Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/29/1998

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: erstens den Berufsbildungsbericht 1998, zweitens die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Lage der Städte, Gemeinden und Kreise und drittens den Medienbericht 1998. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Dr. Jürgen Rüttgers. Herr Minister, bitte schön.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich will mich auf einige wenige Bemerkungen beschränken, weil wir dieses Thema in den letzten Wochen hier bereits mehrfach im Rahmen der Regierungsbefragung und in anderen Debatten behandelt haben. Das Bundeskabinett hat heute den Berufsbildungsbericht 1998 beschlossen. Er wird in den nächsten Wochen und Monaten im Fachausschuß und hier im Plenum intensiv zu diskutieren sein. Natürlich steht - wie nicht anders zu erwarten - sicherlich in der heutigen Regierungsbefragung wie auch im Bericht die Frage der Versorgung mit Lehrstellen im Mittelpunkt. Die Zahlen sind Ihnen beka.nnt. In der vergangenen Woche habe ich im Zusammenhang mit dem nationalen Aktionsplan dazu vorgetragen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß jeder, der kann und will, auch in diesem Jahr eine Lehrstelle bekommen wird und daß der Ausgleich in diesem Jahr gesichert ist. Zweiter Punkt. Der Berufsbildungsbericht beschäftigt sich mit der Frage der weiteren Entwicklung des dualen Bildungssystems. Wir wissen ja, daß bis zum Jahre 2005 die Nachfrage nach Lehrstellen auf über 700 000 steigen wird. Das heißt, wir werden 65 000 Lehrstellen mehr benötigen als 1997. Das ist nicht nur ein Quantitätsproblem. Vielmehr hat die Quantität auch viel mit den im Berufsbildungsbericht aufgezeigten Strukturfragen zu tun. Einer der Kernpunkte der Diskussion war, daß sich 50 Prozent eines jeden Jahrgangs bei der Suche nach Lehrstellen auf nur 15 Berufe konzentrieren. Dies führt natürlich im Zusammenhang mit den Veränderungen, die wir in der betrieblichen Arbeitswelt haben, zu Fehlsteuerungen. Es ist, glaube ich, ganz wichtig, daß wir dafür Sorge tragen, daß nicht nur durch Information, sondern auch durch strukturelle Veränderungen im Berufsbildungssystem die Palette verbreitert wird. - Das wird, werte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen - davon gehe ich aus -, einer der Hauptdiskussionspunkte der nächsten Monate sein. Es wäre absolut unverantwortlich, wenn ich jetzt versuchen würde, in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung steht, das mit einigen Schlagworten abzuhandeln. Ich bitte um Verständnis, daß ich jetzt lieber auf Ihre Fragen antworten möchte.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Die erste Frage, bitte, Frau Abgeordnete Odendahl, SPD-Fraktion.

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bevor ich meine Frage an den amtierenden Bundesbildungs- und -forschungsminister richte, möchte ich im Namen der SPD-Fraktion ausdrücklich allen danken, die am Zustandekommen des leichten Zuwachses an Vertragsabschlüssen im vergangenen Jahr mitgewirkt haben. Allerdings kann man von einer Trendwende kaum sprechen, wenn man die Ausbildungsplätze abzieht, die durch staatliche Vollfinanzierungen oder namhafte Subventionen zustande gekommen sind. Nun zu meiner Frage: Kann die Bundesregierung bestätigen, daß das betriebliche Ausbildungsplatzangebot seit 1991 um über ein Viertel zurückgegangen ist, während gleichzeitig die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber noch stärker gestiegen ist, daß sich also die sogenannte Schere zwischen Angebot und Nachfrage seit Jahren immer weiter öffnet, so daß sich die Chancen vor allem der benachteiligten Jugendlichen dramatisch verschlechtert haben?

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte schön, Herr Minister Rüttgers.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Frau Kollegin Odendahl, es ist richtig und seit Jahren bekannt - frühere Berufsbildungsberichte haben bereits darauf hingewiesen -, daß wir im Zusammenhang mit der Rezession der letzten Jahre nicht nur einen Abbau von Arbeitsplätzen, sondern leider parallel einen Abbau von Lehrstellen in erheblichem Umfang gehabt haben. 100 000 Lehrstellen sind weggefallen. Deshalb hat sich die Bundesregierung darum bemüht, genau hier zu einer Trendwende zu kommen, das heißt unabhängig von der Arbeitsmarktlage dafür Sorge zu tragen, daß die Anzahl der Lehrstellen steigt. Das ist im vergangenen Jahr erstmals gelungen. Wir haben zum ersten Mal seit 1984, wenn ich es richtig sehe, beim Angebot wieder einen Anstieg statt einen Rückgang. Ich gehe davon aus, daß dies auch in diesem Jahr fortgeführt werden kann.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Eine Zusatzfrage, bitte schön.

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kann die Bundesregierung Auskunft darüber geben, wo die rund 150 000 Jugendlichen geblieben sind, die sich im Berufsbildungsjahr 1996/97 bei den Arbeitsämtern um eine betriebliche Berufsausbildung im dualen System bemüht haben, aber nicht zu einem Berufseinstieg gekommen sind? Kann die Bundesregierung in diesem Zusammenhang ferner Auskunft darüber geben, wie viele der rund 260 000 Jugendlichen, die laut nationalem Aktionsplan für die Beschäftigung in der Europäischen Union jährlich in sogenannten Warteschleifen gehalten werden, nur deshalb in diese überwiegend einjährigen Berufsvorbereitungsmaßnahmen in Schulen oder außerschulischen Lehrgängen gekommen sind, weil sie angeblich nicht ausbildungsreif sind? Präzise gefragt, Herr Minister Rüttgers: Wie viele dieser Jugendlichen sind allein deshalb in den Warteschleifen gelandet und „gelagert" worden, weil ihnen kein betriebliches Ausbildungsplatzangebot gemacht werden kann?

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Minister, bitte.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Über die im Berufsbildungsbericht enthaltenen Zahlen hinaus kann die Bundesregierung dazu keine Angaben machen. In Deutschland gilt der Grundsatz der Berufsfreiheit. Das heißt, wir haben die Situation - darauf beruhen Ihre Zahlen ja -, daß sich junge Leute natürlich beim Arbeitsamt erkundigen, dort als Bewerber registriert werden und sich im Anschluß für einen anderen Weg entscheiden, sei es im schulischen Bereich, im Bereich von Hochschulen oder anderer Angebote. Richtig ist, wie Sie es ansprechen, daß wir durch die Entwicklungen im Berufsbildungsbereich in den letzten Jahren bei denjenigen besondere Schwierigkeiten haben, die, wie ich immer sage, eine besondere praktische Qualifikation haben. Ich benutze diese Formulierung, die sicherlich nicht ganz paßgenau ist, um im Interesse der jungen Leute zu dem Begriff der Benachteiligten noch eine Unterscheidung machen zu können. Ich bin fest davon überzeugt - das ist eine der Strukturfragen, Frau Kollegin Odendahl, mit der wir uns intensiver beschäftigen müssen -, daß wir von dem Weg der letzten 20, 25 Jahre wegkommen müssen, alles Wissen dieser Welt auch in die Berufsbildung einzubeziehen, wodurch die einzelnen Berufe immer theoretischer, komplizierter und auch - dies war gewollt; insofern hat das gar nichts mit politischer Auseinandersetzung zu tun - höherwertiger gemacht wurden. Damit haben wir gleichzeitig - parallel ist das übrigens auch bei den Tarifverträgen entsprechend nachgearbeitet worden - für einen großen Teil der jungen Leute den Einstieg in das berufliche Bildungssystem schwieriger gemacht. Letzter Punkt: Die Debatte über die Warteschleife ist nicht neu; wir führen sie seit einigen Jahren. Ich finde, sie bringt uns nicht weiter. Ich weiß, daß ich sie mit dieser Bemerkung nicht wegbekommen werde, weil natürlich diejenigen, die sich für einen anderen Weg entscheiden, sei es dauerhaft oder auch nur, um ein Jahr zu überbrücken, um eine bessere Chance zu bekommen, etwa im Bereich der Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit, kontinuierlich jedes Jahr aus den Maßnahmen herauskommen. Entgegen dem Eindruck, der erweckt wird, erhöht diese Zahl die jährliche Nachfrage nicht.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Wir kommen jetzt zur Frage des Abgeordneten Lensing, bitte schön.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine Frage, um Frau Odendahls Bemerkung aufzugreifen, nicht nur an den amtierenden, sondern auch an den im Amt bewährten Bundesbildungsminister. ({0}) Unsere Sorge galt in den vergangenen Jahren nicht zuletzt auch der Lehrstellensituation in den neuen Bundesländern. Mich interessiert zunächst einmal, Herr Minister, welche Schlußfolgerungen die Bundesregierung 1997 und auch 1998 aus der Differenz zwischen Angebot und Nachfrage gezogen hat. Auch nach Rücksprache mit den Ländern ist jetzt vorgesehen, gerade für die neuen Bundesländer zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen. Ich hätte von Ihnen gerne noch einmal eine Begründung dafür gehört und zudem gewußt, wie Sie die Bereitschaft der einzelnen Bundesländer einschätzen, zusätzlich entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Herr Kollege Lensing, seit 1990 stehen wir vor der großen Aufgabe, zuerst einmal ein funktionierendes duales System in den neuen Bundesländern aufzubauen. Die Aufgabe ist deshalb so groß, weil die DDR-Machthaber den Mittelstand systematisch zerstört haben. Insofern mußte erst die Basis für eine duale Ausbildung in den neuen Bundesländern geschaffen werden. Ich will ausdrücklich feststellen - das ist eine unglaublich positive Meldung -, daß sich das, was dort in den letzten Jahren geleistet wurde, wirklich sehen lassen kann. Die Anzahl der Lehrstellenangebote aus Betrieben haben wir seit 1992 um ein Drittel, von 75 000 auf 100 000, steigern können. Das reicht natürlich noch nicht aus. Dennoch ist der Trend weg von außerbetrieblichen Angeboten hin zur betrieblichen Ausbildung unübersehbar. Von seiten der Bundesregierung wurde immer die Auffassung vertreten, daß jedem, der kann und will, in Deutschland eine Lehrstelle angeboten werden soll. Angesichts der besonderen Situation in den neuen Ländern haben wir daher zusammen mit den Ländern eine Vielzahl von Sonderprogrammen eingerichtet und durchgeführt. Dies wollen und müssen wir auch im kommenden Lehrjahr machen. Deshalb bin ich froh, daß wir uns mit den neuen Bundesländern in der vergangenen Woche darüber einigen konnten, ein solches neues Bund-Länder-Programm aufzulegen, das 17 500 Plätze bietet. Das sind 2500 mehr als im vergangenen Jahr.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Danke schön. - Die nächste Frage hat der Abgeordnete Günter Rixe, SPD-Fraktion.

Günter Rixe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001861, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß Sie den Berufsbildungsbericht nach dem Desaster in Sachsen-Anhalt heute nicht durch das Kabinett hätten bringen sollen, sondern ihn hätten einstampfen lassen sollen, nachdem die jungen Leute uns, allen demokratischen Parteien, sehr deutlich gesagt haben, was sie eigentlich von uns halten? Sie hätten dann in einen neuen Berufsbildungsbericht die ehrlichen Zahlen aufnehmen können, anstatt die Situation mit dem Berufsbildungsbericht schönzureden, und endlich einmal klarmachen müssen, wie schwierig die Situation in den fünf neuen Ländern ist.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Herr Kollege Rixe, ich konnte mich schon allein deshalb nicht dazu durchringen, dieses wichtige Werk mit einer Vielzahl von Informationen nicht dem Kabinett und im Anschluß daran dem Bundestag vorzulegen, weil ich die Hoffnung nicht aufgegeben habe, daß Sie irgendwann einmal die Realitäten in diesem Land zur Kenntnis nehmen, anstatt zu polemisieren. ({0}) Zum zweiten möchte ich anmerken, daß ich das, was Sie hier gerade gesagt haben, mit Verlaub - Sie wissen, daß ich Sie sehr schätze - schlichtweg für abenteuerlich halte. Einen Bezug zwischen dem Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt und dem bedauerlichen Einzug von Rechtsradikalen in diesen Landtag sowie der Lehrstellensituation herzustellen ist nicht nur in der Sache unbegründet, sondern politisch - entschuldigen Sie bitte - töricht. Vor dem Hintergrund der Tatsache, daß gerade in Sachsen-Anhalt im vergangenen Jahr 23 787 Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden, nämlich 3662 gleich 18,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor, ({1}) und daß dieses relativ gesehen der höchste Zuwachs in allen Bundesländern war, verbietet sich das, was Sie hier gesagt haben, nicht nur vor dem Hintergrund der Fakten, sondern auch aus politischer Klugheit.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bevor ich Ihnen das Wort zu einer Zusatzfrage erteile, darf ich noch einmal daran erinnern, daß unsere Geschäftsordnung vorsieht, daß die Fragen keine Wertungen enthalten sollen. ({0})

Günter Rixe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001861, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, es ist richtig, daß die Zahl der Lehrstellen in Sachsen-Anhalt gegenüber dem letzten Jahr zugenommen hat; das wissen wir natürlich alles. Wir wissen aber auch, daß es weiterhin große Probleme gibt. Sind Sie denn angesichts dieser großen Probleme mit mir der Meinung, daß es notwendig ist, um nicht wieder so etwas geschehen zu lassen, wie es am Sonntag passiert ist, daß die Wirtschaft ihre Verantwortung für die Finanzierung der beruflichen Bildung endlich in einem Rahmen übernimmt, mit dem dieses Problem gelöst werden kann? Falls die Wirtschaft die Kosten hierfür nicht übernimmt, sind Sie dann bereit, die Milliarden auf den Tisch zu legen, die notwendig sind, damit wirklich jeder Jugendliche in der Bundesrepublik einen Ausbildungsplatz bekommt? ({0})

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Erstens. Es tut mir leid. Auch das ist jetzt wieder der Versuch, das, was wir seit Jahren miteinander diskutieren, in einem Satz zusammenzufassen. Herr Kollege Rixe, das wird dadurch nicht besser. Die Ausbildungsplatzabgabe ist ein bürokratisches Monstrum. Sie vernichtet Ausbildungsplätze und schafft keine neuen. ({0}) Deshalb hat es überhaupt keinen Zweck und wäre ein Anschlag auf die junge Generation, so etwas zu beschließen. Zweitens. Wir haben es gerade in den letzten Jahren geschafft, daß die Zahl der Lehrstellen wieder steigt. Wir werden das in diesem Jahr fortsetzen. Wir führen im Bereich der dualen Ausbildung ein großes Reformpaket durch. Ich bin froh, daß es uns gelingt, jungen Leuten in Deutschland eine Perspektive zu geben. ({1})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Die nächste Frage stellt die Abgeordnete Maritta Böttcher, PDS.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister, ich möchte Sie auch angesichts der zuletzt gegebenen Replik fragen, wie denn Ihrer Meinung nach die betrieblichen Ausbildungskapazitäten bedarfsgerecht erhöht werden können und damit der Rückgang der Zahl der ausbildenden Unternehmen gestoppt werden kann? Denn dazu ist bisher noch nichts gesagt worden.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Aber auch das ist Ihnen bekannt; es steht im Berufsbildungsbericht. Dazu haben wir eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen. Ich habe Ihnen gerade für die neuen Bundesländer eine Zahl genannt. Seit 1992 haben wir die Anzahl der betrieblichen Ausbildungsplätze in den neuen Bundesländern um ein Drittel gesteigert. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die exzellenten Leistungen der Ausbildungsplatzentwickler hinweisen, die vor allem in den neuen Bundesländern im Einsatz waren bzw. sind. 160 Ausbildungsplatzentwickler haben seit Mitte 1995 mehr als 40 000 betriebliche Lehrstellen akquiriert. Deshalb haben wir dieses Programm auch bis Ende 2001 verlängert.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Eine Nachfrage, bitte schön.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich möchte unmittelbar dazu noch eine Zusatzfrage stellen. Sie wissen - diese Zahl steht sicherlich auch in dem Bericht -, daß 79 Prozent der Ausbildungsstellen im Osten aus Steuergeldern subventioniert werden. Ich frage Sie deshalb: Wie soll denn, wenn Sie die drei Gesetzentwürfe der Oppositionsparteien, die im Bundestag vorliegen, rundheraus ablehnen, ohne sie geprüft zu haben, dann die Subventionierung durch Steuergelder abgeschafft werden, und durch was soll sie ersetzt werden?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Erstens ist es nicht wahr, daß wir das nicht geprüft haben. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir über dieses Thema bereits mehrfach in diesem Hause diskutiert haben, daß ich dazu umfassend Stellung genommen habe und daß auch im Berufsbildungsbericht und in allen Vorgängerberichten ausgiebig dazu Stellung genommen worden ist. Informationen, Frau Kollegin, muß man auch zur Kenntnis nehmen, wenn man in der Sache diskutieren will. Zweitens. Wir haben inzwischen die Situation, daß die außerbetrieblichen Ausbildungsplätze im BundLänder-Sonderprogramm und bei der Benachteiligtenförderung - Stand 1997 - nur noch rund 10 Prozent der neuen Ausbildungsverträge in den neuen Bundesländern ausmachen. Alle anderen Bezuschussungen, die nicht nur von seiten des Bundes - Stichwort: Benachteiligtenprogramm -, sondern auch von seiten der Länder geleistet werden, beziehen sich auf betriebliche Ausbildungsplätze. Von daher ist genau das, was ich hier vor zwei Jahren angekündigt habe, inzwischen umgesetzt worden. Wir haben das „Umswitchen", das Umsteuern, in Richtung betriebliche Ausbildungsplätze in den neuen Ländern nicht nur eingeleitet, sondern auch mit großem Erfolg durchgeführt. Das ist genau das, was wir am Schluß erreichen wollten.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Dr. Jork, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. - Ing. Rainer Jork (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, die staatliche Förderung betrifft vor allem außerbetriebliche Ausbildungsplätze. Wir haben eben gehört, daß ihr Anteil bei etwa 70 Prozent liegt. Daraus wird nun von verschiedenen Kollegen aus diesem Haus konstruiert, die Berufsausbildung sei bereits weitgehend verstaatlicht, und es wird gesagt: Wenn das so ist, dann können wir auch dem Vorwurf entgegentreten, daß die Umlage eine Verstaatlichung ist. Sehen Sie für die Lehrstellenbewerbungen einen sinnvollen Zusammenhang zwischen dem jährlichen Hilfsprogramm der Bundesregierung und dieser Zwangsumlage? ({0})

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Erstens. Herr Kollege Jork, ich würde denjenigen, die so etwas behaupten, erst einmal die Fakten entgegenhalten, nämlich daß in den neuen Bundesländern nur noch 10 Prozent der Ausbildungsplätze außerbetriebliche Ausbildungsplätze sind, die gefördert werden. Alles andere geschieht bereits im betrieblichen Bereich. Insofern stimmt die Faktenlage derjenigen, die von Verstaatlichung reden, überhaupt nicht mehr. Zweitens - da sollen sich diejenigen, die so diskutieren, bitte hier hinstellen und das verantworten -: Wir haben in den neuen Bundesländern noch zuwenig Betriebe, die überhaupt ausbilden können. Da versuchen wir, und zwar mit großem Erfolg, mit Existenzgründungen und ähnlichem weiterzukommen. Solange in den neuen Ländern nicht genügend Ausbildungsbetriebe existieren, sollten wir den jungen Leuten helfen. Insofern habe ich keine Probleme, dann auch solche Sonderprogramme aufzulegen. In diesem Zusammenhang kann ich vielleicht dazu auch noch sagen - wir haben bereits beim letztenmal darüber diskutiert -, daß sich alle Befürchtungen, die bereits am Anfang des Jahres geäußert wurden, inzwischen als falsch erwiesen haben. Trotz der Tatsache, daß wir es 1997 zum erstenmal Anfang des Jahres bekanntgegeben haben, ist die Anzahl der betrieblichen Stellen weiter gestiegen, wenn man einmal von dem rein konjunkturell bedingten Einbruch im Baugewerbe absieht.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Vielen Dank. Ich habe jetzt die Bitte, daß wir uns bei den weiteren Fragen und Antworten etwas kürzer fassen. Wir haben nämlich zum zweiten Thema auch noch sechs Fragesteller. Andernfalls wird es schwierig, noch alle Fragen und Antworten abzuhandeln. Die nächste Frage hat der Abgeordnete Stephan Hilsberg, SPD-Fraktion. ({0})

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, woher nehmen Sie eigentlich die Sicherheit, wenn Sie behaupten, daß das Angebot an Lehrstellen zugenommen habe, wo doch im Halbzeitbericht des Berufsberatungsjahres der Bundesanstalt für Arbeit nachgewiesen ist, daß das Ausbildungsangebot gegenüber dem Vorjahr erneut um 3,1 Prozent zurückgegangen ist, während gleichzeitig die Nachfrage um 3 Prozent gestiegen ist? Das zeigt doch, daß sich auch in diesem Jahr die Schere zwischen Angebot und Nachfrage weiter geöffnet hat.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Nein, Herr Kollege Hilsberg, das zeigt dies nicht. Es zeigt nur, daß sich mehr Leute und weniger Betriebe ihre Stellen beim Arbeitsamt gemeldet haben - mehr nicht. Das ist etwas anderes. ({0}) Es ist eben nicht so, daß mit Hilfe einer reinen Bewerberstatistik eine Aussage über Angebot und Nachfrage möglich ist. In den neuen Bundesländern - ich habe das schon mehrfach vorgetragen - haben sich im letzten Jahr 94 Prozent aller Jugendlichen beim Arbeitsamt erkundigt. Sie sind insofern als Bewerber registriert worden. In Wahrheit sind dann im Anschluß nur 70 Prozent in die berufliche Bildung eingestiegen. Es nützt nichts, wenn Sie immer weiter das Gegenteil behaupten. Dadurch wird es auch nicht wahrer.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hilsberg? - Bitte schön.

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Unter diesen Bedingungen kann ich natürlich verstehen, daß Sie in der Berufsbildungspolitik von einer falschen Analyse ausgehen und Ihre Antworten demzufolge auch unzulänglich sind. Aber trotzdem möchte ich an Sie die Frage stellen: In welchem Umfang werden Sie in diesem Jahr das Lehrstellenprogramm für die neuen Länder auflegen?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Das habe ich eben schon gesagt: Das Programm soll 17 500 Stellen umfassen, abgestimmt mit allen Bundesländern. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Die nächste Frage hat der Abgeordnete Jörg Tauss, SPD-Fraktion. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wir bedauern ausdrücklich, daß Sie in Ihrer Koalition mit Ihren Bemühungen gescheitert sind, Ausbildungsbetriebe bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bei gleicher Qualität zu bevorzugen. Nachdem Sie bei der Verwirklichung dieses praktischen Ansatzes an Ihren eigenen Freunden und vor allem an Graf Lambsdorff gescheitert sind, nehmen Sie eine Aufteilung vor, weil Sie irgend etwas machen müssen. Sie unterscheiden im Bereich der Ausbildungsplätze zwischen praktisch begabten und praktisch weniger begabten Jugendlichen. Sie wollen entsprechend dieser Aufteilung die Misere ein Stück weit lenken. Ich darf Sie fragen, wie Sie eigentlich die Definition „praktisch begabt" vornehmen wollen. Denn von ihr soll künftig auch abhängen, welche Chancen in bezug auf eine berufliche Ausbildung die „praktisch Begabten" überhaupt noch haben sollen? ({0})

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Diese Frage kann ich nicht beantworten, weil die Prämissen, die Sie gesetzt haben, weder von mir vorgetragen noch insinuiert worden sind.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Tauss, diesmal ohne Wertung. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich denke, wir sollten uns darauf verständigen, daß wir unsachliche Wertungen nicht vornehmen. Daran will ich mich natürlich halten. Herr Minister, ich habe heute morgen mit großem Interesse nochmals Ihre neue Broschüre „ 1998 bis 2002 - Bundesministerium für Bildung und Forschung" gelesen. Hier nehmen Sie ausdrücklich eine Aufteilung in „praktisch begabte" und in „praktisch nicht begabte Jugendliche" vor. Das ist also nicht meine Erfindung. Wie definieren Sie diesen Unterschied denn? Sie müssen doch eine Vorstellung davon haben. Denn wenn Sie keine Definition vorliegen hätten, könnten Sie es ja nicht schreiben.

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Ich definiere keine Menschen. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Die letzte Frage zu diesem Bereich hat der Abgeordnete Dr. Ludwig Elm, PDS.

Dr. Ludwig Elm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002646, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Was können Sie, Herr Minister, mir auf die Frage antworten, wie viele Ausbildungsplätze durch die Modernisierung und Neugestaltung von Berufsbildern geschaffen wurden?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Diese Frage, Herr Kollege, kann ich noch nicht mit einer einzigen konkreten Zahl beantworten, weil dazu zum Teil noch ermittelt wird. Wir wissen, daß zum Beispiel in den vier Berufen der Informations- und Kommunikationstechnologie im ersten Jahr, das heißt wenige Monate nach der Einführung dieser entsprechenden Berufe, 4000 bis 5000 neue Lehrstellen geschaffen worden sind.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Eine Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Ludwig Elm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002646, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Wie viele zusätzliche Ausbildungsplätze wurden durch die Flexibilisierung des Jugendarbeitsschutzgesetzes und die Novellierung der Ausbilder-Eignungsverordnungen geschaffen?

Dr. Jürgen Rüttgers (Minister:in)

Politiker ID: 11001899

Sie haben dazu geführt, daß nach Berichten der Kammern eine Vielzahl von neuen Betrieben hinzugekommen sind. Ich habe Ihnen gerade über die Erfolge der 160 Ausbildungsplatzentwickler berichtet. Die Erfolge haben mit diesen Entscheidungen zu tun. Eine Rolle hat natürlich auch der Bürokratieabbau gespielt. Insofern ist es sehr schwer zuzuordnen, ob es sich um neue Betriebe handelt oder um Betriebe, die ihre Ausbildungsleistung wieder aufnehmen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Damit kommen wir zu dem zweiten Thema, das uns die Bundesregierung als Thema aus der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt hat, nämlich zu der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Lage der Städte, Gemeinden und Kreise. Für die Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung. Die erste Frage hat die Abgeordnete Frau Dr. Barbara Hendricks, SPD-Fraktion.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, nach dem Gemeindefinanzbericht sind die kommunalen Investitionen in den Jahren seit 1992, also in einem Zeitraum von sechs Jahren, in den alten Bundesländern um rund 27 Prozent und in den neuen Bundesländern um rund 32 Prozent zurückgegangen. Wie beurteilt die Bundesregierung diesen Tatbestand vor dem Hintergrund - unabhängig von der Einschränkung kommunaler Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger -, daß dieses zu erheblichen Verwerfungen in der gesamten Volkswirtschaft führt? Wie beurteilt die Bundesregierung insbesondere die Tatsache, daß der standortgebundene Mittelstand, also letztlich das gesamte Handwerk und das Baugewerbe, darunter erheblich zu leiden haben?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Frau Kollegin, der Bericht legt detailliert dar, was die Bundesregierung im einzelnen getan hat, um beispielsweise die Finanzkraft der Gemeinden und Kommunen zu stärken. Die Bundesregierung kann dabei auf eine Fülle von guten Taten, wenn ich so sagen darf, verweisen, deren Finanzvolumen sich insgesamt zu einer Milliardensumme addiert. Es ist nicht zu verschweigen, daß - insbesondere was den Länderfinanzausgleich angeht - die Länder in der Bundesrepublik nicht flächendeckend ähnlich kommunalfreundlich gehandelt haben. Auch das kommt in dem Bericht zur Sprache. Sie sprachen die allgemeine Wirtschaftslage an. Ich darf darauf verweisen, daß es ein bißchen zu einfach wäre, einzig und allein die Bundesregierung dafür verantwortlich zu machen. Hier gibt es vielmehr weltweite Zusammenhänge. Wir bemühen uns, diese zu bewältigen. Auch das kommt in dem Bericht zum Ausdruck.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zusatzfrage, bitte.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich die Bundesregierung nicht dafür verantwortlich gemacht habe? Ich habe Sie vielmehr nach Ihrer Beurteilung des Tatbestandes gefragt, daß der standortgebundene Mittelstand, also Handwerk und Baugewerbe, unter dem erheblichen Rückgang der kommunalen Investitionen leidet. Dazu haben Sie in Ihrer Antwort bisher noch nichts gesagt.

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Frau Kollegin, ich bin froh, daß Sie dieses Mißverständnis aufklären und daß Sie die Bundesregierung dafür nicht verantwortlich machen. ({0}) Ich möchte aber darauf hinweisen: Ich habe darauf geantwortet, daß die Bundesregierung eine ganze Reihe von Maßnahmen, deren Umfang Milliardenbeträge ausmacht, zugunsten der Kommunen ergriffen hat. Sie hat deshalb, wenn Sie so wollen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten durchaus dazu beigetragen, auch die kommunale Investitionskraft zu stärken. Wenn sich darüber hinaus, beispielsweise als Folge der allgemeinen Wirtschaftssituation oder weil Länder im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs die Leistungen zurückgefahren haben, Einbrüche ergeben haben, so liegt das nicht in der Verantwortung der Bundesregierung. Aber die von Ihnen beklagte Folge könnte damit zusammenhängen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Die nächste Frage hat der Abgeordnete Meinrad Belle, CDU/ CSU-Fraktion.

Meinrad Belle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000138, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, die Kommunen klagen relativ häufig in allgemeiner Form über die vermeintliche Tatsache, daß sie durch Maßnahmen des Bundes, also durch gesetzgeberische Maßnahmen, in sehr starker Form belastet werden. Wir werden natürlich noch Gelegenheit haben, diese Probleme in größerem Umfang zu debattieren. Können Sie uns aber heute nachmittag schon einmal kurz erläutern, in welcher Form gerade in den letzten Monaten auf diese Weise Entlastung herbeigeführt worden ist, insbesondere durch die Abschaffung der Gewerbesteuer und der Gewerbekapitalsteuer und durch die Einführung der Umsatzsteuerbeteiligung der Kommunen? ({0})

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege Belle, die Situation ist in der Tat so, wie Sie sie darstellen. Die Zahlen, die in diesem Zusammenhang zu nennen sind, sind sehr eindrucksvoll. Die Bundesregierung hat die Gemeinden durch eine Änderung von Art. 28 des Grundgesetzes, wie bekannt, im Gegenzug zur Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer an der Umsatzsteuer beteiligt. Wenn man nun gegenrechnet, was die Kommunen dadurch verlieren, kommt man zu der Erkenntnis, daß sich insgesamt für die Kommunen allein bis zum Jahre 2001 ein Einnahmeplus von 1,7 Milliarden DM ergibt, also eine Entlastung in dieser Höhe. Ich darf, um die Aufzählung etwas vollständiger zu machen, noch darauf hinweisen, daß auch mit der Einführung der Pflegeversicherung eine Entlastung verbunden ist, daß wir durch die Steuerfreistellung des Existenzminimums die Ausgabenseite der Kommunen entlastet haben, daß der Familienlastenausgleich verbessert wurde, was einen ähnlichen Effekt hat, daß wir mit der Neufassung des Asylrechts 1993 dafür gesorgt haben, daß die Zahl der Asylbewerber von jährlich etwa 500 000 auf heute etwa 110 000 zurückgegangen ist, und daß wir auch noch eine Reform des Sozialhilferechts durchführen wollen, die ebenfalls zu einer Entlastung führen wird. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Die nächste Frage hat der Abgeordnete Detlev von Larcher, SPD- Fraktion.

Detlev Larcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, im Gemeindefinanzbericht 1998 wird hervorgehoben, daß die Forderung nach einer Gemeindefinanzreform „aktueller denn je" sei. Wir, die SPD-Fraktion, haben schon im Oktober 1996 in einem Antrag die Einsetzung einer gemeinsamen Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen gefordert, weil wir der Meinung sind, daß die Krise der kommunalen Finanzen nur von Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam bewältigt werden kann. Wird sich die Bundesregierung endlich dieser Forderung anschließen?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege, diese Forderung der Kommunen richtet sich bekanntermaßen an mehrere Adressaten, also nicht nur an den Bund, sondern auch an die Länder. Ich muß noch einmal darauf hinweisen - das läßt sich leicht mit Zahlen belegen -: Einige Länder - nicht Bayern; ich glaube, auch das Saarland hat sich noch einigermaßen korrekt verhalten - haben den Aufwand für den kommunalen Finanzausgleich drastisch zurückgefahren. Diese Länder haben im übrigen nicht den Vorteil weitergegeben, der im Zuge der Finanzverhandlungen vom Bund den Ländern mit der Auflage zugestanden worden war, ihn an die Kommunen weiterzugeben. Hier ist die Forderung der Kommunen in der Tat sehr verständlich und meines Erachtens auch berechtigt. ({0}) Der Bund hat seine Möglichkeiten großzügig ausgeschöpft, so daß ich feststellen kann, daß wir unsere Hausaufgaben im großen und ganzen gemacht haben. Zu der Aufzählung, die ich Ihnen vorhin dargelegt habe, käme nämlich noch hinzu, daß wir großzügige Förderprogramme in verschiedenen Politikfachbereichen anbieten, die sich sehr segensreich auswirken. Oder denken Sie etwa an die großzügige Ausstattung der Kommunen im Osten! All dies hat der Bund zur Verfügung gestellt. Ich glaube also, daß die Forderung deshalb berechtigt ist, weil andere - wie zum Beispiel viele Bundesländer - ihre Hausaufgaben in diesem Zusammenhang nicht erledigt haben.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Wollen Sie eine Zusatzfrage stellen?

Detlev Larcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, leider muß ich das. Ich wollte es eigentlich nicht; aber wenn ich meine Frage nicht beantwortet bekomme, muß ich eine Zusatzfrage stellen. Wenn das, was Sie geantwortet haben, richtig ist, dann verstehe ich nicht - ich habe aus dem Finanzbericht zitiert -, daß die kommunale Finanzreform für besonders wichtig gehalten wird. Auch der Bundesrat hat eine solche gemeinsame Kommission gefordert. Wird also die Bundesregierung dieser Forderung nachgeben, sich für eine gemeinsame Kommission einsetzen und daran teilnehmen?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Ich kann nur noch einmal darauf hinweisen - das hatte ich Ihnen mit an sich objektiv leicht nachprüfbaren Zahlen dargelegt -, daß der Bund seinen Teil zur Erfüllung dieser Forderung im großen und ganzen bereits getan hat. Wenn die Kommunen trotzdem bei ihrer Forderung bleiben, dann ist diese Forderung insbesondere an die Länder gerichtet. ({0}) Daß der Bundesrat nach der Methode „Haltet den Dieb!" diese Forderung auf den Bund ablenkt, ist das im politischen Alltagsgeschäft übliche Verhalten. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich darf zur Geschäftslage folgendes sagen: An und für sich ist jetzt die vorgesehene halbe Stunde um. Mir liegen aber noch drei Wortmeldungen vor. Wenn die Fragesteller sich kurzfassen, würde ich sie gerne noch aufrufen. Die Regeln besagen aber, daß die Zeit, die für die Regierungsbefragung zusätzlich aufgewandt wird, von der Fragestunde abgezogen wird. Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind, daß ich das so mache. Dann hat jetzt der Kollege Bernd Scheelen das Wort.

Bernd Scheelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002772, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, es scheint so zu sein, als seien die von Ihnen angeführten Wohltaten bei den Kommunen bisher noch nicht angekommen. Viele Städte und Gemeinden können ihre Verwaltungshaushalte nicht mehr ausgleichen, und große Defizite entstehen. ({0}) - Das ist auch in den B-Ländern der Fall. Daß viele ihre Verwaltungshaushalte nicht mehr ausgleichen können, ist ein Problem, das die gesamte Bundesrepublik betrifft. ({1}) Zuführungen aus dem Verwaltungshaushalt in die Vermögenshaushalte sind schon gar nicht mehr möglich. Es findet das umgekehrte Verfahren statt: Vermögenswerte werden veräußert, um die Verwaltungshaushalte zu stützen. Das bedeutet konkret, daß die Städte und Gemeinden nicht mehr in der Lage sind, Eigenkapital zu bilden. Meine Frage an Sie lautet konkret: Welche Maßnahmen schlagen Sie den Gemeinden vor? Wie sollen sie zukünftig das Eigenkapital für die Zukunftsaufgaben bilden?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege, ich kann mich nur wiederholen. ({0}) Das hängt insbesondere damit zusammen, daß in manchen Ländern der kommunale Finanzausgleich zu Lasten der Kommunen drastisch zurückgefahren worden ist. Wenn Sie ehrlich sind, werden Sie einräumen müssen, daß die Klage, von der Sie gerade gesprochen haben, nicht bundesweit erhoben wird, sondern sich auf einzelne Länder - meist im Norden und Westen, weniger im Süden dieser Republik - konzentriert. Das hängt erstens damit zusammen, daß die Länderregierungen die Ausstattung ihrer Kommunen unterschiedlich wichtig genommen haben. Zweitens können Sie den Zustand der Finanzen mancher Kommunen nicht allein allen übrigen anlasten. Es gibt vielfach Beispiele dafür, daß die davon betroffenen Kommunen auch durch eigene Fehlentscheidungen oder Handlungen maßgeblich dazu beigetragen haben. Wenn Sie sich in manchen Städten umsehen, für welchen Firlefanz - so kann ich das nur nennen - auf Grund politischer Zugeständnisse der dort herrschenden Koalitionen Geld ausgegeben worden ist, dann meine ich, sollten die Kommunen in erster Linie dieses Verhalten überprüfen. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Welt, bitte.

Jochen Welt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002472, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, die Auffassung, daß die Situation der Gemeinden so dramatisch ist, wie es hier gerade beschrieben wurde, wird nicht nur von Sozialdemokraten vorgetragen. Wir hatten im vergangenen Jahr eine Anhörung im Innenausschuß des Deutschen Bundestags, in der von Fachleuten, Professoren und Spitzenverbänden nachhaltig bestätigt wurde, daß die kommunale Selbstverwaltung - Art. 28 Grundgesetz - auf Grund der Finanzsituation aller Gemeinden in Gefahr ist, und zwar insbesondere durch den immensen Transfer in die Sozialhilfeleistungen und die Regelarbeitslosenförderung, die inzwischen bei den Städten und Gemeinden gelandet ist. Meine Fragen: Ist die Bundesregierung nach Kenntnisnahme dieser Daten und Fakten inzwischen bereit und willens, die Kommunen bei der Finanzierung der Arbeitslosigkeit in ihrem Aufgabengebiet nachhaltig finanziell zu unterstützen? Ist sie willens, die Kommunen insbesondere bei der Durchführung von Projekten wie „Arbeit statt Sozialhilfe" zu unterstützen, um Menschen in Arbeit zu bringen? Hier geschieht vieles, es fehlt aber die finanzielle Spitzenförderung, damit die Gemeinden das in einem erheblich größeren Umfang als bisher leisten können.

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege, die Bundesregierung nimmt selbstverständlich ständig und aufmerkParl. Staatssekretär Eduard Lintner sam Fakten zur Kenntnis. Ich muß Sie noch einmal darauf hinweisen: Wir haben die Kommunen gerade auf den Sektoren, die Sie angesprochen haben, also im Bereich der Sozialhilfe, in Milliardenhöhe entlastet. Ich will Ihnen einmal den Unterschied deutlich machen: Wir hatten 1993 etwa 430 000 Asylbewerber im Lande, die fast alle der Sozialhilfe zur Last gefallen wären. Wir haben diese Zahl auf Grund der damals nach langen Schwierigkeiten mit Ihnen doch noch erreichten Änderung des Asylrechts auf 110 000 reduzieren und damit eine ganz wesentliche Erleichterung für den kommunalen Haushalt realisieren können. Die Kommunen haben zum Beispiel durch die Einführung der Pflegeversicherung Milliardenbeträge gespart, so daß sich der Bund zugute halten kann, den Kommunen in Milliardenhöhe geholfen zu haben. Aber ich darf hier noch einmal den Hinweis anbringen, daß das Verhalten der Länder im Vergleich zu dem Verhalten, das der Bund an den Tag gelegt hat, im einzelnen nicht so unterstützend war. Deshalb meine ich, daß sich im Lichte dieser Maßnahmen die Klagen der Kommunen heutzutage vor allem gegen bestimmte Landesregierungen und Landesmehrheiten richten.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Rössel, bitte. ({0}): Die Länder haben schuld, Herr Rössel!)

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, eingedenk der Tatsache, daß die PDS-Gruppe bereits im Juni 1997 an die Bundesregierung eine Große Anfrage zur Lage der Kommunen gerichtet hat, der 14 Tage später die SPD-Fraktion mit einer entsprechenden Großen Anfrage gefolgt ist, und die Koalition erst im November, also fünf Monate, nachdem die PDS initiativ geworden ist, eine entsprechende Anfrage eingereicht hat, frage ich Sie: War auch die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der PDS heute endlich Gegenstand der Debatte im Kabinett?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege, die Anfragen der PDS zeichnen sich immer dadurch aus, daß sie verleugnen, warum die Situation im einzelnen entstanden ist, weil Sie dadurch offenbar ihren Mitverantwortungsbeitrag verschleiern wollen. ({0}): Meine Frage!) - Ich muß es ja bewerten können. Zum anderen hat die Bundesregierung den Sachverhalt umfassend aufklären müssen. Sie wissen, daß es sich nicht um eine Anfrage handelte, die ohne weiteres aus dem Stegreif beantwortet werden kann. Man braucht also, um diese Antwort seriös und fundiert zu gestalten, gewisse Zeit. Diese Zeit hat sich die Bundesregierung sinnvollerweise genommen. Deshalb kommt es erst jetzt zur Beantwortung dieser Großen Anfrage. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte, noch eine Zusatzfrage.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, eine Nachfrage: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit die Kommunen in Ostdeutschland, denen noch immer etwa 35 Prozent der von ihnen beantragten finanziellen und materiellen Vermögenswerte von den Oberfinanzdirektionen - Bund - bzw. von der Treuhandnachfolgerin BvS vorenthalten werden, in absehbarer Zeit endlich das ihnen zustehende Eigentum erhalten?

Eduard Lintner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001351

Herr Kollege, die Bundesregierung denkt nicht daran, den Weg des Rechtsstaats zu verlassen. Sie wissen, daß wir uns hier in dem ganz sensiblen Bereich der Eigentumszuordnung befinden. Das heißt, die Bundesregierung ist an die Beachtung strenger Vorschriften und Gesetze gehalten. Außerdem sind die Nachfolgeinstitutionen der Treuhandanstalt keine Institutionen, denen die Bundesregierung einfach befehlen könnte. Sie sind in Ausübung dieser Dinge relativ unabhängig. Im Interesse der Rechtssicherheit und der korrekten Entscheidung muß dieser Sachverhalt also sorgfältig und sehr sensibel behandelt werden. Da nützt es nichts, wenn Sie ungeduldig werden und eine schnellere Entscheidung einfordern.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich beende den Tagesordnungspunkt 1, die Befragung der Regierung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 13/10501 Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Fragen 1 und 2 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Hans Wallow auf: Ist die Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Joachim Günther ({0}), das Bundesministerium der Verteidigung verlege seinen ersten Dienstsitz nicht nach Berlin ({1}), so zu verstehen, daß die Leitungsebene dieses Ministeriums am ersten Dienstsitz in der Bundesstadt Bonn verbleibt? Zur Beantwortung steht die Frau Staatssekretärin Thoben bereit. - Bitte.

Not found (Staatssekretär:in)

Die Leitungsfunktionen des Verteidigungsministeriums werden in Bonn und in Berlin wahrgenommen. Bei der Ausgestaltung des zweiten Dienstsitzes in Berlin muß auch den dortigen Erfordernissen gegenüber Parlament und Regierung Rechnung getragen werden. Diesen Erfordernissen entsprechend wird die Leitung zeitweise ebenso in Berlin wie in Bonn, dem ersten Dienstsitz des Verteidigungsministers, anwesend sein müssen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage, Herr Kollege.

Hans Wallow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002417, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, das Verteidigungsministerium hat mir ganz offiziell mitgeteilt, daß es sich nicht an die gültige Beschlußlage halten will und den ersten Dienstsitz mit 350 Mitarbeitern nach Berlin verlegen will. Die Frage ist, ob Sie als federführendes Ministerium das widerspruchslos hinnehmen.

Not found (Staatssekretär:in)

Der Verteidigungsminister hat seinen ersten Dienstsitz in Bonn. Wir haben in den Unterlagen, die uns zugegangen sind und die wir im Umzugsbeschluß umzusetzen haben, andere Hinweise nicht. Übrigens, Herr Wallow, Sie wissen, daß auch das Kanzleramt dem Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz noch einmal entsprechend geantwortet hat. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine weitere Zusatzfrage?

Hans Wallow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002417, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Viel deutet darauf hin, daß es bei anderen Ministerien ähnliche Entwicklungen gibt. Wie wird das federführende Ministerium in Zukunft ein Verhalten, das mit dem Bonn/Berlin-Gesetz konform geht, erzwingen, und kann es das überhaupt?

Not found (Staatssekretär:in)

Sie wissen, daß die Festlegungen für die Ausgestaltung der zweiten Dienstsitze durch die Bundesregierung im Jahre 1992 getroffen worden sind. Wir haben keinerlei Hinweise darauf, daß die damaligen Festlegungen, was die Ausgestaltung der zweiten Dienstsitze angeht, von den Ressorts nicht so umgesetzt werden, wie es damals auf politischer Ebene vereinbart wurde. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Keine weitere Zusatzfrage? - Dann verlassen wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Fragen 4 und 5 werden schriftlich beantwortet; die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Frage 6 soll schriftlich beantwortet werden; die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Horst Günther bereit. Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Monika Ganseforth auf: Aus welchem Grund dürfen Arbeitslose nach dem Arbeitsförderungs-Reformgesetz nur begrenzt ehrenamtlich tätig werden, ohne ihre Ansprüche zu verlieren, und wie verträgt sich das mit dem Anspruch der Bundesregierung, das Ehrenamt zu fördern?

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Wenn die Kollegin Ganseforth einverstanden ist, möchte ich gern beide Fragen, 7 und 8, zusammen beantworten.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Sie sind einverstanden? - Dann rufe ich auch die Frage 8 auf: Wie viele Stunden dürfen Arbeitslose wöchentlich maximal ehrenamtlich tätig sein, ohne ihre Ansprüche zu verlieren?

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Vielen Dank. Frau Kollegin Ganseforth, ohne ehrenamtlich Tätige wäre ein großer Teil der Aufgaben, die in zahlreichen Verbänden, Parteien, Organisationen und Selbsthilfegruppen wahrgenommen werden, nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Ehrenamtliche Tätigkeiten können durch Arbeitslose jedoch nur insoweit ausgeübt werden, als dies den Interessen der Arbeitslosenversicherung nicht zuwiderläuft. Das Dritte Buch Sozialgesetzbuch - SGB III -, das am 1. Januar 1998 das Arbeitsförderungsgesetz abgelöst hat, sieht vor, daß ein Arbeitnehmer, der für einen anderen Arbeits- bzw. Dienstleistungen erbringt, nicht beschäftigungslos im Sinne der Arbeitslosenversicherung ist, wenn der zeitliche Umfang der Dienstleistung 15 Wochenstunden erreicht oder übersteigt. Ob derjenige, dem die Dienstleistung zugute kommt, als Gegenleistung ein angemessenes oder ein unangemessenes Entgelt bezahlt oder die Leistung überhaupt nicht entlohnt, ist dabei ebensowenig von Belang wie die Frage, aus welchen Motiven der Arbeitnehmer, der diese Arbeit leistet, auf eine Entlohnung verzichtet. Ziel der Arbeitslosenversicherung ist es, den Leistungsfall Arbeitslosigkeit so schnell wie möglich zu beenden. Arbeitsleistungen in einem Umfange von 15 Wochenstunden und mehr schließen in aller Regel aus, daß sich ein Arbeitsloser daneben in hinreichendem Umfang einerseits seiner Verpflichtung widmet, sich selbst um die Beendigung seiner Arbeitslosigkeit zu bemühen, und andererseits der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Zu Ihrer zweiten Frage bemerke ich folgendes: Arbeitslosen Leistungsbeziehern ist es unterhalb der 15-Stunden-Grenze nicht verwehrt, sich ehrenamtlich zu engagieren. Bei der Prüfung der Frage, ob diese 15-Stunden-Grenze im Einzelfall eingehalten wird, bleiben ehrenamtliche Tätigkeiten wie zum Beispiel solche als Pfarrgemeinderatsmitglied oder Vereinsvorstandsmitglied, die üblicherweise nicht in einem Beschäftigungsverhältnis, sondern neben einer Tätigkeit als Arbeitnehmer außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit ausgeübt werden, unberücksichtigt. Der zu berücksichtigende Einsatz darf aber nicht so weit gehen, daß mangels Zeit für Eigenbemühungen um eine neue Beschäftigung die eingetretene Arbeitslosigkeit durch das ehrenamtliche Engagement verlängert würde.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfragen? - Sie haben insgesamt vier.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben die Notwendigkeit des Ehrenamtes in der Einleitung sehr deutlich geschildert. Es gibt ja auch die Bemühungen der Bundesregierung „Bürger für Bürger" und Ähnliches. Aber Vertreter des Ehrenamtes klagen - ich nehme an, daß das nicht nur zu mir, sondern auch zu Ihnen gedrungen ist -, daß immer weniger Leute zur Übernahme eines Ehrenamtes bereit sind, daß diejenigen, die in Lohn und Brot sind, auf Grund von Überstunden, einer anstrengenden Tätigkeit, von langen Fahrtzeiten nicht oder nur sehr wenig zur Verfügung stehen und daß die Möglichkeit, Arbeitslose einzusetzen - wir haben ja über eine Million Langzeitarbeitslose, Personen, die über ein Jahr arbeitslos sind -, schon während der Zeit der Arbeitslosigkeit auf diese 15 Stunden begrenzt wird. Wie wollen Sie dem Anspruch, auf den Sie in Ihrer Einleitung verwiesen haben, gerecht werden, wenn Sie ehrenamtliche Tätigkeit nur begrenzt zulassen und andere nicht möglich ist?

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Frau Kollegin Ganseforth, ich habe schon in der Fragestunde vom 11. Februar 1998, als dieselbe Frage gestellt wurde, darauf hingewiesen, daß bei 15 Stunden ehrenamtlicher Tätigkeit wöchentlich - wenn man an eine Fünftagewoche denkt - immerhin drei Stunden pro Tag möglich sind. Ich habe eben ergänzend darauf hingewiesen, daß klassische ehrenamtliche Tätigkeiten, für die es von vornherein keine Entlohnung gibt - ich nannte eben: als Pfarrgemeinderatsmitglied oder als Vorstandsmitglied in einem Verein -, unberücksichtigt bleiben. Diese klassischen ehrenamtlichen Tätigkeiten brauchen wir aber gerade. Es gibt in der Tat bereits Zonen, die man sehr kritisch hinterfragen muß. Auf keinen Fall darf es so sein, daß auf diese Weise ständig normale Arbeit gefördert wird und daß sich bestimmte Einrichtungen Arbeitsloser bedienen, die weiter Arbeitslosengeld beziehen, obwohl sie eigentlich für ihre Tätigkeit dort entlohnt werden müßten.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sind Ihnen entsprechende Mißbrauchsfälle - sowohl in bezug auf Vereine und Verbände als auch auf die betroffenen Arbeitslosen - bekannt, auf die sich diese strenge und, wie ich finde, unsinnige Regelung bezieht?

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Daß dies unsinnig ist, ist Ihre Beurteilung. Wir halten das für sehr sinnvoll, weil wir gehalten sind, Menschen im ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Es mag Fälle direkten Mißbrauchs geben; aber ich kann Ihnen jetzt keine aufzählen. Das war auch nicht Grundlage der Änderung im SGB III.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Teilen Sie nicht die Meinung, daß eine Tätigkeit im Ehrenamt - gerade angesichts hoher Langzeitarbeitslosigkeit - durchaus Qualifikationen, Selbstwertgefühl und normale Lebensstrukturen von Arbeitslosen fördern kann und sich damit sogar positiv auf die Fähigkeit auswirken kann, dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung zu stehen?

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Da stimme ich Ihnen hundertprozentig zu. Aber die Begrenzung auf 15 Stunden muß aus den vorher genannten Gründen dennoch bleiben. Man kann diese sinnvollen Tätigkeiten durchaus auch durchführen und sich eine entsprechende Qualifikation erwerben - falls das in einer solchen Tätigkeit, bei einem richtigen Ehrenamt, überhaupt möglich ist -, wenn man auf drei Stunden täglich beschränkt ist.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie sprachen an, es bestehe die Gefahr, daß Verbände und Vereine statt auf bezahlte Arbeit auf das Ehrenamt zurückgreifen und dafür Arbeitslose einsetzen. Könnte es nicht auch umgekehrt sein - mir sind jedenfalls solche Fälle bekannt -, daß sich aus einem Ehrenamt eine bezahlte Beschäftigung entwickelt? Ist Ihnen so etwas bekannt, und sollte man das nicht sogar fördern?

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Wenn sich das so ergibt, ist das in Ordnung. Das muß aber nicht heißen, daß man das nur erreichen kann, wenn man mehr als 15 Stunden in einem Ehrenamt arbeitet.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege von Larcher.

Detlev Larcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Grundgedanke bei dieser Begrenzung auf 15 Stunden mag ja in Ord21258 nung sein: Man soll nicht über die Inanspruchnahme von Arbeitslosen Arbeit fördern, die eigentlich entlohnt werden müßte. Aber muß man nicht, Herr Staatssekretär, bei der Beurteilung einer solchen Frage situationsbedingt herangehen? Wenn es doch wahr ist, daß es Menschen gibt, die 100 Bewerbungen schreiben und dennoch nur Absagen bekommen: Warum sollen die Leute, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance sehen und die man ohnehin nicht in den Arbeitsmarkt bekommt, hinsichtlich ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit beschränkt werden?

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Sie sollen deshalb beschränkt werden, weil es sonst einen Gewöhnungseffekt gibt, auch bei denjenigen, die diese Menschen beschäftigen. So ergeben sich dauerhaft Lohnsubventionen, die nicht zulässig sind. Ich bleibe dabei: Auch in diesem Sinne kann eine Beschränkung auf drei Stunden pro Tag sinnvoll sein.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Weitere Zusatzfragen? - Bitte schön.

Walter Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001348, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, das Ehrenamt ist ja in aller Munde. Können Sie sich vorstellen, daß sich dann, wenn der Vorschlag der Grünen sich durchsetzen würde, pro Liter Sprit 5 Mark zu nehmen, noch weniger Ehrenamtliche zur Verfügung stellen?

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Natürlich ist ein Ehrenamt immer mit Kosten verbunden. Das weiß jeder von uns. Es ist nicht nur so, daß ein richtiges Ehrenamt nichts einbringt, sondern es verursacht meistens auch Kosten. Dazu gehören Auslagen aller Art, natürlich auch Kosten, die für ein Auto entstehen. Insofern kann ich Ihnen nur zustimmen, daß sich auch dies negativ auswirken würde.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine weitere Zusatzfrage? - Sie haben das Wort.

Rosel Neuhäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002744, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, auf welcher Rechtsgrundlage - zum Beispiel des Arbeitsförderungsgesetzes - die Arbeitsämter versicherungspflichtige und ehrenamtliche Tätigkeiten gleichsetzen? Woher resultiert die Annahme der Arbeitsvermittler, daß ehrenamtlich tätige Arbeitslose versicherungspflichtig tätig sind?

Horst Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000749

Die Arbeitsvermittler sind gehalten, die Zusammenhänge in den in Frage kommenden Fällen genau zu prüfen. Dabei spielt die Einkommenshöhe überhaupt keine Rolle, sondern nur die Stundenzahl. Der Betroffene ist verpflichtet, wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Dann wird in jedem Einzelfall geprüft, was nun vorliegt. Wenn der Betroffene nicht einverstanden ist und der Arbeitsvermittler aus seiner Sicht etwas Falsches gemacht hat, bleibt ihm ja immer noch der Rechtsweg offen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Keine Zusatzfrage mehr? - Dann verlassen wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Dr. Klaus Rose bereit. Alle Fragen bis auf die Frage 10 werden schriftlich beantwortet; die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Frage 10 - des Kollegen Hans Wallow - rufe ich jetzt auf: Welche Gesamtkosten entstehen nach Kenntnis der Bundesregierung dem Bund durch die eventuelle Verlegung des Katholischen Militärbischofsamtes ({0}) sowie der Kurie des Katholischen Militärbischofs von Bonn nach Berlin, und ist die Bundesregierung bereit, auf die Bewilligung von Haushaltsmitteln so lange zu verzichten, bis die in der Frage des eventuellen Berlin-Umzuges des Katholischen Militärbischofsamtes beim Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages anhängige Petition ({1}) auch von seiten des Ausschusses für abgeschlossen erklärt ist?

Dr. Klaus Rose (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001882

Herr Kollege, für die Herrichtung und den Umbau des für die Kurie des Katholischen Militärbischofs vorgesehenen bundeseigenen Gebäudes in Berlin-Mitte, Am Weidendamm 2, hat die Bundesregierung die dem Bund entstehenden Kosten auf 10 Millionen DM begrenzt. Die Personalkosten - das sind Umzugskosten, Trennungsgeld und Reisebeihilfen - für die Bundesbediensteten in der Kurie des Katholischen Militärbischofs werden sich nach einer überschlägigen Schätzung auf zirka 610 000 DM belaufen. Die Bundesregierung hat ihre Prüfungspflicht auf Grund des Erwägungsbeschlusses des Deutschen Bundestages vom 20. Februar 1997 umfassend erfüllt. Im Hinblick auf den erforderlichen Planungsvorlauf sieht die Bundesregierung keine Möglichkeit, das weitere Vorgehen von der abschließenden Behandlung der Petitionsangelegenheit durch den Petitionsausschuß abhängig zu machen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage, bitte.

Hans Wallow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002417, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind in dieser Summe die Kosten für einen Neubau bereits enthalten?

Dr. Klaus Rose (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001882

Die 10 Millionen DM beziehen sich auf die Kosten. Der Neubau selbst würde nach der bisherigen Vorüberlegung mehr ausmachen. Für das, was über die 10 Millionen DM, die die Bundesregierung gibt, hinausgeht, muß sich das Katholische Militärbischofsamt selber verwenden.

Hans Wallow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002417, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das heißt, Sie haben Ihre Entscheidungen getroffen, bevor der Petitionsausschuß zu einem abschließenden Ergebnis gekommen ist?

Dr. Klaus Rose (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001882

Ich habe vorhin gerade gesagt, daß die Entscheidung auf Grund verschiedener Umstände von anderen getroffen wurde, daß die Bundesregierung dieser Entscheidung nachkommt und nicht warten kann, bis der Petitionsausschuß irgendwann und irgendwie zu einer entsprechenden Abstimmung kommt.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Keine weiteren Zusatzfragen. Dann verlassen wir den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Ich danke Ihnen, Herr Kollege Dr. Rose. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr auf, sehe aber, daß alle Fragen schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe deshalb den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. Werner Hoyer bereit. Zunächst die Frage 19 der Kollegin Dr. Barbara Hendricks: Welche Goethe-Institute sind auf Veranlassung der Bundesregierung seit 1990 geschlossen worden, und wie hoch war die jeweilige jährliche Ersparnis zugunsten des Bundeshaushalts?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, der Kollege Schäfer hat bereits in den letzten Wochen wiederholt darauf hingewiesen, daß nicht die Bundesregierung Goethe-Institute schließt, sondern daß dies auf entsprechende Vorschläge des Goethe-Instituts und gemeinsam mit diesem erfolgt. Im Vordergrund für diese schwerwiegenden und bedauerlichen Entscheidungen stehen auch nicht in allererster Linie Haushaltsüberlegungen im Sinne von Mittelkürzungen. Entscheidend sind vielmehr die Stellenkürzungen, die der Bundesverwaltung seit 1993 linear aufgegeben sind und die dann jeweils ein Jahr später von den Kulturmittlern erbracht werden müssen. Das wirkt sich beim Goethe-Institut natürlich deshalb ausgesprochen dramatisch aus, weil das Goethe-Institut als einziger Kulturmittler ein umfangreiches Netz von Zweigstellen im Ausland unterhält. Wenn das Goethe-Institut, wie seit 1994 der Fall, diese erforderlichen Kürzungen nur mehr durch Schließung von Auslandsstellen erbringen kann, dann hat das eine erhebliche Öffentlichkeitswirkung, die auch kaum rückgängig zu machen ist. Deshalb möchte ich nachdrücklich der Forderung des Goethe-Instituts beispringen - wie das auch der Bundesminister des Auswärtigen getan hat -, ein Moratorium für die Umsetzung der geforderten Personalkürzungen beim Goethe-Institut vorzunehmen. Dies könnte ermöglichen, eine Auffangstruktur, zum Beispiel Trägerschaften, Trägervereine zu gründen und Aktivitäten fortzusetzen, die sonst selber bedroht wären. Auf diese Weise könnte der durch Institutsschließungen hervorgerufene außenpolitische Schaden reduziert werden. Er stünde sonst in keinem Verhältnis zum erzielten Einspareffekt. Nun zu den Zahlen, Frau Kollegin: Seit 1990 hat das Goethe-Institut - beginnend 1994-24 Zweigstellen geschlossen. Ich bin gern bereit, Ihnen eine Anlage zur Verfügung zu stellen, aus der das jeweils im einzelnen hervorgeht. Es war eine Gesamtpersonaleinsparung von 134,5 Stellen zu erbringen. Sie ist auch erreicht worden. Die Mittelersparnis für den Bundeshaushalt betrug einschließlich der schließungsbedingten Kosten und Abfindungen in abgerundeten Zahlen 1994 1,2 Millionen DM, 1995 600 000 DM, 1996 2,1 Millionen DM, 1997 2,4 Millionen DM und 1998 5 Millionen DM, also insgesamt 24,7 Millionen DM von 1994 bis 1998. Dieser Summe stehen seit 1994 angefallene Kosten für Auffangstrukturen in Form von Zuschüssen an bilaterale Einrichtungen oder für verstärkte Aktivitäten der Auslandsvertretungen, die das ja teilweise übernehmen müssen, insgesamt 1,3 Millionen DM gegenüber.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Nur zur Klarstellung: Die Unterstützung des Moratorium-Vorschlages war Ihre Position und die des Bundesaußenministers, nicht die der Regierung?

Not found (Gast)

Das Goethe-Institut hat einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet und öffentlich vorgetragen. Der Bundesminister des Auswärtigen unterstützt dies.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Genau in diese Richtung wäre meine erste Zusatzfrage gegangen, Herr Präsident. Anlaß für meine heutigen Fragen war in der Tat die Schließung des Goethe-Instituts in Reykjavik, welche in der vorigen Fragestunde schon ausführlich, wenn auch noch nicht abschließend behandelt worden ist, weil über die nachfolgende Trägerstruktur noch keine abschließende Klarheit besteht. Mir ist der Schriftwechsel zwischen Ihrem Hause und meiner Kollegin Faße bekannt. Auf diesen Einzelfall möchte ich nicht näher eingehen. Wir werden darüber noch Weiteres hören, wenn vor Ort wirklich neue Strukturen geschaffen werden können. Es ist aber bemerkenswert - darauf bezieht sich meine zweite Frage -: Warum gelingt es dem Bundesminister des Auswärtigen nicht, die hier vor dem Parlament schon wiederholt vorgetragene Position des Bundesaußenministers zur Mehrheitsmeinung in der Bundesregierung zu machen? Vor dem Hintergrund der Zahlen, die Sie jetzt genannt haben, also Einsparungen von insgesamt knapp 25 Millionen DM, erhöhten Kosten von etwas über 1 Million DM, also in fünf Haushaltsjahren Einsparungen von rund 24 Millionen DM, und vor dem Hintergrund der Tatsache, welcher Schaden damit der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland zugefügt wird, müßte es dem Bundesminister des Auswärtigen eigentlich ein Leichtes sein, seine Position zur Mehrheitsmeinung in der Bundesregierung zu machen.

Not found (Gast)

Frau Kollegin Dr. Hendricks, es ist eine Binsenweisheit, daß im Vorfeld von Haushaltsplanverhandlungen hart gestritten wird und daß im Zusammenhang mit Haushaltsverhandlungen angesichts knapper Kassen nichts ein Leichtes ist. Der Bundesminister des Auswärtigen bemüht sich aber darum, auf der einen Seite solidarisch seinen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung zu leisten und auf der anderen Seite außenpolitischen Schaden abzuwenden. Wir werden uns nach Kräften darum bemühen. Auch in den letzten Jahren ist es durch eine solidarische Kraftanstrengung der gesamten Bundesregierung dazu gekommen, daß die negativen Effekte, die ich gar nicht deutlich genug bedauern kann, teilweise zumindest ausgeglichen werden konnten durch Interventionen, die beim Bundesminister der Finanzen erforderlich und dann möglich und erfolgreich gewesen sind, nämlich im Hinblick auf die Schaffung von neuen zusätzlichen Stellen, die wir insbesondere für die 1998 erfolgten Neugründungen gebraucht haben. Warten wir die Haushaltsplanberatungen ab! Wir werden für unsere Position hart kämpfen und freuen uns über die Unterstützung aus dem Parlament.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Wollen Sie noch eine Zusatzfrage stellen?

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, nach meinem Kenntnisstand ist es so, daß diese Stellenplankürzungen, die dann auf die Kulturmittler durchschlagen, schon im Haushaltsplanentwurf, also im Entwurf der Bundesregierung, vorgenommen worden sind, und nicht durch Mehrheitsbeschluß des Haushaltsausschusses entstanden sind. Natürlich ist es Ihre Aufgabe, schon im vorhinein bei der Beratung des Haushaltsplanentwurfes Ihre Position durchzusetzen. Kann es Ihnen nicht gelingen - wenn wir einmal von dem engeren Zugewinn für die auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland absehen und auf den weiter damit verbundenen Zugewinn zum Beispiel in ökonomischer Hinsicht abstellen -, auch andere Kabinettskollegen von der Tatsache zu überzeugen, daß Benutzer solcher Kulturmittlereinrichtungen im Ausland im Regelfall in ihren Ländern zu den Meinungsbildnern und Entscheidungsträgern gehören, die für spätere Jahre ganz entscheidende Weichenstellungen zum Beispiel für die Außenhandelspolitik der Bundesrepublik Deutschland vornehmen können? Dieser Aspekt müßte doch auch Menschen, die etwas kulturfremder sind, nahezubringen sein.

Not found (Gast)

Frau Kollegin, in diesem Zusammenhang kann ich Ihnen nur voll zustimmen. Ich denke, daß das auch zunehmend gelingt. Viele Mitarbeiter anderer Ressorts und viele Mitglieder des Deutschen Bundestags, die gegenwärtig gegenüber der einen oder anderen kulturpolitischen Aktivität skeptisch sind, haben längst begriffen, daß wir hier die Schmerzgrenze erreicht haben. ({0}) Ich möchte auch darauf hinweisen, daß wir die Betrachtung der auswärtigen Kulturpolitik - auch was Mittel und Stellen angeht - nicht auf das Goethe-Institut reduzieren dürfen. Insbesondere die von Ihnen soeben beschriebenen Spill-over-Effekte auswärtiger Kulturpolitik in andere Bereiche machen sich zum Beispiel bei Auslandsschulen und ähnlichen Einrichtungen besonders positiv bemerkbar. Wir sollten den Blick nicht auf die Goethe-Institute verengen, so wichtig sie auch sind und so sehr sie uns ans Herz gewachsen sind.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage.

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben von Auffangmöglichkeiten gesprochen, die nach der Schließung eines Goethe-Instituts ergriffen werden können. Können Sie mir etwas detaillierter sagen, in welcher Form Auffangmöglichkeiten bisher geschaffen worden sind und welche Erfahrungen die Bundesregierung mit den unterschiedlichen Möglichkeiten hat?

Not found (Gast)

Ich kann Ihnen das nicht in der Gesamtschau darstellen; ich bin aber gerne bereit, das nachzuliefern. Die Erfahrungen sind selbstverständlich unterschiedlich. Einige Erfahrungen sind ausgesprochen gut. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, daß das Projekt in Reykjavik gelingt. Um eine Gesamtwertung der Auffangstrukturen vorzunehmen, müßte ich die Unterlagen nochmals genau überprüfen. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen diese Informationen zu liefern.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Dann kommen wir zur Frage 20 der Kollegin Dr. Hendricks: Welche Goethe-Institute sind auf Veranlassung der Bundesregierung seit 1990 neu eröffnet worden, und wie stellt sich der Saldo aus Mehr- und Minderausgaben für Neueröffnung und Schließung von Goethe-Instituten in den Haushaltsjahren 1995 bis 1998 dar?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Dr. Hendricks, in Absprache mit der Bundesregierung und auch im Einklang mit unseren außenpolitischen Prioritäten hat das Goethe-Institut seit 1990 zehn neue Zweigstellen im Ausland eröffnet. Ich schlage vor, daß ich Ihnen auch diese Anlage gleich zur Verfügung stelle. Von diesen neuen Zweigstellen sind sieben in ost- und mitteleuropäischen Staaten und den Staaten der früheren Sowjetunion sowie in Washington, Johannesburg und Hanoi eröffnet worden. Für vier weitere Zweigstellen in Taschkent, Vilnius, Tallin und Ramallah wurden Gründungsbüros eingerichtet bzw. Institutsleiter entsandt. Natürlich verschärfen diese Neugründungen angesichts der Stellen- und Haushaltsknappheit im Zusammenwirken mit eben diesen Kürzungen die SiStaatsminister Dr. Werner Hoyer tuation des Goethe-Instituts. Auf der anderen Seite mußten und - ich betone - müssen wir die durch die weltpolitischen Veränderungen gegebenen Möglichkeiten nutzen, auch dann neue Zweigstellen zu eröffnen, wenn besondere Interessen dafür sprechen. Sie sind vielleicht darüber informiert, daß ich mich mit besonderem Engagement seit dreieinhalb Jahren um ein Goethe-Institut in Hanoi bemüht habe, was auf Grund rechtlicher Probleme außerordentlich schwierig war. Wir haben dort einen Partner, der es ausgesprochen sinnvoll und wichtig erscheinen läßt, mit einem Goethe-Institut präsent zu sein. Ich bin glücklich, daß es möglich war, die Eröffnung dieses Instituts durchzusetzen, auch wenn das die Gesamtbelastung der Goethe-Institute an der „Stellenfront" verschärft. Der Saldo aus Mehr- und Minderausgaben für Neueröffnungen und Schließungen im Zeitraum 1996 bis 1998 kann nur auf den gegenwärtigen Zeitpunkt abstellen. Durch noch hinzukommende Kosten für die fünf in diesen Jahren neu gegründeten Institute wird er sich noch verändern. Wenn man künftige Saldierungen anpeilt, dann müssen auch die hinzukommenden Kosten für die bereits erwähnten Auffangstrukturen in Rechnung gestellt werden. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren stellt sich der Saldo für die Zeit von 1996 bis 1998 wie folgt dar: Insgesamt ergeben sich für die Jahre 1996 bis 1998 durch die 19 Schließungen Einsparungen an jährlichen Gesamtkosten von insgesamt 16,1 Millionen DM. Dagegen stehen die Kosten für neu eingerichtete Institute von 2,4 Millionen DM. Insgesamt gab es also Einsparungen in Höhe von 13,7 Millionen DM. Zieht man davon die Mittel für Auffangstrukturen in Höhe von etwa 500 000 DM sowie einmalige Schließungskosten in Höhe von 2,7 Millionen DM ab, dann ergibt sich ein Gesamtsaldo in Höhe von rund 10,5 Millionen DM Minderausgaben.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage.

Dr. Barbara Hendricks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002672, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, können Sie sagen, in welchen europäischen Ländern kein Goethe-Institut existiert?

Not found (Gast)

Jetzt haben Sie mich erwischt. Ich werde Ihnen die Information nachliefern. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Noch eine Zusatzfrage? - Bitte.

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, was dort, wo bisher Goethe-Institute aufgelöst worden sind, mit dem Inventar, zum Beispiel mit Büchern, geschehen ist? Bleiben die im Land, oder werden sie wieder nach Deutschland gekarrt? Wie geht man eigentlich mit diesem Vermögen um?

Not found (Gast)

Diese Frage kann ich nur global beantworten. Es ist natürlich klar, daß dann, wenn Auffangstrukturen geschaffen werden können, weil zum Beispiel eine privat getragene Bibliothek eröffnet werden kann, die entsprechenden Mittel dort bleiben. Was mit den Sachmitteln passiert, wenn endgültig nicht in irgendeiner Trägerschaftsform weitergemacht werden kann, vermag ich nicht zu beantworten. Ich werde Ihnen diese Information ebenfalls nachliefern.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Keine weiteren Zusatzfragen? - Dann rufe ich die Frage 21 des Kollegen Dr. Schäfer auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß die der amerikanischen Regierung unterstellte Dienstleistungseinrichtung „General Services Administration" ({0}), die nicht die Anforderung von Artikel I Abs. 1 Buchstabe a und b des NATO-Truppenstatutes erfüllen dürfte, seit dem 1. Oktober 1997 ({1}) tätig ist und bei ihren wirtschaftlichen Betätigungen die im NATO-Truppenstatut und dem Zusatzabkommen vorgesehenen Befreiungen bei Einfuhrabgaben in Anspruch nimmt?

Not found (Gast)

Herr Kollege Dr. Schäfer, die Bundesregierung hat nach umfangreicher Überprüfung aller sachlichen und rechtlichen Informationen zum geplanten Tätigwerden der General Services Administration, im folgenden „GSA" abgekürzt, zur Sicherstellung der Fahrzeugverwaltung für die US-Stationierungsstreitkräfte in Deutschland festgestellt, daß das Personal der GSA kein ziviles Gefolge im Sinne von Art. I Abs. 1 Buchstabe b des NATO-Truppenstatuts ist. Bei der GSA handelt es sich um eine unmittelbar dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika unterstellte Bundesbehörde, die nicht Bestandteil der US-Streitkräfte ist. Es besteht damit keine Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme oder Gewährung stationierungsrechtlicher Privilegien nach dem NATO-Truppenstatut oder dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut für die GSA, ihr Personal oder ihre Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage.

Dr. Hansjörg Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß die Amerikaner versuchen, nun den Status als eigenes Militär zu beschreiben? In einer Besprechung mit dem Ersten Legaten der US-Botschaft wurde mir das so bestätigt. Mir liegt ein Memorandum des stellvertretenden Stabschefs von USAREUR an den Stabschef von USAREUR vor, daß sie diese Legitimation im Moment vorbereiten und diesbezüglich eine Note an das Auswärtige Amt schicken werden. Wenn sie das so machen, also den militärischen Status feststellen, was wird die Bundesregierung dann darauf antworten?

Not found (Gast)

Herr Kollege Schäfer, wir unterhalten uns über diese Frage auch hier seit, ich sage einmal: ärgerlich langer Zeit miteinander. Wir haben das gleiche Ziel, nämlich den Wegfall von Dienstposten für ZivilbeStaatsminister Dr. Werner Hoyer schäftigte in der Region zu vermeiden. Deshalb möchte ich während dieses laufenden Verhandlungsprozesses jetzt ungern auf eine hypothetische Frage eingehen. Ich möchte aber deutlich machen - insofern bin ich in der klarstellenden Antwort eben sehr weit über das hinausgegangen, was wir bisher hier gesagt haben -, daß wir im Hinblick auf die Rechtslage eine eindeutige Position haben, und die ist den amerikanischen Partnern auch bekannt. Ich gehe bisher davon aus, daß die amerikanischen Partner die Absicht haben, uns einen Umsetzungsvorschlag zu machen, der unsere Rechtsposition würdigt. Ich habe nicht den Eindruck, daß das, was Sie jetzt als Möglichkeit angedeutet haben und was ich nicht im einzelnen juristisch analysieren möchte, diesen Anforderungen gerecht wird.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Weitere Zusatzfrage?

Dr. Hansjörg Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist Ihnen ein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen bekannt, in dem folgendes ausgeführt wird: Die Regelungen des NATO-Truppenstatuts und das Zusatzabkommen knüpfen die Befreiung von Einfuhrabgaben an enge Voraussetzungen. Nach Art. XI ... werden die Einfuhrabgabenvergünstigungen nur gewährt für Waren, die im Eigentum einer Truppe oder eines zivilen Gefolges stehen oder ihnen auf Grund von Verträgen geliefert werden, die die Truppe oder das zivile Gefolge mit dem Lieferer geschlossen hat. Die GSA und ihr Personal erfüllen nicht die Anforderungen, die Art. I Abs. 1 Buchstaben a) und b) des NATO-Truppenstatuts an die Begriffe „Truppe" und „ziviles Gefolge" stellt. Die GSA ist eine Dienstleistungseinrichtung, die für die US-Regierung weltweit tätig wird. Sie ist nicht dem US-Verteidigungsministerium unterstellt ...

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege, das ist hart am Rande, muß ich Ihnen sagen. Die Fragen sollen kurz sein.

Dr. Hansjörg Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gut, dann nur die zwei Abschlußsätze dieses Schreibens: Die GSA-Angehörigen haben damit insbesondere nicht das Recht, Waren abgabenfrei einzuführen oder sich zusenden zu lassen ... Danach ist die GSA nicht zur Erteilung von Aufträgen von abgabenbegünstigten Lieferungen und sonstigen Leistungen berechtigt. Das ist die Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums. Diese Stellungnahme wird von der Oberfinanzdirektion Frankfurt inhaltlich bestätigt.

Not found (Gast)

Herr Kollege, wie immer gibt es in dieser Frage innerhalb der Bundesregierung überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten. Die Position des BMF ist vollkommen zutreffend, und die amerikanischen Partner müssen sich darüber auch im klaren sein.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Weitere Zusatzfragen zu der Frage 21? - Bitte.

Heidemarie Wright (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002832, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es geht mir noch einmal um die Befreiung von der Einfuhrabgabe und da um einen weiteren Aspekt im Bereich der Einfuhr. Es sind jetzt zum Beispiel Busse der Amerikaner unterwegs, die früher, adäquat zu unseren Bestimmungen, nach 10 000 km gewartet wurden. Ist Ihnen bekannt, daß das Wartungsintervall jetzt auf 20 000 km vergrößert wurde und somit ein Sicherheitsaspekt verschlechtert wurde?

Not found (Gast)

Das ist mir nicht bekannt und ich muß auch sagen, daß das über meinen Kompetenzbereich weit hinausgeht. Ich bin gerne bereit, das zu prüfen und an die zuständigen Stellen weiterzugeben. Auf Grund der Rechtslage ist klar, welche verkehrsrechtlichen Vorschriften anzuwenden sind. Aber in die Implementierung dieser Vorschriften möchte ich seitens des Auswärtigen Amtes dann doch nicht einsteigen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gibt es sonst Zusatzfragen? - Dann rufe ich die Frage 22 des Kollegen Dr. Schäfer auf: Sieht die Bundesregierung insoweit Handlungsbedarf, und welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung in bezug auf die Tätigkeiten der GSA ggf. zu ergreifen?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung hat ihre klare Rechtsauffassung der amerikanischen Seite mit Verbalnote vom 7. November 1997 offiziell mitgeteilt. In der Folge fanden auf politischer und auf Expertenebene Gespräche zwischen deutscher und amerikanischer Seite statt. In diesen Gesprächen wurde die Rechtsauffassung der Bundesregierung weiter verdeutlicht. Die amerikanische Seite hat die deutsche Auffassung entgegengenommen. Sie hat zugesagt, auf der Grundlage einer Unterrichtung der zentralen Dienststellen in Washington Abhilfe zu schaffen. Die Bundesregierung sieht einer offiziellen Unterrichtung über die auf amerikanischer Seite erfolgten Maßnahmen entgegen und hofft, daß das bald geschieht.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Dr. Hansjörg Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, bisher sind in diesem Bereich 464 ortsansässige Zivilbeschäftigte entlassen worden. Weitere Kündigungen in der Größenordnung von 200 bis 300 sind bisher ausgesprochen. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit die GSA einfach weiterhin tätig ist? Nach Ihrer Aussage handelt sie ja nach deutschem Recht und auch nach internationalem Recht in einem rechtsfreien Raum. Es kann doch nicht angehen, daß die GSA trotz dieser Rechtsauffassung weiterhin Kündigungen ausspricht.

Not found (Gast)

Wir respektieren selbstverständlich die Organisationsgewalt der Streitkräfte der Vereinigten Staaten. Aber wir haben eine ganz klare Rechtsauffassung hinsichtlich des Tätigwerdens der GSA vertreten. Die amerikanische Seite weiß, daß wir selbstverständlich daran interessiert sind, die Frage in gutem Einvernehmen miteinander zu lösen. Aber da mittlerweile so viel Zeit vergangen ist und der Druck in der Region verständlicherweise immer größer wird, muß auch klar sein, daß das Auswärtige Amt und die Bundesregierung keine Möglichkeiten hat, wenn wir dem Rechtsstaatsprinzip folgen wollen, hier die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Das liegt allerdings nicht in der Zuständigkeit des Geschäftsbereichs, den ich zu vertreten habe. Es ist damit aber, wie ich hoffe, ein Druck da, der deutlich macht, daß wir an einer gütlichen Lösung interessiert sind, aber auch nicht ewig warten können.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Dr. Hansjörg Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Welche Maßnahmen außerhalb Ihres Bereiches wären da denkbar?

Not found (Gast)

Darüber möchte ich nicht spekulieren. Ich möchte das Verhältnis an dieser Stelle nicht belasten, indem ich eine Drohkulisse aufbaue. Nur, wir vertreten die Interessen insbesondere der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Region mit allem Nachdruck und werden das in der nächsten Zeit in aller Deutlichkeit auch den amerikanischen Partnern klarmachen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Hofmann.

Frank Hofmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002682, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, auf Grund der steuerrechtlichen Vergünstigungen wurde zum Beispiel der Fuhrpark völlig verändert. Bisher wurde der Fuhrpark insbesondere mit VW und Mercedes bestückt. Jetzt sind es amerikanische Ford, und es soll General Motors kommen. In meinem Bereich, in Schweinfurt und in Würzburg, stehen demnächst 200 Fahrzeuge dieser Art an. Es hätte also möglicherweise auch Rückwirkungen auf den Fuhrpark, ob wieder deutsche Autos, zum Beispiel Mercedes oder VW, oder Fahrzeuge aus dem amerikanischen Bereich genommen werden. Können Sie sich vorstellen, daß die Änderung bei der GSA bzw. die Änderung insgesamt auch wieder dazu führen könnte, daß im Rahmen des Fuhrparks andere Fahrzeuge, also deutsche Fahrzeuge, zum Tragen kommen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, gerade das Aufzeigen dieses Zusammenhangs macht deutlich, wie sehr es sich lohnt, hier auf eine einvernehmliche, gütliche Lösung hinzuarbeiten. Man kann unter Umständen die eigene Rechtsposition mit der Brechstange durchsetzen und ist dann hinterher völlig überrascht, daß eben keine deutschen Fahrzeuge mehr gekauft werden, um es an diesem Beispiel klarzumachen. Es gibt auf beiden Seiten das Interesse, hier zu einer guten Lösung zu kommen. Wir werden selbstverständlich den amerikanischen Streitkräften niemals vorschreiben können, ob sie sich deutsche, britische, französische oder amerikanische Automobile zulegen. Das wird sicherlich eine ökonomische Überlegung sein und eine, die auch vom Gesamtklima abhängt.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Kollegin Wright.

Heidemarie Wright (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002832, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will noch einmal auf die Bediensteten zurückkommen, die von der GSA gekündigt wurden. Wenn ich es mir recht überlege, müssen das vorher Bedienstete des Amtes für Verteidigungslasten gewesen sein. Da jetzt Kündigungen ausgesprochen wurden, möchte ich fragen: Geht dies einher mit Verhandlungen über Sozialabsicherung, also zum Beispiel Abfindungen?

Not found (Gast)

Darüber kann ich Ihnen gegenwärtig nichts berichten, weil ich in diese Verhandlungen nicht einbezogen bin. Ich bin gern bereit, diese Informationen zu beschaffen und nachzuliefern.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Lydia Westrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002490, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, Sie haben erklärt, die Rechtsposition werde von der gesamten Bundesregierung geteilt. Es ist schön, eine Rechtsposition zu haben, aber man müßte sie auch wirklich durchsetzen. Ist es nicht auch in Ihrem Interesse, mit allen Ministerien und den ausführenden Organen zusammenzuarbeiten, um zum Beispiel zu verhindern, daß die Fahrzeuge zoll- und steuerbegünstigt oder sogar steuerbefreit eingeführt werden, was in rechtswidriger Weise geschah? Es werden zum Beispiel auch Arbeiten angeboten, ohne daß Sozialabgaben und Steuern abgeführt werden, die dann natürlich günstiger sind. Da müßte man doch mit allen Ministerien zusammenarbeiten. Gibt es dazu schon Überlegungen? Gibt es vielleicht eine Gruppierung, die dafür zuständig ist? Werden Bemühungen in dieser Richtung auch vom Außenministerium unterstützt?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, Sie können mit Sicherheit davon ausgehen, daß wir hier aufs engste zusammenarbeiten und den Blick auch auf die nachgeordneten Dienststellen richten, die entsprechende Maßnahmen zu ergreifen hätten. Aber ich glaube, es ist im Interesse der angestrebten vernünftigen Gesamtlö21264 sung nicht sinnvoll, daß ich diese Dinge hier im Parlament und damit in der Öffentlichkeit ausbreite. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Es gibt keine Zusatzfragen mehr. Die Fragen 23 und 24 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister. Wir kommen zum Bereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Irmgard Karwatzki bereit. Die Fragen 25 bis 27 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Eckart Kuhlwein auf: Ist die Bundesregierung nach ihrer Entscheidung für„ größte Zurückhaltung" beim Verkauf von Naturschutzflächen in den neuen Bundesländern ({0}) bereit, Zurückhaltung auch beim Verkauf von unter Naturschutz stehenden ehemaligen militärischen Liegenschaften in den alten Bundesländern walten zu lassen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege Kuhlwein, die Antwort der Bundesregierung auf die von Ihnen angesprochene Frage der Fragestunde vom 22. April gilt sinngemäß auch für die alten Bundesländer.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, ich bringe meine Freude über diese Erklärung zum Ausdruck, wollte aber noch einmal nachhaken: Gibt es bei inzwischen schon fortgeschrittenen Verhandlungen, bei denen auch der Preis eine Rolle spielt, die Chance, daß dort kommunale Gebietskörperschaften, die sich für eine bereits unter Naturschutz stehende Fläche aus Bundeswehrvermögen interessieren, den Zuschlag bekommen, auch wenn es einen privaten Bieter gibt, der höhergehen will?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Prinzipiell gilt das, was ich beim letzten Mal ausgeführt habe, daß die Länder hier ein besonderes Recht haben. Im Einzelfall kann das durchaus so sein.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Es gibt keine Zusatzfrage dazu. Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Eckart Kuhlwein auf: Ist die Bundesregierung bereit, wie für ostdeutsche Naturschutzgebiete angekündigt, auch in Westdeutschland unter Naturschutz stehende Liegenschaften des Bundes grundsätzlich nicht an Privatpersonen zu verkaufen, und was würde das z. B. gegebenenfalls für den im Kreis Stormarn ({0}) gelegenen früheren Schießplatz Höltigbaum bedeuten?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Die Bundesregierung strebt auf Grund des entsprechenden haushaltsrechtlichen Gebots eine Veräußerung nicht mehr benötigter bundeseigener Grundstücke an. Sie ist bereit, solche Flächen, die unter Naturschutz stehen, den für diese Aufgabe zuständigen Ländern durch Kauf oder Tausch zu übertragen. Im Fall Höltigbaum verhandelt die Bundesvermögensverwaltung derzeit mit der mehrheitlich im Eigentum des Landes befindlichen Landgesellschaft Schleswig-Holstein.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich Ihre Antwort auch auf die vorangegangene Frage so interpretieren, daß bei Ihnen die Veräußerung der Fläche Höltigbaum an die Landgesellschaft Schleswig-Holstein grundsätzlich Vorrang vor dem Verkauf an eventuelle private Bieter hat?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Ja.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Keine Zusatzfragen mehr, obwohl doch Höltigbaum das Gelände ist, das auch ich an Schlammtagen durchmessen habe? - Gut, das ist nicht der Fall. Die Fragen 30 bis 37 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Wir kommen damit zur Frage 38 des Kollegen Ernst Bahr: Wie stellt sich die strukturelle Neuorganisation der Bundesforstverwaltung nach der Planung der Regierung dar, und wie steht die Bundesregierung zu der Auffassung der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, daß in dem vorliegenden Gutachten der GMO Management Consulting GmbH eine sinnvolle Zusammenfassung von kleineren unmittelbar zusammenliegenden Forstämtern nicht erfolgt und statt dessen nicht nachvollziehbare und scheinbar willkürliche Revierverschiebungen, die aufgrund ihrer Größenordnung keine Existenzberechtigung haben dürften, erfolgen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege Bahr, der Aufbau der Bundesforstverwaltung auf Ortsebene wurde im Hinblick auf die Vorgaben einer „schlanken Verwaltung" und der Haushaltszwänge kritisch überprüft, um zu größeren und effizienteren Strukturen zu kommen. Damit wird die Bundesforstverwaltung den gleichen Fragestellungen und Untersuchungen unterzogen, wie sie in der übrigen Bundesfinanzverwaltung und auch bei den Landesforstverwaltungen durchgeführt wurden bzw. werden. Der Bundesrechnungshof hat ebenfalls eine deutliche Straffung der Aufbauorganisation gefordert - Herr Präsident, es wird leider etwas länger. Die Konzeption des Bundesministeriums der Finanzen sieht eine Reduzierung der Zahl der Forstämter von 52 auf 36 und eine Verringerung der Zahl der Forstreviere von 323 auf rund 280 Reviere vor. Die neuen Strukturen berücksichtigen - soweit möglich - die in den nächsten Jahren weiter zu erwartenden Flächenveränderungen durch Änderung der Eigentums- und Nutzungsverhältnisse, insbesondere die Vermögenszuordnung im Beitrittsgebiet und die anParl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki gelaufene verstärkte Veräußerung von entbehrlichen Flächen des allgemeinen Grundvermögens. Bei der Größe der Bundesforstämter wird von einer festgelegten Führungsspanne, also Anzahl der Reviere je Forstamt, ausgegangen, die aber durch örtliche Besonderheiten, insbesondere Zusatzaufgaben und biogeographische Gegebenheiten, nach oben oder unten abweichen kann. Die Auffassung der IG Bauen-Agrar-Umwelt, daß eine sinnvolle Zusammenfassung von nahe beieinander liegenden Forstämtern nicht erfolgt, ist nicht belegt und kann auch nicht nachvollzogen werden. Die Bundesforstverwaltung muß Flächen in der gesamten Bundesrepublik durch Arbeit vor Ort betreuen. Die geplante Neugliederung schafft Bundesforstämter von einer Größenordnung, die eine ordnungsgemäße Aufgabenerledigung gerade noch zuläßt.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage?

Ernst Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002620, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gibt es in Einzelfällen eine Zusammenarbeit zwischen den Landesforstbehörden und den Bundesforstbehörden, da sich die Landesforstbehörden in ihrem Zuständigkeitsbereich in der gleichen Situation befinden, so daß man durch Austausch von Flächen oder durch die Zusammenarbeit von Mitarbeitern eine Betreuung von Forstbereichen, die so klein sind, daß man sie nicht einzeln mit einem Forstamt ausstatten könnte, erreichen kann?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Das ist, soweit es den Austausch betrifft, gegeben, soweit es das Personal betrifft, bin ich mir nicht ganz sicher, da es auf der einen Seite Bundesbeamte und auf der anderen Seite Landesbeamte sind. Ich sage Ihnen, Herr Kollege, aber zu, daß ich mich hier informieren und Sie unterrichten werde.

Ernst Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002620, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es gibt doch solche Kooperation

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ist das jetzt die zweite Zusatzfrage?

Ernst Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002620, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- ja - zwischen privaten Forstgemeinschaften und den Landesforstbehörden. Deswegen interessiert es mich schon, ob das auch zwischen den Bundesforstbehörden und Landesforstbehörden möglich ist.

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Ich habe ja gesagt, daß ich es nicht weiß. Ich informiere mich und werde Sie dann umgehend informieren.

Ernst Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002620, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage der Kollegin Wright.

Heidemarie Wright (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002832, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, eine Diskrepanz ist mir in Ihrer Antwort aufgefallen. Sie haben von zu erwartenden Flächenveränderungen - wo finden die denn statt? - und von Größenordnungen gesprochen, die eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung gerade noch zulassen. Über mögliche Flächenveränderungen mutmaßen Sie nur und wissen davon noch gar nichts Genaues, haben aber Ihr Konzept auf der Basis von Größenordnungen strukturiert, die gerade noch - das ist Ihre Wortwahl - eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung zulassen. Ist das von mir so richtig wiedergegeben?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Was den ersten Teil Ihrer Frage angeht, so habe ich ausgeführt, daß es hierbei insbesondere um Land geht, das uns infolge der Vermögenszuordnung im Beitrittsgebiet zugeschlagen wird. Das ist der eine Teil der Frage. Auf den anderen Teil der Frage, den Sie ansprachen und der die Aufgabenerledigung betraf, antworte ich: Ja. Eine noch geringere Zahl an Ämtern und Forstrevieren, ist, so glauben wir, nicht mehr effektiv und effizient zu betreuen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich rufe dann die Frage 39 des Kollegen Ernst Bahr auf: Wie stellen sich die Zeitabläufe der Neuorganisation der Bundesforstverwaltung nach Planung der Bundesregierung dar, und inwieweit wird die Bundesregierung bei der Durchführung der Neuorganisation der Bundesforstverwaltung die Ergebnisse eines von der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt in Auftrag gegebenen Gutachtens in ihrer zeitlichen und inhaltlichen Planung mit berücksichtigen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege Bahr, die Neuorganisation der Bundesforstverwaltung soll zum 1. August 1998 in Kraft treten. Die personalwirtschaftliche Umsetzung erfolgt dann zeitlich gestaffelt. Das Gutachten der Gewerkschaft ist bisher nur angekündigt. Der Bundesvorsitzende der IG Bauen-Agrar-Umwelt hatte gestern Gelegenheit, zu der Neuorganisation Stellung zu nehmen. Der Vorsitzende ist infolge anderer Verhandlungen allerdings nicht gekommen, sondern hat seinen Vertreter geschickt. Ich habe das Gespräch geführt und darum gebeten, die Vorlage des uns an die Hand zu gebenden Gutachtens zu beschleunigen, weil wir wirklich nicht mehr in der Lage sind, das zeitlich nach hinten zu schieben.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage.

Ernst Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002620, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, ist es absehbar, in welchen Größenordnungen sich die Flächen verändern? Sie haben konkrete Termine für die Umsetzung Ihrer Vorhaben angegeben. Ist absehbar, nach welchen Kriterien dies jetzt abläuft? Sind es nur die Flächen, oder gibt es noch andere Rahmenbedingungen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Eingeschaltet ist der Hauptpersonalrat. Er wird im Laufe der nächsten Woche das von uns vorgelegte Grobkonzept beraten und - davon gehe ich aus - auch beschließen. Dann geht das Konzept an die Basis. Wir möchten die Mitarbeiter in den Flächen, die davon betroffen sind, im Sinne eines Feinrasters auch beteiligen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage? Ernst Bahr ({0}): Danke, nein.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das ist nicht der Fall. Gibt es sonst Zusatzfragen? - Das ist auch nicht der Fall. Dann rufe ich die Frage 40 der Kollegin Heidemarie Wright auf: Von welchem Mitarbeiterbestand bzw. künftigen Mitarbeiterbedarf geht die Bundesregierung nach Auswertung des Gutachtens der GMO Management Consulting GmbH aus, und wie hoch werden die mit der Neuorganisation der Bundesforstverwaltung verbundenen Kosten für den Steuerzahler veranschlagt?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Frau Kollegin, in der gesamten Bundesforstverwaltung sind derzeit rund 830 Beamte, Angestellte und Verwaltungsarbeiter beschäftigt. Auf den Bereich der Bundesforstämter entfallen davon zirka 690 Beschäftigte. Das Organisationskonzept des BMF geht von einer Verringerung der Anzahl der Bundesforstämter von 52 auf 36 und einer Reduzierung der Anzahl der Reviere von 323 auf rund 280 aus. Unter Berücksichtigung der Regelausstattung dieser Ämter wird der Personalbedarf damit um 90 bis 100 Beschäftigte verringert. Als Wirtschaftlichkeitseffekt der Straffung wurden von dem Wirtschaftsberatungsunternehmen GMO Management Consulting GmbH jährliche Einsparungen für Personal- und Sachkosten in Höhe von zirka 10 Millionen DM errechnet. Die Personaleinsparungen werden sich erst im Laufe der Jahre entsprechend den Altersabgängen realisieren. Es kann davon ausgegangen werden, daß bis zum Jahre 2005 der größte Teil des überzähligen Personals abgebaut sein wird. Die durch die Umsetzung der Neuorganisation verbundenen Kosten, wie zum Beispiel Umzugskosten, Trennungsgeld, sind im Vergleich zu den zu erwartenden Einsparungen gering. Sie lassen sich - wie ich eben schon ausführte - erst durch das personalwirtschaftliche Feinkonzept näher erfassen. Die Neuorganisation macht nicht entbehrlich, angemessene Dienstgehöfte, insbesondere in den neuen Bundesländern, zur Verfügung zu stellen. Organisationsbedingte Neuerrichtungen sind voraussichtlich nicht erforderlich.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage.

Heidemarie Wright (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002832, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben schon gesagt, daß I Sie die durch die Neuorganisation entstehenden technischen Kosten als solche nicht benennen könnten. Können Sie mir zumindest sagen, was das Gutachten dieser Consulting GmbH gekostet hat?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Da ertappen Sie mich auf dem falschen Fuß. Danach habe ich mich nicht erkundigt. Das teile ich Ihnen aber schriftlich mit.

Heidemarie Wright (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002832, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich danke Ihnen sehr. Ich habe eine weitere Frage, die die Akzeptanz und die Koordinierung mit dem Personalrat betrifft. Sie sagten, in der nächsten Woche werde das Grobkonzept vorgelegt. Ist vor dem Auftrag für das Gutachten an die Consulting GmbH der Personalrat informiert worden, daß ein solches Gutachten mit dem Ziel in Auftrag gegeben wird, die Personalstruktur unter dem Reduzierungsaspekt anzugehen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Frau Kollegin, das kann ich Ihnen nicht verbindlich sagen. Ich gehe aber davon aus, daß es verwaltungsintern so geregelt wurde, daß die betroffenen Mitarbeiter informiert worden sind.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Nun die Frage 41 der Kollegin Heidemarie Wright: Aus welchen Gründen wird bei der Neuorganisation der Bundesforstverwaltung, wie auch aus dem Gutachten des Wirtschaftsberatungsunternehmens der GMO Management Consulting GmbH hervorgeht, fast ausschließlich die personalwirtschaftliche Umstrukturierung angegangen, währenddessen andere Zielvorgaben, wie strategische Ziele, Aufgaben, Abläufe und Ausstattungen der gesamten Abläufe in der Bundesforstverwaltung nicht hinreichend berücksichtigt werden?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Es wiederholt sich alles etwas, ich kann aber nichts dafür. Der Aufbau der Bundesforstverwaltung auf Ortsebene wurde im Hinblick auf die Vorgaben einer „schlanken Verwaltung" und der Haushaltszwänge kritisch überprüft. Der Auftrag an das Wirtschaftsberatungsunternehmen war auf die Überprüfung der Aufbauorganisation beschränkt. Die qualifizierte Sperre von Haushaltsmitteln für dringend erforderliche Baumaßnahmen in den neuen Bundesländern, die notwendige Nachbesetzung vakanter Dienstposten und die bisher schon zurückgestellte Einführung des forstbetriebswirtschaftlichen IT-Verfahrens DIFO machten diese Beschränkung und eine enge Zeitvorgabe erforderlich. Eine erste Aufgabenkritik und Überprüfung der Ablauforganisation erfolgte durch das BMF. Eine Folge war zum Beispiel die Weisung zur verstärkten Veräußerung entbehrlicher Waldflächen. Eine kontinuierliche Untersuchung und Optimierung der Abläufe soll mittels des IT-Verfahrens DIFO ab Oktober 1998 und dann weiter durch eine auch für den BeParl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki reich der Bundesforstverwaltung geplante Kosten- und Leistungsrechnung erfolgen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine Zusatzfrage? - Nein. Dann rufe ich die Frage 42 des Kollegen Dr. Rössel auf: Welche Gründe sind nach Kenntnis der Bundesregierung ausschlaggebend dafür, daß das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen erst im Februar 1998 gegen ein Berliner Unternehmen der Finanzanlagebranche tätig wurde, obwohl bereits lange vorher einschlägige Fachveröffentlichungen vor dieser Gesellschaft warnten, wie aus Veröffentlichungen der „Berliner Zeitung" vom 18. April 1998 hervorgeht?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege Rössel, das Berliner Unternehmen der Finanzanlagebranche hat Anlegern seit 1994 Anlageverträge angeboten. Die 1994 durchgeführten Ermittlungen des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen hatten zu dem Ergebnis geführt, daß das Unternehmen zum damaligen Zeitpunkt keine Bankgeschäfte betrieb. Auf Grund der dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen später bekanntgewordenen Erkenntnisse wurde der Gesellschaft im Februar 1997 schriftlich mitgeteilt, daß die von ihr hereingenommenen Gelder Einlagen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG sind und zurückgezahlt werden müssen. Der Gesellschaft wurde zum damaligen Zeitpunkt die Möglichkeit eingeräumt, den Anlegern nach deren Wahl statt Rückzahlung der Gelder einen anderen Vertrag, welcher nicht das Betreiben von Bankgeschäften beinhaltet, anzubieten. Ab Mitte 1997 ergaben sich jedoch Zweifel an der Zuverlässigkeit der bisherigen Geschäftsführung. Die daraufhin durchgeführten umfangreichen bankaufsichtlichen Ermittlungen, die Anfang 1998 abgeschlossen wurden, erwiesen, daß Gelder in ausländische Briefkastenfirmen investiert wurden. Diese Umstände, welche auf eine unsachgemäße und unzuverlässige Geschäftsführung hinweisen, stehen einer freiwilligen Abwicklung entgegen. Der Gesellschaft wurde deshalb durch sofort vollziehbare Verfügung vom 18. Februar 1998 die Rückzahlung der Einlagen aufgegeben.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Eine Zusatzfrage?

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ist der Bundesregierung bekannt, ob, und wenn ja, in welchem Umfang, auch ein Tochterunternehmen dieses hier nicht benannten, aber uns beiden bekannten Berliner Finanzanlageunternehmens von dem Konkurs betroffen ist, wodurch rund 2500 Bürgerinnen und Bürger in Berlin und Brandenburg voraussichtlich ihrer sämtlichen Einlagen bei dem Unternehmen verlustig gehen werden?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege Rössel, das ist nicht mein ureigenes Fachgebiet. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob die Tochtergesellschaft davon mit betroffen ist. Ich sage Ihnen aber zu, daß Sie morgen darüber Bescheid erhalten.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Vielen Dank. - Ich habe noch eine weitere Frage.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Würden Sie aus dem in der Berliner Finanzanlagebranche erneut vorgekommenen Fall eine Schlußfolgerung für eine weitere Ausgestaltung der Arbeit des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen dergestalt ziehen, daß dort der vorbeugenden Arbeit auf Grund dieses Finanzanlagebetrugsvolumens in Deutschland noch größere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege Rössel, ich glaube, daß das Bundesaufsichtsamt sehr wohl seiner Pflicht nachgekommen ist. Es kann ja erst prüfen, wenn solche Fälle bekanntwerden. Ich glaube, es wäre der richtigere Weg, daß wir die Anleger bitten, doch mehr darauf zu achten, wie seriös solche Unternehmen sind. Ich glaube, das wäre der richtigere Weg. Ich mache mich aber auch in diesem Fall, den Sie erwähnt haben, sachkundig und werde Sie darüber informieren.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Dann rufe ich die Frage 43 des Kollegen Dr. Rössel auf: Wie hoch beziffert die Bundesregierung den Umstellungsaufwand ({0}) für die Einführung des Euro in der öffentlichen Verwaltung ({1}) in Deutschland?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Die Bundesregierung hat zu den Kosten der Umstellung auf den Euro bereits in ihren Antworten zu mündlichen Fragen des Abgeordneten Conradi im Februar 1998 und der Abgeordneten Dr. Hartenstein im März 1998 sowie in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der SPD zu den Auswirkungen der Währungsunion Stellung genommen. Die Bundesregierung ist bestrebt, die Kosten der Euro-Umstellung für die öffentliche Hand auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Hierzu trägt bei, daß der gesetzliche Anpassungsbedarf auf Bundes-, Landes-und Kommunalebene durch die von der Bundesregierung auf europäischer Ebene durchgesetzte Automatik der Währungsumstellung zum 1. Januar 2002 entscheidend vermindert wird. Zudem werden durch die angestrebte einheitliche Umstellung aller Verwaltungsebenen am 1. Januar 2002 andernfalls eintretende Zusatzkosten infolge eines uneinheitlichen und nicht abgestimmten Vorgehens sowie einer Parallelverwendung von D-Mark und Euro weitestgehend vermieden. Weitere Kostenentlastungen, insbesondere für die Kommunen, entstehen durch den von der BundesreParl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki gierung geplanten Verzicht auf eine gesetzliche Verpflichtung zur doppelten Preisauszeichnung und den angestrebten Verzicht auf einen parallelen Umlauf gesetzlicher Zahlungsmittel durch die Umsetzung der modifizierten Stichtagsregelung zum 1. Januar 2002. Umverteilungseffekte zwischen Kommunen, Ländern und Bund sind nicht zu erwarten. Jede Verwaltungsebene hat die in ihrem Zuständigkeitsbereich anfallenden Kosten zu tragen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zusatzfrage.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Kann die Bundesregierung eine in der vergangenen Woche in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erschienene Meldung bestätigen, wonach das weltweit und global wirkende amerikanische Unternehmen IBM auf Grund einer Research-Studie festgestellt hat, daß in der Bundesrepublik Deutschland die Kosten für die Umstellung auf den Euro für Unternehmen, Organisationen und die öffentliche Verwaltung bei 300 Milliarden DM - das sind 40 Prozent der jährlichen Steuereinnahmen - liegen würden?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Nein, das kann ich nicht bestätigen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Dann danke ich Ihnen, Frau Staatssekretärin. Die Fragestunde ist damit beendet. Können wir die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b aufrufen? Sind die Fraktionen und die Gruppe vorbereitet? - Gut. Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsgesetzes - Drucksache 13/9695 - ({0}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({1}) - Drucksache 13/10 509 Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Börnsen ({2}) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rezzo Schlauch, Margareta Wolf ({4}), Christa Nickels und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drittes Gesetz zur Änderung des Filmförderungsgesetzes ({5}) - Drucksachen 13/8907, 13/10 509 Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Börnsen ({6}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Wolfgang Börnsen, CDU/CSU.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen in die zweite und dritte Lesung des Filmförderungsgesetzes. Ich bedanke mich bei den Ausschußkolleginnen und -kollegen dafür, daß sie in so kooperativer und angenehmer Art und Weise dazu beigetragen haben, daß wir einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem man wirklich an die Öffentlichkeit treten kann. Dieser Dank gilt besonders Ina Albowitz und Thomas Krüger sowie meinem Kollegen Dr. Probst. Meine Damen und Herren, Film ist Faszination, Kino ein Ort der Imagination. Keine Kunstform ist so weit verbreitet, so vielfältig, phantasievoll und jedermann jederzeit zugänglich wie der Film, ob im Fernsehen, im Kino oder per Video. Über 143 Millionen Besuche gab es allein im Kinojahr 1997, 10 Prozent mehr als im Vorjahr, die höchste Anzahl seit 20 Jahren. Ein Umsatz von fast 1,5 Milliarden DM konnte im Kinojahr 1997 erzielt werden, 11,7 Prozent mehr als im Jahr zuvor, die größte Summe seit 20 Jahren. Einen dritten Rekord gab es im Kinojahr 1997: 800 Millionen DM investierte man in neue Kinos, schuf allein dadurch 3000 zusätzliche Arbeitsplätze. Derzeit stehen im gesamten Bundesgebiet über 4000 Kinosäle dem Publikum offen, zunehmend in Multiplexen. Filme sind Raum für die Erfüllung von Träumen, sind eine Information aus bunten Bildern, sind Aufklärung, Reflexion oder auch Reaktion auf gesellschaftliche Zustände. 104 Jahre, nachdem die Bilder laufen lernten, ist weltweit der Kinoboom ungebrochen. 200 verschiedene Filme werden zur Zeit auf dem Hongkong-Festival vorgestellt. Ein Filmbeitrag aus der Bundesrepublik ist jedoch nicht dabei. Wenn Mitte Mai die internationalen Filmfestspiele in Cannes ihre Pforten öffnen, bleiben die Deutschen Zaungäste. Beim letzten Festival in San Francisco zählten Filme aus dem Land der legendären Ufa zu den Exoten. Noch sind wir international nicht ausreichend präsent. Dabei kann sich der Film in Deutschland wieder sehen lassen. Überzeugende, hochqualifizierte Produktionen gibt es bei uns. Damit sind nicht nur die Komödien und kunstvoll gestalteten Beziehungskisten gemeint. Vielmehr machen besonders anspruchsvolle Streifen wie „Jenseits der Stille", „Schreckliches Mädchen", „Schwarzfahrer" oder „Schtonk" - alle oscargeeignet - offenkundig: Die Kinorenaissance in unserem Land ist kein Strohfeuer. 15 bis 18 Prozent beträgt wieder der Anteil eigener Produktionen am gesamten Kinoangebot in der Bundesrepublik. Das gilt für das Inland. Nennenswerte Exportschlager sind jedoch noch nicht zu verzeichnen. Wolfgang Börnsen ({0}) Wer jedoch den Filmstandort Deutschland auf Dauer stärken und stabilisieren will, der muß diese Perspektive - Film als Exportgut - eröffnen. Deshalb wird mit dem heute zu verabschiedenden Filmförderungsgesetz eine Entschließung vorgelegt, die eine Aufforderung an die Bundesregierung zur Exportoffensive enthält. Fast 2 Milliarden DM wurden 1996 für den Import ausländischer Filme ausgegeben. Dem standen im gleichen Jahr Verkaufserlöse von gut 58 Millionen DM gegenüber. Dieses Mißverhältnis ließe sich beenden, wenn auch wir durch einen sachkundigen Beirat oder einen Filmbeauftragten, eine Art Filmbotschafter, auf den weltweiten Festivals und im Rahmen unserer Auswärtigen Kulturpolitik einen solchen neuen Schwerpunkt setzen würden. Neben mehr Kurzfilmen in deutschen Kinos und Wettbewerbsgerechtigkeit für Videotheken halten wir eine Umstrukturierung der Filmförderungsanstalt zu einem eigenständigen Wirtschaftsunternehmen für erforderlich. ({1}) Mit der Neufassung des Filmförderungsgesetzes sichern wir dem Kino als Wirtschaftszweig nicht nur mehr Geld, nicht nur eine Fördergarantie für fünf weitere Jahre, eröffnen wir nicht nur weitere hilfreiche Perspektiven für alle Filmschaffenden bei uns, sondern setzen auch ganz bewußt Akzente, um zu mehr Koordination und Konzentration in der Filmförderung zu kommen. Ohne finanzielle Förderung gäbe es in Deutschland keine Spielfilme von Format. Der Förderanteil liegt bei nationalen Filmproduktionen durchschnittlich bei 56 Prozent. Die Fördersumme von Bund und Ländern und der FFA als Selbsthilfeeinrichtung beträgt derzeit zirka 250 Millionen DM. Den Hauptanteil tragen die Länder. Während Bayern, NRW sowie Berlin und Brandenburg verstärkt Filmstandortpolitik betreiben, ist gerade aus Schleswig-Holstein eine Hiobsbotschaft eingetroffen. Um ein Drittel plant nach Aussage der kulturellen Filmförderung im Land zwischen den Meeren das zuständige Ministerium die Projektmittel zu kürzen. Damit käme der Film dort in die Flaute - ein falscher Weg. Gerade den jungen Film gilt es überall zu stützen und zu stärken, das gilt auch für Schleswig-Holstein. Die Filmförderungsanstalt in Berlin wird mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz in die Lage versetzt, über 75 Millionen DM jährlich zu vergeben - standortunabhängig. Die Fördervoraussetzungen tragen mit den anderen neuen Elementen im Gesetz dazu bei, daß auch der große, kostenaufwendige Film bei uns eine Chance bekommt. Der Verwaltungsrat, das Filmparlament der FFA, behält sein Haushaltsrecht und damit seine Grundsatzkompetenz. Wenn dort neben allen bedeutenden Filmverbänden und Fachgruppen auch die Regierung und der Bundestag vertreten sind, so deshalb, weil sich diese Kooperation durchaus bewährt hat. ({2}) Genau muß es in diesem Zusammenhang bei Ziffer 8 heißen: ein Mitglied und Stellvertreter der Deutsche Bundestag. Wie gewollt und gewünscht ist es zu einer deutlichen Verschlankung der Strukturen gekommen, hat die Weiterbildung eine ebenso deutliche Aufwertung wie die Drehbuchförderung der Kinder- und Dokumentarfilme erfahren. Was Skeptiker zu Beginn der Novellierung befürchteten, ist nicht eingetroffen. All diejenigen, die von der Filmförderung profitieren - ob nach altem FFG-Recht verpflichtet oder freiwillig vereinbart -, sind jetzt angemessen und ausgewogen an deren Finanzierung beteiligt. Das Selbsthilfeprinzip ist beibehalten worden, und gleichzeitig haben wir Fenster für Technologieentwicklungen gelassen, die neben einer vermehrten Film-/Fernsehkooperation auch Pay per view und Video on demand berücksichtigen. Bei der Gesetzeserarbeitung war nicht nur der Fachverstand des Wirtschaftsministeriums hilfreich, sondern auch besonders die Anregungen durch den FFA-Präsidenten Strate und den Vorsitzenden der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, Steffen Kuchenreuther, und den Deutschen Kulturrat. Im Entwicklungsprozeß des Gesetzes hat es teilweise deftige Kritik von allen Seiten gegeben, und dies trotz Anhörung, vieler Verbandsgespräche, Expertenhearings und der Berücksichtigung kluger Fachkonzepte. Doch daran haben sich die Betroffenen gewöhnen müssen: Das FFG ist keine Verbandsverordnung, und eine einseitige Interessenwahrnehmung findet nicht statt. ({3}) Unsere Richtschnur konnte und kann nur sein, durch eine Strukturreform dazu beizutragen, unserer nationalen Filmtheater- und Produktionslandschaft eine neue Stabilität und Flexibilität zu verleihen. Ganz bewußt erhält damit auch die FFA in Berlin eine Stärkung ihrer zentralen Funktion. Einer der legendärsten und berühmtesten Filmstandorte unserer Welt - Berlin - kann damit an eine große Vergangenheit anknüpfen, wenn die Verantwortlichen die Chancen des neuen FFG nutzen. Herzlichen Dank. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Thomas Krüger, SPD.

Thomas Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002708, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem mein Kollege Börnsen den deutschen Film so furios gefeiert und ihm Perspektiven eröffnet hat, möchte ich ein wenig Wasser in den Wein gießen; denn ich finde, daß die aktuellen Zahlen, von denen gesprochen wird, durchaus ambivalent sind. Wir haben zwar steigende Besucherzahlen durch eine erhöhte Anzahl von Kinosälen und Leinwänden, wir wissen allerdings auch, daß der Marktanteil des deutschen Films im ersten Quartal dieses Jahres wieder deutlich unter 10 Prozent gesunken ist. Die Zahlen, die wir in den Jahren 1996 und 1997 erzielt haben, sind keineswegs stabil. Deshalb kann man sich auf den Lorbeeren der vergangenen Jahre nicht ausruhen. Wir müssen sehen, daß wir mit dem neuen Filmförderungsgesetz Erfahrungen sammeln und gegebenenfalls bei der anstehenden Novelle in fünf Jahren das ändern, was nötig ist, weil sich die Entwicklung der Filmfinanzierung im Grunde monatlich verändert und diese daher flexibler ausgestaltet werden muß. Wir alle wissen, daß das Filmförderungsgesetz eine sehr stark regulierende Wirkung hat. Hier muß gegebenenfalls weiterer Veränderungsbedarf angemeldet werden. Eine Kritik möchte ich zunächst an der Regierung äußern. Ich war unzufrieden, daß sich der Bundeswirtschaftsminister so wenig in die Debatte im Bundestag eingeklinkt hat. Er hat das seinem Staatssekretär überlassen, ({0}) er macht das auch ganz gut. Aber die deutsche Filmwirtschaft ist keine Hinterbänklerangelegenheit, sondern hier geht es sowohl bei der kulturellen Vermittlung als auch bei der Wirtschaftskraft dieser Branche darum, daß Perspektiven eröffnet werden müssen, die auch der politischen Moderation der jeweiligen Spitzen der Ministerien bedürfen. In Frankreich zum Beispiel wird die Filmwirtschaft durch den Kulturminister vertreten. Die Vereinigten Staaten haben einen Filmbeauftragten, der jeden Tag Zugang zum Präsidenten hat. Da geht es um knallharte Interessen, die im politischen Bereich vertreten werden. Das scheint mir bei uns auf der Bundesebene nicht genügend berücksichtigt zu werden. ({1}) Ein weiterer Punkt. Herr Rexrodt hat sich eingemischt, was den Länderkonflikt betraf. ({2}) - In der Tat, er hat sich mit den Länderfürsten auseinandergesetzt. - Er hat sich informell auch mit den privaten Fernsehbetreibern zusammengesetzt, ist dabei allerdings auf der ganzen Linie gescheitert. Im ersten Regierungsentwurf - das ist uns natürlich nicht entgangen; Kollege Börnsen lächelt weise - gab es sogar den Vorschlag, eine gesetzliche Abgabe einzuführen. Dem haben wir zunächst mit einem gewissen Wohlwollen entgegengesehen. ({3}) Allerdings ist Herr Rexrodt als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet, weil ihm schon aus dem Kabinett heraus Widerstände entgegengebracht worden sind und er diese Abgabe nicht durchsetzen konnte. Wir haben deshalb den pragmatischen Weg gewählt, eine vertragliche Lösung zu erreichen, und zwar nicht so wie in den letzten Jahren. Kollege Börnsen, ich will das ganz kurz ergänzend hinzufügen, denn das ist sehr wichtig: Wir hatten bisher immer Verträge, die über zwei oder drei Jahre abgeschlossen wurden. Das hatte den Nachteil, daß im Laufe einer Legislaturperiode die Filmförderungsanstalt über Verhandlungen öffentlich vorgeführt worden ist. ({4}) Das können wir uns nicht weiter leisten. Wir haben jetzt im Rahmen der Dauer des neuen Filmförderungsgesetzes Verträge über die gesamte Legislaturperiode vorliegen. Das finden wir gut so. Wir denken, daß dies eine tragfähige Basis für die nächsten Jahre darstellt. ({5}) - Das ist ein Fortschritt, den wir, so denke ich, durchaus den Bemühungen der Parlamentarier, die daran beteiligt waren, zuschreiben können. Wir dürfen auch konstatieren, daß es im Regierungsentwurf - ich will ja nicht nur Kritik üben einige positive Veränderungen des Filmförderungsgesetzes gab. ({6}) Die stärkere Absatzförderung, die höheren Anteile also für den Export nach Berücksichtigung des Vorwegabzugs, was in § 68 des Gesetzentwurfes geregelt ist, ist ein sehr schönes Beispiel dafür. Wir haben versucht, ein Signal in Richtung Videowirtschaft auszusenden. Sie wollen wir zum Teil der Filmförderung machen. Wir wollen sie zurückgewinnen. Die jahrelangen Klagen, die es gegeben hat, waren für die Filmförderung in Deutschland abträglich. Hier haben wir durch Gespräche, die mit Vertretern der Videowirtschaft stattgefunden haben, aber auch durch den Gesetzentwurf entsprechende Korrekturen herbeiführen können. Wir haben es geschafft, die Produzenten zu stärken, indem es eine Erleichterung bei der Projektentwicklung gibt. Sie können nämlich, was die Referenzfilmförderung betrifft, einen wesentlich größeren Teil der Mittel für die Stoffentwicklung benutzen und damit Projekte vorantreiben. Jeder, der sich mit der Branche beschäftigt, weiß, wie teuer es ist, Stoffe zu beschaffen, Drehbücher zu entwickeln usw. Unzureichend - das möchte ich an dieser Stelle betonen - war im Regierungsentwurf die Rechteregelung. Unzureichend schien uns die Gremienreform. Wir sind da weitergegangen. Unzureichend waren die kulturellen Elemente. Da haben wir vernünftige Korrekturen herbeigeführt. ({7}) Frau Albowitz, ich will allerdings noch auf eine Chuzpe hinweisen. Im Regierungsentwurf stand zu unserer großen Überraschung, daß der Bundestag in den Gremien der Filmförderungsanstalt - namentlich im Präsidium und der Vergabekommission - nicht mehr präsent sein soll. Die Regierung hat sich klugerweise selber dort eingetragen, allerdings den Bundestag als Gesetzgeber vor die Tür gesetzt. Das haben wir korrigiert. Hier haben wir gesagt, wer Herr im Hause ist. Insofern möchte ich noch einige Anmerkungen zu unserem Änderungsantrag machen. Der Änderungsantrag ist sehr konstruktiv mit dem Regierungsentwurf umgegangen. Wir haben es geschafft, die Gremienreform stringenter zu gestalten. Das Haushaltsrecht bleibt beim Verwaltungsrat. Das war uns sehr wichtig. Der Bundestag ist in den entsprechenden Gremien vertreten. Dann das Wichtigste überhaupt: Wir haben einen Rückfall der Fernsehrechte nach sieben Jahren verankert. Das ist wichtig. Denn wenn man anschaut, was zur Zeit - wir sind ja für die Vertragsfreiheit - im Bereich des Aushandelns von Verträgen mit Filmproduzenten geschieht, dann muß man darauf hinweisen, daß die Fernsehanbieter hier mit unsauberen Mitteln vorgehen. Sie schließen Knebelverträge bzw. Nebenverträge ab, nach denen die Produzenten die Rechte über Jahre - sogar über 20 Jahre lang - an die Fernsehanbieter abtreten sollen. Das geht so nicht. Wir haben mit dem Rechterückfall, den .wir in § 25 des Gesetzentwurfes verankert haben, ordnungspolitische Voraussetzungen dafür geschaffen, daß sich im Filmbereich eine mittelständische Produzentenlandschaft entwickeln und sie auch Eigenkapital bilden kann, um neue Projekte, und zwar unabhängig vom Fernsehen, auf den Weg zu bringen. Wir haben im Hinblick auf die Filmabgabe der Videowirtschaft durchsetzen können, daß auch hier die Referenzfilmförderung berücksichtigt wird. Dies ist ein sehr wichtiger Punkt. Das war von uns permanent angemahnt worden. Wir haben durchsetzen können, daß die Mittel für die Drehbuchförderung und die Weiterbildung entsprechend gesteigert werden. Der Antrag der Grünen sieht vor, das auf 5 Prozent zu steigern. Wir haben diese 5 Prozent nicht vorgesehen; wir haben etwas mehr geschafft. Wir haben 3 Prozent bei der Filmtheaterabgabe und 3 Prozent bei der Videoabgabe - das macht zusammen 6 Prozent - durchgesetzt. Ich finde, das ist ein deutliches Zeichen dafür, daß die standortunabhängigen Faktoren - das sind 'die, die nicht an einen Produktionsstandort gebunden sind - durch die Filmförderungsanstalt gestärkt werden sollen. Die Filmförderungsanstalt soll nämlich die Länderförderung ergänzen und nicht in Konkurrenz zu ihr treten. Es ist unsinnig, diese Konkurrenz fortzuführen. Diese Ergänzung, die Synergien sind uns wichtig. Deshalb haben wir entsprechende Korrekturen am Regierungsentwurf vorgenommen. ({8}) Auf die kulturellen Elemente ist schon von meinem Kollegen Börnsen hingewiesen worden. Wir haben - das geht weiter als im Antrag der Grünen - eine Besucherschwelle von 25 000 Besuchern und einen Auswertungszeitraum von vier Jahren nicht nur bei der Referenzfilmförderung, sondern auch bei der automatischen Vertriebsförderung vorgesehen. Das ist ebenfalls sehr wichtig. Wir haben darüber hinaus noch einen weiteren Vorschlag im Änderungsantrag berücksichtigt, daß nämlich der Verfügungsrahmen bei der Stoffebeschaffung, wenn er in einer konkreten Summe ausgedrückt werden kann, bis zu 150 000 DM betragen kann und daß er ansonsten bis 50 Prozent gehen kann. Das ist sehr wichtig, weil die 50 Prozent für die Filme, die nur knapp über die Referenz-schwelle kommen, im Grunde nicht zum Leben und nicht zum Sterben reichen. Man soll das Geld wenigstens für die Beschaffung eines vernünftigen Stoffes ausgeben können, um damit Perspektiven für ein neues Projekt zu eröffnen. Wir haben schließlich - das habe ich schon gesagt - einen gesicherten Beitrag der Fernsehanbieter durch die bereits unterzeichneten Verträge für die gesamte Geltungsdauer des Filmförderungsgesetzes hinbekommen. Hier handelt es sich nicht etwa um vage, in den Raum gestellte Versprechen. Vielmehr sind es Verträge, deren Unterzeichnung wir eingefordert haben und zur Bedingung für die Novelle des Filmförderungsgesetzes gemacht haben. Die 11 Millionen DM, die hier in Aussicht gestellt worden sind, und insbesondere die Aussicht, Sendeplätze für die Bewerbung der deutschen geförderten Filme zur Verfügung zu stellen, sind ein wichtiges Signal. Auf die einzelnen Punkte im Entschließungsantrag hat mein Kollege Börnsen schon hingewiesen. Ich will abschließend auf zwei oder drei Gefahren hinweisen. Wir dürfen uns mit diesem Filmförderungsgesetz nicht auf der sicheren Seite wähnen. Bei den derzeitigen Umständen stellt es das Machbare und das, was Sinn macht, dar, um die Branchen insgesamt weiterzuentwickeln. Aber die Dynamik in der Entwicklung dieser Branchen zeigt uns jetzt bereits, daß wir in absehbarer Zeit weitere Möglichkeiten der Flexibilisierung vorsehen müssen, um dem deutschen Film international, aber auch national eine Chance zu geben. Sonst droht uns der „Titanic"-Effekt. 15 Millionen Besucher für diesen Film bedeuten ja auch, daß sehr viele deutschsprachige oder europäische Filme schlicht von den Leinwänden verdrängt worden sind. Diese Entwicklung, die insbesondere bei den Multiplexen stattfindet, sehen wir auch mit einem kritischen Blick. Wir wollen die Vielfalt; wir wollen eine Kinokultur, ({9}) und wir wollen keine Massenprodukte, die Zuschauer in einer Größenordnung von 15 Millionen ansprechen wollen. Die nächsten Mammutprojekte wie „Godzilla" und ähnliche stehen uns ja schon ins Haus. Wer weiß, ob da neue Rekorde aufgestellt werden. Ich möchte dies jedenfalls kritisch anmerken. Wir brauchen eine Konvergenz der verschiedenen Branchen, das heißt ein stärkeres Kooperieren, um Synergieeffekte zu ermöglichen. Wir brauchen aber auch kräftige mittelständische Branchen, die aus sich selbst heraus wirken können, die miteinander verThomas Krüger zahnt sind und die sich nicht alle in eine Abhängigkeit vom Fernsehen begeben. ({10}) Das halte ich für eine große Gefahr; das möchte ich an dieser Stelle noch einmal sagen. Ich glaube, daß wir mit dem Filmförderungsgesetz in der derzeitigen Fassung gute Voraussetzungen geschaffen haben. Wir werden aber den Prozeß kritisch begleiten und insbesondere den Fernsehanbietern auf die Finger schauen müssen. Denn das, was zur Zeit vom ZDF und dem MDR - ich nenne hier ganz bewußt zwei ÖffentlichRechtliche - unternommen wird, halte ich für wirtschaftspolitisch bedenklich. Es werden nämlich Tochterfirmen gegründet und ausgelagert, die Produktionen übernehmen sollen. ({11}) Ich halte es für sehr problematisch, wenn in wettbewerbsverzerrender Weise die mittelständische Branche der Produzenten mit diesen Tatsachen konfrontiert wird. ({12}) Ich möchte das kritisch an den Schluß meiner Ausführungen stellen und damit signalisieren: Wir werden diesen Prozeß weiter kritisch, aber auch konstruktiv beobachten und begleiten. Vielen Dank. ({13})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Rezzo Schlauch, Bündnis 90/Die Grünen.

Rezzo Schlauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002777, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Börnsen, ich möchte etwas Wermut in Ihre feurige Rede gießen: ({0}) Vor einem Jahr wäre der Jubel, wie Sie ihn ausgebracht haben, berechtigt gewesen. Der damals neueste deutsche Film hatte einen Marktanteil von bis zu 37 Prozent. Gerade einmal zwölf Monate später, nämlich heute, ist schon wieder Katerstimmung spürbar: kein deutscher Film in Sicht, der die Massen ins Kino lockt. War's das schon mit dem deutschen Filmwunder? Sie - wir alle - hoffen, nicht. Aber dies zeigt, daß es noch einer Menge an Aufbauarbeit bedarf, um den deutschen Film nachhaltig zu fördern und zu pflegen. Ich glaube, auch die Filmförderung bedarf dieser Nachhaltigkeit. Über den vorliegenden interfraktionellen Entwurf hat offensichtlich nur die Crème de la crème verhandelt. ({1}) - Nein, ich war nie eingeladen, obwohl ich mich darum gekümmert habe - aber das ist vorbei; die Katze ist den Baum hoch -, obwohl wir von Anfang an als Alternative einen Änderungsantrag vorgelegt hatten, von dem Gott sei Dank auch einiges übernommen worden ist. Die große Koalition hat ein Gesetzeswerk vorgelegt, das die Bundesfilmförderung mittel- und langfristig nicht absichert, den gefährlichen Trend - das müssen Sie zur Kenntnis nehmen - zur „TVisierung", nämlich der Schwerpunktsetzung in Richtung Fernsehen, fortsetzt und die Filmförderung auf die Verliererstraße bringt. Ebenfalls vor gut einem Jahr haben alle politisch Beteiligten unisono versichert, bei einer Novellierung des Filmförderungsgesetzes müsse endlich auch die gesetzliche Abgabepflicht festgeschrieben werden. Jetzt werden wieder freiwillige Vereinbarungen als Erfolg gefeiert. Es hat sich nicht die Vernunft durchgesetzt, sondern die Lobby der Fernsehveranstalter. Der Entwurf hat an diesem Punkt einen Pferdefuß, weil nämlich gleiche Sachverhalte ungleich geregelt worden sind. Selbst wenn die Video- und die Kinowirtschaft das jetzt akzeptieren, kann es sein, daß das morgen für sie nicht gilt, weil es rechtlich angefochten werden kann. Doch nicht genug damit: Man ist den Fernsehveranstaltern noch weiter entgegengekommen. Man verläßt die Grundidee der Filmförderung und macht mit den 25 Prozent auch noch Fernsehförderung. Konsequenterweise müßte man den Namen des Gesetzes in „Fernseh- und Filmförderung" ändern. ({2}) Zudem ist der Gesetzentwurf, der heute verabschiedet wird, in einem Bereich zutiefst veraltet. Auch Sie, Herr Kollege, haben darauf hingewiesen. Die Koppelung der Filmförderung mit der zeitlichen Beschränkung der Rechte ist sinnvoll. Aber den Zeitraum auf sieben Jahre festzulegen - und dazu noch mit Ausnahmemöglichkeiten zu versehen -, das ist einfach zu viel. Das wissen alle, auch die, die an diesem Entwurf mitgearbeitet haben. ({3}) Die Durchlaufzeiten und Abspielfrequenzen von Spielfilmen haben sich beschleunigt, so daß es höchstens fünf Jahre sein dürften. ({4}) Nur so hätte man erreicht, was auch Sie sich auf die Fahnen geschrieben haben, nämlich den Mittelstand zu fördern, in diesem Fall die kleinen und mittelstänRezzo Schlauch dischen Filmproduzenten. Denn nur die Filmrechte ermöglichen ihnen die so dringend benötigte Kapitalbildung. Weil dies alles in nicht ausreichendem Maße festgeschrieben worden ist, werden wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Danke schön. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Ina Albowitz, F.D.P.

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schlauch, ich habe mich gerade noch einmal mit dem Kollegen Börnsen verständigt: Sie waren eingeladen. ({0}) - Doch, Sie waren eingeladen, aber vielleicht hat die vereinigte Familie Fischer abgelehnt. ({1}) Natürlich hätten wir gerne auch mit Ihnen verhandelt und über Ihre Vorschläge diskutiert, ({2}) genauso wie wir für die SPD den Kollegen Krüger eingeladen haben, das mit uns gemeinsam zu beraten. Er hat das angenommen. Ich glaube, das hätten Sie wahrnehmen sollen, auch wenn wir bei einem Teil dessen, was Sie vorgetragen haben - ich sage das in aller Klarheit -, keinen Konsens erzielt hätten. Herr Kollege Krüger, ich will jetzt keinen Wermutstropfen in unser Vorhaben gießen. Aber eine Berner-kung will ich doch ganz gerne machen, nämlich was das Verständnis von Regierung und Parlament angeht. Die Regierung hat ihren Gesetzentwurf vorgelegt. Nur, der Gesetzentwurf war im parlamentarischen Verfahren, als wir das beraten und die Vorstellungen der Fraktionen eingebracht haben. Insofern ist ein Kritisieren der Regierung während der Beratung völlig unnötig. Zudem hätten wir auf Hilfe zurückgreifen können, wenn wir sie gebraucht hätten - im übrigen auch Sie. Als die Unterhaltungsindustrie vor Jahren den Videorekorder erfunden hatte, prophezeiten nicht wenige das Ende des Kinos. Die Vorzüge des heimischen Pantoffelkinos schienen einfach zu groß, als daß man ihm dauerhaft Paroli bieten könnte. Aber Sie wissen natürlich: Das Gegenteil ist eingetreten, und seit Jahren, wenn auch mit Abschwächungstendenzen in diesem Jahr - diese Zahlen nehmen wir natürlich auch zur Kenntnis -, erfreuen sich der Film und das Kino steigender Beliebtheit. Der deutsche Film mit vergleichsweise winzigen Budgets und hohen Ansprüchen stößt auf riesigen Zuspruch. Der Film „Jenseits der Stille", den der Kollege Börnsen hier schon erwähnt hat, ist ja ein beredtes Beispiel dafür. Ob man bedauern soll, daß er in diesem Jahr keinen „Oscar" erhalten hat, ist eine andere Frage. Aber ich denke, manchmal ist es für junge Filme ganz wichtig, daß sie nominiert werden; die Preisverleihung kommt dann erst hinterher. Das, glaube ich, ist schon Ansporn genug. ({3}) Meine Damen und Herren, der deutsche Film - wenn auch nur in einzelnen Bereichen, wie Herr Kollege Schlauch soeben angesprochen hat - befindet sich im Aufschwung. Der sicherste Indikator sind natürlich die 800 Millionen DM aus 1997, die auch darein investiert wurden. Gleichzeitig hat der deutsche Film in den letzten Jahren insgesamt eine erfreuliche Entwicklung genommen. Wir müssen das, auch wenn es da und dort Dinge zu kritisieren gibt oder auch Einbrüche erfolgen, durchaus zur Kenntnis nehmen. Der Erfolg ruht dann auf vielen Schultern, wie das immer im Leben ist. Regisseure, Schauspieler, Autoren, Produzenten, Verleiher, die Videowirtschaft, die öffentlichen und die privaten Fernsehanbieter und viele andere mehr haben auch hervorragende Arbeit geleistet. Ich denke, sie bewegen sich in einem schwierigen Umfeld, und wir sollten ihnen dafür auch danken. Denn natürlich ist Filmwirtschaft nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, sondern auch ein Kulturfaktor; und in meiner Funktion als kulturpolitische Sprecherin meiner Fraktion begrüße ich das außerordentlich. ({4}) Meine Damen und Herren, die positive Entwicklung des deutschen Films ist zu einem Gutteil aber auch der erfolgreichen Filmförderungspolitik des Bundes und dem großen Engagement der Länder - auch das will ich an dieser Stelle erwähnen - zuzuschreiben. ({5}) Seit 1992 wurde mit dem Filmförderungsgesetz ein wesentlicher Akzent in der Abteilung Strukturverbesserung der deutschen Filmwirtschaft gesetzt, und deshalb verlängern wir die Geltung dieser Novelle um weitere fünf Jahre. Mit der Novelle, die wir heute einschließlich des Entschließungsantrages, der von CDU/CSU, SPD und F.D.P. getragen wird, verabschieden, gehen wir den richtigen Weg. Denn alle Erfolge dürfen nicht darüber hinwegtäuschen: Der deutsche Film hat mit schwierigen wirtschaftlichen und strukturellen Rahmenbedingungen auf dem Weltmarkt zu kämpfen. Das gilt für den relativ kleinen Markt, und es gilt um so mehr - vom Export dann nämlich zu schweigen - für den großen, weltweiten Markt. ({6}) Deswegen müssen wir uns auch weiter bemühen, hier Tore zu öffnen, und um so wichtiger wäre es auch gewesen, wenn wir eine noch größere Geschlossenheit in diesem Hause erzielt hätten. ({7}) Für mich ist es ganz besonders wichtig gewesen - Herr Kollege Schlauch, da bin ich wirklich konträr mit Ihnen -, daß es uns gelungen ist, mit allen Beteiligten eine verbindliche vertragliche Regelung ohne gesetzliche Vorschrift, ohne Zwangsabgabe hinzubekommen. ({8}) Wir haben vertragliche Verpflichtungen unterzeichnet auf dem Tisch liegen. Müssen wir denn in diesem Land wirklich alles gesetzlich mit Abgaben regeln? Können wir es nicht den Menschen überlassen, dazu verbindliche Erklärungen abzugeben? ({9}) Ich denke, wir haben in diesem Bereich genug geregelt. Was wir dann regeln müssen, sollten wir auch regeln. Ich bin wirklich dankbar dafür, daß es uns gelungen ist, zusammen mit den Öffentlich-Rechtlichen, mit den Privaten, mit der FFA, mit dem Ministerium und hier im Parlament Konsens zu erzielen. Ich glaube, wenn wir uns nach dem Jahr 2000 über die nächste Novelle unterhalten, werden wir sehen, wie sinnvoll das war und wie gut und wichtig es war, daß wir uns geeinigt haben. Ich danke Ihnen jedenfalls sehr herzlich. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Kutzmutz, PDS.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einige Vorredner haben es bereits ausgeführt: Koalition und SPD haben sich in den letzten Wochen auf einige Verbesserungen des Regierungsentwurfs der Filmfördernovelle verständigt. Das soll auch besonders benannt werden. Ich will hier das hervorheben, was auch Herr Krüger angesprochen hat: Es wird bessere Fördermöglichkeiten für Dokumentar- und Kinderfilme geben. Wir begrüßen die Einführung bedingt rückzahlbarer Darlehen statt Zuschüssen in der Referenzfilmförderung. Der zunächst unbestimmte TV-Rechterückfall an die Produzenten wurde doch noch durch eine konkrete Maximalfrist ersetzt. Auch stärkt es nach meiner Auffassung die Filmförderanstalt, wenn der gesamte Verwaltungsrat - und nicht nur das Präsidium - über ihren Haushalt entscheidet. Nicht einzusehen ist jedoch, warum sich in diesem Gremium neben dem Regierungsverteter auch noch ein Vertreter des Bundestages tummeln soll, ({0}) da dort nicht über Gelder der Steuerzahler und Steuerzahlerinnen entschieden wird. Wenn es aber nur um ein Pöstchen geht, müßte das hier noch einmal erklärt werden. Absolut indiskutabel - da stimme ich dem Kollegen Rezzo Schlauch zu - bleibt für uns vor allem die unangemessene Beteiligung der Fernsehveranstalter an der Filmförderung. ({1}) Wer beispielsweise vor Ostern in die Röhre schaute oder an Bushaltestellen in deutschen Großstädten stand, der konnte die Werbung eines börsennotierten Fernsehsenders für sein Spielfilmprogramm, vor allem auch für einen „beinharten" deutschen Kinofilm, nicht übersehen. Die Ergebnisse der Filmförderung sind also nachweislich ein wichtiger Marketingfaktor für eine Branche, die bekanntlich über 7 Milliarden DM allein über die Werbung einnimmt. Wenn sich der Gesetzgeber vor diesem Hintergrund von den privaten Fernsehveranstaltern mit einer brieflichen Zusage über ein Fördervolumen von 11 Millionen DM abspeisen läßt, so ist das durchaus bemerkenswert. ({2}) Das sagt auch einiges über die Herrschaftsverhältnisse aus, vor denen die große Koalition in die Knie geht. ({3}) Oder wie wollen Sie, Herr Kollege Börnsen oder Herr Kollege Krüger, beispielsweise den Filmtheaterbesitzern oder der Videowirtschaft erklären, warum sie umsatzabhängige Pflichtbeiträge entrichten müssen, die Fernsehbosse aber nur Briefe zu schreiben brauchen? ({4}) Wenn das gilt, was Frau Albowitz hier gesagt hat, nämlich „Gleichbehandlung" oder „nicht alles regeln" , müßte man das gleiche auch im umgekehrten Fall machen, also nicht nur in eine Richtung schauen. ({5}) Selbst wenn die TV-Veranstalter ihre Zusagen einhalten - was nach den bisherigen Erfahrungen zumindest bei den privaten noch nicht als sicher gelten kann -, so ergibt sich nicht nur juristisch, sondern auch wirtschaftlich ein eklatantes Mißverhältnis. ({6}) - Herr Krüger, lassen Sie mich einfach zu Ende reden. Ich habe viel weniger Redezeit als Sie. Ich würde mich viel lieber mit Ihnen unterhalten. Ich möchte nur eines anführen: Stimmen die Regierungszahlen, so müßte die Videowirtschaft künftig knapp 20 Millionen DM, müßten die Kinos gar knapp 30 MilRolf Kutzmutz lionen DM im Jahr berappen, die erheblich potenteren Fernsehanbieter aber nur 22 Millionen DM. ({7}) Das bleibt eine Tatsache. ({8}) Zum Vergleich: In Frankreich wären es für Kirch, Nowotny und Kompanie rund 175 Millionen DM. Ich habe noch nicht gehört, daß französische Kanäle deshalb dahinsiechen würden. Wenn es allerdings nur ein Bonus für künftige Wahlsondersendungen wäre, wäre das auch ein Thema, das man hier ansprechen sollte. Wir demokratischen Sozialisten stehen auch in dieser Hinsicht lieber für französische Verhältnisse ein. ({9}) - War das jetzt Zustimmung? Dann nehme ich das gern zur Kenntnis. Deshalb können wir dem - ansonsten in vielem zutreffenden - Entschließungsantrag von Koalition und SPD nicht zustimmen. Ihre Gesetzesnovelle lehnen wir ab, denn es handelt sich nicht um ein Film-, sondern immer noch um ein Fernsehförderungsgesetz. Der Antrag der Bündnisgrünen dagegen weist in die richtige Richtung, insbesondere im Umgang mit den TV-Veranstaltern. Danke schön. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, daß ich als Vertreter der Bundesregierung heute zum Abschluß der Beratungen zur Novellierung des Filmförderungsgesetzes hier eine ganz überwiegend angenehme Aufgabe habe. ({0}) Aber bevor ich Anerkennung, Freude und Dank zum Ausdruck bringe, möchte ich doch noch mit wenigen Worten auf das eingehen, was Kollege Krüger hier gesagt hat, daß er nämlich beklagt hat, der Bundesminister für Wirtschaft habe sich nicht hinreichend in die Novellierung eingebracht. Herr Kollege Krüger, das Gegenteil ist der Fall. Herr Bundesminister Rexrodt hat sich an vielen Stellen in den zurückliegenden Monaten persönlich in die Verhandlungen eingeschaltet. Er hat persönlich an Gesprächen mit den öffentlichen Rundfunkanstalten ({1}) - ich werde es Ihnen gleich sagen - und auch mit dem VPRT teilgenommen. Er hat sich wiederholt an Stellen, an denen die Verhandlungen ins Stocken gekommen waren, telefonisch eingeschaltet und wieder für Bewegung gesorgt. Sie fragen: Wo ist er heute? Er ist in China. Sie haben es vielleicht in den Zeitungen gelesen. Deswegen hoffe ich auf Ihr Verständnis dafür, daß er hier heute nicht sprechen kann. Das soll aber nicht etwa ein Indiz für die Geringschätzung dieses Themas sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies vorausgeschickt, möchte ich die Freude darüber zum Ausdruck bringen, daß eine von den Koalitionsfraktionen und der SPD gemeinsam unterstützte Novelle zum Filmförderungsgesetz heute hier verabschiedet werden kann. Ich möchte den besonders engagierten Berichterstattern in der CDU - Wolfgang Börnsen -, in der SPD - Herrn Thomas Krüger - und last, but not least in der F.D.P. - meiner Kollegin Ina Albowitz - Dank dafür sagen, daß ein allseits akzeptierter Kompromiß erzielt werden konnte. ({2}) Ich möchte auch den Vertretern der Filmwirtschaft, insbesondere dem Präsidium der Filmförderungsanstalt, dafür Dank sagen, daß sie die Bundesregierung bei dem Versuch einer vernünftigen Umgestaltung der Strukturen der Filmförderungsanstalt und auch der Förderung unterstützt haben. Außerdem möchte ich dafür Anerkennung aussprechen, daß sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und die privaten Fernsehanbieter am Ende doch noch zu einem angemessenen Beitrag von jährlich 11 Millionen DM an die Filmförderungsanstalt und zu zusätzlichen Werbemaßnahmen für den deutschen Film verpflichtet haben. Sie werden sicherlich verstehen, daß ich als Vertreter des liberalen Bundesministeriums für Wirtschaft meine Genugtuung darüber zum Ausdruck bringe, daß das von unserem Hause vorgeschlagene flexible Instrument der Selbstverpflichtung des öffentlichen und privaten Fernsehens zu einem Erfolg geführt hat. Herr Kollege Schlauch - ich sehe, er telefoniert gerade; Entschuldigung -, es hat also kein In-die-KnieGehen des Bundesministeriums für Wirtschaft gegeben, wie Sie es bei der ersten Lesung der Novelle zum Filmförderungsgesetz ausgeführt haben. Ganz im Gegenteil: Die beharrliche Überzeugungsarbeit gegenüber allen Beteiligten hinsichtlich der Fortexistenz der Filmförderungsanstalt hat zum Erfolg geführt. Ich gehe davon aus, daß nun auch die Videowirtschaft, die durch die Novelle zum Filmförderungsgesetz entlastet wird, nämlich durch den Übergang bei der Abgabepflicht vom Bruttoumsatz auf den Nettoumsatz, durch die Reduzierung des Abgabesatzes von 2 Prozent auf 1,8 Prozent sowie durch die Herausnahme der Special-interest-Programme aus der Abgabepflicht, zu ihrer Abgabeverpflichtung nach dem Filmförderungsgesetz steht. Die heute mit breiter Mehrheit verabschiedete Novelle zum Filmförderungsgesetz ist - allen Unkenrufen in der Presse zum Trotz - richtungweisend: Die wirtschaftliche Filmförderung des Bundes wird für fünf Jahre auf eine solide Grundlage gestellt. Die Filmförderungsanstalt kann in den nächsten fünf Jahren auf gesicherter Grundlage Fördermittel in Höhe von 70 bis 80 Millionen DM für den deutschen Film einsetzen. Dies erweist sich gerade in einer Zeit als notwendig, in der der deutsche Film vielversprechende Ansätze zu einer Stärkung seines Ansehens beim deutschen Publikum erkennen läßt. Ich glaube, der Kollege Börnsen hat hier zu Recht auf diesen Punkt hingewiesen. Das neue Filmförderungesetz trägt dem Zusammenwachsen der Medien in Film, Fernsehen und künftig auch der Konvergenz mit den neuen Medien Rechnung und bringt eine Reihe von Strukturverbesserungen, auf die meine Vorredner teilweise schon eingegangen sind. Ich darf Ihnen zusichern, daß sich die Bundesregierung sogleich nach Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes an die Aufgaben machen wird, die ihr durch den Entschließungsantrag aufgegeben sind. ({3}) Die deutsche Kino- und Medienbranche befindet sich im Aufwind. Ich erwarte, daß der deutsche Film-und Medienstandort durch die heute einvernehmlich verabschiedete Novelle zum Filmförderungsgesetz nachhaltig gestärkt wird. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Zunächst möchte ich über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Änderung des Filmförderungsgesetzes, Drucksache 13/9695 und Drucksache 13/10509 Nr. I. 1., abstimmen lassen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung mit der von dem Kollegen Börnsen vorgetragenen Berichtigung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD- Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit angenommen, Mehrheitsverhältnisse wie zuvor. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt in seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/10509 Nr. I. 2. die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Filmförderungsgesetzes, Drucksache 13/ 10509 Nr. II. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8907 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 4 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Antje-Marie Steen, Anni Brandt-Elsweier, Dr. Marliese Dobberthien, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Frauenspezifische Gesundheitsversorgung - Drucksachen 13/5214, 13/6893 Es liegt ein Entschließungsantrag der SPD vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Widerspruch gibt es nicht? - Dann ist so beschlossen. Dann eröffne ich die Aussprache, Herr Kollege Schulz, mit der Anfrage, ob alle Fraktionen debattenbereit sind, denn Ihre gemeldete Rednerin ist nicht im Saal. - Ich gehe davon aus, daß Sie sich darum kümmern ({0}) und daß wir mit der Debatte jetzt beginnen können. Das Wort hat die Kollegin Antje-Marie Steen, SPD.

Antje Marie Steen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002226, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit unserer Großen Anfrage wollen wir neben der Benennung von Defiziten die Aufmerksamkeit besonders auf einen Bereich in der Gesundheitspolitik lenken, der den größten Teil der Bevölkerung betrifft, dem aber nicht genügend Berücksichtigung widerfährt: der frauenspezifischen Gesundheitsversorgung. Die Tatsache, daß Frauen in den verschiedensten Lebensbereichen häufig noch immer benachteiligt und diskriminiert werden, daß Frauen in einer noch immer von Männern dominierten Gesellschaft über keine einflußreiche Lobby verfügen, hat dazu beigetragen, daß der Bereich Frauengesundheit sowohl in der Öffentlichkeit und den Medien als auch in der Politik und der Wissenschaft kaum Beachtung, geschweige denn Interesse gefunden hat. Folglich werden der weibliche Körper und seine biologischen Funktionen in der medizinischen Forschung, Ausbildung und Anwendung auch heute noch überwiegend an einem männlich orientierten Gesundheitsbild gemessen. Die traditionelle Gesundheitsdefinition sowie Krankheitsbetrachtung, die sich weitgehend an männlichen Normen vollzieht, muß jedoch aus weiblicher Sicht ergänzt bzw. ganz anders vorgenommen werden. ({0}) Es ist mittlerweile unbestritten, daß sich Krankheiten im Alltag von Frauen anders auswirken als Krankheiten im Leben der Männer. Die wenigen Untersuchungen, die es gibt, belegen, daß die unterschiedliche Verteilung von Gesundheitsrisiken einerseits und die unterschiedliche Auswirkung gleicher Krankheiten andererseits die Allgemeinbefindlichkeiten von Männern und Frauen bestimmen. So haben beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Knochenerkrankungen, Depressionen und Sucht bei Männern und Frauen unterschiedliche Entstehungsbedingungen und Verläufe, häufig eine andere Psycho- und Soziogenese. Trotz dieser Tatsachen bleibt uns die Wissenschaft Antworten auf viele Fragen schuldig. Warum etwa ist kaum erforscht, ob Medikamente bei Frauen zum Beispiel wegen des unterschiedlichen Hormonhaushaltes in gleicher Dosis wirken wie bei Männern oder ob sie schädlich sind? Warum sind Frauen überwiegend in jungen Jahren deutlich geringer von Herzinfarkt, deutlich höher hingegen von Schlaganfall betroffen? Warum aber sterben im Vergleich zu Männern doppelt so viele Frauen schon am ersten Herzinfarkt? Fehlt hier etwas in der Diagnosestellung? Es stellt sich also die alles entscheidende Frage: Wieso werden weder in der Forschung noch in der Gesundheitsversorgung und auch nicht in der Prävention die geschlechtsspezifischen Unterschiede in einem ausreichenden Maße berücksichtigt? Warum richtet sich die Erforschung gesundheitlicher Belange noch immer an dem Lebens- und Erfahrungsbild von Männern aus? Das sind die wichtigsten Gründe, die mich veranlaßt haben, diesbezüglich eine Große Anfrage zu erarbeiten. Mir geht es hierbei hauptsächlich um die Sensibilisierung für ein Thema, das mit Hilfe von uns Politikern und Politikerinnen aus diesem Plenum heraus endlich die Beachtung in der Gesellschaft, der Politik und der Wissenschaft erlangen muß, die ihm zusteht. ({1}) Dabei gibt es gerade bei dem Thema „Lebenssituation von Frauen" gute Gründe, diese Lücke zu schließen. Das fängt bereits im jungen Alter an. Die weibliche Sozialisation führt oft schon bei kleinen Mädchen zu Einschränkungen ihrer Persönlichkeitsentwicklung und ihrer kreativen Eroberung der Welt. Diese Einschränkungen, Diskriminierungen und Rollenfestlegungen zeigen sich im Erwachsenenalter an Hand sozialer, körperlicher und psychischer Leiden in Form von Depressionen, Angstzuständen, Eßstörungen und sonstigen psychosomatischen Erkrankungen. Weltweit erkranken Frauen eineinhalb- bis dreimal häufiger an schweren Depressionen. Sie leiden etwa doppelt so häufig an Angstzuständen. Dabei werden sie eher als seelisch krank diagnostiziert als Männer. Hierbei spielen die Rollenfestlegungen und die Gewaltverhältnisse in einer immer noch männlich dominierten Gesellschaft eine entscheidende Rolle. Es besteht somit dringender Bedarf an Forschung und Aufklärung der Ursachen, auch im Zusammenhang mit der Tatsache, daß der Konsum zum Beispiel von Psychopharmaka bei Frauen doppelt so hoch ist wie bei Männern. Übrigens - das möchte ich hier kritisch anmerken - läßt dies auch Rückschlüsse auf das Verordnungsverhalten vieler Ärzte zu. Der Griff zum Rezept scheint häufig einfacher zu sein als das ausführliche Gespräch über eigentliche Ursachen und Begleitumstände. ({2}) Der fatale Verlauf setzt sich auch im Alltagsleben, in der Familie, Mutterschaft und im Beruf fort. Selbstverständlich ist es noch immer so, daß überwiegend Frauen für den Haushalt, die Familie, die Kindererziehung und dazu häufig noch für die Existenzsicherung zuständig sind. Die hierbei auftretenden Doppel- und Dreifachbelastungen bewirken Krankheitsbilder, die einzig Frauen betreffen. Aber auch die berufliche Realität von Frauen ist durchzogen von Widersprüchen und Ungerechtigkeiten. Meist haben Frauen schlechter bezahlte Arbeitsplätze, weniger verantwortungsvoll definierte Jobs, und sie arbeiten häufiger als Männer in sogenannten versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnissen, den 620-DM-Jobs. Gerade hier werden auf Grund fehlender Kontrollen geltende Arbeitsschutzrichtlinien vernachlässigt und oft auch unterlaufen. Alles in allem durchzieht die fatale Erfahrung von Überverantwortung einerseits und Abhängigkeit andererseits die Normalbiographie von Frauen wie ein roter Faden. Dabei kämpfen Frauen häufig mit falschen Mitteln gegen zum Beispiel Verlustängste und Schuldgefühle: Sie greifen häufiger zu Alkohol, Medikamenten und anderen Drogen. Frauen fechten ihren Kampf am eigenen Körper aus, der für sie als negatives Selbstbild herhalten muß. Die frauentypischen Krankheiten, wie die Eß-Brech-Sucht und die Magersucht, an denen etwa jede zehnte Frau zwischen 15 und 50 Jahren erkrankt und leidet, etablieren sich immer mehr. Trotz der unzureichenden Ausrichtung der Biomedizin auf frauenspezifische Gesundheitsansprüche sind in den vergangenen Jahren mit Hilfe von Verbänden und Selbsthilfegruppen frauenspezifische Therapiemaßnahmen entwickelt worden, die zumindest in einigen wenigen Bereichen mit sehr guten Ansätzen zur Frauengesundheit beitragen. Ich nenne hier die Müttergenesungskur, auch die Mutter-undKind-Kur, die es erlaubt, in wenigen Wochen den nötigen Abstand zu den beschriebenen Alltagsproblemen zu finden und dabei psychosomatische Genesungsprogramme zur Wiederherstellung der Gesundheit durchzuführen. Leider aber haben wir erlebt, daß gerade diese Form der Kur, der Genesung und vor allen Dingen der Erholung unter ein Diktat der Finanzen gefallen ist und nicht mehr in vollem Umfang von den Frauen in Anspruch genommen werden kann. Die Folgen sind: verunsicherte Mütter, die keine Anträge mehr stellen, obwohl sie eine Kur bitter nötig hätten, und immer mehr Kurhäuser, die schließen und Arbeitsplätze abbauen. ({3}) Der häufig einzig gut ausgeprägten ganzheitlichen Versorgungsform für Frauen wird somit im Korsett des Kostendiktates und des Zwanges zum Sparen immer mehr Gewalt angetan. Rationalisierung - meine Damen und Herren, wir sind sehr dafür - ist angebracht, nicht aber kostentreibende und krankmachende Rationierung. Aus diesen Gründen steht die Bundesregierung in der Pflicht, alle Sparmaßnahmen, die Frauen betreffen, insbesondere die Kürzungen bei den Kur- und Reha-Maßnahmen, zurückzunehmen, gesundheitsfördernde und präventive Maßnahmen nach § 20 SGB V wieder in den Pflichtleistungskatalog der Krankenkassen aufzunehmen, endlich die lang geforderte Gesundheitsberichterstattung um die Frauengesundheitsberichterstattung zu erweitern, die geschlechtsspezifische Unterschiede in Ursache, Symptomatik und Therapien herausarbeitet und der weiteren Forschung zugänglich macht, ({4}) endlich eine bundesweite Registrierung der Brustkrebserkrankungen voranzutreiben und die Forschung auf dem Gebiet der Ursachen, Prävention, Therapie und Rehabilitation von Krebserkrankungen bei Frauen, insbesondere des Brustkrebses, zu intensivieren sowie bei der Auftragsforschung und in der Forschungsförderung nur noch solche Projekte zu unterstützen, in die sowohl Männer als auch Frauen als Probanden eingeschlossen sind. Außerdem ist es, denke ich, Auftrag der Bundesregierung, daß bei der anstehenden Novellierung der ärztlichen Ausbildung Inhalte frauenspezifischer Gesundheitsversorgung Eingang finden, daß die gesundheitliche Aufklärung und Beratung der aus epidemiologischer Sicht gesundheitlich am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppe intensiviert wird, daß besonders auf die Gesundheitsversorgung behinderter Frauen Rücksicht genommen wird, daß die Bildung regionaler Frauengesundheitszentren stärker gefördert wird ({5}) und daß Maßnahmen ergriffen werden, die im Rahmen einer qualitätsorientierten Gesamtversorgung die Lebenssituation von Frauen, die sich oftmals in einem konfliktreichen Spannungsfeld befinden, endlich berücksichtigen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das umfangreiche Thema Frauengesundheit, das mit der von uns vorgelegten Großen Anfrage zum erstenmal auf einer politischen Ebene thematisiert wird, eignet sich, denke ich, nicht für ideologische Auseinandersetzungen. Ich hoffe und werbe dafür, daß wir in diesem Haus Einvernehmen darüber erzielen können, daß es einen sehr wichtigen Bereich der Gesundheitspolitik gibt, der - das zeigen auch die Antworten der Bundesregierung - sowohl in der Politik als auch in der Wissenschaft zu Unrecht grob vernachlässigt wird. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Sie aus diesem Grund auch, unserem Entschließungsantrag Ihre Zustimmung zu geben. Ich darf mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland hat ein modernes und im höchsten Maße leistungsfähiges Gesundheitswesen. ({0}) Unabhängig vom Geschlecht werden Patienten nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft behandelt. ({1}) - In der DDR war das zweifelhaft, aber nicht in der Bundesrepublik Deutschland. ({2}) Fortschritte der Medizin und Medizintechnik kommen Frauen und Männern gleichermaßen zugute, und zwar in ganz Deutschland. Es ist aber selbstverständlich auch eine Aufgabe der Gesundheitspolitik, unterschiedliche Gesundheitsprobleme bei Frauen und Männern und .die Art und Weise, wie beide mit Krankheiten umgehen, zu berücksichtigen. Das hat die Antwort auf die Große Anfrage der SPD noch einmal zum Ausdruck gebracht. Fest steht zum Beispiel, daß Frauen Gesundheit anders definieren als Männer und deshalb auch unterschiedliche gesundheitsbezogene Verhaltensweisen entwickeln. Sie rauchen und trinken zum Beispiel weniger als Männer, sie leben weniger riskant und sind deshalb auch weniger in Unfälle verwickelt als Männer. ({3}) Fest steht auch, daß Frauen häufiger als Männer Ärzte konsultieren und wesentlich mehr Präventionsangebote annehmen. Deshalb sind Frauen ganz im Gegensatz zu weitverbreiteten Vorurteilen keineswegs häufiger krank geschrieben als Männer. Alles in allem kann man sagen: Die gesundheitliche Situation von Frauen ist zwar durchaus anders als die der Männer, sie ist aber in keinem Fall schlechter. Frauen haben zum Beispiel eine erheblich höhere Lebenserwartung als Männer. Sie liegt heute mit 79 Jahren sechs Jahre über der Lebenserwartung der Männer. Um frauenspezifische Gesundheitsprobleme noch besser berücksichtigen zu können, brauchen wir weitere Datengrundlagen. Wir werden im nächsten Jahr die ersten Ergebnisse eines bundesweiten repräsentativen Gesundheitsservice erhalten. Er beinhaltet zum Beispiel Angaben zur Verteilung von Gesundheitsrisiken bzw. gesundheitsabträglichen Lebensweisen, zum Ernährungsverhalten und zum Arzneimittelkonsum, getrennt nach Frauen und Männern. Aussagekräftigere Datengrundlagen werden wir in absehbarer Zeit auch für bestimmte Krebserkrankungen wie zum Beispiel Brustkrebs erhalten. Denn in fast allen Bundesländern sind inzwischen - ich muß sagen: Gott sei Dank - bevölkerungsbezogene Krebsregister eingerichtet worden. ({4}) Sie wissen, daß der Widerstand der Länder dagegen sehr groß war, und wir sind sehr froh, daß die Länder hier jetzt endlich mitziehen. Die uns gegenwärtig zur Verfügung stehenden Zahlen über Krebserkrankungen zeigen sehr deutlich, wie notwendig es ist, Früherkennungsuntersuchungen wahrzunehmen. Es wird im Rahmen des Gesamtprogramms zur Krebsbekämpfung der Bundesregierung daran gearbeitet, daß solche Früherkennungsmöglichkeiten von den Bürgern stärker als bisher genutzt werden. Aber hier sind vor allem die Krankenkassen und die Ärzte aufgerufen, ihren Teil dazu beizutragen, daß die Menschen diese wichtigen Untersuchungen auch tatsächlich in Anspruch nehmen. Lassen Sie mich in aller Kürze noch etwas zu einem Thema sagen, das auch Sie, Frau Steen, angesprochen haben und das in der Vergangenheit immer wieder für Irritationen gesorgt hat, nämlich zu den Mütter-und Mutter-Kind-Kuren. Frau Steen, Sie wissen, daß wir hier gesetzlich nichts verändert haben. Gleichwohl - da gebe ich Ihnen recht - herrscht in diesem Bereich eine allgemeine Verunsicherung. Ich fordere von diesem Platz noch einmal alle Beteiligten, auch die Krankenkassen, ganz eindringlich auf, sehr sorgsam mit den Mutter-Kind-Kuren umzugehen. ({5}) Zur Zeit stehen 130 Kurheime, davon 100 MutterKind-Kurheime, zur Verfügung. Sie bieten jährlich 62 000 Kurplätze für Mütter und annähernd 63 000 Kurplätze für Kinder. Damit diese Plätze auch in Zukunft sinnvoll genutzt werden, haben die Spitzenverbände der Krankenkassen in enger Zusammenarbeit mit dem Müttergenesungswerk noch bessere Voraussetzungen für eine qualifizierte Begutachtung der Kuranträge durch den Medizinischen Dienst geschaffen. Gleichwohl muß ich dazu sagen, daß offensichtlich in Einzelfällen doch hin und wieder Anträge abgelehnt werden, wo auch ich als Medizinerin die Begründung dafür kaum nachvollziehen kann. Hier müssen wir der Öffentlichkeit immer wieder deutlich machen, daß es uns darum geht, daß Kuren dort bewilligt werden, wo sie wirklich auch indiziert sind. Um nichts anderes geht es. ({6}) An diesem Beispiel wird deutlich, daß sich die Krankenkassen ihrer Verantwortung bewußt sind und nicht die Absicht haben, Mütterkuren aus dem Leistungskatalog zu streichen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Steen?

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Ja, bitte.

Antje Marie Steen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002226, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt; daß sehr viele Kassen - es sind nicht mehr nur einige - dazu übergehen, bis zu 50 Prozent der Kosten einer Mütterkur den Müttern selbst zu überlassen und sie nicht mehr komplett zu finanzieren? Ich finde, das ist eine fatale Entwicklung. Außerdem möchte ich Sie fragen, ob es kein restriktives Vorgehen ist, wenn man zum Beispiel den Zuzahlungsbetrag um 5 DM erhöht, die Kurdauer von vier auf drei Wochen verkürzt und die Intervalle von drei auf vier Jahre verlängert. ({0}) - Ich frage die Frau Staatssekretärin.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000155

Frau Steen, zunächst einmal wissen Sie ja, daß wir gerade im Laufe der Beratungen zum Beitragsentlastungsgesetz großen Wert darauf gelegt haben, daß die Mutter-KindKuren ausgenommen werden. ({0}) Wenn jetzt aber einzelne Krankenkassen die Zuzahlungsbeträge erhöhen - ich kann das jetzt nicht bewerten, weil ich dazu keine Datengrundlage habe -, dann ist festzustellen, daß es schon immer das Recht der Krankenkassen gewesen ist, die Höhe der Zuzahlungen zu verändern, weil sie unter die Satzungsleistungen fallen. ({1}) Insofern denke ich, daß wir uns einig darüber sind, wenn von diesem Hause das politische Votum ausgeht, daß uns gerade die Mutter-Kind-Kuren sehr wichtig sind und sie auch qualifiziert angeboten werden sollen. Die Zuzahlungen waren schon immer Satzungsleistungen, das heißt, die Krankenkassen konnten selbst darüber entscheiden, wie hoch die Zuzahlung ist. ({2}) Meine Damen und Herren, um weitere Erkenntnisse über frauenspezifische Gesundheitsaspekte zu erhalten, hat die Bundesregierung eine ganze Reihe von Forschungsvorhaben auf den Weg gebracht. So beschäftigen wir uns zum Beispiel in einigen dieser Vorhaben mit den speziellen Belastungen, denen erwerbstätige und nichterwerbstätige Frauen ausgesetzt sind. Neue Erkenntnisse erwarten wir auch von einer Studie, die sich mit der Suchtmittelabhängigkeit von Frauen beschäftigt. Wir erwarten uns davon mehr Klarheit über die Ursachen von Alkohol- und Medikamentenmißbrauch. Die Entwicklung frauenspezifischer Präventionsmaßnahmen könnte dann auf dieser Grundlage verbessert werden. Solche Beispiele zeigen: Die Bundesregierung hat in den entscheidenden Bereichen sehr viel dafür getan, um frauenspezifische Belange im Gesundheitswesen zu berücksichtigen. In zentralen Bereichen sind Forschungsprojekte und Modellmaßnahmen ins Leben gerufen worden, um für erkannte Probleme angemessene Lösungen zu finden. Auf diesem Weg werden wir fortfahren. Vielen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Monika Knoche.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Frau Staatssekretärin, ich glaube, es würde sich auch für Sie lohnen, noch einmal genau hinzuschauen, welche spezifischen Wirkungen Ihre Kürzungsgesetze gerade im Bereich der Gesundheitsversorgung von Frauen entfacht haben. ({0}) Nicht nur im Bereich der Mütterkuren sind die Kurdauer auf drei Wochen reduziert und die Kurintervalle verlängert worden. ({1}) Wir müssen auch feststellen, daß bei speziellen stationären Rehabilitationseinrichtungen für Frauen mit gynäkologischen Erkrankungen in dramatischer Weise Betten gestrichen worden sind. Es ist also beileibe nicht so, daß sich das auf den Themenkomplex Zuzahlung reduzieren läßt; vielmehr werden den Frauen Versorgungsstrukturen entzogen, die für eine ihnen gemäße, gleichwertige Versorgung unabdingbar sind. Aber das kommt natürlich davon, wenn man nicht hinschaut, wen welche gesetzlichen Maßnahmen wie treffen. Daß eine frauenspezifische Sichtweise in der Gesundheitspolitik fehlt, daß sich eine Bundesregierung zur Jahrtausendwende nicht genau anschaut, was die Erfordernisse für eine Gleichstellung der Frauen in der Gesundheitsversorgung sind, ist eine ziemlich schlechte Bilanz und kann nur als eine sträfliche Unterlassung bezeichnet werden. Wenn man nämlich nicht geschlechtsspezifische Sozialisation und Krankheitsentwicklung, die Folgen von kultureller Randständigkeit, sozialer Deprivierung, Entwicklung von Armut und Perspektivlosigkeit im Berufsleben usw., die ganz speziell und immer besonders Frauen betreffen, nicht zum Ausgangspunkt von Gesundheitspolitik und Gesundheitsversorgungsplanung macht, dann werden zwangsläufig neue Diskriminierungen folgen. Sehr viele Erkenntnisse darüber haben wir heute bereits. Lassen Sie mich noch einen Gedanken auf einen Themenbereich richten, der auch mit den Kürzungsgesetzen zu tun hat. Nehmen wir den § 20 SGB V, den Sie gestrichen haben. Ich kenne kein Beispiel in der neuen Gesundheitsbewegung, das so hervorragende Ergebnisse zeitigt wie die Frauengesundheitsbewegung. Die Frauengesundheitsbewegung ist es, die die Gebärfähigkeit, die sehr stark medikalisiert und gleichermaßen zum Krankheitsbild der Frau erklärt wurde, zurückgeholt hat und frauengerechte Betrachtung und Therapien überhaupt erst auf einen zeitgemäßen Stand der Wissenschaft und teilweise der Praxis gebracht hat. Ohne die Eigenkompetenz und das hohe Maß an Selbstverantwortung, das Frauen für ihre Gesundheit, Leiblichkeit und Gebärfähigkeit haben, hätten wir überhaupt nicht ein so hohes Versorgungsniveau. Es ist also ein Treppenwitz, den § 20 gestrichen zu haben und genau denen diese Unterstützung zu versagen, die maßgeblich Eigenverantwortung entwikkelt und so überhaupt erst ein hohes Versorgungsniveau ermöglicht haben. ({2}) Wir unterstützen mit Nachdruck den Entschließungsantrag, den Sie, meine verehrten Kollegen der SPD, entwickelt haben. Ich lege sehr großen Wert darauf, daß wir verstärkt darauf schauen, was im Bereich der Reproduktionsmedizin, im Bereich der Beherrschung der Gebärfähigkeit via Pränataldiagnostik, via Gentechnik als Krankheit definiert wird und inwieweit dort auf das Einfluß genommen wird, was wir für in der menschlichen Gemeinschaft lebende Personen als gesund und erwünscht erklären. Die neuen Methoden der Beherrschung der Gebärfähigkeit stehen in einem Themenzusammenhang, der ganz tief an ethische Werte und Normen rührt. Ich wehre mich dagegen, daß diese Fragen einzig unter dem Gesichtspunkt des sogenannten Selbstbestimmungsrechts der Frau betrachtet werden. Hier werden Frauen über ihre Gebärfähigkeit und Leiblichkeit Ort eines anderen gesellschaftlichen Interesses. Das müssen wir thematisieren, wie wir auch weiterhin thematisieren müssen, daß die Folgen von gesellschaftlicher Diskriminierung bei Frauen im Medizinbetrieb allzugerne psychiatrisiert und medikalisiert werden. Danke. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Irmgard Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter dem Schwall von Ideologie, den auch Frau Knoche hier gerade vorgeführt hat, ({0}) ist es ein bißchen schwierig, herauszufinden, was in dem Antrag der SPD tatsächlich an sinnvollen Dingen steht; denn natürlich muß immer untersucht und überlegt werden, wie die Gesundheitsversorgung spezifischer gemacht werden kann, wie sie verbessert werden kann. Im Vorwort der Anfrage der SPD an die Bundesregierung wird postuliert, daß es in Deutschland eine ausschließlich an männlichen Patienten ausgerichtete Medizin gebe. Ich bin selber Angehörige eines Gesundheitsberufes. Das ist mir, auch als Frau, nicht aufgefallen. ({1}) Ich weise einfach nur darauf hin, daß es eine Fülle von Untersuchungen geschlechtsspezifischer Art gibt, die uns natürlich auch Hinweise darauf geben, wie Frauen und Männer auf Umweltbedingungen und Risikofaktoren unterschiedlich reagieren. ({2}) Das ist ja auch einer der Punkte, der zweifellos weiterverfolgt werden muß. Die Gesundheitsberichterstattung, die in der Bundesrepublik Deutschland gerade aufgebaut wird, wird in diesem Zusammenhang wichtige Informationen liefern; denn auch das Datenzentrum, sobald es voll funktionsfähig ist, wird Auswertungen geschlechtsspezifischer Art erlauben. Natürlich ist es notwendig, sich weiterhin zu überlegen, wie gerade im Bereich der Vorsorge und Prävention Zielgruppen besser erreicht werden können. Das betrifft eben auch die Zielgruppe Frauen. Selbstverständlich muß auch in der Gesundheitsforschung weiterhin darauf geachtet werden, daß frauenspezifische Bedingungen ausreichend in der Forschung zum Tragen kommen. Die SPD legt in ihrem Antrag aber allein die Kategorie Frau als ausschlaggebendes Kriterium für eine Differenzierung der Gesundheitsversorgung zugrunde. Das kann es ja wohl nicht sein; dieses halten wir für unbrauchbar. ({3}) Es gibt geschlechtsspezifische Unterschiede bei Risikofaktoren, bei Umweltbedingungen und bei der Bewältigung von Krankheiten. ({4}) Es gibt natürlich auch Unterschiede zwischen Großstädtern und Menschen, die auf dem Lande leben; es gibt Unterschiede zwischen jungen und alten Menschen. Wenn ein Antrag ernst genommen werden soll und mit ihm Anspruch auf Seriosität erhoben werden soll, dann hätten Sie dies allerdings auch mit aufnehmen müssen. ({5}) Die Gesundheitsversorgung muß ja wohl individuell auf Patienten bzw. Patientengruppen eingehen, egal ob Mann oder Frau. Ich zitiere aus dem SPD-Entschließungsantrag: Wichtige Faktoren beeinflussen den Gesundheitszustand und die Lebenserwartung, wie z. B. die sozio-ökonomische Lage sowie Informations- und Bildungsstand. ... Der Erwerbsstatus der Frauen, die damit verbundenen Lebens- und Arbeitsumstände sowie die daraus hergeleitete subjektive Zufriedenheit bestimmen ihr gesundheitliches Befinden mit. ({6}) Das ist wohl wahr. Aber das gilt sicherlich auch für Männer. ({7}) Liebe Kolleginnen von der SPD, dieser Antrag ist geeignet, weitere Vorurteile gegen Frauenpolitik zu mobilisieren, ({8}) die sowieso schon vorhanden sind und die wir abbauen wollen. Deswegen kann ich ihnen nur empfehlen, diesen Antrag zurückzuziehen. Wir werden ihn auf jeden Fall ablehnen. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christina Schenk.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Schwaetzer, ich kann mir jetzt doch nicht den Hinweis verkneifen, daß sich auch bei den Unterscheidungen zwischen Stadt und Land sowie zwischen Alt und Jung wiederum selbstverständlich die Frage nach dem Geschlecht stellt. ({0}) Es geht hier auch nicht um die Zielgruppe Frauen, sondern es geht darum, daß die Menschheit, wie gesagt, zur einen Hälfte aus Frauen und zur anderen Hälfte aus Männern besteht. Es geht vielmehr darum, daß man, wenn man Frauen als Zielgruppe bezeichnet, mit dem gleichen Recht auch Männer als Zielgruppe bezeichnen müßte. Nun zum Thema: Von Frauengesundheitsprojekten wird schon seit langem darauf aufmerksam gemacht, daß die Interessen von Frauen im Gesundheitswesen zu kurz kommen. Das ist im Grunde genommen auch die Bilanz der Antwort auf die Große Anfrage der SPD. Das betrifft eben die Berücksichtigung frauenspezifischer Belange in der Forschung, in der Gesundheitsvorsorge und in der Prävention. Natürlich wird man auch, wenn man sich beispielsweise einmal die Arbeitsschutzstandards ansieht, feststellen, daß dort vom männlichen Normalbild ausgegangen wird. Diese Haltung trifft generell auf das Gesundheitswesen zu. ({1}) - Frau Schwaetzer, stellen Sie eine Frage, wenn Sie das gerne möchten! Ich denke, das Fatale an dieser Antwort ist, daß sie zeigt, daß von dieser Bundesregierung eben keine Impulse, geschweige denn energische Impulse ausgehen, urn die Situation zu verändern. Im Gegenteil! ({2}) Über die drastischen Sparmaßnahmen ist ja schon gesprochen worden. Wenn man sieht, daß die Einsparungen gerade im Bereich der Prävention zu einem späteren Zeitpunkt wieder erhebliche Kosten im Bereich der kurativen Medizin verursachen werden, kann man die Kurzsichtigkeit dieser Sparmaßnahmen erkennen. Sie liegt also auf der Hand. Aber, wen wundert das? Sicherlich keinen auf seiten der Opposition. Die Kurzsichtigkeit ist ja geradezu ein Markenzeichen der Politik dieser Bundesregierung. Das betrifft im übrigen auch den bisher völlig unterbewerteten Einfluß sozialer Faktoren auf den Gesundheitszustand von Frauen. Die Bundesregierung räumt ein, daß die Erwerbstätigkeit ein solcher sozialer Faktor ist, der sich positiv auf die Gesundheit von Frauen auswirkt. Das ist für mich einer der Kernsätze in der Antwort. Berufstätige Frauen zeigen Studien zur Folge eine geringere Erkrankungswahrscheinlichkeit und nehmen ärztliche Hilfe eher in Anspruch. In diesem Zusammenhang räumt die Bundesregierung bemerkenswerterweise mit dem Mythos auf, daß Frauen mehr krankheitsbedingte Fehlzeiten aufweisen als Männer. Ich denke, das sollten wir in künftigen Debatten über Frauenförderung in der Wirtschaft berücksichtigen. Die gesellschaftlichen Folgekosten der Arbeitslosigkeit sind also weit höher, als es bisher die ausschließlich fiskalisch aufgemachten Rechnungen ausweisen. Die Bundesregierung bestätigt in ihrer Antwort auch den deutlichen Zusammenhang zwischen der Situation am Arbeitsplatz, den beruflichen Anforderungen, der Arbeitsplatzzufriedenheit und der gesundheitlichen Lage von Frauen. Die Schlußfolgerung kann also nur heißen: Jeder neugeschaffene Arbeitsplatz ist ein Beitrag zur gesundheitlichen Prävention, insbesondere zu der von Frauen. Ich komme zum Schluß. Gesundheit ist also nur zu einem Teil Aufgabe der Medizin. Zu einem anderen und bisher völlig unterbewerteten Teil ist Gesundheit eine gesellschaftspolitische Aufgabe. Aber leider kann man von der gegenwärtigen Bundesregierung derartige Einsichten nicht erwarten. Das ist wohl das eigentliche Resümee dieser Antwort auf die Große Anfrage. Danke schön. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Editha Limbach.

Editha Limbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage macht mehrere Punkte besonders deutlich. Ich will einige erwähnen. Es wird deutlich - das wußten wir vorher schon -, daß unser Gesundheitswesen keine geschlechtsspezifischen Schranken kennt. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung - für diese sind der Bundestag und die Bundesregierung verantwortlich - stehen allen, sowohl Männern als auch Frauen - in welchem Lebensalter auch immer, ob behindert oder nichtbehindert -, in gleichem Maße zur Verfügung. ({0}) Dieser Punkt darf übrigens nicht übersehen werden: Diese Leistungen stehen selbstverständlich auch den Frauen zur Verfügung, die bei uns arbeiten und ursprünglich nicht aus Deutschland stammen, also Ausländerinnen verschiedener Herkunft und Migrantinnen. Wenn sie Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sind, gelten selbstverständlich auch für sie die entsprechenden Leistungen. ({1}) - Ich habe diesen Punkt deshalb erwähnt, weil die Große Anfrage nur aus Selbstverständlichkeiten besteht. ({2}) Wer nämlich das Grundgesetz und die Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung kennt, der hätte andere Fragen stellen können. Die meisten Fragen, die in der Großen Anfrage enthalten sind, sind jedoch überflüssig gewesen. Aus der Antwort der Bundesregierung geht auch hervor, daß zusätzliche Forschungsaufträge durchaus erforderlich sind. Diese sind zum Teil schon angelaufen. Darauf hat die Parlamentarische Staatssekretärin in ihrer Rede extra hingewiesen. Es werden über die gesundheitliche Situation von Frauen in Deutschland Daten erhoben, und zwar in Ost und in West. Wer sich die Krebsuntersuchungen anschaut - wir wissen doch, wer in diesem Bereich lange geEditha Limbach bremst hat; das war ja nicht die Bundesregierung, das waren die Länder -, ({3}) der kann feststellen, daß selbstverständlich auch Untersuchungen im Zusammenhang mit Brustkrebs stattfinden. Das muß eigentlich nicht mehr gesagt werden. Man kann es aber noch einmal unterstreichen. ({4}) - Doch, ich habe sowohl die Große Anfrage als auch die Antworten gelesen. Vielleicht habe ich aber ein anderes Verständnis von dem Zusammenwirken von Männern und Frauen im politischen und gesellschaftlichen Leben als der eine oder andere, der die Fragen gestellt hat. ({5}) Ich will noch einige Bemerkungen zu dem Entschließungsantrag machen, weil die Kollegin Steen eindringlich darum gebeten hat, das zu tun und ihn möglichst anzunehmen. Liebe Frau Kollegin Steen, ich fürchte, daß wir Ihnen diesen Gefallen nicht tun können. ({6}) Dazu will ich noch ein paar Worte sagen. Der Entschließungsantrag enthält meiner Ansicht nach einige Widersprüchlichkeiten. Er enthält Vorwürfe gegen die Regierung. Gut, das muß man einer Opposition nachsehen, denn das ist ihre Aufgabe. Darüber kann man sich nicht beschweren. Er macht aber deutlich - das ist für mich das Entscheidende -, daß Sie eine andere Auffassung davon haben, wie das Verhältnis zwischen Bürger und Staat zu organisieren und zu regeln ist. Ich fange einmal mit den Widersprüchlichkeiten an. Da sagen Sie: Weder Forschung noch Gesundheitsversorgung und auch nicht die Prävention berücksichtigen die geschlechtsspezifischen Unterschiede in ausreichendem Maße. Ich gebe zu: Sie sagen „in ausreichendem Maße"; das unterliegt der jeweiligen Beurteilung. Sie weisen aber im Abschnitt vorher selbst darauf hin, daß es eine „vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung geförderte Studie >Lebenserwartung erwerbstätiger Frauen< " gibt, also speziell zu der Frage, wie sich gleichzeitige Erwerbstätigkeit und Familienverantwortung auf die Gesundheit und damit auch auf die Lebenserwartung auswirken. Also gibt es so etwas schon. Sie hätten noch deutlicher sagen müssen: Das gibt es nicht ausreichend, ({7}) das wollen wir noch verstärken. Widersprüchlich finde ich auch - zumindest kann man darüber diskutieren -, daß Sie ausdrücklich beklagen, daß wir, wie Sie in Ihrem Entschließungsantrag schreiben, „noch nicht einmal eine Frauengesundheitsberichterstattung, wie sie die WHO vorschlägt", haben. ({8}) Ich muß sagen: Ich hätte nichts dagegen, so etwas zu machen. Aber im Grunde bin ich froh, daß wir das nicht brauchen, ({9}) jedenfalls nicht so - ich rede sehr differenziert; deswegen müssen Sie den Satz schon zu Ende anhören - wie viele andere Länder. Ich denke zum Beispiel an die Taliban in Afghanistan, die den Frauen den Besuch beim Arzt verbieten, oder an große Teile Afrikas und andere Teile dieser Welt, wo Frauen in der Tat nicht den gleichen Zugang zum Gesundheitswesen wie Männer haben, was bei uns aber der Fall ist. Wenn man über die WHO, über die Weltgesundheitsorganisation, spricht, dann muß man immer auch im Kopfe haben, daß sie mit Ländern mit hohem medizinischem Standard und solchen mit niedrigem medizinischem Standard, mit Ländern mit hohem Versorgungsstand und solchen mit niedrigem Versorgungsstand zu tun hat. Wie gesagt: Ich hätte nichts gegen eine solche Berichterstattung; aber die dringendste Aufgabe unseres Gesundheitswesens ist das erfreulicherweise nicht, weil Frauen in unsrem Land den gleichen Zugang zum Gesundheitswesen haben wie Männer. ({10}) Damit komme ich zum Bereich „Staat und Bürger". Ich will das einmal aussprechen: Soziale Gerechtigkeit und Eigenverantwortung der Bürger - das ist kein Widerspruch. ({11}) - Das ist kein Widerspruch. Wir praktizieren das, Frau Steen. Der von Ihrer Partei gern in Anspruch genommene britische Premierminister Blair hat Vergleichbares in seiner Rede vor der französischen Nationalversammlung am 24. März gesagt. Ich habe bewußt darauf verzichtet, gleich zu Beginn zu sagen, daß dieser Satz Blairschem Gedankengut entspricht; ich wollte einmal gucken, wie Sie auf Überlegungen eines Mannes reagieren, den Sie immer als Ihr großes Vorbild darstellen. Man mag über Blair denken, was man will, jedenfalls hat er in diesem Punkt eine andere Auffassung. Sie glauben nämlich, wir müßten das alles regeln. Wie sollen wir denn zum Beispiel die auch von anderen Rednerinnen beklagte unterschiedliche Erziehung von Jungen und Mädchen staatlich regeln? Würden Sie mir das einmal sagen? Was soll ich denn der Mutter vorschreiben, die ihr Baby auf dem Arm hat? Nach Untersuchungen schaukelt sie ein kleines Knäblein nämlich öfter als ein kleines Mädchen. Wie soll ich ihr verbieten, einem Mädchen ein anderes Verhalten anzuerziehen als einem Jungen? Auch ich finde das nicht richtig. Meine Jungen haben mit Puppen spielen dürfen und durften auch weinen. Das ist okay; aber das können wir nicht von Staats wegen vorschreiben. Sie haben auf die unterschiedliche Sozialisation hingewiesen; dann darf man hier auch darauf antworten. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin Limbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Knoche?

Editha Limbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Limbach, ich habe noch gut in Erinnerung, daß es eine Aufklärungsbroschüre für Mädchen und junge Frauen über das Erlernen und das Sich-Erfreuen an der eigenen Sexualität - ich habe leider den Titel nicht mehr im Kopf - gab. Der Moralkodex innerhalb Ihrer Ministerien macht es offensichtlich unmöglich, eine freudvolle, angenehme, positive Einstellung von jungen Mädchen zu ihrer Sexualität zu fördern. Darum gibt es diese Broschüre jetzt nicht mehr. Ist das nicht geschlechtsspezifische Diskriminierung auch in Fragen der Aufklärung? ({0}) - Wenn Sie sie für Jungen nicht entwickelt haben, Herr Zöller - werden Sie innovativ! Sagen Sie, wie Sie es gerne hätten! Mit Freude würde ich diesen Entwurf lesen.

Editha Limbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube, genau an dieser Frage wird deutlich, was ich eben gesagt habe. Wir glauben nämlich nicht, daß der Staat den Eltern vorzuschreiben hat, in welcher Form sie die sexuelle Aufklärung ihrer Kinder betreiben ({0}) und welche ethischen Maßstäbe sie ihnen vermitteln. Ich muß sagen - das ist auch schon durch Zwischenrufe deutlich geworden -: Dies ist nicht frauenspezifisch. Ich möchte den Eltern auch nicht vorschreiben, wie sie mit ihren Jungen in dieser Frage umgehen. ({1}) Das müssen die Eltern nach ihren eigenen Wertvorstellungen entscheiden. Worauf es ankommt, ist, daß immer mit Respekt vor dem Menschen entschieden wird. Das ist richtig, dazu steht unser Staat; denn das steht schon im Grundgesetz. Wie das aber im einzelnen zu erfolgen hat - in welchem Alter der Kinder und in welchem Ausmaß -, ist landschaftlich, kulturell und religiös verschieden. ({2}) Da Sie vorhin von Migrantinnen gesprochen haben, möchte ich Ihnen sagen: Speziell diejenigen, die dem Islam angehören, werden das noch anders sehen als Christen in diesem Land. ({3}) Ich will noch kurz ein paar Punkte aus dem Antrag erwähnen, denen wir eigentlich zustimmen könnten. Aber wegen der im Antrag enthaltenen nicht zustimmungsfähigen Punkte müssen wir leider darauf verzichten. Auch ich bin der Meinung, daß es sinnvoll wäre, den Anteil der Gutachterinnen in den Beratungsgremien zu erhöhen. Darüber gibt es überhaupt keinen Streit. Ich glaube auch nicht, daß irgendeiner der Kollegen dagegen Widerspruch erhebt. In dem gleichen Entschließungsantrag fordern Sie aber, wir sollten die präventiven gesundheitsfördernden Maßnahmen nach § 20 SGB V wieder in den Pflichtkatalog einführen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Es wundert mich, daß Sie beklagen, daß Präventionsmaßnahmen - ich nenne als Beispiel Kurse über gesunde Ernährung oder mehr Bewegung - immer weniger in Anspruch genommen werden. Wo steht denn um Himmels willen geschrieben, daß man solche Kurse nur besuchen kann, wenn die Teilnahme von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt wird? ({4}) Es ist doch nicht verboten, solche Kurse zu besuchen; sie werden nur nicht mehr von der Solidarversicherung getragen, weil die Solidarversicherung nicht sparen und gleichzeitig Leistungen ausdehnen bzw. alle Leistungen erhalten kann. Das geht nicht! Sie werden in Ihrem Wahlkampf noch lernen müssen, daß man nicht gleichzeitig sagen kann: Hier muß eingespart werden, hier muß weniger Geld ausgegeben werden, aber dafür leisten wir mehr. Das wird nicht gehen. ({5}) Ihrem Antrag liegen zwei falsche Einstellungen zugrunde: Erstens muß bei Ihnen alles der Staat machen; denn der Staat weiß alles besser als der Bürger. Zweitens stellen Sie Forderungen, die nicht finanzierbar sind. Wegen dieser falschen Einstellungen werden wir Ihrem Entschließungsantrag nicht zustimmen, sondern ihn ablehnen. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/10532. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Schmitt ({0}), Dr. Uschi Eid und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für ein sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltiges multilaterales Investitionsabkommen und eine transparente parlamentarische Begleitung des Verhandlungsverfahrens - Drucksache 13/10410 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({1}) Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen soll fünf Minuten erhalten. - Widerspruch gibt es nicht, Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Wolfgang Schmitt.

Wolfgang Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002784, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der Abfassung des nun zur Debatte stehenden Antrags konnten wir nicht davon ausgehen, daß die Minister der OECD-Mitgliedstaaten dieser Woche - wie die Gegner des Abkommens sagen - die Verhandlungen unterbrochen oder sich - wie die verhandlungsführenden Parteien betont haben - darauf verständigt haben, eine Pause des Nachdenkens und weiterer Konsultationen einzulegen. Ich glaube, das jetzt vorliegende Zwischenergebnis, das darin besteht, daß man nicht zu einer abschließenden Vereinbarung gekommen ist, deutet darauf hin, daß sich im Rahmen des Verhandlungsprozesses unüberwindbare Schwierigkeiten und Probleme zwischen den Verhandlungsstaaten aufgetan haben. Diese Schwierigkeiten zwischen den Staaten haben sich offenbar nicht nur im wirtschaftspolitischen Sinne aufgetan, sondern auch im Hinblick auf die Kommunikation über die gesamte Problematik mit der jeweiligen Öffentlichkeit in den OECD-Mitgliedstaaten. Meine Damen und Herren, grundsätzlich - das haben wir in dem vorliegenden Antrag niedergelegt - erkennt auch unsere Fraktion die Notwendigkeit globaler Regelungsmechanismen an. Darin eingeschlossen ist selbstverständlich die Frage der internationalen, grenzüberschreitenden Investitionen. Aber solche Verhandlungen sollten in einem offenen und transparenten Prozeß vor sich gehen. Die zahlreichen Zuschriften besorgter Bürger und Nichtregierungsorganisationen deuten darauf hin, daß die Bundesregierung auch in diesem Zusammenhang ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Die Beantwortung verschiedentlicher Anfragen von Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages läßt hier manche Frage offen und unbeantwortet. Daß man hier mit dem Feuer spielt - auch darauf möchte ich an dieser Stelle hinweisen -, sollte eigentlich die Erfahrung mit der Einführung des Euro lehren. Wer grundsätzlich die Chancen und Potentiale, die in der Globalisierung liegen, anerkennt, muß allerdings auch die Ängste, Sorgen und Nöte der Bevölkerung ernst nehmen. Jede Regierung, die leichtfertig oder gar arrogant über diese Sorgen und Nöte hinweggeht, muß mit der Gefahr rechnen, daß es zu einem Rückschritt in Richtung Nationalismus und Protektionismus kommt, den wir alle nicht möchten. Deswegen haben wir in unserem Antrag gefordert, daß die im Zusammenhang mit dem MAI zutage getretenen Probleme von der Bundesregierung in einem transparenten Prozeß gegenüber Öffentlichkeit und Parlament offengelegt werden. Ein Beispiel will ich erwähnen: Es ist die Rede davon, daß in Zukunft auch indirekte Enteignungen, enteignungsgleiche Eingriffe, Entschädigungsansprüche auslösen. Vielfach wird beklagt, daß darunter möglicherweise auch Gesetzesverschärfungen fallen können, die Investitionen weniger profitabel machen. Jetzt wird die Bundesregierung womöglich sagen: Dies ist nicht intendiert; dies ist in der Abschluß- bzw. Zwischenerklärung des Ministertreffens noch einmal deutlich gesagt worden. Trotzdem sollten wir hellhörig sein angesichts der Tatsache, daß aus dem NAFTA-Raum zwei Präzedenzfälle bekanntgeworden sind, die genau darauf hinweisen. Ich meine den Fall der Ethyl Corporation im Rahmen der Klage gegen Kanada und ich meine die Metalclad Corporation - auch ein US-amerikanisches Unternehmen - im Rahmen ihrer Klagen gegen Mexiko, die eben nicht auf Enteignung klagen, was noch nachvollziehbar wäre, sondern die Verschärfung umweltrechtlicher Normen bzw. die Implementierung entsprechender planungsrechtlicher Vorgaben als enteignungsgleichen und damit als entschädigungsrelevanten Eingriff definieren. Ich halte dies für eine Gefahr. Dieser Gefahr müssen wir so deutlich begegnen, daß die Bevölkerung die Antwort, die die Bundesregierung ihr gibt, akzeptiert. Die nationalen Spielräume, so wird erklärt, sollen erhalten bleiben. Trotzdem bleibt die Frage offen, inwieweit die Spielräume und die Strategien, die die Tigerstaaten haben, die derzeit Probleme haben, aber deren Erfolgsweg uns in der Vergangenheit als Königsweg bzw. Vorbild aufgezeigt worden ist - diese beinhalteten eben auch Beschränkungen bei Investitionen; sogar bei unserem wichtigen Handelspartner China -, in Zukunft noch möglich sein sollen. Oder es ist zu fragen, inwieweit bei einem Beitritt weiterer Staaten zu diesem OECD-Abkommen - das ist ja beabsichtigt; dies bezieht sich auch auf Entwicklungs- und Schwellenländer - sich diese auf einen industriepolitischen Pfad begeben müssen, der nicht unbedingt erfolgsträchtiger ist als der, der in der Vergangenheit gewählt worden ist. Meine Damen und Herren, wir sind zu dem Schluß gekommen, daß der vorliegende Abkommensentwurf, den wir uns über Dritte besorgen mußten, zum Wolfgang Schmitt ({0}) gegenwärtigen Zeitpunkt nicht unterzeichnungsfähig ist. Die Bundesregierung ist offensichtlich zusammen mit den anderen Verhandlungspartnern zu einem ähnlichen Schluß gekommen. Es steht derzeit keine Unterzeichnung an. Dies ist zu begrüßen. Wir fordern jetzt allerdings erstens ein - was in der Ministererklärung niedergelegt worden ist -, daß in der Gesetzgebung bezüglich Umwelt- und Sozialfragen die nationale Souveränität unangetastet bleibt. Wir fordern zweitens, daß die Öffentlichkeit - damit ist die parlamentarische und die außerparlamentarische Öffentlichkeit gemeint - hinreichend informiert wird, so daß es zu einer entsprechenden Willensbildung kommt. Es muß drittens natürlich dem Eindruck begegnet werden, bei dem vorliegenden Abkommen handele es sich um nichts anderes als um eine Magna Charta der multinationalen Konzerne. Gewiß, auch ausländische Investitionen können von Nutzen und Segen für die betroffenen Bevölkerungen sein. Gerade wir wissen in bezug auf die neuen Bundesländer, wie sehnsüchtig wir darauf gewartet haben, daß auch ausländisches Kapital in diese Region fließt. Aber dieses ausländische Kapital darf nicht dazu führen, daß der ruinöse Standortwettbewerb, der vielfach sogar aus Kreisen der Bundesregierung beklagt wird, zum Schaden der Bevölkerung und zum Nutzen der Konzerne weitergeführt wird. Dann - und nur dann - hat ein internationales, multilaterales Investitionsschutzabkommen seinen Sinn. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Erich Fritz.

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Paris geht es diese Woche um Menschenrechte und Demokratie, Rechtsstaat und Umweltschutz, kulturelle Vielfalt und soziale Grundsicherung: Nahezu sämtliche Errungenschaften der abendländischen Zivilisation stehen auf dem Spiel, wenn die Vertreter der Industrienationen zusammentreffen, um über ein Multilaterales Abkommen für Investitionen ... zu verhandeln. Die 29 Mitgliedsstaaten der OECD nämlich sind drauf und dran, multinationalen Unternehmen die Weltherrschaft zu übertragen. Das jedenfalls suggerieren die Grünen, Greenpeace und über 600 weitere Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt, die gemeinsam in Zeitungsanzeigen und im Internet gegen das Abkommen agitieren. So schrieb ein deutsches Magazin vor etlichen Wochen und fügte hinzu: „Total ist freilich allein die Hysterie der MAI-Gegner. " Tatsächlich gibt es Probleme bei der Aushandlung eines solchen Abkommens. Aber es gibt auch eine Reihe von Mißverständnissen. Über die Mißverständnisse über die Entstehung dieses Abkommens sollten die beteiligten Regierungen nachdenken. Das führt dazu - wir können an die Erklärung von gestern denken -, daß sich einiges im Prozeß der Entwicklung dieses Abkommens verändern wird. Der Antrag der Grünen zeigt im übrigen, daß er eigentlich den Titel tragen müßte „Unterstützung der Bemühungen der Bundesregierung für ein multilaterales Investitionsschutzabkommen" . Denn die meisten Punkte, die dort angesprochen werden, stimmen mit den Zielen der Bundesregierung überein. Ich habe nachgezählt: Von den 21 Punkten kann man 16 oder 17 zum größten Teil mit der Haltung der Bundesregierung durchaus in Einklang bringen. ({0}) Investitionsschutzabkommen sind ein bewährtes Instrument wirtschaftlicher Zusammenarbeit zwischen den Staaten. Eine Zahl von über 1600 bilateralen Abkommen und regionalen Übereinkünften sind der Beleg dafür. Als die Bundesregierung zusammen mit den europäischen Partnern und der Kommission 1996 im Rahmen der WTO den Vorschlag machte, neben den bisher schon vereinbarten Regelungen im Bereich des Handels mit Dienstleistungen - GATS - und von handelsbezogenen Investitionsmaßnahmen - TRIMS - ein weltweites Investitionsschutzabkommen zu vereinbaren, hat niemand in Deutschland dagegen Einwände erhoben. Vielmehr wurde anerkannt, daß auf dem Weg zu einer weltweiten Wettbewerbsordnung selbstverständlich auch gemeinsame Regelungen für Investitionen entwickelt werden müssen. Der Gedanke ist in dem WTO-Prozeß implementiert; seine Umsetzung wird aber auf dieser Ebene eine lange Zeit dauern. Deshalb haben die OECD-Länder und die Bundesregierung eine, wie ich denke, lobenswerte Vorreiterrolle übernommen und schon einmal mit der Entwicklung eines multilateralen Investitionsschutzabkommens innerhalb der OECD begonnen und haben andere Länder eingeladen, sich zu beteiligen und damit einen Beitrag auch dazu zu leisten, daß vielleicht demnächst im Rahmen der WTO ein solches Abkommen abgeschlossen werden kann, das dann für alle gilt. Die steigende Zahl der Beobachter bei den Verhandlungen zeigt im übrigen, wie groß das Interesse an solchen gemeinsamen Regelungen ist. Die OECD-Länder tätigen 85 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen und sind Empfänger von 60 Prozent aller Auslandsinvestitionen. Es liegt also nahe, die vielen bilateralen Vereinbarungen - gerade unter den OECD-Ländern - durch ein gemeinsames, weitgehend inhalts- und wirkungsgleiches multilaterales Abkommen zu ersetzen und so gleichzeitig den Weg für ein WTO-Abkommen zu ebnen. Ich habe in der Vergangenheit niemanden in diesem Haus gesehen, der ein solches Vorgehen nicht für richtig gehalten hätte. Daß es bei der Frage der Abwicklung Einwände gibt, halte ich für normal. Die Frage ist: Woher kommen auf einmal die Aufregung und die allseitige Verdächtigung, damit werde etwas ganz Übles bezweckt und ausgeheckt? - So ungeErich G. Fritz wöhnlich ist es ja nicht, daß es sich bei internationalen Verhandlungen zunächst einmal um ein Regierungsgeschäft handelt. Das Parlament kann sich ja jederzeit über den Stand der Verhandlungen unterrichten lassen und sich auch zu Wort melden, sich einschalten. Die CDU/CSU-Fraktion hat sich Ende 1996, Anfang 1997 mit den Verhandlungen zum erstenmal beschäftigt. Die OECD hat bereits 1996 ausführliches Material zur Verfügung gestellt. Es gibt einen Materialband, in dem alle bis heute den Prozeß tragenden, wesentlichen Teile dargestellt sind. Wer sich also informieren wollte, konnte das tun. Die Opposition im Deutschen Bundestag ist allerdings erst wachgeworden, als die Bundesregierung den Wirtschaftsausschuß darüber informierte, daß es Einwände von Nichtregierungsorganisationen gibt. ({1}) - Das ist wahr. Erst da hat sich die SPD-Fraktion im Wirtschaftsausschuß mit der Forderung nach mehr Informationen zu Wort gemeldet. Das werden Sie im Protokoll so bestätigt finden. An der Stelle ist der Opposition aufgefallen, daß sie nichts dazu sagen kann, weil sie sich nicht darum gekümmert hat. Ich will Ihnen gerne zugestehen, Frau Kollegin, daß Sie in dieser Frage mittlerweile viel getan haben. Aber in bezug auf den damaligen Zeitpunkt stimmt das. Der Wirtschaftsausschuß ist in einer Serie von Sitzungen durch die Bundesregierung ausführlich über den Stand der Verhandlungen unterrichtet worden und hat auf eine Fülle von Nachfragen vollständige und befriedigende Antworten erhalten, soweit sie zu diesem Zeitpunkt gegeben werden konnten. Der Ausschuß hat darüber hinaus eine Anhörung beschlossen, die eine breite Beteiligung ermöglichen wird. Die Ziele des Abkommens sind, so denke ich, konsensfähig. Soweit es sich um die Harmonisierung der bilateralen Abkommen handelt, muß man, so denke ich, keinen Dissens konstruieren. ({2}) Aber es ist die Frage zu klären, was neu hinzukommt und wo Strukturen aus bilateralen Abkommen in das gemeinsame Abkommen übertragen werden, die den unseren nicht entsprechen und eine Veränderung bewirken. Das herauszufinden halte ich übrigens für den spannendsten Teil des Ganzen. Ansonsten verstehe ich vieles an Aufregung nicht. Daß eine freie Handels- und Investitionstätigkeit, wie sie im Rahmen der WTO vereinbart ist, Investitionshemmnisse und Verzerrungen auf Dauer nicht verträgt, liegt auf der Hand. „Nichtdiskriminierung" entspricht voll unseren Forderungen - allerdings natürlich innerhalb der Rahmenbedingungen, die wir uns für weltweites Wirtschaften vorstellen. Gleiche Spielregeln für internationale Investitionen zu schaffen, den Marktzugang wie den Rechtsschutz für Investitionen einheitlich und gesichert zu regeln, das ist ebenfalls Zielsetzung des MAI.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schuster?

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Dr. R. Werner Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002118, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, vom Grundsatz her teile ich Ihre Aussage, daß wir eine konstruktive Alternative zu dem Entwurf brauchen, der jetzt vorliegt. Nur, wenn alles so lobenswert ist, wie Sie es darstellen, hätte ich gerne gewußt, warum bis jetzt keine deutsche Übersetzung vorliegt, warum es mehr als 1000 Rückstellungen gibt, warum die Interessen von 80 Prozent der Menschen - nämlich derjenigen im Süden - praktisch nicht berücksichtigt worden sind und warum bislang alles hinter verschlossenen Türen abgelaufen ist. ({0})

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, das erkläre ich Ihnen gerne noch einmal: Verhandlungssprache ist Englisch. Deshalb gibt es zunächst nur einen englischen Text. ({0}) Sie haben sicher festgestellt, daß wir uns im Wirtschaftsausschuß einig darüber waren, für die Anhörung die deutsche Übersetzung zu bekommen. Das hat die Bundesregierung auch sofort zugesagt. ({1}) - Als der Antrag auf dem Tisch lag, hat sie das durch den Staatssekretär umgehend zugesagt - natürlich nicht Ihnen, sondern Ihren Kollegen. Was den zweiten Teil Ihrer Frage angeht, muß, so denke ich, eines klar sein: Das Abkommen zielt auf Bereiche, die im Zusammenhang mit Investitionen eine Rolle spielen. Man kann nicht mit jedem Abkommen alle Problembereiche abarbeiten. Deshalb müssen wir das MAI im Zusammenhang sehen: mit der Ausgestaltung der Welthandelsordnung insgesamt, also dem WTO-Prozeß, aber auch mit dem Rio-Folgeprozeß - in der WTO wurde eine Arbeitsgruppe zu den Umweltstandards gebildet - und der Frage, welche Wirkung die Präambel in der Singapur-Erklärung hinsichtlich der Arbeitstandards hat und wie die ILO, die zugesagt hat, die Grundstandards sichern zu wollen, vorankommt. Man kann mit dem Investitionsschutzabkommen nicht zugleich alle anderen Probleme regeln. Es ist schon angesprochen worden, daß die Tagung des Rates der OECD auf Ministerebene gestern und vorgestern einige wichtige Ergebnisse gebracht hat, die wir gemeinsam erfreut zur Kenntnis nehmen. Erstens. Es gibt keinen Zeitdruck für die Verabschiedung des Abkommens. Man läßt sich Zeit für eine Evaluierung - Kollege Schmitt hat vorhin schon erklärt, was das heißt Erich G. Fritz und weitere Konsultationen zwischen den Verhandlungsparteien sowie mit interessierten Gruppen der Gesellschaft. Zweitens. Die Minister haben sich geeinigt, hohe Standards der Liberalisierung und ein ausgewogenes Verhältnis der Verpflichtungen zu erreichen, das den wirtschaftlichen Anliegen sowie den politischen, sozialen und kulturellen Besonderheiten der einzelnen Länder Rechnung trägt. Drittens. Es gibt eine Klarstellung des Verhältnisses zwischen MAI und nationalen Regelungsbefugnissen. Viertens. Man hat sich darauf verständigt, daß Umwelt- und soziale Fragen behandelt werden müssen, und die Vertragsbestimmung, daß Umwelt- und Sozialstandards nicht abgesenkt werden dürfen, um Investitionen anzuwerben oder die Abwanderung von Investitionen zu verhindern, findet breite Unterstützung, was übrigens nichts Neues ist und deshalb auch nicht in Richtung Bundesregierung zusätzlich gefordert werden muß. Fünftens. Die Minister erklären ausdrücklich ihr Interesse an der Transparenz des Verhandlungsprozesses und ihr Interesse an einer aktiven öffentlichen Debatte. Der Antrag der Grünen ist, glaube ich, durch dieses Ergebnis teilweise überholt. Richtig ist, daß es in der Vergangenheit ein Kommunikationsdefizit, zumindest gegenüber der Öffentlichkeit, gegeben hat. Es wäre aber auch sinnvoll gewesen, mancher, der im Internet seine Position dargestellt hat, hätte das Internet auch dazu genutzt, sich vorher ein paar Informationen zu holen; dann wäre die Diskussion wahrscheinlich einfacher. Die CDU/CSU-Fraktion jedenfalls steht den Verhandlungen über ein multilaterales Investitionsschutzabkommen positiv gegenüber und sieht es als einen wesentlichen Beitrag zu einer internationalen Wettbewerbsordnung wie zu einem internationalen Abkommen zum Investitionsschutz innerhalb der WTO. Wir unterstützen deshalb bei aller Bereitschaft, in den Einzelfragen genau hinzuschauen, die Arbeit der Bundesregierung in diesen Verhandlungen ausdrücklich. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Sigrid Skarpelis-Sperk.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das multilaterale Investitionsabkommen ist einer der weitreichendsten und komplexesten Vertragsentwürfe, die derzeit auf der internationalen Ebene im Rahmen der OECD beraten werden. Das Problem ist gewichtig genug. Im Ausland getätigte Direktinvestitionen sind in den vergangenen 25 Jahren weltweit um das 25fache gestiegen, von 14 Milliarden US-Dollar per annum auf 350 Milliarden US-Dollar im Jahr und haben damit das Wachstum im Weltwarenhandel deutlich übertroffen, das in dieser Zeit nur um das 16fache gestiegen ist. Die Zahl der bilateralen Investitionsabkommen ist in dieser Zeit auf 1600 angewachsen. Vom Grundsatz her ist daher ein multilaterales Investitionsabkommen sowohl von der Bedeutung wie von dem Volumen der weltweiten Direktinvestitionen her wünschenswert. Da über 90 Prozent der Investitionsströme innerhalb der OECD fließen und 487 der 500 größten Weltunternehmen in den OECD-Ländern ihre Basis haben, ist es auch nachvollziehbar, daß diese sich um ein multilaterales Investitionsabkommen bemüht, das Harmonisierung und Transparenz in diesem Vertragsdschungel bewirken soll. Ein löbliches Ziel also, das bei den OECD-Experten gut aufgehoben erscheint. Warum aber dann die öffentlichen Proteste von Bürgerbewegungen, die Bedenken von Gewerkschaften und Wissenschaftlern, die Kongresse von Künstlern und Autoren? Warum befürchten die Gouverneure der westlichen Bundesstaaten der USA ebenso wie Ministerpräsidenten kanadischer Provinzregierungen tiefgreifende Eingriffe in ihre Handlungs- und Gesetzgebungsmöglichkeiten und haben deswegen ihre Regierungen veranlaßt, mehr als 250 Seiten Änderungswünsche zum MAI und Ausnahmewünsche anzumelden? Und warum hat der US-Kongreß seiner Regierung eine Zustimmung zu Fast-Track-Verhandlungen mit einer breiten, parteiübergreifenden Mehrheit verweigert und hat das Europäische Parlament mit überwältigender Mehrheit grundsätzliche Bedenken angemeldet - übrigens auch unter Beteiligung der konservativen Fraktionen? Es waren nur die Liberalen und die Partei von Herrn Le Pen dagegen. Warum hat das Europäische Parlament mit großer parteiübergreifender Mehrheit eine Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof erbeten? Warum hat der französische Premierminister Lionel Jospin seine Ablehnung öffentlich angekündigt? Ich glaube, wir müssen deutlich machen, warum es einen solchen Aufschrei über das MAI und ein „Halt"-Signal einer Reihe von Parlamenten und vieler Parlamentarier gegeben hat: Einer der Gründe sind die Informationspolitik und das Verhandlungsverfahren der OECD und der beteiligten Regierungen. Der zweite Grund ist die Absicht der OECD-Arbeitsgruppe, nicht nur eine Harmonisierung bestehender bilateraler Abkommen zu erreichen - das wäre gut gewesen -, sondern ein neues „Grundgesetz einer einheitlichen globalen Wirtschaft" zu schreiben - so der Generalsekretär der WTO, Renato Ruggiero -, ohne daß vorher die Öffentlichkeit und die Parlamente prinzipiell ihre Zustimmung für ein solches Verfahren gegeben hatten oder auch nur darüber informiert waren. Dritter Grund sind der Inhalt und die Geltungsdauer des MAI, der weitgehende Verzicht auf natioDr. Sigrid Skarpelis-Sperk nale Souveränität und künftige öffentliche Gestaltungsmöglichkeiten zugunsten großzügig ausgeweiteter Rechte der Investoren, ohne gleichzeitig einen Wettbewerbsrahmen und Pflichten für Unternehmen sowie verbindliche Umwelt- und Sozialstandards, die auch umsetzbar sind, festzulegen. Die Rechte Dritter im Falle von Auseinandersetzungen bleiben weitgehend ungeklärt. Der Deutsche Bundestag, Herr Kollege Fritz, wurde von der Bundesregierung zum erstenmal am 14. Januar 1998 im Wirtschaftsausschuß durch eine zweiseitige Vorlage informiert. Bis heute liegt trotz mehrfachen Drängens keine autorisierte deutsche Übersetzung vor. ({0}) Sie wurde vom Bundeswirtschaftsminister erst nach mehrfachem, energischem einmütigen Drängen der Ausschußmitglieder auf Antrag der SPD und der Grünen sowie der PDS für Mitte Mai zugesagt. Anderen Parlamenten wie dem kanadischen und dem US- Kongreß ging es da besser. Übrigens, Herr Kollege Fritz, ich habe noch gestern im Internet nachgeschaut, was auf dem entsprechenden Server des Wirtschaftsministeriums unter MAI zu finden ist. Wissen Sie, was Sie dort finden können? - Nichts. ({1}) Ich gehe davon aus, daß ein Wirtschaftsministerium in Deutschland für die Information der deutschen Öffentlichkeit zuständig ist. ({2}) Ich sehe überhaupt nicht ein, warum wir Diskjockeys im Internet spielen und auf englische Texte angewiesen sein sollen. Die Kanadier und der US-Kongreß wurden jedenfalls früher informiert. Informationen sind eine Bringschuld der Regierung und keine Holschuld der Parlamente. ({3}) Im übrigen muß man ehrlich sein: Drei Jahre lang ist bei der OECD hinter verschlossenen Türen verhandelt worden, nichts anderes. ({4}) Daß das MAI deswegen den Spitznamen „Tarnkappenvertrag" trägt und auf breites Mißtrauen stößt, ist überhaupt nicht verwunderlich. Wir müssen ehrlich sein, Herr Kollege Fritz: Das vorgeschlagene MAI übersteigt bei weitem die bloße Harmonisierung aller bisherigen bilateralen Investitionsschutzabkommen, aber auch von regionalen Handelsverträgen wie dem NAFTA. Es fordert seinen Primat über bereits bestehende internationale Abkommen zum Schutz des Urheberrechts, der Umwelt und der UNO-Konventionen. Das haben Ihnen übrigens auch die Vertreter der einschlägigen deutschen Industrie - Sie müßten die Herren kennen; sie waren einmal Mitglied der CSU-Fraktion - schriftlich mitgeteilt. Es soll nicht nur für die Signatarstaaten verbindlich sein, sondern auch verbindliche Durchsetzungs- und Sanktionsmechanismen enthalten. Damit greift das MAI, das übrigens eine Mindestgeltungsdauer von 20 Jahren haben soll, tief in die Souveränitätsrechte und in den föderativen Aufbau von Nationalstaaten und Staatenbünden wie der Europäischen Union ein. Seine konkreten Auswirkungen auf die bestehenden und künftigen Gestaltungsmöglichkeiten aller Betroffenen - mit Ausnahme der ausländischen Investoren - sind bisher nicht angemessen überprüft. Um nur einige Dimensionen des MAI sichtbar zu machen: Es ist nicht auf den kommerziellen Sektor beschränkt, wie das früher bei Handelsverträgen üblich war. Der Investitionsbegriff ist so weit wie bisher nie in einem internationalen Abkommen gefaßt. Er umfaßt geistiges Eigentum, Patente, Geldansprüche, Immobilienbesitz, Regierungskonzessionen und Lizenzen, Recht auf Zugang zu natürlichen Ressourcen und ein Recht auf das Mitbieten bei Regierungsaufträgen. Der Schutz umfaßt alle Phasen des Investitionszyklus; bisher galt er nur für die Zeit nach der Investition. Das MAI bindet alle Regierungsebenen, das heißt: auch Länder und Kommunen. Hat die Bundesregierung die Länder und Kommunen überhaupt schon gefragt, ob sie für sie verhandeln darf? ({5}) Es verbietet weitgehend staatliche Auflagen für Investitionen und die Benachteiligung ausländischer Investoren bei staatlichen Subventionen und Aufträgen. Auch dies ist eine Dimension, die dem deutschen Parlament nicht vorgetragen wurde. Es engt die öffentlichen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Privatisierung und der Gestaltung von Nonprofit-Organisationen ganz erheblich ein, weswegen die Kanadier ihren gesamten Gesundheits-, Sozial- und Erziehungsbereich ausdrücklich als Ausnahme beim MAI angemeldet haben. Es gibt Unternehmen zum erstenmal in der Geschichte der internationalen Abkommen ein Klagerecht vor internationalen Streitschlichtungseinrichtungen, und zwar ein Klagerecht, das Organisationen, Gewerkschaften, Privatfirmen und Regierungen nicht haben. Diese Streitschlichtungsorganisationen werden verbindlich und mit Sanktionen versehen entscheiden. Auf die Gültigkeitsdauer des MAI von 20 Jahren habe ich schon hingewiesen. Was das für unser Staatswesen, seinen föderativen Aufbau, die künftigen öffentlichen Gestaltungsmöglichkeiten, die Weiterentwicklung der Europäischen Union, den Umwelt- und Gesundheitsschutz, die ZuDr. Sigrid Skarpelis-Sperk Wanderung von Personal ausländischer Investoren - darauf muß ausdrücklich hingewiesen werden -, aber auch für den Bereich der Wirtschaft und der Kultur bedeuten wird, hat die Bundesregierung bisher nicht beantwortet. Ebensowenig hat sie die Frage beantwortet, warum in diesem „Grundgesetz einer einheitlichen globalen Ökonomie" kein Wort über eine komplementär notwendige Wettbewerbsordnung steht. ({6}) Insbesondere von der F.D.P. erwarte ich hierzu eine Antwort, weil ich mir mit dem Grafen Lambsdorff völlig einig war, daß eine Wettbewerbsordnung international dringend erforderlich ist. Wie kommen wir dazu, multinationalen Konzernen Rechte zu geben, die gegebenenfalls zu Monopolen oder zu weltweiten Kartellen führen und dem Nationalstaat nicht mehr die Möglichkeit geben, dagegen anzugehen? ({7}) Es wird gesagt, das sei bedauerlich, es handele sich um einen Schönheitsfehler, die Angelegenheit werde später verhandelt. Ich meine, es gehört doch zur simpelsten Verhandlungstaktik, zu berücksichtigen, daß man so etwas nachher nicht geschenkt bekommt, wenn man vorher die entsprechenden Konzessionen gegeben hat. Bevor wir im Bundestag über das MAI inhaltlich debattieren und entscheiden können, müssen wir noch viel klärende Vorarbeit leisten. Eine Anhörung ist notwendig, aber nicht hinreichend, weil bisher nur wenige mit dem MAI qualifiziert befaßt waren. Das ist auch kein Wunder; denn vorgestern ist eine neue Fassung des MAI mit 144 Seiten auf englisch, 54 Seiten Kommentar und 1300 Seiten Ausnahmen erschienen. Lieber Herr Kollege Fritz, wer sagt, daß wir das alles seit zwei Tagen hätten lesen können, dem muß ich sagen: Das ist nicht richtig. ({8}) Drei Schritte sind deswegen unbedingt erforderlich: Erstens. Die Regierung muß die Karten offen auf den Tisch legen und die deutsche Öffentlichkeit voll informieren, und zwar in der Amtssprache unseres Landes - in Deutsch. ({9}) Zweitens. Die in Frage stehenden Problemkreise müssen sorgfältig durch Expertengutachten geprüft werden, damit eine rationale Erörterung möglich ist. Drittens. Wenn das geschehen ist, muß die Politik mit allen interessierten Verbänden und Organisationen sowie den Bürgerinnen und Bürgern diskutieren. Gott sei Dank hat der Ministerrat der OECD am 28. April nicht entschieden, sondern das Verhandlungsmandat verlängert. Das entsprach auch dem Willen der beteiligten Parlamente; so ist Zeit für eine umfassende Information und eine rationale Vorbereitung der Diskussion gewonnen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist schon erheblich überschritten. Bitte kommen Sie zum Schluß.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. Ich halte es für unangemessen, wenn die Steuerung der deutschen Verhandlungsposition im Detail durch eine Arbeitsgruppe des Bundeswirtschaftsministeriums erfolgt, an der Vertreter der Wirtschaft und seit neuestem auch einige Ländervertretungen beteiligt sind, aber sonst niemand. Ich glaube, wenn ein Grundgesetz der künftigen globalen Wirtschaft neu erarbeitet wird, wäre es angemessen, wenn auch Gewerkschaften und andere Interessenvertreter dabei wären. Die jetzige Vorgehensweise von OECD und Regierungen ist bürokratische Hybris hinter dem Rücken der Parlamente. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Paul Friedhoff.

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit September 1995 laufen in der OECD die Verhandlungen über dieses Multilaterale Abkommen für Investitionen. Das Ziel der Verhandlungen ist, verläßliche Rahmenbedingungen für ausländische Investitionen auf der Grundlage von Inländerbehandlung und Meistbegünstigung zu schaffen. Das MAI soll unter anderem Vorschriften zum Schutz vor Enteignung und zur Sicherung des freien Kapitalverkehrs enthalten. Von besonderer Bedeutung wird dabei ein verbindlicher Streitbeilegungsmechanismus sein; denn sonst kann man sich das Ganze sparen. In einem solchen Schiedsverfahren kann ein privater Investor dann seine Rechte gegen den Gaststaat geltend machen. Das MAI wird also in dieser Hinsicht einige begrüßenswerte Punkte beinhalten, die über das GATT hinausgehen. Der Vertrag ist aber bekanntlich noch nicht zu Ende verhandelt. Es wäre falsch, sich dabei unter Zeitdruck setzen zu lassen und hier so zu tun, als wäre das, was dort angedacht und diskutiert worden ist, schon der Vertragstext. Es müssen noch eine ganze Reihe von Problemen ausgeräumt werden, wie etwa das Helms-Burton-Gesetz und ähnliche Dinge. Wir sind also noch lange nicht am Ende. ({0}) Wir Freien Demokraten unterstützen die Haltung der Bundesregierung und des federführenden Bundeswirtschaftsministeriums. Wir sind davon überzeugt, daß dieses Abkommen den Prozeß der globalen Handelsliberalisierung in einem wesentlichen Teilbereich unterstützen und klare Regeln vorgeben wird. Die Verbindung von Handel und Investitionen wird immer enger. Offene Märkte sind die Voraussetzung für eine Verbesserung der internationalen ArPaul K. Friedhoff beitsteilung, und die internationale Arbeitsteilung ist eine Voraussetzung für die Steigerung des weltweiten Wohlstandes. Dazu gehört, daß internationale Investoren auf nationalen Märkten nicht schlechtergestellt werden als nationale Wettbewerber. Das MAI will ein umfassendes Diskriminierungsverbot sicherstellen. Davon werden unsere weltweit agierenden deutschen Unternehmen in besonderem Maße profitieren. Dabei denke ich gerade an viele kleinere und mittlere Unternehmen, die auf dem Weg in die globalisierte Welt, in die Weltmärkte sind und die sich in zunehmendem Maße auch im Ausland engagieren. Bei der Abschaffung von Handelshemmnissen sind im Rahmen von GATT und WTO ermutigende Fortschritte erzielt worden. An einem der WTO vergleichbaren Abkommen über Investitionen fehlt es bisher. An dieser Stelle kann das MAI wertvolle Pionierdienste leisten. Die bisherigen Gespräche auf WTO-Ebene haben gezeigt, daß etliche Entwicklungsländer noch Vorbehalte gegenüber einem weiteren Integrationsschritt der nationalen Märkte haben. Unter diesen Voraussetzungen sind die OECD- Verhandlungen die geeignete Alternative, um keine Zeit zu verlieren. Hinzu kommt natürlich, daß in der OECD die weltweit wichtigsten Geber- und Empfängerländer von Auslandsinvestitionen vereint sind und damit das richtige Forum darstellen. Wichtig ist, daß das MAI allen Staaten zum Beitritt offenstehen muß. Es kann damit die Plattform eines weltweiten Investitionsabkommens sein. Unternehmen brauchen stabile rechtliche Rahmenbedingungen für Investitionen. Nur dann kann sich die Dynamik der weltweiten Kapitalströme voll entfalten. In dieser Dynamik liegen ungeheure Wohlstandschancen gerade auch für die weniger entwikkelten Länder. Deshalb sollten wir uns davor hüten, die Verhandlungen über das Abkommen mit Entwürfen aus dem grünen Wolkenkuckucksheim zu belasten. Wir wissen aus den GATT- und WTO-Verhandlungen, daß die weniger entwickelten Länder westliche Vorstellungen schnell als Diskriminierungsversuch empfinden. ({1}) Was den Menschen in diesen Ländern nützt, ist ein ungehinderter Zugang zu den Märkten. Das ist unsere vordringliche entwicklungspolitische Aufgabe. Dem MAI wird ein weitgefaßter Investitions- und Eigentumsbegriff zugrunde liegen; das ist gut so. Materielle und immaterielle Vermögenswerte sollen erfaßt werden. Ich kann hier die Sorge von Bündnis 90/Die Grünen schon ein wenig verstehen. Wenn Rahmenbedingungen schlagartig so verändert würden, wie es bei der Mineralölsteuer geschehen soll, und das in einem nationalen Alleingang, könnte das durchaus zu Auseinandersetzungen mit ausländischen Investoren führen. ({2}) - Sie können das ja so sehen. Sie können jedes Investment in einem anderen Land dadurch kaputtmachen, daß Sie das über diesen Weg aushebeln. Dazu muß man selbstverständlich Schutzzäune errichten, und dies könnte so einer sein. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wolfgang Schmitt?

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Wolfgang Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002784, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie haben gerade angemerkt, daß Sie es für ein berechtigtes Anliegen halten, mittels eines multilateralen Investitionsschutzabkommens die Position beispielsweise von Mineralölkonzernen gegenüber Staaten zu stärken, deren Souverän - ich betone: Souverän! - in Gestalt der Parlamente Gesetze beschließt - aus welchen Gründen auch immer -, die zum Inhalt haben, daß die Mineralölsteuer drastisch angehoben wird. Welches Demokratieverständnis liegt dem eigentlich zugrunde, daß Sie es für legitim halten, daß mittels internationaler Abkommen souveräne Entscheidungen von Parlamenten, die sich auf ihr eigenes Territorium beziehen und nicht diskriminierend sind - denn es sind in- wie ausländische Unternehmen betroffen -, verhindert werden? Welches Demokratieverständnis liegt eigentlich dieser Aussage zugrunde, daß Sie so etwas begrüßen können? ({0})

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Zunächst einmal habe ich hier gesagt, das könnte ein Beispiel sein. Ich habe damit verdeutlichen wollen: Es gibt Rahmenbedingungen, auf die auch Investoren Anspruch haben, daß sich nicht von heute auf morgen etwas dramatisch ändert. Solchen Vorstellungen würde durch ein solches Abkommen ein Riegel vorgeschoben. Wenn Sie darauf abheben wollen, daß nationale Parlamente, eingebunden in internationale Verträge, bestimmte Vorhaben nicht durchführen und bestimmte Beschlüsse nicht fassen können: Es ist völlig klar, daß wir das in diesem Hause an vielen Stellen so beschlossen haben und daß das international so üblich ist. Sie können dies doch nicht mit Demokratie verbinden und sagen: Damit enthauptet sich sozusagen ein Parlament. Sie können auch nicht sagen, jemand würde nicht demokratisch handeln, wenn er in vollem Wissen darüber solche Abkommen abschlösse - in vollem Wissen darüber, daß das doch die logische Konsequenz ist. Es ist nötig, daß wir für Investitionen, auch für ausländische Investoren, klare Rahmenbedingungen haben. Ein Zickzackkurs, wie er in der Politik häufig angedacht wird, ist dem nicht dienlich. Wenn wir für eine kontinuierliche Entwicklung sorgen können, dann halte ich das für richtig.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es besteht noch ein Wunsch nach einer Zwischenfrage. Gestatten Sie das auch der Kollegin Skarpelis-Sperk noch?

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich die beiden Kollegen darauf aufmerksam machen, daß meines Wissens - ich habe das MAI ja gelesen - Steuern dort nicht geregelt werden. Darf ich zweitens den Kollegen von der F.D.P. fragen, ob Sie die Bundesregierung zu bewegen gedenken, Steuerregelungen und Steuerharmonisierungen künftig im MAI zu verankern?

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn Sie schon alles wissen, was dort am Ende drinstehen wird - die Verhandlungen wurden gerade unterbrochen -, dann beglückwünsche ich Sie. Sie sagen, Sie hätten das alles gelesen. Sie haben hier vorhin einen Vortrag gehalten, in dem Sie Vermutungen in alle möglichen Richtungen angestellt haben. Dieses ist bislang überhaupt nicht zu Ende verhandelt. Was am Ende dabei herauskommt, wird dann auch hier in diesem Parlament entweder beschlossen oder nicht beschlossen werden. Insofern jetzt daraus zu konstruieren, wie Sie das gerade getan haben, daß bestimmte Dinge zu Ende verhandelt werden, das ist nicht möglich. Ich bin aber in der Tat der Meinung, daß wir den Investitionsschutz relativ hoch stellen müssen, daß wir auch den Eigentumsschutz relativ hoch stellen müssen, ({0}) wenn wir eine weltoffene Politik betreiben. Diese weltoffene Politik müssen wir betreiben, wenn wir uns nicht international abkoppeln wollen. ({1}) - Ich habe nicht die Antwort gegeben, die Sie gerne gehört hätten; das ist mir klar. Meine Damen und Herren, der OECD-Ministerrat hat angekündigt, daß die Verhandlungspause für eine intensive Information der Öffentlichkeit genutzt werden soll. Auch die Bundesregierung hat dies vor. Diese Absicht begrüßen wir. Wir Freien Demokraten haben aber keinen Zweifel daran, daß das Abkommen unter dem jetzigen Vorzeichen zu einer Hilfe für unsere deutschen Unternehmen werden kann. Ich bedanke mich. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Winfried Wolf.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Daß die Angelegenheit MAI brisant ist, verdeutlichen, Herr Fritz und Herr Friedhoff, bereits die Umstände: Seit zwei Jahren verhandelt die Bundesregierung über das weltweite Abkommen MAI nach Art einer geheimen Kommandosache, nämlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Da hier auf das Internet verwiesen wurde, kann man sagen, daß Herr Rexrodt offensichtlich im Off surft. Ein öffentliches und nun gar ein parlamentarisches Thema wurde das MAI erst mit den Protesten von Nichtregierungsorganisationen, dem organisierten Widerstand, zum Beispiel dem Anti-MAI-Kongreß am letzten Wochenende hier in Bonn, und dem Nachbohren auf parlamentarischer Ebene, was von uns bereits im Januar und März 1998 durch eine Anfrage und in Form eines Antrags geschah. Die Kölner Ökofeministin Maria Mies, die den erwähnten Kongreß mitorganisierte, hob in einem Interview mit unserer Zeitung „Wirtschaft - Soziales -Widerstand" zwei Aspekte dieses Abkommens hervor: erstens die extrem weite Definition dessen, was als Investition bezeichnet wird. Dies ist hier schon angesprochen worden. Frau Mies sagt in dem Interview: Danach können Gene, Embryonenhandel und traditionelles Wissen der Völker ebenfalls als Investitionen begriffen werden, ... Auf dieser Erde soll alles zur Ware gemacht werden. Zweitens betont Frau Maria Mies als Kernpunkt des MAI die „nationale und Meistbegünstigungsklausel" . Damit dürfen keine einheimischen Investitionen ausländischen gegenüber mehr bevorzugt werden. Das muß die ohnehin starken transnationalen Konzerne gerade in der dritten Welt noch mächtiger und vollends übermächtig machen. Heute kontrollieren nach „Le Monde Diplomatique" bereits 200 transnationale Konzerne ein knappes Drittel des gesamten Welthandels.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Fraktionskollegen?

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Wolf, wie beurteilen Sie die Wirkung des MAI vor dem Hintergrund der anhaltenden Krise in Asien, vor allem eingedenk der Tatsache, daß dort der koreanische Won um 50 Prozent, die malayische Währung um 40 Prozent und die indonesische Währung Rupiah um nahezu 90 Prozent abgewertet wurden? Welche Auswirkungen hat diese Situation auf die ganze Debatte um das MAI, und welche Schlußfolgerungen ziehen Sie daraus?

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Die Kollegin Sigrid Skarpelis-Sperk hat bereits in ihrer Rede darauf hingewiesen, daß das MAI für 20 Jahre angelegt wurde. Herr Friedhoff hat darauf hingewiesen, daß er gegen Verwerfungen in der Wirtschaft sei. Wie von meinem Kollegen Uwe-Jens Rössel dargelegt wurde, sind solche Verwerfungen in Ländern, wo weder Grüne an der Regierung waren, noch in irgendeiner Form andere Politikeinflüsse herrschten, der Marktradikalität zuzuschreiben. Wenn vor einem Jahr hier im Parlament jemand gesagt hätte, durch eine Krise könne all das eintreten, was hier vorgetragen wurde, nämlich die Werthalbierung von Währungen usw., wäre das als grober Unfug abgetan worden, und man hätte es für unmöglich gehalten. Wenn man die Situation konkret auf das MAI anwendet und überlegt, daß mit der Werthalbierung des Won in Korea und der zusätzlichen Halbierung der Börsenkurse in Seoul Korea im Grunde für ein Viertel des Preises in Dollar aufgekauft werden könnte, dann hätte Korea nicht die Möglichkeit, sich dagegen national zu wehren, weil es nicht erlaubt wäre, ausländische Investitionen in irgendeiner Form zu benachteiligen. Das heißt, der normale Schutzmechanismus könnte nicht eingesetzt werden. Karl Marx, der übrigens in diesem Zusammenhang ab und zu auch einmal von Herrn Schröder mit diesem Zitat angeführt wird, hat in seiner Kritik des „Gothaer Programms" geschrieben, daß die Anwendung von gleichem Recht bei ungleichen Bedingungen die Starken noch stärker macht und im Grunde ungleiches Recht noch verstärkt. Das trifft genau auf ein 20 Jahre gültiges MAI zu. Ich möchte nun in meiner Rede fortfahren. - Damit stellt sich die Frage: Ist überhaupt ein MAI denkbar, das derart grün wie dieser Tagesordnungspunkt daherkommt, also „sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltig" - gemeint ist wohl: zukunftsfähig? Ich persönlich meine, nein. Der im übrigen kenntnisreiche Antrag des Kollegen Schmitt und anderer versucht die Quadratur des Kreises. Das deuten bereits die 13 Vorschläge für eine MAI-Nachbesserung an. Dabei sind diese Vorschläge noch völlig unzureichend. Ich möchte nur zwei Beispiele nennen: Der Antrag schlägt in Punkt 7 die „Aufnahme der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen" als Teil des MAI vor. Doch bei diesen OECD-Leitsätzen handelt es sich um Empfehlungen. Das MAI erhielte derart eine Art unverbindlichen Human-Lack. Zweites Beispiel: Die Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse von Frauen wird heute weder von den OECD-Empfehlungen noch von den Kernarbeitsstandards der Genfer Arbeitsorganisation ILO erfaßt. In diesem Bereich überwiegen „McJobs" - bei uns: 620/520-DM-Jobs -, Teilzeitarbeit und andere prekäre Jobs, wie sie gerade in der dritten Welt und dort vor allem in den Maquila-Zonen dominieren. Zu diesem wichtigen Komplex Frauenarbeit verliert auch der Grünen-Antrag kein Wort. Im Grunde, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das MAI der Versuch, Marktradikalismus und Globalisierung in eine Art ehernes Weltgesetz zu gießen. Der Kernsatz zwischen allen Zeilen lautet: Du sollst nur drei Götter über dir haben - Profit, Profit, Profit. Das MAI ist durch und durch sittenwidrig; es steht für eine menschliche Weltgemeinschaft, in der als Grundrecht das Faustrecht gilt. Ich finde, MAI sollte übersetzt werden mit „multis against individuals". Danke schön. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Neumann.

Kurt Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002745, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stimme dem Antrag der Grünen im wesentlichen zu. Das gilt für die Kritik am Schutz internationaler Finanzspekulationen, an der tendenziellen Europafeindlichkeit, vor allem an der unerträglichen Geheimniskrämerei und an der mangelnden Informationsbereitschaft der Bundesregierung. Ich habe seit dem 16. Mai vorigen Jahres in dieser Sache 18 Anfragen gestellt. Die Antworten der Bundesregierung waren häufig ausgesprochen kurz, selten konkret und nie umfassend. ({0}) Bei der Behandlung des MAI zeigen sich generell Defizite im Verhältnis zu demokratischen Kontroll- und Mitentscheidungsrechten des Parlaments. Noch zwei Bemerkungen: Erstens. Nach den Erfahrungen mit dem neuen GATT und dem WTO-Vertrag von 1994 müssen die Verhandlungen über das MAI Anlaß sein, das innerstaatliche Verfahren zu verändern, durch das völkerrechtliche Verträge in Kraft gesetzt werden. § 82 Abs. 2 der Geschäftsordnung sieht nur die Zustimmung zu einem Vertrag oder deren Verweigerung vor. ({1}) Inhaltliche Änderungen sind ausgeschlossen. Beim MAI handelt es sich um ein umfangreiches Vertragswerk. Seine Funktion ist es nicht, internationale Beziehungen zu regeln, sondern vor allem, innerstaatliches Recht festzulegen. Da widerspricht das bisher geübte Verfahren demokratisch-parlamentarischen Prinzipien. Daß es auch anders geht, zeigen übrigens die Vereinigten Staaten. Dort muß ein „Fast track"-Verfahren erst beim Parlament beantragt werden. Hier können wir von den USA wirklich einmal etwas lernen. ({2}) Zweitens. In der Sache warne ich vor einer Herangehensweise nach dem Motto: Wir sind grundsätzlich für ein multilaterales Investitionsabkommen, wir wollen nur Verbesserungen durchsetzen. Ich bitte herzlich, darauf zu achten, daß man so auf der rutschigen Ebene konstruktiv gemeinter Kompromisse leicht Kurt Neumann ({3}) dort landen kann, wo man wirklich nicht hinwollte. Die Kompromisse zum Lauschangriff und vor allem zum Asylrecht haben das nachhaltig demonstriert. Angesichts des jetzigen Stands der Dinge sage ich daher: Besser kein Abkommen als ein schlechtes Abkommen. Was bisher erkennbar ist, das ist mehr als schlecht. Ich danke sehr. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Stand der jüngsten Entwicklung ist bereits verschiedentlich angesprochen worden. Der OECD-Ministerrat hat sich Anfang dieser Woche mit dem Multilateralen Abkommen für Investitionen befaßt. Die OECD-Minister haben sich darauf geeinigt, zunächst in eine Phase der Bewertung und Konsultation einzutreten. An diesem Prozeß sollen neben den beteiligten Regierungen auch interessierte Gruppen der Gesellschaft aktiv beteiligt werden. ({0}) Noch nicht gesagt worden ist, daß die Minister zugleich ihren Willen bekundet haben, die Verhandlungen im Herbst mit dem Ziel fortzusetzen, einen erfolgreichen und baldigen Abschluß des MAI zu erreichen. Gleichzeitig unterstützten die Minister die laufenden Arbeiten in der WTO über Handel und Investitionen. Sie erklärten ihre Absicht, sich für die Schaffung von Investitionsregeln im Rahmen der WTO einzusetzen. Das bedeutet nicht, Herr Kollege Schmitt, daß wir damit vor unüberwindlichen Schwierigkeiten stünden. Das bedeutet auch kein Scheitern der MAI-Verhandlungen. Vielmehr hat sich in allen OECD-Ländern in den letzten Monaten eine intensive Diskussion um das MAI unter aktiver Beteiligung insbesondere auch von Nichtregierungsorganisationen entwickelt. Man muß sehen: Das MAI ist Teil der öffentlichen Debatte um Globalisierung. Es hat sich gezeigt - aus meiner Sicht teilweise auch in der heutigen Debatte -, daß es in der Öffentlichkeit noch viele Mißverständnisse in bezug auf das MAI gibt. Die Bundesregierung hat deshalb unterstützt, daß bei den jetzt anstehenden OECD-Beratungen eine Bestandsaufnahme vorgenommen wird und eine Phase des aktiven und innovativen Nachdenkens eingeschoben wird. ({1}) Die Bundesregierung setzt sich aber weiterhin für einen erfolgreichen und baldigen Abschluß der MAI- Verhandlungen ein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in wenigen Tagen feiern wir die Gründung des GATT vor 50 Jahren. In diesem Zeitraum ist, wie ich finde, erfolgreich ein Regelwerk für einen offenen Welthandel aufgebaut worden. Wir müssen aber sehen: Dynamischer Handel, wirtschaftliche Zusammenarbeit, Wachstumsprozesse, von denen alle Teilnehmer ihre Vorteile haben, sind heute ohne den weltweiten Austausch von Direktinvestitionen nicht mehr denkbar. Das heißt, wir schwächen die positive Dynamik des handelspolitischen weltweiten Regelwerks, wenn wir es nicht durch ein gleichermaßen entwicklungsfähiges Regelwerk für Investitionen ergänzen. Der Grundgedanke des MAI bleibt jedenfalls richtig: Auslandsinvestitionen sollen und dürfen nicht diskriminiert werden. Das ist ein fester Bestandteil auch der deutschen Wirtschaftspolitik. Dabei bleibt die Souveränität der Vertragsstaaten des MAI im Bereich der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik grundsätzlich unberührt. Sie ist nur durch das Verbot der Diskriminierung eingeschränkt. Herr Kollege Schmitt, das ist ein wichtiger Gedanke: Nicht die Verschlechterung von Rahmenbedingungen für eine Investition führt zu einem enteignungsgleichen Eingriff, der entschädigungspflichtig ist; nur dann, wenn sich eine solche Verschärfung ausschließlich auf die ausländische Investition bezieht, wäre das relevant. Darüber hinaus besteht unter den Verhandlungspartnern auch weitgehend Einvernehmen darüber, daß das MAI auch soziale und umweltpolitische Aspekte berücksichtigen soll. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß es in den kommenden Wochen respektive Monaten gelingen wird, Parlament und Öffentlichkeit von der Notwendigkeit und dem Nutzen eines MAI zu überzeugen. Zum Schluß will ich noch einmal bekräftigen: Außenhandel und Auslandsinvestitionen leisten einen wichtigen Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. Zur Absicherung dieser positiven Effekte brauchen wir ein multilaterales Abkommen über Investitionen. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/10410 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({0}) - zu dem Antrag des Abgeordneten KlausJürgen Warnick und der Gruppe der PDS Beendigung der Zwangsprivatisierung von kommunalen und genossenschaftlichen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Wohnungen in den ostdeutschen Bundesländern durch Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes - zu dem Antrag der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Helmut Wilhelm ({1}), Antje Hermenau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nutzung des Altschuldenhilfegesetzes für eine Initiative zur Gründung von Wohnungsgenossenschaften - zu dem Antrag der Abgeordneten Iris Gleicke, Achim Großmann, Markus Mekkel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Privatisierungs- und Veräußerungspflicht im Altschuldenhilfegesetz an den Problemen und der Entwicklung des ostdeutschen Wohnungsmarktes orientieren - Drucksachen 13/8571, 13/8703, 13/9181, 13/9901Berichterstattung: Abgeordnete Rolf Rau Iris Gleicke Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten Redezeit erhalten soll. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick.

Klaus Jürgen Warnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002824, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon bezeichnend: Meine erste Rede im Bundestag zu Sachthemen handelte vom Altschuldenhilfe-Gesetz. Bei der vielleicht letzten wohnungspolitischen Debatte in dieser Legislaturperiode geht es auch wieder um das Altschuldenhilfe-Gesetz. Das Altschuldenhilfe-Gesetz ist eine genauso unendliche Mißerfolgsgeschichte wie die Wohngeldfrage hier im Deutschen Bundestag. ({0}) Diese Altschulden waren für uns nie reale Altschulden. Sie wurden aber am 1. Juli 1990 durch politische Entscheidungen mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zu Schulden gemacht. Das ist nun unwiederbringlich gelaufen. Aber ohne Not hat man hier ein fiskalisches Problem mit einer Ideologie, mit der Eigentumsideologie der Bundesregierung, verknüpft und damit das Dilemma wesentlich verschärft. Die PDS hat bisher vier Anträge zur Beendigung der Zwangsprivatisierung eingebracht. Die Bundesregierung hatte im Zusammenhang mit der Zwangsprivatisierung drei Ziele proklamiert. Das erste Ziel: Es sollte Geld in den Erblastentilgungsfonds fließen. Ein Teil des Erlöses sollte an den Erblastentilgungsfonds gehen. Man hatte sich davon versprochen, daß erhebliche Summen auf die Bundesregierung zukommen. Als zweites sollten die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen unterstützt werden. Man hatte ihnen gesagt, wenn sie einen Teil ihres Bestandes veräußern, können sie mit den Verkaufserlösen den Rest, also 85 Prozent, damit sanieren und modernisieren. Das dritte Ziel: Die Bundesregierung wußte genau, daß sich Mieterinnen und Mieter in Ostdeutschland nichts sehnlicher wünschen, als sich endlich ihre Neubauwohnung zu kaufen. Sie wollte die Mieter überglücklich machen. Da sie aber glaubte, daß die Unternehmen den Mietern das verwehren würden, mußte man sie zwingen, damit wenigstens 15 Prozent veräußert werden. Ich stelle als Ergebnis fest: Erstens. Die Summe, die für die Propagierung, die steuerliche Unterstützung, für die Modellvorhaben, für die Forschung, für die Arbeit der KfW, für die Sonder-MA und anderes ausgegeben wurde, ist um ein Mehrfaches höher als das Geld, das in den Erblastentilgungsfonds geflossen ist. Da wurde also Minus gemacht. Zweitens: die Unternehmen. Fragt man die Geschäftsführer der Genossenschaften und der Wohnungsunternehmen, erfährt man, daß sie, wenn es gut gelaufen ist, plus/minus null gemacht haben. Oftmals haben sie aber ein Minus gemacht. Das Ziel wurde also verfehlt. Drittens: die Mieterinnen und Mieter. Sie sind zu Hunderttausenden verunsichert und, man kann sagen, zutiefst sauer. Der Leerstand hat sich noch wesentlich vergrößert. Wir haben jetzt über 600 000 leerstehende Wohnungen in den neuen Bundesländern. Die Entmischung der Bestände hat nicht unwesentlich zum Wahlerfolg der DVU in Sachsen-Anhalt beigetragen. Man muß sich nur einmal die Wahlergebnisse ansehen: Die Politik der Bundesregierung hat gerade Menschen in den Neubaugebieten zutiefst verunsichert. Die gesamte Bilanz ist also negativ; alle drei Ziele wurden klar und eindeutig verfehlt. Was ist aus dem Ziel des Vorrangs der Privatisierung von Mietwohnungen zugunsten der Mieter geworden? Von 352 000 Wohnungen, die nach dem Altschuldenhilfe-Gesetz veräußert werden müssen, waren bis Ende 1997 264 900 Wohnungen privatisiert, davon gerade 73 000 zugunsten der Mieterinnen und Mieter. Das sind 20 Prozent des zu veräußernden Bestandes. Der weitaus überwiegende Teil der verkauften Wohnungen ging nicht in Mieterhand, sondern gehört inzwischen Großbanken, westdeutschen Versicherungs- und Immobiliengesellschaften sowie Kapitalanlegern, die dafür Sonderabschreibungen bis zu 40 Prozent des Kaufpreises geltend machen konnten. ({1}) Zur Verschleierung des gigantischen Eigentumstransfers wird der Verkauf an Zwischenerwerber „mieternahe Privatisierung" genannt. Die Zwangsprivatisierung ist aber auch insgesamt ein völlig falsches Signal. Inzwischen wurden auch große bundeseigene Wohnungsgesellschaften wie die Deutschbau und die Frankfurter Siedlungsbaugesellschaft von der Bundesregierung zum Teil schon veräußert. Die Wohnungsbestände der Bahn, der Post und der Bundesversicherungsanstalt stehen auf der Privatisierungsliste. Außerdem werden auch westdeutsche kommunale Wohnungsunternehmen gedrängt, erhebliche Teile ihrer Bestände zu veräußern. Die Folge: Die öffentlichen und kommunalen Wohnungsbestände, die eine wichtige Funktion zur sozialen Wohnungsversorgung der Bevölkerung haben, werden immer geringer. Daß das Altschuldenhilfegesetz nicht funktioniert, beweisen auch die vielen Rundbriefe der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Nur der Not gehorchend, hat die Koalition über ihre Mittlerin KfW ständig neue Zugeständnisse machen müssen. Aber auch das letzte Zugeständnis geht wieder an der Realität vorbei. Das beweisen folgende Zahlen: 22 Prozent Arbeitslosigkeit, 10 Prozent Leerstand und 10 Prozent Wegzüge: 22 Prozent Arbeitslosigkeit werden oft spielend erreicht; zum Teil liegt sie regional auch bei 27 oder 28 Prozent. Die 10-Prozent-Quote in bezug auf die Wegzüge wird erreicht, in bezug auf den Leerstand aber nicht. Er liegt manchmal bei 8 Prozent. Uns sagen die Unternehmen, das können wir spielend in kürzester Zeit erfüllen. Ich frage deshalb: Wollen wir den Leerstand noch forcieren? Das ist eindeutig der falsche Weg. Die KfW ist der Erfüllungsgehilfe der Bundesregierung und keine unabhängige Institution, wie sie immer hingestellt wird. Ich denke, das Ende der Fahnenstange ist wirklich erreicht. Deshalb fordert die Partei des Demokratischen Sozialismus, den längst überfälligen Schritt zur Beendigung der Zwangsprivatisierung zu gehen, und zwar nicht erst in einem halben oder einem Jahr, sondern so schnell wie möglich, noch in dieser Legislaturperiode. Vielen Dank. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Rolf Rau das Wort.

Rolf Rau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001781, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer Augen hat, zu sehen, sieht heute in den neuen Ländern von Rügen bis zum Thüringer Wald unzählige neugebaute Häuser, besser ausgebaute Straßen, freundliche Dörfer und Städte. Er sieht ebenso eine große Vielzahl alter Häuser in neuem Outfit. ({0}) - Frau Fuchs, ich gebe Ihnen recht: Die Landschaft blüht. ({1}) Von den vorhandenen sieben Millionen Wohnungen - im Jahre 1990 oftmals in schlechtem Zustand; ich erinnere an die Bauzustandsstufe 3 bis 4 - wurden in den vergangenen Jahren rund die Hälfte saniert und modernisiert. Die Bürgerinnen und Bürger in diesen Wohnungen fühlen sich wohl. Sie nutzen die neue, sparsame Wärmeversorgung. Sie können dank der neuen technischen Systeme mit Energie und Wasser sinnvoll umgehen. Im Städtebau und im ländlichen Raum wurde vieles im Wohnumfeld erneuert. Dies alles hat viel Geld der Hauseigentümer, der Gesellschaften und der Genossenschaften gekostet. Aber es hat auch viel Geduld von den Betroffenen, von den Mietern, gefordert. Für das beeindruckende Ergebnis bei der Verbesserung der Wohnbedingungen in den neuen Ländern sage ich von hier aus allen Akteuren ein herzliches Dankeschön. ({2}) Die Entwicklung im Osten wurde durch das Altschuldenhilfe-Gesetz eindeutig befördert. Das ist Fakt, und das kann niemand unter den Tisch kehren. Die Teilentlastung durch den Bund über den Erblastentilgungsfonds in Höhe von 28,3 Milliarden DM ist ein erheblicher Anteil, um die wirtschaftliche Sicherheit der Wohnungsgenossenschaften und der Wohnungsgesellschaften zu stabilisieren. ({3}) Hier haben die Länder und der Bund zusätzlich Zinshilfe in Höhe von 5 Milliarden DM gewährt. Wenn man dieses Thema beleuchtet, muß man ganz deutlich unterstreichen, daß bis 1996 fast 50 Milliarden DM an Investitionen realisiert wurden. 1997 wurden weitere 17 Milliarden DM erwartet. Der deutsche Steuerzahler hat maßgeblich dazu beigetragen, daß das Wohnen in den neuen Bundesländern wirtschaftlich auf feste Füße gestellt werden konnte. Die Ergebnisse sprechen für sich. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat zur Realisierung dieser Riesenaufgaben Hervorragendes geleistet. Seit Oktober 1990 hat sie durch Kreditprogramme ständig zielgerichtete Möglichkeiten geschaffen, den Bauwilligen und Investoren hilfreich unter die Arme zu greifen. Wir Abgeordnete der Koalitionsfraktionen widmeten ebenso wie die Bundesregierung der Flexibilität des Kreditprogramms besondere Aufmerksamkeit. Damit konnte den Entwicklungen in den neuen Bundesländern, der Marktsituation, aber auch den aufgetretenen Problemen Rechnung getragen werden. Ich verweise auf zwei Positionen, die wir in den letzten Monaten noch einmal besonders auf den Weg gebracht haben. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau fördert unter Marktzins die Sanierung und Modernisierung nicht nur, wie bisher, mit 500 DM, sondern mit 800 DM pro Quadratmeter in den Plattenbausiedlungen. Es ist möglich, daß die im Umfeld befindlichen Probleme mit erfaßt werden. Seit wenigen Tagen gilt zudem die Regelung, daß wir auch den Bestand der Wohnungen, die vor dem 1. Januar 1949 gebaut worden sind, günstiger fördern. Es geht dabei immerhin um fast 3,5 Millionen Wohneinheiten, also um fast die Hälfte des Wohnungsbaubestandes. Die Kreditobergrenze für die Sanierung und ModernisieRolf Rau rung wurde hier von ursprünglich 500 DM ebenfalls auf 800 DM pro Quadratmeter erhöht. Es hat sich aber auch gezeigt, daß im Rahmen der Durchführung des Altschuldenhilfe-Gesetzes andere Probleme Beachtung finden müssen. An erster Stelle steht die Situation in wirtschaftlich schwachen Regionen. Dort entstehen durch Abwanderung erhebliche Wolmungsleerstände. Die zum Teil überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit, die die Bildung von Wohneigentum stark beeinträchtigt, ist gleichfalls eine schwerwiegende Thematik. Diesen veränderten Bedingungen hat sich der Lenkungsausschuß mit unserer Unterstützung bzw. auf Grund unserer Forderung gestellt. Entsprechende Entscheidungen wurden getroffen. Die Kreditanstalt hat sie am 12. Januar veröffentlicht. Danach können Genossenschaften und die Gesellschaften die angesprochenen Möglichkeiten nutzen, wenn sie die Erfüllung folgender Kriterien nachweisen: eine Arbeitslosenquote von 20 Prozent, 10 Prozent Leerstand oder Rückgang der Bevölkerung um 10 Prozent in den letzten drei Monaten. Ich möchte darauf verweisen, daß diese Maßnahme nicht ins Leere gelaufen ist, sondern daß bisher 61 Anträge bei der KfW gestellt und davon 24 positiv beschieden wurden. Die durch diese Regelung positiv beschiedenen Unternehmen können daher Aufwand im Zusammenhang mit der Veräußerung sparen. Sie und die Kreditgeber haben darüber hinaus Sicherheit, daß die Teilentlastung nicht widerrufen und damit die Kreditfähigkeit eingeschränkt wird. Hier reagieren wir auf die veränderte Situation mit den erforderlichen Regelungen. Auch das ist Lebensnähe in der Politik. Heute stehen weitere Forderungen aus der Wohnungswirtschaft an, die es in diesen Tagen abzuarbeiten gilt. Der Lenkungsausschuß wird entsprechend unserer Entschließung gebeten, daß Wohnungsgenossenschaften und Wohnungsunternehmen - im wesentlichen trifft es die Genossenschaften, die über weniger als 300 Wohnungseinheiten verfügen - eine Bestätigung des „Nichtvertretenmüssens" nach § 5 Abs. 3 AHG erteilt werden kann. Einzelprüfung ist angesagt. ({4}) Des weiteren kann man darüber nachdenken, ob man, um die Liquidität weiter zu fördern, die Kredite im Rahmen des Wohnungsmodernisierungsprogramms noch einmal um fünf Jahre strecken kann. Mit dem Einvernehmen der Länder sollte es ermöglicht werden, daß Städtebauförderungsmittel für die städtebauliche Weiterentwicklung im sogenannten komplexen Wohnungsbau auch in Verbindung mit Maßnahmen der städtebaulichen Neuordnung eingesetzt werden dürfen. Voraussetzung sollte sein, daß die Gemeinden entsprechende Sanierungsgebiete festgelegt und wohnungswirtschaftliche Konzepte ausgearbeitet haben, die Konflikte zwischen Mietwohnungsneubau und Wohnungsleerstand abbauen helfen. Dabei sollte geprüft werden, wie verstärkt private Mittel in die Neuordnung der Siedlungen einbezogen werden können. Durch die privaten Mittel könnten die kommunalen Haushalte entlastet werden. Es dürfte interessant sein, daß bis zum 25. April dieses Jahres Bescheide zugunsten des Erblastentilgungsfonds in Höhe von 427 Millionen DM ergangen sind. Das bedeutet gleichzeitig, daß zirka 1 Milliarde DM an Erlösen in den Unternehmen verblieben ist. Die hier dargestellten Reaktionen auf die Entwicklung an der wohnungswirtschaftlichen Basis waren keine Selbstläufer. Wir waren mehrfach zu Gesprächen mit Wohnungsgenossenschaften und -gesellschaften vor Ort und recherchierten die Probleme. Am Problem orientiert - oder besser: problembezogen - sind die beschlossenen Verordnungsverbesserungen. Ziel muß aber immer sein, daß wir bei allen angestrebten Erleichterungen nicht diejenigen bestrafen, die sich bisher erfolgreich um die Veräußerung bemüht haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Gesagte beweist eindeutig: Die Koalition geht verantwortungsbewußt mit den Problemen der Wohnungsgenossenschaften und -gesellschaften sowie der privaten Wohnungseigentümer um. ({5}) Aus dem vernachlässigten Wohnungsbestand ist bei verantwortbaren Mietsteigerungen eine stabile Wohnungswirtschaft in den neuen Bundesländern entstanden. - Das können Sie bestimmt bestätigen, Frau Fuchs. ({6}) Diese Ergebnisse lassen wir von niemandem wegdiskutieren. Das Altschuldenhilfe-Gesetz hat gleichzeitig - auch auf Grund der Novellierung von 1996 - dem Genossenschaftsgedanken weitere Belebung gebracht. 52 eigentumsorientierte Genossenschaften wurden gegründet, wobei in vier Fällen der Weg der Abspaltung gegangen wurde. Jetzt gilt es, im Lenkungsausschuß die bereits erörterten Lösungsvorschläge in eine Beschlußfassung münden zu lassen, um sie noch im Mai auf den Weg bringen zu können. Lassen Sie mich abschließend zwei Bemerkungen aus sächsischer Sicht machen. Im Freistaat haben wir eine Veräußerungsquote von 90 Prozent bis Ende dieses Jahres ins Auge gefaßt. Die Zahl macht deutlich, daß alle Versuche, bestimmte Dinge kleinzureden, fehlgeschlagen sind. Bei allen Schwierigkeiten sind wir bei der Privatisierung des Wohnungsbestandes und bei der Realisierung des Altschuldenhilfe-Gesetzes auf dem richtigen Weg. Die Sachsen beweisen es. Ich bin froh darüber, daß die Bundesregierung nunmehr trotz des Scheiterns der Wohngeldreform für das gesamte deutsche Vaterland wenigstens die Verordnung in bezug auf das Sonderwohngeld für die neuen Bundesländer für weitere zwei Jahre, beginnend mit dem 1. Januar 1999, auf den Weg gebracht hat. Das ist erforderlich und hilfreich für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern. Vielen Dank. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Iris Gleicke.

Iris Gleicke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000687, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! In den letzten fünf Jahren haben wir hier des öfteren über die sogenannten Altschulden der ostdeutschen Wohnungswirtschaft und über das Altschuldenhilfe-Gesetz diskutiert. ({0}) Die Geschichte dieses Gesetzes und der Umgang der Koalition und der Bundesregierung mit den dahintersteckenden Problemen machen eines immer wieder deutlich: Diese Bundesregierung, diese Koalition kann oder will sich mit den drängenden Problemen im Osten nicht auseinandersetzen. ({1}) Zuerst war es eine untätige Bauministerin, und zwar von Ihrer Fraktion, Herr Kollege Braun, die durch ihr Nichtstun erreicht hat, daß sich die sogenannten Altschulden fast verdoppelt haben. Damit ist nicht nur die Belastung für die Wohnungswirtschaft um 20 Milliarden DM höher als ursprünglich, sondern auch die Belastung des Steuerzahlers durch den Erblastentilgungsfonds. Ganz nebenbei: Wenn sich die F.D.P. wieder einmal als Steuersenkungspartei profilieren muß, dann setzen Sie die Tilgung für diesen Fonds einfach aus und verschieben die Probleme auf die künftigen Generationen. Sollen die doch sehen, wie sie mit diesen Schulden klarkommen. Das ist die Zukunftspolitik dieser Regierung. Es ist eine Zukunftspolitik nach dem Motto „Nach uns die Sintflut!" ({2}) Zurück zu Ihrer famosen Altschuldenpolitik: Viele Wohnungsunternehmen standen damals vor dem wirtschaftlichen Aus. Ihre Kreditfähigkeit war in Frage gestellt, und das angesichts des Sanierungs- und Modernisierungsbedarfs bei der vielfach maroden Bausubstanz der Wohnungsbestände. Die Investitionstätigkeit der Unternehmen war gehemmt und drohte vollständig zum Erliegen zu kommen, und das angesichts Hundertausender arbeitsloser Bauarbeiter. Nach fast dreijähriger Untätigkeit der Bundesregierung haben wir Sozialdemokraten Sie in den Verhandlungen zum sogenannten Solidarpakt gezwungen, sich dieses Problems endlich anzunehmen. Herausgekommen ist 1993 ein Altschuldenhilfe-Gesetz mit zahlreichen Mängeln, auf die wir Sie damals und in der Folgezeit immer wieder hingewiesen haben. Wir haben dem Solidarpakt damals unter anderem deshalb zugestimmt, um die Wohnungswirtschaft endlich wenigstens ein Stück weit zu entlasten. Das war ein wichtiger erster Schritt für die Wohnungsunternehmen. Die Bundesregierung hat diesen Schritt mit Auflagen verbunden, zum Beispiel mit der 15prozentigen Privatisierungsverpflichtung. Diese Privatisierungsverpflichtung hat sie wiederum an steigende Erlösabführungsquoten gekoppelt. Unsere Warnungen haben Sie wie immer in den Wind geschlagen. So kam es, wie es kommen mußte: Diese Auflagen haben die Wohnungswirtschaft vor neue Probleme gestellt. Es gab jede Menge parlamentarischer Initiativen der Opposition. Wir haben Ihnen immer wieder angeboten, das Altschuldenhilfe-Gesetz mit uns gemeinsam vernünftig zu novellieren. Sie hatten alle Chancen, wenigstens die drängendsten Mißstände des Gesetzes zu beseitigen. Sie haben all diese Ideen und Vorschläge ebenso wortreich wie arrogant vom Tisch gewischt und damit die Verbesserung dieses Gesetzes blockiert. ({3}) Sie haben keine Rücksicht auf die Unterschiede zwischen großen und kleinen Wohnungsunternehmen genommen. Sie haben genossenschaftliches Privateigentum mit kommunalem Eigentum in einen Topf geworfen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Warnick?

Iris Gleicke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000687, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber sicher, selbstverständlich.

Klaus Jürgen Warnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002824, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Wird die SPD, wenn sie im Herbst an die Regierung kommt, - wie jetzt abzusehen ist -, die Zwangsprivatisierung beenden?

Iris Gleicke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000687, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Warnick, wenn Sie unseren Antrag aufmerksam gelesen und verfolgt haben - Sie hatten im Ausschuß lange genug Zeit, sich damit zu beschäftigen -, dann haben Sie auch gemerkt, daß wir darin verschiedene Forderungen aufgestellt haben. Wir haben gefordert, die Wohnungsgenossenschaften von der Privatisierung zu befreien, weil es sich dabei um privates Eigentum handelt. Wir haben gefordert, daß die kleinen Wohnungsunternehmen, die durch diese Privatisierungen in ihrem Bestand gefährdet sind, ebenso von der Privatisierung befreit werden. Wir haben gesagt: Wir müssen regionale Unterschiede bei den Wohnungsunternehmen, zum Beispiel die Leerstandsquote, die Fragen von Arbeitslosigkeit und Wegzug usw., beachten und gegebenenfalls Wohnungsunternehmen von der Privatisierungsverpflichtung befreien. his Gleicke Anders als Sie, die Sie hier ganz einfache und platte populistische Antworten geben, versuchen wir nicht, das Altschuldenhilfe-Gesetz zurückzudrehen. Das geht nämlich auch ein wenig schwer, und die Leute draußen kaufen Ihnen das nicht ab. Wir haben statt dessen gesagt: Wir werden Sicherheit für die Mieterinnen und Mieter schaffen, und wir halten uns auch nach dem 28. September 1998 an unsere Anträge. ({0}) Zurück zu den Mängeln des Altschuldenhilfe-Gesetzes: Ich hatte bereits gesagt, daß Sie das genossenschaftliche Privateigentum mit dem kommunalen Eigentum in einen Topf geworfen haben. Dabei haben Sie ernstzunehmende verfassungsrechtliche Bedenken schlicht und ergreifend über Bord geworfen. Sie haben Wohnungsunternehmen mit kleinteiligen Beständen und Wohnungsunternehmen, denen große Plattensiedlungen gehören, über einen Kamm geschoren. Sie haben über die differenzierten Probleme der Ballungszentren und ländlichen Räume ihre Nullachtfünfzehn-Soße gegossen. Das alles haben Sie scheinheilig damit begründet, daß die Menschen mehr Wohneigentum bekommen sollen. Wenn man sich Ihre Bilanz nun wirklich anschaut, dann muß man feststellen, daß Sie sogar das verbockt haben. Von den bisher verkauften Wohnungen ist nur der kleinste Teil an die Mieterinnen und Mieter verkauft worden. Nach den Angaben der Wohnungswirtschaft sind von den 352 000 Wohnungen bisher zirka 60 Prozent veräußert worden, und davon nur ein Sechstel an die Mieterinnen und Mieter. Das können nicht einmal Sie als Erfolg verkaufen. ({1}) Sie haben vor dem Hintergrund der seit Jahren schleppenden Privatisierung zugunsten der Mieter und dem Druck der Opposition und der Wohnungswirtschaft zwar sowohl im Rahmen des Gesetzes als auch über Richtlinien für den Lenkungsausschuß Veränderungen am Altschuldenhilfe-Gesetz vorgenommen. Dabei haben Sie auch die eine oder andere Forderung unserer vielen Initiativen wenigstens teilweise aufgegriffen. ({2}) Aber es kam immer viel zu spät. Sie laufen der Entwicklung hinterher. Sie agieren nicht, sondern Sie reagieren, und das nur zaghaft und zögerlich. Sie gestalten nicht, sondern Sie lassen es laufen. Wohin das läuft, ist Ihnen mittlerweile offenbar egal. ({3}) Das geht offenbar nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's gänzlich ungeniert. Die Quittung dafür haben Sie unter anderem am letzten Wochenende in Sachsen-Anhalt erhalten. ({4}) Statt die Staffelung bei der Erlösabführung abzuschaffen und damit den Druck von der Wohnungswirtschaft zu nehmen, haben Sie erst einmal Zwischenerwerber zugelassen. Statt dabei beim Kauf den Mietervorrang abzusichern, haben Sie durch die Hintertür, ({5}) nämlich über den Lenkungsausschuß eine 40:60Prozent-Regelung eingeführt. Spätestens damit war jedem klar, daß es Ihnen in Wirklichkeit niemals vorrangig um die Privatisierung zugunsten der Mieter gegangen ist. Was Sie damals wollten und was Sie heute wollen, das ist eine Privatisierung um jeden Preis. Diesen ideologischen Quatsch kennen wir schon von der Treuhand. ({6}) Bei den Wohnungsunternehmen führten diese Regelungen aber nicht zu den erhofften Entlastungen. Als es 1996 endlich zur linearen Erlösabführungsquote kam, war abermals für die Wohnungsunternehmen wertvolle Zeit verloren. So blockieren Sie die Zukunft der ostdeutschen Wohnungswirtschaft. Wohnungsunternehmen, die sich seit Jahren als Maklerbüros betätigen müssen, binden Mitarbeiter und Geld für diese Aufgaben. Dabei wäre es doch eigentlich ihre Aufgabe, weiter in die Bestände zu investieren und so den Mieterinnen und Mietern lebenswerte bzw. moderne Wohnungen anzubieten. Solche Investitionen sind es nämlich, die in der Bauwirtschaft Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze schaffen. Das sind die Aufträge für das Handwerk und den Mittelstand. Was die Menschen neben einer sicheren Wohnung brauchen, sind sichere Arbeitsplätze. ({7}) Nur Menschen, die Arbeit haben, die Geld verdienen und die keine Angst vor der Zukunft haben, werden ihre Wohnungen kaufen - wohlgemerkt: ihre eigenen Wohnungen. Eine Wohnung ist mehr als eine Immobilie oder eine Geldanlage. Eine Wohnung ist das Heim, das Zuhause der Menschen, die in ihr leben. Aber das verstehen die Herren auf der Regierungsbank offenbar nicht. Oder es ist ihnen egal. ({8}) Eines ist sicher: Mit einer so untätigen, arroganten und kaltherzigen Politik schafft man Unsicherheit, Unzufriedenheit und Angst. Mit einer solchen Politik treibt man die Leute in die Arme der braunen Rattenfänger mit den so furchtbar einfachen Antworten. ({9}) In unserem Antrag greifen wir die wichtigsten Probleme auf, um die Wohnungsunternehmen zu entlasten und den Mieterinnen und Mietern Sicherheit zu geben. Eine unserer Forderungen ist, diejenigen Unternehmen von der Privatisierungsverpflichtung zu befreien, die unter mindestens 10 Prozent Leerstand leiden und die in Regionen ansässig sind, in denen die Arbeitslosenquote über 20 Prozent liegt und die Bevölkerung um mehr als 10 Prozent zurückIris Gleicke gegangen ist. Das ist übrigens in nicht seltenen Fällen der Fall. Diese Forderung haben Sie in einer Entschließung zu diesem Thema aufgegriffen. Auch der Forderung nach Befreiung von kleinen Wohnungsunternehmen von der Privatisierungsverpflichtung, die dadurch in ihrem Bestand gefährdet sind, schließen Sie sich in dieser Entschließung an. Das ist ja schon bemerkenswert. Soviel Einsicht hätte ich bei Ihnen eigentlich nicht mehr erwartet. Aber zu einer gesetzlichen Regelung können Sie sich trotzdem nicht aufraffen, und damit überlassen Sie diese wichtigen Fragen einem Gremium, nämlich dem Lenkungsausschuß, das von diesem Parlament überhaupt nicht kontrolliert wird. Das ist ein großes Problem. ({10}) Die anderen drängenden Probleme lassen Sie schlicht weiter außer acht. Das ist keine Politik; das ist Flickschusterei. Dabei stehen wir vor wichtigen Aufgaben: Wir müssen das genossenschaftliche Eigentum sichern und fördern; wir müssen dem Erwerb der Wohnungen durch die Mieterinnen und Mieter wieder Vorrang einräumen und ihnen dabei helfen, zum Beispiel über Bürgschaftsmodelle. Wir müssen Möglichkeiten finden, die Attraktivität der Wohnviertel zu erhöhen. Dafür ließen sich unter bestimmten Voraussetzungen auch Mittel aus der Städtebauförderung einsetzen. Wir haben unsere Forderungen an Sie schon auf ein paar wesentliche Dinge reduziert, um Ihnen die Zustimmung zu erleichtern. Belassen Sie es nicht bei einer mehr oder minder einsichtsvollen Entschließung. Es ist schon viel zuviel wertvolle Zeit vertan worden. Schönen Dank. ({11})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Der Abgeordnete Werner Schulz möchte seine Rede zu Protokoll geben.' ) Ich nehme an, daß darüber Einverständnis besteht. - Das ist der Fall. Dann gebe ich das Wort dem Abgeordneten Hildebrecht Braun.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte, ehrlich gesagt, sehr gern zu der Rede des Sprechers der Grünen Stellung genommen. Bloß, sie wird uns betrüblicherweise schriftlich vorgelegt; im nachhinein läßt sich schlecht zu einer Rede Stellung nehmen. ({0}) Daß die Grünen einen Antrag, den sie selbst gestellt haben, im Plenum nicht begründen, ist für mich eine eher verwunderliche Handlungsweise. Aber sei es denn drum. ') Anlage 2 Frau Gleicke, Sie haben uns hier ein Wortgeklingel geboten, mit dem ich überhaupt nichts anfangen kann. Wenn Sie den Bericht des Ausschusses lesen, in dem wir ja die vorliegenden Anträge diskutiert haben, dann werden Sie finden, daß dieser Bericht zeigt, daß wir die Probleme gleich sehen und daß wir auch die Lösungsansätze - im wesentlichen, wohlgemerkt - gleich sehen. Hier, in dieser öffentlichen Debatte, stellen Sie sich hin und tun so, als wenn wir meilenweit auseinander wären. Sie haben im Ausschuß die Grundlagen des Altschuldenhilfe-Gesetzes als richtig bezeichnet. Sie haben den Weg, den wir gegangen sind, im wesentlichen als richtig bezeichnet. Hier wird nun der Eindruck erweckt, als wären wir meilenweit auseinander. Ich verstehe eine derartige Verhaltensweise nicht. ({1}) Ich möchte auf einen Aspekt zu sprechen kommen, der vielleicht für uns alle hier im Parlament von einer gewissen Bedeutung ist. Ich möchte daran erinnern, daß wir über ein Gesetz sprechen, das auch die Bürgerinnen und Bürger im Land verstehen sollten. Aber wir gebrauchen eine Sprache, die das Verständnis nun weiß Gott erschwert. Ich möchte das deutlich machen. Ein Antrag zielt darauf ab, daß die progressive Erlösabfuhr nach dem Altschuldenhilfe-Gesetz durch eine lineare ersetzt werden soll. Wir haben das im Ausschuß mit Mehrheit abgelehnt. Es wird weiterhin im Ausschußbericht festgehalten, daß die Mehrheit an § 5 Altschuldenhilfe-Gesetz als integralem Bestandteil des Föderalen Konsolidierungsprogramms festhalten will. Meine Damen und Herren, wer versteht diese Begriffe noch? - Kaum jemand, außer den wenigen Fachleuten, die sich damit beschäftigen. Wir sollten bei Gelegenheit darüber nachdenken, ob wir nicht in unseren Gesetzen Begriffe verwenden könnten, die die Leute auch verstehen. ({2}) Denn diese Begriffe sind, ehrlich gesagt, in der Tat zu schwierig. Worum geht es bei der ganzen Geschichte? - Wir haben ein gesellschaftspolitisches Konzept, das nicht nur von der Regierungskoalition, sondern auch von der SPD mitgetragen wurde, nämlich, daß wir auch in den neuen Bundesländern so viel Eigentum wie möglich haben sollten. Die Eigentumsquote dort ist denkbar niedrig. Wir alle sind dafür, daß sie höher wird. ({3}) Wir wollen aber zugleich über das Altschuldenhilfe-Gesetz mehr Mittel für den Erblastentilgungsfonds und mehr Mittel für die Investitionen im Wohnungsbau bereitstellen. Auch diese Ziele werden doch von der übergroßen Mehrheit dieses Parlaments geteilt. Aber an diesen Zielen müssen wir auch die Anträge messen. Wir müssen deswegen seitens der Regierungskoalition den Antrag auch der SPD ablehHildebrecht Braun ({4}) nen, da er eine Befreiung von der Privatisierungsverpflichtung anstrebt. Es sollen die Mittel an den Erblastentilgungsfonds abgeliefert werden, ohne daß privatisiert wird. Da fehlt der gesellschaftspolitische Ansatz, der bei den Parteien der Regierungskoalition vielleicht doch etwas stärker ausgeprägt ist. Daß Genossenschaften ihren Mitgliedern ein Dauerwohnrecht zusichern, ist längst Teil der Genossenschaftsidee. Zudem ist es - das hat die SPD übersehen - auch Teil des allgemeinen Mietrechts. Ein Mietvertrag enthält ein Dauerwohnrecht, wenn auch kein dinglich eingetragenes, und kann - auch das wissen Sie; wir tragen das mit - nur aus ganz bestimmten Gründen gekündigt werden. Die Zusicherung eines Dauerwohnrechts kann also gewiß nicht davon entbinden, die Privatisierungsverpflichtung zu erfüllen. Die Grünen haben einen Antrag gestellt, nach dem die Erlösabfuhr linear gestaltet werden soll. Ich will jetzt nicht erläutern, um was es geht; die Fachleute hier wissen das ja auch. Wir wollen die schnelle Privatisierung. Deswegen brauchen wir eine progressive Erlösabfuhr. ({5}) Wer schneller privatisiert, bekommt dafür auch mehr vom Staat. Wir wollen ihn dafür belohnen. Das ist Zweck der Übung. Deswegen halten wir an der progressiven Erlösabfuhr fest. Daß wir den Antrag der PDS ablehnen, ist sonnenklar. Der PDS paßt die ganze Richtung nicht, sie will die Privatisierung wieder rückgängig machen. Daß wir das nicht für sinnvoll halten, liegt ja wohl auf der Hand. Ich möchte abschließend auf zwei Dinge aufmerksam machen: Erstens. Die durchschnittliche Belastung der Wohnungen, um die es geht, ist in Deutschlands Osten geringer als in Deutschlands Westen. Das sollten sich auch die Bürgerinnen und Bürger im Osten gelegentlich verdeutlichen. ({6}) Zweitens. Wir haben schon jetzt mehr Flexibilität in das System gebracht. Auf die Besonderheiten des Einzelfalls kann bereits jetzt in angemessener Weise reagiert werden. Eine Änderung des Gesetzes ist nicht notwendig. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Joachim Günther.

Joachim Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000750

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute zum wiederholten Male mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz. ({0}) - Ich komme darauf gleich, Herr Warnick. Das Altschuldenhilfe-Gesetz wird von den Kritikern im Prinzip auf die Veräußerungspflicht reduziert. Seit Ihrer ersten Rede vor vier Jahren bis heute haben Sie es mit dem Kampfbegriff „Zwangsprivatisierung" ummauert. Das aber ist nicht der Kern dieses Gesetzes. Der Kern dieses Gesetzes ist es, daß es uns gelungen ist, eine angemessene Bewirtschaftung des Wohnungsbestandes zu sozialverträglichen Bedingungen zu erreichen. Gleichzeitig wollten wir eine Verbesserung der Kredit- und Investitionsfähigkeit. Das ist meines Erachtens ein Paket und läßt sich nicht auf den einen Punkt reduzieren. Das Altschuldenhilfe-Gesetz hat für die ostdeutschen Wohnungsgesellschaften den marktwirtschaftlichen und den sozialen Weg eröffnet. Es wurde - das muß der Fairneß halber dazugesagt werden - begleitet mit viel Geld seitens des Bundes und zum Teil der Länder. Es wurden einige Zahlen genannt: Bund und Länder stellten Zinshilfen in Höhe von 5 Milliarden DM zur Verfügung. Insgesamt wurden Kreditentlastungen im Umfang von 28,3 Milliarden DM gewährt. Die Restschuld der Unternehmen - auch auf diese Zahl sollte man heute noch einmal hinweisen -beträgt 150 DM pro Quadratmeter. Angesichts dessen haben wir heute eine gute Ausgangsposition. Die Wohnungswirtschaft hat - auch darüber brauchen wir nicht mehr zu diskutieren - die Hilfen angenommen. Sie ist deshalb in der Lage, in Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen zu investieren. Allein bis 1996 wurden rund 48 Milliarden DM für Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen eingesetzt. Das ist ein wesentlicher Impuls für den Arbeitsmarkt. Daß dieser Erfolg im äußeren Erscheinungsbild sichtbar ist, kann doch niemand abstreiten. Dazu muß man nur durch die Städte gehen, in die Dörfer hineinschauen. Ganz wichtig ist zudem - auch dies wird vielfach unterschlagen -: Viele osteuropäische Länder nehmen sich dieses Modell zum Vorbild, um im Wohnungsbestand voranzukommen, weil sie ähnliche Probleme haben. Wir haben mittlerweile gemeinsam - das muß ich sagen - mit der Opposition unterschiedliche Wege und Formen der Privatisierung gefunden. Auch die Bildung von Genossenschaften ist bekanntermaßen möglich. Deshalb geht - das hat soeben mein Kollege hier gesagt - der Antrag der Grünen eigentlich ins Leere.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Warnick? - Bitte schön.

Klaus Jürgen Warnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002824, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Die Erfolge im Wohnungsbau, bei der Modernisierung und Sanierung der Bestände ist ja nicht zu übersehen, und die bestreite ich auch nicht. Aber ist es nicht so, daß die ErKlaus-Jürgen Warnick folge vielleicht noch größer hätten sein können, wenn wir mit dieser Zwangsprivatisierung erst gar nicht angefangen hätten? ({0})

Joachim Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000750

Herr Kollege Warnick, ich glaube, daß gerade auf diesem Weg auch eine Mischung unserer Wohnungsbestände in verschiedenen Eigentumsformen erreicht worden ist. Wir haben Private, wir haben Genossenschaften, die sich vor allem in großen Wohnungsgebieten gegründet haben und dazu beitragen, daß es nicht zu sozialen Schieflagen kommt. Sie haben im Endeffekt die Stabilisierung und die Investitionen vorangetrieben. Und wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugestehen: Vor vier, fünf Jahren wurde noch allgemein bemängelt, es gebe nur unzureichend Wohnungen und die Mieten seien zu hoch. Heute haben wir das Gegenteil: Wir haben in jedem Marktsegment, in jeder Ausstattungsform Mieten anzubieten. Im Osten Deutschlands insgesamt - man muß nicht immer alles auf eine Stadt oder auf BerlinZentrum beziehen - sinken die Mieten eindeutig, und das ist zum Vorteil der Mieter insgesamt. ({0}) Meine Damen und Herren, die Privatisierung hat einen Anstoß dazu gegeben, daß wir auf dieser Strecke vorangekommen sind, auch bei der Wohneigentumsquote. Ich weiß um die unterschiedlichen Probleme auf diesem Gebiet. Aber immerhin beträgt im Osten Deutschlands die Wohneigentumsquote inzwischen rund 30 Prozent, und der Abstand zu den alten Bundesländern wurde geringer. ({1}) Der Weg zur Eigentumsbildung in der Hand der Mieter - da sind wir uns einig - war nicht immer geradlinig und direkt. Mieternahe Veräußerung und auch Zwischenerwerbermodelle - wir haben im Ausschuß häufig darüber diskutiert - können dieses Endziel nur mit zeitlicher Verzögerung erreichen. Die Veräußerungsbilanz kann sich aus meiner Sicht durchaus sehen lassen: Von den 352 000 Wohnungen wurden bis Ende 1996 rund 215 000 durch Eigentümerwechsel veräußert, und 1997 dürften noch einmal 40 000 bis 50 000 Wohnungen hinzugekommen sein. Das heißt: Ende 1997 sind gut 70 Prozent privatisiert. Von diesen 70 Prozent, die privatisiert worden sind, ist rund ein Drittel in das unmittelbare Eigentum von ehemaligen Mietern übergegangen. ({2}) Es ist aus heutiger Sicht auch einfach nicht zu bestreiten, meine Damen und Herren, daß der letzte Abschnitt auf diesem Weg sicher mit größeren Anstrengungen gegangen werden muß und daß hierbei erschwerte Bedingungen vorliegen, namentlich in strukturschwachen Regionen oder in Regionen wie Stendal, wo zum Beispiel ein Kernkraftwerk entstehen sollte, wo Arbeitnehmer hinziehen sollten, aber das Kernkraftwerk wurde am Ende nicht fertig, wohingegen ein großer Teil der Wohnungen gebaut wurde. In solchen Regionen mußte zugunsten der Unternehmen gehandelt werden. Das haben wir getan. In Abstimmung mit der Wohnungswirtschaft konnten die Kriterien, wie es bereits vom Kollegen Rau dargelegt wurde, für ein Antragsverfahren festgelegt werden, das für Gebiete mit einer Arbeitslosigkeit von 20 Prozent, einer Bevölkerungsabnahme um 10 Prozent und einem Leerstand von ebenfalls 10 Prozent eine Befreiung von der Pflicht zur weiteren aktiven Privatisierung vorsieht. Ihre Kollegin Fuchs - sie ist jetzt nicht mehr da - hat diesen Vorgang und diese Begleitumstände vor kurzem in der Presse ausdrücklich begrüßt, und ich glaube, daß auch der Mieterbund in dieser Richtung nicht negativ eingestellt ist. ({3}) Es ist ja toll, wenn Sie von der Opposition jetzt mit diesem Antrag hier kommen, der im Prinzip schon umgesetzt ist, ({4}) der aus der Arbeitsgruppe „Leerstand" herausgenommen wurde. Das ist im Wahlkampf legitim, und das bestreiten wir aus heutiger Sicht eigentlich auch gar nicht. Aber es ist auch richtig, daß das in der Praxis bereits funktioniert, und das ist das Entscheidende. Es gibt inzwischen 61 Anträge - auch diese Zahl wurde bereits genannt -, und 24 Antragsteller, die alle drei Merkmale in dieser Richtung erfüllt haben, wurden bereits freigestellt, können ihre Freistellungsbescheide erhalten. Das heißt: Diese Unternehmen brauchen nicht weiter zu privatisieren. Auf der anderen Seite aber, was viel wichtiger ist, haben sie die Sicherheit, daß sie im Jahr 2004, nach Prüfung durch die KfW, nicht gegen das Altschuldenhilfe-Gesetz verstoßen haben. Damit haben sie die Möglichkeit, jetzt weiter zu investieren und im Endeffekt dazu beizutragen, daß in ihren Unternehmen die Modernisierung und die Rekonstruktion der Wohnungen zügig vorangehen können. Meine Damen und Herren, es gibt in dieser Richtung viele Erfolge, die man offen zumindest als gleichwertig bezeichnen muß: Die ostdeutsche Wohnungswirtschaft hat die finanzielle und die unternehmerische Freiheit bei allen Problemen, die es in Einzelfällen gibt, zurückgewonnen. Das sagen die Unternehmen auch in ihren Beratungen. Aber eines sollte man nicht miteinander vermischen oder auf etwas verengen: Die Leerstandsproblematik hat mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz nichts zu tun. Es ist bedauerlich, daß nach wie vor Menschen von Ost nach West umziehen. Es ist bedauerlich, daß durch fehlende Arbeitsplätze Städte zum Teil entvölkert werden. Aber einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz gibt es eindeutig nicht. Ich gehe davon aus, daß eine Gesetzesänderung nicht notwendig ist. Die erforderlichen Maßnahmen sind eingeleitet. Wir sind damit auf einem guten Weg. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeordneten Warnick das Wort.

Klaus Jürgen Warnick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002824, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich muß Ihr positives Bild von Ostdeutschland und der Wohnungspolitik dort ein wenig zurechtrücken. Es ist so, daß sich der Markt dort entspannt hat. Aber zu welchem Preis? Dort sind Millionen Arbeitsplätze weggefallen. Dadurch sind 1,3 Millionen Menschen mit der Folge weggezogen, daß nun 600 000 Wohnungen leerstehen, die natürlich auf den Markt drücken. Dieser positive Nebeneffekt, daß sich der Markt etwas entspannt hat, wurde mit Hunderttausenden und Millionen Arbeitslosen erkauft. Daß Sie dies als etwas Positives hinstellen, kann ich auf keinen Fall so stehenlassen. Ich finde es wirklich schlimm, wenn verantwortliche Politiker die Realität hier nicht richtig einschätzen. Das hat schon in der Altherrenriege der DDR dazu geführt, daß es gegen den Baum lief. Es wird auch bei Ihnen im Herbst dazu führen, daß Sie hier zukünftig nicht mehr regieren. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Staatssekretär, Sie können darauf antworten.

Joachim Günther (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000750

Herr Kollege Warnick, war nicht die Ausgangssituation so, daß Ihre Altherrenriege erst zu einer Wüste auf dem Wohnungsmarkt Ost geführt hat und wir diese Situation ändern mußten? ({0}) Die geänderte Situation hat dazu geführt, daß nicht nur Wohnungen auf Grund eines Wegzuges Leerstehen, sondern daß Tausende Neubauwohnungen entstanden sind, daß Tausende Wohnungen renoviert worden sind, und zwar maßgeblich durch Kredite der Bundesrepublik, und daß dieser Wohnungsmarkt inzwischen eine solche Breite hat, daß es Angebote aus allen Segmenten gibt. Wann gab es dies jemals? Zu DDR-Zeiten gab es Bezugsscheine! Das ist der große Unterschied. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem An- trag der Gruppe der PDS zur Beendigung der Zwangsprivatisierung von kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungen in den ostdeutschen Bundesländern, Drucksache 13/9901, Nr. 1. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8571 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Nutzung des Altschuldenhilfe-Gesetzes für eine Initiative zur Gründung von Wohnungsgenossenschaften auf, Drucksache 13/9901, Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8703 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist. Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Privatisierungs- und Veräußerungspflicht im Altschuldenhilfe-Gesetz auf, Drucksache 13/9901, Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9181 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch diese Beschlußempfehlung mit dem Abstimmungsverhalten wie soeben angenommen worden ist. Dann rufe ich zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau unter Nr. 4 auf Drucksache 13/9901 auf. Der Ausschuß empfiehlt die Annahme einer Entschließung. Die Fraktion der SPD verlangt getrennte Abstimmung. Wir stimmen deshalb zunächst über die Nr. I der Entschließung ab. Wer der Nr. I der Entschließung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß Nr. I der Entschließung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Dann rufe ich die Abstimmung über Nr. II der Entschließung auf. Wer dieser Nr. II der Entschließung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß Nr. II der Entschließung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung im übrigen angenommen worden ist. Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Armin Laschet, Dr. Winfried Pinger und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Reinhold Robbe, Adelheid Tröscher und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Wolfgang Schmitt ({0}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Roland Kohn und der Fraktion der F.D.P. Die Zukunft der EU-AKP-Entwicklungszusammenarbeit im neuen Jahrtausend - Drucksache 13/10302 - b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Reinhold Robbe, Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zur Politik der Bundesregierung im Rahmen der Lomé-Abkommen - Drucksachen 13/7882, 13/8628 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Armin Laschet.

Armin Laschet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002718, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema, das wir heute beraten, paßt in die Zeit der europäischen Entscheidungsprozesse, die wir in diesem Monat erleben und die in diesem Jahr 1998 die Europäische Union auf wichtige Entscheidungen hinsichtlich der Osterweiterung vorbereiten. Es ist wichtig, daß auch wir in einer solchen Zeit der Gestaltung der künftigen NordSüd-Beziehungen der Europäischen Union als Parlament - neben der Regierung - unsere Stimme erheben. Die Zukunft der EU-AKP-Entwicklungszusammenarbeit im neuen Jahrtausend steht an einem Wendepunkt; denn im Februar des Jahres 2000 läuft das Lomé-IV-Abkommen aus. Am 1. September dieses Jahres beginnen die offiziellen Neuverhandlungen. Bis dahin soll der Konsultationsprozeß in den einzelnen EU-Mitgliedsländern abgeschlossen sein. Der Deutsche Bundestag debattiert dieses Thema zum richtigen Zeitpunkt; denn noch kann die Verhandlungsposition der Regierungen mit einzelnen Empfehlungen - auch des Parlaments - versehen werden. Wir haben dies in den Ausschüssen des Deutschen Bundestags, im Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union und im Ausschuß für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sehr gründlich vorbereitet. Kommissar Pinheiro hat im April letzten Jahres das Grünbuch der Kommission in unserem Ausschuß vorgestellt. Am selben Tag fand auch ein Konsultationsforum hier in Bonn statt, auf dem viele Nichtregierungsorganisationen ebenfalls ihre Positionen formuliert haben. Das, was dieses Parlament und die Regierungen in den Ländern der Europäischen Union tun, hat auch im Süden, in den Partnerländern des Lomé-Prozesses, stattgefunden. Die „Déclaration de Libreville", verkündet vom ersten Gipfel der Staats- und Regierungschefs der AKP-Staaten im letzten November, hat, wie es dem partnerschaftlichen Charakter des Lomé-Abkommens entspricht, ebenfalls seine Ziele formuliert. Bei der europäischen Entwicklungszusammenarbeit und auch bei dem, was jetzt neu zu organisieren ist, lassen wir uns von der Grundlage des Vertrages von Maastricht leiten. Dort ist das Prinzip der Subsidiarität festgehalten; das heißt, dort, wo nichtstaatliche Organisationen ebensogut und effizient arbeiten wie staatliche Organisationen, sollen sie Vorrang vor staatlichen Organisationen haben. Dort, wo die Mitgliedstaaten ihre Projekte besser durchführen können als die Europäische Union, sollen sie dies auch tun. Der Umkehrschluß aus dem Prinzip der Subsidiarität bedeutet: Da, wo man besser mit einer Stimme spricht, wo man in bestimmten Regionen Projekte besser gemeinschaftlich löst, muß man das auch gemeinschaftlich machen. ({0}) Dies zu definieren wird auch nach dem Abschluß des nächsten Lomé-Abkommens Aufgabe der Politik bleiben. Der Maastricht-Vertrag hat die Grundlage geschaffen. Wenn wir eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik mit einer Stimme anstreben, dann muß das auch für den Bereich der Entwicklungszusammenarbeit gelten. Dann muß das im Auftreten in der Europäischen Union und bei vielen anderen Punkten gelten. ({1}) - Ich bin sicher, Kollege Schuster, daß dies auch die Position der Bundesregierung ist. Die Frage ist jetzt: Was muß bei dem Abkommen geändert werden? Es ist ein gutes Signal, daß wir einen interfraktionellen Antrag zustande gebracht haben, daß CDU/CSU, F.D.P., Bündnis 90/Die Grünen und SPD sich auf gemeinsame Prinzipien verständigt haben, die wir heute hier verabschieden wollen. Das erste ist: Koloniale Erblasten dürfen nicht länger sachgerechte Entscheidungen verhindern. ({2}) Es ist dazu erforderlich, einen Blick in die Geschichte dieser europäischen Entwicklungszusammenarbeit zu werfen. Sie ist durch die Römischen Verträge 1957 entstanden. Kurz vor Abschluß der Verträge haben vor allem unsere französischen Freunde diesen Punkt bezüglich ihrer Kolonien in die Beratungen eingebracht. Aber die Welt hat sich seit 1957 verändert. Die Europäische Union hat sich verändert und wird sich ab dem Jahre 2000 bis zum Jahre 2010 mit der Ostöffnung auch weiter verändern, so daß wir jetzt Prinzipien brauchen, die nicht länger an diesem kolonialen Gedanken der 50er Jahre orientiert sind. Das heißt, wir brauchen eine Entwicklungspolitik aus einem Guß, die die Kriterien, die wir in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bereits zu Beginn der 90er Jahre aufgegriffen haben, auch in der europäischen Entwicklungszusammenarbeit zunehmend umsetzt. Das bedeutet: Die Orientierung an den Bedürfnissen der Menschen, die Konzentration auf inhaltliche Schwerpunkte, die Beachtung der Menschenrechte, die Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozeß, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, die Schaffung einer sozial gebundenen marktfreundlichen Wirtschaftsordnung sowie die Entwicklungsorientierung staatlichen Handelns und das Prinzip verantwortungsvoller Regierungsführung müssen auch auf europäischer Ebene in dem neuen Lomé-Abkommen verankert werden. Darüber hinaus müssen Leistungen vermehrt an Selbsthilfewillen, Eigenanstrengungen und Reformbereitschaft der Länder gekoppelt werden, und es darf in Zukunft keine privilegierte Behandlung der AKP-Staaten nur auf Grund dieses ihres Charakters geben. Wir müssen LDC-Länder in Asien und Lateinamerika mit den ärmeren AKP-Staaten gleichstellen. Auch dies ist ein wichtiges Signal, das wir heute beschließen. ({3}) Auf Grund der neuen Welthandelsordnung werden Veränderungen erforderlich sein. Wir werden mit diesem Abkommen die Systeme von SYSMIN und STABEX verändern müssen. Ich denke, daß wir eine Anregung, die wir in unserem Antrag nicht aufgenommen haben, die aber das Europäische Parlament in seinem Entschließungsantrag formuliert hat, nämlich das Kriterium der Beschränkung der Militärausgaben auf 1 Prozent des Bruttosozialproduktes, die Kontrolle und Beschränkung des Waffenhandels, in diesen Beratungen ebenfalls berücksichtigen sollten. Lassen Sie mich noch einige Gedanken zum Geld aussprechen, das in diesen Fonds bereitgestellt wird. Der 8. Europäische Entwicklungsfonds umfaßt 12,96 Milliarden Ecu. Das entspricht einer Steigerung gegenüber dem siebten Fonds um rund 20 Prozent. Der deutsche Anteil beträgt immerhin 3 Milliarden Ecu. Das sind Gelder, bei denen unsere Haushaltskontrolle nicht hinreichend wirkt. Weder unser Ausschuß noch der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages kann diese Geldvergabe so kontrollieren, wie es eigentlich erforderlich wäre. Deshalb haben wir uns entschlossen,. in Punkt II Abs. 4 unseres gemeinsamen Antrags auf die Beseitigung des Demokratiedefizits in der europäischen Entwicklungszusammenarbeit hinzuweisen, die Regierung aufzufordern, auf mehr Transparenz und Kontrolle im Bereich der europäischen Entwicklungszusammenarbeit hinzuwirken, und eine Stärkung der Haushaltskontrollrechte des Europäischen Parlaments anzustreben. ({4}) Das soll nicht die Haushaltsrechte des Deutschen Bundestages einschränken. Eine solche Formulierung kann auch gar nicht seine Haushaltsrechte einschränken, da die des Deutschen Bundestages sehr beschränkt sind - wenn sie überhaupt vorhanden sind. Denn wenn unser Haushaltsausschuß hier tatsächlich Kontrolle ausüben würde, bliebe ihm nur das Mittel, über den Ministerrat auf die europäischen Institutionen hinzuwirken. Das reicht nicht aus. ({5}) Deshalb brauchen wir neben dem deutschen Haushaltsausschuß auch die Mechanismen des Europäischen Parlaments zur Haushaltskontrolle, und deshalb ist diese Formulierung in diesen Antrag eingeflossen. ({6}) Einige wollten an dieser Stelle natürlich einen Schritt weiter gehen und eine Budgetierung dieses EEF anstreben. Dies würde bei uns zur Zeit bedeuten, daß die deutschen Mittel stiegen. Es ist nicht das Ziel unserer Politik, in diesem Bereich eine Steigerung zu erreichen. Deshalb haben wir dort ganz bewußt keine Budgetierung hineingeschrieben. ({7}) - Das gefällt jetzt der Zwischenruferin nicht. ({8}) Aber ich denke, das Signal, daß Haushaltskontrollrechte dort hingehören, wo sie am besten wirken können, wird mit unserer Entschließung hier heute überkommen. Eine letzte Bemerkung sei mir zur Zuständigkeit innerhalb der Bundesregierung bei der europäischen Entwicklungszusammenarbeit gestattet: Es sind vier Ministerien zuständig: federführend das Wirtschaftsministerium, aber auch das BMZ, das Auswärtige Amt und das Finanzministerium. ({9}) - Die Ankündigungen für die Zeit nach der Wahl werden wir einmal abwarten. Sie wissen, daß es auch in unserer Koalition Überlegungen gibt, dies zu verändern. Ich denke nur, daß derjenige, der das Geld gibt und die Projekte führt, nachher auch federführend sein müßte, ({10}) erst recht - Herr Staatssekretär Kolb, Sie werden ja noch sprechen -, weil sich der handelspolitische Gesichtspunkt nach den Welthandelsneuordnungen etwas verschoben hat. Der Gedanke der 50er Jahre, daß das eigentlich Wirtschaftspolitik ist, müßte sich deswegen in den Gedanken wandeln, daß dies heute ein Instrumentarium der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Entwicklung ist. ({11})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Armin Laschet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002718, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

An dem, was wir heute beschließen, haben viele Nichtregierungsorganisationen mitgewirkt. Ich erwähne Venro, ich erwähne Justitia et Pax, ich erwähne die kirchlichen Hilfswerke.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, bitte machen Sie Schluß!

Armin Laschet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002718, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vieles von dem, was hier gefordert wird, ist hier eingeflossen. Ich denke, damit geben wir ein gutes Signal für die weiteren Beratungen in der Europäischen Union. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Reinhold Robbe.

Reinhold Robbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002762, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der allgemeine Stellenwert der Entwicklungspolitik im öffentlichen Bewußtsein der Bevölkerung ist sehr niedrig, um nicht zu sagen: erschreckend niedrig. Dies hat aus meiner Sicht eine ganz wesentliche Ursache: Vor dem Hintergrund der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland und der sich daraus ergebenden Schwierigkeiten haben viele Menschen in unserem Land Ängste um ihre eigene Zukunft, so daß die Probleme in der sogenannten dritten Welt sehr weit weg sind und notgedrungen eine vollkommen untergeordnete Rolle spielen. Deshalb halte ich es für außerordentlich verantwortungsvoll und wichtig, daß es uns im deutschen Parlament gelungen ist, trotz der bevorstehenden Wahltermine, insbesondere eines Wahltermins, in einem fraktionsübergreifenden Antrag die deutsche Position zur weiteren Entwicklung der europäischen Entwicklungszusammenarbeit im neuen Jahrtausend zu formulieren. An dieser Stelle darf ich mich deshalb ganz herzlich für die ausgesprochen konstruktive und menschlich angenehme Zusammenarbeit mit den Kolleginnen Dr. Uschi Eid und Dr. Irmgard Schwaetzer und mit dem Kollegen Armin Laschet bedanken. Unser gemeinsames Ziel bestand und besteht darin, insbesondere gegenüber den beteiligten Entwicklungsländern Afrikas, der Karibik und des Pazifiks ein deutliches Signal im Hinblick auf den Folgeprozeß des auslaufenden Lomé-IV Abkommens auszusenden. Die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage meiner Fraktion im vergangenen Jahr hat ergeben, daß sich die noch amtierende Koalition und die Opposition im Deutschen Bundestag nur in wenigen Punkten unterscheiden, was die Bewertung der Erfolge und der Mißerfolge der seit 1957 betriebenen AKP-Politik betrifft. Der wesentlichste Unterschied besteht wohl darin, daß wir Sozialdemokraten nach wie vor eine Budgetierung des Europäischen Entwicklungsfonds anstreben, um dem Europäischen Parlament die Möglichkeit zu geben, auch dieses wichtige Politikfeld zu kontrollieren und parlamentarisch zu begleiten. Diese Forderung wird interessanterweise auch von vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition unterstützt. Der einzige „Abweichler" in dieser Frage ist der zuständige Minister Spranger. Nun will ich aber der Fairneß halber gerne einräumen, daß auch eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung wegen der bekannten ökonomischen nationalen Probleme alles daransetzen wird, die multilateralen Ausgaben nicht über das unbedingt Notwendige hinaus ansteigen zu lassen. ({0}) In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß der deutsche Anteil am Europäischen Entwicklungsfonds mit knapp 26 Prozent der größte von allen EU-Mitgliedstaaten ist. Bekanntlich sind wir auch mit unserem Anteil von rund 29 Prozent am Gemeinschaftshaushalt der Europäischen Union der größte Einzahler in die europäische Kasse. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Forderung nach einer Reform der Finanzierungsstruktur innerhalb der Europäischen Union. Wenn diese notwendige Reform vollzogen ist, dürfte einer Budgetierung aus unserer Sicht nichts mehr im Wege stehen. Meine Damen und Herren, sehr viel wichtiger als dieser Punkt sind die grundsätzlichen Überlegungen zur Zukunft der Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten. Wenn im Jahr 2000 das IV. Lomé-Abkommen ausläuft, können wir auf 25 Jahre Entwicklungspolitik unter dem Dach des Lomé-Vertrages zurückblicken. Die Bilanz dieser Entwicklungszusammenarbeit, deren Wurzeln bis in die 50er Jahre zurückreichen, sieht unter dem Strich nicht unbedingt negativer aus als die Ergebnisse unserer nationalen Entwicklungspolitik. Eine ausgezeichnete Analyse der bisherigen AKPPolitik und konkrete Vorstellungen für die Ausgestaltung eines Partnerschaftsabkommens im 21. Jahrhundert bietet das von der Kommission vorgelegte Grünbuch, mit dessen Ergebnissen sich unser Fachausschuß bereits ausführlich beschäftigt hat; Herr Kollege Laschet hat vorhin darauf hingewiesen. Dieses Grünbuch kommt beispielsweise zu der wesentlichen Erkenntnis, daß die Union ein kohärenteres und besser koordiniertes Konzept für die AKP-Staaten einführen müsse, um effektivere Ergebnisse zu erzielen. Die Situation hinsichtlich der Kohärenz ist im übrigen kein spezielles Problem der EntwicklurigszusammenReinhold Robbe arbeit, sondern vielmehr die ganz zentrale Ursache für viele Ungereimtheiten in Europa. ({1}) Was sofort aufgegriffen werden muß, ist das Koordinierungsdefizit, das ebenfalls im Grünbuch angesprochen wird. Unerläßlich ist aus meiner Sicht eine effektive und kontrollierte Abstimmung zwischen den EU-Mitgliedgtaaten und der Europäischen Union. ({2}) Nicht zuletzt angesichts der immer knapper werdenden öffentlichen Finanzressourcen können wir uns Überschneidungen und parallel stattfindende Entwicklungsprojekte im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr länger leisten. Eine optimale Kohärenz, Koordination und Effizienz müssen die Säulen einer vernünftigen Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen des AKP-Folgeprozesses sein. Daneben spielen selbstverständlich auch all jene Stichworte eine Rolle, wie sie zur Zeit auf verschiedenen Ebenen diskutiert werden. Ich nenne beispielsweise den Vorschlag, das Lomé-Abkommen in regionale Abkommen aufzuteilen, um den besonderen Ansprüchen und Bedürfnissen der doch sehr unterschiedlichen Regionen besser gerecht werden zu können. Ebenso wichtig ist die Forderung nach einer Reform der bestehenden AKP-Förderinstrumente. Auch die Öffnung des AKP-Abkommens für die am wenigsten entwickelten Staaten sowie die verstärkte Ausrichtung der europäischen Entwicklungszusammenarbeit an den allgemeinen Menschenrechten, an den demokratischen Grundsätzen und an der Rechtsstaatlichkeit sind heute zumindest innerhalb der Europäischen Union nicht mehr umstritten. Auch darauf ist Herr Kollege Laschet vorhin ausführlich eingegangen. Übrigens werten es die großen deutschen Nichtregierungsorganisationen als positives Zeichen, daß es mit dem uns vorliegenden fraktionsübergreifenden Antrag gelungen ist, für die Stärkung und Neubelebung der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Union einzutreten. In einer aktuellen gemeinsamen Stellungnahme unterstreichen beispielsweise die beiden NGOs Terre des hommes und Deutsche Welthungerhilfe die in unserem Antrag enthaltene Feststellung, daß die Entwicklungspolitik der Europäischen Union eine am Ziel der Nachhaltigkeit orientierte Querschnittsaufgabe durch Vernetzung von Entwicklungs-, Außen-, Wirtschafts-, Agrar- und Umweltpolitik sein muß. Leider, so heißt es weiter in dieser Stellungnahme, spiegelt das Verhandlungsmandat der Europäischen Kommission in seinem Entwurf vom 28. Januar 1998 diese Zielsetzung ebensowenig wider wie die bisherigen Stellungnahmen der Bundesregierung zu den Post-Lomé-Verhandlungen. Wichtig scheint mir an dieser Stelle zu sein, die Bedenken und Kritik-. punkte der Nichtregierungsorganisationen aufzunehmen und bei der Formulierung des endgültigen Verhandlungsmandates der Europäischen Kommission entsprechend zu berücksichtigen. ({3}) Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Vertrag von Maastricht wurde eine unverbindliche außenpolitische Koordination durch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ersetzt. Die Entwicklungspolitik gehört nach unserer Auffassung als unverzichtbarer Bestandteil zu dieser Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Europäische Union kann ihre entwicklungspolitischen Ziele in einheitlicher Form sehr viel nachhaltiger und wirksamer verfolgen als durch die Summe von 15 einzelstaatlichen und wenig miteinander koordinierten Entwicklungspolitiken. In vielen Absichtserklärungen hat die Europäische Union immer wieder auf eine als präventive Sicherheitspolitik verstandene Entwicklungspolitik hingewiesen. Das Eintreten für eine Europäisierung der Entwicklungspolitik ist gleichzeitig ein Plädoyer gegen das Festhalten der Nationalstaaten an Kompetenzen, die nicht mehr in die heutige Zeit passen. Willy Brandts Wort, Entwicklungspolitik sei die Friedenspolitik des 21. Jahrhunderts, ist nicht nur aktueller denn je, sondern könnte auch das Leitmotiv für den Folgeprozeß der europäischen Entwicklungspolitik sein. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe jetzt das Wort der Abgeordneten Frau Dr. Eid.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Laschet, ich möchte mich bei Ihnen bedanken, daß Sie in so konstruktiver Zähigkeit, wie es eben Ihre Art ist, dazu beigetragen haben, daß heute dieser interfraktionelle Antrag auf dem Tisch liegt. Herr Robbe, auch Ihnen möchte ich für Ihre Beiträge zu diesem Antrag und auch dafür danken, daß Sie undogmatisch, wie es Ihre Art ist, in filigraner Arbeit gewünschten Änderungen zugestimmt haben. Frau Dr. Schwaetzer, wie schon bei anderen Themen habe ich auch bei diesem Ihre konstruktiven Beiträge geschätzt. Ich möchte nicht verschweigen, daß es mir nicht leichtgefallen ist, diesem interfraktionellen Antrag zuzustimmen. ({0}) In der Tat hat die CDU durch ihre penetrante Weigerung, einer von uns geforderten Budgetierung des Europäischen Entwicklungsfonds zuzustimmen, ein Scheitern des interfraktionellen Antrags über lange Strecken der Verhandlungen in Kauf genommen. Daß uns heute ein akzeptabler Kompromiß vorliegt, ist letztlich einem gemeinsamen politischen Willen zu verdanken, nämlich dem Willen, an die Partnerländer der Europäischen Union auf der einen Seite und an die AKP-Staaten, die Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks, auf der anderen Seite das außen- und entwicklungspolitische Signal auszusenden, daß der Deutsche Bundestag in seiner Gänze eine Fortsetzung des im Jahre 2000 auslaufenden Lomé-Abkommens will. Ich anerkenne, daß die Europäische Entwicklungszusammenarbeit ein widersprüchliches Bild bietet. Einerseits ist die Verankerung der Lomé-Prinzipien Partnerschaft, Dialog und Verbindlichkeit der Kooperation durch einen Vertragsabschluß grundsätzlich richtig. Andererseits ist die europäische Entwicklungszusammenarbeit zunehmend - zu Recht - in die Kritik geraten. Die Konsequenz, die Herr Minister Spranger zieht, nämlich die europäische Entwicklungszusammenarbeit zugunsten der nationalen Entwicklungszusammenarbeit zu begrenzen, halte ich für völlig falsch. Letzte Woche beschloß der Deutsche Bundestag auch mit seiner Stimme den Euro. Im Zuge der europäischen Integration kann er doch nicht im Ernst einer Renationalisierung das Wort reden. Auch ich sehe ganz deutlich bürokratische Ineffizienz, mangelnde Koordination vor Ort, Dominanz der wirtschaftlichen und machtpolitischen Eigeninteressen der wichtigsten Geberländer und mangelnde Kohärenz zwischen der Entwicklungspolitik und anderen Politikfeldern, wie zum Beispiel der Agrarpolitik. Aber diese Kritik gilt für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in ähnlicher Weise. Entsprechende Reformen in Konzeption und Umsetzung sind die angemessene Antwort - und nicht Ablehnung. Folgende Reformschritte für ein zukünftiges Lomé-Abkommen sind mir besonders wichtig: Erstens. Die ehemals europäische Fürsorge für Exkolonien, mit der sich ganz konkrete Hegemonialinteressen mischten, muß einer echten Partnerschaftlichkeit weichen. Zweitens. Das Lomé-Abkommen muß auf alle Entwicklungsländer ausgeweitet werden. Vor allem müssen die am wenigsten entwickelten Länder davon profitieren. ({1}) Drittens. Differenzierte Regionalabkommen mit der Europäischen Union sollten dazu beitragen, daß schwache Volkswirtschaften in AKP-Ländern unterstützt werden, um in Form regionaler Integration ihre Kräfte zu bündeln. Viertens. Eine Unterstützung bei der schrittweisen Diversifizierung der Wirtschaft ist in den Ländern erforderlich, die bisher einseitig von nur einem Exportprodukt oder wenigen Exportprodukten abhängig sind. Fünftens. Das Haushaltskontrollrecht über den Europäischen Entwicklungsfonds muß auf das Europäische Parlament übertragen werden. Eine in diesem Zusammenhang befürchtete Erhöhung des deutschen Beitrags zum EEF sollte, Herr Laschet, nicht als haushaltspolitischer Schreck, sondern als entwicklungspolitische Chance begriffen werden. Danke schön. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich begrüße es, daß wir zum Schluß dieser Legislaturperiode in einem so wichtigen Feld der Entwicklungspolitik breite Übereinstimmung im Deutschen Bundestag erzielen konnten. Wir wollen mit diesem Antrag dazu beitragen, daß die Europäische Union ihre eigene Entwicklungskonzeption weiterhin so gestaltet, daß sie den selbstgesetzten Anforderungen auch tatsächlich genügt. Uschi Eid hat eben schon die drei Prinzipien Verbindlichkeit, Partnerschaft und Dialog hervorgehoben. Ich war 1988 an der Aushandlung des derzeit noch gültigen Lomé-Abkommens beteiligt. Die Erinnerung daran läßt bei mir doch manchmal noch ein wenig die Schamröte hochkommen; denn von partnerschaftlichen Verhandlungen kann zumindest zu dem damaligen Zeitpunkt nicht die Rede gewesen sein. Ich möchte uns selber, liebe Kolleginnen und Kollegen, davor warnen, es gerade bei diesem Thema bei Sonntagsreden oder Reden im trauten Kreis der Entwicklungspolitiker zu belassen. Uns fehlen hier im Moment die Agrarpolitiker, und uns fehlt der eine oder andere Wirtschaftspolitiker. ({0}) Viele Entwicklungsländer sind auch heute noch darauf angewiesen - sie werden es auch noch lange Zeit sein -, Rohstoffe zu angemessenen Preisen zu exportieren. Auch darauf wird das nächste Lomé-Abkommen eingehen müssen. Die Agenda 2000 mit der Struktur der gemeinschaftlichen Agrarpolitik, über die jetzt entschieden werden muß, wird ein Prüf stein dafür sein, wie ernst es die Europäische Union mit Entwicklungsanstrengungen tatsächlich meint. Die Welt hat sich mit der Globalisierung in den vergangenen Jahren für sehr viele AKP-Staaten zusätzlich negativ verändert. Ein tiefer Einschnitt, auch in ihre eigene Politikgestaltung, war das Welthandelsabkommen, das WTO-Abkommen, das natürlich richtigerweise Übergangsfristen auch für die Entwicklungsländer vorsieht. Aber wenn wir nicht mit dem Lomé-Nachfolgeabkommen deutliche Beiträge leisten können, die diesen Ländern auf dem Weg zur Integration in die Weltwirtschaft helfen, wird der Abbau der Armut in diesen Ländern nicht weiter vorankommen. Deswegen und auch weil sich die Staaten in den vergangenen Jahren unterschiedlich entwickelt haben, ist es richtig, mit den AKP-Staaten ein Rahmenabkommen zu schließen, das dann durch Regionalverträge ausgefüllt werden soll. Die EU muß aber auch gleichzeitig ihre eigene Aufgabe zwischen dem finden, was die Weltbank mit ihrer Entwicklungspolitik leistet, nämlich im wesentlichen die Strukturanpassung der Entwicklungsländer voranzutreiben, und dem, was auf bilateraler Ebene geleistet wird, also in unserer nationalen Entwicklungspolitik. Hier wird sehr sorgfältig darauf zu achten sein, daß es keine Verdoppelung der Anstrengungen gibt, sondern daß sich die Europäische Union wirklich auf die Sachverhalte konzentriert, die ein Nationalstaat alleine nicht leisten kann und in deren Rahmen koordinierte Anstrengungen einer größeren Gemeinschaft, also der Europäischen Union, gefordert sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, die Absage an frühere koloniale Strukturen beinhaltet auch, daß wir dafür sorgen müssen, daß über den Haushalt der europäischen Entwicklungsgelder parlamentarisch gewacht wird und daß die Aktivitäten kontrolliert werden. ({1}) Dies kann nicht Aufgabe des nationalen Parlaments, also des Deutschen Bundestages, sein, sondern es muß Aufgabe des Europäischen Parlamentes werden. Ich bitte die Bundesregierung nachdrücklich, sich dafür einzusetzen, damit wir in diesem Bereich endlich Fortschritte erzielen können. Danke. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Der Abgeordnete Jacob hat seine Rede zu Protokoll gegeben.*) - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Lomé-IV-Abkommen über die Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten läuft im Februar 2000 aus. Zur Zeit finden in Brüssel die Beratungen über ein Mandat für die Kommission statt, damit Ende September planmäßig die Verhandlungen über ein Nachfolgeabkommen beginnen können. In den umfangreichen Diskussionen um die Zukunft von Lomé ist eines deutlich geworden: Die Fortsetzung der multilateralen Kooperation der Europäischen Union mit den AKP-Staaten - den ärmsten und am wenigsten entwickelten Staaten dieser Welt; es sind immerhin 70 Staaten -, kann einen wirkungsvollen und wichtigen Beitrag zur Lösung einer Reihe von globalen Problemen leisten. Hierzu *) Anlage 3 zählen etwa aktive Friedenspolitik, Krisenprävention, die Bewältigung von Migrationsströmen und Umweltproblemen, um nur einige Punkte zu nennen. Wir sollten mehr an die politische Dimension einer gleichberechtigten Partnerschaft mit den AKP-Ländern denken. Es darf nicht mehr das Prinzip „Geben und Nehmen" im Vordergrund stehen. Der Blick in die Zukunft muß den Leitfaden für eine Zusammenarbeit zwischen der EU und den AKP-Ländern bilden. Das oberste Ziel des zukünftigen Lomé-Abkommens wird die wirksame und vor allem nachhaltige Bekämpfung der Armut bleiben. Die Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft wird dabei von herausragender Bedeutung sein. Dabei sollten wir beachten - ich sage das, Herr Kollege Laschet, auch mit Blick auf die von Ihnen thematisierte Federführung -, daß Direktinvestitionen und Außenhandelsbeitrag für die Entwicklungsländer eine zunehmend größere Bedeutung haben als die öffentliche Entwicklungshilfe; denn eine nachhaltige Entwicklung ist nur über eine Erhöhung der Investitionen möglich. Das muß auch vor dem Hintergrund zunehmender Kürzungen der öffentlichen Entwicklungshilfe infolge der Haushaltsschwierigkeiten der Industrieländer gesehen werden. Auf der anderen Seite haben die einseitigen Handelspräferenzen der Europäischen Union zugunsten der AKP-Länder nicht den gewünschten Erfolg gebracht.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schuster?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Bitte sehr.

Dr. R. Werner Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002118, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich bedauere außerordentlich, daß ich Ihnen diese Frage stellen muß. Eigentlich hatte ich erwartet, daß bei diesem wichtigen Thema Vertreter des dafür zuständigen Ministeriums, also des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, anwesend sind. ({0}) Wie Sie wissen, ist der Antrag nicht vom Himmel gefallen. Insofern kann ich davon ausgehen, daß sich auch Ihr Haus mit den wesentlichen Forderungen auseinandergesetzt hat. Deswegen lauten meine Fragen: Inwieweit teilt die Bundesregierung eigentlich die grundsätzlichen Forderungen, die hier überfraktionell gestellt werden? Wie wollen Sie bei den Verhandlungen im September, bei denen Sie die Federführung haben, sicherstellen, daß die Aspekte der Nachhaltigkeit, die Sie gerade aufgezählt haben, also dieses spezifische entwicklungspolitische Knowhow, berücksichtigt wird?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Schuster, es wird Sie nicht verwundern, daß die Bundesregierung, die ja von einem Teil der Fraktionen, die diesen Antrag unterschrieben haben, getragen wird, ebenfalls die wesentlichen Forderungen dieses Antrags mitträgt. Eine andere Frage ist natürlich, wie diese Forderungen in den Verhandlungen durchzusetzen sein werden. Alle Beteiligten - ich kann es nur in dieser allgemeinen Form sagen; das Bundesministerium für Wirtschaft ist in dieser Frage zuständig; aber es ist zu Recht vom Kollegen Laschet vorhin gesagt worden, daß weitere Ressorts beteiligt sind - werden in den anstehenden Verhandlungen ihren Beitrag leisten müssen, um die gemeinsamen Ziele durchzusetzen.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Laschet?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Bitte sehr.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Bitte schön.

Armin Laschet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002718, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Ihre These bezüglich der Direktinvestitionen teile ich. Stimmen Sie denn mit mir überein, daß die Frage von Direktinvestitionen der Wirtschaft weniger auf vertragliche Weise zwischen den AKP-Ländern und der Europäischen Union geregelt werden muß und daß dieser Teil - er bleibt übrig, wenn wir die staatswirtschaftlichen Systeme der 50er Jahre nicht mehr haben - mehr unter der Entwicklungszusammenarbeit als unter der Zuständigkeit des Bundesministers für Wirtschaft erfaßt werden muß?

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Kollege Laschet, ich komme im Verlauf meiner weiteren Rede noch darauf zurück, welche Neujustierung ich vor dem Hintergrund dieser von mir jetzt ausgeführten Veränderungen sehe. Vielleicht könnten Sie bitte zunächst einmal zuhören und gegebenenfalls später nachfragen. Direktinvestitionen und Außenhandelsbeitrag waren der eine Punkt. Ich hatte gerade erläutert, daß auf der anderen Seite die einseitigen Handelspräferenzen nicht den gewünschten Erfolg für die AKPLänder gebracht haben. Das Welthandelsvolumen war sogar stets rückläufig, weil sich die Bedeutung der Präferenzen durch die multilateralen Liberalisierungsrunden verringert hat und Exporterfolge eben auch von der Qualität der Produkte, von dem Preis, von einem effizienten Vertriebssystem und Marketing abhängen. Es darf auch nicht vergessen werden, daß die Präferenzen teilweise im Widerspruch zu GATT- bzw. WTO-Verpflichtungen stehen, da sie andere Entwicklungsländer diskriminieren. Diese veränderten Voraussetzungen erfordern eine Neuorientierung und Anpassung - damit bin ich bei der Beantwortung Ihrer Frage zur Kooperation, Herr Kollege Laschet - an die neuen weltwirtschaftlichen Bedingungen. Das bedeutet: Schaffung geeigneter marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen, um die Entwicklung eines starken privaten Sektors zu fördern. Dazu gehört auch die Vereinbarung von Niederlassungsregelungen, um vermehrt Auslandsinvestitionen anzuziehen. Daß eine solche Strategie erfolgreich sein kann, beschreibt ja gerade der Internationale Währungsfonds. Er hat darauf hingewiesen, daß gerade die Entwicklungsländer, die wirkliche Reformen durchgeführt haben, letztlich das größte Wirtschaftswachstum aufweisen. Es geht auch - das ist, wenn Sie so wollen, ebenfalls eine wirtschaftspolitische Frage - um die Unterstützung der regionalen Integration der AKP-Staaten untereinander. Gerade die noch unzureichende wirtschaftliche Zusammenarbeit der AKP-Länder untereinander hat sich als Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung erwiesen. Schließlich ist zu sagen: Für den Erfolg der Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten ist es von grundlegender Bedeutung, daß die AKP-Länder mehr Eigenverantwortung übernehmen. Nur wenn die Entwicklungsstrategien der einzelnen AKP-Länder mit den gemeinsamen Zielen der Partnerschaft kohärent sind, kann die finanzielle Unterstützung erfolgreich sein. Bei der Vergabe finanzieller Mittel muß deshalb zukünftig das Bedarfsprinzip stärker als bisher durch das Leistungsprinzip ergänzt werden. Ich glaube, sagen zu können, daß hinsichtlich der Grundbausteine der zukünftigen Partnerschaft der Europäischen Union mit den AKP-Staaten weitgehend Konsens unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union besteht. Die zukünftige Partnerschaft wird deshalb als gemeinsames Projekt der EU-Mitgliedstaaten auch auf die Entwicklungsstrategie anderer Geberländer positiv ausstrahlen können und letztlich für mehr Kohärenz sorgen. Vielen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe die Aussprache. Mir ist gesagt worden, daß sich die Fraktionen verständigt haben, über den Antrag heute abzustimmen und ihn nicht an die Ausschüsse zu verweisen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann verfahren wir so. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. zur Zukunft der EU-AKP-Entwicklungszusammenarbeit im neuen Jahrtausend, Drucksache 13/10302, zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Ich stelle fest, daß der Antrag einstimmig angenommen worden ist. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 30. April 1998, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.