland gefundenen Kompromiß zu verteidigen und hierfür die Billigung von der Kommission zu erreichen. Die Regierung wird der EU-Kommission klarmachen, daß dieser Verkauf von Staatsflächen dazu dient, in historisch einmaliger Situation im Osten unseres Landes eine der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und der EU entsprechende Eigentumsordnung zu schaffen. Ich bin zuversichtlich, daß das der Regierung durch ihr engagiertes Eintreten gelingen wird.
Zwei Anmerkungen zu den Kartoffelexporten: Es ist falsch, daß wir eine fraktionsübergreifende Initiative blockieren. Offenbar haben Sie Informationen, daß ein Bundesministerium einen Verfahrensweg, so, wie er vorgeschlagen wird, ablehnt. Konkret geht es um die Frage - ich möchte das ganz offen sagen -, ob Beihilfen auch gezahlt werden, wenn ein Export nicht nachgewiesen werden kann.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Dann fragt noch mal!
Wir werden eine Lösung finden. Aber daß Sie sich auf diese Art und Weise von der gemeinsamen Suche nach einer Problemlösung verabschieden,
({0})
enttäuscht mich nachhaltig und ist bezeichnend dafür, welche Wahltaktik die Opposition verfolgt und wie sie sich von jeder Problemlösung wegbewegt.
({1})
Schließlich möchte ich noch ein Wort zu Herrn Stolpe sagen.
Nein, Sie müssen zum Schluß kommen.
Noch ein Wort. - Herr Stolpe, in dem Bemühen, das Konzept einer europäischen Agrarpolitik, wie es jetzt in Form der Agenda 2000 auf dem Tisch liegt, zu verhindern, sind wir uns einig. Die CDU/CSU und die F.D.P. werden
dafür Sorge tragen, daß die geplanten Begrenzungen und wirtschaftlichen Einschränkungen für die Entwicklung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern vom Tisch kommen. Ich bin zuversichtlich - da werden wir unseren Minister unterstützen -, daß wir dafür Mehrheiten in Europa erreichen.
Danke schön.
({0})
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Überweisungen und den Abstimmungen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/10436, 13/10290 und 13/ 10821 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen. Zunächst erfolgt die Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Antrag der Fraktion der SPD zu den Altschulden in der Landwirtschaft der neuen Länder auf Drucksache 13/3310. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/812 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Antrag der Gruppe der PDS zur Regelung der Altkredite der LPG-Rechtsnachfolger auf Drucksache 13/3310 auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1330 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung im übrigen angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Fraktion der SPD zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenhang mit den Altschulden der Landwirtschaft in den neuen Ländern auf Drucksache 13/9786 Nr. 1 auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7442 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Konsequenzen aus dem Urteil zu den landwirtschaftlichen Altschulden auf Drucksache 13/9786 Nr. 2 auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7709 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu Konsequenzen aus dem Urteil zu den LPG-Altschulden auf Drucksache 13/9786 Nr. 3 auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7903 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur verfassungsrechtlichen Problematik der Altschulden landwirtschaftlicher Betriebe in den neuen Bundesländern auf Drucksache 13/9786 Nr. 4 auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4011 für erledigt zu erklären. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Änderung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes auf Drucksache 13/ 10070 auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9391 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu den Enteignungen in der ehemaligen SBZ auf Drucksache 13/10257 Buchstabe a auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6410 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Nichtrückgängigmachung der Enteignung auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage auf Drucksache 13/10257 Buchstabe b auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 6528 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Rechtsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Dann kommen wir zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu neuen Chancen für Ostdeutschland, Drucksache 13/10170. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8645 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zum Antrag der Gruppe der PDS zur Verwendung des Vermögens der DDR entsprechend den Festlegungen des Einigungsvertrages auf, Drucksache 13/10570. Der Finanzausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8656 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Antrag der Fraktion der SPD zur Verlängerung des Veräußerungstermins von nicht betriebsnotwendigen Vermögenswerten auf, Drucksache 13/2782 Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1772 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt unter Nr. 2 der Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/2782 die Annahme einer Entschließung, die Ihnen vorliegt. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch diese Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Antrag der Fraktion der SPD zur Verlängerung der Pachtverträge landwirtschaftlicher Flächen in den neuen Ländern auf, Drucksache 13/10732. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 9942 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Es soll keiner sagen, daß wir nicht ein fleißiges Parlament sind.
({0})
Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 10a bis 10h, den Zusatzpunkt 8 und die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:
10. a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Antje Hermenau, Elisabeth Altmann ({1}), Gila Altmann ({2}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Bundesgesetzes zur Förderung der Ausbildungsbereitschaft der Wirtschaft
({3}) - Drucksache 13/7821 ({4})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Maritta Böttcher, Rosel Neuhäuser und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur solidarischen Ausbildungsfinanzierung
({5}) - Drucksache 13/8040 ({6})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Günter Rixe, Stephan Hilsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung und Förderung der betrieblichen Berufsausbildung
({7})
- Drucksache 13/8680 - ({8})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({9})
- Drucksache 13/10609-
Berichterstattung:
Abgeordnete Werner Lensing
Antje Hermenau
Maritta Böttcher
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({10}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und F.D.P.
Mehr Ausbildungsplätze durch flexible Strukturen - moderne Berufe - keine Zwangsabgaben
- Drucksachen 13/8732, 13/10609 - Berichterstattung:
Abgeordnete Werner Lensing Günter Rixe
Dr. Karlheinz Guttmacher Maritta Böttcher
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({11})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Christa Luft, Rosel Neuhäuser, Roll Kutzmutz und der Gruppe der PDS
Sofortprogramm berufliche Erstausbildung für alle Jugendlichen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ottmar Schreiner, Edelgard Bulmahn, Christel Hanewinckel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Sofortprogramm Arbeit und Beruf für junge Frauen und Männer
- Drucksachen 13/8599, 13/8640, 13/10610 -Berichterstattung:
Abgeordnete Werner Lensing Günter Rixe
Dr. Karlheinz Guttmacher Maritta Böttcher
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 1998
- Drucksache 13/10651 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({12}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuß
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter Rixe, Klaus Barthel, Heinz Schmitt
({13}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Jugend braucht Zukunft - Ausbildungsoffensive jetzt verwirklichen
- Drucksache 13/10665 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({14}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuß
f) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Franz Thönnes, Peter Enders, Dieter Grasedieck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Lebensbegleitendes Lernen: Situation und Perspektiven der beruflichen Weiterbildung
- Drucksachen 13/6887, 13/8527 -
g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({15}) zu dem Antrag der Abgeordneten Günter Rixe, Stephan Hilsberg, Franz Thönnes, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Grundsatzerklärung zur Entwicklung der Ausbildungsberufe
- Drucksachen 13/7255, 13/9680 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr.-Ing. Rainer Jork Stephan Hilsberg
Dr. Karlheinz Guttmacher
h) Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({16})
Sammelübersicht 286 zu Petitionen
({17})
- Drucksache 13/9636 ZP8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Franz Thönnes, Klaus Barthel, Dieter Grasedieck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Lebensbegleitendes Lernen auf eine neue Grundlage stellen - die Weiterbildung zum vierten Bildungsbereich weiterentwickeln
- Drucksache 13/10814 21918
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({0}) Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
11. a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({1})
- Drucksache 13/10241 ({2})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Renate Jäger, Rolf Schwanitz, Hans-Joachim Hacker, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften ({3})
- Drucksache 13/9414 ({4})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({5})
- Drucksache 13/10668 - Berichterstattung:
Abgeordnete Bärbel Sothmann Doris Odendahl
Dr. Karlheinz Guttmacher Maritta Böttcher
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 13/10755 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Schanz Steffen Kampeter
Jürgen Koppelin
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({7})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Doris Odendahl, Edelgard Bulmahn, Tilo Braune, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform der Ausbildungsförderung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Ludwig Elm und der Gruppe der PDS
Neunzehntes Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({8})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Berninger, Marieluise Beck ({9}), Andrea Fischer ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
BAföG-Strukturreform in Gang setzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Berninger, Marieluise Beck ({11}), Rita Grießhaber, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
BAföG-Strukturreform dringender denn je
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Zwölfter Bericht nach § 35 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zur Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach § 21 Abs. 2
- Drucksachen 13/6998, 13/7058, 13/7071, 13/
10278, 13/9515, 13/10668 Berichterstattung:
Abgeordnete Bärbel Sothmann Doris Odendahl
Dr. Karlheinz Guttmacher Maritta Böttcher
Zum Bundesausbildungsförderungsgesetz liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS vor. Zur Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses haben die Fraktion der SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen je einen Änderungsantrag eingebracht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, weise ich darauf hin, daß wir nach diesem Tagesordnungspunkt eine Wahl durchführen werden und über einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes namentlich abstimmen werden. Für die Wahl des Bundesbeauftragten für den Datenschutz benötigen Sie dann einen Wahlausweis in der Farbe Weiß und eine Stimmkarte. Den Wahlausweis können Sie nachher in den Stimmkartenfächern abholen. Stimmkarten für die Wahl werden rechtzeitig im Saal verteilt. Zur Wahl des Bundesdatenschutzbeauftragten ist die absolute Mehrheit erforderlich, zur Annahme des Entwurfs zur Änderung des Grundgesetzes eine Zweidrittelmehrheit.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Rainer Jork.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sitzen heute neuneinhalb Stunden hier, sprechen über Wirtschaft, Aufschwung, Arbeitsplätze. Das ist eine wichtige Sache. Und wir haben immer wieder gehört, daß es dabei auch um Bildung geht und darum, wie wir jungen Leuten Chancen schaffen. Lassen Sie mich unter Bezug auf den Berufsbildungsbericht, auf den ich mich besonders konzentrieren möchte, einige grundsätzliche Bemerkungen machen.
Zum ersten geht es uns sicher gemeinsam darum, das duale System zu erhalten und zu modernisieren, weil es erhebliche Vorteile hat, Vorteile gegenüber rein staatlicher Unterstützung und Förderung, vor allem hinsichtlich der hohen Qualität der Ausbildung, hinsichtlich des Praxiskontaktes und hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, eine Arbeitsstelle zu bekommen.
Zum zweiten soll jeder, der es will und kann, eine Lehrstelle bekommen. Das ist unverzichtbar.
({0}) - Jeder, der es will und kann, Frau Odendahl.
({1}) - Selbstverständlich.
Drittens tragen Wirtschaft und Verwaltung die Verantwortung für ein ausreichendes Angebot an Arbeitsplätzen. Sie haben letztlich auch wegen der eigenen Zukunft ein ureigenes Interesse daran, Nachwuchs zu haben, Leute, die motiviert und qualifiziert sind.
Bei der Realisierung dieser Grundanliegen gibt es sich überlagernde Problemfelder, auf die ich eingehen möchte und die heute auch in verschiedenen Reden, zum Beispiel in der Rede des Bundeskanzlers, zur Sprache gekommen sind. Wir müssen davon ausgehen und zur Kenntnis nehmen, daß durch die Globalisierung, durch die Neustrukturierung der Arbeitswelt andere Bedingungen bestehen als noch vor zehn Jahren. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß durch die Automatisation, dadurch, daß man effektiver arbeitet, nicht in gleichem Maße, also proportional, Arbeitsplätze geschaffen werden. Dazu sind neue Gedanken und Vorstellungen nötig. Und wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß in den neuen Bundesländern die Situation eben anders ist - auch das haben wir heute immer wieder gehört -, daß der nachhaltige Zusammenbruch der ehemaligen Wirtschaftsbeziehungen, vor allem im Rahmen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe, und der Neuaufbau Probleme mit sich bringen. Es ist deutlich und klar gesagt worden, daß der Neuaufbau der neuen Bundesländer Priorität hat. Dafür sind wir sehr dankbar.
Die Probleme treten in dieser Konstellation, wie ich sie genannt habe, erstmalig auf. Es gibt kein Muster, nach dem man das abarbeiten und sagen kann: Das war immer so, wir machen das weiterhin. Dennoch oder gerade deshalb ist eine Reduzierung auf Finanzfragen und eine Lösung allein nach zentralistischen Vorstellungen nicht hilfreich, sondern läuft den Grundsätzen der beruflichen Ausbildung zuwider. Ich beziehe mich da ganz besonders auf eine Berner-kung der Kollegin Fuchs von der SPD, die heute davon ausging, daß die Umlagesteuer eine besondere Form der Mittelstandsförderung wäre. Ich halte das für absurd, wenn man weiß, daß viele Lehrstellen gar nicht besetzt sind, wenn man die Kriterien im Sinne - hat, die ich soeben genannt habe, wenn man weiß, welcher Auftragsbestand vorhanden ist, usw.
Vielmehr sind ganzheitliche Lösungen gesucht. Zentralstaatliche illusionäre Vorstellungen helfen uns hier nicht weiter. Das betrifft Wirtschaft und Verwaltung, die in der Pflicht sind, die auch im Interesse des eigenen Überlebens gut ausgebildete Menschen brauchen. Immerhin sind 1997 zirka 13 200 Ausbildungsverträge mehr abgeschlossen worden als 1996. Das sind 2,3 Prozent mehr, erstmals seit 1984 ein Zuwachs. Der Präsident des DIHT, Stihl, hat vor kurzem gesagt, daß 1998 ein weiterer Zuwachs um 2 Prozent zu erwarten ist. Das ist gut. Es wird aber nicht langen. Und weil es nicht langt, besteht die Forderung an die Politik, Rahmenbedingungen zu schaffen. Das betrifft die Forschung, die Wirtschaft, und das betrifft Beschleunigungen, die erforderlich sind.
Natürlich galt die Aufmerksamkeit - auch heute haben wir das wiederholt gehört - vor allem den Bedingungen in den neuen Bundesländern. Dort ist eine Konzentration der Probleme zu verzeichnen. Ich möchte aber betonen, daß ich es als eine besondere Chance ansehe, in den neuen Bundesländern prekäre Probleme zu erkennen und anzugehen, um damit vielleicht auch für die alten Bundesländer grundsätzliche Problemlösungen zu erarbeiten. Das oft gehörte Argument „Das gab es bisher noch nicht" akzeptieren wir nicht.
Die Gruppe der ostdeutschen CDU-Bundestagsabgeordneten hat deshalb schon 1996 eine Anhörung durchgeführt, bei der eine Menge Maßnahmen beschlossen worden sind. Ich beziehe mich in diesem Zusammenhang auf meine Reden im Deutschen Bundestag am 17. Oktober 1996 und am 15. Mai 1997.
Es wurde ein Katalog von Maßnahmen erarbeitet. Durch deren Umsetzung konnten Ausbildungsordnungen flexibler gestaltet werden, um ihre dynamische Anpassung an branchenspezifische Entwicklungen zu gewährleisten, und Lehrstellen im betrieblichen Bereich gefördert werden.
Dieses Reformprojekt mit einer Menge Maßnahmen, das die Bundesregierung mit dem Berufsbildungsbericht vorgestellt hat, über das wir diskutiert haben und das wir eigentlich alle gut finden, muß aus meiner Sicht von allen Partnern ernster genommen werden.
Mir geht es auch darum, unkonventionelle Wege zu gehen und zum Beispiel Ausbildungsberufe für „eher praktisch begabte" Jugendliche einzurichten. Dieser Begriff ist strittig. Ich sage es gleich: Ich betrachte mich auch als „eher praktisch begabt"; denn ich bin den zweiten Bildungsweg gegangen. Wir müssen zum Beispiel auch zweijährige Ausbildungsgänge schaffen. Es geht auch um die flexiblere Gestaltung des Berufsschulunterrichts und die Weiterentwicklung neuer Berufe. Es ist also nicht nur eine Frage des Geldes.
Ich freue mich, daß die Bundesregierung am 21. April 1998 mit den ostdeutschen Bundesländern eine Einigung erzielt hat: Mit staatlicher Hilfe, mit Hilfe der Bundesregierung, wird die Zahl zusätzlicher Ausbildungsstellen um 2500 auf 17 500 wachsen. Der Bund stellt den neuen Bundesländern damit immerhin zirka 230 Millionen DM zur Verfügung.
Es gibt Hoffnung. Wir sprechen von Trendwende. Beim Blick auf die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit kann ich feststellen - jeder kann sie sich im Internet ansehen -, daß wir im April bei den gemeldeten Lehrstellen im Vergleich zum Vorjahr immerhin einen Zuwachs von 26 Prozent hatten. Allerdings hat sich auch die Zahl der Bewerber um knapp 5 Prozent erhöht.
Alle Partner tragen Verantwortung. Ich hoffe, daß die Arbeitgeber ihr Angebot ausweiten. Ich gehe davon aus, daß die Politik - das betrifft nicht nur den Bund, sondern auch die Länder - die Rahmenbedingungen erheblich verbessern wird.
Die Lehrstellenkatastrophe, jedes Jahr aufs neue von der Opposition angekündigt und aus politischen Gründen scheinbar eher gewünscht als gefürchtet, wird auch in diesem Jahr ausbleiben. Da bin ich zuversichtlich.
Ich möchte deutlich sagen: Alle sind gefordert. Wir brauchen Phantasie, unkonventionelle Maßnahmen und einen erheblichen Einsatz.
Danke.
({2})
Ich gebe das
Wort dem Abgeordneten Günter Rixe.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als 1976 die Verpflichtung zur jährlichen Berichterstattung über die Berufsbildung Gesetz wurde, verbanden wir damit die Idee, alle berufsbildungspolitischen Probleme schonungslos offenzulegen, im Bundestag und mit den Sozialpartnern im Hauptausschuß des BIBB zu diskutieren und um Lösungen zu ringen. Daraus ist nach 20 Jahren leider ein jährliches Ritual der Beschönigung, der Schuldzuweisung an andere und der Selbstgefälligkeit dieser Bundesregierung geworden.
Die Bundesregierung beschönigt auch im Berufsbildungsbericht 1998 wieder die Entwicklungen auf dem Ausbildungsstellenmarkt. Von den großen Sprüchen, man habe eine Trendwende erreicht - wir haben es von Herrn Jork gerade gehört - oder einen großen Erfolg erzielt, bleibt nichts als heiße Luft.
Es ist richtig: Es wurden 2,1 Prozent mehr Ausbildungsverträge als im Vorjahr abgeschlossen; das ist anerkennenswert, da kann man den beteiligten Betrieben und Verwaltungen nur danken. Das Angebot reicht aber nicht aus, um allen Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, eine qualifizierte Berufsausbildung zu vermitteln. Das betriebliche Angebot ist mit 607 415 Ausbildungsstellen um 0,3 Prozent gesunken. Gleichzeitig suchten 772 418 Jugendliche, das heißt 7,8 Prozent mehr, einen Ausbildungsplatz. Es kann und darf über die Folgen dieses Mißverhältnisses nicht hinweggeredet werden, Herr Jork.
({0})
Fast 50 000 Jugendliche waren am Ende des Berichtsjahres 1996/97 unversorgt. Am 30. September 1997 waren es etwa 150 000 Jugendliche, die sich bemüht haben, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Sie wurden von beruflicher Qualifizierung und beruflichen Fördermaßnahmen weggedrängt. 260 000 Jugendliche finden jedes Jahr in irgendwelchen Warteschleifen einen Platz, um auf das nächste Jahr zu hoffen. Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt öffnet sich immer mehr.
Seit 1991 ist das Ausbildungsplatzangebot in den alten Ländern um ein Viertel zurückgenommen worden - vor allem in Großbetrieben, in der Industrie, im Dienstleistungsbereich und im Verwaltungsbereich. Auch im Handwerk, das in den letzten 20 Jahren traditionell über Bedarf ausgebildet hat, geht die Zahl der Ausbildungsstellen zurück. Das sind die Fakten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn nicht jedes Jahr im August zigtausend Jugendliche aus der Statistik herausmanipuliert worden wären, wären die Zahlen noch viel höher.
Herr Jork hat eben gesagt, daß das alles in Ordnung ist. Deshalb bemühe ich einmal die nächste Statistik. Nach den Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit sind 650 000 junge Erwachsene unter 25 Jahren arbeitslos. Die Bundesanstalt für Arbeit hat aber auch festgestellt, daß von diesen 650 000 jungen Erwachsenen unter 25 Jahren 60 Prozent nie in ihrem Leben eine Erstausbildung durchlaufen haben. Sie können sich gar nicht auf dem Arbeitsmarkt bewerben, weil sie keinen Gesellenbrief haben, weil sie keinen Facharbeiterbrief haben. Deswegen ist diese Zahl so wichtig.
Rechnen wir einmal zurück. Wenn diese Menschen 25 Jahre alt sind, dann ist das alles in den letzten sechs Jahren passiert. Deshalb kann man sich, Herr Jork, doch nicht immer hier hinstellen und sagen: Das ist alles in Ordnung, das ist prima. Wir werden das schon schaffen usw. - Wenn die Jugendlichen Ihre Rede gehört haben, was sollen sie denn dann von uns Politikern eigentlich noch halten, wenn wir nicht endlich handeln?
Dann möchte ich noch den Kanzler zitieren, wenn ich darf.
({1})
Am 8. April 1994 hat er gesagt: „Wir haben es fertiggebracht, im letzten Jahr alle Lehrlinge, die lernen wollen und können, in Ausbildungsverhältnisse zu bringen." Am 23. März 1995 sagte der Bundeskanzler: „Jeder junge Mensch, der will, erhält eine Lehrstelle. " Das „der will" ist immer die Frage: Wollen wollen sie alle. Sie können aber immer nicht alle,
und sie bekommen keinen Platz, weil es nicht genug gibt.
({2})
Weiter sagt er: „Das ist ein großer Erfolg. " Für 24 962 junge Menschen gab es diesen Erfolg nicht. Am 19. März 1996 sagte der Bundeskanzler vor der Bundespressekonferenz: Alles in Ordnung, prima. Jeder hat einen Ausbildungsplatz bekommen. - 38 398 Jugendliche waren davon ausgenommen; sie hatten diesen Erfolg eben nicht.
Ich könnte weiter zitieren, aber ich will nicht. Vielmehr möchte ich sagen, was wir dazu vorschlagen. Der Gesetzentwurf steht auf der Tagesordnung. Wir müssen ihm heute zustimmen. Deswegen will ich dazu einiges sagen. Ich nenne zwei Punkte. Erstens werden wir ein Sofortprogramm für Arbeit und Beruf für junge Männer und Frauen auflegen. Zweitens wollen wir die solidarische Finanzierung der Berufsausbildung organisieren. Wir wollen ein Gesetz,
({3})
nach dem die Betriebe, die nach der Quote nicht genug ausbilden, in einen Fonds einzahlen, und nach dem die Betriebe, die über Bedarf ausbilden - Gott sei Dank gibt es die -, Geld aus diesem Fonds bekommen, um allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu ermöglichen.
Herr Kollege Rixe, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Jork?
Ja sicher, Herr Jork.
Bitte schön.
Herr Rixe, da Sie mich angesprochen haben, habe ich zwei Fragen. Was sagen Sie denn den jungen Leuten, die keine Lehrstelle bekommen und die hinsichtlich der Leistung nicht das bringen, was die Betriebe verlangen?
Konkret: Ich weiß von der Industrie- und Handelskammer in Dresden, daß 40 Prozent derer, die keine Stelle bekamen, eine Leistung aufzuweisen haben, die schlechter als Vier ist. Was sagen Sie da in Richtung Staat, und was sagen Sie den Lehrlingen?
Eine zweite Frage - wenn ich sie gleich anschließen darf -: Was sagen Sie den Lehrlingen oder den Arbeitgebern, wenn Stellen, die gebraucht werden, nicht besetzt sind?
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Herr Jork, in der Bundesrepublik gibt es seit 18 Jahren ein Benachteiligtenprogramm. Früher war das einmal in dem Ministerium angesiedelt, wo es hingehört. Heute ist es bei der Bundesanstalt für Arbeit angesiedelt, finanziert aus den Beiträgen der Beitragszahler, der Arbeitnehmer und der Unternehmer. Dabei geht es um jede Berufsausbildung vom Werkzeugmacher bis zum Bäcker, es geht um die Jugendlichen, die benachteiligt sind, um alle ihre Probleme, die sie in der Schule haben.
Sie wissen ganz genau, daß ich das von diesem Pult aus schon fünfmal gesagt habe: Ich habe ein solches Zentrum. Dort war die Quote der Durchgefallenen bei den Werkzeugmachern null. Bei anderen Berufen lag die Quote bei 10 Prozent, bei anderen wiederum bei 5 Prozent. Sie war aber allemal besser als die Quote der Durchgefallenen beim Handwerk und bei der Industrie.
Es ist also möglich, Herr Jork, diesen jungen Leuten eine Qualifizierung, eine Berufsausbildung zu eröffnen wenn wir es wollen, wenn wir dafür Geld haben, wenn wir es ordentlich organisieren. Deswegen wollen wir diesen Fonds.
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Herr Jork, sagen Sie mir bitte, wie Ihre zweite Frage lautete.
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- Lehrstellen, die nicht besetzt werden, werden von unserem Gesetz nicht betroffen. Sie müssen bitte richtig lesen.
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Sogar das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, daß das Angebot in der ganzen Bundesrepublik 112,5 Prozent betragen muß. Wir dürfen also nicht immer nur Quantität zählen, sondern wir müssen auch Qualität zählen. Warum sind denn einige Plätze nicht besetzt? Weil sich junge Menschen natürlich nicht in jeden Beruf hineinpressen lassen, nur weil er gerade da ist. Junge Menschen haben einen Berufswunsch. Den sollten wir bei 112 Prozent Angebot erfüllen können. Das ist nicht meine Erfindung, und das ist nicht die Erfindung der Sozialdemokraten in ihrem Gesetzentwurf, sondern das hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Deswegen wollen wir dies. Wir wollen mit diesem Gesetz eine solidarische Gesellschaft schaffen. Wir wollen, daß die Betriebe, die ihren Ausbildungsverpflichtungen nicht nachkommen, in einen Fonds einzahlen und daß die, die ihre Ausbildungspflicht übererfüllen, daraus Geld bekommen.
({3})
Ich muß Ihnen sagen: Ich kann nicht nachvollziehen, daß annähernd 100 Prozent der Handwerksmeister über Bedarf ausbilden und die Großindustrie eine Bilanzpressekonferenz gibt, und stolz darauf hinweist, daß sie 4,3 Milliarden DM Gewinn nach Steuern gemacht hat, was ja hervorragend ist, aber ihre Ausbildungsquote nur 3,9 Prozent oder 4 Prozent beträgt. Ich gönne den Unternehmen ja, daß sie 4,3 Milliarden DM Gewinn gemacht haben. Von diesem Geld kauGanter Rixe
fen sie jetzt auch ganze Autowerke in Amerika und Japan auf. Aber, Herr Jork, können diese denn keinen solidarischen Beitrag für die junge Generation zahlen, die jedes Jahr zu Tausenden auf der Straße steht?
Ich erkenne alles an, was Herr Rüttgers gemacht hat.
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- Eine ganze Menge. Das habe ich immer gesagt. Vieles davon ist schon genannt worden. Das brauche ich nicht zu wiederholen. Das war in Ordnung. Das hat geholfen. Das hat Ausbildungsplätze geschaffen. Aber wir stellen fest: Es reicht nicht. Auch wenn wir noch soviel von dem machen, was Herr Jork vorgeschlagen hat, bringt es nichts. Alle Betriebe, die ihrer verfassungsmäßigen Verpflichtung nicht nachkommen - das Verfassungsgeichtsurteil kennen wir als Berufsbildungspolitiker; ich habe es im Ausschuß vorgelesen; das muß ich heute nicht noch einmal tun -, müssen in Zukunft dieser Verpflichtung nachkommen. Das Wichtigste in diesem Lande ist, allen jungen Menschen, die die Schule verlassen, eine Chance zu geben, die Jugendlichen nicht in die Arbeitslosigkeit zu entlassen, sie nicht zum Sozialamt oder zum Arbeitsamt zu schicken, von dem sie entweder Arbeitslosenhilfe oder gar nichts bekommen. Das ist unser Problem.
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Dies müssen wir anpacken, weil die Jugend - nicht mehr ich mit 59 Jahren; ich verlasse dieses Parlament ja auch - die Zukunft dieser Gesellschaft ist. Denn die Wahlergebnisse in Sachsen-Anhalt haben uns doch bewiesen - das war ganz klar zu lesen -: Jung, männlich und arbeitslos - das ist das Problem - sind diejenigen, die die DVU gewählt haben.
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Deswegen will ich das Problem anpacken. Deswegen haben wir diesen Gesetzentwurf eingebracht.
Ich sage Ihnen noch eines zum Ende: Ich weiß ja, daß Sie dem heute nicht zustimmen. Aber im Jahre 1998/99 - da bin ich ja leider nicht mehr hier - wird dieser Gesetzentwurf hier wieder auftauchen.
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Ich kann dem dann zwar nicht mehr zustimmen. Aber hier sitzen natürlich noch ein paar Kollegen meiner Fraktion, die dem dann zustimmen werden; wir haben dann die Mehrheit.
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- Nun lassen Sie das einmal mit der Diskussion, ob Herr Schröder, mein Freund, der Bundeskanzlerkandidat, das will oder nicht will.
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Ich sage: Auch dies wird kein Problem werden. Er
wird unter dem Druck der jungen Menschen in dieser Gesellschaft und auf Grund der Wahlergebnisse
in den nächsten Jahren dies ganz schnell durchsetzen. Davon bin ich fest überzeugt.
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Da meine Redezeit zu Ende ist, möchte ich mich bei allen Kollegen aus dem Ausschuß bedanken, mich mit meiner Lautstärke und darin ertragen zu haben, daß ich ab und zu einmal ein bißchen böse war. Ich denke, daß ich im Affekt böse war und nie jemanden beleidigt habe. Wenn das doch der Fall gewesen sein sollte, dann will ich mich gerne entschuldigen. Ich wünsche Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute.
Danke schön.
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Herr Kollege Rixe, Sie haben soeben selber gesagt, daß Sie nun, wie ich gesehen habe, nach immerhin zwölfjähriger Mitgliedschaft aus dem Bundestag ausscheiden werden. Ich will Ihnen sagen, daß wir Ihre Reden nicht nur aus akustischen Gründen in Erinnerung behalten werden. Sie haben ja sehr viele Reden zu Fragen des Handwerks, der Ausbildung und der Jugend gehalten, was naheliegt, nachdem Sie vorher 14 Jahre Vorsitzender des Jugendwohlfahrtsausschusses in Bielefeld waren. Wer Kommunalpolitiker war, weiß, wieviel Arbeit und wieviel Engagement dazu gehören. Ich werde vor allen Dingen Ihre Zurufe vermissen.
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Ich möchte Ihnen den Dank des Hauses für Ihre parlamentarische Arbeit aussprechen.
({1})
Ich gebe der Abgeordneten Antje Hermenau das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kanzler und auch Herr Jork - in seiner treuen Nachfolge - haben heute noch einmal festgestellt, daß das Thema Lehrstellenkatastrophe immer nur zum Aufbauschen benutzt werde. So, glauben Sie, sei die Lebenserfahrung der Menschen. Auch da sind Sie mit Ihrem Kanzler einer Meinung. Das Problem ist, daß es an der Lebenserfahrung der Menschen vorbeigeht, was Sie wahrzunehmen glauben. Die Lebenserfahrung der Menschen im Osten, gerade der jungen Leute, ist: Die Ausbildung ist genauso sicher wie die Rente. Vor diesem Hintergrund, Herr Jork, sei es noch einmal gesagt: Die Lehrstellenkatastrophe, von der Sie meinen, daß es sie nicht gibt, hat denselben Charakter wie damals das Hochwasser an der Oder: Ganz langsam, Tag für Tag ein bißchen mehr, und irgendwann bricht der Damm. So einfach ist das.
Sie haben in Ihrem Berufsbildungsbericht von einer Trendwende gesprochen. Die Bundesregierung und die Fraktionen, die sie tragen, schließen sich dem an. Damit meinen sie, daß es in absoluten ZahAntje Hermenau
len ein paar Ausbildungsverträge mehr gibt als im letzten Jahr. Das sei die Trendwende. Das Problem ist, daß die Zahl der jungen Menschen, die nach Lehrstellen fragen, fünfmal so hoch ist wie die Zahl der Ausbildungsverträge, die jetzt neuerdings mehr zur Verfügung stehen. Das heißt, die Schere geht weit auseinander. Sie haben damit überhaupt keine Trendwende erreicht. Sie tun nur so, indem Sie es behaupten. Das grenzt ja eigentlich schon an Täuschung, ist zumindest eine Nebelkerze.
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Es kann doch nicht wahr sein, daß Sie der Meinung sind, wir würden eine Verstaatlichung vorschlagen. Es ist nötig, daß die Wirtschaft selbst denjenigen das Geld gibt, die über den Bedarf und die Quote hinaus ausbilden, anstatt daß der Staat das tut, was jetzt der Fall ist. Das heißt, der Steuerzahler, also der Staat, die öffentliche Hand, finanziert zugekaufte Lehrstellen, anstatt daß es die Wirtschaft selber tut. Eine Änderung ist das Gebot der Stunde. Wenn nach Ihrer Meinung viele Menschen auf Grund von Sozialmaßnahmen, Einsparungen und sonstigen Vorschlägen aus Ihren Reihen - dies alles sind ganz hehre Vorschläge, die vor allem untere und mittlere Einkommen betreffen - ihren Gürtel immer enger schnallen sollen, um die Staatsfinanzen zu sanieren, kann es doch nicht sein, daß die Wirtschaft dazu keinen Beitrag leisten muß.
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Es ist die Frage, ob man Ihr Tageswerk, das Sie immer groß und vollmundig darstellen, wirklich heranziehen kann, wenn es darum geht, eine große Lücke zu schließen. Im Moment haben wir eine verhältnismäßig kleine Lücke; sie wird von dem einen größer, von dem anderen weniger groß beschrieben. Aber das Problem kommt erst noch. Eine große Lücke werden wir haben, wenn die geburtenstarken Jahrgänge auf den Ausbildungsplatzmarkt drängen. Das wird in den nächsten zehn Jahren der Fall sein. Es werden über 30 Prozent mehr nach einem Ausbildungsplatz nachfragen.
Das werden Sie mit Ihren kleinen Schrittchen und Ihrem Reformprojektchen nicht mehr hinkriegen. Sie kriegen ja nicht einmal das Tageswerk geregelt.
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Wir haben jetzt schon eine Lücke. Wenn dann noch die große Anzahl von Absolventen kommt, wird Ihr Tageswerk in dieser Flut ganz untergehen. Das ist das Problem, das wir haben. Sie können gerne von Ihren kleinen Schritten erzählen. Sie werden das Problem mitnichten berühren, geschweige denn lösen.
Ich muß Ihnen als jemand, der aus den fünf neuen Ländern kommt, auch ehrlich sagen: Ich habe es einigermaßen satt, jetzt mit dem fünften Sonderprogramm in Folge beglückt zu werden. Nachdem man die deutsche Einheit jetzt schon so viele Jahre hat, finde ich es unangemessen, daß immer noch ein Sonderprogramm nach dem anderen wie Manna aus dem Westen auf uns herabregnet. Ich meine, es ist an der Zeit, daß die Zustände wirklich geregelt werden, zumal es inzwischen so ist, daß solche Sonderprogramme auch in dem Altbundesgebiet nötig wären, damit auch die dortige Ausbildungsmisere angegangen werden kann.
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Machen Sie also entweder bundesweite Sonderprogramme, oder lösen Sie das Problem direkt, wie wir es mit einem Gesetz zur Umlagefinanzierung vorgeschlagen haben und wie Sie es auch in unserem Änderungsantrag wiederfinden, bei dem es darum geht, eine Petition von mehr als 50 000 jungen Leuten zu unterstützen, die der Meinung sind, daß wir dieses Gesetz brauchen.
Schönen Dank.
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Karlheinz Guttmacher.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige bildungspolitische Debatte ist vermutlich eine der letzten dieser Legislaturperiode. Sie deckt fast das gesamte Spektrum von der beruflichen Bildung über das BAföG bis hin zur Weiterbildung ab. Ursprünglich wollten wir heute noch das Hochschulrahmengesetz aufrufen.
Wir als Parlamentarier hätten also die Möglichkeit, den Menschen im Lande und den Medien die zur Wahl stehenden Entwürfe im Bildungsbereich zu präsentieren. Leider ist dies in verläßlicher Form nicht möglich; denn die SPD wählt Redner und Inhalte inzwischen nur noch nach dem Publikumsgeschmack aus.
({0})
Herr Rixe, ich nehme Ihnen persönlich ab, daß Sie hinter diesem Umlagefinanzierungsmodell stehen. Wie jedoch sollen die jungen Menschen in unserem Lande, aber auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen und die Freiberufler es bewerten, wenn auf der einen Seite Ihr Kanzlerkandidat durch die Lande geht und sagt: „Mit mir wird es kein Umlagefinanzierungsmodell geben", auf der anderen Seite Sie, liebe Frau Bulmahn, auf Wahlkampfveranstaltungen des DGB heftig gegen die Unternehmergewinne wettern und sich für zusätzliche Abgaben aussprechen?
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Dieses Spannungsverhältnis ist für mich deshalb von Bedeutung, weil die hannoversche Abgeordnete Bulmahn, die hierzu eine völlig andere Haltung hat,
Schattenbildungsministerin des hannoverschen Kanzlerkandidaten ist.
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Für mich ist die Art und Weise, wie Sie mit der Umlagefinanzierung umgehen, unglaublich.
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Ihre Bemühungen in allen Ehren, Herr Rixe, aber sie werden durch Ihren Kanzlerkandidaten zunichte gemacht.
Wir als F.D.P. haben eine geschlossene Haltung. Wir werden einem Umlagefinanzierungsmodell nicht zustimmen.
({4})
Aber wir werden uns mit aller Kraft darum bemühen, daß jeder Auszubildende eine Lehrstelle erhält. Die Bereitstellung eines ausreichenden Lehrstellenangebots durch die Wirtschaft ist nicht nur eine Standortfrage. Sie ist vor allem auch eine zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe und Verpflichtung für unsere Jugendlichen und letztendlich für uns alle. Der Eintritt Jugendlicher in die Arbeitswelt darf nicht zu einem Fehlstart werden.
Das Reformprojekt zur beruflichen Bildung haben wir gegen den Widerstand der SPD durchgesetzt, weil es die Voraussetzung dafür schafft, die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe zu steigern und die hohe Qualität der dualen Ausbildung zu erhalten. Wir wollen niemandem die Möglichkeit geben, sich aus seiner Ausbildungsverantwortung freizukaufen. Aber wir wollen auch denen, die in Berufen ausbilden, die nicht so sehr nachgefragt werden, nicht den Eindruck vermitteln, daß man sie hier bestraft.
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Wir wollen das Handwerk und Kleinunternehmer nicht mit zusätzlicher Bürokratie und Abgaben belasten.
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Die überbetrieblichen Berufsbildungsstätten sind ein unverzichtbarer Partner der Ausbildungsbetriebe, besonders des Handwerks. Ihre Modernisierung und die Entwicklung neuer Konzepte für die Kooperation zwischen überbetrieblichen Bildungsstätten, Betrieben und Berufsschulen sind so wichtig, daß wir es für richtig halten, daß das BMBF noch 1998 den entsprechenden Mittelansatz um 25 Millionen auf 150 Millionen DM erhöht hat.
Die Schaffung neuer und die zeitgemäße Anpassung bestehender Berufsbilder waren zwei der wichtigsten Maßnahmen der Bundesregierung zur Steigerung der Attraktivität der beruflichen Bildung für Auszubildende ebenso wie für die Wirtschaft.
({7})
Seit August vergangenen Jahres wird in 14 neuen Berufen und in diesem Ausbildungsjahr zusätzlich noch einmal in elf neuen Berufen ausgebildet. Das ist der richtige Weg, und diesen Prozeß müssen wir auch konsequent fortführen.
Die im Berufsbildungsbericht dokumentierte Trendwende auf dem Lehrstellenmarkt der alten Länder zeigt, daß die gewählten Instrumente greifen, wenn die wirtschaftliche Gesamtsituation stabil ist. In den neuen Bundesländern ist dies noch nicht der Fall. Mobilitätshilfen und spezifische Maßnahmen in den besonders betroffenen Regionen lindern die Symptome, packen aber nicht die Ursachen an. Es bleibt dabei: Wer mehr Ausbildungsplätze braucht, muß die Voraussetzungen für mehr Arbeitsplätze schaffen. Hier ist die Bildungspolitik allein überfordert.
Erfreulich ist aber, daß der Deutsche Industrie- und Handelstag und der Zentralverband des Deutschen Handwerks kürzlich angekündigt haben, 25 000 zusätzliche Ausbildungplätze bereitzustellen.
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In den Bundesverwaltungen werden 4 Prozent mehr Lehrstellen geschaffen. Die Tarifpartner sind aufgefordert,
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ebenso wie im letzten Jahr Tarifvereinbarungen für mehr Lehrstellen zu schließen. So verpflichtete sich gerade vor wenigen Wochen die chemische Industrie in dem neu abgeschlossenen Tarifvertrag, daß sie mehr Lehrstellen schaffen will.
Wir haben viel für die Mobilisierung aller Potentiale für die Berufsausbildung getan. Ich meine den Einsatz von Lehrstellenentwicklern, Ausbildungsplatzwerbern, von Ausbildungsberatern bei den Kammern, die Verbundausbildung, regionale Bündnisse für Ausbildung, die Erhöhung der Ausbildungsbeteiligung ausländischer Selbständiger und eine transparentere Ausbildungsstatistik für die effizientere Stellenbesetzung und Werbevermittlung. Wir haben die Rahmenbedingungen der betrieblichen Berufsausbildung durch Flexibilisierung der rechtlichen Vorgaben, eine Ausweitung der betrieblichen Anwesenheitszeiten erwachsener Lehrlinge und durch eine Kostenentlastung von Ausbildungsbetrieben wesentlich verbessert.
Für meine Fraktion, die F.D.P., möchte ich an dieser Stelle allen ausbildenden Betrieben sehr herzlich danken, die ihrer Ausbildungsverantwortung bisher nachgekommen sind.
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Ich möchte alle Betriebe, die derzeit noch nicht ausbilden, ermutigen, sich ebenfalls der beruflichen Ausbildung anzuschließen und Verantwortung für die Ausbildung unserer jungen Generation zu überDr. Karlheinz Guttmacher
nehmen. Im Bereich der beruflichen Ausbildung war und ist die F.D.P. der verläßliche Partner derer,
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die die Voraussetzungen dafür schaffen, daß sich Ausbildung lohnt - für beide Seiten, im besonderen Maße für die berufliche Zukunft unserer Jugend, aber auch für die wirtschaftliche Zukunft der ausbildenden Betriebe.
Ein weiteres Thema dieser Debatte ist das BAföG. Im Rahmen der Verbesserung der Förderung der Auszubildenden in der allgemeinen und der akademischen Ausbildung beschließen wir heute das 19. BAföG-Änderungsgesetz. Damit werden die Bedarfssätze der Studenten um 2 Prozent und die Freibeträge um 6 Prozent ansteigen. Wenn man eine Bilanz der 13. Legislaturperiode zieht,
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so stellt man fest, daß wir die Freibeträge insgesamt um 12 Prozent und die studentischen Bedarfssätze um 6 Prozent erhöht haben. Wir begrüßen es außerordentlich, daß nach der Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes auch die neu aufgenommenen international vergleichbaren Studiengänge Bachelor und Master vom BAföG mit berücksichtigt werden.
Trotzdem ist das BAföG der bildungspolitische Dauerbrenner dieser Legislaturperiode.
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Leider müssen wir heute, fast am Ende dieser Legislaturperiode, feststellen,
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daß sich die für das BAföG Verantwortlichen auf nicht viel mehr haben verständigen können als darauf, daß das BAföG reformiert werden muß. Die F.D.P. hat zumindest das Bayern-Modell wieder auf das Trapez gebracht. Wir wissen, daß das kein Modell ist - ({15})
- Ich will das einengen: Es hat insofern Modellcharakter, als den sozialen Leistungen, die wir erbringen, erstmals eine Bildungsleistung vorangeschaltet werden muß. Ich halte es allerdings für notwendig - gerade bei diesem Bayern-Modell -, daß der finanzielle Rückfluß des BAföG tatsächlich im Bildungsbereich bleibt und nicht beim Finanzminister landet.
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Meine Damen und Herren, die F.D.P. bleibt an diesem Thema dran, weil die Gewährleistung der Chancengleichheit eine zentrale Triebkraft liberaler Bildungs- und Gesellschaftspolitik ist.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Maritta Böttcher.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler sagte heute morgen in der Mittelstandsdebatte, die Ausbildungsfrage sei das wichtigste soziale Thema. Wieder einmal wird von einer Trendwende auf dem Ausbildungsmarkt gesprochen, ja sie wird sogar schon gefeiert. Gleichzeitig hagelt es Absagen für die Umlagefinanzierung, weil damit die Vorteile des dualen Ausbildungssystems angeblich zerstört würden.
Jugendliche - das muß uns allen zu denken geben - erwarten nichts mehr von Politikern, die ihnen angesichts erfolgloser Bemühungen um Ausbildungs-und Arbeitsplätze immer nur die eine Botschaft übermitteln: zu faul, zu dumm, zu teuer. Es ist eine Lüge, daß Jugendliche unflexibel in ihrem Berufswahlverhalten sind oder zu hohe Ansprüche haben. Das gilt wohl eher für Unternehmen, die in sogenannten Bewerbungstests 100 Prozent durchfallen lassen oder bereits von Ausbildungsbewerberinnen und -bewerbern Umsatzanalysen abfordern. Es gibt Schuhgeschäfte, die nur noch Abiturienten ausbilden. Maler oder Bäcker haben nur noch mit mittlerer Reife eine Chance.
Wenn bei einem Notendurchschnitt von 1,3 und 30 erfolglosen Bewerbungen um verschiedene Ausbildungsplätze am Ende ein Job als Ungelernter herauskommt, so hat das wohl weniger mit Unfähigkeit, Unwilligkeit und Unbeweglichkeit der Bewerberinnen und Bewerber, sehr viel dagegen mit einer Gesellschaft zu tun, die ihrer heranwachsenden Generation keine Chancen bietet.
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Jeder zweite Jugendliche lernt inzwischen - sofern er eine Ausbildungsstelle hat - einen Beruf, der mindestens auf Platz 11 der persönlichen Prioritätenliste steht. Fragt man sie, so stellt man fest, daß immer mehr Jugendliche so ziemlich alles machen würden, um überhaupt einen Job zu finden. Soviel zum Thema „unflexible, nicht mobile Jugend".
Skandalös ist nicht, wie Jugendliche ihre Lage beschreiben; skandalös ist, daß sie sich in einer solchen Lage befinden. Die Perspektivlosigkeit der Jugend ist die Bankrotterklärung der Gesellschaft. Unternehmen arbeiten nicht nach der Logik von Zukunftsministern, sie arbeiten nach der Marktrationalität. Unternehmer rechnen uns vor, daß Ausbildung wirtschaftlich nicht mehr tragbar sei, weil für einen Lehrling beispielsweise zwei geringfügig Beschäftigte eingestellt werden könnten, die bereits Berufserfahrung mitbringen und dem Unternehmen voll zur Verfügung stehen, während Lehrlinge bekanntermaßen noch die Berufsschule besuchen müssen. Gegen diese Kalkulation hilft kein Appell an die Verantwortung. Weder Berufsschulunterricht noch Ausbildungsvergütungen können so weit heruntergefahren werden, daß sich das in diesen Strukturen gegenrechnen läßt.
Die Frage ist fundamentaler: Wenn das duale System erhalten werden soll und alle Jugendlichen eine reale Chance auf eine solide betriebliche Ausbildung bekommen sollen, dann müssen die Unternehmen
gezwungen werden, ihre Pflicht zu tun, und zwar entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
Eine Reform der beruflichen Bildung im Interesse der nachfolgenden Generationen kann nur mit einer bundesweiten Reform der Ausbildungsfinanzierung beginnen. Die marktwirtschaftliche Logik der Kostenminimierung muß aus dem Bereich der beruflichen Bildung verbannt werden, indem die Unternehmen gleichermaßen für die Finanzierung herangezogen werden. Gleichzeitig ließen sich so Milliarden von Steuergeldern sparen, die seit Jahren in die Subventionierung von staatlichen Ersatzprogrammen fließen. Antje Hermenau hat sehr anschaulich darüber gesprochen. Dort und nicht in den Gesetzentwürfen zur Umlagefinanzierung findet die von der Bundesregierung festgestellte schleichende Verstaatlichung der Ausbildung tatsächlich statt. Ausbildung würde wieder dort stattfinden, wo sie hingehört, nämlich in den Unternehmen.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß - wie Günter Rixe es vorhin sagte - in diesem Hause schließlich doch noch ein Konsens über die gesetzliche Regelung der solidarischen Umlagefinanzierung gefunden wird. Ignoranz ist noch lange keine Politik: Petitionsverfahren mit inzwischen rund 56 000 Unterschriften können abgeschlossen, Gesetzentwürfe können abgelehnt werden; das Problem bleibt und erfordert eine Lösung.
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Noch etwas zum BAföG: Die vor zwei Jahren groß angekündigte BAföG-Strukturreform, mit der die Zustimmung des Bundesrates zur 18. Novelle gewissermaßen erkauft wurde, ist gescheitert. Das Sparprogramm, das die Finanzierung der Ausbildung immer mehr den Auszubildenden und ihren Eltern aufbürdet, funktioniert offenbar. Die Diskussion über die Strukturreform wird von dieser Regierung nur insoweit zugelassen, als dabei neue Sparmodelle herauskommen, wie, Herr Kollege Guttmacher, beim Bayern-Modell. Wenn beispielsweise die Änderungen des Unterhaltsrechts zunächst eine unüberwindbare Hürde für das Drei-Körbe-Modell darstellen, so ist das plötzlich kein Problem mehr, wenn Einsparungen in Millionenhöhe in Aussicht stehen. Deutlicher kann die Richtung, in der hier Bildungspolitik betrieben wird, eigentlich nicht mehr werden. Das ist keine Strukturreformdiskussion, die nach Wegen sucht, um jungen Menschen gleiche Bildungschancen zu sichern. Das ist nichts anderes als eine weitere Kürzung von Sozialleistungen zur Haushaltskonsolidierung.
Selbst das Kommissariat der deutschen Bischöfe erklärt, daß durch die mangelhafte Anpassung der BAföG-Förderung an die allgemeine Preisentwicklung und die gestiegenen Lebenshaltungskosten de facto Kinder aus einkommensschwächeren Familien vom Studium ausgeschlossen werden. Eine bedarfsgerechte Anpassung der Fördersätze könnte außerdem die Erwerbstätigkeit neben dem Studium, der immerhin zirka 60 Prozent der Studierenden nachgehen müssen, reduzieren und die dadurch verursachte Überschreitung von Regelstudienzeiten verringern.
Die Haushaltsmittel für die Ausbildungsförderung müssen nicht ab-, sondern ausgebaut werden. Aber dafür brauchen wir andere politische Prioritäten. Wenn die Finanzminister immer das letzte Wort haben, können auch Bund-Länder-Arbeitsgruppen nichts mehr ausrichten. Das ist das traurige Fazit der Strukturreformdebatte.
Allerdings ist damit gleichzeitig die Grundlage, auf der die 18. BAföG-Novelle zustande kam, in Frage gestellt. Also müßte die Debatte an diesem Punkt wieder aufgenommen werden. Darauf beruht unsere Forderung nach Rücknahme der mit der 18. Novelle beschlossenen Verschlechterungen. Damit würden Milliarden eingespart. Gleichzeitig stehen Darlehensrückflüsse ebenfalls in Milliardenhöhe zur Verfügung, die irgendwo im Haushalt versickern. All diese Mittel dürften ausreichen, um eine Strukturreform anzuschieben, die diesen Namen wirklich verdient.
Die 19. BAföG-Novelle ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Niedergang des BAföG wird so mit Garantie nicht aufzuhalten sein. Die Forderung nach Chancengleichheit an den Hochschulen ist aktueller denn je.
Das Hauptziel der Partei des Demokratischen Sozialismus bleibt eine soziale Grundsicherung. Auf dem Weg dorthin werden wir alles unterstützen, was Studierenden weitere Chancengleichheit ermöglicht.
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Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Heute findet im Bundestag die letzte große bildungspolitische Debatte in dieser Legislaturperiode statt - Zeit also, Bilanz zu ziehen.
Beginnen will ich mit einem Dank an drei Kollegen, die aus dem Bundestag ausscheiden: einem herzlichen Dank an Karl-Hans Laermann, meinen Vorgänger als Bundesbildungsminister, einem herzlichen Dank an Doris Odendahl, die Vorsitzende des Bildungs- und Forschungsausschusses,
({0})
einem herzlichen Dank auch an Günter Rixe, der sich immer sehr für die berufliche Bildung eingesetzt hat.
({1})
Wir haben ja in dieser Legislaturperiode viel miteinander in der Sache gestritten, aber es war immer möglich, miteinander zu reden. Dafür will ich ganz persönlich allen ein sehr herzliches Wort des Dankes sagen. Ich habe gerade die letzte Rede des Kollegen Rixe mit großem Interesse gehört. Er hat gesagt, es könnte sein, daß er auch einmal etwas falsch ge-
macht hat. Wer macht nicht schon einmal etwas falsch? Das ist so. Ich will deshalb ausdrücklich bestätigen, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß Günter Rixe zumindest an zwei Stellen in seiner Rede absolut recht und richtig gesprochen hat, nämlich a) als er den Bundeskanzler zitiert und b) als er mich gelobt hat. Vielen Dank!
({2})
Die Kollegin und die zwei Kollegen, die uns nach dieser Legislaturperiode jetzt verlassen, haben über viele Jahre erlebt, daß gerade Bildungs- und Forschungspolitik immer das Bohren dicker Bretter bedeutet. Wenn wir ehrlich sind, ist es ja auch nicht wahr, daß Bildungspolitik in den letzten Jahren immer und überall ein Top-eins-Thema war. Deshalb, finde ich, ist es schon, wenn man Bilanz zieht, ein erstes positives Ergebnis der Arbeit der letzten vier Jahre, wenn heute alle Parteien im Wahlkampf über den Bildungsstandort Deutschland diskutieren, wenn die Zeitungen auf Seite 1 darüber berichten und wenn unumstritten ist, daß der Reformkurs fortgesetzt werden muß. Das ist ein großer Erfolg, an dem wir gemeinsam gearbeitet haben. Ich finde wichtig, das zu Beginn zu betonen.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist erst ein Anfang. Wir brauchen in Deutschland eine große Bildungsreform. Es kann nicht dabei bleiben, daß nicht mehr jeder Absolvent einer deutschen Schule rechnen, schreiben und lesen kann.
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Es kann nicht dabei bleiben, daß die Hörsäle immer voller und die Studenten immer alter werden. Es kann nicht dabei bleiben, daß es immer mehr Schüler und immer weniger Lehrer gibt.
Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich stelle mich nicht hier hin und sage, das ist ein Versagen der Länder, weil Bildungspolitik nach dem Grundgesetz vor allem Ländersache ist. Jeder muß seinen Beitrag leisten, obwohl gerade heute die große Demonstration in Hamburg gezeigt hat, was die Studierenden, was die Eltern, was die Schüler etwa von der Bildungspolitik im sozialdemokratischen Hamburg halten. Mir ist nur aufgefallen, daß die GEW, die das Ganze organisiert hat, von 80 000 Teilnehmern sprach, während die Polizei von 45 000 Teilnehmern ausging. Das mit dem Rechnen scheint in Hamburg wirklich etwas schwierig zu sein.
Nichtsdestotrotz bin ich bereit, mich jedem Vergleich mit den Ländern zu stellen. Deshalb frage ich: Wie sieht die Bilanz der letzten vier Jahre aus? Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben in den letzten vier Jahren 3,6 Milliarden DM für ein neues Hochschulsonderprogramm bereitgestellt. Sie haben die Mittel für den Hochschulbau von 1,68 Milliarden auf 1,8 Milliarden DM erhöht, 2,5 Milliarden DM für ein Leasingprogramm im Hochschulbau mobilisiert. Ein neues Hochschulrahmengesetz wird zum 1. August 1998 in Kraft treten. Die Freibeträge beim BAföG sind in dieser Legislaturperiode um 12 Prozent, die Bedarfssätze um 6 Prozent erhöht worden, was übrigens mehr ist, als frühere SPD-Regierungen in der Sache gemacht haben, und das bei stabilen Preisen.
({4})
Es wurde ein neues Ausländerrecht für Studenten und Wissenschaftler eingeführt. Es gibt 20 internationale Studiengänge an den Hochschulen; 10 000 Schulen kamen ans Internet, das Meister-BAföG wurde eingeführt. Es gab 34 neue Berufe in vier Jahren; eine Trendwende auf dem Lehrstellenmarkt ist erreicht. Das ist wahrlich eine Bilanz, meine Damen und Herren, die sich sehen lassen kann.
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Nehmen wir dagegen einmal das Land Niedersachsen. Wie sieht die Bilanz von Herrn Schröder aus? Rückgang der Zahl der Unterrichtsstunden pro Schule um 14 Prozent, 3000 Lehrerstellen ersatzlos gestrichen, obwohl die Zahl der Schüler um 90 000 gestiegen ist. Bei den Lehrstellen nur 95 Ausbildungsplätze auf 100 Bewerber, die schlechteste Relation aller westdeutschen Flächenländer.
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Bei den Hochschulausgaben steht Niedersachsen mit jährlich nur 31,28 DM pro Kopf der Bevölkerung auf dem vorletzten Platz, bei den Patenten auf dem drittletzten, bei den High-Tech-Unternehmensgründungen auf dem letzten Platz. Zu alledem kommt noch dazu, daß Herr Schröder glaubt, er könne die Lehrer als „faule Säcke" beschimpfen. Wer so im eigenen Land versagt, der darf nicht Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden.
({7})
Wenn Schröder angesichts dieser Katastrophenbilanz, wie gestern geschehen, eine „neue Epoche der Bildungspolitik" ankündigt, dann kann ich nur sagen: Gnade uns Gott! Jeder Erfolg für junge Menschen mußte in dieser Legislaturperiode gegen den Widerstand der SPD in Bund oder Ländern durchgesetzt werden. Und warum? Weil die SPD immer noch den bildungspolitischen Irrwegen der 70er Jahre nachläuft und zu keiner modernen Bildungspolitik fähig ist. Mehr Reglementierungen, mehr Abgaben, mehr Gleichmacherei: das übliche Kredo sozialdemokratischer Bildungspolitik. Kurz: Neue Mitte gleich neue Linke.
({8})
Das zeigt sich kristallklar bei der Ausbildungsabgabe. Schröder ist bei der Kreishandwerkerschaft dagegen. Schröder stimmt auf dem Bundesparteitag in Leipzig dafür. Schröder ist wieder dagegen, wenn er Wahlkampf in Hamburg macht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses bürokratische Monstrum schafft keine neuen Lehrstellen. Deswegen werden wir die Ausbildungsplatzabgabe heute ablehnen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Böttcher?
Böttcher? Wer ist das?
({0}) - Nein.
Was dabei bleibt, ist ein blamierter Kanzlerkandidat. Gestern war Herr Schröder gegen die Ausbildungsabgabe; heute stimmt die SPD-Fraktion dafür. Der Mann ist nicht nur beliebig; die SPD läßt ihn heute auch noch im Regen stehen.
({1})
Wessen Wort so wenig wert ist - wie in Magdeburg bei der neuen Volksfront heute bei der Ausbildungsabgabe -, der ist eben ein politisches Leichtgewicht und ein Sicherheitsrisiko für dieses Land.
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Dem stellt die Bundesregierung eine konsequente Politik der Modernisierung unseres Bildungswesens gegenüber. Wir werden das, was wir mit dem Hochschulrahmengesetz angefangen haben, in der nächsten Legislaturperiode konsequent umsetzen und damit die Situation an den Hochschulen entscheidend verbessern.
({3})
Die Reform des dualen Bildungssystems schafft neue Lehrstellen, so daß jeder in Deutschland, der kann und will, eine Lehrstelle bekommt.
Bildung ist für uns die neue soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Deshalb wollen wir das beste Bildungssystem der Welt. Daran werden wir auch in der nächsten Legislaturperiode weiterarbeiten, zum Wohle unseres Landes und zum Wohle der Zukunft unserer jungen Generation.
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Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Böttcher das Wort.
Herr Minister, da Sie offenbar nur Anfragen aus dem eigenen Lager gestatten, melde ich mich zu dieser Kurzintervention.
Sie haben hier - mit Recht, wie ich glaube - davon gesprochen, daß sehr viel dafür getan wurde, die Schere zwischen Angebot und Nachfrage im Bereich der Ausbildung ein Stück weit zu schließen, und daß sehr hohe Mittel geflossen sind.
Ich wollte Sie fragen, ob die Förderlogik wirklich zwingend ist, und zwar an Hand eines aktuellen Beispiels zu den absurden Auswirkungen einer solchen Förderlogik: Zwei Lehrlinge kommen, nach unterschiedlichen Programmen gefördert, im gleichen Ausbildungsbetrieb unter. Der eine hat einen Hauptschulabschluß und wurde wegen geringer Vermittlungschancen nach § 40c Abs. 2 AFG über das Arbeitsamt vermittelt; er erhält ein Lehrlingsentgelt von 470 DM. Sein Lehrlingskollege mit Realschulabschluß im gleichen Ausbildungsberuf und im gleichen Ausbildungsbetrieb wurde nach der Lehrstelleninitiative vermittelt und erhält 300 DM im Monat. Ich hätte gern gehört, wie Sie diesen beiden Jugendlichen erklären, was das mit der Losung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" und der positiven Wirkung Ihrer Förderprogramme zu tun hat.
({0})
Möchte jemand antworten? - Nein.
({0})
Dann hat jetzt der Abgeordnete Franz Thönnes das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte eigentlich gedacht, Herr Dr. Rüttgers hätte sich vom Parlamentarischen Geschäftsführer zum Bundesbildungsminister weiterentwickelt. Jetzt hat es einen Rückfall zum Bundeswahlkampfminister gegeben. Den Jugendlichen ist mit dem, was Sie hier vorhin ausgeführt haben, überhaupt nicht geholfen.
({0})
Es fällt in Ihre Bilanz, daß Jahr für Jahr junge Menschen am Ende des Jahres ohne eine vernünftige Zukunftsperspektive dastehen und daß die öffentliche Hand Milliarden aufwenden muß, damit junge Menschen eine Ausbildung, ein Praktikum oder einen Arbeitsplatz bekommen. Wir haben die Umlage, Herr Minister: Die Umlage zahlen alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und nicht diejenigen, die in unserer Wirtschaft eigentlich die Verantwortung dafür tragen.
({1})
Wir wollen heute aber auch noch über einen anderen wichtigen Punkt debattieren, nämlich über das, was sich der Berufsausbildung anschließt. Wir alle wissen, daß damit der Lernprozeß nicht abgeschlossen ist.
({2})
Es geht um das wichtige Themenfeld der Weiterbildung. Die SPD-Bundestagsfraktion hat dazu eine Große Anfrage gestellt. Ich beginne mit einem Zitat des Deutschen Bildungsrates:
Weiterbildung ist die Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluß
einer unterschiedlich ausgedehnten ersten Ausbildungsphase ... Das kurzfristige Anlernen oder Einarbeiten am Arbeitsplatz gehört nicht in den Rahmen der Weiterbildung.
Wir wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, lebensbegleitendes Lernen ist als Antwort auf die wirtschaftlichen und strukturellen Veränderungen in unserer Gesellschaft eine der zentralen Herausforderungen.
({3})
Die Globalisierung, die Veränderungen der Arbeitswelt und die Beschleunigung des Wissens machen es erforderlich, den Menschen zu helfen, den strukturellen Wandel bewerkstelligen zu können. Ich füge hinzu: Auch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist eine Herausforderung, der sich Weiterbildung widmen muß.
({4})
Der spannende Prozeß wird genau der sein, diese beiden Herausforderungen miteinander zu verknüpfen. Es geht um die Minimierung der Arbeitslosigkeit sowie darum, in die Menschen zu investieren, ihnen Zukunftsinvestitionen zu geben, damit sie eine Chance für das 21. Jahrhundert haben. Deswegen muß die Weiterbildung zum vierten Bildungsbereich ausgebaut und als ganzheitlicher Prozeß verstanden werden. Wir dürfen nicht weiter zwischen der kulturellen, der politischen, der gesellschaftlichen und der beruflichen Bildung differenzieren, sondern wir müssen den Menschen kompakte integrative Gestaltungskompetenzen vermitteln. Deswegen ist es auch notwendig, die Weiterbildung als eine zentrale Voraussetzung für die Teilhabe an der Gesellschaft zu begreifen: daß die Menschen ihre Existenzsicherung dort mit leisten können, daß sie ihre Lebenschancen nutzen können. Uns muß auch klar werden, daß Weiterbildung eine Voraussetzung dafür ist, in einer demokratischen Gesellschaft am politischen Geschehen teilzunehmen.
Bildung ist daher nicht nur ein Gut für den einzelnen, sondern auch ein Gut für den allgemeinen Wohlstand. Deswegen gibt es eine private und eine öffentliche Verantwortung für die Weiterbildung. Die Antwort, die wir von der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage bekommen haben, ist alles andere als zufriedenstellend. Wir haben bereits Ende des vergangenen Jahres darüber im Deutschen Bundestag debattiert. Leider fand diese Debatte zu sehr später Stunde statt, und am Ende wurden die Reden sogar zu Protokoll gegeben. Aber ich möchte dennoch einige Kritikpunkte hervorheben.
Der Bundesregierung kann nicht zugestimmt werden, wenn sie die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse durch die gegenwärtigen Realitäten nicht beeinträchtigt sieht. So differiert die Beteiligung an beruflicher Weiterbildung immer noch stark nach Berufspositionen, nach Geschlecht, nach dem Alter, nach der Branchenzugehörigkeit. Wir wissen auch, daß viele Menschen mit guten Qualifikationen, mit Hochschulabschlüssen noch Weiterbildung dazubekommen und daß diejenigen, die keine Ausbildung
bekommen haben, nur in geringem Maße an Weiterbildung teilnehmen. Chancengleichheit ist das nicht.
({5})
Es fehlt in der Beantwortung der Anfrage der Wille, mehr Transparenz herzustellen. Wir haben nichts gegen die Vielfalt im Markt. Aber der Markt richtet es eben nicht alleine. Die vielfältigen Weiterbildungsangebote, die Durchführungsbestimmungen, das Lehrpersonal, die Anbieter selbst - all das stellt die Teilnehmer vor große Entscheidungen. Hier wären mehr Weiterbildungsberatung, mehr Weiterbildungsinformation angebracht. Das gleiche gilt für eine vorausschauende Bildungspolitik. Antworten auf die Fragen nach dem Aufbau von Medienkompetenz oder der Förderung der IuK-Technologien werden in Bonn nicht gegeben.
Das alles findet seine Fortsetzung in der Praxis der aktuellen Politik: Stop-and-go in der Weiterbildungsförderung durch die Bundesanstalt für Arbeit. Wir liegen heute - bei einer rasant angestiegenen Arbeitslosigkeit - mit 441 000 Teilnehmern an FuUMaßnahmen unter der Zahl des Jahres 1986 - ein unerträglicher Zustand.
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Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, daß auch bei der Regierung der Haushalt für Bildung keinen allzu großen Stellenwert genießt. Von 4,7 Prozent im Jahre 1982 ist sein Anteil auf 3,2 Prozent heruntergegangen. Preisbereinigt sind die Bildungsausgaben um 13 Prozent gesunken.
Auch das Meister-BAföG ist wahrhaftig keine Erfolgsstory, wie Sie es uns verkaufen wollen.
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Gab es 1993 noch 96 000 Förderfälle, so ist der Anteil am Ende auf 42 000 Anträge im Jahre 1997 gesunken, nachdem Sie wieder einmal eine Ihrer angeblichen Reformen durchgeführt haben.
({8})
Dies ist wahrhaftig keine Weiterbildungsoffensive, sondern eine Beschneidung von Zukunftschancen.
Wir dürfen auch nicht verkennen, daß das Personal, das in der Weiterbildung arbeitet, selbst ein wichtiger Faktor, ein Teil der Gesellschaft ist, der Weiterbildung benötigt. Wir müssen aber feststellen, daß hier 100 000 hauptamtliche Kräfte und 1 Million Honorarkräfte tätig sind und daß Weiterbildung so gut wie gar nicht betrieben wird.
Lebensbegleitendes Lernen ist schon seit einiger Zeit in aller Munde. Geschehen ist in dieser Sache nur wenig. Wir müssen endlich neue Möglichkeiten schaffen.
Das sagte der Bundespräsident in seiner Rede vom
November 1997. Deswegen haben wir unseren AnFranz Thönnes
trag zum lebensbegleitenden Lernen, Weiterentwicklung der Weiterbildung zum vierten Bildungsbereich, in den Deutschen Bundestag eingebracht. Wir haben versucht, in zwölf Grundsätzen zu formulieren, unter welchen Kriterien sich die Sozialdemokratie Weiterbildung vorstellt.
Aus Gründen der Zeit will ich nur einen zentralen Punkt nennen, den ich vor dem Hintergrund unserer Absicht, aktive Arbeitsmarktpolitik betreiben zu wollen, für wichtig halte. Es geht nicht nur um die Frage der öffentlichen Verantwortung, des Teilnehmerschutzes und der Qualitätssicherung; vielmehr geht es auch darum - die Dänen haben uns das in Teilbereichen vorgemacht -, Weiterbildung und Qualifizierung in der Form zu verzahnen, daß Menschen, die arbeitslos sind, über job rotation als Stellvertreter für Menschen, die Weiterbildungsangebote wahrnehmen, in die Betriebe hineingehen. Wir müssen diesen Prozeß endlich organisieren und in die Praxis umsetzen.
Wir dienen damit den Betrieben, weil damit deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergebildet werden. Wir dienen damit auch denjenigen, die arbeitslos sind, weil sie damit eine zusätzliche Qualifizierung und eine Chance zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt bekommen. Damit geben wir gleichzeitig auch den Arbeitgebern die Möglichkeit, neue Arbeitnehmer kennenzulernen und sie zu befähigen, an neuen Arbeitsplätzen zu arbeiten. Das wäre eine Form, in der sich eine Weiterbildungsoffensive in Deutschland wirklich lohnen würde.
Wir werden versuchen, dieses Vorhaben mit einem bundeseinheitlichen Rahmen nach dem 27. September 1998 in die Praxis umzusetzen. Die jetzigen Regierungsparteien werden einen neuen Weiterbildungsprozeß für sich selbst durchmachen müssen, nämlich den auf den Oppositionsbänken.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Lensing.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte das Hohe Haus sehr um Verständnis und Nachsicht: Die politische Fairneß gebietet es aber, daß ich mich in Fragen der Umlagefinanzierung, der sogenannten Zwangsabgabe, in der Tat hinter den Kanzlerkandidaten der SPD stellen muß.
Sie müssen das verstehen. Wir wissen doch alle, wie schwer es Gerhard Schröder fällt, eine durchgehende politische Konzeption mit eigenen festen, unverrückbaren Strukturen und Standpunkten zu entwickeln. Wenn er allerdings jetzt einmal, wie bei dieser Ausbildungsplatzabgabe, eine klare Position eingenommen hat, dann stützt er sich hierbei verständlicherweise auf das bewährte Gedankengut der Unionsfraktion. Das ist auch gut so, weil gerechtfertigt.
({0})
Nur, lieber Herr Rixe, wer sagt uns denn, ob der Kanzlerkandidat das, was Sie da erträumen, im Falle eines Falles überhaupt durchsetzen kann?
Ein Zweites. Ich bin ja durchaus bereit, mich Ihrer Fragestellung hier im einzelnen zu stellen. Nur, eines macht mich stutzig - das müßte Sie im übrigen alle nachdenklich stimmen -: Eine staatlich diktierte Zwangsumlage ist sowohl in den Reihen der Opposition als auch der Gewerkschaften höchst umstritten. Nahezu alle Wirtschaftsminister unserer Bundesländer lehnen eine Zwangsumlage ab,
({1})
einschließlich Wolfgang Clement, der bekanntlich gestern zum nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten gewählt wurde. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, viele Wissenschaftler und nicht zuletzt die Spitzenverbände von Industrie und Handwerk teilen diese ablehnende Haltung.
Jüngst bekräftigte sogar die mächtige IG Bergbau, Chemie und Energie in einem Tarifbeschluß vom 9. Mai,
daß es keiner gesetzlichen Zwangsmaßnahme zur Sicherstellung eines ausreichenden Ausbildungsplatzangebotes bedarf.
Besser hätte es kein Koalitionspolitiker formulieren können.
({2})
Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, meine Damen und Herren.
Gestatten Sie mir deswegen auch einen Hinweis gerade zur Glaubwürdigkeit des DGB in dieser Frage.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thönnes?
Nein, im Moment nicht, weil es mir wichtig ist, das Thema DGB zu Ende zu bringen. - Statt 8 Millionen DM für eine Werbekampagne zur Abwahl der jetzigen Bundesregierung auszugeben,
({0})
statt hier lautstark über die angebliche Pflichtverletzung der Wirtschaft zu lamentieren, könnte der DGB sein überschüssiges Geld besser, sofern er nur wollte, einsetzen, um 347 Ausbildungsplatzsuchende ein Jahr lang auszubilden
({1})
oder 115 Lehrlinge drei Jahre lang zu beschäftigen. Das wäre eine lobenswerte Leistung.
Ich fasse zusammen: Auch wenn die Opposition mit ihren gemeinsam mit dem DGB und anderen Verbänden gleichen Interesses aufgestellten HorrorproWerner Lensing
gnosen noch nie recht hatte, möchte ich Ihnen dennoch zur Kenntnis bringen, daß Sie hiermit gleichwohl der politischen Kultur schaden und Handlungsbedarf an der falschen Stelle signalisieren.
({2})
- Das ist kein Unsinn. Sie werden es auch verstehen;
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denn unter dem Eindruck Ihres desaströsen Szenarios wird jeder gut qualifizierte Schulabgänger nach dem Motto „festhalten und weitersuchen" alle erreichbaren Lehrverträge horten, um sich erst in letzter Minute zu entscheiden.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, auch noch ein Wort zu dem Bereich des BAföG sagen. Wir haben bei der beruflichen Bildung und Ausbildung zahlreiche sinnvolle gesetzliche Regelungen getroffen. Der Bundesminister hat bereits darauf hingewiesen. Zu diesem Reformprogramm gehört auch die Einführung des inzwischen bewährten Meister-BAföG. Das kann auch Herr Thönnes nicht totreden, denn schon in diesem Jahr wird der hunderttausendste Meisteranwärter seine Förderung erhalten.
({4})
Der durchschnittlich gewährte Unterhaltsbeitrag liegt immerhin bei 1009 DM. 1996 haben wir damit begonnen. Damals konnten nur 59 Prozent der Anträge bewilligt werden. 1997 waren es bereits 88 Prozent.
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Wer das nicht anerkennen will und nicht zustimmt, daß wir hierbei auf dem richtigen Weg sind, der stellt sich bewußt betriebsblind.
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Dazu muß ich noch im Namen des Ausschußsekretärs zitieren. Es ist in einem hervorragenden Amtsdeutsch verfaßt und von daher besonders wertvoll:
Aus formalen Gründen ist hier festzuhalten, daß die Beschlußempfehlung des federführenden Ausschusses ({7}) sich auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung unter Einbeziehung des von ihr akzeptierten Änderungsvorschlags des Bundesrates ({8}) bezieht.
Dieser Aufgabe des Zitierens habe ich mich nur deswegen unterzogen, damit hier alles formal seine Ordnung hat. Frau Odendahl lächelt mir ja bei dieser Frage wie immer freundlich zu.
({9})
Meine Damen und Herren, ich freue mich ausgesprochen, daß wir parallel zum studentischen BAföG auch die Freibeträge und Bedarfssätze für das Meister-BAföG erhöhen können. Wir haben es schon gehört; ich möchte es deutlich wiederholen: Mit der heutigen Verabschiedung sind die Freibeträge beim BAföG während dieser Legislaturperiode schrittweise um insgesamt 12 Prozent und die Bedarfssätze um 6 Prozent angehoben worden. Wenn man ehrlich ist, muß man zugeben, daß dies angesichts der schwierigen Haushaltslage eine durchaus beachtliche Leistung ist.
({10})
Nun noch ein weiterer Gedanke im Zusammenhang mit der großen Sorge, die wir uns alle um die Ausbildungsplätze machen. Noch am 7. April dieses Jahres erklärte Bernhard Jagoda, der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit - ich zitiere -:
Der geschätzte zusätzliche Bedarf - an Ausbildungsplätzen ist groß, aber nicht so groß, daß er nicht unter Einsatz aller Kräfte gedeckt werden könnte.
Deswegen sage ich sehr deutlich: Die Wirtschaft hat trotz mancher struktureller, regionaler und branchenspezifischer Probleme gerade in diesem Bereich eine herausragende gesellschaftliche Verantwortung. Ich denke nicht daran, sie aus ihrer Pflicht zu entlassen.
Es muß erlaubt sein, noch auf einen weiteren Punkt hinzuweisen. Ohne daß wir uns zu Sprechern einer Seite machen, müssen wir zugeben, daß bei uns fast zwei Drittel der potentiell in Frage kommenden Betriebe - und nicht etwa nur ein Viertel, wie immer von der SPD behauptet wird - ihrer Ausbildungsverpflichtung nachkommen.
({11})
Gerade jetzt haben wir aus Kreisen, die ja nicht gerade als arbeitgeberfreundlich gelten, ein weiteres bemerkenswertes Ergebnis bekommen. So heißt es in einer Studie des IAB, daß bereits bei mittleren Unternehmen ab 50 Beschäftigten die Ausbildungsquote 80 Prozent beträgt, während Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten mindestens zu 96 Prozent ausbilden. Ich muß zugeben - das sage ich ganz deutlich -, daß meine Sympathie im Zusammenhang mit der Ausbildungsordnung nicht unbedingt bei den Topmanagern der Großindustrie liegt. Aber angesichts dieser verläßlichen Zahlen, von denen ich sprach, wandelt sich die falsche These der SPD objektiv zu einer rein populistischen, weil substanzlosen Phrase.
Es hilft nichts, auf Zwangsmaßnahmen zu setzen. In diesem Zusammenhang - ich nehme meinen Gedanken wieder auf - hat Herr Schröder schon recht, wenn er sagt: Das einzige, was uns hilft, ist in diesem Bereich die Freiwilligkeit; es ist die Kooperation. Gerade diese beiden Eigenschaften werden uns helfen, den Jugendlichen in dieser schwierigen Situation gleichwohl zur Seite zu stehen.
Ich bedanke mich.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias Berninger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundesbildungsminister Rüttgers hat seine kurze Rede dazu nutzen wollen, eine Erfolgsbilanz seiner Arbeit diesem Parlament vorzustellen. Ich finde, eine Schweigeminute hätte ihm besser zu Gesicht gestanden.
({0})
In einem Punkt hat er aber recht: Bildungspolitik und die Erfolge in der Bildungspolitik werden die neue soziale Frage, die soziale Frage des 21. Jahrhunderts sein. Genau in diesem Punkt, Herr Minister Rüttgers, sind Sie gescheitert.
Das Recht auf Bildung ist in Deutschland in den letzten Jahren mit Füßen getreten worden. Ich könnte Ihnen jetzt die entsprechenden Zahlen nennen. Aber Sie können diese Tatsache auch dann erkennen, wenn Sie die folgenden Fragen beantworten: Wie viele junge Menschen aus Familien mit geringen Einkommen landen überhaupt noch an den Universitäten? Wie viele Hauptschülerinnen und Hauptschüler haben überhaupt noch eine Chance, einen Ausbildungsplatz zu bekommen? Wie viele von den 1 Million Kindern, die heute von der Sozialhilfe leben, werden die Chancen unseres Bildungssystems wirklich für sich nutzen können? Wenn sich die Politik dieser Bundesregierung in der Zukunft fortsetzt, dann kann ich nur antworten: Das wird ein ganz geringer Anteil sein. Ich sage auch: Damit ist der Grundstein für eine soziale Spaltung in diesem Land gelegt. Aus diesem Grunde ist Ihre Erfolgsbilanz so dürftig.
({1})
Es gibt viele Bereiche, in denen Herr Minister Rüttgers versucht hat, sich zum Teil gegen die Bundesregierung, gegen andere Minister im Kabinett durchzusetzen. Dabei hat er den Aspekt, wie unsere Hochschulen international kompatibler gemacht werden können, zu Recht angesprochen.
Im Bereich des BAföG, Herr Minister, waren Sie allerdings überhaupt nicht innovativ - im Gegenteil. Sie haben am BAföG gespart. Sie haben versucht, auf Kosten der BAföG-Geförderten die BAföG-Ansätze zu erhöhen. Ihnen ist es nicht gelungen, den Anteil der BAföG-Geförderten insgesamt zu erhöhen. Sie tragen die Schuld für immer weniger BAföG-Geförderte.
Sie haben es nicht geschafft, sich mit den Ländern zu einigen. Im Gegenteil: Sie in erster Linie haben den Prozeß der Einigung mit den Ländern blockiert. Das geht so weit, daß selbst Ihr eigener Koalitionspartner, die F.D.P., das nicht länger aushält. Sie können froh sein, daß die Legislaturperiode zu Ende geht, denn die F.D.P. ist in der Frage des BAföG längst viel weiter als Sie. Ich kann Ihnen sagen:
Wenn die F.D.P. da weiter ist, dann ist das für mich ein Beleg dafür, wie weit hinten Sie sind.
({2})
In der nächsten Legislaturperiode wird die Frage der Verwirklichung des Rechts auf Bildung im Mittelpunkt der Bildungspolitik stehen. Dazu sind aus meiner Sicht drei Dinge nötig.
Das erste: Wir müssen wieder mehr Geld in Bildung investieren. Das ist ein Satz, der immer wieder gesagt wird. Sie, Herr Minister, haben es nicht geschafft, das Herrn Waigel klarzumachen. Rotgrün wird das seinem Finanzminister klarmachen. Wir werden mehr in den Bereich Bildung investieren.
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Der zweite wichtige Punkt. Es geht nicht ohne Reformen. Sie haben völlig recht: Wenn wir die Strukturen der 70er Jahre fortschreiben würden, kämen wir nicht voran. Das kann nicht der richtige Weg sein. Es muß Geld für Reformen aufgewendet werden. Diese Reformen werden wir im Bereich der Personalstruktur, im Bereich des Hochschulrahmengesetzes, das den Hochschulen wirklich Selbständigkeit geben soll, aber auch im Bereich des BAföG vorantreiben.
Meiner Einschätzung nach, Herr Minister Rüttgers, haben wir hier die besseren Karten, weil wir bereit sind, aus den bestehenden Strukturen auszubrechen. Das Dilemma, daß nach Ihren eigenen Aussagen einerseits die BAföG-Fördersätze gestiegen sind, dies aber andererseits trotzdem nicht zum Erfolg geführt hat, zeigt gerade, daß es Strukturreformen in diesem Bereich bedarf, Strukturreformen, gegen die sich diese Bundesregierung immer wieder gesperrt hat.
Meine Fraktion hat heute einen Gesetzentwurf zur BAföG-Reform eingebracht. Wir schlagen einen neuen Generationenvertrag vor, der zwei Elemente enthält. Auf der einen Seite sorgt er für eine elternunabhängige Förderung aller Studierenden. Er will dafür sorgen, daß jeder, der studieren will und die Fähigkeit dazu hat, diese Chance von der Öffentlichkeit auch bekommt und den Weg in die Hochschule findet. Auf der anderen Seite bedeutet er: Modernisierungsgewinner, nämlich die, die durch diese Ausbildung später ein höheres Einkommen haben, werden daran beteiligt, die Chancen für die nächste Generation zu verbessern. Dieser neue Generationenvertrag wird ein Punkt sein, den wir mit der SPD diskutieren werden.
Ich glaube, daß das BAföG einer Strukturreform unterzogen werden wird, und ich glaube, daß es ein elternunabhängiges BAföG werden wird. Ich denke, daß der Grundstein der Bildungsreform, wie es auch in den 70er Jahren war, die Verwirklichung des Rechts auf Bildung ist. Das ist die Voraussetzung für die Erfolge, nicht eine technische Debatte, was man an den Hochschulen an Strukturen verändern kann. Man muß von den Akteuren in den Hochschulen, von den Studierenden aus denken. Unsere Hochschulpolitik wird junge Menschen wieder in den Vordergrund stellen.
Zum Abschluß ein dritter Punkt. Die Verzweiflung vieler junger Leute in Ostdeutschland und auch anderswo hat sich für meine Begriffe in einem Gespräch mit einer Schülerin besonders deutlich abgebildet. Sie hat mir nämlich gesagt: Ich weiß überhaupt nicht, was ich nach der Schule machen soll. Am liebsten würde ich mein ganzes Leben lang auf der Schule bleiben.
Ich weiß nicht, wie lange Sie schon aus der Schule heraus sind. Aber wenn jemand aus meiner Generation sagt, am liebsten würde er ein ganzes Leben in der Schule bleiben, zeigt das, wie verunsichert viele junge Leute sind. Ich glaube, daß dieser Satz und diese grundsätzliche Einstellung für uns Anlaß sein sollten, Bildungspolitik und die Bildungsreform ernst zu nehmen, jedenfalls ernster, als Sie das in den letzten vier Jahren getan haben.
({4})
Jetzt hat die liebe Kollegin Doris Odendahl das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die freundlichen Abschiedsworte von Herrn Minister Rüttgers möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Ich möchte mich auch bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken, die mich im Ausschuß - bei aller gegensätzlichen politischen Auffassung - kollegial begleitet haben und mich auch manchmal lächeln ließen. Dies gilt insbesondere für den Kollegen Christian Lenzer, den Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuß, der als Acht-Sterne-Abgeordneter doppelt so lange wie ich Erfahrung gesammelt hat und nun auch ausscheidet. Herr Lenzer, es hat Spaß gemacht, sich mit Ihnen zu streiten, und es hat keine Feindschaft eingebracht.
({0})
Nun würde ich ja sehr gerne auf diese freundliche Weise fortfahren. Aber das Thema, Herr Minister Rüttgers, gibt das nicht her. Daß Sie in dieser letzten bildungspolitischen Debatte dieser Wahlperiode berufliche Bildung, Weiterbildung und BAföG auf einem großen Haufen zusammenkehren, zeigt, wie Sie während der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung, also seit nunmehr 16 Jahren, mit diesem Politikfeld umgegangen sind: perspektivlos, unsensibel in der Zusammenarbeit mit den Ländern, unfähig zu Ref or-men.
({1})
Das 19. BAföG-Änderungsgesetz ist ein treffliches Beispiel. Ich habe Ihnen schon bei der Einbringung Ihres Gesetzentwurfs gesagt, daß wir dieser Minimalanpassung schon deshalb zustimmen werden, weil wir wollen, daß diese 260 Millionen DM pro Jahr für den BAföG-Topf erhalten bleiben und die Gefördertenquote nicht noch weiter absinkt. Wir haben es hier nicht einmal mit den Ansätzen zu einer Reform zu tun. Die Situation ist vielmehr so, daß hier einem Ertrinkenden ein Rettungsanker zugeworfen wird, um sein völliges Absaufen zu verhindern.
Wir sind froh, daß die Regierungskoalition in den Ausschußberatungen unseren Antrag aufgenommen hat, in dem Gesetzentwurf eine Harmonisierung der Fristen im SED-Unrechtsbereinigungsgesetz zur Inanspruchnahme von Leistungen nach dem BAföG und dem Aufstiegsfortbildungsgesetz vorzunehmen.
Warum dem Ausschuß für Bildung und Forschung der Vorbericht zur 15. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zu den Ausschußberatungen nicht vorgelegt wurde, obwohl er seit längerer Zeit im Ministerium vorlag, ließ sich leider nicht ergründen, obwohl alle Fraktionen diesen Vorbericht dringend anforderten. Nachdem nun das Ministerium am Dienstag eine Pressekonferenz dazu abgehalten hat, wurde er den Ausschußmitgliedern gleichzeitig zugeleitet.
({2})
Vielleicht hatte das Ministerium Sorge, bei gründlichem Studium könnte der Grad der BAföG-Aufklärung zu weit getrieben werden. Wir können Sie beruhigen: Nach Vorliegen der gesamten Sozialerhebung wird es sicher die dazu notwendigen Auswertungen geben.
Dem Vorbericht ist zu entnehmen, daß nur noch 17 Prozent der Studierenden in den alten Ländern auf BAföG-Leistungen zur Finanzierung ihres Studiums zurückgreifen können. Das ist die Bilanz Ihrer Regierung. 1982 waren es noch 37 Prozent. In den neuen Ländern erhalten 30,7 Prozent der Studierenden BAföG; 1994 - das ist eine Kurzbilanz - waren es noch 94,8 Prozent.
Verglichen mit 1994 hat der Staat im Erhebungszeitraum knapp ein Viertel weniger Mittel für die Ausbildungsförderung ausgegeben. Die Erwerbstätigkeit schon bei den Erstsemestern ist auf Rekordniveau. Das bedeutet längere Studienzeiten und ein weiteres Ansteigen des Durchschnittsalters - alles Alarmzeichen vor allem im europäischen Vergleich.
({3})
Bei den Ausschußberatungen hat mir Herr Staatssekretär Neumann Scheinheiligkeit im Zusammenhang mit der Position der Länder vorgeworfen, und ich habe versprochen, im Plenum darauf zu antworten.
Scheinheilig ist es, bei einem Bundesgesetz, wie es das BAföG ist - Anteil des Bundes zwei Drittel, Anteil der Länder ein Drittel -, nicht selber initiativ zu werden, sondern hinter dem Busch zu sitzen und auf Argumente zu lauern, die eine Reform erschweren, anstatt mit den Ländern die von ihnen gemeinsam beschlossene Reform auf den Weg zu bringen.
({4})
Scheinheilig ist es, von seiten des Bundes die BAföG-Ausgaben von 1992 bis jetzt von rund 2,5 Milliarden DM auf 1,5 Milliarden DM zu senken und bei einem Einsparvolumen von rund 1 Milliarde DM durch den Bund die Feststellung des Bundesrates, die Bundesregierung habe eine drastische Absenkung des
Fördervolumens beabsichtigt, auch noch „mit Entschiedenheit" zurückzuweisen.
Scheinheilig ist es, darüber hinaus den Ländern vorzuhalten, das Dreikörbemodell könne wegen Finanzierungsschwierigkeiten nicht realisiert werden.
({5})
Scheinheilig ist es, bei den Studentenprotesten aufzutreten, großes Verständnis zu heucheln und dann alle mit einem 40-Millionen-DM-Bibliotheksprogramm abzuspeisen.
({6})
Scheinheilig ist es, an die Hochschulen zu gehen, zu flöten: „Piep, piep, piep, der Rüttgers hat euch lieb", und gleichzeitig im HRG nicht den Verzicht auf Studiengebühren festzuschreiben.
({7})
Scheinheilig ist es von seiten der CDU/CSU darüber hinaus, landauf, landab zu versichern: „Wir sind gegen Studiengebühren", und sie gleichzeitig in einem CDU/F.D.P.-regierten Land wie Baden-Württemberg klammheimlich einzuführen.
({8})
Scheinheilig ist es, in Sonntagsreden ständig die Bedeutung von Bildung und Forschung zu betonen und gleichzeitig die Mittel für diesen Bereich immer weiter abzusenken.
({9})
Scheinheilig ist es, sich unter dem Deckmantel knapper Kassen aus der Verantwortung des Staates für eine gute Ausbildung zurückzuziehen.
({10})
Hören Sie also endlich damit auf, überall, wo Sie im Bildungsbereich gegen die Wand fahren, auf die Länder zu verweisen, vor allem dann, wenn - wie beim BAföG - in erster Linie der Bund verantwortlich ist. Das ist der Inbegriff von Scheinheiligkeit, den alle Betroffenen bis zum Überdruß satt haben.
({11})
Die SPD-Fraktion legt zu ihrem Gesetzentwurf einen Entschließungsantrag vor, in dem auf den Beschluß zur 18. BAföG-Novelle Bezug genommen wird. Wir halten an einer grundlegenden Reform der Ausbildungsförderung fest und sehen gemeinsam mit den Ländern im Dreikörbemodell eine gute Basis, sie in der 14. Wahlperiode endlich durchzusetzen.
({12})
Wir wissen, daß dies großer Anstrengungen bedarf und daß der Bund dabei die Vorreiterrolle übernehmen muß. Deshalb haben wir in unserem Wahlprogramm eine Verdoppelung der Zukunftsinvestitionen des Bundes im Bildungs- und Forschungsbereich innerhalb der nächsten fünf Jahre vorgesehen.
({13})
Meine Damen und Herren, die Jugend in Deutschland braucht klare Vorgaben für Bildung
Studium und Arbeitsmarkt. Ihre Zeit der Perspektivlosigkeit und der Unfähigkeit zu Reformen ist zu Ende. Ein neuer Anfang ist überfällig. Ich bin dankbar - mit diesen Worten möchte ich ausscheiden -, daß ich diesen Neuanfang in diesem Hohen Haus mit vorantreiben kann.
Vielen Dank.
({14})
Liebe Frau Kollegin Odendahl, ich habe gerade von Ihnen gelernt, daß es Acht-Sterne-Abgeordnete gibt. Nach dieser Rechnung sind Sie eine Vier-Sterne-Abgeordnete, das heißt, seit 1983 im Deutschen Bundestag. Seit 1996 sind Sie Ausschußvorsitzende. Ich möchte mich bei Ihnen im Namen des ganzen Hauses für Ihre Arbeit bedanken und Ihnen für die Zukunft alles Gute wünschen.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Martin Mayer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte Frau Kollegin Odendahl von dieser Stelle aus sagen, daß ich sie persönlich schätze. Dennoch kann ich Ihnen, Frau Odendahl, nicht ersparen, Ihrer falschen Litanei der Scheinheiligkeit eine wahre Behauptung entgegenzusetzen.
({0})
Scheinheilig ist es nämlich, wenn man genau weiß, daß eine Reform des Hochschulrahmengesetzes dringend notwendig ist, diese aber mit einem fadenscheinigen Vorwand blockiert.
({1})
Die Gesetzentwürfe von SPD, Grünen und PDS - man beachte die Gemeinsamkeit - zur Ausbildungsabgabe lassen sich mit einer Aussage zusammenfassen: mehr Staat, mehr Bürokratie, mehr Umverteilung.
({2})
Herr Kollege Rixe hat vorhin von der Jugend und davon gesprochen, daß man die Jugend wieder begeistern will. Wie man aber mit mehr Bürokratie die JuDr. Martin Mayer ({3})
gend begeistern will, das wird wohl auf Dauer Ihr Geheimnis bleiben.
({4})
Ich will das nicht nur global sagen, sondern durchaus einiges aus Ihrem Gesetzentwurf zitieren. Dort heißt es: „Bemessungsgrundlage für die Ausbildungsplatzumlage " ist „die Summe aus Bruttoentgeltsumme ... und Gewinn oder Verlust" . Es ist doch das absolut falsche Signal, die Lohnkosten zusätzlich zu verteuern! Wenn ich die Arbeit verteuere, dann wird doch die unselige Entwicklung, daß Arbeit durch Kapital ersetzt wird, weiter voranschreiten. Ich meine, deshalb muß die Ausbildungsabgabe abgelehnt werden.
Sie nennen dann eine Reihe von bürokratischen Vorschriften. Das sind sozusagen Lockköder, wenn Sie beispielsweise sagen, man nehme die Unternehmensgründungen aus. Nach eineinhalb Jahren sind aber auch die Unternehmensgründer von der Regelung betroffen. Das heißt, daß sie in den schweren Jahren - zweites, drittes, viertes und fünftes Jahr - zusätzliche Bürokratie auf sich nehmen sollen. Das ließe sich an vielen anderen Beispielen erläutern. Ich glaube, es gibt viele kluge Leute, die in der Lage sind, die Ausnahmen so weit auszunutzen, daß sie letztlich keine Ausbildungsabgabe bezahlen müßten.
Ich halte es auch nicht für gut, daß Sie die Tarifpartner, die sich in der Frage der Ausbildung nicht sehr bewährt haben, für die Ausbildungsabgabe heranziehen. Wenn wir beim Handwerk gegenwärtig feststellen können, daß die Tatsache, daß die Ausbildungskosten so hoch sind, einer der Hauptgründe dafür ist, warum so wenig Ausbildungsplätze bereitgestellt werden, dann muß das doch ein Signal und ein Warnzeichen für die Tarifpartner sein.
Alle guten Argumente sprechen gegen eine Ausbildungsabgabe.
({5})
Wenn Sie unseren Argumenten schon nicht glauben, dann glauben Sie doch dem Ministerpräsidenten und Ihrem Kanzlerkandidaten, dem Herrn Schröder, der sich eindeutig gegen diese Ausbildungsabgabe ausgesprochen hat. Er hat etwas Vernünftiges gesagt, aber er kann es wie in vielen anderen Fällen nicht durchsetzen. Im übrigen sprechen die Zahlen in Niedersachsen auch nicht gerade für die Qualität der Politik in Niedersachsen. Sie sind nicht berauschend: Beim Verhältnis von Angebot und Nachfrage bei den Ausbildungsplätzen steht Niedersachsen am Ende der Statistik. Das darf man in diesem Zusammenhang ruhig einmal sagen.
({6})
Ich möchte Ihnen einmal in aller Ruhe sagen: Ziehen Sie diese Gesetzentwürfe im Interesse der jungen Menschen zurück, damit das eintritt, was die Verantwortung der Wirtschaft und letztlich der einzelnen ist, nämlich daß neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich weise Sie darauf hin, daß ich etwa 30 Seiten mit Abstimmungen vor mir liegen habe. Wir müssen uns also alle etwas anstrengen, um das mit guter Fasson über die Bühne zu bringen.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. mit dem Titel „Mehr Ausbildungsplätze durch flexible Strukturen, moderne Berufe, keine Zwangsabgaben" . Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8732 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition bei einigen Enthaltungen aus dem Kreise der SPD angenommen.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Förderung der Ausbildungsbereitschaft der Wirtschaft auf Drucksache 13/ 7821. Der Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung empfiehlt auf Drucksache 13/10609 unter Nr. 2 Buchstabe a, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse nun über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7821 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die ihm zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden. SPD und PDS haben sich enthalten. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe der PDS zur solidarischen Ausbildungsfinanzierung auf Drucksache 13/8040. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/10609 unter Nr. 2 Buchstabe b, auch diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse nun über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/ 8040 abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung der Sozialdemokraten in zweiter Beratung abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung auch hier die weitere Beratung.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Sicherung und Förderung der betrieb-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
lichen Berufsausbildung auf Drucksache 13/8680. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/10609 unter Nr. 2 Buchstabe c, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse nun über den Gesetzentwurf der SPD abstimmen und bitte diejenigen, die ihm zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS in zweiter Beratung abgelehnt worden. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten. Auch hierüber entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu einem Sofortprogramm für die berufliche Erstausbildung aller Jugendlichen. Das ist die Drucksache 13/10610, Buchstabe a. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8599 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der PDS angenommen worden, während sich Bündnis 90/Die Grünen und SPD enthalten haben.
Beschlußempfehlung des Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einem Sofortprogramm Arbeit und Beruf für junge Frauen und Männer auf Drucksache 13/10610, Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8640 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS angenommen worden. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten.
Wir kommen damit zu den Tagesordnungspunkten 10d und 10e. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/10651 und 13/ 10665 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit sind die Überweisungen so beschlossen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer Grundsatzerklärung zur Entwicklung der Ausbildungsberufe, Drucksache 13/9680. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7255 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/9636. Das ist die Sammelübersicht 286. Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucksache 13/ 10817? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und
PDS, während Bündnis 90/Die Grünen sich enthalten hat, abgelehnt worden.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 13/10843? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS, während die SPD sich enthalten hat, abgelehnt worden.
Wer stimmt nun für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/10814 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 11 a. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Das sind die Drucksachen 13/10241 und 13/10668, Buchstabe a. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen, während die PDS sich enthalten hat, angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem soeben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/10816. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der SPD, während die PDS sich enthalten hat, abgelehnt worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/10796. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und des Bündnisses 90/ Die Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Ergänzung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften. Das ist die Drucksache 13/10668, Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetz-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
entwurf auf Drucksache 13/9414 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform der Ausbildungsförderung. Das ist Drucksache 13/10668, Buchstabe c. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6998 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Gruppe der PDS zum Neunzehnten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, Drucksache 13/10668, Buchstabe d. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7058 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung der SPD angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „BAfäG-Strukturreform in Gang setzen", Drucksache 13/10668, Buchstabe e. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7071 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, des Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD bei Stimmenthaltung der PDS angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „BAföG-Strukturreform dringender denn je", Drucksache 13/ 10668, Buchstabe f. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/10278 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Bericht der Bundesregierung zur Überprüfung der Bedarfssätze, Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, Drucksache 13/10668, Buchstabe g. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Wahl des Bundesbeauftragten für den Datenschutz
Die Bundesregierung hat mit Schreiben vom 7. Mai 1998 Herrn Dr. Joachim-Wolfgang Jacob zur Wiederwahl als Bundesbeauftragter für den Datenschutz vorgeschlagen.
Für die Wahl benötigen Sie eine Stimmkarte und Ihren Wahlausweis in der Farbe Weiß. Die Stimmkarten sind hier im Saal erhältlich. Ihren Wahlausweis können Sie jetzt noch Ihrem Stimmkartenfach entnehmen, soweit Sie das nicht schon getan haben.
Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das heißt mindestens 337 Stimmen erhält.
Stimmkarten, die mehr als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten, sind ungültig. Die Wahl ist nicht geheim. Sie können die Stimmkarte deshalb an Ihren Plätzen ankreuzen.
Bevor Sie die Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, geben Sie bitte Ihren Wahlausweis dem Schriftführer. Die Abgabe des Wahlausweises gilt als Nachweis der Teilnahme an der Wahl.
Ich bitte nun die Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ich eröffne die Wahl.
Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses, auch die Schriftführer, ihre Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Damit schließe ich die Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Wahlergebnis gebe ich später bekannt.* )
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, sich hinzusetzen. Wir fahren mit der Abstimmung über die Grundgesetzänderung fort, sobald ich die Übersicht habe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man schon so etwas Wichtiges macht wie die Änderung des Grundgesetzes, müssen Sie mich wenigstens verstehen können. Ich darf also um etwas Ruhe bitten. - Bitte setzen Sie sich hin.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 a auf:
Zweite und Dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0})
- Drucksache 13/9393 - ({1})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 13/10590 - Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis Dr. Herta Däubler-Gmelin
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Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes ({3}), Drucksache 13/9393. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/10590, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung und Schlußabstimmung.
Ich weise darauf hin, daß zur Annahme des Gesetzentwurfes eine Zweidrittelmehrheit - das sind mindestens 448 Stimmen - erforderlich ist. Es ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, wieder die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. *)
Wir setzen die Beratungen fort. Ich bitte Sie, sich wieder in die Bänke zu setzen. Es liegt noch eine ganze Reihe weiterer Abstimmungen vor uns. Deswegen brauche ich die Übersicht.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 g sowie die Zusatzpunkte 9 a bis 9 h auf:
20. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Januar 1998 zwischen der Regierung Kanadas, Regierungen von Mitgliedstaaten der Europäischen Weltraumorganisation, der Regierung Japans, der Regierung der Russischen Föderation und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über Zusammenarbeit bei der zivilen internationalen Raumstation ({4})
- Drucksache 13/10713 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({5}) Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europa-Mittelmeer-Abkommen vom 26. Februar 1996 zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen
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Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits
- Drucksache 13/10756 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({6})
Auswärtiger Ausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Gemeinsamen Übereinkommen vom 5. September 1997 über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle ({7})
- Drucksache 13/10715 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1998 ({8})
- Drucksache 13/10722 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({9})
Finanzausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über die Schaffung des internationalen Systems und der Organisation für kosmische Fernmeldeverbindungen „INTERSPUTNIK" vom 15. November 1971 und zu dem Protokoll über die Einbringung von Korrekturen in dieses Abkommen vom 30. November 1996
- Drucksache 13/10725 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Post und Telekommunikation ({10})
Ausschuß für Wirtschaft
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten ({11})
- Drucksache 13/10742 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Post und Telekommunikation ({12})
Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim Poß, Achim Großmann, Ingrid
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Matthäus-Maier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Verlängerung der ökologischen Komponente bei der Eigenheimzulage
- Drucksache 13/10619 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({13})
Finanzausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP9 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({14})
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Untersuchung von Unfällen und Störungen bei dem Betrieb ziviler Luftfahrzeuge und zur entsprechenden Anpassung anderer luftrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 13/10738 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({15})
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 1. März 1991 über die Markierung von Plastiksprengstoffen zum Zweck des Aufspürens
- Drucksache 13/10741 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Verkehr ({16}) Innenausschuß
c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 42 Abs. 2 des Wohngeldgesetzes und des § 9 Abs. 3 und 4 des Eigenheimzulagengesetzes
- Drucksache 13/10792 ({17}) Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({18})
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Helmut Wilhelm ({19}) und der Fraktion BOND-NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Eigenheimzulagengesetzes ({20})
- Drucksache 13/10788 - Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({21})
Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
e) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und zur Änderung des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung ({22})
- Drucksache 13/10789 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({23}) Rechtsausschuß
Auschuß für Wirtschaft
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. August 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Turkmenistan über den Luftverkehr
- Drucksache 13/10739 Überweisungsvorschlag :
Ausschuß für Verkehr ({24}) Finanzausschuß
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 24. Februar 1995 und 30. Juli 1997 des Übereinkommens vom 1. September 1970 über internationale Beförderungen leicht verderblicher Lebensmittel und über die besonderen Beförderungsmittel, die für diese Beförderungen zu verwenden sind ({25})
- Drucksache 13/10740 -
Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Karl Lamers, Dr. Erich Riedl und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Ina Albowitz und der Fraktion der F.D.P.
Angemessene deutsche personelle Repräsentanz in inter- und supranationalen Organisationen
- Drucksache 13/10793 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({26})
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zur Behandlung einer Reihe weiterer Punkte, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 21 b:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 6. Oktober 1997 zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der im Königreich der Niederlande stationierten deutschen Truppen einschließlich des ergänzenden Protokolls und zu dem Abkommen vom 6. Oktober 1997 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Königreichs der Niederlande über die Rahmenbedingungen für das I. ({27}) Korps und dem Korps zugeordnete Truppenteile, Einrichtungen und Dienststellen ({28})
- Drucksache 13/10117 - ({29})
Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({30})
- Drucksache 13/10683 - Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Dieter Reichardt ({31})
Brigitte Schulte ({32})
Der Verteidigungsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/10683, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der PDS angenommen worden. Bündnis 90/Die Grünen hat nicht mit abgestimmt.
Tagesordnungspunkt 21 c:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zum Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung vom 3. Dezember 1997
- Drucksache 13/10116 - ({33})
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({34})
- Drucksache 13/10691- Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Dirk Bierling Gernot Erler
Dr. Olaf Feldmann
Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/10691, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Stimmt jemand dagegen? - Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? - Das ist auch nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 21 d:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 14. September 1994 des Weltpostvereins
- Drucksachen 13/9574, 13/9694, 13/10262, 13/10365 Nr. 2 ({35})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Post und Telekommunikation ({36})
- Drucksache 13/10648 - Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank Hans Martin Bury
Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden, während sich die PDS enthalten hat.
Tagesordnungspunkt 21 e:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. November 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kasachstan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
- Drucksache 13/10401 - ({37})
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({38})
- Drucksache 13/10785 - Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Dieter Schulte ({39})
Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 10785, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - EnthalVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
tungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 21 f:
- Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 19. Dezember 1995 zur Durchführung des Abkommens vom 8. Dezember 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über soziale Sicherheit
- Drucksache 13/10124 - ({40})
- Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. September 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Slowenien über soziale Sicherheit
- Drucksache 13/10125 - ({41})
- Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. November 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kroatien über soziale Sicherheit
- Drucksache 13/10433 - ({42})
- Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. Dezember 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bulgarien über soziale Sicherheit
- Drucksache 13/10434 - ({43})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({44})
- Drucksache 13/10830 Berichterstattung:
Abgeordneter Manfred Grund
Ich lasse zunächst abstimmen über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der Republik Slowenien über soziale Sicherheit, Drucksache 13/10125 und Drucksache 13/10830. Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Ich lasse jetzt abstimmen über die von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwürfe zu den Abkommen mit den Republiken Polen, Kroatien und Bulgarien über soziale Sicherheit. Das sind die Drucksachen 13/10124, 13/10433, 13/10434. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/10830, die Gesetzentwürfe unverändert anzunehmen. Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich über die drei Gesetzentwürfe gemeinsam abstimmen. - Dagegen gibt es keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so; das spart Zeit. Ich bitte diejenigen, die den drei Gesetzentwürfen zustimmen wollen, sich zu erheben. - Stimmt jemand dagegen? - Das ist nicht der Fall. Enthaltungen gibt es auch nicht. Dann sind alle drei Gesetzentwürfe mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 21 h:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Versorgungsrücklage des Bundes ({45})
- Drucksache 13/10282 - ({46})
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({47})
- Drucksache 13/10717 - Berichterstattung:
Abgeordnete Meinrad Belle
Fritz Rudolf Körper Rezzo Schlauch Dr. Max Stadler Maritta böttcher
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, von Bündnis 90/Die Grünen und SPD gegen die Stimmen der PDS angenommen worden. Es gibt keine Enthaltung.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 21 i:
Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({48}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahresbericht 1996 über humanitäre Hilfe
Bericht von der Kommission für den Rat und das Europäische Parlament
- Drucksachen 13/9086 Nr. 2.14, 13/10053 - Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Karl-Heinz Hornhues
Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 21j:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({49}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christa Luft, Dr. Barbara Höll, Dr. Gregor Gysi und der weiteren Abgeordneten der PDS
Gesetzliche Regelung der Grundsätze der staatlichen Finanzierung parteinaher Stiftungen
- Drucksachen 13/621, 13/4236-Berichterstattung:
Abgeordnete Hartmut Koschyk Dr. Wilfried Penner
Manfred Such
Dr. Guido Westerwelle
Ulla Jelpke
Hier gibt es eine persönliche Erklärung zur Abstimmung der Abgeordneten Höll.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mein Abstimmungsverhalten hier erklären, weil ich hoffe, mit dieser Erklärung vielleicht doch noch einige Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von der F.D.P., in ihrem Abstimmungsverhalten beeinflussen zu können.
Wir stimmen über die Empfehlung des Innenausschusses zu einem Antrag der PDS zur gesetzlichen Regelung der Grundsätze der staatlichen Finanzierung parteinaher Stiftungen ab. Ich werde gegen die Beschlußempfehlung stimmen, die lautet, unseren Antrag abzulehnen.
Ich bin in diesem Bundestag zwar viel gewöhnt; aber ich muß sagen, über diese Beschlußempfehlung bin ich doch erstaunt. Denn Sie werden nicht darüber abstimmen, ob auch die PDS ihren grundgesetzlichen Auftrag, zur politischen Willensbildung des Volkes beizutragen, künftig fundierter und noch besser erfüllen kann. Sie stimmen nur darüber ab, ob die Parteienfinanzierung künftig auf eine gesetzliche Grundlage gestellt wird.
Liebe Frau Kollegin, einen Moment! Nur damit wir uns verständigen: Sie dürfen nicht das Abstimmungsverhalten der anderen kommentieren, sondern nur ihr eigenes begründen. Manchmal gibt es da Grenzgebiete; aber zu dem Abstimmungsverhalten der anderen dürfen Sie nichts sagen.
Danke, Frau Präsidentin.
Ich werde der Beschlußempfehlung des Innenausschusses nicht folgen, weil wir mit unserem Antrag den Empfehlungen der Kommission zur Parteienfinanzierung nachkommen, die der Bundespräsident - damals noch Richard von Weizsäcker - einberufen hat, da er hinsichtlich der gesamten Parteienfinanzierung Schwierigkeiten sah.
Ich kann auch deshalb nicht für Ihre Beschlußempfehlung stimmen, weil ich denke, daß der Hauptzielstellung der unabhängigen Parteienkommission, die Finanzierung parteinaher Stiftungen transparent zu machen, endlich Genüge getan werden muß.
Ich kann weiter nicht dafür stimmen, weil in der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zwar darauf hingewiesen wird, daß die gesetzliche Regelung nicht von der Regierung vorgeschlagen werden müsse, sondern vom Parlament, dem dies als grundsätzliches parlamentarisches Recht zustehe, aber alle anderen Parteien in diesem Bundestag sich dieser Aufgabe bisher nicht gestellt haben.
Unsere Aufforderung, die Parteienfinanzierung auf eine saubere, transparente Grundlage zu stellen, ist auch deshalb notwendig, weil inzwischen, seit 1993, in die Parteienstiftungen wieder beträchtliche Mittel geflossen sind.
Ich kann deshalb nicht der Beschlußempfehlung des Innenausschusses folgen, weil ich denke, es muß ein Grundsatz sein, daß Politik transparent ist und für Bürger und Bürgerinnen nachvollziehbar wird. Unser Antrag wäre ein wesentlicher Schritt dazu, das demokratische System fundierter auszugestalten.
Ich werde mit meinem Abstimmungsverhalten der Auffassung folgen, die noch 1995 Herr Solms schriftlich ausgedrückt hat. Ich denke deshalb, daß ich mit meinem Abstimmungsverhalten durchaus ein Vorbild für andere Parlamentarier hier im Hause sein könnte.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das war die Erklärung zur Abstimmung.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur gesetzlichen Regelung der Grundsätze der staatlichen Finanzierung parteinaher Stiftungen; das ist die Drucksache 13/4236. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/621 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der PDS angenommen worden, während Bündnis 90/ Die Grünen sich enthalten hat.
Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 21 k:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 343 zu Petitionen - Drucksache 13/10625 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 343 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD angenommen worden. Bündnis 90/Die Grünen . und die PDS haben sich enthalten.
Tagesordnungspunkt 211:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 344 zu Petitionen
- Drucksache 13/10626 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 344 ist mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden.
Tagesordnungspunkt 21m:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 345 zu Petitionen
- Drucksache 13/10627 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 345 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden. Keine Enthaltungen.
Tagesordnungspunkt 21 n:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 346 zu Petitionen - Drucksache 13/10628 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 346 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Die PDS hat sich enthalten.
Tagesordnungspunkt 21 o:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({4})
Sammelübersicht 347 zu Petitionen
- Drucksache 13/10629 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 347 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden. Keine Enthaltungen.
Zusatzpunkt 10a:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({5})
zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 2/98 und zur Streitsache 2 BvE 1/98
- Drucksache 13/10763 - Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Eylmann
Wer stimmt für die Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/10 763? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden.
Zusatzpunkt 10b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Patentgesetzes und anderer Gesetze ({6})
- Drucksache 13/9971- ({7})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({8})
- Drucksache 13/10847 - Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Röttgen Ludwig Stiegler
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen möchten, um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen möchten. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung einstimmig angenommen worden.
Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/ 10 847 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/ Die Grünen angenommen worden. Die PDS hat sich enthalten.
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze
- Drucksache 13/4184 - ({0})
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verordnung Ober die Tätigkeit von Notaren in eigener Praxis
- Drucksache 13/2023 - ({1})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 13/10589 - Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Eylmann Alfred Hartenbach
Detlef Kleinert ({3}) Dr. Bertold Reinartz
Margot von Renesse
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Interfraktionell ist vereinbart, die Gesetzentwürfe auf Drucksachen 13/4184 und 13/2023 sowie die Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/10589 an den Rechtsausschuß zurückzuverweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Wir sind damit am Ende der Abstimmungen.
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich Ihnen zwei Ergebnisse bekanntgeben. Zunächst gebe ich das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der Wahl des Bundesbeauftragten für den Datenschutz bekannt. Abgegebene Stimmen 618. Mit Ja haben gestimmt 562. Mit Nein haben gestimmt 15. Es gab 41 Enthaltungen. Keine Stimme war ungültig. Herr Dr. Joachim-Wolfgang Jacob hat damit die erforderliche absolute Mehrheit erreicht. Er ist zum Bundesbeauftragten für den Datenschutz wiedergewählt worden.*) - Herr Dr. Jacob, wir gratulieren Ihnen ganz herzlich zu Ihrer Wiederwahl.
({4})
Es folgt das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P., zur Änderung des Grundgesetzes. Abgebene Stimmen 614. Mit Ja haben gestimmt 613. Es gab 1 Gegenstimme. Damit ist der Gesetzentwurf mil der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen worden.
*) Liste der Teilnehmer an der Wahl Anlage 3
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 614; davon
ja: 613
nein: 1
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen ({5}) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun ({6}) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({7}) Hartmut Büttner
({8})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({9}) Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjörgen Doss Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ase Falk
Jochen Feilcke
Dirk Fischer ({10}) Leni Fischer ({11})
Klaus Francke ({12}) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther ({13}) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({14})
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser ({15}) Hansgeorg Hauser
({16}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith Elke Holzapfel
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung ({17}) Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden
Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler
({18})
Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Annegret KrampKarrenbauer Rudolf Kraus
Wolfgang Krause ({19}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({20}) Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet Herbert Lattmann
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach Walter Link ({21}) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({22})
Wolfgang Lohmann ({23}) Julius Louven
Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({24}) Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski Günter Marten
({25}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer ({26})
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller ({27}) Engelbert Nelle
Bernd Neumann ({28}) Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({29}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber Otto Regenspurger
Christa Reichard ({30}) Klaus Dieter Reichardt
({31})
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter
Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl ({32}) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({33}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth ({34})
Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Roland Sauer ({35}) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({36}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({37})
Andreas Schmidt ({38}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
({39})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte
({40}) Gerhard Schulz ({41}) Frederick Schulze
({42})
Diethard Schütze ({43}) Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({44})
Dr. Horst Waffenschmidt Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm ({45}) Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({46}) Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl
Michael Wonneberger Elke Wülfing
Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer
SPD
Brigitte Adler
Robert Antretter Hermann Bachmaier Doris Barnett
Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Hans-Werner Bert! Rudolf Bindig
Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury
Hans Büttner ({47}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Freimut Duve
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer ({48}) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Eva Folta
Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({49}) Katrin Fuchs ({50}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf ({51}) Angelika Graf ({52}) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
({53})
Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach
Dr. Liesel Hartenstein Dr. Ingomar Hauchler
Jens Heinzig Dieter Heistermann Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({54}) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({55}) Frank Hofmann ({56}) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange
Detlev von Larcher Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({57}) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({58}) Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens Ursula Mogg
Michael Müller ({59}) Jutta Müller ({60}) Christian Müller ({61}) Volker Neumann ({62}) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Rudolf Purps
Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter Günter Rixe
Reinhold Robbe
Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Günter Schluckebier Ulla Schmidt ({63})
Dagmar Schmidt ({64}) Wilhelm Schmidt ({65}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({66})
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({67})
Brigitte Schulte ({68}) Volkmar Schultz ({69}) Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({70}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Jörg-Otto Spiller
Antje-Marie Steen Dr. Peter Struck
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Günter Verheugen Ute Vogt ({71})
Karsten D. Voigt ({72}) Hans Georg Wagner
Hans Wallow
Reinhard Weis ({73}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({74}) Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek Berthold Wittich
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({75}) Heidi Wright
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({76}) Elisabeth Altmann
({77}) Marieluise Beck ({78}) Volker Beck ({79}) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelle Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({80}) Joseph Fischer ({81}) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({82}) Christa Nickels
Egbert Nitsch ({83}) Cern Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Halo Saibold
Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({84}) Wolfgang Schmitt
({85})
Ursula Schönberger Waltraud Schoppe Werner Schulz ({86}) Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({87}) Margareta Wolf ({88})
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel
Hildebrecht Braun
({89})
Günther Bredehorn
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({90}) Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer
Detlef Kleinert ({91}) Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl
Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng ({92})
Dr. Guido Westerwelle
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer
Dr. Barbara Höll Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({93}) Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Fraktionslos
Kurt Neumann ({94})
Nein
PDS
Dr. Willibald Jacob
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV oder der IPU
Abgeordnete
Terborg, Margitta, SPD
Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege ({95})
- Drucksache 13/10013 - ({96})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, Dr. Michael Bürsch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte
- Drucksache 13/9774 - ({97})
- Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung von EntscheiVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
dungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte
- Drucksachen 13/10284, 13/10708 - ({98})
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rehabilitierung, Entschädigung und Versorgung für Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und Wehrkraftzersetzer unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und zur Änderung anderer Gesetze
- Drucksache 13/6900-({99})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck ({100}), Winfried Nachtwei, Christa Nickels, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile und zur Nichtigkeit nationalsozialistischer Rechtsvorschriften
- Drucksache 13/9747 - ({101})
- Zweite und Dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege ({102})
- Drucksache 13/10484 - ({103})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({104})
- Drucksache 13/10848 - Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Eylmann Norbert Geis
Eckart von Klaeden
Dr. Herta Däubler-Gmelin Detlef Kleinert ({105}) Volker Beck ({106})
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({107}) zu dem Antrag des Abgeordneten Volker Beck ({108}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Unrechtserklärung des nationalsozialistischen § 175 StGB, Rehabilitierung, Entschädigung und Versorgung für die schwulen Opfer des NS-Regimes
- Drucksachen 13/1496, 13/10848 - Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Eylmann Norbert Geis
Eckart von Klaeden
Dr. Herta Däubler-Gmelin Detlef Kleinert ({109}) Volker Beck ({110})
Es liegen vier Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über einen Änderungsantrag werden wir im Anschluß an die Aussprache namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Norbert Geis.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute über einen Gesetzentwurf zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile und über Vorlagen zu Fragen der Sterilisation abzustimmen.
In diesem Zusammenhang taucht natürlich sofort die Frage auf, warum dies erst jetzt, nach 50 Jahren, geschieht; als wäre in der Vergangenheit nichts geschehen. Das ist aber nicht richtig. Schon 1946 haben viele Bundesländer, Bayern, Baden-Württemberg, aber auch die meisten anderen westlichen Bundesländer - nicht die im Osten -, entsprechende gesetzliche Regelungen zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile getroffen. So ist das Urteil gegen Pfarrer Bonhoeffer durch ein entsprechendes Gesetz in Bayern schon 1946 aufgehoben worden.
Natürlich waren diese Regelungen nicht einheitlich, wie das in einem föderalen System der Fall ist. Daher gab es schon sehr früh, nämlich schon Anfang 1950, seitens der SPD-Fraktion die Überlegung, eine bundeseinheitliche Regelung zu schaffen. Der damalige Justizminister Thomas Dehler und die Koalition haben dies jedoch unter Verweis auf die in den Ländern bestehenden Regelungen versagt. Dann herrschte zunächst einmal Ruhe. Auch die SPD-Bundesjustizminister haben diese Frage nicht wieder aufgegriffen.
Erst im Sommer letzten Jahres kam es dann erneut zu Diskussionen, als der Bundesjustizminister einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet hat. Grund dafür war vor allen Dingen die Tatsache, daß in den neuen Bundesländern, also in der früheren DDR, solche Regelungen wie in den alten Bundesländern nicht bestanden. Das war der Hauptgrund für eine solche gesetzliche Regelung. Die Koalition hat damals erklärt, man solle zunächst einmal den Bundesländern die Möglichkeit einräumen, von ihrer eigenen Kompetenz Gebrauch zu machen und selbst solche Gesetze zu erlassen, wie sie beispielsweise in Bayern und Baden-Württemberg schon bestanden.
Die Resonanz war aber Null. Das ist auch kein Wunder; denn in den neuen Bundesländern steht natürlich die Rehabilitierung der Opfer des SED-Unrechts im Vordergrund. Naturgemäß beschäftigen sich die neuen Bundesländer erst einmal mit der Aufarbeitung dieser Verbrechen. Die nationalsozialistischen Verbrechen sind dort einfach vom Zeitablauf her etwas weiter zurückliegend.
Die Koalition selbst hat Anfang März dieses Jahres einen Gesetzentwurf eingebracht. Zuvor hatte die SPD den Gesetzentwurf des Bundesjustizministers
als ihren eigenen Gesetzentwurf eingebracht. Beide Gesetzentwürfe sind in wesentlichen Teilen übereinstimmend. Auch deshalb war es - nach längeren Verhandlungen - möglich, daraus nunmehr einen Gesetzentwurf zu gestalten. Wir werden diesen gemeinsamen Gesetzentwurf heute hoffentlich mit großer Mehrheit verabschieden.
Die Koalition löste die Frage der Aufhebung der nationalsozialistischen Unrechtsurteile zum einen damit, daß sie eine Generalklausel einfügte, nach der die Urteile nationalsozialistischer Herkunft aufzuheben sind, wenn sie gegen elementare Grundsätze der Gerechtigkeit verstießen und wenn sie zur Durchsetzung des nationalsozialistischen Terrorsystems aus rassischen, religiösen, weltanschaulichen oder militärischen Gründen ergangen waren. Dabei sollte man die „militärischen Gründe", die wir eingefügt haben - sie waren ja im ursprünglichen Gesetzentwurf nicht vorgesehen -, nicht falsch interpretieren. Wir haben dabei vor allem an die Bürgermeister von Kommunen gedacht, die beim Anrücken der alliierten Panzer zu dem Entschluß kamen, kampflos die Kommune, die Stadt oder die Gemeinde zu übergeben, um ihre eigene Bevölkerung zu schützen und ihre Stadt zu schonen. Sie wurden dann nicht selten durch Standgerichte ermordet. Dieses meinen wir in erster Linie mit dem Einschub „aus militärischen Gründen".
Nun hat Hitler auf verschiedenem Wege versucht, sein Terrorsystem in der Gesellschaft und im Staat durchzusetzen. Er tat dies einmal, indem er Gesetze erlassen hat, die auf nationalsozialistischem Unrecht basierten. Urteile, die auf Grund dieser Gesetze ergangen sind, waren natürlich von vornherein auch Unrechtsurteile. Deshalb haben beispielsweise die Länder Baden-Württemberg und Bayern schon 1946 Urteile, die auf diesen Gesetzen beruhten, pauschal aufgehoben.
Es gab aber Unrechtsurteile nicht nur auf Grund von solchen Gesetzen, sondern Hitler und seine Schergen haben ja auch den Versuch unternommen, die Richter unter Druck zu setzen. Auch so kam es zu Falschurteilen und massenhaften Unrechtsurteilen, die wir heute als glatte Rechtsbeugung ansehen würden. Sie stützten sich nicht auf nationalsozialistisches Gesetzesunrecht, sondern wurden auf Grund von Gesetzen erlassen, die wir zum Teil heute noch haben oder die zumindest vor 1933 Bestand hatten. Diese Urteile waren aber deshalb nationalsozialistisches Unrecht, weil sie durch glatte Rechtsbeugung zustande gekommen sind. Diese Urteile werden durch § 1, also durch die Generalklausel, aufgefangen und können aus diesem Grunde pauschal und ohne Einzelfallprüfung aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen der Generalklausel vorliegen.
Darunter fallen auch, um es hier zu sagen, die Urteile gegen die Deserteure. Natürlich wird ein Urteil gegen einen Deserteur nur dann aufgehoben, wenn er Widerstand gegen das Naziregime geleistet hat, nicht aber, wenn dies nicht der Fall war. Dann gilt die pauschale Aufhebung der Urteile selbstverständlich nicht.
Die Aufhebung der Urteile gilt im übrigen auch für Homosexuelle und für alle anderen Gruppierungen, für die Juden, für viele katholische und evangelische Geistliche, die auf diese Weise Unrechtsurteile haben hinnehmen müssen und nicht selten dabei das Leben eingebüßt haben. Wenn wir die Deserteure nun namentlich in das Gesetz aufgenommen hätten - darum ging der große Streit -, hätten wir alle Gruppierungen aufnehmen müssen. Das wollten wir nicht. Deshalb, meine ich, ist es richtig, es so zu belassen, wie wir es endgültig formuliert haben.
Es darf aber nicht verschwiegen werden, daß es natürlich auch rechtmäßige Urteile während der Zeit des Nationalsozialismus gegeben hat. Dieses war dann möglich, wenn sich Richter standhaft gegen den Druck, der von SA und Gestapo, von SS oder der Parteizentrale ausgegangen ist, gewehrt haben. Das gilt auch für die Militärgerichtsbarkeit. Der Historiker Heinz Höhne hat schon im Jahre 1978 im„Spiegel" geschrieben, daß dies vor allem in der Militärgerichtsbarkeit noch eher möglich gewesen sei als in der ordentlichen Gerichtsbarkeit daheim im Lande, weil dort offenbar Sonderbedingungen geherrscht hatten und die Partei nicht den Einfluß gehabt habe. Natürlich sind da furchtbare Unrechtsurteile erlassen worden. Das kann überhaupt nicht verschwiegen werden. Sie fallen unter § 1. Es wäre aber völlig ungerecht, wenn man Männer wie Karl Sack, der ja auf Befehl Hitlers hingerichtet wurde, dazu zählen und sagen würde, das sind alles Unrechtsrichter gewesen. Das war nicht der Fall.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden uns auch nach 50 Jahren nicht zum letztenmal mit unserer Vergangenheit beschäftigt haben. Was Hitler in seinem blinden Wahn inszeniert hat, wird uns durch unsere Geschichte hindurch begleiten. Wir haben uns immer wieder dieser Verantwortung zu stellen. Das gilt allerdings auch für das Unrecht, das von der SED ausgegangen ist. Wir müssen alles tun, damit in Deutschland weder Links- noch Rechtsaußen jemals wieder die Chance haben, zu bestimmen, was in unserem Land geschieht.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Herta Däubler-Gmelin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, wir alle sind froh, daß heute die Gesetzentwürfe zur Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen und zur Aufhebung der schrecklichen Entscheidungen, die durch die sogenannten Erbgesundheitsgerichte getroffen wurden und von denen Hunderttausende von Menschen un-gerechterweise betroffen waren, verabschiedet werden können.
Herr Kollege Geis, ich möchte Ihnen sagen: Ich finde es beeindruckend, daß trotz der enormen Schwierigkeiten auch die Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion mit uns gemeinsam den letzten Schritt
gemacht haben, diese Gesetzentwürfe in sehr großer Breite vorzubereiten. Das war nicht einfach. Da ich dieses ausdrücklich anerkenne, will ich nicht im einzelnen auf das eingehen, was Sie gesagt haben, obwohl ich den Hergang der Historie anders beurteile.
({0})
Am 15. Februar 1950 hatten im ersten Bundestag bereits die Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion Adolf Arndt und Zinn einen Gesetzentwurf eingebracht, der dem, den wir heute beschließen, inhaltlich relativ stark entsprach. Es war nun nicht so - wie Sie sagen -, daß Thomas Dehler - ich schätze ihn ebenso wie Sie; über seine Haltung in der Nazizeit besteht gar kein Zweifel - nur mit Hinweis auf die Länder und auf die unterschiedlichen Regelungen in den Besatzungszonen gesagt hat, daß eine bundeseinheitliche Regelung nicht erforderlich und nicht sinnvoll sei. Es war eine ausgesprochen streitige, auch eine ideologisch streitige Auseinandersetzung. Jeder, der die entsprechenden Veröffentlichungen liest - die Möglichkeit gibt es ja -, empfindet es als besonders peinlich, daß ein so großer Mann wie Thomas Dehler in diesem Zusammenhang ausgerechnet die Forderung von Radbruch nach Stetigkeit und Rechtssicherheit gegen die Aufhebung des NS-Unrechts verwandt hat. Das war die Linie der Auseinandersetzung.
Das Schlimme war, daß in den kommenden Jahrzehnten der Bundestag trotz mehrerer Versuche nie die Mehrheit zusammengebracht hat, um festzustellen: Jetzt müssen diese Unrechtsurteile aufgehoben werden; jetzt wollen wir uns mit unserer Vergangenheit auseinandersetzen. Das war nicht der Fall.
Ich finde es gut, daß Sie Dietrich Bonhoeffer erwähnt haben. Es ist richtig, daß der damalige bayerische Ministerpräsident Hoegner Klarheit geschaffen hat. Wir alle erkennen das an. Die Diskussion, die damals auf Grund der Unklarheit urn das Urteil gegen Dietrich Bonhoeffer entstand, haben wir natürlich deswegen gerne geführt, weil wir der Meinung waren, daß nun vielleicht die Möglichkeit besteht, gemeinsam eine vernünftige Regelung zu verabschieden.
Es war nicht so, daß damals niemand etwas getan hätte. Zu diesem Punkt wird die Justizsenatorin Frau Peschel-Gutzeit wahrscheinlich noch etwas sagen. Damals gab es auf der einen Seite die Zurückhaltung zum Beispiel von Mitgliedern meiner Partei wie auch auf der anderen Seite eine Verabredung zwischen Bund und Ländern, der Justizminister möge einen Gesetzentwurf vorlegen. Warum gab es diese Verabredung? Wir waren der Meinung, daß diese Materie kein Anlaß für parteipolitische Profilierung sein dürfe. Wir wollten vielmehr eine breite Mehrheit haben.
Gerade deswegen war es für uns schon ein gewisser Schock, als wir Ende des letzten Jahres feststellen mußten, daß die CDU/CSU nicht bereit war, dem Justizminister zu gestatten, den erarbeiteten Referentenentwurf einzubringen. Wir haben deshalb den Entwurf in veränderter Form eingebracht. Gott sei Dank haben wir Sie dann dazu gebracht - das sage ich jetzt mit voller Anerkennung -, mit uns Punkt für Punkt eine vernünftige gesetzliche Grundlage zu erarbeiten. Lassen Sie mich aber trotzdem festhalten: Es war nicht leicht. Das ist eine traurige Feststellung, weil 53 Jahre nach Ende der NS-Zeit die Erarbeitung dieser gesetzlichen Grundlage hätte leicht sein müssen.
Es hat viel Zähigkeit gebraucht, eine Regelung zu finden. Das ist eine traurige Feststellung, weil Überzeugungsarbeit bei historischen Sachverhalten in dieser Form, wie sie heute nötig war, nicht mehr hätte nötig sein dürfen. Es war eine ausgesprochene Geduldsprobe. Auch das ist keine angenehme Feststellung, weil es hier um Menschen geht, an denen man Unrecht hätte wiedergutmachen müssen. Das ist die Aufgabe des Rechtsstaates. Man hätte ungeduldig sein müssen, um sehr viel schneller wenigstens ein zweites Unrecht an diesen Menschen wiedergutzumachen, soweit man das überhaupt noch kann.
Das alles war nicht möglich. Deswegen darf ich hier feststellen: Ich bin sehr froh, daß als Ergebnis dieses bedauerlich langsamen Prozesses wenigstens vier Punkte feststehen, nämlich erstens, daß alle NS-Urteile pauschal aufgehoben werden, ohne Wenn und Aber. Deserteure und auch Homosexuelle wurden von der nationalsozialistischen Ideologie als Schädlinge zur Vernichtung freigegeben. Deswegen hat es überhaupt keinen Sinn, hier nach „rechtsstaatlich" oder „nicht rechtsstaatlich" unterscheiden zu wollen.
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Das zweite ist: Wir wissen ganz genau, daß die Aufhebung pauschal sein muß, weil Einzelfallprüfungen nicht mehr möglich sind und weil wir nicht ausgerechnet hier Justizkapazitäten zum Nachprüfen solcher Urteile verbrauchen sollten.
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Drittens. Wir haben ein Vorbild, nämlich den Beschluß, den Deserteuren ihre Ehre wiederzugeben. Diesen Beschluß haben wir im letzten Jahr gefaßt. Wir waren vor zwei Tagen bei der Oberfinanzdirektion in Köln und haben dort mit den Bediensteten gesprochen, die sich in einer mustergültigen und vorbildlichen Weise darum bemühen, diesen Beschluß, nachdem das Finanzministerium so lange gebraucht hat, einen Erlaß herauszubringen, jetzt schnell umzusetzen, damit die wenigen alten Menschen, die heute noch leben, von der Entschädigung noch etwas haben.
Der Dank, den ich den Bediensteten hiermit ausdrücklich ausspreche - sicherlich auch in Ihrem Namen -, zeigt aber auch, daß wir selber schnell tätig werden müssen, wenn wir uns, Herr Kollege Geis, über Fragen der Entschädigung und der Wiedergutmachung von Unrecht unterhalten. Das ist wirklich unsere Pflicht.
Viertens haben wir in diesem Gesetzentwurf versucht, die Peinlichkeit der Rechtsprechung mancher bundesrepublikanischer Gerichte in den 50er und
den 60er Jahren zu NS-Urteilen wieder in Ordnung zu bringen. Vor zwei Jahren hat der Bundesgerichtshof selber in einer sehr guten Entscheidung erklärt, insgesamt sei die Auseinandersetzung mit der NS-Justiz fehlgeschlagen. Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, so der Bundesgerichtshof, habe eine „Perversion der Rechtsordnung" bewirkt, wie sie „schlimmer kaum vorzustellen" gewesen sei. Die damalige Rechtsprechung sei angesichts exzessiver Verhängung von Todesstrafen nicht zu Unrecht oft als „Blutjustiz" bezeichnet worden. Der Bundesgerichtshof hat von einer Korrumpierung der Justizangehörigen durch die NS-Machthaber gesprochen und gesagt, diese sei offensichtlich gewesen, aber die Verfolgung dieser NS-Richter, NS-Unrichter, NS-Blutrichter durch die bundesrepublikanische Justiz sei ein schändliches Schauspiel gewesen, weil die vom Volksgerichtshof gefällten Todesurteile ungesühnt geblieben seien. Keiner der dort tätigen Berufsrichter und Staatsanwälte sei wegen Rechtsbeugung verurteilt worden, ebensowenig Richter der Sondergerichte oder der Kriegsgerichte.
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Otto Gritschneder, der sich als Anwalt und als Betroffener sehr lange darum bemüht hat, dieses Unrecht wiedergutzumachen, hat seinem wütenden und richtigen Aufsatz zu diesem Urteil des Bundesgerichtshofs ein Zitat von Friedrich dem Großen über Gerichte vorangestellt, das ich Ihnen hier vortragen will, weil es so gut paßt. Diese Worte von Friedrich dem Großen, niedergeschrieben 1779, lauten:
Daß ein Justizcollegium, daß Ungerechtigkeiten ausübt, weit gefährlicher und schlimmer ist, wie eine Diebesbande, vor die kan man sich schützen, aber vor Schelme, die den Mantel der Justiz gebrauchen, um ihre üble Paßiones auszuführen, vor diese kan sich kein Mensch hüten, die sind ärger wie die grösten Spitzbuben, die in der Welt sind.
Dieses Zitat, meine Damen und Herren, zeigt die Größe unserer Aufgabe.
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Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Wir werden dieses Gesetz heute mit breiter Mehrheit verabschieden, und das ist gut. Grund zum Jubeln haben wir aber nicht, weil es zu lange gedauert hat, bis wir die erforderliche Mehrheit gefunden haben. Grund zum Jubeln haben wir nicht, weil es eine Wiedergutmachung für die Opfer der NS-Zeit nicht geben kann und weil wir viel zu spät dran sind, in unserem sozialen und demokratischen Rechtsstaat das zu tun, was wir schon lange hätten tun müssen: um unserer selbst und um des Rechtsstaats willen dieses Unrecht korrigieren.
({5})
Es bleiben deshalb - lassen Sie mich das sagen - die Trauer und die Einsicht, wieviel Leid wir von den überlebenden Opfern und ihren Angehörigen hätten abwenden können, wenn das, was wir heute tun, schon vor Jahren, ja vor Jahrzehnten möglich gewesen wäre.
Ich will Ihnen hier aus einem Brief zitieren. Sie sehen hier die zittrige Schrift einer sehr alten Dame, die auf Grund der kleinen symbolischen Entschädigung, die ihr Mann, ein Deserteur und Widerstandskämpfer, bekommen hat, einen Brief geschrieben hat, und zwar an die Oberfinanzdirektion in Köln. Sie schreibt:
Bedanke mich für die Bearbeitung in Sache: Feldgerichtsurteil, Zersetzung der Wehrkraft, meines Mannes. Leider konnte er seine Rehabilitation nicht mehr erleben.
Das ist es, meine Damen und Herren, und das stimmt
uns alle traurig - bei aller Genugtuung darüber, daß
es heute möglich ist, dieses Gesetz zu verabschieden.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Volker Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Verabschiebung eines Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile ist vor allem auch ein Erfolg der Opposition.
({0})
Seit Jahren kämpfen wir für die Entschädigung und Rehabilitierung aller NS-Opfer. Als erste Fraktion hatte meine Fraktion im Februar einen Gesetzentwurf vorgelegt und damit den Widerstand in der Union gegen ein solches Gesetz gebrochen. Wenn ich Ihre Schilderung, Herr Geis, des Beratungsvorganges hier im Hohen Hause höre, dann denke ich, ich war in den letzten Wochen auf einer anderen Veranstaltung.
({1})
Der Fortschritt, der mit diesem Gesetz erreicht wird, ist ausdrücklich zu würdigen. Dies soll bei aller Kritik nicht in Vergessenheit geraten. Dies ist in mancher Passage Ihrer Rede, die ich in weiten Teilen eine schlimme Rede fand, Herr Geis,
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deshalb in den Hintergrund getreten. Da war die Stimmung bei der Beratung im Ausschuß in der Sache wesentlich besser.
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53 Jahre hat es gebraucht, bis die 350 000 Urteile der Erbgesundheitsgerichte und viele nationalsozialistische Unrechtsurteile der Strafgerichte aufgehoben werden. Daß bis zum Schluß keine Einigkeit darüber
Volker Beck ({4})
bestand, was im einzelnen als nationalsozialistisches Unrecht anzusehen ist, ist ein besonders trauriges Kapitel bundesdeutscher Vergangenheitsaufarbeitung. Die quälende Debatte um dieses Gesetz zeigt, daß wir mit unserer Vergangenheit noch längst nicht fertig sind. Einen Schlußstrich wird es auch mit dem heutigen Tage nicht geben.
({5})
Gegenüber dem Entwurf der Koalition konnten einige Verbesserungen durchgesetzt werden. Insbesondere konnte der Ausschluß der in den 50er Jahren gescheiterten Rehabilitierungsverfahren abgewendet werden.
Für Homosexuelle und Deserteure ist das NS-Aufhebungsgesetz nicht befriedigend. Ein Blick in das Gesetz wird ihnen keine eindeutige Antwort darauf geben, ob sie nun im Einzelfall rehabilitiert sind oder nicht. Das Ziel, daß das Gesetz für alle Opfergruppen zu Rechtsklarheit führt, wurde somit nicht erreicht.
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Wir wollen diesen Opfern ihre Würde wiedergeben, ohne daß sie noch einmal vor die Gerichte ziehen müssen.
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Der Gesetzestext spart ihre explizite Rehabilitierung aus. Deshalb ist es unrichtig, wenn man sagt, er enthalte eine pauschale oder generelle Aufhebung aller NS-Unrechtsurteile. Herr Geis hat die Interpretierbarkeit dieses Entwurfs ja auch im schlechtesten Sinne deutlich gemacht, worüber ich betrübt bin.
Die Koalition hat die Aufhebung der Urteile nach
§ 175 RStGB im Ausschuß ausdrücklich abgelehnt, niedergestimmt und die Urteile der Militärgerichte entgegen dem ursprünglichen Gesetzentwurf wieder ausgeklammert. In der Begründung wird zwar davon gesprochen, daß Urteile gegen Deserteure und Homosexuelle nach diesem Gesetz aufgehoben werden können. Es wird aber deutlich, daß dies nicht für alle gelten soll. Damit sind wir bei diesen Opfern letztendlich wieder bei Einzelfallprüfungen angelangt, die schon zum öffentlichen Streit über die Entschließung des Bundestages vom 17. Mai 1997 geführt haben.
Die tiefe Enttäuschung, die der Schwulenverband heute zum Ausdruck gebracht hat, ist sehr verständlich. Wer heute die Aufnahme des § 175 des Reichsstrafgesetzbuches in den Katalog der nationalsozialistischen Vorschriften, deren Anwendung zu einer Urteilsaufhebung führen soll, ablehnt, erteilt dem menschenrechtswidrigen Paragraphen vor diesem Hintergrund seinen rechtsstaatlichen Segen. Das darf so nicht stehenbleiben!
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Es war nationalsozialistische Verfolgung. Es gab im Reichssicherheitshauptamt eine Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung. Es gab in dieser Zeit 50 000 Verurteilungen von homosexuellen Männern, wodurch bis zu 15 000 Menschen
von den Nationalsozialisten in die Konzentrationslager verschleppt wurden.
Herr von Klaeden hat vor diesem Hintergrund vor einigen Wochen hier gesagt, der Deutsche Bundestag sei den Homosexuellen noch etwas schuldig. Recht hat er! Aber leider hat sich an dieser Schuld bis zum heutigen Tage nichts geändert. Diese Schuld bleibt weiter offen.
Kurz zu den Deserteuren: Zwar können jetzt Urteile, die aus militärischen Gründen zur Aufrechterhaltung und Durchsetzung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes ergangen sind, aufgehoben werden. Auf welche Urteile dies anzuwenden ist, läßt der Gesetzentwurf aber offen. Herr Geis hat die Interpretation geliefert, daß es hier wieder auf die Gesinnung des Deserteurs ankomme. Wir meinen, die Desertion darf in keinem Fall zu Recht bestraft gewesen sein. All diese Urteile sind aufzuheben.
Die Problematik der Mischurteile haben wir in den §§ 3 und 4 gelöst.
Bündnis 90/Die Grünen haben in dieser Wahlperiode wiederholt gefordert, auch den hier angesprochenen Personenkreis im Rahmen einer Bundesstiftung zu entschädigen. Sie haben die Berechtigung dieser Forderung in Abrede gestellt und gesagt, es komme nicht in Betracht, diesen Opferkreis, der rehabilitiert werden soll, noch in eine Entschädigung einzubeziehen, weil 50 Jahre vergangen seien. Ich meine, diese 50 Jahre sollten uns zur Eile treiben. Sie sind keine Entschuldigung dafür, daß wir hier nicht tätig geworden sind.
Meine Damen und Herren, Sie können der hier geäußerten Kritik durch Zustimmung zu unseren Änderungsanträgen nachkommen. Lassen Sie diese Chance nicht ungenutzt verstreichen. Ansonsten gilt für diese Fragen: Wiedervorlage: 27. September.
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Detlef Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Hier kann keine Freude aufkommen. Stolz oder ähnliches hier zum Schluß zu zeigen, das kann schon gar nicht in Frage kommen. Es ist wirklich eine sehr interessante Frage, warum wir erst heute, nach so unglaublich langer Zeit, dazu kommen, wenigstens einen einigermaßen vernünftigen Vorschlag - dafür möchte ich mich bei allen, die daran beteiligt waren, bedanken - zum Abschluß dieses dunklen Kapitels der deutschen Justiz vorzulegen.
Ich habe in diesem Hause schon einmal die - ich sage es vorsichtig - Vermutung geäußert, daß wir wegen unserer Ferne zum Geschehen, wegen der Tatsache, daß die meisten von uns keine Beteiligten mehr unmittelbar gekannt haben, und weil wir die Verstrickungen nicht unmittelbar in unseren Familien miterlebt haben, heute etwas wagen, das für uns nicht so eine große Leistung und nicht so eine große
Detlef Kleinert ({0})
Anstrengung und Selbstüberwindung ist, wie sie es notwendigerweise unmittelbar nach Kriegsende für die unmittelbar Betroffenen hätte sein müssen, die sie damals aber wegen all dieser unmittelbaren Beziehungen nicht zustande gebracht haben. Wenn man diese Tatsache übersieht, dann ist man dem Vorgang gegenüber einfach nicht redlich. Daß es Vertreter der Sozialdemokratie gewesen sind, die seinerzeit einen Vorstoß gemacht haben, der weitergegangen ist und der gut gewesen wäre, wird nicht übersehen.
Wie weit die Einigkeit damals im Hinblick auf alle diese persönlichen Befangenheiten - ohne Schuld, aber jedenfalls befangen - ging, ist eine ganz andere Frage. Sie ist nicht geprüft worden. Deswegen haben wir auch so merkwürdig lange - Jahrzehnte! - gar nichts getan, bis wir dann - erst zu den Urteilen des Volksgerichtshofs und dann zu den Urteilen der Kriegsgerichte - die Entschließungen des Deutschen Bundestages - auch das noch sehr mühsam - zustande gebracht haben. Nun kommen wir zum Schluß mit dem Versuch, uns auch gesetzlich mit diesen Urteilen auseinanderzusetzen.
Ich finde es gut; das muß zum Schluß sein. Es ist aber nicht das, was wir vor unserer Geschichte, auch vor unserer Rechtsgeschichte, hätten leisten sollen. Das haben wir nicht zuwege gebracht. Heute machen wir mühsam das wenige, was wir in unserer Zeit noch zustande bringen können. Deshalb sollten wir uns nicht allzusehr loben. Aber wir sollten dankbar sein, daß sich wieder einmal gezeigt hat, daß wir in wesentlichen Fragen doch zusammenkommen können, und daß wir uns nicht an dem zu jedem einzelnen Paragraphen und zu jedem Halbsatz möglichen Streit aufgehalten haben, sondern wenigstens dieses Gesetz in einiger Geschlossenheit vorgelegt haben und in erheblicher Gemeinsamkeit der parlamentarischen Kräfte verabschieden werden.
Ein ganz wesentlicher Punkt: Frau Däubler-Gmelin war so liebenswürdig, Thomas Dehler als einen großen Rechtspolitiker dieser Republik zu würdigen - eine Ansicht, die wir nicht selbstverständlich, sondern aus Überzeugung teilen. Er hat das gleiche Problem gehabt, das neben anderen Dingen, die ich auch schon angesprochen habe, bei der langen Leidensgeschichte des heute vorgelegten Gesetzentwurfes eine Rolle gespielt hat. Er hat sich mit dem Problem beschäftigt: Welchem Zweck dient Recht? Welchem Zweck dient Rechtsprechung? Welchem Zweck dienen die von der Rechtsprechung gefundenen Urteile? Ist das höchste Ziel die Gerechtigkeit? - Als Ziel: ja, uneingeschränkt. Aber „Ziel" heißt zugleich, daß wir es nur anstreben; wir werden es nicht erreichen. Also kommt der nächste Zweck der Rechtsprechung, der Justiz ins Bild: Das ist die Rechtssicherheit.
An einmal gefällte, rechtskräftig gewordene Urteile von Gerichten, die sich die Gesellschaft - in welcher Zeit auch immer - gegeben hat, heranzugehen, das fordert von demjenigen, der über dieses Spannungsverhältnis zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit nachdenkt, eine weitreichende Entscheidung. Wenn die Entscheidung damals unter anderem dahin gehend gefallen ist, man würde in zu große Schwierigkeiten mit dem Neuaufbau des Rechtsstaates kommen, wenn man pauschal und unter wenig geklärten Voraussetzungen einmal rechtskräftig gewordene Urteile aufhebt, dann ist das eine Erwägung, die wir heute nicht mehr teilen - sonst würden wir diesem Gesetz nicht zustimmen -, die aber Respekt verdient und die bei dem schwierigen Verhältnis der Gewalten untereinander immer wieder beachtet werden muß.
Wir werden diesem Gesetz jetzt zustimmen - ohne irgendeinen Grund zur Zufriedenheit, aber in dem Bewußtsein, wenigstens bewiesen zu haben, daß wir uns in wichtigen Fragen schließlich noch einigen können.
Herzlichen Dank.
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Ich gebe dem Abgeordneten Gerhard Zwerenz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 53 Jahre nach Kriegsende beschließt der Deutsche Bundestag endlich die Aufhebung aller NS-Unrechtsurteile. Wenn das ein Akt historischer Gerechtigkeit sein soll, so zeugt dies doch erstens von beschämender Verspätung und zweitens vom wenig hellen Geisteszustand jener Teile der Kriegsgeneration, die nicht klüger aus dem Krieg herausgekommen sind, als sie hineingingen.
({0})
Ich erlebte hier im Plenum noch die letzte vierjährige Hinhaltetaktik, nach der die veschiedenen Opfer der NS-Vernichtungsmaschine weiterhin als nicht rehabilitierte Verfolgte und Bestrafte leben sollten.
Falls sich das jetzt wirklich ändert, ist es zu würdigen. Dabei mußte Herr Geis über seinen langen Schatten springen, um dieses Papier richtig zu finden, wobei ich nicht weiß, wie sehr er wirklich über seinen Schatten gesprungen ist. Ich bin da sehr unsicher.
({1})
Ich sehe aber - ich erinnere mich sehr genau -, daß ein halbes Jahrhundert lang diejenigen den Opfern vorgezogen wurden, die gedankenlos oder opportunistisch oder mit falschem militärischen Pflichtgefühl zu den schuldbeladenen Aktivisten des Dritten Reiches gehörten.
Zum Beispiel Dietl, um nur kurz daran zu erinnern: Es brauchte jahrzehntelanger oppositioneller Energien, bis der Name dieses antisemitischen Generals und Freundes Hitlers keine Bundeswehrkaserne mehr zieren durfte, und dann war das der CSU, Ihrer Partei, Herr Geis, immer noch einen Protest gegen Minister Rühe wert.
Zum Beispiel Gehlen, ein Busenfreund jenes Dr. Frey. - Da wären noch mehr CDU/CSU-Busenfreunde zu nennen. - Der heutige Herr der DVUGerhard Zwerenz
Heerscharen wurde von Ex- wie von Postnazis installiert.
Zum Beispiel Heusinger: Verteidigungsminister Rühe erließ am 14. August 1997 zum 100. Geburtstag von General Heusinger, des ersten Generalinspekteurs der Bundeswehr, einen pauschal würdigenden Tagesbefehl, in dem es geschichtsrelativierend heißt, Heusinger sei „durch Hitler mißbraucht worden". Wir wissen in der Zwischenzeit sehr viel mehr.
Derart wurden Hitlers oberste Helfer nach dem Krieg erneut hofiert und benötigt, die Opfer aber blieben im Dunkeln. Sie sollte man - schlag nach bei Brecht - nicht sehen.
Hinter uns liegen 50 Jahre sturen Verschweigens, aber auch ungerechter Verteidigung oder Bagatellisierung der deutschen Kriegsverbrechen, und die 200 000 bis 500 000 Verurteilten und Hingerichteten waren vergessen. Wenn sie nun benannt werden, so sollen sie doch nur durch die Hintertür eintreten, verspätet legalisiert, und man sagt ihnen: Wiedergutmachung ist für die meisten von euch nicht zu haben.
Übrigens fehlt in dieser Liste der zu rehabilitierenden Opfer der nationalsozialistische Lieblingsfeind, nämlich der „jüdisch-bolschewistische Kommissar", ersatzweise der „jüdische Linksintellektuelle ", der, oft von Hitler und Stalin gemeinsam verfolgt, nur noch spurenweise am Leben blieb, was ihn in Deutschland vor übler Nachrede auch heute nicht schützt.
Es freut mich, der Hamburger Bundeswehr-Führungsakademie dafür danken zu können, daß sie, wohl in Wiedergutmachungsabsicht, meinen Freund Emil Carlebach zum Vortrag in der Akademie akzeptierte und ertrug. Ein Antimilitarist, KZler, ein tatsächlich jüdisch-kommunistischer Intellektueller in höflicher Diskussion bei Bundeswehroffizieren, das läßt schon fast hoffen, auch wenn es nur ein Einzelfall ist, der leider durch andere plural dementiert wird.
Die Aufhebung der NS-Unrechtsurteile ist ein später Fortschritt. Der Wahlkampf zeigt: Das hat weder politische noch moralische Folgen. Im Kampf um die Macht wird die Linkenhatz zum Alltag.
Meine Redezeit ist abgelaufen; ich sehe es. Lassen Sie mich mit einem Beispiel schließen, weil Sie, Herr Geis, hier erneut in bezug auf verfolgte Homosexuelle, in bezug auf verfolgte Deserteure und in bezug auf andere Opfer von einem „Aussortieren" gesprochen haben.
Wie der kürzlich verstorbene Fritz Wüllner in seinem epochalen Werk „Die NS-Militärjustiz und das Elend der Geschichtsschreibung" aufdeckte, wurden in Stalingrad binnen einer Woche kurz vor dem Ende noch 364 zum Tode verurteilte deutsche Soldaten exekutiert. Das muß man sich einmal vorstellen! Es gab schon keine Soldaten zum Kämpfen mehr, da hat man 364 deutsche, zum Tode verurteilte Soldaten aufgespart. Und dann hat man sich noch einige starke Leute geholt, um sie zu töten. Ich frage mich: Wie soll man da noch „sortieren"? Wie wollen Sie diese 364 gegen Kriegsende hingerichteten namenlosen Opfer denn überhaupt auseinanderbringen? Wie wollen Sie sagen, wer Widerstand geleistet hat und wer nicht? Für mich ist dies nur ein weiteres Beispiel für eine namenlose Trauer. Angesichts dessen ist das, was hier auf rechtspolitischem Gebiet so spät geschieht, nichts weiter als eine neuerliche Hinzufügung von Unrecht.
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Ich gebe dem Abgeordneten Horst Eylmann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man muß sich in diesen Tagen häufig die Frage stellen lassen, warum erst jetzt, über 50 Jahre nach Beendigung der NS-Diktatur, die seinerzeit zur Stützung dieses Regimes ergangenen Strafurteile aufgehoben werden. Diese Frage ist nicht angenehm. Gleichwohl müssen wir sie zu beantworten versuchen, und zwar ehrlich, ohne den bequemen Ausweg zu wählen, mit dem Finger auf andere zu zeigen.
Nun gehört zunächst zur Wahrheit, daß keineswegs nichts geschehen ist. Ich erinnere an die Gesetze der Länder und an die Entschädigungsgesetze. Dennoch: Wie erklärt es sich, daß zum Beispiel 1974 die damalige Bundesregierung erklären konnte, die Gesetzgebung zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts sei insgesamt als abgeschlossen anzusehen, was damals fraktionsübergreifender Meinung entsprach, während wir uns in den letzten Jahren doch zu der Einsicht durchringen mußten, daß gerade dieser Schlußstrich nicht gezogen war, daß vielmehr die historische und moralische Rechnung, die uns diese erste totalitäre Diktatur dieses Jahrhunderts auf deutschem Boden hinterlassen hat, noch immer nicht bezahlt ist?
Liest man in den alten Protokollen des Bundestages und des Bundesrates, fällt das Bemühen unserer Vorgänger auf, auf diesem Gebiet einen Grundtatbestand staatlicher Kontinuität zu wahren und strafgerichtliche Verurteilungen nicht pauschal aufzuheben, sondern zu differenzieren. Mir ist ebenso wie Ihnen, Frau Däubler-Gmelin, genau das an den Äußerungen des von mir voll respektierten früheren Justizministers Dehler aufgefallen.
Was dann bei dieser differenzierenden Betrachtungsweise durch unsere Justiz in den 50er und 60er Jahren herausgekommen ist, wird heute allerdings mit Recht als ein Versagen der Justiz bewertet.
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Wir kommen um die Einsicht nicht herum, daß es uns erst der zeitliche Abstand ermöglicht hat, Quantität und Qualität der Geschehnisse in der Nazizeit in ihrer wahren Dimension zu erkennen und ohne Befangenheit zu bewerten.
Ich will im Gegensatz zu meinem Vorredner unsere Vorgänger in diesem Hause nicht leichthin kritisieren. Sie waren ein Teil der deutschen Gesellschaft der Nachkriegszeit. Wer als junger irregeleiteter
Mann in der Annahme, für Deutschland zu kämpfen, im Schützengraben gelegen hatte, wer dem Bombenhagel in unseren Städten ausgesetzt gewesen war, wer vor der Roten Armee geflohen war, um sein Leben zu retten, wer zur Staatstreue erzogen worden war, wer nicht in einer von demokratischer Gesinnung und Achtung vor den Menschenrechten geprägten Atmosphäre aufgewachsen war, dem fiel es schwer, nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich jenen unbedingten und generellen Trennungsstrich zur NS-Zeit zu ziehen, den wir hier heute vornehmen. Zeitliche Nähe, eigene emotionale Betroffenheit - Herr Kollege Kleinert hat es gesagt; wir sollten es anerkennen, ohne damit persönliche Schuldzuweisungen zu verbinden - können einer objektiven und vorurteilsfreien Betrachtung dessen, was damals geschehen ist, entgegenstehen.
Richard von Weizsäcker hat in seiner großen Rede zum Jahrestag der Kapitulation gesagt, wir sollten der Wahrheit ins Auge blicken, so schwer es auch falle. Er hat daran die Feststellung geknüpft, daß der Tag der Kapitulation ein Tag der Befreiung gewesen sei. Dies ist eine Feststellung, die wohl 10 oder 20 Jahre früher von der Mehrheit der Deutschen innerlich nicht akzeptiert worden wäre. Nicht anders ist es mit diesem Gesetz. Es wäre vor 20 oder 30 Jahren auch noch nicht möglich gewesen.
({1})
Meine Damen und Herren, es kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, daß es uns gelungen ist, einen breiten Konsens in diesem Hause zu erzielen. Es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn die in diesem Gesetzentwurf geregelten Fragen Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzung im Wahlkampf geworden wären. Ich will auch ausdrücklich würdigen, daß die Vertreter der Grünen im Rechtsausschuß trotz ihrer weitergehenden Vorstellungen das Gesetz nicht abgelehnt haben. Es wird von ihrer Fraktion auch heute nicht abgelehnt.
Wir brauchen in den Grundfragen deutscher Politik die Gemeinsamkeit der Demokraten. Die Haltung zur NS-Zeit gehört zu diesen Grundfragen.
({2})
Wir brauchen diese Gemeinsamkeit im übrigen auch bei einer Bewertung dessen, was in der zweiten totalitären Diktatur geschehen ist, die es in diesem Jahrhundert in Deutschland gegeben hat.
({3})
Wenn es richtig ist, was ich über die Gründe gesagt habe, die einer Verabschiedung dieses Gesetzes vor zwei oder drei Jahrzehnten entgegengestanden hätten, nämlich die emotionale Schwierigkeit, sich von jeder Identifikation mit dem Staat zu lösen, in dem man gelebt, gearbeitet und gelitten hat und dem man sich, obwohl man die herrschende Kaste ablehnte, dennoch ein Stück weit verbunden fühlte, dann ist zu erwarten, daß die Zeit einer tiefgründigen und von gefühlsmäßigen Befindlichkeiten freien Bewertung des SED-Regimes erst noch vor uns liegt.
({4})
Obwohl noch ungewiß ist, ob dies die letzte Rede ist, die ich in diesem Hause halte, gestatten Sie mir zum Schluß eine persönliche Bemerkung. Wer wie ich, Jahrgang 1933, aus seinen Erlebnissen und Erfahrungen als Kind und Jugendlicher in der Kriegs-und Nachkriegszeit wesentliche Impulse für sein späteres politisches Engagement erhalten hat und wem es trotz fortgeschrittenen Alters noch immer schwerfällt, ohne Verstörung und ohne Empörung mit dem konfrontiert zu werden, was in diesem Jahrhundert Deutsche aus ideologischer Verblendung Deutschen und Menschen anderer Nationalität angetan haben, der empfindet - das werden Sie verstehen - eine gewisse Befriedigung darüber, daß er am Ende seiner parlamentarischen Tätigkeit einen - gewiß nur kleinen - Beitrag zum späten, aber noch nicht zu späten Zustandekommen gerade dieses Gesetzes leisten durfte.
Ich danke Ihnen.
({5})
Herr Kollege Eylmann, es häufen sich die letzten Reden. Sie haben dem Bundestag 15 Jahre angehört. Sie haben sich mit Ihrer fairen und ruhigen Art nicht nur die fachliche, sondern auch die menschliche und persönliche Achtung aller Kollegen des Hauses erworben. Ich möchte Ihnen danken und Ihnen auch den Dank des Hauses aussprechen.
({0})
Nun spricht als Mitglied des Bundesrates die Senatorin der Freien und Hansestadt Hamburg, Frau Dr. Peschel-Gutzeit.
Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit ({1}): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was in den Zeiten der Inquisition die Geräte in den Folterkammern waren, das war in den Händen der Nazijustiz ein Arsenal von Gesetzes-und Verordnungstexten, Auslegungskünsten und Verfahrenspraktiken, Pilatus-Gesten und bürokratischem Übereifer. So charakterisierte einst Martin Hirsch, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, in ebenso erschreckender wie zutreffender Weise die Rolle eines Teils der Justiz im Nationalsozialismus.
Dennoch sind bis zum heutigen Tage, also über 50 Jahre nach dem Ende der Nazigewaltherrschaft in Deutschland noch Hunderttausende von Urteilen in Kraft, die - um es mit den Worten des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1952 zu sagen - offensichtlich nicht mehr der Rechtsverwirklichung, sondern dem politischen Terror dienten und die zum Zwecke
Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit ({2})
der Einschüchterung und Knebelung jeder von der Staatsführung abgelehnten Gesinnung mißbraucht wurden.
Ein verwirrendes Dickicht unterschiedlichster Gesetze und Verordnungen der Länder - soweit es sie überhaupt gab -, erhebliche Lücken in der bisherigen Gesetzgebung, ein kaum zu bewältigender Verwaltungsaufwand und unzumutbare Belastungen für die Betroffenen, die Opfer und ihre Angehörigen - dies sind nur einige der Gründe, die jetzt eine bundeseinheitliche pauschale Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile unausweichlich machen.
Ich erinnere an dieser Stelle an den hier heute schon zitierten und im Jahre 1945 - noch in den letzten Kriegswochen - im KZ Flossenbürg in Bayern von einem SS-Standgericht zum Tode verurteilten Widerstandskämpfer Pastor Dietrich Bonhoeffer. Bis zum Jahre 1996 - also mehr als 50 Jahre lang - ging die Öffentlichkeit davon aus, daß das Urteil gegen Bonhoeffer noch in Kraft war. Die evangelische Hochschule Hannover stellte deswegen im Februar 1996 einen Antrag, das Verfahren gegen Bonhoeffer wiederaufzunehmen. Auch die Staatsanwaltschaft Berlin stellte einen entsprechenden Antrag. Erst im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens beim Landgericht Berlin stellte sich heraus, daß das Urteil gegen Bonhoeffer bereits in den 40er Jahren durch das hier schon wiederholt zitierte bayerische Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts aufgehoben worden war. Der klarstellende Beschluß des Landgerichts Berlin erging im August 1996.
Es waren dieses Gerichtsverfahren und die Feierlichkeiten zum 20. Juli 1996 in Berlin, an denen der Bundesminister der Justiz und ich für das Land Berlin teilgenommen haben, die Herrn Schmidt-Jortzig und mich erneut zu der Überzeugung gebracht haben, daß hier nun endlich per Bundesgesetz eine pauschale Aufhebung vorgenommen werden muß. Eine entsprechende Korrespondenz zwischen Vertretern des Landes Berlin und dem Bundeskanzler war die Folge. Das Land Berlin hat sofort Formulierungsvorschläge geliefert und zur Formulierung des Vorschlages des Bundesministers der Justiz beigetragen. Es kann also keine Rede davon sein, daß die Länder hätten tätig werden müssen und dies etwa versäumt hätten. Umgekehrt wird ein Schuh daraus.
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Mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzes über die Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und die Aufhebung von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte erfüllen wir also eine längst überfällige politische, historische und moralische Verpflichtung.
({4})
Ich bin erleichtert, daß es gelingt, dieses bedeutende Gesetzesvorhaben doch noch in der laufenden Wahlperiode zu verabschieden. Noch vor wenigen Monaten schien eine zügige Verabschiedung in weiter Ferne - aus Gründen, die hier schon genannt wurden. Die Länder halten es für bedenklich, daß die Bundesregierung keinen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Sie meinen, es wäre Pflicht der Bundesregierung gewesen, einen seit Jahrzehnten unhaltbaren Zustand endlich zu beenden.
({5})
Das uns nun vorliegende Ergebnis der Beratungen im Rechtsausschuß ist ein Kompromiß, und - wie das so ist bei Kompromissen - er erfüllt längst nicht alle berechtigten Forderungen. Die Länder insgesamt, für die ich hier spreche, hätten sich eine entschlossenere Lösung gewünscht. Der Gesetzentwurf des Bundesrates sah denn auch vor, auch solche Urteile pauschal aufzuheben, die nur teilweise auf NS-Unrecht basieren. Das wäre angesichts der Zeit, die inzwischen verstrichen ist, angemessen, zumindest aber vertretbar gewesen und hätte in der Zukunft viel Aufwand erspart.
({6})
Die Länder sind der Ansicht, daß das eventuelle Interesse des Staates an der Aufrechterhaltung dieser Verurteilungen nach Ablauf von mehr als 50 Jahren hinter dem dringenden Bedürfnis nach einer unkomplizierten und damit zügig umsetzbaren Regelung zurückzutreten hat. Denn für viele Betroffene - das ist hier schon gesagt worden - kommt bereits heute jede Wiedergutmachung zu spät. Es muß nun in jedem einzelnen der sogenannten Mischfälle geprüft werden, welcher Straftatbestand von unter- und welcher von übergeordneter Bedeutung ist. Notfalls kommt nur eine Teilaufhebung durch Gesetz in Betracht. Damit wird das politische Gewicht bei der Bewältigung dieses finsteren Kapitels deutscher Rechtsgeschichte gewaltig und ohne Not eingeschränkt.
Weiter fehlt eine ausdrückliche Regelung zur Aufhebung von Urteilen wegen Kriegsdienstverweigerung, Desertion/Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung. Zwar wird in der Begründung hervorgehoben, daß diese Fälle unter die Generalklausel des § 1 fallen. Bedenkt man aber, daß der Deutsche Bundestag vor einem Jahr in einer Entschließung bereits ausdrücklich festgestellt hat, daß wegen dieser Tatbestände verhängte Urteile Unrecht waren, so kann die jetzt gefundene Lösung natürlich nicht völlig befriedigen. Sie wird nach Auffassung der Länder den politischen Anforderungen an ein Schlußgesetz deshalb auch nur teilweise gerecht.
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Frau Senatorin, darf ich Sie einen Augenblick um Geduld bitten! - Meine verehrten Kollegen, ich glaube, daß die Beratung dieses Gesetzes wirklich unsere Aufmerksamkeit verdient.
({0})
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Darum wäre ich dankbar, wenn die Kollegen dort hinten entweder den Saal verließen oder der Debatte folgen würden. - Frau Senatorin, bitte, Sie haben das Wort.
Senatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit ({1}): Dennoch begrüßen wir insgesamt den Gesetzentwurf. Dies gilt auch und insbesondere für die Einbeziehung der Entscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte. Denn mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile zieht der Deutsche Bundestag nach den hier schon geschilderten vielen zaghaften und halbherzigen Anläufen endlich einen klaren Schlußstrich unter die insoweit pervertierte Rechtsprechung im Nationalsozialismus.
Nach § 1 des Gesetzes werden alle Urteile aufgehoben, die aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind und damit gegen die Gerechtigkeit verstoßen; denn sie sind nur aus einem Grunde ergangen: um das NS-Regime zu stützen und aufrechtzuerhalten. Diese Urteile werden sämtlich und pauschal aufgehoben. Diesen Schlußstrich schulden wir dem Andenken der unzähligen Menschen, die der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz zum Opfer gefallen sind,
({2})
und den vielen Betroffenen, die noch heute an den Folgen nationalsozialistischer Willkürjustiz zu leiden haben.
In Hamburg ist vor einigen Monaten der Fall eines ehemaligen Unteroffiziers der Wehrmacht durch die Presse gegangen, der wegen Abhörens von Auslandssendern und Verbreitung von deren Nachrichten sowie wegen Zersetzens der Wehrkraft von einem Feldkriegsgericht zu einer hohen Zuchthausstrafe verurteilt worden ist, die er voll verbüßen mußte. Der Mann hatte getan, was wir alle heute als unser selbstverständliches Grundrecht betrachten: Er hatte sich aus allgemein zugänglichen Quellen über den Frontverlauf unterrichtet und anschließend seine Meinung dazu geäußert. Er hatte Adolf Hitler einen Massenmörder genannt. Dem kann man wahrhaftig nur zustimmen.
({3})
Dieser Mann ist heute 81 Jahre alt und schwer herzkrank. Er wartet, wie viele tausend andere, darauf, daß er endlich, und zwar von Gesetzes wegen, rehabilitiert wird. Ich hoffe, daß diesem Mann, der sein Leben für die Verteidigung unseres Landes eingesetzt hat, endlich Gerechtigkeit widerfährt.
({4})
Die Verabschiedung des NS-Aufhebungsgesetzes ist noch aus einem anderem Grunde von größter politischer Bedeutung. Denn mit diesem Gesetz setzt der Deutsche Bundestag vor den Augen der ganzen Welt ein deutliches und unübersehbares Signal gegen den wiederaufkeimenden Geist der Ewiggestrigen, der braunen Gesellen, die in vielen Teilen unseres Landes erneut die Köpfe recken.
({5})
Ich gebe dem Bundesminister für Justiz, Prof. Edzard Schmidt-Jortzig, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte am Ende dieser sehr ernsten Debatte - auch weil gegen die Unruhe nur noch schwer anzukommen ist - nur noch einige wenige Bemerkungen machen.
Ich glaube, zu dem heutigen Anlaß paßt eine Sentenz von T.S. Eliot: Wer vor der Vergangenheit flieht, verliert immer das Rennen. - Wir stellen uns heute, wenn auch sehr spät und mit bescheidenem Ergebnis - aber immerhin -, unserer Vergangenheit und haben damit jedenfalls in diesem Punkt das Rennen gegen Vergessen und Verdrängen gewonnen.
53 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft tilgen wir in der Tat und endlich auch den bloßen Anschein irgendeiner Fortgeltung nationalsozialistischen Unrechts. Wir drücken hier nichts indigniert, still oder verschämt weg, sondern rufen es noch einmal förmlich auf, beschäftigen uns in der Sache damit und heben es dann ausdrücklich und definitiv auf. Mich erfüllt das ganz persönlich mit Genugtuung.
({0})
Wir sollten auch nicht zu sehr kleinreden, daß es diese Initiative ist, die endlich zum Erfolg führt. Es hilft nicht, auf alle möglichen, gutgemeinten Vorinitiativen zu verweisen, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht zum Ziel führten, sei es auch nur, weil die Zeit offenbar leider noch nicht reif gewesen ist.
Ich danke ausdrücklich allen, die an diesem Ergebnis mitgewirkt haben. Ich richte meinen Dank ausdrücklich und stellvertretend an Ihre Adresse, lieber Herr Eylmann; denn ich weiß, daß Ihre kontemplative und zum Konsens führende Leitung der Beratungen wesentlich dazu beigetragen hat.
({1})
Die heutige Stunde zeugt vom Ende eines langen, schwierigen, oft auch sehr mühseligen und nicht immer glücklichen Klärungsprozesses. Wir sind im Begriff, das NS-Unrecht zumindest im strafrechtlichen Bereich, also juristisch - die anderen Dinge entziehen sich unserer Möglichkeit -, zu bewältigen. Ich bin
mir sicher, daß es dafür eine große Mehrheit geben wird.
Mit diesem Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile und im übrigen auch mit dem Gesetz zur Aufhebung der Entscheidungen der Erbgesundheitsgerichte wird NS-Unrecht pauschal und unmißverständlich für null und nichtig erklärt. Das ist im Ansatz wichtig, damit wir von den quälenden Einzelfallabwägungen wegkommen und der Öffentlichkeit definitiv klarmachen, was wir von diesen Altakten halten.
Meine Damen und Herren, die Entscheidung zu diesem Punkt kommt ein wenig spät. Aber die Entscheidung, die wir heute treffen - so überfällig sie auch ist -, ist ein wichtiger Erfolg für die Sache und - es scheint mir wichtig, dies noch einmal zu unterstreichen - für das Selbstverständnis dieses unseres Gemeinwesens.
Wir verneigen uns heute vor den Opfern der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz, indem wir wenigstens den Rechtfertigungsgrund für ihr Leiden beseitigen; denn - das ist das Fazit - für unstreitiges, für objektives, für wirkliches Unrecht kann und darf es keine Rechtfertigung geben.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe damit die Aussprache.
Ehe wir in die Abstimmungen eintreten, mache ich darauf aufmerksam, daß nach der ersten namentlichen Abstimmung noch eine ganze Reihe weiterer Abstimmungen folgen wird.
Zunächst gebe ich zu einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung, einer Erklärung zur Abstimmung, der Kollegin Sigrun Löwisch das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde dem Gesetz zustimmen, weil ich glaube, daß folgende Erklärung dieser Zustimmung nicht entgegensteht: Daß wir heute auch Verurteilungen aus der Zeit des Nationalsozialismus aufheben, die aus militärischen Gründen ergangen sind, darf nach meiner Meinung nicht zu dem Fehlschluß verleiten, wir sähen nun das Verhalten der deutschen Soldaten, die bis zum Kriegsende gekämpft haben, als Unrecht an.
Im Gegenteil: Diese Soldaten waren in ihrer überwältigenden Mehrheit redliche und tapfere Menschen, die ihrem Vaterland dienen wollten.
({0})
Gefallen oder in Kriegsgefangenenlagern umgekommen, haben sie ihr Leben dem Vaterland geopfert. Sie haben deshalb auch heute noch Anspruch auf unseren Respekt.
({1})
Das immer wieder auszusprechen, sind wir nach meiner Meinung ihnen und ihren in unserer Mitte lebenden Angehörigen schuldig.
({2})
Mir sind weitere Erklärungen zur Abstimmung von den Kollegen Zöller, Augustinowitz, Siebert, Breuer und anderen vorgelegt worden. Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind, daß wir die Erklärungen zu Protokoll nehmen.*)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf über die Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege, Drucksachen 13/10013 und 13/10848 Buchstabe a. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Einzelabstimmung über eine Reihe von Vorschriften verlangt.
Ich rufe darum zunächst die Anlage zu Art. 1 § 2 Nr. 3 in der Ausschußfassung auf. Dazu liegt ein Anderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10849 ({0}) vor, über den wir zunächst abstimmen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung gebe ich später bekannt.**)
Ich möchte noch bekanntgeben, daß sich die Abgeordneten Hornung, Kansy und Reinhardt der Erklärung der Frau Kollegin Löwisch angeschlossen haben. Ich gebe das zu Protokoll.***)
Wir fahren mit den Abstimmungen fort. Ich rufe Art. 1 § 1 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 13/10863 ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Ich bitte nun diejenigen, die Art. 1 § 1 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß diese Vorschrift mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Ich rufe Art. 1 § 2 auf. Ich bitte diejenigen, die Art. 1 § 2 in der Ausschußfassung annehmen wollen,
*) Anlage 4
**) Seite 21959 A
***) Anlage 4
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß Art. 1 § 2 mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Dann rufe ich Art. 1 §§ 3 bis 5 in der Ausschußfassung auf und bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß diese Paragraphen einstimmig angenommen worden sind.
Dann rufe ich Art. 1 § 6 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf der Drucksache 13/10865 unter Nr. 1 ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen vor. Ich lasse über diesen Änderungsantrag abstimmen und bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt ist.
Ich bitte nunmehr diejenigen, die Art. 1 § 6 in der Ausschußfassung annehmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß Art. 1 § 6 in der Ausschußfassung einmütig angenommen worden ist.
Dann rufe ich Art. 1 §§ 7 und 8 in der Ausschußfassung auf und bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß diese Vorschriften einstimmig angenommen worden sind.
Nun rufe ich Art. 2 in der Ausschußfassung auf. Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10864 abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Dann rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10865 unter Nr. 2 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß dieser Änderungsantrag mit demselben Stimmenverhältnis wie soeben abgelehnt worden ist.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Art. 2 in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Art. 2 in der Ausschußfassung einmütig angenommen worden ist.
Dann rufe ich Art. 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf und bitte diejenigen, die dem zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch diese Vorschriften einmütig angenommen worden sind.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 13/10849 ({1}) liegt noch nicht vor. Wir stimmen deshalb jetzt zunächst über die weiteren Vorlagen ab.
Der Rechtsausschuß empfiehlt unter den Buchstaben b) bis g) seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/10848, sechs Gesetzentwürfe für erledigt zu erklären. Gesetzentwurf der Fraktion der SPD: Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte, Drucksache 13/9774; Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Aufhebung von Entscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte, Drucksache 13/10284; Gesetzentwurf der Bundesregierung: Aufhebung von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte, Drucksache 13/10708; Gesetzentwurf des Bundesrates: Rehabilitierung, Entschädigung und Versorgung für Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und Wehrkraftzersetzer unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, Drucksache 13/6900; Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile und Nichtigkeit nationalsozialistischer Rechtsvorschriften, Drucksache 13/ 9747; Gesetzentwurf des Bundesrates: Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege, Drucksache 13/10484.
Wenn Sie mit dem Verfahren einverstanden sind, lasse ich über die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses, die genannten sechs Gesetzentwürfe für erledigt zu erklären, gemeinsam abstimmen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. Wer der Erledigterklärung der genannten sechs Gesetzentwürfe zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses einmütig angenommen worden ist.
Wir kommen nun zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Unrechtserklärung des nationalsozialistischen § 175 StGB, Rehabilitierung, Entschädigung und Versorgung für die schwulen Opfer des NS-Regimes, Drucksache 13/10848, Buchstabe h. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1496 insgesamt abzulehnen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt Teilung der Frage.
Wir kommen deshalb zunächst zu den Nm. I bis III des Antrags. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses, soweit sie sich auf die Nrn. I bis III bezieht, zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen bei einer Stimmenthaltung angenommen worden ist. Die Annahme der Beschlußempfehlung heißt, daß die Nrn. I bis III des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt sind.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Nr. IV des Antrags. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag abzuVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
lehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses, soweit sie sich auf die Nr. IV bezieht, zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Damit ist die Beschlußempfehlung insgesamt angenommen, das heißt, der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist insgesamt abgelehnt.
Jetzt gebe ich das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Gesetzentwurf von CDU/CSU und F.D.P., Entwurf eines Gesetzes über die Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege, Drucksachen 13/10013, 13/10848 und 13/10849 ({2}). Abgegebene Stimmen: 583. Mit Ja haben gestimmt: 272, mit Nein: 309, Enthaltungen: 2. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 583; davon
ja: 272
nein: 309
enthalten: 2
Ja
SPD
Brigitte Adler Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig
Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({3}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Ludwig Eich Peter Enders Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer ({4}) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Eva Folta
Norbert Formanski Dagmar Freitag Katrin Fuchs ({5}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf ({6}) Angelika Graf ({7}) Dieter Grasedieck
Achim Großmann Karl Hermann Haack
({8})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach Dr. Ingomar Hauchler
Jens Heinzig
Dieter Heistermann Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({9}) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({10}) Frank Hofmann ({11}) Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger
Jann-Peter Janssen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Siegrun Klemmer
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel
Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange
Detlev von Larcher Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({12}) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({13}) Winfried Mante Dorle Marx
Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens Ursula Mogg
Michael Müller ({14}) Jutta Müller ({15}) Christian Müller ({16}) Volker Neumann ({17}) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß
Rudolf Purps
Margot von Renesse
Renate Rennebach Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz
Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
({18})
Ulla Schmidt ({19}) Dagmar Schmidt ({20}) Wilhelm Schmidt ({21}) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({22})
Dr. Emil Schnell Walter Schöler
Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann ({23})
Brigitte Schulte ({24}) Volkmar Schultz ({25})
Dr. R. Werner Schuster
Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Lisa Seuster
Horst Sielaff
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Dr. Peter Struck Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin
Ute Vogt ({26})
Hans Georg Wagner Hans Wallow
Reinhard Weis ({27}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen ({28}) Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Berthold Wittich
Verena Wohlleben Hanna Wolf ({29})
Heidi Wright
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({30}) Elisabeth Altmann
({31}) Marieluise Beck ({32}) Volker Beck ({33}) Angelika Beer
Matthias Berninger Annelle Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({34}) Joseph Fischer ({35}) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({36})
Christa Nickels Cem Özdemir Gerd Poppe
Halo Saibold Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({37}) Wolfgang Schmitt
({38}) Ursula Schönberger Waltraud Schoppe
Werner Schulz ({39}) Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({40})
PDS
Wolfgang Bierstedt Petra Bläss
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer
Dr. Barbara Höll Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({41}) Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Fraktionslos
Kurt Neumann ({42})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam Peter Altmaier
Anneliese Augustin
Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Börnsen ({43}) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun ({44}) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({45}) Hartmut Büttner
({46}) Dankward Buwitt Wolfgang Dehnel Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Use Falk
Jochen Feilcke
Dirk Fischer ({47})
Leni Fischer ({48})
Klaus Francke ({49}) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther ({50}) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({51}) Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser
({52}) Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Peter Hintze
Josef Hollerith
Elke Holzapfel
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung ({53}) Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Hans-Ulrich Köhler ({54})
Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Annegret KrampKarrenbauer
Rudolf Kraus
Wolfgang Krause ({55}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz
Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({56})
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus
Editha Limbach Walter Link ({57}) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({58})
Wolfgang Lohmann ({59}) Julius Louven
Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten
({60}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Friedrich Merz
Rudolf Meyer ({61})
Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller
Elmar Müller ({62}) Engelbert Nelle
Bernd Neumann ({63}) Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({64}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Otto Regenspurger
Christa Reichard ({65}) Klaus Dieter Reichardt
({66})
Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik Roland Richter
Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl ({67}) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer
Hannelore Rönsch
({68}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({69}) Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer ({70}) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu
Norbert Schindler Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({71}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({72})
Andreas Schmidt ({73}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
({74})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte
({75}) Gerhard Schulz ({76})
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Frederick Schulze
({77}) Diethard Schütze ({78}) Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({79})
Dr. Horst Waffenschmidt
Alois Graf von Waldburg-Zeil
Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm ({80})
Gert Willner
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({81})
Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Peter Kurt Würzbach
Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel
Hildebrecht Braun
({82}) Jörg van Essen Dr. Olaf Feldmann
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({83})
Dr. Karlheinz Guttmacher Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Detlef Kleinert ({84}) Roland Kohn
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Klaus Röhl
Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Sohns
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng
({85})
Dr. Guido Westerwelle
Enthalten
SPD
Horst Schild
F.D.P.
Jürgen Koppelin
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV oder der IPU
Abgeordneter)
Dr. Probst, Albert, CDU/CSU Terborg, Margitta, SPD
Ehe wir in die Schlußabstimmung eintreten, gebe ich noch bekannt, daß sich die Abgeordneten Otto Regenspurger, Christian Schmidt, Peter Paziorek und Wolfgang Krause ({86}) ebenfalls der Erklärung von Frau Löwisch anschließen wollen. Ich gebe das zu Protokoll.*)
Nun kommen wir zur Abstimmung über die Anlage zu Art. 1 § 2 Nr. 3 in der Ausschußfassung. Wer
*) Anlage 4
dieser Anlage in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Anlage zu Art. 1 § 2 Nr. 3 mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten nun in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der nun festgestellten Fassung zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen des Hauses, bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 12 auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu Äußerungen des Bundesgesundheitsministers zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung auf dem Deutschen Ärztetag
Die Aktuelle Stunde findet auf Verlangen der Fraktion der SPD statt.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Klaus Kirschner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für den Bundesgesundheitsminister - zu dieser Erkenntnis muß man zumindest kommen, wenn man seine Rede liest und weiß, was er außerhalb des geschriebenen Wortes gesagt hat - stehen weder Gesundheitsziele im Mittelpunkt der Gesundheitspolitik, noch nimmt er die im Gesetz vorgeschriebene Verpflichtung zur Beitragsstabilität ernst. Das ist die Konsequenz, die man aus seinem Auftritt auf dem Ärztetag letzte Woche ziehen muß.
({0})
Daß die Krankenkassen dieses Wahlkampfversprechen dann wieder einsammeln müssen, stört Sie, Herr Bundesgesundheitsminister, überhaupt nicht.
({1})
Würden nämlich die Kassen Ihr Wahlversprechen einlösen, dann würden die gleichen Kassen vom gleichen Bundesgesundheitsminister mit dem Vorwurf an den Pranger gestellt, sie könnten mit dem Geld nicht umgehen.
({2})
Während die mit Lob und vor allem Geld Überschütteten applaudieren, sollen andere dafür auf medizinisch notwendige Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung verzichten oder noch tiefer in
die Tasche greifen. Der Zahnersatz ist das beste Beispiel. Herr Bundesgesundheitsminister, meine Damen und Herren von der Koalition, die Beglückung der Versicherten mit Ihrer Vorstellung von Kostenerstattung bei Zahnersatz,
({3})
das heißt, daß die gesetzlich Versicherten nun Privatpatienten sind, hat nach Feststellung der Krankenkassen ergeben, daß bei 41 Prozent der Fälle, bei denen eine Neuversorgung mit Kronen und Brücken vorgenommen wird, nicht korrekt abgerechnet wird. Das heißt, die Patienten zahlen mehr.
({4})
Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
Herr Bundesgesundheitsminister, Ihr Spiel ist zu offensichtlich: Sie buhlen um die Stimmen der Ärzte für die Bundestagswahl und betreiben dafür den Ausverkauf der sozialen Krankenversicherung.
({5})
Sie wollen keine effiziente Versorgungsstruktur, Sie verteilen Geldgeschenke zu Lasten der Beitragszahler und Patienten. Sie betreiben die Amerikanisierung unseres Gesundheitswesens.
({6})
Die Kranken werden von Ihnen finanziell immer stärker für ihre Leiden und Krankheiten zur Kasse gebeten, ohne daß es in einem plausiblen medizinischen oder medizinisch-technischen Zusammenhang steht. Sie haben - das sage ich deutlich - einen Betrug an den Kranken vor.
({7})
Wer die Einnahmenentwicklung der Krankenkassen nicht mehr zur Grundlage der Honorarverhandlungen zwischen Krankenkassen und Ärzten macht, der nimmt Beitragssatzerhöhungen billigend in Kauf. Dabei planen Sie dem Vernehmen nach ja nach wie vor, daß die Arbeitgeberbeiträge eingefroren und höhere Beiträge allein den Versicherten aufgebürdet werden sollen. Hinzu kommt der perfide Mechanismus, daß eine Erhöhung der Beitragssätze zwangsläufig höhere Zuzahlungen der Patienten zur Folge hat. Meine Damen und Herren, es ist glasklar, daß eine SPD-geführte Bundesregierung Ihren Koppelungsmechanismus sofort wieder abschaffen würde.
({8})
Herr Seehofer, Sie betreiben ein übles Spiel. Noch am 27. April 1998 erklärten Sie in der Zeitung „Die Welt": „Keine weiteren Kürzungen", und Leistungsausgrenzungen seien „die unsozialste Lösung" . Sie sind wie ein Fähnchen im Wind. Die Patienten, die auf die soziale Krankenversicherung angewiesen sind, werden zum populistischen Spielball Ihrer Politik. Verbessern Sie die Einnahmen, indem Sie endlich eine Politik betreiben, die die Arbeitslosigkeit bekämpft. Schaffen Sie endlich die sozialversicherungsfreien 620-DM-Jobs ab,
({9})
und schaffen Sie endlich die Scheinselbständigkeit ab. Das sorgt für höhere Einnahmen der Krankenkassen, senkt die Beiträge, und vor allem werden die Patienten nicht für Ihr Versagen in der Arbeitsmarkt-und Gesellschaftspolitik in Haftung genommen. 20 Milliarden DM jährliche Zuzahlungen: Das ist die Summe, die die Patienten heute zahlen müssen. Das entspricht 1,15 Beitragssatzpunkten, die die Versicherten zum Beitragssatz zusätzlich für medizinisch notwendige Leistungen aufbringen müssen. Das ist unakzeptabel; das wollen Sie nach Ihrer jüngsten Ankündigung weiterbetreiben.
Die ungelösten Verteilungskonflikte und die Zerstrittenheit innerhalb der Ärzteschaft um die Honorarberechnung, deren Hauptursache darin liegt, daß bei gleicher Ausbildung die Allgemeinärzte mit jährlich 152 000 DM Praxisüberschuß am Ende der Skala stehen, während beispielsweise die HNO-Ärzte ein um 75 Prozent höheres Einkommen haben, wollen Sie dadurch lösen, daß Sie den Ärzten mit mehr Geld zu Hilfe kommen. Dieses Geld sollen wiederum die Beitragszahler und Patienten aufbringen.
Wer bei Höchstarbeitslosenzahlen und bei sinkenden Realeinkommen der Arbeitnehmer die im Durchschnitt 3,5mal höheren Ärzteeinkommen mit steigenden Beiträgen und noch mehr Zuzahlungen durch die Kranken finanzieren will, der handelt schamlos.
({10})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Wolfgang Lohmann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kirschner, ich habe mich die ganze Zeit gefragt, bei welcher Veranstaltung Sie eigentlich waren. Sie hätten sich bei Ihrem Fraktionskollegen Knaape erkundigen sollen. Er war auf dem Ärztetag anwesend und könnte Ihnen sagen, was wirklich gesagt worden ist.
Es ist gesagt worden: Die Gesundheitspolitik muß in Zukunft mehr an dem medizinischen Bedarf ausgerichtet und weniger unter rein fiskalischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Ja - neu war das aber nicht.
Es ist gesagt worden: Wir haben endlich die Budgets abgeschafft und damit die Kollektivhaftung der gesamten Ärzteschaft überwunden, indem wir Regelleistungsvolumina schaffen, die Steigerungsraten bei Einsparungen in anderen Bereichen möglich machen. Ja - neu war das aber nicht.
Wolfgang Lohmann ({0})
Es ist gesagt worden: Es soll geprüft werden, ob sich die Kostenerstattung in anderen Bereichen positiv auswirken könnte. Ja - neu war das aber nicht.
Es ist gesagt worden: In anderen Bereichen sollen endlich Strukturverträge gemacht werden. Ja - neu war das aber nicht.
Das heißt, es wird versucht, mittels einer Aktuellen Stunde eine Neidkampagne loszutreten. Etwas anderes ist es nicht.
({1})
Herr Kirschner, was man von Ihren Kassandrarufen und Prognosen halten kann, will ich einmal an Zitaten verdeutlichen. Herr Kirschner hat am 12. September 1996 im Deutschen Bundestag gesagt:
Wir haben großes Verständnis, wenn Sie so laut werden, angesichts eines Defizits der gesetzlichen Krankenversicherung von 7,3 Milliarden DM und angesichts eines, wenn es so weitergeht, zu befürchtenden Defizits von über 20 Milliarden DM im nächsten Jahr.
Daran schloß sich der Zuruf von Wolfgang Zöller „Ach! Ach!" an. Was ist geschehen? Es gab einen Überschuß von 1,1 Milliarden DM.
({2})
Man könnte nun sagen, daß Ihre Auffassung dadurch zustande kam, daß Sie, genauso wie ich, nicht die entsprechende wissenschaftliche Vorbildung wie Professor Pfaff haben. Professor Pfaff hat am 10. Oktober 1996 im Deutschen Bundestag gesagt:
Herr Bundesminister, ich finde es erstaunlich: ... ich sprach von 5 bis 6 Milliarden DM, in Wirklichkeit waren es 7 Milliarden DM im Jahre 1995 -, und ich prognostizierte zwischen 9 und 14 Milliarden DM für das Jahr 1996.
Was daraus geworden ist, wissen wir. Es stand unter anderem im „Focus".
({3})
- Gutes ist natürlich geschehen. Deswegen ist das Defizit - möglicherweise mit Ihrer Hilfe - vermieden worden.
({4})
Man könnte weiter sagen, auch Herr Professor Pfaff vertrete nicht die richtige Ebene, und man müsse eine Anleihe bei dem - leider Gottes - Dauerschattenminister, Herrn Dreßler, machen, der heute leider nicht kommen konnte. Er hat am 15. November 1996 im Deutschen Bundestag mit Verbitterung in der Stimme gesagt, wohin dieses Gesetz führen werde:
Die Krankenkassen werden am Ende des Jahres ein Defizit von 14 Milliarden DM vor sich herschieben. Dazu kommt eine gesetzlich erzwungene Beitragssatzabsenkung von 0,4 Prozent, die noch nicht einmal annähernd durch die erste
Tranche der Seehoferschen Gesetzesgrobheiten ausgeglichen wird.
Daran schloß sich der Zuruf von der CDU/CSU „Der will Spitzenpolitiker sein! " an. Dieser Zuruf war richtig.
Wir sehen an den Zitaten, daß Ihre Prognosen immer falsch waren. Sie sind reine Polemik. Wir erwarten in diesem Jahr weitere Aktuelle Stunden, die bei jeder Äußerung beantragt werden, die jemand von uns macht. Die Bürger werden dieses Spiel erkennen. Das bringt Sie nicht weiter.
Danke.
({5})
Damit gebe ich das Wort der Abgeordneten Monika Knoche.
Sehr geehrte Herren und Damen! Herr Lohmann, ich würde Ihnen im Prinzip gerne zustimmen, wenn Sie sagen, daß das Gesundheitswesen in Zukunft mehr am medizinischen Bedarf orientiert sein soll. Aber dann müssen Sie alles revidieren, und zwar sofort, was Sie an Gesetzen erlassen haben.
({0})
Wie wollen Sie denn, bitte sehr, rechtfertigen, daß 20 Prozent der Arzneimittel, die medizinisch indiziert sind, von den Patienten selber bezahlt werden müssen? Wie wollen Sie denn begründen, daß der Zahnersatz für Menschen, die nach 1978 geboren sind, künftig eigenfinanziert zu leisten sein soll?
({1})
- Die Prävention ist nicht vernünftig, weil sie nicht schichtenspezifisch ist, weil sie keine wirkliche Gruppenprophylaxe ist.
Sie blenden bei all diesen Fragen aus, daß es gesellschaftlich bezogene Fragen von Gesundheitschancen und Gesundheitsrisiken gibt. Sie pervertieren den Begriff der Eigenverantwortung.
({2})
Niemand ist finanziell dafür haftbar zu machen, in welche soziale Schicht er hineingeboren ist und welche Gesundheitsförderung und Prävention diese Gesellschaft ihm oder ihr zur Verfügung stellt. Aber Ihr Prinzip basiert genau darauf, daß Sie die Selbstverschuldung ideologisch einführen, materiell noch untermauern und durch Zuzahlung Kranke bestrafen. Ihre Beitragssatzstabilität fußt doch einzig und allein auf der Tatsache, daß Sie Kranken das Geld aus der Tasche ziehen. Das wissen die Leute doch.
({3})
Was der Minister auf dem Ärztetag gesagt hat, halte ich in moralischem Sinne für verwerflich. Er hat davon gesprochen - und tut es immer wieder -, daß der gesellschaftliche Fortschritt, die medizinische Entwicklung und der demographische Wandel dazu führen würden, daß eine soziale, gleichstellende, gleichberechtigende medizinische Versorgung in Zukunft nicht mehr finanzierbar sei und daß man deshalb aus der Parität der Arbeitgeberbeteiligung aussteigen müsse.
({4})
Er suggeriert, daß das Soziale nicht mehr zukunftsfähig sei. Er unterstellt, daß Gleichheit und Gerechtigkeit durch ein Solidarprinzip, ein Sachleistungsprinzip, nicht mehr das finanzierbare Projekt der Zukunft sei.
({5})
Das ist eine ganz klare marktradikale, neoliberale Position, die er in das Gesundheitswesen hineinbringt.
({6})
Dagegen wehren wir uns aus ökonomischen, sozialen und medizinischen Gründen zu Recht.
Es ist einfach nicht mehr zu ertragen, wenn die Ärzteschaft - ihrerseits durch manche Äußerung der Funktionäre gar nicht repräsentiert in ihrem wirklichen Willen - von der Regierung offeriert bekommt: Macht doch die IGEL-Liste, weitet sie doch aus, macht doch immer mehr medizinische Leistungen zu rein privat zu finanzierenden Leistungen der Versicherten, die dann nicht mehr den Schutz der gesetzlichen Kassen haben. Das, was Sie der niedergelassenen Ärzteschaft an Zusatzverdiensten anbieten, wird nicht zur Qualitätssicherung im System führen und wird für die Patienten nicht die gleichen Standards bringen, sondern wird abhängig sein von dem Geld, das ich in die Arztpraxis tragen kann, und davon, welche Versorgung ich bekomme.
Insofern hängt das, was Herr Seehofer auf dem Ärztetag gesagt hat, daß er die Finanzierbarkeit dieses Systems in Frage stellt, unmittelbar mit der Frage zusammen: Welchen Wert und welche Bedeutung hat die Sicherung des Sozialen im Gesundheitlichen? Darauf kann diese Regierung keine zukunftsweisende Antwort mehr geben.
({7})
Sie hat von der Finanzierung und von der Struktur her die Amerikanisierung des Gesundheitswesens vor. Das wird auch explizit so formuliert; denn Sie wollen immer mehr Eigenbeteiligung, immer weniger Solidarität, immer weniger Sachleistungen. Das sind - ich betone es noch einmal - Errungenschaften. Es ist ein hoher Wert, daß diese Grundlage in dieser Gesellschaft gewahrt bleibt. Es ist ein Ausdruck von Freiheit für die einzelne und den einzelnen, im Fall von Krankheit die Gewißheit zu haben, daß die gesetzliche Krankenversicherung diese Risiken trägt und daß die Finanzierung nicht von dem individuellen Einkommen abhängig ist.
({8})
Deshalb ist dieses System so zukunftsweisend und wird von uns verteidigt. Sie haben es längst auf gegeben. Aus diesem Grund kann diese Politik nicht mehr fortgeführt werden. Wir dürfen das nicht zulassen.
Danke.
({9})
Nun hat der Abgeordnete Dr. Dieter Thomae das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ganz eindeutig: Zwischen Opposition und Koalition bestehen in der Gesundheitspolitik Welten.
({0})
Das wollen wir festhalten.
({1})
Da bestehen wirklich Welten. Und ich sage Ihnen: Eine Budgetierung, wie Sie sie jetzt vorschlagen, ist für das deutsche Gesundheitswesen kein geeignetes Mittel. Wir wollen von der Budgetierung weg, und ich denke, mit dem, was die Koalition auf den Weg gebracht hat, wird auf Dauer unser Gesundheitswesen anders - und erfolgreicher - organisiert. Denn ein Globalbudget - das wissen Sie genausogut wie ich - führt, wenn es auf Dauer angelegt ist, zur Rationierung von Gesundheitsleistungen. Das bedeutet letztlich - und das müssen Sie dem Bürger sagen -, daß es Altersgrenzen gibt, von denen an diese medizinischen Leistungen nicht erbracht werden. Dazu aber haben Sie nicht den Mut, zu sagen: Wenn wir Budgets einführen, müssen wir Altersgrenzen fixieren.
({2})
Schauen Sie sich die Staaten an, in denen dies erfolgt!
Zweiter wichtiger Punkt - und da hat Herr Seehofer völlig recht -: Wir müssen die Qualität verbessern. Sie ist unverzichtbar.
({3})
Qualitätssicherung ist die ureigenste Aufgabe der Ärzteschaft. Dazu gehören Weiterbildungsmaßnahmen und eine qualifizierte Ausbildung. Auf diesem Wege sind wir. Einige Bundesländer wollen nicht mitmachen. Warum wohl? Und wir müssen einen verDr. Dieter Thomae
nünftigen qualitätssichernden Informationsaustausch organisieren.
Dann dieser Streit, meine Damen und Herren: Wir müssen offen für den Fortschritt sein. In der Tat! Wir müssen den technischen, den medizinischen Fortschritt integrieren. Das heißt aber auf der anderen Seite: Wenn wir die Beitragssätze stabil halten wollen, müssen wir ehrlich sein und uns auf das medizinisch Notwendige konzentrieren. Andernfalls werden wir durch höhere Beitragssätze Arbeitsplätze vernichten. Das will diese Koalition nicht. Sie aber haben dafür keine Antwort gegeben.
Umfassenden und sozialen Schutz will die Koalition.
({4})
- Ja, wir geben die Garantie. - Wir werden die sozial Schwachen immer schützen. Schauen Sie sich das Konzept der Koalition genau an! Wir haben für die sozial Schwachen die Härtefallregelung, die Überforderungsregel und, meine Damen und Herren, Sie wissen ganz genau: Wir haben eine besondere Regelung für chronisch Kranke, im Unterschied zu den Staaten, die Altersgrenzen eingeführt haben.
({5})
Dort muß jeder, der die Altersgrenze überschritten hat, die Leistungen aus der eigenen Tasche zahlen. Wir aber haben hier für sozial Schwache immer die medizinische Leistung, die wir erbringen werden - nichts anderes! Da müssen Sie Antworten finden.
({6})
In die Vertragsgestaltung haben wir zum Glück mehr Freiheiten eingebracht, und das ist fortschrittlich. Woran erkennen wir es denn? Die Krankenkassen haben durch ihre Vertragsgestaltung dafür gesorgt, daß die Beiträge im letzten Jahr, in diesem Jahr und im kommenden Jahr nicht steigen werden. Also werden sie in gewissen Bereichen Wirtschaftlichkeitsreserven mobilisieren und in anderen Bereichen Vertragsgestaltungsmöglichkeiten auf den Weg bringen, mit denen sie Kosten einsparen und diese Einsparungen dann in andere Bereiche verlagern können. Was will man mehr? Die Selbstverwaltung hat hier intensiv gearbeitet.
Der letzte Punkt, den Herr Seehofer angesprochen hat, ist die Finanzierung. Wie soll sie auf Dauer organisiert werden? Sie wissen genauso wie ich, daß es viele Modelle gibt. Wir können die Basis erweitern, wir können über andere Themen reden. Aber die Koalition und besonders die F.D.P. hat eine Thematik in die Diskussion gestellt: die Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags, um damit die Beiträge stabil zu halten; wenn Zuwächse entstehen, soll das zu Lasten der Arbeitnehmer gehen.
({7})
Das ist eine Konzeption, die wir vertreten, die wir für
vernünftig halten. Sie ist auf jeden Fall ehrlich gegenüber den Bürgern. Wir handeln da nicht wie Sie,
die Sie nur immer das Thema Globalbudget anbringen und nie ehrlich sagen, wie Sie die mit dem medizinischen Fortschritt, der technischen Entwicklung
und der Alterspyramide verbundenen Probleme lösen wollen.
Also: Wir sind fair, und Sie sollten vernünftige Antworten geben. Dann können wir miteinander diskutieren.
Herzlichen Dank.
({8})
Es spricht die Abgeordnete Dr. Ruth Fuchs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf dem diesjährigen. Ärztetag hat sich erneut gezeigt, daß mit der dritten Stufe der Gesundheitsreform keines der drängenden Probleme im Gesundheitswesen gelöst wurde. Zwar schreibt die gesetzliche Krankenversicherung im Westen auf Grund der massiven Zuzahlungserhöhungen wieder einmal schwarze Zahlen, aber jeder hier weiß, daß sich in Kürze die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben erneut öffnen wird.
Bekannt ist auch, daß die in den letzten 20 Jahren zur Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung eingesetzten Instrumentarien spätestens jetzt nicht mehr weiterhelfen. Denn es bleibt richtig - auch wenn ausgerechnet der verantwortliche Minister auf dem Ärztetag aus wahltaktischen Gründen etwas anderes verkündet hat -: Die Politik der Beitragserhöhungen ist weder den Versicherten noch der Wirtschaft zuzumuten. Auch Budgetierungen sind keine dauerhaften Lösungen für die Finanzprobleme im Gesundheitswesen, obwohl sie durchaus eine überbrückende Funktion haben können.
Jetzt müssen Grundsatzentscheidungen getroffen werden, und dafür gibt es angesichts des auch künftig wachsenden Bedarfs nach gesundheitlicher Versorgung nur wenige Alternativen. Die eine Alternative ist, durch echte, effizienzerhöhende Strukturreformen auf der Seite der Leistungserbringer und durch die Stärkung der Solidargemeinschaft der Versicherten alles für den Erhalt und die Erneuerung der sozialen Krankenversicherung zu tun. Das ist nach unserer festen Überzeugung richtig und möglich. Dafür treten wir auch ein.
Die andere Alternative ist die marktradikale Lösung, bei der Strukturmängel und Fehler des Systems bewußt ignoriert werden und der wachsende Ausgabenbedarf aus den Taschen der kranken Menschen gedeckt wird. Wohin das führt, ist trotz aller Dementis mit dem Stichwort „Amerikanisierung des Gesundheitswesens" zutreffend beschrieben. Meine Kollegin von den Grünen hat das auch schon ausführlich dargelegt.
Koalition und Regierung haben sich mit der dritten Stufe der Gesundheitsreform für den zweiten Weg entschieden und sprechen demzufolge auch ganz
stolz von einer grundlegenden Richtungsentscheidung.
({0})
„Zunehmende Eigenverantwortung der Versicherten" heißt dabei das Zauberwort, mit dem die Menschen an die Privatisierung des Gesundheitsrisikos gewöhnt und schließlich übertölpelt werden sollen.
Wer diesen Weg beschreitet, muß sich nicht wundern, wenn alle Hemmschwellen fallen und die Ideen, wie die Patienten zur Kasse gebeten werden können, nur so sprudeln. Da wird erneut das Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge gefordert und die Ausdünnung des Leistungskatalogs betrieben, während es zunehmend Behandlungen geben soll, die mit den Patienten privat abgerechnet werden können. Da soll die gesetzliche Krankenversicherung nur noch für die ärmere Hälfte der Bevölkerung zuständig sein.
({1})
Natürlich brauche man Basis- und Wahlleistungen.
Der Minister jedoch übertrifft all diese Vorschläge. Er erscheint mit großem Füllhorn auf dem Kölner Ärztetag, verspricht wachsende Arzthonorare und Ausbau der Kostenerstattung und stellt dafür sogar den heiligen Grundsatz der Beitragsstabilität zur Disposition. Auf die Wünsche der Klientel wird im Wahlkampf offensichtlich nur noch mit der Frage reagiert: Wieviel darf's denn sein?
Die Notwendigkeit der Solidarität wird nur noch verbal bekundet; die Richtung der Politik und die Entwicklungen in der Praxis sprechen aber eine andere Sprache. So scheint es schon heute im Wahlkreis des Ministers - wie Herr Armin Gürtler aus Ingolstadt in einem Leserbrief im „Donaukurier" von gestern schreibt - nicht mehr möglich zu sein, eine Mandeloperation für ein Kind, deren medizinische Notwendigkeit von einem Arzt bescheinigt wurde, ohne Kostenerstattungsverfahren zu bekommen. So ist das Auftreten des Ministers, der dem Gemeinwohl und nicht Klientelinteressen verpflichtet sein sollte, einmal mehr unglaubwürdig und verantwortungslos. Die Zeche zahlen wie immer die Versicherten und die Patienten.
Meine Damen und Herren, ich denke, in der vorigen Woche haben wir einen Vorgeschmack von dem bekommen, was uns im Gesundheitswesen erwartet, wenn diese Koalition auch künftig freie Hand behält. Man kann nur hoffen, daß die Wähler, die zu 90 Prozent Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen sind, diesem Spuk am 27. September ein Ende bereiten.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Ich gebe das Wort dem Bundesminister für Gesundheit, Horst Seehofer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten drei Wochen habe ich vor dem Deutschen Krankenhaustag - dort übrigens nicht nur vor Ärzten, sondern auch vor den Schwestern und Pflegern, die im Krankenhaus beschäftigt sind -, vor dem Deutschen Ärztetag und gestern auf einem großen Ärztekongreß in Berlin die Grundpositionen unserer Gesundheitspolitik dargestellt, und zwar jeweils mit großer Zustimmung. Deshalb bin ich für diese Aktuelle Stunde sehr dankbar, weil sie noch einmal deutlich macht, daß die SPD mit ihren gesundheitspolitischen Vorstellungen jedenfalls bei denen, die täglich Dienst für die Menschen leisten - Schwestern, Pfleger und Ärzte -, keinen Rückhalt hat. Das haben diese drei Veranstaltungen sehr deutlich gezeigt.
({0})
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal erklären, welcher Paradigmenwechsel vor zwei Jahren in der deutschen Gesundheitspolitik eingeleitet wurde. Auf den eben genannten Veranstaltungen habe ich nämlich keine neue Gesundheitspolitik verkündet, sondern noch einmal begründet, was wir vor zwei Jahren verändert und eingeleitet haben. Ihre Vorstellung, daß die Ausgaben im Gesundheitswesen und in der Krankenkasse nicht stärker steigen dürfen als die Einnahmen, nennt man Budgetierung. Die Einnahmen der Krankenkassen steigen im Moment nicht; im Osten schrumpfen sie. Nach Ihrer Vorstellung müßten wir die gesundheitliche Versorgung zurückfahren. Wir aber stellen den medizinischen Versorgungsbedarf der Bevölkerung in den Mittelpunkt und beantworten die Frage, wie dieser medizinische Versorgungsbedarf der Bevölkerung bei stabilen Beitragssätzen gedeckt werden kann.
({1})
Einmal muß Schluß sein. Es ist die Folge Ihres Vorschlags, wenn im Oktober eines Jahres ein Arzt ein Medikament nicht mehr verordnen kann, weil sein Arzneimittelbudget erschöpft ist.
({2})
Es muß Schluß sein damit, daß im November eines Jahres ein ambulanter Operateur nicht mehr operieren kann, weil das Budget für ambulante Operationen erschöpft ist, und daß im Dezember eines Jahres ein Krankenhaus einem Patienten mitteilt, die Gesamtvergütung und die Pflegesätze seien erschöpft, er möge sich bitte für das nächste Jahr anstellen, wenn man wieder neues Geld von der Krankenkasse bekomme.
({3})
So etwas gibt es in anderen Ländern dieser Welt: in Großbritannien und in Amerika. Eine solche Rationierung auf Grund einer Budgetierung wollen wir in Deutschland nicht.
({4})
Wir stellen - und das ist der Paradigmenwechsel in der deutschen Gesundheitspolitik - den medizinischen Versorgungsbedarf der kranken Menschen in den Mittelpunkt. Für die kranken Menschen ist nicht Ihre Betrachtung nach Kassenlage in buchhalterischer Manier entscheidend; vielmehr ist ihnen wichtig, daß sie für ihre Krankheit Hilfe, Linderung, Heilung und menschlichen Zuspruch erhalten. Wir müssen in Deutschland einen Konsens herbeiführen, damit das, was medizinisch und pflegerisch notwendig ist, von dieser Gesellschaft finanziert wird, ohne daß wir die Arbeitskosten - sprich: die Sozialversicherungsbeiträge - damit belasten.
({5})
Darum geht es, und zwar für alle: unabhängig vom Alter, von der sozialen Herkunft und vom Einkommen. Das zeichnet das deutsche Sozialwesen aus und unterscheidet es von Amerika.
({6})
Ich habe auf dem Deutschen Ärztetag mit keinem Halbsatz gesagt, die Bezahlung von notwendigen Medizinleistungen sei eine Mehrung von Einkommen! Ich meine, das ist patientenfreundlich, weil der kranke Mensch die notwendige medizinische Versorgung bekommt. Wie zwiespältig das betrachtet wird! Wenn ich das vor dem Deutschen Krankenhaustag sage, dann ist es völlig selbstverständlich, dann ist es nicht Einkommensmehrung. Natürlich müssen die Schwester, der Pfleger, der Arzt im Krankenhaus bezahlt werden, wenn sie eine Leistung erbringen. Das ist keine Einkommensmehrung. Wenn ich in Kurorten mit SPD-Abgeordneten auf dem Podium diskutiere, ist es selbstverständlich, daß die medizinisch notwendige Kur bezahlt werden muß. Dann wird nicht gesagt, daß das Einkommensmehrung sei. Wenn man das aber vor niedergelassenen Ärzten sagt, dann ist es plötzlich nicht mehr die Bezahlung einer Leistung, sondern ein Wahlgeschenk und wunderbare Geldvermehrung!
({7}) Herr Kirschner, seien wir einmal ehrlich!
({8})
Sie sagten eben etwas, was nicht der Wahrheit entspricht. Gegenüber der Öffentlichkeit kündigen Sie für die Zeit nach dem 27. September immer wieder Veränderungen der Gesundheitspolitik an, beispielsweise die Rücknahme des Koppelungsmechanismus Beitragserhöhung-Zuzahlungserhöhung. Sie kündigen die Abschaffung des Notopfers an. Sie kündigen die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze an. Ich entdecke aber eine riesige Kluft zwischen dem, was Gerhard Schröder, weil er die Mitte erreichen will,
draußen verkündet, und dem, was Sie im Wahlprogramm untergebracht haben.
({9})
Ich sage hier noch einmal vor aller Öffentlichkeit: Das, was Sie hier am Pult versprechen, steht nicht in Ihrem Wahlprogramm. Darin steht kein Satz, daß Sie den Festzuschuß beim Zahnersatz verändern wollen. Es steht nicht darin, daß Sie das Notopfer im Krankenhaus zurücknehmen wollen. Es steht nicht darin, daß Sie den Koppelungsmechanismus zwischen Beitragserhöhung und Zuzahlungserhöhung zurücknehmen wollen. Es steht kein Satz darin, daß Sie die Zuzahlung generell zurücknehmen wollen. Seien Sie der Öffentlichkeit gegenüber einmal ehrlich, meine Damen und Herren. Hier versprechen Sie das Blaue vom Himmel, und in Ihrem Wahlprogramm findet sich dazu nichts.
({10})
Ein zweites zur Wahrheit, Herr Kirschner. Stichwort: 20 Milliarden DM Zuzahlung. In Wahrheit sind es 14 Milliarden DM bis 15 Milliarden DM. Das sind 5 Prozent bis 6 Prozent unserer gesamten Gesundheitsausgaben. 95 Prozent werden von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert, gute 5 Prozent über die Selbstbeteiligung. Meine Damen und Herren, wollen Sie sagen, daß die Franzosen unsozial sind, weil sie 30 Prozent Selbstbeteiligung haben, so wie viele skandinavische Länder auch?
({11})
Das wollen wir gar nicht, meine Damen und Herren. Aber wenn wir stabile Beiträge und gleichzeitig eine erstklassige Medizin und Pflege ohne Selektion nach Alter oder sozialer Herkunft wollen, dann müssen wir doch die Frage beantworten, woher das Geld kommt. Die Antwort haben wir durch eine sozialverträgliche Selbstbeteiligung gegeben.
({12})
Da lese ich heute in der „Bild-Zeitung", ein chronisch kranker Mensch müsse 104 DM zuzahlen. Ein Mensch, der chronisch krank ist, der ein Jahr in Behandlung ist, muß nicht mehr als 1 Prozent für Arzneimittel zuzahlen.
({13})
Wenn das Beispiel in der „Bild-Zeitung" stimmt, dann müßte dieser Haushalt ein Bruttoeinkommen von monatlich 10 000 DM haben. Wenn es wirklich so sein sollte, sage ich Ihnen: Jemandem mit einem Bruttoeinkommen von monatlich 10 000 DM kann man diese solidarische Beteiligung auch zumuten. Denn sonst müssen wir es den kleinen Leuten abverlangen.
({14})
Eine letzte Bemerkung. Ich bin der erste, der gegen Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen, gegen Falschabrechnungen, gegen Kunstfehler vorBundesminister Horst Seehofer
geht. Dies gilt für die gesamte Bundesregierung und für die Koalition.
({15})
Aber Sie kritisieren immer wieder pauschal die ganze Ärzteschaft. Eine Woche sind sie Falschabrechner, dann sind sie die Produzenten von Kunstfehlern, und dann behaupten Sie: Monetik geht vor Ethik. Wie Sie mit den deutschen Ärzten umgehen, haben diese nicht verdient.
({16})
Sie erbringen eine große Leistung. Diejenigen, die Leistung und Ethik nicht einbringen, müssen wir aussondern. Auch die Ärzte sind dafür, daß die schwarzen Schafe beim Namen genannt und zur Rechenschaft gezogen werden.
({17})
Meine Damen und Herren von der SPD, ich fordere Sie auf: Reden Sie nicht nur von der politischen Mitte und von der Partnerschaft, sondern kehren Sie wieder zu einem partnerschaftlichen Umgang im Gesundheitswesen zurück. Man sollte die Leute nicht gegeneinander ausspielen.
({18})
Vielmehr sollte man Patienten, Krankenkassen, Ärzte, Krankenhäuser, Schwestern, Pfleger und andere Gesundheitsberufe wieder als Partner begreifen.
({19})
Ich gebe das
Wort dem Abgeordneten Professor Martin Pfaff.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Seehofer, auf solche Partner wie Sie können wir in der Gesundheitspolitik verzichten.
({0})
Auf Partner, die die soziale Qualität zurückdrehen wollen, die die Grundprinzipien mißbrauchen, können wir verzichten. Heute haben wir es wieder erlebt. Das Bedarfsprinzip der Inanspruchnahme wird von Ihnen mißbraucht, um eine Honorarerhöhung für die Ärzte zu begründen. Wenn dies keine Verhöhnung der tragenden Grundprinzipien ist, was denn dann? Nein, eine solche Partnerschaft mit Ihnen wollen wir sicher nicht.
({1})
Sie stellen sich in heuchlerischer Manier hierher. Sie kritisieren die Budgetierung. Was ist denn Ihre Forderung im GKV-Finanzstärkungsgesetz gewesen, wenn nicht eine Budgetierung für die östlichen Länder, wenn es um den Risikostrukturausgleich geht? Mit Ihrer Forderung für die sogenannte dritte Reformstufe im Krankenhaus auf Landesebene haben Sie ein Budget vorgeschlagen, und Sie haben sogar für die einzelnen Ärzte ein Praxisbudget - „Richtgrößen" - vorgeschlagen.
({2})
- Sie haben ein Praxisbudget vorgeschlagen. Sie haben von festen Punktwerten bis zu einer Obergrenze und von einer degressiven Vergütung darüber hinaus gesprochen. Wenn das keine Heuchelei ist!
Aber die Bürgerinnen und Bürger wissen, wem sie diese Zuzahlungsorgie zu verdanken haben. Sie wissen auch, daß sie weniger bekommen und mehr zahlen müssen. Sie werden auch dieses Manöver durchschauen; denn es ist nichts anderes als ein durchsichtiges Manöver im Wahlkampf, bei dem man den Klientelen noch einmal schnell etwas Gutes tun will.
({3})
Sie sind einen Zickzackkurs gefahren: Am 10. Mai dieses Jahres haben Sie in einem Interview in der „WAZ" gesagt: „Die Kranken dürfen nicht stärker belastet werden. " Am nächsten Tag äußerten Sie auf dem Hebammenkongreß: „Es muß mehr Geld in das System; dafür müssen die Versicherten bzw. die Patienten zahlen. " Auf dem 21. Deutschen Krankenhaustag wurde von Ihnen, Herr Seehofer, gefordert: „Ende des Sparkurses." Auf dem 101. Deutschen Ärztetag sind Sie mit fliegenden Fahnen zur Lobbyseite der Ärzte übergewechselt. Der Kniefall war noch nie so peinlich.
Auf dem Hauptstadtkonqreß in Berlin, verehrter Herr Bundesminister, sagten Sie: „Die Honorare der Ärzte sollen steigen. Aber die Beiträge sollen stabil bleiben und die Zuzahlungen nicht erhöht werden." Wenn Sie mir zeigen können, wie diese Rechnung kurzfristig aufgeht, dann schlage ich Sie für den Nobelpreis der Ökonomie vor. Dies ist unehrlich und unredlich.
Der Bundesminister schlägt um sich; er greift nach Strohhalmen. Wie eine Ertrinkende klammert sich diese Regierungskoalition gesundheitspolitisch an allem fest. Dies ist ein Zeichen, daß das Ende dieser Regierungskoalition tatsächlich nicht mehr in weiter Ferne ist.
({4})
Was bedeutet denn die Aufforderung an die Ärzte, bei den Honorarverhandlungen nicht mehr die Grundlohnsumme zugrunde zu legen? Das ist ein Signal an die Ärzteschaft, den berühmten Schluck aus der Pulle wirklich zu nehmen. Was haben wir denn seit 1976 gelernt? Daß diese Aufforderung - ob an die Ärzte, die Pharmaindustrie oder wen auch immer - immer dazu geführt hat, daß sich die Ausgabenspirale wieder kräftig zu drehen beginnt. Das ist die Lektion, die wir gelernt haben.
({5})
Aber Sie meinen, damit das Morbiditätsrisiko richtig abzusichern. Welche Verhöhnung der kranken Menschen! Denn im Endeffekt ist die Diagnose falsch. Sie suchen die Ursachen für die Ausgabendynamik wieder bei den Versicherten und den Kranken statt bei den Überkapazitäten, den fehlsteuernden Anreizen und all diesen Dingen, die Sie mittlerweile eigentlich besser durchschauen sollten.
Letzter Punkt. Herr Seehofer, Sie sprechen über die Eigenverantwortung der Versicherten, obwohl man doch erkennen kann, daß es Ihnen im Endeffekt um nichts anderes als um eine Erhöhung der Zuzahlungen oder der Beiträge geht. Ich fordere Sie auf, endlich Ihre eigene Verantwortung gegenüber dem deutschen Gesundheitswesen und gegenüber dem Eid, den Sie hier in diesem Hohen Hause geleistet haben, wahrzunehmen. Ziehen Sie die richtigen gesundheitspolitischen Konsequenzen! Dann haben Sie etwas für diejenigen Menschen getan, für die Sie wirklich Verantwortung tragen sollten, nämlich für die Versicherten und die Kranken und nicht für die mächtigen Lobbys der Ärzte.
({6})
Nun gebe ich dem Abgeordneten Wolfgang Zöller das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Punkt eins: Es ist schon sehr seltsam: Es werden hier Behauptungen kritisiert, die niemand aufgestellt hat.
({0})
Aber darin sind Sie Weltmeister. Herr Kollege Pfaff, Sie sprechen von einer Ausgabendynamik und wollen einfach nicht zur Kenntnis nehmen, daß wir im letzten Jahr erstmals sogar einen Ausgabenrückgang hatten.
({1})
Sie sollten wenigstens die billigste Statistik lesen können.
({2})
Punkt zwei: Sie halten uns vor, wir hätten Praxisbudgets eingeführt. Sie wissen ganz genau, daß dies nicht der Fall ist. Wir haben die Budgets abgeschafft und Richtgrößen eingeführt. Daß man sich hierherstellt und bewußt etwas Falsches sagt, das ist der Gipfel der Unverschämtheit.
Ich komme auf die Kollegin Knoche zu sprechen. Sie behaupten hier, die Menschen müßten 20 Prozent der Arzneimittel bezahlen, und tun so, als ob gerade die mit niedrigem Einkommen davon besonders betroffen seien.
({3})
Sie verschweigen, daß 20 Millionen Bürger, 28 Prozent der deutschen Bevölkerung, auf Grund ihrer Einkommensverhältnisse von Zuzahlungen befreit sind. Aber Sie stellen sich hierhin und tun so, als müßten die armen Menschen unter den Zuzahlungen leiden.
Ich bin froh, daß Sie von der SPD die Aktuelle Stunde beantragt haben. Da werden die Unterschiede endlich wieder einmal klar. Wir sind für mehr Eigenverantwortung und Selbstverwaltung.
({4})
Sie sind für staatliche Reglementierungen, für Budgetierung und Abschaffung der freien Arztwahl.
({5})
Wenn ich die Äußerungen der SPD aus der letzten Zeit bezüglich unserer Politik höre, dann ist festzustellen, daß immer wieder der Satz vorkommt: Geschenke für die Leistungserbringer. Ich werde einfach den Verdacht nicht los: Wenn irgendwo das Wort „Leistung" vorkommt, springt bei Ihnen automatisch der Neidkompressor an.
({6})
Ich darf daran erinnern: Wir waren uns im Gesundheitsausschuß darin einig, daß die Vergütung für die Hausärzte verbessert werden sollte. Wir haben es hier im Bundestag beschlossen. Zwei Wochen später ziehen Sie draußen mit der Parole „Wahlgeschenke für die Hausärzte" herum. Sie müssen sich langsam einmal angewöhnen, daß man nicht heute hier ja sagen und morgen draußen den Leuten das Nein verkünden kann.
Daß dies stimmt, läßt sich auch an dem erkennen, was der Minister auf dem Kongreß gesagt hat. Er hat zum Beispiel gesagt - ich darf zitieren -:
qualitätsgesicherte medizinische Gesundheitsberatung der versicherten Patienten zu stärken und sie von jeder Budgetierung freizustellen.
Das kritisieren Sie. Hier besteht auch wieder der Unterschied: Seehofer und wir wollen Qualität. Sie aber würden am liebsten wieder zurück zum Bauchtanz auf Krankenschein.
Wer sozialverträgliche Zuzahlungen kritisiert und gleichzeitig Budgetierung fordert, gaukelt den Leuten vor, daß man mit weniger Geld mehr leisten kann.
Kollegin Knoche, Sie haben hier wieder ein Selbsttor geschossen. Sie haben nämlich wieder gefordert, die IGEL-Liste in das Leistungsverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen. Das unterstreicht, daß Sie Fettabsaugungen, Glatzenbehandlungen, das Entfernen von Tätowierungen wieder in den Leistungskatalog aufnehmen wollen. Das hat in einer solidarischen Versicherung nichts verloren. Mit uns kann dies jedenfalls nicht geschehen.
({7})
Ich sage Ihnen auch: Wir treten für die Beibehaltung der Freiberuflichkeit der Ärzte ein. Wir wollen keine generelle Öffnung der Krankenhäuser, weil
dadurch die ambulante Versorgung in der Fläche nicht mehr garantiert werden kann. Auch wollen wir keine Diagnose- und Therapiebeschränkung; wir wollen keine Listenmedizin. Eine Staatsmedizin, wie Sie sie angehen,
({8})
ist immer von der Fülle der Staatskasse abhängig. Das lehnen wir entschieden ab.
({9})
Nun erhält der Abgeordnete Eike Hovermann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich zitiere:
Das deutsche Gesundheitswesen ist human, modern, leistungsfähig und für den Fortschritt offen.
({0})
Das im internationalen Vergleich hohe Versorgungsniveau steht der Bevölkerung flächendekkend und ohne soziale Schranken zur Verfügung.
({1})
Umfragen bestätigen eine hohe Zufriedenheit der Bevölkerung mit diesem Gesundheitswesen.
Das hat Herr Seehofer auf dem Ärztetag gesagt. Er hat eben gesagt, es hätten immer alle genickt.
({2})
- Es ist nicht schlecht, wenn hin und wieder geklatscht wird. Aber das ist mehr die Beschreibung eines Wunschzustands als eine Beschreibung der Realität; denn das, was ich vom Krankenhaustag mitnehme - Herr Lohmann, wir waren beide in Hamm -, sieht etwas anders aus.
({3})
Da heißt es zum Beispiel von Ärzten:
Die Vielzahl der Gesetze, die in immer kürzer werdenden Intervallen erlassen werden, verhindert für uns jede Planungssicherheit.
({4})
Das ist der Problempunkt, der Ihnen von jedem Krankenhaus aufgezeigt worden ist. Das bezeichnen Sie als schiere Polemik. Der Vorwurf der Polemik betrifft dann aber alle Krankenhäuser der Bundesrepublik. Das ist die Offenheit, die Herr Thomae offensichtlich für den Fortschritt für seine Partei einklagt.
({5})
- Frau Schwaetzer, ich wollte gerade auf Ihren Namen eingehen. Aber das verbietet sich in diesem Hohen Haus vielleicht.
Auch wenn Sie es hartnäckig abstreiten: Damit ist der Einstieg in eine Entwicklung zur Zweiklassenmedizin vollzogen. Bis 1992, Herr Lohmann, war es noch unser gemeinsames Ziel, über alle Parteigrenzen hinweg eine solidarische Gesundheitspolitik zu machen. Sie haben sich davon seit 1992 Zug um Zug verabschiedet.
Die Einsparungen sind höher als die gesellschaftlichen Folgekosten. Herr Lohmann und Herr Zöller, das war ein Ergebnis der Anhörung. Das hat doch nichts damit zu tun, daß ich in Marburg Abitur gemacht habe und Frau Schwaetzer leider auch.
({6})
Erlauben Sie mir, daß ich Herrn Ministerpräsident Stoiber zitiere, der diese Politik in bezug auf Reha und Prävention zu Recht als Milchmädchenpolitik verurteilt hat;
({7})
denn Einsparungen bei Prävention und Rehabilitation führen - wie Herr Stoiber richtig ausgeführt hat
- zu höheren Ausgaben in der akutmedizinischen Versorgung. Krankheiten werden verschleppt, bzw. es werden Vorbeugungsmaßnahmen versäumt.
({8})
- Nun lassen Sie mich doch auch mal, Herr Zöller. - Dies belastet die Kassen der GKV und erhöht den Druck in Richtung Zuzahlung, den Druck auf Beitragssätze und Lohnnebenkosten. Die von Ihnen geforderte Aufhebung der Budgetierung wird diesen Trend verstärken.
({9})
Was haben Sie den Ärzten nun versprochen, Herr Minister Seehofer?
({10})
In der Essenz ist dies - das ist gesagt worden -: Aufhebung des Budgets, höhere Honorare. Nur ist überhört worden: Gleichzeitig sollen die Lohnnebenkosten sinken. Das kann nur auf dem Weg geschehen, den die F.D.P. natürlich, Herr Dr. Thomae
({11})
- und Herr Seehofer und auch Herr Kohn -, vorschlägt,
({12})
nämlich durch eine Festschreibung der Arbeitgeberbeiträge zur GKV. Wenn Sie das wollen, können Sie an sich nicht mehr mit Fug und Recht von einer solidarischen Gesundheitsversorgung sprechen.
Wir Sozialdemokraten haben hierzu vielfach Vorschläge gemacht;
({13}) sie sind vorgetragen worden.
({14})
Es gibt Einsparmöglichkeiten im System. Das ist vorgetragen worden; Herr Kirschner hat die Einnahmepotentiale außerhalb des Systems vorgetragen. Sie haben dies abgelehnt, ebenso wie Vorschläge zur Vermeidung unnötiger Leistungen.
({15})
- Na, na, na.
({16})
Unter diesem Druck wird die Definition dessen, was medizinisch notwendig ist, immer mehr herunternivelliert, Herr Dr. Thomae. Das bringt angesichts der rigiden Beurteilung der medizinischen Dienste schon jetzt für viele Menschen Angst, Unsicherheit und wirtschaftlich-soziale Not. Daß Sie, Herr Thomae, dies in Gesprächen so oft nicht mitbekommen, mag natürlich daran liegen, daß Sie weder in den Kommunen noch in den Kreisen politisch tätig sind.
({17}) - Na, na, na.
({18})
In Nordrhein-Westfalen ist das vielfach der Fall.
Es verwundert nicht, daß Herr Dr. Vilmar als Lobbyist der Ärzte Ihre Vorschläge freudig unterstützt. Ich vermute, Hippokrates würde sich im Grabe umdrehen - so sehr wird sein Eid dadurch verletzt.
({19})
Mehr Freiheit im Gesundheitswesen, wie Sie es nennen, darf nicht - ich wiederhole jetzt den Gedankengang von Frau Knoche mit anderen Worten - zur Chiffre für Wahlgeschenke an Ärzte und Apotheker werden.
({20})
Es geht offensichtlich darum, mehr Geld in das System hineinzubringen. Herr Dr. Weng, Sie werden das ja demnächst an anderer Stelle machen. Deshalb bleiben Sie ja nicht im Bundestag. Wir werden sehen, wohin das noch führt.
({21})
Das führt automatisch dazu, daß Patienten nicht mehr nur nach ihrem Krankheitsbild, sondern zunehmend auch nach ihrem Geldbeutel therapiert werden.
({22})
Das nennen wir Zweiklassenmedizin. Das wollen wir nicht. Der Patient muß weiterhin im Mittelpunkt des Interesses stehen - und nicht die Frage nach seiner Finanzkraft.
Daß der Patient im Mittelpunkt steht, wollen wir, Herr Zöller, ab Oktober 1998 Schritt für Schritt mit einer SPD-geführten Bundesregierung umsetzen. Das dauert nur noch drei Monate. Das wird sehr lang für Sie sein; aber die Zeit danach wird für Sie noch länger sein.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({23})
Es spricht jetzt der Abgeordnete Ulf Fink.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde
({0})
ist ja von seiten der SPD-Fraktion beantragt worden, und zwar deshalb, weil der Bundesgesundheitsminister auf mehreren großen Kongressen
({1})
deutlich gemacht hat, wie die Gesundheitspolitik der von uns geführten Bundesregierung nach dem 27. September aussehen sollte.
({2})
Das haben Sie kritisiert.
Welche Frage hat er sich denn gestellt? Er hat sich die Frage gestellt, wie wir erreichen können, daß ein hohes Niveau der medizinischen Versorgung für alle Bürger in diesem Land auch in Zukunft gewährleistet werden kann.
Er hat sich eine zweite Frage gestellt, nämlich wie erreicht werden kann, daß auch im Gesundheitswesen ein wichtiger Beitrag zur Überwindung der Arbeitslosigkeit geleistet werden kann.
({3})
Wir wissen, daß gerade das Gesundheitswesen, das binnenmarktorientierte Dienstleistungen erbringt, in einem ganz besonderen Maße geeignet ist, einen großen Beitrag zur Erreichung des Ziels „Arbeit für alle" zu leisten.
({4})
Aus diesem Grund ist es doch sinnvoll und richtig, daß der verantwortliche Bundesgesundheitsminister weiterführende Überlegungen dazu anstellt
({5})
und daß er dann auch sagt: Es ist richtig, wenn wir überprüfen, ob die Politik von Lahnstein, die ja im wesentlichen eine einnahmenorientierte Ausgabenpolitik war, in der Zukunft tatsächlich weiter fortgeführt werden kann.
({6})
Ich finde, wenn er solche Überlegungen anstellt und abwägt, dann sollten auch Sie von seiten der Opposition bereit sein, solche Erwägungen mit anzustellen. Denn Sie selber, Frau Knoche und Herr Dreßler, haben gesagt, bei der Krankenversicherung gäbe es kein Ausgabeproblem, es gäbe ein Einnahmeproblem.
({7})
- Entschuldigung, Frau Knoche - Herr Dreßler ist heute nicht anwesend -, wenn Sie dieser Auffassung sind, dann müßten Sie einer der größten Befürworter der Überlegungen des Bundesgesundheitsministers sein.
({8})
Ich habe immer gehört, in einer Demokratie sei die Opposition der Jungbrunnen für neue Ideen und für neue Überlegungen.
({9})
Sie hatten ja schon reichlich Zeit, in diesem Jungbrunnen zu baden; Sie werden wahrscheinlich noch weitere Zeit dazu bekommen. Denn ich muß feststellen: Auch nach diesen 16 Jahren der Opposition der SPD sehen Sie nach dem Baden in diesem Jungbrunnen noch immer ziemlich alt aus.
({10})
Wichtig ist, daß wir erreichen, daß das Geld, was im Gesundheitswesen steckt, sich nicht lediglich in Form von Einkommensverbesserung niederschlägt, sondern in Form von mehr Angeboten und mehr Arbeitsplätzen.
Es gibt natürlich einen großen Unterschied zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland. In den Vereinigten Staaten ist viel mehr für das Gesundheitswesen ausgegeben worden. Aber einerseits sind große Teile der Bevölkerung ausgegrenzt, andererseits ist der Arbeitsplatzeffekt des amerikanischen Gesundheitswesens geringer als der vergleichbare deutsche, weil sich das Ganze im wesentlichen in Form von Einkommensverbesserungen und in Form von Versicherungen niedergeschlagen hat.
Es sind deshalb wichtige Überlegungen, die der Bundesgesundheitsminister anstellt: Wie erreichen wir, daß sich, wenn wir mehr Geld in das System hineinstecken, das in Form verbesserter und vermehrter medizinischer Angebote niederschlägt?
({11})
Da sollten Sie mithelfen, da sollten Sie mit überlegen und nicht von vornherein alles abwehren und sagen: Das geht nicht, das paßt nicht in unsere Ideologie.
Sie kommen doch auch zu der Erkenntnis: Wenn man nicht will, daß die Lohnnebenkosten immer höher werden, dann gibt es gar keinen anderen Weg, als auf mehr Eigenverantwortung zu setzen.
({12})
Wir haben Ihnen doch einen Weg gewiesen, der zeigt, wie man erreichen kann, daß gerade die Ärmsten gar nichts dazubezahlen müssen. Es ist doch ein großartiger Erfolg, daß 20 Millionen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland keinen einzigen Pfennig an Zuzahlung leisten.
({13}) Sozialer geht es doch nun wirklich nicht mehr!
Nein, meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf: Lassen Sie die Polemik, kehren Sie zu einer ordentlichen gesundheitspolitischen Debatte zurück.
({14})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Petra Ernstberger, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Fink, wenn Sie vom Gesundheitswesen und von Arbeitsplatzbeschaffung sprechen, dann frage ich mich, wie sich das mit den Einschnitten vereinbart, die im Kur- und Rehawesen vorgenommen wurden und die uns allein in Bayern 25 000 Arbeitsplätze gekostet haben.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich auf die rechte Seite des Plenums gucke, dann kann ich nur sagen: Diese Bundesregierung verweigert sich ihrer politischen Verantwortung, unseren Bürgerinnen und Bürgern durch eine soziale und solidarische Krankenversicherung eine leistungsfähige und bezahlbare Grundgesundheitssicherung zu gewährleisten.
({1})
Statt sich dieser gesellschaftlichen Forderung verpflichtet zu fühlen, zielt die Politik von Minister Seehofer offen und völlig ungeniert auf die Befriedigung von Sonder- und Einzelinteressen eines ausgewählten Klientels. Herr Seehofer, Ihr politisches Mandat ist es auch, die 70 Millionen Versicherten zu vertreten und nicht nur die 350 000 Lobbyisten von Ärzten.
({2})
Aber Gott sei Dank: Wir haben nur noch 122 Tage.
Lieber Herr Minister, Sie haben sich profiliert als der Führer auf dem Weg in ein privatisiertes Krankenversicherungssystem. Ihr Glaubensbekenntnis besteht aus zwei Worten: Eigenverantwortuag und Eigenbeteiligung.
Die GKV als leistungsfähiger Zweig unserer Sozialversicherungen soll systematisch ausgetrocknet, ausgehöhlt und schließlich abgeschafft werden. Das über Jahre bewährte Sachleistungsprinzip wird systematisch durch Ihren Vorschlag der Kostenerstattung der Selbstbeteiligung durch die Patientinnen und Patienten ausgehebelt. Für bestimmte Arztgruppen und Behandlungsfelder soll nun die Kostenerstattung - so haben Sie es auf dem Ärztetag gesagt - ausgeweitet werden. Das heißt im Klartext eine völlig unkontrollierte Ausweitung der direkten Abrechnung zwischen Arzt und Patient, obwohl dieses Kostenerstattungsprinzip in den Zahnarztpraxen gerade zu allerhöchster Empörung und Aufregung geführt hat.
({3})
Die Erfahrungen, die wir jetzt gerade mit der Kostenerstattung für Zahnersatz machen, die seit Anfang dieses Jahres gilt, zeigen, daß die Patienten bei der Direktabrechnung den überhöhten Forderungen der Ärzte schutzlos ausgeliefert sind.
({4})
Sie werden einfach über den Tisch gezogen.
({5})
Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben erst heute geschrieben, daß von knapp 12 000 Fällen fast 3500 Mißbräuche waren. Das ist bald ein Drittel.
Die Drohung von Herrn Minister Seehofer an die Zahnärzte, die Kostenerstattung gegebenenfalls wieder zurückzunehmen, ist sicherlich eine Ankündigung, die ein politisches Schoßhündchen der Ärzte abgegeben hat.
({6})
Statt aus den verheerenden Erfahrungen im Bereich der Zahnärzte Konsequenzen zu ziehen, haben Sie, Herr Seehofer, als Kämpfer für alle notleidenden Ärzte und Pharmaunternehmen, als Ritter Georg des Ärztelobbyismus, genau diesem Klientel ein Wahlgeschenk erster Ordnung zukommen lassen.
({7})
Dies, lieber Herr Seehofer, steht in eklatantem Widerspruch zu all dem, was Sie in den letzten Jahren und Monaten von sich gegeben haben. Waren es nicht Sie, Herr Seehofer, der in einem „Spiegel"-Interview vom 30. September 1996 gesagt hat:
Ich habe große Zweifel, daß das Kostenerstattungsprinzip in der Lage ist, einen Beitrag zur Ausgabenbegrenzung zu leisten.
({8})
Waren es nicht Sie, Herr Seehofer, der im Gesundheitsausschuß am 6. Mai dieses Jahres gesagt hat:
Ich halte die Kostenerstattung als Grundprinzip für die ganze deutsche Krankenversicherung nicht für möglich. Das wäre nämlich die Privatisierung des Gesundheitsrisikos.
({9})
- Ja, aber vorher will man es wieder zurücknehmen.
Waren es nicht Sie, Herr Seehofer, der das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Kostenerstattung für eine Behandlung im Ausland als Gefahr für das deutsche Gesundheitswesen gebrandmarkt hat? Gleichzeitig aber wollen Sie dieses System in Deutschland als zukunftsweisend feiern.
({10})
Abschließend, Herr Seehofer, eine Aussage von Ihnen vom Ärztetag 1995. Da haben Sie bekundet, daß Sie, seitdem Sie in der Politik sind und politische Entscheidungen zu verantworten haben, noch nicht umgefallen seien.
({11})
Herr Seehofer, Sie kommen mit dem Umfallen und mit dem vermeintlichen Wiederaufstehen überhaupt nicht mehr nach. Bitte, Herr Seehofer, bleiben Sie liegen. Sie sind politisch mausetot!
({12})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Editha Limbach, CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich morgens in den Bundestag fahre, komme ich an einem Plakatständer der SPD vorbei. Auf dem Plakat darauf befindet sich der umwerfende Satz: „Wir möchten, daß Sie gesund werden und nicht arm."
({0})
- Ja, das ist sehr wahr. Ich kenne niemanden in der Bundesrepublik Deutschland, der nicht jedem, selbst dem politischen Gegner, wünscht, daß er gesund bleibt oder wird, und niemanden, der nicht jedem, einschließlich des politischen Gegners, wünscht, daß er nicht arm ist.
({1})
Dieser Satz ist so banal wie richtig, aber auch so aussagelos wie eben möglich. Herr Kirschner, wenn Sie uns vorwerfen, hier würde schamlos gehandelt, dann muß ich sagen: Ich finde es schamlos, die Bürgerinnen und Bürger mit solchen nichtssagenden
I Sätzen abzuspeisen oder sogar so zu tun - das ist auch bei Ihnen, Herr Kollege Pfaff, deutlich geworden -, als könnte man immer mehr leisten, dabei immer weniger zahlen, und alles würde funktionieren.
({2})
Das ist also eine Milchmädchenrechnung. Die Bürgerinnen und Bürger wissen besser Bescheid. Sie wissen nämlich, daß man nur soviel Geld ausgeben kann, wie man auch hat, und daß man auf jeden Fall nicht immer mehr Leistungen anbieten kann, wenn immer weniger Geld vorhanden ist. Das geht nicht.
({3})
Dann finde ich es nicht schamlos, sondern verantwortungsvoll und richtig, wenn man den Bürgerinnen und Bürgern auch unangenehme Wahrheiten vor der Wahl sagt.
({4})
- Das ist ein ziemlich unsinniger Zwischenruf, Frau Kollegin.
({5})
- Nein, bitte nicht, das macht nur nervös.
({6})
Ich will dazu folgendes sagen. Sie haben hier gesagt, das Ganze sei nicht sozial gerecht. Wir haben aber nun einmal Zahlen vorliegen. Die Menschen bei uns werden erfreulicherweise immer älter. Die meisten Leute wollen auch gerne immer älter werden. Ich finde das gut. Weil die Zahl der Menschen wächst, die möglicherweise Leistungen in Anspruch nehmen müssen, ohne daß sie noch im aktiven Leben stehen, bedeutet das aber, daß diese Leistungen auch finanziert werden müssen. Ich halte es für sozial und für ehrlich, dem älteren Menschen zu sagen: Wir wollen, daß auch dir die Fortschritte der Medizin nutzen - unabhängig vom Einkommen,
({7})
unabhängig vom Alter, unabhängig von der Herkunft -, aber weil nicht alles zu finanzieren ist, werden wir dir zumuten müssen - nicht aus Jux und Tollerei, wie man im Rheinland sagt, und nicht, weil wir so schäbige Menschen sind, sondern weil die Rechnung sonst nicht aufgeht -, daß du das, was du selbst bezahlen kannst - die Betonung liegt auf „können" - und was zumutbar ist, auch zahlst.
Wenn hier 28 Prozent der Versicherten von Zuzahlungen befreit sind, dann zeigt das doch, daß wir auf die Einkommensschwachen Rücksicht genommen haben und auch in Zukunft Rücksicht nehmen wollen.
({8})
Rationierungen oder wie in England ab 60 oder 62 Jahren keine Dialyse mehr zu bekommen, wenn man nierenkrank ist, halte ich nicht für sozial. Ich halte das auch nicht für gerecht. Ich halte es aber für sozial und gerecht, in zumutbaren Grenzen zu sagen: Freunde, damit wir diese anderen Dinge wirklich für alle parat halten können, müßt ihr leider bei kleineren Dingen ein bißchen tiefer in die Tasche greifen, als ihr es euch selbst wünscht - auch als wir es wünschen. Aber es läßt sich nicht anders regeln.
({9})
Ich will Sie einmal fragen: Ist es etwa unsozial, wenn Kinder beitragsfrei versichert sind? Ist es unsozial, wenn nicht erwerbstätige Ehepartner beitragsfrei versichert sind? Ist es unsozial, wenn Beitragsstabilität hilft, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen? Nein, heuchlerisch, Herr Kollege Pfaff, ist das, was Sie hier bieten, nicht das, was wir geboten haben.
Ich möchte zum Schluß noch eins sagen. Hier ist so leichtfertig über Mehreinnahmen gesprochen worden. In dem Zusammenhang wurden die Apotheker genannt. Ich muß einfach hier sagen, weil auch noch Zuhörerinnen und Zuhörer da sind, die das vielleicht nicht wissen: Die Zuzahlung wird doch nicht geleistet, damit die Apotheker mehr am Medikament verdienen. Im Gegenteil: Sie haben auch noch die Arbeit, das Ganze einzukassieren und weiterzugeben.
({10})
- Doch, das ist hier gesagt worden.
({11}) Wir können das im Protokoll nachlesen.
({12})
Ich will den Kollegen jetzt nicht nennen, der es gesagt hat. Er wird es selbst wissen: Einkommensverbesserung für Ärzte und Apotheker, das hat er gesagt.
({13})
Zum Schluß möchte ich noch eins sagen. Nach meiner Auffassung verweigert sich der politischen Verantwortung, wer den Leuten vormacht, man könnte alles bringen, ohne daß es irgend etwas kostet, man bräuchte nicht mit der Eigenverantwortung der Leute zu rechnen.
({14})
Das ist Verweigerung der politischen Verantwortung. Kollegin Ernstberger hat zum Schluß gesagt: „Herr Seehofer, bleiben Sie liegen". Ich kann nur sagen: Bleiben Sie!
({15})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Hinrich Knaape, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Hofchronist sollte seine kürzlich über den am längsten im Amt verbliebenen Gesundheitsminister veröffentlichte Laudatio nach dessen Auftritt auf dem 101. Ärztetag um einige Charakteristika ergänzen. In der Laudatio heißt es: „Der Minister hat die Eigenschaft, Gesetze zu realisieren, die nicht für möglich gehalten werden, weil er von Sachverstand und gleichzeitig politischer Klugheit getragen wird.
({0})
Seine Erfolge sind geprägt von einem Mut, vor dem die meisten Bonner Politiker zurückweichen."
({1})
Soweit der Chronist.
Nun die Ergänzung in vier Punkten: Erstens. Seehofers Mut kippt zu Mutwilligkeit um, wenn es für seine Selbstdarstellung günstig ist.
({2})
So trennte er sich leichtfertig vom System der solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung und tritt für einen freien Gesundheitsmarkt ein.
({3})
Er übernimmt liberaldemokratische Positionen, die er bisher immer abgelehnt hat. Herr Kollege Thomae jubelt und reibt sich die Hände.
({4})
Zweitens. In gewohnter Weise Disziplin und Selbstbeschränkung in Rhetorik und Zeitvorgabe selbstherrlich außer acht lassend, zielte er darauf ab, von der Ärzteschaft gefeiert zu werden.
({5})
Er pflegte also seine Eitelkeit. Im Schwange der Begeisterung riß er dann sogar den Präsidenten des Ärztetages zu unqualifizierten Aussagen hin.
({6})
Durch einen Kanzelaufruf forderte dieser die Ärzteschaft auf, den Seehoferschen Gral zu schützen und keinesfalls die SPD zu wählen.
({7})
Wenn Seehofers Auftritte zu solchen Entgleisungen verführen, sollten Ärzte eine andere Haltung zeigen.
Drittens. Zum ersten ostdeutschen Kassenärztetag nach Leipzig zu fahren, verließ Seehofer der Mut; das ist so gesehen worden. Er kniff feige. Des Beifalls war er sich in der Gewandhausarena bei den angeheizten Emotionen mit seinen dürftigen Vorschlägen nicht sicher. Die Ehre der CDU/CSU rettete der wohl vom Kanzler geschickte bewährte Haudegen von Staatssekretär.
({8})
Auf dem Ärztetag hingegen hatte Seehofer, den Vorteil des Heimspiels nutzend, Streicheleinheiten für die berechtigten Sorgen der ostdeutschen niedergelassenen Ärzte. Daß es sich um vage Versprechungen und um den Wink mit einer Zuckerstange handelt, ging unter.
({9})
Die Anhebung der privatärztlichen Vergütung ab dem 1. Januar 1999 auf 90 vom Hundert des Westniveaus wird wohl kaum die finanziellen Probleme der ostdeutschen Ärzte lösen.
({10})
Das Versprechen, bei passender Wirtschaftslage die vollständige Angleichung des Vergütungsniveaus Ost an das Westniveau ab 2000 einzuleiten, wird ein bald vergessener Trost sein. Wirtschaftliche Prognosen haben sich in dieser Hinsicht unter dieser Regierungskoalition bisher nie bestätigt.
({11})
Viertens. Seehofer ist auch als Demagoge zu sehen, besonders deshalb, weil er für die Freiheitlichkeit der Ärzte durch die Abschaffung der Zulassungssperren ab 1999 eintritt. Seehofer weiß auch, daß die Ärzte diese Freiheit aus wirtschaftlichen Erwägungen nicht werden nutzen können und die im System tätigen Ärzte und Facharztgruppen dann in rücksichtsloser Konkurrenz und Zerstrittenheit ihre Seriosität verlieren werden. Solche Anzeichen ließen sich bereits auf dem Ärztetag erkennen; das werden Sie nicht abstreiten.
Ziehen wir das Fazit: Unter Seehofer generiert sich Gesundheitspolitik als politische Show. Er löst sich geschickt aus jeder Verantwortung. Er ist ein Risiko.
({12})
Dabei zollt die zerstrittene Ärzteschaft Beifall. Skrupel scheinen ihn nicht zu plagen. Denn er geht wohl davon aus, daß das von ihm Eingebrockte vorrangig die Patienten und daneben die Versicherten zahlen werden.
({13})
Ob dieser Gesundheitsminister weiter die Gesundheitspolitik bestimmen soll, werden die Versicherten zu gegebener Zeit entscheiden.
Mit dieser wohl etwas gehässigen Rede möchte ich mich aus diesem Plenum verabschieden.
({14})
Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen ja mitunter auch den Unterhaltungswert des Plenums zu würdigen.
Ich danke Ihnen.
({15})
Herr Kollege Dr. Knaape, ich danke Ihnen sehr für diese Abschiedsrede. Es macht doch immer wieder einmal Spaß, zu erleben, daß im Deutschen Bundestag auch Literatur zu Gehör gebracht wird. Alles Gute!
({0})
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung ({1})
- Drucksache 13/10791-Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({2})
Innenausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({3}), Manna Steindor und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gesetzliche Grundlage für Gen-Datei schaffen
- Drucksache 13/10656-Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({4})
Innenausschuß
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die Debatte eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Die Fraktionen und die Debattenredner haben sich aber darauf verständigt, die Beiträge zu Protokoll zu geben. Es handelt sich um die Reden der Kollegen Ronald Pofalla, Otto Schily, Volker Beck, Detlef Kleinert, Professor Uwe-Jens Heuer und für die Bundesregierung Bundesminister Kanther und Bundesminister Professor Dr. Schmidt-Jortzig.*) - Da ich keinen Widerspruch höre, gehe ich davon aus, daß das Haus einverstanden ist.
Damit kommen wir zu den Abstimmungen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den
*) Anlage 5 Drucksachen 13/10791 und 13/10656 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Dann rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Erwin Marschewski, Wolfgang Zeitlmann und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Dr. Max Stadler und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesgrenzschutzgesetzes
- Drucksache 13/10790 -Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({5}) Rechtsausschuß
Auch hier war für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Aber auch hier ist mir mitgeteilt worden, daß die Redner ihre Debattenbeiträge zu Protokoll geben. Es handelt sich um die Kollegen Wolfgang Zeitlmann, Erwin Marschewski, Günter Graf ({6}), Rezzo Schlauch, Dr. Max Stadler, Ulla Jelpke und Herrn Bundesminister Manfred Kanther. Ich gehe davon aus, daß das Haus auch damit einverstanden ist.*) - Das ist der Fall.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 13/10790 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b sowie den Zusatzpunkt 13 auf:
13 a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({7})
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Klaus Lohmann ({8}), Ingrid Becker-Inglau, Friedhelm Julius Beucher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Matthias Berninger, Marieluise Beck ({9}), Annelie Buntenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Klaus Lohmann ({10}), Friedhelm Julius Beucher, Dagmar Freitag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Sportförderung und Sportsicherung
- Drucksachen 13/3566, 13/5329, 13/6964, 13/6987, 13/10229 Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert Klaus Lohmann ({11}) Matthias Berninger
*) Anlage 6
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({12}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Rolle der Europäischen Union im Bereich des Sports
- Drucksachen 13/8615 Nr. 1.15, 13/10383 -Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert Friedhelm Julius Beucher
ZP13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Riegert, Engelbert Nelle, Dirk Fischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie des Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann und der Fraktion der F.D.P.
Staatliche Sportförderung - Drucksache 13/10806 -
Vorgesehen war für die Debatte eine halbe Stunde. Auch hier geben die Debattenredner ihre Beiträge zu Protokoll. Es handelt sich um die Kollegen Klaus Riegert, Klaus Lohmann, Matthias Berninger, Dr. Feldmann, Dr. Fuchs und den Parlamentarischen Staatssekretär Manfred Carstens.*) - Das Haus ist damit einverstanden.
Dann kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Sportausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage zu Sportförderung und Sportsicherung. Das ist die Drucksache 13/10229 unter Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/6964 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Beschlußempfehlung des Sportausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Großen Anfrage zur Sportförderung und Sportsicherung, Drucksache 13/10229 unter Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/6987 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD angenommen.
Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Sportausschusses zu der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Rolle der Europäischen Union im Bereich des Sports, Drucksache 13/10383. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS angenommen.
Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. zur staatlichen Sportförderung, Drucksache 13/10806. - Wer stimmt dafür? - Wer
*) Anlage 7
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Ich rufe jetzt die Zusatzpunkte 14 a und 14 b auf:
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 24. September 1996 über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen
- Drucksachen 13/10075, 13/10402-({13})
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({14})
- Drucksache 13/10694 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger Uta Zapf
Dr. Olaf Feldmann
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausführungsgesetzes zu dem Vertrag vom 24. September 1996 über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen
- Drucksachen 13/10076, 13/10345 - ({15})
Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({16})
- Drucksache 13/10695 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger Gernot Erler
Ludger Volmer
Zum Vertragsgesetz liegt ein gemeinsamer Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und F.D.P. sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Entschließungsanträge der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 13/10860 und 13/10861 wurden zurückgezogen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Friedbert Pflüger, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich sollte heute Anlaß zum Feiern bestehen; denn wir haben nach jahrzehntelangen Bemühungen einen umfassenden Atomteststoppvertrag der internationalen Staatengemeinschaft erarbeitet, der uns auch vorliegt. Wir sind stolz auf diesen Vertrag. Ihn zustande zu bringen hat viel Kraft und viel Arbeit gekostet. Ich möchte der Bundesregierung und den Beamten für
die Bemühungen herzlichen Dank sagen. Die Bundesrepublik Deutschland ist eines derjenigen Länder gewesen, das am meisten am Zustandekommen dieses Vertragswerks mitgearbeitet hat.
({0})
Ich erinnere mich an die großen Debatten, die wir hier nach den französischen Atomtests geführt haben. Damals hat sich meine Fraktion, anstatt in Mururoa auf Seelenverkäufern herumzufahren, mit den Franzosen konstruktiv unterhalten und die Franzosen in ein Vertragsregime eingebunden, das jetzt Realität wird. Ich freue mich, daß wir heute im Deutschen Bundestag mit breitem Einvernehmen das Gesetz und die Ausführungsbestimmungen für den umfassenden nuklearen Teststoppvertrag ratifizieren.
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Ich habe gesagt: Eigentlich hätten wir feiern können. Wir müssen einfach sehen, daß in diesem Mai Dinge passiert sind, die zu gegenteiligem Verhalten Anlaß bieten, nämlich dazu, wirklich traurig über das zu sein, was in den letzten Wochen in der Welt passiert ist.
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Ich spreche von den Nukleartests in Indien und in Pakistan, die der Deutsche Bundestag verurteilt.
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Derartige Nukleartests führen nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu mehr Gefahr in der Welt und vor allen Dingen in der Region.
Indien hat es für richtig gehalten, nukleare Tests durchzuführen. Ich kann mich gut an einen Besuch in Indien im Oktober 1996 erinnern. Bereits damals hat die andere indische Regierung über die Möglichkeit gesprochen, sich zur Nuklearmacht zu erklären und die zweifelsohne seit langem vorhandenen Fähigkeiten, Nuklearmacht zu werden, auch offiziell unter Beweis zu stellen.
Was waren die indischen Motive? Ich rate uns allen dazu, diese Motive erst einmal zu begreifen. Die Inder empfinden sich - ich glaube, zu Recht - als eine Großmacht in dieser Welt. Das Land hat eine Milliarde Menschen und besitzt eine ungeheure, faszinierende Kultur. In Indien leben Eliten, die auf allen Gebieten alles können, was man in der Welt können muß. Die führenden indischen Wissenschaftler können überall auf der Welt mithalten. Indien ist ein Land mit einem enormen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Potential. Und es ist ein Land, das von sich selbst behauptet: Wir sind doch schließlich eine Demokratie, die größte Demokratie auf der Welt. Wir sind ein ganzer Kontinent. Wir sind stolz auf das, was wir geschaffen haben. Es gibt 17 offizielle verschiedene Sprachen, und mehrere Religionen leben in Indien zusammen. Sie fühlen - das ist mein Eindruck gewesen -, daß die Welt oft nicht genug das anerkennt, was sie in den Jahren, seit sie den Kolonialismus abgeschüttelt haben, geleistet haben.
Wenn in Europa oder Amerika von Asien gesprochen wird, denkt man an China, an Japan und vielleicht noch an die Tiger-Staaten. Indien fällt immer ein bißchen durch das Raster hindurch. Da haben sich eben indische Politiker gesagt - vor allem, nachdem sie die Abstimmung in den Vereinten Nationen um einen non permanent seat, um einen nicht ständigen Sitz, gegen Japan mit großer Mehrheit verloren haben -: Wenn uns die Welt so nicht anerkennt, wollen wir eben auf andere Weise zeigen, was wir können und welche Bedeutung wir haben. Wir wollen uns die Geltung verschaffen und wollen vor allem versuchen, mit China - mit dem man sich seit Jahr und Tag im Wettbewerb sieht - und natürlich auch mit Japan gleichzuziehen.
Das ist die indische Motivation. Ich rate uns allen dringend, nicht mit dem erhobenen Zeigefinger auf Indien zu weisen.
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Ich rate uns allen zu versuchen, die indischen Motive zu verstehen und zu begreifen, nicht sie zu billigen, aber sie erst einmal zu verstehen; denn wir können leicht reden. Wir sind zwar auch eine Nicht-Nuklearmacht, aber wir hatten immer einen nuklearen Schutzschild. Wo wären wir denn ohne den Schutzschild der Amerikaner gewesen? Welche Debatten hätte es denn bei uns in Deutschland zur Zeit des kalten Krieges ohne die nukleare Garantie aus Amerika gegeben?
Vor diesem Hintergrund kann man verstehen, warum Indien den Test vorgenommen hat. Aber Indien hat, wie wir es vorausgesagt haben, damit nicht mehr Sicherheit geschaffen, sondern, wie wir jetzt sehen, für große Unsicherheit und Instabilität in der Region gesorgt, weil Pakistan nachzieht. Die Inder haben eine scheinbare Sicherheit bekommen. Wir fordern die indische und die pakistanische Regierung auf, alles zu tun, jetzt nicht die Spannungen, die hinter den Demonstrationen und dem Jubelgeschrei auf den Straßen zu erkennen sind, eskalieren zu lassen, sondern sich jetzt hinzusetzen, zusammen mit den Vereinten Nationen die Situation zu stabilisieren, baldmöglichst dem Atomteststoppabkommen beizutreten, Vertragsverhandlungen aufzunehmen und miteinander eine Entspannung in der Kaschmir-Frage zu erreichen, und nicht in die Gefahr zu laufen, diese Teufelswaffen anwenden zu müssen. Das ist unsere große Bitte an Inder und Pakistani in diesen Tagen.
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Man kann sagen, was man will, man kann große Forderungen aufstellen und Appelle richten, aber wir alle wissen: So viele Möglichkeiten zur Sanktion haben wir nicht. Ich halte es für besser, wenn wir es uns eingestehen. Ich halte es für richtig, daß die Bundesregierung erst einmal die Entwicklungshilfe einDr. Friedbert Pflüger
gefroren hat und ein Signal ausgesendet hat, daß es jetzt nicht einfach business as usual geben darf. Aber die Entwicklungshilfe ganz zu streichen, würde doch bedeuten, die Ärmsten der Armen für den Nationalismus ihrer jeweiligen Regierungen zu bestrafen. Ist das der richtige Weg? Kann man es durchhalten, so gewaltige Länder wie Pakistan und Indien auf Dauer zu isolieren und mit Sanktionen zu belegen? Wird man damit Erfolg haben? - Ich weiß es nicht.
Auf der anderen Seite frage ich: Wenn wir nichts tun, ermutigen wir dann nicht auch Länder wie den Iran, der eine gemeinsame Grenze mit Pakistan hat, und den Irak, wie Syrien und Libyen dazu, Nuklearmächte zu werden? Es besteht also die Gefahr, daß der Mai 1998 der Monat ist, der einen Dammbruch für die Nichtverbreitungspolitik darstellt. Das wäre furchtbar.
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Das wäre furchtbar, weil wir dann auf der Welt nicht mehr eine kleine kontrollierbare Zahl von Nuklearmächten hätten, sondern diese Waffe dann, wenn sie einmal aus der Flasche heraus ist, ihre Kraft und Wirkung entfalten würde und irgendwann auch wieder einmal angewandt werden würde. Das möge der liebe Gott wirklich verhüten.
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Das ist eine sehr ernste Situation. Die Staatengemeinschaft ist aufgerufen, nicht gegen Indien und Pakistan - das hat gar keinen Sinn -, sondern mit ihnen jetzt an einem System zu arbeiten, das die Region stabilisieren kann. Ich füge hinzu: Trotz aller Bedenken in Sachen Menschenrechte, die wir aufrechterhalten, habe ich den Eindruck, daß wir auch den Iran in dieses Stabilitätssystem mit einbeziehen müssen; denn er ist der nächste Nachbar von Pakistan.
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Ich glaube, daß es wichtig ist, jetzt alles zu tun, um auf diese Länder beruhigend zu wirken. Das darf nicht heißen, daß wir die dortigen Vorkommnisse nicht verurteilen. Wir verurteilen sie; wir sagen diesen Ländern ganz eindringlich: Der Weg, auf den ihr euch begeben habt, führt euch nicht weiter, sondern er führt euch in eine gefährliche Spirale von Gewalt und Gegengewalt und in einen neuen Rüstungswettlauf. Wir müssen versuchen, das so weit wie möglich zu verhindern. Dem Dominostein-Effekt, der hier für andere Länder droht, muß Einhalt geboten werden, vielleicht auch dadurch, daß man Sicherheitsgarantien für die Länder ausspricht, die in dieser Region liegen.
Man muß etwas tun, damit die Trägersysteme nicht weiterverbreitet werden. Man muß alles tun, um die Proliferation von solchen Trägertechnologien zu verhindern. Aber leicht ist es nicht.
Ich möchte freimütig zugeben: Wir können nicht allzu viel machen. Man bleibt ratlos und ist ein bißchen traurig, denn dieser Tag hätte eigentlich ein großer Tag für die Abrüstungspolitik werden können.
Meine Bitte und die meiner Fraktion und - ich nehme an - aller in diesem Hause an Indien und Pakistan ist: Gehen Sie sehr sorgfältig mit diesen Waffen um, und kontrollieren Sie sie, so gut es geht! Halten Sie sich die Lehre von Hiroshima vor Augen! Ich habe manchmal die Befürchtung, daß 50 Jahre nach Hiroshima die Erinnerung an diese Schrecken der Menschheitsgeschichte verblaßt.
Es ist auch ganz wichtig - das möchte ich als letztes unterstreichen -, daß die Atommächte die Abrüstung fortsetzen
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und damit auch für andere Länder ein deutliches Zeichen setzen, nicht den gleichen Fehler wie Indien zu machen und den gleichen Weg einzuschlagen.
Die Atommächte haben ja großartige Abrüstungsvereinbarungen geschlossen. Sie müssen sie jetzt auch umsetzen. Dies ist auch ein Appell an die russische Duma, schnell START II zu ratifizieren, damit wir START III angehen können, um möglichst viele von diesen Interkontinentalraketen von dieser Welt wegzubekommen.
Es wird sehr schwierig werden. Der ewige Friede ist noch weit entfernt. Um so stärker müssen wir an allen diesen Problemen weiterarbeiten und uns für ihre Lösung engagieren.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat die Kollegin Uta Zapf, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Pflüger, ich möchte mich für Ihre Rede ausdrücklich bei Ihnen bedanken.
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Ich glaube, Sie haben uns allen weitestgehend aus dem Herzen gesprochen. Die Nachdenklichkeit und die Vorsicht, die Sie angemahnt haben, werden uns in dieser Situation gut anstehen. Ich kann alle Ihre Anregungen - fast alle bis auf die hinsichtlich der Sicherheitsgarantien, weil das ein sehr empfindliches Thema ist - nur unterstützen.
Meine Gedanken gehen in dieselbe Richtung. Ich teile auch Ihre Gefühle, die Sie am Anfang geäußert haben, und habe sie am Anfang meiner Rede genauso in Worte gefaßt: Dieser Tag hätte ein Anlaß zur Freude sein können, an dem wir uns selbst hätten beglückwünschen können, weil wir uns in dieser Diskussion um den Atomteststoppvertrag so engagiert haben, weil wir über Jahre hinweg gemeinsam an einem Strang gezogen haben und weil wir die Bundesregierung in den Bemühungen unterstützt haben, ein
gutes Verhandlungsergebnis zu erreichen. Bei einigen Schönheitsfehlern, die das Verhandlungsergebnis für einige von uns hat, ist es ja ein gutes und begrüßenswertes Abkommen, das heute hier von uns ratifiziert wird.
Bis zum 11. Mai haben wir geglaubt, daß wir den abschließenden Ratifikationsvorgang im Deutschen Bundestag mit Lob und Freude begehen können. Herr Pflüger hat es genauso empfunden. Aber am 11. Mai um 15.45 Uhr Ortszeit hat Indien in der Wüste Rajasthan drei unterirdische Atomtests vorgenommen und zwei Tage später zwei weitere Testexplosionen durchgeführt. Heute hat Pakistan mit fünf Atomtests nachgezogen.
Das internationale Nonproliferationsregime, dessen Eckpfeiler der Atomwaffensperrvertrag und das Atomteststoppabkommen sind, ist damit auf das schwerste erschüttert. Indien und Pakistan haben übrigens mit diesen Tests keine internationalen Verträge verletzt. Sie sind beide weder dem NPT noch dem CTBT beigetreten. Aber Indien hat mit seinen Tests eine Hemmschwelle übertreten. Sie haben es „Dammbruch" genannt, Herr Kollege Pflüger. Die Tests von Pakistan sind eine darauf folgende Reaktion.
Wir hatten glauben wollen, daß durch die unbefristete Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages 1995, den wir sehr unterstützt haben, und den Abschluß des CTBT das Nichtverbreitungsregime international so gestärkt worden sei, daß kein Schwellenland diesen Schritt tun würde.
Ehemalige Schwellenländer wie Südafrika haben ihre Atomwaffenpläne aufgegeben; Länder wie Brasilien und Argentinien sind den Verträgen beigetreten; Verträge über atomwaffenfreie Zonen im Südpazifik und in Afrika sind abgeschlossen worden; Rußland, die USA, Frankreich und Großbritannien haben ihre Arsenale nuklearer Waffen reduziert; die Ratifikation von START II durch Rußland und die Aufnahme von START-III-Verhandlungen standen bevor. Es gab die Hoffnung, daß in Genf die Verhandlungen über ein Verbot der Produktion von Spaltmaterial wiederaufgenommen werden würden. Die internationale Ächtung von Staaten, die sich eigene Nuklearwaffen zulegen wollen, schien stark genug, um zum Beispiel Indien und Pakistan zu hindern, diesen Schritt zu tun.
Indien hat sich in den Atomclub gebombt, Pakistan ist heute gefolgt. Dies hat schwerwiegende Folgen.
Indien hat eine Mittelstreckenrakete, Agni, die eine Reichweite von 2500 Kilometern hat und mit der es seine Nachbarn Pakistan und China bedrohen kann. Pakistan verfügt mit der Ghauri über eine Mittelstreckenrakete von 1200 bis 1500 Kilometer Reichweite. China könnte einen Grund sehen, seine atomaren Streitkräfte auszubauen und zu modernisieren.
Ich habe in meinem Manuskript einen Satz stehen, der mit einem Fragezeichen versehen ist: Steht ein nukleares Wettrüsten in der Region bevor? Ich hoffe, daß dieses Fragezeichen hält, daß es uns gelingt, dieses Wettrüsten noch zu verhindern. Übrigens war es
Indien, das über Jahrzehnte für weltweite Abrüstung, gerade im atomaren Bereich, eingetreten ist. Es hat den globalen Bemühungen um Abrüstung und Nichtverbreitung von Atomwaffen mit diesen Tests einen schweren Schlag versetzt. Die heutigen Atomtests Pakistans sind ein weiterer Eskalationsschritt.
Das gesamte Nonproliferationsregime gerät in Gefahr. Die Falken in den USA und in Rußland, die den Teststoppvertrag und die Verträge zur nuklearen Abrüstung ohnehin nicht lieben, erhalten Aufwind. Die Ratifikation des Teststoppabkommens im US-Kongreß ist ohnehin extrem schwierig - wir haben das gerade auf unserer Reise nach Washington mit eigenen Ohren gehört -, und die Ratifikation ebendieses Vertrages und von START II in der Duma, die noch aussteht, steht ebenfalls vor großen Schwierigkeiten.
Die Gegner der Verminderung der strategischen Arsenale werden gestärkt. Die atomare Abschrekkung und die Atomwaffe als Statuselement gewinnen wieder an Gewicht. Wir erinnern uns noch sehr gut an die Begründung der Weigerung Indiens, dem NPT und dem CTBT beizutreten. Es ist dieselbe Begründung, die Premier Vajpayee für die Atomtests Indiens in seinem Parlament vorträgt: die Weigerung der Nuklearmächte, ihrer Verpflichtung aus Art. VI des Atomsperrvertrages nachzukommen und über eine völlige nukleare Abrüstung zu verhandeln. Dies hat uns Indien immer wieder vorgetragen.
Dies sind, Herr Pflüger, sicher weitere Motive - neben denen, die Sie vorgetragen haben und die auch alle richtig sind -, die dazu geführt haben, daß sich Indien so verhält, wie es sich verhält. Indien trat damals als Sprecher vieler nicht gebundener Staaten auf. Diese teilen die Gefühle Indiens, daß die Politik der Nichtverbreitung der Atommächte ein Stück Heuchelei darstellt, solange sie selber die Perspektive für eine völlige atomare Abrüstung verweigern, bereits geschlossene Verträge nicht zur Ratifizierung bringen und ihre Nukleardoktrinen sogar ausbauen.
Ich teile Ihre Meinung, Herr Dr. Pflüger, daß eine bloße Politik der Sanktionen gegen Indien oder auch Pakistan nicht ausreicht, um das erschütterte internationale Nonproliferationsregime wieder zu stabilisieren. Sanktionen können sogar das Bestreben, durch atomare Waffen Weltmachtstärke zu erreichen, noch befördern.
Ich fordere uns deshalb auf, sehr, sehr sorgfältig über alle Maßnahmen nachzudenken, die wir als Reaktion unternehmen. Ich glaube, es ist ganz wichtig, daß umgehend ernsthafte internationale Versuche der Vermittlung in diesem regionalen Konflikt unternommen werden. Indien und Pakistan müssen gehindert werden - wenn wir es denn können -, die Raketen mit nuklearen Sprengköpfen zu bestücken. Dies wird sicher nicht mit Sanktionen zu erreichen sein, sondern nur durch schnelle hochrangige diplomatische Kontakte, wie sie übrigens Minister Kinkel vorgeschlagen hat. Diese sind dringend erforderlich.
Indien hat sich zum Beitritt zum Atomteststoppabkommen bereit erklärt. Es sind mittlerweile auch eiUta Zapf
nige andere Versprechungen über die Ticker gelaufen, und Pakistan muß ihnen sicher auch folgen. Gleichzeitig sollten aber alle Unterzeichnerstaaten dieses Abkommens ihre Ratifikationen beschleunigen und nicht verlangsamen, um damit ihre eigene Glaubwürdigkeit zu beweisen.
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Ebenso wäre es ein Signal der Stärkung des Nonproliferationsregimes, wenn START II möglichst schnell ratifiziert würde und dann START III und ein Übereinkommen zur Abrüstung taktischer Nuklearwaffen in Angriff genommen würde. Meine Damen und Herren, es wird kein Weg daran vorbeigehen, daß alle Nuklearstaaten ihre Bereitschaft zu umfassenden nuklearen Abrüstungsverhandlungen erklären, wie es in Art. VI des Nichtverbreitungsvertrages niedergelegt ist.
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Ich denke, daß gerade die Bundesrepublik als Nichtnuklearwaffenstaat, der aber die Privilegien des nuklearen Schutzes durch die NATO und die USA genießt, hier eine wichtige weltpolitische Rolle spielen könnte, und ich fordere uns auf, dazu beizutragen.
Meine Damen und Herren, die Sätze der Freude und der Zuversicht über einen guten abrüstungspolitischen Schritt, die wir im Geiste für diese heutige Debatte schon konzipiert hatten, bleiben heute ungesagt. Der Weltfrieden ist unsicherer geworden. Die Weltgemeinschaft muß verstärkte Anstrengungen unternehmen, um diesen Schaden zu begrenzen.
Ich füge hinzu: Ich denke, wir sind gemeinsam auf einem guten Weg der Meinungsbildung. Wenn ich die Rede von Dr. Pflüger richtig interpretiere, rät er nicht zu hastigen, dramatischen Schritten, sondern zum kritischen Dialog und zur Einbeziehung aller Konfliktpartner in dieser Region in einen Prozeß, der, so hoffen wir, in Abrüstung und Rüstungskontrolle münden kann, wie wir es uns immer gewünscht haben und wie wir es hier in Europa haben auf den Weg bringen können.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat die Kollegin Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Diese späte Stunde und vor allen Dingen der Anlaß sind kein Grund zur Demagogie, und es ist mir zum erstenmal wirklich leicht gefallen, bei Ihrer Rede, Herr Dr. Pflüger, mehrmals zu klatschen, weil ich glaube, daß dies genau der richtige Ton war und daß wir aufpassen müssen, nicht noch 01 ins Feuer zu kippen.
Der heutige Tag droht ein Wendepunkt zu sein in der Gesamtfrage der Nuklearrüstung und in einem neuen Nord-Süd-Konflikt in dieser Richtung. Wir verurteilen die Atomtests - Indiens, aber eben auch Pakistans - einstimmig. Das Gleichziehen Pakistans mit Indien ist - das möchte ich trotzdem sagen - in keiner Weise zu rechtfertigen. Nukleare Schlagfähigkeit, Atomwaffen schaffen keinen Schutz, keine Sicherheit, sie tragen zur Eskalierung und zum nuklearen Rüstungswettlauf bei.
Es liegt auf der Hand, daß die neue indische Regierung in dem Versuch, ihre Muskeln spielen zu lassen, sowohl - das ist durchaus noch hinzuzufügen - das Nichtverbreitungsregime als auch die globale und die regionale Sicherheit gefährdet. Pakistan hat alle internationalen Bemühungen ignoriert, um seine eigene Nuklearfähigkeit zu beweisen. Ein schrecklicher, politisch unverantwortlicher Beweis! Deswegen unterstützen wir die Forderungen an beide Länder, sofort den Nichtverbreitungsvertrag zu unterzeichnen und trotz einiger Mängel, die ich gleich noch benennen will, auch noch das Teststoppabkommen zu unterschreiben.
Diese Tests sind ein Affront gegen die Staatengemeinschaft, da stimmen wir alle überein. Ich möchte aber auch betonen: Sie sind vor allem auch ein Affront gegen die atomaren Habenichtse; denn es gibt eine Hierarchie zwischen Besitzern und - eifersüchtigen - Nichtbesitzern von Atomwaffen. Erstere versuchen, diese Hierarchie zu bewahren, um sich das Monopol des Besitzes und der Weiterentwicklung von Atomwaffen zu sichern. Dies ist für uns nicht zu akzeptieren.
Sowohl Indien als auch Pakistan greifen meines Erachtens in ganz erschreckender Art und Weise auf bekannte Argumentations- und Handlungsmuster zurück. Nur, wenn Frankreich und die USA auf diese Muster zurückgreifen, dann fehlt seitens der Bundesregierung die Kritik. Ich glaube, daß dies mit zu den Fehlern gehört.
Ich halte es für unverzichtbar, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß weder Indien noch Pakistan den nuklearen Rüstungswettlauf begonnen haben und daß es bei einer Debatte wie heute über die Unterzeichnung des Teststoppabkommens auch nicht primär um das Verhalten Indiens und Pakistans gehen kann. Vielmehr geht es um die Politik der Atomwaffenstaaten.
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- Ja, wir diskutieren hier. Das muß sein.
Ich glaube, daß es falsch ist, nach Beendigung des kalten Krieges noch immer an der Doktrin der nuklearen Abschreckung festzuhalten. Es ist fatal, daß die NATO immer noch auf dem nuklearen Ersteinsatz besteht. Das alles sind Herausforderungen, die eigentlich nur bedeuten können, daß andere, die sich zurückgesetzt fühlen, nachzuziehen versuchen. Deswegen gelingt es nicht, in eine wirkliche Abrüstungsspirale hineinzukommen. Vielmehr wird der Wunsch, sich gleichzustellen, immer größer.
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Sie haben mehrmals gesagt, wir könnten nicht viel tun. Genau das, glaube ich, ist falsch. Deswegen haAngelika Beer
ben wir unseren eigenen Antrag aufrechterhalten.
Wenn die Atomwaffenstaaten - Deutschland ist prädestiniert, diese dahin zu treiben, dahin zu drängen ({2})
den Artikel aus dem NPT ernst nehmen, nuklear abzurüsten - mit der Perspektive der Denuklearisierung Europas und weltweit -, dann wird es gelingen, den durch die Tests in Indien und Pakistan in Gang gekommenen Nuklearwettlauf zu stoppen. Dann werden wir zu einer weltweiten Abrüstung kommen.
Es kann nicht sein - das ist die Kritik an diesem Nuklearteststoppabkommen -, daß die Amerikaner sagen können: Wir haben die Technik, wir machen weiterhin simultane Tests. Nein, es muß dazu kommen, daß wir weiter verhandeln und versuchen, diese Weiterentwicklung der vierten Generation von Nuklearwaffen durch die Amerikaner zu unterbinden; denn das ist die Voraussetzung dazu, daß die Atomwaffen keine neue Legitimation bekommen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pflüger?
Ja, gerne.
Bitte.
Frau Kollegin, daß wir unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der amerikanischen, französischen und russischen Nuklearwaffen haben, ist bekannt. Daß wir alle die nukleare Abrüstung wollen, ist auch bekannt; ebenso, daß es ungerecht ist, daß es Unterschiede zwischen den Nuklearwaffenbesitzern und den -nichtbesitzern gibt. Aber würden Sie mir nicht zustimmen, daß diese Ungerechtigkeit nicht dadurch beseitigt wird, daß sich jetzt die anderen Mächte zusätzlich solche Waffen besorgen und ebenfalls in diesen Klub hineinbegeben? Bringt das irgend etwas? Ist es nicht doch ein bißchen falsch, zu sagen, an der jetzigen Situation hätten Indien und Pakistan keine Schuld, sondern die Atommächte? Ist das nicht etwas zu einfach?
Herr Kollege Pflüger, ich glaube, ich habe die Tests durch Indien und Pakistan deutlich genug verurteilt. Ich möchte aber vermeiden, daß man sich nur auf diesen Konflikt beschränkt, und möchte die Chance dazu nutzen, daß wir aufwachen, daß wir begreifen, daß wir an einem negativen Wendepunkt sind, daß man nicht mehr automatisch davon ausgehen kann, daß nach START II und START III - wir haben dazu neulich die Anhörungen im Auswärtigen Ausschuß gehabt - der Gedanke bis hin zu START IV weitergeht. Nicht nur jene Länder, die jetzt an der Schwelle stehen, sondern auch diejenigen, die offiziell Atomwaffen besitzen, müssen diesen Weg gehen.
Ich will einen weiteren Vergleich ziehen, weil wir darüber lange diskutiert haben. Ich glaube, daß es einen grundsätzlichen Fehler in dieser gesamten Abrüstungsdiplomatie gibt. Als Beispiel dazu nenne ich die Landminen. Wenn man sich darauf beschränkt, eigene Waffensysteme zu verschrotten, weil man sie selbst nicht mehr braucht, gleichzeitig aber die nächste Generation entwickelt, werden die Länder, die die Technologie nicht haben, immer wieder nachzuziehen versuchen und die qualitative Abrüstung nicht mitmachen, weil sie sich diskriminiert fühlen. Solange diese bornierte Haltung Europas und der Amerikaner bestehen bleibt, wird es den Schub für eine internationale Abrüstung nicht geben.
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Das ist unsere Kritik; da haben wir unterschiedliche Positionen. Diese Debatte müssen wir aber austragen.
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Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Es gibt viele Vorschläge von ehemaligen Generälen und von Nichtregierungsorganisationen. Ich nenne an dieser Stelle die Canberra-Kommission, die durch die australische Regierung initiiert wurde. Es gibt die Möglichkeit - die aufgezeigten Schritte wären ein „Stepby-step-approach" -, nicht nur kluge Reden zu halten, sondern die Initiative zu ergreifen.
Ich sage noch einmal, Kollege Pflüger: Deutschland muß als Staat, der keine Atomwaffen besitzt, der aber in den entsprechenden Kommissionen der NATO sitzt und daher Mitspracherechte hat, diesen Weg vorantreiben. Wenn wir den atomwaffenbesitzenden Staaten nicht zutrauen, ihr Monopol aufzugeben, dann liegt es gerade an uns, sie darauf hinzuweisen und entsprechendes einzuleiten, weil wir sonst eine neue Nord-Süd-Konfliktlinie der neuen Nuklearproliferation haben, die wir nicht mehr in den Griff bekommen. Ich glaube, wir sollten versuchen, diesen Konsens zu finden.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Olaf Feldmann, F.D.P.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist wahrlich kein Tag zum Feiern. Seit der ersten Lesung vor knapp einem Vierteljahr hat das Problem eines umfassenden Atomteststoppvertrages eine brisante Aktualität durch das, was Indien und was heute Pakistan getan haben, erhalten. Deutlicher konnte die Dringlichkeit eines Atomteststoppvertrages nicht demonstriert werden.
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Ein Teststopp sollte doch auch die Akzeptanz der Nichtverbreitungspolitik gegenüber den atomaren Schwellenländern und den Nichtkernwaffenländern
erhöhen. Bei Indien und bei Pakistan hat das leider nicht geklappt. Indien wird durch sein Vorpreschen nichts erreichen. Indien wird erkennen, daß die Atomtests seine Sicherheitslage nicht verbessern. Das hat schon die heutige Reaktion Pakistans gezeigt.
Wir alle werden uns sehr anstrengen müssen, um ein ruinöses nukleares Wettrüsten in dieser Region zu verhindern. Der Atomstatus Indiens wird die inneren Konflikte Indiens auch nicht lösen können. Vielmehr werden sinnlos die knappen finanziellen Mittel vergeudet, die beide Länder dringend bräuchten, um die Armut zu bekämpfen und um soziale Spannungen abzubauen.
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Die F.D.P. begrüßt die schnelle und konsequente Reaktion der Bundesregierung, Indien und Pakistan keine neuen Entwicklungsprojekte mehr zuzusagen. Ich halte das für richtig.
Herr Kollege Pflüger, Sie haben viel Verständnis für das Großmachtgefühl Indiens gezeigt. Ich hoffe, es war nicht zu viel. Der Status einer Großmacht hängt doch nicht von den Atomwaffen ab, wir sollten keine falschen Assoziationen fördern.
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Deutschland hat auf Kernwaffen definitiv verzichtet. Unser weltpolitisches Gewicht ist dadurch nicht gemindert worden.
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- Das ist richtig; das haben Sie auch richtig ausgeführt.
Die anerkannten A-Waffen-Mächte haben aber auch eine gewisse Verpflichtung und eine besondere Verantwortung den Nichtkernwaffenländern gegenüber. Denn die Staaten, die auf Kernwaffen verzichtet haben oder keine haben, müssen Sicherheit vor nuklearer Bedrohung haben. Frau Zapf, ich stimme dem Kollegen Pflüger zu, der gesagt hat, die Haltung Indiens und Pakistans habe die Forderung nach einer Beistandsgarantie aktualisiert. Diese Forderung wird jetzt sehr deutlich hervortreten. Das Beharren Indiens auf konkreten, zeitlich festgelegten Abrüstungsschritten der Nuklearmächte - ist durchaus nachvollziehbar. Dafür habe ich Verständnis, für mehr aber auch nicht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Dr. Feldmann?
Bitte sehr.
Herr Kollege, würden Sie mir recht geben, wenn ich darauf hinweise, daß wir im Zusammenhang mit dem Nonproliferationsvertrag auch die Frage der Sicherheitsgarantien ausführlich erörtert haben? Sie ist auch mit den UN ausführlich erörtert worden. Und würden Sie mir recht geben, wenn ich darauf hinweise, daß es bisher nur negative Sicherheitsgarantien gegeben hat, aber keine Schutzgarantien in dem Sinne, wie sie der Kollege Pflüger meines Erachtens angesprochen hat, und daß es eigentlich auch abenteuerlich wäre, solche Garantien auszusprechen, weil dies eine Verstrickung in Konflikte bedeuten könnte, die nicht mehr kontrollierbar sind?
Frau Kollegin, ich gebe Ihnen recht. Aber Ihre Ausführungen stehen nicht im Widerspruch zu dem, was ich gesagt habe. Ein umfassendes Teststoppabkommen muß mehr Sicherheit bringen, vor allem auch den Nichtkernwaffenstaaten. Deshalb müssen sich auch die anerkannten A-Mächte einer strikten und transparenten Kontrolle, und zwar dem Kontrollregime der IAEO, unterwerfen. Vielleicht können Sie dem zustimmen, Frau Kollegin Zapf.
Die große Mehrheit der Staaten ist kernwaffenfrei. Einen Sonderstatus für A-Waffen-Mächte sollte es nicht geben, und wenn, dann müßte er abgeschwächt werden. Unsere gemeinsame Forderung, auch die Produktion von spaltbarem Material für Kernwaffen schnellstmöglich generell zu verbieten, wird durch das, was in den letzten Tagen geschehen ist, noch viel wichtiger.
Ein Teststoppvertrag ist natürlich kein Ersatz für die nukleare Abrüstung. Aber er ist ein wichtiger Schritt zur Eindämmung der Proliferation. Die Politik Indiens und Pakistans macht den Teststoppvertrag, der ja Anlaß der heutigen Beratung im Plenum war, dringlicher denn je.
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Das Wort hat der Kollege Graf von Einsiedel, PDS.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die PDS stimmt den beiden zur Debatte stehenden Gesetzentwürfen zu. Wir sind schon immer für die Beendigung aller Atomtests eingetreten. Es ist gut, daß der im letzten Jahr zustande gekommene Vertrag heute in diesem Hause ratifiziert wird. Denn er ist wenigstens ein Schritt in die richtige Richtung. Aber die Vorgänge auf dem indischen Subkontinent haben gezeigt, daß die bisherige Nichtverbreitungspolitik der Atomwaffenstaaten gescheitert ist. Das ist ja auch kein Wunder, denn die Atomwaffenstaaten nehmen diesen Vertrag selbst nicht ernst.
Es ist ja kein Geheimnis: Der Teststoppvertrag ist nur zustande gekommen, weil die führenden Atommächte inzwischen dank entwickelter Simulationstechniken weitgehend auf Tests verzichten können. Dennoch geht die Forschung zur Modernisierung dieser Massenvernichtungswaffen munter weiter. Allein in den Waffenlabors der USA arbeiten 25 000 Experten daran. Die USA haben in den letzten zwei Jahren zwei sogenannte subkritische Tests durchgeführt, und in diesem Jahr sind vier weitere geplant. Das heißt, sie arbeiten weiter an neuen Atomsprengköpfen.
Die neue US-Nukleardoktrin, die Präsident Clinton im vergangenen Dezember unterzeichnet hat, sieht sogar erstmalig die Androhung eines Atomschlages auch gegen die Nichtkernwaffenbesitzer vor.
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Um die sogenannten bösartigen Staaten abzuschrekken, sei eine große Bandbreite atomarer Vergeltungsoptionen erforderlich. So hat es ein Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates ausgeplaudert. Dies bedeutet nichts weniger als den Anfang einer neuen atomaren Eskalationsspirale.
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Können und sollen sich die atomaren Habenichtse unter diesen Umständen nicht diskriminiert fühlen? Kann man erwarten, daß die aufstrebenden Nationen, Subkontinente mit Hunderten von Millionen, ja Milliarden Einwohnern auf diese Machtattribute verzichten? Das ist doch reine Gesundbeterei. Die moralische Entrüstung der Kernwaffenbesitzer über diese Staaten ist doch nichts als pure Heuchelei. Notorische Säufer, die als Prediger gegen den Alkoholismus auftreten.
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Es gibt eben keine Halbheiten auf diesem Gebiet. Entweder legen die Atomwaffenstaaten endlich ein Konzept vor, wie und wann sie zu einer Abrüstung ihrer Atomwaffen unter wirksamer internationaler Kontrolle kommen wollen und welchen redlichen Beitrag sie dazu leisten wollen, oder die Habenichtse werden sich weiter darum bemühen, Mitglieder dieses Atomklubs zu werden. Da nützt das ganze Gesundbeten von Herrn Dr. Pflüger, Frau Zapf und allen anderen nichts.
Ursprünglich war Indien der Staat, der 1953 als erster ein umfassendes Teststoppabkommen forderte. Indien hat immer die Finger auf die Schwachstellen des bestehenden Nichtverbreitungssystems gelegt. Es hat bei den Debatten um die Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrages auf die Diskriminierung der nuklearen Habenichtse hingewiesen und die Einlösung der umfassenden Abrüstungsversprechen der Atomstaaten gefordert. Seine Forderungen sind überhört worden. Was jetzt passiert, ist nichts anderes als die voraussehbare Konsequenz aus diesem Verhalten des Atomklubs.
Ich möchte nicht mißverstanden werden: Selbstverständlich sind wir gegen alle Atomtests, unter welchem Vorwand und von welchem Staat sie auch unternommen werden. Wir wissen ebenso, daß es nicht in der Macht der Bundesrepublik liegt, die Atomwaffenstaaten zur Einhaltung ihrer Abrüstungsversprechen zu bringen. Aber wir fordern von jeder Bundesregierung - der jetzigen und der neuen nach dem 27. September 1998 -, daß sie im Bündnis mit allen Staaten, die nicht zum Atomklub gehören, ihren gesamten Einfluß geltend macht, um endlich eine weltweite, redliche atomare Abrüstung voranzutreiben.
Die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Europa und der Abzug aller Kernwaffen aus unserem Land, das sind kleine, aber sehr wichtige Schritte, für die sich die Bundesrepublik durchaus mit Erfolg einsetzen könnte.
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Das Wort hat der Staatsminister Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die indischen Nukleartests vom 11. und 13. Mai dieses Jahres und die pakistanischen Tests von heute in Übereinstimmung mit unseren Verbündeten und Partnern sowie der internationalen Gemeinschaft scharf verurteilt. Die Tests gefährden das überragende Ziel nuklearer Nichtverbreitung und Abrüstung und tragen zu einer gefährlichen Eskalation der Spannungen zwischen Indien und Pakistan, aber auch der Spannungen in Südasien bei.
Wir sollten uns trotz aller Motive, die hier angeführt worden sind, klarwerden, daß zwischen Indien und Pakistan bereits drei Kriege stattgefunden haben und 1990 beinahe ein vierter stattgefunden hätte. Daher glaube ich, daß man mit manchen Relativierungen vorsichtig sein muß. Denn dies ist eine der letzten Gegenden der Welt - so kann man fast sagen -, in denen der Krieg zwischen Staaten noch droht, während sich sonst fast überall die Konflikte mehr in das Innere von Staaten verlegt haben. Aber hier schlummern auf Grund des Kaschmirkonfliktes und des tiefen Gegensatzes, hervorgerufen durch die Gründung Pakistans - Sie erinnern sich an die damaligen Auseinandersetzungen im Rahmen der Unabhängigkeit der beiden Staaten -, große Gefahren.
Diese Entwicklung gefährdet auch die erfolgversprechende wirtschaftliche Entwicklung der ganzen Region. Es war nicht umsonst, daß gerade einige Nachbarstaaten, zum Beispiel Japan, aufs schärfste protestiert haben. Wir hatten gehofft, daß die dringenden Appelle an Pakistan, nicht einfach nachzuziehen, ihren Eindruck nicht verfehlt hätten. Der amerikanische Präsident hat vorhin noch einmal ausdrücklich gesagt, er habe bis tief in die Nacht in direkten Gesprächen mit dem pakistanischen Ministerpräsidenten versucht, zu verhindern, daß Pakistan nachziehe. Das ist ihm nicht gelungen. Wir haben auch im Auswärtigen Ausschuß noch über bestimmte Möglichkeiten nachgedacht, die Pakistan gehabt hätte - gerade wenn es diese Tests nicht durchgeführt hätte - , sich international in eine sehr positive Situation zu bringen. Dies hat Pakistan versäumt.
Man muß jedenfalls ganz klar sagen: Keiner der beiden Staaten darf auf Verständnis hoffen, sondern muß mit weiteren Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft rechnen. Amerika hat inzwischen Wirtschaftssanktionen gegen Pakistan verhängt, nachdem dies bereits gegen Indien der Fall war. Wir, die Europäische Union, werden das nicht tun. Aber die Tests werden, wie Sie wissen, Konsequenzen haben. Die vorgesehenen Gespräche in Pakistan im
Helmut Schafer
Juni dieses Jahres, also die entwicklungspolitischen Konsultationen, sind unsererseits abgesagt worden, nachdem bereits die in Bonn vorgesehenen entwicklungspolitischen Konsultationen vorher abgesagt worden waren.
Die heutige, als Reaktion auf die indischen Tests vorgezogene abschließende Lesung der Gesetzentwürfe zum umfassenden Testverbotsvertrag im Deutschen Bundestag setzt trotz dieser unerfreulichen Entwicklung ein wichtiges Zeichen. Die Bundesregierung wird alles dafür tun, daß der Testverbotsvertrag möglichst rasch in Kraft tritt und weltweite Geltung erhält. Die Tatsache, daß ihn 149 Staaten gezeichnet haben, dokumentiert den klaren Willen der überwältigenden Mehrheit der Staatengemeinschaft, Nukleartests endgültig abzuschaffen. Wir verbinden die Ratifikation des Vertrages durch Deutschland mit dem Appell an alle Zeichnerstaaten, den Vertrag möglichst bald ebenfalls zu ratifizieren.
Eine besondere Verantwortung kommt dabei den Kernwaffenstaaten zu. Das ist hier unstrittig, Graf Einsiedel. Es ist nicht so, als würden wir uns hier unterscheiden.
Die frühe Ratifikation durch Frankreich - Herr Pflüger hat darauf verwiesen - und Großbritannien am 6. April dieses Jahres verdient besondere Anerkennung. Die Vereinigten Staaten, Rußland und China sollten nun rasch folgen, damit der Zugzwang des Ratifikationsprozesses erhalten bleibt und der Atomtestverbotsvertrag bald in Kraft treten kann.
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Die Staatengemeinschaft muß gerade nach den indischen und den pakistanischen Nukleartests erkennen, daß wir an einer sehr kritischen Weggabelung angekommen sind: Entweder es gelingt mit einer großen konzertierten Anstrengung, den Teststopp durchzusetzen, die Glaubwürdigkeit der Nichtweiterverbreitung wiederherzustellen und mit der nuklearen Abrüstung weiter voranzukommen, oder wir müssen uns auf eine völlig neue, außerordentlich gefährliche Situation einstellen, die Sie in Ihren Vorreden schon beschrieben haben. Das wollen wir auf keinen Fall.
Wir fordern Indien und Pakistan nachdrücklich auf, verbindlich zu erklären, daß nunmehr keine weiteren Nukleartests erfolgen und daß beide Staaten so rasch wie möglich und ohne weitere Bedingungen dem Atomtestverbotsvertrag beitreten;
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denn beide Staaten müssen erkennen - das war auch der Appell aller Fraktionen des Deutschen Bundestages -, daß sie jetzt diesen Schritt ihren wohlverstandenen eigenen Interessen und denen der Völkergemeinschaft insgesamt schulden, um die drohenden Gefahren einer Verbreitung von Nuklearwaffen und möglicherweise anderer Massenvernichtungswaffen eindämmen zu helfen.
Der Nichtverbreitungsvertrag mit seinen 186 Vertragsstaaten und der Atomtestverbotsvertrag mit seinen 149 Zeichnerstaaten bleiben die zentralen Pfeiler der nuklearen Nichtverbreitung. Die Staatengemeinschaft muß deutlich machen, daß es ihr Ernst ist mit dem Wunsch, daß sich Indien und Pakistan in dieses System integrieren. Nur durch immer weniger und nicht durch immer mehr Kernwaffen kann die Welt sicherer gemacht werden. Beiden Staaten muß verdeutlicht werden, daß nukleare Ambitionen letztlich weniger Sicherheit bringen, einen Rüstungswettlauf in der Region provozieren, bestehende Spannungen verschärfen und die Chancen einer friedlichen Zukunft Südasiens beeinträchtigen.
In der Genfer Abrüstungskonferenz darf die Aufnahme von Verhandlungen über die Beendigung der Produktion von Kernsprengstoff für militärische Zwecke, den sogenannten Cut-off-Verhandlungen, nicht länger blockiert werden.
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Indien und Pakistan sollten sich aktiv für den Beginn der Verhandlungen einsetzen. Die Produktion des wichtigsten Rohstoffs für Nuklearwaffen würde ein Cut-off-Vertrag zumindest für die Zukunft unterbinden. Dies ist der logische nächste Schritt auf dem Weg zu mehr Nuklearabrüstung.
Auch der START-Prozeß - das ist schon gesagt worden - muß jetzt ohne weitere Verzögerung und entschlossen fortgesetzt werden. Wir waren froh, daß Herr Primakov heute gemeinsam mit den anderen Staaten, mit der NATO und der Europäischen Union, die beiden Tests in Indien und in Pakistan verurteilt hat. Insofern appellieren wir auch an die russische Duma, den START-II-Vertrag endlich zu ratifizieren.
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Das russische Parlament muß erkennen, welch große Verantwortung auf ihm liegt, damit unmittelbar nach der START-II-Ratifikation die Verhandlungen über einen in Umrissen schon erkennbaren START-III-Vertrag aufgenommen werden können. Auch ein START-III-Vertrag kann nicht das letzte Wort der nuklearen Abrüstung bleiben.
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Die übrigen Nuklearmächte sind in gleicher Weise an das Ziel der in Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrages enthaltenen und bei der 1995er Revisionskonferenz bekräftigten Verpflichtung der Kernwaffenstaaten zur vollständigen nuklearen Abrüstung gebunden.
Auch wenn die Welt auf dem Weg zu diesem Ziel einen Rückschlag erlitten hat, bleibt es richtig - ja, es wird noch viel dringender -: Wir dürfen - nach dem Ende des kalten Krieges - in dem Bemühen nicht nachlassen, eine Welt ohne Nuklearwaffen zu schaffen.
Vielen Dank.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen. Es handelt sich um die Drucksachen 13/10075 und 13/10402. Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/10694, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den gemeinsamen Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. auf Drucksache 13/10872. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? ({0})
Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Nichtbeteiligung der Gruppe der PDS angenommen.
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- Ich korrigiere mich: Auch jemand aus der Gruppe der PDS hat dem Antrag zugestimmt.
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- Ich habe nur eine Hand gesehen. Es tut mir furchtbar leid. Gilt das für alle?
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- Gut. Wenn das die Regel ist, werden wir uns in Zukunft daran halten.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 10869. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag?
- Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS abgelehnt worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ausführungsgesetzes zu dem Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen. Es handelt sich um die Drucksachen 13/10076, 13/10345 und 13/ 10695. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Abstimmungsverhältnis wie zuvor angenommen worden.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.
Forderungen an das neue Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation ({4}) zur Bekämpfung der Kinderarbeit
- Drucksache 13/10844 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Aber alle Redner möchten ihre Beiträge zu Protokoll geben. Es handelt sich dabei um die Kolleginnen und Kollegen Pretzlaff, Fograscher, Dr. Köster-Loßack, Hildebrecht Braun ({5}), Rosel Neuhäuser und Herrn Bundesminister Dr. Blüm.') Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der F.D.P. zu Forderungen an das neue Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation zur Bekämpfung der Kinderarbeit, Drucksache 13/10844. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Elisabeth Altmann ({6}), Volker Beck ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Lebenssituation behinderter Mädchen und Frauen
- Drucksachen 13/7987, 13/9508 Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Für die Aussprache ist nach interfraktioneller Vereinbarung eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort unserer Kollegin Annegret Kramp-Karrenbauer, die für den Kollegen Töpfer nachgerückt ist. Es ist ihre erste Rede. Frau Kollegin, Sie haben das Wort.
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*) Anlage 8
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielen Dank für Ihre Geduld, die es mir ermöglicht, heute abend hier noch zu reden.
In der Bundesrepublik Deutschland leben nach aktuellen Angaben zirka 4 Millionen Frauen und Mädchen mit körperlichen, seelischen und geistigen Behinderungen. Richtig ist: Diese Mädchen und Frauen haben es doppelt schwer. Sie erleben und erleiden Benachteiligungen und stehen vor Problemen - als Frauen und als Behinderte. Tatsachen belegen dies: Ein Drittel der behinderten Männer ist erwerbstätig; bei den Frauen ist es nur ein Sechstel. Das Nettoeinkommen ist bei behinderten Frauen deutlich niedriger als bei behinderten Männern. Schätzung en zufolge sind behinderte Frauen viermal so häufig Opfer sexueller Gewalt wie nichtbehinderte.
Diese Fakten hat die Bundesregierung sowohl in der Beantwortung der Großen Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen als auch im Vierten Bericht über die Lage der Behinderten und die Entwicklung der Rehabilitation genannt. Deshalb ist es richtig, daß wir heute auf der Grundlage dieser Fakten die Debatte führen.
Nicht richtig ist jedoch vieles von dem, was Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Entschließungsantrag sowohl im Bereich der Feststellungen als auch im Bereich der Forderungen formuliert haben. Wenn die Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen schreiben, behinderte Frauen schienen praktisch nicht zu existieren, seien weithin unsichtbar und keine Zielgruppe der Frauenpolitik, dann haben Sie vieles von dem, was sich in den letzten 15 Jahren entwickelt hat, einfach nicht zur Kenntnis genommen.
Seit Anfang der 80er Jahre sind vielfältige Initiativen und Selbsthilfeprojekte gegründet worden, in deren Rahmen behinderte Frauen Unterstützung und Beratung für andere Frauen mit Behinderungen anbieten. Dies dokumentiert ein zu Recht gestiegenes Selbstbewußtsein und die Entwicklung vom therapierten Objekt hin zum handelnden Subjekt. Gerade diese Aktivitäten haben positive Rückwirkungen auf die Politik gehabt und vielfältige unterstützende Maßnahmen der Bundesregierung ausgelöst.
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Die vom Bündnis 90/Die Grünen angesprochene mangelnde Datenlage, der bestehende Forschungsbedarf und die Notwendigkeit der Förderung von Projekten ist erkannt, und es wird gehandelt. Ich darf hier an die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1995 erstellte Expertise über ebenjene Forschungslage und jenen Forschungsbedarf erinnern. Auf Grundlage dieser Expertise wurde 1996 eine umfassende Studie über die Defiziterfahrungen behinderter Frauen in den verschiedenen Lebenssituationen und den sich daraus ableitenden frauenpolitischen Handlungsbedarf initiiert. Die Ergebnisse werden Ende diesen Jahres vorliegen.
Seit Oktober 1996 finanziert das Bundesfrauenministerium ein dreijähriges Vorhaben mit dem Ziel, schon bestehende Beratungsstellen nach dem Prinzip „Beratung Betroffener durch Betroffene" zugunsten von Frauen mit Behinderungen zu verbessern. 1996 hat das Ministerium die erste europäische Konferenz von Frauen mit Behinderung gefördert, um den auf nationaler Ebene begonnenen Dialog auch auf europäischer Ebene fortzuführen.
Auch bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit behinderter Frauen ist einiges getan worden: In nahezu allen Berufsförderungswerken und vielen Berufsbildungswerken werden inzwischen Frauen mit Kindern aufgenommen. Diese Entwicklung ist in den vergangenen Jahren ganz besonders finanziell gefördert worden. Darüber hinaus gibt es erste Fortschritte, um in Zusammenarbeit mit Betrieben und Trägern wohnortnahe Maßnahmen außerhalb von Einrichtungen anzubieten.
Ich nenne hier des weiteren die gesetzliche Neuregelung im Arbeitsförderungsgesetz, wonach Maßnahmen der Arbeitsförderung auf die Beseitigung bestehender Nachteile von Frauen am Arbeitsmarkt zielen müssen. Auch dies wirkt sich positiv auf Frauen mit Behinderungen aus.
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Um behinderten Frauen neben der Ausübung von Familienpflichten die Teilnahme an erforderlichen beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen zu ermöglichen, werden von der Bundesanstalt für Arbeit unter anderem Kosten für die Kinderbetreuung übernommen. Ebenso wird ein Übergangsgeld bei der Teilnahme von Behinderten an beruflichen Teilzeitmaßnahmen geleistet. In Arbeitsämtern gibt es speziell geschulte Vermittler und Vermittlerinnen für die besondere Betreuung von schwerbehinderten Männern und Frauen.
Die Darlegungen der Bundesregierung in der Antwort zur Großen Anfrage zeigen darüber hinaus eindeutig, daß die arbeitsrechtlichen Vorschriften und Grundsätze insbesondere über Arbeitszeit, Urlaub, Mutterschutz und Erziehungsurlaub auf die von anerkannten Werkstätten beschäftigten Männer und Frauen anwendbar und auch anzuwenden sind. Dies gilt auch, soweit ein gesetzlicher Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung zur Wahrnehmung von Erziehungspflichten besteht.
Gehandelt wurde auch im Bereich des Strafrechts. Auch wenn die Grünen es nicht wahrhaben wollen: Die Behauptung, die sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung behinderter Menschen sei mit einer geringeren Strafe bedroht als Übergriffe gegen nichtbehinderte Menschen, ist Schlichtweg falsch. Die Neufassung des § 177 StGB und die Einführung des neuen § 174 StGB belegen dies.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die eben genannten Beispiele beweisen, daß sich in den vergangenen Jahren etwas bewegt hat und daß der Wille, die Situation von behinderten Mädchen und Frauen zu verbessern, bei allen Beteiligten vorhanden ist.
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Sie machen aber auch deutlich, daß es weiterer Anstrengungen in diesem Bereich bedarf.
Hierzu gibt es im Entschließungsantrag der Grünen durchaus Punkte, über die man ernsthaft diskutieren kann.
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Ich nenne die unterhaltsrechtliche Behandlung des Pflegegeldes durch die Rechtsprechung. Insbesondere in den Fällen, in denen eine Mutter ein behindertes Kind pflegt, sollte durch eine gesetzliche Regelung sichergestellt werden, daß das für diese Pflegeleistung an sie weitergeleitete Pflegegeld eben nicht bedarfsmindernd auf den Unterhaltsanspruch gegen den Vater des Kindes angerechnet wird.
Ich nenne weiter die Notwendigkeit, Unterstützungsangebote speziell für geistig behinderte Eltern zu entwickeln.
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Wir müssen jedoch zuerst möglichst genau die jeweilige Lebenssituation, die Fähigkeiten und die Bedürfnisse der Hauptbetroffenen kennen, bevor wir dort handeln können.
Ich nenne auch die gleichgeschlechtliche Pflege und Assistenz, die im Sinne der behinderten Frauen sicher und eindeutig gelöst werden muß.
1994 wurde Art. 3 des Grundgesetzes um den Satz ergänzt:
Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Das heißt nicht, das es möglich ist, alle Benachteiligungen aus der Welt zu schaffen, wenn man nur genügend Gesetze und Verordnungen schafft.
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Genau diesem Irrglauben aber scheinen Bündnis 90/ Die Grünen in ihrem Entschließungsantrag erlegen zu sein.
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Deshalb sind aus unserer Sicht die im Antrag enthaltenen Feststellungen und Forderungen trotz einiger diskussionswürdiger Punkte nicht die geeignete Grundlage, um zur Verbesserung der Situation behinderter Mädchen und Frauen einen realistischen Beitrag zu leisten. Daher lehnen wir diesen Antrag ab.
Vielen Dank.
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Ich beglückwünsche Sie, sehr verehrte Frau Kollegin, zu dieser ersten Rede im Deutschen Bundestag.
Die weiter vorgesehenen Debattenredner geben ihre Beiträge zu Protokoll. Es handelt sich um Antje-Marie Steen, Irmingard Schewe-Gerigk, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Petra Bläss und den Parlamentarischen Staatssekretär Rudolf Kraus.*)
Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10818. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt.
Damit, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 29. Mai 1998, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.