Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Da der 1. Mai dieses Jahres auf einen Freitag fällt, ist im Ältestenrat vereinbart worden, die Frist für die Einreichung der Fragen für die Fragestunde der Sitzungswoche vom 4. Mai bereits auf Donnerstag, den 30. April vorzuverlegen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b sowie den Zusatzpunkt 4 auf:
9. a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Armin Laschet, Hermann Gröhe, Helmut Jawurek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Roland Kohn, Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann, Dr. Karlheinz Guttmacher und der Fraktion der F.D.P.
Internationale Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulstandortes Deutschland als Aufgabe deutscher Politik
- Drucksachen 13/8165, 13/9372 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tilo Braune, Stephan Hilsberg, Doris Odendahl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Internationalität der Hochschulen
- Drucksache 13/9621 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({0}) Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung
ZP4 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Attraktivität deutscher Hochschulen für ausländische Studierende
- Drucksache 13/10451Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({1}) Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung
Zu der Großen Anfrage liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10473 vor. Der Entschließungsantrag auf Drucksache 13/9400 wurde, wie mir gesagt wurde, zurückgezogen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für diese Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Armin Laschet, CDU/CSU, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Roman Herzog im November 1997 seine vielbeachtete Rede zum Aufbruch in der Bildungspolitik hielt, betonte er gleich zu Beginn, daß er sich damit als Bundespräsident auf vermintem Gelände bewege: Seit wann steht es einem Bundespräsidenten zu, sich auf ein klassisches Feld der Länder zu begeben?
Auch die Entstehungsgeschichte der Großen Anfrage, die wir heute diskutieren, ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Sie ist nicht in einer der Arbeitsgruppen unserer Fraktion entstanden, sondern in der jungen Gruppe, der 20 Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Ausschüssen des Deutschen Bundestages angehören.
({0})
- Ich weiß, Sie haben keine jungen Leute in Ihrer Fraktion.
({1})
Dennoch ist das kein Grund zur Aufregung in diesem Punkt.
Zum zweiten ist die Anfrage deshalb ungewöhnlich, weil sich der Deutsche Bundestag, die Bundesebene unseres föderalen Staates, mit einer Aufgabe befaßt, die Ländersache ist; und dies, bevor der Bundespräsident sie zu vermintem Gelände erklärt hatte.
Die Gründe für dieses Verfahren und auch für die heutige Debatte liegen in der bundespolitischen Bedeutung, die weit über die hochschulpolitischen Fragestellungen hinausreicht. Wenn immer weniger Studierende vor allem aus den Schwellenländern Asiens und Lateinamerikas in Deutschland studieren, dann ist das nicht nur eine Frage der Statistik, der Kultusministerkonferenz oder der Auslandsämter der Hochschulen. Vielmehr kann sich dies dann zum Standortproblem für die Bundesrepublik Deutschland entwickeln.
({2})
Wenn die Eliten der Welt, wenn künftige Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft, wenn ausländische Studierende unser Land meiden, dann hat dies Konsequenzen, die sich mittel- und langfristig auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und damit auch auf Arbeitsplätze auswirken. Wenn die besten Köpfe der Welt zur Ausbildung nicht mehr nach Deutschland kommen, dann müßte uns das treffen wie einst der Sputnik-Schock die USA, so hat es der Bundespräsident formuliert.
({3})
- Ich freue mich, daß Sie von der SPD an dieser Stelle klatschen. Wenn ich Ihren Entschließungsantrag lese, dann komme ich zu dem Ergebnis, daß Sie die Bedeutung dessen, um das es hier geht, nicht erkannt haben.
({4})
Die Grünen gestehen in ihrem Entschließungsantrag wenigstens zu, daß das Auswirkungen auf den Standort Deutschland haben kann. In Ihrem Antrag wird dies aber als Verengung auf die deutsche Exportindustrie diffamiert, und ausländische Studierende werden dort als „Türöffner für die Exportindustrie" bezeichnet. Ihre Formulierungen sind im Gegensatz zu dem, was die Grünen zumindest erkannt haben, nicht „neue Mitte", sondern alter, kalter Kaffee; deshalb werden wir diesen Antrag heute ablehnen.
({5})
Die Herausforderungen, die sich daraus ergeben, können nicht im Gestrüpp von 16 Kultusministerialbürokratien hängenbleiben, sondern bedürfen einer koordinierten Offensive von Politik, Wirtschaft und Hochschulen. Dazu muß Bewußtsein verändert werden, vor allem bei Ihnen - bei Ihnen ist es damit nämlich noch nicht so weit her wie in anderen Fraktionen -, aber auch in unserer Öffentlichkeit.
({6})
Der Minister hat auf diese Aufgaben reagiert; er ist anwesend und hört zu. Er hat seine Hausaufgaben mit der Vorlage des Gesetzentwurfs zum Hochschulrahmengesetz, den wir hier verabschiedet haben, im Hinblick auf die innenpolitische und die hochschulpolitische Situation in hervorragender Weise gemacht. Wir bedauern sehr, daß die rotgrüne Blockade im Bundesrat die endgültige Verabschiedung dieses Gesetzes verhindert, und wir begrüßen, daß der Minister in dieser Woche entschieden hat, das Ganze jetzt ohne Zustimmung des Bundesrats auf den Weg zu bringen. Es bleibt uns kein Spielraum, zu warten, bis auch Sie die Probleme der Zeit erkannt haben.
({7})
Die Anfrage ist nach mehreren Hearings im Deutschen Bundestag mit Vertretern der Wirtschaft, der Hochschulrektorenkonferenz, mit Studierenden und Praktikern, die ihre Erfahrungen berichtet haben, entstanden. Woran liegt es denn, daß trotz hoher Studiengebühren Studierende weiterhin - in verstärktem Maße - in die USA gehen und nicht in die Bundesrepublik Deutschland kommen?
({8})
Es gibt mehrere Konsequenzen, die man daraus ziehen sollte. Ich habe erwähnt, daß im Hochschulrahmengesetz die Differenzierung, die Deregulierung und die Vergabe internationaler Hochschulgrade geregelt ist. Ich habe auch schon erwähnt, daß wir durch die lange Diskussion hierüber wertvolle Zeit verloren haben. Ich denke, daß über diese hochschulpolitische Fragestellung hinaus weitere Minister an dieser Frage beteiligt sein müssen.
Die Anfrage läßt an Offenheit nichts zu wünschen übrig. Sie ist eine Bestandsanalyse, die Defizite aufzeigt und die Konsequenzen nach sich zieht. Gefordert ist beispielsweise der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der trotz der Spar- und Konsolidierungspolitik denjenigen Titel erhöht hat, der Wissenschaftskooperation und die Stipendienvergabe an ausländische Studierende vorsieht. Gefragt ist auch der Außenminister; denn die deutschen Botschaften und die Goethe-Institute, die Mittlerorganisationen der auswärtigen Kulturpolitik, müssen bei einer Offensive mitwirken, die jetzt erforderlich ist.
({9})
- Nein, die macht niemand kaputt.
({10})
- Sie sprechen hier über Dinge, von denen Sie nun wirklich nichts verstehen.
({11})
Das, was von den deutschen Botschaften und den Goethe-Instituten auf diesem Feld bereits geleistet wird,
({12})
verdient es nicht, durch solch dümmliche Zwischenrufe diskreditiert zu werden.
({13})
- Ich verstehe schon, daß Sie das Thema aufregt, weil Sie keine Antworten auf diese Fragen haben, die für unser Land wichtig sind. - Die Debatte über diese Anfrage hat aber erreicht, daß es eine Einigung zwischen Minister Rüttgers und Minister Kanther gibt.
({14})
- Es hat lange gedauert. Schließlich sind ja auch Ihre Innenminister in den Ländern daran beteiligt. Es ist ja nicht immer nur der Bundesinnenminister.
Ich wünsche mir, daß das, was Minister Rüttgers und Minister Kanther jetzt vereinbart haben und was ausländischen Studierenden gegenüber eine offenere und keine defensive Haltung zum Ausdruck bringen soll, auch von den Ländern und den Ausländerbehörden umgesetzt wird. Wir haben gehört, daß es inzwischen eine diesbezügliche Einigung mit den Ländern gibt. Ich wünsche mir, daß recht bald eine Botschaft an die Ausländerbehörden gerichtet wird, daß diese neuen Richtlinien, die auf diese Anfrage und auf das, was Minister Rüttgers mit Minister Kanther vereinbart hat, zurückgehen, auch umgesetzt werden.
({15})
- Der Bundesinnenminister hat es gemacht.
({16})
- Auch von Innenpolitik verstehen Sie nichts. Sie rufen eigentlich bei jedem Thema, das hier behandelt wird, sehr laut dazwischen. Der Innenminister hat die Dinge entschieden; die Länder müssen es jetzt umsetzen. Wie bei vielen anderen Dingen warten wir darauf, daß die Länder das jetzt endlich auch tun.
({17})
Wir brauchen eine koordinierte Offensive; wir brauchen eine entsprechende Einstellung in der Öffentlichkeit, so daß auch nach draußen getragen werden kann, daß wir ausländische Studierende bei uns brauchen, daß wir um sie werben, daß sie für uns eine Bereicherung sowohl unserer Hochschulen als auch einer Diskussion sind, die uns über die auswärtige Kulturpolitik hinaus als offenes Land, als Land, das die Eliten der Welt einlädt, zu uns zu kommen, darstellt und die zum Ausdruck bringt, daß wir Entwicklungsländer verstärkt berücksichtigen wollen.
Diese Debatte brauchen wir. Die Debatte am heutigen Morgen ist wichtig; aber sie wird fortgesetzt werden müssen.
({18})
- Das hat nichts mit 16 Jahren zu tun, Herr Kollege.
({19})
Vielmehr handelt es sich um eine Entwicklung der letzten Jahre. Das zeigt, daß die Hochschulen selbst hier ihren Teil beitragen müssen, daß die Länder, die für die Hochschulpolitik eigentlich zuständig sind, ebenfalls ihren Beitrag leisten müssen. Wir haben heute diese Aufgabe auf die Bundesebene geholt, weil die Kleinstaaterei der Länder hier nicht mehr ausreicht. Es ist jetzt eine Offensive auf der Bundesebene erforderlich.
({20})
Dem dienen unsere Anfrage und unser Entschließungsantrag, dem wir heute zustimmen werden.
Vielen Dank.
({21})
Das Wort hat der Kollege Tilo Braune, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Laschet, es ist ja durchaus mutig, daß Sie sich hier als Mitglied der Gruppe der jungen CDU-Abgeordneten outen; denn gemeinhin sind die dafür bekannt, daß sie den Mund spitzen, aber, wenn es spannend wird, nicht zu pfeifen wagen.
({0})
Zu Recht haben Sie die Rede des Bundespräsidenten angesprochen, die wir mit Aufmerksamkeit gelesen haben. Wenn man sie aber genau interpretiert, wird man zu dem Schluß kommen, daß der Bundespräsident mit wohlgesetzten und vorsichtigen Worten genau dieser Bundesregierung manches darüber ins Stammbuch geschrieben hat, was sie in den letzten Jahren versäumt hat.
Sie sprachen die Goethe-Institute an. Dazu kann ich nur sagen: Sie haben zwar eine Selbstverwaltung; aber Sie wissen ja selbst, daß genau die Bundesregierung, die Sie tragen und stützen, die Mittel streicht, so daß mehr und mehr Goethe-Institute im Ausland geschlossen werden müssen und ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können.
({1})
- Schauen Sie sich doch einmal die Kritiken der verschiedenen Länder wie Italien und Island an. Ich halte das für fatal und katastrophal.
({2})
- Die Welt verändert sich, vor allen Dingen Ihre Welt. Sie wird scheinbar immer kleiner.
Zum Thema zurück. Vorbei sind die guten alten Zeiten, als Deutsch international als Lingua franca der Wissenschaft galt. Vorbei sind auch die Zeiten, als Deutschland Spitzenreiter bei den Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung war. Während andere Industrienationen und sogar Schwellenländer eine Bildungsexplosion erleben, droht die Bundesrepublik im Mittelmaß zu versinken. Inzwischen hat auch der letzte begriffen: Diese Bundesregierung hat es in fataler Ignoranz versäumt, die notwendigen Rahmenbedingungen für einen starken und international attraktiven Studienstandort anzupassen.
({3})
Das Resultat sehen wir jetzt. Die Geduld der Studierenden ist zu Recht am Ende; die längst überfälligen Reformen, die die Universitäten so dringend brauchen, sind in der notwendigen Konsequenz zumindest nicht in Sicht.
({4})
Die bereits vom Bundestag verabschiedete Novelle zum Hochschulrahmengesetz ist nicht die überfällige Reform, sondern sie ist maximal ein unvollkommener Schritt in diese Richtung. Das Versagen der Bundesregierung läßt sich erneut an den Zahlen des Haushaltes für 1998 festmachen. Während in Großbritannien unter Tony Blair und in Frankreich unter Lionel Jospin massiv in Bildung und Forschung investiert wird, sank in Deutschland der Anteil des BMBF am Bundeshaushalt zwischen 1982 und 1998 von 4,7 auf 3,2 Prozent. Der Etat des Ministeriums verringerte sich allein zwischen 1996 und 1997 um 3,7 Prozent. Hier sind die Fakten, und das sind die Zahlen.
An die Zukunftsfähigkeit dieser Bundesregierung glaubt ohnehin keiner mehr. Die Abspeisung der Studierenden mit geheucheltem Verständnis und einem schwächlichen sogenannten Bibliothekssofortprogramm war eine erbärmliche und inakzeptable Anbiederung an die Demonstrierenden im Herbst.
({5})
Die Demonstrationen, Streiks und Proteste der Studierenden waren nur die logische Folge einer chronisch verfehlten Bildungspolitik.
({6})
Den vielfältigen verständnisvollen Worten müssen nun endlich Taten folgen. Ich ermutige die Studierenden, auch in Zukunft deutlich und mit Augenmaß für bessere Studienbedingungen einzutreten.
({7})
Nach dem Motto „Haltet den Dieb! " versuchen der Kanzler und Herr Rüttgers auch noch, die Verantwortung allein auf die Länder zu schieben. Natürlich steht auch mancher Landesfinanzminister
({8})
einem sanierten Haushalt offener gegenüber als steigenden Bildungsausgaben.
({9})
Aber das ist doch der Effekt der unsoliden Finanzpolitik der Bundesregierung: Durch permanente Umverteilung und Abwälzung vieler Kosten wird den Ländern ein immer kleinerer finanzieller Spielraum gelassen. Die durch steigende Arbeitslosigkeit hervorgerufenen steuerlichen Mindereinnahmen bei höheren Sozialleistungen sind doch die größten Belastungen und Entwicklungshemmnisse in Deutschland. Ich glaube, diese Bundesregierung ist mittlerweile eine der größten Belastungen und eines der größten Entwicklungshemmnisse für Deutschland.
({10})
Trotzdem ist es möglich, auch andere Akzente zu setzen. Während im Bundesdurchschnitt West die staatlichen Mittel für Forschung und Lehre 1997 bei durchschnittlich 11 900 DM pro Student lagen, betrugen zum Beispiel die Ausgaben eines der ärmeren Länder, nämlich Mecklenburg-Vorpommerns, aus dem ich stamme, 37 500 DM je Student.
({11})
Hier sieht man, wie Schwerpunkte richtig gesetzt werden, wie richtige Bildungspolitik gemacht wird.
({12})
Ich gebrauche ein Bild, um die Situation an den Hochschulen zu beschreiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich vor, Sie müßten in jeder zweiten Parlamentssitzung stehen. Frei werdende Stellen in den Ministerien könnten nicht mehr neu besetzt werden, und Sie müßten die Arbeit Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst übernehmen.
({13})
Wegen permanent sinkender Diäten - nur 15 Prozent
erhalten überhaupt noch welche - müßten Sie leider
die halbe Woche für 11 DM Stundenlohn kellnern gehen. - So ungefähr geht es doch den Studierenden derzeit in Deutschland. So sehen aber nach meiner Meinung international attraktive und wettbewerbsfähige Hochschul- und Fachhochschulstandorte nicht aus.
({14})
Wirken wir so anziehend auf international Studierende?
Belastend kommt noch eine durch Leute wie Herrn Kanther geschürte latente Ausländerfeindlichkeit hinzu.
({15})
Für den Innenminister ist ohnehin jeder ausländische Studienbewerber ein verkappter Wirtschaftsflüchtling oder Asylbewerber,
({16})
von Ereignissen wie Vorträgen verurteilter Rechtsterroristen in der Bundeswehr-Führungsakademie ganz zu schweigen.
({17})
Auch von den ausländerrechtlichen Verwaltungsvorschriften, die den Studienaufenthalt unbürokratisch ermöglichen sollten, haben die Bundesländer bei ihrer Zuarbeit an den Bund seit dem 14. Januar nichts mehr gehört. Diese müssen jedoch auf Grund der besonderen Dringlichkeit vorgezogen werden und dürfen nicht erst im Gesamtpaket dem Bundesrat vorgelegt werden.
({18})
Bemerkenswert ist im übrigen, daß im heutigen Antrag der Koalition keinerlei zusätzliche finanzielle Mittel in Aussicht gestellt werden. Allein das Deutsche Studentenwerk hat mit seinem Servicepaket für ausländische Studierende einen Fortschritt erzielt, und dies ohne Zutun der Bundesregierung.
({19})
Angesichts solch unattraktiver Studienbedingungen ist es doch kein Wunder, daß immer mehr Studierwillige statt nach Deutschland in die USA oder nach Großbritannien gehen. Der Anteil von 8,2 Prozent ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen, von denen auch noch zirka ein Drittel, genau 32,8 Prozent, sogenannte Bildungsinländer sind, die schon die Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland erworben haben, bedeutet eine Stagnation. Bei Studierenden aus Japan, aus Indonesien sowie aus wirtschaftlich aufstrebenden Schwellenländern in Afrika und Lateinamerika ist es gar zu einem drastischen prozentualen Rückgang gekommen. Obwohl sich die Anzahl japanischer Studenten im Ausland von 1975 bis 1991 verfünffachte und sich die Zahl der im Ausland Studierenden aus Indonesien verdoppelt hat, kommt in Deutschland davon nichts an.
({20})
Doch selbst wenn weitere Studierende nach Deutschland kommen wollen, so werden sie zusätzlich von unterfinanzierten Hochschulen, von der restriktiven Ausländerpolitik Kanthers und von dem Mangel an Stipendienmöglichkeiten abgeschreckt.
Da Herr Rüttgers die notwendigen Mittel nicht akquirieren kann, versucht er es nun mit Aktionismus, der ihn nichts kostet. Nehmen wir zum Beispiel die angesprochene Novelle zum Hochschulrahmengesetz. Das Vorhaben zunächst ist positiv. Eine Entschlackung, Straffung, Entbürokratisierung ist überfällig. Doch dies allein ist keine Problemlösung und führt noch nicht aus der derzeitigen Misere. Die Einführung der Studienabschlüsse Bachelor und Master ist lediglich ein erster Schritt zur Internationalisierung, wobei die Bundesregierung noch nicht einmal mitteilen kann, an welche der international durchaus unterschiedlichen Abschlüsse man sich anzulehnen gedenkt. Die Gebührenfreiheit an den deutschen Hochschulen ist zweifelsohne ein Standortvorteil, der mit aller Kraft verteidigt werden muß - und wir tun dies -,
({21})
der aber - laut Antwort auf die Große Anfrage - für ausländische Studierende durch die langen Studienzeiten und ein daraus resultierendes höheres Berufseintrittsalter nivelliert wird. Solange es uns nicht gelingt, Studiengebühren zu verbieten, wird das Hochschulrahmengesetz nicht die Akzeptanz der Studierenden finden.
Meine erneute Aufforderung geht hier wiederum an die Studenten und an den Bundesrat, auch in diesem Punkt nicht nachzulassen. Die Novelle ist ohnehin Stückwerk. Ohne eine Personalrechtsreform, ohne eine Demokratisierung der Hochschule, ohne angemessene BAföG-Reform, ohne eine deutlich bessere finanzielle Ausstattung der Hochschulen ist das ganze Gerede um Reform unglaubhaft, fader Aktionismus, Schall und Rauch.
({22})
Die SPD hat auf ihrem Parteitag in Leipzig in ihrem Parteiprogramm für die Bundestagswahl deutliche Akzente für die Zukunftsfähigkeit der Hochschulen und unseres Landes gesetzt.
({23})
Wir stehen für die Steigerung der Attraktivität des Studien- und Lebensstandortes Deutschland. Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine bekennen sich unmißverständlich zu einer Verdopplung der investiven Ausgaben für Wissenschaft und Forschung innerhalb von fünf Jahren und zu stärkeren Akzenten in der Bildungspolitik.
({24})
Hier werden die richtigen Akzente und Wege aufgezeigt. Mit aktiver Innovationspolitik kann Deutschland wieder einen herausragenden Stellenwert erhalten. Dem Bildungssystem kommt eine tragende Rolle zu. Wir werden einladende Bedingungen für ausländische Studierende schaffen und Hemmnisse für unsere jungen Gäste abbauen. Die Eliten anderer Staaten sollen eingeladen und nicht abgeschreckt werden. Die SPD steht für Internationalität und Zukunftsfähigkeit dieser Republik.
({25})
Jedem muß klar sein: Wer Stillstand, soziale Kälte, Reformunfähigkeit, mangelnde Innovation abschaffen will,
({26})
wer die Zukunftsfähigkeit Deutschlands will, der muß diese Regierung abwählen.
Ich bedanke mich.
({27})
Das Wort hat der Kollege Matthias Berninger, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man über die Internationalität der deutschen Hochschulen und der deutschen Hochschullandschaft redet, sollte man, finde ich, an einer anderen Stelle anfangen, als diese Debatte heute beginnt. Man sollte anfangen in der Zeit von 1933 bis 1945. Wir verdanken Wolf Lepenies die Einsicht, daß in dieser Zeit der Startschuß zur Provinzialisierung unserer Hochschullandschaft gegeben wurde. Denn davor war Deutschland ein Land, das international führend war und das Hochschulen hatte, die international die Rolle spielten, die ich mir für die deutschen Hochschulen wieder wünsche. Danach, mit der Vertreibung vieler jüdischer Wissenschaftler und mit dem Angriff der Nationalsozialisten auf die Forschungsfreiheit ist das passiert, an dessen Folgen unser Standort noch heute zu leiden hat. Wir haben wesentlich an Qualität verloren und diese Qualität noch nicht voll zurückgewonnen. Ich finde das wichtig, denn die ganze Debatte um die Internationalisierung der Hochschulen ist nicht nur ein Wahlkampfthema, sondern eine der Schlüsselfragen, die wir in den nächsten zehn Jahren
mit mehr Mut als in den letzten Jahren anpacken müssen.
({0})
Die Große Anfrage der jungen Gruppe der CDU-Abgeordneten ist hier von dem CDU-Kollegen schon gelobt worden. Auch ich will sie loben. Ich will Ihnen auch sagen, warum: weil diese Anfrage auf einen Mißstand und eine Bremserrolle der Bundesregierung hingewiesen hat. Bundesinnenminister Kanther hat, obwohl der Bundeskanzler, der Außenminister, der Bildungsminister und alle Ministerpräsidenten immer wieder gesagt haben, wie wichtig die Internationalität der deutschen Hochschulen ist, durch das Ausländerrecht den Zuzug ausländischer Studierender nach Deutschland nachhaltig gebremst und durch bürokratische Hürden so sehr blockiert, daß die Leute nun wirklich nicht gekommen sind. Die Große Anfrage hat diese Bremse gelöst, weil sie dem Bundesbildungsminister die Möglichkeit gab, diese Praxis des Bundesinnenministers zu kritisieren. Insofern ist das ein politischer Vorgang.
({1})
Nicht nur die Anfrage selbst, sondern auch die Antwort der Bundesregierung hat etwas bewegt.
({2})
Man kann vieles kritisieren, Herr Rüttgers, und das, was Sie dort bewegt haben, reicht mir auch noch nicht aus; aber dafür, daß Sie Herrn Kanther von diesem Trip heruntergeholt haben, kleinkarierten Provinzialismus zu betreiben, und daß Sie den Startschuß dazu gegeben haben, daß wir zumindest für die Studierenden ein Ausländerrecht bekommen, das in die richtige Richtung geht, dafür möchte ich Ihnen ganz herzlich danken.
({3})
Herr Kollege Berninger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hilsberg?
Bitte schön.
Herr Berninger, können Sie bestätigen, daß wir zwar in der Presse viele Meldungen darüber lesen können, daß sich Herr Rüttgers augenscheinlich gegenüber Minister Kanther durchgesetzt haben soll, daß aber die Verwaltungsvorschriften bis heute immer noch nicht erlassen sind und insofern die Unsicherheit für ausländische Studenten weiterbesteht?
Ich kann das absolut bestätigen. Nur müssen Sie an die Situation zuvor denken. Vorher war bei der Bundesregierung überhaupt keine Bewegung erkennbar. Jetzt dreht sich der Streit zwischen den SPD-geführMatthias Berninger
ten und rotgrünen Ländern und der Bundesregierung nur noch darum, ob das ausreicht, was Herr Kanther gemacht hat. Ich habe hier eine Stellungnahme des Landes Hamburg, die besagt, es gehe in die richtige Richtung, aber gerade in bezug auf die Arbeitsmöglichkeiten der Studierenden müsse man mehr tun.
({0})
Mir ist wichtig, daß man das quer durch alle Länder positiv aufgenommen hat und dabei ist, das umzusetzen. Meine Hoffnung ist, daß wir spätestens zum 1. Oktober Bedingungen für ausländische Studierende haben, die der neuen Regelung entsprechen. Zum Teil haben sich Länder - auch hier ist Hamburg wieder ein Beispiel - schon längst über das hinweggesetzt, was Herr Kanther gemacht hat. Natürlich ist das nicht die Antwort auf die Probleme, die wir bei der Internationalität der deutschen Hochschulen haben.
Genausowenig stellte das Hochschulrahmengesetz jetzt plötzlich den Startschuß dar. Das wäre gerade so, als wolle man durch die Erwähnung von Multimedia die Hochschulen endlich dazu bringen, ins World Wide Web zu gehen. Natürlich ist das Hochschulrahmengesetz auch nur ein kleiner Baustein. Das alles reicht mir nicht aus; das dürfte keinem Bildungspolitiker ausreichen, der sich die Zahlen anguckt.
Andere Länder sind im wissenschaftlichen Austausch weit vor uns, haben mehr ausländische Studierende an ihren Hochschulen und profitieren enorm davon, weil neue Erfahrungen ins Land kommen, während in Deutschland die Zahl der Studierenden, die hierher kommen und hier studieren wollen, stagniert und, wenn man genauer hinguckt, sogar sinkt.
({1})
Die Entwicklungsländer sind angesprochen worden. Sie sind immer weniger in der Lage, ihre jungen Leute hierher zu schicken. Hinsichtlich der Länder im asiatischen Raum haben wir zum Beispiel im Vergleich zu Australien enorm verloren. - Wir haben in ein paar Bereichen, etwa in Musik, gewonnen, aber insgesamt verloren. - Herr Laermann, Sie sagen, es stimme nicht. Aber ich kenne doch auch Ihre Sorge, weil wir gerade im Ingenieurbereich riesige Probleme haben, die Attraktivität zurückzugewinnen, die wir vor Jahren hatten.
({2})
Sie wissen, welche Bedeutung diese Attraktivität für die Entwicklung im asiatischen Raum und auch für unsere Exportwirtschaft hatte.
Ich möchte auf die für mich wesentlichere Frage zurückkommen, was noch getan werden müßte. Im Hochschulrahmengesetz sind die internationalen Abschlüsse Thema. Ich finde es gut, daß wir diesen Weg
gehen, weil ich glaube, daß sich die internationalen Abschlüsse durchgesetzt haben und daß ein deutscher Sonderweg bei Hochschulabschlüssen ein schwerer Fehler wäre und sowohl das Studium von Deutschen im Ausland erschweren als auch umgekehrt das Studium von ausländischen Studierenden in Deutschland sehr nachhaltig behindern würde. Ich finde es wirklich gut, daß wir das machen, sehe aber die Gefahr, daß wir die Sorgen, die viele Leute mit dieser Umstellung verbinden, in den Hintergrund rücken lassen.
Es gibt zwei Länder, die Erfahrungen mit dem neuen gestuften System haben. Das eine Land ist Dänemark. In Dänemark steht Bachelor oder B.A. für „bald arbeitslos" oder „bestimmt arbeitslos", weil die Leute, die dort ein Kurzstudium gemacht haben, praktisch keinen Job finden. Das darf in Deutschland nicht passieren. Wenn die Leute keine Perspektive im Arbeitsleben haben, nachdem sie einen solchen Kurzstudiengang absolviert haben, ist das ein riesiges Problem. Ich wünsche mir, daß wir den Weg gehen, den andere Länder gegangen sind, und das duale Berufsausbildungssystem, die klassische Berufsausbildung, mehr mit den Universitäten verzahnen. Da könnte der Bachelor eine enorme Chance darstellen.
Ich wünsche mir aber auch, daß Herr Kanther - ich habe ihn vorhin schon einmal als Bremser genannt - hier einen mutigeren Schritt macht. Der Erfolg unserer internationalen Studiengänge hängt davon ab, wie sehr die Absolventen dieser Studiengänge Zugang zum öffentlichen Dienst haben. Ich spreche das an, weil wir das bei den Fachhochschulabsolventen erlebt haben. Ich bin Jahrgang 1971. Seit dieser Zeit streitet man sich darüber, ob Fachhochschulabsolventen im öffentlichen Dienst angemessen berücksichtigt werden können. Herr Kanther hat das auch in diesem Jahr wieder blockiert. Aber wir dürfen hier nicht den gleichen Fehler wie bei den Fachhochschulabsolventen machen und fast ein Vierteljahrhundert bis zu ersten Fortschritten warten, und letzten Endes sogar mehr als ein Vierteljahrhundert verstreichen lassen, bis Fachhochschulabsolventen eine Chance haben.
({3})
Herr Rüttgers, Sie haben sich in dieser Legislaturperiode mit drei Ministern ziemlich heftig gestritten. Der eine ist Bundeswirtschaftsminister Rexrodt. Das war der harte Kampf darum, wer der eigentliche Wirtschaftsminister ist. Nach einem mäßigen Spiel ist das unentschieden ausgegangen. Jetzt spielt auf diesem Spielfeld Herr Wissmann gegen Herrn Rexrodt.
Der zweite Minister, mit dem Sie sich auseinandergesetzt haben, ist der Bundesfinanzminister. Dazu will ich Ihnen sagen: Das war eine schwere Niederlage für die Bildungspolitik in Deutschland.
({4})
Ihre Bilanz ist ein Rückgang der Ausgaben im Bildungsbereich.
({5})
Was hat das mit der heutigen Debatte zu tun? Der „Spiegel" hatte vor ein paar Wochen die große Überschrift: Der Chef zahlt. Wir sind alle sehr froh darüber. Er zahlt nämlich sein im letzten Winter versprochenes 40-Millionen-DM-Programm. Was steht aber noch in diesem Artikel? Der Chef zahlt und spart. Er spart nämlich innerhalb des 40-Millionen-DM-Programms, das unzureichend, aber wichtig ist, unter anderem bei den Bibliotheken, beim Deutschen Akademischen Austauschdienst und beim Budget für ausländische Gastdozenten, die nach Deutschland kommen. Das macht schon deutlich, wie groß die Probleme sind, die Ihr Versagen gegenüber Herrn Waigel verursacht hat.
Der dritte Minister, mit dem Sie sich gezankt haben, ist der Bundesinnenminister Kanther. Ich glaube, daß dieser Ihr härtester Gegner ist. Sie haben an einer Stelle gewonnen - noch einmal meine Gratulation dazu -, Sie haben aber an zwei Stellen verloren,
({6})
nämlich bei der Anerkennung der Fachhochschüler im öffentlichen Dienst und bei der Reform der Personalstruktur.
Wenn man über die Internationalität des Studienstandorts Deutschland redet, dann muß man auch darüber reden, daß unsere Professoren in der Bezahlung und in der Anbindung an die Hochschule im internationalen Rahmen vergleichbare Positionen erhalten müssen. Das gilt für die Möglichkeiten, die ihnen gegeben werden, aber auch für die Grenzen, die ihnen gesteckt werden müssen. Das haben Sie nicht erreicht. Sie haben nicht erreicht, daß die Beendigung der Verbeamtung von Professoren in das Hochschulrahmengesetz aufgenommen wurde.
Unter dem Strich kann ich sagen: Ich freue mich über den kleinen Fortschritt, den wir hier gemacht haben und über den wir heute reden. Ich ärgere mich aber darüber, daß wir nicht soweit gekommen sind, wie es bei diesem Thema wünschenswert wäre, und daß wir es in den letzten vier Jahren nicht geschafft haben, einen deutlichen Schritt in Richtung Internationalität zu machen. Das wird wohl unsere Aufgabe in den nächsten vier Jahren sein.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Laermann, F.D.P.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte - ich
weiß nicht, ob mir das gelingt - den Versuch unternehmen, nicht in die Wahlkampftöne einzustimmen oder darauf einzugehen.
Die vorliegende Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zur internationalen Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulstandortes Deutschland ist das Thema. Ich denke, die Antwort liefert einerseits einen umfassenden Überblick über die Maßnahmen und Aktivitäten in den verschiedenen Politikbereichen, die involviert sind: Bildungsund Hochschulpolitik, Auswärtige Kulturpolitik und Entwicklungshilfepolitik. Andererseits zeigt sie offen und ehrlich die Defizite auf, mit denen wir uns als Parlament in den verschiedenen Politikfeldern dringend, und zwar im Zusammenhang, befassen müssen.
Zunächst möchte ich eines mit allem Nachdruck feststellen - das hat mich in der Diskussion der letzten Zeit ganz erheblich gestört -: Seit einiger Zeit wird stereotyp behauptet, Deutschland sei als Studienstandort nicht mehr attraktiv. Betrachten wir jedoch die Entwicklung der Studierendenzahlen in absoluten Größen, so stellen wir fest, daß sich in einem Zeitraum, in dem sich die Zahl der deutschen Studierenden etwas mehr als verdoppelt hat - von rund 840000 auf 1,84 Millionen -, die Zahl der ausländischen Studierenden verdreifacht hat. Selbst wenn man davon ausgeht, daß geschätzt rund ein Drittel als sogenannte Bildungsinländer betrachtet werden müssen, hat sich der Anteil von knapp 50 000 auf 100 000 verdoppelt.
({0})
Der Bezug auf prozentuale Anteile ergibt also kein realistisches Bild.
Es ist immer etwas Eigenartiges, wenn man gewisse Vorurteile pflegt. Ich habe aber einmal in die Statistiken geschaut - das Bundesamt für Statistik scheint mir glaubwürdig zu sein - und festgestellt, daß sich die Zahl der europäischen Studienanfänger in Deutschland seit 1975 vervierfacht hat. Ebenso hat sich die Zahl der Studienanfänger aus Afrika vervierfacht. Die Zahlen der Studienanfänger aus Amerika und Asien ebenso wie die aus Australien und Ozeanien haben sich verdoppelt.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es kämen noch weit mehr Studierende und junge Wissenschaftler aus dem Ausland an die deutschen Hochschulen, wenn dafür die notwendigen Ressourcen verfügbar wären. Es kann also nicht an der inhaltlichen Attraktivität der Hochschulen liegen; dafür sind andere Gründe und Bedingungen verantwortlich. Das haben wir auch in der Großen Anfrage angesprochen.
Es kämen weit mehr, wenn dafür die notwendigen Ressourcen verfügbar wären. So liegt zum Beispiel
das Verhältnis von Bewilligungen zu Stipendienanträgen beim Deutschen Akademischen Austauschdienst im Durchschnitt bei 1 : 5, in bezug auf das Japan-Programm sogar bei 1 : 10.
({2})
Ähnlich ist die Situation auch bei anderen Institutionen, die Stipendien vergeben.
Man muß sich schon wundern, daß immer mehr Studierende in Deutschland studieren und daß sich immer mehr Nachwuchswissenschaftler hier wissenschaftlich qualifizieren wollen. Akzeptieren Sie doch die Leistungen der deutschen Wissenschaft!
({3})
Viele wollen hier studieren trotz der überzogenen und, wie ich meine, unberechtigten pauschalen Kritik an unseren Hochschulen aus den eigenen Reihen, aus dem eigenen Land. Hören wir doch endlich auf, unsere Hochschulen selber schlechtzureden! Wir würden uns dann möglicherweise wundern, wenn tatsächlich weniger Studierende aus dem Ausland zu uns kommen.
({4})
Dennoch sind Veränderungen, Modernisierungen und Anpassungen an internationale Entwicklungen notwendig. Ein wichtiger Schritt - das ist schon erwähnt worden - ist mit der Novelle zum Hochschulrahmengesetz getan. Ich denke, die Abschlüsse Bachelor und Master haben sich inzwischen zum weltweiten De-facto-Standard entwickelt. Sie sind sozusagen Mobilitätsschienen zwischen den Bildungssystemen unterschiedlicher Kulturkreise geworden. Die Orientierung auf die nationalen Standards allein erweist sich nämlich als eine strategische Schwäche unserer Hochschulen auf dem globalen Bildungsmarkt.
Die Einführung dieser Studiengänge allein genügt natürlich nicht. Fragen der gegenseitigen Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen, auch von Teilleistungen, sind zu klären. Regierungsabkommen auf diesem Gebiet sind zwar hilfreich, aber sie reichen nicht aus. Die Anerkennungs- und Äquivalenzregelungen sind viel zu formal und viel zu formalisiert. Hier ist mehr Flexibilität im Einzelfall gefordert; denn auf Grund der Differenziertheit kann die gegenseitige Anerkennung gar nicht über Regierungsabkommen und Regelungen, für die dann die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen zuständig ist, geregelt werden. Auf diesem Gebiet muß auch die KMK Bewegung zeigen.
({5})
Es ist notwendig, daß die Lehrenden an unseren Bildungseinrichtungen sozusagen in ihrer wissenschaftlichen Autorität bereit und in der Lage sind, ihrerseits individuell Leistungen, auch im Ausland erbrachte Leistungen, anzukennen.
Auch Verbesserungen in Beratung und Betreuung - das gilt übrigens auch für deutsche Studierende - sind notwendige Hilfen in den alltäglichen Lebensfragen, zum Beispiel bei der Wohnraumbeschaffung und vielem mehr. Hier ist schon davon gesprochen worden - ich bestätige das ausdrücklich -, wie wichtig und dringend klärungsbedürftig die Fragen des Ausländerrechts und des Arbeitsrechts sind.
({6})
Aus meiner beruflichen Befaßtheit und oftmaligen Betroffenheit heraus fordere ich hier akzeptable Lösungen.
({7})
Hier liegen nämlich wesentliche Gründe, warum manchen Interessenten ein Studium in Deutschland wenig attraktiv erscheint. Es liegt also nicht an den wissenschaftlichen Leistungen, sondern an den Rahmenbedingungen.
Dazu liegt ja Gott sei Dank seit kurzem der Entwurf von Verwaltungsvorschriften zu den ausländerrechtlichen Regelungen für ausländische Studierende und Wissenschaftler vor. Darin sind zweifellos entscheidende Verbesserungen vorgesehen. Das begrüße ich ausdrücklich. Ich hoffe sehr, daß diese Regelungen bald wirksam werden. Ich fordere auch die Länder auf, verehrte Kollegen von der SPD, diese Regelungen nun umzusetzen.
({8})
Wir leiden ja nicht an dem Fehlen von Regelungen, daran, daß diese nicht vom Bund eingefordert werden, sondern daran, daß sie in den Ländern nicht umgesetzt werden oder nur in einer Weise, die unseren Vorstellungen - damit meine ich die Vorstellungen aller im Parlament -, die wir mit der Verabschiedung von gesetzlichen Bestimmungen verfolgt haben, oftmals nicht entspricht.
Noch ein Wort zu den Stipendien. Ich denke, wenn es schon nicht möglich ist, die Anzahl der Stipendien auf Grund der Finanzlage zu erhöhen, und wenn daher die Situation als unbefriedigend angesehen werden muß, so ist um so mehr die Erkenntnis umzusetzen, daß erst die Nachbetreuung ehemaliger Stipendiaten zu dauerhaften Verbindungen führt und die Potentiale für dauerhafte und fruchtbare Zusammenarbeit auf geistigem, gesellschaftlichem und damit anschließend auch auf wirtschaftlichem Gebiete erschließt. Eine Aufwertung der Nachkontakte ist deshalb nicht nur wünschenswert, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort schreibt, sie ist ein Muß.
({9})
Dies gilt nicht nur für ehemalige Stipendiaten, sondern möglichst für alle, die in Deutschland studiert haben.
({10})
Im übrigen unterstreiche ich dick, was in der Antwort zum gesamten Themenkomplex gesagt wird.
Ich muß dabei aber auch auf eine nicht angesprochene Konsequenz hinweisen, nämlich darauf, daß die finanziellen Voraussetzungen verbessert werden müssen.
Wenn Sie zwischendurch mal einen Blick auf die Uhr werfen würden!
Herr Präsident, mit einem Auge habe ich darauf geschielt und mich gewundert, daß Sie noch nicht interveniert haben.
({0})
Heute ist Freitag. Deshalb bin ich besonders nett. Aber Sie müssen jetzt zum Schluß kommen.
Herr Präsident, ich danke Ihnen für Ihre Nachsicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt noch eine Reihe von Punkten, die hier anzusprechen wären. Wir werden im Ausschuß hoffentlich Gelegenheit haben, außerhalb von Wahlkampftönen in der Sache darüber zu diskutieren. Das wünsche ich mir jetzt zum Abschluß.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Dr. Ludwig Elm, PDS.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die junge Gruppe der CDU/CSU beklagt in einer Erklärung zur heutigen Debatte die „dramatische Situation des Studienstandortes Deutschland" . Die stark rückläufige Entwicklung der Zahl ausländischer Studierender bezeichnet sie als „besorgniserregend" .
({0})
In dem zur gleichen Zeit eingebrachten Koalitionsantrag „Attraktivität deutscher Hochschulen für ausländische Studierende" wird übrigens genau das Gegenteil behauptet, nämlich daß sich die Zahl der ausländischen Studierenden in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt hat.
Schließlich teilt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage mit, daß „der Anteil der ausländischen Studierenden ... nahezu unverändert" ist.
Es gibt also drei unterschiedliche Befunde allein aus dem Lager der Regierungskoalition. - Offensichtlich kommt dieses Wirrwarr auch durch die Absurdität des offiziellen Ausländerbegriffs zustande. So werden die hier aufgewachsenen Studierenden „ausländischer Eltern" - so heißt das - einmal in die Gesamtzahl der ausländischen Studierenden einbezogen, um sie ein andermal als sogenannte Bildungsinländer wieder abzuziehen.
Davon unabhängig besteht bei allen Parteien, bei betroffenen Organisationen und Verbänden und in den Hochschulen selbst Einigkeit darüber, daß es mit der Internationalität der deutschen Hochschulen und ihrer Anziehungskraft für ausländische Studenten nicht weit her ist.
Unbestritten ist, daß es dafür vielfältige Ursachen gibt, von denen einige in der Antwort auf die Große Anfrage genannt sind. Tatsache ist aber auch, daß weder die Bundesregierung noch die Koalitionsparteien zu ihrer Gesamtverantwortung für das Zustandekommen der auch von Ihnen nunmehr beklagten Zustände stehen. Das betrifft insbesondere die chronische Unterfinanzierung des Bildungswesens und der Hochschulen, die Deutschland in einer UNESCO-Erhebung unter 24 erfaßten Ländern auf dem 21. Platz landen läßt.
Weitgehend ausgeblendet bleibt auch, daß die Ausländerunfreundlichkeit des deutschen Hochschulwesens maßgeblich mit den ausländerfeindlichen Tendenzen in der deutschen Innenpolitik zusammenhängt. Ausländische Studierende sehen immer weniger ein, daß sie in den Kampf mit deutschen Behörden mehr Zeit und Kraft investieren müssen als in das Studium selbst.
Ich verweise auf eine exemplarische Darstellung Ende März in der „Süddeutschen Zeitung": Die kroatische Studentin Dunja Dragojevic wollte ein bis zwei Semester Germanistik an der Universität Bonn studieren. In dem Artikel werden die fünf komplexen Hürden bürokratischer, subjektiver und anderer Art geschildert, die ihr entgegentraten. Sie resümierte - ich zitiere -:
Es war ein bürokratischer Hürdenlauf, der vor allem eins hinterließ: das Gefühl, unerwünscht zu sein.
Die vor einigen Monaten im Entwurf präsentierten und, nach dem bisherigen Verlauf der Debatte: offenbar immer noch auf die Umsetzung harrenden Verwaltungsvorschriften zu den ausländerrechtlichen Regelungen für ausländische Studierende leistet zur Stärkung dieser Anziehungskraft gewiß nur einen geringen Beitrag. Für ausländische Studierende wird das restriktiv-feindselige Ausländerrecht Kanther-scher Prägung nur abgemildert. Es ist charakteristisch, daß diese Milderung, wie es im Antrag der Koalition heißt, im wesentlichen „ernsthaften und qualifizierten Interessenten für einen Studien- und Forschungsaufenthalt in Deutschland" zugute kommen soll, also neue selektive Vorgaben entwickelt werden. Die Jungunionisten sagen es in ihrer Erklärung noch deutlicher:
Wir wollen die Eliten von morgen heute als Studierende in Deutschland.
Es sei die Zielgruppe, so Minister Rüttgers, der „Ernsthaften und Qualifizierten", um die es hier gehe. Dazu gehört offenbar niemand, für den die Finanzierung des Studiums in Deutschland ein Problem ist.
Wir dagegen stimmen der Forderung in dem neuen Antrag der Bündnisgrünen zu, daß es insbesondere diejenigen zu fördern gilt, die ihr Studium in Deutschland nicht eigenständig finanzieren können.
Wir unterstützen die Feststellung im Antrag der SPD, daß die Attraktivität auch in der Besinnung auf die Tradition der Hochschulpolitik liegt und die Vertreibung deutscher Wissenschaftler durch den Nationalsozialismus, die Ausrottung der Intelligenz in besetzten Ländern durch die deutschen Okkupanten, aber auch die Erfahrungen der Emigration zu berücksichtigen sind. Wir sollten gemeinsam gegen nationalistische, ausländerfeindliche und konservativelitäre Tendenzen an deutschen Hochschulen vorgehen.
Ich erinnere daran, daß bei den Protesten der Studenten vor einigen Monaten zwar die Verbesserung ihrer Studienbedingungen im Vordergrund stand, es aber doch bemerkenswert ist, daß immerhin in zwei Dutzend von etwa 60 der an Hochschulen erarbeiteten Forderungskatalogen die Gleichstellung der ausländischen Studierenden verlangt wurde - und das insbesondere bezüglich der Anerkennung ihrer Vorleistungen, der Anerkennung des Englischen als Sprache, die Gleichstellung in Deutschland in bezug auf Wohnen, Arbeiten und Studienfinanzierung.
In die Arbeit auf diesem Gebiet ist auf allen Ebenen Bewegung gekommen, auch an den Hochschulen.
Wir werden dem Antrag der Bündnisgrünen wie auch dem der SPD in der weiteren Beratung zustimmen und würden es sogar begrüßen, wenn sich diese Positionen zusammenführen ließen.
Es ist zu bezweifeln, daß die Forderungen an die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode zu realisieren sind. Aber richtige Forderungen bleiben ja auch dann gültig, wenn sie sich möglicherweise später an die Fordernden selbst richten.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Rüttgers.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Präsident, ich möchte mich zu Beginn meiner Rede für mein unbotmäßiges Verhalten entschuldigen, das darin bestand, daß ich an einer bestimmten Stelle der Rede des Kollegen Berninger spontan applaudiert habe. Das hätte ich von der Regierungsbank nicht machen dürfen. Wissen Sie, Herr Präsident, ich war nur so dankbar sowohl für die Rede des Kollegen Laermann wie auch teilweise für die Rede des Kollegen Berninger, die sich hier wohltuend von der Rede eines furchtbaren Funktionärs aus der SPD abgehoben haben.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Thema, das wir heute morgen diskutieren, ist eines der wichtigen und zentralen Themen der Hochschulreform in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist der tiefe Grund dafür, warum ich bereits am 24. Mai 1996 - also weit vor der Zeit, als die Opposition angefangen hat, sich mit dem Thema zu beschäftigen -, zusammen mit dem Bundesaußenminister ein Konzept zur Steigerung der Internationalität unserer deutschen Hochschulen vorgelegt habe. Das ist Teil der Hochschulreform, ein wichtiger Teil, der nicht nur Auswirkungen auf das Verhältnis der deutschen Hochschullandschaft zum Ausland und zu ausländischen Studenten hat, sondern gleichzeitig Maßstab, wenn Sie so wollen: Spiegel, aber auch Antriebsmotor für die notwendigen Veränderungen an unseren deutschen Hochschulen ist.
Im Zeitalter der Globalisierung ist es völlig unvorstellbar, eine Strategie, eine Politik weiterzuverfolgen, wie dies in einigen Bundesländern geschieht, die Hochschulen als Regionalhochschulen, als Teil einer örtlichen Wirtschaftsförderungskonzeption, als Teil eines Versuchs der Schaffung von Lehranstalten für den regionalen Bedarf zu verstehen.
Deutsche Universitäten werden - insofern war ich dankbar für den Hinweis des Kollegen Berninger -, die Rolle, die sie Anfang dieses Jahrhunderts gespielt haben und die durch den furchtbaren Brain-Drain auf Grund der Nazi-Barbarei verloren ist - und wir leiden heute noch immer darunter - erst dann zurückgewinnen können, wenn sie sich als Teil der internationalen Wissenschaftslandschaft verstehen und sich auch so verhalten. Es ist die Wahrheit, daß wir davon noch ein ganzes Stück entfernt sind.
Deshalb ging es nicht nur darum, das Thema im Mai 1996 anzugehen und eine schonungslose Analyse der Defizite aufzuzeigen, sondern gleichzeitig darum, an einer Vielzahl von Punkten konkrete Maßnahmen greifen zu lassen, die, losgelöst von den Rahmenbedingungen - wir wissen alle, daß dies im Verhältnis zwischen Bund und Ländern ein schwieriges Feld ist, und, Herr Berninger, natürlich auch manchmal im Rahmen der eigenen Regierung -, die ersten Incentives setzen, um dafür zu sorgen, daß es solche Veränderungen gibt. Eine Vielzahl von positiven Schritten ist nicht nur eingeleitet, sondern auch umgesetzt worden.
Lassen Sie mich nur auf den für mich wichtigsten Punkt hinweisen. Das ist der Wettbewerb um internationale Studiengänge. Im vergangenen Jahr haben wir von seiten des Bundes zwölf dieser Studiengänge gefördert, dieses Jahr werden es weitere acht sein. Wir haben sie im Wege des Wettbewerbs ausgeschrieben; eine Vielzahl von deutschen Universitäten hat sich an diesem Wettbewerb beteiligt. Gleichsam entsteht in den Universitäten ein Nukleus, in dem bereits exakt das stattfinden kann, was wir uns eigentlich für die Universitäten in ihrer Gesamtheit wünschen. Die notwendigen Maßnahmen in bezug auf Bachelor und Master sind von Ihnen angesprochen worden. Teilweise kann auch in der Lingua franca, also im englischen Unterricht, gearbeitet werden. Es ist von Anfang an, daß wir hierbei eine Aufteilung
„50 Prozent ausländische und 50 Prozent inländische Studenten" wollen.
Deshalb, lieber Herr Berninger, ist Ihre Bemerkung bezüglich des Geldes natürlich nicht richtig. Man müßte schon etwas weiter greifen.
({1})
- Ich komme gleich auf den Artikel zurück. - Die Wahrheit ist, daß wir gerade in diesem Bereich bewußt einen Schwerpunkt gesetzt und auch größere Investitionen vorgenommen haben.
Dazu gehört aber auch - es ist wichtig, daß Kollege Laschet dies angesprochen hat -, daß dies innerhalb der Bundesregierung koordiniert wird. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Aufbaustudiengänge im Bereich der Entwicklungshilfe. Da wird jetzt koordiniert, da wird an beides gedacht. Da arbeitet nicht der eine in die eine Richtung, und der andere tut auch etwas Gutes. Wir versuchen vielmehr, dies miteinander zu verbinden.
In diesem Zusammenhang ist mir allerdings noch etwas wichtig. Das hat wiederum etwas mit der mentalen Veränderung zu tun. Wie sollte es an Hochschulen, die total überlastet sind, in denen zwei Studierende auf einem Studienplatz sitzen, auch anders sein? Welches Interesse hat eigentlich die Hochschule oder der Hochschulprofessor, sich besonders um ausländische Studierende zu kümmern, vor allem dann, wenn dies kompliziert, schwierig und bürokratisch ist? Herr Laermann hat darauf hingewiesen.
Daß unsere Hochschullehrer im akademischen Mittelbau dies tun, ist zu loben. Sie haben es nicht einfach, aber sie tun es trotzdem, weil sie wissen, daß Wissenschaft immer international sein muß.
({2})
Aber das reicht nicht. „Hochschule international" ist eben mehr als Hochschulpartnerschaften, bei denen der Rektor irgendwo hinfährt und ein Abkommen unterschreibt. Es ist mehr als die Tatsache, daß irgendein Hochschulprofessor, weil er eine Liebe zu einem bestimmten Land und weil er Kontakte hat, etwas besonders pflegt. Dies muß vielmehr integraler Bestandteil der Arbeit sein.
Ich habe meine Erfahrungen gemacht, als ich versucht habe, zusammen mit den Hochschulen ein Marketingkonzept für die deutsche Hochschule im Ausland zu entwickeln. Es war gar nicht einfach, an einer deutschen Hochschule überhaupt jemanden zu finden, der sich bereit und zuständig erklärte, der in der Lage war, daran mitzuwirken, weil er ein Bild von der eigenen Hochschule hatte und weil er dies so aufbereiten konnte, daß es nach außen vermittelbar war. Wir haben versucht, eine CD-ROM zu produzieren, die etwa in den Goethe-Instituten und in den Botschaften für Interessenten zur Verfügung stehen sollte. Man konnte fast noch froh sein, daß sich irgend jemand in der Presseabteilung mit dieser Frage beschäftigte. Es war schon mehr als erstaunlich, daß die Frage, wer im vergangenen Jahrhundert einmal an dieser Universität studiert hat, für den einen oder
anderen wichtiger war als die Frage, welche modernen Angebote die Universität macht. Als ich in einem Zwischenstadium festgestellt habe, daß nur etwa 15 deutsche Hochschulen niedergelegt hatten, daß sie in Sachen Biotechnologie besondere Leistungen erbringen, ist mir der Kragen geplatzt; denn ich kannte alleine schon 20 Universitäten, die in diesem Bereich exzellent arbeiten.
Das zeigt mir, daß hinsichtlich der Frage, wie wir uns nach außen verkaufen, auch in den Hochschulen noch viel gelernt werden muß. Das ist eben keine Frage des Geldes, keine Frage des Hochschulrahmengesetzes, sondern die Frage, ob ich das will und wie ich das nach außen präsentiere, ob ich ein Bild von meiner Hochschule in der Welt habe.
({3})
Weil das so ist, müssen wir das Hochschulmarketing im Ausland noch trainieren. Dies muß gemeinsam gemacht werden.
Ich sage frank und frei:
Für mich ist die Frage, wieviel ausländische Studierende an einer Hochschule arbeiten, in Zukunft auch ein Kriterium für die leistungsabhängige Hochschulfinanzierung. Wir werden uns dazu durchringen müssen, diejenigen, die in diesem Bereich Besonderes leisten, finanziell besser auszustatten als diejenigen, die meinen, daß sie ihr Leben als Regionalhochschule fristen können. Ich zumindest bin dazu bereit.
({4})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in dem Zusammenhang eine Bemerkung zu den Voraussetzungen machen. Eine Voraussetzung ist - da stimme ich dem zu, was hier gesagt worden ist -, daß wir die ausländischen Studierenden mit offenen Armen empfangen. Man kann nicht auf der einen Seite CD-ROMs und Hochglanzbroschüren produzieren und damit im Ausland werben, aber auf der anderen Seite, wenn ausländische Studierende wirklich kommen, sich anders verhalten.
({5})
Das muß man sich jetzt wieder einmal praktisch vorstellen. Hierbei bitte ich - ich komme gleich auf das Thema Verwaltungsvereinbarung; das ist ohne Zweifel ein wichtiger Punkt - zu beachten, daß es wie so oft in Deutschland nicht nur eine Frage des Regelwerks ist, sondern oft auch davon abhängt, ob diejenigen, die für ein Thema Verantwortung tragen, auch bereit sind, diese Verantwortung wahrzunehmen.
Was geschieht denn mit dem Studierenden, der irgendwann freitags morgens aus welchen Gründen auch immer in Frankfurt ankommt, in seine zukünftige Hochschulstadt fährt und dort freitags mittags um 14 Uhr ankommt? Er hat Pech. Wann kümmert sich nämlich der erste um ihn? In der Regel doch montags früh, wenn der Schalter wieder aufgemacht worden ist. Hier steht nicht die Frage der Dienstleistung und ein Empfang mit offenen Annen im Mittelpunkt, sondern die Frage der Dienststunden, die da
abgerissen werden müssen. Auch das ist Realität in der Bundesrepublik Deutschland.
({6})
Ich sage das, obwohl ich weiß, daß ich jetzt wieder eine Vielzahl von bösen Briefen bekommen werde. Ich finde aber, auch darüber muß geredet werden. Man kann nicht immer nur mit den Fingern auf andere zeigen. Jeder muß zuerst einmal an der Stelle die Verantwortung übernehmen, an der er steht.
({7})
Es war natürlich wichtig, um dieses Signal auszugeben, daß wir die Verwaltungsvorschriften geändert haben. Herr Braune, Sie wissen, daß ich nicht zu den Leuten gehöre, die irgend jemanden persönlich angreifen. Aber das, was Sie hier in Ihrer Rede geliefert haben, ist nun wirklich das Abständigste, was ich je gehört habe.
({8})
Das mindeste, was man machen sollte, wäre, sich vorher zu informieren. Wenn Sie schon nicht wissen, was eine Verwaltungsvereinbarung ist und wie so etwas im Verhältnis zwischen Bund und Ländern läuft, dann sollten Sie auch nicht davon reden.
Der Sachverhalt ist doch ganz einfach; ein klein wenig Information hilft da. Man muß in einem komplizierten Verfahren zwischen Bund und Ländern über solche Vereinbarungen reden; das ist wahr. Nachdem wir die entsprechenden Angebote an die Länder gemacht haben, haben die Länder jetzt die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen. Ich mache den Ländern überhaupt keinen Vorwurf, daß sie dafür eine gewisse Zeit brauchen. Daß wir jetzt im Bereich der Politik sind, ist doch auch eine völlig normale Sache. Daß es jetzt wieder Leute gibt, die in der Hoffnung draufzusatteln versuchen, daß sie dann vielleicht noch mit mir und Herrn Kanther eine Diskussion führen können, mag ja in der Politik auch alles noch gang und gäbe sein. Sie hätten aber wissen müssen, daß wir unabhängig von inhaltlichen Diskussionen, die wir von mir aus in den nächsten Monaten noch führen können, angeboten haben, die jetzt gefundene Lösung schon einmal in Kraft zu setzen, damit diejenigen, die jetzt kommen, davon profitieren.
({9})
Die Vereinbarungen werden im Mai in Kraft gesetzt, weil die Länder inzwischen zugestimmt haben. Vor dem Hintergrund dieses Sachverhalts sollte man sich hier nicht aufplustern und eine solche Funktionärsrede halten, sondern sich informieren. Sie sollten sich wirklich dafür schämen, Ihre Rede so vorbereitet zu haben.
({10})
- Entschuldigen Sie einmal, Herr Tauss, und hören Sie auf mit Ihrer Blökerei. Ich habe es Ihnen schon mehrmals gesagt: Vorher das Gehirn einschalten, dann den Mund aufmachen. Diese Empfehlung sollte man Ihnen wirklich geben.
({11})
Jetzt noch zu Ihrer Frage, Herr Berninger, weil dieser Punkt natürlich wichtig ist. Wir haben mit Partnern zu tun, die exzellente Arbeit leisten. Dazu gehört ohne jeden Zweifel und ohne jede Einschränkung die Humboldt-Gesellschaft, dazu gehört auch der DAAD. Sie wissen, daß ich den Präsidenten des DAAD sehr schätze. Er macht im Bereich der Hochschulpolitik in Deutschland wirklich einen guten Job. Ich sage hier aber auch frank und frei, daß ich mich sehr über diesen Artikel geärgert habe, weil er in der Sache nicht stimmt, aber natürlich auf eine Quelle zurückgeht.
Ich glaube nicht, daß die Geschäftsführung des DAAD in diesen Fragen bereits das macht, was man von ihr erwarten muß und was auch von solchen Organisationen an Innovation zu erwarten ist. Darf ich bitte einmal die Frage stellen: Wo steht denn geschrieben, daß es davon abhängig ist, ob ein ausländischer Student nach Deutschland kommen kann, daß er von uns noch ein Stipendium bekommt, sprich, daß er Geld bekommt? Wo steht das denn bitte im Zeitalter der Globalisierung geschrieben?
Es gibt Menschen im Ausland, vor allen Dingen in Asien, die Studiengebühren, zusätzlich viele tausend Dollar und mehr dafür zahlen, in den USA studieren zu können. Bei uns aber gibt es Menschen, die glauben, sie könnten sich erst dann in Bewegung setzen, wenn der Staat vorher Geld für ein Stipendium zur Verfügung gestellt hat. Warum werden nicht Servicepakete angeboten, indem gesagt wird: Unsere Leistungen gegen Geld für diejenigen, die es sich leisten können, im Ausland zu studieren? Für diejenigen aber, die sich dies nicht leisten können - dafür bin ich allerdings sehr -, geben wir dann Stipendien, damit keine soziale Trennung, kein sozialer Selektionsmechanismus entsteht.
({12}) Weil das so ist
({13})
- Herr Berninger, ich sage dies noch; vielleicht erübrigt sich dann Ihre Frage -, wird nirgendwo - auch nicht bei diesem Programm und den sechs, wenn ich mich richtig erinnere, Nachwuchswissenschaftlern, die nicht nach Deutschland kommen können - etwas eingespart. Es geht vielmehr konkret darum, daß dies eine rein buchungstechnische Angelegenheit ist. Der DAAD wird wegen des Hochschulprogramms keine D-Mark weniger haben. Das Geld wird vielmehr zusätzlich zur Verfügung gestellt. Es handelt sich um ein verwaltungsinternes Verfahren. Um es ganz ehrlich zu sagen: Ich habe es mir erklären lassen; ich habe es nicht verstanden. Es war sehr kompliziert. Nur das Ergebnis interessierte mich. Deshalb
wird das, was da in diesem Artikel initiiert worden ist, verpuffen.
Herr Minister, der Kollege Berninger - Sie sehen es ja - möchte eine Zwischenfrage stellen. Darf er das?
Aber ja.
Bitte.
Herr Rüttgers, Sie haben meine Frage richtig vorausgesehen. In dem mir vorliegenden Artikel wird geschrieben, daß dem Deutschen Akademischen Austauschdienst 6,7 Millionen DM weniger zur Verfügung stehen sollen. Es handelt sich nicht um 6, sondern nach Auskunft des mir vorliegenden Artikels - das ist meine Grundlage - um „42 ausländische Gastdozenten" . Sie können also zusagen, daß diese Kürzung, die hier beschrieben ist, nicht erfolgt und daß diese Gastdozenten im nächsten Wintersemester nach Deutschland kommen können?
Ja. Ich beziehe meine Antwort auf die Gastdozenten, weil der andere Teil der Frage eine buchungstechnische Frage ist. Die angesprochenen Kürzungen werden auf jeden Fall - entweder dieses oder nächstes Jahr - ausgeglichen. Diese Information hat man mir gegeben. Bezüglich der weiteren Details habe ich die Segel gestrichen, weil ich es mir nicht mehr erklären lassen wollte. Denn die Kameralistik ist, wie Sie wissen, ein Punkt, der mich gerade im Rahmen der Bildungspolitik furchtbar ärgert.
Ich glaube, daß wir - insofern bin ich für die Große Anfrage dankbar - mit dieser Debatte und mit dem, was damit verbunden ist und was dadurch initiiert worden ist, einen unglaublichen Beitrag zur Veränderung der deutschen Hochschullandschaft geleistet haben. Dies ist ein Teil des Prozesses der Hochschulreform, und zwar ein wichtiger, weil er uns zum einen Maßstäbe setzt für das, was wir erreichen müssen, und zum anderen einen Spiegel vorhält, wie uns unsere ausländischen Freunde und Partner sehen.
Insofern danke ich sehr herzlich nicht nur für die Große Anfrage, sondern auch für die Debatte, die zumindest in Teilen sehr erfreulich und weiterführend war.
({0})
Das Wort hat der Kollege Kubatschka, SPD.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rüttgers, Sie haben soeben von einer teilweise erfreulichen Debatte gesprochen. Das kann ich natürlich zurückgeben: Auch Ihr Beitrag war teilweise erfreulich. Aber
das Treten können Sie nicht lassen. Anscheinend ist Ihnen der Kollege Braune - um in der Fußballsprache zu bleiben - enteilt. Dann haben Sie von hinten nachgetreten. Sie würden auf dem Fußballfeld die rote Karte erhalten.
({0})
Wenn Sie auf Verwaltungsvorschriften hinweisen, dann müßten Sie Ihrer eigenen Fraktion Nachhilfeunterricht erteilen. Denn im Antrag vom 21. April 1998 steht unter Punkt II:
Der Bundestag fordert die Länder auf, den Verwaltungsvorschriften zuzustimmen.
Sie haben gerade gesagt, sie hätten zugestimmt. Da gab es wohl eine mangelnde Absprache. Das können Sie nicht uns in die Schuhe schieben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über den Hochschulstandort Deutschland sprechen, dann ist zu fragen, was eher die Stichworte sind: internationale Attraktivität oder Mißstände beim Studium? Leider ist letzteres eher das Thema. Die internationale Attraktivität unserer Hochschulen hängt unmittelbar mit den Studienbedingungen in Deutschland zusammen. Wenn für 1,9 Millionen Studierende nur 950 000 Studienplätze zur Verfügung stehen, sitzen deutsche und ausländische Studierende nun einmal im selben Boot. Auf einen Studienplatz treffen zwei Studierende.
Wir werden uns in Zukunft bei den Hochschulen mit einer spannenden Aufgabe auseinandersetzen. Unsere Hochschulen müssen für die Informationsgesellschaft fit gemacht werden. Dieser Übergang zur Informationsgesellschaft ist mit den Humboldtschen Bildungsidealen zu verknüpfen, die sich amerikanische Universitäten längst zu eigen gemacht haben. Dies dürfte letztlich der Weg zum Erfolg sein. Bildung made in Germany könnte dann wieder ein Qualitätssiegel sein und damit zu einem Anziehungspunkt für ausländische Studierende werden.
({1})
Was aber sagt Bildungsminister Rüttgers? Er sagt: Humboldt ist tot.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Auslandsstudium von Deutschen und Studium von ausländischen Studierenden in Deutschland sind zwei Seiten einer Medaille. Daß nur 40 000 Deutsche im Ausland studieren, ist alarmierend. Das sind 100 000 zuwenig. Statt das Auslandsstudium attraktiv zu machen, handelt die Bundesregierung genau umgekehrt. Die Bundesregierung hat dem Bemühen um Internationalität der Hochschulen schweren Schaden zugefügt, indem sie in der 18. BAföG-Novelle die Anrechnung der Auslandsförderung auf die Förderungshöchstdauer durchgesetzt hat.
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Sie setzt noch eines drauf: Ich darf daran erinnern, daß die Bundesregierung eine unbefristete Studienförderung an Hochschulen in der EU zu InlandssätHorst Kubatschka
zen beharrlich ablehnt - wahrlich ein negatives Zeichen, und dies in Zeiten des Euro.
Übrigens hat das Hohe Haus gestern mehr als acht Stunden über Europa debattiert. Die europäische Kultur, unsere gemeinsamen Wurzeln, hat da nur eine Nebenrolle gespielt; eine Ausnahme war die Rede von Herrn Scharping. Das müßte uns Bildungspolitiker eigentlich wachrütteln.
Ausländische Studierende in Deutschland und deutsche Studenten im Ausland sind Botschafter deutscher Kultur. Sie werben für Verständnis für Deutschland. Sie sind natürlich auch Türöffner für die deutsche Exportindustrie. Das wäre aber viel zu kurz gesprungen. Entscheidend ist die kulturelle Frage. Das bestehende Potential im Ausland wie im Inland muß besser genützt werden. Vor allem ehemalige ausländische Studenten müssen laufend betreut werden.
Mit dem heute vorgelegten Antrag „Internationalität der Hochschulen" macht die SPD-Fraktion eine ganze Reihe von Lösungsvorschlägen. Ohne diese werden ausländische Studierende auch weiterhin feststellen müssen: Studieren in Deutschland ist unattraktiv.
Ich danke fürs Zuhören.
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Das Wort hat der Kollege Dr. Ruck, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich einige Elemente dieser Hochschuldebatte vertiefen. Zuerst möchte ich Herrn Laermann dafür danken, daß er sich von der allgemeinen Larmoyanz der Opposition wohltuend abhob.
({0})
Ich habe neulich in meiner Heimatuniversität Augsburg das neue Physikinstitut besucht. Da wurden mir hervorragende Leute von Harvard und Stanford, aber auch von Moskau vorgestellt. Das ist, glaube ich, doch ein Zeichen dafür, daß es nicht so schlecht sein kann, wie die Opposition es uns immer weismachen will.
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Das heißt aber nicht, daß wir Probleme unter den Tisch kehren sollten.
Herr Braune, ich will nicht nachtreten, aber ich glaube, Sie leisten der Diskussion einen schlechten Dienst, wenn Sie so tun, als sei das nur eine Sache des Bundes. Wir haben in der Hochschulpolitik eine sehr, sehr gemischte Landschaft. Der Schwerpunkt der Verantwortung liegt natürlich bei den Ländern. Das soll meiner Meinung nach auch so bleiben.
Wenn Sie das anders wollen, müssen Sie sich entsprechend artikulieren.
Der Antrag der jungen Gruppe, für den ich mich sehr herzlich bedanke, fordert zu Recht zum Beispiel eine Verbesserung der Marketingbemühungen für unser Produkt Hochschule. Das hat auch Minister Rüttgers angeschnitten. Auch in diesem Punkt müssen alle an einem Strang ziehen. Die Werbebemühungen der vielen Beteiligten - der Universitäten, der Länder, des Bundes - ergeben im Ausland natürlich ein sehr vielfältiges und buntscheckiges Bild, dem die Konkurrenzländer wie Amerika und England, aber auch Holland und Frankreich eine viel stringentere und viel einheitlichere Werbestrategie entgegensetzen.
Hier müssen wir uns einfach zusammenraufen, um mit einer professionelleren gemeinsamen Marketingstrategie für ausländische Studenten mehr Durchschlagskraft zu entwickeln, mehr Aufmerksamkeit zu erzielen, mehr Überblick zu verschaffen und auch das bestehende Interesse besser zu kanalisieren.
Dazu gehört natürlich auch - das ist vollkommen richtig - ein überschaubares Serviceangebot für Studenten. Nur, auch das kann nicht der Bund bereitstellen. Ich verweise ausdrücklich auf die Ansätze des Münchener Studentenwerkes, das in einem Paket pro Semester Unterkunft, Essen, Bibliotheksbenutzung, Rechtsberatung, Tutorenbegleitung und Hilfe in allen Lebenslagen anbietet. Das sei zur Nachahmung empfohlen.
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Von den auf den Weg gebrachten bürokratischen Erleichterungen - Rüttgers-Kanther-Initiative - war schon die Rede. Ich möchte einen anderen Punkt ansprechen, die flexiblere Handhabung der Barriere Deutschkenntnisse an den Universitäten selbst. Für ein Germanistikstudium muß ich hier die Meßlatte natürlich viel höher legen als für ein Ingenieurstudium, bei dem ohnehin die zweite Muttersprache Englisch ist. Ich verweise wieder auf den Modellversuch der TU München, der, mit der Genehmigung des bayerischen Kultusministeriums, auch hier einen sehr elastischen und flexiblen Weg geht.
Noch besser ist es selbstverständlich, wenn ausländische Studenten bereits in ihren Heimatländern Gelegenheit hatten, ausreichende Deutschkenntnisse zu erwerben. Ich bedaure natürlich auch, daß wir angesichts der knappen Haushaltslage das Engagement der Goethe-Institute nicht erweitern können. Nur, so zu tun, als sei hier ein Kahlschlag erfolgt, ist natürlich falsch. Die Wahrheit ist, daß wir nach 1990 das Engagement der Goethe-Institute in vielen Ländern erheblich erweitert haben. Wir haben natürlich in dem einen oder anderen Fall von Zweigstellen schon entscheiden müssen, was noch geht und was nicht geht.
Allerdings möchte ich auch den Goethe-Instituten selbst den Rat geben, daß man, wenn gespart werden muß, vor allem bei der Administration im Inland spaDr. Christian Ruck
ren sollte, um die Präsenz im Ausland in unverminderter Stärke aufrechterhalten zu können.
Ich möchte noch einen weiteren Baustein ansprechen, der mit unseren eigenen Studenten zu tun hat. Wir sind mit deutschen Bewerbern bei internationalen Organisationen unterrepräsentiert. Beim letzten Auswahlwettbewerb für die Europäische Kommission beispielsweise kamen unsere Hochschulabsolventen kaum zum Zuge. Unsere deutschen Hochschulen beginnen zwar allmählich, sich für diese Problematik zu interessieren; aber wir müssen auch da soweit kommen, künftig spezielle EU-Curricula anzubieten, um unsere jungen Leute besser auf den Wettbewerb vorzubereiten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich möchte noch einen Appell an die Wirtschaft richten: Wenn sich die Politik bemüht, die Hochschulen unseres Landes wieder interessanter für hochbegabte ausländische Studenten, gerade aus Schwellenländern und gerade in den technisch-naturwissenschaftlichen Fächern, zu machen, so geschieht dies ja, wie bereits diskutiert, durchaus auch als langfristige Strategie des Ausbaus, des Aufbaus und der Sicherung von Handels- und Wirtschaftskontakten. Es wäre daher sehr zu begrüßen, wenn angesichts der knappen öffentlichen Mittel auch die deutsche Wirtschaft auf freiwilliger Basis noch stärker als bisher mithilft, Stipendien zu vergeben oder die Verbesserung der Marketingbemühungen zu unterstützen.
All die genannten kleinen Schritte sind notwendige Mosaiksteine für eine Gesamtstrategie zur Verbesserung der internationalen Attraktivität unserer Hochschulen. Das Wichtigste ist jedoch, daß unsere Universitäten durch mehr Wettbewerb, durch mehr Leistung und durch mehr Autonomie von sich aus wieder mehr Profil und mehr internationales Renommee erwerben. Dies ist Sache von Bund, Ländern und Universitäten.
Ein wichtiger Baustein ist auch, daß das neue Hochschulrahmengesetz endlich Wirklichkeit wird, nachdem es den Bundestag passiert hat. Ich appel-Here noch einmal an die Opposition und den Bundesrat, endlich ihren Widerstand mit diesem lächerlichen Aufhänger des Studiengebührenverbotes aufzugeben.
({3})
- Aber es ist Sache der Länder, darüber zu entscheiden, Herr Kubatschka. Da geht es doch gar nicht darum, ob man Studiengebühren will oder nicht, sondern darum, wer darüber bestimmt. Das ist Sache der Länder. Es ist wirklich ein lächerlicher Vorwand, um das Hochschulrahmengesetz zu blockieren.
({4})
Damit blockieren Sie auch einen wichtigen Schritt hin zu einer Universitätsreform an Haupt und Gliedern. Insofern, Herr Braune, muß ich auch sagen, daß es ein dünnes Ablenkungsmanöver ist, das Sie geboten haben, um von Ihrem eigenen Versagen abzulenken. Deswegen weisen wir das auch zurück.
({5})
Das Wort hat der Kollege Stephan Hilsberg, SPD.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erkennen durchaus an, daß Sie sich seit einiger Zeit um die Attraktivität des Hochschulstandorts Deutschland international bemühen. Allerdings muß man auch den Eindruck haben, daß es sich für die Koalition bei diesem Thema um ein Entlastungsthema handelt. Ich habe den Eindruck, daß hier von den harten Facts hinsichtlich Ihrer Verantwortung in bezug auf die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen, hinsichtlich Ihrer Verantwortung in bezug auf die Überlastung an unseren Hochschulstandorten, hinsichtlich der Unterfinanzierung des Hochschulbaus, beispielsweise der Unterfinanzierung des Sonderprogramms, und hinsichtlich all der anderen Punkte, die hier in Frage kommen, abgelenkt werden soll.
Wenn man sich den Antrag Ihrer Koalition anschaut, dann wird das besonders deutlich. Das, was dort an Forderungen an die Bundesregierung enthalten ist, ist zu unterstützen; aber es reicht in keiner Weise aus. Wenn ich nicht für alle Studenten gleichermaßen die allgemeinen Studienbedingungen verbessere, dann besteht eine Situation, unter der die ausländischen Studenten genauso leiden. Da die ausländischen Studenten des Deutschen nicht so mächtig sind, haben sie einen „Standortnachteil" und müssen unter dieser Situation besonders leiden. Nur wenn es Ihnen gelingt, den Mangel an dieser Stelle zu beheben, dann werden Sie auch die internationale Attraktivität des Hochschulstandortes Deutschland verbessern.
Sie haben völlig recht: Dieser Appell richtet sich gemeinsam an Bund und Länder; das Schwarzer-Peter-Spiel, das hier gelegentlich gespielt wird, ist meines Erachtens unwürdig.
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Insgesamt brauchen wir eine große, gemeinsame Kraftanstrengung. Wir können bei Ihnen erkennen, daß Sie sich um das Thema zwar bemühen, es eigentlich aber nicht in den Griff kriegen.
Herr Berninger, ich möchte auf Sie eingehen. Sie haben zu Recht von der Zeit von 1933 bis 1945 gesprochen. Das Versagen der akademischen und intellektuellen Elite in der Zeit des Dritten Reiches wirkt für unser Land bis heute schwer nach. Aber der Brain-Drain, der damals stattgefunden hat, ist für meine Begriffe nicht mehr der Grund für die mangelnde Attraktivität. Die Qualität unserer Forschung in Deutschland ist international anerkannt, und inzwischen haben wir auch wieder einige Nobelpreisträger. Das kann also nicht die Ursache dafür sein, daß zu wenige ausländische Studenten vom Hochschulstandort Deutschland angezogen werden; vielmehr ist der entscheidende Punkt die Qualität der Lehre, die Forschungsergebnisse werden zuwenig umgesetzt.
({1})
Der zweite wesentliche Punkt steht mit dem Dritten Reich in unmittelbarem Zusammenhang. Es ist doch sehr bedenklich, daß wir nicht nur an der Bundeswehrakademie in Hamburg, sondern auch an Universitäten rechtsextreme Tendenzen zu beklagen haben. Ein Land mit unserer Vergangenheit kann sich derartiges nicht leisten, wenn es weltoffen, also auch offen für ausländische Studenten, erscheinen will.
({2})
Natürlich muß das Marketing verbessert werden. Dagegen haben wir überhaupt nichts. Vieles von dem, was Herr Rüttgers gesagt hat, kann man unterschreiben. Ich habe den Eindruck, daß plötzlich die Universitäten zu Sündenböcken dafür gemacht werden, daß das Marketing nicht funktioniert. So kann es ja wirklich nicht richtig sein.
({3})
Wie kann man sich denn um eine Verbesserung des Marketings unseres Hochschulstandorts bemühen, wenn wir gleichzeitig mehrere Standorte der Goethe-Institute schließen?
({4})
- Verehrter Herr Kollege Laschet, hier findet ein Substanzverlust statt. Mit der Schließung des Goethe-Instituts in Reykjavik haben wir uns international blamiert. Wir sind unter die Schmerzgrenze geraten, die man sich an dieser Stelle hätte leisten können.
({5})
Lumpige 350 000 DM hätten doch wohl zur Verfügung stehen können, um diesen Standort aufrechtzuerhalten!
Wenn Sie behaupten, wir bräuchten eine leistungsabhängige Finanzierung der Hochschulen, um beispielsweise die Marketingmöglichkeiten der Hochschulen zu verbessern, sage ich Ihnen, daß da natürlich etwas Wahres dran ist. Doch bei Ihrer Politik bedeutet eine leistungsabhängige Finanzierung der Hochschulen lediglich eine Umverteilung. Nur wenn die Hochschulen über zusätzliche Mittel verfügen, werden sie mit diesem Instrument für meine Begriffe auch etwas erreichen können.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Schluß der Debatte. Das Thema, über das wir sprechen, ist wichtig. Es bleibt dabei: Ohne eine kräftige Substanzverbesserung bei den Hochschulen werden wir die Situation für ausländische Studenten nicht attraktiver machen. Zu dem dafür notwendigen Kraftakt scheinen mir bei der Bundesregierung nicht mehr die erforderlichen Reserven vorhanden zu sein; auch deshalb wird es Zeit für einen Wechsel.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10473 zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung und zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/9621 und 13/10451 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Walter Kolbow, Dieter Heistermann, Ernst Kastning, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Lage und Zustand der Bundeswehr - Drucksachen 13/7309, 13/8473 Es liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Widerspruch gibt es nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Peter Zumkley, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage gibt uns heute endlich die Gelegenheit, über die Lage und den Zustand der Bundeswehr zu debattieren. Die Bundeswehr hat es verdient, daß wir uns mit ihr wieder einmal im Plenum des Parlaments befassen. Gleich zu Beginn meines Beitrages möchte ich den Soldatinnen und Soldaten sowie den zivilen Mitarbeitern für ihre Leistungsbereitschaft und ihre Leistungen im alltäglichen Dienst unter teilweise schwierigen Rahmenbedingungen unseren Dank aussprechen.
({0})
Trotz schwieriger Umstrukturierung der Teilstreitkräfte und der Wehrverwaltung, der Kommandobehörden und Schulen, die ja noch nicht abgeschlossen ist, hat sich die Bundeswehr insbesondere im Rahmen von IFOR und jetzt von SFOR in Bosnien-Herzegowina als Friedens- und Stabilitätselement zusammen mit den Streitkräften anderer Staaten bewährt. Der geschundenen Bevölkerung konnte wieder Luft verschafft und damit die Chance zum Wiederaufbau des weitgehend zerstörten Landes eröffnet werden. Unsere Bundeswehr ist daran erfolgreich beteiligt. In
gemeinsamer internationaler Zusammenarbeit und mit zivilen Hilfsorganisationen leistet die Truppe in Bosnien zunehmend auch zivile Aufbauhilfe. Dies begrüßen wir. Dieser Einsatz verdient unser aller Anerkennung. Wir Sozialdemokraten unterstützen die Politik der Friedenssicherung und tragen sie voll mit.
({1})
In Anknüpfung an die großartige Leistung der Bundeswehr bei den Flutkatastrophen ab den 60er Jahren und der Bekämpfung verheerender Waldbrände hat die Bundeswehr wiederum, zusammen mit vielen anderen Organisationen, nicht zuletzt dem Bundesgrenzschutz und der Polizei, einen entscheidenden Anteil an der Sicherung und Verstärkung der Deiche an der Oder sowie den vielfältigen Hilfeleistungen für die betroffene Bevölkerung. Auch dafür danken wir allen Beteiligten. Nicht zuletzt sind die vielfachen humanitären Hilfseinsätze der Bundeswehr in aller Welt hervorzuheben.
({2})
Die Antwort auf unsere Anfrage, für die wir besonders den Mitarbeitern der Arbeitsebene auf der Hardthöhe danken, ist allerdings in vielen Bereichen geschönt. Wenn ich die Sicht des Bundesverteidigungsministers übernehmen würde, so muß ich sagen, daß ich dafür sogar in gewisser Weise Verständnis habe. Dabei wird in der Vorbemerkung der Antwort doch durchaus eingeräumt, daß die Bundeswehr einen schwierigen Reformprozeß durchläuft, begrenzte Engpässe und Friktionen unvermeidbar sind, ebenso wie Schiebungen und Streckungen von Ausrüstungsvorhaben.
({3})
Die erfolgten Plafondkürzungen betreffen besonders den investiven Bereich. Warum werden dann in den Antworten neben den Stärken nicht auch deutlich die Schwachstellen in der Bundeswehr genannt? Man hat gelegentlich den Eindruck, es gehe Ihnen, Herr Minister, besonders darum, nur ja keinen Mangel in der Bundeswehr zuzugeben. Karl Feldmeyer hat in der „FAZ" vom 19. Januar 1998 in einem anderen Zusammenhang - das trifft auch hier zu - folgendes geschrieben:
({4})
- Ja, hören Sie genau zu, was er geschrieben hat: Der Minister sollte „eine politisch pannenfreie, lautlos funktionierende Bundeswehr gewährleisten". Ich füge im Hinblick auf etliche Antworten auf unsere Anfrage hinzu: Macht er die entsprechenden Vorgaben?
Auftrag und Mittel stimmen in Teilbereichen der Bundeswehr nicht überein - zu Lasten der Soldaten und der zivilen Mitarbeiter, die häufig improvisieren müssen, die beispielsweise vor Problemen bei fehlender oder mangelhafter Ersatzteilversorgung insbesondere im Heer stehen und dadurch teilweise keinen interessanten und anforderungsreichen Dienst gestalten können, und dies trotz einiger Nachbesserungen im Haushalt, die wir unterstützt haben, die aber noch nicht ausreichend wirksam geworden sind.
Damit bin ich bei der Ausbildung unserer Soldaten. Die Kontingentausbildung für den Einsatz in Bosnien ist nach meinem persönlichen Eindruck solide und gut. Gleiches gilt für die Ausrüstung dieser Kontingente, wobei wir besonders das Schutzkonzept für unsere Soldaten als wichtig erachtet haben. Dies ist insgesamt zufriedenstellend gelöst; dies erkennen wir an. Aber ob die sonstige Ausbildung insbesondere wiederum bei der schwierigsten Teilstreitkraft, dem Heer, überall und durchgehend den Anforderungen für einen einsatzbereiten Soldaten entspricht, muß hier und da bezweifelt werden. Fehlendes Ausbildungspersonal wegen Abwesenheit aus vielfältigen Gründen, angespannte Materiallage und eine sich verschlechternde Infrastruktur sind Gründe hierfür.
Immer noch gibt es zu viele Wehrpflichtige, die sich trotz in der Regel bemühter Vorgesetzter nicht ausgelastet fühlen und teilweise den Eindruck haben, nicht so richtig gebraucht zu werden. Würden die Wehrpflichtigen zu Hause und in ihrem Freundeskreis mehr über einen interessanten und fordernden Dienst sprechen, könnte auf manche teuer bezahlte Nachwuchswerbung verzichtet werden.
Besonders in derartigen nicht überall zufriedenstellenden Situationen, aber auch sonst kommt es auf die Motivation der Soldaten besonders an. Die Beachtung der Grundsätze der inneren Führung, das offene Gespräch, eine in guter Atmosphäre stattfindende politische Bildung, eine gerechte Dienstzeitregelung und angemessene Mitwirkung sind hierzu wichtige Elemente.
({5})
Hieran muß gerade jetzt mehr als bisher gearbeitet werden.
Sosehr ich verstehe, Herr Minister, daß bestimmte Vorkommnisse so schnell wie möglich aufgeklärt werden müssen, auch angesichts der auf schnelle Nachrichten erpichten Medien und möglicherweise ungeduldiger Abgeordneter, sollten die verantwortlichen Führungsebenen nicht ohne Not übersprungen werden, sollte nicht zu schnell bis nach „unten" durchgegriffen werden.
({6})
Dies gilt auch für disziplinare Würdigungen und nicht nachvollziehbare plötzliche Versetzungen. So besteht die Gefahr, das notwendige Vertrauen zu verlieren.
Die schwierigste Aufgabe haben die Vorgesetzten in der alltäglichen Ausbildung der Truppe und in der Erhaltung der technischen Einsatzbereitschaft der Waffensysteme und Großgeräte. Alle übergeordneten Stellen müssen sich deshalb auch als Dienstleister für diese Ebene in unterstützendem Sinne verstehen, ihr den Rücken freihalten. Sorgen Sie, Herr Minister, dafür, daß nicht die Verwaltungstätigkeiten die Vorgesetzten von den ihnen anvertrauten Soldaten fernhalten. Der Kompanie- oder Batteriechef und
der Bataillonskommandeur müssen mit ihrem Gesicht zur Truppe stehen können
({7})
und nicht mit ihrem Rücken, weil sie zu sehr von oben in Anspruch genommen werden oder glauben, diese Haltung sei ihnen nützlicher.
({8})
Im übrigen verdienen insbesondere diese Offiziere die volle Einbeziehung in alle Informationsstränge der Streitkräfte. Nur der wissende Vorgesetzte besteht in der Auftragstaktik.
({9})
Wir halten an der Wehrpflicht fest. Sie wirkt sich auf die Qualität und die gesellschaftliche Einbindung von Streitkräften besonders günstig aus. Wir gewinnen Reservisten mit vielfältigen zivilberuflichen Erfahrungen. Dieses Potential muß genutzt werden. Zur Zeit ist dies noch nicht zufriedenstellend der Fall. In diesem Zusammenhang möchte ich herausstellen, daß die Freiwilligkeit von qualifizierten Reservisten für den Dienst in der Bundeswehr von besonderem Wert ist.
({10})
Gerade wegen einer grundsätzlich intakten Bundeswehr sind Sich-auf-die-Schulter-Klopfen und die zur Eigenberuhigung getroffene Feststellung, wie gut doch alles sei, völlig fehl am Platze. Wir wollen eine in Gänze einsatzbereite Bundeswehr, in der Auftrag und Mittel übereinstimmen, Über- und Unterforderungen vermieden werden und ein positiver Geist, der Geist des Staatsbürgers in Uniform, spürbar ist.
Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort hat der Kollege Paul Breuer, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rede des Kollegen Zumkley, die ja ausdrückte, daß hier die grundsätzlich intakte Lage der Bundeswehr beraten werde und man an der Abstellung von Mängeln arbeiten müsse, stimmt nicht so ganz überein mit dem, was die SPD in ihrem Entschließungsantrag zum Ausdruck bringt.
({0})
Dort heißt es, der Zustand der Bundeswehr, die tatsächliche Lage der Bundeswehr, werde in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage verharmlost und sei in einem besorgniserregenden Zustand. Wenn man von einer grundsätzlich intakten Lage spricht - da stimme ich zu -, dann steht das im Widerspruch zu dem, was im Antrag der SPD ausgedrückt wird. Aber das ist für mich nichts Neues. Die Widersprüche in Ihrer Partei müssen auch ansonsten, gerade was die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik angeht, immer wieder zur Kenntnis genommen werden - und das will ich auch hier zum Ausdruck bringen.
({1})
Meine Damen und Herren, in den Anträgen und Äußerungen der SPD wird eines überhaupt nicht deutlich: daß gerade die Streitkräfte in den letzten Jahren sehr stark damit beschäftigt waren, sich einer grundsätzlich neuen Lage im wiedervereinigten Deutschland zu stellen, und ebenso durch die neue sicherheitspolitische Lage und Rolle der Bundesrepublik Deutschland besonders gefordert waren. Daß milliardenschwere Investitionen durch die Bundeswehr gerade in den neuen Bundesländern - über das eigentlich funktional Notwendige hinaus - vom Ideellen her notwendig waren, beispielsweise der Aufbau einer Offiziersschule des Heeres in Dresden, obwohl wir eine intakte Offiziersschule haben, wird in Ihrer Antragslage völlig verkannt. Ich muß Ihnen negativ anrechnen, daß Sie die großen Leistungen der Bundeswehr beim Aufbau in den neuen Bundesländern nicht ausreichend würdigen.
({2})
In der Rede des Kollegen Zumkley wurde auffällig oft gedankt. Meine Damen und Herren, wer auffällig oft dankt, der verbirgt etwas. Er verbirgt insbesondere, daß Sie sich in den letzten Monaten - November, Dezember, Januar, Februar - darum bemüht haben, die Bundeswehr niederzureden dadurch, daß Sie auf dem Sozius der Grünen, zusammen mit ihnen, den Untersuchungsausschuß eingerichtet haben in dem Glauben, daß wegen eines Generalverdachts jeder Winkel der Bundeswehr gefilzt werden müsse. Das muß hier deutlich gesagt werden.
({3})
Den Dank an die Bundeswehr teilen wir alle, da haben wir völligen Konsens. Aber die Bundeswehr ansonsten zu verdächtigen und in die Pfanne zu hauen, sich dann aber hier hinzustellen und Dank zu sagen, das ist höchst verdächtig, meine Damen und Herren.
({4})
Die Wertschätzung der Bundeswehr in der Öffentlichkeit ist weiter gestiegen. Das belegen hervorragende Umfrageergebnisse. Sie haben es nicht geschafft, daran etwas zu ändern, und werden es nicht schaffen. Im übrigen: Die SPD ist ja im Rückwärtsgang; sie rudert zurück, legt an unser Boot an und will in unser Boot einsteigen.
({5})
Sie sagt jetzt, sie habe den Untersuchungsausschuß gemacht, um den guten Ruf der Bundeswehr wiederherzustellen. Ein sehr seltsames Verfahren!
Meine Damen und Herren, sieht eine Organisation, die grundsätzlich intakt ist, so besorgniserregend aus, wie die Anträge der SPD dies darstellen wollen?
Das kann ja wohl nicht der Fall sein. Die Bundeswehr ist für unsere jungen Menschen attraktiv. Sie ist im In- und Ausland hochgeachtet. Ich bin davon überzeugt, daß Ihre Horrormeldungen über die Bundeswehr Ihnen niemand ernsthaft abnimmt.
Ihre gezielt verbreiteten Luftblasen von der angeblich so dramatischen Unterfinanzierung und der Erosion des inneren Zustandes
({6})
- diese Begriffe zitiere ich ja nur; es wäre ganz interessant, sie einmal einzelnen zuzuordnen - lösen sich bei näherer Betrachtung in Luft auf.
({7})
Meine Damen und Herren, das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme im Untersuchungsausschuß hat doch völlig klar bewiesen, daß das, was beispielsweise der Kollege Dieter Heistermann in einem „Stern"-Artikel Ende letzten Jahres äußerte, daß nämlich die Gefahr bestehe, daß sich eine „braune Subkultur" in der Bundeswehr ausbreite, absoluter Nonsens war.
({8})
Wir haben doch über 130 Stunden lang zusammengesessen.
({9})
Die Bundeswehr und ihre politische wie militärische Führung haben - das wissen wir - genügend effiziente Mittel, sich auch vor Rechtsradikalen zu schützen; diese haben in der Bundeswehr keine Chance.
Was soll, Herr Kollege Kolbow, eine Wehrstrukturkommission erreichen, die Sie in Ihrem Antrag verlangen? Ich möchte mich einmal mit den Vorstellungen beschäftigen, die in Ihrer Partei hinsichtlich der Zukunft und der Struktur der Bundeswehr vorhanden sind. Direkt gegenüber sitzt Kollege Opel, der eine Berufsarmee oder Freiwilligenarmee möchte; ich vermag den Unterschied nicht zu erkennen.
({10})
- Es steht mir gar nicht zu, Ihnen ein Denkverbot zu erteilen, auch wenn ich weiß, daß es in Ihrer Partei manche gibt, die das gelegentlich möchten.
({11})
Ich nehme zur Kenntnis, daß diese Vorstellung des Kollegen Opel in der SPD existiert. Ich nehme des weiteren zur Kenntnis, daß es in der SPD Vorstellungen gibt, eine Milizarmee mit sehr kurzen Grundwehrdienstzeiten einzurichten.
({12})
Ich nehme zur Kenntnis, daß Herr Scharping, der ja
auch empfohlen hat, statt des Eurofighters ein Transportflugzeug anzuschaffen, von einer Truppenstärke von unter 300 000 redet. Ich nehme zur Kenntnis, daß Sie zugleich eine Fünfjahresgaranntie für die Standorte abgeben.
({13})
Daß Sie eine Wehrstrukturkommission einrichten wollen, bei der Sie Kirchen, Gewerkschaften und was weiß ich wen beteiligen wollen, ist ein reines Ablenkungsmanöver. Es soll davon ablenken, daß Sie in der SPD nicht in der Lage sind, sich darauf zu einigen, wohin der Weg führen soll. Sollen denn, meine Damen und Herren, Bischof Lehmann oder Herr Schulte vom DGB demnächst sagen, wie es in der SPD im Hinblick auf Verteidigungs- und Sicherheitspolitik weitergehen soll? Sie haben keine Klarheit und meinen, eine Kommission würde Ihnen dabei helfen. Das ist kein Weg. Sagen Sie klar, was Sie wollen.
Ich rate Ihnen, zu allen Themen, zu denen Sie keine klaren Vorstellungen haben, Kommissionen einzusetzen. Setzen Sie eine Rentenreformkommission, eine Sozialreformkommission, eine Wirtschaftsreformkommission und was weiß ich ein. Aber vergessen Sie dann auch nicht die Kommission zur Koordinierung der Kommissionen. Der Beitrag, den die SPD hier zu bieten hat, ist jämmerlich.
Meine Damen und Herren, es wird der Tag kommen,
({14})
an dem Sie den Soldaten und ihren Familien sagen müssen, was Sie eigentlich wollen. Das haben Sie bisher unterlassen. Ihre Garantieerklärungen werden sich an diesem Tag in Luft auflösen.
Sie fordern in Ihrem Antrag Grundsätze und Ziele, denen die Struktur der Bundeswehr folgen soll, und die Ausrichtung von Struktur und Umfang der Bundeswehr unter sicherheitspolitischen und haushälterischen Gesichtspunkten. Aber all das, was Sie fordern, existiert doch längst. Wir haben auf der Basis einer fundierten sicherheitspolitischen Lageanalyse die verteidigungspolitischen Richtlinien, die konzeptionelle Leitlinie, das Ressortkonzept 1996, das Ressortkonzept Material, das Logistik- und Sanitätskonzept des Heeres, die künftige Organisation des Rüstungsbereiches und vieles mehr. Nehmen Sie das doch bitte zur Kenntnis und tun Sie nicht so, als sei das alles nicht vorhanden!
Dann vor allen Dingen folgendes, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD: Wenn Sie sich selbst nicht im klaren darüber sind, was Sie grundsätzlich wollen, und dann Regierungsverantwortung in der Koalition mit einem so chaotischen Partner wie die Grünen übernehmen wollen, die im Kern nicht nur wollen, daß Deutschland aus der NATO ausscheidet,
({15})
was einen Realitätsverlust ohnegleichen deutlich macht, sondern auch klarmachen, daß sie die sicherheitspolitische Situation, die Sicherheitsarchitektur in Europa zu keinem Zeitpunkt verstanden haben - sie wollen auch die Bundeswehr auflösen -, dann ist die Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Deutschland nicht nur auf dem Prüfstand, sondern sie gerät in eine Schieflage, die nicht nur für Deutschland, sondern auch für diesen Kontinent gefährlich wird.
({16})
Die Koalition steht im Gegensatz zur Opposition in der Verantwortung. Diese - das wissen wir - nimmt uns keiner ab. Wenn man in der Verantwortung steht, sieht man auf den ersten Blick nicht immer attraktiv aus. Natürlich ist uns klar: Wenn man Investitionen, insbesondere im infrastrukturellen Bereich, prioritär in den neuen Bundesländern vornimmt und sagt, im Westen müssen wir einsparen, und dadurch Engpässe entstehen, so produziert man Erklärungsbedarf und ist nicht besonders attraktiv.
Entscheidend ist aber, daß wir die Priorität der Investitionen im Osten zum Aufbau der Bundeswehr fortsetzen. Natürlich ist es nicht besonders attraktiv, wenn man notwendige Investitionsvorhaben im Bereich der Ausrüstung der Bundeswehr zurückstellen muß, weil man prioritär gebunden ist und die Gesamthaushaltslage des Bundes auf Grund der wirtschaftlichen Situation der vergangenen Jahre nicht so gut ist, wie wir sie uns wünschten.
Aber wir stehen in der Verantwortung, und wir sind keine Himmelsstürmer. Setzen Sie sich doch nicht nur dafür ein, daß für den Verteidigungsetat mehr Geld vorgesehen wird - das haben Sie gerade in den letzten Jahren mehrfach getan -, setzen Sie sich doch auch dafür ein, daß der Verteidigungsetat innerhalb des Gesamtetats des Bundes erhöht wird.
({17})
Da haben Sie uns doch an Ihrer Seite. Aber das setzen Sie ja nicht einmal bei Ihrer eigenen Fraktionsführung durch. Es ist nicht glaubwürdig, was Sie tun.
({18})
Ich habe keinen Antrag von Frau Matthäus-Maier im Deutschen Bundestag gesehen, der darauf abzielte, den Verteidigungsetat zu erhöhen.
({19})
Ich habe erlebt, daß sie den Eurofighter oder vorher den Jäger 90 immer wieder für alles mögliche verwandt hat. Das zeigt die besondere Seriosität der SPD im Bereich der Finanzpolitik. Genauso jämmerlich ist ihr Zustand im Bereich der Verteidigungspolitik.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({20})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Heistermann.
Da mich der Kollege Breuer persönlich angesprochen hat, möchte ich kurz einiges richtigstellen. Erstens. Kollege Breuer, mein Eindruck ist, daß Sie nicht an allen Sitzungen des Untersuchungsausschusses mit der Intensität teilgenommen haben, die nötig gewesen wäre.
({0})
Zweitens möchte ich feststellen, daß der MAD ausgeführt hat, daß es Subkulturen in der Bundeswehr gibt. Er hat sogar die Personengruppe benannt, die hierfür besonders anfällig ist. Ich denke, daß die Ergebnisse des MAD auch von Ihnen zur Kenntnis genommen werden sollten.
({1})
Drittens. Man muß die Bundeswehrführung vor Ihren Attacken fast in Schutz nehmen. Ich sage das deshalb, weil Sie hier so tun, als hätte es gar keinen Grund für die Einsetzung des Untersuchungsausschusses gegeben. Warum greifen die militärische Führung und der Minister von oben bis unten durch, um Vorgänge aufzuklären? Wenn das alles nur Einzelfälle gewesen wären, hätte man doch den Disziplinarvorgesetzten vor Ort die Entscheidung überlassen können. Sie hätten die Fälle regeln können.
Man sah sich jedoch gezwungen, von oben nach unten durchzugreifen, um Dinge aufzuklären. Genau das konterkariert Ihre blamablen Vorstellungen und Feststellungen, die Sie glaubten vortragen zu müssen. Wenn das also alles gar nicht so schlimm war, warum hat man dann von oben nach unten durchgegriffen? Überlegen Sie sich noch einmal Ihre Argumentation in aller Ruhe.
Die letzte Bemerkung, die ich machen möchte: Es waren die Vorsitzenden im Unterausschuß „Streitkräftefragen in den neuen Bundesländern" - beide wurden von den Sozialdemokraten gestellt -, die sich seit der Wiedervereinigung ständig um die neuen Bundesländer und um den Aufbau der Bundeswehr in den neuen Ländern gekümmert haben.
({2})
Was Sie behauptet haben, die SPD habe kein Verhältnis zu den neuen Bundesländern oder zu der Bundeswehr dort, weise ich in aller Form auch im Interesse der Kolleginnen und der Kollegen der CDU/ CSU ganz entschieden zurück.
({3})
Herr Kollege Breuer, wollen Sie erwidern?
({0})
Danke, Herr Präsident, ich möchte nur ganz kurz auf den letzten Punkt eingehen.
Wenn Sie ins Protokoll schauen, dann werden Sie feststellen, daß ich zu keinem Zeitpunkt behauptet habe, daß die SPD kein Verhältnis zur Bundeswehr in den neuen Bundesländern habe. Was ich hier gesagt habe - dabei bleibe ich -, ist: Sie sind im Rahmen Ihrer politischen Forderungen nicht bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, was die Bundeswehr insgesamt bezüglich des Verteidigungsetats gefordert hat. Sie tun ja so, als ob die Situation ganz normal wäre und als ob man sie so beurteilen könne, wie das vor 1989 der Fall war. Darum geht es.
Danke.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei, Bündnis 90/ Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will zu den bewußten Verdrehungen grüner Positionen durch den Kollegen Breuer ausdrücklich nichts sagen. Wenn Sie uns kritisieren wollen, dann kritisieren Sie bitte unsere tatsächlichen Aussagen.
({0})
Ich werde nur auf zwei Punkte eingehen: erstens auf die Finanzlage und zweitens auf die Wehrstruktur. Der Einzelplan 14 ist - neben dem für Arbeit und Soziales - der einzige Einzelplan mit einer nominalen Erhöhung in diesem Jahr. Die Regierung verspricht im 31. Finanzplan für die nächsten Jahre eine weitere Erhöhung, so daß in einigen Jahren der Investitionsanteil die berühmte Grenze von 30 Prozent erreichen werde. Dieses vor allem an Bundeswehrangehörige gerichtete Versprechen ist unglaubwürdig und völlig unhaltbar. Diese Auffassung hören Sie zunehmend unter den Soldaten.
Der Haushalt 1998 ist erst wenige Monate in Kraft. Aber schon berichtet Staatssekretär Wilz von einer ersten Lücke in Höhe von 800 Millionen DM. Am 15. Mai wird es die Steuerschätzung geben, und die neuesten Arbeitslosenzahlen werden vorgelegt. Danach wird es garantiert weitere Lücken geben. Nach der Bundestagswahl wird jede Regierung einen Kassensturz machen müssen. Danach wird es weitere Kürzungen geben. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Das heißt: Die Bundeswehr in ihrer jetzigen Planung ist nicht mehr finanzierbar. Damit stehen die Schlüsselfragen nach Auftrag, Umfang und Struktur der Bundeswehr auf der Tagesordnung.
Mit dem Beitritt von Polen, Tschechien und Ungarn zur NATO, mit dem kontinentalen Geflecht im Rahmen der Partnership for peace verbessert sich die sicherheitspolitische Lage der Bundesrepublik nochmals erheblich. Einer Verteidigungsstärke von 670 000 Mann und der Wehrpflicht als ihrem Rekrutierungsinstrument sind damit jede Begründung entzogen. Eine erhebliche Personalreduzierung der Bundeswehr ist damit möglich und nötig.
Diese Erkenntnis greift immer mehr um sich. Die meisten Vertreter der SPD weichen ihr bisher aus. Die SPD verschiebt diese Erkenntnis in die Wehrstrukturkommission. Die Koalition geht mit dieser Erkenntnis äußerst doppelbödig um: In der Realität sorgt Minister Rühe schon längst Schritt für Schritt - er ist in dieser Schritt-für-Schritt-Politik besonders erfahren - für die Umstellung der Wehrpflichtigen- auf eine Freiwilligenarmee. Zugleich aber wird in den höchsten Tönen die Wehrpflicht durch Idealisierung einerseits und Abwertung von Freiwilligenarmeen andererseits beschworen.
Im Untersuchungsausschuß erfahren wir, wie der Beitrag eines Teiles von Wehrpflichtigen zum sogenannten Geist in der Truppe inzwischen ist, nämlich offensichtlich sehr problematisch.
In den Fragen 124 ff. ihrer Großen Anfrage erkundigt sich die SPD nach durchschnittlichen Verpflichtungszeiten, Schulbildung, Personalkosten usw. in den Freiwilligenarmeen von Belgien, den Niederlanden, Großbritannien und USA. Die Bundesregierung verweigert die Antwort auf diese Fragen mit der vorgeschobenen Begründung, Ermittlungen seien zu schwierig gewesen. Ich meine, ein Rundfax an die vier deutschen Militärattachés in diesen Ländern hätte sehr schnell und mit Sicherheit die entsprechenden Daten ergeben, oder diese Herren sind ihr Geld nicht wert. Aber offenbar will die Bundesregierung, daß weiter mit populistischen Erfahrungen aus der nächsten Briten-Kneipe - Herr Breuer, Sie erinnern sich -, aber nicht auf Grund von systematischen Daten und Tatsachen über die Realität von Freiwilligenarmeen debattiert wird.
Diese tatsachenorientierte Debatte ist dringend notwendig, weil der Abschied von der Wehrpflicht kommt und vorbereitet sein muß und damit der Ausstieg aus der Wehrpflicht, die Umstellung auf eine reduzierte Freiwilligenarmee auch früh friedens- und abrüstungsförderlich, demokratie- und sozialverträglich gestaltet werden kann.
({1})
Denn das sind die unverzichtbaren Anforderungen an eine Änderung der Wehrstruktur.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat der Kollege Günther Nolting, F.D.P.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich möchte Ihnen zu Beginn für Ihre Große Anfrage danken. Ich möchte Ihnen auch meine Anerkennung aussprechen, daß Sie sich
in so umfassender Weise um die Belange der Bundeswehr Gedanken gemacht haben. Dies kann man wohl von meinem Vorredner, von den Grünen insgesamt, nicht sagen.
({0})
Herr Kollege Nachtwei, ich wiederhole es hier gerne noch einmal: Wer die Bundeswehr letztendlich abschaffen will, wer die NATO ablösen will, wer sich am Bosnien-Einsatz nicht mehr beteiligen will, der ist international nicht handlungsfähig, der ist national nicht regierungsfähig, der ist national auch nicht wählbar.
({1})
Ich sage Ihnen: Wenn Sie in diesem Bereich der Außen- oder Sicherheitspolitik jemals Verantwortung tragen sollten, so ginge über Jahrzehnte durch die liberalen Außenminister Scheel, Genscher und Kinkel aufgebautes Vertrauen, das Deutschland in der Welt genießt, verloren. Deutschland ginge wieder einmal einen Sonderweg ohne Verläßlichkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie sollten sich wahrlich überlegen - ich schließe an das an, was der Kollege Breuer gesagt hat -, wen Sie sich als Koalitionspartner suchen.
({2})
Aber dazu wird es ja auch nach der nächsten Wahl nicht kommen. Wir werden das zu verhindern wissen.
Ich komme zu Ihrer Anfrage zurück. Wir sagen dazu: Die innere Lage der Bundeswehr ist nicht schlecht, Herr Kollege Zumkley, auf jeden Fall nicht so schlecht, wie Sie es in Ihrem Entschließungsantrag aufzeigen. Aber die innere Lage - auch das sage ich Ihnen als Fraktion - könnte noch besser sein, wenn die große Oppositionspartei nicht durch Forderungen nach Strukturkommission und Untersuchungsausschuß und die dadurch öffentlich geführten Diskussionen genau die Verunsicherung herbeiführen würde, die Sie in Ihrer Einleitung beklagen, und damit versuchte, dies der Bundesregierung und dieser Koalition in die Schuhe zu schieben.
({3})
Ich halte aber auch fest, Herr Kollege Zumkley und Herr Kollege Kolbow, daß wir offenkundig über unsere parlamentarische Arbeit ein unterschiedliches Selbstverständnis haben.
({4})
Es ist die Aufgabe der Politik, den politischen Auftrag für die Bundeswehr zu erarbeiten und letztendlich auch zu erteilen. Aus diesem politischen Auftrag leiten sich dann automatisch weitere strukturelle Details ab. Diese Aufgabe ist nach unserem Verständnis unsere ureigenste Aufgabe. Denn die Bundeswehr
ist eine Parlamentsarmee, und sie soll aus unserer Sicht auch weiterhin eine Parlamentsarmee bleiben.
({5})
Daher, liebe Kollegen von der SPD, können wir unsere Verantwortung für die Zukunft der Bundeswehr nicht auf eine Wehrstrukturkommission abwälzen, wie Sie es immer fordern. Herr Kollege Kolbow, Sie haben das ja unlängst, nämlich am 8. April, auch in der Tageszeitung „Die Welt" gefordert. Ich habe auch hier den Eindruck, daß Sie damit von den Problemen, die Sie verursachen, ablenken wollen.
Nein, wir, die Parlamentarier, haben zu entscheiden. Wir müssen zu unserer eigenen Entscheidung stehen. Wir müssen den Mut dazu haben und dürfen die Verantwortung eben nicht wegdrücken.
Herr Kollege Zumkley, Sie haben in Ihrer Anfrage ausgedrückt, daß sich die Reduzierung der Wehrdienstdauer negativ auf den Ausbildungsalltag ausgewirkt habe. Ich bin der Auffassung, daß gewisse vorhandene Friktionen darauf zurückzuführen sind, daß die Reduzierung der zur Verfügung stehenden Zeit zwar erfolgte, gleichzeitig aber nicht die Ausbildungsanforderungen rechtzeitig zurückgeführt wurden. Ich halte aber fest, daß in den Hauptverteidigungskräften in zehn Monaten mit einem entschlackten Ausbildungsprogramm eine militärisch sinnvolle Ausbildung erzielt werden kann.
Für die Spezialverwendungen in den Hauptverteidigungskräften und für die Krisenreaktionskräfte haben wir den freiwillig länger dienenden Wehrpflichtigen geschaffen, übrigens, wenn ich das hier noch einmal sagen darf, auf Anregung der F.D.P. in der damals damit befaßten Koalitionsarbeitsgruppe.
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Ich denke, dies ist ein Instrument, das nach allen Aussagen, die mir jedenfalls bekannt sind, von Vorgesetzten und Wehrpflichtigen hervorragend beurteilt wird. Ich sehe hier ein vorrangiges Ziel für das Verteidigungsministerium, aber auch für uns Parlamentarier, die Zahl dieser Stellen deutlich zu erhöhen und dieses Instrument noch besser zu nutzen. Herr Kollege Kolbow, ich bedanke mich für die Unterstützung. Wir werden darauf zurückkommen.
Meine Damen und Herren, personell, denke ich, steht die Bundeswehr insgesamt gut da. Wir haben allen Grund, auf unsere Zeit- und Berufssoldaten, auf die Grundwehrdienstleistenden und freiwillig länger dienenden Wehrdienstleistenden sowie auf die zivilen Mitarbeiter stolz zu sein.
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Sie machen ihren Dienst hervorragend, und die Motivation ist weitgehend gut. Aber ich sage auch dazu: In materieller Hinsicht ist es zutreffend, daß es Schwierigkeiten gab und in Teilbereichen auch heute noch gibt. Es hat bei der Instandsetzung und bei der Ersatzteilbeschaffung durchaus Engpässe gegeben. Dies ist zum Teil strukturell bedingt, teils ist es auf die schwierige Finanzsituation zurückzuführen.
Ich sage dazu auch ganz offen: Es kann, solange die Gesamtsituation der öffentlichen Haushalte schwierig bleibt, auch hier keine endgültig befriedigenden Lösungen geben. Ich erlaube mir aber den Hinweis, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, daß es zu keiner Zeit in der Bundeswehr eine materielle Einsatzbereitschaft von 100 Prozent gegeben hat. Auch die sozialdemokratischen Verteidigungsminister Schmidt, Leber und Apel haben das nicht geschafft, obwohl damals weitaus mehr Finanzmittel verfügbar waren als heute.
Dies müssen wir auch den Soldaten heute sagen, weil ich mancherorts die Tendenz zu der Haltung feststelle, daß früher eben alles besser war. Dies ist nicht so, und jeder sollte seine Erinnerung in dieser Hinsicht sorgfältig überprüfen. Herr Kollege Zumkley, Sie sind bis 1987 in verschiedenen Verwendungen in der Bundeswehr tätig gewesen. Ich denke, Sie können das aus der eigenen Erfahrung heraus bestätigen.
({8})
Ich will damit überhaupt nicht beschönigen, daß die Materiallage, die wir heute haben, verbessert werden muß. Jedoch gilt auch hier wie für viele andere Bereiche die Grundregel, wonach wir die ständige Verpflichtung zu Verbesserungen haben. Wir sind als F.D.P. allerdings der Auffassung, daß die anstehenden Aufgaben der Bundeswehr finanziell besser bewältigt werden könnten, wenn die eingeleiteten Maßnahmen zur Aufwandsbegrenzung und Rationalisierung konsequenter verfolgt und durch eine vorbehaltlose Prüfung von Privatisierungsmöglichkeiten ergänzt würden.
Meine Damen und Herren, die Grundwehrdienstleistenden sind in ihrer aktiven Dienstzeit in der Truppe und später als Reservisten in der Gesellschaft das Herz der Bundeswehr. Ihnen muß weiterhin ein besonderes Augenmerk gelten.
Ich denke aber auch, daß neben einer verbesserten finanziellen Situation, für die wir in dieser Legislaturperiode gesorgt haben, wir alle, nicht nur die Verteidigungspolitiker, gefordert sind, auch moralisch immer wieder eines deutlich zu machen: Der Deutsche Bundestag steht zu den Soldaten der Bundeswehr und zu den zivilen Mitarbeitern. Wir erkennen den Dienst hoch an und verwahren uns gegen jede Verunglimpfung der Bundeswehr und ihrer Angehörigen.
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz auf die gegenwärtige Einberufungspraxis eingehen. Ich denke, daß angesichts der Situation in Deutschland darüber nachgedacht werden muß, ob die bestehenden Wehrdienstausnahmen noch angemessen sind. Im Vergleich zu Ausnahmen, die aus den 60er und 70er Jahren stammen, könnte es beispielsweise heute sinnvoller sein, junge Existenzgründer, die nachweislich Arbeitsplätze schaffen, vom Wehrdienst freizustellen. Dies wäre aus meiner Sicht eine legitime staatliche Interessenabwägung.
({10})
Sorge macht mir ebenfalls die Praxis der Gewährung des Arbeitsplatzschutzes besonders in den neuen Bundesländern. Immer wieder hört man, daß befristete Arbeits- oder Ausbildungsverträge geschlossen werden und daß die jungen Männer, wenn sie von der Bundeswehr kommen, in die Arbeitslosigkeit gehen müssen. Hier müssen wir - ich denke, auch darin stimmen wir überein - gemeinsam mit der Regierung und mit Vertretungen von Industrie, Handel, Handwerk und Gewerbe zu Verbesserungen kommen.
({11})
Ein Thema will ich heute natürlich nicht auslassen. Als F.D.P. werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, daß die Bundeswehr in Zukunft mehr Möglichkeiten für Frauen bietet, die sich freiwillig verpflichten wollen.
({12})
Hier muß dringend eine Lösung gefunden werden. Überall dort, wo Frauen freiwillig in der Bundeswehr mitarbeiten wollen, müssen wir die Möglichkeit dazu schaffen.
({13})
Meine Damen und Herren, vorhin habe ich schon die Presse vom 8. April 1998 angesprochen. Ich habe einen Artikel mit der Überschrift „SPD erwägt längeren Wehrdienst" mitgebracht. Bei der Lektüre war ich doch sehr erstaunt. Ich habe mir vorgestellt, wie der Kollege Kolbow auf dem nächsten SPD-Bundesparteitag eine Verlängerung des Wehrdienstes vorschlägt. Herr Kollege Kolbow, ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Oder handelt es sich dabei vielleicht um einen verspäteten und damit wohl auch letzten Aprilscherz?
Herr Kollege Nolting, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolbow?
Aber selbstverständlich, dem Kollegen Kolbow immer.
Herr Kollege Nolting, ich bestätige Ihnen zunächst gern, daß es sich nicht um einen letzten Aprilscherz gehandelt hat, habe aber Verständnis für Ihre Frage. Ich darf Sie fragen, ob Sie auch den Leserbrief mitgebracht haben, den ich zu diesem Artikel, insbesondere zur Überschrift, geschrieben habe. Wären Sie so freundlich, diesen Leserbrief, wenn Sie ihn schon dabeihaben, zu verlesen?
Lieber Kollege Kolbow, Sie werden ja gleich noch reden und es sicherlich selbst übernehmen, auf den Leserbrief einzugehen. Aber da Sie mich kennen, können Sie
davon ausgehen, daß ich selbstverständlich auch Ihren Leserbrief zur Kenntnis genommen habe.
({0})
Herr Kollege Kolbow, mit diesem Artikel und dieser Überschrift wollten Sie von den Problemen ablenken, die Sie mit Ihren internen Forderungen, internen Diskussionen über den Untersuchungsausschuß und die Wehrstrukturkommission und mit den öffentlichen Diskussionen erzeugt haben. Sie machen ja - wie wir auch - viele Truppenbesuche. Sie wissen, wie die Stimmung in der Truppe bezüglich Ihrer Forderungen nach einem Untersuchungsausschuß und nach einer Wehrstrukturkommission ist. Sie wissen, daß die Diskussion zur Verunsicherung in der Bundeswehr geführt hat. Dies ist gerade am letzten Mittwoch im Untersuchungsausschuß auf meine Frage vom Kommandeur Zentrum Innere Führung bestätigt worden. Stehen Sie also dazu und lenken Sie nicht von den Problemen ab! Stellen Sie diese Forderung! Ich wünsche Ihnen nochmals viel Erfolg dabei.
Meine Damen und Herren, der Kollege Heistermann hat die Arbeit des Verteidigungsausschusses als Untersuchungsausschuß angesprochen. Herr Kollege Heistermann, ich sage noch einmal: Alle Vorkommnisse sind Einzelfälle. Jeder Einzelfall ist ein Fall zuviel - darin stimmen wir überein -, und jeder Einzelfall wird geahndet. Aber ich sage an dieser Stelle noch einmal: Im Ausschuß haben sich bis jetzt bezüglich des Beweisthemas keine neuen Erkenntnisse gezeigt.
({1})
- Herr Kollege Zumkley, wir müssen uns an das Beweisthema halten. - Das Problem des Rechtsextremismus wird einseitig auf die Bundeswehr fokussiert. Die Bundeswehr wird in eine Ecke gestellt, in die sie nicht gehört.
({2})
Ich wiederhole das, was ich an anderer Stelle schon einmal gesagt habe: Wenn es das Problem der Gewalt und des Extremismus in der Gesellschaft gibt, dann lassen Sie uns bitte eine Kommission oder eine Arbeitsgruppe des Deutschen Bundestages - oder wie immer man dieses Gremium nennen will - einsetzen, damit dieses Problem der Gesellschaft gelöst wird und damit auch die Auswirkungen auf andere Bereiche der Gesellschaft mit untersucht werden können.
({3})
Meine Damen und Herren, zum Schluß: Sie haben eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation der Bundeswehr vorgelegt. Dies erkenne auch ich ausdrücklich noch einmal an. Ich wünsche Ihnen, daß Sie damit in der nächsten Legislaturperiode eine bessere Oppositionsarbeit machen können als in dieser.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt Graf von Einsiedel, PDS.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Meinungen über den Zustand der Bundeswehr sind ja wahrlich weit gefächert: von „zukunftsfähig", wie die Bundesregierung meint, bis „kritisch" und „besorgniserregend" laut SPD.
Auch ich bin in Sorge - aber weniger über den Zustand der Bundeswehr als vielmehr über die Rolle, die sie in bezug auf die zukünftige deutsche Sicherheitspolitik zu spielen beginnt. Ich bestreite ja gar nicht, daß die Bundeswehr die erste deutsche Armee ist, die einer intensiven Parlamentskontrolle unterliegt. Ob das Parlament aber mit seinen derzeitigen Mehrheiten diese Kontrolle ausreichend - vor allem im Hinblick auf Tendenzen der Armee, einen bestimmenden Einfluß auf die Außen- und Sicherheitspolitik der Regierung zu nehmen - wahrnimmt, ist die Frage. Jedenfalls anerkennen die Militärs den Primat der Politik.
Bei dieser Politik ist das auch kein Wunder. Wie sieht diese Politik eigentlich aus? Nach der Rettung von Menschen aus einer möglicherweise bedrohlichen Lage in Tirana durch einen Militäreinsatz, den der Bundestag nur noch nachträglich abnicken konnte, wurde dieser Militäreinsatz sofort zum Präzedenzfall - gerade von Herrn Nolting - und zum künftigen Normalfall erklärt. Grünes Licht für Minister Rühe, bald darauf stolz ein Manöver vorzuführen, bei dem eine im Atlantik gedachte Insel von der Form und Größe des Landes Rheinland-Pfalz zwecks Befreiung von Geiseln aus den Händen von Auf ständischen erobert wurde. Dieses Manöver zeigte drastisch, welche unverzeihlichen Defizite im politischen Denken herrschen.
Die Frage nach der völkerrechtlichen Grundlage einer solchen militärischen Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates - wenn es auch bloß ein gedachter Staat war -, die vom Völkerrecht ausdrücklich verboten ist - und dieses Verbot ist ein eherner Grundsatz des Völkerrechts -, konnte mir niemand beantworten. Auch nicht die Frage, ob eine solch weitgehende militärische Operation auch durchgeführt werden würde, ehe das Parlament darüber entschieden hätte. Das Manöver klappte natürlich parademäßig. Ob es sehr realitätsnah war? Die Generale behaupteten es. Ich fürchte, im Ernstfall hätte man nur noch - wie an der Schweinebucht - für die Soldaten beten können. Auch erhebt sich die Frage, welche Inseln in den weiten Weltmeeren denn noch für solche potentiellen Einsätze in Frage kommen.
Im März dieses Jahres nun hat sich die Bundeswehr mit über 6000 Mann an einem Manöver der NATO beteiligt, in dem gleich zwei Konflikte gleichzeitig ausgefochten wurden: der Verteidigungsfall in Nordnorwegen - gegen wen wohl, gegen die Finnen? - und ein Krisenmanagement auf der iberischen Halbinsel, sozusagen auf den Spuren der Legion Condor. Gleichzeitig versucht der Minister, den kroatischen und serbischen Streitkräften Aufbauhilfe zu
leisten - die Bundeswehr also als Nachfolger der habsburgischen k.u.k.-Armee auf dem Balkan.
({0})
Max Weber hat einmal gesagt, die Gründung des Deutschen Reiches sei ein Jugendstreich, der nur dann Sinn mache, wenn die neue deutsche Großmacht auch Weltpolitik treibe. Das hat sie ja dann auch getan. Die Folgen sind bekannt. Wiederholt sich die Geschichte? Ist die Versuchung, Weltmacht zu spielen, unwiderstehlich?
({1})
Der Minister hat schon ungefragt - und schon gar nicht vom Bundestag legitimiert - angedeutet, sich an einem eventuellen Golfkrieg zu beteiligen. Dieses erwies sich dann glücklicherweise als überflüssig. Das war aber nicht das Verdienst des Ministers.
Die Annexion Elsaß-Lothringens hat sich auch erst 40 Jahre später verhängnisvoll ausgewirkt. Es ist immer falsch, einen geschlagenen Gegner auch noch zu demütigen. Ich war vergangene Woche in Moskau und kann bezeugen, in welch erschreckendem Ausmaß in Rußland das Vorrücken der NATO bis an Rußlands Grenzen als Demütigung empfunden wird. Die Reaktion ist die Formierung einer breiten patriotischen Front, die an die Habsburger Front erinnert, nur schließt sie diesmal auch die Kommunisten ein. Dies ist sicherlich kein Schritt in Richtung Partnerschaft für den Frieden.
Ich fürchte, diese hektischen Bemühungen, die Bedeutung der neuen deutschen Großmacht - das sind wir nun einmal - auch und gerade militärisch so herauszustreichen, werden uns auf lange Sicht nicht mehr Sicherheit verschaffen, sondern könnten uns in unvorhersehbare Konflikte verwickeln. Diese Politik muß beendet werden! Diese Regierung muß abgelöst werden!
Danke.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manfred Opel, SPD-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn - eingehend auf die bisherigen Debattenbeiträge - sagen, daß wir die Wehrbeauftragte und ihre Arbeit sehr ernst nehmen.
({0})
Sie ist, Graf Einsiedel, Teil der parlamentarischen Kontrolle. Sie übt - davon sind wir überzeugt - diese parlamentarische Kontrolle in unserem Auftrag hervorragend aus. Deswegen danken wir der Frau Wehrbeauftragten für ihre intensive und verantwortungsvolle Begleitung der Bundeswehr. Unser Antrag, der Ihnen vorliegt, ist auch ein Ergebnis der umfassenden Auswertung ihrer aktuellen Berichte.
Deutschland ist von einem Sicherheitsempfänger zu einem Sicherheitsgeber geworden. Dieser Wandel
des Auftrages der Parlamentsarmee Bundeswehr wirkt sich natürlich entscheidend auf ihre Struktur aus. Wir wollen eine moderne Bundeswehr. Wir wollen, daß unsere Soldaten und zivilen Mitarbeiter stolz darauf sein können, in einer modernen Armee zu dienen und zu arbeiten. Weil Sicherheit und Frieden langfristige Vorsorge erfordern, müssen wir - genau wie zu Zeiten Helmut Schmidts - endlich wieder zu einer langfristigen, über 12, 15 Jahre reichenden Bundeswehrplanung zurückkommen.
({1})
Weil Sie, Herr Kollege Nolting, der Wehrstrukturkommission solch schlechte Noten gegeben haben, darf ich Ihnen sagen, daß die moderne Bundeswehr der 70er und 80er Jahre, der sozialliberalen Koalition, ein Ergebnis der Arbeit der Wehrstrukturkommissionen von Helmut Schmidt in den Jahren 1970 bis 1973 war.
({2})
Es gab Kritik an dem Kollegen Zumkley, der diesen Punkt sehr differenziert dargestellt hat.
({3})
- Doch! - Diese Kritik weise ich zurück, denn - hören Sie genau zu! - statt der mindestens erforderlichen 30 Prozent für Investitionen - das sagen Sie doch allenthalben - werden heute faktisch nur noch 20 Prozent - sogar weniger - aufgebracht.
Herr Abgeordneter Opel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breuer?
Sehr gerne.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Breuer.
Herr Kollege Opel, bezüglich der von Ihnen geäußerten Meinung, daß wir Kritik am Kollegen Zumkley geübt hätten, erlaube ich mir folgende Frage: Wenn der Kollege Zumkley von einem Zustand der Bundeswehr gesprochen hat, der insgesamt intakt sei, und im Antrag der SPD von einem Zustand gesprochen wird, der besorgniserregend sei, dann muß man doch daraus den Schluß ziehen, daß nicht der Kollege Zumkley kritisiert wird, sondern der Antrag der SPD. Sehen Sie das anders?
Herr Kollege Breuer, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, daß Sie Klarstellung erbitten, weil mir dies Gelegenheit gibt, zu wiederholen, was der Kollege Zumkley uns hier vorgetragen hat. Er sagte, im Kern sei die Bundeswehr gesund, aber es gebe erste Signale auch seitens der Wehrbeauftragten und von Fachleuten aus der Bundeswehr, Signale, die bei uns Besorgnis erzeugten. Herr Kollege Breuer, ich werde Ihnen, wenn Sie ein wenig Geduld haben, Elemente dieser Besorgnis vortragen,
die in den Kern, in das Mark der Bundeswehr hineinreichen. Sie werden dann sehr schnell erkennen, daß die Bundeswehr Gefahr läuft, keine moderne Bundeswehr mehr zu sein. Das aber ist es, was wir wollen: Wir wollen eine moderne Bundeswehr.
({0})
Eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Breuer.
Herr Kollege Opel, wenn man zum Beispiel an einem Menschen eine Untersuchung vornimmt und zu dem Ergebnis kommt, daß der Gesundheitszustand insgesamt intakt ist oder daß er insgesamt besorgniserregend ist: Wie bewerten Sie es, daß die unterschiedliche Begrifflichkeit, die hier verwandt wird, zu völlig anderen Ergebnissen und zu einer völlig anderen Wahrnehmung führt?
({0})
Herr Kollege, ich greife Ihren medizinischen Vergleich sehr gerne auf. Sie können besorgt sein, wenn irgend jemand eine Krankheit hat, die nur einen Teil des Körpers befallen hat, aber seine Substanz insgesamt noch intakt ist. Wir denken, der Kern der Bundeswehr ist gesund. Aber wir dürfen Ihnen die Bundeswehr nicht überlassen; denn Sie verändern die Bundeswehr im Kern. Sie tun nichts. Sie sind eine „Tu-nichts-Regierung" .
({0})
Wir müssen die Bundeswehr aber modernisieren.
({1})
Wie Sie in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage nachlesen können, gibt es - hören Sie zu; das haben Sie vorhin bestritten - Plafondkürzungen in erster Linie im investiven Bereich. Das heißt im Klartext nichts anderes, als daß die Bundeswehr auch nach Ihrer Meinung unterfinanziert ist.
Die Folgen sind dramatisch: Etwa die Hälfte der Beschaffungsmittel, die Ihnen noch bleiben - es sind sowieso zuwenig -, müssen Sie in Erhaltungsmaßnahmen von Uraltmaterial der Bundeswehr stecken. Offizielle Zahlen der Hardthöhe gehen sogar von 62 Prozent für das Heer aus. Wer Streitkräfte unterhält, um sicher leben zu können - das ist das, was wir tun -, muß sie aber auch modern ausrüsten und modern ausbilden.
Hierbei geht es ausschließlich um politische Verantwortung. Es geht um Verantwortung für einen stabilen und belastbaren Frieden. Vor allem geht es um Verantwortung für die Menschen, und zwar nicht nur für jene, die Sicherheit empfangen, sondern auch für die Menschen in der Bundeswehr und für die Menschen, die für die Bundeswehr arbeiten, zum Beispiel in der Wehrwirtschaft.
Unterdessen ist der Bundeswehrhaushalt längst zum finanziellen Steinbruch dieser Bundesregierung
verkommen. Ihre Antwort auf unsere Große Anfrage weist aus, daß die mittelfristige Finanzplanung allein für die Jahre 1996 bis 1998 über 5 Milliarden DM weniger vorgesehen hat. Das heißt konkret: Allein in den letzten drei Jahren ist die Unterfinanzierung pro Jahr um fast 2 Milliarden DM gestiegen, und zwar zu Lasten der Investitionen. Wenn man es umrechnet, bedeutet das: Pro Arbeitstag erhält die Bundeswehr fast 10 Millionen DM weniger, als ihr noch vor drei Jahren durch den Finanzminister, durch die Bundesregierung, durch Sie hier im Finanzplan versprochen wurden.
Die chronische Unterfinanzierung ist natürlich - das wissen Sie - überall sichtbar und spürbar. Auch in diesem Jahr fehlen Ihnen zusätzlich - wie Sie vor zwei Tagen im Verteidigungsausschuß einräumen mußten - über 900 Millionen DM. Noch kurz zuvor hatten Sie eine entsprechende Meldung in den Medien, es würden 800 Millionen DM fehlen, dementieren lassen. Wer soll Ihnen vor diesem Hintergrund eigentlich noch vertrauen? Kann man Ihnen das, was Sie sagen, noch glauben?
({2})
Denken wir an das nächste Jahr, 1999. Der Verteidigungshaushalt muß eine ungeheuer hohe finanzielle Vorbelastung verkraften: über 2 Milliarden DM. Das ist weit jenseits des Verantwortbaren. Das können Sie nicht mehr mit dem berühmten Streichen, Strecken, Schieben schaffen.
Um wenigstens die wichtigsten Reparaturen und die notwendigsten Ersatzteilbeschaffungen bezahlen zu können, hat sich der Minister einen Trick einfallen lassen. Er geht durch die Lande und sagt: Meine Struktur hat 340 000 Soldaten. In Wirklichkeit hat er 325 000 Soldaten. Das heißt, er spart die Kosten für 15 000 Wehrpflichtige und Zeitsoldaten ein; das sind pro Jahr 500 Millionen DM. Das bedeutet, seine eigene Struktur gilt heute längst nicht mehr. Seine vier Strukturgrundsätze, die er gebetsmühlenhaft wiederholt, sind dadurch ausgehöhlt.
({3})
Sie predigen ständig das Hohelied der Reservisten; das haben Sie auch heute getan.
({4})
Aber schauen Sie doch mal, wie die Wirklichkeit ist. Die Wirklichkeit ist so: Wir haben heute den historischen Tiefstand an Wehrübungsplätzen; wir haben gerade noch 2 500 Wehrübungsplätze. Damit können Sie die Aufwuchsfähigkeit, die Sie ständig zum Kern Ihrer Planung machen, überhaupt nicht durchhalten, weil Sie auf Grund der geringen Zahl von Wehrübungsplätzen keine ausgebildeten Soldaten haben können.
({5})
Wir sehen heute eine Beschaffungseuphorie ohne Planung. Wir sehen, daß auf der Hardthöhe über 200 Milliarden DM in Verträge umgesetzt werden,
ohne daß es überhaupt eine gültige Planung gibt. Einige Dinge können Sie überhaupt nicht beschaffen, weil Ihnen wegen der Verdrängung durch die teuren Rüstungsvorhaben Geld für Wichtiges fehlt. Es gibt nämlich keine Priorisierung auf der Hardthöhe.
Einige Beispiele: Die Kosten für die Raumgestützte Aufklärung, die die Voraussetzung für den Einsatz von Streitkräften ist - darüber sind wir uns im Verteidigungsausschuß und im Parlament alle einig -, sind mit keinem einzigen Pfennig im Haushaltsentwurf des nächsten Jahres und sicherlich auch nicht in der Planung, die uns seit langem versprochen wird, berücksichtigt. Das taktische Transportflugzeug kann nicht rechtzeitig beschafft werden, obwohl die Einsatzbereitschaft der Transall, wie Sie in der Großen Anfrage nachlesen können, dramatisch gesunken ist. Das Heer erhält keinen neuen Schützenpanzer - verwechseln Sie das bitte nicht mit dem Transportpanzer. Die dringend erforderlichen Minenräumfahrzeuge, die sich in Bosnien so sehr bewährt haben, können nicht in der erforderlichen Anzahl beschafft werden. Der Bau der beiden Einsatzgruppenversorger wird von Jahr zu Jahr verschoben.
Der Wehrsold für die Wehrpflichtigen sollte nach vielen Jahren um 2 DM angepaßt werden. Dem haben Sie sich widersetzt. Wir bleiben dabei.
({6})
Ich nehme mit Freude zur Kenntnis, daß sich der Haushaltsausschuß unserer Meinung angeschlossen hat, so daß wir hoffentlich am 1. Juli 1998 den Wehrpflichtigen das geben, was ihnen zusteht.
({7})
Die dringend erforderliche Feldwebellaufbahn können Sie nicht finanzieren, weil Sie kein Geld haben. Zwingend gebotene Beförderungen müssen unterbleiben. Händeringend geforderte Wohnungen im Osten können nicht gebaut werden. Die Kasernen in den neuen Bundesländern sind teilweise in einem beklagenswerten Zustand. In der Antwort auf die Große Anfrage sagen Sie, die Verbesserung der Infrastruktur würde über 2 Milliarden DM erfordern. Diese 2 Milliarden DM haben Sie nicht.
Für die meisten Gefechtsfeldfahrzeuge mußten Sie jährliche Laufleistungsbegrenzungen einführen, zu deutsch: Sie dürfen gar nicht mehr fahren. Die „Kannibalisierung", offiziell „gesteuerter Ausbau" genannt, ist in der Truppe weit verbreitet, um nach dem Motto „Aus zwei mach' eins" überhaupt die notwendigsten Ersatzteile zu gewinnen.
Anders als der derzeitige Verteidigungsminister werden wir eine Struktur des Vertrauens schaffen. Wir werden vorher mit allen Betroffenen beraten, welcher Weg der richtige ist. Wir wissen, daß unsere Bundeswehr die Sicherheitsverantwortung für uns alle übernommen hat. Dafür sagen wir ihr auch heute Dank.
Für uns stehen die Menschen im Zentrum unserer politischen Fürsorge. Die Bundeswehr kann sich - wie bisher - auf die Sozialdemokraten verlassen.
({8})
Unsere Soldaten haben eine bessere Führung verdient. Sie werden sie bekommen.
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Kurt Rossmanith, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sicherheitspolitik, über die wir heute diskutieren, ist natürlich untrennbar mit Vertrauen verbunden: Vertrauen unserer Nachbarn und unserer Verbündeten zu ihrem Partner Deutschland; Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Organisation Bundeswehr und in die Soldaten der Bundeswehr und Vertrauen auf deren Motivation und Zuverlässigkeit; Vertrauen der Soldaten in die Politik und die Politiker, die über ihren Einsatz letztlich bestimmen.
In all diesen Fällen des Vertrauens, der Vertrauensbildung kann diese Bundesregierung, kann dieser Bundesminister der Verteidigung auf eine tadellose Erfolgsbilanz verweisen.
({0})
Wir brauchen das jetzt nicht an jeder Plakatwand anzubringen; denn die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land haben das unmittelbar miterlebt, sie erleben das Tag für Tag neu. Sie erleben das nicht nur in den Standorten, sondern auch darüber hinaus.
Deutschland hat mit seinem neuen Auftrag für die Streitkräfte und mit seinen neuen Fähigkeiten zur Krisenreaktion dafür Sorge getragen, daß es als gleichwertiger und ernstzunehmender Partner wahrgenommen wird. Größenordnung und Qualität unserer Streitkräfte werden auch von unseren Nachbarn und Verbündeten als wesentlicher Beitrag zur Stabilität in Europa gesehen. Das Vertrauen und die Zustimmung der Bürger zur Wehrpflichtarmee Bundeswehr sind durch den Einsatz in Bosnien und durch die Bilder von hochmotivierten Soldaten beim Einsatz während der Oderflut so groß wie schon lange nicht mehr. Erfreulicherweise kann ich auch feststellen, daß die Zahl der Wehrdienstverweigerer wieder zurückgeht.
Nicht zuletzt hat auch die Art und Weise, wie wir in diesem Parlament über den Einsatz der Bundeswehr in Bosnien debattiert haben, den Soldaten deutlich gemacht, daß wir bei der Umstellung auf den neuen Auftrag der Bundeswehr alles andere als eine Militarisierung der Außenpolitik anstreben und daß ihr Vertrauen in Politik und Politiker gerechtfertigt ist.
Sicherlich wird auch dem politisch nicht so interessierten Bürger nicht verborgen geblieben sein, daß
all die schwierigen Prozesse der Umstellung letztendlich mit sehr viel Geschick und Gespür vorangetrieben wurden. Es sind Erfolge, die dem Land und seinen Bürgerinnen und Bürgern nützen. Als um so schlimmer empfinde ich es - lassen Sie mich dies so sagen -, wenn dieser Erfolg aus Neid zerredet werden soll. Vertrauen ist eine sehr sensible und eine sehr leicht verderbliche Ware; es ist mühsam aufzubauen und deshalb auch sehr rasch zu verspielen.
Mein ernst gemeinter Appell an die Opposition, insbesondere an Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, lautet deshalb: Verzichten Sie auf Ihre Forderung nach einer Wehrstrukturkommission! Denn damit sollen quasi alle Stellräder auf einmal gedreht werden. Damit erzeugen wir Unruhe und Mißtrauen in den Streitkräften; wir zerstören ein Vertrauen, das wir aufgebaut haben. Die Soldatinnen und Soldaten haben ein Recht darauf, zu wissen, wie ihre Zukunft - auch über den Wahltag hinaus - aussieht. Wir brauchen keine Wehrstrukturkommission, die ergebnisoffen, wie Sie, Herr Kollege Kolbow, es genannt haben, arbeiten soll. „Ergebnisoffen" hieße, daß keiner weiß, was ist oder sein soll. Ich wiederhole: Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen wissen, was wir von ihnen fordern und wie die Zukunft in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik aussehen wird.
({1})
Es ist schon bedauerlich - das muß ich sagen, auch wenn ich es nicht gerne tue -, daß Vorkämpfer in der SPD, die diese Meinung teilen und die einer realistischen Sicherheitspolitik Geltung verschaffen wollen, immer mit dem Verlust ihrer politischen Zukunft bezahlen müssen.
({2})
- Heute, lieber Kollege Walter Kolbow, erfreulicherweise. Ihre Reihen sind heute allerdings nicht allzudicht besetzt, was ich sehr bedauere.
Ich erinnere an einen Kollegen, den ich heute auch gern in der ersten Reihe gesehen hätte, nämlich Karsten Voigt. Er war es, der im Bundestag jüngst gefordert hat, „über grüne Positionen wie die NATO-Auflösung und eine sofortige Halbierung der Bundeswehr dürfe nicht einmal verhandelt werden".
({3})
Was war die Meinung Ihres vermeintlichen - dazu wird es nicht kommen, weil diese Koalition nicht zustande kommen wird - künftigen Koalitionspartners? Der Vorstandssprecher der Grünen, Herr Trittin, hat - was ich mit aller Entschiedenheit zurückweise - den Kollegen Karsten Voigt geradezu verhöhnt, indem er erklärt hat: „Karsten Voigt hat gesagt, über diese Frage werde er mit den Grünen nicht verhandeln. Das stimmt; er geht nämlich in Pension."
({4})
Lassen Sie sich doch von den Grünen nicht immer auf Linkskurs in der Sicherheitspolitik bringen, sondern bestimmen Sie die Richtlinien auch der Sicherheitspolitik.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hendricks?
Selbstverständlich, verehrte Kollegin. Bitte sehr.
Bitte schön, Frau Abgeordnete.
Herr Kollege Rossmanith, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Kollege Voigt nicht eine Forderung gestellt, sondern die Feststellung getroffen hat: „Wir werden mit den Grünen darüber nicht einmal verhandeln", und sind Sie bereit; darüber hinaus zur Kenntnis zu nehmen, daß dann auch Herr Trittip zur Kenntnis nehmen muß, daß die in den Bundestag wiedergewählten Sozialdemokraten sich an genau dieser Linie orientieren werden?
({0})
Ob es sich nun um eine Forderung oder Feststellung handelt: Ich freue mich, daß er das festgestellt und nicht nur gefordert hat; das ist nämlich noch besser. Ich freue mich auch über die andere Position, die Sie noch einmal dargestellt haben. Ich sage ja: Das ist rein hypothetisch; denn es wird nach dem 27. September zu diesen Verhandlungen erst gar nicht kommen müssen, weil diese Koalition den Bürgerinnen und Bürgern im Wahlkampf noch einmal deutlich machen wird, welche hervorragende Politik sie geleistet hat und daß sie auch für die kommenden vier Jahre die Verantwortung tragen sollte.
({0})
Ich will noch ein weiteres Beispiel dafür anführen, welche Sympathien Sie, die deutschen Sozialdemokraten, bei Ihren sozialistischen oder sozialdemokratischen Freunden in Großbritannien und Frankreich für Ihre Experimentierfreudigkeit hinsichtlich des deutschen Beitrags zu einer Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik genießen.
({1})
Die außenpolitische Isolierung, in die die SPD etwa ab 1980/81 geraten war, hat dazu geführt, daß selbst sozialdemokratische Regierungschefs in Europa 1994 offen oder insgeheim den Wunsch geäußert haben, die SPD möge die Wahl nicht gewinnen.
Das ist ein wörtliches Zitat Ihres Fraktionskollegen Günter Verheugen, seines Zeichens außenpolitischer Sprecher Ihrer Fraktion.
({2})
Ich muß sagen: Diese Feststellung ist nach wie vor hochaktuell. Ich bin davon überzeugt, daß das richtig ist. Darauf deuten auch die Gespräche hin, die wir führen. Ich will jetzt keinen Namen nennen; aber die betreffende Person ist Ihnen ebenfalls geläufig. Er sagt mir ständig, daß sich das, was Verheugen auf das Jahr 1994 bezogen hat, auch auf das Jahr 1998 beziehen läßt.
({3})
Ich habe ihm gesagt: Keine Sorge; wir werden das wieder schaffen; auch diese Aussage ist mehr als hypothetisch.
({4})
Ich habe Ihnen das schlicht und einfach gesagt, weil ich auch noch zu dem kommen will, was der Kollege Opel mit angesprochen hat. Ich meine den haushaltstechnischen Bereich. Es bestreitet natürlich niemand, daß es gerade in Zeiten verstärkter Haushaltskonsolidierung notwendiger denn je ist, im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel Prioritäten zu setzen. Selbstverständlich hätte ich mir so wie Sie gewünscht, daß wir hier etwas mehr Prioritäten hätten setzen können.
({5})
Aber wir müssen mit dem auskommen, was möglich ist. Wir können unsere Bürgerinnen und Bürger im Lande nicht über Gebühr belasten.
Lieber Kollege Opel, Sie haben die Wehrpflichtigen angesprochen. Hier haben wir ganz wesentliche Erfolge zu verzeichnen. Mit der Einführung der differenzierten Mobilitätszulage, der Auszahlung des doppelten Verpflegungsgeldes an dienstfreien Tagen und der Verkürzung der Beförderungszeit haben wir eine Steigerung des Soldes um rund 63 Prozent erreicht. Das ist für den einzelnen Soldaten wesentlich besser, das ist ausgeglichener und gerechter, als wenn man mit der Gießkanne darüber hinweggegangen wäre und gesagt hätte: Wir erhöhen einheitlich um 2 DM. Seien Sie doch froh darüber, daß der Haushaltsausschuß beiden Positionen, Ihrer und der der Koalition, zugestimmt hat. Er hat damit nur noch einmal die hohe Fachkompetenz des Verteidigungsausschusses hervorgehoben. Ich bin den Kolleginnen
und Kollegen des Haushaltsausschusses dankbar dafür, daß sie das hier in eindrucksvoller Weise demonstriert haben.
Auch im Bereich Materialerhaltung haben wir auf Engpässe reagiert: 80 Millionen DM mehr für die Beschaffung von Ersatzteilen, 20 Millionen DM mehr für die Verbesserung der Infrastruktur auch in den alten Bundesländern.
Ich sage hier als Verteidigungspolitiker und auch als Haushaltspolitiker: Die Grenze ist jetzt erreicht. Wir brauchen auch auf diesem Feld Sicherheit
({6})
und dürfen uns jetzt nicht weiter nach unten orientieren. Wir haben aber auch im verteidigungstechnischen Bereich Schwerpunkte gesetzt und Beschaffungen vorangetrieben:
({7})
Uhu, Eurofighter, Fregatten, Korvetten, Panzerhaubitzen - ich könnte das fortsetzen; das GTK kommt als nächstes. Wir werden also auch in Zukunft eine moderne Armee haben.
Sie haben noch einmal die angebliche Deckungslücke von 800 Millionen DM
({8})
beklagt. Der SFOR-Einsatz war doch schon im vergangenen Jahr bekannt; das ist quasi schon in diesen Haushalt eingestellt. Und zur Lohnrunde 1998: Wollen Sie den Soldatinnen und Soldaten und den Zivilbediensteten eine Nullrunde verpassen? Dann müssen Sie das sagen. Wir haben das nicht vor; das war ja praktisch schon in den Haushalt mit eingebaut.
({9})
Was mich hier ärgert, sind die Überbrückungskosten für den Eurofighter 2000: 152 Millionen DM.
({10})
Diese hätten im letzten Jahr abgehandelt werden können und auch müssen; das sage ich hier in dieser Deutlichkeit. Wir
({11})
werden aber auch diesen Betrag noch hinkriegen.
Zum Schluß: Der Versuch der SPD, das große Klagelied anzustimmen, ist nichts anderes als Schwarzmalerei, um nicht zu sagen: ein sehr durchsichtiges Wahlkampfszenario. Das sollten wir in diesem Bereich nicht tun. Wir haben eine moderne Armee; wir haben eine international anerkannte Armee. Wir sind stolz darauf. Es geht hier nur darum, diesen richtigen Weg fortzusetzen und das Vertrauen in die Politik und in unsere Streitkräfte zu bewahren.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat die Abgeordnete Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lage und Zustand der Bundeswehr sind ernst. Wir sehen drei Grunddefizite, die noch einmal zu benennen sind:
Das erste:
({0})
unverantwortliche Finanzpolitik. Haushaltsdefizite machen deutlich, daß es unter Volker Rühe keine Planungssicherheit gibt. Der Rüstungslobbyismus wie bei der Beschaffung des Eurofighters, darüber hinaus aber auch des GTK und der Streit in der Koalition darüber
({1})
zeigen, daß die Priorität darauf liegt, die Kernfunktion der Rüstungsproduktion zu erhalten. Der Preis dafür sind neue Defizite. Das ist nicht nur finanzpolitisch unverantwortlich, es verhindert auch Abrüstung und Umstrukturierungsmaßnahmen.
Zweitens. Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, eine zeitgemäße Sicherheitspolitik zu formulieren. Vielmehr betreibt sie die Fortführung des traditionellen militärischen Denkens in multilateralem Gewand.
Drittens: innerer Zustand der Bundeswehr. Der neue Kämpfertyp droht die innere Führung auszuhöhlen.
({2})
Dynamische Anpassung der inneren Führung, wie es in der Antwort in der Bundesregierung heißt, bedeutet im Ergebnis real die sträfliche Vernachlässigung der inneren Führung, der politischen Bildung
({3})
und darüber hinaus eine Verharmlosung der Verherrlichung der Wehrmacht.
({4})
Ursache dafür ist die Schaffung national-autoritärer Grauzonen, durch die sich Rechtsextreme angezogen fühlen.
({5})
Zwischenbilanz: Die Bundeswehr ist unter Ihrer Führung, Herr Rühe, aus dem Tritt geraten. Die Grünen sehen erheblichen Handlungsbedarf. Er liegt auf der Hand.
Erstens: abrüstungspolitisch orientierte Maßnahmen.
Zweitens: konzeptionelle Konversionsprojekte und Politik, um sozial verträgliche Abrüstung sicherzustellen.
Drittens: Ausbildung spezieller Einheiten für die Vereinten Nationen, für friedenserhaltende Maßnahmen.
Wenn es jetzt um die SFOR-Entscheidung geht, sage ich Ihnen ganz klar: Wir sind gegen den Abzug von SFOR, weil wir wissen, daß ein neuer Krieg mit Friedens- und Menschenrechtspolitik nicht vereinbar ist. Aber wir werden uns dafür einsetzen, daß Deutschland zukünftig die Verhandlungsspielräume nutzt, um die Marginalisierung der UNO zurückzudrängen und friedenserhaltende Einsätze in die Zuständigkeit der Vereinten Nationen zurückzugeben.
({6})
Viertens. Wir brauchen eine Revitalisierung des Konzeptes der inneren Führung. Nur sie kann als Bestandteil einer demokratischen Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft eine Garantie geben - eine Garantie, deren Notwendigkeit auf der Hardthöhe nicht einmal gesehen wurde.
Das heißt, von Volker Rühe wird eine Blockadepolitik betrieben: „Augen zu und durch!" Es werden Gelöbniskampagnen eingeleitet - Sie gehen ja gleich mit Ihrem Kollegen Paul Breuer auch nach Gießen -, um nicht nur von Ihrer politischen Verantwortung abzulenken, sondern auch die Schieflage, die Sie zu verantworten haben, zu verschleiern. Sie instrumentalisieren die Rekruten für einen Wahlkampf, der sich eigentlich ernsthaft mit den Defiziten auseinandersetzen müßte, statt blind bis zum 27. September auszuharren. Herr Rühe, die Lage der Bundeswehr zeigt die Erosion der Bundesregierung.
Ich frage mich, ob nicht selbst Sie über einen Artikel in der gestrigen Ausgabe der „Welt" stolpern sollten, in dem der Hofberichterstatter der Hardthöhe, Moniac, schreibt,
({7})
daß im Grunde genommen die Forderungen der SPD, Defizite zu analysieren, eine Kommission einzurichten, eigentlich doch richtig sind. Er sagt dann: Hoffentlich ist die nächste Regierung im Herbst in der Lage, die Aufgaben zu bewältigen. - Das war der Abgesang an Sie, Herr Rühe. Dazu kann ich ausnahmsweise nur sagen: Herr Moniac hat recht.
Dennoch werden wir uns zu dem Antrag der SPD enthalten, da die Forderung nach 30 Prozent investivem Anteil und die Bestandsgarantie von vier Jahren für alle Standorte, die vor kurzem gegeben wurde, genauso blauäugig sind wie die Politik von Volker Rühe auf der anderen Seite.
({8})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Walter Kolbow, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu einigen Akzenten der Debatte zu Beginn meiner Ausführungen doch deutlich machen, daß wir hier im Deutschen Bundestag für die Streitkräfte besondere Verantwortung tragen, weil wir über jeden Einsatz der Streitkräfte entscheiden und befinden. Deswegen ist es gerade für uns wichtig, einen Konsens zu suchen und nicht der alten Kohl-Doktrin zu folgen: „Schlagt die Sozis, wo ihr sie trefft!"
({0})
Im übrigen habe ich die Erinnerung an ein Zitat von Helmut Schmidt sofort wieder weit von mir gewiesen, weil es möglicherweise unparlamentarisch sein könnte, daran überhaupt zu denken. Ich meine das Zitat, die Tragik in der Politik sei, daß sich die Dummen ihrer Sache immer so sicher sind und die Klugen immer so voller Zweifel.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist wichtig, hier eine Rede für Verbesserungen in unseren Streitkräften zu halten statt eine Rede gegen politische Kräfte, obwohl ich deutlich machen will, daß das, was der Kollege Nolting hier ausgeführt hat, sich wohltuend von den Polemiken der Kollegen Breuer und Rossmanith unterschieden hat. Die Aussagen des Kollegen Nolting geben mir auch die Gelegenheit, deutlich zu machen, was von seiten meiner Fraktion schon in einer Zwischenfrage zum Ausdruck gebracht worden ist: daß es eine Unterstützung von Bestrebungen, die Bundeswehr in vier Jahren zu halbieren und danach weiter zu verkleinern, also verdeckt die Freiwilligenarmee zu fordern, von uns, von der Sozialdemokratischen Partei und von unserer Fraktion nicht geben wird.
({1})
Ich will hier deutlich machen, daß wir uns bei unseren Truppenbesuchen von der hervorragenden Leistungsbereitschaft der Soldatinnen und Soldaten und der zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überzeugen konnten, die häufig mehr Einsatz zeigen, als eigentlich erwartet werden kann, und die sich in vielen Stunden über die normale Dienstzeit hinaus und oft mit recht bescheidenen Mitteln dafür einsetzen, den Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten und die Aufgaben zu erfüllen, die ihnen gestellt sind, die von ihnen verlangt werden. Das sind Leistungen im Alltag, die nie vergessen werden dürfen und an die wir hier in diesem Parlament zu selten denken, weil wir auf die Einsatzaufträge fixiert sind und auf diese schauen müssen. Wir haben die beispiellosen Aufbauleistungen der Bundeswehr an vielen Standorten in den neuen Bundesländern gesehen, die Maßstäbe für das innere Zusammenwachsen in unserem Land gesetzt haben.
({2})
Ich habe aber auch - das muß wohl auch Ihr Eindruck sein - bei der Truppe strukturelle, organisatorische und materielle Defizite festgestellt. Um diese geht es hier. Durch sie wird der Dienstbetrieb oft über Gebühr erschwert und belastet. Die Entwicklung ist dadurch gekennzeichnet, daß sich die Schere öffnet zwischen Auftrag und Mitteln sowie „stretched goals", wie ich es in einer Zeitschrift, die in einem Standort herausgegeben wird, gelesen habe, also überdehnten und überzogenen Zielen. Das führe oft, so wird gewarnt, in der Truppe zu inneren Kündigungen. Diese überdehnten Ziele und Forderungen werden zu oft auf allen Führungsebenen weiter gesteckt, so daß sie in der Hierarchie nach unten, also in der Kompanie, im Zug und in der Gruppe, am schwierigsten zu erfüllen sind. Dieser Prozeß verändert die Bundeswehr und schafft ein ungutes Klima. Er zwingt die Menschen ständig an ihre Leistungsgrenzen und verführt dazu, die objektive Wahrheit den vorgegebenen Zielen und Forderungen subjektiv anzupassen, um im grünen Bereich zu bleiben.
({3})
So wird kein Vertrauen geschaffen, meine Damen und Herren. So wird auch die Kameradschaft schwer belastet, die für den soldatischen Dienst notwendig ist. Für Führung und Ausbildung gilt: Herausforderung ja, Überforderung nein!
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Für den Einsatz gilt: Robustheit ja, aber nicht Rücksichtslosigkeit! Leadership-Programme ohne innere Führung darf es nicht geben.
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Ich möchte die letzte Minute meiner Redezeit darauf verwenden, um den tauglichen Versuch am möglicherweise untauglichen Objekt zu machen, nämlich Sie davon zu überzeugen, daß die parlamentarische Wehrstrukturkommission doch notwendig ist. Meine Damen und Herren, Sie haben bisher übergestülpt; Sie haben eine Koalitionsvereinbarung getroffen und dann gesagt, so werde es gemacht. Sie ordnen an, verlangen nur. Wir wollen den gesellschaftlichen Diskurs über die Institution Bundeswehr in der Mitte unserer Bürgerschaft. Wir wollen beteiligen, wir wollen mitnehmen, wir wollen auch geben.
Was heißt hier „ergebnisoffen"? Natürlich muß die Kommission alle Optionen erörtern können. Das bedeutet auch: Wenn sie der Meinung ist, aus sachgerechten Gründen, auch aus Gründen der militärischen Optimierung seien mehr Geld oder eine längere Wehrpflicht bedenkenswerte Optionen, dann müssen wir uns damit auseinandersetzen. Da gibt es Spannbreiten von mehr bis weniger, von kurz bis lang. Aber wenn wir so weitermachen wie bisher und die Gesellschaft nicht mitnehmen und unsere Streitkräfte nicht wieder in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion rücken, dann wird es uns auch nicht gelingen, die Bedürfnisse der Bundeswehr in der Gesellschaft so zu plazieren, daß sie gerecht behandelt wird.
({6})
Deshalb muß auch in dieser Abteilung der Kommission über die Zukunft von Pflicht- und Freiwilligendiensten - vielleicht überzeugt Sie das - im Spannungsfeld von Individualisierung und Solidarität beraten werden; denn es ist auch die Frage - das ist anWalter Kolbow
geklungen -, wie wir die Wehrpflicht unter den obwaltenden Umständen intelligent und optimal organisieren, was jetzt nicht der Fall ist.
({7})
Meine Damen und Herren, der Satz unseres Parteitagsbeschlusses von Hannover und unseres Wahlprogrammes, daß die Bundeswehr einen unverzichtbaren Dienst für die Gesellschaft leistet und sie jedwede Unterstützung verdient, stellt geradezu den Auftrag dar, möglichst gemeinsam für die Bundeswehr das Beste zu erreichen, weil davon unser Land einen Nutzen hat.
({8})
Ich erteile dem Bundesverteidigungsminister Volker Rühe das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition hat es schwer,
({0})
vor allen Dingen dann, wenn man angehalten ist, seinen Beitrag an Angriffen auf die Regierung zu leisten, nach dem Motto „Die Bundeswehr ist gut, die Regierung ist schlecht" . Das werden Sie auf die Dauer nicht rüberbringen.
Ich möchte all denjenigen danken, die der Bundeswehr gedankt haben. Das waren die realistischsten Beiträge in dieser Debatte.
({1})
Im übrigen habe ich manches gehört, bei dem ich mich gefragt habe, über welche Streitkräfte Sie eigentlich gesprochen haben. Die Bundeswehr kann das nicht gewesen sein. Normalerweise ist es so, daß die Opposition die große Angriffsformation gegen die Regierung bildet. Ich kann nur sagen: Es war wirklich ein verlorener Haufen, der sich heute morgen präsentiert hat.
Da haben wir die Grünen, die die Bundeswehr abschaffen, in den ersten vier Jahren jedoch gnädigerweise nur halbieren wollen. Dann habe ich versucht, zu verstehen, wie die Bundeswehrpolitik der Sozialdemokraten aussieht. Was ich mitgenommen habe, ist: mehr Geld, mehr Beschaffungen für die Bundeswehr und die Einrichtung von mehr Kommissionen.
({2})
Deshalb biete ich Ihnen an: Machen Sie einmal eine Umfrage. Leider berauschen Sie sich an Umfragen; sie sind ja im Augenblick auch viel zu gut für Sie. Fragen Sie unter der Überschrift „Die SPD tritt für mehr Geld und mehr Beschaffung bei der Bundeswehr ein" nach Ja, Nein oder Enthaltung. Sie können für diese Umfrage Emnid, Forsa oder ein anderes Institut nehmen. Wenn diese Umfrage auch nur ein Prozent Zustimmung ergibt, dann würde ich mich geschlagen geben. Ich muß Ihnen sagen: Da lachen die Hühner, wenn die Sozialdemokraten mehr Geld und mehr Beschaffungen für die Bundeswehr durchsetzen wollen.
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Jetzt wollen Sie mehr Kommissionen. Dazu kann ich nur sagen: Wir hätten sträflich gehandelt, wären wir dem gefolgt. Wer nicht weiß, was er will, bildet eine Kommission. In ihnen sollen die Bischöfe und Gewerkschaftler sagen, wie die Streitkräfte aussehen sollen? Das ist doch lächerlich. Wir haben längst gehandelt, und es wäre sträflich gewesen, wenn wir nicht schon die neuen Strukturen der Bundeswehr durchgesetzt hätten.
({4})
Mein Rat an Sie lautet: Parteipolitisch schneiden Sie am besten ab, wenn Sie sich voll hinter die Bundeswehr und die erfolgreiche Politik der Bundesregierung stellen und nicht mit irgendwelchen anderen Vorstellungen auffallen; denn die Leute haben Angst davor, daß dieser erfolgreiche Weg der neuen Bundeswehr von Ihnen beeinträchtigt werden könnte. Das ist mein Rat an Sie.
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Im übrigen: Sie schicken eine Kommission nur vor, weil Sie in Wirklichkeit die Bundeswehr auf 150 000 Mann und sogar weniger - das geht bei Ihnen munter durcheinander - verkleinern wollen. Der Kollege Opel will noch mehr Flugzeuge anschaffen, obwohl er im Ernstfall dagegenstimmen wird,
({6})
und Geld bei den Mannschaften und dem Personal einsparen, damit er mehr Geld für bestimmte Beschaffungen hat. Das geht durcheinander, und deswegen muß eine Kommission her. Ich sage Ihnen: Mit dieser Bundesregierung wird es keine Eingriffe in die Strukturen der Bundeswehr,
({7})
keine Reduzierung ihres Umfangs und keine neuen Standortschließungen geben.
Das ist genau das, was man von einer anderen politischen Kraft befürchten muß. Bei den Grünen ist das eindeutig: Es würde den Wegfall von zwei Drittel aller Standorte in Deutschland bedeuten, wenn sich diese Politik durchsetzte.
({8})
Bei den Sozialdemokraten sind weitere Eingriffe in die Standorte eine Gefahr, der man sich bewußt sein muß. Mit uns wird es das nicht geben. Ich halte es für unbedacht und verantwortungslos, erneut in die Strukturen einzugreifen, nachdem wir die deutschen
Streitkräfte in den letzten sechs Jahren praktisch halbiert haben.
({9})
Der fundamentalen Veränderung der Sicherheitslandschaft in Europa haben wir mit einem erweiterten Auftrag, einer neuen Struktur und einem neuen Selbstverständnis der Bundeswehr Rechnung getragen. Wir haben bereits vor drei Jahren die konzeptionelle Phase der Neuorientierung der Bundeswehr abgeschlossen. Sie sind mindestens sechs Jahre hinter der Entwicklung zurück. Die konzeptionelle Arbeit ist in Wirklichkeit bereits vor vielen Jahren geleistet worden.
Wir haben die notwendigen Grundsatzentscheidungen für die neue Bundeswehr getroffen, und zwar in enger Abstimmung mit allen Beteiligten. Ich sage Ihnen: Die deutschen Streitkräfte können alle Aufträge durchführen, in die sie der Deutsche Bundestag stellt: Landesverteidigung, Bündnisverteidigung, internationale Einsätze und Katastropheneinsätze. Also: Hände weg von erfolgreichen Streitkräften! Warum wollen Sie an Streitkräften herumfummeln, die allen Aufgaben gewachsen sind?
({10})
Stellen Sie sich hinter die Streitkräfte, dann bekommen Sie auch die meiste Unterstützung in der Öffentlichkeit.
Wir gehen bei der Umsetzung der neuen Strukturen Schritt für Schritt, behutsam, verantwortlich und mit Blick auf die Menschen und die knappen Ressourcen vor. Inzwischen sind die ersten 12 000 Soldaten in organischen Krisenreaktionsverbänden einsatzbereit. Das Kommando Spezialkräfte verfügt bereits über eine erste Fähigkeit zur Evakuierung von in Not geratenen Menschen. Die Bundeswehr ist stärker ausdifferenziert. Das haben manche noch nicht begriffen. Ich kann nicht die ganze Bundeswehr in ein Kommando Spezialkräfte umwandeln. Hier muß vielmehr differenziert werden.
({11})
- Ich weiß, daß Sie das nicht wollen. Sie wollen ja die Bundeswehr abschaffen. Das weiß ich doch.
Das muß man denen sagen, die immer mehr Beschaffungen durchsetzen wollen. Herr Kollege Opel, das ist ja fantastisch - Sie haben es vorgetragen -, was wir noch alles beschaffen sollen.
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Wer hätte nicht gerne mehr Geld! Ich muß Ihnen aber sagen, daß das Geld immer knapp sein wird. Was wir jetzt brauchen, ist Zuverlässigkeit für die nächsten Jahre. Das ist ganz klar. Aber eines ist auch klar: Mit der SPD wird es mit Sicherheit weniger Geld für die Streitkräfte und für ihre Modernisierung geben.
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Die letzten Jahre waren nicht einfach - das ist klar -: der Aufbau der Armee der Einheit, die ständige Vorbereitung und der Austausch der Kontingente in Bosnien, die Umstellung auf den zehnmonatigen Grundwehrdienst, der Aufbau der Krisenreaktionskräfte und der eiserne Zwang zum Sparen. Dies alles mußte die Bundeswehr nicht nacheinander, sondern nahezu parallel und in relativ kurzer Zeit bewältigen.
Was die Streitkräfte jetzt brauchen, ist Kontinuität - keine weiteren Eingriffe -, damit die neuen Strukturen, die es jetzt gibt, ihre volle Wirksamkeit entfalten können. Wir dürfen unseren Streitkräften keine neuen Unsicherheiten zumuten. Der Organismus Bundeswehr darf nicht überfordert werden. Die größte potentielle Unsicherheit liegt in der Verbindung von SPD und Grünen. Diese muß abgewehrt werden.
({14})
Die neue Struktur wird den Herausforderungen, vor denen wir stehen, voll gerecht. Sie entspricht im übrigen der sicherheitspolitischen Lage, den Interessen und der Verantwortung unseres Landes. Wer Umfang und Struktur der Bundeswehr verändern will - die einen verstecken sich hinter der Kommission, die anderen sagen ihre Meinung mit großer Offenheit -, der sollte sich einmal vor Augen führen, wie wir im internationalen Vergleich dastehen. Ich halte für ein 80-Millionen-Volk in der Mitte Europas eine Armee mit 340 000 Soldaten für einen angemessenen und notwendigen Beitrag. Es darf keine weitere Reduzierung geben.
({15})
Wenn Sie sich einmal anschauen, wieviel Soldaten es pro Kopf der Bevölkerung gibt, dann werden Sie feststellen: Es gibt mehr in den Niederlanden und mehr in Dänemark. Wer immer versucht, den Eindruck zu erwecken, daß wir Deutsche mit dem übertreiben, was uns in diesem Bereich zur Verfügung steht, dem muß ich sagen: Diese Gefahr sehe ich nicht. Pro Kopf der Bevölkerung werden in den meisten europäischen Ländern mehr Soldaten vom Parlament eingesetzt und finanziert. Deswegen sage ich Ihnen: Wir haben den richtigen Umfang mit einer Friedensstärke von 340 000 Soldaten. Wir haben die richtige Struktur. Damit gehen wir in die Zukunft. Diese Streitkräfte sind im Gegensatz zu Ihnen zukunftsfest.
({16})
Dies ist im übrigen auch die Einschätzung unserer Freunde und Partner im Bündnis. Keiner wird ernsthaft behaupten können, daß wir uns eine Armee von 340 000 Soldaten nicht leisten können. Es geht vielmehr darum, wieviel es uns wert ist, eine angemessene Versicherungspolice für die unwägbaren Wechselfälle der Geschichte zu besitzen. Die Grünen und der linke Flügel der Sozialdemokraten fragen immer: Wozu brauchen wir eigentlich Streitkräfte und ihre Modernisierung? Wo ist der Feind? Darauf kann ich
nur antworten: Wenn Sie erst dann anfingen, eine Armee aufzustellen, wenn der Feind da ist, dann kämen Sie ungefähr sieben Jahre zu spät. Die Bundeswehr ist unsere Versicherungspolice gegen die Wechselfälle der Geschichte, und die Geschichte ist nie zu Ende.
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Die Geschichte zeigt auch - deswegen sind Sie von der SPD so über Ihren naiven Partner erschrocken -, daß Sie für eine Armee immer bezahlen müssen: entweder für die eigene oder für eine fremde Armee, die ungebeten in das Land kommt. Angesichts dieser Alternative bezahle ich lieber 46 Milliarden DM für die eigenen Streitkräfte, um Sicherheit und Stabilität in Europa zu schaffen.
({18})
Die Bundeswehr ist im Einsatz. Unsere Soldaten können erwarten, daß sie für ihren Einsatz bestens ausgebildet und ausgerüstet sind und dafür die notwendigen Mittel bekommen. Der Erfolg im Einsatz hängt entscheidend davon ab, wie unsere Verbände und Einheiten zu Hause vorbereitet und mit welchem Material sie ausgestattet werden. Die Bundeswehr gehört im ehemaligen Jugoslawien zu den am besten ausgerüsteten Armeen.
Wenn sozialdemokratische Abgeordnete in Einheiten hier zu Hause zu hören bekommen: „Bestimmtes Ergänzungsmaterial ist jetzt vorrangig nach Bosnien gegangen. Wir sind nicht in der Lage, sofort eingesetzt zu werden. Das alles ist ganz schlimm. " Dann muß ich Ihnen entgegnen: Eine Opposition ist nicht dazu da, allen Klagen hinterherzugehen.
({19})
Natürlich gehört das Material dorthin, wo die Streitkräfte im Einsatz sind, und natürlich kann es hingenommen werden, daß dann hier zu Hause bei einem Verband, bei dem ein Einsatz nicht unmittelbar bevorsteht, die Dinge auch einmal etwas knapper sind. Das ist doch ganz eindeutig so. Wichtig ist: Wann immer Soldaten eingesetzt werden, müssen sie optimal ausgerüstet und optimal ausgebildet sein. Genau das ist bei der Bundeswehr der Fall.
({20})
Die Bundeswehr hat einen erheblichen Beitrag zur Konsolidierung geleistet. Aber mit dem Haushalt 1998 und der mittelfristigen Finanzperspektive haben wir eine Grundlage für einen sicheren Boden geschaffen. Ich bin dankbar für die klaren Äußerungen aus den Reihen der Koalition, daß dies nun auch wirklich die tragende Grundlage für die Zukunft ist.
In der kommenden Woche werde ich den darauf aufbauenden Bundeswehrplan 1999 im Verteidigungsausschuß vorstellen.
({21})
Jedermann wird sehen, daß die Streitkräfte eine konsistente Planung verfolgen.
({22})
- Sie können doch nicht sagen, Sie wollen einen Bundeswehrplan haben, und dann, wenn ich ihn vorlege, ist es auch wieder nicht recht. Das Papier unterscheidet sich sehr deutlich von dem, was Sie vorgelegt haben. Das ist eine konsistente Planung.
({23})
Land-, Luft- und Seestreitkräfte werden ausgewogen modernisiert. Ich brauche die Projekte hier nur noch anzudeuten: Eurofighter 2000, Panzerhaubitze für das Heer, moderne Munition, Ortungsmittel für den Artillerieverbund, das neue gepanzerte Transportfahrzeug, Fregatten, U-Boote der Marine. Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist ein überzeugendes Modernisierungsprogramm.
({24})
Wir können diese Vorhaben realisieren, weil das Verhältnis zwischen Betriebsausgaben und Investitionen schrittweise wieder ins Lot gebracht worden ist.
Zum Schluß: Die Bundeswehr als Wehrpflichtarmee hat ihren festen und anerkannten Platz im Gefüge unserer Republik. Sie hat sich in vier Jahrzehnten bewährt und ist zum Vorbild für den Aufbau und die Integration von Streitkräften in der Demokratie geworden. Fast alle neuen Demokratien östlich von Deutschland nennen die Bundeswehr als ihr Vorbild. Und Sie wollen sie hier diffamieren? Eine schwierigere Aufgabe hat eine Opposition - das muß man nun auch mal mit einem gewissen Verständnis sagen - noch nicht gehabt.
Die Wehrpflicht, das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform und das Konzept der Inneren Führung prägen den Charakter unserer Streitkräfte. Die Bundeswehr ist eine Armee in der Demokratie. Sie ist die Armee des Parlaments. Das ist der Kern ihres Selbstverständnisses.
Wehrpflicht und Professionalität sind keine Gegensätze. Die Bundeswehr ist eine professionelle Armee gerade wegen ihrer ausgewogenen Mischung von Berufs- und Zeitsoldaten, Wehrpflichtigen und Reservisten.
Im übrigen: Die Wehrpflicht verbindet Gesellschaft und Streitkräfte besser als jede andere Wehrform.
({25})
Sie schafft ein hohes Maß an Transparenz und öffentlicher Aufmerksamkeit für Fragen der Sicherheit und Verteidigung. Sie ist der deutliche Ausdruck dafür, daß Frieden und Sicherheit alle Bürger angehen. Sie steht für die Offenheit und für die Bürgernähe unserer Streitkräfte.
Die Wehrpflicht verpflichtet im übrigen besonders zum verantwortlichen Umgang der Politik mit militärischer Macht. Dies setzt die Schwelle für einen Einsatz der Bundeswehr hoch. Eine so wichtige Entscheidung muß eine schwierige Entscheidung bleiben.
Ich darf mich noch einmal bedanken. Ich glaube, die Art und Weise, wie die Angriffe der Opposition ins Leere gegangen sind, sind ein Kompliment für die Bundeswehr.
({26})
In Wirklichkeit ist es ja auch überall zu spüren: Es hat nie so viel Zustimmung für die deutschen Streitkräfte und nie so viel Konsens gegeben.
Aber eines ist auch klar: Wer ein so gestörtes Verhältnis zu seinen eigenen Streitkräften hat, wie es die Grünen haben, dem darf niemals politische Verantwortung in diesem Lande übertragen werden.
Schönen Dank.
({27})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/10443. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P. und PDS gegen die Stimmen von SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/10455. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a bis
11 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes
- Drucksache 13/10186 -({0})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
- Drucksache 13/10475 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Norbert Rieder
Ulrike Höfken
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Ruth Fuchs, Rosel Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Kostenlose Überlassung oder Übertragung des ehemaligen Truppenübungsplatzes Weberstedt an den Freistaat Thüringen zu Zwecken des Naturschutzes
- zu dem Antrag der Abgeordneten Christoph Matschie, Michael Müller ({3}), Klaus Lennartz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Einrichtung eines Nationalparks Hainich im Rahmen des Thüringer Naturparks „Eichsfeld-Hainich-Werratal"
- Drucksachen 13/5590, 13/7820, 13/8673 -
Berichterstattung: Abgeordnete Vera Lengsfeld
Christoph Matschie Ulrike Höfken
Günther Bredehorn
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus W. Lippold ({5}), Dr. Christian Ruck, Wilhelm Dietzel, weiterer Abgeordneter und der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Birgit Homburger, Günther Bredehorn, Dr. Rainer Ortleb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Erhaltung und Schutz der biologischen Vielfalt durch weltweite Ausweisung von Schutzgebieten
-Drucksachen 13/7252, 13/10169Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Klaus W. Lippold ({6}) Ulrike Mehl
Günther Bredehorn
Zum Bundesnaturschutzgesetz liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Professor Dr. Norbert Rieder, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dem Trauerspiel,
das uns in den letzten Monaten die Opposition mit ihrer Blockadehaltung bei der Weiterentwicklung und Verbesserung des Naturschutzes geliefert hat,
({0})
legen wir heute eine Miniaturnovelle zum Bundesnaturschutzgesetz vor, in der - diesmal in zustimmungsfreier Form - die drei wichtigsten Punkte enthalten sind, die derzeit für die Verbesserung des Naturschutzes überhaupt in der Diskussion sind.
Ich fange mit der Ausgleichsregelung an, der Regelung übrigens, bei der wir im Vermittlungsausschuß an der starren Haltung der SPD gescheitert sind, die eine weitere Diskussion nur zugestanden hätte, wenn wir diesen Punkt ersatzlos gestrichen hätten.
Wir halten diesen Punkt nun tatsächlich für den Kernpunkt jedes modernen Naturschutzes in einem dicht besiedelten Land wie der Bundesrepublik. Wir sind der Ansicht, daß der Naturschutz eine ungemein wichtige Angelegenheit ist und in ganz besonderem Maße dem Interesse der Allgemeinheit dient.
Wir wissen aber auch, daß es Verbesserungen im Naturschutz nur geben kann, wenn entsprechende Forderungen an die Nutzung und damit an die Nutzer von Grundstücken gestellt werden, Forderungen die zwangsläufig Einkommenseinbußen mit sich bringen. Das Maß dieser Einbußen ist nun abhängig von der Art dieser Auflagen.
Da Grund und Boden einer der wichtigsten, vor allen Dingen aber ein unersetzlicher Produktionsfaktor ist, zumindest für die Land- und Forstwirtschaft, und bekanntlich nicht verlagert werden kann, treffen solche Auflagen immer nur einzelne, die aber dafür in voller Härte. Wir sind der Ansicht, daß diese Auflagen, die im Interesse der Allgemeinheit erteilt werden und natürlich erfüllt werden müssen, von dieser Allgemeinheit getragen bzw. ausgeglichen werden müssen.
Wir betonen damit ganz bewußt das grundgesetzlich garantierte Recht auf Eigentum, sind allerdings der Ansicht, daß ein gewisses Maß an Auflagen im Rahmen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums - übrigens auch ein Begriff aus dem Grundgesetz - erduldet werden muß. Die Grenze der Sozialpflichtigkeit setzen wir nun bei der sogenannten guten fachlichen Praxis an, - ein Begriff, von dem wir selbstverständlich wissen, daß er nicht bis in alle Einzelheiten definiert ist. Dennoch sind wir der Ansicht, daß wir mit diesem Begriff in Bälde ebenso gut gelernt haben werden umzugehen wie mit vielen anderen sogenannten unbestimmten Begriffen auch. Die meisten von uns haben ganz gut gelernt, mit solchen unbestimmten Begriffen wie „Liebe", „Freiheit", „soziale Marktwirtschaft" , „Stand der Technik" und vielen anderen umzugehen.
({1})
- Nein, das sind keine bestimmten Begriffe. Sie sind
genauso wenig inhaltlich ausgefüllt wie der Begriff
„gute fachliche Praxis". Genauso werden wir auch
lernen, mit dem Begriff der guten fachlichen Praxis umzugehen.
In vielen Bereichen liegen übrigens sowieso schon sehr gute Definitionen der guten fachlichen Praxis vor, auf die wir in diesem Gesetz hinweisen. Es ist deshalb völlig überflüssig, sie in das Gesetz noch ausdrücklich hineinzuschreiben.
Um Ihnen aber ein Beispiel zu geben, was der Maßstab „gute fachliche Praxis" in der Realität bedeutet, betrachten wir das nicht ganz hypothetische Beispiel einer Wiese.
Wenn in einem Schutzgebiet der Erhalt einer vorhandenen Wiese verordnet wird, gibt es keinen finanziellen Ausgleich; denn die Beibehaltung der bisherigen Nutzung ist nicht entschädigungspflichtig. Einen Ausgleich für einen entgangenen Planungsgewinn gibt es also nicht. Wird allerdings vorgeschrieben, daß ein Acker wieder in eine Wiese umgewandelt werden soll, gibt es zwei Möglichkeiten. Ist es guter ackerfähiger Boden, entspricht also die ackerbauliche Nutzung der guten fachlichen Praxis, dann muß eine Entschädigung gezahlt werden. Liegt dieser Acker hingegen in einem Gelände, das alle zwei Jahre überschwemmt wird, so daß die Ackerfrucht vernichtet wird, dann entspricht diese Ackernutzung eben nicht der guten fachlichen Praxis. Die Auflage, diesen Acker wieder in eine Wiese umzuwandeln, bedingt also keinen Entschädigungsanspruch.
Nun zum zweiten Punkt. Wir wollen das Instrument des Vertragsnaturschutzes stärken, also jene Form der Landschaftspflege, bei der mit Privatleuten - in der Regel den Grundstückseigentümern -, aber auch mit Verbänden oder juristischen und anderen Personen Pflegeverträge abgeschlossen werden. Für uns ist das ebenfalls ein ganz wichtiger Punkt. Denn nach allen Erfahrungen, die vorliegen, ist die volkswirtschaftlich beste und billigste Methode der Pflege von Gebieten eben dieser Vertragsnaturschutz.
Ein ganz besonders naives Gegenargument, das ich in den letzten Tagen öfters gehört habe, besagt nun, man solle statt dessen das Grundstück aufkaufen und in Staatsbesitz überführen. Wer so argumentiert, weiß wirklich nicht, wovon er redet. Denn auch ein staatliches Grundstück muß in der Folge bekanntlich gepflegt werden. Ich jedenfalls habe noch nie davon gehört, daß sich etwa eine Wiese selbst gemäht hätte, nur weil sie in Staatsbesitz war.
({2})
- Ja, das kommt wohl noch. Das werdet ihr auch noch zu verordnen versuchen.
Die Pflege von Gebieten in Staatsbesitz muß in der Regel durch den Staat selbst erfolgen. Und das ist bekanntlich die teuerste Form der Pflege überhaupt. Diese wird allerdings in einigen Bundesländern offensichtlich bevorzugt, nämlich in denen, deren Regierungen ein etwas gestörtes Verhältnis zum Privateigentum haben.
({3})
Man könnte also sagen, daß hier wieder einmal der alte Gegensatz von Freiheit oder Sozialismus in etwas veränderter Form aufbricht.
({4})
Ich sage das in aller Deutlichkeit.
({5})
Der dritte Punkt, die Einführung der neuen Schutzgebietskategorie „Biosphärenreservat", ist politisch unumstritten. Fast alle wollen sie. Wir sehen die große Chance, beispielhaft zu zeigen, wie man in solchen Biosphärenreservaten die Natur einerseits und die Interessen der in diesen Gebieten lebenden Menschen andererseits zusammenführen kann. Auch dieses Instrument des Naturschutzes werden wir übrigens mit Leben erfüllen müssen, und wir werden lernen müssen, mit ihm umzugehen.
Ich bitte Sie, dieser Miniaturnovelle zuzustimmen. Wir haben derzeit keine Alternative dazu und werden sie in absehbarer Zeit auch nicht bekommen. Wir sind der Ansicht, daß diese drei Punkte, die ich eben vorgestellt habe, das Beste sind, was wir auf absehbare Zeit im Naturschutz überhaupt machen können, ganz gleich, wer etwas machen will.
Ich danke Ihnen und bitte um Ihre Zustimmung.
({6})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Mehl, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Rieder, zu Ihrem Beispiel bezüglich des unbestimmten Begriffes würde mich interessieren, ob es bei Liebesentzug auch Ausgleichszahlungen gibt.
({0})
Aber das können wir vielleicht bei anderer Gelegenheit klären.
Wir haben über zehn Jahre lang darauf gewartet, daß die Koalition oder die Bundesregierung eine Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz vorlegt, und nun haben wir innerhalb eines halben Jahres sogar zwei Gesetzentwürfe bekommen. Der erste Gesetzentwurf ist nur deshalb zustande gekommen, weil uns europäisches Recht zum Handeln gezwungen hat. Die zweite Novelle, die heute zur Diskussion steht, wurde eingebracht, weil die Koalition einen Punkt durchbringen will, der weniger mit Naturschutz denn mit der Befriedung einer Gruppe in dieser Gesellschaft, nämlich der Landwirte, zu tun hat.
Dagegen wäre überhaupt nichts zu sagen, wenn damit sowohl für den Naturschutz als auch für die
Landwirtschaft tatsächlich etwas erreicht würde. Aber genau das ist nicht der Fall.
({1})
- Ich möchte jetzt keine Wortmeldungen zulassen, aber gerne am Ende. Seien Sie so lieb und hören Sie erst einmal zu, was ich sage.
({2})
- Ach so. Welchen Satz meinen Sie? Meinen Sie den ersten Satz mit der Liebe? Dann wird es spannend.
Lassen Sie die Zwischenfrage jetzt doch gleich zu?
Ja.
Bitte schön, Herr Heinrich.
Liebe Frau Kollegin Mehl, Sie haben gerade eben einen sehr bemerkenswerten Satz gesagt.
({0})
Ich frage Sie deshalb: Sind Sie der Meinung, daß man Naturschutz ohne die Landwirtschaft oder gar gegen die Landwirtschaft durchsetzen kann?
({1})
- Das hat sie gerade eben indirekt gesagt.
({2})
- Ihr habt nicht aufgepaßt. Ich habe zugehört.
Das ist eine Frage der unterschiedlichen Wahrnehmung. Das Problem ist, daß Sie wirklich nicht zuhören oder nicht wahrhaben wollen, was wir zu diesem Thema sagen. Vielleicht sollten Sie meine weiteren Ausführungen anhören, weil ich dann noch dazu komme. Naturschutz und Landwirtschaft müssen zusammenarbeiten.
({0})
Die von Ihnen im letzten halben Jahr ergriffenen Initiativen bewirken das genaue Gegenteil: Sie spalten Naturschutz und Landwirtschaft. Dagegen wende ich mich.
({1})
Aber vielleicht hören Sie einfach noch weiter zu.
({2})
Ich will nämlich grundsätzlich noch einmal festhalten - Herr Kollege Rieder hat das ja nun auch wieder
gesagt; aber durch die Wiederholungen wird es nicht richtiger -: Die umfassende Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz ist im Bundesrat daran gescheitert, daß Sie den Ländern vorschreiben wollten, daß sie gemäß Ihren Vorgaben an die Landwirte Geld zu zahlen haben und der Vertragsnaturschutz erste Priorität haben soll.
({3})
Über alle anderen Punkte hätten wir reden können. Aber Sie waren überhaupt nicht bereit, über diesen sehr wichtigen Punkt mit sich reden zu lassen. Das konnten sich die Länder nicht gefallen lassen. Das halte ich auch für völlig berechtigt.
Ihre dritte Novelle besteht bis auf die Einführung einer neuen Schutzkategorie „Biosphärenreservat" im wesentlichen nur noch aus Finanzierungsfragen im Zusammenhang mit der Landwirtschaft. Diese gesetzliche Regelung ist von den Ländern und der SPD-Bundestagsfraktion in dieser Form abgelehnt worden.
({4})
Sie versuchen jetzt, genau diese Regelung, an der das Bundesnaturschutzgesetz gescheitert ist, an den Ländern vorbei durchzusetzen. Ich sage Ihnen: Sie erweisen damit dem Naturschutz einen Bärendienst. Am Ende wird auch die Landwirtschaft nichts davon haben.
({5})
Ich wiederhole es: Wir sind für Ausgleichszahlungen an die Landwirtschaft, wenn gleichzeitig naturschutzbedingte Einschränkungen ermöglicht werden. Die Länder sind auch bereit, hierfür Beträge in mehrstelliger Millionenhöhe zu zahlen.
({6})
Wenn diese Frage aber auf Bundesebene geregelt werden soll, dann geht es a) nur zusammen mit den Ländern
({7})
und b) nur dann, wenn wir mit den Ländern eine Definition der guten fachlichen Praxis festlegen, die den Naturschutz einbezieht.
({8})
Dies ist die wesentliche Voraussetzung für diese Regelung.
Sie betonen laufend, daß ein Konsens mit der Landwirtschaft wichtig für den Naturschutz ist - Sie haben das ja eben auch wieder angedeutet -, aber Sie sprechen den Anspruch auf die Herbeiführung eines Konsens genau denen ab, die das bezahlen sollen, nämlich den Ländern. Das ist völlig inakzeptabel.
({9})
Nun im einzelnen zu Ihrem Gesetzentwurf: Sie wollen einen Rechtsanspruch auf Ausgleichszahlungen an die Landwirtschaft.
({10})
und sagen, a) dies ist kein Problem, weil dieses Gesetz keinen Zwang zur Unterschutzstellung erzeugt und
Würden Sie bitte die Zwiegespräche einstellen und die Rednerin reden lassen.
- ja, das fände auch ich nett - b) daß Auslöser für eine solche Zahlung der Begriff der guten fachlichen Praxis sein soll. Zum Punkt a) möchte ich festhalten, daß diese dritte Novelle tatsächlich keinen Zwang zur Unterschutzstellung auslöst, daß aber die Novelle, die wir vor einem Monat verabschiedet haben, dies tut.
Wir haben die europäische Flora-Fauna-HabitatRichtlinie damit nämlich endlich in deutsches Recht umgesetzt. Das heißt, daß nun endlich Gebiete ausgewiesen werden müssen. Die Umsetzung dieser Richtlinie hätte schon bis 1995 geschehen müssen. Der Bundesregierung droht nun die nächste Klage, weil die Gebiete bis 1995 gemeldet werden sollten. Das hat sie bisher aus den bekannten Gründen nicht getan.
Im übrigen, finde ich, läßt es tief blicken, daß Sie als eine Begründung für die dritte Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz festhalten, dieses Gesetz verpflichte nicht zu Gebietsausweisungen. Ziel des Gesetzes muß nämlich die Verbesserung des Naturschutzes sein. Das aber wollten Sie offenbar nicht.
Zum Punkt b), zur Frage der Auslegung des Begriffs „gute fachliche Praxis", möchte ich feststellen, daß in der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf am vergangenen Montag, die übrigens auf unser Drängen hin stattgefunden hat, die befragten Experten sich dahin gehend geäußert haben, daß dieser Begriff sehr unterschiedlich auslegbar ist. Dies haben auch die Landwirtschaftsexperten festgestellt. Es wurde gesagt, daß dieser Begriff nichts anderes beinhalte als der bisherige Begriff der ordnungsgemäßen Landwirtschaft.
Deswegen ist es interessant, daß Sie in der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf feststellen - ich zitiere -:
Die mit der gesetzlichen Vermutung einer Zielharmonie zwischen ordnungsgemäßer Land- und
Forstwirtschaft und Naturschutz und LandUlrike Mehl
schaftspflege verbundene Sonderstellung der Land- und Forstwirtschaft kann insbesondere angesichts der tatsächlichen Entwicklung in der Land- und Forstwirtschaft nicht mehr aufrechterhalten werden. Diese Entwicklung erfordert, daß die Maßnahmen der Land- und Forstwirtschaft ebenso wie die Maßnahmen anderer Wirtschaftsbereiche verstärkt nach ihren tatsächlichen Wirkungen auf Natur und Landschaft beurteilt werden.
Sehr richtig. Genau das fordert die SPD-Fraktion seit Jahren.
Aber was Sie tun, ist das Gegenteil. Wenn die Agrarexperten in der Anhörung übereinstimmend feststellen, daß die gute fachliche Praxis und die ordnungsgemäße Landwirtschaft im Grunde dasselbe beinhalten, dann können Sie doch nicht vor dem Hintergrund Ihrer eigenen, soeben zitierten Kenntnis in der Begründung, zwei Seiten vorher, gleichzeitig festhalten:
Die der guten fachlichen Praxis entsprechende Bodennutzung widerspricht ... in der Regel nicht den Zielen und Grundsätzen des Naturschutzes ...
Das ist doch wohl ein elementarer Widerspruch in Ihrem eigenen Gesetzentwurf.
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Wenn einer Ihrer Agrarpolitiker in der Anhörung gewesen wäre,
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hätte das vielleicht den Geist erhellt. Aber das war leider nicht der Fall. Vielleicht wollten Sie nichts hinzulernen.
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- Ja, Sie waren anwesend. Ich meine Vertreter der CDU/CSU.
Neben diesen Punkten haben Sie erneut den Vertragsnaturschutz als prioritäres Instrument festgeschrieben. Inzwischen haben Sie zwar die Formulierung zum Vertragsnaturschutz abgeschwächt. Aber das haben Sie getan, damit Sie am Bundesrat vorbeikommen. Der Vertragsnaturschutz ist ein durchaus sehr wichtiges Instrument. Er kann aber nicht das einzige und auch nicht das mit allererster Priorität sein. Dieses Instrument muß vielmehr in die Naturschutzkonzepte der Länder eingepaßt sowie dort eingesetzt und benutzt werden, wo es sinnvoll ist. Das tun die Länder seit vielen Jahren erfolgreich. Deshalb ist es überflüssig und falsch, diese Regelung in das Bundesnaturschutzgesetz hineinzuschreiben.
Es bleibt jetzt noch die Frage, ob dieser Gesetzentwurf seitens des Bundesrates zustimmungspflichtig ist oder nicht.
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Bei der Vorschrift bezüglich der Ausgleichszahlung muß zumindest geklärt werden, ob nicht Art. 104 a Abs. 3 des Grundgesetzes eine Zustimmungspflicht begründet. Dieser Artikel besagt, daß „Bundesgesetze, die Geldleistungen gewähren und von den Ländern ausgeführt werden", so „daß die Länder ein Viertel der Ausgaben oder mehr tragen", der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Da dieses Gesetz zu 100 Prozent von den Ländern finanziert wird, ist zumindest die Frage nach der Zustimmungspflichtigkeit berechtigt.
Bei der Regelung des Vertragsnaturschutzes sind sich unsere Experten allerdings einig, daß eine Zustimmungspflicht auf jeden Fall gegeben ist. Dies begründet sich aus Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes, der besagt: Wenn der Bund, auch im Rahmenrecht, allgemeine und ins einzelne gehende Regelungen über Verwaltungsverfahren im Sinne des Art. 75 Abs. 2 Grundgesetz trifft, dann bedarf es der Zustimmung der Bundesrates. Ich denke, daß diese Frage noch geklärt werden muß.
Aber abgesehen von der rechtlichen Frage finde ich es sehr bedrückend, daß Sie, statt eine problematische Fragestellung zu lösen, diese einfach auf die Länder abschieben.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heinrich?
Nein, ich lasse keine mehr zu. Das war vorhin so inhaltsleer; das müssen wir uns nicht noch einmal antun.
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Ich weiß aus Einzelgesprächen mit Landwirten - dies wurde auch bei der Anhörung festgestellt -, daß die Probleme der Landwirte nur in sehr geringem Maße durch Naturschutzpolitik ausgelöst werden. Wenn es anders wäre, dann müßten nämlich alle Landwirte außerhalb von Schutzgebieten rundherum blühende Landschaften haben. Wenn ich die Diskussion richtig verstanden habe, dann ist das nicht der Fall.
Deswegen sage ich Ihnen: Gehen Sie endlich die wirklichen Probleme der Landwirtschaft an! Versuchen Sie nicht, Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen, um davon abzulenken, daß Sie die wirklichen Probleme nicht lösen können.
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Machen Sie Vorschläge im Rahmen der Agrarpolitik, wie die deutsche Landwirtschaft leistungsfähig und umweltverträglich zugleich sein kann. Damit würden Sie den Landwirten helfen.
Sollte dieses Gesetz tatsächlich in Kraft treten, wird es, glaube ich, noch ein böses Erwachen geben. Dann werden wir nämlich feststellen, daß der NaturUlrike Mehl
schutz gebremst oder erschwert worden ist, aber die Landwirte leer ausgehen.
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Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem Abgeordneten Heinrich, F.D.P.
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Es tut mir herzlich leid, aber die Sache ist mir sehr wichtig. Wenn ich keine Frage stellen darf, dann muß eben eine Kurzintervention zugelassen werden. Das erlaubt unsere Geschäftsordnung.
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Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die von der SPD beantragte Sachverständigenanhörung hat eine eindeutige Antwort auf die Frage nach der Zustimmungspflicht und dem entsprechenden Zurückweisungsgesetz gegeben. Bis auf einen waren sich da alle Sachverständigen einig; dazu gehörte übrigens auch der Sachverständige, den Sie berufen haben, Professor Bauer.
Für uns ist die Verankerung des Vertragsnaturschutzes im Bundesnaturschutzgesetz ein wichtiges Element. Wir wollen es verbessern, weil wir klipp und klar zum Ausdruck bringen möchten, daß die Kooperation zwischen Naturschutz und Landwirtschaft allemal besser ist
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als der staatliche Dirigismus, der eine weniger effektive und weniger wirkungsvolle Naturschutzpolitik beinhaltet.
Wir sind anderer Meinung als der von Ihnen benannte Sachverständige Professor Heydemann, der am liebsten alle Flächen aufkaufen und sie unter staatliches Regime mit der entsprechenden Pflegepflicht stellen möchte. Sie müssen sich in einer solchen Debatte gefallen lassen, daß Sie mit diesen Äußerungen konfrontiert werden.
Meine Damen und Herren, es geht jetzt darum, daß die Länder, die sich in ihrer Politik dem Naturschutz und dem entsprechenden notwendigen Ausgleich zur Sicherung des Eigentums verpflichtet haben, eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat verhindern.
Es ist auch bemerkenswert, was der Sachverständige des WWF vorgetragen hat. Er hat an Hand eines Schaubildes deutlich gezeigt, wo in der Republik Naturschutz tatsächlich betrieben wird und wo nicht. Es war ein deutliches Nord-Süd-Gefälle festzustellen, bei dem Bayern, Baden-Württemberg und auch Rheinland-Pfalz ihre hervorragende Naturschutzpolitik unter Beweis stellen konnten. Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und große Teile der neuen Bundesländer waren auf der Landkarte des WWF weiße Flächen.
Meine Damen und Herren, das zeigt ganz deutlich, daß Vertragsnaturschutz, wenn er von den Ländern verantwortungsvoll betrieben wird, zum Wohle des Naturschutzes ist und daß genau die Länder, die ihn betreiben, aufgefordert sind, dem Naturschutz mit einer entsprechenden Ausgleichsregelung zum Durchbruch zu verhelfen und eine Zweidrittelmehrheit der SPD-regierten Länder im Bundesrat zu verhindern.
Herzlichen Dank.
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Frau Abgeordnete Mehl, bitte Ihre Antwort.
Zu dem, wie sich die Sachverständigen in der Anhörung Ihrer Meinung nach geäußert haben, möchte ich sagen: Das ist schlicht falsch. Ich wiederhole: Da gibt es offenbar eine unterschiedliche Wahrnehmung. Die beiden Juristen haben sich diametral gegenübergestanden. Sie waren nicht einer Meinung. Das halte ich für mich fest.
Zur Frage des Vertragsnaturschutzes. Ich sage noch einmal: Das ist ein geeignetes Instrument. Aber es gibt auch noch Flächen, die nicht gemäht werden müssen. Es hängt nämlich von der Naturausstattung der Fläche ab, welches Instrument sinnvoll ist. Das ist nicht prioritär der Vertragsnaturschutz. Vielmehr ist der Vertragsnaturschutz nur eines der Instrumente.
Auch Flächenankauf kann interessant sein, auch wenn Herr Rieder das lächerlich findet.
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- Lassen Sie mich jetzt auch mal reden, Herr Kollege.
- Dieses Konzept ist übrigens in Schleswig-Holstein so gelaufen, daß die Landwirtschaft das Land mit Angeboten zu verkaufender Flächen zugeschmissen hat. Es ist also nicht so, daß die Landwirtschaft dieses Instrument nicht wollte. Vielmehr ist es in den Bereichen, wo es sinnvoll ist - es ist nicht überall sinnvoll -, angewendet worden, und alle waren zufrieden.
Es geht darum, Herr Kollege, daß Sie die Ausgleichszahlung an den Begriff „gute fachliche Praxis" anbinden. Dazu haben alle Experten gesagt, dieser Begriff sei dehnbar in alle Richtungen.
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Selbst der Vertreter des Bauernverbandes und auch der eben von Ihnen zitierte Professor Bauer aus dem Landwirtschaftsbereich haben ausdrücklich gesagt: Dieser Begriff ist ungeeignet, um Ausgleichszahlungen daran zu knüpfen. Das möchte ich hier auch noch einmal festhalten. Es geht mir darum, dies zu klären. Aber dazu sind Sie ja nicht bereit.
Ich sage Ihnen noch etwas zum Thema Bundesrat: Wenn ich mich recht erinnere, dann gehörte Bayern zu den Ländern, die wenig Vergnügen an dieser Regelung hatten. Vielmehr hat sich Bayern mehr oder weniger breitschlagen lassen. Noch besser habe ich in Erinnerung, daß Baden-Württemberg eines der Länder ist, die bisher erklärt haben, sie hielten diese Regelung für überflüssig. Gut so!
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Heinrich, wenn es Ihnen um Kooperation geht, dann fände ich es besser, Sie würden solche Projekte unterstützen wie das Projekt des Naturschutzbundes „Landschaft schmeckt", und das mit Nachdruck. Die Umweltverbände raten uns zur Kooperation. Wenn das Ziel tatsächlich Kooperation ist, dann müssen Sie sich vorwerfen lassen, daß Sie diese Kooperation auf Grund von mangelnder Professionalität in der Handhabung bisher verhindert haben und daß Sie die Blockaden gebildet haben und nicht etwa die Opposition.
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Der nun vorliegende Gesetzentwurf der Regierungskoalition dient in erster Linie der Gesichtswahrung der Agrarpolitiker der Union und der F.D.P. Die eigenen Minister der Bundesregierung waren nämlich nicht bereit, Kofinanzierungsgelder für Ausgleichsmaßnahmen zur Umsetzung der 1992 von der Bundesregierung - nicht den Ländern - unterschriebenen europäischen Naturschutzrichtlinie zur Verfügung zu stellen.
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Das haben statt dessen Grüne und SPD gefordert, und zwar für solche Nutzungsausfälle, die über die Sozialpflichtigkeit des Eigentums - im Grundgesetz festgelegt; das haben Sie selbst gesagt - hinausgehen.
Nun setzt die Bundesregierung ihre eigenen, CDU-regierten Länder unter Druck, damit sie diesem ungeliebten Gesetzentwurf zustimmen, so daß Sie diese Gesichtswahrung dann noch erreichen können. Von einer Konfliktlösung kann aber überhaupt nicht die Rede sein;
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denn die Regierung versucht sich da mit einer kalten Enteignung der Länder. Es geht dabei auch um das Eigentum des Steuerzahlers. Das muß man erwähnen, da Sie doch so für Eigentum eintreten.
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Dabei haben die Länder ja nicht einmal die alleinige Kompetenz für die Ausweisung und Kontrolle der in der Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen und damit sicher auch nicht die alleinige Finanzlast zu tragen.
Gleichzeitig können die Bauern mit diesem Gesetzentwurf herzlich wenig anfangen; denn ein Rechtsanspruch erwächst aus diesem Gesetzentwurf nun auch wieder nicht. Die Folge kann allenfalls eine Prozeßflut sein. Diese setzt gleich dann ein, wie Ulrike Mehl gesagt hat, wenn es um die noch völlig ungeklärte Frage der Zustimmungspflichtigkeit geht.
Gerade auf Grund der mangelhaften rechtlichen Umsetzung der Naturschutzrichtlinie durch diese Bundesregierung ist der Finanzbedarf tatsächlich nicht absehbar. Wenn, wie manche befürchten, noch zusätzlich Beträge in dreistelliger Millionenhöhe auf die Länder zukommen, die sie allein zu tragen haben, dann kann man diesen Gesetzentwurf als Verhinderung von Naturschutzpolitik und als Verhinderung von Kooperation durch Finanzerpressung der Länder bewerten.
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Wir sind der Auffassung: Erstens. Vertragsnaturschutz ist ein sinnvolles Instrument. Zweitens. Es soll einen Ausgleich für wirklichen Nutzungsfall geben. Da wiederhole ich, was schon meine Vorgängerin gesagt hat: Dafür ist es notwendig, die „gute fachliche Praxis" und die Landwirtschaftsklausel sehr wohl auch so zu definieren, daß damit eine moderne Landwirtschaftspolitik beschrieben wird, und Landwirtschaftspolitik auch so zu betreiben, daß damit Naturschutz wirksam gewährleistet werden kann. Wenn der Druck jetzt noch mehr wächst, dann kann man - unter den gegebenen Bedingungen - den Bauern da, wo es gerechtfertigt ist, nicht noch weitere Lasten aufbürden, wie dies in der Agenda 2000 vorgesehen ist. Das haben wir auch überhaupt nicht vor.
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Wir lehnen den Gesetzentwurf ab und stimmen dem Änderungsantrag der SPD zu, der in die richtige Richtung weist.
Vielen Dank.
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Das Wort hat die Abgeordnete Birgit Homburger, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koalition setzt mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes die Modernisierung des Naturschutzrechts fort. Unser Ziel ist dabei die Stärkung der Kooperation im Naturschutz und gleichzeitig auch der Schutz
des Eigentums der betreffenden Landwirte. Ich finde, das gehört zusammen.
Der Naturschutz kann nur in Kooperation mit der betreffenden Bevölkerung erfolgreich sein. Für den ländlichen Raum heißt das auch: Kooperation statt Konfrontation mit der Landwirtschaft. Frau Mehl, Schleswig-Holstein ist ein Paradebeispiel für erfolglose Umweltpolitik durch Konfrontation. Früher gab es dort eine breite Akzeptanz des Naturschutzes; diese ist aber mittlerweile mehr oder weniger in Haß gegen die Naturschutzverwaltung und alle neuen Pläne umgeschlagen. Wenn man so vorgeht, wie es dort geschehen ist, dann macht man den Naturschutz kaputt.
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Vertragsnaturschutz ist ein zentrales Instrument der Kooperation; deshalb wollen wir auch, daß zunächst geprüft wird, ob dieser Weg gangbar ist. Wer sich hiergegen wendet, der hängt noch immer dem preußischen Obrigkeitsstaat an.
Wir Liberalen setzen auch in diesem Fall auf Partnerschaft von Staat und Bürger.
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Unser Ansatz ist die Stärkung des Vertragsnaturschutzes als Alternative zum Ordnungsrecht. Dieser Ansatz wurde auch von den Sachverständigen ganz überwiegend unterstützt.
Frau Mehl, diese Regelung bedeutet nicht, daß nicht auch weiterhin Anordnungen getroffen werden können. Sie besagt nur, daß der Vertragsnaturschutz Vorrang haben soll. Das heißt, wenn es irgendwo ein berechtigtes Naturschutzanliegen gibt, die Landwirtschaft sich zu einer Kooperation aber nicht bereit erklärt, dann kann man nach wie vor sehr wohl eine Anordnung treffen; insofern ist auch den Interessen des Naturschutzes Rechnung getragen.
Auch die Verpflichtung der Länder, für einen angemessenen Ausgleich bei naturschutzbedingten Einkommensverlusten zu sorgen, wurde von vielen Sachverständigen gutgeheißen. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit und des Eigentumsschutzes, Sonderlasten von Landwirten im Interesse des Naturschutzes angemessen auszugleichen.
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Frau Mehl, Sie haben gesagt, die Sachverständigen hätten die Ansicht vertreten, die gute fachliche Praxis, an die das geknüpft sei, tauge nicht. Ich entgegne dem nur folgendes: Ihr eigener Sachverständiger, Professor Bauer, hat auf meine Nachfrage bestätigt, daß es auf Grund der unterschiedlichen Flächen, der unterschiedlichen Naturschutzsituation, der unterschiedlichen landwirtschaftlichen Nutzung usw. gar nicht anders möglich ist, eine Einzelfallentscheidung für den Ausgleich zu treffen.
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Sie können keine Pauschalregelung machen. Deswegen ist die Anknüpfung an diesen Begriff sehr wohl möglich.
Über die Frage der Ausgleichszahlung besteht im übrigen ein breiterer Konsens, als Sie es uns hier weismachen wollen; denn in den Bundesländern gibt es solche Ausgleichszahlungen, wenn auch in ganz unterschiedlichem Maße.
Frau Höfken, Ihre Behauptung, daß diese Ausgleichszahlungen eine kalte Enteignung der Länder seien, ist eine groteske Verdrehung der Tatsachen.
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Wenn die Länder, in deren Hand das Recht der Ausweisung liegt, eine vernünftige Politik betreiben, dann haben sie damit auch überhaupt kein Problem, weil sie dadurch, daß sie sich mit der Naturschutzflächenausweisung vernünftig auseinandersetzen, ihre Ausgaben selber bestimmen können.
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Frau Mehl selbst hat im Ausschuß und auch hier gesagt: Naturschutz kostet Geld. Doch so, wie Sie von der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen ihn sich vorstellen, kostet er sogar Unsummen. Sie möchten die Naturschutzflächen in Deutschland verfünffachen - einen entsprechenden Antrag haben Sie ja gestellt - und davon möglichst viele Flächen aufkaufen. Mit der Forderung nach einer Gemeinschaftsfinanzierung, wie Sie sie im Ausschuß erhoben haben, haben Sie die Katze aus dem Sack gelassen: Sie wollen an das Geld des Bundes, um die Länder zu Großgrundbesitzern zu machen.
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- Frau Präsidentin, im Augenblick möchte ich keine Zwischenfrage beantworten. Gleich, wenn ich den Absatz beendet habe, antworte ich gern. - Oder wollen Sie zukünftig die deutsche Industrie aufkaufen, um auf diese Art und Weise noch mehr Umweltschutz durchzusetzen? Das wäre ja eine Parallele dazu. Ich sage Ihnen: Das, was Sie wollen, ist Staatsmonopolismus pur, und es ist ein Beweis dafür, daß Herrn Schröders Sprüche über Modernisierung nur hohle Phrasen sind.
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Jetzt Ihre Zwischenfrage, Frau Abgeordnete Höfken, bitte schön.
Ich muß sagen, die Staatsmonopolismus-Anschuldigung
bringt mich fast aus der Fassung, gerade wenn Sie sie gegen die SPD richten.
Ich möchte Ihnen eine Frage zu den Kompetenzen der Länder stellen. Sie haben ja nun einen interessanten Satz gesagt, und zwar den: Die Länder haben es selbst in der Hand, wie viele Schutzgebiete sie ausweisen. Ich glaube, daß das so nicht stimmt.
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Das wird ja auch von der FFH-Richtlinie so nicht gewollt. Es gibt objektive Kriterien, nach denen ausgewiesen werden soll. Aber wenn Ihre Behauptungen stimmen würden, wollen Sie damit sagen, daß die Länder dann, wenn sie kein Geld haben, eben nichts ausweisen sollen? Wenn das zutrifft, würde das den Vorwurf bestätigen, den ich eben gemacht habe, nämlich daß das ein Schutzgebietsverhinderungskonzept und ein Naturschutzgesetzverhinderungskonzept ist.
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Es ist völlig lächerlich, was Sie uns vorwerfen. Es verhält sich doch so: Die Ausweisung von Flächen für den Naturschutz erfolgt zwar an Hand bestimmter Kriterien. Die verschiedenen Schutzkategorien werden also auf Grund bestimmter Kriterien eingeteilt; das ist völlig richtig. Aber die Ausweisung erfolgt durch die Länder und nicht durch den Bund. Das ist die Grundlage. Deswegen fügen wir hinzu: Weil die Länder die Ausweisung beschließen, sind sie hinterher auch für die ausgewiesenen Flächen zuständig und müssen, sofern das notwendig ist - es ist ja nicht immer notwendig -, Ausgleichszahlungen leisten. Dabei handelt es sich nicht um eine Bundesaufgabe, weil der Bund keinerlei Entscheidungskompetenz hat. Wir haben nur eine Rahmengesetzgebungskompetenz.
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Was das Geld angeht, möchte ich sagen: Es geht um eine vernünftige Naturschutzpolitik; es geht darum, daß durchaus Flächen ausgewiesen werden können, ohne daß Ausgleichszahlungen geleistet werden müssen. Es geht überhaupt nicht darum, daß die Länder dann, wenn sie kein Geld haben, keinen Naturschutz machen sollen. Vielmehr sollen sie sich überlegen, wie sie die Naturschutzaufgaben, die objektiv vorhanden sind, finanzieren können. Die Beträge, um die es sich dabei handelt - das wissen Sie genauso gut wie ich -, können auch finanziert werden.
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Das ist überhaupt kein Problem. Darüber hinaus gibt es ja auch nach wie vor die Anordnungsbefugnis in den Gebieten, wo das dringend erforderlich ist.
Auch das folgende spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle: Sie weisen immer darauf hin, daß man Flächen ankaufen soll. Der Flächenankauf allein ist aber noch kein Naturschutz; auch wenn das immer wieder behauptet wird. Frau Mehl hat uns ja vorhin vorgeworfen - das haben auch Sie implizit gerade getan -, daß wir dadurch, daß wir das 10-Prozent-Ziel, wonach 10 Prozent der Landesfläche als Naturschutzfläche ausgewiesen werden sollen, nicht mittragen, gegen Verbesserungen beim Naturschutz sind. Das ist natürlich Quatsch. Es geht um Qualität, nicht um Quantität. Es geht nämlich darum, was anschließend mit diesen Flächen passiert. Der Zweck des Naturschutzes kann nur durch Pflege erreicht werden. Die anschließende Pflege ist das, was Geld kostet. Deswegen ist der Ankauf von Flächen Unsinn.
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Das heißt also: Es geht nicht allein um die Frage der Quantität, es geht auch um die Frage der Qualität. Diese Frage beantwortet unser Gesetzentwurf sehr wohl in positiver Weise.
Der Gesetzentwurf der Koalition ist sehr sorgfältig entwickelt worden,
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auch im Hinblick auf die Verfassungskonformität. Dieses Gesetz bedarf nämlich nicht der Zustimmung des Bundesrates. Denn wir regeln weder das Verwaltungsverfahren der Länder, noch schaffen wir ein Leistungsgesetz. Nicht nur der Sachverständige Professor Löwer, sondern auch andere haben diese Auffassung unserer Verfassungsressorts sehr eindeutig bestätigt.
Daß die Koalition den Weg der Auskoppelung dieses Gesetzes aus der ursprünglichen Naturschutznovelle einschlagen mußte, mag ja ungewöhnlich sein. Aber SPD und Grüne haben uns dazu gezwungen. Sie haben ultimativ verhandelt und damit zunächst nur die Umsetzung der EU-Vorschriften zugelassen. Ihre Blockadetaktik ist nicht aufgegangen. Das mag für Sie bitter sein, Frau Mehl.
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Ziehen Sie daraus die Lehre: Mit Destruktion erreichen Sie am Ende nichts.
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Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter, PDS.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die in dieser Woche durchgeführte Anhörung zu den EntschädiEva Bulling-Schröter
gungs- und Ausgleichsleistungen hat gezeigt, wo das Kernproblem liegt. Wieviel Naturschutz ist einem Flächeneigentümer überhaupt zuzumuten? Greift das Recht auf gewinnbringende Verwertung von Äkkern und Wäldern stärker als das Recht der Allgemeinheit auf gesunde Umwelt und biologische Vielfalt, und muß der Staat deshalb Bauern und Waldbesitzern Umweltschutz abkaufen?
Die PDS ist grundsätzlich der Auffassung, daß die natürliche Umwelt nicht in private Hände gehört; denn sie ist begrenzt, läßt sich also nicht beliebig vermehren. Innerhalb der Binnenlogik dieser Gesellschaft fordern wir aber die Sozialpflichtigkeit des Eigentums ein. Sozialpflichtigkeit heißt auch: Erhalt der natürlichen Umwelt. Da kann es nicht sein, daß die öffentliche Hand privaten Eigentümern von Naturschutzflächen auch noch die Verwertungsbedingungen garantieren muß.
Die öffentliche Hand kann aus Umwelt- oder strukturpolitischen Gründen für einen Ausgleich sorgen, was auch heute schon auf vielfältige Art und Weise über die Agrarumweltprogramme, verschiedene EU-Töpfe usw. geschieht. Wir meinen aber, daß es aus Gründen der Akzeptanz von Naturschutzmaßnahmen durchaus sinnvoll wäre, ein einheitliches Maß für zu zahlende Ausgleichsleistungen zu finden. Dieses Maß haben Naturschutzverbände und andere mehrfach definiert. Es sollten bundeseinheitlich verbindliche Betreiberpflichten für die Land- und Forstwirtschaft festgeschrieben werden. Wer dann als Land- oder Forstwirt zugunsten des Landschaftsoder Artenschutzes über diese Betreiberpflichten hinaus Leistungen erbringt, soll dafür auch bezahlt werden.
Die Bundesregierung scheut sich aber vor einer klaren und verbindlichen Definition solcher Betreiberpflichten. Der Verweis auf die Anforderungen an die gute fachliche Praxis im Bundes-Bodenschutzgesetz ist wenig hilfreich; denn dort haben diese letztlich nur empfehlenden Charakter. Mit der heute hier vorliegenden Konstruktion hätte am Ende beinahe jeder Eigentümer von Naturschutzflächen ein Anrecht auf Staatsgelder, egal ob die Flächen bewirtschaftet werden oder nicht, egal ob tatsächlich ein Aufwand für den Naturschutz betrieben wird oder nicht. Dadurch werden die knappen Mittel verschleudert. Für wirklich bedürftige Landwirte wird somit weniger zur Verfügung stehen, was nicht im Sinne der Bauern sein dürfte.
Wir denken, diese merkwürdige Finanzierung einer verfehlten Landwirtschaftspolitik aus Naturschutztöpfen darf nicht Inhalt des Bundesnaturschutzgesetzes werden. Deshalb lehnt die PDS den vorliegenden Gesetzesantrag ab.
Jetzt noch einmal zu den Summen. Wir reden über 3 bis 24 Millionen DM in zehn Jahren, die den Ländern aufgebürdet werden. In der Anhörung wurde von den Sachverständigen ausgeführt, daß damit sowieso nur 1 Prozent der Fläche der Bundesrepublik abgedeckt werden könnte.
Wir brauchen eine andere Agrarpolitik. Mit dieser sogenannten Naturschutzpolitik kann die Existenz der Bauern nicht gefördert werden. Das Höfesterben in der Bundesrepublik geht weiter.
Ich möchte mit einem Satz enden, den mir ein bayerischer Bauer mitgegeben hat und den ich hier zitieren soll:
Solange in dieser Bundesrepublik für eine Tonne Weizen weniger bezahlt wird als für eine halbe Tonne, die zur Müllentsorgung gebracht wird, so lange stimmt in dieser Bundesrepublik was nicht.
({0})
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Angela Merkel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir führen heute angesichts der zweiten und dritten Lesung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes zum wiederholten Male die Diskussion über den Naturschutz und das Verhältnis von Naturschutz und Landwirtschaft.
Da hier heute viel von Kooperation die Rede ist, muß man schon festhalten - Frau Mehl, auch Sie haben das indirekt gesagt -, daß letztlich keinerlei Möglichkeit zu Gesprächen mit der A-Seite im Bundesrat darüber bestand, daß Ausgleichsregelungen notwendig sind und daß wir einheitliche Bestimmungen darüber brauchen, und daß daran jede Diskussion gescheitert ist.
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Es ist nicht richtig, daß Gesprächsbereitschaft in irgendeiner Weise bestanden hätte.
Wenn man einen wesentlichen Teil des Verhältnisses von Naturschutz und Landwirtschaft von vornherein ausklammert, braucht man sich nicht zu wundern, wenn wir dann die Wege, die möglich sind, suchen, um in einer Weise, die, wie Sie sagen, nicht so kooperativ ist, das, was wir für notwendig halten, umzusetzen.
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Wir haben mit dieser dritten Novelle zwei Dinge angepackt: zum einen die Ausgleichsregelung und zum anderen die sogenannte Landwirtschaftsklausel. Ich finde es schon sehr spannend, daß vor drei Jahren die Landwirtschaftsklausel eine der Kernfragen einer Novelle zum Naturschutzgesetz war und daß nun, wo wir eine neue Formulierung vorgeschlagen haben, die ja Ihren Intentionen eigentlich gar nicht so zuwiderläuft, darüber fast gar nicht mehr gesprochen wird. Dieser Teil ist genauso wichtig wie die Frage des Ausgleichs.
Aber wir brauchen eben ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Naturschutz. Auch Sie wissen ja, daß wir die gute fachliche Praxis in den Einzelgesetzen sehr präzise definieren. Das
wollen wir aber nicht im Bundesnaturschutzgesetz machen, weil wir dann die Dinge unentwegt verändern müßten. Das haben wir auch schon häufig miteinander besprochen.
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- Es gibt immer noch Zukunftsaufgaben, und denen werden wir uns zuwenden, auch im nächsten und übernächsten Jahr; da machen Sie sich mal keine Sorgen.
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Meine Damen und Herren, deshalb bin ich froh, daß in dieser dritten Novelle nunmehr der Versuch unternommen wird, an zwei wichtigen Punkten für eine bessere Akzeptanz des Naturschutzes zu sorgen.
Manchmal frage ich mich, ob wir bei der Diskussion in diesem Hause daran denken, wie die Stimmung vor Ort ist. Wo immer ich hinfahre, ist das Verhältnis von Naturschutz und Landwirtschaft in den letzten Jahren dramatisch schlechter geworden,
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vor allem in den Ländern, in denen kein Ausgleich gezahlt wird.
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Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wenn wir gemeinsam etwas für den Naturschutz tun wollen, dann lassen Sie uns dieses Problem ernst nehmen. Ob Sie in Sachsen-Anhalt, in Schleswig-Holstein oder in Niedersachsen sind: Wenn Sie Naturschutz nach der jeweiligen Kassenlage des Landes betreiben, werden Sie keine Akzeptanz dafür bekommen, und dann wird die Sache in eine völlig falsche Richtung weitergehen.
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Wir wissen, daß wir mit dem Naturschutzgesetz nicht alle Probleme der Landwirte regeln. Das wollen wir auch gar nicht.
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Aber wir wissen, daß wir einen Schritt gehen, um eine bessere Akzeptanz des Naturschutzes zu erreichen. Interessanterweise - darauf ist hier von der Opposition heute keiner eingegangen - hat ja der WWF, und zwar in seiner Gesamtheit, nicht nur durch seinen Landwirtschaftsexperten, inzwischen seine Position völlig verändert. Auch die anderen Naturschutzverbände würden dies tun, wenn sie nicht Angst hätten, daß die einzelnen für Naturschutz zuständigen Minister in den Länderkabinetten zu schwach wären, um wirklich zu einem fairen Ausgleich zu kommen.
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Das ist doch der eigentliche Grund.
Deshalb, meine Damen und Herren, sage ich Ihnen: Wir sind hier auf dem richtigen Weg. Ich denke, wir werden darüber auch im Bundesrat weiter diskutieren. Ich sage Ihnen, daß die verfassungsrechtlichen Fragen vernünftig geprüft sind und die Anhörung uns auch in einem sehr, sehr breiten Ausmaß bestätigt hat.
Ich möchte noch auf die Aufnahme der Kategorie Biosphärenreservate eingehen. Ich denke, daß wir damit einen richtigen Schritt gehen, einen wichtigen Schritt gerade im Hinblick auf die neuen Bundesländer. Denn angesichts der dichtbesiedelten Struktur der Bundesrepublik Deutschland können Biosphärenreservate in vielen Bereichen Nutzung und Schutz besser miteinander verbinden, als das bisher durch Nationalparke geschehen konnte.
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Lassen Sie mich ganz zum Schluß nur noch sagen - die Debatte hier bezieht sich ja auch noch auf andere Punkte -: Wir begrüßen die Ausweisung des Nationalparkes „Hainich". Wir glauben, das ist ein wichtiger Schritt. Wir unterstützen die Beschlußempfehlung zur biologischen Vielfalt. Wir werden in wenigen Wochen eine Konferenz in Bratislava haben. Wir setzen uns auch dafür ein, sogenannte Hotspots zu definieren, und ich bin sehr froh, daß die Weltbank in den letzten Tagen zusammen mit dem WWF Anstrengungen gemacht hat, um uns auf diesem Weg zu unterstützen. Ich glaube, hier sind wir auch weitestgehend einig.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes, Drucksachen 13/10186 und 13/10475. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen nun zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/10476. Wer stimmt für den Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der EntVizepräsidentin Michaela Geiger
schließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 13/8673 zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur kostenlosen Überlassung des ehemaligen Truppenübungsplatzes Weberstedt an den Freistaat Thüringen zu Zwecken des Naturschutzes und zum Antrag der Fraktion der SPD zur Einrichtung eines Nationalparks Hainich im Rahmen des Thüringer Naturparks „Eichsfeld-Hainich-Werratal" : Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge auf Drucksachen 13/5590 und 13/7820 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 13/10169 zu dem Antrag der Fraktionen von CDU/ CSU und F.D.P. zu Erhaltung und Schutz der biologischen Vielfalt durch weltweite Ausweisung von Schutzgebieten. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7252 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung des restlichen Hauses angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck ({1}), Halo Saibold, Joseph Fischer ({2}), Kerstin Müller ({3}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Ute Vogt ({4}), Freimut Duve, Monika Ganseforth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
60. Jahrestag der Bombardierung von Guernica/Gernika
- Drucksachen 13/7509, 13/9468 -Berichterstattung:
Abgeordnete Hartmut Koschyk Ute Vogt ({5})
Rezzo Schlauch
Cornelia Schmalz-Jacobsen Ulla Jelpke
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Abgeordneten Ute Vogt, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am kommenden Sonntag werden die Einwohner von Guernica zum 61. Mal der Zerstörung ihrer Stadt gedenken. Am
26. April 1937 wurde die baskische Stadt Guernica durch den Bombenagriff der deutschen Legion Condor fast völlig zerstört. Dabei ging es dem damaligen Machthaber Hitler nicht nur um die Unterstützung des faschistischen Regimes von General Franco. Der Bombenangriff auf die wehrlose Zivilbevölkerung war für die Legion Condor ein willkommener Test für die Wirksamkeit ihrer Luftangriffe. Die Zerstörung der Stadt und die Vielzahl der Opfer wurden damit zum historischen Mahnmal moderner Kriegsführung.
In der vergangenen Woche wurde in einer Sendung des „Kulturweltspiegel" in Zweifel gezogen, ob denn die Bombardierung tatsächlich mit dem Ziel der Zerstörung stattgefunden hätte. Daher möchte ich hier noch einmal aus dem Tagebuch des Wolfram Freiherr von Richthofen zitieren, auch wenn dieses Zitat in diesem Hause schon häufiger vorgetragen worden ist. Richthofen war damals Stabschef der Legion Condor. Er schrieb:
Guernica - Stadt von 5000 Einwohnern buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht ... Ein voller Erfolg ... Bombenlöcher auf Straßen noch zu sehen, einfach toll.
Diese Beschreibung belegt in schauriger Weise, daß es keineswegs allein darum gegangen sein kann, eine kleine Verbindungsbrücke zu treffen. Die Brücke ist bis heute noch ganz, während der Rest der Stadt weitgehend verwüstet war.
Ich bin froh, daß sich endlich auch im Deutschen Bundestag eine Mehrheit bereit gefunden hat, an die Menschen in Guernica eine Geste des Bedauerns und eine Entschuldigung für das begangene Unrecht und das Leid zu vermitteln. Aber ich kann nicht verhehlen, daß ich es beschämend finde, daß der Deutsche Bundestag dafür über zehn Jahre lang hin und her diskutieren mußte.
({0})
Noch vor einem Jahr, aus Anlaß des 60. Jahrestages der Zerstörung der baskischen Stadt, hat sich die Regierungsmehrheit in diesem Haus noch geweigert, überhaupt eine Aussprache zu diesem Thema zuzulassen. Sie waren unfähig, auch nur ein Wort der Entschuldigung und des Bedauerns zu finden.
Geradezu haarsträubend war die Begründung des CDU-Geschäftsführers Hörster in der damaligen Aussprache zur Geschäftsordnung. Die notwendige Entschuldigung gegenüber den Opfern des deutschen Bombenangriffs erklärte er für erledigt, indem er auf den bestehenden Gedenktag für die Opfer des NS-Terrors hinwies.
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Es ist gut, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und F.D.P., daß Sie, wenn auch nicht ganz von selbst, inzwischen zur Einsicht gekommen sind. Es war Bundespräsident Roman Herzog, der am 60. Jahrestag der Zerstörung von Guernica Worte des Bedauerns für die deutsche Schuld am Bombenangriff auf die wehrlose Zivilbevölkerung gefunden hat.
Ich hatte Gelegenheit dabeizusein, als sein Grußwort bei den Gedenkfeierlichkeiten in Guernica verlesen wurde. Ich kann Ihnen sagen, so sehr sich die Menschen über die Worte des Bundespräsidenten gefreut haben, so groß war das Unverständnis, daß sich der Bundestag mit diesem Thema nicht befassen wollte und die Bundesregierung ebenfalls in keiner Weise auf den 60. Jahrestag reagiert hat.
Für mich war es sehr beeindruckend, wie groß die Bereitschaft zur Versöhnung in Guernica ist. Selbst Überlebende des Bombenangriffs sind uns offen gegenübergetreten, obwohl dies vielen auf Grund ihrer persönlichen Erlebnisse sicher nicht leichtgefallen ist. Deshalb ist meine dringende Bitte an die Bundesregierung: Belassen Sie es nicht bei der Kenntnisnahme und der Übermittlung dieser vorliegenden Erklärung.
Nehmen Sie das Einverständnis des Bundestags zum Anlaß, um selbst ausdrücklich eine Entschuldigung gegenüber der Bevölkerung von Guernica auszusprechen, und geben Sie sich nicht damit zufrieden, daß die Koalitionsvertreter die Worte des Bundespräsidenten für die Bundesregierung quasi mit interpretiert haben.
Für die SPD-Fraktion möchte ich klarstellen, daß wir heute gerne deutlichere Worte der Entschuldigung gewählt hätten. Es war für uns aber entscheidend, daß nach so vielen Jahren überhaupt eine Entschuldigung durch den Deutschen Bundestag ausgesprochen wird. Deshalb stimmen wir der Änderung unseres ursprünglichen Antrags in der jetzt gefundenen Formulierung zu.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal auf den Beginn zurückkommen. Am 10. November 1988 faßte der Deutsche Bundestag einen Beschluß zum Thema Guernica, in dem es unter anderem hieß:
Die Opfer der wehrlosen Zivilbevölkerung mahnen zu einer Geste des Friedens.
In diesem Beschluß war von einem gemeinsamen Kooperationsprojekt die Rede. Für den Aufbau eines Berufsbildungszentrums hatte die Stadt Guernica konkrete Pläne vorgelegt, allein die versprochene Unterstützung aus Deutschland ist ausgeblieben. Nach vielem Taktieren durch die Bundesregierung wurde aus dem Kooperationsprojekt „Berufsbildungszentrum" ein Zuschuß für den Bau einer Sporthalle in Guernica, aber kein gemeinsames Projekt. Das ist ein klägliches Ergebnis, verglichen mit den vollmundigen Ankündigungen aus dem Jahre 1988.
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Gerade auf Grund dieser Erfahrung bitte ich Sie: Sehen wir die heutige Erklärung, die wir gemeinsam verabschieden wollen, nicht als die Erledigung einer längst fälligen Pflicht gegenüber der Bevölkerung von Guernica. Nehmen Sie die Erklärung ernst, und machen Sie durch Ihr Handeln deutlich, daß Parlament und Bundesregierung gleichermaßen die deutsche Schuld an der Zerstörung Guernicas anerkennen.
Wir bitten die Opfer, ihre Angehörigen und die Überlebenden der Bombadierung von Guernica um Verzeihung.
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Ich gebe das Wort dem Abgeodneten Hartmut Koschyk.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion darüber, wie sich der Deutsche Bundestag gegenüber der Stadt Guernica und ihrer Bevölkerung, die durch Flieger der Legion Condor am 26. April 1937 bombardiert wurde, verhalten soll, beschäftigt - darauf hat meine Vorrednerin hingewiesen - das Parlament seit geraumer Zeit.
Liebe Frau Kollegin Vogt, man sollte bei allem, was uns vielleicht vor der heutigen Debatte und vor dem Einbringen des gemeinsamen Antrages hier und da getrennt hat, doch das Gemeinsame in den Vordergrund stellen, nämlich daß wir zu einer einvernehmlichen Entschließung aller Fraktionen dieses Parlaments gekommen sind. Ich glaube, liebe Frau Kollegin Vogt, es ist gerade dieses Einvernehmen, das es uns erlaubt, der Opfer des Bombenangriffs würdevoll zu gedenken und ebenso würdevoll und überzeugend auf die Bevölkerung der Stadt Guernica zuzugehen. Die Bevölkerung der Stadt Guernica und die noch lebenden Opfer dieses Bombenangriffs und ihre Nachkommen würden sich nicht über eine gespaltene Haltung auf deutscher Seite freuen. Sie freuen sich, wenn wir im Deutschen Bundestag einvernehmlich zu einer gemeinsamen Position kommen.
Unser historisches Erbe kann nicht nach Gutdünken und Belieben in gut und schlecht aufgespaltet werden, sondern wir müssen es annehmen, wie es ist, und daraus die richtigen Lehren ziehen. Wir können nicht belastende Teile ausklammern und uns schwierigen Verpflichtungen entziehen. Diese Erkenntnis machen wir uns im Deutschen Bundestag gemeinsam zu eigen, wenn wir uns gemeinsam heute mit diesem zu verabschiedenden Antrag hinter die Erklärung des Bundespräsidenten anläßlich des 60. Jahrestages der Bombardierung Guernicas im April des vergangenen Jahres stellen.
Es ist immer eine gute Tradition dieses Hauses gewesen, verehrte Frau Kollegin Vogt, daß wir uns bei wichtigen historischen Anlässen hinter treffende Erklärungen unserer Bundespräsidenten gestellt haben. Dieses Vorgehen kleinzureden und auch ein Stück herabzuwürdigen, indem man sagt, das Parlament sei nicht fähig, eigene Worte zu finden, und verstecke sich hinter dem Bundespräsidenten, ist ein bißchen billig. Es gibt genug Beispiele, wie sich der Deutsche Bundestag anläßlich schwieriger Gedenktage die Gedanken, Reden und trefflichen Worte deutscher Bundespräsidenten zu eigen gemacht hat.
Liebe Frau Kollegin Vogt, auch das hat mir in Ihrer Rede nicht gefallen: Sie tun so, als bleibe es nur bei Worten und als gebe es unwürdiges Gezerre im HinHartmut Koschyk
blick auf symbolische Taten. Nach der mir vorliegenden Erkenntnis und nach den mir vorliegenden Informationen hat es eine Übereinstimmung zwischen den Verantwortlichen der Stadt Guernica und der Bundesregierung, in diesem Fall dem Auswärtigen Amt, im Hinblick auf die Förderung einer Sportanlage gegeben.
Frau Kollegin Schwaetzer wird nachher noch darüber berichten, weil sie - was auch ich für sehr gut halte - im Vorfeld der heutigen Debatte mit der deutsch-spanischen Parlamentariergruppe des Bundestages vor Ort gewesen ist. Sie hat damit ein Zeichen gesetzt und hat deutlich gemacht, daß wir es nicht bei Worten - wie heute in Form einer Entschließung - belassen dürfen, sondern wir müssen auch bereit sein, Kooperationsprojekte, die in die Zukunft weisen, in Guernica zu verwirklichen.
Lassen Sie mich noch ein letztes Wort sagen. Über deutsche Soldaten und insbesondere über die Rolle der deutschen Wehrmacht wurde und wird bis jetzt gestritten, teils mit berechtigten Vorwürfen und historischen Feststellungen und Fakten, an denen niemand vorbeikommt, teils aber auch mit pauschalierender Darstellung, die den Tatsachen und vor allem auch den menschlichen Einzelschicksalen nicht gerecht wird. Ich halte es für gut und richtig, daß sich der gemeinsame Antrag, den wir heute debattieren, einer einseitigen und verzerrten Darstellung deutscher Soldaten, auch der Soldaten in der Legion Condor, enthält.
In einem Punkt stimme ich Ihnen zu, Frau Kollegin Vogt: Es hat jetzt wirklich keinen Sinn - dessen sollte sich jeder in diesem Land bewußt sein -, hier eine unsinnige militär-historische Debatte zu führen. Sie ist unsinnig, und sie ist im Hinblick auf ein solches Ereignis und das Gedenken daran nicht angemessen. Daß der subjektiv als ehrenhaft und als tapfer empfundene Dienst von deutschen Soldaten im Auftrage eines verbrecherischen Regimes geschah, das gerade in dem Fall der Bombardierung von Guernica das Territorium Spaniens während der Zeit des Bürgerkriegs quasi als eine Art Truppenübungsplatz betrachtete - so wie auch Sie es beschrieben haben -, kennzeichnet ja die besondere Tragik deutscher Soldaten. Das gilt auch für die Angehörigen der Legion Condor.
Deshalb begrüße ich es, daß wir diese einvernehmliche Resolution, wie wir sie heute hier fassen, nicht befrachten und diese Einvernehmlichkeit nicht ein Stück zerstören, indem wir hier eine unsinnige, verzerrende, der Tiefe nicht genügende Diskussion angehen. Darum geht es heute auch nicht, sondern die Perspektive mit der Annahme des heutigen Antrages ist die: Wir wollen der Opfer gedenken und die Opfer und ihre Nachkommen bitten, uns die Hand zur Versöhnung zu reichen. Beides wollen wir mit diesem Antrag, den wir heute gemeinsam annehmen, zum Ausdruck bringen. Deshalb bitte ich Sie namens unserer Fraktion um Zustimmung zu diesem Antrag.
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Volker Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das brennende Guernica ist zum Symbol des Beginns einer Epoche neuer mörderischer Kriegstechnik geworden: der gezielte Luftangriff auf Zivilisten, Kinder, Frauen und Männer, die am Kriegsgeschehen nicht beteiligt sind.
Guernica erinnert uns an die Beteiligung deutscher Soldaten an der Niederwerfung der spanischen Republik und der Unterdrückung des spanischen Volkes durch die Franco-Diktatur. Am Sonntag jährt sich diese Bombardierung zum 61. Mal. Der Bundestag entschuldigt sich heute beim baskischen Volk und der Gemeinde Guernica für den Luftangriff von Verbänden der deutschen Legion Condor am
26. April 1937.
Der heutigen Entschließung geht eine elfjährige parlamentarische Debatte, ein zähes Ringen um die geeigneten Worte für diesen Anlaß voraus. Das ist eine beschämend lange Zeit für einen längst überfälligen Schritt.
Wir verneigen uns heute in Demut vor den Toten. Wir entschuldigen uns für die Verbrechen von Hitlers Wehrmacht am spanischen und baskischen Volk.
Wir danken dafür, daß die Gemeinde Guernica erkennen ließ, daß sie diese Geste der Versöhnung annehmen wird.
Wir weisen - das meine ich auch aus Ihren Worten herausgehört zu haben - einvernehmlich den Bericht des „Kulturweltspiegel" am vergangenen Sonntag zurück, der versucht hat, die Verbrechen in Guernica zu bagatellisieren und zu relativieren.
Wir haben, wenn wir diesen Antrag heute verabschieden, auch zwei Menschen besonders zu danken, die diese Entschließung heute überhaupt erst möglich gemacht haben. Mit großem Engagement hat sich Petra Kelly für die Aussöhnung zwischen dem baskischen und deutschen Volk eingesetzt. Der Bundestag leistet heute die von ihr 1987 geforderte „Verurteilung dieses Verbrechens" und setzt damit endlich ein „versöhnendes Zeichen" . Wir haben unserer verstorbenen Kollegin für ihr Engagement zur Aussöhnung zwischen unseren Völkern viel zu verdanken.
Wir danken aber auch dem Bundespräsidenten Roman Herzog, der mit seinem Grußwort vom
27. März 1997 eine Einigung der Fraktionen des Deutschen Bundestages auf einen gemeinsamen Text erst ermöglicht hat. Der Bundestag schließt sich den Worten der Entschuldigung unseres Präsidenten an.
Aber - das sei noch erlaubt zur Debatte zwischen Herrn Koschyk und Frau Vogt zu bemerken - ich glaube, ohne das Grußwort des Bundespräsidenten
Volker Beck ({0})
hätten wir abermals nicht zu einem gemeinsamen Antrag des Deutschen Bundestages gefunden.
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Dies macht den besonderen Verdienst des Präsidenten und seines Engagements deutlich. Er baute die Brücke für die Fraktionen, die zueinander führte.
Ich muß sagen, ich hätte mir schon gewünscht, wenn wir ein paar mehr authentische Äußerungen des Deutschen Bundestages in den Antrag hineingeschrieben hätten. Das war in den Ausschußberatungen nicht möglich. Man kann ja in der Beschlußempfehlung nachlesen, welche anderen Vorschläge hierzu auf dem Tisch des Hauses lagen.
Zur Geschichte dieses Antrages muß man auch sagen, daß wir in seinem Vorfeld, bevor wir ihn als gemeinsamen Vorschlag der Oppositionsfraktionen eingebracht haben, den Koalitionsfraktionen eine Mitunterzeichnung angeboten hatten, weil es uns von Anfang an darum ging, eine gemeinsame Erklärung dieses Hauses zustandezubringen. Ich bin froh, daß uns das letztendlich nach elf Jahren Beratung nun gelungen ist. Ich sehe aber, wie schwer es manchem in diesem Hause offensichtlich noch fällt, hier klare Worte zu finden.
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Ich gebe das Wort der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Stadt Guernica im spanischen Baskenland ist auch ein Teil der deutschen Geschichte. Die Bombardierung der Stadt durch die Legion Condor am 26. April 1937 im Auftrag der deutschen und spanischen Faschisten ist in Guernica und glücklicherweise auch anderswo unvergessen. Davon konnte ich mich mit einer Delegation des Deutschen Bundestages in der vergangenen Woche in Guernica überzeugen.
Wir müssen, meine Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Verantwortung annehmen, und ich halte es für völlig unerträglich, daß durch eine wiederauflebende Diskussion über den Ablauf und die Verantwortlichkeiten der Bombardierung hier etwas relativiert werden soll. Dem werden wir uns widersetzen.
Ganz entscheidend aber - davon konnten wir uns bei unserem Besuch überzeugen - für einen Neuanfang der Beziehungen mit dieser baskischen Stadt war und ist die Versöhnungsbotschaft von Bundespräsident Herzog 1997 zum 60. Gedenktag der Bombardierung, in der er ausdrücklich die deutsche Schuld an der Bombardierung bekannte. Diese Versöhnungsbotschaft wird in allen Gesprächen in Guernica sehr gewürdigt. Sie hat die Tür zu freundschaftlichen Beziehungen mit den Bürgern und Repräsentanten der Stadt geöffnet.
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, finde ich die Formulierung des Antrages, so wie wir ihn heute verabschieden, mit der Bezugnahme auf diese Versöhnungsbotschaft sehr gut. Ich denke, besser, als Bundespräsident Herzog es getan hat, kann man die Entschuldigung nicht ausdrücken.
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Guernica ist ein Symbol für die Unterdrückung durch den Faschismus. Guernica ist aber auch ein Symbol für den Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Die notwendige Erinnerung an diesen Angriff auf unbeteiligte und unschuldige Zivilisten wird in dem Bild von Pablo Picasso mit dem Titel „Guernica", in dem er die Grauen dieses Krieges unvergeßlich macht, wachgehalten. Die Einbeziehung von Zivilisten in Kriegshandlungen ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auch deswegen darf die Erinnerung an Guernica nicht verschüttet werden und nicht untergehen. Daß sich dies in den heutigen Tagen zu einer zynischen Perfektion entwickelt hat, so entwikkelt worden ist, wird am Krieg in Bosnien deutlich. Auch deswegen ist der entschlossene Widerstand aller Demokraten gegen diese Art von Kriegführung unverzichtbar.
Die Erinnerung an die Unterdrückung durch die Faschisten wird auch durch das Friedensforschungszentrum Guernica bewirkt, an dem engagierte Spanier und Deutsche Versöhnungsbereitschaft und Versöhnungsfähigkeit in Konflikten zwischen Mehrheiten und Minderheiten stärken. Innerhalb des Zentrums ist ein Dokumentarfilm mit Interviews von Zeitzeugen der Bombardierung entstanden. Es wäre ein gutes Zeichen, diesen Film im Deutschen Bundestag uns selbst, aber auch unseren Besuchern zugänglich zu machen, um einen glaubwürdigen Anfang für freundschaftliche Beziehungen zu schaffen.
Die Bemühungen um Versöhnung mit den Menschen in Guernica sind eine lange Geschichte voll von Ungeschicklichkeiten auf deutscher Seite. Nach dem Beschluß des Deutschen Bundestages von 1988, eine Geste des Friedens zu machen, dauerte es fast zehn Jahre, bis diese Geste tatsächlich zustande kam. Aus einer Ankündigung von 12 Millionen D-Mark für ein Berufsbildungszentrum wurden im Laufe der Jahre 3 Millionen D-Mark für eine Sporthalle. Ein wenig Bitterkeit war schon spürbar, als wir Abgeordnete die Baustelle der Sporthalle besuchten, aber auch die Vorfreude auf die Wettkämpfe, die darin ausgetragen werden sollen.
Zukunftsorientierung machte sich bei allen Repräsentanten in Guernica sehr deutlich bemerkbar. Die Städtepartnerschaft mit Pforzheim wurde ausdrücklich gewürdigt. Ich denke, wir schulden den Verantwortlichen in Guernica auch Dank dafür, daß sie unsere Entschuldigung annehmen werden und wollen.
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Die Delegation der deutsch-spanischen Parlamentariergruppe war die erste offizielle Delegation von Repräsentanten des Bundes in Guernica. Sie kam spät, aber sicherlich nicht zu spät. Der Anfang ist gemacht. Beide Seiten haben beim Abschied den
Wunsch geäußert, daß dies der Auftakt für viele weitere Besuche und Begegnungen sein sollte. Ich denke, dem werden wir Rechnung tragen.
Danke schön.
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Ich gebe dem Abgeordneten Gerhard Zwerenz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe drei Minuten Zeit, für die Gruppe der PDS vorzuschlagen, Beschlußempfehlung und Antrag des Innenausschusses um einen Punkt 4 zu ergänzen, in dem nichts anderes als die Umbenennung von Kasernen gefordert wird, die immer noch den Namen deutscher Helden der Legion Condor tragen.
Hörte die Bundeswehr und hörte diese Bundesrepublik endlich auf, jene hitlergehorsamen Franco-Söldner zu ehren, die den unerklärten, illegalen Krieg gegen die legale spanische Republik geführt haben, so wäre dies das wirklich menschliche Signal.
Im vorigen April, zum 60. Jahrestag der Stadtvernichtung durch deutsche Bomber, ließ Bundespräsident Herzog in Guernica immerhin eine Entschuldigungsbitte verlesen. Ich finde, das war schon viel zu spät. Immerhin ist es geschehen.
Jetzt will der Bundestag zum 61. Jahrestag nachziehen. Es wird aber nichts Neues geschehen, es wird nichts geschehen, was wirklich zählt. Längst Versprochenes wird nicht gehalten. Selbst die entschuldigenden Worte kommen nur zögerlich. Denn in diesem Lande zählen immer noch die Mölders, Rommel und Heusinger - egal, ob sie nun in Spanien, Afrika oder Rußland ihrem Führer beim Blutvergießen gehorsam zur Hand gingen - mehr als die anderen, die dagegen Widerstand geleistet haben.
In der vorjährigen Guernica-Debatte sagte ich von dieser Stelle aus:
Von Hemingway über Arthur Koestler, von Alfred Kantorowicz bis George Orwell und André Malraux gab es überall internationale Kulturleute, die für die Republik und gegen Franco gekämpft haben.
Ich meine, das wären alles beste Namen und beste Adressen für unsere Kasernen und Straßen, und es wäre ein Beginn der vielbeschworenen Europäisierung und Universalität an Stelle des nationalsozialistischen deutschen Sonderweges gegen Europa und gegen die ganze Welt.
Ich finde es beschämend, daß es in diesem Hause einen irren, zähen Zustand gibt, der dazu geführt hat, daß man so lange um eine solche Erklärung hat ringen müssen. Ich meine, man hätte die Zivilcourage aufbringen müssen, wenigstens in diesem Jahr in eindeutigeren Worten zu sprechen, als es jetzt geschehen ist. Vor allen Dingen hätte etwas geschehen müssen.
Wer Guernica oder Dresden sagt, muß wissen, daß es dazwischen eine Verbindungslinie gibt. Dies waren die Anfangsbomben und die Endvernichtung mit der massiven Stadtvernichtung.
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Ich gebe das Wort dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Schäfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es fällt mir schwer - insbesondere nach den Ausführungen von Frau Vogt, die ja erst seit dieser Legislaturperiode dem Bundestag angehört, - ({0})
- Die Geschichte kennen Sie nicht. Sonst hätten Sie das, was Sie gesagt haben, nicht gesagt. Ich kenne sie besser. Ich war von Anfang an dabei.
Sie sollten bitte nicht den Versuch unternehmen, so zu tun, als hätte es einen Streit gegeben, als hätten wir uns nicht über den Text einer Erklärung zu Guernica einigen können. Ich sage das für alle Fraktionen, die seit Jahren an den Gesprächen im Auswärtigen Ausschuß beteiligt waren. Sie müssen es nur nachprüfen. Sie müssen es nachlesen. Sie müssen die Bundestagsprotokolle zur Kenntnis nehmen. Alle Fraktionen waren sich in der Verurteilung dessen, was in Guernica geschehen ist, einig. Es ging immer nur um die Frage: Was sollen wir als Geste der Versöhnung dort tun?
Es hat jahrelang den Vorschlag eines Denkmals gegeben. Das finde ich in Parallele zu dem, was zur Zeit in Berlin diskutiert wird, sehr interessant. Die Beliebigkeit dieses Denkmals war so groß, daß erst, nachdem bekanntgeworden war, daß es vorher schon mehreren deutschen Städten zu völlig anderen Zwecken angeboten worden war - ich habe damals selbst im Auswärtigen Ausschuß darüber berichtet -, alle gesagt haben: So können wir es natürlich nicht machen. Zunächst war es für einen öffentlichen Platz in München angeboten worden, dann mehreren deutschen Städten zu verschiedensten Anlässen. Nachdem es niemand genommen hat, hätte man es gerne nach Guernica verkauft.
Weil aber die Aussage des Denkmals auf Grund der Ausführung als Beispiel moderner Kunst sehr beliebig war, haben wir davon abgesehen. Darum ging der Streit. Es war nicht so, daß die eine Seite der Auffassung war, daß das, was in Guernica geschehen war, schrecklich sei, und die andere Seite versucht habe, das abzuschwächen. Es ging immer um die Frage, in welcher Weise wir, Bundestag und Bundesregierung, gemeinsam etwas für die Menschen in Guernica tun können.
({1})
Staatsminister Helmut Schafer
Das hat allerdings lange gedauert. Ich kenne die Debatten darüber. Herr Kollege Lippelt und andere mehr waren dabei.
Wir wissen ganz genau, daß es nach dieser unsäglichen Denkmalgeschichte, die sich Jahre hingeschleppt hat, andere Vorschläge gegeben hat, die hier vom Bundestag nicht ganz getragen werden konnten. Ich nenne zum Beispiel das Berufsbildungszentrum. Wir haben uns dann mit dem früheren Bürgermeister geeinigt. Ich selbst habe schon vor Jahren in Madrid beim Besuch des früheren Bundespräsidenten mit dem Bürgermeister Gespräche geführt. Deshalb ärgere ich mich natürlich, wenn hier so getan wird, als sei das alles jetzt erst erkannt worden.
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Wir haben uns wirklich bemüht. Sie wissen, was dabei herausgekommen ist und daß das Gott sei Dank auch in Guernica geschätzt wird.
Ich bin sehr dankbar, daß Frau Schwaetzer, die ja bei der Bundestagsdelegation dabei war, gesagt hat, daß sich die Menschen dort freuen, daß dieses Bauwerk zustande kommt, das sicher nicht allen ursprünglichen Erwartungen ganz entsprochen hat. Es wurde aber schließlich noch einvernehmlich vom Deutschen Bundestag, von allen Fraktionen, beschlossen, als eine Geste gegenüber Guernica eine Sportstätte zu errichten, in der die baskische Jugend trainieren kann. Ich halte das für sehr viel sinnvoller, als wenn hier wieder einmal irgendeines der Monumente hingestellt worden wäre, die nach einigen Jahren verrosten und von denen die Bevölkerung nichts gehabt hätte. Mir hat der frühere Bürgermeister von Guernica selbst gesagt - auch das müssen wir zur Kenntnis nehmen -, daß ein solches Geschenk Sinn machen müsse.
Sie sollten jetzt bitte nicht moralisch so tun, als hätten Sie erst bei Ihrem Einzug in den Deutschen Bundestag dieses Problem entdeckt. Das ist einfach nicht wahr.
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Ich muß Ihnen das in aller Deutlichkeit sagen, weil ich mich ärgere. Ich habe schon vor vielen Jahren kontrovers mit Frau Kelly über dieses Thema diskutiert. Ich rede heute mindestens zum zehntenmal dazu.
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Ich verwahre mich gegen diesen moralisch Ansatz, der hier ins Spiel gebracht wird, die Verurteilungen und den Hochmut, der hier zum Ausdruck kommt.
Wir sind uns alle einig gewesen und sind es auch heute. Ich begrüße im Namen der Bundesregierung diese Entschließung und sage ausdrücklich, daß wir auch dem Wunsch des Bundestages entsprechen, den Text dieser Entschließung nach Guernica zu übermitteln. Ich begrüße das. Wir sind uns einig. Machen Sie hier bitte nicht den Versuch, uns hier auseinanderzudividieren. Das entspricht nicht der Realität. Wir haben lediglich lange Zeit gebraucht - das ist richtig; das gebe ich zu -, um das Richtige für Guernica zu finden, das den Menschen dienen soll. Es wird im nächsten Jahr in feierlicher Form eingeweiht werden.
Ich glaube, daß die Versöhnung zwischen Deutschen und Spaniern, zwischen Deutschen und Basken - die übrigens ein Teil des spanischen Volks sind; ich würde sie, Herr Kollege Beck, nicht in zwei verschiedene Völker trennen - weit vorangeschritten ist und daß wir uns mit den Spaniern, mit den Basken seit vielen Jahren in großem Einvernehmen befinden.
Wir haben hier auch eine Debatte über ein anderes Denkmal in Spanien, das Walter Benjamin betrifft, geführt. Auch da gab es manche Kontroversen. Ich glaube nicht, daß es darum ging - ich darf das hier noch einmal ausdrücklich betonen -, daß zwischen der Koalition und der Opposition Gegensätze in der Beurteilung bestehen.
Herr Beck, Sie haben völlig recht mit dem, was Sie hier gesagt haben; ich kann das nur deutlich unterstreichen: Mit Guernica hat eine gräßliche Entwicklung eingesetzt. Es war der schlimme Anfang einer Ereigniskette, die sich in fürchterlichster Weise - das Beispiel Dresden ist von Herrn Zwerenz genannt worden - in diesem letzten Krieg in Europa noch gesteigert hat. Wir alle können nur hoffen, daß sich solche Ereignisse nicht mehr wiederholen werden.
Wir sollten in diesem Haus gemeinsam dazu beitragen, mit dieser Entschließung einen Akt der Versöhnung mit Spanien zu setzen, statt uns, wie es hier versucht worden ist, gegenseitig Schuld zuzuschieben.
Vielen Dank.
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Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zum Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und SPD zum 60. Jahrestag der Bombardierung von Guernica/Gernika auf Drucksache 13/9468. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7509 in der Ausschußfassung anzunehmen.
Wir stimmen zunächst über einen Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/10494 ab. Wer dem Änderungsantrag der Gruppe der PDS zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Änderungsantrag der Gruppe der PDS mit den Stimmen der Gruppe der PDS und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Koalition angenommen worden ist.
Dann kommen wir zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses in der soeben festgestellten geänderten Fassung zustimmt, den
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung in der geänderten Fassung mit den Stimmen des Hauses bei einer Gegenstimme aus der Fraktion der CDU/CSU angenommen worden ist.
Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ursula Schönberger, Steffi Lemke und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verfehlte Endlagerpolitik in Morsleben und beim Schacht KONRAD beenden
- Drucksache 13/10305 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe der Abgeordneten Steffi Lemke das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am kommenden Sonntag jährt sich zum zwölftenmal das Reaktorunglück von Tschernobyl. Es hatte in der Geschichte der Atomenergienutzung bis zu diesem Zeitpunkt verschiedene Reaktorkatastrophen gegeben, so in Sellafield 1957 und in Harrisburg 1978. Aber in Tschernobyl hat sich eine Katastrophe ereignet, deren Folgen weltweit spürbar waren und noch heute sind. Kinder und erwachsene Menschen leiden an den Folgen dieser Katastrophe. Tschernobyl ist inzwischen zum Synonym für die zivile Atomenergienutzung geworden. Verschiedene Länder sind seitdem aus der Atomenergienutzung ausgestiegen; einige sind erst gar nicht eingestiegen. Bitter ist allerdings, daß sich in Deutschland, wo eine Mehrheit der Bevölkerung die Atomenergie ablehnt, die Bundesregierung auf eine massive Lobbypolitik für die Atomenergie versteift.
Ich denke, der Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl ist Anlaß, Bilanz zu ziehen. Da gibt es in meinen Augen in diesem Jahr durchaus hoffnungsvoll stimmende Zeichen. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zu Mülheim-Kärlich ist zwar nicht der Einstieg in den Ausstieg, aber in zweierlei Hinsicht doch sehr bedeutsam: Erstmals hat ein Gericht sich nicht mehr darauf beschränkt, die ökonomischen Interessen der Energieversorger über alle anderen Interessen zu stellen. Zweitens gab dieses Gerichtsurteil das deutliche Signal an die Landesregierungen und die Bundesregierung: Nicht nur, wenn den Anliegen der Atomlobby zu langsam gefolgt wird, sondern auch, wenn ihnen zu willfährig nachgekommen wird, kann es zu schmerzhaften Schadensersatzansprüchen kommen. Die Schadensersatzforderungen des RWE an das Land Rheinland-Pfalz in Milliardenhöhe hat das Land seinem damaligen Ministerpräsidenten Helmut Kohl zu verdanken.
Auch die friedlichen Proteste gegen die Castor-Transporte stimmen mich optimistisch. Sie sind Ausdruck dafür, daß es in der Bevölkerung - sei es im Wendland, im Münsterland oder sonstwo - keine Zustimmung zur Atompolitik der Bundesregierung gibt. Diese unfinanzierbare und von der Bevölkerung abgelehnte Politik muß endlich beendet werden. Damit würde dann der Weg freigemacht, um mit der strahlenden Hinterlassenschaft der Atomenergienutzung in Deutschland verantwortungsvoll umzugehen.
Selbst diese Bundesregierung hätte wenigstens einen sensiblen und besonnenen Umgang mit der Atomenergienutzung aus der Tschernobyl-Katastrophe lernen können. Selbst diese Bundesregierung hätte nach der Tschernobyl-Katastrophe die Gefahren, die diese Nutzung mit sich bringt, ernst nehmen können, anstatt Ignoranz und Desinformation zur Leitlinie der Politik zu machen.
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- Genau. - Statt dessen spottet die Endlagerpolitik der Bundesregierung gerade im Fall Morsleben jeder Beschreibung. Um das marode Endlager möglichst lange weiterzubetreiben, wurde die DDR-Genehmigung von der CDU übernommen und ausgeweitet. Nicht einmal der Einigungsvertrag ist vor Kanzler Kohl und seiner Truppe sicher.
Zum Endlager Morsleben gibt es eine Vielzahl von Warnungen aus den Reihen kritischer Wissenschaftler und auch von Fachleuten, die der Bund beschäftigt, beispielsweise von Professor Herrmann und von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Sie warnen vor einem möglichen Wassereintritt in die Grube und vor der mangelnden Standsicherheit. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man nach den bisherigen Erfahrungen mit der Atomenergienutzung derart ignorant mit Sicherheitsbedenken umgehen kann.
Die Landesregierung Sachsen-Anhalts hat im Gegensatz dazu die Sicherheit der Menschen zur obersten Priorität gemacht. Umweltministerin Heidecke hat die Schwachpunkte der Atommüllagerung in Morsleben systematisch in die öffentliche Diskussion gebracht.
Bundesumweltministerin Merkel mußte das Planfeststellungsverfahren zu Morsleben inzwischen auf Stillegung beschränken. Dies ist das direkte Eingeständnis der fehlenden Langzeitsicherheit von Mors-leben, die von uns auch hier immer wieder kritisiert worden ist. Die Konsequenz des Einlagerungsstopps hat Frau Merkel allerdings nicht gezogen. Ich denke, sie wird dies auch nicht tun, weil Morsleben seinen entsprechenden Deckungsbeitrag in wirtschaftlicher Hinsicht bringen muß.
Der geplanten Verlängerung der Betriebsgenehmigung bis zum Jahre 2005 werden Bündnis 90/Die Grünen und die Landesregierung Sachsen-Anhalt weiterhin entschieden entgegentreten. Die Verfassungsklage Sachsen-Anhalts gegen die AtomgesetzSteffi Lemke
novelle wird der Atommüllkippe Morsleben die Geschäftsgrundlage entziehen.
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Ich gebe das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Walter Hirche.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben hier einen Antrag vorliegen, der in gleicher Weise schon mehrere Male gestellt worden ist. Er enthält eine Fülle unzutreffender Behauptungen, die Punkt für Punkt widerlegt worden sind.
Als ein Beispiel dafür gehe ich auf die von Frau Lemke erwähnte Langzeitsicherheit ein. Der Nachweis der Langzeitsicherheit wird im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens geführt. Wir müssen sie im einzelnen nachweisen.
Sie haben entgegen dem, was von der Ministerin angekündigt worden ist, gesagt, es sei ein Ausweg, die Planfeststellung auf eine Stillegung zu beschränken. Das stimmt nicht: Die Stillegung ist unser klares Ziel. Wir sind bereit, ungeklärte Punkte klarzustellen.
Interessant fand ich, daß Sie einen Unterschied zwischen den Reihen kritischer Wissenschaftler und den Fachleuten aus den Behörden des Bundes gemacht haben. Das muß man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen - auch um für die Zukunft zu argumentieren. Es liegen keinerlei Sicherheitsdefizite oder bedenkliche Mängel vor, die zur Einstellung des Betriebes in Morsleben führen könnten. Mein Eindruck ist eher, daß dieser Antrag im Hinblick auf den nächsten Sonntag gestellt worden ist, um eine öffentliche Debatte zu führen.
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- Herr Schmidt, über die Frage der Sicherheitsmängel usw. wird im Rahmen eines laufenden Verfahrens diskutiert. Da spielt es keine Rolle, daß im Bundestag von den Grünen falsche Behauptungen aufgestellt werden. Wir sind verpflichtet, den Nachweis in einem ordentlichen Verfahren zu führen.
Ich finde es erstaunlich, daß - und mag es im Zusammenhang mit Mülheim-Kärlich sein - die Grünen jetzt die Unabhängigkeit der Gerichte betonen. Es hat von seiten der Grünen viele verzweifelte Bemühungen gegeben, die Transporte in die Zwischenlager zu verhindern oder die Lager für nicht rechtmäßig zu erklären. Die unabhängigen Gerichte haben aber klar bestätigt, daß das, was dort getan worden ist, in Ordnung ist.
Ich glaube, man muß sagen: Hier wird Panikmache betrieben. Es gibt keinen objektiv begründeten Anlaß, die Sicherheit der Bevölkerung und den Schutz der Umwelt in Zweifel zu ziehen.
Gott sei Dank finden zu diesem Thema Diskussionen von Experten statt; denn alle Hinweise, die im Zusammenhang mit weiteren Untersuchungen auftauchen, geben Anlaß zur Diskussion. Ich finde, man sollte einer Demokratie und einem transparenten Prozeß nicht zum Vorwurf machen, daß Diskussionen stattfinden. Wir sind bereit, zu jedem der vorgebrachten Punkte eine Diskussion zu führen - notfalls auch in breiter Öffentlichkeit und unter Heranziehung der sogenannten kritischen Wissenschaftler.
Ich darf eine Abschlußbemerkung zum Thema Konrad machen, weil das ja auch im Antrag angeführt worden war. Hier liegt der Nachweis der Langzeitsicherheit vor. Ich freue mich auch, daß die niedersächsische Planfeststellungsbehörde inzwischen in Presseverlautbarungen angekündigt hat, daß sie das Planfeststellungsverfahren Endlager Schacht Konrad alsbald abschließen werde. Dies ist nach Auffassung der Bundesregierung kurzfristig möglich.
Wir brauchen dieses Endlager, weil wir die Abfälle, die für dieses Endlager vorgesehen sind, eben auch unterbringen müssen. Das ist völlig zu trennen von der Frage der hochaktiven Abfälle, also vom Thema Endlager in Gorleben.
Ich stelle fest, daß der Antrag insgesamt - aus Ihrer Sicht verständlich - das Ziel verfolgt, die Frage der Endlagerung radioaktiver Abfälle offenzuhalten. Aber ich darf hier auch sagen: Es gibt, glaube ich, kaum ein Land auf der Erde, in dem es - berechtigterweise - eine solche öffentliche Diskussion über Sicherheitsfragen gibt und in dem man sich insbesondere um die Sicherheit der Kernkraftwerke so sehr kümmert; es gibt weltweit insgesamt noch ungefähr 450 Kernkraftwerke.
Die Bundesregierung hält nicht nur aus klimapolitischen Gründen, sondern insbesondere auch aus Sicherheitsüberlegungen an der Kernenergie fest, weil wir denken: Wer in Deutschland aus der Kernenergie aussteigen will, klinkt sich aus dem Prozeß der internationalen Sicherheitsdiskussion aus. Das wäre allerdings verheerend. Die Unfälle, die passiert sind, geben natürlich Anlaß, Sicherheitsfragen überall die höchste Aufmerksamkeit zu schenken. Unsere Experten sind in die Diskussion eingeschaltet. Ich möchte, daß wir auch in Zukunft eingeschaltet bleiben; denn die Probleme, die sich hier stellen, machen nicht an nationalen Grenzen halt. Deswegen müssen wir uns auch weiter mit dem Thema beschäftigen.
Der Antrag, der hier vorliegt, enthält keine neuen Argumente. Er wärmt Altes, das längst widerlegt worden ist, auf. Deswegen werden wir dafür plädieren, diesen Antrag in den Ausschüssen zurückzuweisen.
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Michael Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich richtig, daß die Auseinandersetzung um Morsleben und auch um den Schacht Konrad in den Zusammenhang mit der Energiepolitik und speziell der Atomenergie gehört. Trotzdem halte ich es nicht für richtig, diesen Streit hier zu wiederholen, wiewohl es natürlich zwei Tage vor dem 12. Jahrestag von Tschernobyl in besonderer Weise reizt, diese Diskussion wieder aufzugreifen.
Ich glaube, wir sollten uns hier insbesondere auf Morsleben konzentrieren, weil ich im Namen der SPD-Fraktion sehr wohl die Kritik teile, daß man hier auf äußerst problematische Weise das DDR-Recht genutzt hat, um im Grunde genommen andere Interessen, nämlich die Interessen der Atomenergie, durchzusetzen. Ich finde, das war kein Beitrag zur deutschen Verständigung.
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Das ist der eigentliche Punkt. Man muß wissen: In der DDR-Zeit ist die Betriebsgenehmigung 1986 bis zum 30. Juni 2000 erteilt worden, und dies unter Bedingungen, unter denen wir in Westdeutschland zu jener Zeit ein Endlager wohl kaum genehmigt hätten. Hier hatten Sie keine Hemmungen, das DDR-Recht zu übernehmen. Ich halte dies für einen problematischen Vorgang.
Nun haben wir durch die Art und Weise des Verfahrens den Eindruck, daß das Ende nicht - wie es im Einigungsvertrag steht - im Jahre 2000 ist, sondern sehr viel später. Nach Presseberichten haben wir leider auch feststellen müssen, daß es auf die konkrete Frage an Frau Merkel, ob sie nach dem Jahr 2000 noch einlagern lassen wolle, keine konkrete Antwort gibt.
Wir stellen nur fest: Die Bundesregierung beabsichtigt, im Jahre 2000 das Stillegungsverfahren zu eröffnen bzw. hat die Vorbereitungen dazu getroffen. Aber was heißt das konkret? Das wissen wir bis heute nicht. Abgesehen davon sehen wir die Verlängerung bis zum Jahr 2000 schon als problematisch an. Wir hätten eigentlich erwartet, daß nach 1990 ein Verfahren in Gang gesetzt worden wäre und daß dann im Jahre 2000 - wenn man schon die Rechtsposition vertritt - Schluß wäre, nicht erst im Jahre 2005.
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Wir kommen zu dem Fazit: Sie haben nichts anderes getan, als Morsleben zum atomrechtlichen Billigtarif zu benutzen. Sie haben damit keinen Beitrag zur Verständigung geleistet. Im Gegenteil: Sie bleiben aus unserer Sicht hinter den bundesdeutschen Sicherheitsstandards zurück.
Deshalb bitten wir Sie - auch um einen Beitrag zur Sicherheit und zur Verständigung zu leisten -, alles dafür zu tun, daß im Jahre 2000 wirklich Schluß ist. Wir möchten, daß so schnell wie möglich Schluß ist.
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Kurt-Dieter Grill.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Müller, es ist schon interessant, Ihren Einlassungen zuzuhören, wenn man im Hinterkopf hat, daß der Kanzlerkandidat der SPD Morsleben für nutzbar hält und wenn man zur Kenntnis nimmt, daß sich auch die Sozialdemokraten in Sachsen-Anhalt aus dem Streit, den Frau Heidecke inszeniert hat, eher heraushalten.
Ich weise den Vorwurf der Nutzung des DDR-Rechts bzw. der Verbiegung des Einigungsvertrages, wie Frau Lemke ihn hier erhoben hat, schon deswegen zurück, weil die Juristen von Frau Heidecke in bezug auf Hettstedt bzw. Teich 10 und die Probleme, die in diesem Zusammenhang aufgetaucht sind, in der juristischen Variante der Politik genau das tun, was Sie der Bundesregierung hier vorwerfen. Ich wäre an Ihrer Stelle mit dem Vorwurf bezüglich Einigungsvertrag und DDR-Recht sehr vorsichtig, da die Juristen von Frau Heidecke im Namen der SPD-geführten Landesregierung in Sachsen-Anhalt am Teich 10 just dieses Recht anwenden. Sie brauchen das nicht zu bestreiten; ich kann Ihnen die Richtigkeit meiner Aussage nachweisen. Die Unterlagen dafür sind vorhanden. Sie sollten sich an die Fakten halten.
Es ist eigentlich vollkommen uninteressant, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob Ihr Antrag, Frau Lemke, einer sachlichen Prüfung standhält. Er tut es nicht, weil er gegenüber der Außenwelt im Grunde genommen den Eindruck erweckt, daß mit den Grünen ein Ausstieg aus der Kernenergie und aus der nuklearen Entsorgung möglich wäre. Freundlicherweise übersehen Sie, daß Sie die Antwort darauf, was Sie an Stelle der Politik der gegenwärtigen Bundesregierung machen würden, schuldig bleiben. Daß Sie in Ihren eigenen Reihen mittlerweile an dem, was Sie eigentlich machen können, erhebliche Zweifel haben, wird durch zwei Dinge deutlich:
Erstens. Ihre Kollegin Frau Schönberger hat in einer Presseerklärung Anfang dieses Jahres selber darauf hingewiesen, daß sich die Programmatik der Grünen derjenigen der SPD annähert: Ausstieg „light" - also das Ziel eines Ausstieges innerhalb von 25 oder 30 Jahren, wie Gerhard Schröder es formuliert hat.
Zweitens. Das, worauf ich hinweisen möchte, läßt sich an dem Papier festmachen, das der grüne Staatssekretär aus Hessen, Herr Baake, jetzt vorgelegt hat. Herr Baake selbst spricht im Zusammenhang mit den Ausstiegsvorstellungen der Grünen davon, daß Sie Hunderttausende von Arbeitslosen produzieren, daß Sie soziale Brüche produzieren, daß Sie im Grunde genommen die bestehenden Anlagen nutzen müssen und daß einer der Kernpunkte Ihrer Argumentation, das Verbot der Wiederaufbereitung in Frankreich oder England - ich habe Ihnen dies gegen Ihre Einwände hier immer wieder vorgehalten -, dazu führen würde, daß man in Deutschland mehr Transporte bewältigen muß. Herr Baake macht in seinem Papier und in seinem Vortrag - wie das in der „HAZ" vom 21. April 1998 beschrieben ist - deutlich, daß die GrilKurt-Dieter Grill
nen erhebliche Argumentationsschwierigkeiten bekommen.
Mein Fazit ist, daß Ihre Anträge in der Sache keine neuen Argumente enthalten, daß sie noch nicht einmal ansatzweise eine Alternative zur gegenwärtigen Regierungspolitik darstellen, sondern Sie setzen darauf, daß Ihr Nein statt einer verantwortungsvollen Politik ausreichen würde. Genau das ist nicht der Fall. Das heißt, daß es sich eigentlich nicht lohnt, mit Ihnen in der Sache zu streiten, weil dies der Außenwelt die politische Botschaft vermitteln würde: Wir steigen aus, und mit uns gibt es keine der bestehenden Anlagen.
Mit Formulierungen zu sozial- und umweltverträglichen Lösungen versuchen Sie, Alternativen aufzuzeigen, die einer sachlichen Prüfung nicht standhalten. Nicht ich, sondern Herr Baake weist Ihnen nach, daß genau dies für Ihre Politik, die Sie gegenüber der Außenwelt in Fragen der Kernenergie verkünden, zutrifft.
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- Nein, ich habe überhaupt kein anderes Thema, ganz und gar nicht.
Das Entscheidende ist, daß der politische Gehalt des Antrages lautet: Mit uns steigt ihr aus Morsleben und Konrad aus. Ich könnte noch weitere Anträge, die wir hier gerade erst beraten haben, hinzufügen. Das würde dann besagen: Mit uns steigt ihr aus allen Anlagen aus, die in Deutschland für die nukleare Entsorgung entstanden sind.
Es ist doch hochinteressant, daß wenige Monate vor der Bundestagswahl ausgerechnet ein Staatssekretär aus Hessen den Grünen haargenau nachweist, daß ihre Ausstiegspolitik nicht geht und daß es sich in bezug auf den gleichzeitigen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung und der Kernenergie und in bezug auf viele andere Dinge mehr, die wir Ihnen ja vorgeworfen haben - auch im Zusammenhang mit einem drohenden Verlust von Arbeitsplätzen -, genauso verhält, wie wir das behauptet haben.
Deswegen geht es heute gar nicht um Morsleben und Konrad, sondern es geht um die Frage, wie Ihre Entsorgungspolitik aussieht.
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- Die Zwischenrufe von Ihnen machen es nicht besser.
Es ist ja ganz interessant, daß Herr Müller hier zum Beispiel gar nicht vorgetragen hat, daß er Konrad ablehnt. Zu Konrad haben Sie eigentlich so gut wie nichts vorgetragen. Sie, Herr Müller, wissen genauso gut wie ich, daß der niedersächsische Ministerpräsident Konrad für machbar und richtig hält.
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Deswegen ist eine Diskussion über zwei Punkte wichtig. Das eine ist der Vorwurf, den ich zurückweise - das wissen auch Sie, daß Sie das nicht belegen können -, wir gingen mit der Sicherheit der Menschen leichtfertig um. Das ist eine der üblichen Parolen, die Sie ausgeben, die aber einer sachlichen Prüfung - Herr Hirche hat darauf hingewiesen - nicht standhalten. Vielmehr führen wir eine offene, fachlich qualifizierte Diskussion. Bei den Gutachtern, die Sie zitieren - bis hin zu Professor Herrmann -, handelt es sich um Gutachter, die diese Bundesregierung bestellt hat. Die haben doch nicht Sie bestellt. Ich könnte Herrn Köhne, der nach mir spricht, vorlesen, wie die DDR damals die Genehmigung für das Endlager begründet hat. Nachdem er das gehört hat, müßte er eigentlich sitzen bleiben.
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Ich komme zum zweiten Punkt. Meine Damen und Herren, es geht in Ihrem Antrag konkret - deswegen rede ich auch gar nicht mehr über Sachverhalte, weil es sinnlos ist, mit Ihnen darüber zu streiten - um das Signal für den Ausstieg. Dieser Ausstieg - das hat Herr Baake Ihnen sowohl ausweislich der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" vom 21. April 1998 als auch in seinem konkreten Papier bewiesen -, so wie Sie ihn dem Publikum, den Wählerinnen und Wählern dieses Landes, auch denen in Sachsen-Anhalt, versprechen, geht nicht. Sie versprechen eine Politik, die Sie dann hinterher nicht machen können. Sie sollten vor dem 27. September in Deutschland schon klarmachen, wie eigentlich Ihre nukleare Entsorgungspolitik aussieht. Ich sage Ihnen voraus: Sie werden im Falle eines Sieges vieles von dem nutzen, was Sie bis dahin in diesem Hause abgelehnt haben.
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Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Professor Dr. Rainer Ortleb.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe während dieser Debatte bisher sorgfältig die Uhr im Auge behalten und habe festgestellt, daß sich alle Kollegen bemüht haben, sich in dieser Angelegenheit, über die wir schon mehrfach diskutiert haben, kurz zu fassen. Ich werde versuchen, mich dem anzuschließen. Ich werde nichts wesentlich anderes als das sagen, was ich am 30. November 1995 zu diesem Thema ausgeführt habe.
Wir sind uns darüber im klaren, daß es in erster Linie um die Frage geht: Kann es Endlager geben oder nicht? Ob es nun um Konrad oder Morsleben geht: Es handelt sich um die gleiche philosophische Grundeinstellung. Es dreht sich einfach um die Frage: Können wir solche Endlager wollen oder nicht? Nun gestehe ich Ihnen - das deckt sich mit dem, was ich vor zweieinhalb Jahren gesagt habe -: Ich gehöre nicht zu denen, die Kernenergie unbedingt nicht wollen, sondern ich gehöre zu denen, die sie bedingt befürworten. Das liegt möglicherweise daran, daß ich einen einschlägigen Beruf habe und demzufolge versuche, mit einer gewissen Sorgfalt an diese Dinge
heranzugehen. Mich hat durchaus bewegt, was Kollegin Lemke gesagt hat, nämlich Tschernobyl müsse uns allen Mahnung sein.
Meine Damen und Herren, ich bin, wenn ich das so lax sagen darf, mit sowjetischer Technik und auch mit ihrer Handhabung einigermaßen vertraut. Ich habe mit sowjetischen Rechenanlagen, mit sowjetischen physikalischen Geräten zu tun gehabt. Es ist eine Tragik dieses für meine Begriffe auch großen Volkes, der Russen, daß sie 70 Jahre unter anderen Bedingungen gelebt haben und daß deswegen manches ein bißchen lax gehandhabt wurde. Deswegen kann man Tschernobyl nicht mit Deutschland vergleichen.
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Wer das tut, stellt eine falsche Behauptung auf.
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Meine Damen und Herren, ich will mein Versprechen einhalten; bitte lesen Sie nach, was ich am bewußten 30. November 1995 gesagt habe.
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Das könnte ich heute, geringfügig variiert, wiederholen. Ich ändere da meine Meinung nicht. Aber ich bitte die kleine Nuance gehört zu haben, daß ich zu den bedingten Befürwortern gehöre.
Es würde mich freuen, wenn der im Antrag formulierte „wissenschaftliche und gesellschaftliche Dialog" - vielleicht zu wahlkampffreieren Zeiten - eine Chance der Realisierung bekäme.
Damit glaube ich Ihre Aufmerksamkeit genügend beansprucht zu haben und danke für diese.
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Ich gebe das
Wort dem Abgeordneten Rolf Köhne.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst: Herr Kollege Ortleb, Tschernobyl zeigt, welche Ausmaße ein schwerer Kernschmelzunfall haben kann. Harrisburg ist ein Symbol dafür, was hätte passieren können, auch mit westlichen Atomanlagen.
Zweitens: Herr Kollege Grill, es war wieder einmal typisch demagogisch, was Sie hier vorgetragen haben. Wir haben in diesem Hause schon mehrfach über den Ausstieg debattiert. Sie wissen ganz genau, daß es Alternativen zu Ihrer Politik gibt. Ich zähle sie nur ganz kurz auf:
Erstens. Es gibt Überkapazitäten noch und noch; ({0}) wir können also jederzeit abschalten.
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Zweitens. Es gibt die Alternative, regenerative Energien und eine rationelle Energienutzung weiter auszubauen.
Drittens. Es gibt, auch netto, einen Arbeitsplatzeffekt, wenn man das tun würde.
Das alles haben wir hier lang und breit debattiert. Ihre ganze Rede war also völliger Unsinn.
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Ich möchte hier noch einmal unterstreichen: Wir werden uns selbstverständlich diesem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen anschließen. Ich möchte nur einige zusätzliche Argumente vortragen.
Erstens. Es ist auf jeden Fall notwendig, daß die hochradioaktiven Stoffe, die in Morsleben momentan ohne rechtliche Grundlage zwischenlagern, vor einer Stillegung herausgeholt werden.
({3}) - In ein Zwischenlager.
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Etwas anderes haben wir auf Grund Ihrer verfehlten Endlagerpolitik ja leider nicht.
Zweitens. Es muß auf jeden Fall dafür gesorgt werden, daß es einen trockenen sicheren Einschluß gibt. Irgendeine Flutung mit Lauge halte ich für äußerst problematisch.
Noch ein paar Sätze zu Konrad. Nach Schacht Konrad sollen nun auch langlebige Radioisotope aus der Wiederaufbereitung kommen. Das heißt, es sollen plutoniumhaltige Abfälle eingelagert werden. Auch wenn sie nur schwach- oder mittelradioaktiv sind, entsteht aus dem Zerfall von anderen Isotopen Neptunium 237 in großen Mengen. Das ist in mehrfacher Hinsicht ein sehr problematischer Stoff:
Erstens. Er strahlt über 10 Millionen Jahre radioaktiv.
Zweitens. Neptunium kann sich im menschlichen Körper festsetzen und dort verheerende Wirkungen auslösen.
Das sind noch einmal Argumente, die deutlich machen, daß bei Konrad erhebliche Anforderungen an die Langzeitsicherheit notwendig sind. Solche Nachweise sind bislang nicht erbracht worden. Deshalb halten auch wir es für notwendig, daß, wie es in diesem Antrag heißt, der „Antrag für die Einrichtung eines Endlagers ... im Schacht KONRAD ... zurückzunehmen" ist.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/10305 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Damit sind wir am Schluß dieser denkwürdigen Sitzung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 29. April 1998, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.