Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung und begrüße Sie alle ganz herzlich.
Gestatten Sie mir, zu sagen: Ich freue mich gerade im Hinblick auf den Gegenstand unserer Debatte, daß heute ein so schöner Sonnentag ist. Heute ist ein guter und wichtiger Tag für Europa und für uns. Ich hoffe, wir kommen zu besten Ergebnissen.
({0})
Herzlich gratulieren möchte ich unserer Kollegin Renate Diemers, die am 8. April ihren 60. Geburtstag feierte,
({1})
und dem Kollegen Eckart Kuhlwein, der am 11. April ebenfalls seinen 60. Geburtstag beging. Herzlichen Glückwunsch von uns allen.
({2})
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die Ihnen mit einer Zusatzpunktliste vorgelegten Punkte zu erweitern:
1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zu Forderungen, den Solidaritätszuschlag vollständig abzuschaffen ({3})
2. Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren ({4})
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 27. September 1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften ({5}) - Drucksache 13/10424-
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 16. Juli 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften ({6}) - Drucksache 13/10425 -
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 31. Januar 1995 über den unerlaubten Verkehr auf See zur Durchführung des Artikels 17 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen - Drucksache 13/10426-
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union - Drucksache 13/10427-
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr ({7}) - Drucksache 13/10428 -
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften ({8}) - Drucksache 13/10435-
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Angelika Beer, Christian Sterzing, Annelie Buntenbach und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Traditionspflege der Bundeswehr - Drucksache 13/10279 3. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung der Bundesregierung zum Abrechnungsverhalten von Vertragszahnärzten
4. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Attraktivität deutscher Hochschulen für ausländische Studierende - Drucksache 13/10451Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - soweit erforderlich - abgewichen werden.
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 219. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll dem Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union zur Mitberatung überwiesen werden.
Antrag der Abgeordneten Erika Steinbach, Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Dr. Rupert Scholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ina Albowitz, Uwe Lühr, Cornelia Schmalz-Jacobsen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Innerstaatliche Kulturpolitik - Drucksache 13/8625 Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({9})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Beschluß der Bundesregierung zur Festlegung des Teilnehmerkreises an der Dritten Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion
und
Ersuchen der Bundesregierung
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Zweiter Bericht des Arbeitsstabes Europäische Wirtschafts- und Währungsunion des Bundesministeriums der Finanzen und der Bundesministerien ({10}) vom 27. März 1998
Einführung des Euro in Gesetzgebung und öffentlicher Verwaltung
-Drucksachen 13/10250, 13/10251, 13/10450 Berichterstattung:
Abgeordnete Friedrich Merz Reinhard Schultz ({11}) Kristin Heyne
Gisela Frick
Es liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie der Gruppe der PDS vor.
Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über die Beschlußempfehlung namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache sieben Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der Abstimmung über den gemeinsamen Entschließungsantrag der Fraktionen zum Übergang zur Dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion trifft der Deutsche Bundestag heute eine richtungsweisende Entscheidung. Sie ist von geschichtlicher Bedeutung, zweifellos die wichtigste in dieser Legislaturperiode. Es ist eine Entscheidung, die weit in die Zukunft unseres Landes und Europas hineinreicht.
Die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung ist nicht nur ein wichtiger Schritt zur Vollendung des Binnenmarktes; sie ist nicht nur eine Notwendigkeit im Zeichen der Globalisierung und zunehmender internationaler Standortkonkurrenz. Sie ist eine Entscheidung, die über das rein Wirtschaftliche und Monetäre hinausgeht. Sie ist vor allem Ausdruck gemeinsamer wirtschaftlicher und
politischer Überzeugung und damit auch ein Symbol für gemeinsame kulturelle Wurzeln.
Eine Idee, die fast so alt wie die Europäische Gemeinschaft selbst ist, wird jetzt Wirklichkeit. Vor mehr als 40 Jahren, bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, war sie nur eine Hoffnung von wenigen. Diese Hoffnung wird heute wahr.
({0})
Seit dem 25. März 1998 liegen mit den Konvergenzberichten der Europäischen Kommission und des Europäischen Währungsinstituts die nach dem Vertrag vorgesehenen Entscheidungsgrundlagen auf dem Tisch. Am 27. März hat die Deutsche Bundesbank ihre Stellungnahme zur Konvergenzentwicklung veröffentlicht. Die Kommission empfiehlt dem Rat, zu bestätigen, daß elf Mitgliedstaaten die Voraussetzungen für die Einführung des Euro erfüllen. Die Ausnahmen sind Griechenland, Großbritannien, Schweden und Dänemark. Die drei letztgenannten Länder haben politisch entschieden, der Währungsunion zunächst noch nicht beizutreten.
Auf Basis dieser Analysen und ihrer eigenen Bewertung beabsichtigt die Bundesregierung, bei der endgültigen Entscheidung Anfang Mai den Empfehlungen der Kommission zu folgen, und zwar unter Würdigung des Berichts des Europäischen Währungsinstituts und der Stellungnahme der Deutschen Bundesbank. In ihrem Beschluß hierzu hat die Bundesregierung nochmals erklärt, sie werde weiterhin die vom Vertrag von Maastricht geforderte Nachhaltigkeit der erreichten Konvergenz nachdrücklich vertreten und ihr besondere Aufmerksamkeit widmen. Diese Dokumente sind in den letzten Tagen und Wochen ausführlich und intensiv in den parlamentarischen Gremien beraten worden. Jetzt muß die Entscheidung getroffen werden.
({1})
Der diesem Hohen Hause heute zur Abstimmung vorliegende Entschließungsantrag der Fraktionen befürwortet den Übergang zur Dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion. Ich hoffe, daß dieser Antrag mit einer großen Mehrheit angenommen wird und der Bundesrat morgen ebenfalls seine volle Zustimmung gibt.
Die vorgelegten Konvergenzberichte bestätigen: In Europa hat sich eine breite Stabilitätskultur entwikkelt. Der Preisanstieg ist auf einen historischen Tiefstand gesunken. Die durchschnittliche Inflationsrate in der Europäischen Union lag im letzten Jahr bei nur noch 1,6 Prozent. Zu Beginn der 80er Jahre waren es noch rund 13 Prozent. Damit ist nach Ansicht vieler Experten praktisch Preisstabilität erreicht. Viele Kritiker, auch auf wissenschaftlicher Seite, haben dies noch vor einigen Jahren für unmöglich gehalten. Ich denke hier zum Beispiel an die Stellungnahme von 60 Wirtschaftswissenschaftlern vom Juni 1992. Sie haben damals den Stabilitätswillen in der Europäischen Union völlig unterschätzt.
Die auf Preisstabilität gerichtete Geldpolitik der europäischen Notenbanken, aber auch die FortBundesminister Dr. Theodor Waigel
schritte bei der Haushaltskonsolidierung haben auf den Kapitalmärkten zu historisch niedrigen Zinsen geführt. Die Finanzierung von Investitionen - unerläßlich für mehr Wachstum und Beschäftigung - wird dadurch erheblich erleichtert. Zahlreiche - auch selbsternannte - Experten haben im Vorfeld der Währungsunion dramatisch steigende Zinsen erwartet. Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben die niedrigsten Zinsen seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Was an der Preisfront und im Zinsbereich erreicht wurde, ist eine großartige Erfolgsgeschichte deutscher Finanzpolitik.
({2})
Der Euro hat damit schon heute auch das wichtigste Plus der D-Mark, nämlich das Vertrauen der Märkte. Dies wird auch in Zukunft so sein. Dafür stehen wir ein. Umgekehrt ist nicht auszuschließen, daß Länder, die nicht an der Stabilitätszone teilnehmen, an den Kapitalmärkten höhere Zinsen bezahlen werden, weil sich das Wechselkursrisiko in einem Zinszuschlag niederschlägt.
Die Währungen aller elf Teilnehmerkandidaten sind im Wechselkursmechanismus des EWS stabil aneinander gebunden. Das gilt auch für die Finnmark und die Lira, obwohl diese beiden Währungen dem Wechselkursmechanismus nicht volle zwei Jahre angehörten.
Trotz der Spannungen an den Finanzmärkten auf Grund der Asien-Krise wurde die Stabilität im EWS nicht beeinträchtigt. Was hat man alles für das erste Halbjahr 1998 und für die Tage und Wochen vor den Entscheidungen vorausgesagt!
({3})
Nichts dergleichen ist eingetreten, im Gegenteil:
({4})
Wir erleben eine Stabilität und eine großartige Entwicklung, wie wir sie noch nie in Europa und in Deutschland hatten.
({5})
Entscheidende Erfolge sind auch beim Abbau der Haushaltsdefizite erzielt worden. Den Referenzwert für das öffentliche Haushaltsdefizit in Höhe von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hat 1997 mit Ausnahme von Griechenland kein Mitgliedstaat überschritten. Im EU-Durchschnitt fiel die Neuverschuldung von 6,12 Prozent 1993 über 4,2 Prozent 1996 auf 2,4 Prozent im letzten Jahr. In Luxemburg, erstmals in Dänemark und in Irland waren sogar Haushaltsüberschüsse zu verzeichnen. In Deutschland konnte das öffentliche Defizit 1997 auf 2,7 Prozent des BIP zurückgeführt werden, und das trotz Zusatzbelastungen allein für den Bund in einer Größenordnung von 30 Milliarden DM. 1996 lag es noch bei 3,4 Prozent. Dieser Erfolg der deutschen Finanzpolitik wird inzwischen auch von Kritikern anerkannt.
({6})
Wie die Prognosen der Kommission für die öffentliche Neuverschuldung 1998 und 1999 zeigen, wird der Konsolidierungskurs in Europa weiter fortgesetzt. Für Deutschland rechnen wir und die Kommission mit einem Defizit von 2,5 Prozent des BIP. Kommission, EWI und Bundesbank weisen mit Recht in ihren Analysen kritisch auch auf die Rolle der sogenannten Einmalmaßnahmen bei der Haushaltskonsolidierung im Jahr 1997 hin. Auch in dem vorliegenden Entschließungsantrag wird darauf Bezug genommen.
Erlauben Sie mir deshalb die folgenden Anmerkungen. Einmalmaßnahmen sind unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten oftmals ausdrücklich erwünscht und notwendig. Sie sind ein Teil einer normalen, sparsamen Haushaltsführung. Hierzu zähle ich zum Beispiel Grundstücksverkäufe, die wir bereits seit 15 Jahren tätigen und natürlich auch weiterhin tätigen werden. Es ist sicherlich besser, ein Grundstück, das der Bund oder eine Gemeinde nicht benötigt, abzugeben, um zum Beispiel die Ansiedlung eines Unternehmens und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen zu ermöglichen. Deswegen gibt es daran überhaupt nichts Kritikwürdiges.
({7})
Es ist aber auch richtig: Eine dauerhafte Senkung des Staatsdefizits erfordert in erster Linie strukturelle Reformen. Einmalmaßnahmen sind aber manchmal eine notwendige finanzpolitische Brücke, bis diese Reformen greifen. Die nicht erst im Jahre 1997, sondern bereits seit einigen Jahren zu beobachtende Rückführung der öffentlichen Neuverschuldung zeigt: Insgesamt kann an der Dauerhaftigkeit der Konvergenzanstrengungen kein Zweifel bestehen.
Während die Erfolge beim Defizitabbau unbestreitbar sind, läßt sich dies vom Schuldenstand nur mit Einschränkungen sagen. Der Referenzwert in Höhe von 60 Prozent des BIP wurde im letzten Jahr nur von Finnland, Frankreich, Großbritannien und Luxemburg unterschritten. In einigen anderen Ländern lag die Schuldenstandsquote zwischen 60 und 70 Prozent. In Deutschland war die Überschreitung mit 61,3 Prozent am geringsten. Kommission und EWI erkennen ausdrücklich an: In der deutschen Schuldenquote von 61,3 Prozent schlagen sich insbesondere die erheblichen Sonderbelastungen durch die deutsche Wiedervereinigung in den letzten Jahren nieder. So hat sich allein die Schuldenübernahme des Erblastentilgungsfonds mit rund 10 zusätzlichen Prozentpunkten ausgewirkt. Weitere knapp 3 Prozentpunkte sind auf Schuldenerleichterungen zugunsten unserer östlichen Nachbarländer und auf die Übernahme von Verbindlichkeiten in Zusammenhang mit der Privatisierung der Deutschen Bundesbahn zurückzuführen. Ohne diese Sondermaßnahmen lägen wir unter 50 Prozent.
Besonders unbefriedigend sind nach Ansicht des EWI und der Bundesbank die nach wie vor hohen Schuldenstände in Italien und Belgien von jeweils rund 122 Prozent. Die Bundesregierung nimmt diese Besorgnisse ernst. Sie hat dies in ihrem Konvergenzbericht klar und deutlich gesagt; nichts wurde beschönigt. Sie hat auch festgestellt: Die Konsolidierungspolitik muß generell in den meisten MitgliedsBundesminister Dr. Theodor Waigel
ländern fortgesetzt und in Ländern mit hohem Schuldenstand intensiviert werden.
Mit dem von mir vorgeschlagenen Stabilitäts- und Wachstumspakt haben wir hierfür einen verläßlichen, rechtlich verbindlichen Rahmen geschaffen. Die Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, übermäßige Defizite zu vermeiden und mittelfristig nahezu ausgeglichene Haushalte oder Haushaltsüberschüsse zu erzielen. Das ist keine Illusion, wie das Beispiel einiger Länder bereits heute zeigt. Im Jahre 1998 werden es fünf Länder sein, die einen Haushaltsüberschuß vorweisen können.
Die Konsolidierungsfortschritte werden im Rahmen von Stabilitätsprogrammen überwacht, die jedes Land gemäß Stabilitätspakt jährlich vorzulegen hat. In diesen Programmen muß die Haushaltsentwicklung der kommenden Jahre offengelegt werden. Wo nötig, wird der Rat Empfehlungen aussprechen oder als letztes, aber notfalls schnell einzusetzendes Mittel fühlbare Sanktionen zur Korrektur etwaiger Fehlentwicklungen verhängen.
Zur Bekräftigung dieses finanzpolitischen Kurses habe ich beim informellen Ecofin am 21. März 1998 in York meinen Finanzministerkollegen eine besondere Erklärung zur Fortsetzung der Haushaltskonsolidierung in der Währungsunion vorgeschlagen. Dazu gehören folgende Ansätze: Die Haushaltsentwicklungen im Jahre 1998 sollten streng überprüft werden. Ungünstigere Haushaltsentwicklungen werden umgehend korrigiert. Die Haushaltsentwürfe für 1999 sollten frühzeitig auf Gemeinschaftsebene geprüft werden, um sicherzustellen, daß sie mit den Konvergenzprogrammen und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt vereinbar sind. Die Teilnehmer an der Wirtschafts- und Währungsunion verhalten sich ab sofort so, als wäre der Stabilitäts- und Wachstumspakt bereits wirksam. Länder mit sehr hohem Schuldenstand müssen verstärkte Anstrengungen unternehmen, um den Schuldenstand schnell auf ein tragfähiges Niveau zurückzuführen.
({8})
Dies erfordert frühzeitig einen ausgeglichenen Haushalt oder Haushaltsüberschüsse. Der Anteil der kurzfristigen Schulden an der Gesamtverschuldung sollte, wo erforderlich, reduziert werden.
In diesem Zusammenhang habe ich gleichzeitig noch einmal klargestellt: Jedes Land haftet allein für seine Schulden. Es wird in der Währungsunion keine zusätzlichen Finanztransfers geben.
({9})
Haftungsübernahmen seitens der Gemeinschaft oder anderer Teilnehmerländer sind ausgeschlossen.
Diese Vorschläge sind von vielen Mitgliedstaaten und vom Kommissionspräsidenten Santer positiv aufgenommen worden. In der Tat sind gesunde Staatsfinanzen kein ausschließlich deutsches Anliegen; der Konsolidierungswille in allen europäischen Ländern zeugt davon und legt davon ein beredtes Zeugnis ab. Darin liegt auch keine zusätzliche Beschneidung des
Budgetrechts der nationalen Parlamente. Vielmehr geht es um die Bekräftigung der bestehenden gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen aus dem Maastricht-Vertrag und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt.
All dies, meine Damen und Herren, liegt im ureigenen Interesse aller Mitgliedstaaten, die den Euro einführen. In Verbindung mit den notwendigen Strukturreformen auf den Güter-, Arbeits- und Kapitalmärkten sind gesunde Staatsfinanzen eine wichtige Voraussetzung für mehr Wachstum und Beschäftigung. Es gibt keinen Widerspruch zwischen finanzpolitischer Stabilität und wirtschaftlichem Wachstum. Ich bin zuversichtlich, daß wir bis zur Festlegung des Teilnehmerkreises Anfang Mai eine entsprechende Erklärung verabschieden können.
Die besonders angesprochenen Länder wissen, was auf dem Spiel steht, und sie sind sich ihrer Verantwortung bewußt. Belgien hat sich im Rahmen seines Konvergenzprogramms verpflichtet, in seinem Haushalt einen Primärüberschuß, das heißt einen Überschuß, der sich im Haushalt ohne Zinszahlungen ergeben würde, in Höhe von 6 Prozent des BIP auf mittlere Sicht aufrechtzuerhalten, um den Schuldenstand auf den Referenzwert von 60 Prozent zurückzuführen. Die Aufrechterhaltung eines Primärüberschusses von 6 Prozent bedeutet dauerhaft erhebliche Konsolidierungsanstrengungen. Das wird klar, wenn man sich den Primärüberschuß des öffentlichen Gesamthaushalts in Deutschland anschaut. Er liegt mit 1,1 Prozent auch unter Berücksichtigung unseres geringeren Schuldenstandes deutlich niedriger.
Die italienische Regierung hat am 17. April 1998 ihre mittelfristige Finanzplanung von 1999 bis zum Jahre 2001 verabschiedet. Die Haushaltsausschüsse beider Kammern des Parlaments werden voraussichtlich am 29. und 30. April 1998 die Grundzüge dieser Planung billigen. Danach soll bereits innerhalb der nächsten drei Jahre, also bis 2001, das Haushaltsdefizit schrittweise auf 1 Prozent des BIP und der Schuldenstand auf 107 Prozent des BIP zurückgeführt werden. Die italienische Regierung hat angekündigt, sich zu verpflichten, im Jahr 2003 den Schuldenstand auf unter 100 Prozent des BIP zurückzuführen. Dies sind sehr ernst zu nehmende Absichten, die ich sehr begrüße und zu denen ich Ministerpräsident Prodi und Schatzminister Ciampi nur ermutigen und beglückwünschen kann.
({10})
Meine Damen und Herren, der Euro ist kein Abenteuer; aber in jedem Projekt stecken Risiken. Wir haben sie von Anfang an gekannt, und wir haben entsprechend gehandelt. Die Risiken sind beherrschbar. Das weiß jeder, der den Vertrag von Maastricht liest und die ergänzenden Beschlüsse dazu kennt, insbesondere den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Ich empfehle allen dringend nochmals die Lektüre des Vertrages und der ihn konkretisierenden Regelungen.
In seinem Urteil vom Oktober 1993 zum Vertrag von Maastricht hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich anerkannt:
Die Währungsunion ist als Stabilitätsgemeinschaft konzipiert, die vorrangig die Preisstabilität zu gewährleisten hat.
Es hat mich deshalb auch nicht überrascht, daß das Bundesverfassungsgericht kürzlich die Verfassungsbeschwerde von vier Kritikern einstimmig als „offensichtlich unbegründet" zurückgewiesen hat. Fehlende Substanz kann auch mit großem publizistischen Aufwand nicht ersetzt oder hergestellt werden.
({11})
Im Vertrag von Maastricht konnten wir die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank völkerrechtlich verankern. Das gleiche gilt für ihren Auftrag. Die EZB ist vorrangig der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet. Deshalb ist ihr auch die Gewährung von Krediten zur Finanzierung von Haushaltsdefiziten ausdrücklich untersagt. In der Währungsunion bestimmt allein die EZB über die Knappheit und damit über den Wert des neuen Geldes. Mit dem Haushaltsüberwachungsverfahren nach Art. 104 c des EG-Vertrages und dem darauf aufbauenden Stabilitäts- und Wachstumspakt wird die Stabilität des Euro auch von der finanzpolitischen Seite her wirksam abgesichert.
Die Vorrangigkeit der Stabilität wird auch durch das neue Beschäftigungskapitel des Vertrages von Amsterdam nicht in Frage gestellt. Der neue Titel „Beschäftigung" zielt auf die Festlegung beschäftigungspolitischer Leitlinien. Diese müssen mit den sogenannten Grundzügen der Wirtschaftspolitik vereinbar sein. In deren Mittelpunkt stehen aber Stabilität, gesunde Staatsfinanzen und Strukturreformen auf Güter- und Arbeitsmärkten.
Ich wiederhole: Es besteht kein inhaltlicher Konflikt mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt. Der Pakt wird gerade durch Sicherstellung gesunder Staatsfinanzen mehr Wachstum und Beschäftigung ermöglichen. Dieser positive Zusammenhang zwischen Abbau des Staatsdefizits, verbunden mit Strukturreformen, und Abbau der Arbeitslosigkeit, wird im Konvergenzbericht des EWI eindrucksvoll durch Zahlen untermauert.
So hat zum Beispiel Dänemark das öffentliche Defizit von 2,8 Prozent des BIP im Jahr 1994 kontinuierlich abgebaut bis hin zu einem Überschuß von 0,7 Prozent im Jahre 1997. Gleichzeitig fiel während dieses Zeitraums die Arbeitslosenquote von 12,2 Prozent auf 7,8 Prozent. Ähnliche Entwicklungen sind zum Beispiel auch für Großbritannien, Irland und die Niederlande zu verzeichnen.
Damit ist empirisch die These vieler widerlegt, strikte Haushaltskonsolidierung und Abbau der Arbeitslosigkeit schlössen sich aus. Die permanente Behauptung, durch Konsolidierung entstünden keine
Arbeitsplätze, Konsolidierung verhindere Arbeitsplätze, ist definitiv und empirisch falsch.
({12})
Im übrigen ist das Ziel gesunder öffentlicher Finanzen im Vertrag eindeutig ausformuliert. In Art. 104 c Abs. 1 heißt es ausdrücklich: „Die Mitgliedstaaten vermeiden übermäßige öffentliche Defizite. " Dies wird durch den Pakt in rechtlich verbindlicher Form weiter konkretisiert. Die Ausnahmen von der 3-Prozent-Defizit-Regel werden dabei klar definiert. Der Pakt kann deshalb weder durch beschäftigungspolitische Maßnahmen noch durch andere ausgabewirksame Initiativen unterlaufen werden.
Auch in der Währungsunion bleiben entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip die einzelnen Mitgliedstaaten für Wachstum und Beschäftigung selber verantwortlich. In diesem Zusammenhang möchte ich klarstellen: Wer sich für die Teilnahme an der Währungsunion qualifiziert, kann nicht mit fortgesetzten Transfers aus dem Kohäsionsfonds rechnen.
({13})
Die Bundesregierung wird diese Auffassung im Rahmen der anstehenden Beratungen klar zum Ausdruck bringen.
Insgesamt lautet daher mein Fazit: Der Eintritt in die Währungsunion mit den vorgeschlagenen elf Mitgliedstaaten ist stabilitätspolitisch vertretbar. Mehr noch: Es ist der richtige Schritt zum richtigen Zeitpunkt. Die Währungsunion ist die Brücke zum 21. Jahrhundert.
({14})
Das ist übrigens nicht nur die Meinung der Europäer. Beim kürzlichen Treffen der G-7-Finanzminister in Washington hat sich gezeigt: Auch in den Vereinigten Staaten und in anderen wichtigen Ländern wird der Euro heute positiv eingeschätzt. Erstmals kommt im G-7-Kommuniqué die Erwartung einer stabilen europäischen Währungsunion deutlich zum Ausdruck.
Wir können und müssen deshalb den Schritt in die Währungsunion um unserer eigenen Zukunft willen jetzt tun. Die Zeit für die Währungsunion ist reif. Sie ist keine „kränkelnde Frühgeburt", wie Gerhard Schröder behauptet - übrigens im Gegensatz zu vielen Genossen in seiner eigenen Partei.
({15})
Wir geben die D-Mark nicht auf, sondern setzen ihre Erfolgsgeschichte auf der europäischen Ebene fort. Das Projekt Währungsunion wurde über viele Jahre unter maßgeblichem deutschen Einfluß sorgfältig vorbereitet. Was viele noch vor wenigen Jahren als Illusion abgetan haben, ist uns gelungen. Wir haben unsere Philosophie der Geld-, Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa verankert. Der Euro wird so zur historischen Chance, die Vorteile der D-Mark unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts für uns zu erhalten.
Jetzt müssen wir das in der Währungsunion liegende Potential für mehr Flexibilität, mehr Wachstum und Beschäftigung entschlossen nutzen. Dies gilt gerade für ein stark exportorientiertes Land, wie wir es sind. Ein Viertel unseres Sozialprodukts entsteht im Export. Jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Export ab. 60 Prozent unseres Außenhandels wickeln wir mit unseren Nachbarn in der EU ab.
Aus dem Wegfall des Wechselkursrisikos werden nicht nur Großunternehmen Vorteile schöpfen. Insbesondere unserer mittelständischen Wirtschaft wird die einheitliche Währung helfen, Europa als Absatz-
und Beschaffungsmarkt zu erschließen. Mittelständische Firmen werden aber auch als Zulieferer großer Unternehmen gewinnen.
Mit der Währungsunion entsteht zugleich einer der größten Finanzmärkte der Welt. Für Anleger und Investoren wird sich das Angebot an Anlage- und Finanzierungsmöglichkeiten verbessern und transparenter darstellen. Dies eröffnet Potential für weitere Zinsrückgänge. Die Finanzierung von Investitionen wird dadurch erleichtert.
Außenwirtschaftliche Störeinflüsse wie Wechselkursverwerfungen werden an Bedeutung verlieren, weil die Außenhandelsintensität des Euro-Raumes deutlich geringer sein wird. Schließlich kann Lohnmoderation nicht mehr - wie in Deutschland noch vor wenigen Jahren - durch Aufwertungen der D-Mark konterkariert werden.
Meine Damen und Herren, die Chancen, die wir in der Währungsunion sehen, bestehen genauso für unsere europäischen Nachbarn. Um sie voll auszuschöpfen, sind aber Strukturreformen notwendig. Politik und Tarifparteien müssen mehr Flexibilität auf den Güter- und Arbeitsmärkten schaffen.
Internationale Organisationen wie die OECD und der Internationale Währungsfonds stellen unmißverständlich fest: Die hohe Arbeitslosigkeit insbesondere in Kontinentaleuropa ist primär auf strukturelle Ursachen zurückzuführen. Ausgabewirksame Beschäftigungsprogramme können deshalb auch nicht die Lösung sein. Notwendig sind vielmehr Konsolidierung, Modernisierung der Sozialversicherungen und ein leistungs- und investitionsfördernder Umbau des Steuersystems. Diese Themen bleiben ganz oben auf der Agenda - bei uns und in Europa.
Das haben wir beim letzten Europäischen Rat in Luxemburg im Dezember 1997 im Rahmen der „engeren Koordinierung der Wirtschaftspolitik" vereinbart. In der entsprechenden Entschließung haben wir aber auch nochmals bekräftigt, daß die Wirtschaftspolitik in nationaler Verantwortung bleibt. Jeder muß seine Hausaufgaben selbst machen.
Eine weitreichende Harmonisierung der Sozial-, Einkommens- und Steuerpolitik, wie sie von vielen in der Opposition gefordert wird, würde dem widersprechen. Eine Sozial-, Lohn- und Steuerunion würde die Entwicklung zur Transferunion vorprogrammieren. Sie würde die nationalen Verantwortlichkeiten verwischen und das Subsidiaritätsprinzip verletzen. Sie wäre das Gegenteil von dem, was wir
wollen, nämlich ein Europa, in dem Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Regierungen ihre eigenen Aufgaben selbstverantwortlich in die Hand nehmen.
Meine Damen und Herren, in der Öffentlichkeit bei uns, aber auch in anderen Ländern wird immer wieder gesagt, wegen des Euro müßten so viele Einschränkungen, Konsolidierungsanstrengungen und auch Beschneidungen von Ansprüchen stattfinden. Dazu sage ich: Das ist falsch. Alles, was jetzt bei uns und in anderen Ländern geschieht, müßten wir in unserem ureigenen nationalen Interesse selbst anpakken und durchsetzen.
({16})
Auch ohne Währungsunion müßten wir die Modernisierung unserer Volkswirtschaften rasch in Angriff nehmen, will Europa seine Wettbewerbsfähigkeit im Zeitalter der Globalisierung erhalten.
Der Euro ist zwar nicht die Lösung der vorhandenen Strukturprobleme. Er wird aber ihre Lösung erheblich beschleunigen. Er wird einen frischen Wind der Modernisierung nach Europa bringen. Wenn wir jetzt ja zur Währungsunion sagen, dann stellen wir damit auch unsere Reformbereitschaft und unsere Zukunftsfähigkeit unter Beweis. Mit der Währungsunion stellt sich Deutschland, stellt sich Europa den ökonomischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.
Mit der Umsetzung der Verträge von Maastricht schaffen wir einen gemeinsamen Wirtschaftsraum mit einer einheitlichen Währung und damit die Voraussetzung, daß Europa im nächsten Jahrhundert sein ökonomisches und politisches Gewicht in der Konkurrenz mit den anderen wirtschaftlichen Zentren der Welt aufrechterhalten kann.
Aber: Die Europäische Währungsunion bedeutet mehr als Mark und Märkte, mehr als Wirtschaft und Währung. Die Wirtschafts- und Währungsunion ist zentraler Bestandteil der mit Maastricht geschaffenen europäischen politischen Union. Maastricht ist letztendlich die politische Antwort auf die Irrwege des 20. Jahrhunderts. Politischer Kern von Maastricht ist die Schaffung einer dauerhaften Friedensordnung für Europa. Nach zwei verheerenden und schmerzhaften Weltkriegen eröffnet das Projekt Europa unseren Kindern und Enkeln Chancen, von denen unsere Väter und Mütter, unsere Vorfahren nicht zu träumen gewagt hätten.
({17})
Die heutige Entscheidung ist eine Entscheidung mit historischer Tragweite und schicksalhafter Bedeutung. Ich habe damals gemeinsam mit dem damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher diesen Vertrag unterzeichnet. Ich glaube, Herr Kollege Genscher - Sie werden heute Ihre letzte große Rede im Bundestag halten -: Wir können gemeinsam mit allen, die dazu beigetragen haben, stolz auf das sein, was wir damals getan haben.
({18})
Meine Damen und Herren, alle deutschen Bundeskanzler seit 1949 haben die deutsche Einheit und die europäische Integration angestrebt: Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger, Willy Brandt und Helmut Schmidt. Helmut Kohl hat die deutsche Einheit herbeigeführt und Europa entscheidend vorangebracht.
({19})
Diese Regierung und diese Koalition haben ihn dabei unterstützt und getragen.
Es war der richtige Weg. Es ist heute die richtige Entscheidung. Es ist das richtige Konzept für Deutschlands Zukunft in der Welt. Auf diesem Weg und mit dieser Zukunftsvision wird diese Regierung den Weg Deutschlands in eine europäische Zukunft mutig beschreiten.
Ich danke Ihnen.
({20})
Das Wort in der Debatte nimmt jetzt die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es steht jetzt fest: Die gemeinsame europäische Währung kommt. Dies ist von Vorteil für alle Teilnehmerländer, aber auch gerade für uns Deutsche. Die von Gegnern des Euro eifrig verbreitete Meinung, wir Deutsche gäben praktisch die Deutsche Mark auf und bekämen dafür nichts, ist eindeutig falsch. Gerade auch wir Deutsche profitieren von einer einheitlichen, stabilen europäischen Währung.
Es stellt sich aber die Frage, warum sich trotzdem so viele Bürgerinnen und Bürger mit dem Euro schwertun und skeptisch sind. Nach meiner Überzeugung ist ein Grund sicher, daß die Menschen sehen: In anderen Ländern, wie in Frankreich und Dänemark, gab es eine Volksabstimmung über den Maastricht-Vertrag - in Deutschland nicht. Das ist schlecht.
({0})
Ich darf daran erinnern: Nach der deutschen Einheit hat die SPD beantragt, die Möglichkeit der Volksabstimmung in das Grundgesetz einzuführen. Es waren die CDU/CSU und die F.D.P., die das abgelehnt haben. Daß die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland damals nicht die Möglichkeit hatten, über den Maastricht-Vertrag im Rahmen einer Volksabstimmung zu entscheiden, ist einzig und allein die Schuld dieser Koalition. Das ist bedauerlich.
({1})
Ich bin fest davon überzeugt: Wenn es das damals gegeben hätte, wäre sehr viel früher, sehr viel verständlicher und sehr viel volksnäher über den Euro aufgeklärt worden. Wenn Gegner des Euro heute behaupten, der Maastricht-Vertrag sei von heute auf morgen über dieses Land gestülpt worden und man hätte nicht diskutiert, ist das falsch. Auf der Fachebene in Europa, in der Wirtschaftspolitik, in der europäischen Diskussion wurde mindestens schon 20 Jahre über die gemeinsame europäische Währung diskutiert. Doch es fehlte über Jahre die Bürgernähe dieser Diskussion. So haben wir uns angewöhnt zu sagen: Als exportorientiertes Land haben wir ein Interesse daran, daß es keine Währungsschwankungen gibt. Dieser Satz ist richtig. Aber ich frage Sie, meine Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen: Warum erklären wir das nicht bürgèrnäher durch Beispiele aus unseren Wahlkreisen, wo wir doch überall gesehen haben, daß Währungsturbulenzen zum Abbau von Arbeitsplätzen führen?
({2})
- Ich weiß gar nicht, warum Sie hier schreien, meine Damen und Herren. Die Aufforderung, daß wir und vor allen Dingen auch Sie das hätten besser erklären können, können wir doch alle nur gemeinsam annehmen.
Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Vorgang in meinem Wahlkreis im Herbst 1994. Dort besuchte ich zufällig zehn Tage nach der Abwertung der Lira das Stahlwerk Klöckner-Mannstaedt. Dort war die Stimmung miserabel. Wir müssen Leute entlassen, hieß es. Darauf sagte ich: Wieso, was ist denn los? Es ist doch alles in Ordnung! - Man sagte: Die Lira ist in den Keller gegangen. Darauf sagte ich: Das ist doch erst zehn Tage her! Das könnt ihr doch nicht schon jetzt spüren! - Wohl, sagten sie. Schon nach fünf Tagen hatten Italiener Aufträge an dieses deutsche Stahlwerk storniert, weil sie durch die Abwertung der Lira die deutsche Rechnung in Mark mit sehr viel mehr Lire bezahlen mußten als vorher. Dann haben sie die Aufträge in andere Länder vergeben.
Meine Damen und Herren, solche konkreten Beispiele zeigen, daß Währungsturbulenzen gerade für unser Land verheerend waren und sind. Deswegen ist der Euro gerade auch für uns gut, meine Damen und Herren.
({3})
Das ist übrigens auch der Grund, weshalb sowohl die deutsche Wirtschaft ganz überwiegend als auch die Gewerkschaften für eine stabile europäische Währung sind.
Die gemeinsame europäische Währung ist auch gut gegen Währungsspekulationen. Nach diesen Währungsspekulationen wurde einmal der Oberspekulant dieser Welt, George Soros, gefragt: Was ist Ihrer Ansicht nach das beste Mittel gegen Währungsspekulation? Er hat geantwortet: Möglichst bald eine stabile europäische Währung.
Haben wir denn vergessen, daß die Bundesbank schon mal zweistellige Milliardenbeträge in Mark in die Finanzmärkte gepumpt hat, um Währungsturbulenzen zu verhindern? Diese Bürde der Ankerwährung würde in Zukunft nicht mehr allein von der Mark und der Bundesbank getragen, sondern von
breiteren Schultern, nämlich dem Euro und der Europäischen Zentralbank. Das ist in Ordnung.
Aber, meine Damen und Herren, zu der Skepsis, zu den Ängsten der Menschen haben ganz sicher auch Sie, Herr Bundesfinanzminister, beigetragen.
({4})
Sie wissen, ich habe Respekt davor, daß Sie trotz Gauweiler und Stoiber im Nacken immer zum Euro gestanden haben. Alles andere wäre ja auch seltsam; Sie haben schließlich den Vertrag unterschrieben. Aber erinnern Sie sich noch an Ihr schreckliches Interview im März 1997?
({5})
Dort hatten Sie angekündigt, man werde im Zweifel die Sozialhilfe kürzen, um die Konvergenzkriterien einzuhalten.
Wer kann denn erwarten, daß sich die Menschen Europa zuwenden, wenn Sie Sozialabbau hinter dem Euro verstecken, meine Damen und Herren?
({6})
Ich sage sehr klar: Bei den kleinen Leuten abzukassieren, aber die private Vermögensteuer für steinreiche Leute abzuschaffen hatte nie etwas mit dem Euro zu tun. Das ist allein die Politik dieser Bundesregierung, meine Damen und Herren.
({7})
Was die Konvergenzkriterien angeht - speziell das Defizitkriterium und das Schuldenstandskriterium -, für die Sie die Sozialhilfe kürzen wollten: Mit diesen Kriterien - das sage ich Ihnen sehr deutlich - hätten Sie nie Probleme gehabt, wenn Sie die deutsche Einheit solide über einen Lastenausgleich statt über eine massive neue Staatsverschuldung finanziert hätten, wie wir es vorgeschlagen hatten.
({8})
Sie hätten auch keine Schwierigkeiten gehabt, wenn Sie lange vorher begonnen hätten, aktiv die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen; denn die ist der Hauptgrund für die enormen Staatsschulden, meine Damen und Herren.
({9})
Hunderttausend Arbeitslose kosten die öffentlichen Haushalte nun einmal 4 Milliarden DM. Aber nein, Sie haben aus ideologischen Gründen immer wieder eine aktive Beschäftigungspolitik hintertrieben und dies gerade auch auf europäischer Ebene.
Wer seinen Wirtschaftsminister ungestraft den Unsinn erzählen läßt, Wirtschaftspolitik werde in der
Wirtschaft gemacht, der darf sich nicht wundern, daß die Arbeitslosenzahlen immer weiter steigen, meine Damen und Herren.
({10})
Weil wir alle so vergeßlich sind, Herr Bundeskanzler, darf ich Sie an den Herbst 1982 erinnern. Ich war damals dabei. Da hat der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit 1,7 Millionen Arbeitslose bekanntgegeben. Sie sind, damals als Oppositionsführer, in den Deutschen Bundestag gegangen und haben Helmut Schmidt angesichts dieser 1,7 Millionen Arbeitslosen entgegengerufen: Sie sind der Kanzler der Arbeitslosen. Treten Sie zurück!
Danach hat der jeweilige Präsident der Bundesanstalt für Arbeit sage und schreibe hundertsiebenundachtzigmal sehr viel höhere Arbeitslosenzahlen, bis zu 5 Millionen, bekanntgegeben. Nach Ihrem damaligen Ausspruch, Herr Bundeskanzler, hätten Sie hundertsiebenundachtzigmal zurücktreten müssen. Einmal hätte uns aber schon gereicht.
({11})
Meine Damen und Herren, es ist Ihre Achillesferse auf europäischer Ebene, daß Sie sich bis heute weigern, auch auf europäischer Ebene die Wirtschafts-
und Finanzpolitik zu koordinieren und endlich die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
({12})
Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Wir sagen ja zu einer stabilen europäischen Währung. Wir sagen aber nein zu einer Politik des „Weiter so!" mit immer mehr Arbeitslosen.
({13})
Deswegen brauchen wir hier mehr europäische Koordination.
Sie sprechen immer von der Stabilität des Geldes. Dies ist wichtig, dies ist richtig, und da haben wir viel erreicht. Aber das reicht nicht aus. 18 Millionen Arbeitslose in Europa, 5 Millionen Arbeitslose in Deutschland - ich sage Ihnen: Wer nicht zu mehr Stabilität auf den Arbeitsmärkten kommt, der wird am Ende auch die Stabilität des Geldes in Gefahr bringen. Und das wollen wir nicht.
({14})
Deswegen brauchen wir zusätzlich zum Euro eine aktive Beschäftigungspolitik auf europäischer Ebene. Der Amsterdamer Vertrag enthält doch in dem dort genannten Beschäftigungskapitel die Möglichkeit und die Verpflichtung dazu. Aber erinnern wir uns doch: Sie haben Jahre gegen dieses Beschäftigungskapitel gekämpft. Erst als in Frankreich Lionel Jospin und in Großbritannien Tony Blair gewählt wurden und Sie auf europäischer Ebene gedrängt haben, haben Sie Ihren Widerstand gegen ein europäisches Beschäftigungskapitel aufgegeben. Sie
machen auf diesem Gebiete nie etwas freiwillig, alles nur unter Zwang. Sie müssen durch die europäische Sozialdemokratie gezwungen werden, endlich ein Beschäftigungskapitel einzuführen.
Durch den Wähler müssen Sie gezwungen werden, endlich etwas gegen die Arbeitslosigkeit zu tun, meine Damen und Herren. Es ist doch pure Angst vor dem Wähler, daß Sie gestern so ein Miniprogramm vorgelegt haben. Ich brauche gar nicht zu sagen, was die SPD dazu meint. Lesen Sie die Zeitungen! Da steht: „unzureichend" , „weiße Salbe", „Feigenblatt", „dürftig", „nichts Neues". Das ist es. In einer Zeitung steht: „lieblos". „Lieblos" ist eigentlich ein Wort, das wir in der Wirtschaftspolitik nicht benutzen. Aber ich glaube, das Wort paßt diesmal sehr gut. Denn Sie haben Beschäftigungspolitik nie aus tiefer Überzeugung gemacht. Wir brauchen endlich eine neue Bundesregierung, die die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht als lästiges Übel empfindet, sondern als Kernaufgabe auf nationaler und auf europäischer Ebene. Das tun wir Sozialdemokraten.
({15})
Deswegen müssen wir, wenn wir in der politischen Union weiterkommen wollen, auch zur Harmonisierung und Koordinierung der Steuerpolitik kommen, meine Damen und Herren.
({16})
Es ist doch kein Zustand, daß es in Europa Steueroasen, Steuerflucht, Steuerhinterziehung und Steuerdumping in großem Umfang gibt. Ich erinnere mich gut, Herr Waigel: Im Herbst 1996 haben wir gemeinsam darüber diskutiert. Als damals Oskar Lafontaine und ich gesagt haben, „Wir brauchen eine Koordinierung in dieser Frage in Europa" , haben Sie uns mit Hohn und Spott überzogen. Mittlerweile haben Sie das ein bißchen geändert.
Ich begrüße ausdrücklich den Verhaltenskodex auf europäischer Ebene. Er reicht aber nicht aus, meine Damen und Herren. Er ist unverbindlich; bis jetzt geht der Steuersenkungswettlauf immer weiter, der überhaupt niemandem nützt. Lassen Sie mich das an einem Beispiel klarmachen: Wenn ein Land seine Unternehmensteuern senkt, damit Investitionen in das Land kommen, dann wird das Nachbarland sagen: „Ach du liebe Güte, jetzt muß ich etwas tun" und unter die Steuersätze des ersten Landes gehen. Darauf sagt das dritte Land: Das kann ja wohl nicht sein. Ich gehe noch etwas tiefer. - So gibt es einen Wettlauf nach unten, der am Schluß überhaupt keinem nützt.
Manche sagen, das sei ein Nullsummenspiel. Das ginge ja noch.
({17})
Es ist aber kein Nullsummenspiel; es ist viel schlimmer. Das ist wie im Kino: Da sitzen die Leute und gucken. Dann kommen einige auf die Idee, sich zu stellen, weil sie besser sehen wollen. Nach zehn Minuten stehen alle, mit der Folge, daß die Situation genauso ist wie vorher, aber mit einem Unterschied: Stehen ist viel ungemütlicher als sitzen, meine Damen und Herren.
({18})
So ist es dann mit dem Steuerdumping. Dann haben Sie vielleicht die Unternehmensteuern heruntergedumpt, aber irgend jemand muß es bezahlen. Und wer ist das? Es sind die Arbeitnehmer und die kleinen und mittleren Unternehmen; denn sie können nicht weglaufen und müssen immer höhere Steuern und Sozialabgaben zahlen.
({19})
Unser Ja zum Euro heute steht in der Kontinuität sozialdemokratischer Wirtschafts-, Finanz- und Europapolitik.
({20})
Es war Helmut Schmidt, der vor 20 Jahren zusammen mit Giscard d'Estaing das Europäische Währungssystem eingeführt hat, den Vorläufer der heutigen Europäischen Währungsunion. Ohne das Europäische Währungssystem gäbe es die Währungsunion überhaupt nicht.
Wenn Sie sich das Verhalten der damaligen Opposition zu Helmut Schmidts Europäischem Währungssystem anschauen und mit unserem Verhalten heute vergleichen, dann sehen Sie genau den Unterschied, meine Damen und Herren. Helmut Kohl hat damals als Oppositionsführer dem Europäischen Währungssystem aus parteipolitischer Kleinmünzerei nicht zugestimmt. Ich habe mir den Antrag vom Herbst 1978 noch einmal herausgeholt: „Antrag der Abgeordneten Strauß, Dr. Häfele, Dr. Sprung" . Dort heißt es wörtlich:
Gerade wer es mit der europäischen Einigung ernst meint, muß jedoch dem Vorhaben eines neuen europäischen Währungssystems, das bereits zum 1. Januar 1979 in Kraft treten soll, äußerst mißtrauisch gegenüberstehen.
({21})
Unterschrift: „Dr. Kohl, Dr. Zimmermann und Fraktion".
({22})
Das ist der Unterschied zu uns, meine Damen und Herren.
({23})
Wir sind als verantwortungsbewußte Opposition für den Euro, und deswegen brauchen Sie hier gar nicht Gerhard Schröder anzugreifen.
({24})
Er stimmt im Bundesrat zu; Ihr Herr Biedenkopf stimmt mit Nein. Er hat bei Ihnen, Herr Kohl, als Generalsekretär gelernt, daß Parteipolitik wichtiger ist als Sachpolitik.
({25})
Gerade heute, wenn wir mit Ja zum Euro stimmen, erlauben wir uns, darauf aufmerksam zu machen, daß wir die politische Union dringend brauchen. Die Harmonisierung der Steuern, die Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik, ein aktives, gemeinsames, auch europäisches Vorgehen gegen die Arbeitslosigkeit und eine aktive Anstrengung gegen Steuerdumping und Steuerflucht - das sind die Hausaufgaben, die Sie hätten machen müssen. Das können Sie nicht. Dazu haben Sie nicht die Kraft. Das wird eine sozialdemokratisch geführte Regierung nach dem 27. September machen.
({26})
Nun spricht der Kollege Friedrich Merz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Matthäus-Maier, ich finde, Sie haben die Chance vertan,
({0})
dem Tag angemessen über den Euro zu sprechen und keine billige Wahlkampfrede zu halten.
({1})
Ich finde, es ist dem Tag und der Bedeutung dieser Entscheidung angemessen, daß wir zunächst einmal Ihnen, Herr Bundeskanzler, Ihnen, Herr Bundesfinanzminister und Ihnen, Herr Bundesaußenminister, ein herzliches Wort des Dankes und der Anerkennung sagen.
({2})
Heute haben wir die sicher ganz seltene Gelegenheit, eine historische Entscheidung im Deutschen Bundestag zu treffen. Dafür gebührt Ihnen unser Dank.
Das Votum, das wir heute abzugeben haben, ist keine reine Formalität. Wir treffen heute die letzte innerstaatliche, politisch verbindliche Entscheidung über den Eintritt in die dritte Stufe der Wirtschafts-und Währungsunion. Der Deutsche Bundestag hat sich dieses Votum in seiner Entschließung vom 2. Dezember 1992 vorbehalten und die Bundesregierung aufgefordert, ihr Stimmrecht im Rat nicht ohne zustimmendes Votum des Parlamentes auszuüben.
Frau Matthäus-Maier, lassen Sie mich etwas zu Ihrer Forderung nach einer Volksabstimmung sagen. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen parlamentarischen Vorbehalt in seiner Entscheidung vorn 12. Oktober 1993 ausdrücklich gebilligt und die Bundesregierung verpflichtet, unser Votum im Rahmen
der Organtreue zu beachten. Es entspricht unserer parlamentarischen repräsentativen Demokratie, daß die Entscheidung nicht in einer Volksabstimmung fällt, sondern daß wir, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die Verantwortung für diese Entscheidung im Rat übernehmen und diese Entscheidung auch akzeptieren.
({3})
Ich sage dazu: Es hat in dieser Legislaturperiode keine Entscheidung gegeben - viele ältere Kollegen, die dem Deutschen Bundestag länger angehören als ich, haben in den letzten Tagen gesagt, sie könnten sich an überhaupt keine Entscheidung in Bonn erinnern -, die so gründlich vorbereitet worden ist wie die Entscheidung, die wir heute zu treffen haben. Wir, Frau Matthäus-Maier, sind berufen, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Der Ruf nach einer Volksabstimmung ist in Wahrheit der Versuch, aus dieser Verantwortung zu flüchten.
({4})
Meine Damen und Herren, es ist ein großartiger Erfolg, daß wir heute die Chance haben, dem Eintritt in die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion zuzustimmen, die einen stabilen Euro bringen wird.
Ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe 1992, als die Entscheidungen auf europäischer Ebene getroffen worden sind, dem Europäischen Parlament angehört. Damals habe ich es nicht für möglich gehalten, daß es im Jahre 1998 gelingen könnte, eine solche Entscheidung - bei niedrigsten Inflationsraten, bei Geldwertstabilität, bei niedrigen Zinsen - in einem so großen Teilnehmerkreis zu treffen. Daß dies möglich geworden ist, hat etwas damit zu tun, daß es uns, der Bundesrepublik Deutschland, gelungen ist, wesentliche Elemente der deutschen Geldverfassung auf die europäische Ebene zu übertragen.
Den vielen Bürgerinnen und Bürgern, die uns heute in dieser Debatte auch kritisch begleiten, möchte ich von dieser Stelle aus sagen: Vertrauen Sie dem Rat von Fachleuten in Ihrer Bank,
({5})
in der Sparkasse, in der Volksbank, die Ihnen sagen: Die Bezeichnung ändert sich, aber der Wert von Ersparnissen, Renten und Versicherungen bleibt.
({6})
Vertrauen Sie nicht diesen Scharlatanen, die in ganzseitigen Anzeigen nicht das Geld des Bürgers schützen wollen, sondern in Wahrheit nur den eigenen Geldbeutel!
Die Bundesbank hat in ihrer Stellungnahme für die Bundesregierung einige Sorgen angesprochen. Diese Sorgen haben auch uns in den parlamentarischen Beratungen beschäftigt. Uns besorgt, daß es zwei Mitgliedstaaten gibt, die das Schuldenkriterium nach wie vor deutlich verfehlen. Deswegen halten auch wir zusätzliche verbindliche, substantielle Verpflichtungen beider Länder für notwendig, um den Schuldenstand dauerhaft auf unter 60 Prozent zu begrenzen.
Öffentliche Haushalte in den Mitgliedstaaten der Währungsunion zu beurteilen stellt ab heute keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder dar; denn die öffentlichen Haushalte der Teilnehmerstaaten sind eben keine inneren Angelegenheiten mehr. Deswegen werden Sie in der SPD Schwierigkeiten haben, eine Politik fortzusetzen, wie Sie sie offensichtlich im Herbst fortsetzen wollen, nämlich mit öffentlichen Schulden, mit Defizitprogrammen Arbeitsmarktpolitik zu machen. Dies wird nach dem Eintritt in die dritte Stufe der Wirtschafts-
und Währungsunion nicht mehr funktionieren.
({7})
Die Währungsunion ist die konsequente Vollendung des europäischen Binnenmarktes. Der Binnenmarkt bliebe nicht nur unvollendet. Die Erfolge, die er bis heute bereits deutlich zeigt, nämlich die Freiheit des Warenverkehrs, die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs und die Freiheit des Personenverkehrs, wären ohne die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion auf Dauer gefährdet.
Wer uns nicht zutraut und wer skeptisch ist, daß eine solche Währungsunion zu einem Raum ohne Binnengrenzen dazugehört, den mag ein Blick in die deutsche Geschichte eines Besseren belehren. Es gehört doch zu den historischen Erfahrungen unseres Landes, daß der Deutsche Zollverein, der 1814 gegründet wurde, seine Funktionsfähigkeit erst dann wirklich entfalten konnte, als in einem zersplitterten deutschen Staatsgebiet mit 39 Fürstenstaaten und reichsfreien Städten Währungszusammenschlüsse ermöglicht wurden.
Herr Bundesfinanzminister, für Sie muß es zu den späten, aber sehr dankbaren Rechtfertigungen gehören, daß nun ausgerechnet die Süddeutschen 1837 die ersten waren, die mit der Münchener Konvention einen solchen Währungszusammenschluß gemacht haben, übrigens unmittelbar gefolgt von den Sachsen, die mit der Dresdener Münzkonvention 1838 den Zusammenschluß auch der norddeutschen Städte ermöglicht haben.
Die Währungsunion wird einen erheblichen Wachstumsschub für Europa bringen. Wir werden Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika, der sich dort entwickelnden Freihandelszone, bestehend aus Amerika, Kanada und Mexiko, aber auch und besonders gegenüber den asiatischen Staaten zurückgewinnen. Sie wird einen erheblichen Schub auf den Weltmärkten für uns auslösen. Die Währungsunion gibt uns die Chance, auf Grund verbesserter Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten neue Arbeitsplätze in der Europäischen Union zu schaffen. Die Antwort auf die Frage allerdings, ob diese neuen Arbeitsplätze in Deutschland entstehen oder ob sie in anderen Teilnehmerstaaten der Wirtschafts- und Währungsunion entstehen, hängt ganz maßgeblich vom Handeln im eigenen Land ab.
({8})
Richtig ist, Frau Matthäus-Maier, daß in den EG-Vertrag eine neue Zielbestimmung aufgenommen worden ist, derzufolge die Union ein hohes Beschäftigungsniveau fördert. Die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft sollen gemeinsam auf die Entwicklung einer koordinierten Beschäftigungsstrategie hinarbeiten. Die Mitgliedstaaten betrachten die Förderung von Beschäftigung als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse. Sie stimmen ihre diesbezüglichen Tätigkeiten miteinander ab. Die EU fördert aber eben nur diese Zusammenarbeit, unterstützt die Maßnahmen der Mitgliedstaaten und ergänzt sie. Diese fast wörtlichen Formulierungen des Vertrages machen aber auch eines klar: Die Zuständigkeit für die Beschäftigungspolitik bleibt grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten. Die Gemeinschaft hat nur eine koordinierende und unterstützende Funktion.
Nun stellen wir uns einmal vor, es gäbe eine weitgehend harmonisierte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik in der Europäischen Union, wie Sie sie fordern. Glauben Sie denn im Ernst, daß sich eine Regierung in der Europäischen Union, daß sich auch nur ein sozialdemokratisch geführter Mitgliedstaat in der Europäischen Union auf die Steuerpolitik einlassen würde, die Sie gemäß Ihrem Parteiprogramm in der Bundesrepublik Deutschland nach dem 27. September umsetzen wollen? Glauben Sie das denn im Ernst?
({9})
Glauben Sie denn im Ernst, daß irgendeine sozialdemokratische Regierung in Europa bei Bestehen einer koordinierten Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik in der Europäischen Union fordern würde, die Fortschritte, die wir bei der Reform des Sozialstaates in Deutschland erzielt haben,
({10})
wieder rückgängig zu machen? Glauben Sie das im Ernst? Nein, Sie flüchten sich in die Forderung nach einer europäischen Arbeitsmarktpolitik, weil Sie in Wahrheit nicht den Mut aufbringen, sich den bestehenden und unabwendbaren ökonomischen Herausforderungen hier im eigenen Land wirklich zu stellen.
({11})
Ihnen ist auch völlig klar, daß die Währungsunion nur dann auf Dauer erfolgreich sein kann, wenn die in allen Mitgliedstaaten vorhandenen Zwänge zu staatlicher Sparsamkeit beachtet und wenn zugleich grundlegende Reformen der Arbeitsmarktverfassung und der Sozialsysteme durchgesetzt werden. Einen Teil davon haben wir erreicht.
({12})
Mehr hätten wir erreichen können.
Herrn Ministerpräsident Schröder, der wie vor drei Wochen wieder einmal nicht im Saal ist,
({13})
hätte ich herzlich gerne für die Bestätigung gedankt, die er uns gibt.
({14})
- Die Tatsache, daß Schröder nicht im Saal ist, scheint Sie nervöser zu machen als uns, meine Damen und Herren.
({15})
Schröder bestätigt uns heute in großen Anzeigen in deutschen Tageszeitungen
({16})
mannhaft unter einem Foto:
Es herrscht Aufbruchstimmung ... In Deutschland setzen die ersten wieder auf Zukunft und Wachstum.
({17})
Und dann kommt etwas später:
Wir brauchen einen Aufschwung, der Kontinuität und Richtung hat.
({18})
Das stand heute in den Anzeigen von Gerhard Schröder. Meine Damen und Herren, wir stimmen ihm zu. Wir brauchen einen Aufschwung, der Kontinuität und Richtung hat. Deswegen dürfen die Reformen in Deutschland nicht zurückgedreht werden.
({19})
Für den Fall, daß Sie uns dies nicht glauben, will ich von dieser Stelle noch einmal eine bemerkenswerte Rede zitieren, die unser gemeinsamer Vizepräsident Klose - langjähriger Bürgermeister von Hamburg, SPD-Abgeordneter des Deutschen Bundestages - vor etwas mehr als einem Jahr gehalten hat:
Ein radikaler Umbau des Sozialstaates ist erforderlich. Die jetzige Rentenformel ist so nicht haltbar. Die Entlastung von versicherungsfremden Leistungen reicht nicht aus.
Meine Damen und Herren, verdummen Sie doch die deutsche Öffentlichkeit nicht, indem Sie glauben machen, man könne mit zurückgedrehten Reformen einen Aufschwung in Deutschland dauerhaft sichern! Das geht nicht.
({20})
Die Wirtschafts- und Währungsunion hat nicht nur eine ökonomische Seite. Sie ist das feste ökonomische Fundament für eine weitere politische Integration der Europäischen Union. Wir hatten bis vor wenigen Wochen gehofft, daß es wenigstens in dieser zentralen politischen Frage unseres Landes einen weitestgehenden Konsens zwischen den großen Parteien gibt. Ich bin mir nicht mehr ganz so sicher, daß dies zutrifft, nachdem wir vor drei Wochen in einer großen Boulevardzeitung ein Interview mit Gerhard Schröder lesen konnten. Dies wurde übrigens stilvoll am gleichen Tag veröffentlicht, an dem hier im Hause ohne ihn die erste große Debatte über den Euro stattgefunden hat.
({21})
Schröder stellte wörtlich am 2. April 1998 fest:
Helmut Kohl vertritt die Meinung: Wir müssen Deutschland in Europa einbinden. Meine Meinung
- so Schröder ist: Wir müssen nicht; aber wir wollen.
Ich hätte ihn gerne gefragt, ob dies eine weitere seiner flapsigen Redensarten ist,
({22})
ob dies ein Teil der politischen Beliebigkeit ist, die jedem etwas Nettes anbietet - jeder kann darunter alles verstehen; viele verstehen darunter gar nichts mehr -, oder ob eines Tages mit der Formulierung „Wir müssen nicht; aber wir wollen" der bisherige Konsens in Frage gestellt wird, nämlich, daß die Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union bei uns zur Staatsräson geworden ist. Ich hätte ihn gerne danach gefragt. Vielleicht gibt er im späteren Verlauf dieser Debatte darauf noch eine Antwort.
({23})
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat ziemlich zu Beginn der vertraglichen Festlegung über den Eintritt in die dritte Stufe der Wirtschafts-
und Währungsunion gesagt - er hat es mehrfach wiederholt -, die Frage der Wirtschafts- und Währungsunion sei eine Frage von Krieg und Frieden. Herr Bundeskanzler, ich will ganz offen eingestehen, daß ich das, als Sie das das erste Mal gesagt haben, als etwas sehr weit gegriffen, vielleicht sogar als etwas pathetisch angesehen habe.
({24})
- Herr Fischer, Ihnen scheint völlig unbekannt zu sein, daß man bei grundlegenden Fragen auch einmal eigene Gedanken entwickeln kann.
({25})
Daß Sie hier versuchen, mich von Anfang an zu stören, belästigt mich nicht sonderlich. Aber ich finde, daß die Art und Weise, wie diese Debatte hier heute geführt wird, auch für die deutsche Öffentlichkeit etFriedrich Merz
was darüber aussagt, wie ernsthaft wir mit den wirklich wichtigen Fragen unseres Landes umgehen.
({26})
Deswegen sage ich noch einmal - ich stehe ja hier nicht als Angestellter des Bundeskanzlers; ich bin ein frei gewählter Abgeordneter -: Ich habe diese Formulierung als sehr kühn, als vielleicht zu pathetisch empfunden, weil ich die Wirtschafts- und Währungsunion zu Beginn ihres Entstehens als eine im wesentlichen ökonomische Fortsetzung der Integration der Europäischen Gemeinschaft betrachtet habe. Die politische Dimension, die mit der Wirtschafts- und Währungsunion verbunden ist, ist mir, offen gestanden, erst in den letzten Monaten in aller Klarheit deutlich geworden. Dieses Europa, diese Bundesrepublik Deutschland stehen in den nächsten Tagen vor einem Quantensprung ihrer Geschichte.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.
Ja, da hat er recht!)
Deswegen ist der Euro mehr als nur eine logische Fortsetzung des Binnenmarktprogramms. Der Euro ist das Symbol dafür, wie wir alle, die wir hier sitzen, unseren Kindern die Zukunft unseres Landes und dieser Europäischen Gemeinschaft im 21. Jahrhundert sichern.
Deshalb glaube ich, daß wir der deutschen Öffentlichkeit heute mit der gebotenen Nüchternheit, aber auch mit dem gebotenen Blick nach vorn sagen müssen: Wir wissen wirklich, um welche Dimension es bei der heutigen Entscheidung geht. Wir wollen die dauerhafte Festigung einer europäischen Friedens-
und Freiheitsordnung, die Herr Schröder nicht zu beliebigen parteipolitischen, wahlkampftaktischen Spielchen mißbrauchen darf.
({0})
Die Bürger haben Anspruch darauf, zu wissen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland vor einer grundlegenden Entscheidung stehen und daß wir die Wirtschafts- und Währungsunion - ich sage es noch einmal - auf einem festen ökonomischen Fundament, verantwortbar, vor unserem Gewissen vertretbar, als den Anfang einer weiteren politischen Integration dieser Europäischen Union begreifen.
Meine Damen und Herren, im ersten Halbjahr 1999 steht die nächste deutsche Ratspräsidentschaft an - mit außergewöhnlich schwierigen Entscheidungen: im Hinblick auf die Osterweiterung der Europäischen Union,
({1})
im Hinblick auf die gesamte Reform der finanziellen Grundlagen dieser Europäischen Union, im Hinblick auf große, auch innenpolitische Herausforderungen der Bundesrepublik Deutschland und vieler anderer Staaten in Europa.
Viele stellen uns die Frage, ob es überhaupt möglich sei, diese gewaltige politische Herausforderung,
vor der wir stehen, angesichts einer immer schnelleren Veränderung fast aller politischen und ökonomischen Koordinaten zu bewältigen, an die wir uns im letzten Halbjahr dieses Jahrhunderts so sehr gewöhnt haben.
Ich sage Ihnen: Die Probleme der Zukunft - nicht nur unseres Landes, sondern auch Europas - sind lösbar. Wir trauen uns dies zu.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Kristin Heyne.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir entscheiden heute über ein Projekt, das einen langen Anlauf genommen hat. Seit dem Werner-Plan im Jahre 1970 werden über 30 Jahre vergangen sein, wenn im Jahre 2002 die europäische Bevölkerung den wahrhaftigen Euro in der Hand halten wird.
Über Vorteile, Bedenken und weitergehende Wünsche für eine politische Union ist in den vergangenen Debatten viel gesprochen worden. Aus der langen Debatte ist ein breit getragenes Ja in diesem Haus geworden. Das ist gut so und notwendig.
Die zahlreichen Ausschußberatungen der vergangenen Tage hatten bisweilen sogar amüsante Züge. So konnten wir einen bemerkenswerten Rollentausch erleben: Dem Bundesrat war es in der vergangenen Woche in seinen Ausschußberatungen mit Mühe und Not gelungen, Sachsen und Bayern zu einer Enthaltung zur gemeinsamen Entschließung zu bewegen. Von seiten Sachsens ist diese Haltung ja schon wieder in Frage gestellt worden.
Im Bundestag war es in dieser Woche ausgerechnet die Fraktion von CDU und CSU, die emsig bemüht war, die Passagen, die Sachsen und Bayern in die Vorlage des Bundesrates hineingebracht hatten, seitens des Bundestages wieder herauszunehmen. Es waren die Oppositionsfraktionen des Bundestages, die die Bedenken Bayerns und Sachsens in die Formulierung der gemeinsamen Entschließung mit eingebracht haben - vertauschte Rollen, allerdings nicht ohne Grund: Denn die von Bayern und Sachsen auf Italien zielenden Kritikpunkte, nämlich der Vorwurf, daß nur durch eine gewisse Haushaltskosmetik - durch Einmalmaßnahmen - in den Haushalten für das Jahr 1997 die Maastricht-Hürde übersprungen wurde, trifft natürlich auch den bundesdeutschen Finanzminister, der bekanntlich Parteivorsitzender der CSU ist. Soviel zur Einigkeit in der Union.
({0})
Sehr viel weniger amüsant war allerdings die unsinnige und völlig überflüssige 3,0-Prozent-Debatte, die die gesamte Bundesrepublik im vergangenen
Jahr führen mußte. Dabei ging es um das populistische Versprechen der Bayerischen Landesregierung, ihrer Bevölkerung den superstabilen Euro zu garantieren oder sie vor einer gemeinsamen europäischen Währung zu bewahren. Nur mit dem Verweis auf die Stellungnahmen der Bundesbank hat der Bayerische Ministerpräsident jetzt in letzter Sekunde noch die Kurve gekriegt und seine Zustimmung zum Euro angekündigt. Das Vertrauen in der Bevölkerung hat unter dem Zickzackkurs der Union aber erheblich gelitten.
({1})
Während sich diese Bundesrepublik am Ende des 20. Jahrhunderts mit durchaus beachtlichen Schritten auf den Weg in ein gemeinsames Europa macht, ist diese Union oder zumindest die bayerische Schwesterpartei noch immer mit den Fragen des 19. Jahrhunderts beschäftigt.
({2})
Die bayerischen Belange und die bayerische Identität haben ganz eindeutig Vorrang vor bundesdeutschen Belangen und bundesdeutscher Identität. Ich frage Sie: Wie soll es ausgerechnet dieser Union gelingen, Verständnis für europäische Belange zu gewinnen sowie Interesse und Freude an europäischer Identität zu wecken?
({3})
Sie sind doch noch nicht einmal vollständig in dieser Bundesrepublik angekommen! Herr Merz, wenn Ihnen erst in den letzten Monaten die politische Bedeutung dieses heutigen Schrittes bewußt geworden ist, dann kann ich mich einfach nur wundern.
({4})
Das Hin-und-Her-Gezerre um weitere Verpflichtungen einzelner Länder, das wir jetzt noch einmal erleben, und der Versuch, auf den Stabilitätspakt neue Forderungen draufzusatteln, wie wir es in den letzten Tagen vor dem Jawort zum Euro erlebt haben, wird das Vertrauen in der Bevölkerung nicht verstärken.
Wichtiger für die anhaltende Skepsis in der Bevölkerung ist nach meiner Ansicht die Tatsache, daß die öffentliche Debatte in der Bundesrepublik erst geführt wurde, nachdem 1992 in Maastricht Fakten geschaffen worden waren; denn die Entscheidung für oder gegen den Euro ist 1992 gegenüber den anderen EU-Ländern verbindlich getroffen worden.
Sicher, es gab in den Jahren 1991 und 1992 drängende Fragen in der neu zusammenwachsenden Bundesrepublik zu klären. Die Frage der gemeinsamen europäischen Währung ist von dieser Entwicklung aber doch nicht zu trennen. Es wäre für die Bevölkerung naheliegender und auch leichter nachvollziehbar gewesen, sich zum damaligen Zeitpunkt eine eigene Meinung darüber zu bilden, wie dieses neu zusammenkommende Deutschland von den anderen europäischen Staaten wahrgenommen wird,
und sich bewußt zu machen, daß der Wunsch der anderen europäischen Länder besteht, dieses neue große Deutschland in der Mitte Europas in eine europäische Politik fest eingebunden zu sehen.
Wir haben jetzt - über Parteigrenzen hinweg - in zahlreichen Veranstaltungen die Erfahrung gemacht, wie schwierig es ist, eine bereits von oben getroffene Entscheidung im nachhinein zu erklären und im nachhinein für Akzeptanz zu werben. Wir befinden uns heute in der mißlichen Lage, zwar in diesem Haus der demokratisch gewählten Vertreter eine breite, überzeugende Mehrheit zu haben, aber feststellen zu müssen, daß diese in der Bevölkerung insgesamt nicht vorhanden ist.
({5})
Aus den Erfahrungen mit dem Verlauf dieser Europadebatte sollten wir endlich die Konsequenz ziehen, der Bevölkerung das Recht einzuräumen, in solchen Fragen - die zum Beispiel die Änderung einer Währung betreffen - mitzuentscheiden.
({6})
Die Bevölkerung muß gefragt werden, und das sollte wie in Frankreich - übrigens auch wie in Irland und in Dänemark, Frau Kollegin - rechtzeitig geschehen. Auch wenn wir in bezug auf den Euro dieses Versäumnis nicht mehr korrigieren können, sollten wir aus dieser Erfahrung die Konsequenz ziehen, und wir sollten für die Zukunft auch auf Bundesebene Möglichkeiten zur Volksbefragung und zum Volksentscheid gesetzlich verankern.
({7})
Es ist richtig - in den Gesprächen im Vorfeld haben wir auch über diese Frage gesprochen, Herr Bundeskanzler -, daß diese Bundesrepublik ihre Demokratie nicht selbst erkämpft hat; sie hat sie von den Alliierten quasi geschenkt bekommen.
({8})
Aber wenn wir 50 Jahren demokratischer Entwicklung vertrauen, dann sollten wir jetzt auch den nächsten Schritt tun und sollten bei wichtigen Entscheidungen und Fragen die Bevölkerung direkt einbeziehen.
({9})
Die Einstellung der deutschen Bevölkerung hat aber ja auch wesentlich damit zu tun, welche Erfahrungen auf dem Weg zum Euro bisher gesammelt wurden. Die Länder der Europäischen Union haben sich für eine gemeinsame Währung auf eine Konsolidierung der Haushalte geeinigt; das war notwendig. Konsolidierung kann aber auf verschiedene Weise erKristin Heyne
reicht werden. Denn Verschuldung entsteht nicht nur durch zu hohe Ausgaben, sondern auch durch zu geringe Einnahmen. Die Bundesregierung hat den Schwerpunkt ihrer Konsolidierungspolitik im Ausgabenbereich gesetzt; sie hat in wesentlichen Bereichen gespart, gerade bei den Menschen, die auf die Solidarität der Gesellschaft angewiesen sind. Die Bevölkerung hat also die Erfahrung gemacht, daß mit dem Euro ein einschneidender Sozialabbau verbunden war.
In bezug auf den zweiten Faktor, der die Verschuldungshöhe beeinflußt, die Steuereinnahmen, hat diese Bundesregierung es zugelassen, daß trotz deutlich steigender Gewinne der Unternehmen die Höhe der Steuerzahlungen zurückging. Daimler-Benz hat trotz eines Gewinns in Milliardenhöhe überhaupt keine Steuern mehr gezahlt. Im Gegensatz dazu steigt die Belastung der Lohneinkommen ständig. Obwohl die Summe der Lohneinkommen seit 1994 beträchtlich sinkt, steigt das Lohnsteueraufkommen noch immer. Das bedeutet, daß die Haushaltskonsolidierung im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Europäischen Währungsunion für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Bundesrepublik eine ständig wachsende Steuerbelastung mit sich gebracht hat.
Die Bundesregierung hat sich bei der Festlegung von sehr anspruchsvollen Stabilitätskriterien durchaus durchsetzungsfähig und erfolgreich gezeigt, aber im Bereich der Unternehmensteuern hat sie viel zu lange zugeschaut, wie sich innerhalb von Europa der Steuersenkungswettbewerb verschärft hat, in dessen Folge es zu speziellen Bedingungen für ausländische Unternehmen in verschiedenen Ländern kam. Dadurch flossen zunehmend Steuerzahlungen deutscher Unternehmen in europäische Steuerparadiese. Jetzt macht die Bundesregierung mit der Einführung des Verhaltenskodex gegen schädlichen Steuerwettbewerb zwar einen ersten kleinen Schritt, aber dieser Verhaltenskodex wird nicht sanktionsfähig sein. Mit einfachen Benimmregeln à la Knigge werden wir das Steuerdumping in Europa nicht in den Griff bekommen können.
({10})
Der Weg zur gemeinsamen europäischen Währung ist für breite Teile der deutschen Bevölkerung mit erheblichen sozialen Einbußen verbunden. Diese Entwicklung ist aber zum großen Teil hausgemacht und hat nichts mit dem Projekt der gemeinsamen europäischen Währung zu tun. Im Gegenteil: Als die EUKommission eine Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung vorgeschlagen hat, war es doch gerade diese Bundesregierung, die diese Pläne abgelehnt hat.
Wenn Sie es tatsächlich ernst mit der Europäischen Gemeinschaft und mit der politischen Union in Europa meinen, dann kommen Sie aus dem Bremserhäuschen in Fragen der Steuerpolitik und vor allen Dingen der Entlastung der Arbeit heraus! Eine stabile Währung ist wichtig. Sie finden dafür unsere Zustimmung wie auch die Zustimmung in anderen europäischen Ländern. Aber eine stabile Währung
allein genügt nicht. Wir brauchen eine gemeinsame europäische Beschäftigungspolitik; wir brauchen vor allem aber einen beschäftigungsfördernden Strukturwandel, wie es ihn in vielen europäischen Ländern schon gibt. Herr Merz, diese Bundesregierung hat das bisher versäumt. Beschäftigungspolitik bedeutet nicht nur Ausgabenprogramme, sondern bedeutet vor allen Dingen sinnvollen Strukturwandel. Wir können diesen notwendigen Strukturwandel mit einer Schonung der Ressourcen, mit der Bewahrung der Umwelt auch für die nachfolgenden Generationen verbinden.
Meine Damen und Herren von der Union, Sie haben es der Bevölkerung wirklich nicht leichtgemacht, dem Euro zuzustimmen. Sie haben verbindliche Zusagen gemacht, ohne vorher eine öffentliche Diskussion zu führen. Sie haben einen Weg zur gemeinsamen Währung gewählt, der gerade die Schwächeren in der Gesellschaft belastet hat. Jetzt sind Sie im Begriff, bei der praktischen Einführung des Euro wiederum die Interessen der Bevölkerung gegenüber den Interessen der Unternehmen hintanzustellen.
Die Reaktionen, die von der CSU zum Vorschlag der EU-Kommission, bei der praktischen Einführung des Euro möglichst eine doppelte Preisauszeichnung umzusetzen und diese nötigenfalls auch per Gesetz durchzusetzen, zu vernehmen waren, kann man schon als schrill bezeichnen. Kaum wagte es die EUKommission, eine Position zu vertreten, die von nahezu der Hälfte dieses Hauses geteilt wird - nur von der Koalition nicht -, schon werden ihre Mitglieder als Eurokraten beschimpft.
Die Einzelhandelsverbände haben bisher keine annehmbaren Vorschläge zur Preisauszeichnung vorgelegt. Eine Einigung mit den Verbraucherverbänden ist im Gegensatz zu allem, was das Wirtschaftsministerium behauptet, bisher nicht in Sicht. Statt dessen werden auch von seiten der CSU längst widerlegte Argumente hoher Kosten vorgebracht.
Frau Wöhrl spricht wiederum von der Notwendigkeit, die Kassensysteme auf zwei Währungen umzustellen. Frau Wöhrl, ist es Ihnen nicht möglich, zwischen doppelter Preisauszeichnung und parallelem Währungsumlauf zu unterscheiden? Die doppelte Preisauszeichnung ist notwendig, die Parallelwährung dagegen ist überhaupt nicht notwendig; denn die Bevölkerung hat nichts davon, zwei Währungen im Portemonnaie zu haben.
({11})
Wir sollten den Zeitraum der Währungsumstellung so kurz wie möglich halten, die Währungsumstellung möglichst mit einem Big Bang. Zwei Kassen sind also nicht notwendig. Die Preise sollten jedoch rechtzeitig vor der Umstellung und vor allem auch noch eine Weile, nachdem die Währung umgestellt worden ist, in beiden Währungen ausgezeichnet werden. Denn gerade dann, wenn die Leute von heute auf morgen das neue Geld in der Hand haben, sollte eine Orientierung an den alten Preisen möglich sein; schließlich ist dies ein sensibler Moment. In diesem Moment
darf keine Verunsicherung durch mangelnde Preistransparenz in der Bevölkerung eintreten.
Wir begrüßen die Initiative der EU-Kommission ausdrücklich und fordern die Bundesregierung, vor allen Dingen das Wirtschaftsministerium, auf, bei der praktischen Einführung des Euro nicht die Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerung außer acht zu lassen.
Wenn der Euro ein Erfolg werden soll, dann braucht er nicht nur das Vertrauen der Märkte - das hat er ganz offensichtlich -, er braucht auch das Vertrauen der Menschen. Wir fordern Sie auf, dafür endlich Sorge zu tragen.
({12})
Ich rufe jetzt unseren Kollegen Hans-Dietrich Genscher auf, dem ich schon im vorhinein - ich denke, im Namen aller - sagen möchte - es ist seine letzte außen- und europapolitische Rede -: Wir verdanken ihm entscheidende Beiträge zu unseren heutigen Beschlüssen. Ich glaube, das dürfen wir auch alle zum Ausdruck bringen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zusammen mit den Verträgen von Maastricht ist die heutige Entscheidung zur Währungsunion der wichtigste Integrationsschritt seit Gründung der Europäischen Gemeinschaften vor über 40 Jahren. Zum erstenmal aber wird eine Entscheidung von dieser Tragweite von einem Bundestag getroffen, in dem die frei gewählten Abgeordneten aus ganz Deutschland vertreten sind. Damit tun wir diesen historischen Schritt als Deutsche gemeinsam in eine bessere europäische Zukunft.
({0})
Der Kreis schließt sich. Die Einheit Deutschlands ist untrennbar mit der europäischen Einigung verbunden. Nationalistische Verblendung und verbrecherischer Vernichtungswille gegen andere Völker zerstörten die staatliche Einheit Deutschlands. Als Demokraten und gute Europäer haben wir sie 1990 wiedererlangen können.
({1})
Wir wurden als das europäische Deutschland, so wie es Thomas Mann schon im Jahre 1953 gefordert hat, als geeintes Land von unseren Nachbarn in der Europäischen Gemeinschaft empfangen. An der Einigung Europas mitzuwirken und dem Frieden in der Welt zu dienen, das gehört zu den Verfassungsgeboten unseres Grundgesetzes. Deshalb sind europäischer Einigungswille und Bündnisfähigkeit im westlichen Bündnis entscheidende Voraussetzungen für eine glückliche Zukunft unseres Volkes. Darauf
gründen die Berechenbarkeit und die Verläßlichkeit deutscher Außenpolitik.
Die Einigung Europas und die Bewahrung des Friedens sind für unseren demokratischen Staat genauso konstitutiv wie die Wahrung der Menschenwürde, die Verpflichtung auf den freiheitlichen Rechtsstaat und die Verpflichtung auf den sozialen Rechtsstaat. Keines dieser Kernelemente unserer staatlichen Existenz darf populistischer Beliebigkeit anheimfallen.
({2})
An diesem Tage muß daran erinnert werden, daß die Europäische Gemeinschaft in den langen Jahren des kalten Krieges und der deutschen Teilung mit uns zusammen am Ziel der deutschen Einheit festgehalten hat. Die damalige DDR war durch Einbeziehung des innerdeutschen Handels eine Art indirektes Mitglied der Europäischen Gemeinschaft. Meine Damen und Herren, Westberlin gehörte ohne jede Einschränkung zur Europäischen Gemeinschaft, und das war eine der unverzichtbaren Voraussetzungen für die Überlebensfähigkeit der Stadt in schwerster Zeit. Als die Menschen in der DDR 1989 das Tor zur deutschen Einheit aufstießen, hat der damalige Kommissionspräsident Jacques Delors ohne Zögern die Erstreckung der europäischen Verträge auf die neuen Bundesländer auf den Weg gebracht, und seitdem unterstützt die Europäische Union nachhaltig die neuen Bundesländer.
In der Agenda 2000, in der manche bei uns nur Negatives zu finden vermögen, werden die neuen Bundesländer weiterhin als Ziel-1-Fördergebiet der gemeinsamen Strukturpolitik ausgewiesen. Ich denke, diese europäische Solidarität sollte auch Richtschnur sein, wenn in Deutschland über den Länderfinanzausgleich diskutiert wird.
({3})
Meine Damen und Herren, der heutige Tag ist für meine politischen Freunde und für mich von besonderer Bedeutung. Mit der Zustimmung zur Europäischen Währungsunion tun wir einen großen Schritt auf dem Wege zur europäischen Verankerung Deutschlands, den mein Vorgänger als Parteivorsitzender und als Außenminister, Walter Scheel, vorgezeichnet hat. Walter Scheel hat die liberale Europapolitik geprägt. Für uns ist die Verankerung Deutschlands in der westlichen Wertegemeinschaft durch Mitwirkung bei der europäischen Einigung und im Atlantischen Bündnis mit den Vereinigten Staaten eine bleibende Grundlage deutscher Politik. Sie ist im Grunde eine unumkehrbare Standortbestimmung unseres Landes. Das leitet uns auch, wenn wir heute dem Beschluß zur Währungsunion unsere Zustimmung geben, und das bestimmt uns, wenn wir für die Ausweitung der Europäischen Union nach Osten und nach Süden eintreten und wenn wir den Ausbau der Partnerschaft mit Rußland und mit den anderen Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion wollen.
Mein Nachfolger, Klaus Kinkel, kann sich bei dieser Politik der ungeteilten Unterstützung durch seine
Partei sicher sein. Aus der Erfahrung sage ich Ihnen, meine Damen und Herren: Das ist unverzichtbar, wenn der Außenminister in seinem verantwortungsvollen Amt die Interessen des Landes dem Auftrag der Verfassung entsprechend vertreten will.
({4})
Ich habe mich bei meinen politischen Freunden dafür zu bedanken, daß ich stets auch in schweren Zeiten auf diese Unterstützung rechnen konnte.
Meine Damen und Herren, wir treffen heute nicht nur eine währungspolitische Entscheidung. Wir treffen eine Entscheidung, die in die historische Dimension der europäischen Einigung gehört. Diese europäische Einigung war nicht, wie manche heute fälschlich behaupten, eine Antwort auf die Bedrohung aus dem Osten. Diese Antwort haben wir durch die Gründung des westlichen Bündnisses gegeben. Nein, diese europäische Einigung wird eine Antwort auf die europäischen Bruderkriege, auf die Irrwege der deutschen und der europäischen Geschichte. Sie ist die bleibende Antwort auf zwei schreckliche Weltkriege in diesem Jahrhundert.
({5})
Diese Begründung wird immer gültig bleiben. Aber die Herausforderung der Globalisierung ist hinzugetreten. Es ist meine feste Überzeugung: Nur vereint werden die Völker Europas diese Herausforderung bestehen können. Nur vereint werden wir als Europäer in der Welt des 21. Jahrhunderts unseren Platz einnehmen können: in einer Welt, in der Grenzen immer mehr an Bedeutung verlieren, in der neue regionale Kraftzentren entstehen und in der Multipolarität bestimmend sein wird.
Die Vollendung der Währungsunion ist deshalb auch die Antwort Europas auf die Herausforderungen des neuen globalen Zeitalters. Die Erkenntnis sich abzeichnender globaler Veränderungen war auch der Grund für die deutsche Initiative in den Jahren 1987/88 für eine Europäische Währungsunion. So ist die Währungsunion keineswegs der Preis für unsere Vergangenheit, wie uns manche einreden wollen. Aber sie ist der Schlüssel zu unserer Zukunft.
({6})
Das festzuhalten gebietet die historische Wahrheit. Die Legende, die deutsche Zustimmung zur Währungsunion sei der Preis für die Zustimmung insbesondere Frankreichs zur deutschen Einheit gewesen, ist Gift für die künftige Entwicklung in unserem gemeinsamen Europa.
({7})
Die Entstehungsgeschichte der Währungsunion ist eine andere.
Als ich im März 1987, also zweieinhalb Jahre vor dem Fall der Berliner Mauer, vor den EG-Botschaftern dazu aufrief, das Europäische Währungssystem
fortzuentwickeln, war ich davon überzeugt, der gemeinsame Binnenmarkt werde ohne eine gemeinsame Währung keinen Bestand haben. Ich war überzeugt, daß die sich abzeichnenden Veränderungen gar keine Alternativen ließen. Auch das EWS wäre langfristig nicht zu halten gewesen, wenn man die Perspektive der Währungsunion aus den Augen verloren hätte.
Das im Februar 1988 vorgelegte Memorandum für die Schaffung eines europäischen Währungsraumes und einer Europäischen Zentralbank forderte eine Magna Charta europäischer Stabilitätspolitik als Grundgesetz des europäischen Währungsraumes. Es forderte eine von den Regierungen unabhängige Europäische Zentralbank, die nicht zur Finanzierung nationaler oder gemeinschaftlicher Defizite verpflichtet werden kann. Das haben wir erreicht.
Schon im Juni 1988 beschloß der Europäische Rat in Hannover - Herr Ministerpräsident Schröder, Hannover verpflichtet! - unter deutscher Präsidentschaft die Einsetzung eines Ausschusses unter Leitung des Kommissionspräsidenten Jacques Delors. Dieser Ausschuß hatte den Auftrag, Vorschläge zur Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion zu erarbeiten.
Das war vor zehn Jahren. Mir ist kein europäisches Vertragswerk in Erinnerung, dessen konkrete und schrittweise Vorbereitung und Verwirklichung einen so langen Zeitraum in Anspruch genommen hat. Es ist deshalb wirklich unangemessen, von Überhastung zu sprechen, und eine Frühgeburt ist es auch nicht.
({8})
Wir müssen unsere Worte gerade in einer so empfindlichen Frage genau wiegen. Es geht darum, Vertrauen zu schaffen, weil dieses Vertrauen auch gerechtfertigt ist. Nach den Erfahrungen der deutschen Geschichte hat die Währungsstabilität eine große Bedeutung. Das erklärt die Sorgen vieler Bürgerinnen und Bürger. Deshalb muß verantwortliche Politik um Vertrauen werben.
Mit der unbestreitbar neuen Stabilitätskultur in der Europäischen Union ist der Schritt zur Währungsunion durchaus keine kränkelnde Geste, sondern ein kräftiger Impuls für den gemeinsamen Binnenmarkt. Mein Kollege Dr. Haussmann hat das in seiner Rede in der ersten Lesung eindrucksvoll dargelegt.
Meine Damen und Herren, die Grundlage für diese neue Stabilitätskultur wurde mit den Verträgen von Maastricht gelegt. Den Tag der Unterzeichnung am 7. Februar 1992 werde ich ebenso wie Sie, Herr Kollege Waigel, nicht vergessen.
Der Bundesregierung, insbesondere Ihnen, Herr Bundeskanzler, Ihnen, Herr Bundesminister des Auswärtigen, und Ihnen, Herr Bundesminister der Finanzen, gebühren heute der Dank und die Anerkennung des ganzen Hauses für ihre erfolgreichen BemühunHans-Dietrich Genscher
gen um die Sicherung nachhaltiger Stabilität für diese europäische Währung.
({9})
Erlauben Sie mir dazu als ehemaligem Außenminister noch eine zusätzliche Bemerkung: Ich bin der Meinung, daß dieser unbestreitbare Erfolg der Bundesregierung ganz sicher auch das Ergebnis der bewährten Zuständigkeitsregelungen für die Europapolitik in der Bundesregierung ist.
({10})
Herr Kollege, vielleicht können Sie das in München berichten.
Meine Damen und Herren, die Einführung der gemeinsamen Währung vervollständigt den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt. Es wird möglich sein, das gesamte Wachstumspotential des Gemeinsamen Marktes zu nutzen. Die Einführung des Euro ist deshalb eine entscheidende Voraussetzung für die Schaffung neuer und sicherer Arbeitsplätze. Es ist gewiß richtig, daß die Europäische Währungsunion nicht aus sich heraus neue Arbeitsplätze schaffen kann. Aber es ist ebenso richtig, daß es ohne diesen mutigen Schritt in die Zukunft schwerer, wenn nicht unmöglich sein wird, die Arbeitslosigkeit bei uns abzubauen.
({11})
In jedem Fall aber ist es mit und ohne Währungsunion - da haben Sie völlig recht, Herr Kollege Waigel - erforderlich, unser Land für den globalen Standortwettbewerb fit zu machen. Die Globalisierung ist eine Realität, und niemand kann ihr entfliehen. Niemand sollte annehmen, es läge in unserer Hand, zu entscheiden, ob wir teilnehmen oder nicht. Nein, unsere Verantwortung ist es, unser Land dazu zu befähigen, daß wir die Chancen der Globalisierung nutzen können. Nicht die Verteufelung der Globalisierung, sondern ihre Gestaltung ist die Aufgabe, der wir uns jetzt stellen müssen.
({12})
Das bedeutet Modernisierung unseres Landes durch Deregulierung und Flexibilität. Es verlangt eine große Steuerreform, die Wachstum und Arbeitsplätze fördert. Es verlangt, unsere sozialen Sicherungssysteme durch Reform zukunftsfähig zu machen. Vor dieser Aufgabe wird sich auch der nächste Bundestag sehen.
Meine Damen und Herren, die Globalisierung der Finanzmärkte erlaubt nicht, noch länger an dem Anachronismus festzuhalten, daß wir in der Europäischen Union 14 verschiedene Währungen haben. Nur mit einer gemeinsamen Währung können wir auf den globalen Finanzmärkten bestehen. Es ist eine Illusion, zu glauben, der Gemeinsame Markt
könne auf Dauer mit 14 verschiedenen Währungen und den dadurch ausgelösten Spannungen funktionieren. Wie oft haben wir solche Spannungen erlebt, und immer gingen sie übrigens zum Nachteil unserer Exportwirtschaft aus.
({13})
Der Euro wird größere Kalkulationssicherheit für Bürger und Unternehmen in der Europäischen Union und für unsere Partner weltweit schaffen. Die gemeinsame Währung wird auch Einfluß auf die Weltwirtschaft haben, und zwar zu unseren Gunsten. Der Euro wird zu einer dem Dollar ebenbürtigen Weltreservewährung werden. Viele Länder warten geradezu auf die Möglichkeit der Diversifikation.
Diese Währungsunion als Stabilitätsunion wird auch zum Nukleus eines großen, eines gesamteuropäischen Wirtschafts- und Wachstumsraumes werden. Die Verschiebung der Währungsunion würde den europäischen Binnenmarkt und damit die Zukunftsfähigkeit Europas im Zeitalter der Globalisierung gefährden. Sie würde die neue, die gemeinsame Stabilitätskultur aufs Spiel setzen.
Die Märkte und unsere Partner haben sich weltweit längst auf den Euro eingestellt. Die jetzt vor uns liegenden Herausforderungen erlauben deshalb zur Währungsunion keine „Ja, aber"-Politik. Sie erlauben kein der Entscheidung ausweichendes „Nicht jetzt" und „Nicht so". Jetzt heißt es, hier und heute klar ja oder nein zu sagen.
({14})
In einer solchen Frage ist niemandem Halbherzigkeit erlaubt. Rechthaberei ist ein recht schlechter Ratgeber. Gefordert ist die Kraft, ja zu sagen zu einer Politik, die unserem Volk auch in Zukunft ein menschenwürdiges Leben in Freiheit und in sozialer Gerechtigkeit garantieren soll.
({15})
Die Konvergenzberichte des Europäischen Währungsinstituts, der Europäischen Kommission und der Bundesbank haben bestätigt, daß bis auf ein Land alle beitrittsfähigen Länder die Voraussetzungen für die Währungsunion erfüllen. Schon heute herrscht in der EU dank der Konvergenzkriterien des Maastrichter Vertrages eine einzigartige Stabilitäts-
und Konvergenzkultur. Nie zuvor in der europäischen Nachkriegsgeschichte waren die Inflationsraten so niedrig wie heute. Dazu haben die beharrlichen Anstrengungen aller Mitgliedstaaten beigetragen.
Ich empfinde großen Respekt vor den enormen Anstrengungen, die gerade diejenigen Mitgliedsländer
unternommen haben, die den weitesten Weg zur neuen Stabilitätskultur zurücklegen mußten.
({16})
Weil sich mancher überhebliche Diskussionsbeitrag bei uns vor allen Dingen auf Südeuropa richtet, möchte ich hier mit besonderem Respekt dem mit uns eng verbundenen und befreundeten Italien meine Hochachtung aussprechen.
({17})
Zu dem neuen Europa gehört auch eine Kultur der gegenseitigen Achtung. Das dürfen wir in keiner Phase der Diskussion vergessen. Dazu paßt nicht schulmeisterliches Gehabe, mit dem bei uns gelegentlich die Diskussion über die Währungsunion geführt wird.
Ungeachtet dessen, was uns manche Euro-Skeptiker glauben machen wollen, wird dieser Euro eine stabile Währung sein. Die Europäische Zentralbank steht der Bundesbank an Unabhängigkeit nicht nach.
({18})
Sie wird die Stabilität des Euro so gewährleisten, wie dies die Bundesbank jetzt für die D-Mark tut. Die Anforderungen an die Stabilität des Euro sind allerdings strenger als die, die die geltenden deutschen Gesetze hinsichtlich der D-Mark verlangen. Das wollen wir nicht vergessen. Diese Anforderungen sichern Nachhaltigkeit in den Bemühungen um monetäre und um haushaltspolitische Stabilität. Diese Europäische Zentralbank verdient Vertrauen. Dieses Vertrauen darf auch bei der Entscheidung über den Präsidenten und die Mitglieder des Direktoriums nicht aufs Spiel gesetzt werden.
({19})
Quälende Personaldiskussionen in der Öffentlichkeit können den Start nur erschweren und Vertrauen beschädigen. Ich wünsche der Bundesregierung eine glückliche Hand bei der Bewältigung dieser schwierigen Aufgabe.
Der Präsident und die Mitglieder des Direktoriums der Europäischen Zentralbank müssen durch ihre Kompetenz, durch ihre Unabhängigkeit und durch das Vertrauen, das sie genießen, die Rolle der Zentralbank als Hüterin der Stabilität in Europa vor jedem Zweifel bewahren. Diese Währungsunion muß zur Initialzündung für eine umfassende Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden. Wir müssen dabei die Kräfte einer modernen und offenen Bürgergesellschaft aktivieren. Wir müssen uns bewußt sein, daß wir die Zukunft nicht bewältigen werden, wenn wir in der Veränderung das größere Risiko und nicht die Chance sehen, wenn wir glauben, daß
Beharrung für uns die größte Sicherheit bieten könnte.
({20})
Meine Damen und Herren, die Erfahrung der Menschheitsgeschichte spricht eine andere Sprache. Deshalb erlaubt uns die Globalisierung keine Atempause. Sie schafft nicht, wie ihre Gegner behaupten, die Strukturprobleme, aber sie legt sie offen. Sie legt offen, wo wir mehr Reformen, mehr Flexibilität und mehr Innovation brauchen. Die gleichen Wirkungen hat übrigens auch die Währungsunion.
Wer die mit jedem Schritt von historischer Tragweite verbundenen Unwägbarkeiten in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt, wird blind für die unabsehbaren Auswirkungen, die von einer Verschiebung oder gar einem Scheitern der Währungsunion ausgehen würden.
({21})
Die Vollendung der Währungsunion ist ein entscheidender Beitrag zur immer engeren Union der Völker Europas. Dieses Europa beruht auf der gleichberechtigten Zusammenarbeit großer und kleiner Völker. Sie beruht auf Solidarität und Toleranz.
Dieses Europa, unser Europa, findet seine Identität in der unveräußerlichen Würde eines jeden Menschen. Wird diese Würde des Menschen geachtet, dann können auch die Völker Europas ohne Angst voreinander leben. Die Europäische Union ist der Rahmen, in dem diese neue Kultur europäischen Zusammenlebens Wirklichkeit geworden ist. Sie beruht auf der Einsicht, daß der Erfolg der Union auch der Erfolg eines jeden Mitgliedstaates ist.
Dieses neue Denken unterscheidet das neue Europa von alter Macht- und Rivalitätspolitik. Nichts wäre deshalb verhängnisvoller, als wenn gerade jetzt ein Gegensatz zwischen deutschen und europäischen Interessen konstruiert würde.
(
Sehr gut!)
Das ist altes Denken, das lange Zeit das Klima in Europa vergiftet hat.
Die Geschichte der europäischen Integration zeigt: Jeder Fortschritt bei der Einigung Europas gereicht allen zum Nutzen, auch uns Deutschen. Ich kann Ihnen aus langer Erfahrung sagen: manchmal uns mehr als den anderen.
(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD -
Sehr gut!)
Daran möchte ich auch erinnern, wenn die sogenannte Nettozahler-Diskussion geführt wird. Sprache und Argumente können dabei vieles, was mühsam aufgebaut wurde, beschädigen, vor allem Vertrauen.
Wenn es darum geht, die Ausgabenstruktur der EU - sie ist es ja, die uns Probleme bereitet - zu überprüfen, dann sind allerdings auch wir gefordert, PrioHans-Dietrich Genscher
ritäten zu bestimmen. Wer alles zur Priorität erklärt, schafft keine Prioritäten.
({0})
Deshalb muß das Gewicht auf Zukunftsinvestitionen gelegt werden. Wer dabei fordert, auf den Tisch zu hauen, der wird nichts erreichen, aber er wird alles aufs Spiel setzen.
Meine Damen und Herren, unser europäisches Engagement und unsere europäische Verantwortung sind auch bei der jetzt bevorstehenden Erweiterung der Europäischen Union gefordert. Nach der Vollendung der Währungsunion liegt in der Ausweitung der Stabilitätszone Europäische Union die Herausforderung der kommenden Jahre. Für mich ist es nicht vorstellbar, auf Dauer ein Europa zu haben, zu dem unsere östlichen Nachbarn nicht gehören.
({1})
Wir wollen nie vergessen, daß es die Arbeiter in Polen waren, die mutig und friedlich einen großen Schritt getan haben, um Europa neu zusammenzuführen.
Wir als Deutsche haben allen Anlaß, uns daran zu erinnern, daß es das tapfere ungarische Volk war, das als erstes den Eisernen Vorhang geöffnet hat.
({2})
Wenn wir sehen, wie heute Deutsche und Tschechen gemeinsam in der Bitte für eine Genesung von Präsident Vaclav Havel zusammenkommen, dann zeigt das, was sich auch hier verändert hat.
({3})
Meine Damen und Herren, wenn wir über das ganze Europa blicken, ist es auch wichtig, die umfassende Partnerschaft mit Rußland, mit der Ukraine und den anderen Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion im Auge zu haben. Deshalb brauchen wir eine gesamteuropäische Infrastruktur und eine gesamteuropäische Freihandelszone. Wir müssen auch diese Herausforderungen als historische Chance begreifen, damit wir in ganz Europa Frieden, Demokratie und Wohlstand sichern können. Niemand soll sich täuschen: Das verlangt Mut, das verlangt weiterhin einen langen Atem, und es wird zum Nulltarif nicht zu haben sein.
Meine Damen und Herren, am Ende dieses Jahrhunderts der Gewalt und der Ideologien steht Europa heute wirklich an einem Wendepunkt seiner Geschichte. Und die Währungsunion ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Einigung unseres leidgeprüften Kontinents. Sie wird unumkehrbar machen, was bisher erreicht ist, nicht durch Zwang, sondern durch Einsicht und eine immer stärkere Verbindung unserer gemeinsamen Interessen. Aber sie ist nicht der Schlußstein des Hauses Europa. Deshalb muß die
Währungsunion zur Initialzündung für die Vollendung der politischen Union werden.
Der Vertrag von Amsterdam war ein wichtiger Schritt auf dem Wege zur politischen Union. Er darf aber nicht der letzte bleiben. Wir sollten nie vergessen: Die Geschichte pflegt ihre Angebote nicht zu wiederholen.
Ganz sicher ist auch, daß Europa mehr sein muß als ein Markt mit einer Währung. Erst das Bewußtsein unserer gemeinsamen Werte und erst die kulturelle Dimension Europas geben unserem Kontinent und unserer Gemeinschaft die Identität. Nur als Markt würden wir nicht in der Lage sein, Stabilitätspfeiler einer neuen multipolaren Weltordnung zu sein.
Europa aber hat im Zeitalter der Globalisierung viel zu geben. In seiner neuen Kultur des Zusammenlebens kann es Vorbild sein für andere Weltregionen. Es kann einen unverwechselbaren Beitrag leisten zu einer Weltordnung, die auf Kooperation und nicht mehr auf Konfrontation, auch nicht der ökonomischen, beruht.
Meine Damen und Herren, aber nur wenn sich die Europäer als politische Gemeinschaft begreifen, werden sie zu gemeinsamem Handeln finden, wird Europa den ihm gebührenden Platz in der multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts einnehmen. An der Schwelle zum nächsten Jahrhundert hat unser Europa, für das wir mit den Grundwerten unserer Verfassung eintreten, noch einmal die Chance, seine Einheit friedlich zu vollenden. Hier liegt die europäische Verantwortung der Deutschen, eine Verantwortung, die wir kennen und die wir wahrnehmen.
Ich finde, unverändert gilt das, was wenige Wochen, nachdem die Waffen schwiegen, 1945 der französische Diplomat und Schriftsteller Paul Claudel an die Deutschen schrieb. Er sagte damals:
Deutschland ist nicht dazu da, die Völker zu spalten, sondern sie um sich zu versammeln. Seine Rolle ist es, Übereinstimmung zu schaffen, all die unterschiedlichen Nationen, die es umgeben, spüren zu lassen, daß sie ohneeinander nicht leben können.
Ich denke, dieser Franzose hat besser, als man das sonst tun könnte, das formuliert, was unsere Verantwortung ist, was ich als die europäische Berufung der Deutschen bezeichne. Meine Damen und Herren, er hat das in einer Zeit geschrieben - diejenigen, die sich bewußt an die Zeit erinnern wie ich, wissen es -, als wir in Deutschland nicht die Hoffnung haben konnten, daß man uns in diesem Jahrhundert noch einmal befragen würde, wenn es um die Zukunft Europas ging. Dieses Vertrauensvorschusses, den uns die Völker damals gegeben haben, nach allem, was war, müssen wir uns auch heute würdig erweisen.
({4})
Meine Damen und Herren, so sind es geschichtliche Verantwortung und Zukunftsverantwortung, die
unsere Haltung bei der heute zu treffenden Entscheidung bestimmen müssen. Die Bundestagsfraktion der F.D.P. wird dem Beschlußvorschlag für die Teilnahme an der Europäischen Währungsunion zustimmen.
Mir bleibt, meine Damen und Herren, meine Dankbarkeit auch vor dem Hohen Haus dafür auszusprechen, daß ich in meiner Zeit als Abgeordneter auch an diesem Einigungswerk, diesmal der europäischen Einigung, mitwirken durfte, und auch dafür, daß ich die Ehre hatte, in meiner Zeit als Mitglied der Bundesregierung mit drei Bundeskanzlern zusammenarbeiten zu dürfen, denen die europäische Einigung eine Herzenssache war. Ich empfinde diese Dankbarkeit auch gegenüber den Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion, aber auch gegenüber denjenigen in anderen Fraktionen, mit denen ich zahlreiche Begegnungen hatte, die ich nicht missen möchte.
Als ich am 6. Mai 1992 meine letzte Rede als Bundesminister des Auswärtigen gehalten habe, habe ich am Schluß gesagt - erlauben Sie mir hier die Wiederholung -: Beharrlichkeit und Solidarität - nur so wird das neue Europa entstehen können, nur so werden wir den Menschen in der dritten Welt gerecht werden. Beharrlichkeit, Brüderlichkeit und Solidarität, Menschlichkeit und Verständnis - wir werden sie auch brauchen, wenn wir Deutschen nach der staatlichen Vereinigung auch zu unserer inneren Einheit finden wollen.
Meine Damen und Herren, auch wenn ich im Herbst nach 33 Jahren Zugehörigkeit aus dem Deutschen Bundestag ausscheide, sehe ich mich auch für die Zukunft in dieser Verantwortung.
Ich danke Ihnen.
({5})
Danke, lieber Kollege Genscher, für diese große Rede, für dieses europäische Manifest, von dem wir uns alle wünschen, daß nicht nur wir in diesem Saal es gehört haben, sondern viele Menschen draußen und in ganz Europa. Ich glaube, daß hier deutlich geworden ist: Geldwertstabilität ist das eine, unsere politische Zukunft und die Zukunft unserer Menschen ist das Ausschlaggebende.
Noch einmal unser aller Dank, nicht nur für den heutigen Tag.
({0})
Jetzt hat der Kollege Dr. Gregor Gysi das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst noch ein Wort an den Abgeordneten Hans-Dietrich Genscher: Sicherlich sind die politischen Unterschiede zwischen uns beiden, aber vor allem auch zwischen der Gruppe der PDS und der Fraktion der F.D.P. und den dahinterstehenden Parteien gewaltig, insbesondere wenn ich an die Wirtschafts- und Finanzpolitik denke. Das ändert aber nichts daran, daß wir diese Gelegenheit Ihrer Abschiedsrede im Bundestag nutzen möchten, um Ihnen unseren Respekt für Ihre Arbeit in den vergangenen Jahrzehnten sowohl im Bundestag als auch in der Bundesregierung zum Ausdruck zu bringen.
({0})
Es war hier viel die Rede von europäischer Integration. Zweifellos ist die Einigung Europas ein großes politisches Ziel. Ich erinnere mich an die Tage, als die Mauer fiel, als die Diskussion um die Herstellung der deutschen Einheit begann und als die bange Frage gestellt wurde: Was wird das nun? Wird das ein deutsches Europa, oder wird es ein europäisches Deutschland? Diese Frage hat damals nicht nur die Außenpolitikerinnen und Außenpolitiker in diesem Land und in anderen Ländern bewegt, sondern viele Menschen.
Die Frage, die sich bei der heutigen Debatte ergibt, ist meines Erachtens eine andere: Wie kommt man zu einer europäischen Integration? Kommt man tatsächlich zu einer europäischen Integration, indem man ein Europa der Banken schafft? Oder käme man nicht viel eher zu einer europäischen Integration, wenn man über den Weg der Kultur, wenn man über den Weg der Chancengleichheit in den Gesellschaften,
({1})
wenn man über den Weg der Angleichungsprozesse und das Ziel der sozialen Gerechtigkeit ein solches Europa integriert?
Das ist unsere grundsätzliche Kritik an dem Vorhaben, über das es heute zu beschließen gilt. Man kann einen Kontinent nicht über Geld einen. Das hat in der Geschichte noch niemals funktioniert, und das wird auch hier nicht funktionieren.
Sie, Herr Genscher, haben vor allem davor gewarnt, daß es schlimme Folgen hätte, wenn die Europäische Währungsunion scheiterte. Ich behaupte, sie kann auch scheitern, wenn man sie einführt, nämlich dann, wenn die Voraussetzungen nicht stimmen.
({2})
Darüber müßte nachgedacht und, 'wie ich finde, auch länger diskutiert werden.
Ich sage: Im Augenblick wird das ein Europa für erfolgreiche Rüstungs- und Exportkonzerne, für Banken, vielleicht noch für große Versicherungen. Es wird kein Europa für kleine und mittelständische Unternehmen, kein Europa für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, kein Europa für Gewerkschaftsbewegungen und auch kein Europa für die sozial Schwächsten in den Gesellschaften der Teilnehmerländer.
Wie verhält sich denn Deutschland zu diesem wirklichen europäischen Integrationsprozeß? Ist es nicht so, daß es die Union - auch unter Kritik der F.D.P. - vor kurzem abgelehnt hat, auch nur den Kindern von Eltern, die seit Jahrzehnten in Deutschland
leben und die noch eine andere Staatsangehörigkeit haben, die deutsche Staatsangehörigkeit zu gewähren?
({3})
Wer dazu nein sagt, will doch gar keine Integration, zumindest nicht auf dieser kulturellen, auf dieser menschlichen Ebene, auf die es in diesem Zusammenhang ankäme.
Ich weise darauf hin, daß die Bundesregierung den Euro vehement gefordert und gefördert hat, es aber gleichzeitig abgelehnt hat, die Arbeitslosigkeit europapolitisch anzugehen. Von dem, der die Arbeitslosigkeit nicht europäisch bekämpfen will, behaupte ich, daß dessen Integrationswille nur auf einer Strecke ausgebildet ist, und zwar im Hinblick auf das Geld, aber nicht bezüglich der sozialen Frage, bei der dies wichtig wäre.
({4})
Wir alle wissen, daß wir es mit sehr ernstzunehmenden, auch rechtsextremistischen Erscheinungen in unserer Gesellschaft zu tun haben, daß Rassismus zunimmt, daß zum Beispiel in einem Land wie Sachsen-Anhalt das Ansehen rechtsextremistischer Parteien leider zunimmt. Das alles macht uns große Sorgen. Ich sage: Da ist eine richtige, eine die Menschen mitnehmende, an ihre sozialen Interessen anknüpfende europäische Integrationspolitik entscheidend. Wenn man sie unter falschen Voraussetzungen betreibt, dann wird sie der Keim zu einem neuen Nationalismus und damit auch zu steigendem Rassismus sein. Das ist unsere große Sorge, die wir hier formulieren wollen.
({5})
Hier ist gesagt worden, daß es in Europa ohne Euro keinen Abbau von Arbeitslosigkeit geben werde. Das verstehe ich überhaupt nicht. Täglich wird uns erzählt, daß in bestimmten europäischen Ländern Arbeitslosigkeit durch verschiedenste Maßnahmen erfolgreich abgebaut wurde, ohne daß es den Euro gab. Ich halte es immer für gefährlich, wenn scheinbar zwingende Zusammenhänge hergestellt werden, die in Wirklichkeit nicht existieren, nur um ein anderes Ziel damit begründen und erreichen zu können.
({6})
Im Gegenteil, der Euro birgt auch sehr viele Gefahren für Arbeitsplätze, und es bringt uns gar nichts, auf diese nicht einzugehen.
Der Bundeskanzler ist heute mehrmals historisch gewürdigt worden. Ich werde mich an dieser Würdigung zu Ihrem Wohle nicht beteiligen, Herr Bundeskanzler.
({7})
Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht so sehr in der Vergangenheit definieren lassen. Das birgt ja auch Probleme. Man kann natürlich leicht den Euro einführen, wenn man sagt: Es wird eine andere Regierung sein, die ihn auszubaden hat. Das ist natürlich auch ein Problem, vor dem wir hier stehen.
({8})
- Ja, unterhalten wir uns über die Voraussetzungen. Fangen wir mit den Demokratiedefiziten an, die es in Europa gibt. So haben zum Beispiel sehr viele Juristen erklärt, ob wir heute im Bundestag ja oder nein zum Euro sagten, ob der Bundesrat morgen ja oder nein zum Euro sagen werde, sei unerheblich. Er werde in jedem Falle kommen, weil dies nämlich längst mit dem Vertrag von Maastricht ratifiziert sei und im Grunde genommen kein Weg daran vorbeiführe.
({9})
Am 2. Mai tagt das Europäische Parlament. Hat es in der Frage der Einführung des Euro, in der Frage der Herstellung der Währungsunion etwas zu entscheiden? Es hat nichts zu entscheiden. Es hat nur mitzuberaten. Selbst wenn dort eine große Mehrheit nein sagen würde, würde das an der Einführung des Euro zum 1. Januar 1999 nichts mehr ändern. Da wird das gesamte Defizit deutlich, das dieser Vertrag in Fragen der Demokratie mit sich bringt.
Wir schaffen eine europäische Währung, haben aber keinen europäischen Gesetzgeber, keine europäische Verfassung, keine garantierten europäischen Rechte und verlagern die Funktionen vom Parlament auf die Exekutive in Brüssel. Das heißt, wir heben die Gewaltenteilung in der Gesellschaft schrittweise auf,
({10})
damit sich dann die jeweilige Bundesregierung und auch die Regierungen der anderen Länder und deren Parlamente auf Brüssel herausreden und sagen können: Wir können in diesen Fragen gar keine nationale Politik mehr machen, weil uns die Möglichkeiten genommen sind. Aber wir haben eben kein demokratisches europäisches Äquivalent. Das ist ein Hauptmangel der Verträge von Maastricht und Amsterdam.
Ich behaupte, der Euro kann auch spalten; denn er macht die Kluft zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Union und jenen, die nicht Mitglieder der Europäischen Union sind, nicht kleiner, sondern größer. Der Weg gerade für die osteuropäischen Länder, für die sich Herr Genscher so eingesetzt hat, in die Europäische Union wird dadurch nicht leichter, sondern schwieriger werden.
({11})
Er unterscheidet innerhalb der Mitgliedsländer der EU zwischen jenen, die an der Währungsunion teilnehmen, und jenen, die daran nicht teilnehmen. Das ist das erste Mal eine ökonomische und finanzpolitische Spaltung zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Union.
Er unterscheidet aber auch und stärker die EuroLänder. Ob Frau Matthäus-Maier, ob die Sprecherin der Grünen, ob CDU/CSU oder F.D.P., alle würdigen am Euro, daß sich die Exportchancen Deutschlands erhöhen würden. Wenn das dann so ist, dann müssen
doch andere Produktionsunternehmen in anderen Ländern darunter leiden. Anders ginge es doch gar nicht.
({12})
Das heißt, wir wollen den Export Deutschlands erhöhen und damit die Industrie in Portugal, Spanien und anderen Ländern schwächen. Die werden verostdeutscht, weil sie diesem Export nicht standhalten können. Das ist eines der Probleme, das zu einer weiteren Spaltung innerhalb Europas führt.
({13})
Das zweite ist: Es geht selbst innerhalb der verschiedenen Länder um unterschiedliche Regionen. Es haben doch nur die Regionen etwas davon, die in erster Linie vom Export leben. Was ist denn mit jenen Regionen auch in Deutschland, die kaum exportieren? Sie wissen, daß der Exportanteil der ostdeutschen Wirtschaft fast null ist. Sie hat überhaupt nichts davon. Im Gegenteil, die Binnenmarktstrukturen werden durch Billigprodukte und Billiglöhne systematisch zerstört werden.
({14})
Deshalb sage ich: Es ist ein Euro der Banken und der Exportkonzerne, nicht der kleinen und mittelständischen Unternehmen, die auf den Binnenmarkt angewiesen sind, nicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Wir haben es mit einem weiteren Problem zu tun, nämlich dem, daß der Reichtum in diesem Europa wachsen wird, aber in immer weniger Händen liegen wird. Dafür ist Deutschland ein lebendiges Beispiel. Lassen Sie mich nur eine Zahl nennen.
1990, nach der Herstellung der deutschen Einheit, hatten wir in der Bundesrepublik Deutschland ein Sparvermögen von etwas über 3 Billionen DM. Das sind 3000 Milliarden DM. Ende 1996 hatten wir ein privates Sparvermögen von 5 Billionen DM, das heißt, von 5000 Milliarden DM.
Im Durchschnitt hat jeder Haushalt in der Bundesrepublik Deutschland ein Sparguthaben von 135 000 DM. Nun können sich die Bürgerinnen und Bürger einmal ausrechnen, wie weit sie unter diesem Durchschnitt liegen. Dieser Durchschnitt kommt dadurch zustande, daß in 10 Prozent der Haushalte der Reichtum so gewachsen ist.
Da sagt doch der Herr Merz von der CDU/CSU, daß es die größte Katastrophe wäre, wenn nach einem Regierungswechsel die Reformen rückgängig gemacht würden. Was heißt denn das? Wollen Sie ein Europa, einen Euro mit immer mehr Kürzungen des Rentenniveaus? Wollen Sie ein Europa mit immer mehr Zuzahlungen für Kranke bei Medikamenten und bei ärztlichen Behandlungen? Das waren doch Ihre Reformen. Wollen Sie ein Europa, in dem 10 Prozent der Bevölkerung sinnlos immer reicher werden und andere immer mehr draufzahlen müssen? Das ist das Ziel Ihrer Politik. Ich finde, diese Reformen müssen unbedingt rückgängig gemacht werden.
({15})
Was hat denn die Vermehrung des privaten Vermögens bei 10 Prozent der Bevölkerung um 2000 Milliarden DM in sechs Jahren - das muß man sich einmal überlegen - der Wirtschaft gebracht? Welche Investitionen sind denn davon getätigt worden? Welche Arbeitsplätze wurden denn geschaffen? Weder im Osten noch im Westen hat es etwas gebracht. Der wachsende Reichtum hat nur zu noch mehr Arbeitslosen geführt. Deshalb ist das der falsche Weg nach Europa.
({16})
Mit der Demokratiefrage hängt übrigens auch zusammen, daß Finanz- und Geldpolitik kaum noch möglich sein werden. Die Zuständigkeit hierfür wird an die Europäische Zentralbank abgegeben. Sie wird dadurch anonymisiert. Damit wird erreicht, daß sich die Regierungen herausreden können, indem sie es auf die Bank schieben, und erklären können, daß sie keine politischen Spielräume haben, weil die Europäische Zentralbank bestimmte Vorgaben gemacht hat. Wer so eine Politik einleitet, zerstört Demokratie, denn Auswahl haben die Menschen nur in der Politik und nicht bei der Bank. Da haben sie nicht zu entscheiden. Das ist die Realität in dieser Gesellschaft und auch in anderen europäischen Gesellschaften.
({17})
Unsere größte Kritik richtet sich aber auf einen anderen Punkt; das ist das Wichtigste: Wer europäische Integration will, muß europäische Angleichungsprozesse einleiten. Dazu würde gehören, die Steuern zu harmonisieren, die Löhne und Preise anzugleichen und auch soziale, ökologische und juristische Standards anzugleichen. Es macht ökonomisch einen großen Unterschied, ob es gegen irgend etwas ein Einspruchsrecht gibt oder nicht. In dem einen Fall ist es nämlich teurer als in dem anderen Fall.
Wenn Sie das alles politisch nicht leisten und statt dessen sagen, wir führen eine Einheitswährung ein, um die Angleichungsprozesse zu erzwingen, dann sagen Sie damit doch nichts anderes, als daß Sie ganz bewußt Lohnwettbewerb, also in Wirklichkeit Lohndumping und Kostendumping, organisieren wollen.
({18})
Den größten Vorteil hat immer derjenige mit den niedrigsten Steuern, den niedrigsten Löhnen, den niedrigsten Preisen und den niedrigsten ökologischen, juristischen und sozialen Standards; dieser wird sich durchsetzen. Das führt zu einem Europa des Dumpings, des Abbaus nach unten. Wer so etwas organisiert, der - das behaupte ich - organisiert nicht nur Sozial- und Lohnabbau, sondern er organisiert auch zunehmenden Rassismus. Das mag nicht bewußt geschehen, aber es wird die Folge sein. Heute erleben wir das schon auf den Baustellen in Deutschland und in anderen Ländern.
({19})
Deshalb sagen wir: Das ist der falsche Weg. Wir hätten hier einen anderen einschlagen müssen. Erst wenn wir die Angleichungsprozesse politisch gemeistert hätten, hätte man am Schluß der Entwicklung
als Krönung eine Einheitswährung einführen können. Wer aber die Angleichung über die Währung erzwingt, der erzwingt eine Angleichung nach unten mit all ihren katastrophalen sozialen Folgen. Alle Fraktionen, die heute zustimmen, haften dann auch für die Folgen, die dadurch eintreten, unabhängig davon, welche Motive sie dabei haben.
({20})
Es ist davon gesprochen worden, daß eine Währung Frieden herstellen kann. Ich glaube das nicht. Das gilt nur, wenn die Voraussetzungen dafür stimmen. Nämlich nur dann, wenn es gelingt, Spannungen abzubauen, ist eine Währung friedenssichernd. Wenn aber dadurch neue Spannungen entstehen, kann auch eine gegenteilige Wirkung erzielt werden. Das wissen Sie. Sie wissen, daß die einheitliche Währung in Jugoslawien keinen Krieg verhindert hat. Er war einer der schlimmsten der letzten Jahre.
Lassen Sie mich als letztes sagen: Der Hauptmakel dieser Währungsunion wird bleiben, daß Sie die deutsche Bevölkerung nicht gefragt haben. Sie hätten in dieser entscheidenden Frage einen Volksentscheid durchführen müssen. Dann hätten Sie auch Ihrer Aufklärungspflicht nachkommen müssen. Das widerspricht, Herr Kollege Merz, nicht parlamentarischer Demokratie. Auch Frankreich, Dänemark und Irland sind parlamentarische Demokratien und haben dennoch einen Volksentscheid durchgeführt. Nein, man kann das Volk nicht nur wählen lassen. In wichtigen Sachfragen muß man es auch zu Entscheidungen und zum Mitmachen aufrufen. Anders wird man Integration in Europa nicht erreichen.
({21})
Ich gebe das Wort dem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich zu Beginn meiner Rede ein sehr persönliches Wort des Dankes an Hans-Dietrich Genscher sage.
({0})
Ich bitte, diese Schilder zu entfernen. Sie entsprechen nicht der Ordnung unseres Hauses. Bitte nehmen Sie die Schilder weg. - Darf ich Sie noch einmal auffordern, die Schilder wegzunehmen. Ich rufe Sie zur Ordnung! - Bitte veranlassen Sie, daß die Schilder entfernt werden.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich schlage vor, daß wir uns unserem Thema zuwenden.
({0})
Sie erlauben mir bitte, daß ich zunächst ein persönliches Wort an Hans-Dietrich Genscher richte. Ich will mich bei ihm für seine Rede und natürlich auch für das bedanken, was er für unser Land getan hat. Ich will mich für die Rede bedanken, weil hier, wie ich denke, in einer ungewöhnlich eindrucksvollen Weise ein Zeitzeuge gesprochen hat,
({1})
einer, der im Auf und Ab seines Lebens eine wichtige Spanne der Geschichte unseres Landes miterfahren und mitgestaltet hat. Wenn man ihn auch heute wieder über Deutschland und Europa sprechen hört - ich war in diesen Tagen in seiner Heimatstadt Halle -, dann spürt man, daß die deutsche Teilung auch sein Leben und vor allem seine europäische Überzeugung geprägt hat. Ich will ihm als Bundeskanzler für seine Arbeit in den Bundesregierungen und natürlich nicht zuletzt - das ist vor allem mein Auftrag - für die gemeinsame Zeit in den Jahren von 1982 bis 1992 danken.
Wir haben die Rede eines leidenschaftlichen Patrioten gehört.
({2})
Er ist einer, der dabei war, der Geschichte am eigenen Leib erlebt hat und deswegen in einer Weise darüber reden kann, ja reden muß, damit - auch im Blick auf kommende Zeiten und Generationen - Erfahrungen der Geschichte nicht untergehen. Hans-Dietrich, du hast Thomas Mann zitiert. Du selbst bist - das war heute lebendig spürbar - ein deutscher Europäer und ein europäischer Deutscher. Dafür ganz herzlichen Dank.
({3})
Meine Damen und Herren, es war gut - wenn ich mir erlauben darf, das so zu sagen -, daß Hans-Dietrich Genscher zu diesem Zeitpunkt der Debatte gesprochen hat, weil damit die Bedeutung dieses heutigen Tages und des morgigen Tages im Bundesrat angesprochen worden ist. Dies hier heute ist nicht irgendeine Debatte und nicht irgendeine Entscheidung. In der Politik gerät man häufig in die Versuchung, von säkularen Ereignissen, von Jahrhundertereignissen zu sprechen. Dies ist ein solches Ereignis.
Bei allem Für und Wider, bei allen Notwendigkeiten, über viele wichtige Details zu sprechen, möchte ich allen raten, darüber nachzudenken, was diese Entscheidung über die Wirtschafts- und Währungsunion auch für die politische Union, für die Geschichte unseres Volkes, für die Geschichte der Völker Europas, für den Zusammenhalt von Millionen
Europäern in dem in wenigen Jahren beginnenden neuen Jahrhundert bedeutet.
Vielleicht kann man sich das an Hand eines Bildes ganz einfach klarmachen. Hier im Saal sind viele, die noch den Sommer 1948 und die Einführung der D-Mark in Erinnerung haben. In ein paar Wochen wird die D-Mark 50 Jahre alt. Diese Jahre haben unser Leben in Deutschland mehr geprägt als vieles andere. Die D-Mark - beinahe in der Stunde Null unseres Landes entstanden - ist damals nicht mit großen Erwartungen auf die Welt gekommen: Die „Gurus" der damaligen Zeit waren voller Zweifel, ob aus dieser Sache etwas werden könnte.
Es waren die Arbeit und die Leistung von Generationen, vor allem auch der Gründergeneration, die die D-Mark zu dem gemacht haben, was sie heute ist. Deswegen ist es doch verständlich, daß in unserem Land jetzt so viele Fragen stellen, daß Ängste aufkommen vor diesem großen entscheidenden Schritt in eine andere Währung, in ein viel größeres und umfassenderes Währungsgebiet.
Dennoch - das wage ich zu behaupten - wird, ausgehend von den Entscheidungen in diesen Tagen, die heute geborene Generation mit dem Euro genauso leben wie wir mit der D-Mark. Sie wird sich in wenigen Jahren, wenn sie erwachsen ist, gar nicht mehr vorstellen können, daß es einmal anders war. Es entsteht so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl der Europäer, wenn in den Ländern der Europäischen Union eine Generation lebt, für die ganz selbstverständlich der Euro ein Zahlungsmittel ist, das in Rom genauso wie in Dublin, hier in Bonn bzw. in Berlin gilt und sicher in kurzer Zeit auch in London, in Warschau und in den Ländern Nordeuropas gültig sein wird.
Währungen sind viel mehr als ein Zahlungsmittel. Sie haben auch etwas mit der sozialen Befindlichkeit der Menschen, mit ihrem Lebensschicksal zu tun. Sie haben aber auch etwas mit ihrer kulturellen Identität zu tun und sind Gradmesser politischer Stabilität. Deswegen sprach ich von den Emotionen. Deshalb ist es richtig, daß der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, die Deutsche Bundesbank, alle, die bei diesem Thema besonders engagiert sind, darüber so ausführlich sprechen. Ich bin Hans-Dietrich Genscher dankbar, daß er die Arbeit an diesem Thema in all den Jahren noch einmal so deutlich analysiert hat.
Die Zeitgenossen, die aus ganz anderen Gründen durch das Land ziehen und den Euro verteufeln, wollen uns einreden, der Euro sei sozusagen über Nacht gekommen, er sei ein Husarenstück. Keine Spur davon: Es gibt wenige Entscheidungen der jüngeren deutschen Geschichte, die in Politik und Gesellschaft so intensiv diskutiert wurden, deren Vor- und Nachteile so hin und her gewendet wurden wie das Thema der Wirtschafts- und Währungsunion. Deswegen widerspreche ich nachdrücklich all denen, die den Eindruck erwecken wollen, da werde etwas über unser Volk gestülpt, was das Volk gar nicht will. Ich bin sicher, daß sich die meisten in wenigen Jahren gar nicht mehr vorstellen können - wie seinerzeit bei der D-Mark -, daß es den Euro einmal nicht gab.
Ich sage noch etwas: Ich bin ganz sicher - wie wir es schon bei anderen geschichtlichen Ereignissen erlebt haben -, daß diejenigen, die heute Nein zum Euro sagen, schon in wenigen Jahren leugnen werden, daß sie je eine solche Meinung vertreten haben.
({4})
Die Verwirklichung der Europäischen Wirtschafts-
und Währungsunion ist hinsichtlich ihrer Konsequenzen für uns Deutsche wie auch für die Europäer die wichtigste und bedeutendste Entscheidung seit der Wiedervereinigung Deutschlands. Ich glaube, daß sie - auf lange Sicht - eine der wichtigsten Entscheidungen des ganzen Jahrhunderts ist. Mit all ihren Wirkungen auf andere Teile der Welt stellt sie die tiefgreifendste Veränderung auf unserem Kontinent dar. Sie ist zugleich der wichtigste Meilenstein im europäischen Einigungsprozeß seit der Gründung der Montanunion 1951 und seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957.
Wahr ist, daß dieser Gedanke einer gemeinsamen Währung damals noch eine Vision war und daß kaum jemand geglaubt hat, daß diese Vision noch in diesem Jahrhundert Wirklichkeit wird. Wenn Sie bei Jean Monnet und bei vielen anderen nachlesen, was sie gedacht und vielleicht auch nur geträumt haben, dann haben Sie auch eine Vorstellung davon, wie schnell - trotz all der Jahre, die seitdem vergangen sind - diese Vision Wirklichkeit geworden ist.
In diesem Augenblick erinnere ich mich an den Zeitpunkt, als François Mitterrand die sterblichen Überreste von Jean Monnet nach vielen Jahren ins Pantheon überführen ließ. Ich erinnere daran, wie bei dieser Gelegenheit gesagt wurde, welche Vision die Gründergeneration damals gehabt hat. Folgendes möchte ich manchem Skeptiker mit auf den Weg geben: Die Visionäre von damals sind die Realisten von heute. Wir sollten das niemals vergessen!
({5})
Am Ende dieses Jahrhunderts trifft auch der Satz zu, daß die europäische Einigung für Europa insgesamt und vor allem für uns Deutsche ein Glücksfall der Geschichte ist.
Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Für Europa insgesamt und vor allem für uns Deutsche ist die europäische Einigung die entscheidende Voraussetzung für ein dauerhaftes Zusammenleben in Frieden, Freiheit und Wohlstand.
Wir Deutsche sollten uns jeden Tag daran erinnern, daß die deutsche Einheit ohne den Prozeß der europäischen Einigung nie möglich gewesen wäre.
({6})
Wir sind jetzt auf einem guten Weg, das europäische Haus zu bauen. Der Euro stärkt die Europäische Union als Garanten für Frieden und Freiheit. Er bringt die Teilnehmerstaaten noch enger zusammen. Damit ist zugleich die Herausforderung verbunden, daß Europa und damit auch unser Land, Deutschland, den Aufbruch in die Zukunft schafft. Auch angesichts dramatischer Veränderungen in der Welt gibt es nicht den geringsten Grund, daran zu zweiBundeskanzler Dr. Helmut Kohl
fein, daß wir, die Deutschen und die Europäer, dies schaffen können, wenn wir es nur wollen und wenn wir es gemeinsam tun. Von der heutigen Entscheidung - ich meine das nicht pathetisch - hängt es wesentlich ab, ob künftige Generationen in Deutschland und in Europa in Frieden und Freiheit, in sozialer Stabilität und auch in Wohlstand leben können.
Die Europäische Kommission empfiehlt dem Rat der europäischen Staats- und Regierungschefs elf Mitgliedstaaten für die Teilnahme am Beginn des Euro am 1. Januar 1999. Das Europäische Währungsinstitut und die Deutsche Bundesbank haben in ihren Stellungnahmen bestätigt, daß die Vorschläge der Kommission stabilitätspolitisch vertretbar sind. Die Bundesregierung beabsichtigt - hierzu bitte ich um Ihre Zustimmung -, beim Rat der europäischen Staats- und Regierungschefs am 2. Mai 1998 in Brüssel für die Vorschläge der Kommission zu stimmen.
Ich behaupte: Die Voraussetzungen für eine stabile europäische Währung waren noch nie so gut wie heute. Die Konvergenzberichte der Europäischen Kommission und des Europäischen Währungsinstituts machen ebenso wie die Stellungnahme der Deutschen Bundesbank übereinstimmend deutlich: Europa ist bereits im Vorfeld der Währungsunion zu einer Stabilitätsgemeinschaft zusammengewachsen.
Theo Waigel sprach davon - aber man muß es immer wiederholen, weil es leicht übersehen wird; von manchen aus Leichtfertigkeit, von anderen mit Absicht -: Die Preissteigerungsraten und Zinsen in den Mitgliedsländern sind auf einem historischen Tiefstand. Der durchschnittliche Preisanstieg in der EU liegt heute bei 1,5 Prozent; die langfristigen Zinsen liegen bei 5 Prozent. Ich sage das gerne noch einmal laut und deutlich, weil so viele noch vor wenigen Jahren dies alles als gänzlich unmöglich angesehen haben.
({7})
Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte hat wesentliche Fortschritte gemacht. In 14 EU-Mitgliedsstaaten lag das Haushaltsdefizit 1997 unter oder bei 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auch wir, die Deutschen, haben auf diesem Weg entscheidende Fortschritte gemacht. Deutschland hat 1997 das Defizitkriterium von 3 Prozent mit 2,7 Prozent deutlich unterschritten. Das ist das Ergebnis auch einer konsequenten Reformpolitik, für die die Koalition und die Bundesregierung stehen.
({8})
Meine Damen und Herren, wenn ich mich an jene Debatte erinnere, die vor weniger als sechs Monaten in diesem Saal stattfand, finde ich, daß es schon an der Zeit wäre, daß der eine oder andere wenigstens sagte - das zu tun ist ja menschlich -: Ich habe mich geirrt; ihr habt einen guten Job gemacht - um es in der Sprache junger Leute zu sagen.
({9})
In bezug auf das Schuldenstandkriterium liegen wir für 1997 mit 61,3 Prozent - das ist wahr - leicht über dem im Maastricht-Vertrag vorgesehenen Referenzwert von 60 Prozent. Aber wenn ich mit ausländischen Kollegen über dieses Thema rede, brauche ich keine Minute für eine Begründung. Vielmehr gibt es dort eine allgemeine Bewunderung dafür, daß wir trotz der Belastungen - der von uns gern getragenen Belastungen; füge ich hinzu - durch die deutsche Einheit dieses Ziel erreicht haben. Sowohl die Europäische Kommission als auch das Europäische Währungsinstitut haben zu Recht hervorgehoben, daß hier die Erblast, die wir von der früheren DDR übernommen haben, ihren Niederschlag gefunden hat.
Die Einführung des Euro liegt im ureigensten wirtschaftlichen Interesse auch und nicht zuletzt der Deutschen. Die Wirtschafts- und Währungsunion ist eine notwendige Antwort Europas auf einen immer schärferen weltweiten Standortwettbewerb zwischen den Ländern und Regionen. Daß in diesen Wochen auf dem amerikanischen Kontinent - das gilt für Südamerika, für Mittelamerika und für Nordamerika - eine Diskussion darüber stattfindet, ob in absehbarer Zeit eine Gemeinschaft gebildet werden könnte, in der man in Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung zusammenarbeitet, zeigt doch, daß die Dinge in Bewegung gekommen sind.
Als wir - die Vertreter der europäischen Staaten und der EU - kurz vor Ostern mit Vertretern der ASEAN-Länder in London zusammentrafen, war klar zu erkennen, daß in diesem Teil der Welt eine gewaltige Bewegung entstanden ist. Die Dinge entwickeln sich dramatisch. Nicht diejenigen werden die Herausforderung bestehen, die heute bei ihren Zweifeln, so verständlich diese sind, stehenbleiben, sondern diejenigen, die Entscheidungen treffen, mit denen man die Zukunft gewinnen kann. Darum geht es letztlich in diesem Augenblick.
({10})
Die gemeinsame europäische Währung wird Europa als Raum wirtschaftlichen Wohlstands und monetärer wie sozialer Stabilität festigen. Die Geschichte der Vereinigten Staaten ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie sich Wachstumskräfte in einem großen Raum entwickeln können.
Mit der Euro-Zone - man darf das nicht vergessen - entsteht ein einheitlicher Markt mit gemeinsamer Währung von 300 Millionen Menschen mit einem Anteil von rund 20 Prozent am Welteinkommen. Das ist vergleichbar dem Prozentsatz der Vereinigten Staaten von Amerika. Das hat nichts mit mißverstandener europäischer Großmannssucht zu tun, es hat aber damit zu tun, daß wir in eine Situation kommen, die in einer Welt im Zeichen der Globalisierung zu Recht gewaltige Wirkungen entfalten wird.
({11})
Die gemeinsame Währung wird das Klima für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und Europa nachhaltig verbessern. Der IWF hat in der letzten Woche auf seiner Frühjahrstagung in Washington die Einführung des Euros als historische Entscheidung ausdrücklich begrüßt.
Meine Damen und Herren, wenn man sich das, was Hans-Dietrich Genscher gesagt hat - man muß sich an die Zeit vor zehn Jahren zurückerinnern, als
auch manche unserer amerikanischen Freunde diesen Weg zum Euro beinahe onkelhaft betrachtet haben und in der Wall Street vieles dazu gesagt und geschrieben wurde -, vor Augen führt, kann man erkennen, wie groß der Erfolg ist, den wir erreicht haben.
Der Wegfall des Wechselkursrisikos für Unternehmen in den Euro-Ländern ermöglicht jährliche Einsparungen in zweistelliger Milliardenhöhe; denn mit der Einführung des Euros entfallen teure Absicherungen gegen Wechselkursschwankungen. Während meiner Amtszeit bin ich Zeitzeuge der Probleme geworden, die wir beispielsweise zwischen Franzosen und Deutschen mit diesem Thema hatten.
Es ist natürlich wahr - ich habe niemanden gehört, der seriös die gegenteilige Meinung vertreten hat; trotzdem muß man es aussprechen -, daß der Euro kein Patentrezept ist, um die Arbeitsmarktprobleme in Europa oder in Deutschland zu lösen. Andere wichtige Entscheidungen müssen hinzukommen, etwa strukturelle Reformen, die überfällig sind, eine moderate Lohnpolitik und vieles andere mehr.
Der IWF hat auch darauf nachdrücklich hingewiesen: Je flexibler die Märkte, insbesondere der Arbeitsmarkt, sind, desto größer ist die Chance für mehr Beschäftigung. Das hat auch die Deutsche Bundesbank mit klarer Sprache in ihrer Stellungnahme gesagt.
Ich will noch einmal das aufnehmen, was in der Debatte bereits gesagt wurde, am Anfang von Theo Waigel. Alle Reformen sind völlig unabhängig von der Wirtschafts- und Währungsunion dringend notwendig. Der Euro aber macht Defizite deutlicher und verstärkt den überfälligen Handlungszwang. Insofern ist er auch von großer psychologischer Bedeutung.
({12})
Jeder fünfte Arbeitsplatz bei uns in Deutschland hängt vom Export ab. Mehr als 40 Prozent unserer Ausfuhren gehen in die Länder, die jetzt der EuroZone beitreten werden. Wir haben gegenüber diesen Ländern - das muß man sich klarmachen - künftig keine Wechselkursrisiken mehr. Weniger Risiken sind vor allem eine gute Botschaft für exportabhängige Arbeitsplätze in Deutschland.
Die Frau Kollegin von der SPD hat heute an einem Beispiel nachgewiesen, wie sich das auswirken wird. Wir sollten in der Tat mehr darüber sprechen, und zwar nicht nur in globalen Betrachtungen, sondern ganz konkret, wie sich das auf die Städte und Regionen unseres Landes auswirken wird; denn gerade die Beschäftigten deutscher Unternehmen waren in der Vergangenheit oft Leidtragende, wenn die D-Mark gegenüber anderen europäischen Währungen massiv aufgewertet wurde. Das heißt, der Euro eröffnet große Chancen für neue wirtschaftliche Dynamik, für dauerhaftes Wachstum und dringend benötigte zukunftssichere Arbeitsplätze im 21. Jahrhundert.
Meine Damen und Herren, der Euro und die Europäische Währungsunion sind in gar keiner Weise ein
unkalkulierbares Risiko. Von der Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht am 7. Februar 1992 bis zur Einführung des Euro am 1. Januar 1999 gibt es einen siebenjährigen Vorbereitungsprozeß. Wir haben alle notwendigen Voraussetzungen für dauerhafte Stabilität getroffen. Die Bundesregierung hat gemeinsam mit ihren Partnern - sie hat dabei eine wesentliche Rolle gespielt - im Vertrag von Maastricht durchgesetzt, daß die Europäische Zentralbank in Frankfurt so unabhängig ist wie die Deutsche Bundesbank und zuallererst der Stabilität der Währung verpflichtet ist.
({13})
In jener entscheidenden Sitzung war es auch eine Botschaft der Staats- und Regierungschefs unserer Partnerländer, als sie zustimmten - und das ist manchen nicht leichtgefallen -, daß diese neue Europäische Zentralbank ihren Sitz in Frankfurt haben soll. Das hatte auch einen symbolischen Charakter. Es war im übrigen eine Reverenz an die Deutschen und ihre Währungspolitik in fünf Jahrzehnten.
({14})
Auch das gehört ja zum Bild. Es war - das kann ich schon beurteilen -, für manchen zähneknirschend, auch eine Reverenz gegenüber der Geldpolitik der Deutschen Bundesbank. Auch das gehört zur Entwicklung dieser Jahre.
Meine Damen und Herren, lesen Sie nur einmal nach - es liegt ja alles jetzt ein paar Jahre zurück -, was an Kommentaren in Paris - ich nenne jetzt Paris, könnte aber auch andere Hauptstädte nennen - geschrieben wurde bei dem Gedanken, daß die Notenbank völlig unabhängig und nur der Stabilität der Währung verpflichtet ist: Das haben viele als einen Anschlag auf die Tradition ihres eigenen Landes verstanden, als einen Anschlag auf die Souveränität. Und das waren nicht nur irgendwelche Stimmen, das waren wesentliche Stimmen der europäischen Politik.
Sie hören davon jetzt nichts mehr. Diese Entscheidung ist inzwischen akzeptiert. Dafür sollten wir dankbar sein und den Menschen überall in Deutschland sagen, daß dies, was hier geregelt und entschieden wurde, in ihrem Sinne ist.
({15})
Die Bundesregierung hat mit ihrem konsequenten Eintreten erreicht, daß die Stabilitätskriterien des Vertrags von Maastricht strikt eingehalten werden. Mit diesem Argument, natürlich ohne Bezugnahme auf die Bundesregierung, wird heute in allen europäischen Parlamenten für den Euro geworben. Die Meinung hat sich hier völlig verändert. Es sind Prozesse eingetreten, die eine Annäherung im Denken und im Handeln zeigen, für die wir eigentlich nur dankbar sein können.
Ganz persönlich will ich dafür auch Theo Waigel danken, denn er hat mit einer unglaublichen Energie
und Unverdrossenheit, auch im eigenen Lande nicht immer verstanden
({16})
- das gehört auch zur Wahrheit in dieser Zeit -, in einer großartigen Weise diese Politik durchgesetzt.
({17})
- Frau Kollegin, ich weiß nicht, warum Sie jetzt „Bayern" dazwischenrufen. Bayern gehört zu Deutschland.
({18})
Bayern ist ein Land, das bei der Bevölkerungswanderung innerhalb Deutschlands die allergrößten Gewinne macht. Ich kenne so viele Nichtbayern, deren Traum darin besteht, in München oder an den bayerischen Seen zu leben, womöglich noch in bayerischen Lederhosen herumzulaufen. Das ist doch eine nicht zu übersehende Wahrheit.
({19})
Ich verstehe überhaupt nicht, Frau Kollegin, warum Sie das Geschäft Ihrer Kollegin, die dort Landesvorsitzende ist und für das Amt der Ministerpräsidentin kandidiert, so erschweren.
({20})
Meine Damen und Herren, nach der vertraglichen Regelung gibt es keine Haftung der Gemeinschaft für Verbindlichkeiten der Mitgliedstaaten und keine zusätzlichen Finanztransfers. Heute hat einer unserer Kollegen von seiner Erfahrung im Europäischen Parlament berichtet. Wenn Sie quer durch alle Parteien mit den Kollegen im Europäischen Parlament reden, wissen Sie, daß dieser Satz einen Moment des Innehaltens verdient:
Nach den vertraglichen Regelungen gibt es keine Haftung der Gemeinschaft für Verbindlichkeiten der Mitgliedstaaten und keine zusätzlichen Finanztransfers.
Man muß doch einmal ehrlich sagen, was wir mit dieser Entscheidung anderen zugemutet haben; denn auch andere haben bestimmte Lebensgewohnheiten. Unterschiede gibt es nicht nur bei uns in Deutschland im Verhältnis der Bundesländer untereinander; diese gibt es auch im Verhältnis der europäischen Staaten untereinander. Trotzdem gilt dieser Satz, der eine große Bedeutung hat; denn damit ist im Vorfeld bereits viel für die Funktionsfähigkeit und die Stabilität der Währungsunion erreicht worden.
Wichtig ist nun, daß das Erreichte gesichert und die Nachhaltigkeit der Konvergenz gewährleistet wird. Die Bundesregierung hat in ihrem Beschluß am 27. März 1998 zu dem Thema des Teilnehmerkreises der Wirtschafts- und Währungsunion ausdrücklich festgestellt - ich zitiere -:
... auch weiterhin die vom Maastricht-Vertrag geforderte Nachhaltigkeit der erreichten Konvergenz nachdrücklich zu vertreten und ihr besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Wir erwarten - lassen Sie mich das hier klar aussprechen - in diesem Zusammenhang, daß diejenigen unserer Partnerstaaten, die noch eine besonders hohe Gesamtverschuldung aufweisen, ihre Politik einer weiteren Konsolidierung der Staatsfinanzen beharrlich fortsetzen und daß die Zusagen eingehalten werden.
Meine Damen und Herren, ich empfinde es als nicht sehr geschickt und nicht sehr klug, wenn man angesichts der Leistung anderer Länder in den letzten Jahren - ich beziehe mich hier besonders gerne auf Italien - in einer Weise über andere redet, die für mich unerträglich ist.
Ich kann nur sagen: Das, was gegenwärtig in Italien geschieht, was mit der Finanzplanung eingeleitet wurde, die das Kabinett am 17. April 1998 beschlossen hat, getragen von einer breiten Mehrheit der politischen Kräfte dieses Landes, übrigens auch einer breiten Unterstützung der Bevölkerung dieses Landes - es ist hier viel von der Akzeptanz in der Bevölkerung gesprochen worden -, verdient Respekt und Vertrauen: nämlich Rückführung des Haushaltsdefizits und der Kampf gegen den Schuldenstand.
({21})
Ich bin ganz sicher, daß sich ungeachtet der parteipolitischen Grundeinstellung die wesentlichen politischen Kräfte Italiens, übrigens genauso wie in Belgien, sehr wohl bewußt sind, daß dies eine Herausforderung ist, die vernünftig bewältigt werden muß. Ich habe das Vertrauen, daß es so sein wird. Ich will es hier ganz klar aussprechen.
({22})
Ich erwähne dies alles nicht aus irgendwelchen beckmesserischen Gründen, sondern weil wir Deutsche aus Erfahrung wissen, daß die nachhaltige Konsolidierung der Staatsfinanzen für eine dauerhafte Stabilität und für ein reibungsloses Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion elementar ist; denn der gemeinsame Währungsraum bedeutet grundlegend neue wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Entwicklungen.
Es ist nicht zu verbergen, und es muß klar sein: Die geldpolitische Zuständigkeit liegt künftig auf der europäischen Ebene. Es ist keine eigenständige nationale Wechselkurspolitik mehr möglich. Das heißt für viele Staaten im Raum der Währungsunion, daß sie ihr Verhalten anpassen müssen, auch weil mehr Transparenz im gemeinsamen Währungsraum besteht.
Deshalb muß auch die Haushaltspolitik intensiver überwacht und die Wirtschaftspolitik der Teilnehmerstaaten sorgfältiger abgestimmt werden. Dazu wurden die notwendigen Voraussetzungen beim Europäischen Rat in Dublin und in Amsterdam geschaffen. Trotz einer engeren Koordination und trotz gewisser Harmonisierungsnotwendigkeiten, etwa beim Erfassen von Kapitaleinkünften - in Sachen
Steueroasen sind wir mit Sicherheit nicht auseinander -, darf kein Mißverständnis aufkommen: Die Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik bleibt in nationaler Verantwortung. Ich habe in diesen Tagen mit großem Interesse gelesen, daß sich auch mein Amtsvorgänger genau in diesem Sinne geäußert hat.
Uns nimmt niemand unsere Hausaufgaben ab. Wer jetzt nicht die notwendigen Reformen vorantreibt, sondern in ein Gerede über europäische und internationale Absprachen flüchtet, der wird keinen Fortschritt bewirken und das Ziel nicht erreichen. Wer heute etwa überstürzt hohe, europaweite Standards im Sozialbereich fordert, der muß mir die Antwort geben, wie er das mit der These verbindet, daß die Transferunion abzulehnen sei. Er provoziert sie mit einer solchen These geradezu.
({23})
Im übrigen habe ich in dieser Frage trotz Wahlkampfzeiten die volle Unterstützung des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Die Gewerkschaften wissen schon, was damit auf den Weg kommen könnte.
Ich bin überzeugt, daß die Erfolgsgeschichte der D-Mark in unserem Land mit einer Erfolgsgeschichte des Euro weitergeht. Die Vorzüge, die wir mit der D-Mark erarbeitet haben und an der D-Mark - zu Recht - schätzen, gehen nicht verloren. Sie werden in ein größeres Ganzes zum Vorteil Deutschlands und zum Vorteil Europas eingebracht.
Meine Damen und Herren, die Zukunft unseres Landes ist gerade in dieser Zeit nur mit Mut, Grundsatztreue und Weitsicht zu gewinnen. Mit dem Opportunismus des Tages kann man vielleicht auf eine kurze Frist Geschäfte machen. Auf die Dauer gelingt dies nicht.
({24})
Der Zusammenhang ist eindeutig: Die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion ist die konsequente Fortentwicklung des europäischen Einigungswerkes. Dieses Einigungswerk hatte von Anfang an immer ganz klar eine politische Priorität und Dimension. Was bisher wirtschaftlich erreicht wurde und was weiterhin erreicht werden kann, ist auf die Dauer nur zu bewahren, wenn es auch politisch abgesichert ist. In vielen streitigen Diskussionen mit einer früheren Kollegin im Europäischen Rat haben wir dieses Thema immer wieder erörtert.
Die weitere Ausgestaltung der politischen Union ist notwendigerweise ebenso unser Ziel wie jetzt die Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion. Beides, meine Damen und Herren, muß Schritt für Schritt umgesetzt werden, und beides bildet einen Zusammenhang. Gerade die Erfahrungen der deutschen Geschichte, nicht zuletzt der des 19. Jahrhunderts, zeigen doch, daß gemeinsame Währungen eine Katalysatorfunktion in wichtigen Bereichen der Politik haben können. Für den Bau des Hauses Europa müssen wir die Chance nutzen, die sich jetzt bietet. Niemand soll glauben, daß diese Chance automatisch wiederkommt, wenn wir sie jetzt nicht nutzen. Sie kommt nicht wieder!
({25})
Wer an eine völlige Vollendung der politischen Union glaubt und meint, zuvor solle man ein Vorhaben wie die Einführung des Euro nicht verwirklichen - so wird es in diesen Tagen immer wieder gesagt -, der wird erleben, daß am Ende gar nichts erreicht wird. Ich habe - lassen Sie mich das offen aussprechen - mich aufmerksam im Land umgehört und Land und Leute beobachtet. Gelegentlich habe ich schon den Eindruck, daß manche ihre Gegnerschaft zur Währungsunion vorschieben, weil sie in Wirklichkeit die politische Union gar nicht wollen.
({26})
Ich habe für die Bundesregierung schon im September 1992 im Bundestag klar formuliert, wie die Handlungsfelder der europäischen Einigung in der Zeit nach Maastricht auszusehen haben.
Erstens: Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion. Das tun wir jetzt.
Zweitens: Entwicklung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Das spricht sich unendlich leicht aus. Aber sehr viel schwieriger ist es - das erkennt jeder -, diese Politik Schritt für Schritt voranzubringen. Denn auf diesem konkreten Feld zeigen sich die Folgen der Geschichte bis hin zu ganz einfachen Fragen: Was leisten wir etwa an Hilfe für die Dritte Welt im Rahmen der Europäischen Union? Da spielt es eben eine enorme Rolle - das ist doch die Wahrheit! -, ob man bis zuletzt Kolonialmacht war und bestimmte Verpflichtungen eingegangen ist; oder ob man zuletzt, wie die Deutschen - nicht aus eigener Einsicht, sondern durch den Zwang der Geschichte -, nicht mehr Kolonialmacht war.
Bei den Problemen, die jetzt im früheren Jugoslawien in ihrer ganzen Bitterkeit vorhanden sind, spielt es eben eine Rolle, welche früheren Bündnisse, Pakte und Sonderbeziehungen es gab. Wir können doch die Geschichte in einer solchen Frage nicht einfach beiseite schieben. Sie bleibt bestehen mit all dem, was sie in diesem Bereich an Blut und Tränen als Spuren hinterlassen hat.
Drittens: Ausbau der Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit. Für mich ist das - ich kann es nicht leidenschaftlich genug sagen - eine der wichtigsten Fragen der europäischen Entwicklung; denn die Bürger in allen europäischen Ländern zahlen vor allem aus zwei Gründen viel - bei uns: zuviel - Steuern: Die äußere und die innere Sicherheit ihres Landes soll gewährleistet sein.
({27})
Wir müssen endlich begreifen, daß die internationale Kriminalität heute ganz andere Ausmaße angenommen hat, als das noch vor einigen Jahren der Fall war. Wenn ich das sage, dann ist das kein Mißtrauen und schon gar keine Kritik an der Arbeit der Polizeiorgane und der Polizeibeamtinnen und -beamten in unserem Lande, auch keine Kritik an all den sonstigen Einrichtungen, die für die Sicherheit verantwortlich sind.
Jacques Delors ist vorhin zu Recht mehrmals erwähnt worden. In einer seiner letzten Reden als Präsident der Europäischen Kommission hat er auf draBundeskanzler Dr. Helmut Kohl
matische Weise auf die Gefahr der Internationalisierung der Kriminalität, also etwa auf die Drogenmafia und auf die internationale Geldwäsche, hingewiesen. Es soll doch niemand glauben, daß wir diesen Herausforderungen mit den Mitteln begegnen können, die es zu Beginn dieses Jahrhunderts gab. Die Welt hat sich verändert, und der Bürger erwartet zu Recht, daß sein Staat etwas tut. Wenn dauernd von der Akzeptanz Europas gesprochen wird, so muß ich sagen, daß eine wichtige Frage von vielen Bürgern lautet: Wird dieses Europa - diese EU - die innere Sicherheit gewährleisten können?
({28})
In bezug auf die Stärkung der demokratischen Verankerung der Europäischen Union, insbesondere mit Blick auf das Europäische Parlament, haben wir erhebliche Fortschritte gemacht. Man muß aber in einer solchen Stunde fairerweise auch berücksichtigen, daß die Spielregeln dort ganz andere sind. Es gibt viele - übrigens auch in diesem Hause -, die Maßstäbe an dieses Parlament anlegen, die es nicht erfüllen kann, weil die normale Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition in ihm nicht stattfindet. Aber dennoch hat das Europäische Parlament in den zurückliegenden Jahrzehnten entscheidend zur Einigung Europas und zum Verständnis untereinander beigetragen: zwischen den einzelnen Gruppierungen und nationalen Parteien und zwischen den Bruder- und Schwesterparteien in Europa. Wir wollen diese Bemühungen nicht geringachten, das Parlament weiterhin unterstützen und auf diesem Weg vorangehen.
Ich habe schon mit einem kurzen Satz auf die Fortentwicklung der Institutionen hingewiesen. Natürlich haben wir in diesem Bereich erhebliche Fortschritte gemacht. Aber es ist doch ganz selbstverständlich, daß mit diesen Institutionen eine Menge an nationalen Besonderheiten verbunden ist. So kann man etwa über die Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips sehr viel leichter reden, wenn man ein bestimmtes Problem im eigenen Land nicht hat. In der entscheidenden Nacht von Amsterdam haben wir im Hinblick auf eine wichtige Entscheidung im Asylrecht das Einstimmigkeitsprinzip nicht aufgegeben, weil die Problemlage in Deutschland völlig anders ist als in anderen europäischen Ländern.
({29})
1996 hatten wir in Deutschland allein 116 000 neue Asylbewerber, während es in der übrigen EU zusammen nur 110000 waren. Ich habe meinen Kollegen aus gutem Grund und leidenschaftlich gesagt: Unter normalen Verhältnissen ist das eine Sache, die viel Sinn macht. Aber man kann nicht etwa in Dublin darüber entscheiden, wie die Asylsituation in Deutschland zu sein hat. Das ist doch eine Frage, die etwas mit Akzeptanz zu tun hat.
({30})
Ich spreche hier ganz bewußt das Thema an, das mir von allen Themen im Augenblick die meisten Sorgen macht: die Handhabung eines recht verstandenen Subsidiaritätsprinzips im Rahmen der Weiterentwicklung der Europäischen Union. Das hat nichts
- um es klar auszusprechen - mit dem Willen zur Renationalisierung zu tun. Ich finde, dieses Schlagwort ist völlig fehl am Platz. Aber ich vermisse in bestimmten Bereichen in Brüssel - ich sage das einmal so pauschal - ein Verständnis dafür, daß Europa nur dann eine gute Entwicklung nimmt, wenn es ein föderal gegliedertes Europa ist. Wir jedenfalls wollen nicht Kompetenzen an Brüssel abgeben, die dort nicht hingehören.
({31})
Unser Wunsch in Europa war immer - das ist eine gute Erfahrung aus der Geschichte der Bundesrepublik -, so mühsam der Umgang mit Föderalismus im Alltag ist, so unterschiedlich die föderalen Betrachtungsweisen sind - je nach Standort, den man gerade einnimmt, je nach Funktion oder Position: Entscheidungen müssen bürgernah getroffen werden; Verantwortlichen vor Ort dürfen keine Entscheidungen weggnommen werden, die diese besser treffen können als alle anderen, weil sie mit den Problemen am besten vertraut sind. Das ist unser Verständnis von Subsidiarität.
Man kann sich über dieses oder jenes im Umgang mit Bundesländern ärgern - ich kenne das inzwischen von zwei Seiten -, aber, meine Damen und Herren, unsere gegenwärtige bundesstaatliche Ordnung hat auch damit zu tun, daß die Väter und Mütter des Grundgesetzes kluge Leute waren, die etwas von der Geschichte verstanden haben, die nicht kurzfristige Entscheidungen getroffen, sondern etwas geschaffen haben, was 50 Jahre Stabilität in der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht hat. Das ist doch wahr!
({32})
Deshalb sind wir keine Störenfriede, wenn wir darauf hinweisen, daß es unterschiedliche geschichtliche Modelle gibt, daß die klassischen romanischen Staaten Europas, die sehr früh zum Nationalstaat gefunden haben, im Gegensatz zu den Deutschen eine völlig andere Tradition haben. In Paris wird zum Beispiel viel mehr auf zentraler Ebene entschieden als bei uns. Wir wollen die unterschiedlichen kulturellen Entwicklungen in den Ländern Europas - ebenso wie in Deutschland - bewahren.
({33})
Wir wollen keinen Zentralstaat, sondern eine föderale Europäische Union.
({34})
Zur Erweiterung der EU: Meine Damen und Herren, mir mißfällt, daß die Diskussion in Europa zum Teil so geführt wird - natürlich geht es dabei immer auch um Geld; das ist richtig -, als hätten wir die Zeit vor 1990 völlig vergessen. Hans-Dietrich Genscher war es, der heute daran erinnert hat, was die Ungarn und Polen für uns getan haben. Meine Damen und Herren, die Solidarność ist zu einem Zeitpunkt aufgestanden, als viele in Europa noch nicht im Traum daran dachten, daß dieser Monolith des Kommunismus zusammenbrechen könnte.
({35})
Wenn wir jetzt, da wir über die Erweiterung der EU diskutieren - ich will es einmal personalisieren -, dem polnischen Ministerpräsidenten begegnen - einem Mann, der lange Zeit im Untergrund lebte, um für die Freiheit und für die Solidarność zu kämpfen -, kann ich ihm dann sagen: „Hör' mal, es ist noch Zeit, ihr müßt noch warten, wir müssen noch unsere eigenen Angelegenheiten in Ordnung bringen" ? Wir haben doch den Polen, den Ungarn und anderen gesagt: Wenn ihr nur das Joch des Kommunismus abschüttelt, seid ihr herzlich willkommen. Dies gilt heute ebenso wie vor zehn Jahren.
({36})
Seit dem Inkrafttreten des Maastricht-Vertrages sind wir bei der Vollendung des Binnenmarktes und mit dem Beitritt Österreichs, Schwedens und Finnlands ganz wesentlich vorangekommen. Immer wenn ich über dieses Thema nachdenke, bedauere ich zutiefst, daß die Kurzsichtigkeit von Europäern in der Union mit dazu geführt hat, daß Norwegen seinen Beitritt noch nicht erreicht hat. Ich wünsche mir, daß das trotz alledem bald nachgeholt wird.
({37})
Ich nenne im Gefolge des Maastricht-Vertrages insbesondere auch den Vertrag von Amsterdam, dem der Deutsche Bundestag erst vor wenigen Wochen mit überwältigender Mehrheit zugestimmt hat. Wahr ist - all diese Einwände kenne ich -, daß in Amsterdam nicht alles erreicht wurde, was wünschenswert war. Wer solche Verhandlungen führt, weiß, daß man immer wieder an einen bestimmten Punkt ankommt an dem man sagen muß - übrigens genauso wie in der nationalen Politik -: Dies geht heute nicht; das müssen wir uns für die Zukunft aufbewahren. - Aber ich bin ganz sicher, daß wir vor allem in den Fragen der inneren Sicherheit und der Außen- und Sicherheitspolitik wichtige Schritte getan haben. Die Integration des Schengener Übereinkommens in das europäische Vertragswerk und der Aufbau von Europol sind ein ganz entscheidender Impuls.
Auch will ich, meine Damen und Herren, noch einmal erwähnen, daß die in Amsterdam niedergelegten Reformschritte bei den Institutionen, vor allem beim Europäischen Parlament, auf eine gute Entwicklung der Zukunft deuten und daß vor allem die Erweiterung der EU um die Länder Mittel- und Osteuropas ganz entscheidend ist. Wir sind dabei nicht stehengeblieben. Kurze Zeit danach - vor wenigen Wochen ist der Erweiterungsprozeß offiziell eröffnet worden - hat die EU die Verhandlungen über den Beitritt von Polen, der Tschechischen Republik, von Ungarn, Slowenien, Estland und Zypern aufgenommen.
Ich bin dankbar dafür, daß der Bundestag und der Bundesrat auch dem Beitritt Polens, der Tschechischen Republik und Ungarns zur NATO zugestimmt haben. Die Tatsache, daß Polen, die Tschechische Republik und Ungarn jetzt Teil der NATO werden, ist in der Hektik des politischen Alltags in unserem Lande fast untergegangen.
Meine Damen und Herren, es war heute viel von der Zeit vor zehn Jahren die Rede. Daß die Ereignisse der letzten Jahre natürlich nicht mit großer Freude, aber doch mit einer, wenn Sie es so wollen, duldenden Hinnahme Rußlands unter Führung von Präsident Jelzin geschehen sind, ist auch wahr. Es ist gerade für uns Deutsche ein riesiger Erfolg, daß sich hier ein Sicherheitssystem entwickelt und Rußland - es ist unser wichtigster und mächtigster Nachbar im Osten, und die Nachbarschaft der Ukraine gehört in diese Betrachtungsweise mit hinein - sich mit auf diesen Weg begeben hat.
Wenn Sie hier das Fazit ziehen, stellen Sie fest: Der europäische Integrationsprozeß hat innerhalb weniger Jahre eine beachtliche Wegstrecke zurückgelegt. Ich weiß auch, daß uns noch ganz wichtige Abschnitte bevorstehen, nicht zuletzt auch mit Blick auf die Akzeptanz der Bürger unseres Landes.
Die Europäische Kommission wird im November dieses Jahres einen Entwurf der künftigen Finanzausstattung der EU vorlegen. Ich plädiere dafür, daß wir über diese Frage genauso ernsthaft und gelassen miteinander diskutieren, wie wir die Diskussion mit den Bundesländern über einen Stabilitätspakt geführt haben. Ich kann nicht verstehen, warum wir in Europa mit anderen Denkkategorien an die Sache herangehen sollten. Fair ist, daß man darüber redet, was der einzelne gerechterweise beiträgt und beitragen kann.
Im Rahmen der Agenda 2000 - der Begriff verschleiert etwas die Probleme - sind enorme Entwicklungen im Bereich der Strukturpolitik der Gemeinschaft, der Fortentwicklung der Agrarpolitik und vieles andere angesprochen. Stichwort Strukturpolitik: Ich kann überhaupt nicht verstehen, daß wir ein System aufgeben sollen, das über 45 Jahre in der Bundesrepublik funktioniert hat, das zu einem gewissen Wettbewerb, auch mit positiven Ergebnissen für die Bürger, geführt hat. Das soll jetzt an eine zentrale Stelle in Europa abgegeben werden. Das werden wir nicht tun. Das entspricht nicht unseren Vorstellungen.
({38})
Zur Entscheidung über die künftige Finanzausstattung will ich nur ganz einfach sagen: Sie muß sich an den Grundsätzen der Solidarität und der Lastenteilung orientieren. Ein solches System muß ehrlicherweise auch erfolgreiche Entwicklungen einbeziehen. Es gibt eine Reihe von Ländern in der Europäischen Union, die im Blick auf ihren finanziellen Status und ihre wirtschaftliche Kraft - nicht zuletzt wegen ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Union - heute positiver darstehen als noch vor 10 oder 15 Jahren. Deswegen kann man nicht sagen: Was einmal so gewesen ist, muß auch so bleiben. Eine faire Lastenteilung heißt vielmehr auch, einen fairen Status der wirklichen Lage zu erstellen.
Wir werden dabei unsere vitalen Interessen wahren. Es gibt auch keinen Grund, daß wir uns dauernd dafür entschuldigen, meine Damen und Herren. Im Gegenteil: Wenn wir unsere vitalen Interessen nicht anmelden und nicht vertreten, gewinnen wir nicht
mehr Sympathie und Achtung, sondern das genaue Gegenteil. Jedermann erwartet, daß auch wir unsere Interessen vertreten.
({39})
Das ist unsere Aufgabe. Denken wir nur an die Herausforderung angesichts der besonders schwierigen Lage der deutschen Landwirtschaft. Es ist verständlich, daß wir uns hier besonders als Sachwalter betätigen. Deutsche Interessen zu vertreten heißt immer auch, deutsche Interessen in die europäischen Interessen einzuordnen. Wer glaubt, er könne deutsche Interessen radikal zu Lasten des übrigen Europa vertreten, denkt kurzsichtig und falsch. Beides gehört zusammen.
({40})
Meine Damen und Herren, es ist wahr, daß es sich nach dem Kalender so ergibt, daß die deutsche Präsidentschaft vom 1. Januar des kommendes Jahres bis zum Sommer eine ganz wichtige Funktion wahrnimmt. Nicht, daß ich glaube, wir könnten allein die Zukunft gestalten, aber die deutsche Präsidentschaft stellt hier sozusagen einen Eckpfeiler dar. Deswegen ist es verständlich, daß wir, die Bundesregierung und die Koalition, das klare Ziel haben, daß wir, die wir besonders bewährt, erfahren und erprobt sind, diese Präsidentschaft gut führen.
({41})
- Jetzt warten Sie doch mit Demutsgebärde das Wahlergebnis ab. Sie haben Ihre Hoffnungen, wir haben die unseren, warten wir es ab.
({42})
Meine Damen und Herren, wir werden schon in wenigen Wochen beim Europäischen Rat in Cardiff im Juni beginnen, das vorzubereiten, was ich gerade angedeutet habe. Wir werden dabei sehr schwierige Diskussionen haben, etwa im institutionellen Bereich, wenn es um Größe und Struktur der Kommission geht - das ist nicht irgendein Thema; das hat viel mit nationalem Prestige zu tun - wenn es um die Arbeitsweise des Rates, die Stimmengewichtung und auch die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen geht.
Über das Subsidaritätsprinzip habe ich gesprochen. Das wird ein zentraler Punkt der Tagung in Cardiff sein, weil wir jetzt klar Schiff machen müssen, ob wir an diesem Punkt Irrwege, die ich sehe und die ich kritisiere, weitergehen - das wird mit mir nicht zu machen sein - oder ob wir uns zu einem vernünftigen Miteinander auch mit manchen in der Kommission zusammenfinden. Wir wollen keinen europäischen Zentralstaat, keinen europäischen Überstaat. Wir wollen die Europäische Union so, wie sie bei ihrer Gründung gedacht war.
Meine Damen und Herren, wir, die Deutschen, haben mehr Gründe zum Bau des Hauses Europa als alle unsere Nachbarn. Wir haben die längsten Grenzen, wir haben die meisten Nachbarn. Wir haben unsere eigene Geschichte, mit großartigen und mit
schlimmen Kapiteln. Vor allem die schlimmen Kapitel sind in der Erinnerung der Menschen geblieben. Deswegen möchte ich uns allen raten, bei den Entscheidungen, die wir jetzt treffen, immer daran zu denken, daß in unseren europäischen Nachbarländern noch eine Generation lebt, die eine sehr konkrete Erinnerung an diese Kapitel hat, die Schlimmes im Umgang mit Deutschen erfahren hat. Es ist doch eine großartige Sache, daß die allermeisten von ihnen inzwischen von einem anderen Deutschland sprechen. Das ist unser Deutschland. Es ist, so denke ich, unser gemeinsames Verdienst, daß es sich so entwickelt hat.
In einer Konferenz im Dezember 1989 fiel jener unvergeßliche Satz: Zweimal haben wir sie geschlagen, und sie sind wieder da. - Dieser Satz gehört zur Geschichte, aber nicht mehr zur Gegenwart und - wie wir gemeinsam hoffen - auch nicht zur Zukunft.
({43})
Deswegen tragen wir, die Deutschen, in dem Prozeß der europäischen Einigung eine besondere Verantwortung. Wir tragen sie auch aus anderen Gründen, die unübersehbar sind: Wir sind mit 80 Millionen Menschen mit Abstand der bevölkerungsreichste Staat Europas. Wir sind trotz all unserer Probleme wirtschaftlich eines der stärksten Länder. In der Gesamtschau sind wir ein Land, das auf Zukunft ausgerichtet ist. Viele schauen auf uns.
In einigen Jahren werden wir ein neues Jahrhundert beginnen. Nachdem das Zeitalter der Hegemoniepolitik endgültig vorbei ist, muß dies ein Jahrhundert des Miteinander, der Partnerschaft und der Gemeinschaft sein. Deswegen ist es wichtig, diese Entscheidung heute im Bundestag und morgen im Bundesrat zu treffen.
Ich habe in dieser Stunde vielen zu danken, die uns auf diesem Weg begleitet bzw. ihn aktiv mitgestaltet haben. Wie Theo Waigel habe ich vor allem alle meine Amtsvorgänger zu erwähnen: von Konrad Adenauer über Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger und Willy Brandt bis hin zu Helmut Schmidt. Ganz herzlich danke ich - vor allem für die letzten zehn Jahre - Hans-Dietrich Genscher, Klaus Kinkel, der dessen Nachfolge angetreten hat, und vor allem auch Theo Waigel, der in seinem Amt besondere Verantwortung übernommen und getragen hat.
({44})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, lassen Sie uns diese Chance, die eine wahrhaft historische Chance ist, für den Frieden und die Freiheit, für den Wohlstand und für die soziale Stabilität in Europa und in Deutschland nutzen. Die Europäische Kommission hat am 25. März vorgeschlagen, die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Januar 1999 mit elf Mitgliedstaaten zu beginnen. Die Bundesregierung beabsichtigt, dieser Empfehlung zu folgen. Sie bittet den Deutschen Bundestag und - morgen - den Bundesrat, dies zustimmend zur Kenntnis zu nehmen.
({45})
Ich gebe nun als Mitglied des Bundesrates dem Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen, Gerhard Schröder, das Wort.
Ministerpräsident Gerhard Schröder ({0}) ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Bundeskanzler, ich habe natürlich sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen, was Ihre Ziele am 27. September sind. Ich glaube Ihnen, daß Sie gewinnen wollen. Die Frage indessen, die nicht nur ich mir in diesen Tagen stelle, ist die: Wie bringen Sie das Ihrer Partei bei?
({2})
- Das mag ja sein. Aber sie ist richtig!
Ich fand es bemerkenswert, was Herr Bundesminister a.D. Hans-Dietrich Genscher hier an Leidenschaft hat erkennen lassen, wenn es ihm und anderen um das europäische Einigungswerk geht. Ich denke, jeder, der die jüngere deutsche Geschichte ein wenig kennt, wird ihm in Person und anderen diese Leidenschaft, die politische Einigung Europas voranzubringen, auch abnehmen.
Gleichwohl, verehrter Herr Genscher, kann man, denke ich, nicht darüber hinwegsehen, daß unabhängig von dem, was in diesem Hause über die politische Einigung Europas geredet, gedacht und formuliert wird, bezogen auf die Entscheidungen, die vor uns liegen, nämlich die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion zum 1. Januar 1999 einzuführen, beim deutschen Volk ein Legitimationsproblem besteht. Anders ausgedrückt: Es gibt einen Unterschied zwischen der Zustimmung der Menschen zum politischen Einigungswerk und der Zustimmung der Menschen in Deutschland zur Wirtschafts- und Währungsunion.
Wir dürfen über das darin deutlich werdende Legitimationsproblem nicht hinwegreden und es nicht verdrängen - mit welch interessanten und richtigen Worten auch immer; wir müssen uns vielmehr ernsthaft mit ihm auseinandersetzen, sonst werden wir dieses Problem nicht wegbekommen.
({3})
- Ich bin gerade dabei. ({4})
Die Frage ist: Was ist eigentlich der Kern dieses Legitimationsproblems? Der Kern ist eine Erfahrung, die die Deutschen gemacht haben. Für die Deutschen ist die D-Mark nicht nur irgendein Zahlungsmittel. Für die Deutschen im Westen ist die D-Mark das Symbol für den Wiederaufstieg des Landes aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges. Für die Menschen im Osten unseres Landes ist die D-Mark das Symbol für die Teilhabe an Freiheit und an Wohlstand, jedenfalls für die Chance dazu.
({5})
Ich glaube, da liegt das eigentliche Problem, das viele Menschen mit der Abschaffung der D-Mark haben.
({6})
Es wäre fatal, wenn in diesem Hohen Hause für die Ängste, die sich damit verbinden, kein oder nur wenig Verständnis aufgebracht würde.
({7})
Anders formuliert: Wer die D-Mark durch eine gemeinsame europäische Währung ersetzen will, der braucht verdammt gute Gründe dafür. Er braucht sie nicht nur; er muß sie auch vermitteln können. Mein Eindruck ist, daß es diese Gründe gibt.
({8})
- Machen Sie ruhig weiter so! Wenn Sie weiterhin so über die Interessen der Menschen in Deutschland hinwegreden, dann muß man sich überhaupt nicht darüber wundern, wo Sie jetzt stehen.
({9})
Das ist doch der Kern des Problems, das die Menschen in Deutschland mit Ihnen von der Union haben. Sie haben doch überhaupt nicht mehr das Gefühl, daß Sie in dieser oder auch in anderen Fragen ihre Sorgen, ihre Nöte und ihre Interessen ernst nehmen. Deswegen stehen Sie politisch da, wo Sie hingehören.
({10})
Die Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion zum 1. Januar 1999 ist richtig; dafür gibt es gute Gründe. Aber es ist nicht sinnvoll, bei dieser in der Tat historischen Entscheidung nur über die Chancen zu reden; man darf vielmehr die Probleme, die damit verbunden sind, nicht verschweigen.
({11})
Im übrigen, meine Damen und Herren, müssen Sie niemanden in der sozialdemokratischen Partei darüber belehren, wie notwendig es ist, Europäer zu sein und europäisch zu denken.
({12})
Aber im Unterschied zu manch anderem wollen wir die Währungsunion, weil wir vorhaben, die wirtschaftlichen Interessen und Möglichkeiten, die sich damit eröffnen, mit den sozialen Notwendigkeiten, die sich daraus ergeben, zu verbinden.
({13})
Theo Waigel hat in der Debatte am 2. April hier gesagt, der Euro beinhalte ein großes Modernisierungsprogramm. Das mag so sein, wenn auch vor der Ansicht zu warnen ist, daß man über den mit dem Euro entfalteten Druck auf europäischer Ebene durchsetMinisterpräsident Gerhard Schröder ({14})
zen könne, was man national nicht bewerkstelligen konnte.
({15})
Wenn wir es nicht schaffen, die Modernisierungsmöglichkeiten, die in der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion enthalten sind, mit sozialer Verantwortung zu verbinden, dann werden wir das Legitimationsproblem nie lösen können.
Was heißt das im einzelnen? Ich denke, zunächst einmal ist es bedeutsam, daß derjenige, der sich für die Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion ausspricht, zugleich begreifen muß, daß es in Zukunft nicht nur darum gehen kann, über die Europäische Zentralbank und in Respekt vor ihrer Unabhängigkeit nur die Geldpolitik europäisch zu koordinieren. Das wird nicht reichen, wenn der Euro ein Erfolg werden soll. Vielmehr wird es darauf ankommen, alle, aber auch wirklich alle Vorbehalte gegen eine verstärkte europäische, aber auch internationale Zusammenarbeit auf wirtschafts- und finanzpolitischem Gebiet einzustellen.
Ich will es deutlich sagen: Zwei Dinge passen nicht zueinander. Man kann nicht für die Wirtschafts- und Währungsunion eintreten und dann jedes Bemühen, etwa aus der sozialdemokratischen Fraktion, in Europa und weltweit die Koordination von Finanzpolitik zu verstärken, politisch diffamieren. Das paßt nicht zusammen.
({16})
Das paßt deshalb nicht zusammen, weil die Geschichte anders verlaufen ist. Es ist nicht nur richtig, darauf zu verweisen, daß es Bundeskanzler Helmut Schmidt war, der das EWS mit anderen zusammen geschaffen hat und damit eine Bedingung geschaffen hat, um den Schritt, der heute vor uns liegt, überhaupt tun zu können; nein, noch viel mehr muß darauf verwiesen werden, daß er es gewesen ist, der nach zwei Ölkrisen und nach dem Zusammenbruch des Weltwährungssystems als erster die Notwendigkeit erkannte, die Koordination der Wirtschaftspolitik nicht nur europaweit, sondern auch auf Ebene der G-
7-Staaten wirklich in Gang zu bringen. Sie profitieren heute noch davon. Meine Damen und Herren, dies zeigt, daß es falsch ist, den deutschen Sozialdemokraten vorzuwerfen, sie dächten nicht global oder zu wenig europäisch.
({17})
Aber eines ist auch klar: Wir scheuen uns vor dem Hintergrund unserer europäischen Einbindung eben nicht, auch die nationalen Interessen der Deutschen als selbstbewußte und gleichberechtigte Partner zu vertreten. Wo immer wir in der Lage sind, die Interessen der arbeitenden Menschen im nationalen Rahmen optimal zu vertreten, werden wir das tun und dies auch in Europa sehr selbstbewußt unseren Partnern gegenüber sagen.
({18})
Meine Damen und Herren, was sind die Chancen der Wirtschafts- und Währungsunion? Ich denke, hier gibt es wenig Unterschiede. Die gemeinschaftliche Währung in der Europäischen Union - da gebe ich sowohl Herrn Genscher als auch dem Bundeskanzler recht - kann die Position der Europäischen Union im globalen Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsregionen stärken. Das hat etwas mit der Größe und der Bedeutung der neuen Währung zu tun; das ist eine der Möglichkeiten, die wir haben. Sie kann uns mehr Einfluß auf die Spielregeln der Weltwirtschaft verschaffen und kann damit einen Beitrag zu einem überschaubaren Weltfinanz- und -handelssystem leisten.
Aber auch hier gilt: Diese Gemeinsamkeit kommt nicht von alleine. Die muß man politisch schaffen wollen. Wer das diffamiert, wird das nie können.
({19})
Deshalb plädiere ich dafür: Geben Sie die Polemik gegenüber den Forderungen nach mehr weltwirtschaftlicher Zusammenarbeit und nicht weniger, die Oskar Lafontaine, aber auch andere in den letzten Jahren erhoben haben, auf. Denn die Forderungen sind richtig; die Polemik aber ist es nicht.
({20})
Man kann und soll ruhig darauf auch hinweisen, daß es Chancen gibt, die dadurch entstehen, daß in Zukunft durch die gemeinsame Währung in Europa Transaktionskosten nicht mehr notwendig sind. Daß das entlastende Funktionen hat, kann doch überhaupt nicht ernsthaft bestritten werden.
Genausowenig indes - damit werden wir uns in Zukunft auseinandersetzen - kann bestritten werden, daß es Risiken gibt. Ich habe die Debatte von früher noch in den Ohren. Es ist ja versucht worden, die Notwendigkeit einer gemeinsamen Währung damit zu begründen, daß sie uns aktuell und rasch Entlastungen auf dem Arbeitsmarkt bringe. Dies ist ein genauso großer Irrglaube wie jener, der hinter dem Versprechen steht, blühende Landschaften in nur vier Jahren zu schaffen.
({21})
Das Problem, mit dem wir es zu tun haben werden, ist, daß die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung kurzfristig eher zusätzlichen Druck auf dem Arbeitsmarkt entfalten wird. Das kann man ganz einfach erklären: Mit einer gemeinsamen Währung werden die Preise innerhalb Europas total vergleichbar. Sondergewinne in Nischen und in bestimmten Ländern zu realisieren wird in Zukunft unmöglich werden. Wo aber die Preise vergleichbar werden, werden auch die dahinterliegenden Standards, und zwar alle Standards, vergleichbar. Das schafft angesichts der hohen Standards, die wir Gott sei Dank in Deutschland haben und die wir behalten wollen, natürlich einen weiteren Druck, der ökonomisch nur durch zusätzliche Produktivität und deren Entfaltung aufgefangen werden kann.
({22})
Aber, meine Damen und Herren, zusätzliche Produktivität und deren Entfaltung bedeuten ganz
Ministerpräsident Gerhard Schröder ({23})
schlicht mehr Güter und Dienstleistungen in kürzerer Zeit mit weniger Menschen. Da liegt das Problem. Dieses Problems werden wir nicht Herr, indem wir einfach auf die heilsamen Wirkungen des Euro im Export vertrauen. Dieses Problems werden wir nur Herr, wenn wir in Deutschland, aber auch in Europa die Arbeitsmarktpolitik in den Mittelpunkt der Politik überhaupt stellen.
({24})
Was das heißt, werde ich später erläutern.
Der Bundeskanzler hat sehr stark und - wie ich fand - zu Recht gemahnt, gegenüber den südeuropäischen Ländern zurückhaltend mit dem erhobenen Zeigefinger zu sein. Ich wiederhole: Er hat zu Recht darauf hingewiesen. Aber über eines muß man sich im klaren sein: Wenn es uns gelingt - nach meiner Auffassung wird es uns gelingen -, jene Produktivität zu entfalten, die wir brauchen, um die Standards, die wir haben, halten zu können, dann wird das Auswirkungen auf die Wirtschaften der europäischen Partner haben. Diese verglichen mit Deutschland schwächeren Wirtschaften werden auf Grund der fehlenden Möglichkeit der Abwertung, mit der sie ihre Schwäche ausgleichen könnten, Probleme bekommen. Deren Möglichkeiten, darauf mit der Senkung ihrer Standards oder mit verstärkter Produktivität zu antworten, sind angesichts ihrer Wirtschaften begrenzt. Es gibt nur zwei Alternativen: Entweder erleben wir Wanderungsbewegungen, die aber an den kulturellen und an den tatsächlichen Möglichkeiten der europäischen Länder scheitern, oder das Verlangen nach Transfers von den starken in die schwachen Länder wird übermächtig werden.
Der Bundeskanzler und andere haben hier deutlich gemacht, daß die Europäische Union mit den Haushaltsmitteln wird auskommen müssen, die sie gegenwärtig hat. Ich habe zur Kenntnis genommen, daß gesagt wurde, die Nettozahlerposition der Deutschen dürfe sich nicht weiter verschlechtern. Ich glaube im übrigen nicht, daß wir - anders, als ich es gelegentlich lese, auch vom Bundesfinanzminister - in diesem Falle eine Senkung unserer Zahlungen in kurzer Zeit erreichen werden. Aber ich habe zur Kenntnis genommen, daß sich die Bundesregierung dafür verbürgt, daß es die Transfers, die die Leistungsfähigkeit auch der deutschen Volkswirtschaft übersteigen würden, nicht geben wird.
Das wird Auswirkungen auf die vor uns liegenden Entscheidungen haben müssen, insbesondere was die Strukturfonds angeht, aber auch was andere Entscheidungen betrifft. Wir werden sehen, ob die Bundesregierung in der Lage ist, wenigstens hier das zu tun, was sie bei der Realisierung der Versprechen von Amsterdam und Luxemburg bislang nicht getan hat. Die Bundesregierung war - wie auch andere europäische Regierungen - aufgefordert worden, deutlich zu machen, was sie in der letzten Zeit auf dem Sektor der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zuwege gebracht hat, jener zentralen Aufgabe, der sich jede deutsche Politik vor allen Dingen zu stellen hat.
({25})
Wir mußten, Herr Bundeskanzler, ganz entgegen dem, was uns zur europäischen Zuverlässigkeit mitgeteilt wird, leider zur Kenntnis nehmen, daß die Bundesregierung ihre Hausaufgaben nicht und, wenn doch, zu spät und unzureichend gemacht hat.
({26})
Ich denke, das ist kein guter Einstieg in die Diskussion, die wir miteinander führen müssen.
Übrigens, verehrter Herr Genscher, fand ich das, was Sie über den Grund für die europäische Währung gesagt haben, zustimmungsfähig. Sie ist gelegentlich mit dem Hinweis legitimiert worden, bei dieser Währung gehe es um eine Frage von Krieg und Frieden. Sie haben recht: Sie ist mit dem Hinweis legitimiert worden - aber nicht von uns -, dies sei der Preis für die Vergangenheit. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, wenn Sie sagen: Der Euro ist nicht der Preis für die Vergangenheit, sondern eine Option für die Zukunft.
({27})
Die Frage, wie wir damit umgehen und was wir tun müssen, um den Euro stabil zu machen, aber auch eine Währung zu gestalten, auf deren Basis wir Arbeitslosigkeit in Europa besser bekämpfen können, wird im Mittelpunkt deutscher wie europäischer Politik stehen müssen.
Was das und auch was die internationalen Stellungnahmen angeht, haben wir in der Tat wenig Grund, mit dem Zeigefinger auf andere zu zeigen; denn es ist schlicht und ergreifend wahr, daß uns Weltbank und IWF auch ins Stammbuch geschrieben haben, wir müßten neben der Beachtung von Stabilität mehr auf dem Arbeitsmarkt tun. Der Internationale Währungsfonds weist - um das sehr deutlich zu machen - in diesem Monat darauf hin, daß die hohe und dauerhafte Arbeitslosigkeit in Deutschland eine mindestens ebenso große Bedrohung für die Stabilität der gemeinschaftlichen Währung werden kann wie die Probleme, die mit der Staatsschuld etwa in Belgien oder Italien verbunden sind.
({28})
Auch deshalb gilt, daß nur diejenigen politischen Kräfte, die es sich angelegen sein lassen, im nationalen Maßstab die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt ihrer Politik zu stellen, auch diejenigen sein können und sein werden, die neue Arbeitsplätze in Europa zuwege bringen und die dann die Bedingungen für einen wirklich erfolgreichen Euro schaffen.
({29})
Ich denke, daß zwei Probleme wichtig sind: Wenn wir es nicht schaffen, in der Frage der Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung endlich zu mehr Gemeinsamkeiten in Europa zu kommen - hier
Ministerpräsident Gerhard Schröder ({30})
liegt das größte Fehlverhalten der Bundesregierung -,
dann werden wir Probleme mit dem Euro bekommen.
({31})
Es kann ja nicht richtig sein, daß es üblich wird, daß in Amsterdam - um diese Stadt nur beispielhaft zu nennen - eine Unternehmensbesteuerung in Konkurrenz beispielsweise zu Düsseldorf betrieben wird, die internationalen Unternehmen das Wechseln erleichtert und derentwegen es einen Abwerbungswettbewerb auf europäischer und internationaler Ebene gibt.
({32})
Aus diesem Grunde wird es notwendig sein - wenn man einen wirklich erfolgreichen Euro will -, nicht nur über die Steuerharmonisierung zu reden oder sie gar als Internationalismus zu diffamieren, sondern sie zu schaffen. Das haben Sie versäumt.
({33})
Wie wollen Sie darüber hinaus eigentlich eine erfolgreiche Währung in Europa einführen, wenn Sie nicht in der Lage sind, neben der Koordination der Geldpolitik in Europa - mehr als Sie es in der Vergangenheit getan haben - für eine wirklich gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik in Europa einzutreten?
({34})
In all den Jahren, in denen Sie die Gelegenheit dazu hatten, haben Sie das jedenfalls nicht getan.
Ich kann Ihre Versuche, hier ein wenig störend aufzutreten, gut verstehen.
({35})
Doch machen Sie sich gar nichts vor! Eines bleibt wahr: Auch das, was Sie nicht verstehen wollen, verstehen die Menschen, die uns jetzt zuschauen ganz genau. Machen Sie sich da mal gar keine Illusionen!
({36})
Und wenn Sie ganz allein sind, dann gestehen Sie sich das ja auch selbst ein. Das wissen Sie ganz genau.
({37})
Zusätzlich zu den Möglichkeiten, über die EZB Geldpolitik in Europa zu betreiben, müssen in den wichtigsten Bereichen der Wirtschafts- und Finanzpolitik Koordinationsmöglichkeiten geschaffen werden, die weit über die Möglichkeiten hinausgehen, die wir bislang haben. Es ist klar, daß es natürlich nicht zu einer Angleichung beispielsweise aller sozialen Standards in Europa kommen kann; aber es muß doch deutlich werden, daß wir an die Aufgabe herangehen und versuchen, Mindeststandards in Europa zu vereinbaren, damit Sozialdumping ein Fremdwort in der europäischen Politik wird.
({38})
Ein zweiter Problemkreis, auf den ich abschließend hinweisen will, ist folgender: Herr Bundeskanzler, Sie haben im November 1991 hier im Bundestag wörtlich ausgeführt - ich zitiere Sie -:
Man kann dies nicht oft genug sagen. Die Politische Union ist das unerläßliche Gegenstück zur Wirtschafts- und Währungsunion. Die jüngere Geschichte... lehrt uns, daß die Vorstellung, man könne eine Wirtschafts- und Währungsunion ohne Politische Union auf Dauer erhalten, abwegig ist.
({39})
Dies ist erstens richtig und ist zweitens der Grund, warum wir jetzt nüchtern und mit Entschiedenheit darangehen müssen, zu bewerkstelligen, daß über eine gemeinsame Geldpolitik hinaus in den Politikbereichen, die ich genannt habe - seien es die Sozialpolitik, die Wirtschaftspolitik oder die Finanzpolitik -, weit mehr europäische Zusammenarbeit auf die Tagesordnung kommt, als das in der Vergangenheit der Fall war.
({40})
Insofern schließt sich der Kreis natürlich. Es wird jetzt darum gehen, die Rahmenbedingungen, die für einen Erfolg des Euro notwendig sind und die noch nicht hergestellt sind, wirklich herzustellen. Es wird jetzt darum gehen - neben der Notwendigkeit, das in den Mittelpunkt von Wirtschafts- und Finanzpolitik im nationalen Maßstab zu stellen -, auch in Europa die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Jugendarbeitslosigkeit zumal, in den Mittelpunkt jeglicher Politik zu stellen.
({41})
Dies ist nicht nur ein Gebot sozialer Gerechtigkeit; es ist auch ein Gebot ökonomischer Vernunft. Denn auf Dauer sind weder im nationalen Maßstab noch in Europa Zustände, die man als vernünftig beschreiben kann, aufrechtzuerhalten oder neu zu schaffen, wenn es uns nicht gelingt, mit den Kräften, über die wir im nationalen Maßstab verfügen, aber auch mit denen, die wir in Europa mobilisieren müssen, die Arbeitslosigkeit in Europa, die 18 Millionen Menschen betrifft, wirklich ernsthaft zu bekämpfen und an ihrer Reduzierung ernsthaft zu arbeiten.
({42})
Die Wirtschafts- und Währungsunion kann mittel- und langfristig einen Beitrag zu diesem Kampf leisten. Aber das wird uns dann und nur dann gelingen, wenn wir nicht glauben, daß die Europäische Zentralbank allein in der Lage wäre, für die Stabilität des neuen Geldes zu sorgen. Die Stabilität des neuen Geldes hat auch etwas mit stabilen ökonomischen und sozialen Verhältnissen in Deutschland und in Europa zu tun. Um diese Verhältnisse zu schaffen, haben sich andere - ich füge hinzu: sozialdemokratisch geführte - Regierungen in Dänemark, in England, in Frankreich längst auf den Weg gemacht. Zu erreichen, daß die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt der europäischen Politik gestellt wird, haben sich die deutschen Sozialdemokraten mit ihren Partnern in Europa zusammen vorgenomMinisterpräsident Gerhard Schröder ({43})
men. Das werden sie ab dem 27. September diesen Jahres auch in die Tat umsetzen.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({44})
Ich erteile das Wort dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Wolfgang Schäuble.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Schröder, Sie haben sich in Ihrer Rede an einer Stelle beklagt, daß es in meiner Fraktion ein bißchen unruhig gewesen sei. Das tut mir leid.
({0})
- Na gut, ich sage es trotzdem: Es tut mir leid, aber die meiste Zeit während Ihrer Rede war meine Fraktion so ruhig wie Ihre eigene.
({1})
Im übrigen kam die Unruhe an der Stelle auf - jetzt bitte ich Sie um Verständnis -, als Sie sagten, man müsse, wenn man die Chancen, die die Europäische Währungsunion biete, nutzen wolle, zur Steuerharmonisierung kommen. Da Sie zur Zeit Präsident des Bundesrates sind, will ich Ihnen dann doch sagen: Der Deutsche Bundestag hat die notwendige Steuerreform am 30. Juli 1997 verabschiedet. Nur, der Bundesrat hat sie blockiert. Das ist doch die Wahrheit.
({2})
Und wenn es ganz am Anfang ein bißchen unruhig gewesen ist- ({3})
- Ja natürlich; das ist doch völlig klar.
Wenn wir diese Welt betrachten - das hat ja nicht nur etwas mit dem Euro zu tun; Hans-Dietrich Genscher hat ganz zu Recht gesagt, ich komme darauf noch zu sprechen: Der Euro ist die richtige und notwendige Antwort auf die Probleme, die sich aus der Globalisierung ergeben -, dann stellen wir fest, daß wir auch in einem Wettbewerb der Steuersysteme stehen, von den Substanzsteuern bis hin zu den Einkommen- und Körperschaftsteuern.
({4})
Das wird durch den Euro nicht anders.
({5})
Das muß man mit und ohne Euro tun. Deswegen müssen wir eine Steuerreform machen, die uns in bezug auf das Steuersystem wieder international wettbewerbsfähig macht. Sie ist bis jetzt leider nicht zustande gekommen, weil der von allen Sachverständigen in Deutschland inzwischen als richtig erkannten Steuerreform, die die Koalition mit ihren Stimmen im Deutschen Bundestag beschlossen hat, der Bundesrat seine notwendige Zustimmung noch nicht erteilt hat. Sie haben es blockiert.
Deswegen war es an der Stelle so ähnlich unruhig wie an der Stelle am Anfang, als Sie - wissen Sie, da muß man sich schon wirklich beherrschen, ganz höflich und freundlich zu bleiben -, von der Sehnsucht der Menschen in den neuen Bundesländern, in der damaligen DDR, gesprochen haben, die D-Mark zu bekommen. Da fiel mir ein: Wer hat denn dagegen gestimmt? - Niedersachsen und das Saarland, Sie und Herr Lafontaine!
({6})
Wissen Sie, es fällt ein wenig schwer, so ganz einfach zu ertragen, wie man in einer Rede dafür und dagegen sein kann, und zwar für das genaue Gegenteil, und wenn der Vorwurf, den man anderen macht, in so diametralem Gegensatz zu dem steht, was man selber gemacht hat.
Sie sprechen davon - das ist ja richtig; es war ja unsere Politik, und es ist ja ein Erfolg der Bundesregierung, des Bundeskanzlers, des Bundesfinanzministers, von uns allen -, daß diese europäische Währung stabil sein wird, daß das aber mit dem Stabilitätspakt fortgesetzt werden muß. Dann aber müssen wir dazu natürlich in Deutschland unseren Beitrag leisten. Sie haben Sie ja auch gesagt, wie notwendig und richtig es ist, in Europa ganz streng auf Stabilität zu achten. Wenn man dann weiß - und leider wissen wir es halt -, wie Niedersachsen sich in der Frage eines nationalen Stabilitätspaktes verhält, wo Sie sich ausschließlich darauf beschränken, zu sagen: Es müssen unverbindliche Empfehlungen sein!, dann steht das, was Sie hier geredet haben, in einem so fürchterlichen Gegensatz dazu, daß es schwerfällt, ruhig zu bleiben.
({7})
Taten und Worte müssen irgendwo noch in einer erreichbaren Entfernung zueinander sein, sonst geht es nun wirklich zu sehr auseinander.
({8})
Und das will ich dann doch auch noch sagen: Ich habe mir während Ihrer Rede noch einmal den vorläufigen Ablaufplan Ihres außerordentlichen Parteitages am 17. April in Leipzig angeschaut.
({9})
- Ich sage es doch gleich. Ich kann Sie inzwischen gut verstehen. Sie wissen doch alle:
Winken bis zum Ende der Musik
Gerhard Schröder betritt das Rednerpult Die Rede ist dort abgelegt
Ich habe es inzwischen während Ihrer Rede besser verstanden: Ohne Musik, ohne Scheinwerfer ist es ziemlich dünn.
({10})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Schröder hat dazu herausgefordert, einleitend ein paar Sätze dazu zu sagen. Aber nun möchte ich gern zum Thema des heutigen Tages kommen, und das ist die europäische Währung.
({11})
- Jetzt hören Sie mal zu! Wenn Sie das nehmen, was er gesagt hat, dann war meine Antwort an der Untergrenze dessen, was man darauf sagen kann, und sie war so freundlich und nett, wie man sie überhaupt nur machen kann.
({12})
Sie alle haben es doch selber so empfunden.
({13})
Die Entscheidung für die Europäische Währungsunion ist notwendig. Theo Waigel, der Bundesfinanzminister, hat es in seiner Rede gesagt; Hans-Dietrich Genscher hat es in seiner Rede gesagt. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, hier, nicht nur unter vier Augen, sondern vor dem Forum der Nation, Ihnen, Herr Genscher, nicht nur für Ihre Rede, sondern auch für Ihr politisches Wirken über Jahrzehnte und für die gute Zusammenarbeit zu danken. Sie haben uns mit Ihrer Rede heute noch einmal gut in die historische Bedeutung dieser Entscheidung, die wir zu treffen haben, hineingestellt. Auch dafür gebührt Ihnen unser Respekt und unser Dank.
({14})
Ich habe gestern aus einem familiären Anlaß an die Zeit vor 65 Jahren zurückgedacht, an den April 1933. Wenn man so in der Spanne eines Familienlebens diese Zeit mit heute vergleicht, dann muß man schon ein Herz aus Stein haben, wenn man nicht empfindet, wie ungeheuer schicksalsträchtig es ist, daß wir jetzt dabei sind, in diesem Europa, das in diesem Jahrhundert durch Kriege und Diktaturen so unglaublich geschunden war, jetzt durch eine gemeinsame Währung den Prozeß der wirtschaftlichen und politischen Einigung wirklich unumkehrbar zu machen. Wer noch einen Sinn für die Dimension dieser Entscheidung hat, der weiß, daß das wirklich das ist, worum es heute geht.
({15})
Es wird so oft - Sie konnten es sich auch nicht verkneifen; das mag verständlich sein - die Äußerung unseres Bundeskanzlers noch einmal - mißverständlich - wiedergegeben, daß es letzten Endes um eine Frage von Krieg und Frieden gehe. Natürlich ist es nicht eine Frage von Krieg und Frieden - das hat Helmut Kohl nie gesagt -, ob die dritte Stufe der Währungsunion 1999 oder 2002 beginnt. Aber daß die
Frage, ob die europäische Einigung gelingt, in diesem zu Ende gehenden Jahrhundert eine Frage von Krieg und Frieden war und im nächsten eine Frage von Krieg und Frieden sein wird, daran kann doch kein Zweifel sein. Und das ist unsere gemeinsame Verantwortung.
({16})
Das andere ist auch wahr - auch das ist gesagt worden: vom Bundeskanzler, von Friedrich Merz, von Theo Waigel, von Hans-Dietrich Genscher, auch von den Sprechern der Opposition -: Die Europäische Währungsunion ist die richtige, notwendige, angemessene Antwort auf die Prozesse der Globalisierung - übrigens auch der technischen und technologischen Revolution -, die stattfinden und die die Menschen ängstigen.
Es ist doch wahr, daß wir heute, und zwar im banalen Alltag, in ganz einfachen Alltagsfragen damit konfrontiert sind, daß Entfernungen geschrumpft sind, daß Informationen in Sekundenschnelle rund um den Erdball wandern, daß Grenzen nicht mehr trennen und abschotten, was gut ist, aber eben auch Folgen hat. Wir stehen um jeden Arbeitsplatz in einer Wettbewerbsherausforderung, weil andere in einer Welt voller globaler Spannungen ihre Arbeitskraft zu ganz anderen Preisen anbieten. Daß dies die alltäglichen wirtschaftlichen Verhältnisse und den Arbeitsmarkt geradezu revolutioniert, ist doch klar.
Das ist eine Entwicklung, bei der Zusammenhänge übrigens viel komplizierter sind, als wir sie in den Debatten des Alltags häufig darlegen. Ich rate dazu - übrigens auch in den bevorstehenden Monaten bis zur Bundestagswahl im September -, den Menschen die Zusammenhänge nicht einfacher darzustellen, als sie in Wahrheit sind. Wir betreiben am Ende nur das Geschäft der Demagogen, wenn wir die Wirklichkeit einfacher beschreiben, als sie in Wahrheit ist.
({17})
Dieser Prozeß der Globalisierung, der übrigens nicht neu ist - Karl Marx hat ihn schon im 19. Jahrhundert vorhergesagt ({18})
- ja, natürlich -, führt dazu, daß Entfernungen eine immer geringere Bedeutung spielen. Dies hat natürlich zur Folge, daß wir mit Menschen in einem unmittelbaren Wettbewerb stehen, die in völlig anderen Verhältnissen leben. Die Ungleichzeitigkeit von Entwicklungen - das können Sie an jedem Thema festmachen; ich nehme einmal ein alltägliches - zeigt sich zum Beispiel daran, daß heute 14 Tage Urlaub in der Karibik billiger sind als im Schwarzwald.
({19})
- Ich weiß, Sie wollen das rationieren. Sie wollen Bezugsscheine einführen. Aber das ist nicht unsere Vorstellung gewesen.
({20})
Herr Fischer, bei dem Zwischenruf muß ich natürlich darauf zu sprechen kommen. Das ist doch klar.
({21})
- Nein, keine Sorge.
({22})
- Überhaupt nicht. Ich habe sogar so viel Freiheit, Ihnen, Herr Fischer, immerhin meinen Respekt auszusprechen. Mit 50 Jahren einen Marathonlauf zu absolvieren ist wirklich gut. Es macht aber Ihre politischen Auffassungen nicht richtiger.
({23})
Aber jetzt Spaß beiseite. Es ist doch eine ernste Debatte. Man muß den Menschen erklären, worum es geht und worum nicht. Es ist wahr, daß die Menschen Ängste haben, weil sie natürlich mit der D-Mark über fünf Jahrzehnte die Erfahrung verbunden haben, daß es eine stabile Währung ist, und weil sie in Jahrzehnten die Erfahrung gesammelt haben, daß andere Währungen weniger stabil als unsere D-Mark gewesen sind.
Deswegen ist es für die Menschen nicht einfach, das Vertrauen zu haben, daß eine gemeinsame europäische Währung so stabil sein wird, wie es die D-Mark wieder geworden ist, seit Helmut Kohl Bundeskanzler ist. Vorher war sie nicht ganz so stabil. Das können Sie doch nicht bestreiten.
({24})
- Frau Kollegin Schulte, solange die SPD den Bundeskanzler gestellt hat, lagen die durchschnittlichen Inflationsraten jährlich zwischen 5 und 8 Prozent. Jetzt liegt sie unter 1,5 Prozent. Es hat doch keinen Sinn, darüber zu streiten.
({25})
Wir müssen den Menschen zwei Dinge so klar, so einfach und so verständlich wie irgend möglich sagen, nämlich erstens, warum sie darauf vertrauen können, daß die gemeinsame europäische Währung so stabil sein wird, wie es die Menschen zu Recht von der D-Mark erwarten und gewohnt sind. Ich will die Gründe nennen - sie sind schon gesagt worden, aber ich will sie wiederholen -, warum man darauf vertrauen kann, warum es keine vage Hoffnung ist, warum es etwas ist, wofür bereits der Grundstein gelegt ist.
Der Mechanismus dieses Maastricht-Vertrages von 1991 hat doch dazu geführt - das ist doch nicht Zukunftshoffnung, sondern Realität -, daß sich seit 1991 alle Länder in Europa bemühen, diese Stabilitätskriterien zu erfüllen. Das Ergebnis ist überprüfbar. Wir haben nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa die niedrigsten Preissteigerungsraten seit Menschengedenken. Die Sache funktioniert also.
Wir sind heute keine Insel der Stabilität mehr; im Durchschnitt aller Mitgliedsländer der Europäischen Union liegt die Preissteigerungsrate unter 2 Prozent. Das ist ein Erfolg des Maastricht-Vertrages, und deswegen wird es eine stabile Währung sein.
({26})
Das zweite ist für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich Sorgen machen - ihre Sorgen und Ängste muß man ernst nehmen; es hat gar keinen Sinn, darum herumzureden - genauso überprüfbar: Wenn die internationalen Finanzmärkte, in die wir eingebunden sind und von denen wir uns nicht abkoppeln können, erwarteten, daß die europäische Währung weniger stabil werde, als die D-Mark heute ist, dann müßten die Zinsen für Kredite mit einer längeren Laufzeit als, sagen wir einmal, fünf Jahre steigen. Das ist logisch, weil niemand Geld zu Zinssätzen verleiht, die unterhalb der Preissteigerungsrate liegen.
({27})
- Herr Fischer, es mag sein, daß es in Ihrer Fraktion ein paar Grüne gibt, die auch einen solchen Blödsinn machen würden. Aber ein normaler Mensch, der rechnen kann, verleiht Geld nicht zu Zinssätzen unterhalb der Preissteigerungsrate.
({28})
Die Tatsache, daß die Zinsen auch für Kredite mit Laufzeiten von mehr als fünf Jahren, die also längst nach dem Inkrafttreten der vollen Währungsunion noch vergeben sind, so nieder sind wie niemals zuvor, ist der Beweis dafür, daß die internationalen Finanzmärkte, die unbestechlich sind - sie können sich natürlich auch irren; jeder kann sich irren, auch die Finanzmärkte -, von New York bis Tokio damit rechnen, daß die europäische Währung stabil sein wird. Wenn die ganze Welt damit rechnet, daß es eine stabile Währung sein wird, dann, meine Damen und Herren, können wir auch der Währungsunion zustimmen.
({29})
Dann muß man davon reden, warum dies notwendig und richtig ist. Da gibt es zwei Argumentationslinien. Ich rate, beide zu erläutern und mit beiden zu werben. Die eine Argumentationslinie ist, daß eine gemeinsame europäische Währung für alle Europäer wirtschaftlich besser ist, als wenn wir keine gemeinsame europäische Währung hätten. Sie wird nicht über Nacht die Probleme des Arbeitsmarktes lösen. Das hat auch niemand behauptet; wer es behauptete, würde einen Fehler machen. Aber sie wird uns auf mittlere Sicht helfen, unsere Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsprobleme besser zu lösen.
({30})
Wir sind ein exportabhängiges Land. Fast zwei Drittel unserer Exporte gehen in die anderen Mitgliedsländer der Europäischen Union. Eine stabile gemeinDr. Wolfgang Schäuble
same europäische Währung, die die Wechselkursrisiken ausschaltet, verbessert unsere Chancen für Wachstum und Beschäftigung.
Wir sind in die Entwicklung der Globalisierung mit ihren vielen, auch angst machenden Folgen eingebunden. Das sorgt die Menschen. Was wird aus einer Welt, in der sich das Tempo der Veränderungen immer stärker beschleunigt? Was bedeutet es, daß, wenn in Amerika zwei Banken fusionieren, bei uns die Bankaktien steigen, weil alle damit rechnen, daß jetzt der Druck so groß wird, daß es auch in Deutschland eine Fusionswelle gibt? Was bedeutet die Finanzkrise in Indonesien - die Weltbanktagung hat sich gerade damit beschäftigt - für uns in Europa? Wenn man auf diese Fragen nicht billige Antworten oder Leerformeln sucht, die auf Transparenten stehen und hinter denen nichts steckt, dann erscheint es als zwingend, daß ein wirtschaftlich geeintes Europa, ein gemeinsamer Markt - übrigens der verbraucher-, kaufkraftstärkste Markt der Welt; Bundeskanzler Helmut Kohl hat es gesagt - eine bessere Vorkehrung für uns alle in Europa darstellt, in dieser globalisierten Welt zu bestehen. Dazu gehört eine gemeinsame Währung. So einfach und so klar ist das.
({31})
Deswegen werden wir in Europa die Herausforderungen auf Grund der Globalisierung und des technischen und wissenschaftlichen Fortschritts mit Integration besser bewältigen als ohne Integration. Das gilt sowohl im wirtschaftlichen als auch im politischen Bereich. Dazu gehört auch dieser Punkt: An der Schwelle zum nächsten Jahrhundert ist die Aufgabe der politischen Einigung Europas das Wichtigste, das wir für die Zukunft leisten können.
Wenn man gegen Ende dieses Jahrhunderts zurückblickt, denkt man: Mein Gott, was ist uns geschenkt worden! Das ist unvorstellbar angesichts der zwei barbarischen Kriege in der ersten Hälfte. Jetzt haben wir eine Periode von Prosperität, Sicherheit und Stabilität, wie sie ganz undenkbar erschien. Blickt man nach vorne, so erkennt man Sorgen über Sorgen und Zweifel: Wo führt dies alles hin? Es ist eine zwiespältige Lage, in der sich die Menschen befinden. Aus diesem Zwiespalt der Menschen geht deutlich hervor: Je mehr es uns gelingt, zu Gemeinsamkeiten und zur Integration in Europa zu kommen, um so besser ist die Vorkehr für eine gute Zukunft im kommenden Jahrhundert. Auch dieser Punkt steht heute auf der Tagesordnung.
({32})
In diesem Punkt brauchen wir gar nicht unterschiedlicher Meinung zu sein, Herr Ministerpräsident Schröder. Niemand aus der Koalition und der Opposition ist gegen eine Harmonisierung in Europa und weltweit, wo immer möglich. Weltweit würde man sich an Harmonisierung mehr wünschen, als es der Fall ist. Der Unterschied zwischen uns ist vielleicht der, daß wir den Begriff Harmonisierung nicht nur als Leerformel gebrauchen.
({33})
- Oijoijoi, Frau Matthäus-Maier. Ich schicke Ihnen eine Sammlung Ihrer eigenen Reden aus dem letzten Jahr.
({34})
Wenn wir bei konkreten Entscheidungen in der Steuerpolitik, in der Wirtschaftspolitik, in der Finanzpolitik, in der Sozialpolitik gesagt haben: Liebe Leute, wir leben nicht in einem Sandkasten; wir müssen unsere Entscheidungen an dem ausrichten, was um uns herum stattfindet - zum Beispiel mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt, wie in den Niederlanden -,
({35})
dann haben Sie immer gesagt, das sei Sozialabbau, und haben dagegengestimmt. Das ist der Unterschied zwischen uns: Wir gebrauchen Harmonisierung nicht nur als Forderung; wir setzen sie in die Praxis um.
({36})
An dieser Tatsache kommen Sie nicht vorbei.
({37})
- Nein, das ist doch nicht wahr. Es gibt noch einen anderen Unterschied, über den wir schon in der ersten Lesung debattiert haben. Wir können noch einmal darüber reden, wenn Sie wirklich wollen.
Aber zunächst einmal bleibe ich dabei, auch wenn Sie es nicht gerne hören wollen: Wenn es konkret darum geht, unsere eigenen Verhältnisse etwas mehr darauf auf das auszurichten, was andere in Europa und in der Welt machen, damit wir wettbewerbsfähiger sind, dann blockieren Sie immer. Das gilt für das Arbeitsrecht in bezug auf den Kündigungsschutz und für Maßnahmen in der Sozialpolitik, Finanz- und Wirtschaftspolitik. Das ist die Wahrheit.
Weil ein Ministerpräsident eines Bundeslandes, Herr Schröder, anwesend ist, nenne ich noch ein Beispiel. Ich würde mir einmal wünschen, daß sich sozialdemokratische Bildungspolitiker das zum Vorbild nehmen, was der britische Premierminister beabsichtigt, um das Leistungs- und Wettbewerbsprinzip in der britischen Bildungspolitik durchzusetzen.
({38})
Wenn Sie das machen, können Sie Ihre gesamte sozialistische Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte auf den Abfallhaufen der Geschichte werfen.
({39})
Wenn Stabilität und Modernisierung zu Hause beginnt - das ist noch immer wahr, weil wir nicht darauf warten können, daß die Vollversammlung der Vereinten Nationen uns abnimmt, was wir hier im Deutschen Bundestag und im Bundesrat zu beschließen haben -, dann haben die Sozialdemokraten in den zurückliegenden Jahren in bezug auf die Schaffung von Stabilität und Modernisierung und ZurückgeDr. Wolfgang Schäuble
winnung unserer Wettbewerbsfähigkeit kläglich versagt.
({40})
Jetzt kommt die andere Frage, die sich immer wieder stellt. Bei Herrn Schröder hatte ich bisher die Absicht erkannt, daß er diese Frage vermeiden wolle, nämlich: Was soll der Staat machen, und was sollen die freien Kräfte in Wirtschaft und Gesellschaft machen? Bei Lafontaine ist die Sache klar: Je mehr Staat, also je mehr Steuern, Abgaben und Bürokratie, desto eher, so hofft er, werde das Problem gelöst.
({41})
Darum geht es doch beim Streit um die europäische Beschäftigungspolitik. Wir wollen weder in Europa noch in Deutschland die Tarifpartner von ihrer Verantwortung für den Arbeitsmarkt und für Beschäftigung entbinden.
({42})
Sie werden die Erfahrung machen - das wird sich übrigens durch Globalisierung und durch all diese Entwicklungen noch verstärken -: Je mehr Sie den Menschen die Illusion vorgaukeln, daß andere abstrakte Einrichtungen - der Staat, das Kollektiv, Europa, wer auch immer sie davor bewahren könnten, selber das Notwendige zu tun - das fängt in der Bildungspolitik an -, auch selber, soweit möglich, Verantwortung zu übernehmen - das hat etwas mit der Bindekraft unserer Freiheitsordnung zu tun -, desto mehr sind Gesetze notwendig. Wir ersticken in Gesetzen und Bürokratie, und gleichzeitig wird der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft geringer.
({43})
Deswegen: Wer dies ändern will, der darf nicht noch mehr Vertrauen und Illusion in den Staat und staatliche Regelungen schieben, sondern der muß begreifen: Wir müssen die Kräfte von Freiheit, Verantwortung und Solidarität stärken, wenn wir eine bessere Zukunft haben wollen.
({44}) Um dies zu tun, braucht man im übrigen - ({45})
- Ich darf nur daran erinnern: Der Sprecher, der vor mir das Wort hatte, hat darum gebeten, daß er reden könne und nicht durch zu viel Lärm gestört werde. Vielleicht darf ich die Bitte ausweiten. - Er stimmt zu. Es war also auch für mich gemeint. Herzlichen Dank.
({46})
Schauen Sie, so viel demokratische Gemeinsamkeit
haben wir. Aber deswegen bin ich trotzdem nicht für
eine Große Koalition. Nicht daß irgend jemand auf dumme Gedanken kommt.
({47})
- Nein, ich bin überhaupt nicht für eine Große Koalition. Nach Ihrer Rede war ich mir ganz sicher, daß ich schon immer recht hatte.
({48})
Ich wollte noch ein Argument an dieser Stelle sagen. Wenn wir die Kräfte von Freiheit, freiwilliger Solidarität und Eigenverantwortung stärken wollen, weil wir sie in einer Welt solcher Veränderungen stärker brauchen, weil auch Toleranz nicht etwas ist, was man nur ins Gesetzblatt schreibt, sondern was die Menschen leben müssen - ({49})
- Aber natürlich sage ich das. Toleranz braucht übrigens auch - - Wer hat den Zwischenruf gemacht?
({50})
- Dann lassen wir es. Wenn es ein Sozialdemokrat gewesen wäre, dann hätte ich jetzt Äußerungen Ihres Ministerpräsidenten aus Niedersachsen zum Zusammenleben mit ausländischen Mitbürgern zitiert. Ich habe ein gutes Gedächtnis für unverantwortliche Äußerungen, egal von welcher Partei sie kommen.
({51})
- Aber nun lassen Sie es doch.
Wenn Sie dies wollen, müssen Sie die grundsätzliche Ausrichtung von Menschen, das, was ihnen Halt geben kann, stärken und nicht schwächen.
Die Frage der Beliebigkeit ist möglicherweise eine der großen Gefahren für die Zukunft. Vielleicht ist es wichtig, wenn wir gewisse Orientierungen und Wertmarken haben. Ich sage Ihnen: Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt für mich die Frage der europäischen Einigung noch eine zusätzliche Dimension.
Wenn man in einem Moment und an einem Tag, wo wir eine solch wichtige Entscheidung für die Menschen treffen, innehält, dann vielleicht auch in bezug auf das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika und zu anderen Teilen dieser Welt. Es gab viele, die uns noch vor zwei Jahren gesagt haben, wir hätten völlig verloren - der Bundeskanzler erinnert gelegentlich daran; er hat auch ein gutes Gedächtnis -, wir hätten das Spiel gegen die Japaner verloren. Davon kann keine Rede mehr sein. Das ändert sich manchmal sehr schnell. Ich glaube, daß die Vorstellungen und das Erbe von europäischer Kultur und Zivilisation seit der Klassik Athens bis zu all dem, was man christliches Abendland nennt, für die Welt im 21. Jahrhundert vielleicht noch wichtiger sind als in diesem Jahrhundert,
({52})
die Ausrichtung an der Individualität, an der Unverwechselbarkeit jedes einzelnen Menschen, die Notwendigkeit von Formen des Zusammenlebens von Menschen, die Familie als die grundlegende, gemeinschaftsstiftende Form von Zusammenleben auch zwischen Generationen. In einer Zeit, in der das Verhältnis von Jung und Alt in den Industriegesellschaften und bei uns in Deutschland stärker aus der Balance zu geraten droht, als wir es vorher einer Generation erlauben konnten, ist vielleicht auch das Verhältnis von Generationen - und zwar freiwillig, nicht reglementiert - noch wichtiger. Da gewinnt die Familie ihre zentrale Bedeutung. Das alles ist europäisches Erbe und Verpflichtung und Auftrag für das kommende Jahrhundert. Auch deswegen ist die europäische Einigung so wichtig.
Wir Europäer schulden dieser Welt, der wir viel angetan haben - der Bundeskanzler hat vom Erbe der Kolonialzeit gesprochen; auch das gehört dazu -, in unserem eigenen und im weltweiten Interesse im 21. Jahrhundert, daß wir die besten Seiten unseres Erbes auch für die Zukunft mobilisieren. Dazu gehört noch etwas: Dazu gehört auch, daß man der Zukunft eher mit Zuversicht und Mut als mit Mißtrauen und dem Schüren von Angst entgegensieht.
({53})
Wir haben eine Menge Probleme, wer wollte darüber hinwegsehen, aber wir haben auch große Erfolge. Friedrich Merz hat daran erinnert: Es ist schon schön, wenn man jetzt Anzeigen von der SPD lesen darf, in denen darauf hingewiesen wird, daß der Aufschwung kommt. Bei dieser Anzeige hoffe ich, daß Sie sie sogar selbst bezahlt haben und nicht irgendein Anonymus da aufgetreten ist,
({54})
- Na gut, jede Begründung ist schön. Eines scheint sicher: Die Sozialdemokraten gehen davon aus, daß wir auf dem richtigen Weg sind, sonst würde der Aufschwung nicht kommen. Dem kann ich nicht widersprechen.
({55})
- Ja, man wird doch noch seinen eigenen Anzeigen glauben.
({56})
- Vielleicht hat er sie wieder nicht bezahlt.
({57})
- Das hat viel mit dem Euro zu tun. Ihre Rede war: Eigentlich sind wir gar nicht gegen den Euro, aber mit dem Hinweis auf die Arbeitslosigkeit usw. haben Sie dann die Ängste geschürt. Ich sage Ihnen: Alles, was wir in den Jahren seit 1990 an schwierigen Entscheidungen, an schmerzlichen Auseinandersetzungen auf den Weg gebracht haben, wollen Sie doch rückgängig machen. Die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung, die Rentenreform, die Deregulierung im Arbeitsrecht usw. - alles wollen Sie rückgängig machen. Ich behaupte doch gar nicht, daß es einfache Entscheidungen waren. Ich behaupte nur, es waren die richtigen Entscheidungen, und das Ergebnis, daß es vorangeht, daß es aufwärts geht, zeigt, daß es die richtigen Entscheidungen sind.
Ich sage nicht - das kann mir niemand nachsagen -, wir hätten alle Probleme gelöst und seien am Ende aller Anstrengungen. Nein, es wird auch in der Zukunft Anstrengungen brauchen.
({58})
Die Zukunft wird nicht einfach sein. Aber es lohnt sich, sich anzustrengen. Es gibt keinen Grund, zu verzagen. Wir brauchen beides, wir brauchen Zuversicht, wir brauchen Veränderung. Stillstand ist Rückschritt.
({59})
- Deshalb ist die Blockade durch die SPD-geführte Bundesratsmehrheit so schlecht. Bei jedem Zwischenruf muß ich darauf erneut hinweisen.
({60})
- Das ist eben genau der Fehler verehrter Herr Kollege: zu glauben, man komme mit irgendwelchen Ausflüchten weiter. Veränderung heißt gestalten, was in Deutschland verändert werden muß, damit wir auch in Zukunft in Sicherheit leben können.
({61})
Wer behauptet, es könne alles so bleiben, wer den Eindruck erweckt, man brauche gar keine Veränderung, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
({62})
- Sie haben doch gesagt, Sie wollen das rückgängig machen. Lesen Sie doch Ihr Wahlprogramm! So langweilig, daß Sie es nicht selbst zu lesen brauchen, ist es ja dann auch wieder nicht.
({63})
Sie wollen alle Veränderungen rückgängig machen. Sie sagen, bei Ihnen werde alles ein bißchen moderner. Aber wenn man dann fragt, wo konkret, dann geht das Licht aus, dann werden die Scheinwerfer abgeblendet, und die Musik setzt auch nicht mehr ein.
({64})
Wir brauchen Veränderung und Vertrauen. Wir brauchen Kontinuität und Anpassung an neue Herausforderungen. Stillstand ist Rückschritt. Das ist wahr. Aber Sie haben jede unserer Veränderungen bekämpft, wir haben sie gegen Ihren Willen durchgesetzt. Und wir können noch heute die große Steuerreform auf den Weg bringen, wenn der Bundesrat nicht mehr blockiert. Wenn Sie heute erklären, Sie würden zustimmen, machen wir gleich die erste,
zweite und dritte Lesung; morgen im Bundesrat stimmen Sie der großen Steuerreform zu, dann ist sie morgen verabschiedet. Es ist rechtlich möglich, mit Zweidrittelmehrheit von der Geschäftsordnung abzuweichen.
({65})
Veränderung und Vertrauen, beides gehört zusammen. Das brauchen wir auch bei der Einführung der Europäischen Währungsunion. Wer meint, man könne das, was wir an Stabilität, an wirtschaftlichem Wohlstand und an sozialer Sicherheit in diesen 50 Jahren, seit wir die D-Mark haben, bewahren, indem wir alles so lassen, wie es ist, was viele Menschen sich wünschen würden, der hat eine Illusion, die nicht zu erfüllen ist.
Deswegen ist die Wahrheit folgende: Wenn wir das Gute, das in diesen 50 Jahren erreicht worden ist, für das kommende Jahrhundert sichern wollen, müssen wir die Kraft zur Veränderung haben. Dann müssen wir heute dafür stimmen, daß die Europäische Währungsunion eingeführt wird. Deswegen, Herr Bundeskanzler, stimmt die CDU/CSU-Fraktion der Bundesregierung in ihrer Absicht zu, sich auf dem Europäischen Rat dafür einzusetzen, daß die Europäische Währungsunion zustande kommt.
Wir wissen um unsere Verantwortung; Sie tun es auch. Das ist uns gemeinsam und ist zum Ausdruck gebracht worden. Lassen Sie uns doch die Dinge, die nicht streitig sind, auch nicht streitig machen.
Ich wollte es eigentlich am Anfang sagen: Herr Kollege Scharping, ich freue mich, daß Sie wieder gesund sind und wieder hier sind.
({66})
Ich werde gelegentlich gefragt: Muß man nicht in diesen schwierigen Zeiten mehr gemeinsam tun? Damit meinen die Leute, daß alle Parteien in eine Regierung sollen. Ich sage: Die Demokraten haben eine gemeinsame Verantwortung. Sie nehmen sie wahr, als Regierung und als Opposition. Denn unsere gemeinsame Verantwortung ist es, im Wettbewerb von Ideen und Konzepten Freiheit zu organisieren. Das ist der Sinn unseres freiheitlichen Systems. So nehmen wir unsere Verantwortung in einer schwierigen Entscheidung wahr, von der wir wissen, daß viele Menschen voller Sorgen auf diese Entscheidung schauen.
Wir sind uns sicher in dem Bewußtsein, daß die europäische Währung so stabil sein wird, wie es die D-Mark in ihren besten Zeiten war. Wir sind uns ganz sicher: Die Europäische Währungsunion wird uns wirtschaftlich voranbringen, wird uns unsere Zukunftsinteressen besser bewahren. Und wir wissen: Die Einigung Europas ist die beste Vorsorge für eine gute Zukunft im 21. Jahrhundert.
({67})
Das Wort hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Rudolf Scharping.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Entscheidung, die wir heute treffen, hat für die politische und wirtschaftliche Zukunft unseres Landes, der Menschen, die hier leben und arbeiten, eine außerordentlich hohe, weitreichende Bedeutung. Ich finde es gänzlich unangemessen, auf so teilweise niveaulose, kleinkarierte Art zu diskutieren, wie ich das eben gehört habe.
({0})
Wollte ich mich weiter auf dem Niveau des Kollegen Schäuble bewegen, dann würde ich sagen: Er hat für eine neue Rolle trainiert, braucht aber noch ein bißchen Übung.
({1})
Der Beifall seiner Fraktion kann jedenfalls dem Bundeskanzler und dem Bundesfinanzminister nicht sonderlich gut in den Ohren geklungen haben; denn das war auch ein Kommentar zu dem, was Sie sich in den letzten Tagen und Wochen geleistet haben.
({2})
Aber all das können wir uns noch für spätere Debatten aufheben. Das müssen wir doch nicht ausgerechnet in einer Debatte ausbreiten, in der es zum erstenmal seit dem Zweiten Weltkrieg bei einer großen außen- oder europapolitischen Weichenstellung übereinstimmende Auffassungen im ganzen Deutschen Bundestag gibt.
({3})
Wir haben uns um die Westintegration, die das Verdienst von Konrad Adenauer ist, heftig gestritten, und zwar aus durchaus respektablen Motiven. Wir haben uns über die Ostpolitik gestritten. Manche von uns fanden es beachtlich, daß Albanien und die CDU/CSU alleine gegen die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa standen.
({4})
Aber heute, meine Damen und Herren, treffen wir zum erstenmal eine Entscheidung, zu deren Grundlagen wir jedenfalls völlig übereinstimmen. Wir wollen, daß Deutschland in Europa fest eingebunden ist. Wir wollen, daß Deutschland in Europa eine gestaltende Rolle übernimmt. Wir wollen, daß die Europäische Union unumkehrbar wird. Wir wollen, daß der Wirtschafts- und Währungsunion auch die politische Union folgt und daß die Zusammenarbeit der Völker in Europa so eng ist und bleibt und so verbessert wird, daß wir in der Zukunft eine dauerhafte Versicherung gegen das haben, was wir aus den üblen,
mörderischen Erfahrungen der Vergangenheit kennen.
({5})
Meine Damen und Herren, Europa - sein Wachsen, sein Werden, seine Integration - ist ein in der Geschichte der Menschen einmaliges Beispiel klugen politischen Lernens. Nie zuvor haben Völker aus der Erfahrung mörderischer Bruderkriege die Konsequenz der Integration, der Zusammenarbeit, der Versöhnung, der Freundschaft, der gemeinsamen Zukunft gezogen. Vor diesem Hintergrund ist es mir wichtig, deutlich zu machen, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, daß alle in der Sozialdemokratie nicht nur der Einführung einer stabilen gemeinsamen Währung in Europa zustimmen, sondern daß wir dies als einen wichtigen, entscheidenden Schritt zur Integration unseres Kontinents verstehen und daß diesem wichtigen Schritt weitere folgen müssen.
Es gibt Herausforderungen auf unserem Kontinent. Natürlich ist es richtig, wenn alle Befürworter dieses großen Projektes darauf hinweisen, daß die Konvergenz, die Gleichförmigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung, niemals zuvor so erreicht worden ist wie jetzt. Das gilt zum Beispiel für die Zinsen, das gilt für die Inflationsraten, es gilt insbesondere im Hinblick auf die erstaunlichen Fortschritte in Italien, die zu Recht erwähnt worden sind, aber beispielsweise auch im Hinblick auf die Fortschritte in Portugal und Spanien oder in anderen Ländern.
Dies gilt aber leider auch für die Hauptbedrohung unseres wirtschaftlichen und sozialen Lebens, nämlich für die Arbeitslosigkeit.
({6})
Wir können doch nicht den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes und der Europäischen Union nur die - unbestreitbaren - Vorteile beschreiben; wir müssen doch auch offen und ehrlich sagen, daß Europa noch große Aufgaben vor sich hat und daß im Zentrum dieser großen Aufgaben die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Sicherung der Ausbildung der Jugend stehen.
({7})
Ich muß sagen, mich haben die lobenden Worte - sogar des Bundeskanzlers - verblüfft. Es war interessant und hat mich sehr gefreut, aus dem Mund des Bundeskanzlers ein Lob zum Beispiel für italienische Sozialisten zu hören, die sich früher einmal Kommunisten nannten.
({8})
Aber mir geht es jetzt um etwas anderes. Mir geht es darum, daß wir die Ängste der Menschen offen ansprechen, beispielsweise auch die Angst, daß die Stabilität der eigenen Rente oder der Wert der Lebensversicherung, des mühsam erarbeiteten Häuschens oder anderes in Gefahr geraten könnte. Ängste offen anzusprechen, ist etwas ganz anderes, als Ängste zu schüren. Der niedersächsische Ministerpräsident hat sie zu Recht angesprochen. Denn nur dann kann Vertrauen entstehen.
({9})
Man muß den Realitäten ins Auge sehen. Wenn Sie den Realitäten nicht ins Auge sehen, dann kommen Sie zu dieser bornierten Verweigerung, die man auf seiten der Koalition leider feststellen muß.
Was haben wir ringen müssen, damit bei der zweiten Fassung des europäischen Vertrages, bei der Fortschreibung von Amsterdam, eine gemeinsame Verpflichtung der Europäischen Union zu aktiver Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik aufgenommen wurde!
({10})
Was haben wir gemeinsam mit den sozialdemokratischen Regierungschefs ringen müssen! Ich weiß, wovon ich rede, und ich kenne die Widerstände der Bundesregierung und des Bundeskanzlers gegen eine solche Verpflichtung. Auf Dauer aber kann die gemeinsame europäische Währung nur stabil sein, wenn wir auch stabile Gesellschaften, stabile Arbeitsmärkte, stabile soziale Verhältnisse haben.
({11})
Weitblick und Wirklichkeitssinn gebieten nicht nur die Zustimmung zu diesem Projekt, sondern auch die Forderung, mehr zu tun, als nur für die Stabilität des Geldes, für eine niedrige Inflationsrate, zu sorgen. Das ist schon sehr viel. Aber es wird nicht reichen.
Deshalb frage ich, wenn hier schon nach Harmonisierung gerufen wird und Herr Schäuble in diesen Ruf jetzt plötzlich einstimmt: Wie ist denn damit die deutsche Sonderrolle zu verstehen? - Ich will das kurz erläutern.
Anders als beispielsweise in den Vereinigten Staaten, in Japan oder auch in anderen großen europäischen Ländern haben wir in Deutschland eine ganz besondere Situation. In diesen Ländern wächst die private Nachfrage rascher als das volkswirtschaftliche Gesamtprodukt. Das wiederum wächst in diesen Ländern rascher als die Produktivität der Wirtschaft. Als einzigem der großen Industriestaaten ist es in Deutschland genau andersherum. Hier wächst die Produktivität schneller als die wirtschaftliche Gesamtleistung. Diese wächst schneller als die private Nachfrage. Das logische Ergebnis ist eine leider noch wachsende, sich auf hohem Niveau verfestigende Arbeitslosigkeit.
({12})
Der Kollege Schäuble spricht von der Notwendigkeit einer Steuerreform. Das ist richtig, genauso wie es richtig ist, daß die Lohnnebenkosten gesenkt werden müssen und daß wir die Sonderrolle aufgeben müssen, als einziges Land der OECD die Arbeitsplätze, die Arbeitseinkommen und die Massenkaufkraft so stark zu belasten, wie es derzeit geschieht.
({13})
Wenn die Währungsunion ein Erfolg werden soll - wir wollen, daß sie ein Erfolg wird -, dann brauchen wir diesen Schritt der Harmonisierung in bezug auf eine aktive gemeinsame Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik, und zwar nicht in dem Sinne, daß überall das gleiche gemacht wird, sondern in dem Sinne, daß der Rahmen für Beschäftigung und Investitionen in Europa freundlich ist und daß dann in den Ländern und in den Regionen die Vielfalt der Ideen, der Verantwortungsbereitschaft und der Leistung genutzt werden kann. Es geht nicht um ein einheitliches Europa, sondern um ein Europa, das auf einer gemeinsamen festen Grundlage steht und auf dieser Grundlage die Weiterentwicklung von Tradition, Kultur, Heimat - Vertrautem - ermöglicht.
Eines kommt noch hinzu: Wie hat sich denn diese Bundesregierung verhalten, die jetzt von der Notwendigkeit eines gemeinsamen Voranschreitens spricht? Sie hat dies auf der europäischen, auf der internationalen Ebene immer wieder blockiert und behindert.
({14})
Das gilt nicht nur für Schritte zur Senkung der Lohnnebenkosten, zur Entlastung der Arbeit. Das gilt beispielsweise auch in bezug auf die Harmonisierung der Wirtschafts- oder der Finanzpolitik.
({15})
Wer Europa einmal unter dem Gesichtspunkt der Steuerfrage betrachtet und von da aus einmal den Blick in Richtung auf die Frage einer Steuerreform in Deutschland wendet, der wird sehr schnell feststellen: Dänemark und die Niederlande, Großbritannien und Frankreich, Österreich und Schweden und viele andere Länder senken auf der einen Seite die Belastung von Arbeitseinkommen und Arbeitsplätzen.
({16})
Auf der anderen Seite sorgen sie dafür, daß niedrigere Steuersätze mit einer geringeren Zahl von Einzelfallregelungen - in Deutschland nennt man das Schlupflöcher - verbunden werden; das ist alles sehr vernünftig. Gleichzeitig sind sie bereit, den Energieverbrauch, die Ressourcenverschleuderung durch eine höhere Besteuerung stärker zur Finanzierung der allgemeinen Aufgaben heranzuziehen.
({17})
Dieser Weg ist richtig. Ich sage das mit Blick auf die Bemerkungen, die Herr Schäuble sich in den letzten Tagen von Vertretern einer Partei hat anhören müssen, die sich unglücklicherweise nicht nur als Trägerin einer Staatsregierung, sondern auch als Staatspartei versteht
({18})
und die noch im Dezember einen Bericht zu den Fragen des Umweltschutzes verabschiedet hat, auf dessen Seite 49 man fast wortgleich das lesen kann, worüber Sie sich jetzt streiten.
Ich will damit sagen: Eine Koalition, die in den zentralen Fragen der Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik und ihrer notwendigen Harmonisierung in Europa erstens gemeinsame Schritte in Europa blockiert, weil sie - zweitens - konzeptionell in sich total zerstritten ist, ist nicht mehr in der Lage, die Interessen unseres Landes im Fortschritt der europäischen Integration zu wahren und zu fördern.
({19})
Das sage ich nicht nur mit Blick auf die Arbeit, die Arbeitseinkommen, die Lohnnebenkosten, die fehlerhafte Finanzierung der deutschen Einheit, nicht nur mit Blick auf die Steuern und die Notwendigkeit, sie wenigstens dort in Grenzen zu harmonisieren, wo es um Investitionen und Arbeitseinkommen geht, nicht nur mit Blick auf den Gesichtspunkt der ökologischen Schonung unserer Ressourcen - auch das ist ein Element der Verantwortung für die Zukunft und gegenüber künftig lebender Generationen -, ich sage das auch mit Blick auf notwendige unverzichtbare Fortschritte in der gemeinsamen Außenpolitik und in der Sicherheitspolitik.
Wenn wir aber mit Europa weiterhin - das bestimmt ja zur Zeit häufig den öffentlichen Eindruck - institutionalisierte Verfahrensroutine verbinden, Kommuniqués und Sprechblasen, bei denen niemand mehr erkennen kann, was diese Entwicklungen mit seinem praktischen Leben zu tun haben, eine deutliche Schwächung der Demokratie wegen der schwachen Rechte und Möglichkeiten des Europäischen Parlaments - trotz der Stärkung, die mit dem Amsterdamer Vertrag verbunden sind, und es so bleibt, daß die Tagesordnung der Bürgerinnen und Bürger nicht zur Tagesordnung der Politik in Europa wird, dann können wir die Faszination, die Begeisterung, die Hoffnung und die Unterstützung nicht aufrechterhalten, die die europäische Integration braucht, damit sie für die Zukunft tragfähig und fruchtbar ist.
({20})
Herr Kollege Genscher, Sie haben das in einen, wie ich finde, sehr zutreffenden und deutlichen Zusammenhang gestellt. Niemand bestreitet, daß diese Bundesregierung in einigen Fragen und vom politischen Willen her die europäische Integration fördert und ernst nimmt. Aber was nutzt denn das gute Bemühen, wenn die Taten dem Bemühen in keiner Weise mehr entsprechen? Was nutzt es denn, wenn Sie schöne Worte finden - einige sind ja hier gefallen -, ohne daß im konkreten Alltag Schritt für Schritt und nachprüfbar die Realitäten so verändert werden, daß die Bürgerinnen und Bürger unseres Kontinents verstehen, daß mit dieser Wirtschafts- und Währungsunion nicht nur die Stabilität des Geldes, sondern notwendigerweise auch der Kampf um die Stabilität der Gesellschaft und ihrer sozialen Beziehungen, der Kampf um Rücksichtnahme, Gemeinsinn und Solidarität, der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und für die Ausbildung der Jüngeren verbunden sind. Das fehlt; das muß hinzugefügt werden.
({21})
Im übrigen - das sage ich mit Blick auf manche in unserem eigenen Land, die skeptisch sind -, gelängen uns die europäische Integration und die Wirtschafts- und Währungsunion nicht, dann hätten wir gar keine Möglichkeiten mehr, uns in dem weltweiten Prozeß des Wettbewerbs um Standorte, Investitionen, Arbeitsplätze, Leistungen, soziale Stabilität, Wettbewerbsfähigkeit und Neuentwicklungen zu behaupten.
Deutschland ist ein wirtschaftlich außerordentlich starkes Land. Wir Deutsche haben eine besondere Verpflichtung gegenüber Europa. Wir Deutsche, die diesem Kontinent in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts die schlimmsten Erfahrungen beschert haben, haben nicht nur eine historische Verpflichtung, sondern haben auch einen klugen Blick auf unsere europäische Zukunft zu werfen. Aber wir Deutsche, die 80 Millionen Menschen, die in unserem Land leben, sind trotz der starken Position auf Grund der wirtschaftlichen Leistung, die wir gemeinsam erbringen - die Facharbeiter, Ingenieure, Handwerker und andere viel mehr, als die, die hier reden und das respektieren -, im weltweiten Wettbewerb alleine zu schwach. Wir können das alleine nicht durchhalten. Wenn wir das gemeinsam in Europa betrachten, dann kommt noch etwas hinzu - es ist darüber gesprochen worden -: Die Schwankungen in Europas Währungen haben uns mehrere hunderttausend Arbeitsplätze gekostet.
({22})
Ein Land, das so exportorientiert wie Deutschland ist - davon gibt es kein anderes Land auf der ganzen Erde -, braucht stabile Verhältnisse jedenfalls in der Umgebung, in der der größere Teil unserer Geschäfte getätigt wird.
({23})
Beides zusammen ist kluge Zukunftsvorsorge für Deutschland und seine Arbeitsplätze. Wenn wir den verhängnisvollen Trend, daß bei uns die Produktivität schneller als die wirtschaftliche Leistung und diese schneller als die private Nachfrage wachsen, was zu einer sich immer stärker verfestigenden Arbeitslosigkeit, zu einem immer größeren Mangel an Ausbildungsplätzen und zu einer immer stärkeren sozialen Belastung breiterer Gruppen der Bevölkerung führt, brechen wollen, dann brauchen wir eine europäische Integration, in der die wirtschaftlichen und sozialen Belange ernster genommen werden, als es heute von seiten der Bundesregierung geschieht. Gleichzeitig brauchen wir in Deutschland eine Politik, die diesen Visionen und Leitbildern entspricht. Dann kann Europa als das bestehen, was es ja wirklich ist.
In diesen Tagen gibt es - leider nur in den dritten Programmen des Fernsehens - Berichte und Filme, die gut über die bürgerlichen Revolutionen des letzten Jahrhunderts aufklären. Man kann sehen - das weiß ja jeder, der sich damit ein bißchen beschäftigt -, woran und wie diese bürgerlichen Revolutionen gescheitert sind. Man kann auch sehen, spüren und erfahren, woran sie anknüpften.
Meine Damen und Herren, folgendes sollten wir besonders ernst nehmen: Europa ist der einzige Kontinent, von dem aus Aufklärung, Humanismus und die Idee der gleichen Freiheit und Rechte jedes einzelnen Menschen ihren Aufbruch nahmen. Europa ist der einzige Kontinent, der vom Grunde her wirtschaftliche Kraft, soziale Verantwortung, Freiheit des einzelnen und kluge Vorsorge für die Zukunft miteinander verbunden, entwickelt und vorangebracht hat. Das gilt höchstens noch für den nordamerikanischen Kontinent.
Weltweit sind wir aber, selbst zusammen mit den Teilnehmerländern an der Europäischen Währungsunion oder den Ländern der Europäischen Union, ein - jedenfalls auf die Bevölkerung und die Geographie bezogen - relativ kleiner Faktor. Da sich in Asien, in Südamerika, in Nordamerika und vermutlich bald auch in anderen Regionen der Erde Zusammenschlüsse bilden, ist es eine naive, für die Zukunft des Landes aber auch gefährliche Auffassung, daß Deutschland alleine diesen Herausforderungen gegenübertreten könnte.
({24})
Vor diesem Hintergrund verstehen Sie bitte zweierlei: Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, stimmen der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion zu. Wir verbinden das mit einer Erwartung, nämlich damit, daß wir in Europa und vor allen Dingen auch in Deutschland die Politik wieder stärker an den Menschen, an ihren Bedürfnissen, Hoffnungen und ihren berechtigten Erwartungen für die Zukunft orientieren. Wenn uns das gelingt, dann wird die Wirtschafts- und Währungsunion nicht nur ein Schritt, der wichtig, notwendig und im Interesse der politischen Integration unseres Kontinents und seiner weltweiten Handlungsfähigkeit entscheidend sein wird. Dann wird vielmehr auch für die Menschen insgesamt mehr und Besseres herauskommen.
Es ist wichtig, darüber zu sprechen und dem auch zuzustimmen. Das sollten wir nicht durch kleine Auseinandersetzungen, wie es in der Rede von Herrn Schäuble geschehen ist, unsichtbar machen. Das gehört einfach nicht dazu.
({25})
Die verbleibenden fünf Sitzungswochen des Deutschen Bundestages können wir zum Streiten nutzen. Heute aber steht ein gemeinsames Interesse unseres Landes im Mittelpunkt. Das verwirklichen wir auch gemeinsam und verantwortungsbewußt. Danach können wir uns dann darüber streiten, wie wir aus diesem Schritt etwas machen: nicht indem wir uns den Realitäten unterwerfen, wie die Koalition das tut, sondern indem wir die Realitäten gestalten, damit für die Menschen mehr herauskommt.
({26})
Das Wort hat
jetzt der Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Joseph Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stimmt der Einführung der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion zu. Mit diesem Schritt, den der Deutsche Bundestag heute mit großer Mehrheit beschließen wird, wird der europäische Integrationsprozeß eine neue Qualität erreichen. Zur europäischen Integration gibt es angesichts der grauenhaft gewalttätigen europäischen Geschichte, gerade auch in der erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, angesichts ihrer zahlreichen Katastrophen, angesichts der Interessenlage unseres Landes, Deutschlands, und als Antwort auf das Heraufziehen des Zeitalters des Globalismus aus meiner Sicht keine Alternative.
({0})
Man mag, als frei gewähltes Parlament muß man den europäischen Einigungsprozeß kritisieren. Vieles ist unzulänglich. Dies gilt auch für die Kritik am Maastricht-Vertrag. Wir hätten uns eine Parallelität von politischer Integration und ökonomischer, währungspolitischer Integration gewünscht. Aber: dieser Prozeß war nicht zu haben. Die Ökonomie, die Währungspolitik mußte vorangehen.
Die Entscheidungen sind gefallen. Heute ist eine abschließende Entscheidung zu treffen. Vor diesem Hintergrund, glaube ich, muß klar und eindeutig gesagt werden: Wenn der europäische Integrationsprozeß auf Grund der Geschichte, aber auch auf Grund der Herausforderungen der Zukunft alternativlos ist, dann muß heute entschieden und zugestimmt werden. Deshalb haben wir uns für das Ja entschieden.
Der Euro ist ein politisches Projekt. Wir haben ihn heute aber wieder vor allen Dingen als ökonomisches Projekt diskutiert. Ich will nachher auf die Stabilitätsdebatte eingehen, weil ich glaube, daß dadurch mehr verhüllt als aufgeklärt wird.
Im Rückblick wird der Euro, wenn er erfolgreich ist - dieses Wenn, Herr Bundeskanzler, möchte ich hier setzen, und über die Bedingungen des Erfolgs möchte ich hier noch sprechen -, eine konstitutionelle Revolution; denn er wird die Herausbildung eines handlungsfähigen europäischen Subjekts mit sich bringen, für das wir alle gemeinsam einstehen.
({1})
Mit dem heutigen Tag geht ein Abschnitt von 50 Jahren zu Ende. Das bedeutet den Abschied von der D-Mark. Der Abschied von der D-Mark bedeutet ein Stück weit - insofern werden wir alle miteinander gut beraten sein, die Ängste, aber vor allen Dingen auch die Emotionen, die hinter diesen Ängsten stehen, ernst zu nehmen - auch einen Abschied von einer erfolgreichen - eigentlich der einzigen erfolgreichen - demokratischen Phase in unserer nationalen Geschichte. Die Bindung an die D-Mark war viel mehr als Ökonomie. Sie war auch die Abkehr der Deutschen von den Verirrungen und Verführungen des Machtstaates und von einer prinzipienlosen, die
Menschenrechte ignorierenden Machtpolitik. Das dürfen wir nicht vergessen.
Wenn wir die Zukunft des Euros diskutieren, müssen wir auch die Wertefrage diskutieren. Wenn wir über die Chancen und Risiken des Euros diskutieren, dürfen wir nicht vergessen, daß wir nicht nur über Geld reden, sondern daß wir, wenn der Euro ein Erfolg werden soll, immer auch über die normative Grundlage dieses entstehenden Europas sprechen müssen; ansonsten werden wir die Menschen als politische Klasse zurücklassen.
({2})
Die europäische Teilung ist nicht nur das Ergebnis zweier Weltkriege gewesen - Europa war der Schauplatz von drei Weltkriegen; den kalten Krieg kann und muß man dazurechnen -, nicht nur das Ergebnis der Machtpolitik Stalins, sondern auch das Ergebnis der Auslieferung der Deutschen und Deutschlands an einen Verbrecher namens Hitler. Die Rote Armee wäre nicht nach Berlin gekommen, die deutsche Teilung hätte es nicht gegeben, wenn es in Deutschland nicht das verfluchte Jahr 1933 gegeben hätte. Das dürfen wir nicht vergessen.
({3})
Ich rate uns allen, gerade den Jüngeren, das nicht zu vergessen. Unsere Nachbarn vergessen das nicht.
Es gehört sich eigentlich nicht, den Bundeskanzler im Wahljahr in Schutz zu nehmen. Aber sowohl von François Mitterrand als auch von Helmut Kohl muß ich sagen: Ich finde ihre Haltung nicht altmodisch. Sie ist das Vermächtnis einer abtretenden Generation, das gerade die Deutschen pflegen müssen.
Es geht nicht darum, daß wir die D-Mark für unsere Geschichte hergeben müssen; vielmehr geht es für uns darum, zu begreifen, daß die Einbindung Deutschlands, dieses großen Landes, gelegen in der Mitte Europas, in die europäischen Interessen bedeutet, daß unsere nationalen Interessen immer nur durch europäische Interessen definiert werden und daß dies auch in Zukunft die Voraussetzung des Erfolgs jeder demokratischen Politik in Deutschland sein wird.
({4})
Daran werden wir uns erinnern und festhalten müssen.
Herr Kollege Genscher, jenseits der parteipolitischen Einsprengsel, die in Ihrer Rede selbstverständlich enthalten sein mußten, möchte ich mich für Ihre Rede bedanken. Sie haben eine große Rede gehalten, in der Sie noch einmal die Grundlagen der deutschen Politik in und für Europa und damit für uns selbst klargemacht haben. Ich gratuliere Ihnen zu
Joseph Fischer ({5})
dieser Rede und wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft.
({6})
Gerade weil ich zum Euro ein klares Ja sage, müssen wir uns die Frage stellen, warum, obwohl wir uns unter den demokratisch gewählten Abgeordneten dieses Hauses in großer Mehrheit einig sind, sich diese Einigkeit im Volk nicht widerspiegelt. Ich denke, das hat sehr viel damit zu tun, Herr Bundeskanzler, daß wir den Mut nicht hatten, eine Volksabstimmung durchzuführen. Ich betone: Wir - mit „wir" meine ich, daß wir auf derselben Seite gefochten hätten - hätten gewonnen, weil es nicht parteipolitisch zugegangen wäre, sondern um ein Ja oder Nein im Rahmen einer Volksabstimmung. Wir hätten zwar ähnlich knapp wie in Frankreich, aber mit der Wirkung gewonnen, daß das Volk nachvollzogen hätte, was seine Repräsentanten in richtiger und vorausschauender Politik für notwendig gehalten haben.
({7})
Herr Bundeskanzler, es macht ein Stück weit Ihre Tragödie aus, daß immer wieder dann, wenn es darauf ankam, bei der politischen Integration einen entscheidenden Schritt vorwärts zu tun und auch hier zu öffnen, der Parteipolitiker Helmut Kohl letztendlich in Bedrängnis geraten ist. Dessen Bedrängnis kann ich sehr gut nachvollziehen, wenn ich mir den Aufstand der CSU in dieser Frage anschaue. Ich bin der letzte, der hier die Nase hebt. Auch ich habe im eigenen Laden Ärger genug. Gott sei Dank sind wir alle hier - auch der Kollege Schäuble - mittlerweile mit Ärger reichlich gesegnet; insofern können wir offen miteinander reden.
Es hätte dem europäischen Integrationsprozeß durch die Bereitschaft des deutschen Volkes, in seiner Mehrheit mitzugehen, sehr gutgetan, wenn wir den Schritt zu einer Volksabstimmung gewagt hätten. Diesen Schritt hätten die Bundesregierung und die Koalition machen müssen.
({8})
Meines Erachtens resultieren die Ängste vor allen Dingen aus zwei strukturellen Punkten.
Der erste Punkt ist das Demokratiedefizit. Ich halte es für einen Ausdruck von Reife, wenn die Mehrheit unseres Volkes gegenüber einer ökonomischen Souveränitätsübertragung auf die europäische Ebene, ohne daß zuvor eine Demokratisierung stattgefunden hat, sehr reserviert ist. Diese Kritik teile ich; sie ist für mich Ausdruck demokratischer Reife.
Der zweite Punkt ist das Gerechtigkeitsdefizit. Wir können einfach nicht ignorieren, daß die Wirtschafts- und Währungsunion von vielen Menschen in der Europäischen Union als eine Entwicklung, die mehr Arbeitslosigkeit mit sich gebracht hat, die mehr Lasten bei den Menschen unten abgeladen und mehr Entlastung bei den Menschen oben hervorgerufen
hat, erfahren wird. Es ist eine völlig andere Frage, daß dies ursächlich nicht mit der Wirtschafts- und Währungsunion zu tun hat, sondern mit einer falschen Politik.
Wir unterscheiden uns nicht hinsichtlich der Frage einer strukturellen Erneuerung. Sie selbst erleben ja gegenwärtig, wie weit die Erneuerer in Ihrer eigenen Partei sind. Mit der bescheidenen Vorstellung, eine Ökosteuer auf europäischer Ebene einzuführen - dies wäre gewissermaßen nur das dringend notwendige Minimum -, haben Sie bereits sämtliche „Stillstandsapostel" aus der CSU mobilisiert, die Ihren Programmentwurf Schlichtweg einstampfen wollen.
Wenn ich mir vorstelle, daß wir weitergehen und zum Beispiel wirklich eine Senkung der Lohnnebenkosten bei der Rentenversicherung um etwa drei Prozentpunkte - vier Prozentpunkte wären besser; das würde je Prozentpunkt 15 Milliarden DM ausmachen - gegenfinanzieren, dann möchte ich den Aufschrei hören, der durchs Land geht.
Ich sage Ihnen, daß das Gerechtigkeitsdefizit neben dem Demokratiedefizit angesichts von 18 Millionen Arbeitslosen die zweite Ursache für die EuroSkepsis ist, die es in diesem Lande gibt.
({9})
Deswegen gestatten Sie mir, daß ich einmal versuche, diese beiden Punkte durchzuanalysieren. Es ist merkwürdig: Immer wenn es im europäischen Einigungsprozeß um Wirtschaftsfragen geht, sind Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ein antreibender Faktor. Bei den Verhandlungen über den Vertrag von Amsterdam aber hat sich Helmut Kohl zum erstenmal eher als Bremser betätigt. Ich frage mich, inwieweit Sie - damit meine ich auch die Koalition, die Konservativen - tatsächlich zu einem weitergehenden politischen Integrationsprozeß in der Lage sind. Wenn Sie sich einmal das Abstimmungsverhalten der Gaullisten in Frankreich anschauen und das nicht nur in kleinlicher parteipolitischer Hinsicht bewerten, dann werden Sie feststellen, welche Probleme auf das konservative Lager auch in Deutschland bei einer voranschreitenden europäischen Integration tatsächlich zukommen. Die Konservativen in Großbritannien haben ähnlich schwere Probleme.
Ich möchte Ihnen das an sehr praktischen Beispielen verdeutlichen. Ich habe vorhin gesagt - da haben Sie alle genickt -, daß die normative Grundlage dieses zusammenwachsenden Europas klar sein muß. Das bedeutet auch eine Abkehr vom Nationalstaat. Die Nationalstaaten werden bestehenbleiben, aber wir wachsen zusammen; wir übertragen Souveränitätsrechte. Ich frage Sie: Wie paßt denn Ihre Haltung zum Staatsbürgerrecht zu einem zusammenwachsenden Europa? Das würde mich einmal interessieren.
({10})
Nein, nein, schätzen Sie das nicht gering ein, halten Sie das nicht für kleinliche Innenpolitik. Es stellt sich die Frage, wie weit wir bereit sind, hier ein euroJoseph Fischer ({11})
päisches Staatsbürgerrecht durchzusetzen und uns ein Stück weit von einem nationalen Staatsbürgerrecht zu verabschieden. Zu Europa gehört der europäische Citoyen. Das setzt voraus, daß wir unser Staatsbürgerrecht entsprechend dem europäischen Standard harmonisieren.
({12})
Sie reden viel von Harmonisierung. Aber wie ist es denn zu verstehen, daß junge Menschen mit türkischen Vorfahren, junge Menschen, die hier, in diesem Lande, geboren werden - die zweite, die dritte Generation -, nicht selbstverständlich in den Genuß eines solchen europäischen Staatsbürgerrechts an der Schwelle zum 21. Jahrhundert in Deutschland kommen sollen?
({13})
Ich frage Sie, Herr Bundeskanzler, ob es Sie nicht wirklich alarmieren muß, daß von einem Rechtsradikalen wie Le Pen das nach wie vor gesetzlich geltende deutsche Staatsbürgerrecht als Vorbild bezeichnet wird. Ich frage Sie, ob Sie als Europäer das nicht in höchstem Maße alarmieren muß.
({14})
- Reden Sie doch nicht über die Unionsbürgerschaft. Die Frage ist doch, wie Sie heute mit den Bosniern umgehen, die Sie möglichst schnell wieder loswerden wollen. Sie sind doch auch wie ich der Meinung, daß wir eine doppelte Staatsangehörigkeit brauchen, daß wir selbstverständlich den hier Geborenen ein entsprechendes Angebot machen müssen.
({15})
- Also gut, ein junger Wilder, der nicht dafür ist. Dann nehme ich das zurück. Entschuldigung, da habe ich mich in Ihrem Lebensalter getäuscht. Es tut mir leid. Ich nehme das zurück.
({16})
Ich möchte Sie nicht für etwas vereinnahmen, wofür Sie nicht sind. Ich sage nur: In der Union gibt es genügend jüngere Abgeordnete, die das genauso sehen wie wir, auch ältere Abgeordnete. Wir hätten im Deutschen Bundestag für die notwendigen Änderungen schon längst eine Mehrheit, wenn Sie endlich Ihre Blockade in diesem Punkt aufgeben würden. Aber bitte!
({17})
Für mich ist das symptomatisch, was den politischen Integrationsprozeß betrifft.
Ich habe mir das angehört, was der Kollege Stoiber gesagt hat. Ich habe mir angehört und habe gelesen,
wie die Haltung der Bayerischen Staatsregierung zur Agenda 2000 aussieht.
({18})
- Herr Ministerpräsident Stoiber, immer noch; bitte.
({19})
Ich habe noch die Attacke auf Bundesaußenminister Kinkel im Ohr. Es geht nicht darum, ob Sie, Herr Kinkel, das ertragen oder nicht, sondern es geht darum, was tatsächlich dahintersteckte. Sie waren ja nicht gemeint. Herr Stoiber weiß ja sehr gut - bei aller Bedeutung, die Sie für den europäischen Einigungsprozeß haben und die ich überhaupt nicht schmälern möchte -, daß der Bundeskanzler und das Bundeskanzleramt, die ja eine sehr zentrale Rolle beim europäischen Einigungsprozeß und auch bei der Agenda 2000 spielen, gemeint waren. Wenn ich diese Äußerungen einmal in die Zukunft hineinprojiziere und wenn ich die vielen Stabilitätsreden, die hier gehalten werden, und auch solche Reden, wonach das alles nichts kosten wird, berücksichtige, dann muß ich doch deutlich sagen: Ja aber, liebe Leute, wir müssen unserem Volk sagen, daß die Osterweiterung der Europäischen Union natürlich nicht zum Nulltarif zu haben sein wird. Und dann wird man sagen können: Bitte schön, keine weiteren Kosten und ähnliches.
Machen Sie einmal die umgekehrte Rechnung auf, was es für Deutschland bedeuten würde, wenn eine Zone der Instabilität, der Nicht-Integration, des Hinhaltens und ähnlichem östlich von unseren Grenzen entstehen würde - von der moralischen Verantwortung, die der Bundeskanzler heute angesprochen hat, und der historischen Verpflichtung ganz zu schweigen. Es würde wesentlich teurer werden.
({20})
Es liegt in unserem elementarsten Interesse, daß es zur Ost- und Süderweiterung der EU kommt. Nur, wir müssen unserer Bevölkerung dann auch klipp und klar sagen, daß dies entsprechende Anpassungsprozesse voraussetzen wird, die nicht einfach sein werden. Vor allen Dingen: Dies wird kein kostenneutraler Prozeß sein. So ehrliche Worte hätte ich mir gewünscht. Nur, was ich bei Herrn Stoiber und bei Teilen der CSU, die er vertritt - ich weiß nicht, welche Teile Herr Glos hier vertritt -,
({21})
herausgehört habe, ist, daß ihnen dieser ganze Prozeß nicht paßt. Der Bundeskanzler hat heute ja zu Recht darauf hingewiesen, als er sagte: Unter den Leuten, die den Euro kritisieren, sind einige, die ihn gar nicht wollen. Da kann ich Ihnen sagen: Da hätten Sie Stoiber dazurechnen müssen. Denn ganz offensichtlich wollen nach dem, was ich gehört habe, diese Teile der CSU - ich weiß nicht, ob das nicht auch für
Joseph Fischer ({22})
Teile der CDU gilt - den Osterweiterungsprozeß so nicht, sondern zu Bedingungen, die Deutschland gewissermaßen diktiert. Dahinter steckt, daß sie natürlich auch den Vertiefungsprozeß nicht wollen.
Damit komme ich auf das Interview des Kollegen Stoiber in der „Süddeutschen Zeitung" unmittelbar nach der deutschen Einheit zu sprechen, in dem er klar gesagt hat: Jetzt sind wir vereint, jetzt ist es zu Ende mit der europäischen Phase in unserer Geschichte; jetzt können wir wieder unsere eigenen Wege gehen. Das ist ein falscher Weg; das ist ein Irrweg. Nur, wir müssen klar darauf hinweisen, daß in der Regierungskoalition, namentlich in der CDU/ CSU, dieser Widerspruch nicht nur existiert, sondern daß er dort allmählich stärker wird und machtpolitisch bedeutsame Züge annimmt.
Wenn sie hier schon auf andere hinweisen, dann hätte ich mir gewünscht, daß sie diese Sachverhalte klipp und klar darstellen. Viele Angriffe, Herr Kollege Schäuble, die Sie betrafen, zeigen: Man will verhindern, daß Sie Kanzlerkandidat nach dem kommenden Sonntag werden; das ist mir schon klar. Aber dahinter steckt natürlich auch etwas anderes.
({23})
- Mit Herrn Schröder muß ich mich nicht auseinandersetzen. Sie sind die Regierung; Sie tragen die Verantwortung für die Verhältnisse hier im Lande.
({24})
Da sie sich jetzt wie Hasen in die Furche legen und beklagen, daß die Bürokratie in diesem Lande wuchern würde, kann ich ihnen nur sagen: Unter seiner Ägide wuchert es seit 16 Jahren und nicht unter unserer.
({25})
Meine Damen und Herren, ich möchte mich ausdrücklich bei Herrn Genscher und beim Bundeskanzler dafür bedanken
({26})
- und wenn der Kollege Schäuble diese Maximalposition teilt, dann bedanke ich mich auch bei ihm -, was hier über Italien gesagt wurde. Ich kann das nur nachdrücklich unterstützen.
({27})
Ich möchte hier darauf hinweisen, daß ich auch die großen Anstrengungen, die Griechenland unternimmt, respektiere, auch wenn es bis jetzt noch nicht soweit ist. Dennoch bin ich der Meinung: Wir sollten uns generell eine gewisse Arroganz - auch und gerade nach der Aktion „Goldraub" und der Not des Theo Waigel, die wir hier alle gemeinsam erlebt und genossen haben - im Umgang mit den südeuropäischen Ländern definitiv abgewöhnen. Das tut uns nur gut.
({28})
Der zweite Punkt ist, wie gesagt, das Gerechtigkeitsdefizit. Das wird meines Erachtens nach in weiten Teilen zu Unrecht Europa angelastet. Denn es ist ja so: Ökonomisch dominiert sehr stark die Bundesrepublik Deutschland. In ökonomischer, währungspolitischer und arbeitsmarktpolitischer Hinsicht dominiert sehr stark die Politik der Bundesregierung. Ich möchte mich in der verbleibenden Zeit noch etwas mit der Stabilitätsdebatte auseinandersetzen. Stabilität wird hier als Fetisch gehandhabt. Stabilität wird hier deswegen als Fetisch gehandhabt, weil hinter der Stabilitätsdebatte natürlich etwas anderes steht. Hinter der Stabilitätsdebatte steht, daß alle anderen europäischen Nationen sich gefälligst auf die Vorgaben der deutschen Politik einzulassen haben.
Ich empfehle, Herr Bundeskanzler, die Lektüre des heutigen „Handelsblatts", Seite 2, wo sehr sorgfältig die Entscheidung der Französischen Nationalversammlung analysiert und sehr sorgfältig auf die deutsch-französische Achse eingegangen wird. Ich halte die deutsch-französische Achse für unverzichtbar, für nicht ersetzbar durch eine Triade, durch nichts dergleichen. Bis sich Großbritannien definitiv für Europa entscheidet und eine ähnliche Motorrolle wahrnehmen kann, wie dies Deutschland und Frankreich tun, wird es noch lange dauern. Ich weiß nicht, Gerhard Schröder, ob wir beide das erleben werden. Auf jeden Fall halte ich diese deutsch-französische Achse für unverzichtbar.
Aber man muß auch wissen, daß Frankreich eine andere Kultur hat und daß Frankreich vor zehn Jahren, seit Mitterrand, die Politikwende durchgeführt hat und auf Stabilitätskurs gegangen ist und einen enorm hohen Preis zahlt in Form von Arbeitslosigkeit und sozialer und zunehmend auch politischer Destabilisierung. Das große Problem, das ich sehe, ist, daß, wenn wir weiterhin die Stabilität so einseitig, wie Sie es getan haben, definieren, der Euro sehr schnell politisch unter Druck geraten wird - das wird das große Problem sein -, weil die anderen Länder diese Stabilitätspolitik nicht nachvollziehen wollen und nicht nachvollziehen können, ohne in eine politische und soziale Destabilisierung hineinzulaufen.
Das heißt: Wenn wir mit unserem Volk ehrlich reden wollen, dann verstehe ich zwar, daß man sich hier als Konservativer hinstellt und sagt: „Der Euro wird genauso stabil wie die D-Mark" , aber ehrlicherweise, Herr Kollege Schäuble - das wissen Sie ganz genau -, müßten Sie hinzufügen, daß natürlich die Stabilitätsleistung, die die Europäische Zentralbank zu erbringen hat, nicht nur auf deutsche Interessen Rücksicht nehmen darf.
({29})
Joseph Fischer ({30})
Wenn dem aber so ist, dann heißt der Integrationsprozeß natürlich auch, daß wir den Schritt - und da will ich hin - zu einer politischen Integration brauchen. Das ist für mich der entscheidende Punkt. Herr Bundeskanzler, ich glaube nicht an den Erfolg des Euro, wenn wir nicht wirklich anfangen, jetzt und in den kommenden Jahren den Knoten durchzuhauen, was dann den politischen Integrationsprozeß und die Vergemeinschaftung von Wirtschafts-, Währungs-
und Sozialpolitik tatsächlich mit sich bringt, weil ich nicht sehe, wie dann die sozialen Widersprüche der jeweiligen nationalen Wirtschaftsräume, die nach wie vor existieren werden, trotz des gemeinsamen Währungsraums, politisch unter einen Hut gebracht werden können. Das zeigt die Auseinandersetzung, die gestern in der Französischen Nationalversammlung stattgefunden hat. Das muß uns alle sehr nachdenklich machen.
Deswegen, meine Damen und Herren: Der Euro kann zum Erfolg werden, wenn die Bedingungen erweitert werden, wenn wir Stabilität nicht nur als Geldwertstabilität definieren, sondern auch als soziale Stabilität. Das wird eine der zentralen Voraussetzungen. Sie, Herr Bundeskanzler, haben große Verdienste um den europäischen Einigungsprozeß. Sie haben mit dem heutigen Tag Ihr zweites großes Ziel erreicht. Was ich aber nicht glaube, ist, daß Sie die Kraft haben werden, in dieser Konstellation auch den politischen Einigungsprozeß, der jetzt vor uns steht, noch in Angriff zu nehmen.
({31})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Carl-Ludwig Thiele, F.D.P.-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Fischer, wir respektieren, daß Ihre Fraktion heute der Europäischen Währungsunion zustimmt. Gleichwohl sind wir der Auffassung, daß Sie als Vertreter einer Fraktion, die nicht in der Lage ist, den Beitrittswünschen - das ist vorhin vom Kollegen Genscher angeprochen worden - insbesondere von Polen und Ungarn zur NATO, die mit dazu beitgetragen haben, daß wir heute diese Diskussion führen können, zuzustimmen, jegliche außenpolitische Kompetenz verspielt haben.
({0})
Die Grünen geben keine europäische Antwort, weder auf die Sicherheitsbedürfnisse der Menschen noch auf die Zukunftsvorstellungen der mittel- und osteuropäischen Staaten, noch auf den inneren Zusammenhang in Gesamteuropa. Sie sind international nicht handlungsfähig. Sie sind international nicht auskunftsfähig. Deshalb sind Sie national nicht regierungsfähig.
({1})
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, der Bundestag debattiert heute in zweiter und dritter Lesung die Einführung des Euro in Deutschland und in zehn weiteren europäischen Partnerländern. Dies ist eine äußerst bedeutsame Entscheidung. Seit der deutschen Einheit ist dies wohl die wichtigste Entscheidung, die der Deutsche Bundestag zu treffen hat.
Diese Entscheidung darf und kann sich weder ein einzelner Abgeordneter noch der Finanzausschuß, noch der Deutsche Bundestag einfach machen. Deshalb haben wir in vielen nichtöffentlichen Sitzungen, aber auch in vielen öffentlichen Sitzungen dieses Thema gemeinsam mit dem Europaausschuß behandelt: mit Herrn Bundesbankpräsident Dr. Tietmeyer, mit Kommissar de Silguy, mit Außenminister Kinkel, mit Finanzminister Waigel und mit dem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl. Ich glaube, daß wir an dieser Stelle dem Informationsbedürfnis der Mitglieder dieses Hauses, aber auch der Öffentlichkeit Rechnung getragen haben.
({2})
Ich weiß und wir alle wissen, daß sich mit der Einführung des Euro Sorgen und Ängste vieler Bürger verbinden. Ältere Menschen in unserem Lande haben zwei Weltkriege und zwei Währungsreformen erlebt. Für viele Bürger steht deshalb die Deutsche Mark, die D-Mark, für eine beispiellose historische Erfolgsgeschichte unseres Landes. Vor allem aber steht die D-Mark für Sicherheit und Wohlstand unserer Bürger im Erwerbsleben, aber auch im Alter. Mehr als 50 Jahre Frieden, mehr als 50 Jahre Stabilität - wie in der Zeit nach dem Ende des zweiten Weltkrieges - hat es in Deutschland noch nie gegeben.
Gerade die Bürger in den neuen Bundesländern haben erst in der Folge der deutschen Einheit erfahren, daß es für die D-Mark etwas zu kaufen gibt, daß die D-Mark in der freien und sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland einen anderen Wert als die Ostmark in der sozialistischen Planwirtschaft der DDR hat. Insofern ist es vollkommen verständlich, daß viele Bürger die D-Mark als den stabilen Teil der deutschen Geschichte betrachten. Insofern ist es auch verständlich, daß viele Bürger Ängste und Sorgen haben, daß es diese D-Mark zukünftig nicht mehr geben wird, sondern nur noch den Euro.
Die Geschichte unseres Landes hat aber auch gezeigt, daß grundlegende Weichenstellungen in unserem Lande immer von Ängsten und Sorgen begleitet waren.
({3})
Sie hat vor allem aber gezeigt, daß diese grundlegenden Veränderungen in der Vergangenheit zwingend notwendig waren, um dieses Deutschland zu schaffen, in welchem wir jetzt leben und welches wir, eingebettet in Europa, in der Zukunft gerne haben möchten.
({4})
Die Einführung der freien und sozialen Marktwirtschaft mußte gegen den Widerstand der SPD in diesem Lande
({5})
erkämpft werden. Die D-Mark mußte gegen Widerstände eingeführt werden. Die Schaffung der Bundeswehr und der Eintritt in die NATO mußten gegen den Widerstand der SPD durchgesetzt werden. Der NATO-Doppelbeschluß mußte gegen den Widerstand der SPD durchgesetzt werden. Selbst die deutsche Einheit mußte gegen Widerstände, insbesondere bei der SPD, aber auch bei den Grünen durchgesetzt werden.
({6})
Jede dieser Entscheidungen war von Sorgen und Ängsten begleitet. Jede dieser Entscheidungen hatte Risiken und Chancen. Jede dieser Entscheidungen wäre von den permanenten Bedenkenträgern in unserem Lande nicht getroffen worden. Aber ich sage auch hier ganz deutlich: Jede dieser Entscheidungen war richtig. Alle diese Entscheidungen haben dazu beigetragen, daß wir heute in diesem Lande in Frieden und Freiheit leben können.
({7})
Auch die heutige Entscheidung zur Einführung des Euro ist eine wichtige. Ich sage auch ganz deutlich: Sie ist eine richtige Entscheidung. Wir Deutsche neigen dazu, häufig eher die Risiken als die Chancen zu sehen. Erinnern wir uns doch an die Diskussion zum Euro. Zunächst wurde in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, der Euro würde eine Inflationsgemeinschaft. Es wurde empfohlen, das Geld in Sachwerten anzulegen. Ich sage Ihnen: Wer diesen falschen Ratgebern gefolgt ist, hat kein gutes Geschäft gemacht. Dann gab es in unserem Land eine Phantomdiskussion über das Defizitkriterium 3,0 oder 3 Komma etwas. Diese Diskussion lenkte davon ab, daß auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene sowie bei den Sozialversicherungen nach wie vor die Haushaltsausgaben durch strukturelle Maßnahmen und Einsparungen zu begrenzen sind.
({8})
Der Bund hat im letzten Jahr seine Neuverschuldung um 15 Prozent reduziert. Ich sage deutlich, daß sie weiter reduziert werden muß. Die Länder haben ihre Neuverschuldung um 10 Prozent ausgeweitet. Auch das muß besprochen werden. Da wäre es gut, wenn der Ministerpräsident aus Niedersachsen noch hier wäre. Gerade einzelne Ministerpräsidenten wie der Kanzlerkandidat der SPD, hätten ihre Hausaufgaben machen müssen, statt mit einer Nebeldiskussion über 3,0 Prozent oder Verschiebung des Euro Ängste in der Bevölkerung zu schüren.
({9})
Es ist nicht richtig, wenn der Ministerpräsident Bayerns und der Ministerpräsident Niedersachsens in dieser Debatte erklärten, daß sie mit ihren Bedenken nur Bedenken der Bevölkerung aufnehmen wollten. Richtig ist vielmehr, daß Herr Stoiber und Herr Schröder diese Diskussion geführt haben, um Ängste in der Bevölkerung zu schüren.
({10})
Angst ist aber ein schlechter Ratgeber. Ängste zu schüren statt Aufklärung zu betreiben, das ist schlechte Politik.
({11})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben den überzeugten Europäern in der Bundesrepublik Deutschland viel zu verdanken. Ohne diese überzeugten Europäer, die der Auffassung sind, daß wir Frieden, Sicherheit und Wohlstand unseres Landes nur durch eine Einbettung in Europa erreichen können, wären wir nicht soweit gekommen. Ohne Willy Brandt, ohne Hans-Dietrich Genscher, dem ich seitens der F.D.P. hier noch einmal ausdrücklich für seinen Beitrag danken möchte, aber auch ohne Helmut Kohl hätte sich das Europa nicht so zum Wohle der Deutschen entwickelt, wie es sich entwickelt hat. Herr Bundeskanzler, das sage ich zu Ihnen ganz persönlich: Wenn Sie in der Frage des Euro nicht so gestanden hätten, wie Sie gestanden haben, dann wüßte ich nicht, ob wir die Diskussion heute hier im Deutschen Bundestag mit diesem Ergebnis hätten führen können. Dafür noch einmal herzlichen Dank.
({12})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ohne die Maastricht-Kriterien, die diese Bundesregierung durchgesetzt hat, wären wir auch in Deutschland bei der Konsolidierung unserer öffentlichen Haushalte nicht soweit gekommen, wie wir derzeit sind. Wir sind im Europa der elf Euro-Länder zu einer Stabilitätsgemeinschaft geworden. Es hat noch nie so niedrige Zinsen wie zur Zeit gegeben. Wir hatten im Europa der Elf noch nie eine so niedrige Neuverschuldung wie im letzten Jahr. Alle Daten weisen darauf hin, daß die Neuverschuldung in diesem Jahr sogar noch niedriger ausfallen wird. Der Schuldenstand in Europa sinkt. Dänemark, Irland und Luxemburg erzielen inzwischen Haushaltsüberschüsse.
Als die F.D.P. in ihrem Grundsatzprogramm vor einem Jahr in Wiesbaden beschlossen hat, daß die Nettoneuverschuldung abgebaut und Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet werden sollten, wurde dies von vielen, auch von vielen Kommentatoren in unseren Zeitungen, als unmöglich bezeichnet. Inzwischen ist dieser Zustand in mehreren Ländern eingetreten. Auch wir in dieser Regierungskoalition haben das Ziel, in Deutschland die Neuverschuldung weiter abzubauen und den Schuldenstand zu reduzieren.
Die öffentlichen Haushalte können nur über Strukturreformen, nur über die Ausgabenseite saniert werden. Deshalb ist es ein riesiger Erfolg dieser Koalition, daß es gelungen ist, den Bundesanteil an der Staatsquote auf 12 Prozent zu verringern. Wir liegen damit niedriger als 1989 vor der deutschen Einheit,
trotz der Lasten, die insbesondere der Bund durch die Wiedervereinigung zu tragen hatte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen natürlich auch der Bevölkerung sagen, warum der Euro gut ist. Die schon jetzt europaweit tätigen Unternehmen haben kein Wechselkursrisiko und keine Umtauschkosten mehr zu tragen. Viele kleine und mittlere Unternehmen werden in die Lage versetzt, in Europa ohne Währungsrisiko tätig zu werden. Für viele Arbeitnehmer entfällt die Sorge, daß wegen einer plötzlichen Aufwertung der D-Mark ihre Produkte nicht mehr absatzfähig sind, wodurch ihre Arbeitsplätze gefährdet würden. Auch für die deutsche Landwirtschaft, die immer für eine gemeinsame Währung eingetreten ist, bedeutet der Euro eine Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit.
({13})
Wir bekommen mehr Wettbewerb. Ich sage für die F.D.P. ganz deutlich: Wir wollen mehr Wettbewerb. Wir wissen, daß es für uns Deutsche und für uns Europäer keinen anderen Weg als den des Wettbewerbes in einem freiheitlichen Markt gibt. Wir sind davon überzeugt, daß unsere Bürger, unsere Arbeitnehmer und unsere Unternehmer in der Lage sind, sich erfolgreich dem Wettbewerb zu stellen. Wir sind nicht der Auffassung, daß wir in Europa zusätzliche Reglementierungen benötigen. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß ein Großteil der Reglementierungen in Europa, aber auch in unserem eigenen Lande weiter abgebaut werden muß.
({14})
Gewinner werden die innovativen und leistungsstarken Unternehmen sein. Deswegen erwartet auch die Deutsche Bundesbank große wirtschaftliche Vorteile, da der Euro die Effizienz der Arbeits-, Güterund Finanzmärkte erheblich erhöhen wird.
Wettbewerb ist im Sinne unserer Bürger. Wenn wir heute im Telefonbereich noch die Behörde Bundespost hätten, gäbe es diese enormen Leistungssteigerungen in technischer Hinsicht nicht. Es gäbe auch nicht die Kostenreduzierung für die Verbraucher.
({15})
Wettbewerb, Deregulierung und Privatisierung bringen mehr Leistung, schaffen mehr Arbeitsplätze und kosten die Bürger am Ende sogar weniger.
({16})
Der Euro muß gut werden. Die beste Garantie dafür, daß der Euro gut wird und daß die neue europäische Währung stabil bleibt, ist die Fortsetzung dieser Koalition.
({17})
Wer die strukturkonservative Politik der SPD in Deutschland betrachtet,
({18})
die die mühsam erzielten Reformen rückgängig machen will und die alten, verfehlten sozialdemokratischen Rezepte aus der Mottenkiste holt, Herr von Larcher - Umverteilung statt Leistung, kreditfinanzierte Beschäftigungsprogramme als Strohfeuer, Steuerreform ohne Nettoentlastung und ohne wirkliche Tarifreform und im Ergebnis
({19})
mit einer Mehrbelastung der Betriebe und der Arbeitsplätze -, der weiß, daß auf diesem Weg weder neue Arbeitsplätze entstehen noch der Euro stabil bleibt. Nur diese Koalition garantiert die stabilitätsorientierte Politik der vergangenen Jahre.
({20})
- Aber sehr wohl.
Der Euro wird als stabiler Euro starten. Ob der Euro stabil bleiben wird, wird sich in der Zukunft zeigen. Die Stabilität wird im wesentlichen von der Bundesregierung abhängen, die wie bisher nachweisen muß, daß sie die Finanzen in Deutschland weiter konsolidiert. Kanzlerkandidat Schröder hat in Niedersachsen diesen Nachweis nicht erbracht.
({21})
Der Parteivorsitzende der SPD, Oskar Lafontaine, hat im Saarland diesen Nachweis nicht erbracht. Jede von den Grünen abhängige SPD-Landesregierung hat bisher den Nachweis nicht erbracht, daß sie imstande ist, zukunftsgerichtet zu handeln und mehr Investitionen und damit Arbeitsplätze zu schaffen.
({22})
Eine rotgrüne Politik in Deutschland will mehr und nicht weniger Staat. Eine rotgrüne Politik will mehr und nicht weniger Staatsausgaben. Eine rotgrüne Politik auf Bundesebene wird der außenpolitischen Verantwortung unseres Landes nicht gerecht, wie die Ablehnung des NATO-Beitritts von Ungarn, Tschechien und Polen durch die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zeigt.
Eine rotgrüne Bundesregierung unter einem Euroskeptiker Schröder, der sich heute zwar formal zur Zustimmung bekannt hat, dessen innerliche Distanz zum Euro aber für jeden spürbar war und der den Euro als „kränkelnde Frühgeburt" bezeichnet hat, gefährdet die Stabilität des Euro.
({23})
Wir müssen aber auch sagen: Durch den Euro schließen wir die Währungsunion enger zusammen. In diesem Wirtschaftsraum werden 300 Millionen
Menschen 20 Prozent der Wirtschaftsleistungen der Welt erbringen. Dieser Wirtschaftsraum wird so stark sein wie der Wirtschaftsraum der Vereinigten Staaten von Amerika. Er hat gute Chancen, noch stärker zu werden.
Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland haben wir eine einheitliche Währung, obwohl wir 16 Bundesländer haben. In diesen 16 Bundesländern wird eine unterschiedliche Wirtschaftspolitik betrieben. Es gibt unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen und unterschiedliche Lebensverhältnisse. Aber es gibt nur eine Währung. Genau das wollen wir auch für Europa. Genau auf diesem Wege befinden wir uns. Deshalb stimmt die F.D.P. heute diesem Projekt „Dritte Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion" und der Einführung des Euro zu.
({24})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Barbara Höll, PDS.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte wird die Mehrheit dieses Hauses dem 1992 eingefügten Parlamentsvorbehalt Genüge tun, und Sie werden die Bundesregierung beauftragen, der Vollendung der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion in Europa zuzustimmen. Getragen von dieser breiten parlamentarischen Mehrheit von CDU/CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen werden Sie entgegen dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung ja sagen zu dieser Einführung der gemeinsamen Währung in Europa.
Die Partei der Demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten stimmt heute mit Nein.
({0})
Wir tun dies aus unserer Verantwortung gegenüber dem europäischen Gedanken heraus, gerade weil wir für ein friedliches Zusammenleben in Europa und für eine weitere europäische Integration sind. Wir sagen klar und deutlich nein zu diesem Weg, auf den Sie Europa weiter vereinen wollen, weil wir den Weg für grundlegend falsch halten.
Herr Bundeskanzler Kohl hat heute in seinen Ausführungen die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion gefeiert, eine Vollendung, die so eben nicht gegeben ist. Der Maastrichter Vertrag hat das grundlegende Übel, daß er an den Anfang der weiteren europäischen Integration die gemeinsame Währung stellt. Gebunden wurde die Einführung dieser gemeinsamen Währung ausschließlich an fiskalische und monetäre Kriterien. Diese wurden von den Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Maße erfüllt.
In den Diskussionen der Gremien dieses Hauses wurde vielfach vor allem über die Erfüllung einzelner Kriterien durch andere europäische Staaten gesprochen, allerdings bedeutend weniger über die Art und Weise der Erfüllung in der Bundesrepublik. Die deutsche Einheit diente wieder einmal als Erklärungsvorwand für die hohe Verschuldung der öffentlichen
Haushalte der Bundesrepublik. In der öffentlichen Diskussion wurden die Fragen der Nachhaltigkeit und des Abbaus der Nettoneuverschuldung durch besondere Einmalmaßnahmen, wie Privatisierungen, kaum erwähnt.
Entscheidender als die Erfüllung der Konvergenzkriterien ist für uns jedoch die Frage, ob die Grundlagen einer gemeinsamen Währung tatsächlich gegeben sind.
({1})
Die Grundlagen müssen in der Angleichung der realwirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Mitglieder einer Währungsunion bestehen. Dies ist noch nicht Realität. Nach wie vor existieren zwischen einzelnen europäischen Staaten große Produktivitätsunterschiede, die in den letzten Jahren nicht abgebaut werden konnten. Nach dem Wegfall der Möglichkeiten der Wechselkursanpassungen wird es einen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Produktivitätsniveaus auf diesem Wege nicht mehr geben. Weniger produktive Regionen und Produktionsstandorte werden gezwungen, Umwelt-, Sozial- und Steuerdumping zu betreiben, um im gnadenlosen innereuropäischen Wettbewerb zu bestehen.
Dieses Europa wird ein Europa der Großkonzerne sein. Denn die mit einer gemeinsamen Währung verbundenen wirtschaftlichen Vorteile - wie der Wegfall von Wechselkursrisiken, Planungssicherheit und Verringerung von Transaktionskosten, zahlen sich nur für eine sehr begrenzte Zahl von Unternehmen aus.
Für große, bereits heute transnational organisierte Konzerne fallen im Prozeß der Internationalisierung mit Hilfe Ihrer Politik nun auch die letzten Schranken, die verschiedenen Währungen. Die bereits fortlaufende Fusionswelle großer Unternehmen ist eine Vorankündigung des Euro. Der Verkauf von Boehringer-Mannheim, die Zusammenschlüsse von Vereins- und Hypobank, der Handelskette REWE und der österreichischen Kette Billa und die Übernahme französicher Versicherungen durch die Allianz sind nur einige wenige Beispiele.
Mit diesem Konzentrationsprozeß verschlechtern sich die Bedingungen für kleine, regionale Unternehmen, mittelständische Zulieferbetriebe vehement. Abhängigkeit in einem völlig neuen Ausmaß und verschärfte Konkurrenz sind das Ergebnis. Neben den massenhaften Entlassungen, die mit diesen Fusionen einhergehen, bedeuten sie stets auch Lohneinbußen für diejenigen, die weiterbeschäftigt werden.
Wenn die Bevölkerung, die Bürgerinnen und Bürger, gegenüber dem Euro Vorbehalte hat, so wird das ja unter anderem auf Empfehlungen gestützt, die heute bereits für die weitere Gestaltung der Wirtschafts- und Währungsunion ausgesprochen werden. So heißt es in der Unterrichtung der Bundesregierung zur Wirtschafts- und Währungsunion, daß man die Gesamtbelastung durch die Alterung der Bevölkerung nur durch gesunde öffentliche Finanzen und durch Sparen bei den Renten besser in den Griff bekommen wird. Das ist hier wieder mit dem Euro begründet.
Herr Bundesbankpräsident Tietmeyer formulierte in der Anhörung des Finanzausschusses am 3. April ganz eindeutig, daß insbesondere die Lohn- und die Sozialpolitik rasch und umfassend auf die neuen Bedingungen umgestellt werden müssen. Und ich zitiere:
Gerade vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit in den meisten Teilnehmerländern ist eine hinreichend flexible Reaktion der Güterund Arbeitsmärkte auf unterschiedliche Produktivitätsentwicklungen und gravierende Marktentwicklungen unverzichtbar.
Was Herr Tietmeyer hier in wohlgesetzten Worten ausdrückte, war nichts anderes als ein Aufruf zu einem europaweiten Dumpingwettlauf bei den Löhnen und Sozialleistungen, so wie es im EWI-Bericht nachzulesen ist.
Es sind nicht nur gefühlsmäßige Vorurteile, die die Bevölkerung verunsichern, sondern es ist auch die Erfahrung des Vereinigungsprozesses hier in der Bundesrepublik.
({2})
Lohnzurückhaltung wurde zuerst immer nur im Osten gefordert, damit die Produktivitätsunterschiede ausgeglichen werden könnten. Inzwischen ist es eine Forderung, die pauschal an alle gerichtet wird. Und das in einer Zeit, die von rasant gestiegenen Gewinnen der großen Unternehmen begleitet ist. Die Jahresabschlüsse von Mercedes Benz, VW und anderen Konzernen sprechen hier eine deutliche Sprache: Steigerung der Gewinne um durchschnittlich 75 Prozent, auf der Gegenseite Verluste der realen Nettoeinkommen bei der arbeitenden Bevölkerung.
Dies vor Augen ist es für mich und die PDS um so unverständlicher, warum die Oppositionsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen trotz allem der Einführung dieser Währungsunion zustimmen werden.
Es läßt sich dies hinsichtlich der Wirtschaftspolitik noch weiter ausführen. Sie geben hier Kompetenz und Einflußmöglichkeiten auf. Mit der Gestaltung der Europäischen Zentralbank haben Sie eine Konstruktion vorgenommen, die dazu führen wird, daß der mächtigste Mann der Wirtschaftspolitik, der in Europa bestimmen wird, eben der Präsident dieser Europäischen Zentralbank ist. Nicht umsonst haben wir ja einen wochenlangen Streit um die Besetzung dieses Postens.
In der bereits angeführten Anhörung wurde das auch vom EU-Kommissar de Silguy ganz offen angesprochen. Er sagte, die Wirtschafts- und Finanzminister müßten nun ihre Politik stärker aufeinander abstimmen, denn sonst - ich zitiere - „wird die Europäische Zentralbank die Politik diktieren". Im nachhinein soll dann etwas abgestimmt werden, statt im Vorfeld die Bedingungen klar zu vereinbaren. Das ist eine freiwillige Abgabe der Verantwortung der Politikerinnen und Politiker.
Es hat auch nichts mit einer Politik für die Mehrheit der Bevölkerung zu tun, wenn Sie bei der Frage der Harmonisierung der Steuern eine sehr unterschiedliche Durchsetzungskraft an den Tag legen. Wir hatten bereits 1993 eine Erhöhung der allgemeinen Mehrwertsteuer von 14 auf 15 Prozent mit der Begründung europäischer Harmonisierung der Verbrauchsteuern, aber bei der Zins- und Kapitalertragsbesteuerung haben wir nichts weiter als einen nicht einmal bindenden Verhaltenskodex.
Die Bundesregierung läßt es also wieder zu, daß Unternehmen und Besserverdienende ihr Geld mit Hilfe der Banken, zum Beispiel der Dresdner Bank, in Koffern über die Grenze ins steuergünstigere europäische Ausland tragen. Weder legaler noch illegaler Steuerhinterziehung wird so beizukommen sein.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Mehrheiten in diesem Hause haben sich im gesamten Prozeß der Währungsunion nicht der Mühe unterzogen, tatsächlich die Bevölkerung mit einzubeziehen, sie auf dem von Ihnen vorgeschlagenen Weg mitzunehmen, da Sie der Bevölkerung grundsätzlich das Mitspracherecht abgesprochen haben. Sie haben auch unsere wiederholten Anträge für eine Volksabstimmung abgelehnt.
Auf diese Art und Weise hat sich die Bundesregierung - man muß sagen, ebenso die SPD und die Grünen, weil sie sich hier auf Versprechungen zu Nachbesserungen der Währungsunion verlassen wollen - von dem verabschiedet, was die Bundesrepublik bereits 1965 als bindend anerkannt hatte. Bei der Ratifizierung der Europäischen Sozialcharta 1965 wurde das Recht auf Arbeit und das Recht auf soziale Sicherheit auch für die Bundesrepublik Deutschland als bindend anerkannt. Davon ist nichts geblieben.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Debatten 1992 haben die Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD noch einige Dinge angemahnt, die zu erledigen wären, wenn man den Prozeß einer Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion gestalten will: die fehlende Politische Union, die Fragen der realwirtschaftlichen Angleichung der Volkswirtschaften, fehlende soziale Standards und ökologische Standards. Obwohl in diesen Bereichen nichts geschehen ist, haben Sie sich von Ihren Forderungen verabschiedet und sie letztendlich auf den SanktNimmerleins-Tag verschoben, anstelle hier weiter gemeinsam voranzugehen und mit Hilfe und Unterstützung durch die Bevölkerung durch Einbeziehung in einen Volksentscheid auf die Bundesregierung tatsächlich Druck auszuüben, sich auf europäischer Ebene entsprechend zu verhalten.
Weil dies nicht geschehen ist und es der falsche Weg für eine europäische Einigung ist, lehnen wir das Vorhaben ab und können nicht mit Ja stimmen, obwohl wir für die europäische Einigung sind, aber auf einem anderen Weg.
Ich bedanke mich.
({4})
Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 1828 bewies Johann Wolfgang von Goethe trotz Zerrissenheit seines Vaterlandes und trotz der damaligen Währungskleinstaaterei enormen Optimismus und visionären Weitblick. Ich darf zitieren:
Mir ist nicht bange, daß Deutschland eins werde. Es sei eins, daß der deutsche Thaler und Groschen im ganzen Reich den gleichen Wert habe, eins, daß mein Reisekoffer durch alle 36 Staaten ungeöffnet passieren könne. Es sei eins, daß der städtische Reisepaß eines weimarischen Bürgers von den Grenzbeamten eines großen Nachbarstaates nicht für unzulänglicher gehalten werde als der Paß eines Ausländers. Es sei von Inland und Ausland unter den deutschen Staaten überhaupt keine Rede mehr.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vieles von Goethes Vision für Deutschland ist heute bereits auf europäischer Ebene erreicht, und darüber freuen wir uns.
({1})
Wir sind alle in der EU Inländer. Wir haben europaweit den gleichen Paß. Unsere Koffer werden bei der Fahrt innerhalb Europas nicht mehr geöffnet, und wir stehen in diesen Wochen vor dem entscheidenden Schritt der Abschaffung nationaler Währungen zugunsten einer gemeinsamen starken europäischen Währung. Ich würde mir wünschen, in vielen Debatten dieser Tage wäre angesichts dieses enormen Fortschritts etwas mehr von der optimistischen Haltung zu spüren, die Goethe damals geäußert hat.
({2})
Ich bedanke mich, Herr Bundeskanzler, im Namen der CDU/CSU-Fraktion, aber insbesondere für die CSU-Landesgruppe, bei der Bundesregierung, insbesondere bei Ihnen und bei unserem Parteivorsitzenden Theo Waigel, aber selbstverständlich auch bei Hans-Dietrich Genscher, bei seinem Nachfolger, bei allen, die diesen europäischen Einigungsprozeß so nach vorne getrieben haben, daß wir heute in dieser Situation vor einem so großartigen Schritt stehen können.
({3})
- Ich würde an Ihrer Stelle „Schröder" rufen. Das ist Ihr Problem. Ich hoffe, er hat im Moment Sinnvolleres zu tun, als mit Herrn Lukaschenko zu reden.
({4})
Wenn wir dagegen einmal anschauen, aus welcher Kette von Irrtümern und Fehlern der Weg des niedersächsischen Ministerpräsidenten und seine Äußerungen zu dem Thema bestehen, dann kann einem für
die Zukunft angst und bange werden, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({5})
Ich habe mir eigentlich vorgenommen, dies ein bißchen kürzer abzuhandeln, weil ich anderen Redezeit versprochen habe. Ich will trotzdem ein paar Punkte ansprechen. Was Gerhard Schröder gebracht hat, hat nämlich nichts geklärt. Es war nicht Fisch und nicht Fleisch.
({6})
Ich bin nicht sicher, ob er sich nach dieser Rede vor der Wahl überhaupt noch einmal in den Deutschen Bundestag traut, denn hier hat er nicht gepunktet.
({7})
Daß die Grünen plötzlich für den Euro sind, kann ich mir nur so erklären, daß sie sagen: Wir kommen von den 5 DM pro Liter Benzin nur herunter, indem wir von zweieinhalb Euro sprechen. Das klingt für die Leute nicht so schlimm.
({8})
Ich möchte noch etwas zu Herrn Schröder sagen. Er hat noch im April 1997 angeregt, die Währungsunion bis zur Vollendung der europäischen Integration aufzuschieben. Viele Monate lang hat er geschwiegen, weil er nicht mit Lafontaine anecken wollte. Dann hat er vom Ausland aus den Euro als eine „kränkelnde Frühgeburt" bezeichnet. Er hat dies heute auch nicht klargestellt. Er hat es praktisch im Raum stehenlassen.
({9})
Es wäre gut, wenn er noch einmal käme und dies klarstellen würde.
({10})
Denn es wäre gut, wenn jemand, der Bundeskanzler des wirtschaftlich stärksten und größten Landes im Herzen Europas werden will und der dann eine besondere Verantwortung für die Stabilität der Währung tragen muß, sich eindeutiger äußern würde.
({11})
Auf dem Leipziger Parteitag hat er, nachdem die Musik verklungen war, mehr Mut zum Wagnis gefordert. Er hat gesagt: Der Euro kommt; wir müssen das Herz über die Hürde werfen. Nun will ich mich gar nicht über die Fähigkeit Herrn Schröders auslassen, Herzen zu werfen.
({12})
- Entschuldigung. Ich weiß überhaupt nicht, was Sie
meinen. Wenn Sie so anfangen. - Ich habe extra eiMichael Glos
nen Liebesbrief mitgebracht, den Herr Schröder geschrieben hat. Den kann ich, wenn es Sie interessiert, gerne vorlesen.
({13})
Da heißt es an Herrn Krenz:
Lieber Egon, für Deinen freundlichen Willkommensgruß bedanke ich mich sehr herzlich. Es war schade, daß wir uns nicht persönlich treffen konnten. Aber das läßt sich sicher bei einer anderen Gelegenheit nachholen.
({14})
Besonders war ich von Erich Honecker beeindruckt.
({15})
Durchstehvermögen, das Du mir wünschst, brauche ich in diesem arbeitsreichen Wahlkampfjahr ganz bestimmt. Aber auch Du wirst für Euren - ({16})
- Entschuldigung. Sie haben doch gewünscht, daß ich ihn vorlese. - Dann höre ich wieder auf.
({17})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird ja gefordert, man solle die Menschen - auch jemanden, der sich zu so viel Verantwortung anschickt - an dem messen, was sie getan haben, was sie prognostiziert haben.
({18})
- Frau Fuchs, ich habe gesehen, Sie sind auf der Rednerliste. Sie können ja dann antworten.
({19})
Ich komme jetzt zu den Stabilitätskriterien. Wenn alle Bundesländer so gehandelt hätten wie Niedersachsen, brauchten wir heute nicht über den Euro zu reden.
({20})
Dort sind die Verschuldungskriterien in keiner Weise eingehalten worden. Wenn nicht andere Bundesländer anders gehandelt hätten, hätten wir die hochgesteckten Ziele von Maastricht nicht erreicht.
({21})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage allen Ernstes: Wer sich bei der deutschen Einheit selbst derartig disqualifiziert hat, dem spreche ich das Recht ab, sich heute bei der Europäischen Währungsunion als Bewahrer der Belange der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland darzustellen.
({22})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen Ängste ernst nehmen. Das ist klar. Wir müssen aber auch die Chancen herausstellen, die uns diese Währung bringt. Sie birgt natürlich auch Risiken. Das ganz große Risiko besteht darin, daß das wirtschaftlich stärkste Land im Herzen Europas, das insbesondere in den letzten 16 Jahren immer die Stabilitätskultur gepflegt hat, politisch in die falschen Hände kommt. Das ist für mich das einzige Risiko, das beim Euro real existiert.
({23})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch die Einführung der sozialen Marktwirtschaft und die Einführung der D-Mark waren am Anfang umstritten. Es gab massiven Widerstand gegen Ludwig Erhards Politik der Liberalisierung. Er war damals einem unvergleichlichen Trommelfeuer ausgesetzt. Auch die D-Mark war nicht von Beginn an Weltstar auf der internationalen Währungsbühne. Sie konnte erst nach jahrelangen Stabilitätsanstrengungen der Deutschen Bundesbank Vertrauen erwerben.
Deshalb haben wir alle guten Erfahrungen, die wir mit der Deutschen Bundesbank gemacht haben, auf die Europäische Zentralbank übertragen. Ich bin sicher, der Euro wird eine starke Währung werden. Er ist die richtige Antwort Europas auf die Globalisierung der Märkte. Er ist auch eine Antwort auf die Bildung immer größerer Wirtschafts- und Währungsblöcke. So hat zum Beispiel der amerikanische Präsident erst unlängst einen Währungsblock von Alaska bis Feuerland angekündigt.
Die Konvergenzerfolge seit Abschluß des Maastrichter Vertrages zeigen eindeutig, wie weit wir in Europa in Richtung Stabilitätskultur gekommen sind. Manche Länder konnten dieses Wort vor ein paar Jahren überhaupt noch nicht buchstabieren. Heute ist diese Stabilität erreicht. Das hat der Euro im Vorfeld bewirkt.
({24})
Wir Deutsche hätten als Einzelkämpfer die Anstrengungen in Richtung Stabilität auf die Dauer nicht aufrechterhalten können. Deswegen ist es richtig, daß wir jetzt das, was wir selbst vertraglich vereinbart haben und uns als politisches Ziel gesetzt haben, im Interesse Deutschlands und Europas in die Tat umsetzen.
Lassen Sie mich ein Letztes sagen: Ich bin kein blinder Europa-Euphoriker.
({25})
- Das ist auch keine Schande. Viele bürokratische Exzesse aus Brüssel verdienen Kritik. Nicht jede Verordnung aus Brüssel ist notwendig, nicht jede Norm ist sinnvoll. Wenn wir uns aber einmal anschauen, welche Bürokraten aus welchem Land es bewirkt haben, dann müssen wir ein bißchen stiller sein.
({26})
Einiges von dem, was in Brüssel geschieht, ist überflüssig. Darauf müssen wir künftig ein stärkeres Augenmerk richten. Das kann ich Ihnen schon jetzt ankündigen.
({27})
Richtig ist auch - das muß in dieser Stunde gesagt werden -: Deutschland kann nicht auf Dauer größter Nettozahler in Europa bleiben. Diese Schieflage tut weder Deutschland noch Europa gut. Die Lasten müssen ein Stück weit anders verteilt werden, weil sich durch die Belastungen auf Grund der deutschen Wiedervereinigung, zu der wir - im Gegensatz zu anderen heute schon Genannten - stehen und immer gestanden haben, Auswirkungen auf unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ergeben, zumindest pro Kopf der Bevölkerung.
Deswegen werden wir dafür eintreten, daß auch die Finanzierung Europas geändert wird. Mit der gleichen Hartnäckigkeit, mit der Theo Waigel den Stabilitätspakt, einen stabilen Euro und viele andere Dinge durchgesetzt hat, wird letztendlich auch dieses Finanzierungssystem geändert werden.
Ich will nicht darauf eingehen, was es heißen würde, wenn man - wie Lafontaine und Schröder angekündigt haben - Reformen wieder zurückdrehen würde. Was das alles bedeuten würde, können Sie sich selber ausrechnen. Wenn wir so, wie es sich manche auf der linken Seite des Hauses vorstellen, eine Sozialunion verwirklichen würden, dann würde das eine Transferunion werden. Dann müßten wir Deutschen wieder dafür zahlen. Auch das kann nicht in unserem Interesse sein. Deswegen finde ich es vor allem wichtig, daß der Vertrag so gefaßt ist, daß Transfers nicht vorkommen können.
({28})
({29})
Wir dürfen niemals vergessen, was wir uns bei unserer Politik zum Ziel gesetzt haben. Wir dürfen, auch wenn es in Europa manchmal quälend lange Entscheidungsprozesse und eine überbordende Bürokratie gibt, niemals vergessen, daß uns Europa den längsten Friedensprozeß in der deutschen Geschichte oder zumindest in der jüngeren deutschen Geschichte gebracht hat.
Deswegen stand und steht die Einigung Europas im Mittelpunkt der politischen Ziele auch meiner Partei, der CSU. Schon die Gründer der CSU waren aus dem Widerstand gegen Ideologie und Diktatur heraus für ein gemeinsames Europa. Ich möchte einen Satz aus dem damaligen Grundsatzprogramm zitieren. Da heißt es:
Wir treten ein für die Schaffung einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion.
So ist es 1948 mit großem Weitblick in das erste Grundsatzprogramm der CSU geschrieben worden. Die CSU hat mehr als andere immer ganz Europa im Blick behalten. Es heißt in diesem Grundsatzprogramm weiter:
Kein Land Europas kann für sich bestehen. Wir erstreben die wirksame Befriedung Europas als Beitrag zum dauerhaften Frieden der Welt.
Franz Josef Strauß hat Europa, Freiheit und Frieden stets als untrennbares Ganzes gesehen. Ihn trieb die Überzeugung, daß Europa im kommenden Jahrhundert nur geeint die Rolle des handelnden Subjekts und nicht die des behandelten Objekts spielen wird.
Deswegen gratuliere ich Theo Waigel nicht nur zu seinem gestrigen Geburtstag.
({30})
Ich gratuliere ihm auch dazu, daß er in der Nachfolge von Franz Josef Strauß ein großes Stück dazu beigetragen hat, Europa zu verwirklichen, und ich gratuliere dir dazu, daß du vorgestern neun Jahre Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland warst. Das war eine großartige Zeit für Deutschland und Europa.
({31})
Wir wollen, daß es so weitergeht und daß das, was jetzt auf den Weg gebracht worden ist, auch für die Zukunft Bestand hat.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich möchte jetzt das Versprechen, das ich insbesondere Jürgen Warnke gegeben habe, der ja später seine Abschiedsrede hält, einhalten und meine Rede beenden, damit ihm noch Redezeit bleibt. Ich wünsche der Debatte noch einen guten Verlauf.
({32})
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Günter Rexrodt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Euro ist heute in seiner historischen Dimension betrachtet worden. Das ist auch richtig. Der Euro wirft aber bei den Menschen auch Fragen auf. Die Menschen erwarten Antworten darauf unter anderem von der Politik und auch von dieser Debatte.
Es sind vor allem zwei Fragen, die immer wieder gestellt werden:
Erstens. Wird diese neue Währung auch stabil sein? Kann ich als persönlich Betroffener davon ausgehen, daß das Ergebnis meiner Arbeit, meine Ersparnisse, meine Vermögensanlagen, ihren Wert behalten oder sogar an Wert gewinnen?
Die zweite Frage lautet: Wird der Euro dazu beitragen, daß mein Arbeitsplatz sicherer wird und daß neue Arbeitsplätze geschaffen werden? Wenn man Selbständiger oder Unternehmer ist, wird man auch fragen: Wie steht es nach Einführung des Euro um meinen Betrieb? Gibt es neue Risiken? Gibt es neue Chancen? Wie sieht es mit der Konkurrenz und dem Wettbewerb aus, wenn jetzt der Euro kommt?
Meine Damen und Herren, ich will auf diese zwei Fragen konkret eingehen. Die erste Frage, die Frage nach der Stabilität des Euro, ist in den letzten Monaten und auch in der heutigen Debatte intensiv diskutiert worden. Lassen Sie mich nur soviel unterstreichen: Die in Europa entstandene Stabilitätskultur spricht für sich; die Europäische Zentralbank ist unabhängig; der Stabilitätspakt enthält Sanktionsmechanismen, über die sich kein Land ohne Schaden hinwegsetzen kann.
Die verbliebene Frage lautet, ob die erreichte Konvergenz ausgebaut wird und die vorhandene Stabilitätskultur auch dann nachhaltig sein wird, wenn nationale oder regionale Interessen anscheinend dafür sprechen, daß ein Land oder eine Region einen anderen, einen separaten Weg geht.
Ich meine, daß die Nachhaltigkeit gegeben ist, weil jede gravierende Abweichung nicht nur mit finanziellen Sanktionen geahndet wird, sondern weil gravierende Abweichungen, beispielsweise übermäßige Staatsausgaben und damit einhergehende Beihilfen, nach kurzer Zeit zu Schwächeerscheinungen in der regionalen oder nationalen Wirtschaft führen würden. Es würde dann zu öffentlichen Defiziten kommen; dieser Standort würde an Attraktivität wegen zu hoher Steuern und Abgaben verlieren. Das kann sich niemand leisten.
({0})
Deshalb wird die Stabilitätskultur nachhaltig sein; der Euro wird dazu beitragen.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich aber eigentlich mit folgender Frage befassen: Sichert und schafft der Euro Arbeitsplätze in Deutschland? Wir treten der Arbeitslosigkeit in diesem Lande mit einer Politik entgegen, die darauf setzt, die deutsche Wirtschaft für den internationalen Wettbewerb fit zu machen oder - anders ausgedrückt - eine Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung zu finden. Diese Antwort lautet: Erstens müssen wir unsere Hausaufgaben im Inland machen, und zweitens müssen wir die deutsche Wirtschaft in die Weltwirtschaft integrieren. Deutschland und Europa müssen für Investoren attraktiv sein.
({1})
Jeder, der nachdenkt, der sich ein Stück mit der neuen Situation auseinandersetzt, wird begreifen, daß der Euro die europäische Antwort auf die Globalisierung, auf die weltweiten Herausforderungen ist.
({2})
Mit der gemeinsamen Währung wird das Gewicht Europas im internationalen Finanzbereich größer werden. Ein großer und transparenter europäischer Geld- und Kapitalmarkt entsteht. Der Euro wird neben dem Yen und dem Dollar die dritte große Leitwährung werden. Mit seiner Stabilität verbessern wir den Schutz gegen Währungsturbulenzen. Ein großer Teil der weltwirtschaftlichen Währungstransaktionen wird über den Euro stattfinden.
Europa - das ist das Entscheidende und die Antwort auf die Frage nach den Arbeitsplätzen - wird dabei als Investitionsstandort an Attraktivität gewinnen. Keiner kommt an einem Markt mit 350 Millionen Menschen vorbei. Daraus ergeben sich für die europäischen Unternehmen und den Standort Europa enorm günstige Chancen. Es hat schon jetzt Kostenersparnisse dadurch gegeben, daß die Wechselkursrisiken nicht mehr abgesichert werden müssen. Es gibt bessere Finanzierungsmöglichkeiten. Der Euro als dritte große Währung wird auch die Position der europäischen Unternehmen im internationalen Wettbewerb stärken. Er wird die weltwirtschaftliche Integration vorantreiben. Die Vorzüge der gemeinsamen europäischen Währung können auch von Unternehmen aus anderen Ländern genutzt werden.
Meine Damen und Herren, in der Währungsunion, beim Euro werden wir uns in einer anderen Welt als in der der D-Mark, des Franc oder der Lira bewegen. Wechselkursänderungen gibt es nicht mehr. Das ist ein großer Vorteil. Denn immer wieder - das ist heute schon gesagt worden - haben Wechselkursschwankungen dazu geführt, daß europäische Unternehmen und Bürger die Vorteile des gemeinsamen Marktes in Europa nicht haben wahrnehmen können, daß es zu enormen Brüchen, Veränderungen und negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt gekommen ist.
Der Binnenmarkt gibt dem Ganzen eine neue Qualität. Er schafft mehr Wettbewerb. Das ist der Motor für Innovationen. Die gemeinsame Währung macht den Markt für Bürger und Unternehmen transparenter. Mehr Unternehmen werden den Schritt in andere europäische Länder wagen. Das ist richtig, weil nur der, der in anderen Ländern investiert, wie andere bei uns investieren, eine Chance hat und, gesamtwirtschaftlich gesehen, Arbeitsplätze schaffen kann.
({3})
Bei der Vorbereitung auf die gemeinsame Währung haben im öffentlichen Interesse die Geld- und die Finanzpolitik zu Recht im Mittelpunkt gestanden. Das ist verständlich, weil es ja immer wieder Zweifel am geld- und finanzpolitischen Stabilitätswillen gab. Aber Nachhaltigkeit ist nicht nur an finanzpolitischen Kennziffern festzumachen. Mindestens ebenso wichtig ist eine gemeinsame, richtige wirtschaftspolitische Strategie.
({4})
Damit sich die Europäische Währungsunion nachhaltig in Richtung Stabilität bewähren kann, wird neben die Geldpolitik auch eine entschiedene Wirtschaftspolitik treten müssen. Mit dem Eintritt in die Währungsunion wird die Wirtschaftspolitik in Europa neben der gemeinsamen Finanz- und Geldpolitik stärkeres Gewicht gewinnen. Steuer-, Arbeitsmarkt-, Deregulierungs- und Privatisierungspolitik werden dabei die Rahmenbedingungen bestimmen. Die Tarifparteien, Gewerkschaften und Unternehmen, werden eine stärkere Verantwortung haben als bisher. Die Tarifparteien sind aufgefordert, diese verstärkte und größere Verantwortung auch wahrzunehmen.
Meine Damen und Herren, die deutsche Wirtschaft ist für den Start in die Währungsunion gut gerüstet. Ich will das hier nicht übermäßig lange ausführen. Wir wissen alle, daß in Vorbereitung des Euro erhebliche Anstrengungen und Veränderungen in den Unternehmen notwendig gewesen sind: flachere Organisation, neue Technologie, Eroberung der Märkte auch außerhalb Europas. Die Produktivität ist gesteigert worden.
Bisher haben davon vor allem die großen Unternehmen profitiert. Die kleinen auch, aber bei den kleinen ist die Vorbereitung auf den Euro an mancher Stelle zu intensivieren. Nur wenn man diese Vorbereitung rechtzeitig abschließt, kann man auch die Chancen wahrnehmen, die der Euro gerade für kleine und mittlere Unternehmen bringt, und zwar auch auf Grund der Tatsache, daß wir einen gemeinsamen Kapitalmarkt haben, daß wir besser an Beteiligungskapital und an Risikokapital herankommen. Das brauchen wir für Existenzgründungen in der Europäischen Union, in Deutschland, die zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen.
({5})
Meine Damen und Herren, ich will auf die Tarifparteien und deren Verantwortung aus zeitlichen Gründen nicht weiter eingehen. Lassen Sie mich aber noch ein Wort zum Prinzip der Subsidiarität sagen. Dieses Prinzip - das spielte in der Diskussion heute morgen eine Rolle - verbietet es - das sage ich als Wirtschaftspolitiker mit großem Nachdruck -, Integration mit Harmonisierung zu verwechseln, und zwar mit einer totalen Harmonisierung, wie sie von sozialdemokratischer Seite immer wieder angemahnt wird.
Wer unnötige Harmonie verordnet, wird eher Dissonanzen erzeugen, weil er Ungleiches gleich behandeln will.
({6})
Wer in Europa, Frau Fuchs, Sozialstandards total harmonisieren will, wer Löhne nivellieren will, wer Arbeitszeiten angleichen will, der vernachlässigt, daß es in Europa Produktivitätsunterschiede gibt. Wer auf diese Weise die Augen davor verschließt, daß die Regionen nicht in gleichem Maße leistungsfähig sind, der zerstört Chancen auf neue Arbeitsplätze, höhere Einkommen und eine wachsende Wirtschaft.
Setzen Sie sich einmal mit diesem Gedanken auseinander, und fordern Sie nicht blind Harmonie und Angleichung, wo sie auf Grund der unterschiedlichen Produktivität gar nicht angesagt sind!
Wer solchermaßen harmonisiert, der bereitet bewußt oder unbewußt den Weg in eine Transferunion vor. Eine Transferunion ist aber das letzte, was wir wollen. Das ist nicht unser Modell von Europa.
({7})
Meine Damen und Herren, mit dem Vertrag von Maastricht und den wirtschaftspolitischen Leitlinien, die in Brüssel beschlossen worden sind, haben sich die europäischen Staaten geeinigt: Marktwirtschaft, stabiles Geld und solide Finanzen sind die Grundlagen für die Währungsunion. Noch in den 80er Jahren war undenkbar, was heute Realität geworden ist.
Was ebenso wichtig ist und was wir immer wieder beachten müssen, ist, daß sich liberale Prinzipien in Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik überall in Europa durchgesetzt haben - auch in Ländern, die noch vor kurzer Zeit weit davon entfernt waren, in Stabilitätskategorien und in Kategorien liberaler Wirtschaftspolitik zu denken und zu handeln.
Wir haben in Europa eine weite Strecke der Integration zurückgelegt. Die gemeinsame Währung und die Konvergenz bei den Referenzwerten und Kriterien drücken äußerlich aus, daß die wirtschaftspolitischen Grundüberzeugungen in Europa zusammengekommen sind. Es hat aber nicht nur eine Integration der Volkswirtschaften gegeben, sondern es hat auch eine Integration im Denken gegeben. Die gemeinsame Währung bedeutet also mehr als nur gemeinsames Geld. Die gemeinsame Währung bedeutet mehr Wettbewerb, für viele auch härteren Wettbewerb. Aber mehr Wettbewerb führt zu mehr Leistung und besseren Bedingungen für Investitionen. Investitionen allein sind der Schlüssel für die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen. Das ist die Deduktion, meine Damen und Herren.
({8})
Als Wirtschaftspolitiker sage ich: Es ist durchaus realistisch, daß dieser Mechanismus, wie ich ihn eben dargestellt habe, der Prozeß der ökonomischen Anpassung an den Euro, Zeit braucht. Es ist durchaus richtig, wenn behauptet wird, daß der Euro nicht von heute auf morgen Arbeitsplätze schafft. Er wird das aber mittelfristig und langfristig bewirken.
Ohne den Euro könnten wir im globalen Wettbewerb schon mittelfristig nicht mehr mithalten. Wir würden mit unseren relativ kleinen Volkswirtschaften für ausländische Investitionen nicht mehr attraktiv sein. Die Schwerpunkte wirtschaftlicher Aktivität würden sich aus unserem europäischen Raum immer mehr verlagern; schon deshalb brauchen wir den Euro. Und weil der Euro mehr Wettbewerb bringt, mehr Leistung und damit bessere Investitionsbedingungen, bringt er auch - nach einem Anpassungsprozeß - mehr Arbeitsplätze.
Der Euro ist eine historische Chance. Ich möchte hier bewußt die historische Dimension nicht darstellen; das ist heute bereits ausreichend, intensiv und überzeugend geschehen. Doch die Fragen nach den Arbeitsplätzen und nach der Stabilität müssen immer wieder beantwortet werden. Ich sage noch einmal: Es gibt auch aus ökonomischen Gründen allerbeste Chancen dafür, daß der Euro stabil bleibt. Ich bin fest davon überzeugt, daß der Euro zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen beiträgt. Es gibt dazu gar keine Alternative.
Nun sind Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften gemeinsam gefordert, den Euro zum Erfolg zu führen.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Anke Fuchs, SPD.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich darüber, daß wir uns in der heutigen Debatte einig sind über die Dimensionen des Beschlusses, den wir fassen. Ich freue mich, daß wir uns darüber einig sind, wie wichtig diese Entscheidung zugunsten der gemeinsamen europäischen Währung für unser Land ist. Auch ich gehöre zu denjenigen, die diese Entscheidung engagiert begleiten. Ich darf sagen, daß mein Abituraufsatz das Thema hatte: „Mach deinem Heimatland Ehre in Europa, und mach Europa Ehre in deinem Heimatland".
({0})
- Ich habe für diesen Aufsatz sogar einen europäischen Schulpreis bekommen.
({1})
Wir haben als junge Menschen damals auf Europa gesetzt. Ich erwähne das deswegen, weil ich glaube, daß es viele unter uns gibt, die immer wußten, daß die deutsche Politik in den Integrationsprozeß Europas eingebunden sein muß. Wir wollen keinen Sonderweg. Wir haben aus der Geschichte gelernt. Nach dem zweiten Weltkrieg wollten wir um uns herum Freunde haben. Helmut Schmidt hat immer wieder darauf hingewiesen, daß wir so viele Nachbarn wie kein anderes Land haben. Wir sind alle miteinander froh, daß wir in diesem europapolitischen Teil der Außenpolitik diesen Weg gehen können, daß der Euro einen weiteren Schritt in Richtung Integration bedeutet und die Integration Europas unumkehrbar macht.
({2})
Natürlich muß man aus ökonomischen Gründen ja zur Einführung des Euro sagen. Er wird das ökonomische und das politische Gewicht Europas stärken. Wir wissen - das ist schon heute angeklungen -, daß die Auf- und Abwertungen wiederholt Arbeitsplätze gekostet haben; deswegen können wir mit gutem Gewissen den Mut zur gemeinsamen europäischen Währung haben.
Wir sollten noch einmal Revue passieren lassen, daß Großartiges geleistet wurde. Unsere Väter und Großväter haben sich noch vor wenig mehr als 50 Jahren in den Schützengräben als Feinde gegenübergestanden. Seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft haben wir es innerhalb einer Generation geschafft, gemeinsame Interessen zu formulieren, Frieden und Sicherheit zu garantieren und den Wohlstand zu mehren. Wer hätte das am Ende des zweiten Weltkrieges für möglich gehalten?
Damals hätte sicherlich jede Meinungsumfrage das Ergebnis zutage gefördert, daß die Anzahl der Skeptiker größer als diejenige der Zuversichtlichen ist. Deswegen sind wir froh, daß wir heute soweit gekommen sind.
({3})
Nun kommt ja die spannende Frage: Was machen wir eigentlich damit? Ich habe den Eindruck, daß die Regierungskoalition der Meinung ist: Jetzt haben wir den Euro; jetzt können wir uns zurücklehnen. Alles andere in der wirtschaftlichen und sozialen Welt wird der Markt irgendwie regulieren. Ich sage dazu: Wenn wir nicht aufpassen, kommt dabei in Europa Kapitalismus pur heraus. Das wollen wir nicht, und deswegen gilt es, den Weg zu gestalten.
({4})
Es ist zu Recht gesagt worden: Automatisch werden keine weiteren Arbeitsplätze entstehen. Denn die Einführung des Euro wird die Versäumnisse der Bundesregierung nicht beseitigen. Die wichtigste Aufgabe ist doch wohl die Schaffung von Arbeitsplätzen. Diese Bundesregierung hat trotz stabiler Mark eine Rekordarbeitslosigkeit zu verantworten. Wenn sie so weitermacht, wird sie weiterhin keinen Beitrag leisten, um die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Deswegen brauchen wir eine andere Politik.
({5})
Es war ja interessant, daß Herr Rexrodt sagte: Das ergibt sich alles. Das sind große Chancen. Alles ist in Ordnung, und nach einem langen Anpassungsprozeß werden auch Arbeitsplätze entstehen. Nun frage ich: Was machen wir mit den 5 Millionen Menschen, die heute arbeitslos sind und unseren gesamten Staat mit 180 Milliarden DM belasten? Wir können doch nicht warten, bis dieser Anpassungsprozeß an sein Ende gekommen sein wird. Sollen die Arbeitslosen während dieses Anpassungsprozesses arbeitslos bleiben? Oder müssen wir nicht alle Anstrengungen unternehmen, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen? Wir Sozialdemokraten, zusammen mit allen sozialdemokratisch geführten Ländern Europas, sagen: Es muß jetzt Beschäftigungspolitik gemacht werden, weil die Arbeitslosigkeit jetzt bekämpft werden muß.
({6})
Wir haben ein Programm vorgelegt, das Sie eigentlich hätten vorlegen müssen. Ich will auf das zurückkommen, was gestern passiert ist. Ich weiß nicht, meine Damen und Herren, ob Sie sich das auf der Zunge zergehen lassen können. Dorthin wurde die Bundesregierung in einem mühsamen Prozeß gedrängt, nur weil sich die Verhältnisse in Europa politisch zugunsten der Sozialdemokratie verändert haben - es wird nach dem 27. September etwas leichter, wenn diese große Bundesrepublik ebenfalls sozialdemokratisch geführt werden wird; das wird ja so kommen, wie ich in Klammern hinzufügen möchte - und nur weil in Europa der Druck so groß wurde und man gesagt hat: Eine weitere europäische Integration findet ohne Beschäftigungspolitik nicht statt. Daraufhin mußte der Bundeskanzler nachgeben und mitmachen. Eigentlich wollte er es nicht; eigentlich sagt
Anke Fuchs ({7})
nicht nur Herr Rexrodt: Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt. Auch der Bundeskanzler sagt: Beschäftigungspolitik machen wir zu Hause. Da macht er sie zwar nicht, aber er hat es abgelehnt, in Europa etwas zu tun. Diese Haltung wurde durch das verdeutlicht, was gestern vorgelegt wurde.
({8})
Es wurde irgend etwas zusammengeschrieben. Eigentlich wollen Sie das gar nicht. Sie haben sich mit der Massenarbeitslosigkeit abgefunden.
({9})
Mit dieser Haltung werden Sie ein soziales, ökonomisch starkes Europa nicht gestalten können.
({10})
Wir haben ein Beschäftigungsprogramm vorgelegt. Einer der Punkte ist die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.
({11})
Sie erklären sich noch nicht einmal zu dieser Feststellung bereit: In einer Demokratie muß jeder junge Mann und muß jedes Mädchen die Chance auf einen Ausbildungsplatz haben, um ihnen den Einstieg in das Erwerbsleben zu ermöglichen. Das ist doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit, daß wir jungen Menschen nach der Schulzeit sagen: Du wirst gebraucht in dieser Gesellschaft; du mußt dich nicht anbiedern, um überhaupt einen Ausbildungsplatz zu bekommen.
({12})
Wenn man das in die Tat umsetzen will, muß man ein Programm auflegen, weil offensichtlich durch die wirtschaftliche Entwicklung allein diese Ausbildungsplätze nicht zur Verfügung gestellt werden können. Deswegen hat die Europäische Union völlig zu Recht gesagt: Wer das will, soll sich mit einem Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit verpflichten, diese Grundsätze durchzusetzen. - Und was machen Sie? Drei Minister setzen sich hin und sagen: Ein bißchen machen wir. Geld haben wir nicht, Lust dazu auch nicht. - Das ist Ihre Haltung zum Kernproblem der Arbeitslosigkeit.
({13})
So kann es nicht weitergehen.
Ich möchte jetzt auf die Verstärkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu sprechen kommen. Norbert Blüm sagt: Eigentlich habe ich kein Geld. Jetzt bekommt er welches aus irgendwelchen Kassen, weil Gelder nicht abgeflossen sind. Ich frage: Was haben Sie mit der Arbeitsmarktpolitik gemacht? Durch Ihr Hin und Her, wie Herr Waigel es gern hätte, haben Sie die Arbeitsmarktpolitik bei uns ruiniert und haben mit der Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes dazu beigetragen, daß 200 000 Menschen in unserem Land zusätzlich arbeitslos wurden. Ihr Weg
war der falsche Weg. Sie sind immer noch nicht in der Lage, dies zu korrigieren. Es wäre höchste Zeit.
({14})
Ich will noch einmal klarmachen: Der Euro gibt uns die Chance, den Binnenmarkt zu vollenden. Sie haben ja recht, wenn Sie sagen: Es wird Preistransparenz und Transparenz in bezug auf die wirtschaftlichen Entwicklungen geben. Wir wissen, daß das wirtschaftliche Gewicht Europas größer wird; wir wissen auch, daß es mehr Planungssicherheit geben wird. Alle, die Vorteile haben werden, sollen sie auch nutzen. Ich bin ganz zuversichtlich, daß es funktionieren kann. Aber es wird nur gelingen, wenn wir dabei die Lösung der Probleme nicht einfach der wirtschaftlichen Entwicklung überlassen, sondern in diesen Prozeß gestaltend eingreifen. Das bedeutet für mich auch aktive Beschäftigungspolitik.
({15})
Darüber hinaus möchte ich einen weiteren Gedanken kurz vortragen, der mich richtig umtreibt; das will ich Ihnen gerne gestehen. Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß wir diese Massenarbeitslosigkeit hinnehmen, weil Herr Rexrodt keine Lust hat, etwas zu tun, und sagt, irgendwann gibt sich das schon. - Hier ist Gestaltung gefragt. Es muß so sein, daß wir den politischen Weg der Europäischen Union in sozialer Verantwortung für die Menschen gestalten. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, wollen am liebsten, daß der Sozialstaat in Europa keine Chance mehr hat; das entspricht Ihrer Haltung. Sie haben seit jeher gesagt: Eigentlich sind die Löhne zu hoch; eigentlich sind die Arbeitnehmer faul; eigentlich sind sie selbst daran schuld, daß sie arbeitslos sind. Sie haben doch Sozialstaatlichkeit nie gewollt. Wir haben sie mühsam durchgesetzt.
({16})
Wir sind nicht auf den Satz reingefallen, daß die Arbeitslosen zu faul sind, sondern wir wissen: Nicht der Sozialstaat ist zu teuer, sondern die Arbeitslosigkeit ist zu teuer. Deswegen haben wir uns auf den Weg gemacht, unsere sozialen Sicherungssysteme in sozialer Verantwortung für die Menschen zu gestalten. Damit waren wir teilweise sehr erfolgreich.
Nun komme ich zu einem spannenden Punkt: Wir wissen, daß sich vieles verändern muß, aber doch im Rahmen sozialer Verantwortung. Wir dürfen unsere Überlegungen - zusammen mit den anderen sozial verfaßten europäischen Ländern - nicht nur auf eine Marktwirtschaft ausrichten, sondern müssen die soziale und ökologische Marktwirtschaft wollen. Das muß unser Modell sein!
({17})
Und in diesem Zusammenhang kenne ich viele - das will ich auch Frau Höll sagen -, die meinen: Oh Gott, daß kommt doch alles nie. - Ich sage dagegen, daß es doch kommt. Meine Erfahrungen in einem langen politischen Leben haben mich gelehrt, daß sich Anstrengungen und Kampf um die Menschen in diesem Lande gelohnt haben. Wir haben soziale Verbesserungen durchsetzen können. Wir haben uns
Anke Fuchs ({18})
konzeptionell zur sozialen und ökologischen Marktwirtschaft bekannt, und ich traue uns zu, daß wir zusammen mit anderen in Europa mit dieser Politik auch Erfolg haben können - zum Wohle der Menschen.
({19})
Das wird schwierig. Die puren Kapitalisten werden es nicht wollen. Es wird um Interessen gehen. Viele von uns werden nach diesen Jahren des Stillstands und der Diskriminierung von Sozialstaatlichkeit sagen: Ihr seid ökonomisch auf dem falschen Weg. Aber das ist doch falsch, meine Damen und Herren. Wir haben zusammen mit den sozial verfaßten Ländern in Europa die Erfahrung gemacht, daß sich Sozialstaat und Wirtschaftsstaat gegenseitig bedingen, daß Sozialpolitik ein positiver Wirtschaftsfaktor ist. Daran muß man anknüpfen. Mit dieser Idee und diesem Kampfbewußtsein - so will ich es einmal ganz bewußt formulieren - werden wir uns der weiteren Entwicklung innerhalb der Europäischen Union stellen. Dann wird nicht Lohnsenkungswettlauf, nicht Lohndumping und nicht der Abbau von Arbeitnehmerrechten auf der Tagesordnung stehen, Sonden wir sagen: Die Menschen in Europa müssen die Chance haben, aufrechten Ganges mit einem Arbeitsplatz ihr Leben zu gestalten. Das muß unser Ziel sein.
({20})
Glaubt denn jemand im Ernst, wir könnten den sozialen Frieden aufrechterhalten - die Menschen werden uns schlicht abwählen -, wenn wir weiter den Weg der Ausgrenzung und des Egoismus gehen? Deswegen bin ich zuversichtlich. Aber ich weiß: Wir sind erst am Anfang eines Weges, der unser aller Einsatz erfordert. Aber wenn ich meine Kollegen und Kolleginnen, die ein bißchen länger dabei sind, frage, dann stimmen sie mir zu: Von der Lohnfortzahlung über die Mitbestimmung bis zur Frauenpolitik, dem Mutterschaftsurlaub zum Beispiel - immer waren Verbesserungen zu teuer. Trotzdem haben wir Schritt für Schritt ein Stückchen Freiheit im Alltagsleben erfahrbar gemacht. Diese Philosophie muß auch für die Weiterentwicklung der Europäischen Union zum Tragen kommen. Dann spricht Europa mit einer Stimme, und dann kriegen wir auch die Globalisierung in den Griff, weil wir uns zutrauen, in den internationalen Organisationen alles zu tun, damit aus freiem Welthandel fairer Welthandel wird.
({21})
Eine Vision, aber an dieser Vision halte ich fest.
Diese Perspektive der Europäischen Union kostet uns viel Zeit, viel Aufwand, viel Einsatz. Aber ich glaube, es lohnt sich, weil das die Chance ist, in dieser Welt vagabundierenden Kapitals ein Stückchen soziale Gerechtigkeit auch für die Menschenerfahrbar zu machen. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen!
Die Menschen in unserem Lande haben Sorgen - ich verstehe das -, vor allen Dingen die älteren. Sie haben unseren Staat aufgebaut: tatkräftig, ohne Zaudern, ohne Kleinmut. Deswegen wissen sie nicht so
recht, was kommt, was ich bei dieser Regierung sogar nachvollziehen kann.
({22})
Würden Sie Ihnen denn Ihr Geld anvertrauen? Und dann sagt die Regierung: Jetzt wird die D-Mark umgestellt! - Nein, wir müssen diese Sorgen ernst nehmen, und wir müssen aufklären. Aber ich denke, wir müssen auch sagen: neue Herausforderungen, andere Zeiten, und deswegen muß es Veränderung geben. Tiefgreifende Veränderungen hat es immer gegeben, meine Damen und Herren.
Es war schon kompliziert, als nach 1871 die Markwährung eingeführt wurde. Damals waren die Menschen verunsichert. Es gibt ein sehr schönes Buch von Oskar Maria Graf „Das Leben meiner Mutter". Mit einem Zitat aus diesem Buch möchte ich enden:
Und jetzt kam auch noch das neue Geld auf! Statt des guten, gewohnten Guldens, der nach und nach verschwand, kursierte jetzt die Silber- und Goldmark, und kein Bauer kannte sich mehr aus beim Rechnen. Sie versteckten ihre Ersparnisse noch ängstlicher und wollten anfangs überhaupt keine Mark annehmen.
Nun, meine Damen und Herren aus Bayern:
Erst nach und nach, als sie sahen, daß sie wirklich für dieses windige Geld in Starnberg und Wolfratshausen ohne Widerspruch alles zu kaufen bekamen, was sie verlangten, gewöhnten sie sich allmählich daran. Freilich, untereinander rechneten sie wie eh und je nach Gulden und Kreuzern.
Und etwas später heißt es dann:
Später verschwand endlich der Gulden, und es trat eine gewisse Beruhigung ein.
Alles schon mal dagewesen, meine Damen und Herren.
Machen wir uns ans Werk!
({23})
Das Wort hat der Kollege Christian Sterzing, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt - dies ist heute deutlich geworden - für eine positive Entscheidung, für eine Zustimmung zur Einführung des Euro eine ganze Menge guter Gründe: historische, wirtschaftliche, integrationspolitische. Und nicht zu Unrecht ist heute von einer historischen Entscheidung gesprochen worden. Ich kann mich so großen Worten wie „Meilenstein" und „Quantensprung" durchaus anschließen.
Dennoch sollten wir nicht verschweigen, daß auch das Ja unserer Fraktion das Ergebnis eines Abwägungsprozesses ist. Die historische Dimension dieser Entscheidung heute darf natürlich den Blick auf die Risiken und die Gefahren nicht trüben, die diese Entscheidung mit sich bringt. Das ist, glaube ich,
nicht Kleinkrämerei, Mißmut oder Miesepetrigkeit, sondern notwendig, und zwar aus zwei Gründen:
Zum einen ist eine ehrliche und, wie ich meine, auch seriöse Auseinandersetzung um Vorteile und Nachteile dieser Währungsunion erforderlich, um Vertrauen in der Bevölkerung zu schaffen. Ich glaube, viel Skepsis in der Bevölkerung ist damit zu erklären, daß in den letzten Jahren gerade von der Regierungskoalition mit platter Schönfärberei versucht worden ist, die Zustimmung zum Euro in irgendeiner Weise zu erreichen. Das ist in der Bevölkerung als nicht glaubwürdig empfunden worden. Insofern müssen wir vorsichtig sein, angesichts einer solchen historischen Entscheidung wieder blühende Landschaften zu versprechen, mehr Arbeitsplätze oder einen wirtschaftlichen Aufschwung. Wir brauchen die kritische Auseinandersetzung, weil wir nur so die Akzeptanz in der Bevölkerung erreichen können.
Der zweite Grund ist, daß ich glaube, daß uns nur eine Analyse der Gefahren und Risiken in die Lage versetzt, uns dauerhaft für einen Erfolg dieser gemeinsamen Währung einsetzen zu können. Die wirtschaftlichen und integrationspolitischen Vorteile und Chancen dieser gemeinsamen Währung überwiegen nach unserer Überzeugung. Deshalb sagen wir ein klares Ja.
Wir brauchen aber angesichts der analysierten Gefahren, der Nachteile und der Risiken auch politische Strategien, um diesen Gefahren in der Zukunft begegnen zu können und um ebenjene Risiken zu mindern. Das verweist natürlich auf den Zusammenhang von Währungsunion und politischer Union. Heute und in den zurückliegenden Tagen ist der Bundeskanzler des öfteren mit seinen Worten aus dem Jahr 1991 im Bundestag zitiert worden, als er sagte, daß die Währungsunion ohne eine politische Union abwegig sei. Dies war und ist richtig.
Aber was bedeutet das heute? Welche konkreten Konsequenzen müssen wir aus dieser Feststellung ziehen? Wenn wir bilanzieren, was in den letzten Jahren seit Maastricht passiert ist und was diesbezüglich von der Bundesregierung angekündigt worden ist, dann muß man, glaube ich, schon sagen: Es ist durchaus das historische Verdienst des Bundeskanzlers, daß es nun zu dieser Währungsunion, zu dieser gemeinsamen Währung kommen wird. Ebenso aber ist der Mangel an Fortschritt auf dem Weg zu einer politischen Union das historische Versäumnis dieses Bundeskanzlers.
({0})
Amsterdam hat dazu eine Chance geboten, das historisch Notwendige zu tun und die politische Union voranzutreiben. Diese Chance ist nicht genutzt worden. Fortschritte sind von der Bundesregierung blokkiert, falsche Weichenstellungen herbeigeführt worden. Wir müssen feststellen, daß die monetäre und fiskalische Konvergenz in Europa in den letzten Jahren in erstaunlichem Maße vorangetrieben worden ist. Trotzdem bestehen realwirtschaftlich durchaus weiter Divergenzen, und trotz der gemeinsamen
Währung besteht natürlich kein optimaler Währungsraum.
Das begründet einen großen politischen Handlungsbedarf. Wenn nämlich die nationalen Währungen nicht mehr bestehen, die auch als wirtschaftliche Steuerungsinstrumente und als Ausgleich gedient haben, dann unterstreicht das die Notwendigkeit, gemeinsame Politik in Europa zu verstärken. Dann wird gemeinsame Politik und damit eine Vertiefung der politischen Union immer notwendiger.
Politische Union heißt dann in diesem Zusammenhang eine viel stärkere Kooperation im Bereich der Wirtschaftspolitik, der Beschäftigungspolitik, der Sozial-, der Umwelt- und der Strukturpolitik. Aber die Chance, die in Amsterdam bestand, ist von der Bundesregierung nicht genutzt worden. Die notwendigen Fortschritte sind in keiner Weise ausreichend vorangetrieben worden.
({1})
- Nein, Sie müssen sehen, daß es um die Einbettung der Währungsunion in die politische Union geht. An diese Chancen gilt es zu erinnern. Diese Chancen müssen politisch angepackt werden.
Wenn man die Bundesregierung in den letzten Tagen gefragt hat, wie sie sich die weiteren Schritte im Sinne einer Vertiefung der politischen Union vorstelle, welche Initiativen sie ergreifen wolle, dann ist die Antwort zumeist Schweigen gewesen. Wenn überhaupt, dann wurde mit dem Hinweis auf die verstärkte polizeiliche Kooperation, auf die gemeinsame Außen- und Wirtschaftspolitik und die Sicherheitspolitik geantwortet. Aber das ist doch nicht das Problem, vor dem wir heute stehen. Der Euro muß doch nicht gegen die organisierte Kriminalität in Europa oder gegen äußere Feinde verteidigt werden. Es geht um die Vertiefung im wirtschaftspolitischen, im beschäftigungspolitischen und im sozialpolitischen Bereich. Das ist die Aufgabe!
Die Bundesregierung hat sich sehr lange dagegen gewehrt, in Amsterdam ein Beschäftigungskapitel in den Vertrag aufzunehmen. Was sie damals nicht blockieren konnte, das versucht sie heute mit einem nationalen Aktionsplan zu sabotieren. Im Grunde ist es ein Aktionsplänchen. Wir haben es gestern nur mühsam wahrnehmen können. Es ist ein lauwarmer Aufguß gescheiterter Stabilitäts- und Wachstumspakte aus den vergangenen Jahren.
({2})
Der Anspruch, die politische Union zu vertiefen, ist von der Bundesregierung bislang nicht ausreichend erfüllt worden. Dafür gibt es natürlich eine Reihe von Gründen; ich möchte nur zwei nennen.
Auch heute war immer wieder die Rede davon, der Euro sei die Antwort auf die Globalisierung. Man muß hier viel präziser sein: Die gemeinsame Währung in Europa ist eine notwendige, aber keineswegs
eine ausreichende Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung.
({3})
Es geht nicht nur darum, daß man der Bundesrepublik die mangelnde Bereitschaft und Unfähigkeit vorwerfen muß, europapolitische Strategien zu entwikkeln, sondern hinter dieser Untätigkeit verbirgt sich auch eine andere Wirtschaftskonzeption.
Auch in der heutigen Debatte ist die Vorstellung deutlich geworden, man könne das, was man in den letzten Jahren auf nationaler Ebene an neoliberaler, marktradikaler Politik zu realisieren versucht hat, nun auf die europäische Ebene übertragen, man könne sozusagen das Kohlsche Modell Deutschland mit seinem Stabilitätsgedanken nun auch auf europäischer Ebene ungebrochen verwirklichen. Der Euro ist nach unserer Überzeugung kein Instrument für eine neoliberale Politik. Der Euro kann und muß - dafür gilt es in den nächsten Monaten und Jahren zu kämpfen - ein Instrument für ein soziales Europa, für ein Europa ohne Massenerwerbslosigkeit werden.
Der mühsame Prozeß der Erreichung der Stabilitätskriterien in der Bundesrepublik Deutschland hat deutlich gezeigt, daß es keineswegs nur dieses einzige Modell Deutschland gibt, um zu Stabilität in Europa zu kommen. Wir brauchen nur den Blick über die Grenzen hinweg zu richten und nach Dänemark, in die Niederlande und auch nach Frankreich zu schauen, um zu erkennen, daß es durchaus möglich ist, eine Konsolidierungspolitik mit einer Sozial- und Beschäftigungspolitik zu verbinden und gleichzeitig die Stabilitätskriterien zu erfüllen. Diese Lehre müssen wir aus den letzten Jahren ziehen. Haushaltskonsolidierung und soziale Sicherung sind gewiß kein Widerspruch, wie es heute auch der Bundesfinanzminister gesagt hat. Allerdings ist diese Bundesregierung den Beweis bislang schuldig geblieben, daß sie in der Lage ist, Haushaltskonsolidierung mit einer sozialen und ökologischen Politik zu verbinden.
({4})
Der zweite Grund, warum es auf dem Weg zur politischen Union nicht weitergeht, ist natürlich die Spaltung der Regierungskoalition, die wir in den letzten Jahren erlebt haben. Von einer gemeinsamen Vorstellung davon, wie dieses Europa aussehen soll, kann in der Regierungskoalition nicht mehr die Rede sein. In den letzten Wochen wurde sogar der Eindruck erweckt, Europapolitik werde eher in München als in Bonn gemacht. In verdächtiger und auffälliger Weise ist in den letzten Tagen wieder stärker vom „nationalen Interesse" die Rede. Das soll nur verkleistern, daß von der Bundesregierung keine handlungsfähige europapolitische Konzeption geboten werden kann.
Wir brauchen eine gemeinsame Währung. Aber diese gemeinsame Währung ist kein Selbstzweck. Auch die von Ihnen erhofften Strukturreformen, die durch den Euro erreicht werden sollen, können kein Selbstzweck sein. Man muß doch mit solchen Reformen bestimmte politische Zielvorstellungen verbinden. Man muß - wir tun es - mit dem Euro, mit dieser dritten Stufe, auch den Willen verbinden, in Europa neue Handlungsspielräume für eine soziale und ökologische Reformpolitik auf europäischer, auf nationaler, aber auch auf regionaler Ebene zu eröffnen.
({5})
Insofern ist die Einführung des Euro sicherlich ein wichtiger Schritt. Aber dieser wichtige Schritt im europäischen Integrationsprozeß darf uns in keiner Weise dazu verleiten, nun die wirtschaftliche Entwicklung in Europa einem Selbstlauf zu überlassen. Der Euro stellt an uns die Anforderung, neue Formen von Gestaltungsaufgaben wahrzunehmen und offensiv aufzugreifen.
Die Debatte über die Einführung des Euro am 1. Januar 1999 kann meines Erachtens nicht nur eine Feierstunde sein, in der man sich gegenseitig für das auf die Schulter klopft, was man in den letzten Jahren erreicht hat. Vielmehr sollte dieser Zeitpunkt für uns Anlaß sein, uns darüber klarzuwerden, daß die Einführung des Euro nicht nur eine große politische Herausforderung ist, sondern daß wir auch die Aufgabe annehmen müssen, die gemeinsame Währung in Europa - und zwar in einem sozialen und ökologisch ausgerichteten Europa - zu sichern. Dieser politischen Herausforderung haben wir uns in der Zukunft zu stellen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Klaus Kinkel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Einführung des Euro ist die wichtigste europapolitische Entscheidung zum Ausgang des Jahrhunderts. Ich, der ich am Anfang durchaus kein Euro-Freak war, sage heute nach intensiver Befassung mit der Materie über Jahre hinweg, daß der Euro aus ökonomischen, aus europapolitischen und auch aus globalen Gründen zwingend notwendig ist und daß er - den Mut müssen wir haben, das deutlich zu sagen - auch ganz speziell im deutschen nationalen Interesse liegt.
({0})
Man kann diese Entscheidung, die in ihrer Bedeutung nicht überschätzt werden kann, nicht im luftleeren Raum betrachten. Man muß sie in die anderen europapolitischen Entscheidungen einbetten die anstehen oder anstanden: der Vertrag von Amsterdam, die Fortsetzung der Integration im Bereich Inneres und Justiz, der Grundsatzbeschluß des Europäischen Rates in Luxemburg im Dezember über die Osterweiterung der Union, die Vorlage der Agenda 2000. Man muß diese Entscheidung natürlich auch in die noch offenen institutionellen Fragen eingebettet sehen, die wir in Amsterdam noch nicht beantwortet haben.
Uns Deutschen als Einwohner des Landes, das in der Europäischen Union am bevölkerungsreichsten und auch am wirtschaftsstärksten ist, obliegt in diesem Gesamtkomplex der weiteren europäischen Integration eine ganz besondere Verantwortung. Ich persönlich bin davon überzeugt, daß dieser Euro der Union eine neue Schubkraft verleihen wird.
Der Binnenmarkt, das Herzteil der Integration, wird durch den Euro vollendet und wird ungeahnte neue Kräfte freisetzen. Ich bekenne ganz offen, daß ich mir auch weitere Hilfe für die Integration in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, in Fragen der institutionellen Anpassungen und auch noch in anderen Fragen wünsche, in denen wir noch weiterkommen müssen.
({1})
Vor 47 Jahren, fast auf den Tag genau, unterzeichneten Deutschland, Frankreich, Italien und die Beneluxstaaten in Paris den Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Damit begann die größte politische Erfolgsgeschichte der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts - die Einigung Europas. Aus einem Kontinent des „Hungers, der Armut, des Despotismus und des Chaos" - wie George Marshall 1947 sagte - wurde eine Europäische Union von derzeit 15 Mitgliedstaaten mit einer augenblicklichen Gesamtbevölkerung von über 370 Millionen Menschen - in der Zukunft werden es 500 Millionen Menschen sein -, die mit rund 12 Billionen DM ein größeres Bruttoinlandsprodukt erwirtschaften als die USA und Japan.
Wir Deutsche - Hans-Dietrich Genscher hat heute morgen darauf verwiesen - bekamen unsere Selbstachtung zurück; unser Land - leider zunächst nur der Westen - wurde in die Familie der freien Völker zurückgeführt; wir erreichten ein nie gekanntes Maß an Wohlstand und sozialer Sicherheit. Heute sind wir wiedervereinigt, nur noch von Freunden umgeben, international geachtet und respektiert - eine 50jährige Erfolgsgeschichte, die wir natürlich in erster Linie dem Fleiß, dem Ideenreichtum der Menschen in Deutschland verdanken, aber auch unserer Grundentscheidung für Europa.
({2})
Das ist übrigens eine Einzahlung in eine Bank, die sich für uns Deutsche mit Zins und Zinseszins im wahrsten Sinne des Wortes ausgezahlt hat.
Wenn immer wieder über Kosten geredet wird: Ja, wir werden der größte Nettozahler bleiben. Aber wir Deutschen profitieren mit weitem Abstand am meisten von der Europäischen Union. Wenn wir in diesen Wochen und Monaten mit dem Euro und der EU-Erweiterung wieder - wie damals nach Kriegsende - vor geschichtlichen Weichenstellungen stehen, dann müssen wir das ganz besonders im Auge behalten.
Aus Deutschland darf kein falsches Signal kommen und zu unseren Partnern und Freunden rüberschwappen, vor allem auch nicht nach Brüssel. Unser Wohlstand, unsere Stellung in der Welt stehen und fallen mit Europa. Nichts kann Europa für Deutschland ersetzen. Es gibt weltweit kein anderes großes Wirtschafts- und Industrieland vergleichbar Deutschland, das so einseitig von einer Region abhängig ist wie Deutschland von Europa. Deshalb haben wir keinen Grund, an Europa herumzunörgeln und dauernd in Skeptizismus zu verfallen, sondern wir sollten diejenigen sein - wie es von den anderen erwartet wird -, die vorangehen. Das wollen wir auch tun, nicht nur bei der Euro-Entscheidung, sondern auch bei der Erweiterung, wo die Länder, die auf uns hoffen, das Recht haben, ganz besonders auf Deutschland als ihren Anwalt zu vertrauen. Denn wir haben am meisten profitiert und tragen deshalb auch, ins Herz Europas zurückgekehrt und wiedervereinigt, die mit weitem Abstand größte Verantwortung.
({3})
Meine Damen und Herren, der Zweite Weltkrieg war kaum fünf Jahre beendet, als Robert Schuman den Anstoß zu einer neuen Europa-Zusammenarbeit gab. Wie damals geht es auch heute im Kern um einen Wandel in unseren Köpfen, um die Einsicht nämlich, daß Wohlstand und Sicherheit nicht mit Beharren auf dem Hergebrachten, sondern nur mit Aufnahme des Neuen zu erhalten sind. Ich räume ein, das war damals, nach dem Zweiten Weltkrieg, etwas leichter. Deutschland lag am Boden. Damals erschien keine Anstrengung zu groß. Heute ist das schwerer. Wir haben mit unserer D-Mark und unserer sozialen Marktwirtschaft große Erfolge erzielt. Jetzt geht es uns ein klein wenig so wie einem Spitzensportler, der viele Medaillen in der Vitrine liegen hat, aber unter veränderten, neuen Wettkampfbedingungen antreten muß. Jetzt gilt es sozusagen im übertragenen Sinne, neue Siege zu erringen. Das verlangt Umstellung auf neue Trainings- und durchaus auch auf neue Wettkampfmethoden. Für uns ist das der Schritt von der D-Mark in den Euro und die Reform unseres Steuer-, Wirtschafts- und Sozialsystems.
Unsere Bürger in Deutschland spüren, daß wir nicht sitzen bleiben können, daß wir vorangehen müssen. Eines wird allen klar: Europa setzt mit dem Euro und der Integration auf Wachstum und Erneuerung - eine Entscheidung, auf die die Welt gewartet hat. Deshalb haben die Weltmärkte und die Finanzmärkte den Euro angenommen. Sie rechnen mit ihm. Es wäre geradezu verheerend, wenn wir jetzt durch eine Verschiebungsdiskussion draußen den Eindruck erwecken würden, als käme er nicht. Der „point of no return" ist längst überschritten, auch was den Zeitpunkt anbelangt. Ich kann nur allen raten, dieses Verschiebungsgerede einzustellen, und zwar schnell, weil es verantwortungslos ist.
({4})
Meine Damen und Herren, natürlich haben wir als europäische Deutsche auch eigene Interessen - von der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und dauerhaften Stabilität bis zur Subsidiarität, von einer schnellstmöglichen Stabilisierung unserer östlichen Nachbarn bis zu einer gerechten Lastenverteilung innerhalb der EU und einer weiterhin engen Verflechtung mit den USA. Diese Interessen vertreBundesminister Dr. Klaus Kinkel
ten wir genauso selbstbewußt wie die Franzosen, Dänen, Italiener und Polen.
Thema Stabilität: Die Übernahme der Stabilitätskultur der D-Mark durch die große Mehrzahl unserer Partner, der Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt und der Stabilitätspakt sind nicht vom Himmel gefallen. Die Bundesregierung hat da im besten Sinne des Wortes geführt. Der Bundeskanzler an der Spitze ist heute mehrfach gelobt worden. Ich begleite ihn in der nicht immer einfachen Arbeit, was die Europa-Politik anbelangt, seit sechs Jahren. Ich kann nur sagen, daß er durch seine Art Politik zu machen, ganz entscheidend mit erreicht hat, daß wir heute da stehen, wo wir stehen. Dafür gebührt ihm Dank.
({5})
Dieser Dank gebührt auch dem Kollegen Waigel, der es nicht leicht hatte und dem ich als einem Gefährten in den letzten Jahren heute auch von dieser Stelle aus besonders danken will.
({6})
Ich möchte - das werden alle hier im Saal verstehen - meinen ganz besonderen Dank an Hans-Dietrich Genscher richten. Er hat als mein Vorgänger 18 Jahre lang die deutsche Außenpolitik geführt. Daß wir wiedervereinigt sind, daß wir in Europa so weit gekommen sind, daß wir heute diese historische Entscheidung zum Euro treffen können, ist ganz entscheidend auch ihm zu verdanken. Vielen Dank, Hans-Dietrich Genscher!
({7})
Ich habe auch das Bedürfnis - das mögen mir die anderen verzeihen -, zwei Kollegen in meiner Fraktion besonders zu danken, an der Spitze Helmut Haussmann.
({8})
Helmut Haussmann hat, was vielfach nicht bekannt ist, in den letzten Jahren hier in Deutschland über 300 Aufklärungsveranstaltungen in Sachen Euro durchgeführt. Dasselbe gilt für Herrn Thiele. Herzlichen Dank!
({9})
- Ich will in den anderen Fraktionen mal jemanden sehen, der über 300 Veranstaltungen durchgeführt hat.
Meine Damen und Herren, was den Beitritt unserer mittel- und osteuropäischen Partner zur EU anbelangt, so kann ich nur davor warnen, auch da - wie beim Euro - eine erneute Verschiebungsdiskussion anzuzettteln. Das wird uns nicht bekommen. Diese Region ist inzwischen die Wachstumsregion Nummer eins in der Welt. Wir haben auch ein enormes eigenes Interesse daran, daß unsere Ostgrenze nicht mehr
die Grenze zwischen Ost und West in Europa darstellt. Die Polen, die Tschechen, die Ungarn und die anderen mittel- und osteuropäischen Länder haben mit ihrem Freiheitswillen - das ist heute schon mehrfach erwähnt worden - dazu beigetragen, daß wir wiedervereinigt sind, und das ist das größte Glück der Deutschen.
Ich wiederhole immer wieder: Es kann nicht richtig sein, daß wir diesen Ländern über Jahrzehnte zugerufen haben: Legt den Kommunismus, den Marxismus-Leninismus ab, kommt zu uns in unsere freiheitliche westliche Gemeinschaft!, um ihnen jetzt zu sagen: Wir haben leider Gottes so viel Probleme, vor allem Finanzprobleme; das kostet was; für euch ist in diesem europäischen Haus leider kein Zimmer frei. - Das wäre unhistorisch, das wäre fatal, das wäre auch zutiefst ungerecht; denn nach der Wiedervereinigung sind die neuen Bundesländern in die EU und in die NATO hineingekommen. Deshalb haben wir als Land im Herzen Europas jetzt auch den mittel- und osteuropäischenn Ländern gegenüber eine ganz besondere Verantwortung. Das durfte man denen nicht nur versprechen; dazu muß man stehen.
({10})
Eines ist allerdings klar: Diese Beitrittsfrage wird schwieriger werden. Wir haben es mit Ländern zu tun, die über Jahrzehnte Diktatur und Kommandowirtschaft hatten. Sie müssen jetzt in rechtsstaatliche und marktwirtschaftliche Strukturen hinein. Deshalb brauchen sie besondere Hilfe, Hilfe zur Selbsthilfe. Die haben wir ihnen versprochen, und die wollen wir ihnen auch geben.
Meine Damen und Herren, heute geben wir unser Votum für einen wahrhaftig historischen Schritt ab, für einen Schritt Europas zu einer neuen Gemeinsamkeit und Stärke. Er krönt im übrigen einen 40jährigen Prozeß, einen oft nicht einfachen Weg. Er öffnet aber zugleich die Tür für eine Stellung unseres Kontinents im 21. Jahrhundert, die seinem großen geschichtlichen, geistigen und kulturellen Beitrag gerecht wird.
Die überwältigende Mehrheit in diesem Hause ist dafür, daß Deutschland diese Chance, die uns die Geschichte einräumt, wahrnimmt. Das ist gut so für die Menschen in Deutschland und in ganz Europa.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Heidi Wieczorek-Zeul, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin, wie Sie sicher wissen, seit langem davon überzeugt, daß eine Europäische Wirtschafts- und Währungsunion von politischem und ökonomischem Nutzen und notwendig ist. Ich knüpfe dabei an die Forderung an, die Willy Brandt 1969 auf der Konferenz in Den Haag zu dieser Wirtschafts- und Währungsunion gestellt hat und die im Europäischen Währungssystem unter der
Kanzlerschaft von Helmut Schmidt dann ihre Fortsetzung gefunden hat.
Ich freue mich, daß meine Fraktion mit ganz großer Mehrheit dieser dritten Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zustimmt
({0})
und damit deutlich macht, daß diese Entwicklung hin zu einer europäischen Wirtschaftsunion, einer Sozialunion und einer Umweltunion in der Konsequenz sozialdemokratischer Politik liegt.
({1})
Es ist zwar immer wieder angeklungen, aber ich will noch einmal zugespitzt sagen, was bei mir ein Großteil der Begründung ist - bei der Kollegin Anke Fuchs haben Sie das sicher auch alle sehr deutlich gespürt -: Wir erleben doch, daß in der Welt neue große Handelsblöcke entstehen. Eine Europäische Wirtschafts- und Währungsunion wird unter den Bedingungen dieser Handelsblöcke einfach bessere Voraussetzungen für mehr Wettbewerb zu unseren Gunsten haben, und vor allen Dingen wird uns meiner Meinung nach der Euro eine größere Einflußnahme auf die Regeln der Weltwirtschaft ermöglichen. Das ist doch der Punkt, um den es geht.
({2})
Er wird uns nicht einfach den Regeln unterwerfen, angeblich dem Freihandel, sondern er wird es uns ermöglichen, die Regeln zu gestalten. Wir wollen und werden sie zum Nutzen der Menschen einsetzen. Es geht darum, auf der europäischen Ebene und auf der internationalen Ebene einen neuen sozialen und ökologischen Ordnungsrahmen zu schaffen, der national durch die entsprechende Flexibilität und die entsprechende grenzüberschreitende Entwicklung auf der Kapital- und Finanzseite längst ausgehöhlt worden ist.
({3})
Deshalb brauchen wir diesen neuen Ordnungsrahmen im Rahmen der Europäischen Union und auch im Rahmen internationaler Beziehungen.
Es ist heute sehr deutlich geworden: Das Konzept der Bundesregierung ist das Gegenteil von solcher internationalen oder europäischen Kooperation. Es führt in letzter Konsequenz sogar zur Aushöhlung der finanziellen Basis der Mitgliedstaaten und zu verschärfter Arbeitslosigkeit.
Wir hatten im Vorfeld der heutigen Debatte viele Anhörungen. Eine der für mich besonders erschütternden Anhörungen war die am Dienstag, bei der Helmut Kohl - er ist jetzt nicht mehr da - zwei Tage vor der Entscheidung über das gemeinsame Geld in der Europäischen Union davon gesprochen hat, man müsse das Subsidiaritätsprinzip auf die Haushalts-, Wirtschafts- und Finanzpolitik konsequent anwenden. Wer so argumentiert, also auf gut deutsch sagt, es wird nach wie vor alles zu Hause gemacht, der hat von den ökonomischen und finanzpolitischen Konsequenzen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion null Ahnung, und er hat auch nicht verstanden, was auf uns zukommt. Das ist ganz eindeutig. Er hat es nicht zu Ende gedacht.
({4})
Es geht nicht um die Vergemeinschaftung dieser Politikbereiche. Es geht natürlich um die politische Union. Es geht aber vor allem um die engere Zusammenarbeit, damit die kommenden Herausforderungen bewältigt werden können.
Ich sage es noch einmal: Wir haben in Deutschland knapp 5 Millionen registrierte Arbeitslose. EU-weit gibt es 18 Millionen Arbeitslose. Wenn wir einen stabilen und starken Euro schaffen wollen, müssen wir die Massenarbeitslosigkeit in den Griff bekommen. Sie sind von Ihrem Konzept, von dem ganzen Ansatz her nicht in der Lage, das zu schaffen.
({5})
Wenn Ihre Politik fortgesetzt wird, droht uns in der nächsten Rezession ein Anstieg der Arbeitslosenzahl auf 6 Millionen, der die öffentlichen Haushalte über die massiv steigenden Kosten für die Arbeitslosigkeit endgültig sprengen würde und übrigens dann auch die gemeinsame Währungsunion sprengen würde.
({6})
Ich will es an dieser Stelle - auch Anke Fuchs hat das getan - noch einmal sagen: Es ist schon ein Trauerspiel, daß Sie nicht imstande sind, den von Ihnen selbst eingeforderten und mitbeschlossenen beschäftigungspolitischen nationalen Aktionsplan zeitgerecht vorzulegen.
({7})
- Herr Thiele, ich weiß, wie es war. In der Osterzeit konnte man doch jeden Tag, wenn man den Fernseher eingeschaltet hat, feststellen, was Stoiber von der Europapolitik von Klaus Kinkel hält, nämlich nichts. Es gab Auseinandersetzungen über die Frage, wie die Europapolitik angeblich am besten organisiert werden sollte. Mein Gott, reden Sie doch nicht soviel über die Organisation der Europapolitik, sondern legen Sie den Aktionsplan fristgerecht vor!
({8})
Sie haben ihn nicht vorgelegt. Es ist deutlich geworden, daß das für Sie eigentlich nur ein Lippenbekenntnis war und daß Sie das eher pflichtgemäß und lustlos gemacht haben. Die 50 Punkte, die schon 1996 in Ihrem Programm enthalten waren, haben Sie jetzt wieder aufgewärmt. Es ist überhaupt nichts Neues hinzugekommen.
Der europäische Einigungsprozeß steht am Ende dieses Jahrhunderts - das ist eben auch von Herrn Kinkel angesprochen worden - vor entscheidenden Weichenstellungen. Dabei geht es nicht nur um den Euro. Die Osterweiterung ist zu bewältigen, und im Rahmen der Agenda 2000 sind Strukturfonds und die Agrarpolitik grundlegend zu reformieren. Hinzu kommt die Reform der EU-Finanzen. Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft - sie beginnt am
I 1. Januar 1999 - müssen diese Punkte entschieden werden. Diese Bundesregierung ist aber nicht mehr imstande, die notwendigen Reformen zu gestalten. Herr Kinkel hat hier wieder diese unseriöse Art praktiziert.
({9})
- Ja, das ist unseriös. Man kann nicht einerseits sagen, die schnelle Osterweiterung solle kommen, aber sie solle kein Geld kosten, gleichzeitig noch den deutschen Finanzbeitrag senken und andererseits dazu beitragen, daß jede vernünftige Reform unter dem Stichwort Agenda 2000 schon im Vorfeld verhindert wird. Das ist doch die Methode, die Sie praktizieren.
({10})
Deshalb sage ich: Eine für Deutschland und für die Europäische Union erfolgreiche deutsche Präsidentschaft in der EU kann es unter Ihrer Führung nicht geben. Sie nehmen heute die Blockade der notwendigen Entscheidungen in Brüssel bewußt in Kauf, und zwar einzig und allein aus wahltaktischen Gründen. Sie zerschlagen dabei - Stoiber war daran massiv beteiligt - mutwillig und ohne Nutzen für das deutsche Volk Porzellan nach dem Motto: Nach uns die Sintflut. Sie tun dies so, daß jeder, der es sieht, schlußfolgern muß: Sie sind sicher, daß Sie selbst die Scherben nicht mehr aufkehren müssen.
({11})
Für unser Land bedeutet das aber Schaden. Denn die Kosten für das, was finanziert werden muß, werden für die Menschen in unserem Land um so höher, je mehr Wahlversprechen Sie zur Agenda 2000 vorher aller Welt in Deutschland geben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein schlüssiges Konzept Deutschlands für die EU-Ratspräsidentschaft. Wir können es uns nicht leisten, erst im Dezember 1998 handlungsfähig zu sein. Diese EU-Ratspräsidentschaft ist eine Möglichkeit, den EU-Einigungsprozeß voranzubringen. Für die Bundesregierung war die Vorbereitung bisher reine Formsache. Zu mehr ist sie auch nicht imstande, weil sie mit dem Streit in den eigenen Reihen beschäftigt ist. Wer das Gerangel um die heutige Rednerliste miterlebt hat, fragt sich: Wenn schon dabei soviel Streit entsteht, wie kann dann bei Ihnen in den wirklich relevanten Fragen der politischen Agenda Europas überhaupt noch eine gemeinsame Position zustande kommen?
({12})
Es ist richtig: Wir haben mit der Osterweiterung und mit der Wirtschafts- und Währungsunion wichtige Schritte in Richtung auf die weitere Entwicklung Europas am Ende dieses Jahrhunderts auf den Weg gebracht. Damit ist ein Beitrag geleistet worden, um künftige Kriege in Europa zu verhindern. Aber jetzt geht es darum, die Zukunft der Europäischen Union zu gestalten. Hierzu fällt Ihnen nichts mehr ein. Dazu haben Sie kein einziges Konzept mehr vorzulegen.
Wir als Sozialdemokratie sagen: Wir haben unsere Positionen für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft entschieden und festgelegt. Wir werden einen europäischen Beschäftigungspakt schließen und diesen mit anderen EU-Partnerländern verwirklichen, die nur darauf warten, daß von Deutschland endlich ein Signal in Richtung auf die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ausgeht.
({13})
Wir werden - das hat Gerhard Schröder heute sehr deutlich gemacht - den Euro als Instrument für eine verstärkte Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik nutzen. Wir werden den Euro einsetzen, um stärkeren Einfluß auf die Regeln der Weltwirtschaft zu erhalten und dafür zu sorgen, daß soziale und ökologische Standards stärker als bisher bei der Regulierung der Weltwirtschaft und auch bei den Verhandlungen zum Welthandelsabkommen zur Geltung kommen.
({14})
Wir werden die Osterweiterung der Europäischen Union solide vorbereiten.
Ich sage an dieser Stelle eines; Herr Kinkel, wenn Sie über diese Frage nachdenken, werden Sie dem zustimmen müssen.
({15})
- Ja. - Jeder weiß, schon die Währungsunion war ein Riesenschritt mit großen Akzeptanzproblemen. Die Osterweiterung wird ein vergleichbarer Schritt mit mindestens ebenso großen Akzeptanzproblemen in der Bevölkerung werden. Deshalb kommt es darauf an, daß man die Leute in diesen Fragen nicht belügt, wie das zum Teil aus dem Hause der Bayerischen Staatskanzlei passiert, sondern dafür sorgt, daß ein klares Konzept entwickelt wird.
Das heißt, man muß sagen: Erstens. Es gibt ein Limit für die Finanzen der EU. Das liegt bei 1,27 Prozent des Bruttosozialprodukts. Darüber wird auch bei der Osterweiterung nicht hinausgegangen.
({16})
Zweitens. Wir wollen eine Reform der Agrarpolitik - diese ist notwendig -, weg von der Subventionierung von Preisen und hin in Richtung auf die Sicherung ländlicher Existenzen und des ländlichen Raumes. Dabei müssen auch die unterschiedlichen Betriebsgrößen in den ostdeutschen Ländern berücksichtigt werden.
({17})
Wir wollen dafür sorgen, daß mehr Beitragsgerechtigkeit herrscht. Theo Waigel ist der erste, der darüber spricht, daß wir den deutschen Beitrag reduzieren müßten. Zur Ehrlichkeit gehört übrigens auch zu sagen: Als Sie diesen Beitrag 1992 beschlossen haben, war die Einigung bereits vollzogen. Da wußten Sie genau, daß das vereinte Deutschland nicht mehr ganz so wirtschafts- und finanzstark war. Trotzdem haben Sie in Edinburgh damals diesen Beitrag
beschlossen. Dann stellen Sie sich jetzt hier aber nicht hin und tun so, als wären es andere gewesen! Sie haben ihn selber beschlossen.
({18})
Deshalb können wir erst dann, wenn der bisherige Finanzierungsrahmen wegfällt, über neue Perspektiven verhandeln. Wir wollen, daß er gerechter wird. Es kann nicht angehen, daß Länder wie Dänemark und Luxemburg proportional mehr Finanzmittel aus dem EU-Haushalt zurückbekommen, weil sie einen höheren Agraranteil haben. Wir brauchen mehr Gerechtigkeit.
Die Reform der Agrarpolitik und die Reform der Finanzen der Europäischen Union und die besseren Rückflüsse in die Bundesrepublik sind auf das engste verkoppelt. Wer das nicht sieht, wird vor allem dazu beitragen, daß die Osterweiterung der EU in der Zeitachse immer mehr verschoben wird und daß die Versprechungen, die Herr Kinkel und andere in ihren Reden gemacht haben, nicht eingelöst werden können.
Wer hat heute daran erinnert, daß Helmut Kohl den Polen versprochen hat, im Jahre 2000 seien sie in der Europäischen Union? Solche vollmundigen Versprechen, die anschließend nicht durch praktische Politik eingelöst werden können, schaden dem Ansehen und führen dazu, daß das Vertrauen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland gestört wird.
Wir werden eine solche Politik nicht praktizieren. Wir haben klare Perspektiven für die EU-Ratspräsidentschaft. Dazu gehört, daß auch über gemeinsame Werte der Bürgerinnen und Bürger gesprochen wird. Es gibt Gemeinsamkeiten aller Europäer. Zu ihnen gehört die Gemeinsamkeit des sozialen Rechtsstaates. Zu ihnen gehören auch die gemeinsamen Grundwerte und Grundrechte. Wir wollen, daß es in der Europäischen Union nicht nur das Geld gibt, sondern daß auch die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger, die in der Europäischen Union leben, entsprechend verankert und geschützt werden. Dann hat die Europäische Union, dann hat die Verwirklichung der Perspektiven der europäischen Entwicklung eine gute Chance. In diesem Sinne wollen wir es anpacken.
Vielen Dank.
({19})
Zu Ihrer Information, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Die verbleibende Debattenzeit beträgt nach den noch vorliegenden Wortmeldungen etwa eine Stunde und 20 Minuten.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel, PDS.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die PDS wird sich - ich wiederhole das - als einzige im Deutschen Bundestag vertretene Partei dem Beitritt der Bundesrepublik
Deutschland zum künftigen Euro-Land widersetzen. Wir sagen nein zu diesem Euro.
({0})
Die PDS ist damit auch die einzige in den Deutschen Bundestag gewählte Fraktion bzw. Gruppe, die den Vorbehalten der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger - ich sage das ausdrücklich an Ihre Adresse, Herr Thiele - gegenüber der Einführung des Euro in Deutschland wirklich Rechnung trägt.
Wir halten gerade in einer so fundamentalen Frage, wie es der Beitritt zur Europäischen Währungsunion nun einmal ist, eine Volksabstimmung für unabdingbar. Auch hier war es eine übergroße Koalition aus CDU/CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/ Die Grünen, die das aus fadenscheinigen Gründen verhindert hat. Diese Parteien haben mit ihrem Nein im Bundestag zu dem PDS-Antrag, eine Volksabstimmung durchzuführen, verhindert, daß die Bevölkerung, die Bürgerinnen und Bürger, der Souverän, über die Einführung einer Einheitswährung entscheiden kann. Das ist die Wahrheit. Die SPD, auf deren Zustimmung zur Euro-Einführung die Regierungskoalition angewiesen war, hätte ihr Votum dazu von der Durchführung einer Volksabstimmung über dieses Projekt abhängig machen können. Dieses Junktim aber unterblieb.
({1})
Diese Parteien haben damit eine große Verantwortung auf sich geladen.
Eine übergroße Koalition war es im übrigen auch, die sich im federführenden Finanzausschuß in geschlossener Front einem PDS-Antrag widersetzte, der vorsah, daß in den zahlreichen öffentlichen Anhörungen zur Euro-Einführung ausdrücklich auch Expertinnen und Experten gehört werden - diese gibt es ja sehr zahlreich -, die dem Euro ablehnend gegenüberstehen. Das wurde in geschlossener Front unterbunden.
Hierzu möchte ich einen Vergleich anbringen: Bei den jüngst durchgeführten öffentlichen Anhörungen zur Steuerreform wurden beispielsweise an die 100 Fachleute eingeladen, die zum Teil ganz unterschiedliche Positionen vertreten haben. Bei den Anhörungen zur Steuerreform fanden diese Kritiker im Bundestag Gehör. Ganz anders war es bei dem besagten Euro-Projekt. Hier wurden ausdrücklich einige wenige Euro-Befürworter eingeladen. Damit konnte die Anhörung nur zu einer Farce verkommen.
Selbstverständlich hat die Euro-Einführung viele Gewinner, in Deutschland und in den voraussichtlich zehn weiteren Ländern: Das sind die Großbanken, die Großassekuranzen, die international agierenden Industriekonzerne. Die mit der Einführung der Einheitswährung verbundene Verschärfung des internationalen Konkurrenzkampfes und der damit einhergehende Fusionsdruck nicht zuletzt im Banken- und Investmentbereich werden diesen Unternehmen nie dagewesene Gewinne bescheren. Einen Vorgeschmack darauf geben, um in Deutschland zu bleiDr. Uwe-Jens Rössel
ben, die Entwicklungen der Aktienkurse solcher börsennotierter Unternehmen wie Dresdner Bank, BASF oder wie der Softwareschmiede SAP, deren Kurse allein seit dem 1. Januar dieses Jahres um bis zu 60 Prozent gestiegen sind.
Die Euro-Einführung hat so manche Gewinner; aber sie wird auch Millionen Verliererinnen und Verlierer haben. Dazu gehören die kleinen Leute. Verlierer werden aber auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die Händler und Handwerksbetriebe sein, die nicht für den Export, sondern für den deutschen Binnenmarkt arbeiten und für die heute von den großen Parteien keine Lanze gebrochen wurde.
Die Umstellungskosten im Rahmen der Euro-Einführung sollen in Deutschland nach Angaben von IBM - das ist ja wohl ein seriöses Unternehmen - immerhin bis zu 300 Milliarden DM betragen. Für Zehntausende bereits jetzt in Existenzschwierigkeiten geratene Unternehmen, die nicht vom Wegfall des Wechselkursrisikos profitieren können, könnten die immensen Umstellungskosten zu einem Waterloo führen.
Verlierer der Euro-Einführung werden aber auch die 2059 Städte, die 12 000 Gemeinden und die 323 Landkreise in Deutschland sein. Der Stabilitäts-
und Wachstumspakt wird den finanziellen Spielraum der ohnehin stark ausgebluteten Kommunen weiter einengen. Ausgaben der Städte und Gemeinden vor allem im soziokulturellen und im Freizeit- und Jugendbereich werden weiter gegen null gefahren, und die für die Förderung des angeschlagenen Baugewerbes in Deutschland so dringend notwendigen kommunalen Investitionen werden weiter zurückgeführt. Hinzu kommt, daß die Kommunen selbst für die Umstellung ihrer Verwaltungen, aber auch für die Umstellung von Parkuhren, den Austausch von Münzprüfern oder für die Umstellung der EDV-Software in ihrer Buchführung erhebliche finanzielle Mittel berappen müssen.
Die Knute des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, unter der sich momentan nur wenige etwas vorstellen können und die der Bundesfinanzminister am liebsten schon morgen in Kraft setzen würde, wenn da nicht der französische Widerstand wäre, wird auch für die Kommunen erbarmungslos sein. Dieser Pakt wird keine Rücksicht darauf nehmen, daß sich in den Gemeinden durch fehlende Mittel für den Jugendfreizeitbereich ein günstiger Nährboden für Jugendkriminalität und Gewalt entwickeln kann. Fürwahr, eine verhängnisvolle gesellschaftliche Entwicklung!
Eine Währungsunion, eine gemeinsame Währung, für zumindest elf Länder ohne belastbaren politischen Rahmen, ohne begleitende beschäftigungs-
und sozialpolitische Mindeststandards wird in der Tat Spannungen produzieren, zumal in Europa - der Bundeskanzler ist ja anwesend - die integrationspolitischen Zielsetzungen mehr auseinander- als zusammenlaufen. Von einer Europäischen Union, die als unerläßliche Grundlage für die Währungsunion fungieren müßte, kann nun wahrlich noch keine Rede
sein. Auch der unsägliche Steuerwettstreit im EuroLand hält unvermindert an; Steueroasen gedeihen weiterhin.
Die am 1. Juli 1998 ihre Arbeit aufnehmende Europäische Zentralbank wiederum wird ausschließlich auf die Einhaltung der Preisstabilität - ganz gewiß kein unwichtiges volkswirtschaftliches Moment; das will ich ausdrücklich betonen - ausgerichtet sein. Diese Europäische Zentralbank aber wird schon von ihrem Statut her nichts zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit tun. Ihre Tätigkeit wird dazu führen, daß der Handlungsspielraum der nationalen Parlamente und Regierungen für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit weiter eingeschränkt wird. Der Stabilitäts-
und Wachstumspakt steckt dahinter.
Es ist doch ein Wunschdenken, wenn der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder erst - wenn auch mit Bauchschmerzen - den Euro einführen und dann Programme gegen die Massenarbeitslosigkeit initiieren will. Die Europäische Zentralbank, deren Präsidentenkür schon monatelang ein wahres Schmierentheater ist, wird sich von verbalen Absichtserklärungen der SPD oder ihres Kanzlerkandidaten nicht beeindrucken lassen, zumal diese auf ihre politische Unabhängigkeit pocht.
Durch die Einführung der Einheitswährung werden bislang mögliche Mechanismen für den weitgehenden Ausgleich der zum Teil erheblichen Produktivitätsunterschiede zwischen den beteiligten Ländern wegfallen. Diese gravierenden Produktivitätsunterschiede zwischen den Volkswirtschaften - ich nenne als Beispiel die Arbeitsproduktivitätsunterschiede zwischen Deutschland und Portugal, die nach Einschätzung des Präsidenten der Zentralbank von Portugal genau bei 38 Prozent liegen - werden künftig eben nicht mehr durch Veränderungen der Wechselkurse bzw. Veränderungen der Geldmarktzinsen, sondern vor allem auf dem Arbeitsmarkt bzw. dem Lohnsektor ausgetragen. Möglichkeiten, durch Zinssenkungen die Binnenkonjunktur in den EU-Ländern anzukurbeln, fallen weg. Es gibt künftig nur noch einen einheitlichen Geldmarktzins für alle elf beteiligten Länder.
Die Folge - wir brauchen dazu keine Propheten zu sein - wird eine weiter steigende Arbeitslosigkeit sein. Bereits jetzt gibt es über 18 Millionen Arbeitslose in den beteiligten elf EU-Ländern. Eine weitere Folge wird auf Grund der großen Produktivitätsunterschiede und der großen Unterschiede im Tarifsystem ein neuer Druck auf die Löhne sein, und zwar auch in der Bundesrepublik, wo im Jahre 1997 zum erstenmal seit vielen Jahren nicht nur die Reallöhne, sondern auch die Nominallöhne gesunken sind.
Zeit!
Mein letzter Gedanke. - All das ist mit der PDS nicht zu machen. Daher unser Fazit: Ja zur europäischen Integration der Bürgerinnen und Bürger, aber nein zu diesem Euro. Die
Ausgangs- und Rahmenbedingungen dafür stimmen nicht.
Vielen Dank.
({0})
- Darüber müssen wir diskutieren.
Das Wort hat Herr Minister Rainer Brüderle, Rheinland-Pfalz.
Staatsminister Rainer Brüderle ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Projekt Euro ist heute eindeutig auf der Zielgeraden. Das war letzten Monat nicht immer so klar absehbar. Es gab heftige Diskussionen pro und kontra die Kriterien von Maastricht; es gab eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. All das hat aber auch ein Gutes: Es gibt wohl niemanden mehr in Deutschland, der nicht weiß, daß der Euro, daß das neue Geld kommt.
Historische Dimension, Gemeinsamkeit - eine weitere in Europa -: Es hat seinen Charme, sich mit einer Währung in quasi ganz Europa bewegen zu können. Aber bei Geld geht es um klare Fakten, nicht um Sinnlichkeit. Es hat selten, wahrscheinlich nie ein Projekt gegeben, das mit einem solchen Umfang an ökonomischem Sachverstand analysiert und kommentiert worden ist.
({1})
Die Konvergenzberichte der EU-Kommission und des Europäischen Währungsinstituts sowie die erbetene Stellungnahme der Deutschen Bundesbank liegen vor. Die Berichte enthalten Lob, zum Teil aber auch Tadel, zum Beispiel bezogen auf die Situation in manchen Partnerländern.
Es gibt aber auch dezidierte Eintragungen in das Pflichtenheft der Bundesrepublik Deutschland selbst. Die Bundesbank hat formuliert: Für den Erfolg der Währungsunion sind eine mit dem Stabilitätsziel in Einklang stehende Wirtschaftspolitik und eine zügige Anpassung des staatlichen und des privaten Sektors an die Rahmenbedingungen unerläßlich.
({2})
Aus der Sicht der Bundesbank sind noch erhebliche Anstrengungen erforderlich, um die Stabilitätsgemeinschaft im ganzen Währungsraum auf Dauer zu sichern.
Was heißt das konkret für Deutschland? Um uns für den Euro-Raum mit zunehmendem Wettbewerb stabilitätsorientiert fit zu machen, ist der Weg klar beschrieben: Es ist der Weg der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, der Wettbewerbsbedingungen unserer Wirtschaft. Genau dies und nur dies ist die
Grundlage, der Grundstein für mehr Dynamik und neue Arbeitsplätze.
({3})
Das Scheitern der Steuerreform durch das Negativvotum des Bundesrates ist einer der entscheidenden Punkte, warum wertvolle Zeit für Modernisierung, für neue Arbeitsplätze verlorengeht. Es ist noch unerträglicher, daß man sich anhören muß, die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik habe angeblich versagt. Das geschieht quasi nach dem Motto: Erst wird dem Auto die Hinterachse verweigert, dann wird der Fahrer beschimpft, daß man nicht vorankommt.
({4})
So kann man es nicht machen. Deshalb muß das Pflichtenheft der Bundesrepublik fest in die Hand genommen und Punkt für Punkt abgearbeitet, abgehakt werden.
Die Hausaufgaben sind durch den Euro noch drängender geworden. Erster Punkt bleibt die große Steuerreform, die Vereinfachung des Steuerrechts; die Tarifpartner müssen dabei ihren Beitrag leisten. Es folgen: weitere Flexibilisierung auf den Arbeitsmärkten, Abbau von Überregulierungen, konsequente weitere Privatisierung der Bundesbeteiligungen, Marktzutritt für neue Wettbewerber. Bildung, Forschung und Innovation müssen neue Schwerpunkte, neues Fundament sein, auf dem Arbeitsplätze entstehen können.
Eines muß allen klar vor Augen stehen: Es ist nicht nur der Beginn der Währungsunion, der in diesen Maitagen auf den Weg gebracht wird. Es muß auch der Beginn sein, notwendige flankierende, vitale Reformen in Deutschland voranzubringen. Sie dürfen nicht aus Machtkalkül blockiert werden.
({5})
Ich sage das aus der Sicht von Rheinland-Pfalz, einem Land, das an drei europäische Nachbarstaaten angrenzt. Es wird für große wie für kleine Unternehmen sehr wohl eine große Chance sein, mit einem Preis, mit vergleichbaren Kosten und Preisstrukturen arbeiten zu können. Es ist Unfug, zu sagen: Die kleinen Unternehmen haben nichts davon. Wenn die Wirtschaft besser läuft, wenn wir wirtschaftlich stärker werden, haben alle etwas davon. Das kann man nicht mit dieser Primitivökonomie auseinanderdividieren.
({6})
Das Wort hat der Kollege Reinhard Schultz, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bin sehr froh darüber, daß wir nach einem schwierigen Abwägungsprozeß alle zu dem Ergebnis gekommen
Reinhard Schultz ({0})
sind: Es lohnt sich, das Projekt Euro zu beginnen - vielleicht mit gewissen Zweifeln, was das Zustandekommen angeht, aber doch mit großen Hoffnungen, was die Zukunft anbelangt.
({1})
Ich selbst habe großes Verständnis für die Sorgen und die Skepsis der Bürger, der Bürgergruppen und auch von Teilen der Wirtschaft, wenn sie fragen, wie sich denn auf mittlere Sicht der Wert des Euro zum Beispiel im Vergleich zum Dollar oder zum Yen entwickeln wird. Ich habe Verständnis, wenn gefragt wird, ob diese Wirtschafts- und Währungsunion ausschließlich eine Veranstaltung des großen Geldes sei oder auch ein Hebel, um große regionale und soziale Disparitäten zu überwinden und einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu leisten. Ich habe Verständnis, wenn gefragt wird, wieso es eigentlich im Zeitalter der Globalisierung und bei einem sich entwickelnden europäischen Binnenmarkt hingenommen werden muß, daß sehr gute Unternehmenserträge erwirtschaftet werden und gleichzeitig die Arbeitslosigkeit explodiert. Ich kann verstehen, daß gefragt wird, ob das Gebot der Geldwertstabilität nicht mißbraucht wird, um eine grandiose Umverteilung von unten nach oben in dieser Gesellschaft zu organisieren. Ich habe auch Verständnis dafür, daß gefragt wird, ob das Projekt „europäischer Binnenmarkt" letztendlich eine Großveranstaltung werde, die die Deutschen sehr viel kosten wird; denn wenn man den Wert des Euro hochhalten will, dann wird man die schwächeren Volkswirtschaften mit deutschen Mitteln über Wasser halten müssen.
Das sind Fragen, die gestellt werden und auf die man antworten muß, gerade dann, wenn man sich zu dem Projekt Euro bekennt. Deswegen hat die SPD einen eigenen, ergänzenden Entschließungsantrag eingebracht, der sozusagen unter dem Dach des Konsenses deutlich macht, wie wir diese Fragen beantworten würden und welche Perspektiven wir mit dem Euro verbinden.
Natürlich kann heute gefragt werden: Warum habt ihr nicht schon früher alles Mögliche gemacht? Ich habe für den Bundeskanzler Verständnis, wenn er vor dem Hintergrund seiner politischen Schwerpunkte heute manche Dinge anders sieht als 1992, weil man 1992 natürlich nicht wissen konnte, wie sich die Weltwirtschaft, wie sich die europäische Wirtschaft auf relativ niedrigem Wachstumsniveau entwickelt. Es ist klar, daß es nicht leicht war, politische Reformen in der EU durchzusetzen. Ich würde auch niemals den Vorwurf machen, daß nicht alles gelungen ist.
Was ich aber vorwerfen möchte, ist, daß man es seit 1992 nicht verstanden hat, neben der finanz- und geldwirtschaftlichen Angleichung der Rahmenbedingungen der europäischen Volkswirtschaften wenigstens den Versuch zu unternehmen, im sozialen und beschäftigungspolitischen Bereich zu einer Annäherung der Verhältnisse zu kommen und sich zu überlegen, ob man nicht als Antwort auf die Regellosigkeit der Globalisierung europäische Regeln hinsichtlich Sozialstaat und sozialer Marktwirtschaft entwikkeln will.
({2})
Das steht auf der Tagesordnung: Wer heute den Euro einführt, der eröffnet ein neues Zeitalter. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie sich dieses neue Zeitalter entwickeln wird: Entweder wird es eine grausame Zukunft ohne Regeln sein, geradezu ein anarchischer Kapitalismus, der viele Opfer haben wird, oder eine Revival-Veranstaltung der sozialen Marktwirtschaft mit Regeln, mit Absprachen und mit wechselseitiger Verantwortung auf europäischer Ebene.
({3})
Deswegen ist es richtig, daß man neben der Frage der Nachhaltigkeit von Defizitkriterien und Geldwertkriterien sehr intensiv darüber nachdenkt, wie man den Korridor von Ungleichheiten in Europa, was Löhne, was soziale Sicherheit, was Gesundheitsschutz, was Arbeitsschutz und was Umweltschutz angeht, Schritt für Schritt immer weiter verengt - allerdings nicht über Nacht.
Auch Gerhard Schröder verkündet für die Zeit ab dem 28. September doch keine Gleichmacherei auf höchstem Niveau für alle Regionen Europas. Vielmehr müssen wir uns heute auf den Weg machen, Schritt für Schritt eine Angleichung der Verhältnisse, ähnlich wie wir sie im Bereich der Verbrauchsteuern auf europäischer Ebene bereits unmittelbar vor uns haben, ähnlich wie wir sie jetzt im Bereich des Umweltschutzes versucht haben, für die Kernbereiche des Arbeitsmarktes und der Wirtschaft - dort, wo Menschen betroffen sind - vorzunehmen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben - das muß man doch auch einmal sagen - mit dem Bericht der Bundesbank nicht gerade ein gottesdienstliches Dokument, was die finanzwirtschaftliche Wirklichkeit in Deutschland und auch in einigen anderen Ländern angeht, überreicht bekommen. Dazu muß man sich ehrlich bekennen. Ich will nur über den Schuldenstand reden. Das diesbezügliche Kriterium sieht 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Höchstverschuldung vor. Wenn wir feststellen müssen, daß sich von 1990 bis heute der durchschnittliche Schuldenstand in Europa von 55 Prozent auf 74 Prozent erhöht hat und daß daran Deutschland und Frankreich einen erheblichen Anteil haben, während sich Belgien und Italien von einem sehr hohen Schuldenstand aus um 20 Prozent nach unten bewegt haben, dann halte ich es für falsch, wenn Vertreter der großen Volkswirtschaften immer mit dem Finger auf diejenigen zeigen, die große Anstrengungen unternommen haben, und dabei im Grunde genommen vernebeln, daß die Risiken bei den beiden großen Volkswirtschaften liegen, die ich genannt habe. Die eine davon ist unsere eigene.
({5})
Man muß auch klar sagen, wie man eigentlich die Staatsfinanzen auf Dauer in Ordnung bringen will. Eine Verkettung von Steuerausfällen und neuen Ausgaben auf Grund steigender Arbeitslosigkeit und
Reinhard Schultz ({6})
sozialer Verwerfungen, die mit neuen Sparprogrammen beantwortet werden, die wiederum zu neuen sozialen Verwerfungen und zu neuer Arbeitslosigkeit führen, wird die Staatsfinanzen auf Dauer garantiert ruinieren, auch in Europa.
({7})
Deswegen ist es ein Gebot finanzpolitischer Vernunft, auch die öffentlichen Haushalte in Ordnung zu bringen und sich in der nächsten Etappe, nach Einführung der gemeinsamen Währung, schwerpunktmäßig um den Arbeitsmarkt und die soziale Sicherheit in einer sozialen Marktwirtschaft in Europa zu kümmern. Ich bin fest davon überzeugt, daß das gelingen kann. Die Weichenstellungen in Europa sind besser denn je erfolgt. Wir haben ein Zeitalter von fast 15 Jahren Deregulierungsorgien hinter uns, und es gibt jetzt eine Rückbesinnung auch auf die soziale und wirtschaftliche Verantwortung des Staates. Das wird an den Wahlergebnissen im europäischen Ausland erkennbar; das wird auch am Wahlergebnis des 27. September erkennbar werden.
({8})
Wer sich davor drückt, denjenigen, die viel Geld verdienen - auch wir wollen das; wir wollen, daß die Wirtschaft funktioniert und daß Gewinne gemacht werden können -, zu sagen, daß Marktwirtschaft Regeln braucht, wenn wir nicht das Gemeinwesen vor die Wand fahren wollen - diesmal nicht nur im nationalen, sondern auch im europäischen Maßstab -, der wird auch vor der Geschichte scheitern. Dann wird der Euro möglicherweise nur eine Momentaufnahme der Gemeinsamkeit gewesen sein. Der Euro kann nur dann stabil sein, wenn wir die Idee des sozialen Konsenses auf die europäische Gesellschaft übertragen.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Jürgen Warnke, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Daß wir heute zu einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion von elf Mitgliedern ja sagen können, das schien vielen von uns - mich eingeschlossen - noch vor zwei Jahren unwahrscheinlich, ja unmöglich.
Ich möchte hier eines Mannes gedenken, der außerhalb unseres Landes Verantwortung trug und dessen Beitrag zur Erreichung dieses Zieles unverzichtbar war, des ehemaligen französischen Finanz- und Premierministers Bérégovoy.
({0})
Er ist es gewesen, der den Franc seit den 80er Jahren auf Stabilitätskurs gebracht hat. Das war gut für Frankreich. Aber es war mehr: Sein Beispiel hat die übrigen romanischen Länder ermutigt, den ihnen ungewohnten Pfad der Währungsstabilität zu betreten und mit uns gemeinsam dieses Ziel zu erreichen.
Es klingt paradox, aber es ist so: Stabilität allein ist die Voraussetzung dafür, daß wir das Gegenteil, den Wandel der Strukturen, wie er uns durch die Globalisierung aufgegeben ist, bewältigen können.
({1})
Ich verstehe diejenigen, die in unserem Lande in großer Zahl angesichts der jahrzehntelang bewiesenen Stabilität der Deutschen Mark frei nach Faust die Meinung vertreten: Zum Augenblicke dürft ich sagen: Verweile doch, du bist so schön! - Aber sie täuschen sich. Stillstand bedeutet Rückschritt. Wenn Europa sich gegenüber den Großräumen des 21. Jahrhunderts - Amerika, Rußland, China, Indien, Japan, dem südostasiatischen und immer mehr auch dem lateinamerikanischen Raum - behaupten und sein Gewicht auf die Waage bringen will, muß es als wirtschaftliche, als monetäre und auch als politische Einheit weltweit handlungsfähig sein.
({2})
Wir Deutschen haben einen Vorgeschmack darauf bekommen, was „splendid isolation" auch für eine feste D-Mark bedeuten kann:
({3})
1993, als, angestoßen durch einen amerikanischen Währungsspekulanten, eine weltweite Börsenspekulation auch die D-Mark tangiert hat und als Unstetigkeitsintervalle an internationalen Börsen auftraten. Theo Waigel hat sie damals durch Vorlage des ersten Spargesetzes im Umfang von 21 Milliarden DM binnen weniger Tage neutralisieren können. Aber eines ist klar: Wir alleine hätten dieser Herausforderung nicht Widerstand leisten können. Wir wären Gefahr gelaufen, mit einer Weltreservewährung für 20 Prozent der Währungsreserven diesem Druck der internationalen Hochspekulation nicht standhalten zu können. Daß wir heute nicht mehr als einzelnes Land die Verantwortung tragen, daß wir uns heute auf einen Wirtschafts- und Währungsraum mit 300 Millionen Menschen stützen können, das gefährdet nicht, sondern sichert die Stabilität unseres Geldes.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion macht es uns auch leichter, die Einfuhren zu niedrigen Preisen aufzunehmen, mit denen die Menschen in der dritten Welt die in ihnen liegenden schöpferischen Potentiale nutzen, um ihre Lebenssicherung aus eigener Kraft zu betreiben. Das ist mehr, als alle Kapitalhilfe zusammen tun kann. Gleichzeitig leisten preisgünstige Einfuhren einen unverzichtbaren Beitrag zur Sicherung des Lebensstandards unserer arbeitenden Bevölkerung.
Nicht durch Abschottung vom Weltmarkt, sondern durch Schaffung zukunftssicherer, moderner Arbeitsplätze sichern wir Beschäftigung auf Dauer. Arbeitsplatzschaffung durch Strukturanpassung statt Reformblockade in der sozialen Sicherung und im Steuersystem - das ist das Beispiel, das sozialistische
Parteien in den Niederlanden, in Dänemark und in Großbritannien, das Wim Kok, Rasmussen und Tony Blair ihren deutschen Genossen gegeben haben. Die SPD dagegen hat Blockade vorgezogen. Zu Unrecht hat daher Frau Fuchs die Massenarbeitslosigkeit als ein Problem, das nicht in der eigenen Verantwortung der Opposition entstanden sei, apostrophiert. Durch die Blockade von Anpassungen bei den Steuern und der sozialen Sicherheit hat die SPD ihren Teil dazu beigetragen, daß die Arbeitslosigkeit in Deutschland so hoch ist, wie sie heute ist.
({5})
Ich weiß, daß Sie glauben, mit diesem Argument eine Wahl gewinnen zu können. Nach dem Auftritt Ihres Kanzlerkandidaten heute gibt es einen Grund mehr, Ihnen zu sagen: Sie werden sich täuschen.
({6})
Meine Damen und Herren, einen dreistöckigen Föderalismus - Länder, Bund, Europäische Union - hat es noch nie und nirgendwo in der Geschichte gegeben. Er hat seine Risiken. Bei Goethe finden sich die Worte:
Hebt er sich aufwärts
Und berührt
Mit dem Scheitel die Sterne, Nirgends haften dann
Die unsichern Sohlen ...
Wenn die Brüsseler Bodenhaftung verlieren, nimmt die Europäische Union Schaden.
({7})
Wir müssen sie zurückholen! Agenda 2000, europäische Agrar- und Regionalpolitik zeigen uns die Notwendigkeit. Europäische Verbote an Mitgliedstaaten, mit nationalen und regionalen Haushaltsmitteln dort zu fördern, wo es notwendig ist, den ländlichen Raum zu unterstützen, sind der Bevölkerung nicht zu vermitteln. Ein solches Brüsseler Verhalten erzwingt geradezu Euro-Verdrossenheit.
Es gehört zur legitimen Vertretung nationaler Interessen - ich bin dankbar, daß der Bundeskanzler diese Dimension auch ausdrücklich angesprochen hat -,
({8})
in Brüssel durchzusetzen, daß den Mitgliedstaaten die Kompetenzen belassen werden oder daß sie ihnen zurückgegeben werden, die einer europaweiten Regelung nicht bedürfen.
Meine Damen und Herren, 50 Jahre Frieden in Europa, das ist, geschichtlich betrachtet, vor dem Hintergrund von einem Jahrtausend kriegerischer Auseinandersetzungen eine kurze Zeitspanne. Ein Narr ist der, der glaubt, wegen dieser 50 Jahre seien Rückfälle in Europa ausgeschlossen. Frieden, Freiheit und Demokratie sind keine Selbstverständlichkeiten, sie müssen von jeder Generation neu erarbeitet, neu behauptet werden. Die Europäische Union und in ihr die Integration durch die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion sind der Beitrag unserer Generation für Frieden und Freiheit in Europa für uns und hoffentlich für viele folgende Generationen.
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Liesel Hartenstein, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei so viel Harmonie im Hause ist es sicherlich auch im parlamentarischen Interesse, eine abweichende Position zur Kenntnis zu nehmen. Ich bedanke mich ausdrücklich bei meiner Fraktion für die Einräumung der Redezeit in dieser Debatte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, über die Bedeutung der heutigen Entscheidung sind wir uns alle im klaren. Die Währungsunion ist das größte und existentiell wichtigste Vorhaben am Ausgang dieses Jahrhunderts überhaupt. Sie greift tief in die Lebensverhältnisse jedes einzelnen ein und wird, einmal vollzogen, eine unauflösbare Schicksalsgemeinschaft sein. Damit wird sie für viele Millionen Menschen heute noch nicht absehbare Folgen nach sich ziehen. Ob ausschließlich positive oder auch viele negative, ja vielleicht sogar verheerende - darüber gehen die Meinungen auseinander. Einig bin ich allerdings mit vielen hier in diesem Hause darin, daß die politische Union Europas das übergeordnete Ziel sein und bleiben muß. Aber Währungsunion und politische Union müssen Hand in Hand gehen, und das geschieht derzeit nicht.
Noch im November 1991 war auch der Bundeskanzler dieser Meinung, als er sagte, eine Währungsunion ohne politische Union sei „abwegig" . Ich stelle aber heute fest: Von dieser Erkenntnis hat sich die Bundesregierung inzwischen längst verabschiedet. Wenn es geschähe, sichtbar und deutlich, daß, schritthaltend mit der Währungsunion, die politische Union Europas aufgebaut würde, dann stünde auch das Unternehmen Euro auf gesünderen Beinen, meine Damen und Herren.
({0})
Die Währungsunion darf aber nicht zu einer Ersatzhandlung werden oder sogar zu einem fragwürdigen Ablenkungsmanöver angesichts verfehlter politischer Ziele. Das kann meiner Meinung nach nicht gutgehen.
Ich bin für eine gemeinsame Währung, wenn die erforderlichen Bedingungen erfüllt sind, wenn die politischen und ökonomischen Voraussetzungen stimmen - sie stimmen derzeit nicht -, wenn die Risiken nicht höher sind als die erwarteten Vorteile - heute sind die Risiken meines Erachtens bei weitem höher - und wenn es der Politik gelingt, die Bürgerinnen und Bürger auf diesem Wege mitzunehmen.
Heute lehnen rund zwei Drittel der Bevölkerung den Euro ab.
({1})
- Ja, das variiert. Wir wissen das ja.
Ich füge hinzu: Wir als Politiker müssen uns den Vorwurf gefallen lassen, uns nicht genügend Mühe gegeben zu haben, um die Akzeptanz der Bevölkerung zu gewinnen. Wer die politische Integration Europas ernsthaft will, der kann der Einführung des Euro unter den jetzt gegebenen Bedingungen meines Erachtens nicht guten Gewissens zustimmen;
({2})
denn ein Zerbrechen der Währungsunion wegen der fehlenden soliden Grundlage wäre für die Zukunft Europas lebensgefährlich.
Ich betone aber ausdrücklich: Alle diejenigen, die gegen den Euro Einwände haben und diese nur als Vorwand benutzen, um in Wahrheit Europa abzulehnen, sind auf der falschen Spur. Mit denen habe ich nichts zu schaffen.
({3})
Ein Zurückrudern in die unselige Aera des Nationalstaates darf es nicht geben. Zu Europa gibt es keine Alternative, weder wirtschaftlich noch politisch. Die Bundesrepublik Deutschland hat in diesem Europa ihren angestammten Platz, nirgendwo sonst.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Ratifizierung des Maastricht-Vertrags 1992 haben Parlament und Regierung dem deutschen Volk drei große Versprechen gegeben: Die Währungsunion müsse eine Stabilitätsgemeinschaft sein, der Euro werde so hart wie die D-Mark; es dürfe keine Automatik geben, die Stabilitätskriterien seien „eng und strikt" auszulegen; die Entscheidung pro Euro könne nur auf der Grundlage erwiesener und dauerhafter haushaltspolitischer und finanzpolitischer Solidität der teilnehmenden Mitgliedstaaten erfolgen.
Dies sind Versprechungen, die eingelöst werden müssen. Der Bundestag hat sich feierlich verpflichtet, er werde sich „jedem Versuch widersetzen, die Stabilitätskriterien aufzuweichen, die in Maastricht vereinbart worden sind" . Der Bundesfinanzminister - er ist wieder da - hat vollmundig noch eins draufgesetzt: Mit dieser Währungsunion werden wir „das größte Stabilitätsprogramm und damit auch Wachstumsprogramm erreichen, das je in Europa in Gang gesetzt worden ist" .
Heute fragen die Bürger zu Recht, Herr Waigel, was sie von diesen Versprechungen zu halten haben. Lange Zeit wurden sie mit der Devise beruhigt: Stabilität geht vor Zeitplan, O-Ton Bundesfinanzminister. Gilt dies noch, oder gilt dies nicht?
({5})
In Wahrheit wurde doch der Zeitplan zum Tabu erhoben und die Forderung nach Stabilität in den Hintergrund gedrückt. Daß zahlreiche Teilnehmerstaaten, auch die Bundesrepublik, ihr Haushaltsdefizit mit vielfältigen Tricks schöngerechnet haben, ist auch bei der Deutschen Bundesbank auf Kritik gestoßen. Noch bedenklicher aber scheint den Währungshütern die nachlässige, um nicht zu sagen: f ahrlässige Behandlung der Verschuldungsquote. Das Schuldenkriterium von 60 Prozent - Sie haben es selbst gesagt - wird nur von drei Teilnehmerstaaten erfüllt bzw. unterschritten, von acht aber verfehlt.
Es geht aber nicht nur um Italien und Belgien. Auch Länder wie Deutschland, Spanien und selbst Frankreich erfüllen den Maastricht-Vertrag insofern nicht, als ihre Schuldenquote gerade nicht „erheblich und laufend zurückgegangen" ist, wie es der Vertrag will, sondern seit 1992 um rund 20 Prozent zugenommen hat. Wo bleiben da Glaubwürdigkeit und Vertragstreue?
Sie selbst haben noch 1997 in Ihrer hauseigenen Broschüre die Kriterien für den Schuldenstand und die Haushaltsdefizite als Höchstgrenzen bezeichnet, die nicht überschritten werden dürften. Davon kann doch heute keine Rede mehr sein.
Grundsätze verpflichten. Auch das Parlament muß sich fragen, wie es mit seinen eigenen Beschlüssen umgehen will. Ich jedenfalls komme bei nüchterner Betrachtung zu dem Fazit: Die Stabilitätskriterien sind derzeit nicht erfüllt. Eine dauerhafte Konvergenz ist nicht gewährleistet.
Überhaupt keine Antwort bekommt man auf die Frage, was denn geschähe, wenn unter dem Druck steigender Arbeitslosigkeit und schwindender Staatseinnahmen sowie einsturzgefährdeter Sozialsysteme neue Schuldaufnahmen getätigt würden - und das nicht nur in einem Land, sondern in mehreren Ländern gleichzeitig. Dann gibt es doch mit hoher Wahrscheinlichkeit nur zwei Möglichkeiten: entweder wackere Transfers von den stärkeren in die schwächeren Länder oder aber eine Aufweichung des Euro. Das wäre eine Fahrt zwischen Szylla und Charybdis. Damit käme ein fatales Roulette ins Rollen: Inflation und Kaufkraftverluste, Flucht der Kapitalanleger, höhere Zinsen, sinkender Außenwert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Befürchtung ist, daß die große Masse der Sparer und Bezieher kleiner Einkommen, einschließlich der Rentner, diese Zeche bezahlen müssen. Das will ich nicht. Instabilität ist schlimmer als ein verzögerter Beginn, so die Mahnung des Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Horst Köhler. Ich teile seine Auffassung.
Meine Damen und Herren, das in meinen Augen schwerwiegendste Argument gegen die Einführung des Euro jetzt ist unser aller Sorge um die Arbeitsplätze. Viel zu lange wurde den Menschen in die Ohren geblasen, der Euro bringe mehr Wachstum und schaffe neue Arbeitsplätze. Jetzt gibt auch der Bundeskanzler mit gefalteter Stirn zu, der Euro sei kein Patentrezept, er löse unsere Arbeitsmarktprobleme nicht.
Wahrhaftig, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist heute die Hauptaufgabe für die Politik. Darauf hat
Ministerpräsident Schröder zu Recht eindringlich hingewiesen. Schon vor anderthalb Jahren hat der Bundesbankpräsident gewarnt:
Eine unsolide Währungsunion würde bei uns Beschäftigung nicht sichern, sondern gefährden.
Er hat leider recht; denn die Währungsunion soll erklärtermaßen zu einem verschärften Wettbewerb führen und den direkten Preis- und Kostenvergleich ermöglichen. Transparenz ist angesagt.
Das gilt aber nicht nur für die Warenpreise, sondern auch für die Arbeits- und Sozialkosten. Hier haben die Hochlohnländer schlechte Karten, allen voran die Bundesrepublik. Es ist unschwer vorauszusehen, daß sich der Konkurrenzkampf, wenn der Wechselkursmechanismus wegfällt, vorwiegend auf dem Felde der Arbeitskosten abspielen wird. Das bedeutet im Klartext Druck auf die Löhne, Druck auf die sozialen Standards, Druck auf die sozialen Sicherungssysteme. Aber davon spricht man heute nicht. Das moderne Zauberwort heißt Flexibilität, zu deutsch Anpassung, aber nach unten. Im Endeffekt - so befürchte ich jedenfalls - wird die Masse der Arbeitnehmer weniger Kaufkraft in der Hand haben, was wiederum zu einer Schwächung und nicht zu einer Stärkung der Binnenkonjunktur führt. Verlust an Kaufkraft aber kostet Arbeitsplätze. Ein wahrer Teufelskreis!
Andere Negativtrends, die uns seit Jahren zu schaffen machen, werden durch den Euro vermutlich massiv verstärkt, zum Beispiel Betriebsverlagerungen in Niedriglohn- und Niedrigsteuerländer, in Länder mit geringeren Sozial- und Umweltstandards. Der offene Kostenvergleich schafft dazu neue Anreize. Wenn aber weitere Hunderttausende von Arbeitsplätzen verloren gingen, träfe das Ostdeutschland ganz besonders bitter, weil es ohnehin schon von hoher Arbeitslosigkeit betroffen ist.
({6})
Nicht weniger bedrohlich ist die bereits rollende Fusionswelle; denn auch sie wird durch den Euro zusätzlich beschleunigt. Großbanken, große Versicherungskonzerne, Industriemultis - alle trimmen sich auf Euro-Maßstab und bauen gnadenlos Arbeitsplätze ab. Sind wir bereit, dies offenen Auges zuzulassen oder sogar noch mit anzuschieben? Ich meine, wir sollten dies nicht tun. Solange kein fairer Wettbewerb in Europa hergestellt ist, solange keine Steuerharmonisierung und keine Angleichung der Wirtschafts- und Sozialpolitiken erfolgt, kann diese Währungsunion kein Erfolg für mehr Arbeitsplätze werden.
({7})
Im Gegenteil, sie könnte zu einem eiskalten Unterbietungswettlauf auf Kosten der Menschen führen. Das ist meines Erachtens nicht vertretbar.
Ich teile die Auffassung von Lord Dahrendorf, der gesagt hat, die Währungsunion jetzt sei ein schwerer Fehler, der Euro schaffe keinen einzigen Arbeitsplatz, nicht einmal bei den Zentralbanken.
({8})
Meine Damen und Herren, alle diese Probleme hätten einen breit angelegten Bürgerdiskurs erfordert. Auch dies wurde 1992 versprochen. Dieser Bürgerdiskurs hat nie stattgefunden. Statt dessen wurden Millionen schöngefärbter Hochglanzbroschüren unters Volk gestreut, die allesamt von Banken, Versicherungen, vom Bundesfinanzministerium und dem Presse- und Informationsamt stammten und die - wie konnte es anders sein - die Vorzüge des Euro kritiklos preisen. Die Fragen der Bürger sind damit nicht beantwortet, die Ängste nicht ausgeräumt; denn sie sind existentieller Natur.
Wenn über eine so einschneidende Maßnahme wie die Abschaffung der D-Mark und die Einführung einer neuen Währung entschieden werden soll, dann geht das nur mit den Betroffenen und nicht ohne sie und erst recht nicht gegen sie. Sie werden allerdings nicht gefragt. Die Währungsunion wird von oben verordnet. Einen Volksentscheid, wie ihn Dänen, Briten, Schweden und Österreicher durchführen können, sieht das Grundgesetz nicht vor. Dies haben die Regierungsparteien bei der Verfassungsreform 1994 verhindert. Mehr Bürgerbeteiligung war damals nicht erwünscht und ist auch heute nicht erwünscht.
Der Euro ist und bleibt in meinen Augen ein unkalkulierbares Abenteuer. Solange die Risiken sichtbar größer sind als die erhofften Vorteile, bin ich nicht bereit, mich in dieses Abenteuer zu stürzen. Ich bitte dafür um Verständnis. Ich spreche in diesem Sinne auch für einige meiner Kolleginnen und Kollegen, die sich ebenfalls zur Ablehnung entschlossen haben. Wir tun dies nicht aus Mutwillen oder schierem Widerspruchsgeist, sondern weil wir meinen, ein positives Votum heute nicht verantworten zu können.
Eine letzte Bemerkung. Jeder, der heute entscheidet, sollte auch bedenken: Wenn die von mir befürchteten negativen Entwicklungen durchschlagen - ich hoffe, sie treten nicht ein -, wird sich die Struktur unserer politischen Landschaft verändern. Bei sechs oder sieben Millionen Arbeitslosen und sinkenden Sozialstandards werden andere Bataillone marschieren, denen es nicht um den Euro geht, sondern die Europa nicht wollen und die heute schon - wenngleich in einem anderen Zusammenhang - verkünden, daß Deutschland den Deutschen gehöre. Diese Töne sollten nicht mehr angeschlagen werden. Dies alles will ich nicht, und wir alle wollen es nicht. Davon bin ich überzeugt.
Europa hat eine einzigartige Zukunftschance: ein Modell zu entwickeln, das humane Gesellschaften zu einem ökologie- und sozialverträglichen Wirtschaftsorganismus zusammenführt. Dieses Ziel ist jede Anstrengung wert. Aber dazu braucht man die Menschen. Man muß sie dafür gewinnen und - wenn möglich - dafür begeistern.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
({9})
Damit gebe ich das Wort dem Abgeordneten Norbert Wieczorek.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden in wenigen Minuten eine grundlegende Entscheidung über die weitere wirtschaftliche und politische Zukunft der Europäischen Union treffen. Das verlangt von uns das Erkennen der Chancen und Risiken und deren Bewertung. Dabei können wir zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Meine Kollegin hat das gerade deutlich gemacht.
Bei diesen Bewertungen geht es aber letzten Endes um eine Entscheidung unter Unsicherheit, wie die Ökonomen sagen. Ich glaube, wir haben diese Entscheidung mit Sorgfalt vorbereitet. Das ist auch notwendig, denn diese Entscheidung wird Auswirkungen haben, nicht nur für uns, sondern - wie wir hoffen - für eine Vielzahl von Generationen.
Lassen Sie mich zunächst die Chancen nennen, die ein stabiler - ich betone: ein stabiler - Euro bietet:
Erstens. Mit der Wirtschafts- und Währungsunion wird der europäische Binnenmarkt praktisch zur Vollendung geführt. Wirtschaftliche Entscheidungen bei Handel und Investitionen brauchen nicht mehr die Risiken und Kosten von Wechselkursveränderungen einzukalkulieren. Der Wettbewerb im Handel, aber auch der Wettbewerb um Investitionsstandorte wird sich stärker nach den tatsächlichen ökonomischen Fundamentalbedingungen ausrichten und dabei zugleich grundsätzlich die Grundlage der Steigerung des Wohlstandes innerhalb der EU mit sich bringen können.
Zweitens. Der Euro wird die bisherige Rolle der D-Mark als Reservewährung übernehmen und übertreffen. Die Wechselkursbeziehungen zwischen den großen Währungsräumen - Euro, US-Dollar, Yen und möglicherweise relativ bald dem chinesischen Renminbi - können bei entsprechendem politischen Willen - dieser muß allerdings vorhanden sein - stabiler als bisher gestaltet werden. Zugleich kann eine starke Zentralbank, wie die Europäische Zentralbank, ein besseres Gegengewicht zur Gigantomanie der Fusionen bei Banken, Versicherungen und Wertpapierhäusern bilden.
Drittens. Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion ist in sich ein wichtiger Integrationsschritt für die EU. Sie wird, um dauerhaft wirksam zu sein, Integrationsfortschritte in wichtigen anderen Politikbereichen - zum Beispiel in der Sozial- und Steuerpolitik - einfordern. Sie wird die politische Union, deren Endstadium wir nicht definieren können, vorantreiben können und müssen. Es ist unsere Aufgabe, in der Zukunft das Gleichgewicht zwischen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und der politischen Union herbeizuführen und zu gestalten.
({0})
Dieser Zusammenhang stand bereits am Beginn des Prozesses. Herr Genscher hat heute schon einmal kurz darauf hingewiesen. Ich möchte mich ebenfalls darauf einlassen.
Nach dem Werner-Plan und dem Vorläufer EWS war es der EU-Gipfel in Hannover 1987, der die Wirtschafts- und Währungsunion angeregt hat. Ich sage das so deutlich, weil ich wie Herr Genscher gegenwärtig häufig lesen muß, die Währungsunion sei der Preis für die Vereinigung Deutschlands gewesen. Dies mag mit gewissen Einschränkungen vielleicht für den erst in Maastricht verabschiedeten Zeitplan gelten, nicht aber für die Währungsunion selbst. Bereits im April 1989 wurde der Bericht zur Währungsunion, der unter Delors-Bericht bekannt wurde und der im übrigen - darauf möchte ich auch hinweisen - bereits sehr stark auf die Notwendigkeit der Verzahnung zur politischen Union hingewiesen hat, vorgelegt. Im April 1990 wurde in Dublin der Beschluß zur Regierungskonferenz, dessen Ergebnis wir unter dem Begriff „Maastricht-Vertrag" kennen, zur Wirtschafts- und Währungsunion und zur politischen Union gefaßt. Dies war vor der deutschen Einheit. Die Bürgerinnen und Bürger in der DDR hatten sich gerade erst ihre Freiheit erkämpft. Sie hatten gerade erst ihre erste demokratische Regierung gewählt. Es ist aber bemerkenswert, daß sich diese erste demokratische Regierung im April 1990 für die Dubliner Beschlüsse - das heißt, für die politische Union und die Währungsunion - ausgesprochen hat.
({1})
Wir haben heute wegen des sogenannten Parlamentsvorbehalts diese lange Debatte. Ich bekenne mich gerne zu diesem Parlamentsvorbehalt, weil ich zusammen mit dem Herrn Kollegen Faltlhauser ursprünglich einer der beiden Initiatoren war.
({2})
Wir haben auch allen Grund, zu begrüßen, daß wir die Gelegenheit haben, auch vor dem deutschen Volk deutlich zu machen, daß wir die Maastricht-Kriterien bewerten. Um mein Ergebnis vorwegzunehmen: Sowohl die Europäische Kommission als auch das Europäische Währungsinstitut und die Bundesbank kommen, wenn auch differenziert unter Aufführung von Schwachstellen, zu dem Resultat, daß die Kriterien im wesentlichen erfüllt sind. Damit ist auch unsere heutige Zustimmung begründbar und begründet.
({3})
Der tatsächliche Weg der Konvergenz mit einigem Auf und Ab nach 1992 ist bemerkenswert. Dies gilt insbesondere für die Entwicklung der Inflationsraten und der langfristigen Zinsen. Dies gilt mit etwas größerer Mühe für das Kriterium „Nettoneuverschuldung geringer als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts" und zum Teil mit deutlichen Einschränkungen für das Kriterium „Gesamtverschuldung geringer als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts".
Ich begrüße diesen Fortschritt sehr, warne aber vor der Selbsttäuschung - ich hatte den Eindruck, auch Herr Schäuble ist ihr in seiner Rede vorhin erlegen -, als seien diese Erfolge allein das Ergebnis gezielter Politik. Die Inflationsraten sind praktisch in allen Industrieländern der Welt zurückgegangen. Es ist ja auch kein Zufall, daß es zur Zeit eine lebhafte DeDr. Norbert Wieczorek
batte gibt, ob wir in der Gefahr einer weltweiten Desinflation und Deflation stehen. Ich möchte hinzufügen: Ich finde es gut, daß die Inflationsraten so heruntergegangen sind. Aber wir sollten nicht die Illusion haben, daß das alles politischer Wille in allen einzelnen Ländern gewesen ist.
Gerade weil wir jetzt in einer Phase weltweit niedriger Inflation leben, können wir für die Startphase der Währungsunion - das ist die kritischste Phase - die Hoffnung haben, daß die Europäische Zentralbank nicht sofort gezwungen ist, mit einer rigiden Geldpolitik massiv Inflationstendenzen zu bekämpfen.
({4})
Für die Zinsen gilt ähnliches. Auch hier haben sich nicht nur die Konsolidierungsbemühungen in den Haushalten ausgewirkt. Weltweit erfahren die Industrieländer eine starke Rückführung der Nominalzinsen, in Japan übrigens auf den niedrigsten Stand überhaupt. Sicher hat auch da der politische Wille, die EWU einzuführen, bei einer Reihe der jetzt für den Beitritt vorgesehenen Länder positive Zinswirkungen durch entsprechende Einschätzungen der Märkte gehabt. Ich nenne das Beispiel Italien. Aber dies ist für die Startphase ebenfalls erfreulich; denn es hat die Erfüllung der Haushaltskriterien für einige Länder - übrigens auch für Finanzminister Waigel in seinem Haushalt - erleichtert.
Ich halte in diesem Zusammenhang auch nichts davon, großartig Ratschläge aus Deutschland an andere Länder zu geben - nicht nur, weil auch unsere fiskalpolitische Stabilitätskultur, um es freundlich auszudrücken, in den letzten Jahren gelitten hat, sondern auch, weil in anderen Ländern Stabilitätskultur entwickelt wurde und wird.
({5})
Ich sehe mit großem Respekt, was ein Land wie Irland bereits über einen längeren Zeitraum erreicht hat. Ich sehe mit Respekt, was ein Land wie Finnland, das durch den Zusammenbruch der UdSSR wirtschaftlich außerordentlich beeinträchtigt wurde, in wenigen Jahren erreicht hat. Ich sehe auch mit Respekt, welcher Wechsel in Italien in relativ kurzer Zeit eingetreten ist.
Trotz aller deutlichen und richtigen kritischen Anmerkungen in den erwähnten Konvergenzberichten sind die Fortschritte unverkennbar. Ich begrüße es, daß die italienische Regierung und das italienische Parlament voraussichtlich noch vor den endgültigen Beschlüssen Anfang Mai den Willen Italiens zur Fortführung des eingeschlagenen Kurses verbindlich deutlich machen.
({6})
Es sollte gerade aus deutscher Sicht nicht unterschätzt werden, daß in diesen Ländern, wie aber auch in Portugal und Spanien, die Wirkung einer soliden Haushaltspolitik und einer niedrigen Inflationsrate von der Bevölkerung positiv erfahren und erlebt wird, weil dies genau der Anlaß und der Anreiz für die Politik sein wird, diesen Kurs beizubehalten. Davon verspreche ich mir, daß wir nicht einen Rückfall in alte Sitten bekommen werden.
Mein Fazit ist daher: Wir können mit gutem Gewissen dem Start der EWU zustimmen. Es gilt aber auch: Wir dürfen uns nicht auf vermeintlichen Lorbeeren ausruhen. Das Projekt EWU muß auf Dauer gesichert werden. Die künftigen Risiken müssen klar analysiert werden. Die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen sind so zu gestalten, daß diese Risiken weder die Währungsunion noch den erreichten Stand von politischer Union wieder zerstören können.
Das Hauptrisiko, das wir gegenwärtig mehr als schmerzlich zu registrieren haben, ist die hohe Arbeitslosigkeit in der EU. Das sagt auch der Internationale Währungsfonds. Der von mir vorher genannte Wettbewerb muß seine positiven Wirkungen zeigen können und darf nicht als Jobkiller erfahren werden,
({7})
zum Beispiel durch die Auswirkungen der schon stattfindenden und sich verschärfenden Konzentrationsprozesse bei Banken und Versicherungen, im Handel, in der Industrie, in der EU.
Gezielte erfolgreiche Beschäftigungspolitiken sind die Grundlage der notwendigen und bisher nicht ausreichend gelungenen gesamtwirtschaftlichen Konvergenz. Ohne sie wird es zu Spannungen zwischen und in den Teilnehmerländern kommen. Ich darf nur an die Demonstrationen zu Weihnachten in Frankreich erinnern.
Ich möchte an dieser Stelle eine deutliche Warnung davor aussprechen, die EWU durch ein falsches Geschichtsverständnis mit den Erfahrungen aus der Gründung des Deutschen Reiches und des Deutschen Zollvereins zu vergleichen. Falsch ist es aus meiner Sicht auch, die Eurozone mit den USA, die trotz starker regionaler Differenzen ein funktionierender Währungsraum sind, zu vergleichen.
Wir haben zwar ein europäisches Bewußtsein, wir haben aber kein Bewußtsein in Europa, das auf die Gründung eines europäischen Staates - in welcher Form auch immer - hinwirkt, auch wenn man sich das vielleicht persönlich sehr wünscht.
Im Gegenteil, mit dem Wegfall der tatsächlichen oder vermeintlichen militärischen Bedrohung aus dem Osten kommen nationale Interessen in der EU wieder stärker zum Vorschein. Da stimme ich übrigens der Einschätzung von Herrn Kinkel, die er am Montag im Ausschuß gegeben hat, ausdrücklich zu.
Es fehlt zudem ein starker Zentralhaushalt in der EU, und es fehlt - übrigens nicht nur in der Bundesrepublik - auch die Bereitschaft, Ländern oder Regionen in Schwierigkeiten über zusätzliche Transferzahlungen Unterstützung über das bereits vereinbarte Maß hinaus zu gewähren.
Ich will auf diesen Aspekt hier nicht weiter eingehen, sondern auf den politischen Gestaltungsbedarf für das dauerhafte Funktionieren der EWU. Die EWU bleibt weiter eine Gestaltungsaufgabe. Deshalb will
ich darauf eingehen. Gerade weil die Staaten auch in der EU weitgehende Souveränität behalten, gilt es, die Koordination, insbesondere der Wirtschaftspolitiken, zu verstärken. Der Amsterdamer Vertrag hat dafür auf sozialdemokratisches Drängen einige Ansätze gebracht. Es genügt aber nicht, einen Beschäftigungsgipfel zu veranstalten und nationale Programme vorzustellen.
({8})
Ich will jetzt gar nichts zu dem gestern von der Bundesregierung vorgeschlagenen Programm sagen; das kann man auch vergessen.
Notwendig ist deshalb eine Koordinierung der Politiken, damit nicht das eine Land hü und das andere Land hott sagt. Bei genauem Hinsehen wird deutlich, daß sich die wirtschaftspolitischen Ansätze in den Teilnehmerländern - ich nenne zum Beispiel die in den Niederlanden und in Frankreich - doch zum Teil deutlich unterscheiden.
Lassen Sie mich aus aktuellem Ansatz an dieser Stelle etwas hinzufügen. Nach der gestrigen Debatte in der französischen Nationalversammlung füge ich hinzu: Auch die Vorstellungen zur Unabhängigkeit der Zentralbank sind unterschiedlich, und der Streit um die Besetzung des Präsidentenamtes der Europäischen Zentralbank ist nicht nur politisch schädlich. Sollte es zu einem Kompromiß gegen den Vertrag kommen - ich meine die Aufteilung der Amtszeit des Präsidenten -, würde noch vor Beginn der EWU das Vertrauen in ihre Regeln schwer beschädigt werden.
({9})
Ähnliches wie für die Wirtschaftspolitik gilt für die Sozialpolitik und für die Steuerpolitik, bei der wir im Moment nur hoffen können, daß das in Luxemburg vereinbarte Wohlverhaltensabkommen materiell etwas Vernünftiges bringt. Wie heute Kapitalerträge in der EU unterschiedlich besteuert werden, wie Steueroasen für Industrie- und Handelsgewinne in einzelnen Ländern geschaffen worden sind, wie die Anmerkungen des Luxemburger Gipfels zur Entlastung des Faktors Arbeit und zur Belastung von Umweltverbrauch gerade auch von den Koalitionsparteien in den letzten Wochen behandelt wurden, zeigt deutlich, daß von ausreichender Koordinierung der Politiken in diesem Bereich noch nicht die Rede sein kann.
({10})
Ich sage das hier und heute nicht, um in der Steuerpolitik zu polemisieren. Ich sage es deshalb, weil die zentrale Gefahrenbruchstelle bei der Wirtschafts- und Währungsunion die Tatsache ist, daß es künftig nur einen für alle Mitgliedstaaten geltenden Zentralbankzins geben wird. Daneben aber existieren die grundsätzlich an nationalen Bedürfnissen oder politischen Vorstellungen ausgerichteten Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Tarifpolitiken. Es gibt bereits in dem jetzt zu beschließenden Teilnehmerkreis unterschiedliche Stadien der Konjunkturzyklen mit unterschiedlichen Zinsentwicklungen und -erfordernissen - Deutschland und Irland als Beispiel. Auch bei der Produktivitätsentwicklung gibt es große Unterschiede. Die bisherige Ausgleichs- und Pufferfunktion über Auf- und Abwertungen der Währungen fällt aber künftig weg. Das ist gerade das Ziel der EWU; davon versprechen wir uns ja Positives.
Aber es besteht weder ein einheitliches Staatsgebiet, ein einheitliches Steuersystem, ein einheitliches Sozialsystem noch ein einheitliches Lohnfindungssystem. Dies birgt folgende reale Gefahr: Ein Land könnte auf Grund von Fehlentwicklungen in einem oder mehreren dieser Politikbereiche in Schwierigkeiten kommen. Die Versuchung ist dann, sich zu Lasten der anderen Teilnehmer der EWU einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen. Hier droht durch eine „Beggar-my-neighbour-Politik" eine Spirale der Steuer-, Sozial- und Tarifpolitik nach unten. Dies ginge eindeutig zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Eine solche Entwicklung könnte den sozialen Frieden und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden.
({11})
Ich warne auch davor, wie es in der Tendenz dem Schäuble/Lamers-Papier zu entnehmen war - ich glaube, Herr Glos war auch dabei -, die Währungsunion zum Ausgangspunkt für Einschränkungen des Sozialstaates zu nehmen oder auf entsprechende Druckwirkungen zu spekulieren.
({12})
Es geht hier nicht darum, die notwendigen Reformen, die allerdings politischen Konsens verlangen, zu erreichen. Es geht darum, daß eine EWU nicht sein kann und nicht sein darf, bei der es keinen Wettbewerb um bessere Lösungen bei den Reformen gibt, sondern einen Wettbewerb um die billigsten Lösungen und die niedrigsten Standards.
({13})
Dies hätte nicht nur ökonomisch fatale Folgen. Es würde die Befürchtung unserer Bürgerinnen und Bürger zum Euro rechtfertigen und den Nährboden bieten, die EWU und die Europäische Union als Schuldigen anzusehen. Damit würde die weitere Integration behindert, im schlimmsten Fall sogar der erreichte Stand gefährdet.
Die Töne, die zum Teil aus dem extremen rechten Lager bei uns - denken Sie an die Kampagne in Sachsen-Anhalt -, vor allem aber auch aus Frankreich und Österreich kommen, sind ein deutliches Warnsignal, und die entsprechenden Wahlergebnisse in Frankreich und in Österreich sollten jeden aufmerksam machen und ihn berücksichtigen lassen, daß dies nicht der Weg der Währungsunion sein kann.
({14})
Ich habe dies so deutlich gesagt, um klarzumachen, daß alle Mitgliedstaaten für die Dauerhaftigkeit der Währungsunion Gestaltungsaufgaben für gemeinsame Ansätze haben, und zwar durchaus unter Wahrung der unterschiedlichen Traditionen, Institutionen und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Entwicklungsstände. Unsere Aufgabe in
Deutschland kann es nicht sein, hier wohlgefällige Ratschläge an andere zu geben. Wir müssen in den vor uns liegenden europapolitischen Aufgaben, zum Beispiel der Ankurbelung der Beschäftigung oder den Entscheidungen zur Agenda 2000, auf tragbare Kompromisse hinwirken, gerade wir in der Bundesrepublik. Die deutsche Präsidentschaft in der Europäischen Union im ersten Halbjahr des nächsten Jahres wird dazu Anlaß und Gelegenheit geben.
Wie dabei allerdings die Bundesregierung gerade zur Zeit das Problem der Nettozahlerposition angeht, ist ein abschreckendes Beispiel. Ich muß das so deutlich sagen. Sie müssen sich klar fragen lassen, warum Sie hier nicht die Priorität eindeutig auf die EU-Agrarpolitik und ihre Reform mit dem Ziel der Verringerung der Agrarsubventionen setzen,
({15})
eine Reform, die im übrigen zentral ist für die Osterweiterung, dem großen Ziel, das wir gemeinsam tragen.
In bezug auf die Osterweiterung ist klar: Die Europäische Währungsunion kann, darf und wird nicht auf die alte EU beschränkt werden. Das ist auch nicht unser politisches und ökonomisches Interesse.
({16})
Wir haben dafür zu sorgen, daß eine Politik und Instrumente gefunden werden, die den beitrittswilligen Ländern zusammen mit einer realwirtschaftlichen Konvergenz nach Erfüllung der Maastricht-Kriterien den Beitritt zur Wirtschafts- und Währungsunion rechtlich ermöglichen. Da mag der eine oder andere sagen: Das dauert ja noch ein bißchen. Für die Dauer der Währungsunion ist dieses „Bißchen" eine sehr kurze Zeit. Deswegen müssen wir hier und heute handeln.
({17})
Ich bin fest davon überzeugt, daß diese Gestaltungsaufgaben bewältigt werden können. Sonst könnte ich ja nicht zustimmen. Konkret bieten die bestehenden Verträge im Bereich der Beschäftigungs-, Sozial- und Steuerpolitik Ansätze dazu. Ein handwerklicher Einstieg ist auch mit dem Überwachungsverfahren nach Art. 103 des EG-Vertrages und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt gegeben. An diesen möchte ich noch einmal erinnern. Dort sind gerade die realwirtschaftliche Entwicklung und der Beschäftigungsstand entscheidende Kriterien. Dies muß mit Substanz gefüllt und die institutionellen Reformen müssen so gestaltet werden, daß über den normalen Interessenausgleich hinaus kein Mitgliedsland zu Lasten eines anderen handelt.
({18})
Es ist der Sinn von gemeinsamer Politik, nicht alles von Brüssel aus zu machen, sondern darauf zu achten, daß man nicht den anderen schädigt bzw. daß man vorher einen Interessenausgleich findet. Dies ist gerade für uns in Deutschland eine besondere Herausforderung.
Mit anderen Worten: Es ist vertretbar, die EWU jetzt zu beginnen. Die eigentliche Aufgabe, sie im Interesse der Bürgerinnen und Bürger auf Dauer zum Erfolg zu führen, liegt aber nicht nur bei der Europäischen Zentralbank und ihrer Geldpolitik. Sie liegt auch und gerade bei uns und unseren Nachfolgern.
({19})
Deswegen plädiere ich dafür - das möchte ich auch als Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der EU sagen -, unsere Zustimmung zur EWU mit der gemeinsamen Verpflichtung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zu verbinden. Wir sorgen für einen stabilen Euro, der weltweite Anerkennung findet, für eine Währung, die einem modernen Deutschland und Europa gemäß ist.
Ich danke Ihnen.
({20})
Zum Schluß gebe ich dem Abgeordneten Kurt Neumann aus Berlin das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich, daß ich nun doch noch Redezeit bekommen habe.
Es hat keinen Sinn, verlorene Schlachten noch einmal zu schlagen. Heute entscheiden wir allein über den Teilnehmerkreis an der dritten Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, über nicht weniger, aber auch nicht über mehr.
Über die unzureichenden Rahmenbedingungen für den Übergang zur gemeinsamen Währung wurde früher entschieden. Natürlich wäre es besser gewesen, zumindest zeitgleich einen weiteren Schritt der politischen Integration und der Demokratisierung der Institutionen zu gehen. Und natürlich wäre es besser gewesen, zuvor mehr Elemente einer europäischen Wirtschaftsregierung zu etablieren. Das Beschäftigungskapitel von Amsterdam ist denn doch zu vorsichtig geraten.
Die heutige Entscheidung über den Euro-Teilnehmerkreis muß aber die aktuelle Gesamtsituation berücksichtigen. Es geht nicht nur um Defizite, gemessen an den eigenen Zielvorstellungen. Für mich persönlich ist es ganz wesentlich, daß die Kommission einen Teilnehmerkreis von elf Ländern vorgeschlagen hat. Dagegen ist aus Kreisen der Koalition deutliche, wenn auch nicht besonders mutig vorgetragene Kritik geäußert worden.
Der Vorschlag der Kommission bedeutet eine eklatante Niederlage für diejenigen, die mit ihrer Konzeption eines sogenannten Kern-Europa einen ganz anderen Weg gehen wollten.
({0})
Die CDU/CSU hat am 1. September 1994 ein zu Unrecht fast in Vergessenheit geratenes Papier mit „Überlegungen zur europäischen Politik" vorgelegt. Die Hauptthese dieses Papiers hieß: „Den festen
Kurt Neumann ({1})
Kern weiter festigen". Trotz gegenteiliger verbaler Bekundungen lief diese Konzeption auf ein ZweiKlassen-Europa unter eindeutig deutscher und ebenso eindeutig neoliberaler Dominanz hinaus.
Ich kann das belegen. In diesem Papier heißt es - ich zitiere -:
Der feste Kern hat die Aufgabe, den zentrifugalen Kräften in der immer größer werdenden Union ein starkes Zentrum entgegenzustellen und damit die Auseinanderentwicklung zwischen einer eher protektionismusanfälligen Süd-West-Gruppe unter einer gewissen Anführung durch Frankreich und einer stärker dem freien Welthandel verpflichteten Nord-Ost-Gruppe unter einer gewissen Anführung durch Deutschland zu verhindern.
Hier wird Deutschland also als Anführer der korrekten weltmarktorientierten Linie angesehen.
Diese Konzeption des Kerneuropa hatte natürlich auch Auswirkungen auf die Konzeption der Währungsunion. In demselben Papier heißt es hierzu:
Eine Währungsunion im vorgesehenen Zeitrahmen wird es ... voraussichtlich zunächst nur in einem kleineren Kreis geben - und im kleineren Kreis wird es sie nur geben, wenn der feste Kern der Fünf dies systematisch und mit starker Entschlossenheit vorbereitet.
Das war die Konzeption: fünf Kernkräfte, die dann versuchen, den Rest mit ihrer neoliberalen Wirtschafts- und Finanzpolitik zu dominieren.
Aber es ist anders gekommen. Die Konzeption der Spaltung und Bevormundung ist gründlich gescheitert; das begrüße ich. Es herrschen gegenwärtig andere, es herrschen bessere Verhältnisse in Europa, als von den Autoren dieses Papiers vorausgesehen oder vorausgesagt.
({2})
Im Wirtschaftsteil der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" war gestern zu lesen - in bezug auf den Wirtschaftsteil glaube ich meistens, was in der „FAZ" steht -:
Besonders Frankreich, Italien, Belgien und die iberischen Länder vertreten die Ansicht, daß Waigels Vorschlag durch den Maastrichter Vertrag nicht gedeckt sei. Mit einer weiteren Selbstverpflichtung zur Konsolidierung der Staatsfinanzen, die noch über den Stabilitätspakt hinausreicht, sehen die Kritiker kaum noch Spielräume für beschäftigungswirksame Maßnahmen.
Das bedeutet, daß sich der Südwesten da offenbar doch stärker durchgesetzt hat, als von den Autoren des Papiers befürchtet. Damit ist eine Konzeption, die versucht, über den Euro und den Stabilitätspakt eine Politik zu machen, durch die in allen Ländern neoliberale Tendenzen durchgesetzt werden, gescheitert.
Angesichts dieser Situation geht es darum, andere politische Prioritäten zu setzen, eine Politik zu betreiben, die davon ausgeht, daß Stabilität nicht nur Geldwertstabilität ist, sondern daß gesellschaftliche und soziale Stabilität erforderlich ist, daß ein Mindestmaß an Lebensstandard und Lebensqualität und ein Mindestmaß an ökologischen Errungenschaften in allen Bereichen vorhanden sein müssen.
Es trifft zu - das ist im Europaausschuß immer wieder vorgetragen worden -, daß mit Einführung des Euro die Abfederung durch die Möglichkeit der Währungsab- und -aufwertung fehlt. Aber wer glaubt, daß das automatisch zu Lohnsenkungen führt, wie es Teile der F.D.P. und auch Teile einer anderen Partei behaupten, übersieht, daß dagegen politisch gekämpft werden kann und muß. Hier würde es erhebliche Auseinandersetzungen geben. Wer gesellschaftliche Stabilität will, kann diese neoliberale Politik auf der Grundlage eines einheitlichen Währungssystems nicht durchhalten.
Wir brauchen - das werden die kommenden Auseinandersetzungen verdeutlichen - eine aktive gemeinschaftliche Wirtschaftspolitik, insbesondere eine gemeinschaftliche Strukturpolitik. Da kann man mir zur Frage der Transfers sagen, was man will: Eine Strukturpolitik, die die Angleichung der Lebensbedingungen in Europa will - und das muß sie wollen -, kommt ohne Transfers nicht aus. Es müssen möglicherweise Mittel von der Landwirtschaft in andere Bereiche umgeschichtet werden. Es wird neue Prioritäten geben müssen.
Ob die bisher für Transfers zur Verfügung stehenden Mittel ausreichen oder nicht, weiß ich nicht. Aber in jedem Fall wird es politische Auseinandersetzungen über die richtigen Prioritäten geben. Die Länder, die in dem Papier der CDU/CSU als protektionismusanfälliger Südwesten diffamiert wurden, sind mittlerweile innerhalb der EU sehr stark geworden, und sie werden durch die Bundestagswahlen noch stärker werden.
Wir haben viel darüber geredet, welche Chancen und welche Gefahren eine gemeinsame Währung bedeuten kann. Das kann man im vorhinein nicht entscheiden. Wichtig ist, daß man sich im klaren darüber ist, daß man politisch handeln muß, um die Bedingungen weiter zu entwickeln, unter denen die gemeinsame Währung funktioniert. In diesem Sinne werde ich dem Euro zustimmen. Dabei gehe ich davon aus, daß wir von jetzt an die Auseinandersetzungen um eine europäische Wirtschafts- und Sozialpolitik führen werden, die den Grundsätzen von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit verpflichtet ist.
Ich bedanke mich für die teilweise vorhanden gewesene Aufmerksamkeit.
({3})
Damit schließe ich die Aussprache.
Bevor wir in die Abstimmungen eintreten, möchte ich das Haus darauf aufmerksam machen, daß wir nach der namentlichen Abstimmung noch in dieser
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Sache einige Abstimmungen haben und daß dann eine geradezu exzessive Reihe von weiteren Abstimmungen folgt, so daß es sinnvoll ist, aufmerksam zu sein.
Es sind eine Reihe von Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben worden, und zwar von den Abgeordneten Koppelin, Lambsdorff, Hirsch, Schulhoff, Kohn, Büttner ({0}), Lummer, Börnsen ({1}), Augustinowitz, Kolbe, Jüttner * ), Leidinger, Adler, Teichmann, Hartenstein, Conradi **), Brecht, Braune, Deichmann, Krüger, Schröter und Weißgerber ***). Ich nehme die Erklärungen zu Protokoll. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das der Fall.
Wir treten ein in die Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Beschluß der Bundesregierung zur Festlegung des Teilnehmerkreises an der Dritten Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und dem Ersuchen der Bundesregierung auf Drucksachen 13/ 10250 und 13/10450 Nr. 1.
Dazu ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. ****)
Wir fahren mit einer Reihe von Abstimmungen fort. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/10452. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Dann treten wir in die Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10458 ein. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß auch dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Dann treten wir in die Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/10453 ein. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die
*) Anlage 2
**) Anlage 3 ***) Anlage 4 ****) Seite21114B
Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen des gesamten Hauses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu dem Bericht des Arbeitsstabes Europäische Wirtschafts- und Währungsunion zur Einführung des Euro in Gesetzgebung und öffentlicher Verwaltung, Drucksachen 13/10251 und 10450 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme. Wer dieser Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung einmütig angenommen worden ist; wobei es auch wirklich schwierig ist, eine Beschlußvorlage abzulehnen, wenn man von ihr nicht wenigstens vorher Kenntnis genommen hat.
Dann ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis 14 p und die Zusatzpunkte 2 a bis 2 g auf:
14. Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Rechtspflegergesetzes
- Drucksache 13/10244 -
Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes ({2})
- Drucksache 13/10245 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({3}) Innenausschuß
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung vermögensrechtlicher und anderer Vorschriften ({4})
- Drucksache 13/10246Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({5})
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Europäischen Charta der Regionaloder Minderheitensprachen des Europarats vom 5. November 1992
- Drucksache 13/10268 -Überweisungsvorschlag:
Innenausschuß ({6})
Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung,
Technologie und Technikfolgenabschätzung
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset21110
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
zes zur Datenermittlung für den Verteilungsschlüssel des Gemeindeanteils am Umsatzsteueraufkommen
- Drucksache 13/10343 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({7}) Innenausschuß
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes betreffend die Anrufung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit und der justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Artikel 35 des EU-Vertrages ({8})
- Drucksache 13/10429 -Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({9}) Innenausschuß
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Medizinproduktegesetzes ({10})
- Drucksache 13/10422 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Gesundheit ({11}) Ausschuß für Wirtschaft
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 7. November 1996 zum Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen von 1972
- Drucksache 13/10430 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({12})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Protokolls vom 7. November 1996 zum Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen von 1972
- Drucksache 13/10364 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({13})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. Juni 1995 zur Erhaltung der afrikanisch-eurasischen wandernden Wasservögel
- Drucksache 13/10431-Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({14})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Otto Reschke, Karl Diller, Achim Großmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Soziale Wohnungsfürsorge mit neuem Konzept weiterführen
- Drucksache 13/7091-Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({15})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Post und Telekommunikation Haushaltsausschuß
1) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffen Tippach, Heinrich Graf von Einsiedel, Andrea Gysi, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Zivile und nichtmilitärische Konfliktbearbeitung und Friedenssicherung
- Drucksache 13/9643 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß ({16}) Verteidigungsausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidemarie Wieczorek-Zeul, Gerd Andres, Hans-Werner Bertl und weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD
Sicherung der Arbeitsplätze bei der Hoechst Marion Roussel Deutschland GmbH
- Drucksache 13/10028 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Sielaff, Anke Fuchs ({17}), Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Modellregion Allgäu
- Drucksache 13/10266 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({18})
Haushaltsausschuß
o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Adelheid Tröscher, Dr. R. Werner Schuster, Michael Müller ({19}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Reformvorschläge zur Struktur der Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungspolitik
- Drucksache 13/10230 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung ({20})
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
p) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick, Dr. Barbara Höll, Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Novellierung des Eigenheimzulagengesetzes - Drucksache 13/10295 -Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({21})
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
ZP2 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
({22})
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 27. September 1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften ({23})
- Drucksache 13/10424 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({24})
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 26. Juli 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften ({25})
- Drucksache 13/10425 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({26})
Finanzausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuß
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 31. Januar 1995 über den unerlaubten Verkehr auf See zur Durchführung des Artikels 17 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen
- Drucksache 13/10426 -Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({27}) Innenausschuß
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
- Drucksache 13/10427 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({28})
Innenausschuß
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr ({29})
- Drucksache 13/10428-Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({30})
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften ({31})
- Drucksache 13/10435 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß ({32})
Ausschuß für Famlie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit
Ausschuß für Verkehr
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Angelika Beer, Christian Sterzing, Annelie Buntenbach und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Traditionspflege der Bundeswehr
- Drucksache 13/10279 -Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuß
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Federführung bei Tagesordnungspunkt 14 m - Antrag der Fraktion der SPD zur Sicherung der Arbeitsplätze bei der Hoechst Marion Roussel Deutschland GmbH auf Drucksache 13/ 10028 - soll beim Ausschuß für Wirtschaft liegen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 t auf. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Zunächst kommen wir zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 15 a:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 13. Februar 1997 des Übereinkommens zur Gründung der Europäischen Fernmeldesatellitenorganisation „EUTELSAT" ({33})
- Drucksache 13/10138 -({34})
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Post und Telekommunikation ({35})
- Drucksache 13/10444 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Meister Hans Martin Bury
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Tagesordnungspunkt 15 b:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 1. September 1995 des Übereinkommens über die Internationale Fernmeldesatellitenorganisation „INTELSAT" ({36})
- Drucksache 13/10139-({37})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Post und Telekommunikation ({38})
- Drucksache 13/10445 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Meister
Hans Martin Bury
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit demselben Stimmenverhältnis wie soeben angenommen worden ist.
Tagesordnungspunkt 15 c:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Oktober 1997 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über die Zusammenarbeit der Polizei- und Zollbehörden in den Grenzgebieten
- Drucksache 13/10113 -({39})
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({40})
- Drucksache 13/10474 Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann Günter Graf ({41})
Manfred Such
Dr. Max Stadler
Ulla Jelpke
Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 10474, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Tagesordnungspunkt 15 d:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 20. Dezember 1994 über den Beitritt des Fürstentums Monaco zum Übereinkommen zum Schutz der Alpen ({42})
- Drucksache 13/8825 - ({43})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({44})
- Drucksache 13/10341 Berichterstattung:
Abgeordnete Max Straubinger Georg Pfannenstein
Ulrike Höfken
Günther Bredehorn
Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 13/10341, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit allen Stimmen des Hauses angenommen worden ist.
({45})
Tagesordnungspunkt 15 e:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 22. April 1996 zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Armenien andererseits
- Drucksache 13/9512 -({46})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({47})
- Drucksache 13/10260 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Dietrich Sperling
Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 13/10260, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - GegenVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
probe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Tagesordnungspunkt 15 f:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Deutschen Wetterdienst ({48})
- Drucksache 13/9510 -({49})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({50})
- Drucksache 13/10 240 Berichterstattung:
Abgeordneter Albert Schmidt ({51})
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung des Hauses im übrigen in zweiter Beratung angenommen worden ist.
Wir treten in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist.
Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/ 10240 die Annahme einer Entschließung. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dirk Fischer ({52}) und Horst Friedrich vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer dem . Änderungsantrag auf Drucksache 13/10454 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist.
Wer für die Entschließung in der soeben geänderten Fassung stimmt, den bitte ich ebenfalls um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Entschließung mit demselben Stimmenverhältnis wie soeben angenommen worden ist.
Tagesordnungspunkt 15 g:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({53}) Nr. 2186/93 des Rates vom 22. Juli 1993 über die innergemeinschaftliche Koordinierung des Aufbaus von Unternehmensregistern für statistische Verwendungszwecke
- Drucksache 13/9696 -({54})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({55})
- Drucksache 13/10227 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einmütig angenommen worden ist.
Wir treten in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist.
Tagesordnungspunkt 15 h:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und des Gesetzes über das Amtsgehalt der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts
- Drucksache 13/7673 - ({56})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gerald Häfner, Volker Beck ({57}), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes - Wahl der Richter und Richterinnen
- Drucksache 13/2088 -({58})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Ulla Jelpke, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes
- Drucksache 13/2686 -({59})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({60})
- Drucksache 13/10363 - Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Reinhard Göhner Dr. Wolfgang Götzer
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und des Gesetzes über das Amtsgehalt der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts, Drucksache 13/7673 und Drucksache 13/10363 Nr. 1. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Wir treten in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit demselben Stimmenverhältnis in dritter Lesung angenommen worden ist.
Ich gebe jetzt das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zum Beschluß der Bundesregierung zur Festlegung des Teilnehmerkreises an der Dritten Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und dem Ersuchen der Bundesregierung auf Drucksache 13/10250 und Drucksache 13/ 10450 Nr. 1 bekannt. Abgegebene Stimmen: 615. Mit Ja haben gestimmt: 575, mit Nein haben gestimmt: 35, bei 5 Stimmenthaltungen. Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen.
({61})
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 615; davon:
ja: 575
nein: 35
enthalten: 5
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({62}) Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Rudolf Braun ({63}) Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner
({64})
Dankward Buwitt
Manfred Carstens ({65}) Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjörgen Doss Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann
Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann
Horst Eylmann Anke Eymer
Jochen Feilcke Ulf Fink
Dirk Fischer ({66}) Klaus Francke ({67}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich
Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther ({68}) Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
({69})
Otto Hauser ({70}) Hansgeorg Hauser
({71}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise
Detlef Helling
Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith Elke Holzapfel
Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby
Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung ({72}) Ulrich Junghanns
Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder
Peter Keller
Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
({73})
Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Annegret KrampKarrenbauer Rudolf Kraus
Wolfgang Krause ({74}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner
Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
({75})
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Editha Limbach
Walter Link ({76}) Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold ({77})
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({78})
Julius Louven
Sigrun Löwisch
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({79}) Erwin Marschewski
Günter Marten
({80}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz
Rudolf Meyer ({81}) Hans Michelbach
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller ({82}) Engelbert Nelle
Bernd Neumann ({83}) Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({84}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig
Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau
Helmut Rauber
Peter Rauen
Otto Regenspurger
Christa Reichard ({85}) Klaus Dieter Reichardt
({86})
Dr. Bertold Reinartz
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Hans-Peter Repnik
Roland Richter
Dr. Norbert Rieder
Dr. Erich Riedl ({87}) Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch
({88}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({89}) Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer ({90}) Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte
Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({91}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({92})
Andreas Schmidt ({93}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz
({94}) Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Dr. Dieter Schulte
({95}) Gerhard Schulz ({96}) Frederick Schulze
({97}) Diethard Schütze ({98}) Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer
Marion Seib
Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora
Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm
Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser
Dr. Susanne Tiemann
Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({99})
Dr. Horst Waffenschmidt
Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm ({100}) Gert Willner
Bernd Wilz
Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller
SPD
Gerd Andres Hermann Bachmaier
Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel
Ingrid Becker-Inglau
Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Anni Brandt-Elsweier
Tilo Braune
Dr. Eberhard Brecht
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({101}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann
Karl Diller
Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen
Rudolf Dreßler Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger
Annette Faße Elke Ferner
Lothar Fischer ({102}) Gabriele Fograscher
Iris Follak
Eva Folta
Norbert Formanski
Dagmar Freitag
Anke Fuchs ({103})
Katrin Fuchs ({104})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges Iris Gleicke Uwe Göllner
Günter Graf ({105}) Angelika Graf ({106}) Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Karl Hermann Haack ({107}) Hans-Joachim Hacker
Manfred Hampel Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch
Reinhold Hiller ({108}) Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Frank Hofmann ({109}) Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte
Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange
Detlev von Larcher Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({110}) Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({111}) Winfried Mante Dorle Marx
Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({112}) Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Michael Müller ({113}) Jutta Müller ({114}) Christian Müller ({115}) Volker Neumann ({116}) Gerhard Neumann ({117}) Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur
Manfred Opel
Adolf Ostertag Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Wilfried Penner
Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Hermann Rappe
({118})
Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse
Renate Rennebach
Otto Reschke Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter
Günter Rixe
Reinhold Robbe Marlene Rupprecht
Dr. Hansjörg Schäfer
Rudolf Scharping Bernd Scheelen Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten Günter Schluckebier
Horst Schmidbauer
({119})
Ulla Schmidt ({120}) Dagmar Schmidt ({121}) Wilhelm Schmidt ({122}) Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({123})
Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({124})
Brigitte Schulte ({125}) Reinhard Schultz
({126}) Volkmar Schultz ({127})
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({128}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster
Horst Sielaff
Johannes Singer
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge
Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher Siegfried Vergin Günter Verheugen
Ute Vogt ({129})
Hans Georg Wagner
Hans Wallow
Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({130}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Jochen Welt
Hildegard Wester Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({131})
Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz
Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({132}) Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({133}) Marieluise Beck ({134}) Volker Beck ({135}) Angelika Beer
Matthias Berninger Amke Dietert-Scheuer
Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({136}) Joseph Fischer ({137}) Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper
Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({138}) Winfried Nachtwei Christa Nickels
Egbert Nitsch ({139}) Cern Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Halo Saibold
Christine Scheel Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({140}) Wolfgang Schmitt
({141})
Waltraud Schoppe Werner Schulz ({142}) Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such
Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({143}) Margareta Wolf ({144})
F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({145})
Günther Bredehorn Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({146}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Detlef Kleinert ({147}) Dr. Heinrich L. Kolb
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Uwe Lühr
Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb
Lisa Peters
Dr. Klaus Röhl
Helmut Schäfer ({148}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng ({149})
Dr. Guido Westerwelle
Fraktionslose
Kurt Neumann ({150})
Nein
CDU/CSU
Manfred Kolbe
Heinrich Lummer Wolfgang Schulhoff
SPD
Brigitte Adler
Dr. Liesel Hartenstein Robert Leidinger
Dr. Bodo Teichmann
F.D.P.
Roland Kohn
PDS
Wolfgang Bierstedt
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs
Andrea Gysi Hanns-Peter Hartmann Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll
Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({151}) Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Gerhard Zwerenz
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Egon Jüttner
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Irmingard Schewe-Gerigk Ursula Schönberger
F.D.P.
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der IPU oder der OSZE
Abgeordnete({152})
Antretter, Robert, SPD Behrendt, Wolfgang, SPD Bindig, Rudolf, SPD Blunck, Lilo, SPD
Bühler ({153}), Maus,
CDU/CSU
Fischer ({154}), Leni, CDU/CSU
Hoffmann ({155}), Jelena V., SPD Horn, Erwin, SPD
Lenzer, Christian, CDU/CSU Dr. Probst, Albert, CDU/CSU Siebert, Bernd, CDU/CSU Terborg, Margitta, SPD Weisskirchen ({156}),
Gert, SPD
Wimmer ({157}), Willy, CDU/CSU
Zierer, Benno, CDU/CSU Dr. Scheer, Hermann, SPD
Wir fahren mit den Abstimmungen zu Tagesordnungspunkt 15 h fort. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes auf Drucksache 13/2088. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/10363 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS in zweiter Beratung abgelehnt worden ist. Damit entfällt nach der Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Gruppe der PDS zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes auf Drucksache 13/2686. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/10363 unter Nr. 3, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die StimVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
men der Gruppe der PDS in zweiter Beratung abgelehnt worden ist. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung auch in diesem Fall die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 15 i:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({158}) zu dem Antrag der Abgeordneten Konrad Kunick, Gerd Andres, Lilo Blunck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Förderung der Seeschiffahrt in Deutschland - Drucksachen 13/9075, 13/10270 - Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Kröning
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9075 für erledigt zu erklären. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung einmütig angenommen worden ist.
Tagesordnungspunkt 15j:
Beratung der Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({159}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschläge für Verordnungen ({160}) des Rates zur Änderung der Gründungsverordnungen einzelner dezentraler Einrichtungen der Gemeinschaft
- Drucksachen 13/9086 Nr. 2.80, 13/10228-Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Georg Wagner Wilfried Seibel
Wer der Beschlußempfehlung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung einmütig angenommen worden ist.
Tagesordnungspunkt 15 k:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({161}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuß und den Ausschuß der Regionen „Die Wettbewerbsfähigkeit der Bauwirtschaft"
- Drucksachen 13/9477 Nr. 2.33, 13/10256-Berichterstattung:
Abgeordnete Josef Hollerith Dieter Maaß
Der Ausschuß empfiehlt in Kenntnis der Unterrichtung die Annahme einer Entschließung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmen will,
den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Tagesordnungspunkt 151:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({162}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz, Dr. Manuel Kiper und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verbotsverordnung für Chlorparaffine
({163}) nach § 17 des Chemikaliengesetzes
- Drucksachen 13/1428, 13/4148-Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Renate Hellwig Dr. Bodo Teichmann
Dr. Jürgen Rochlitz
Dr. Rainer Ortleb
Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1428 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD und gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Dann kommen wir zu Tagesordnungspunkt 15 m:
Beratung der 18. Beschlußempfehlung und des Berichts des Wahlprüfungsausschusses
zu dem Wahleinspruch gegen die Gültigkeit der Berufung eines Listennachfolgers gemäß § 48 Bundeswahlgesetz ({164})
- Drucksache 13/10237 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Bertold Reinartz
Es ist beantragt worden, die Vorlage an den Wahlprüfungsausschuß zurückzuverweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen dann zu den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 n auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({165})
Sammelübersicht 296 zu Petitionen
({166})
- Drucksache 13/9784 Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/10442
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung und damit die Sammelübersicht 296 mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 15 o auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({167})
Sammelübersicht 328 zu Petitionen
- Drucksache 13/10316 Wer der Sammelübersicht zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition und der SPD bei Stimmenthaltung des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 p auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({168})
Sammelübersicht 329 zu Petitionen
- Drucksache 13/10317 Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelübersicht 329 einmütig angenommen worden ist.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 q auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({169})
Sammelübersicht 330 zu Petitionen
- Drucksache 13/10318 Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelübersicht 330 gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15r auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({170})
Sammelübersicht 331 zu Petitionen - Drucksache 13/10319 Wer der Sammelübersicht zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelübersicht mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 s auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({171})
Sammelübersicht 332 zu Petitionen - Drucksache 13/10320Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest: Sammelübersicht 332 ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15t auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({172})
Sammelübersicht 333 zu Petitionen
- Drucksache 13/10321 -
Wer der Sammelübersicht zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelübersicht angenommen worden ist mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen.
Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge
({173})
- Drucksache 13/9340 ({174})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({175})
- Drucksache 13/10328 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Hartmut Schauerte
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({176}) zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck ({177}), Andrea Fischer ({178}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechtsgrundlage für die Vergabe öffentlicher Aufträge: Koppelung der Auftragsvergabe an Frauenfördermaßnahmen
- Drucksachen 13/9813, 13/10328 -Berichterstattung:
Abgeordneter Hartmut Schauerte
c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ernst Schwanhold, Anke Fuchs ({179}),
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Hans Berger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Veränderung der Vergabeverfahren bei öffentlichen Aufträgen
- Drucksachen 13/5913, 13/7137 Zum Gesetzentwurf liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Hartmut Schauerte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Tagesordnung ist unerbittlich: von der Jahrhundertentscheidung der Einführung des Euro nun in die praktischen Fragen, die auch mit Europa zu tun haben, nämlich zum Vergaberecht.
Das Vergaberecht ist eine wichtige Rechtsmaterie, die einen Wirtschaftsteil besonderen Regelungen unterwirft, der in seiner Größenordnung nicht zu unterschätzen ist. Alles in allem unterliegen den Konsequenzen dieses Rechts etwa 400 Milliarden DM; das sind mehr als 10 Prozent des Bruttosozialprodukts in Deutschland.
Warum gibt es überhaupt ein Vergaberecht? Warum ist es anders geregelt als eine normale Vertragsabwicklung? Es gibt viele gute Gründe, warum es ein spezielles Vergaberecht gibt. Ich will sie nicht alle aufführen, aber einige wenige doch nennen. Es ist schon etwas anderes, wenn Privatleute und Privatunternehmen über ihr Geld entscheiden und Aufträge erteilen, als wenn Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes Aufträge erteilen und damit über Geld verfügen, das von den Steuerzahlern aufgebracht worden ist. Ich muß die Unterschiede, die da wirklich vorhanden sind, nicht alle schildern. Es gibt eine Vielzahl. Deshalb ist es geboten, eine besondere Form der Vergabe zu organisieren. Es steckt eine derartige Angebotsmacht in diesem öffentlichen Geld, daß sie auch normale Wettbewerbsstrukturen gefährden und zerschlagen könnte, wenn es für sie nicht eine besondere Rechtsform gäbe. Auch deswegen ist es richtig, ein Vergaberecht zu haben und es natürlich den modernen Anforderungen anzupassen.
({0})
Diese Anforderungen kommen aus unserem Verfassungsverständnis, das sich weiterentwickelt, aus der europäischen Rechtsmaterie und aus internationalen Gepflogenheiten, insbesondere in Amerika. Es ist uns gesagt worden: Wenn denn hoheitlich Aufträge erteilt werden, Aufträge ausgeschrieben werden, dann muß es die rechtliche Möglichkeit geben, daß derjenige, der sich in seinen Rechten beeinträchtigt fühlt, der unterlegen ist, sein Recht suchen kann.
Wir haben das in Deutschland bisher über das Haushaltsrecht geregelt, indem wir Vergabeüberprüfungsausschüsse und Vergabekammern hatten, die das verwaltungstechnisch relativ einfach machten. Aber das entspricht nicht dem wirklichen Verfassungsauftrag, daß am Ende auch eine gerichtliche Entscheidung stehen können muß.
Wir haben das in der Vergangenheit nicht gewollt - auch aus guten Gründen -, weil wir gesagt haben, die Vergabe soll praktikabel bleiben, es soll auch schnell gehen, es soll verläßliche Entscheidungskriterien geben. Wenn dann eine Kommune entschieden hat, die Firma Meier solle eine bestimmte Straße oder einen Teilabschnitt bauen, dann soll das eigentlich auch stehen, dann will man hinterher nicht noch einen Rattenschwanz von wer weiß welchen Problemen haben. Aber es hilft nichts: Wir haben den Auftrag, wir haben die Verpflichtung, für diese Ausnahmesituation der rechtlichen, sprich: gerichtlichen Überprüfung eine Regelung zu schaffen.
Es war die Kunst derer, die sich mit dem Thema beschäftigt haben, einen Weg zu finden, daß das praktikabel funktioniert, daß es nach wie vor zügig und konsequent geht, daß aber für besondere Problemfälle eben doch der Ausnahmeweg Zugang zu einer gerichtlichen Überprüfung gegeben ist. Wir würden damit dann auch den internationalen Anforderungen Rechnung tragen.
Sie wissen, daß es zum Beispiel ganz erheblichen Ärger mit der amerikanischen Regierung gibt. Anlaß war ein Vergabefall in Berlin, wo General Electric einen Auftrag nicht bekommen hat. Die haben dann versucht, diesen Auftrag einzuklagen, mußten aber feststellen, daß das nach deutschem Recht nicht geht. Das hat dann bis in die höchsten Regierungsebenen, bis hin zu Präsident Clinton, Wogen geschlagen, und es hat Chefgespräche zwischen Clinton und Kohl gegeben, weil die Amerikaner unter Bezugnahme auf europäische und internationale Rechtsgepflogenheiten erklärt haben, sie verlangen, daß auch das deutsche Vergaberecht den Entwicklungen angepaßt wird.
Ich denke, den Antrag, den wir jetzt in zweiter und dritter Lesung beschließen sollen, haben wir einigermaßen intelligent entsprechend den unterschiedlichen Interessenlagen entwickelt. Wir haben ihn im Prinzip mittlerweile unstreitig entwickelt. Es hat noch leichte Varianten an der einen oder anderen Stelle gegeben, aber ich denke, im Grundkonsens sind wir beieinander. Zum Schluß wird noch von mir darauf einzugehen sein, wo denn noch der eigentliche Streitpunkt ist.
Mit diesem Vergaberecht also, das wir jetzt hier vorlegen und dem wir zuzustimmen bitten, verbinden wir folgendes: die Sicherstellung von wirtschaftlichen Einkäufen und Auftragsvergaben der öffentlichen Hände, die Verhinderung der Störung der Märkte durch mißbräuchliche Ausübung der Nachfragemacht - deswegen halten wir überhaupt an solchen Instrumenten fest -, individuellen Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Ich habe dazu etwas gesagt. Das ist erforderlich auf Grund der internationalen Lage, aber auch auf Grund unserer eigenen Verfassungslage, wie uns die Verfassungsjuristen in der Anhörung gesagt haben.
Wir wollen mit diesem Vergaberecht die Stärkung des Mittelstands erreichen. Das ist schwierig, denn wenn das Vergaberecht komplizierter werden sollte, droht die Gefahr, daß die vergebenden Stellen, um die Kompliziertheit der Materie zu vermindern, lieber einen großen Auftrag an einen, ich sage einmal: Generalunternehmer austeilen als an viele kleine Unternehmer, wo sie bei jedem das gleiche Rechtsproblem bekommen. Das ist die Sorge, die viele Mittelständler vorgetragen haben. Wir haben diese Sorge aufgegriffen und in das Gesetz aufgenommen, daß es einen Vorrang für mittelständische Lösungen und für Einzellos- und Fachlosvergabe geben soll. Das ist der erste Teil.
Der zweite Teil: Wenn die vergebende Behörde gegen diesen Vorrang verstößt, hat der unterlegene und benachteiligte Mittelständler oder Auftragnehmer jetzt erstmals die Möglichkeit - was es beim alten Recht nicht gab -, diesen Verstoß gegen den Vorrang für mittelständische Vergabe gerichtlich überprüfen zu lassen.
Es war für uns sehr wichtig, daß bei der Anhörung gerade die kleinen Verbände, also die des gewerblichen Baus und der Zentralverband des Deutschen Handwerks, ausdrücklich erklärt haben, daß sie durch diese Regelung den Schutz von günstigen Mittelstandsauftragsvergaben besser gegeben sehen, als es in der Vergangenheit der Fall war. Sie haben deswegen positiv Stellung zu dieser gesetzlichen Initiative genommen, obwohl es viel Kritik von dieser Stelle gab. Sie haben ausdrücklich gesagt: Es verbessert die Lage, weil wir im Notfall gerichtlich durchsetzen können, daß die mittelstandsfreundliche Vergabe mißachtet worden ist und die Vergabe deswegen nicht in Ordnung ist.
Ich komme nun zu dem Punkt, bei dem wir wirklich unterschiedlicher Meinung sind; denn es ist ökonomisch, sich nicht über die unstreitigen Themen zu unterhalten. Man muß sich vielmehr über die streitigen Dinge unterhalten, über die wir auch eine öffentliche Auseinandersetzung führen werden.
Die streitige Frage ist zuallererst: Darf die Vergabe ausschließlich nach wirtschaftlichen Kriterien erfolgen, oder soll sie mit sogenannten vergabefremden Aspekten befrachtet werden können? Das ist die objektive Frage, die wir hier zu diskutieren haben.
({1})
Wir sagen in aller Deutlichkeit: Ordnungspolitisch wäre es geboten, vernünftig und richtig, jeden vergabefremden Aspekt grundsätzlich auszuschließen.
({2})
Ich bekenne: Daß man über einen Verwaltungsakt, zum Beispiel die Lehrstellen in die Vergabepraxis einbezogen hat, ist nach unserer Überzeugung, der Überzeugung der Wirtschaftspolitiker, falsch. Dies ist gemacht worden, das will ich nicht bestreiten, dafür muß ich mich nicht beschimpfen lassen. Dies ist aber eigentlich falsch, denn das birgt die Gefahr in sich,
daß wir eines Tages eine Vielzahl von unterschiedlichen Kriterien bei Vergaben haben, die in einem unübersichtlichen Katalog gar nicht mehr zu sortieren sind. Jeder befrachtet die jeweilige Vergabe mit den jeweiligen politischen Wünschen, die er noch hat. Das kann ganz einfach geschehen, zum Beispiel nur durch eine Verwaltungsvorschrift, durch eine souveräne Entscheidung des Satzungsgremiums oder was auch immer. Wir werden in Deutschland einen Flikkenteppich von unübersichtlichen Anforderungen bei wirtschaftlichen Vergaben der öffentlichen Hand bekommen. Das kann nicht im Interesse von vernünftigen Politikern liegen und auch nicht im Interesse der Wirtschaftspolitik.
Das heißt: Wenn wir das unterschiedlich handhaben - wir kennen ja die Wünsche: der eine will die Lehrlinge berücksichtigt haben, der andere die Frauenquote, einer die Umweltvorschriften, ein anderer wiederum will sehen, ob auch die Sportförderung in dem Unternehmen genügend berücksichtigt wird - ,
({3})
werden wir einen Katalog mit einer nach oben offenen Richtwertskala bekommen. Deswegen sage ich, daß das eigentlich falsch ist.
Nun wissen wir aber, daß die Begehrlichkeiten da sind. Deswegen gehen wir einen Kompromiß ein und sagen: Durch Gesetz dürfen auch vergabefremde Aspekte eingeführt werden, und zwar durch Bundesgesetz.
({4})
Damit wird die Einheitlichkeit in Deutschland hergestellt. Das gesetzgeberische Verfahren hat den Vorteil, daß es nicht beliebig ist, sondern daß es einen langen Vorlauf hat, daß es gründlich beraten wird, daß sich Gegenwehr bilden kann und daß eine öffentliche Diskussion gesichert ist, wenn man dann mit Unsinn weitermachen will.
Ich bitte die Sozialdemokraten, die ja auch ein Interesse daran haben müssen, daß die vergabefremden Aspekte auf das absolut geringste Maß reduziert bleiben und nur in besonderen Ausnahmefällen überhaupt vorkommen dürfen, dies nur über Gesetz zuzulassen. Das ist unser Ansatz, der, wie ich denke, einen fairen Kompromiß darstellt. Weiter wollen wir nicht gehen, auch wenn die Länder in dieser Frage einiges zusätzlich wollen. Unser Ansatz ist, die vergabefremden Aspekte nur über ein Bundesgesetz zuzulassen. Am besten sollten sie gar nicht vorkommen.
({5})
- Das wollen wir in öffentlicher Diskussion miteinander erörtern.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Jedenfalls sollten Schnellschüsse und Beliebigkeiten vermieden werden, weil sie das Vergaberecht unübersichtlich machen.
Ich möchte ganz schnell einen letzten Gedanken äußern.
Nein, Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie können noch einen Satz sagen.
Wenn wir eine deutsche Vergabespezialität schafften, hätten wir eine Diskriminierung von Inländern. Ausländische Wettbewerber müssen sich dem nicht unterziehen, inländische müssen sich dem unterziehen. Eine vergaberechtsfremde Lösung wird jedoch nicht europafest sein und sich auf Dauer nicht halten können, wenn sie eine Inlandsdiskriminierung enthält.
Herr Kollege, ich muß Sie bitten, sofort zum Schluß zu kommen.
Ich bitte, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Er ist hochvernünftig. Ich hoffe, daß wir noch ({0})
Herr Kollege, beenden Sie jetzt Ihre Rede. Das geht nun wirklich zu weit.
- vor Ende dieser Legislaturperiode dieses wichtige Gesetz beschließen können.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Sabine Kaspereit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß wir heute diesen Gesetzentwurf zum Vergaberecht der öffentlichen Hand mit der Begründung der besonderen Eilbedürftigkeit auf die Tagesordnung bekamen, ist vom Verfahren her der Wichtigkeit des Themas nicht angemessen. Ich frage mich, ob die Koalition in dieser Angelegenheit kein ganz reines Gewissen hat. Die Anhörung im Bauausschuß und die Beratung im Rechtsausschuß haben durchaus unterschiedliche Ergebnisse gebracht. Das reicht von der Frage, ob denn überhaupt ein neues Gesetz für die Vergabe öffentlicher Aufträge geschaffen werden muß oder ob das Haushaltsrecht ausreichend ist, bis hin zu europarechtlich durchaus anwendbaren sozialen Kriterien bei gleichwertigen Angeboten.
Die Koalition kann das Verfahren mit ihren Mehrheiten durchziehen. Aber einen Gefallen tut man dem Parlamentarismus nicht,
({0})
wenn die Koalition die ihr noch verbleibende Zeit zum Regieren mit der Brechstange nutzt, um ihren Kopf durchzusetzen.
Doch nun zum Inhalt: Eine Zeitlang hat es so ausgesehen, als bekämen wir einen interfraktionellen Gesetzentwurf hin. Drei Punkte waren der SPD wichtig. Erstens wollten wir ein Beschwerdeverfahren, das Investitionen nicht unnötig verzögert. Ob uns das gelungen ist, wird vermutlich erst die praktische Anwendung des Gesetzes zeigen. Es gibt durchaus kritische Stimmen, die eine Überschreitung der Bindefristen der Bieter und damit die Notwendigkeit der Neuausschreibung befürchten. Dieser Einwand ist meines Erachtens ernst zu nehmen, weil er nicht Verminderung, sondern Zunahme der Bürokratie und eine zusätzliche Verzögerung bedeutete.
Zweitens wollten wir das Gesetz möglichst mittelstandsfreundlich gestalten. Das ist uns mit der Einfügung des neuen Absatzes 3 in den § 106 gelungen, der die Vergabe von Fach- und Teillosen präferiert. Die SPD hätte dies gern noch durch die ausdrückliche Berücksichtigung von Bietergemeinschaften verstärkt. Aber im Sinne eines Kompromisses haben wir uns in diesem Punkt zurückgehalten, zumal gemeinschaftliche Anbieter an anderer Stelle noch einmal genannt werden.
Drittens wollten wir der öffentlichen Hand die Möglichkeit geben, bei wohlgemerkt gleichwertigen Angeboten ein Unternehmen zu bevorzugen, das sich seinen Mitarbeitern und dem Staat gegenüber verpflichtet fühlt.
({1})
Dies im Gesetz zu verankern ist nicht gelungen. Auch hier haben wir versucht, eine Kompromißlinie zu finden: Wenn schon in diesem Gesetz eine Berücksichtigung von sogenannten vergabefremden Kriterien, die im Haushaltsrecht nicht systemfremd sind, nicht verankert wird, so wollten wir dies wenigstens den Ländern durch eine Öffnungsklausel ermöglichen. Aber auch an diesem Punkt stießen wir auf hartnäckigen, ja erbitterten Widerstand, wie wir auch gerade wieder feststellen konnten.
({2})
Nun frage ich die Koalition: Warum um alles in der Welt scheuen Sie das Wort „Tariftreue" wie der Teufel das Weihwasser?
({3})
Die Tariftreueerklärung, die zum Beispiel die bayerische Staatsregierung bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen verlangt, hatte einen äußerst positiven Effekt. Schließlich ist es keine Bagatelle, wenn
durch eine solche Verordnung in Bayern etwa 40 000 Arbeitsplätze gesichert wurden.
In den neuen Bundesländern findet mit Hilfe von Lohndumping ein aberwitziger Unterbietungswettlauf statt. Ein Unternehmer, der nur einen Funken von Verantwortungsbewußtsein hat, ist außerstande mitzubieten. Hier herrscht nicht nur das Recht des Stärkeren, sondern das Unrecht des Skrupellosesten.
({4})
Dieses können Sie doch nicht wollen!
Öffentliche Gelder müssen auch eine lenkende Funktion haben und öffentliches Interesse fördern. Es ist extrem kurzsichtig, wenn man bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ausschließlich die Ausgabenseite betrachtet. Es war noch nie so wichtig wie heute, die Einnahmenseite vor allem durch die Erhaltung von Arbeitsplätzen zu berücksichtigen.
({5})
Stichwort Ausbildung. Ich habe bei den Gesprächen nicht ein einziges Argument gehört, das mich begreifen ließ, warum Sie den Kabinettsbeschluß Ihrer eigenen Regierung vom September 1997 ablehnen,
({6})
bei dem es nach dem Willen Ihres Kanzlers um die Präferierung von ausbildenden Betrieben geht. Herr Kollege Doss ist sogar so weit gegangen, zu sagen, der Kanzler habe da einen Fehler gemacht. Vielleicht war es ja damals angesichts der katastrophalen Lage auf dem Ausbildungssektor mal eben ein populistischer Schaufensterbeschluß.
({7})
Stichwort Frauenförderung. Was ist eigentlich der Grund, angesichts der dramatischen Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt bei der Forderung nach einer entsprechenden Präferenz geringschätzig abzuwinken?
({8})
Sind auch Sie etwa der Meinung, daß die Erwerbsneigung von Frauen bloß die Arbeitsmarktstatistik verdirbt? Diese Beispiele verdeutlichen, daß Sie sich als Regierungskoalition Ihrer Möglichkeiten zum Gestalten nicht bedienen, die Sie bei diesem Gesetzentwurf gehabt hätten.
({9})
Ich bin sicher, daß sich die Länder diese Gestaltungsmöglichkeiten, die sie jetzt mit Einschränkungen noch haben, nicht nehmen lassen werden. Dies haben die heutigen Bundesratsausschußsitzungen mit den Änderungsanträgen der Länder, die die schon erwähnte Öffnungsklausel einfordern, bereits gezeigt.
Wenn Sie es mit der Verabschiedung des Gesetzes wirklich so eilig haben, können Sie mit der Zustimmung zu unserem Änderungsantrag ein Vermittlungsverfahren vermeiden, Zeit sparen und politisch gestalten.
({10})
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! „Was hat das Vergaberecht mit Frauenpolitik zu tun?", werden Sie angesichts der Tatsache fragen, daß hier eine Frauenpolitikerin spricht. Eine ganze Menge. Wenn heute endlich EU-Recht in nationales Recht umgesetzt wird, wenn die Rechte der Bieter gestärkt werden, dann ist das gut. Wenn jedoch gleichzeitig, was nicht von der EU gefordert wurde, die Rechte von Frauen und Frauenförderung beschnitten werden sollen, so trifft das nicht nur auf unseren Widerstand, sondern auch auf den des Bundesrates. Frau Kaspereit hat gerade darauf hingewiesen.
({0})
Worum geht es? Im Handstreich will die Bundesregierung die Frauenförderung bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch die Hintertür aushebeln. Die ungeliebten Regelungen, die fortschrittliche Bundesländer in ihren Gleichstellungsgesetzen verankert haben, sollen weg. Die Bundesregierung will es nämlich nicht mehr den Ländern überlassen, ob sie wie Brandenburg, Sachsen-Anhalt oder Berlin die Vergabe öffentlicher Aufträge an Frauenförderung in den Betrieben koppeln. Dabei ist die Idee so einfach wie einleuchtend. Nur wenn Unternehmen der Privatwirtschaft künftig die lukrativen Aufträge der öffentlichen Hand verwehrt bleiben, haben sie einen Anreiz, Frauenförderung zu betreiben.
({1})
Nur ein Halbsatz im Gesetzeswerk der Koalition ist es, der das Aus der Frauenförderung bei der öffentlichen Auftragsvergabe bedeutet. Jetzt soll nur noch per Bundesgesetz geregelt werden, welche Kriterien gelten dürfen. Ein Bundesgesetz, das Frauenförderung bei der öffentlichen Auftragsvergabe vorsieht, gibt es bekanntermaßen nicht. Was es aber gibt - das wird Ihnen nicht neu sein -, ist ein Bundesvertriebenengesetz, nach dem die Spätaussiedler bei öffentlichen Aufträgen bevorzugt Berücksichtigung finden können. Wie erklären Sie das eigentlich den Frauen, daß Spätaussiedler bevorzugt Aufträge erhalten können, Frauen aber nicht? Beantworten Sie einmal diese Frage!
({2})
Das auch gern vorgebrachte Argument, daß man doch gar nichts zunichte machen würde, weil sowieso kein Unternehmen mitmache, läßt sich durch
Fakten entkräften. 1996 schulte Brandenburg 200 Mitarbeiterinnen in seinen Vergabestellen zu diesem Zweck. Es gibt viele sehr interessierte Unternehmen. So unsozial, wie gerade Sie uns glauben machen wollen, sind die kleinen und mittleren Unternehmen nicht.
({3})
Das ist beileibe nicht der einzige Skandal in diesem Gesetzeswerk. Nicht nur die Frauenförderung als Vergabekriterium wollen Sie ad acta legen. Auch die Länderregelungen werden nicht mehr gelten, die Unternehmen bei der Auftragsvergabe bevorzugen, wenn sie Tariftreue üben - das hat Frau Kaspereit gerade schon erwähnt - oder wenn sie verstärkt Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Nehmen Sie jetzt auch Ihren eigenen Kabinettsbeschluß nicht mehr ernst? Herr Rüttgers, Frau Nolte, Sie haben sich damit gebrüstet, und 200 000 fehlende Ausbildungsplätze sprechen ihre eigene Sprache. Sie wollen das per Bundesgesetz einfach beenden.
Zurück zu den Frauen. Wenn die Bundesregierung mit der Frauenförderung in der Privatwirtschaft Ernst machen will, muß sie ihren Vorschlag zurücknehmen und endlich eine klare gesetzliche Regelung schaffen. Da können Sie sich auch nicht hinter europäischem Recht verstecken. Das schließt nämlich vergabefremde Kriterien grundsätzlich nicht aus. Die beste Lösung - das schlagen wir in unserem Antrag vor - wäre ein Bundesgesetz. Der unternehmerischen Phantasie wollen wir dabei ein wenig auf die Sprünge helfen und schlagen deshalb Frauenförderkriterien vor, die es zu erfüllen gilt. Das wären Vorgaben zur Erhöhung des Frauenanteils, die gleichberechtigte Vergabe von Ausbildungsplätzen an Frauen, der Nachweis der gleichen Entlohnung für Frauen und Männer - noch immer verdienen Frauen 30 Prozent weniger als Männer im Durchschnitt - oder auch das Angebot an Teilzeitarbeit in Führungspositionen oder familienfreundliche Arbeitszeiten. So weit unser Antrag.
Als Kompromiß - dem müßten Sie mindestens zustimmen - sollten die jetzigen Länderregelungen beibehalten werden, sowohl was die Frauenförderung als auch die Tariftreue oder die Förderung von Ausbildungsplätzen angeht. Das ist doch nun wirklich das mindeste, zu dem sich dieses Parlament bereitfinden sollte.
Darum bitte ich Sie, insbesondere meine Damen und Herren von der Koalition: Stimmen Sie schon jetzt den Änderungsanträgen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD zu! Der Bundesrat wird Ihr Gesetz, das Länderregelungen beschneidet, garantiert nicht passieren lassen.
Vielen Dank.
({4})
- Das weiß ich. Warten Sie es ab!
Nun gebe ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Otto Graf Lambsdorff.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich überlasse es der geneigten Öffentlichkeit, zu urteilen, ob die Sozialdemokraten in den Jahren dümmer oder klüger geworden sind. Als ich noch Wirtschaftsminister im Kabinett Helmut Schmidt war, half mir der damalige Bundeskanzler dabei, vergabefremde Überlegungen aus solchen Gesetzen herauszuhalten. Heute scheint das anders geworden zu sein.
Meine Damen und Herren, lassen Sie sich nur mal vortragen, was es alles an solchen Überlegungen und Wünschen gibt: Bevorzugung von Ausbildungsbetrieben, Einhaltung von Tarifverträgen, Frauenförderung, Ausschluß von Unternehmen mit 620-DM-
Beschäftigten, Bevorzugung von Unternehmen, die Langzeitarbeitslose beschäftigen,
({0})
Bevorzugung von Unternehmen, die nach § 249h Arbeitskräfte einsetzen, Ausschluß oder Benachteiligung von Unternehmen, deren Führungen mit der Scientology-Sekte in Verbindung stehen, bevorzugte Auftragsvergabe an Justizvollzugsanstalten, Umweltschutzgesichtspunkte, Förderung nachwachsender Rohstoffe, Berücksichtigung umweltfreundlicher Produktionsabläufe, Bevorzugung von Unternehmen bestimmter Regionen, die Forderung, bis zu bestimmten Auftragswerten ausschließlich örtlichen Unternehmen die Aufträge zukommen zu lassen.
({1})
Meine Damen und Herren, wenn wir das alles aufnehmen, dann ist das das größte Sparprogramm, das man beschließen kann. Es kommt keine einzige öffentliche Auftragsvergabe mehr zustande.
({2})
Dies einzubauen, geht nach Bert Brechts Grundsatz: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Aber man wird es Ihnen nicht beibringen können. Sie haben ja schon auf den Bundesrat verwiesen.
({3})
Zweite Bemerkung. Frau Kaspereit: Im Handstreich sei das hier betrieben worden? „Mit der Brechstange" haben Sie gesagt. Du liebe Zeit! Die EG-Richtlinie stammt aus dem Jahre 1991. 1994 haben wir sie mit der haushaltsrechtlichen Lösung falsch umgesetzt, wie wir gesehen haben. Dann hatten wir die Europäische Kommission auf dem Hals. Dann ist Herr Kommissar Monti aufgetreten. Dann sind wir von den Amerikanern als diskriminierendes Land bezeichnet worden. Dann kamen die Fälle Lippendorf, Westinghouse und General Electric. Dann hat die Vergabekommission beim Bundeskartellamt schließlich festgestellt, daß die Auftragsvergaben zu Unrecht erfolgten. Jahrelang haben wir über dieser
Gesetzgebung gethront. Ich finde das im Gegenteil geradezu ein Beispiel dafür, wie umständlich und unerfreulich unsere Gesetzgebungsmaschine arbeitet. Da kann man doch nicht von einer „Brechstange" reden, wahrhaftig nicht.
({4})
Was uns hier alles geschehen ist! Herr Schauerte hat vorhin gesagt: Jetzt reden wir über die Kleinigkeiten, vorhin haben wir über das große Europa geredet. Wir haben die Kleinigkeiten nicht umgesetzt und sind eines der Länder, die in der Umsetzung der europäischen Richtlinien am schlechtesten dastehen.
Das einzige, meine Damen und Herren - das haben wir vorhin bei der Rede des Kollegen Schauerte gemerkt; ich mußte verhandeln, ob ich hier vier, dreieinhalb oder fünf Minuten Redezeit bekomme -, was hier in dem ganzen Gesetzgebungsverfahren mit zeitlicher Kürze behandelt worden ist, ist die Zeitzuteilung in der heutigen Debatte.
({5})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Rolf Kutzmutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Klug oder nicht klug, ich bin der Auffassung, wenn die öffentliche Hand Aufträge vergibt, also Steuermittel einsetzt, dann hat sie sehr wohl die Pflicht und auch das Recht, dafür zu sorgen, daß Arbeitslosigkeit beseitigt wird, daß benachteiligte Gruppen in Arbeit kommen. Das ist natürlich auch das Anliegen der Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD.
({0})
Was allerdings bei der Eile der Diskussion hinsichtlich der Veränderung des Gesetzes herauskommt, will ich an wenigen Beispielen zeigen.
Die allseits als bewährt gelobten Vergabeprüfstellen werden - nicht formal, aber faktisch - abgeschafft - und das, obwohl wir seit vergangenem September vom Europäischen Gerichtshof wissen, daß diese Prüfstellen als Gerichte anzusehen sind. Statt dessen installiert die Koalition einen neuen zweistufigen Rechtsweg. In der Theorie schön anzusehen, aber mir graut vor der Praxis.
Knapp 90 Tage will der Gesetzgeber für endgültige Entscheidungen einräumen. Aber alle, die damit zu tun haben, wissen, daß potentielle Auftragnehmer nur 30 Tage an ihr Angebot gebunden sind. Wenn man die Zwischenzeit mit Akteneinsicht, Gutachter- und Sachverständigenstreit und allem, was es da sonst noch gibt, berücksichtigt, erkennt man, daß das ein ganz heilloses Durcheinander geben wird, Herr Kollege Schauerte.
Über den Streit wird dann das Gesetz zur Makulatur, und was wir erreichen wollten, die Rechtswegegarantie für Bieter, löst sich damit praktisch in Luft auf.
Ich glaube sowieso, daß dieser Paragraphenwirrwarr nur den eigentlichen Zweck der Übung tarnen soll. Es geht nicht um irgendwelche sowieso kaum drohenden Vertragsstrafen an die EU oder das Phantom eines Wirtschaftskrieges mit den USA, es geht allein um die Aushebelung bestehender und geplanter Vergabenormen.
Die größten Auftragsvergeber der Republik sollen nicht länger ihrer arbeitsmarkt-, gleichstellungs- und bildungspolitischen Verantwortung nachkommen sowie einen gesellschaftlichen Grundpfeiler, das Tarifsystem, verteidigen können.
Das sagt die Bundesregierung schließlich selbst. Ich zitiere:
§ 106 Abs. 3 ist die grundlegende und wichtigste Vorschrift des gesamten Entwurfs....
Das kann man auf Seite 48 der Drucksache nachlesen.
Kurzsichtiger aber kann Politik nicht sein. Was hier vielleicht an Steuergeldern bei Aufträgen zu sparen ist, wird dann doppelt und dreifach an anderer Stelle wieder aufgebracht werden müssen.
Auch über Auftragsvergabe können Lebensperspektiven gesichert werden - für Jugendliche, für Frauen, für Menschen mit Behinderungen, für Arbeitslose, für Geringverdiener.
Deshalb stimmen wir den Änderungsanträgen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der SPD zu.
Das vorgelegte Gesetz vernichtet persönliche Chancen und treibt dazu noch öffentliche Kosten - von Arbeitslosen-, Sozial- und Krankenkassen bis zu Polizei und Justiz - in die Höhe.
Das Gesetz stellt auch einen Verfassungsbruch dar. Die Mehrheit dieses Hauses will sich mit dem erwähnten § 106 GWB eine Kompetenz anmaßen, die dem Bund nach dem Grundgesetz gar nicht zusteht. Mir fehlt die Zeit, dies zu erläutern. Sie können es aber alle in einer ausführlichen aktuellen Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages nachlesen.
Wir erleben hier wahrlich eine denkwürdige Stunde. Vor einer knappen halben Stunde besiegelte eine Mehrheit nicht nur endgültig die Entmündigung der Bevölkerung in einer wirklich alle betreffenden Schicksalsfrage.
({1})
Mit dem Ja zu diesem Euro beraubte sie zugleich den Bund seiner entscheidenden Gestaltungspotenzen. Mit der Zustimmung zu diesem Euro geben Sie bundespolitische Verantwortung auch nach Brüssel ab.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Letzter Satz, Herr Präsident. Rolf Kutzmutz
Statt also jetzt dafür zu sorgen, daß dafür die Regionen, also die Länder, gestärkt werden, will nun ein großer Teil der erwähnten Mehrheit auch noch die Länder kastrieren, indem nur noch über Bundesgesetz geregelt werden soll, was in den Ländergesetzen längst Praxis ist. Wir stimmen deshalb zu, daß den Ländern diese Praxis erhalten bleibt, damit Menschen wieder in Arbeit kommen und nicht ausgeschlossen werden.
Danke schön.
({0})
Ich gebe das
Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat, wie wir alle wissen, am 25. September 1996 beschlossen, das damals noch relativ junge Recht zur Umsetzung der EG-Vergaberichtlinien zu ändern, und den Bundesminister für Wirtschaft aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der einen gerichtlichen Rechtsschutz für Bieter und Bewerber um öffentliche Aufträge schafft.
Die europarechtlichen und auch die verfassungsrechtlichen Zwänge, die zu diesem Schritt geführt haben, sind im Vorfeld dieser Entscheidung und auch danach von allen Seiten beleuchtet worden. Ich glaube, sie bedürfen heute keiner näheren Erläuterung.
Für den Schwenk in der Ausgestaltung der grundlegenden Rahmenbedingungen für die öffentlichen Aufträge sind wirtschaftspolitische Gründe maßgebend. Ich meine, es lohnt sich, sich diese noch einmal kurz vor Augen zu führen.
An erster Stelle steht die Erkenntnis, daß wir mit unserer betont außenwirtschaftsabhängigen Wirtschaftsstruktur die Vollendung des Binnenmarktes in Europa brauchen wie kaum ein anderes Land. Wir können es uns nicht leisten, in andauerndem Streit mit den europäischen Organen über die richtige Umsetzung gemeinsam beschlossener Regeln zu liegen. Der aus dem Bauverwaltungsbereich inspirierte deutsche Sonderweg der „haushaltsrechtlichen Lösung " muß als gescheitert angesehen werden.
Aus der Sicht der Kommission und aus dem Blickwinkel der meisten anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft haben wir uns - das ist der zweite Punkt - in kleinlicher Streiterei permanent geweigert, die Regeln einzuhalten. Der Möglichkeit, mit Gewicht bei der Fortentwicklung der Regeln mitzusprechen, haben wir uns damit selbst beraubt. Sie wissen, in Brüssel läuft derzeit der Prozeß der Revision der EG-Vergaberichtlinien, während wir hier noch darüber reden, wie wir die erste Stufe in nationales Recht übernehmen wollen.
Drittens: Die Stärkung der Rechtsstellung der Bieter und Bewerber im Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge enthält auch eine große Chance für die Wirtschaft wie für die öffentlichen Auftraggeber. Die Stärkung der Rechtsstellung der Bieter wird zu einer genaueren Einhaltung der Regeln führen. Das schafft ein größeres Maß an Vertrauen. Dies wird eine Erhöhung der durchschnittlichen Zahl der Bewerber um öffentliche Aufträge bewirken, damit die Wettbewerbsintensität erhöhen und tendenziell zu niedrigeren Einkaufspreisen und qualitativ besseren Angeboten führen. Ich glaube, die Vergaberichtlinien müssen so verstanden werden, und sie dürfen nicht als aufgebürdete europäische Last gesehen werden.
Zu den wichtigsten Aufgaben der Wirtschaftspolitik gehört nach unser aller Grundverständnis die Ordnungspolitik, das heißt, permanente phantasievolle Pflege des Wettbewerbs ist verlangt. Nur so können Wachstum und Beschäftigung auf Dauer gesichert werden. Ich glaube, daß wir es hier mit einer Reihe von wichtigen Projekten auch geschafft haben, die Performance unserer Wirtschaft erheblich zu steigern. Ich nenne das Postgesetz, das Telekommunikationsgesetz und den neuen wettbewerblichen Ordnungsrahmen für Strom und Gas.
Auch die sechste GWB-Novelle und das Vergaberechtsänderungsgesetz gehören in diesen Kontext. Selbst wenn wir hier nicht ganz freiwillig zur Tat geschritten sind, rechnen wir uns doch die Form der Umsetzung des EG-Rechts durch Implantation in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen als Gewinn an. Wettbewerb und öffentliche Aufträge werden im GWB untrennbar miteinander verknüpft.
Ich freue mich, daß es hier und heute bis auf einen Punkt, den der vergabefremden Aspekte, eine große Übereinstimmung gegeben hat. Ich will sagen: Wir haben mit großer Zähigkeit während der gesamten Diskussion über den Entwurf des Vergaberechtsänderungsgesetzes an der ungetrübten Aufnahme der Grundsätze der Auftragsvergabe, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, festgehalten. Das gilt hauptsächlich für die strikte Verpflichtung, die Unternehmen nur nach Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit, die Angebote nur nach Wirtschaftlichkeit zu beurteilen, also in der Konsequenz für ein Verbot der Berücksichtigung sogenannter vergabefremder Aspekte.
Immer wieder wird von allen möglichen Seiten gefordert, andere als auftragsbezogene wirtschaftliche Gesichtspunkte heranzuziehen. Wir haben es heute auch gehört. Dazu muß man ergänzend feststellen: Die Berücksichtigung vergabefremder Aspekte verteuert die öffentlichen Aufträge. Probleme müssen auf dem Feld gelöst werden, auf dem sie entstehen, und mit Mitteln, die ihnen adäquat sind. Die öffentlichen Auftraggeber sind damit, glaube ich, überfordert.
({0})
Gefährlich würde es für die öffentlichen Investitionen, wenn wir nichts täten, wenn wir den Rechtsschutz der ungeordneten Entwicklung überließen.
Dann könnte schon sehr bald der Zustand eingetreten sein, daß praktisch jede Auftragsvergabe von irgendeinem Gericht gestoppt und einer längeren Überprüfung unterworfen wird. Erste Urteile, die die Richtung deutlich machen, in die die Reise dann ginge, liegen bereits vor.
Umgekehrt: Wenn Sie heute dem Gesetz zustimmen, werden wir wieder in der Lage sein, in der Gemeinschaft bei der Revision des europäischen Vergaberechts angemessen mitzureden, und auch bei unseren Partnern in den Vereinigten Staaten werden wir ein Stück Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.
Vielen Dank.
({1})
Ich gebe dem Abgeordneten Wolfgang Weiermann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will an dieser Stelle in meinen wenigen Minuten Redezeit ganz deutlich machen, daß wir als sozialdemokratische Bundestagsfraktion dem Parlament die gesetzliche Öffnungsklausel für die Einbeziehung sozialpolitischer Kriterien abverlangen, weil wir sagen: Sie ist zwingend notwendig, und die Beispiele, die in Berlin und Umgebung im Baugewerbe existieren, bringen uns dazu, dies knallhart auch an dieser Stelle zu fordern.
({0})
Sehr geehrter Graf Lambsdorff, Sie mögen recht haben,
({1})
daß vor 20 Jahren auf dem Tarifsektor noch auf der Basis von Treu und Glauben Geschäfte getätigt werden konnten. Die Zeiten haben sich leider geändert, und die Politik hat heute aufzupassen, daß arbeitende Menschen nicht unter den Schlitten dieses neuen Stils gelangen.
({2})
Die öffentliche Hand kann und darf bei der Vergabe von Steuermitteln die Bekämpfung von Schwarzarbeit, illegaler Beschäftigung und illegaler Beauftragung von Subunternehmen etwa im Baubereich nicht außer acht lassen.
Ich kann Sie nur herzlich auffordern, es nicht mit einem Flickenteppich zu vergleichen, wenn von einer großen Fraktion des Deutschen Bundestages und auch vom Bündnis 90/Die Grünen solche Anforderungen an den Gesetzgeber gestellt werden.
({3})
Das ist mehr als ein Flickenteppich, denn es ist die Aufgabe eines Parlamentariers, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Gerade im Großraum Berlin, aber nicht nur in den neuen Ländern, sind gesetzesfreie Räume vorhanden. Auf den Baustellen in Berlin geht es teilweise in Wildwestmanier zu. In manchen Bereichen sind dies mafiaähnliche Methoden. Das muß an dieser Stelle deutlich gesagt werden.
({4})
Deshalb unterstützen wir die Stellungnahme des Bundesrates zu diesem Gesetzentwurf.
Warum wehren Sie sich eigentlich gegen die sogenannte Tariftreue, die eben mehrfach angesprochen worden ist? Das sind Abstimmungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern auf gesetzlicher Basis. Oder wollen Sie indirekt die Tarifautonomie tangieren? Dann hätten wir generell Wildwestzustände, die hier immer beklagt werden.
Die Bundesregierung schreibt in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion, die Möglichkeiten, bei einer Auftragsvergabe gesellschaftspolitisch wünschenswerte Ziele zu berücksichtigen, seien durch europäisches Recht eng begrenzt. Sie sind nicht auf dem laufenden, meine Damen und Herren. Der Europäische Gerichtshof hat in letzter Zeit zunehmend die Einbeziehung sozialpolitischer Kriterien bei der Vergabe öffentlicher Gelder berücksichtigt und gerechtfertigt. Das ist die Wahrheit.
({5})
Wie, meine Damen und Herren von der Koalition, wollen Sie sicherstellen, daß nach Auslaufen der tarifvertraglichen Regelungen zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz Lohndumping auf den Baustellen in Deutschland nicht zur Regel wird? Eine solche Entwicklung lassen alle bisher durchgeführten Kontrollen befürchten. Wollen Sie diese? - so frage ich an dieser Stelle.
({6})
- Herr Möllemann, was Sie wollen, ist ohnehin nicht feststellbar. Das hat sich ja inzwischen erwiesen.
({7})
Verstöße gegen die Tarifvertragstreue, gegen das Gebot der Ausbildung junger Menschen, gegen die Chancengleichheit und die Gleichberechtigung von Frauen haben auch marktwirtschaftliche Konsequenzen von erheblicher Bedeutung. Sie mindern - das darf ich abschließend mit Nachdruck sagen - die Konkurrenzfähigkeit der ehrlichen Bewerber, und sie verzerren die Wettbewerbsverhältnisse.
({8})
Hier, meine Damen und Herren, wird es ausgesprochen paradox: Ausgerechnet die Neufassung des
Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen führt zu groben Diskriminierungen in unserem Lande. Der Ehrliche ist der Dumme, wie es so schön heißt.
Ich appelliere daher an Sie: Stimmen Sie dem Anderungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion zu.
({9})
Ich hoffe auf Ihr spätes, aber doch noch wichtiges Einlenken.
({10})
Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge, Drucksachen 13/9340 und 13/10328, Buchstabe a.
Dazu liegen Änderungsanträge der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer dem Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 13/10441 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Nun rufe ich den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10461 auf. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der übrigen Mitglieder des Hauses angenommen worden ist.
Wir treten nun in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist.
Ich rufe nun die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Rechtsgrundlage für die Vergabe öffentlicher Aufträge und zur Koppelung der Auftragsvergabe an Frauenfördermaßnahmen, Drucksache 13/10328 Buchstabe b, auf. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/9813 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der übrigen Mitglieder des Hauses angenommen worden ist.
Ich rufe nun Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zum Abrechnungsverhalten von Vertragszahnärzten
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Klaus Kirschner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenige Monate nach den fälschlicherweise als Gesundheitsreform gepriesenen Neuordnungen im Gesundheitswesen wird deutlich, daß die Gesundheitspolitik der Koalition für die Patienten, die Zahnersatz benötigen, in vielen Fällen mehr Geld kostet.
Herr Seehofer, Sie haben höheres Kostenbewußtsein, mehr Transparenz und ein besseres Arzt-Patienten-Verhältnis versprochen. Gesät haben Sie Verunsicherung und unverschämt hohe Kosten für die Patienten.
({0})
Gleichzeitig bringen Sie mit Ihrer verfehlten Gesundheitspolitik, die in der Zahnmedizin von den Berufsfunktionären der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und des Freien Verbandes diktiert wird, auch den Teil des Berufsstandes öffentlich in Mißkredit, für den der Patient im Mittelpunkt steht, bei dem die Ethik und nicht die Monetik vorherrscht.
Herr Seehofer, Sie haben am 13. Juni 1995 zum sogenannten Vertrags- und Wahlleistungskonzept der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung schriftlich attestiert - ich zitiere -:
Zusammenfassend ist das Modell aus meiner Sicht zahnmedizinisch widersinnig aufgebaut, verschlechtert die Mundgesundheit jener Versicherten, die - aus welchem Grund auch immer - sich nicht für Wahlleistungen entscheiden, führt möglicherweise selbst bei Vertragsleistungen zu höheren Kosten als bisher schon und läßt die Kosten von Wahlleistungen für die Versicherten unkontrollierbar hoch werden.
Das sagte der Bundesgesundheitsminister am 13. Juni 1995.
({1})
Ihre Vision ist Wirklichkeit geworden, weil Sie genau das getan haben, was Sie 1995 als völlig falsch entlarvt haben. Was wir zur Zeit erleben, ist die Bankrotterklärung der Gesundheitspolitik der Koalition.
({2})
Oder wie ist die Ankündigung von Minister Seehofer zu verstehen, wegen überhöhter Honorare die Kostenerstattung bei Zahnersatz wieder zu streichen? Ich frage Sie, Herr Minister: Warum haben Sie überhaupt erst die Möglichkeit hierzu geschaffen?
Herr Minister, ich frage Sie weiter: Warum haben Sie überhaupt erst zugelassen, daß die Zahnärztefunktionäre Ihre ohnehin schon inakzeptablen. Neuordnungsgesetze so auslegen, daß die Patienten noch stärker zur Kasse gebeten werden?
Es ist doch geradezu grotesk, wenn Sie als oberste Aufsichtsbehörde der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung Ihre Rechtsauffassung mündlich und schriftlich erläutern und die KZBV Ihnen lapidar mitteilt, man sei bereit, allen Zahnärzten diese Rechtsauffassung weiterzugeben. Meine Damen und Herren, ich komme mir vor wie in einer Bananenrepublik! Anders kann man dies nicht bezeichnen;
({3})
denn gleichzeitig beschließt die KZBV, Ihre abweichende Rechtsauffassung gleichgewichtig darzustellen.
Wenn Sie als Minister Ihre aufsichtsrechtlichen Möglichkeiten hier nicht nutzen, muß das in der Öffentlichkeit so gewertet werden, daß Sie die Rechtsauffassung einiger Zahnärztefunktionäre für tragbar halten.
Am 9. März dieses Jahres haben Sie in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung" erklärt - ich zitiere -: Wir werden handeln. - Bis heute haben Sie nicht gehandelt. Im Gegenteil, Sie bestärken die Zahnärztefunktionäre, immer weitere Kapriolen zu schlagen. Man muß einmal lesen, was die KZBV mit Datum 26. März 1998 an den Staatssekretär schreibt. Unter anderem ist dort zu lesen: Der Vorstand der KZBV hat
beschlossen, Ihr Schreiben und damit die darin nochmals verdeutlichte Rechtsauffassung des Bundesministeriums für Gesundheit allen Zahnärzten im Bundesgebiet in gleicher Weise wie das Schreiben der KZBV vom 29. 01.1998 zu übersenden. ...
Der Vorstand der KZBV hat ferner beschlossen, bei zukünftigen Darstellungen der Rechtsauffassungen der KZBV die ggf. abweichende Rechtsauffassung des BMG gleichgewichtig darzustellen.
Wir gehen davon aus, daß damit den Inhalten des Beratungsgespräches vom 20. 03.1998
- im Bundesgesundheitsministerium seitens der KZBV umfassend Rechnung getragen worden ist.
Wenn man dies liest, kommt man sich vor wie in einem Stück aus dem Tollhaus - oder anders ausgedrückt: Herr Bundesgesundheitsminister, Sie dürfen
den Kakao auch noch selbst austrinken, durch den Sie vorher von der KZBV gezogen worden sind.
({4})
Meine Damen und Herren, unterstützt und angefeuert werden die Zahnarztfunktionäre - das ist das Schöne - dabei von Ihrem Koalitionspartner F.D.P. Das, Herr Minister Seehofer, erklärt auch, warum Sie nur Nebelkerzen zünden. Herr Thomae hat ja gestern in der Zeitung „Die Welt" deutlich gemacht:
„Wenn der Minister unterschiedliche Rechtsauffassungen zum Anlaß nimmt, den Zahnärzten Falschabrechnungen zu unterstellen, handelt er fahrlässig" ... Seehofers Überlegungen, das Gesetz zu ändern, seien ohne Verbündete nicht durchsetzbar, „und die gibt es nicht, jedenfalls nicht bei der FDP" .
({5})
Das ist wirklich ein Stück aus dem Tollhaus, was wir hier vorgeführt bekommen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Meine Damen und Herren, ich denke, es ist notwendig, daß diese Politik endlich geändert wird. Ich sage Ihnen: Die SPD wird, wenn sie die Regierungsverantwortung bekommt, zu dem System der Sachleistungen zurückkehren. Nichts anderes ist mit Blick auf die Zahnmedizin richtig.
({0})
Ich rufe den Abgeordneten Wolfgang Lohmann auf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin heute zwar stimmlich gehandicapt, aber andererseits ausgesprochen qualifiziert, zu dem heutigen Thema zu sprechen, weil mir am Montag dieser Woche ein Backenzahn gezogen worden ist, wie Sie wissen, Herr Kirschner.
({0})
Deshalb bitte ich auch, mich nicht zu sehr zu reizen, denn es tut nach wie vor weh, und ich könnte möglicherweise so reagieren, wie es Ihnen nicht gefallen würde.
Auslöser dieser Aktuellen Stunde sind ja die Aussagen eines Kassenfunktionärs, daß von 50 000 überprüften Heil- und Kostenplänen jeder zweite zu teure Berechnungen enthalte. Wer behauptet, die Hälfte aller Abrechnungen sei überhöht, der erweckt zumindest fahrlässig - Sie haben das ja auch voll aufgenommen - den Eindruck, daß die Zahnärzte abzokWolfgang Lohmann ({1})
ken, wie es heißt, oder betrügen; denn wer zu hoch abrechnet, ist ja letztlich jemand, der betrügt.
Solange aber diese angeblichen Falschberechnungen nicht belegbar von den dafür zuständigen Instanzen - dazu zählen beispielsweise auch die Aufsichten - nachgeprüft und bewiesen sind, verwahre ich mich zunächst einmal gegen diese Pauschalverunglimpfung eines Berufsstandes.
({2})
Vorverurteilungen und Pauschalverunglimpfungen lehne ich selbstverständlich - ich habe geglaubt, das täten wir alle - für jeden Berufsstand ab. Wir zählen ja gelegentlich auch zu denen, die mit einbezogen werden, wenn es heißt: die Politiker. Auch dagegen wehren wir uns. Es gibt eben, wie die Westfalen sagen, so'ne und so'ne in allen Berufen. Wer generell über die Gruppe der Zahnärzte solche Negativbotschaften verbreitet, hat eigentlich die Verpflichtung - das ist für mich wichtig -, den Betroffenen die Gelegenheit zu geben, die Vorwürfe zu überprüfen.
Die zuständige KZV hat sich an den besagten Kassenfunktionär gewandt. Statt Einsicht in die vorhandenen Heil- und Kostenpläne zu gewähren, hat man von den angeblich 25 000 - das wäre die Hälfte von 50 000 - rechtswidrigen Heil- und Kostenplänen sage und schreibe drei der anfragenden KZV zur Verfügung gestellt.
({3})
Daraus könnten gewisse Rückschlüsse gezogen werden. Ich kann nur sagen: Bei einer solchen Selektion braucht man sich nicht wundern, daß diese drei vorgelegten Heil- und Kostenpläne statt des 1,7fachen den 2,3fachen GOZ-Satz enthielten und nach dieser Interpretation damit in der Tat nicht der Anwendung der Vorschriften, wie man sie sich vorgestellt hatte, entsprachen.
({4})
Nun stellt sich die Frage, ob dieses wirklich eine zu teure und damit rechtswidrige Abrechnung ist. Dafür ist eine Beurteilung der Rechtslage erforderlich, ausgehend von der Frage: Was wollte der Gesetzgeber eigentlich? Da wir ja hier nicht die Zeit für eine umfassende Darstellung haben, äußere ich mich stichwortartig:
Erstens. Wir wollten die Umstellung von einem ungerechten prozentualen Zuschuß auf einen Festzuschuß.
Zweitens. Wir wollten mit der Einführung von Festzuschüssen in Verbindung mit der direkten Kostenerstattung kostensteuernde Strukturen schaffen.
Drittens. Wir wollten die Eigenverantwortung der Versicherten erhöhen, und zwar so, daß die Versicherten zusätzliche Mittel dann bereitstellen müssen, wenn sie oberhalb des medizinisch Notwendigen und Ausreichenden Zahnersatz verlangen.
Diese Stärkung der Eigenverantwortung, diese Belebung des Wettbewerbs kann nur erfolgen, wenn
Vergleichsangebote möglich sind. Deshalb haben wir auf die Kostenfreiheit von Heil- und Kostenplänen sehr großen Wert gelegt. Für mich - für uns alle, wie ich annehme - gibt es überhaupt kein Problem, damit zu sagen: Heil- und Kostenpläne sind kostenfrei zu erstatten. Daran gibt es für mich nichts zu rütteln.
({5})
Ein weiterer Streitpunkt liegt in der Möglichkeit, unterschiedliche Verblendungen zu wählen. Beim Zusammentreffen von vertragszahnärztlichen und außervertragszahnärztlichen Leistungen taucht die Problematik auf, inwieweit man die gesamte Behandlung außerhalb der Honorarbindung stellen kann oder ob man - umgekehrt - die gesamte Versorgung innerhalb der Honorarbindung lassen muß. Die Zahnärzteschaft ist in den letzten Wochen und Monaten mit zwei Rechtsauffassungen konfrontiert worden. So hat sich die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, wie dies schon gesagt wurde, mit ihrer Auffassung an ihre Zahnärzte gewandt. Daneben hat das Ministerium seine Rechtsauffassung verbreitet. Die Krankenkassen als Auslöser dieser streitigen Situation - jedenfalls nach meiner Auffassung - unterstützen weitgehend das Ministerium, wobei sie allerdings interessanterweise nicht sicherstellen können, daß sich alle Kassen vor Ort so verhalten, wie sie es immer fordern.
Ich sehe, wie schnell meine Redezeit abläuft. Es ist nicht zu glauben. Ich kann Ihnen deswegen noch weniger sagen, als ich eigentlich tun müßte. - Wir müssen auch fragen, wie die Situation in anderen Bundesländern aussieht. Ich zitiere Ihnen aus einer Aufsichtsanordnung des Sozialministeriums von Mecklenburg-Vorpommern unter dem dritten Punkt „Erwägungen" in einem Brief vom 26. März 1998 an die dortige KZV:
Die Allgemeine Ortskrankenkasse Mecklenburg-Vorpommern, die den größten Anteil der Versicherten des Landes betreut, hat ermittelt, daß in etwa 10 Prozent der Fälle die Abrechnungen nicht dem Rechtsstandpunkt des Bundesministeriums entsprechen. Die Umstände, daß es sich hierbei um eine verhältnismäßig geringe Fallzahl handelt und außerdem weitere Kontrollmechanismen über die Krankenkassen greifen, veranlaßt die Aufsichtsbehörde, die Aufsichtsanordnung nicht mit einem Sofortvollzug zu versehen.
So wird also ganz unterschiedlich vorgegangen. Erst wird von 50 und mehr Prozent gesprochen; dann hört man 10 Prozent. Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Stuttgart stellt bei der Auswertung von 750 Heil- und Kostenplänen fest, daß 58 Prozent der Zahnärzte nach der Rechtsauffassung des BMG abrechnen, 32 Prozent der Interpretation der KZBV folgen und 9,6 Prozent der Heil- und Kostenpläne fehlerhafte Steigerungsfaktoren enthalten.
Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich möchte Sie - dies ist mein letzter Punkt - nicht im unklaren darüber lassen, was beispielsweise in einem internen Kassen-Papier vom 3. November 1997 gestanden hat. Es wird dort festgestellt, daß durchaus die Möglichkeit besteht, in Anlehnung an § 2 GOZ Mehrkosten im Heil- und Kostenplan nach der Neuregelung geltend zu machen, wenn diese entstehen und über die Höhe der Vergütung ausdrücklich eine abweichende Verinbarung getroffen worden ist.
Ich danke Ihnen.
({0})
Ich gebe der Abgeordneten Monika Knoche das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Ich glaube, eines hat die aktuelle Kabbelei um das Abrechnungsgebaren der Zahnärzte gezeigt: Kostenerstattungen und Festzuschußregelungen für gesetzlich Versicherte sind ein Irrweg und müssen zurückgenommen werden.
({0})
Wir sehen gerade an diesen Streitigkeiten, wo wir hinkommen, wenn zahnmedizinische Leistungen aus dem Schutz der gesetzlichen Krankenkassen herausgenommen und in privatrechtliche Leistungsverhältnisse überführt werden. Es wäre verkehrt, Ihnen, Herr Minister Seehofer, an dieser Stelle die Rolle des Schutzpatrons der Patientinnen und Patienten zuzuweisen.
({1})
Was ist das Problem? Schauen wir uns doch einmal das NOG an: Mit Ablauf des Jahres 1999 wollen Sie jegliche Begrenzung fallenlassen. Dann gehen doch überhaupt erst diese unsäglichen Verhandlungen in den Arztpraxen los. Dann haben doch Begrenzungen gar keine relevante Zuordnung mehr. Das ist doch das, was eigentlich passiert ist. Insofern erleben wir jetzt nur ein Vorgeplänkel zu dem, was passiert, wenn das NOG in vollem Umfang umgesetzt wird. Diese Tatsache muß man doch auch einmal benennen.
({2})
Noch etwas: Ich habe innerhalb der Zahnärzteschaft in Deutschland gerade im Rahmen der Ausgrenzung des Sachleistungsprinzips an vielen Stellen in sehr erfreulicher Weise erlebt, daß die Zahnärzte mit der Differenzierung zahnmedizinischer Leistungen in gesetzliche und private Leistungen überhaupt nicht einverstanden sind und daß sie diese Warenangebotsmentalität, die dann in ihr ärztliches Tun hineintransportiert wird, mit ihrem grundlegenden sozialen und ethischen Verständnis von Zahnmedizin gar nicht vereinbaren können. Es ist nicht im Interesse der gesamten deutschen Zahnärzteschaft, daß die Regierung dem Lobbyismus aus der F.D.P. nachgegeben hat.
({3})
Wenn man sich die Ergebnisse, die es in der Zahnprophylaxe gibt, genau anschaut und dann sieht, daß Sie hier de facto ein Selbstverschuldungsprinzip eingeführt haben - anders kann man das, was über Zuzahlungen zu leisten ist, gar nicht interpretieren -, dann muß man sagen: Die Hemmschwelle zu einer wirksamen Individualprophylaxe in der zahnärztlichen Praxis ist sehr hoch. Da, wo in der Prophylaxe die wirklichen Probleme sind, nämlich in der Breitenprophylaxe, gibt es in der Bundesrepublik Deutschland in der Tat noch beachtlichen Nachholbedarf, weil Sie nämlich die Menschen, die die größten Risiken haben, tatsächlich einmal Zahnersatz zu brauchen, mit der Individualprophylaxe überhaupt nicht erreichen.
({4})
Völlig klar, es gibt sozialbezogene Zusammenhänge mit der Zahngesundheit. Da Sie auch noch - was im Gesetz festgeschrieben worden ist - junge Menschen, die nach 1978 geboren worden sind, von der Zahnersatzleistung ausgeschlossen haben, bedeutet das in der Tat nichts anderes als das, was ich an anderer Stelle schon einmal gesagt habe: Zeige mir deine Zähne, und ich sage dir, wie arm du bist. Das ist die Quintessenz, darauf läuft es hinaus.
({5})
- Die Schweiz hat eine völlig andere Konzeption in der Prävention und in der Prophylaxe. Hier wird das in das ärztliche Honorierungssystem übernommen. Da, wo die großen Defizite sind, werden die Zahnärzte ja gar nicht tätig. Dieses Problem ist bekannt.
Es führt kein Weg daran vorbei, die zahnmedizinische Versorgung wieder vollständig in den Regelleistungskatalog zurückzuführen, sie als Sachleistungsprinzip anzuerkennen - was sie eigentlich auch immer ist -, nicht die Zahnheilkunde zu diskreditieren
({6})
und handwerkliche und unternehmerische Elemente in das ärztliche Tun hineinzubringen.
Danke.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Möllemann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst wünsche ich Ihnen, lieber Herr Kollege Lohmann, gute Besserung. Bei Ihrem Beitrag ist mir deutlich geworden, wie wichtig eine Zweitstimme immer mal wieder ist. Bei dem Beitrag der Kollegin Knoche, die vor mir sprach, ist mir deutlich geworden, daß es keinen Zweck hat, wenn eine Grundsatzentscheidung hier im Parlament getroffen worden ist, unter der Überschrift eines ganz anderen Themas
({0})
so zu tun, als stünde diese Grundsatzentscheidung im Moment zur Disposition.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie jetzt bei jedem Thema sagen, daß Sie alles, was in den letzten 20 Jahren gelaufen ist, zurückdrehen werden, wenn Sie drankommen,
({1})
löst das doch allmählich ein gewisses Maß an Langeweile aus.
({2})
Wir werden sehen, was geschieht, zumal Ihr Kanzlerkandidat - das war immerhin ein Zeichen von Klugheit - gesagt hat: ob er alles zurücknehmen werde, was Sie gerne zurückgenommen sähen, werde er davon abhängig machen, ob es nicht vielleicht doch wirke. Wenn es gut wirke, könne es auch bleiben. - Das fand ich gar nicht so schlecht. Wahrscheinlich wird er uns für das dankbar sein, was wir an Strukturreformen gemacht haben, auch wenn er es nur aus der Rolle des Zuschauers bewerten können wird.
In der Sache gibt es hier nur drei Feststellungen:
Erstens. Die Debatte wird hier auf der Grundlage von Vermutungen, Behauptungen und Unterstellungen geführt. Dieses Parlament sollte sich dafür zu schade sein.
({3})
Deswegen möchte ich gerne, daß das Maß an Unklarheit, das hier in der Bewertung von Behauptungen .besteht, durch klare Berichte der dafür Zuständigen überwunden wird. Vorher möchte ich mich im Detail nicht äußern.
Zweitens. Es gibt keinerlei Zweifel daran, daß die Mehrheit dieses Hauses in diesem Bereich und darüber hinaus den schrittweisen Wandel - weg vom Sachleistungsprinzip hin zum Kostenerstattungsprinzip - wollte und will. Sie wollten den nie, Sie sind dagegen und nehmen jetzt alles und jedes zum Anlaß, dagegen zu polemisieren.
({4})
Drittens. Die Folge, die wir sonst hätten - das wissen auch Sie, Herr Kollege Catenhusen -, wäre die Unmöglichkeit, die Lohnnebenkosten in den Griff zu bekommen. Sie wissen doch ganz genau, daß wir den Weg nicht weitergehen können, ständig explodierende Beitragssätze in allen sozialen Sicherungssystemen zu haben und gleichzeitig die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Sie wissen, daß wir diese Debatte hier schon geführt haben.
({5})
Das Verhältnis zwischen Solidarität und Subsidiarität neu zu ordnen, Eigenbeteiligung als Ausdruck der Eigenverantwortung zu praktizieren, das haben wir gewollt; dabei bleiben wir.
({6})
Sie werden dagegen immer wieder polemisieren; aber das muß man aushalten, außer in den Fällen, in denen Sie es mitgetragen haben.
Ich möchte gern sagen, daß in dem Streit um eine bestimmte Rechtsauffassung aus meiner Sicht der Vorsitzende der KZBV recht hat. In dieser Frage gibt es auch zwischen den Koalitionspartnern unterschiedliche Meinungen. Entweder finden wir - dafür plädiere ich - einen Kompromiß zwischen den Koalitionsfraktionen und den Betroffenen, wie wir ihn angedacht hatten, oder es wird einen entsprechenden Disput geben, der dann rechtlich zu klären wäre.
Eines möchte ich zum Schluß noch sagen: Ich habe die herzliche Bitte - ich erinnere daran, daß ich der Bundesregierung zehn Jahre angehört habe; auch ich habe gelegentlich geglaubt, Gesetze selbst ändern zu können -, zu berücksichtigen, daß ein Bundesminister nur Vorschläge machen kann. Wenn er für diese Vorschläge in der Koalition eine Mehrheit findet, dann ist es gut. Wenn er weiß, daß er in der Koalition keine Mehrheit bekommt, dann sollte er sie gar nicht erst machen. Was diesen Fall angeht, Herr Seehofer, sage ich Ihnen: Sie bekommen die Mehrheit nicht. Lassen Sie es deswegen bleiben!
({7})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ruth Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Möllemann, wenn es hier wirklich nur um Verdächtigungen und Vermutungen ginge, dann, glaube ich, hätte sich Herr Minister Seehofer nicht bereit erklärt, sich öffentlich dazu zu äußern und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.
Fakt ist, daß entgegen der ministeriellen Rechtsauffassung viele Zahnärzte ihren Patienten Heil- und Kostenpläne für zahnprothetische Leistungen in Rechnung stellen.
({0})
- Herr Lohmann, Sie haben recht: Es sind Gott sei Dank nicht alle. - Wie festgestellt werden muß, halten sich keineswegs alle Zahnärzte daran, daß bei gewünschten Keramikverblendungen die Kronen und Brücken als vertragszahnärztliche Leistungen nur mit einem limitierten Gebührensatz in Rechnung
gestellt werden dürfen. Auf Rundschreiben des Ministers, mit deren Hilfe er die gesetzliche Ordnung nun wieder herstellen will, antwortet die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung mit genauen Empfehlungen an ihre Mitglieder, wie man sich darüber hinwegsetzen und die Patienten entsprechend zur Kasse bitten kann. Letztendlich berufen sich die Zahnärzte darauf, daß nach dem generellen Übergang zur Kostenerstattung bei Zahnersatz eine Rechtsbeziehung nicht mehr zwischen Zahnarzt und Krankenkasse, sondern nur noch zwischen Zahnarzt und Patient besteht. Damit gleicht der Gesundheitsminister dem berühmten Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nicht mehr beherrschen kann.
Auf ministerielle Drohungen, die Neuregelung aus dem Gesetz wieder zu streichen, erklären die Repräsentanten der Zahnärzte - also nicht alle Zahnärzte -, daß man keineswegs klein beigeben werde. Man staunt dann schon, daß sich die Oberen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung immerhin verpflichtet haben - oder man könnte auch sagen: sich dazu herablassen -, die Zahnärzte nicht nur über ihre eigene, sondern auch über die Rechtsauffassung des Ministers in Kenntnis zu setzen.
({1})
Kollege Kirschner hat völlig recht mit seiner Aussage: Dies alles erinnert durchaus an Rechtsstreitigkeiten von sogenannten Bananenrepubliken.
({2})
Mit anderen Worten: Die Situation hat sich - zumal im Wahljahr - zu einer weiteren Peinlichkeit für die Regierung ausgewachsen.
({3})
Nun wird vom Minister erwartet, daß er der offiziellen Rechtsauslegung Nachdruck verleiht und möglichst schnell wieder Ordnung schafft. Das ist aber nur die eine Seite der Angelegenheit.
Wirft man die Frage auf, warum es zu dieser grotesken und aus meiner Sicht beschämenden Situation gekommen ist, dann zeigen sich die ernsteren Dimensionen des Problems. Vertreter der Zahnärzte haben bekanntlich seit langer Zeit und immer wieder den Übergang zu Kostenerstattungsverfahren mit Anwendung der privaten zahnärztlichen Gebührenordnung gefordert.
({4})
Da dies mit den Grundsätzen und der Funktionsfähigkeit einer solidarischen Krankenversicherung beim besten Willen nicht zu vereinbaren ist, hat der Gesetzgeber bis vor kurzem diesem Ansinnen nicht nachgegeben. Wie man spätestens jetzt sieht, war er damit immer auch gut beraten.
({5})
Die Stunde der zahnärztlichen Standesorganisationen konnte deshalb erst kommen, als durch diese Koalition die schrittweise Zerstörung des Solidargedankens in der gesetzlichen Krankenversicherung zum offiziellen Regierungsprogramm erhoben wurde.
({6})
Das Beitragsentlastungsgesetz von 1996 und das 2. GKV-Neuordnungsgesetz markieren speziell auch für die zahnärztliche Versorgung diesen bewußt eingeleiteten Richtungswechsel.
({7})
Wahr ist und bleibt aber: Kostenerstattung, Selbstbeteiligung, Beitragsrückgewähr und weitere Elemente privater Versicherung sind in der GKV völlig fehl am Platz und haben dort nichts, aber auch gar nichts zu suchen. In diesem Zusammenhang unterstütze ich die Äußerungen von Monika Knoche und ihrer Fraktion. In dem Fall stimmen wir auch einmal mit der SPD überein.
({8})
- Das ist nicht neu. Ich hoffe, daß ich ihr damit nicht in Ihrem Sinne geschadet habe.
Sie höhlen das Solidarprinzip nach meiner Meinung systematisch aus, erzeugen wachsende soziale Ungerechtigkeit und steuern geradewegs auf eine Medizin nach Maßgabe des Geldbeutels zu, wir werden das ja erleben. Nicht nur die mehr oder weniger undurchdachten und oft mit heißer Nadel gestrickten Einzelregelungen der 3. Stufe der Gesundheitsreform sind also das eigentliche Problem, sondern Geist und Grundrichtung dieser sogenannten Reformgesetze insgesamt.
({9})
- Herr Lohmann, sich als Privatpatient mit Menschen zu vergleichen, die in einer gesetzlichen Krankenversicherung sind - ({10})
- Nein, Sie haben nur gesagt, Sie könnten darüber kompetent reden.
({11})
- Ja, das ist klar; das ist etwas, was Privatpatienten und GKV-Patienten gemeinsam haben können. Das ist wahr: Gegen Schmerzen hilft auch keine Kostenermäßigung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Das Wort hat jetzt der Herr Minister Seehofer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte drei Bemerkungen machen.
Die erste: Wir haben in den letzten neun Jahren drei große Gesundheitsreformen erlebt.
({0})
Bei allen drei Gesundheitsreformen gab es anschließend beim Vollzug die hauptsächlichen rechtlichen Auseinandersetzungen im Bereich der Zahnheilkunde. Das war so 1989/90, 1992/93 so, und das ist jetzt, 1997/98, wieder so. Es ist schon erstaunlich, daß bei jeder dieser Reformen ausgerechnet im gleichen fachlichen Bereich, nämlich der Zahnheilkunde, über die Auslegung der vom Parlament beschlossenen Gesetze die heftigsten Auseinandersetzungen stattfinden.
Zweitens. Auch bei dieser Gesundheitsreform gibt es wiederum im Bereich der Zahnheilkunde Auslegungsprobleme. Das bezieht sich auf die Honorarbindung bei keramisch verblendeten Kronen und Brükken und auf die Frage der kostenfreien Erstellung eines Heil- und Kostenplanes. Ich bin überrascht, daß es diese Auslegungsprobleme gibt. Denn klarer als für diese Felder kann man gesetzliche Bestimmungen kaum noch formulieren. Oder bietet die deutsche Sprache eine bessere Möglichkeit, als in ein Gesetz zu schreiben, daß der Heil- und Kostenplan kostenfrei zu erstellen ist, und in die Begründung eines Gesetzes zu schreiben, daß der Heil- und Kostenplan auch dann kostenfrei zu erstellen ist, wenn die Behandlung nicht durch den Zahnarzt, der den Heil- und Kostenplan erstellt hat, erfolgt?
Gleichwohl hat - das war der Grund meines Vorgehens - die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung am 29. Januar 1998 eine Patienteninformation verschickt, die diese Rechtslage nicht korrekt wiedergibt. Deshalb haben wir am 20. März 1998 nach verschiedenen informellen Gesprächen zwischen Ministerium, Koalition und Zahnärzten ein aufsichtsrechtliches Beratungsgespräch durchgeführt. Dieses aufsichtsrechtliche Beratungsgespräch bezog sich nicht auf irgendwelche Meldungen von Kassen, sondern auf diese Patienteninformation vom Januar 1998, die die Rechtsgrundlage nicht korrekt wiedergegeben hat.
Der Grund: Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung steht unter meiner Rechtsaufsicht. Es entspricht meiner Verpflichtung, wenn eine Körperschaft des öffentlichen Rechts eine aus meiner Sicht falsche, nicht korrekte Patienteninformation versendet, darauf hinzuwirken, daß diese nicht korrekte Information unterbleibt und korrigiert wird. Es entspricht auch einer Grundregel der aufsichtsrechtlichen Tätigkeit, daß man nicht sofort mit Aufsichtsanordnungen arbeitet, sondern zunächst miteinander spricht; das nennen die Fachleute aufsichtsrechtliches Beratungsgespräch.
Bei dem Gespräch am 20. März wurde folgendes Vorgehen vereinbart - nicht das Vorgehen, das heute schon wieder fälschlicherweise in der Öffentlichkeit behauptet wird -, das wir der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung am 24. März bestätigt haben:
Erstens. Das Bundesministerium für Gesundheit erläutert nochmals die rechtlich strittigen Punkte und legt seine Auffassung dar.
Zweitens. Die Vorsitzenden des Vorstandes der KZBV sind - vorbehaltlich der kurzfristig einzuholenden Zustimmung des Vorstandes - bereit, diese Rechtsauffassung des Bundesministeriums einschließlich ihrer Begründung den Vertragszahnärzten in gleicher Weise wie in dem Schreiben der KZBV vom 29. Januar 1998 unverzüglich mitzuteilen.
Drittens. Die KZBV - so war die Vereinbarung - wird auch bei der zukünftigen Information Dritter diese Rechtsauffassung des Bundesministeriums für Gesundheit einschließlich ihrer Begründung umfassend darlegen.
Meine Damen und Herren, das war das Ergebnis des aufsichtsrechtlichen Beratungsgespräches. Nun liegt es in der Natur der Sache, daß man einige Wochen beobachtet, ob sich die Zahnärzte in der Bundesrepublik Deutschland in ihrer Mehrheit an diese Rechtsauffassung, die ihnen nach diesem Beratungsgespräch noch einmal mitgeteilt worden ist, halten oder nicht. Dann hat eine Bewertung stattzufinden.
Dritte und letzte Bemerkung: Es wird gelegentlich angeführt, man müsse aus wirtschaftlichen Gründen eine höhere Gebühr abrechnen, als im Gesetz erlaubt, weil anders die zahnärztliche Leistung nicht wirtschaftlich und kostendeckend zu erbringen sei. Deshalb möchte ich einmal darauf hinweisen, daß zwischen 1993 und 1997, also in fünf Jahren, die Ausgaben für die zahnärztliche Behandlung und den Zahnersatz in der Bundesrepublik Deutschland je Mitglied um über 22 Prozent gestiegen sind. Die Ausgaben für Zahnersatz sind in diesen fünf Jahren je Mitglied um sage und schreibe 36,8 Prozent gestiegen. In der gleichen Zeit -1993 bis 1997 - sind die Löhne in der Bundesrepublik Deutschland um 6,6 Prozent gestiegen. Deshalb komme ich zu dem Ergebnis, daß das Argument, man könne aus wirtschaftlichen Gründen nur so abrechnen, wie es da und dort offensichtlich geschieht, wohl nicht zutreffen kann.
Ich werde als für die Aufsicht über die KZBV verantwortlicher Minister in den nächsten Wochen - das wird mein Haus machen - das tatsächliche Abrechnungsverhalten sorgfältig, fundiert und seriös erheben. Am Schluß dieser Erhebung stehen die Bewertung und möglicherweise neue Entscheidungen.
Ich wünsche mir - das ist mein Appell an die Mehrheit der Zahnärzte -, daß sie sich an das Recht halten, so wie es das Bundesministerium für Gesundheit sieht. Aber ich möchte hier auch sehr deutlich sagen: Wenn das die Mehrheit der Zahnärzte nicht tun sollte, bin ich verpflichtet, im Interesse des Patientenschutzes zu reagieren. Ich wünsche mir das nicht, aber, meine Damen und Herren, es würde meiner
Verantwortung entsprechen, daß ich dann handeln müßte.
Ich stehe sehr zu der Grundentscheidung der letzten Gesundheitsreform, Eigenverantwortung und Deregulierung in den Sozialversicherungssystemen endlich durchzusetzen, weil ich glaube, daß dies die erste Voraussetzung dafür ist, daß wir die hohe Leistungsfähigkeit unserer Gesundheitssysteme erhalten können. Aber, meine Damen und Herren, bei aller Eigenverantwortung und Deregulierung müssen wir auch den Patientenschutz ausreichend beachten, und darauf lege ich Wert.
({1})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Regina Schmidt-Zadel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es herrscht ja landläufig die Meinung, es gebe nichts Schlimmeres als einen Zahnarztbesuch. Herr Lohmann, Sie werden das bestätigen. Aber bei uns - Sie werden auch das verstehen - herrscht zusätzlich die Meinung, es sei fast ebenso schlimm, sich mit Ihrer verfehlten Gesundheitspolitik zu beschäftigen, Herr Minister.
({0})
Wenn Sie sich hier hinstellen, klagen und sagen, daß alles so schlimm ist, dann frage ich Sie: Warum tun Sie nichts?
({1})
Sie haben doch den Ruf, ein Mann des Handelns zu sein. Hier scheinen Sie ein Mann des Nichthandelns zu sein. Der bayerische Löwe, als der Sie sich ja gerne bezeichnen lassen, ist zahnlos, Herr Minister.
Bei dem Thema dieser Aktuellen Stunde - überhöhte Zahnarzthonorare - kommt beides zusammen: Nachdem die Versicherten in den letzten Wochen diese doppelte Dosis des Schreckens über sich haben ergehen lassen müssen, ist es an der Zeit, daß wir dies heute auch politisch bewerten. Aus gutem Grund: Diese unselige Kombination aus unsolidarischer Gesundheitspolitik dieser Regierungskoalition und dem dreisten Gewinnstreben - ich will hier nicht ganze Berufsstände verunglimpfen ({2})
mancher schwarzer Schafe unter den Zahnärzten macht die ganze Fragwürdigkeit Ihrer angeblichen Reformen der letzten Jahre deutlich.
({3})
Nach dem Desaster bei der Einziehung des Notopfers und nach Ihrer wahltaktischen Notbremse bei der ursprünglich geplanten Koppelung von Zuzahlung und Beitragssatz sind auch der Streit mit den Zahnärzten
und die Ministerdrohung, das Gesetz wieder zu ändern, nur ein weiteres Symbol für das völlige Scheitern Ihrer Gesundheitspolitik.
({4})
Herr Minister und vor allem liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., es war doch ein erklärtes Ziel Ihrer Gesundheitspolitik, die bewährte solidarische Krankenversicherung
({5})
mit ihrem Sachleistungsprinzip als Kernbestandteil Schritt für Schritt auszuhöhlen und zu entsolidarisieren. Ihre Gesundheitspolitik steht unter dem Motto: weg von der solidarisch finanzierten Sozialversicherung, hin zur rein privaten Absicherung des Krankheitsrisikos - und am liebsten auch noch ohne Arbeitgeberanteil an den Beiträgen.
({6})
Für diese Politik haben Sie gerade die Zahnarztpraxen zu einer Spielwiese für Ihre Privatisierungsexperimente auserkoren.
({7})
Bei den Versicherten ab Geburtsjahrgang 1979 haben Sie Ihre Pläne ja auch schon weitgehend realisieren können; bei denen ist der Zahnersatz ja lebenslang keine Kassenleistung mehr.
({8})
Bei den vor 1979 Geborenen haben Sie mit der Einführung von Kostenerstattung und Festzuschüssen zumindest schon den ersten Schritt getan - frei nach dem Motto: Gewöhnt euch schon mal daran, Rechnungen zu bekommen und in die Vorkasse zu gehen!
Die Koalition, meine Damen und Herren, hat dies so gewollt. Sie hätten wissen müssen, daß einige Zahnärzte die Gunst der Stunde nutzen und die Versicherten regelrecht abzocken werden. Herr Minister, ich kann Ihre Krokodilstränen und Ihre Empörung über die Zahnärzte nicht verstehen. Wenn abgezockt wird, dann haben Sie doch in jedem Fall Beihilfe dazu geleistet.
({9})
Die SPD hat Sie eindringlich vor Ihrem Kurs in die Privatisierung der gesetzlichen Krankenversicherung gewarnt. Wir Sozialdemokraten haben immer gesagt: Ihre Politik ist der Weg in die Beutelschneiderei und in die Zweiklassenmedizin. Jeder Patient, der in den letzten Tagen seine Zahnarztrechnung bekommen hat, kann das verstehen und weiß, worum es geht.
({10})
- Ich weiß das sehr gut. Ich habe mich sehr genau damit beschäftigt. Wir kennen uns lange genug.
({11})
Wir werden den Sündenfall der Kostenerstattung korrigieren. Elemente der privaten Krankenversicherung haben in der GKV nichts zu suchen. Nur das Sachleistungsprinzip garantiert, daß alle Versicherten auch die Leistungen erhalten, die sie benötigen, und zwar unabhängig davon, ob sie sich die teure Vorkasse leisten können, und auch unabhängig davon, ob sie die Tricks gerissener Funktionäre durchschauen können.
({12})
Meine Damen und Herren, eine Politik des Abkassierens wird es mit uns nicht geben. Wir werden diese Dinge ändern; das verspreche ich Ihnen.
Danke schön.
({13})
Als nächster hat das Wort der Abgeordnete Ulf Fink.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Abgeordnete Frau Schmidt-Zadel hat erneut den Versuch unternommen, die erfolgreiche Gesundheitspolitik dieser Bundesregierung in Mißkredit zu bringen. Das ist ihr auch diesmal nicht gelungen.
({0})
Der Bundesgesundheitsminister hat, wie ich finde, sehr überzeugend dargelegt, wie er auch in diesem Fall tatkräftig verfährt. Sie probieren noch einmal, daran herumzukritisieren. Es wird Ihnen aber auch in diesem Fall nicht gelingen.
Die Grundentscheidung, daß wir von dem prozentualen Zuschuß beim Zahnersatz weg- und zum Festzuschuß übergegangen sind, hätte doch auch von Ihnen belobigt und anerkannt werden müssen; denn es war doch nicht in Ordnung, daß derjenige, der den teuersten Zahnersatz genommen hat, das meiste Geld von der Solidargemeinschaft bekommen hat, und derjenige, der sich vernünftig verhalten hat, der versucht hat, die Solidargemeinschaft zu schonen, in dem er nicht den teuersten Zahnersatz genommen hat, von den Kassen am wenigsten bekommen hat. Insofern war es doch ein richtiger Schritt, das zu machen. Wenn Sie das zurücknehmen wollen, dann wäre das eigentlich gegen alles, was Sie als Grundsatz immer vorgetragen haben.
Zu Frau Knoche nur folgendes: Sie haben gesagt, Sie glauben, daß man künftig die Patienten und ihren Geldbeutel am Zustand ihres Gebisses erkennen könne. Frau Knoche, Sie stellen diese Behauptung immer wieder auf. Das Gegenteil aber ist richtig: Wir haben durchgesetzt, daß diejenigen, die unter die Härtefallregelung fallen - das sind die Menschen mit kleinem Einkommen, denen Sie sich verpflichtet fühlen -, überhaupt nichts dazuzahlen, weil sie den zweifachen Festzuschuß bekommen. Bei ihnen ist auch für alle Zukunft die Honorarbindung gegeben. Das heißt: Gerade die Ärmsten haben nach dieser Gesundheitsreform die besten Bedingungen. Das sollten Sie doch anerkennen, Frau Knoche.
({1})
Ich möchte noch ein Wort dazu sagen, wie sich die Zahnärzte in diesem Zusammenhang verhalten. Ich verstehe die Standesvertretungen der Zahnärzte eigentlich nicht. Das hat, so finde ich, besonders gut Herr Stüwe von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" heute in einem Kommentar auf den Punkt gebracht. Unter der Überschrift „Verbohrt" - das paßt sehr gut zu diesem Thema, deswegen ist das auch die Überschrift - schreibt er - ich zitiere -:
Allem Anschein nach haben sich die Zahnärzte verbohrt. Noch vor kurzem lobten sie den Übergang von der Sachleistung zur Behandlung auf Rechnung beim Zahnersatz als ersten Schritt zu mehr Freiheit. Auch viele Patienten möchten gern schwarz auf weiß sehen, was denn ihr Doktor abrechnet. Gerade weil Krankenkassen, SPD und Grüne das Projekt bekämpfen, mußten die Zahnärzte daran interessiert sein, die Neuregelung geräuschlos anzuwenden. Das Gegenteil wurde getan.
Ich finde, man sollte im Bereich der Zahnärzte noch einmal über den Gesamtzusammenhang nachdenken.
({2})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ulf Fink, ich glaube Ihnen, daß es eine erfolgreiche Gesundheitspolitik ist. Es fragt sich bloß, für wen.
({0})
Für eine Truppe ganz sicher: für die Zahnärzte; denn ihre Einkommen haben sich schon wieder deutlich verbessert.
({1})
Es gab einmal einen Stillstand; jetzt haben sie sich verbessert.
Herr Minister, Sie haben uns gerade gesagt, daß es eine Rechtsberatung gegeben habe. Nach dieser Rechtsberatung gab es eine schriftliche Mitteilung an die Zahnärzteorganisationen, die sich, nachdem sie am 24. März noch einmal eine schriftliche Beratung bekommen haben, am 26. März gegenüber ihren Mitgliedern dahin gehend geäußert haben, daß sie die Beratung erhalten hätten, daß auf die Rechtsauffassung des BMG und der Krankenkassen hingewiesen sei und daß sowohl die KZBV als auch das Bundesgesundheitsministerium ihre RechtsauffasGudrun Schaich-Walch
sung aufrechterhielten. Herr Minister, ich frage Sie ganz ernsthaft, warum Sie nach einem solchen Brief noch sechs Wochen brauchen, um etwas zu tun.
({2})
Das, was die Zahnärzte dort abgeliefert haben, ist im Prinzip eine Kampfansage: nicht nur an die Regierung, sondern auch an das Parlament, an den Gesetzgeber.
({3})
Es ist zugleich eine Kampfansage an das Portemonnaie der Patientinnen und Patienten.
Sie haben mit Hilfe der Koalition diesen Spielraum für die Gesetzesinterpretation geschaffen. Ich stimme Ihnen zu, daß das beim Heil- und Kostenplan nicht der Fall ist. Aber Sie haben sehr wohl gewußt, daß private Elemente in der gesetzlichen Krankenversicherung zu den entsprechenden Begehrlichkeiten auf seiten der Leistungserbringer führen werden.
({4})
Natürlich sind die Zahnärzte keine besseren Menschen als andere Menschen. Wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, dann ergreifen sie sie. Jetzt seien Sie im Prinzip entsetzt, sagen Sie.
({5})
Dabei haben Sie genau gewußt - das haben Sie uns vorhin auch gesagt -, mit welcher besonderen Klientel verfaßter Ärzteschaft Sie es dort zu tun haben. Sie haben genau gewußt, welche Standesorganisation es ist. Sie haben gewußt, daß sie auf nichts anderes als auf diese Privatisierungsmöglichkeit gewartet hat. Sie haben auch gewußt, daß Privatisierung im Gesundheitswesen nie dazu führt, daß die Leistung verbessert wird. Das einzige, was passiert, ist, daß die Leistung verteuert wird.
({6})
Diese Kosten werden auf die Patientinnen und Patienten abgewälzt.
Lassen Sie mich Ihnen jetzt sagen, was das bei einer keramikverblendeten Einzelkrone heißt. Bisher betrug der Versichertenanteil 300,60 DM. Jetzt beträgt er beim 1,7fachen 410 DM und beim 2,3fachen 514 DM.
Nun komme ich zu den Härtefällen, Herr Fink, denen es nach Ihrer Auffassung angeblich so gut geht. In allen Abrechnungsfragen zahlen die Härtefälle. Sie haben bisher nichts bezahlt. Jetzt zahlen sie trotz eines doppelten Festkostenzuschusses für die Krone 110 DM. Weil ihnen Ihrer Auffassung nach ohnehin nur eine Billigversion zusteht, zahlen sie für diese immer noch 26,48 DM. Bei einem etwas umfassenderen Zahnersatz zahlt der Härtefall für die billigste Variante 957,77 DM. Das ist von Ihrer Härtefallregelung übriggeblieben, weil Sie versäumt haben, in das Gesetz hineinzuschreiben, daß der doppelte Festkostenzuschuß die Grenze dessen darstellt, was mit Patienten abgerechnet werden darf.
Schauen Sie doch einfach einmal hin, sehen Sie doch einmal, wo Fehler sind! Wir haben Ihnen gesagt, daß Sie das zu schnell machen und daß es dann Fehler und Pannen gibt. Haben Sie doch den Mumm, die Pannen zu reparieren! Wir werden dies spätestens nach dem 27. September für Sie tun.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Zöller.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte versuchen, die Diskussion über das Abrechnungsverhalten der Zahnärzte auf Grund der Festzuschußregelung bei Zahnersatz etwas zu versachlichen.
({0})
- Ja, es wäre vielleicht ganz gut, wenn Sie wenigstens versuchen würden, zuzuhören.
({1})
Mit Beschluß des Landgerichtes Dortmund wurde einer Krankenkasse auf Antrag eines Zahnarztes untersagt, dessen Patienten gegenüber in einem Formschreiben die Behauptung zu erheben, durch das Sozialgesetzbuch V sei „eindeutig geregelt, daß alle Kronen und Brückenglieder zur vertragszahnärztlichen Versorgung gehören", und der Zahnarzt sei deshalb verpflichtet, in diesen Fällen entsprechend der im Gesetz vorgesehenen Honorarbegrenzung auf das 1,7fache des Abrechnungsbetrages nach der Gebührenordnung für Zahnärzte zu planen und abzurechnen.
Ich darf aus der Begründung zitieren: Die Antragsgegnerin
- in diesem Fall die Kasse überschreitet aber ihr Recht zur freien Meinungsäußerung, indem sie gegenüber Patienten des Antragstellers die im Tenor wiedergegebene Rechtsauffassung als eindeutige gesetzliche Regelung hinstellt. Der Gesetzeswortlaut ist für die Streitfrage der Parteien nicht eindeutig.
Fachgerichtliche Entscheidungen zur Auslegung der hier maßgebenden seit dem 1. Januar 1998 geltenden geänderten Vorschriften des Sozialgesetzbuches sind - soweit ersichtlich - noch nicht ergangen.
Für mich ist deshalb ganz eindeutig, daß es hier nicht um eine Böswilligkeit von Zahnärzten, sondern schlicht und ergreifend einfach um unterschiedliche Rechtsauffassungen geht. Dies ist in einem Rechtsstaat möglich und sollte deshalb alsbald mit rechtsstaatlichen Mitteln gelöst bzw. klargestellt werden.
({2})
Aus diesem Grunde ist es für mich auch nicht nachvollziehbar und völlig unverständlich, wenn Kassenvertreter und heute auch Vertreter der Opposition von Abzockern reden. Ich frage mich: Mit welchen Zahnärzten verkehren Sie eigentlich? Ich bin Kassenpatient. Sie können mir jetzt nicht mit dem Argument des freiwillig Privatversicherten kommen.
({3})
Ich kann Ihnen versichern, daß die Zahnärzte, die ich persönlich kenne und durch meine vielen Gespräche kennengelernt habe, vertrauenswürdig sind. Ich weise den Vorwurf Abzocker auch im Interesse einer fairen Streitkultur, die wir in diesem Hause pflegen sollten, ganz bewußt zurück.
Ich kann diese Aussagen nur als eine Kampagne gegen das Festzuschußsystem ausmachen. Ich stehe nach wie vor zu diesem neuen Festzuschußsystem, da es bei sinnvoller Umsetzung durch die Selbstverwaltungen der Kassen und der Zahnärzte sozial gerechter ist und den Versicherten mehr Wahlfreiheit und Kostentransparenz garantiert. Im übrigen habe ich großes Vertrauen, daß die Zahnärzte vor Ort ihren Patienten mit Rat und Tat zur Seite stehen.
({4})
Vergessen wir bitte nicht: Ärztliche Behandlung ist Vertrauenssache. Wir sollten in Deutschland nicht noch mehr kaputtreden. Niemand sollte sich von überzogenen Pressemeldungen verunsichern lassen. Kehren wir gemeinsam wieder zur Sachlichkeit zurück!
({5})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Pfaff.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Handelt es sich wirklich nur um ein Problem des Vollzugs, wie Herr Bundesminister Seehofer behauptet? Ist es wirklich wahr, wie Herr Lohmann sagt, daß es sich hier nur um Aussagen eines einzelnen Funktionärs handelt? Ist wahr, was Herr Möllemann behauptet, es gehe hier um Vermutungen, Behauptungen und Unterstellungen?
({0})
Nein, die Situation ist leider sehr viel alarmierender. Es geht nämlich nicht nur um die Auswertung durch die Ersatzkassen in Nordrhein, bei der sich herausgestellt hat, daß jeder zweite Heil- und Kostenplan eine nicht korrekte Auslegung dieses Gesetzes impliziert. Ich kann auf Auswertungen der AOK verweisen, die zeigen, daß beispielsweise in Baden-Württemberg, in Hessen, in Sachsen, in Sachsen-Anhalt und in Schleswig-Holstein die Versorgung mit Metall-Keramik-Verblendungen in mehr als 50 Prozent der Fälle zu unkorrekten Abrechnungen geführt hat und daß bei der Aufstellung der Kostenpläne jeder fünfte Kostenplan in Baden-Württemberg, in Hessen, in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein fälschlicherweise in Rechnung gestellt wurde.
({1})
- Ich bin sehr beeindruckt, Herr Kollege Möllemann, daß Sie sich zumuten, mir etwas im Bereich der Gesundheitspolitik erklären zu wollen.
({2})
Entschuldigung, da kann ich nur herzlich lachen.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es wirklich nur eine bewußte Mißachtung des Gesetzes durch die KZBV? - Ein bißchen ja. Oder geht es auch um handwerkliche Fehler in diesem Gesetz? Ich behaupte: Ja, es sind handwerkliche Fehler, zwar nicht, Herr Bundesminister, wenn es um den Heil- und Kostenplan geht - da ist das Gesetz eindeutig -, aber in vielen anderen Bereichen. Mir fehlt die Zeit. Sie könnten mir natürlich den Gefallen tun, Fragen zu stellen. Dann könnte ich in die Details gehen.
({4}) Dort sind eindeutig handwerkliche Fehler passiert.
Das Problematischste dabei ist - damit komme ich zu Herrn Kollegen Zöller -: Es geht hier nicht um Vertrauen in einzelne Menschen. Es geht um die Qualität der Gesetzgebung, um die Anreize, die das 2. NOG den Zahnärzten gegeben hat. Wir haben es Ihnen gesagt. Die internationale Erfahrung zeigt immer wieder, daß dies in allen Ländern, in denen man diesen Weg gegangen ist, als Freibrief zur Ausweitung der Inrechnungstellung betrachtet wird,
({5})
daß Festzuschüsse und Kostenerstattung am Ende als eine Form der variablen Zuzahlung mißbraucht werden. Das ist das Dilemma. Sie können nicht sagen, daß Sie das nicht gewußt haben. Wir haben das mehrfach gesagt.
Jetzt kommt es noch viel schlimmer: Die KZBV fühlt sich wie ein Staat im Staate. Sie stellt ihre Rechtsauffassung neben Ihre und fühlt sich nicht bemüßigt, Ihre Signale aufzugreifen. Die herablassende Art, wie sie dann kommentiert, daß sie bis zur Grenze der Selbstverleugnung in ihrer Behandlung des Bundesministers und des Gesetzes gegangen ist, finde ich eine Verhöhnung nicht nur der Exekutive. Das geht uns alle hier an.
({6})
Herr Bundesminister, wir haben das vorhergesagt. Es kam, wie es kommen mußte.
Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung muß in die Verantwortung gezogen werden für das, was sie im Augenblick tut. Es ist höchste Zeit, daß Sie handeln.
Auch Sie, Herr Bundesminister, müssen die Verantwortung dafür übernehmen,
({7})
daß Sie das Erfahrungswissen aus dem internationalen Bereich, aber auch bei uns nicht beachtet haben. Systeme der Kostenerstattung sind weniger kosteneffektiv und weniger verteilungsgerecht.
({8})
Der Weg der Privatisierung führt nicht einmal zu niedrigen Lohnnebenkosten. Er führt dazu, daß der Gesamtkostenrahmen in der Gesellschaft wächst. Wann wird diese Lektion endlich begriffen werden?
({9})
- Aber, Herr Möllemann.
({10})
- Herr Möllemann, ich will mich nicht dazu äußern.
Herr Bundesminister Seehofer, daß Herr Möllemann das nicht weiß, kann ich ja noch akzeptieren. Aber von Ihnen erwarte ich, daß Sie die Botschaften, die mehrfach in diesem Hause gebracht wurden, begreifen und daß Sie merken, daß die Geister, die Sie damals riefen, als Sie den Weg der solidarischen Krankenversicherung verlassen haben, Sie immer wieder besuchen werden. Die gespenstische Diskussion im Augenblick ist ein Zeichen. Das Philippi, das Ihnen angekündigt wurde, ist jetzt unmittelbar vor der Tür. Es hat ein Datum: 27. September 1998.
({11})
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Wodarg.
Frau Präsidentin! Liebe Abgeordnete! Lieber Martin, ich glaube, Du hast es sehr nett mit Herrn Möllemann gemeint. Ich glaube nicht, daß er Fehler gemacht hat. Er hat das absichtlich gemacht.
Der Zweite Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung hat in einem Interview am 15. Januar dieses Jahres in der „Stuttgarter Zeitung" sein
Verständnis von Marktwirtschaft deutlich gemacht. Er sagte nämlich wörtlich: Früher lagen Patienten und Zahnärzte doch in der Hängematte der anonymen Sachleistungen. Dieses Freibiersystem habe die Leute korrumpiert.
({0})
„Solange es nichts kostet, wird gesoffen", hat er gesagt.
({1})
- Herr Möllemann bestätigt das. Genau in diesem Geist haben die F.D.P. und später auch der CSU-Gesundheitsminister argumentiert und gehandelt.
Die von den Regierungsfraktionen auf Drängen der F.D.P. durchgesetzte Zerschlagung des Sachleistungsprinzips im Zahnärztebereich zeigt jetzt nämlich ihre verheerende Wirkung: Ärztliches Denken wird immer stärker durch kaufmännisches Handeln und marktgerechtes Agieren verzerrt und überlagert. Hierüber klagen nicht nur die Patienten, sondern auch viele Zahnärzte empfinden diese Entwicklung als entwürdigend und für die Arzt-Patienten-Beziehung belastend.
Aber jetzt, wo es seit dem 1. Januar Festbeträge pro Leistungsfall gibt, ein Streit um die Kosten erst einmal zwischen Zahnarzt und Patient direkt ausgetragen wird und die Kassen nur noch indirekt in die auftretenden Konflikte involviert sind, zahlen die Kassen den festgelegten Satz, und alles weitere, was zwischen Zahnarzt und Patient ausgehandelt wurde, geht zu Lasten des Patienten.
({2})
Hier übernimmt nicht mehr die GKV die Interessenvertretung für die Patienten, sondern gegebenenfalls dessen Rechtsschutzversicherung, wenn er denn eine hat. Bisher hatten die Kassen in jedem einzelnen Fall ein Interesse daran, daß die Behandlung des Patienten kostengünstig war, daß sie sachgerecht erfolgte. Jetzt beschränkt sich das Interesse der Krankenkassen darauf, ob der Festbetrag gerechtfertigt war. Für den Rest steht der Patient auf Grund Ihrer Gestzgebung jetzt alleine da.
({3})
Der Patient sei ja schließlich Kunde, sagen Sie. Das sagt auch die Kassenzahnärztliche Vereinigung. Mündiger Bürger - dieser Patient hat Zahnschmerzen. Dieser Patient soll mit seinen Zahnschmerzen Preise vergleichen, er soll Leistungen vergleichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, erinnern Sie sich an Ihre letzten Zahnschmerzen? Sie haben gesagt, Herr Lohmann, Sie tun das noch.
({4})
Manchmal ist es möglich, und manchmal reicht die Zeit auszuwählen. Manchmal kann man so etwas planen. In den meisten Fällen ist es so, daß die Menschen Beschwerden haben.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte doch, sich mit den Zwischenrufen jetzt etwas mehr zurückzuhalten. Ich wußte gar nicht, daß man mit so wenig Abgeordneten so viel Lärm machen kann.
Ich kann Ihrem Koreferat, Herr Lohmann, gar nicht zuhören, weil ich selber dabei bin zu reden.
Der Patient sei Kunde, haben Sie gesagt. Er ist kein Kunde. Er hat Zahnschmerzen; es geht ihm schlecht. Von daher ist das, was Sie mit dem Auswählen wollen, daß sich jetzt jemand als Kunde marktentsprechend verhält und das dort regelt, reine Illusion. Es ist ein Vorwand, Ihrer Lobby, Herr Möllemann, den Zahnärzten, die Sie brauchen, um über die Fünfprozenthürde zu kommen, etwas Gutes zu tun. Was Sie hier machen, ist praktizierter Lobbyismus, nichts weiter.
Herr Seehofer weiß das genau. Der kleine Koalitionspartner hat ihn dazu gebracht mitzumachen.
Ich möchte noch eines anfügen. Es kann sein, daß hinter dieser ganzen Aktion noch eine Taktik steckt und daß die Tatenlosigkeit von Herrn Seehofer, die wir jetzt beobachten, System hat. Ich erinnere mich, Herr Minister Seehofer, an den 15. Oktober 1994. Damals haben Sie über alle Zeitungen und Sender einen Tag vor der Bundestagswahl verbreiten lassen, Sie würden widerspenstigen Zahnärzten gegebenenfalls den Staatsanwalt in die Praxis schicken.
({0})
Das war sehr clever. Auf diese Weise haben Sie nämlich dazu beigetragen, daß diese Zahnärzte nicht die CSU oder die CDU gewählt haben, sondern Sie haben der F.D.P. dazu verholfen, gerade noch über die Fünfprozenthürde zu springen.
({1})
Sie sparen sich offenbar auch jetzt wieder ihre drastischen Maßnahmen, ihre kleine Hilfspeitsche für die F.D.P. auf, um kurz vor der Bundestagswahl diesen Trick noch einmal zu versuchen.
({2})
Ich fürchte, er wird Ihnen diesmal nichts nützen.
({3})
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ulrike Mehl, Ursula Burchhardt, Michael Müller ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Umweltbildung
- Drucksachen 13/5238, 13/8213 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Mehl, Ursula Burchhardt, Eckart Kuhlwein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Umweltbildung - Bildung für eine nachhaltige Entwicklung
- Drucksache 13/10225 Überweisungsvorschlag :
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Zur Großen Anfrage liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Widerspruch gibt es nicht. Dann ist auch so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Ursula Burchardt ({2}).
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Kurz vor Ablauf dieser Wahlperiode - aber immerhin gerade noch rechtzeitig - legt die Bundesregierung, die hier nur noch ganz sparsam vertreten ist, einen auf Initiative der SPD vom Deutschen Bundestag einstimmig geforderten Bericht zur Umweltbildung vor. Vermutlich hat unsere Große Anfrage zu dem gleichen Thema ihren Findungsprozeß beschleunigt. So haben wir heute die Chance, mit ihrem Bericht auch die Antwort der Bundesregierung zu diskutieren.
Beide Stellungnahmen enthalten eine Fülle einzelner programmatischer Aussagen zum Stellenwert von Umweltbildung, die für sich genommen zum überwiegenden Teil gut, richtig und unterstreichenswert sind. In beeindruckender Fülle findet man Darstellungen von Projekten und Vorhaben der unterschiedlichen Ebenen: von den Kommunen bis zu den Vereinten Nationen - ein wahres Kompendium für den interessierten Leser.
Doch bei diesen Dokumenten verhält es sich im Prinzip genauso wie bei allen Berichten und Stellungnahmen, die die Bundesregierung zum Thema Umweltbildung und Nachhaltigkeit vorlegt. Der Versuch, eine Verbindung zwischen den programmatischen Aussagen und der praktischen Politik herzustellen, führt schlicht und ergreifend zu dem Ergebnis: Eine Strategie ist nicht vorhanden.
Sie begreifen und betreiben Umweltbildung und -forschung genausowenig wie Umweltpolitik als zentralen und elementaren Bestandteil einer ökologischUrsula Burchardt
sozialen Innovationsstrategie, die auf das Leitbild der nachhaltig zukunftsfähigen Entwicklung ausgerichtet ist.
Nachhaltige Entwicklung heißt Kurswechsel, heißt neu denken und anders entscheiden als bisher, raus aus den alten Routinen in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, heißt, sich daran zu orientieren, daß der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen die Voraussetzung für zukunftsfähige wirtschaftliche und soziale Entwicklung ist.
Nachhaltige Entwicklung erfordert nicht nur Faktenwissen über die Zusammenhänge von Wirtschaftsweise, Konsummustern und Naturhaushalt, sondern Einsicht in die Folgen des eigenen Tuns, eine neue Qualität von Verantwortung und die Fähigkeit, eingefahrene Verhaltensweisen und Gewohnheiten neuen Erfordernissen anzupassen.
Kurzum: Nachhaltige Entwicklung erfordert neue Qualifikationen, vor allem vernetztes, vorausschauendes Denken, die Fähigkeit zu Kommunikation, Kooperation neuer Art und die Fähigkeit zu lebenslangem Lernen. Dies sind nichts anderes als die Qualifikationen, die die Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft im Zeitalter der Globalisierung ausmachen. Umwelt und Bildung sind die Schlüsselgrößen für den Übergang von der Industrie- zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft.
({0})
Doch Umweltbildung als Lernen für die Zukunft braucht neue Inhalte, braucht neue Lern- und Kommunikationsformen. Das Neue muß im Alltag gelernt und gelebt werden und wird dafür den Alltag verändern, soweit die Rahmenbedingungen stimmen. Denn eines ist banales, alltägliches Wissen: Die Menschen wenden neues Wissen nur dann an, wenn es sich lohnt, wenn es für sie nützlich ist.
Wie sieht nun vor diesem Hintergrund die Umweltbildungsbilanz der Bundesregierung aus? Vernetzung und Kooperation? - Weit gefehlt. Wir erfahren, daß für Umweltbildung das Umweltministerium verantwortlich zeichnet, partiell noch die Ministerien für Bildung und Forschung sowie Wirtschaftliche Zusammenarbeit. Doch, meine Damen und Herren, ich frage Sie: Warum ist Umweltbildung kein Thema für das Verkehrsministerium, obwohl es doch um neue Formen und Nutzungsmuster von Mobilität geht?
({1})
Warum ist Umweltbildung kein Thema für das Finanzministerium, obwohl es dringend überfällig ist, ökologisch vernünftiges Verhalten zu belohnen?
All Ihre Debatten über die ökologische Steuerreform haben Klippschulniveau. Da fehlt einem wirklich der flüssige Satz, um zu dem Stellung zu nehmen, was sich bei Ihnen in den letzten Wochen abgespielt hat.
({2})
Warum ist Umweltbildung kein Thema für das Landwirtschaftsministerium, obwohl die Förderung einer zukunftsfähigen Nahrungsmittelproduktion und -nachfrage überfällig ist?
({3})
- Siehe Naturschutzgesetz.
Warum ist Umweltbildung kein Thema für das Ministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, obwohl es überfällig ist, die Voraussetzungen für ressourcen- und energiesparende Bauweisen und Siedlungsstrukturen zu schaffen? Der Abgang von Herrn Töpfer, auch wenn er nachhaltiger geredet als gehandelt hat, ist doch offenkundig ein Symbol für Stagnation, ja für Rückschritt dieser Bundesregierung.
({4})
Meine Damen und Herren, ohne ein Umsteuern in diesen zentralen Handlungsfeldern gibt es nicht die Qualifikationen und damit nicht die Innovationen, die neue Chancen für Arbeit, Umwelt und Wohlstand eröffnen. Zu Recht beklagt die Bundesregierung die Diskrepanz zwischen Umweltwissen und Umweltverhalten und verweist auf die große Bedeutung geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung. In der Tat müßte gerade diese verstärkt gefördert werden. Das ist nicht nur eine zentrale Forderung von WBGU und SRU, sondern auch Ergebnis der Enquetekommission „Schutz des Menschen und der Umwelt". Doch im Haushalt des BMBF ist die geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung zu einer Restgröße verkommen. Sie findet so gut wie gar nicht mehr statt.
({5})
Eine Schlüsselrolle für nachhaltige Innovation hat die berufliche Aus- und Weiterbildung. Ohne neue berufliche Qualifikationen gibt es nicht die neuen Produkte, Verfahren und Dienstleistungen, die gefordert sind. Gibt es dazu etwa Ideen und Vorschläge des Bundesbildungsministers? - Nein. Von ihm kommt nur der Vorschlag für eine Schmalspurausbildung und die stereotype Forderung, den schulischen Ausbildungsteil zu reduzieren. Wer weniger Bildung fordert, hat die Herausforderung der Globalisierung wahrlich nicht begriffen.
({6})
Unbestritten ist - da unterstreichen wir Ihre Feststellung - die Vernetzung von Umweltbildung im europäischen und internationalen Rahmen. Doch wo bleiben die Initiativen der Bundesregierung für ein europäisches Aktionsprogramm zur Umweltbildung? Einzelne Maßnahmen wie Sokrates oder Leonardo sind löbliche Details; aber von einer Integration der Umweltbildung in alle Politikbereiche der Europäischen Union sind wir noch weit entfernt. Hier spielt
die Bundesregierung ganz und gar keine Vorreiterrolle.
Sie begrüßen genauso die lokalen Agenda-Prozesse. Doch die Kommunen beklagen sich nicht nur über Ihre mangelnde Unterstützung, nein, sie beklagen vor allem, daß Sie insbesondere mit Ihrer Energie- und Verkehrspolitik alle Bemühungen der lokalen Ebene konterkarieren und kaputtmachen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist unstreitig, daß in einem föderalen Staat und in einer pluralen Gesellschaft eine Bundesregierung nicht alleine verantwortlich ist, das Lernen für die Zukunft zu organisieren; das ist überhaupt keine Frage. Aber das ist keine Entschuldigung für eine fehlende Strategie und für unzureichende Maßnahmen.
Mit unserem Antrag haben wir eine Fülle von sehr konkreten, sehr praktischen Vorschlägen vorgelegt und gesagt, was getan werden kann und was dringend getan werden muß. Ich will nur einige nennen.
Der Orientierungsrahmen „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung" muß rasch umgesetzt und finanziell abgesichert werden.
({7})
Notwendig ist ein Aus- und Fortbildungskonzept für die Bundestagsverwaltung, also für unseren ureigenen Verantwortungsbereich. Dies wird Signalwirkung für andere Einrichtungen und auch für die Berufsausbildung haben.
({8})
Wir wollen ein Förderkonzept für die Umweltbildungsforschung an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Schließlich muß Umweltbildung im neuen Sinne zum integralen Bestandteil der beruflichen Aus- und Weiterbildung und der Ausbildungsordnung gemacht werden.
({9})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es reicht eben nicht, nur beratend und koordinierend tätig zu sein. Von einer Bundesregierung kann man Initiative und Führungskraft erwarten. Es ist zuwenig, Innovation von Unternehmern, Wissenschaftlern und Verbrauchern einzufordern, aber selbst nur die ausgetretenen Pfade zu begehen.
Überfällig sind Politikinnovationen. Dazu gehört ein nationaler Umweltplan. Erst damit kann Umweltbildung ihre produktive Kraft tatsächlich entfalten. Ohne eine strategische Orientierung an anspruchsvollen Zielen werden nicht das Know-how und die Kreativität der Menschen der Zivilgesellschaft mobilisiert, um den Fortschritt zu gestalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Forderung nach diesem Umweltplan hier und heute zu wiederholen und sie abermals an Sie zu richten, ist müßig. Die Lücke zwischen dem vorhandenen Umweltwissen der Regierung, angesammelt durch Hunderte von Beratungsgremien, und ihrem tatsächliche
Handeln ist zu groß. Sie haben eines nicht begriffen: Die ökologische Modernisierung ist die Basisinnovation für das 21. Jahrhundert, die Chance für Arbeit, Umwelt und Wohlstand. Wir werden sie nutzen.
({10})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Päselt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Umweltschutz hat in den letzten Jahren eine neue Dimension erreicht. Alle Äußerungen der Bundesregierung lassen erkennen, daß es deren erklärtes Ziel ist, konkrete Handlungsziele am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung abzuleiten.
In unserer gemeinsamen Beschlußempfehlung des vergangenen Jahres zur Forschungspolitik für eine nachdrückliche Entwicklung hatten wir zur Definition der nachhaltigen Entwicklung erklärt: Nachhaltige Entwicklung betrifft alle Lebensbereiche und kann kurz so charakterisiert werden: dauerhaft umweltverträgliche Entwicklung, wirtschaftsverträgliche Entwicklung und sozial akzeptable Entwicklung. - Soll Umweltpolitik für eine dauerhaft umweltverträgliche Entwicklung erfolgreich wirken, muß ein gesellschaftlicher Grundkonsens über Verhaltensregeln erzielt werden.
Bei ihrer Politik zur Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen wird die Bundesregierung durch unterschiedliche Wissenschaftliche Beiräte unterstützt. Diese Beiräte sollen dazu beitragen, daß die Voraussetzungen zum Zugang zu und zum Transfer von Umweltwissen und umweltverträglichen Technologien gefördert werden. In allen Gutachten dieser Beiräte wird das Thema Umweltbewußtsein und Umweltbildung an hervorragender Stelle behandelt. So erklärte der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen wörtlich:
Erst wenn die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung im Bewußtsein der Menschen, in ihren verschiedenen Rollen und Positionen in der Gesellschaft ihren festen Platz hat, können auch Strategien der Verhaltensänderung wirksam werden.
Ich nenne nur ein Beispiel: Wenn jemand den Flugverkehr verteufelt, aber fünfmal im Jahr fliegt, dann ist es nicht gerade so, daß ein umweltverträgliches Handeln Platz gegriffen hat.
({0})
Das haben wir leider an allen Stellen; das möchte ich einmal sagen. Was hilft es, wenn ich von Bildung spreche, aber mich ungebildet, das heißt: nicht umweltverträglich benehme? Aber darauf werden wir noch zurückkommen.
In den meisten internationalen Erklärungen und Konventionen zur Bewältigung globaler UmweltproDr. Gerhard Päselt
bleme und ihrer Folgen werden eine Stärkung des Umweltbewußtseins der Bevölkerung und Maßnahmen zur Umweltbildung gefordert. Die Umweltbildung muß Bestandteil der Umweltpolitik werden.
({1})
Allerdings wird ohne eine Bereitschaft der Bevölkerung zur Mitwirkung beim Schutz der Umwelt die Umweltpolitik schnell an eine Grenze stoßen. Die Problemwahrnehmung und die Bewußtseinsbildung sind die Voraussetzungen für die Erreichung der erwünschten Ziele und des von uns allen erwünschten Erfolgs.
Umweltbildung muß aber mehr sein als die Schaffung von Umweltbewußtsein. Basierend auf einer gründlichen Kenntnis der Ursachen und Zusammenhänge, die sich nicht nur auf naturwissenschaftliche und technische Kenntnisse beschränken dürfen, sondern auch die sozialen Zusammenhänge berücksichtigen müssen, ist Umweltbildung eine Anleitung zu konkretem umweltgerechten Handeln. Dieses Handeln schließt alle Lebensbereiche ein und verlangt auch von uns persönliche Veränderungen vielfältigster Art. Das reicht von liebgewordenen Konsumgewohnheiten bis zum luxuriösen Lebensstil, um nur einige zu nennen.
Wissen reicht nicht aus, wenn es nicht zum Handeln führt. Dies gilt auch für den Umweltbereich. Da die nachhaltige Entwicklung, soll sie kein Lippenbekenntnis bleiben, von uns allen Konsequenzen im persönlichen Handeln erfordert, ist die Umsetzung um so schwieriger. Aber was nützt Wissen, wenn daraus nicht das entsprechende Handeln resultiert? Alle Experten sind sich darin einig, daß der Erfolg der Umweltbildung nur am umweltgerechten Verhalten gemessen werden kann. Daß dies ein schwieriges Unterfangen ist, können alle an der Bildung und Erziehung Beteiligten bestätigen. Zufrieden mit dem jeweils erreichten Stand wird man nie sein können.
Ausgangspunkt für die heutige Debatte ist die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD „Umweltbildung" und der Antrag der SPD „Umweltbildung - Bildung für eine nachhaltige Entwicklung" . In der recht ausführlichen Antwort der Bundesregierung wird der Stand der Umweltbildung dargestellt. Auch die Defizite werden nicht verschwiegen. Wir können feststellen, daß das, was die Bundesregierung und Minister Rüttgers auf diesem Gebiet geleistet haben, beträchtlich ist und sich sehen lassen kann.
({2})
Im Zusammenhang mit der Antwort auf die erwähnte Anfrage steht der vom Bundestag in der 12. Wahlperiode geforderte Bericht zur Umweltbildung, der erstmals im Herbst 1997 dem Bundestag zugeleitet wurde. Dieser Bericht gliedert sich in vier Kapitel, die unmittelbar mit dem Antrag der SPD in Zusammenhang stehen. An den Kapiteln „Konzeption und Förderung der Umweltbildung", „Neuorientierung der Umweltbildung" und der Beschreibung der gegenwärtigen Situation werden sich die im Antrag erhobenen Forderungen der SPD messen lassen müssen.
Übrigens ist der Tenor des Antrages nicht ganz neu. Er wurde bereits 1992 als Antrag unter der Bezeichnung „Umweltbildung und Umweltwissenschaften" unter ähnlichen Vorzeichen eingebracht. Es wird im Ausschuß zu prüfen sein, inwieweit die aufgestellten Forderungen in den Programmen der Bundesregierung bereits berücksichtigt sind; denn von der Bundesregierung etwas zu fordern, was schon in Programmen aufgenommen wurde, ergibt nichts Neues und trägt auch nicht zur Lösung der Probleme bei.
Eine Auflistung der Schwächen und Versäumnisse im Bereich der Umweltbildung findet sich seit etwa 1990 in fast allen Gutachten und Berichten. Auch in der Antwort der Bundesregierung sind diese zu finden. Ich kann mir persönlich nicht vorstellen, daß diese Defizite alle noch in dieser Form existieren. Ich denke hier nur an die Anstrengungen zur Umweltbildung im Bereich der Schulen und auf dem Gebiet der beruflichen Bildung.
Unbestritten unbefriedigend ist die mangelnde komplexe Herangehensweise und Vermittlung bei der Integration pädagogischer, natur- und technikwissenschaftlicher sowie sozialwissenschaftlicher Inhalte. Es hat den Anschein, daß sich das Suchen nach einer gemeinsamen Sprache, bedingt durch die den einzelnen Wissenschaften innewohnende Methodik der Herangehensweise, als schwierig und langwierig erweist. Ich hoffe, daß die Wissenschaftler dies noch abstellen können. Wir wissen, daß sich auf diesem schwierigen Gebiet Erfolge nur langsam einstellen, aber die Anstrengungen für das edle Ziel der nachhaltigen Entwicklung lohnen sich.
({3})
Erhebliche Schwächen und Versäumnisse im Bereich der Umweltbildung hat die Bundesregierung auch nicht zu vertreten,
({4})
da, wie die Bundesregierung im Umweltbericht betont - ich zitiere -, „ein Geflecht von Zuständigkeiten und Akteuren existiert".
({5})
Danach liegt der größte Teil der öffentlichen Verantwortlichkeiten bei den Ländern sowie bei autonomen Einrichtungen, wie etwa den Hochschulen.
({6})
Ich erinnere nur daran, daß die Bund-Länder-Kommission bereits seit zehn Jahren an dem Gesamtkonzept Umweltbildung arbeitet, das einen Orientierungsrahmen für Erziehung, Bildung und Ausbildung geben soll. Wenn das bis jetzt schon zehn Jahre gedauert hat, scheint es nicht so einfach zu sein, wie es hier oft dargestellt wird, zu einem Konsens zu kommen.
Ausgangspunkt der aktuellen Politik zur Umweltbildung auf allen Ebenen sind die Gutachten und
Stellungnahmen der entsprechenden Wissenschaftlichen Beiräte. Unerwähnt dürfen aber auch nicht die Arbeiten und Berichte der Enquete-Kommissionen „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" und „Schutz des Menschen und der Umwelt" bleiben.
Die Anforderungen der SPD an einzelne Projekte müssen mit den bereits geförderten Projekten und Modellvorhaben verglichen werden. Dann wird zu prüfen sein, wo Handlungsbedarf besteht; denn die in der Antwort der Bundesregierung angegebene Anzahl und Vielschichtigkeit kann sich sehen lassen. Auch dafür können wir Bundesminister Rüttgers Dank sagen.
({7})
Völlig unverständlich ist für mich im Zeitalter des Fernsehens und der Medien, daß nur etwa 10 Prozent der Bevölkerung etwas mit dem Begriff „nachhaltige Entwicklung" anfangen können oder schon von ihm gehört haben. Indirekt ist damit auch die Umweltbildung betroffen. Die Feststellung, daß eine Strategie fehlt, das neue Leitbild „nachhaltige Entwicklung" und damit auch die Umweltbildung populär zu machen, kann ich nicht nachvollziehen. Es muß doch möglich sein, daß unsere Medien dazu einen Beitrag leisten. Sollte es wirklich so sein, daß Umweltbildung, nachdem sie als Katastrophen- oder Zeigefingerpädagogik und auch als alleinige Vermittlungsinstanz von Umweltwissen gescheitert ist, für die Medien nicht mehr interessant ist? Daß Umweltbildung sehr erfolgreich sein kann, wenn neben kognitiven Möglichkeiten auch andere Aspekte betont werden und damit ein ganzheitlicher Ansatz gewählt wird, wie auch Frau Burchardt hier gefordert hat, könnte doch publik gemacht werden. Zweifel hege ich auch, ob und inwieweit wir der Forschung Zügel anlegen können.
Die Bundesregierung hat in ihrem Programm „Forschung für die Umwelt" vom September 1997 der Umweltbildung ein ganzes Kapitel gewidmet. Dort sind die vordringlichen Aufgaben in der Forschung und die künftigen Maßnahmen festgeschrieben. Dieses Kapitel ist von allen Verbänden, die auf dem Gebiet der Umweltbildung arbeiten, als Schritt in die richtige Richtung begrüßt worden. Ein Vergleich dieses Kapitels mit dem Antrag der SPD-Fraktion ergibt, daß das vorliegende Regierungsprogramm diese Forderungen bereits erfüllt. Dies werden sicher auch die Beratungen im Ausschuß bestätigen.
Zum Schluß noch ein Wort an Frau Burchardt: Ich kann in dem Antrag der SPD eigentlich nicht erkennen, wo Sie ausgetretene Pfade verlassen.
Ich danke für Ihr Zuhören.
({8})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias Berninger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Umweltbildung ist ein Thema, das parteiübergreifend Gewicht genießt, das als sehr wichtig angesehen wird und angesichts dessen alle Parteien der Meinung sind: Hier müßte eigentlich mehr getan werden. Es ist ein Thema, dem zumindest auf dem Papier und in den Reden nach wie vor sehr viel Bedeutung zugemessen wird. Das Problem ist nur, daß Umweltbildung ein Thema ist, das in den letzten Jahren massiv an tatsächlicher Bedeutung eingebüßt hat, und daß diejenigen, die im Rahmen der Umweltbildung in den Schulen, Hochschulen und auch im außerschulischen Bereich durch Eigeninitiative zeigen, was alles machbar ist, zunehmend frustriert sind.
Vor diesem Hintergrund und angesichts des umfangreichen Danks an die Bundesregierung meine ich, daß wir als erstes denjenigen, die in den letzten Jahren zum Teil bei Gegenwind und ohne Beachtung zu finden in diesem Bereich aktiv waren, danken und ihnen sagen müssen: Sie haben eine Menge Gutes geleistet. Sie haben im Rahmen dieser Debatte und dieser Auseinandersetzung den meisten Dank verdient.
({0})
Umweltbildung ist ein Thema, für das, eine Bundesregierung wesentlich mehr tun könnte. Ich will einmal einen Vergleich zu einem anderen Thema ziehen, dessen sich Herr Rüttgers zumindest teilweise angenommen hat, und zwar zum Bereich Multimedia, zur Initiative „Schulen ans Netz". Dies ist ein klassisches Thema. Hier hat er gesagt, daß in diesem Bereich mehr getan werden müßte. Ich wünschte mir von dem nächsten Bildungsminister oder der nächsten Bildungsministerin, dem Thema Umweltbildung wieder das Gewicht zu geben, das es eigentlich haben müßte. Das heißt, es im Rahmen von Ausbildung und Fortbildung mindestens auf eine Ebene mit der Bedeutung des Multimediabereichs zu stellen.
({1})
Ich glaube übrigens, daß in den Ländern, die eben kritisiert worden sind, eine Menge Fortschritte erreicht wurden. Als ich zur Schule ging, fing es an, daß Umweltbildung ein wichtiges Thema wurde. Die Lehrerinnen und Lehrer begannen damit, uns mit dem Thema zu konfrontieren. Als ich studiert habe, fing es an, daß die Hochschulen diesen Bereich zum Thema machten. Jetzt kommen sich die einzelnen Akteure ziemlich allein gelassen vor und haben den Gesamtüberblick über das, was passiert, längst verloren. Ich habe mit vielen gesprochen, die zuerst äußerten: Wir sind frustriert. Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll. Wir fühlen uns von der Politik nicht mehr sonderlich ernstgenommen.
Dafür habe ich viel Verständnis. Denn es gibt Beispiele, wie gering die Bundesregierung dieses Thema letztlich behandelt hat. Schauen Sie nur einmal in das Umweltbundesamt. Dort war einmal mehr Initiative im Bereich der sozialwissenschaftlichen Aspekte des Umweltschutzes bzw. im Bereich Umweltbildung zu sehen. Heute droht dieses Thema im
Rahmen von Umbildungen und Stelleneinsparungen völlig an den Rand gedrängt zu werden. Auch im Bildungsministerium ist man dabei, wichtige und gute Gutachten nur abzuheften und im Zweifel dann herauszukramen, wenn eine Anfrage gestellt wird. Daß man aber sagen könnte: „Hier gibt es ja richtig Power; hier könnte man etwas machen", kann ich zumindest im Moment und angesichts dieses Bundesbildungsministers, aber auch dieser Umweltministerin - die vielen anderen betroffenen Ministerien sind ja angesprochen worden - nicht erkennen.
({2})
Ich glaube, die nächste Bundesregierung hat eine Chance, in diesem Bereich mehr zu tun. Es gibt eine Menge Möglichkeiten. Einer der ersten Schritte, die wir machen müssen, ist, die verschiedenen Akteure wieder miteinander in Kontakt zu bringen und zu vernetzen. Es wird einer der wichtigsten Punkte überhaupt sein, deutlich zu machen: Es gibt ein Feld von Akteuren.
Ein zweiter Schritt, den wir machen müssen, ist, den Akteuren klarzumachen, daß wir sie nicht allein lassen wollen, sondern daß wir sie in den nächsten Jahren - auch wenn die Konferenzen von Rio und Moto kein Thema mehr sind und die Umweltkonferenz in Berlin vorbei ist - unterstützen werden.
({3})
Auch eine dritte Sache wird sehr wichtig sein. Das merkt man ein wenig an den Streitigkeiten über Zuständigkeiten innerhalb der Bundesregierung, die es ja in diesem Bereich gegeben hat. Man merkt immer wieder: Man beharkt sich dort, statt miteinander zu kooperieren. Wenn Umweltbildung ein solch wichtiges Thema ist, dann ist es fächerübergreifend, ministerien- und ressortübergreifend von Bedeutung. Nur wenn man es als ein Schwerpunktthema einer ganzen Bundesregierung und nicht als irgendein Randthema begreift, dann kann es zu einem Thema werden, mit dem wir wieder etwas erreichen können.
Eines möchte ich bezüglich der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage positiv hervorheben - das zeigt, daß. in diesem Bereich in den letzten Jahren viel und gut geforscht worden ist -: Die Antwort der Bundesregierung enthält eine ganze Menge positiver Ansätze.
({4}) Aber eine Sache fehlt: sie in die Tat umzusetzen.
({5})
Diese Umsetzung kann die Bundesregierung nicht alleine schaffen.
({6}) Das wollen wir überhaupt nicht in Abrede stellen.
Wir können das hier in Bonn nicht alleine erreichen. Es gibt den Bildungsföderalismus. Natürlich müssen die Länder mitarbeiten. Ich glaube auch, daß die Länder bereit wären, mitzugehen, wenn die Bundesregierung das für ein wichtiges Thema hielte. Sie haben es beim Multimediagesetz gemerkt. Auch da herrschte in den Ländern zum Teil Dornröschenschlaf. Aber als wir hier in Bonn angefangen haben, das zum Thema zu machen, sind die Länder mitgegangen. Das ist der Vorwurf, den man dieser Regierung machen muß: Statt zu sagen: „Okay, wir könnten hier den Anfang machen", zeigt man auf die Länder - das haben Sie, Herr Päselt, eben auch gemacht - und sagt, die sollten mal etwas tun.
Ein Bereich, für den wir aber die Federführung haben und in dem wir wirklich Durchbrüche schaffen könnten, ist der gesamte Bereich der beruflichen Ausbildung. Hier wird immer wieder gesagt, Ausbildungsgänge seien wahnsinnig wichtig und das Umweltthema müsse man unbedingt mit hineinnehmen. Wenn Sie sich die Realität anschauen - die Verkürzung der Ausbildungszeiten ist nur ein Teil dieser Realität -, stellen Sie fest: Die ökologische Frage spielt eine immer geringere Rolle oder spielt keine besonders große Rolle in der Berufsausbildung.
({7})
Wissen Sie, wir haben nun wirklich viele Gespräche mit Vertretern der Berufsschulen geführt. Sie sagen uns: Wenn ihr die Ausbildungszeiten verkürzt, dann wird für solche Themen kein Spielraum mehr sein, dann werden wir unsere klassischen Fachthemen durchziehen müssen. Gerade für ein solches Thema wie den Umweltschutz, das in alle schulischen Fächer integriert werden soll, haben wir dann nicht mehr den Raum. - Ich glaube, vor diesem Hintergrund sollten Sie die Sorgen der Berufsschulen ernst nehmen und hier nicht sagen: Das stimmt nicht.
({8})
Ein weiterer Punkt - dieser fällt mir immer wieder bei der CDU/CSU-Fraktion ein -: Ich glaube, daß gerade Umweltbildung ein Thema ist, das nicht nur die jüngere Generation betrifft. Eine Menge junger Leute haben sehr von den Fortschritten in den letzten Jahren profitiert. Umweltbildung ist aber - das merke ich vor allem, wenn ich mir die CSU-Fraktion anschaue - ein Thema, das auch die älteren Menschen betrifft, die Leute, die jetzt eigentlich zum lebenslangen Lernen kommen müßten, die sich fortbilden müßten.
Wir haben in den letzten Wochen eine Menge Telefonate zum Thema Ökosteuer geführt. Mir sind dabei zwei Dinge aufgefallen. Zum einen: Die Menschen wissen, daß mit dem ökologischen Umbau eine Menge Probleme und Sorgen verbunden sind. Zum anderen aber glaube ich, daß sie zwar bereit sind, etwas für den Umweltschutz zu tun, inzwischen aber so weit von diesem Thema weggedrängt worden sind, daß auch ihnen in Zukunft wieder klargemacht werden muß, wie groß die Bedeutung ökologischer Fragen für die Zukunft unseres Landes ist.
Zum Abschluß - da will ich Ihnen noch einmal beipflichten -: Die ökologische Modernisierung dieses Landes wird das zentrale Thema des nächsten Jahrtausends sein. Sie haben bewiesen, daß es für
Sie nur noch ein Randthema ist. Wir wollen in den nächsten Monaten unter Beweis stellen, daß es für uns das zentrale Thema ist, an dem wir unsere Politik ausrichten. Davon wird Umweltbildung stark profitieren.
({9})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Guttmacher.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der SPD zum Thema Umweltbildung und ihre Beantwortung durch die Bundesregierung macht zwei Dinge deutlich.
Erstens. In hochentwickelten Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland gibt es mittlerweile ein weitverbreitetes Bewußtsein für die existentielle Notwendigkeit eines nachhaltigen Umgangs mit unseren Lebensgrundlagen.
Zweitens. Umweltbildung ist immer nur eine kleine Teilmenge der gesamten Bildung. Die in der Vergangenheit vom früheren BMBW oder heutigen BMBF durchgeführten Modellversuche oder die in der BLK verabredeten Programme haben sicherlich bei dieser Bewußtseinsbildung mitgewirkt. Im weiteren wurde Umweltbewußtsein auch als Ergebnis von Umweltbildung zum Allgemeingut. Im internationalen Vergleich steht die Bundesrepublik Deutschland relativ gut da, was uns aber nicht davon entbindet, die Möglichkeiten und Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß andere, weniger entwickelte Staaten uns auf diesem Wege folgen können.
Umweltbildung in Deutschland muß aber weitergehen. Nicht durch die Institutionalisierung und curriculare Festschreibung von Inhalten läßt sich die Qualität der Umweltbildung verbessern, sondern nur durch Vermittlung der Grundlagen und der besonderen Aspekte komplexer Systeme.
In der Beantwortung der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zur Umweltbildung wird auf die geförderten Modellversuche und Forschungsvorhaben zur Umweltbildung verwiesen. Die Entfaltung handlungsorientierter, Selbständigkeit fördernder Lehr- und Lernstrukturen hat einen entscheidenden Stellenwert. Im Vordergrund der Bildungsmaßnahmen stehen derzeitig die Betrachtung von Umweltressourcen, Auswirkungen ihrer Übernutzung wie aber auch Maßnahmen zu ihrer Einsparung und Schonung. Mit dieser Fokussierung werden die naturwissenschaftlichen Disziplinen und die Technikwissenschaften zum Zentrum der Umweltbildung erhoben.
Die bisherigen Maßnahmen waren wichtige Impulsgeber für eine „grüne Wende" im Bildungssystem. Da aber die natur- und technikbezogene Orientierung der Umweltbildung allein noch keinen Weg in die nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft bahnt, müssen in verstärktem Maße auch kultur-, sozial-, politik- und wirtschaftswissenschaftliche Disziplinen Berücksichtigung finden. Diese neue Phase
kann auch als kulturelle Wende der Umweltbildung bezeichnet werden. Die Umweltbildung und Umweltforschung bedarf in dieser neuen Phase dringend der Zuarbeit durch die Umweltsoziologie, die Umweltpsychologie und die Umweltkommunikation.
({0})
Die starke Umweltsensibilität unserer Bürger lenkt immer häufiger das Interesse beispielsweise der Medien auf Umweltthemen. Hierbei ist tagtäglich zu beobachten, welche panischen Auswirkungen sich ergeben, wenn sehr hochentwickeltes Umweltbewußtsein in Verbindung mit deutlich weniger entwickelter Fachkenntnis Risiken oder Gefahrenpotentiale bewertet oder diskutiert. Der Unterschied zwischen Dioxan und Dioxin in bezug auf seine Gefährlichkeit ist ähnlich groß wie etwa der zwischen Urin und Uran.
({1})
Dennoch ist es ein leichtes, dem besorgten Verbraucher zu suggerieren, daß er mit dem in seinem Haarwaschmittel enthaltenen Dioxan ein Stück Risiko unter der Dusche hat.
In besonders eindrucksvoller Weise hat die in diesem Monat vom BDI herausgegebene Schrift „Umweltspezifische Hochschulausbildung - Studienangebote und industriell gewerblicher Bedarf" dokumentiert, daß sich die Umweltbildung im Sinne von Umweltausbildung leider zuwenig von den zuvor geschilderten Bedingungen hat leiten lassen. Die Unternehmen halten die Absolventen umweltkompetenter Ingenieur-Studiengänge von allen ökologisch ausgebildeten Akademikern für die geeignetsten, um in ökologisch relevanten Tätigkeitsbereichen zu arbeiten. Alle neumodischen Schwerpunktsetzungen, gesamtheitliche oder integrierte Ansätze, bleiben in ihren Ergebnissen hinter den Erwartungen zurück.
Ich möchte noch auf einen weiteren Aspekt aufmerksam machen. Der Club of Rome hat in den 70er Jahren viel Aufmerksamkeit erlangt mit seiner Feststellung der Grenzen des Wachstums. Aus ökologischer Sicht mag vordergründig ein Zusammenhang zwischen Wachstum und Umweltverbrauch bestehen. Es gibt aber auch einen Zusammenhang zwischen Wachstum und Bildung.
Der Nobelpreis-Aspirant Professor Romer von der Stanford University hat mit seinen Arbeiten über den Zusammenhang zwischen Wissen und Wachstum deutlich gemacht, daß der Verzicht auf Wachstum zu Lasten der Freiheit oder der Gleichheit der Lebensverhältnisse geht. Er stellt fest, daß in den vergangenen Jahrhunderten breite Schichten der Bevölkerung von Freiheit und Wohlstand relativ gleichmäßig profitierten. Dies war nur deshalb möglich, weil die Menschen, vereinfacht gesprochen, wohlhabend werden konnten durch Wachstum und nicht dadurch, daß sie sich auf anderem Weg bereichert haben. Zur Teilhabe an den „Wachstumsgewinnen" oder für deren gerechte Verteilung braucht man Bildung und Weiterbildung.
Ich will mit diesem Beispiel zeigen, daß nicht nur das ökologische System Wald, sondern auch das ökonomische System Welt von einer Komplexität ist, die es im Rahmen einer Bildung zu vermitteln gilt, damit auch die Umwelt als das gesehen wird, was sie ist: unsere Umgebung, unser Umfeld, der Boden, auf dem alles basiert, was wir tun. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Neuhäuser.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kollegin Burchardt hat in ihrem Beitrag deutlich gemacht, welche Defizite bestehen, die Umweltbildung als Querschnittsaufgabe und etwas Ressortübergreifendes zu verstehen. Der Kollege Päselt hat in seinen Ausführungen gesagt, daß Umweltbildung Bestandteil der Umweltpolitik sein muß. Genauso muß sie aber auch Bestandteil der Bildungs-, der Verkehrs-, der Gesundheits-, der Wirtschaftspolitik und aller Politikfelder in dieser Gesellschaft sein; denn es ist notwendig, dies als gesellschaftliches Interesse ressortübergreifend zu verstehen.
({0})
In der 12. Shell-Jugendstudie steht an zweiter Stelle der Zukunftsängste junger Menschen - nach der Arbeitslosigkeit - die Angst vor der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen. Das Gute an dieser Tatsache ist, daß sie von einem wachsenden Problembewußtsein zeugt. Bedenklich erscheint mir jedoch, daß diese Probleme Angste auslösen, aber eben auch eine bestimmte Hilflosigkeit signalisieren. Dabei wäre es doch so wichtig, daß gerade junge Menschen auch Ideen in bezug darauf hätten, wie denn die beängstigenden Entwicklungen in ihrer Stadt, in ihrem Dorf oder dem Land zu stoppen sind. Woran liegt es, daß junge Menschen zwischen 14 und 27 Jahren Angst bei dem Gedanken an ihre Zukunft empfinden, ohne offensichtlich zu wissen, wie ihr zu begegnen ist? Fakt ist, daß gerade junge Menschen - übrigens auch Kinder - ein reges Interesse an Umweltfragen haben. Das zeigt zum Beispiel eine Petition von Greenpeace e. V., Aktion BISS, die von 90 000 Kindern unter 17 Jahren unterzeichnet wurde,
({1})
um von der Bundesregierung zum Beispiel eine Ozonverordnung einzufordern, die die Gesundheit der Kinder wirklich schützt. Wie aber gehen unsere Gesellschaft und die Politik mit diesen Interessen um?
Die herrschenden Eliten in Politik und Wirtschaft lassen auch nicht ansatzweise erkennen, daß sie ernsthaft gewillt sind, von ihren Positionen abzurükken. In diesem Zusammenhang erhält das Wort Nachhaltigkeit den ziemlich bitteren Beigeschmack von „nachhaltig unheilbringend", „nachhaltig zerstörerisch" oder vielleicht auch „nachhaltig zukunftsfeindlich" . Ausgaben für die Umwelt, den Naturschutz und die dazugehörige Bildungsarbeit werden mit dem Hinweis auf die angespannte Haushaltslage und die Sparzwänge immer wieder und allzu leichtfertig in eine unsichere Zukunft verschoben. Dies widerspricht jeder Logik. Was die heutige Generation nicht lernt, wird sie zukünftig auch nicht anwenden können. Die Versäumnisse von heute werden später nicht zu kompensieren sein. So ist Bildung, zumal die Umweltbildung, eine effiziente Investition in die Einsicht, daß nur eine positive Nachhaltigkeit das Überleben dieser Gesellschaft und des Planeten insgesamt sicherzustellen vermag.
Wenn umweltbezogene Bildungs- und Erziehungsarbeit wirksam betrieben werden sollen, geht das nicht zum Nulltarif. Kontinuität und ausreichende Qualifikation bei den damit befaßten Personen ist nun einmal eine Grundvoraussetzung dafür. Es kann also nicht darum gehen, mit rigorosen Streichungen ABM-Stellen zu liquidieren, Projekte zu verkürzen oder ganz abzuwürgen; denn die Umweltbildung findet gerade auch in den neuen Bundesländern in Projekten statt.
({2})
Umweltbildung muß als zukünftige Pflichtaufgabe auf allen Ebenen begriffen und realisiert werden.
({3})
Wer es mit nachhaltiger Entwicklung und den Verpflichtungen aus der Agenda 21 ernst meint, der kann nicht auf die Partner vor Ort verzichten. Diese wollen aus ihrem Selbstverständnis heraus viel für Umweltbildung, Umwelterziehung und auch den Umweltschutz tun. Das Problem ist nicht die mangelnde Initiative, sondern die Rahmenbedingungen, unter denen sie in der Regel keine Chance haben. Hier sind Umdenken und politischer Wille zur Veränderung gefragt. Es sind jetzt in der Debatte Vorschläge gemacht worden, und ich denke, daß in den Ausschüssen entsprechende Beschlüsse gefaßt werden.
Ich möchte noch sagen, daß ich den Punkt im Antrag der Bündnisgrünen sehr begrüße, in dem sie das Schulfach Ökologie einführen wollen. Das hat natürlich unsere volle Unterstützung.
Zum Abschluß meiner heutigen Rede zu diesem Thema sage ich noch einmal: Es ist höchste Zeit zum Handeln.
({4})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Martin Mayer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag und die Große Anfrage der SPD zur Umweltbildung üben wahlkampfbedingt
({0})
Dr. Martin Mayer ({1})
heftige, aber unberechtigte Kritik an der Arbeit der Bundesregierung.
({2})
In Ihrer Rede, Frau Burchardt, kam das ja deutlich zum Ausdruck.
Die Bundesregierung hat in der Antwort auf die Große Anfrage sachlich und, wie ich meine, in richtiger Weise, ihre Erfolge dargestellt. Die Frau Staatssekretärin wird sicher dazu noch einiges sagen.
Dennoch sollten wir eines nicht übersehen: Es gibt eine breite Übereinstimmung im Grundanliegen, mit Natur und Umwelt schonend und pfleglich umzugehen und dieses Anliegen auch in Bildung und Erziehung zu vermitteln. Da gibt es, glaube ich, hier keinen Dissens. Der Begriff der Nachhaltigkeit, der dabei Verwendung findet, ist im übrigen nicht neu. In meiner eigenen landwirtschaftlichen Ausbildung vor rund vier Jahrzehnten war es der oberste Grundsatz, daß die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten oder zu mehren ist. Dieser Grundsatz der Nachhaltigkeit bedeutet, übertragen auf den Umweltschutz allgemein, letztlich, daß Lebenssysteme und Medien in Natur und Umwelt - die Luft, das Wasser - bei der Nutzung so zu behandeln sind, daß sie auf Dauer ihre Leistungsfähigkeit und ihre Lebensfähigkeit behalten.
Einigkeit besteht auch darüber, daß Erziehung und Bildung eine Schlüsselstellung einnehmen, wenn es darum geht, mit der Natur verantwortlich umzugehen. Bei den Mitteln und Wegen gibt es allerdings Unterschiede. Mit dem ungeeigneten Versuch, die Hauptverantwortung für die Umwelterziehung auf den Bund abzuladen, um dann kleinlich daran herumzumäkeln, mißachtet die Opposition ein Grundelement der Bildungspolitik, das Subsidiaritätsprinzip, das dem einzelnen und den kleinen Gemeinschaften vorrangig Verantwortung zumißt. Ein schonender Umgang mit der Natur wird sich nicht deshalb durchsetzen, weil von einer Zentralinstanz große Programme verkündet werden, sondern weil die überwältigende Mehrheit der Bürger in unserem Land von der Notwendigkeit überzeugt ist.
Herr Berninger, warum der Bund für die Vernetzung der Umwelteinrichtungen eine neue Institution schaffen soll,
({3})
ist angesichts des geübten Umgangs all derer, die im Umweltbereich arbeiten, mit dem Internet völlig unerfindlich.
Auch die Umwelterziehung ist in erster Linie eine Aufgabe der Eltern. Viele Eltern werden bestätigen - ich kann das als Vater von vier Kindern tun -, daß zumindest in Bayern - nur dafür kann ich sprechen - in den Kindergärten und in den Schulen Hervorragendes in der Umwelterziehung geleistet wird.
({4})
In den Schulen ist das Lernziel „umweltgerechtes Verhalten" zum selbstverständlichen Bestandteil des Unterrichtes geworden und wird erfolgreich vermittelt. Ich möchte an dieser Stelle dafür allen Erziehern und Lehrern, die sich dafür einsetzen, ein herzliches Wort des Dankes sagen.
Auch die Medien leisten einen erheblichen Beitrag, um in der Umwelterziehung vorwärtszukommen.
Im Gegensatz zu dem umfangreichen Antrag, den die SPD im Bundestag vorgelegt hat, sagt sie in ihrem Wahlprogramm zur Umweltbildung kein einziges Wort. Das ist schon erstaunlich. Es hängt wohl damit zusammen, daß sie dort Nebelkerzen wirft. Sie sagen lediglich: Wir wollen weniger Bürokratie, wir wollen die Steuern senken. Dann bringen Sie hier einen Antrag ein, der letztlich zu mehr Bürokratie, zu neuen Institutionen und zu neuen finanziellen Belastungen führt. Damit erweist die SPD ihrer Glaubwürdigkeit und der Umweltbildung einen schlechten Dienst.
({5})
Als drittes möchte ich noch auf die Forderung der SPD eingehen, die vielfältigen Aktivitäten der Bundesregierung für die Umweltbildung und zugunsten einer nachhaltigen Nutzung der Natur in allen Lebensbereichen sozusagen chemisch rein im Haushalt darzustellen.
({6})
Ich finde, das ist eine unsinnige Forderung. Denn ein sorgsamer Umgang mit der Natur kann ebenso wie viele andere Dinge niemals isoliert betrachtet werden. Vielmehr kann er letztlich nur fächer- und themenübergreifend dargestellt werden.
Der Schutz von Natur und Umwelt ist nur im Rahmen einer Grundsatzhaltung zu verwirklichen, in der sich jeder Bürger seiner Verantwortung für sich selbst und für andere bewußt ist. Diese Verantwortung kann nicht aus zentralistischen Programmen, wie von der Opposition gefordert, sondern letztlich nur aus der Ehrfurcht jedes einzelnen vor dem Leben und vor der Schöpfung erwachsen. Es kommt in der Umweltbildung ja weniger auf das Wissen an als auf das Handeln, und zwar darauf, wie ich selbst handele, nicht darauf, was ich dem anderen vorschreiben möchte.
({7})
Deshalb meine Bitte: Ziehen Sie von der SPD Ihren bürokratischen und kleinmäklerischen Antrag zurück, und lassen Sie uns statt dessen gemeinsam für eine Umweltbildung eintreten, die dem Grundsatz der Subsidiarität entspricht, die von den Bürgern angenommen wird, statt von oben gesteuert wird, und die deshalb erfolgreich ist, weil sie ein Anliegen der Bürger selbst ist!
({8})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Eckart Kuhlwein.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schade, Herr Kollege Mayer, aber es ist schon ein Ausdruck von besonderer Schlichtheit, wenn Sie unseren Antrag und die heutige Debatte für Wahlkampf halten. Ich hatte Sie seriöser eingeschätzt und eigentlich auch seriöse Beiträge von Ihrer Seite erwartet. Selbst Ihre eigene Bayerische Staatsregierung ist, was diese Themen angeht, weiter. Wir haben neulich eine Veranstaltung in Ihrer Landesvertretung genießen dürfen, wo sich zeigte, daß dort zumindest eine ganze Menge Problembewußtsein vorhanden ist.
Für meine vermutlich letzte Rede nach sechs Legislaturperioden im Deutschen Bundestag habe ich mir ein Thema aussuchen dürfen, das mich in diesem Haus viele Jahre lang beschäftigt hat, als Bildungspolitiker in verschiedenen Funktionen, dann als Umweltpolitiker und zuletzt als Haushälter, nämlich das Thema: Wie können die Menschen dafür gewonnen und befähigt werden, für sich und für nachfolgende Generationen aktiv eine lebenswerte Zukunft zu gestalten?
Im Minderheitsbericht der Enquete-Kommission „Bildung 2000" des Bundestages, die ich in der 11. Wahlperiode leiten durfte, haben wir 1990 der Bildung die überragende Bedeutung für ökologisch bewußtes Leben und Arbeiten zugeschrieben. Wir verlangen dort Lernprozesse, die Umweltbewußtsein, Umweltethik und Wahrnehmungsfähigkeit fördern sollen, und die Bereitschaft, ökologisches Wissen und umweltrelevante Fähigkeiten auch einzusetzen. Im Einleitungskapitel des Berichts heißt es wörtlich:
Was wäre es für ein Ziel, wenn in jungen Menschen die Bereitschaft und die Fähigkeit gestärkt würde, für die eine Welt verantwortlich zu handeln und der Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit entgegenzuwirken und so die Auslöschung der Welt durch falsch verstandenen Fortschritt zu verhindern!
Meine Damen und Herren, das müßte auch heute noch ein Ziel von Bildung und Ausbildung sein.
({0})
1992 habe ich gemeinsam mit der Kollegin Ulrike Mehl in diesem Haus einen Antrag „Umweltbildung und Umweltwissenschaften" eingebracht, der ein mit den Ländern abgestimmtes Programm zur Verankerung der Umweltbildung in allen Bildungsbereichen und die Verabschiedung eines „Gesamtkonzepts Umweltbildung" der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung gefordert hat. Seitdem gibt es das Thema Umweltbildung trotz der begrenzten Kompetenzen im Bundestag. Und, Herr Kollege Päselt, bei aller Begrenztheit der bundespolitischen Kompetenzen: Etwas mehr Engagement der Bundesregierung in Wahrnehmung
ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung hätten wir auch in diesem Bereich erwarten dürfen.
({1})
Die Bedeutung, die die Bundesregierung diesem Thema beimißt, zeigt sich ja auch darin, daß weder Herr Rüttgers noch Frau Merkel an dieser Debatte teilnimmt. Nun weiß ich ja als früherer Parlamentarischer Staatssekretär, der ich vorübergehend war, wie sehr Parlamentarische Staatssekretäre es begrüßen, wenn sie hier auch mal ihre Häuser vertreten dürfen. Aber ich erinnere mich auch daran: Wenn zu unserer Zeit ein Thema wirklich wichtig war, dann war es Chefsache. - Der Umkehrschluß ist wohl berechtigt.
({2})
1994 haben wir kurz vor dem Ende der Legislaturperiode im Bundestag einstimmig beschlossen, daß die verschiedenen politischen Initiativen zu einer verstärkten Umweltbildung „jetzt weiterentwickelt, gebündelt und schrittweise umgesetzt werden" müßten.
Vier Jahre später steht das Thema nun wieder auf der Tagesordnung. Und die Antworten der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage und im Bericht bestätigen, daß trotz des in der Zwischenzeit gewachsenen Problembewußtseins unsere Feststellung von damals noch immer gilt:
Bildung und Wissenschaft sind heute trotz einer Reihe positiver Aktivitäten in Ausbildungsbetrieben, Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen noch immer unzureichend auf die globalen ökologischen Herausforderungen vorbereitet ...
Weil es meine letzte Rede in diesem Hohen Hause sein wird, darf ich mir vielleicht auch einige grundsätzliche Überlegungen erlauben. Seit dem Erdgipfel in Rio 1992 sprechen Umweltpolitiker in allen Ländern von der nachhaltigen oder dauerhaft umweltverträglichen Entwicklung und dem Beginn einer neuen globalen Partnerschaft. „Die Menschheit steht an einem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte", heißt es in der Präambel der Agenda 21, dem Handlungsprogramm von mehr als 170 Unterzeichnerstaaten für das nächste Jahrhundert. Dort heißt es weiter wörtlich:
Wir erleben eine zunehmende Ungleichheit zwischen Völkern und innerhalb von Völkern, eine immer größere Armut, immer mehr Hunger, Krankheit und Analphabetentum sowie eine fortschreitende Zerstörung der Ökosysteme, von denen unser Wohlergehen abhängt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe bewußt gesagt: Davon sprechen Umweltpolitiker und natürlich auch viele Bildungsexperten. Aber dann hört das meistens auch schon auf. In Regierungserklärungen ist von Nachhaltigkeit selten die Rede, höchstens als
Ausdruck der Hoffnung auf nachhaltiges Wachstum zum Beispiel der Steuereinnahmen.
({3})
Die alles entscheidende Frage wird nicht gestellt, nämlich die Frage, wie unser am Wachstum orientiertes Wirtschaften garantieren kann, daß kommende Generationen auf diesem Globus die gleichen Lebenschancen haben wie wir, die Frage, ob unser Wohlstandsmodell dauerhaft funktionieren kann und ob es gleichzeitig noch auf Südostasien und auf andere Regionen der Welt übertragen werden kann. Die Frage der Agenda 21 nach der Notwendigkeit neuer Wertorientierungen und neuer nachhaltiger Lebensstile und Wirtschaftsformen wird in den Regierungserklärungen weder gestellt noch beantwortet.
Ein aktuelles Beispiel für unseren kollektiven Verdrängungsprozeß ist der spektakuläre Streit um den Benzinpreis von fünf Mark. Natürlich ist die Frage an die Grünen berechtigt, ob jetzt Schocktherapie an die Stelle von Umweltbildung treten soll.
({4})
- Genau, Kollege Catenhusen.
Aber daß die Union alle eigenen Erkenntnisse ganz schnell vergißt, um wahltaktische Vorteile zu gewinnen, das ist nicht nur unaufrichtig, das straft alle offiziellen Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit Lügen.
({5})
Da muß man ja beinahe Frau Merkel und Herrn Schäuble danken, daß sie sich nicht auch die Tankpistole an den Kopf gesetzt und ökologischen Selbstmord gemacht haben.
({6})
Herr Kollege Kuhlwein, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich gestatte gern eine Zwischenfrage, insbesondere wenn sie vom Kollegen Koppelin kommt.
Herr Kollege Kuhlwein, da Sie ja nun Beispiele bringen und wir über die Umweltbildung diskutieren: Teilen Sie meine Auffassung, daß man natürlich gerade in dem Bereich von Beispielen leben kann? Sie haben ein Beispiel genannt. Ich will einmal drei andere kurze Beispiele nennen: Zum Beispiel fliegt der Umweltminister des Landes Schleswig-Holstein, der ja den Grünen angehört, mit dem Hubschrauber zu einer Nordseeinsel, obwohl dort Flugverbot besteht. Oder er stimmt im Kabinett morgens für den Bau der A 20, um wenige
Stunden später mit dem Dienstwagen zur Demo zu fahren, die natürlich dagegen ist.
({0})
Oder: Im rot-grünen Koalitionsvertrag aus Schleswig-Holstein wollen Sie eine bestimmte Entensorte schützen, nämlich die Eiderenten, weil sie, wie Sie schreiben, auf Muschelbänken leben sollen, obwohl diese Enten dort partout nicht hinwollen. - Das sind schöne Beispiele, die man bezüglich der Umweltbildung nennen kann.
Herr Kollege Koppelin, alle Ihre Einlassungen machen nur eines deutlich: daß Sie auf Biegen und Brechen mit der F.D.P. in die schleswig-holsteinische Landesregierung wollen.
({0})
Meine Damen und Herren, unabhängig vom Wahlkampf bleibt es doch Tatsache, daß bei uns die Energiekosten zu niedrig und die Arbeitskosten zu hoch sind. Diese Tatsache können auch der CDU-Generalsekretär oder die bayerische CSU nicht außer Kraft setzen. Erst in dieser Woche hat der europäische Unternehmerrat für eine nachhaltige Energiezukunft gerade die deutsche Politik aufgefordert, vorausschauend und mutig das Steuer- und Subventionssystem nach ökologischen Gesichtspunkten zu modernisieren. Ich hoffe, daß die Frage der ökologischen Steuerreform nicht durch den handwerklich nicht sehr geschickten Vorstoß der Grünen und Ihre nicht besonders erfreuliche Perspektive nachhaltig bestätigt worden ist.
({1})
Dabei ist die Frage nach den Energiekosten und der ökologischen Steuerreform nur ein Aspekt der notwendigen ökologischen Wende. Diese Wende muß nicht nur in den politischen Rahmenbedingungen und in den Strukturen, sie muß auch in den Köpfen stattfinden. Wie es in Kapitel 4 der Agenda 21 heißt, brauchen wir eine Veränderung der Konsumgewohnheiten. Wir brauchen politische Angebote für die ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft, und wir müssen dafür um Mehrheiten werben.
Umweltbildung versucht auf diese Weise nicht nur die Veränderung individuellen Verhaltens - Herr Kollege Mayer, das wäre zuwenig -, sie wird zugleich zur politischen Bildung.
({2})
Wie es gute politische Bildung tun sollte, aktiviert sie Bürgerinnen und Bürger, ihre demokratischen Beteiligungsrechte wahrzunehmen und in Bürgerinitiativen, in Umwelt- und Naturschutzverbänden,
({3})
in gesellschaftlichen Organisationen und nicht zuletzt - das wünschen wir uns alle - in den politischen Parteien mitzumachen. Auch die These, die ich eben vorgetragen habe, ist in diesem Parlament schon 1994 gemeinsam aufgeschrieben worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehöre jetzt fast 22 Jahre dem Bundestag an. Ich habe mich bemüht, für Chancengleichheit im Bildungssystem, für die Förderung der Schwächeren, für mehr Freiheit und Solidarität zu arbeiten. Ich habe immer auf der Seite derjenigen gestanden, die Wirtschaft und Gesellschaft in die Richtung einer nachhaltigen Entwicklung umsteuern wollten. Ich habe deshalb für BAföG und Ausbildungsplätze und gegen unsinnige Großprojekte und gegen zerstörerischen Umgang mit der Natur gekämpft. Ich war immer ungeduldig; aber ich habe in den Jahren gelernt, daß „der Fortschritt eine Schnecke" ist, wie Günter Grass es formuliert hat. Ich habe erfahren dürfen, daß auch Schnecken sich bewegen. Das sage ich an die Adresse derjenigen, die als sogenannte Politikverdrossene an den Institutionen unserer Demokratie verzweifeln wollen.
Ich möchte zitieren, was der amerikanische Vizepräsident Al Gore 1992 in seinem „Marshall-Plan für die Erde" am Schluß schreibt, obwohl auch er das nicht alles umgesetzt hat
({4})
- das ist gut, Herr Kollege Hirche -, weil er viel zuviel Konzessionen an mächtige Wirtschaftsverbände in seinem Land gemacht hat, wie es in unserem Land die übliche Art vor allem der Freien Demokraten ist, solche Rücksichten zu nehmen.
({5})
Al Gore also als F.D.P.- und Hirche-Epigone! Ich zitiere ihn trotzdem, weil das, was er 1992, als er noch nicht im Amt und Würden war, formuliert hat, nach wie vor richtig bleibt:
Die Entscheidung liegt bei uns; auf dem Spiel steht die Erde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche mir vom nächsten Deutschen Bundestag die richtigen Entscheidungen.
({6})
Lieber Herr Kollege Kuhlwein, wenn das wirklich Ihre letzte Rede im Deutschen Bundestag war, was ich gar nicht glauben mag, dann möchte ich mich bei Ihnen im Namen des ganzen Hauses und auch im Namen der Menschen, die Sie gewählt haben und die Sie hier gut vertreten haben, herzlich für Ihre Rede und für die ganze Arbeit bedanken und Ihnen sagen, daß Sie uns fehlen werden.
({0})
Das Wort hat jetzt die Staatssekretärin Wülfing.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich den Worten der Frau Präsidentin anschließen. Abgeordnete, die sich gerade für das Thema Umwelt interessieren und sehr dafür einsetzen, haben auch dafür gesorgt, daß das Thema Umweltbildung diskutiert und für wichtig gehalten wird.
Was das Thema Umwelt angeht, stehen wir in Deutschland so schlecht nicht da. Wenn es denn bei uns mit der Umwelt so schlecht bestellt wäre, wieso sind wir dann eigentlich bei den Exporten von Umwelttechnik inzwischen vor den USA wieder die Nummer eins auf der Welt?
({0})
Das, was Frau Burchardt und Herr Berninger hier gesagt haben, hat sicherlich seine Berechtigung, wenn man sich nur auf die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage bezieht und nicht darüber hinaus einmal betrachtet, was seitdem noch alles passiert ist. Herr Päselt hat ja recht: Es ist eine ganze Menge passiert. Ich habe ein bißchen den Eindruck, daß Sie unsere Antwort auf die Große Anfrage nicht richtig gelesen haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Umweltbildung ist für uns ein unverzichtbarer Bestandteil einer vorsorgenden Politik zum Schutz von Natur und Umwelt. Dies ist in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage noch einmal betont worden. Darüber besteht Einigkeit. Ich glaube, in diesem Punkt sind wir nicht weit auseinander. Umweltbildung ist heute ebenso Bestandteil der Allgemein- nd Berufsbildung wie der außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung - dank engagierter Lehrer, engagierter Eltern und auch engagierter Erzieher. In klassischen Bildungseinrichtungen, in Verbänden, in Vereinen und in der Familie ist Umweltbildung heute Teil des täglichen Lebens.
Es ist schon so - das hat auch Herr Berninger zugegeben -, daß sich die Bundesregierung diesem Thema sehr frühzeitig gewidmet hat und zahlreiche Forschungsaktivitäten durchgeführt hat. Wenn Sie, Herr Berninger, den Bildungsminister schon nicht loben, dann hätten Sie doch wenigstens einmal den Forschungsminister loben können.
({1})
Ich denke, die Bundesregierung hat sich seit Rio von Anfang an die Agenda 21, vor allem das Kapitel 36, zu eigen gemacht. Sie zielt seit Jahren mit ihrer Politik auf die Umsetzung der Umweltbildung durch entsprechende Maßnahmen. Die Bundesregierung hat seit vielen Jahren Umweltbildung gefördert, wie beispielsweise: die Förderung von BLK-Modellversuchen zum Thema „Lebensraum Erde"; die Unterstützung der Clearingstelle Umweltbildung beim Deutschen Institut für Erwachsenenbildung in Frankfurt; verschiedene Gutachten des BUND zum Thema „Zukunftsfähiges Deutschland - Ein Beitrag zur globalen nachhaltigen Entwicklung - Umsetzung im Bildungsbereich" ; die Analyse von Umweltstudiengängen im
Ingenieurbereich; die Förderung des OECD-Projektes „Environment and School Initiatives".
Des weiteren hat sich die Bundesregierung lange vor Rio für die Umweltbildung im beruflichen Ausbildungsbereich eingesetzt. Es ist nämlich nicht richtig, Frau Burchardt und Herr Berninger, daß es in den Ausbildungsordnungen keine Vorschriften zur Umweltbildung gibt. Bereits seit Mitte der 80er Jahre ist der Umweltschutz in den Ausbildungsordnungen berücksichtigt. Im April 1997 hat sich die Bundesregierung mit den Sozialpartnern und den Ländern darauf verständigt, einen einheitlichen Mindeststandard bei der Umweltbildung für alle Ausbildungsberufe zu gewährleisten.
Wir haben bei den Ausbildungsberufen - das gibt ja sogar die SPD zu - seit 1995 einen außerordentlichen Modernisierungsschub. Bei der Modernisierung bestehender und der Schaffung neuer Berufe wird der Umweltschutz über die genannten Mindestlernziele hinaus dann berücksichtigt, wenn es in fachlicher Hinsicht erforderlich ist.
Die Entwicklung in der beruflichen Bildung wurde und wird durch eine breite Palette von Modellversuchen flankiert, die von der Umweltbildung für benachteiligte Jugendliche bis zur Qualifizierung des Bildungspersonals reicht. Als Beispiele möchte ich hier nennen:
Gezielte Förderung der beruflichen Umweltbildung in den neuen Ländern. Vom Bundesinstitut für Berufsbildung wird ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Umweltgerechte Berufsausbildung in den neuen Bundesländern - Maßnahmen zur Förderung der Qualität beruflicher Umweltbildung" mit einer Laufzeit von 1995 bis Februar 1999 durchgeführt.
Projekt zur Entwicklung und Erprobung von Qualifizierungsmaßnahmen für eine erfolgreiche Implementation von Umweltmanagementsystemen in Handwerksbetrieben in Düsseldorf und Oberhausen mit einer Laufzeit von 1996 bis Dezember 1999.
Modellversuch in Berlin, der sich auf einen großen metallgewerblichen Berufsbereich im Handwerk bezieht. Am Beispiel der versorgungstechnischen Ausbildungsberufe werden umweltrelevante Unterrichtsziele in Lernfeldern gebündelt und fachübergreifend Unterrichtsvorhaben entwickelt und erprobt, die umweltgerechtes berufliches Handeln fördern. Dieser Modellversuch hat eine Laufzeit von 1995 bis Mitte 1998.
Aktuellstes Beispiel ist der aus BMBF-Mitteln geförderte ökologisch orientierte Neubau einer überbetrieblichen Ausbildungsstätte für das Baugewerbe in Cottbus. Hierdurch soll der Umweltschutz erlebbar und für Ausbildungszwecke nutzbar gemacht werden.
Die Bundesregierung hat also viel für die Umweltbildung getan.
Aber - das hat Herr Päselt sehr richtig gesagt - Bildung und vor allen Dingen Umweltbildung sind vor allem Ländersache. Auch diese, meine ich, sind dazu aufgefordert, hier einiges zu leisten. Zum Teil, wird es ja auch in den Schulen geleistet.
Die Bundesregierung hat ja - auch das wissen Sie - schon 1989 darauf gedrängt, daß ein Konzept zur Umweltbildung in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung eingebracht wird. Auch der Deutsche Bundestag hat sich - das ist eben gesagt worden - für einen schnellen Abschluß sehr eingesetzt.
Die Einigung Deutschlands hat die Prioritäten in der BLK zunächst verschoben. Das ist wohl wahr. Inzwischen liegt aber, auch auf Drängen unseres Hauses, das Konzept der BLK mit dem Titel „Orientierungsrahmen - Bildung für eine nachhaltige Entwicklung " zur Umweltbildung vor.
({2})
Es hat, bevor dieses Konzept entwickelt werden konnte, natürlich einiges an Vorarbeiten geben müssen. Denn die Spannweite des Begriffs „nachhaltige Entwicklung" ist ja besonders groß. Da gibt es kein Einheitskonzept. Es war deshalb für unser Haus wichtig, den Begriff der nachhaltigen Entwicklung für den Bildungsbereich etwas greifbarer zu machen, um hier konkrete Programme und Standards abzuleiten.
({3})
Um zu sachgerechten Lösungen zu kommen, hat die Bundesregierung ein Gutachten des Instituts für Pädagogik der Naturwissenschaften, des sogenannten IPN, in Kiel in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse dieses Gutachtens sind in das BLK-Konzept zur Umweltbildung eingeflossen.
Das BLK-Konzept „Orientierungsrahmen - Bildung für eine nachhaltige Entwicklung" hat inzwischen die Projektgruppe Innovationen der BLK passiert und wird am 30. April im Ausschuß Bildungsplanung der BLK beraten.
Ich begrüße es außerordentlich, daß jetzt ein klarer Orientierungsrahmen für die weitere Förderung der Umweltbildung vorliegt. Ich meine, daß es wichtig ist, die sechs Empfehlungen hier noch einmal zu nennen, nämlich: erstens die Vernetzung bestehender Clearingstellen, zweitens die Einrichtung von Modellregionen, drittens die Durchführung eines BLK-
Programms zur „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung", viertens die Veröffentlichung guter Praxisbeispiele, fünftens die Durchführung von Kongressen, sechstens der Bericht der BLK an die Regierungschefs über die Umsetzung dieser Maßnahmen.
Einen besonderen Stellenwert, finde ich, hat die dritte Empfehlung, nämlich ein BLK-Programm zur „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung" durchzuführen.
Bund und Länder haben ab 1998 die BLK-Einzelmodellversuchsförderung auf eine Programmförderung umgestellt. Das ist ja genau das, was auch Sie selbst empfohlen haben, Herr Berninger und Frau Burchardt. Wenn Sie das jetzt nicht hören wollen, ist das Ihr Bier, nicht meins.
({4})
- Ob Sie das spannend finden oder nicht, ist mir relativ egal. Das, was Sie in Ihren Anträgen gefordert haben, machen wir längst. Insofern ist es für Sie vielleicht auch ganz spannend, das zu hören.
({5})
Wir brauchen eine solche Programmentwicklung. Das ist völlig richtig. Wir sind zur Zeit dabei, diese mit den Ländern zusammen zu erstellen. Wir sind dabei, die Länder davon zu überzeugen, daß die Bündelung der finanziellen Ressourcen richtig ist. Wir wollen für dieses Programm in den nächsten fünf Jahren immerhin 25 Millionen DM ausgeben. Das ist ja nicht geringzuschätzen.
Wenn Herr Berninger versucht, Multimedia gegen Umweltbildung auszuspielen, dann kann ich dazu nur sagen: Man muß beides im Blick haben. Man muß das eine tun und darf das andere nicht lassen. Wenn wir hier nicht über Multimedia reden würden, dann würden wir ganz sicherlich einen sehr wichtigen Wirtschaftszweig, der zum Teil auch zur Umweltbildung beiträgt, vernachlässigen. Ich meine, das kann es ja wohl nicht sein.
({6})
Ich denke, es ist wichtig, darzustellen, daß seit der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zusätzlich einiges passiert ist. Was Sie in Ihren Anträgen fordern, ist von der Bundesregierung inzwischen längst auf den Weg gebracht. Das Programm wird eine von Ihnen geforderte Vernetzung und eine Bündelung der Finanzen bringen.
Ich glaube, da sind wir alle gemeinsam auf dem richtigen Weg, die Umweltbildung zu etwas zu machen, was in den Schulen, in den Kindergärten, in den Familien, in den Ausbildungsordnungen, in der Wirtschaft wirklich eine wichtige Rolle spielt. Das ist unser gemeinsames Anliegen.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10471 zu überweisen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Sind Sie damit einverstanden ? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/10225 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Bei diesem Punkt soll die Federführung beim Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit liegen. Einverstanden? - So ist es.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({0})
- zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen
Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1994
- Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes ({1}) - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bemerkungen des Bundesrechnungshofs 1996 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung ({2})
- Drucksachen 13/3437, 13/5700, 13/6153 Nr. 1, 13/9799-
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Pützhofen Jürgen Koppelin
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Mir ist aber mitgeteilt worden, daß alle Redner für diese Debatte ihre Beiträge zu Protokoll geben*). Kann ich davon ausgehen, daß das Haus damit einverstanden ist? - Das ist so. Dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesfinanzministeriums zur Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1994 und zu den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1996. Das ist die Drucksache 13/9799. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Andrea Fischer ({3}), Werner Schulz ({4}), Marieluise Beck ({5}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Soziale Dienste und geplanter ABM-Abbau in den neuen Bundesländern
- Drucksachen 13/5795, 13/8237 -
Es liegt dazu ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Auch hier war nach einer interfraktionellen Vereinbarung für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre, daß auch hier die Beiträge sämtlich zu Protokoll gegeben werden sollen **). Sind Sie damit einverstanden? - Das freut mich. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache.
*) Anlage 5 **) Anlage 6
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/10472. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der PDS abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8a und 8 b auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christa Luft, Wolfgang Bierstedt, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Für eine wirtschaftliche und ökologische Alternative in den neuen Bundesländern
- Drucksachen 13/7519, 13/8580 -
Berichterstattung: Abgeordnete Sabine Kaspereit
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({7})
- zu dem Antrag der Gruppe der PDS
Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften aus zusätzlichen Versorgungen der DDR in einem spezifischen Versorgungsystem
- zu dem Antrag der Gruppe der PDS
Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften aus den Systemen der Altersversorgung der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post der DDR
- zu dem Antrag der Gruppe der PDS
Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften auf Renten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheits- und Sozialwesens der DDR
- zu dem Antrag der Gruppe der PDS
Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften auf berufsbezogene Zuwendungen von Ballettmitgliedern aus der DDR
- Drucksachen 13/7118, 13/7119 13/7536, 13/8463, 13/9448 Berichterstattung: Abgeordneter Uwe Lühr
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten haben soll. - Ich höre keinen Widerspruch, dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Petra Bläss, PDS.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute abend liegen dem Hause fünf Anträge der PDS zu Problemen in den neuen Bundesländern zur Abstimmung vor. Obwohl sie alle aus dem Jahre 1997 stammen, zeigt die nüchterne Bilanz: Die Probleme sind weiterhin aktuell und unerledigt.
Nun haben auch fast alle anderen Parteien Aufbau bzw. Interessenvertretung Ost auf die Fahnen des Wahlkampfes geschrieben bzw. zur Chefsache erklärt. Da wird es schwer erklärbar, warum Sie heute, wie zu erwarten, nicht unseren Forderungen zustimmen werden.
Was stört Sie im Antrag der PDS „Für eine wirtschaftliche und ökologische Alternative in den neuen Bundesländern" an solchen Forderungen wie dem Auf- und Ausbau regionaler Wirtschaftsstrukturen zwecks Erhaltung bestehender Arbeitsplätze und Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten, damit regionale Ressourcen genutzt und Transporte vermieden werden, oder der unverzüglichen Reform der Wirtschaftsförderung mit dem Ziel konsequenter Beschäftigungsorientierung oder der Stärkung der Finanzkraft der Kommunen, damit sie als öffentliche Auftraggeber und Investitionsträger spürbare Beschäftigungsimpulse auslösen können, oder an der Forderung, die Bildungsmisere oder den Ausbildungsnotstand zu überwinden?
Wie wichtig unsere fünf Forderungen nach neuen Wegen für eine sichere Bodenpolitik waren, zeigen die jüngsten Angriffe auf die Bodenreform. Wir fordern unmißverständlich Eigentumsbildung und Eigentumssicherung in Ostdeutschland statt fortgesetzter Enteignung der Ostdeutschen.
({0})
Ihre neuerlichen Bekundungen, sich für Ostinteressen stark zu machen, bleiben halbherzig. Trotz wohlklingender Absichtserklärungen, die innere Einheit zu vollenden, fehlt völlig der Wille, die zusätzlichen Ansprüche auf Altersruhegelder aus der DDR wahren zu wollen. Sie können doch nicht ernsthaft als Privilegien diskreditieren, daß für Angehörige der wissenschaftlichen, medizinischen, technischen und künstlerischen Intelligenz, Pädagoginnen und Pädagogen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Behörden und aus dem gesellschaftlichen Bereich, für Angehörige von Polizei, Armee, Zoll, der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post, für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheits- und Sozialwesens und nicht zuletzt für Ballettmitglieder in der DDR ähnlich strukturierte zusätzliche oder besondere Versorgungen existierten wie in der AltBundesrepublik.
Diese Ansprüche jetzt nicht anzuerkennen und die Altersgefährtinnen und -gefährten Ost bei einem Drittel bis zur Hälfte der Bezüge gleicher oder ähnlicher Berufsgruppen West sitzenzulassen heißt eben, die innere Einheit nicht vollenden zu wollen.
({1})
Eins steht fest: Betroffene, Verbände und Seniorenvertretungen in Gewerkschaften werden diese ProPetra Bläss
blematik zu einem Prüfstein für die kommenden Wahlen machen. Wie wollen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, da bestehen, wenn Sie heute zu den Anträgen der PDS, ein spezielles befristetes Versorgungssystem sui generis zu schaffen, nein sagen? Ist es nicht verlogen, wenn sich Ostabgeordnete aller anderen Parteien parteiübergreifend mit Vertreterinnen und Vertretern der Eisenbahnergewerkschaft zusammensetzen, beteuern, sich um die Probleme zu kümmern, und dann heute, dem Fraktionszwang folgend, zu den konkreten PDS-Vorschlägen nein sagen?
({2})
Wo bleiben dann wenigstens Ihre Aktivitäten, für berentete Eisenbahnerinnen und Eisenbahner Ost eine Verordnung auf den Weg zu bringen? Wo bleibt Ihre Interessenvertretung Ost?
({3})
- Sie können gerne eine Zwischenfrage stellen. Dann hätte ich ein bißchen mehr Redezeit.
({4})
Bei allem müssen wir bedenken, daß es sich zum Teil um hochbetagte Menschen handelt, die von diesem Unrecht betroffen sind. Frau Kollegin Fischer, da Sie immer wieder sagen, hier gehe es nur um „Stasirenten", möchte ich entgegnen: Sie wissen als Rentenexpertin ganz genau, daß dieser Kampfbegriff absolut unangemessen ist, wenn es um berechtigte Anwartschaften geht. Außerdem geht es hier tatsächlich um einen weit größeren Betroffenenkreis.
({5})
Der wird Ihnen sicher bei den kommenden Wahlen die entsprechende Quittung geben, wenn Sie ihn so mit dem Begriff „Privilegierte" diskreditieren.
({6})
Für die PDS ist und bleibt es eine Selbstverständlichkeit, die Festlegungen des Einigungsprozesses einzufordern. Wir werden es nicht zulassen, daß in der DDR gelebtes Leben weiter entwertet und diskriminiert wird.
({7})
Die PDS verpflichtet sich in ihrem Wahlprogramm, beim verbliebenen Rentenstrafrecht, den vielen Überführungslücken und dem Versorgungsunrecht nicht lockerzulassen. Mit unserem Rostocker Manifest haben wir ein Gesamtprojekt für einen zukunftsfähigen Osten in einer gerechten Republik vorgelegt.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können sich darauf verlassen, daß wir auch im nächsten Bundestag diese Forderungen wieder stellen und Sie damit konfrontieren werden.
({9})
Das Wort hat der Kollege Manfred Grund, CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Antrag der Gruppe der PDS zur Schaffung eines spezifischen Versorgungssystems, um die Ansprüche und Anwartschaften aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen der DDR zu regeln, wird unsere Verfassung, das Grundgesetz, bemüht. Bei der PDS heißt es:
Es ist ein Verfassungsgebot ({0}), gesetzlich zugesicherte, rechtmäßig erworbene und auch mit der Einheit anerkannte Ansprüche nicht erlöschen zu lassen, sondern Vertrauensschutz und Besitzstände zu wahren.
Man sollte vorgewarnt sein, wenn die PDS das Grundgesetz bemüht.
({1})
Denn in Ihrem Parteiprogramm rufen Sie zu nicht mehr, aber auch zu nicht weniger als zur Überwindung der rechtsstaatlichen Ordnung in diesem Lande auf.
({2})
Die PDS bemüht das Grundgesetz, um eine Ungleichheits- und Neiddebatte zu entfachen. Da werden Versorgungsansprüche Ost und West wie Äpfel und Birnen verglichen.
Im Antrag heißt es dazu:
Die Versorgungsberechtigten in den neuen Bundesländern erhalten derzeit nur die gesetzliche Rente und nicht, wie ihre vergleichbaren Berufskollegen im Altbundesgebiet, eine Gesamtversorgung ({3}) oder Pension. Der größte Teil der Versorgungsansprüche wird nicht überführt und daher nicht leistungswirksam.
Es wird noch verrückter, meine Damen und Herren. Um diese Ungerechtigkeit mit Zahlen und Daten zu untersetzen, wird im Antrag der PDS beispielhaft vorgerechnet, daß ein Major der DDR nach 40 Dienstjahren als SGB-VI-Rente lediglich 2500 DM erhält, während der Major im Westen 5081 DM erhält. Daraus abgeleitet wird im Antrag gefordert, die Majorrente Ost um mindestens 1000 DM zu erhöhen.
Herr Kollege Grund, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bläss?
({0})
Nein, ich möchte zu Ende ausführen.
({0})
Um die Redezeit günstig zu gestalten, besteht noch die Möglichkeit der Kurzintervention.
Genau in der Größenordnung von zirka 1000 DM, um die Sie die Renten aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen aufstocken wollen, bewegen sich die Renten für Frauen in den alten Bundesländern. Übrigens soll dieses neue Versorgungssystem den Steuerzahler die Kleinigkeit von 1,3 Milliarden DM jährlich kosten, ohne daß Sie sagen, woher dieses Geld genommen werden soll.
Meine Damen und Herren von der PDS, Ihre Anträge sind nicht von dieser Welt.
({1})
Es geht Ihnen auch nicht um die Interessen von Reichsbahnern, Postlern oder Ballettänzerinnen. Es geht Ihnen darum, Neid und Unzufriedenheit in diesem Lande zu schüren und die innere Einheit nicht zum Tragen kommen zu lassen.
({2})
Sie tragen eine Spaltung in diese Gesellschaft. PDS - Partei der Spaltpilze.
({3})
Niemand von Ihnen, meine Damen und Herren, sitzt seines schönen Namens wegen im Deutschen Bundestag. Sie sind von den Genossinnen und Genossen der PDS losgeschickt worden, und die rekrutiert sich zu fast 100 Prozent aus ehemaligen Mitgliedern der SED.
({4})
Meine Damen und Herren von der PDS, genau diese SED hat die Versorgungsansprüche und -anwartschaften von Postlern und Reichsbahnern in den 50er und 60er Jahren entwertet und auf Null gesetzt.
({5})
Nehmen wir das Beispiel der Deutschen Reichsbahn; es ist hier angesprochen worden. Ansprüche und Anwartschaften der deutschen Eisenbahner auf eine erhöhte Altersversorgung sind historisch begründet, und zwar durch die erhöhte Altersversorgung für nicht beamtete Eisenbahner aus dem Jahre 1944. Während in der alten Bundesrepublik die persönlichen Beitragsleistungen vom Arbeitgeber Deutsche Bundesbahn übernommen worden sind, sind in der Sowjetischen Besatzungszone und dann in der DDR Ansprüche und Anwartschaften aus der Altersversorgung der alten und weitergeführten Deutschen Reichsbahn enteignet worden. Die Enteignung haben nicht wir durchgeführt, die haben Sie durchgeführt.
({6})
Erst 1956 wurde mit der Wiedereinführung der Altersversorgung der Deutschen Reichsbahn in der DDR an die Tradition angeknüpft. Wer sich mit der Thematik beschäftigt - das haben alle Parteien in
diesem Hause getan -, weiß, daß bei der Überführung der Altersversorgung der Deutschen Reichsbahn eine Regelungslücke entstanden ist, die geschlossen werden sollte.
({7})
Die dafür notwendige Finanzierung kann allerdings nicht im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung aufgebracht werden, sondern sollte analog den Versorgungsregelungen der Deutschen Bundesbahn aus dem Bundeseisenbahnvermögen erfolgen.
({8})
Dies wird auch von den Reichsbahnern so gesehen, mit denen alle demokratischen Parteien dieses Hauses Gespräche geführt haben.
({9})
Realistischerweise wird es in dieser Wahlperiode keine Gesetzesänderung mehr geben. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Es gibt einen breiten Konsens, dieses Thema in der kommenden Wahlperiode auf die Agenda zu heben.
Mit der Überführung von 4 Millionen Bestandsrenten in die gesetzliche Rentenversicherung ist die wohl größte sozialpolitische Leistung im Zuge des Einigungsprozesses geschehen. Zusätzlich waren zirca 4 Millionen Anwartschaften und Ansprüche aus den mehr als 50 Sonder- und Zusatzversorgungssystemen zu übertragen. Daß es bei so vielen Anwartschaften Ungerechtigkeiten und zum Teil auch Probleme oder Ungereimtheiten gibt, ist, glaube ich, verständlich und auch erklärlich. Doch der Gesetzgeber hat nicht geschlafen. Die Rentner müssen nicht warten,
({10})
bis Sie ihnen auf die Sprünge helfen. Wir haben zum 1. Januar 1997 mit der Änderung des Renten-Überleitungsgesetzes 75 000 Bestandsrenten, die bisher unter eine Kappungsgrenze gefallen sind, aus dieser Kappung herausgenommen. Die Interessen der Rentner in den neuen Bundesländern sind bei der Koalition am besten aufgehoben.
({11})
Anträge und Forderungen, die völlig unrealistisch sind, wie die vorliegenden von der PDS, sind kontraproduktiv und nützen den Beteiligten nicht, sondern schaden eher. Wir werden diese Anträge ablehnen.
({12})
Das Wort hat die Kollegin Andrea Fischer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit vier Jahren beschäftige ich mich mit der Rentenüberleitung - und das als Westlerin, womit ich allein schon der lebendige Beweis dafür bin, daß das VorurAndrea Fischer ({0})
teil nicht stimmt, Westler würden sich für Ostfragen nicht interessieren.
({1})
- Ich glaube, das muß man Ihnen öfters sagen. - Aber je länger ich mich damit beschäftige und je länger ich die spätabendlichen Debatten darüber verfolge, um so mehr komme ich zu der Überzeugung, daß es ein völlig irriges Unterfangen ist, die Auseinandersetzung über die DDR-Vergangenheit und über die verschiedenen Biographien an Hand der Rentenpolitik führen zu wollen.
({2})
Wir haben deswegen auch den Versuch abgelehnt, die Renten wegen Staatsnähe kürzen zu wollen, weil wir auch dort gesagt haben: So werdet ihr keine Vergangenheitspolitik machen. - Genauso lehnen wir jetzt den Versuch ab, eine vermeintliche Gerechtigkeit herstellen zu wollen, indem bestimmte Personengruppen im nachhinein höhere Rentenanwartschaften bekommen, womit Grundentscheidungen, die beim Renten-Überleitungsgesetz getroffen worden sind, noch einmal in Frage gestellt werden.
({3})
Wir haben Verständnis für einzelne Probleme, die dort entstanden sind. Der Kollege Grund hat gerade von den Problemen bei der Eisenbahnerversorgung gesprochen. Ich weise nachdrücklich darauf hin: Wenn es hier interfraktionelle Gespräche mit den Betroffenen gibt und die Suche nach einer Lösung mit dem Renten-Überleitungsgesetz vereinbar ist, dann ist das verantwortliche Politik. Es ist nicht zynisch, gegen anderslautende Vorschläge der PDS zu sein, sondern ein gutes demokratisches Recht.
({4})
Die PDS argumentiert hier die ganze Zeit, sie wolle nachträglich Gerechtigkeit herstellen. Wir haben uns sehr genau mit der Frage beschäftigt, ob man das auf diesem Wege tun kann. Die PDS möchte für Menschen, die in dem öffentlichen Dienst im Westen vergleichbaren Berufen gearbeitet haben, die Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes bzw. eine Beamtenversorgung im nachhinein einführen. Wie, bitte schön, erklären Sie es jungen Leuten in Ostdeutschland, die jetzt im öffentlichen Dienst arbeiten und nicht mit einem Pfennig eine Anwartschaft für eine Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes erwerben, daß sie mit ihren Steuergeldern jetzt für eine nachträgliche Einführung einer Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst für Rentner eintreten sollen?
({5})
Ich kann nicht entdecken, daß auf diese Art und Weise das Ostinteresse gewahrt wird, sondern ich glaube, daß das eher ein Punkt ist, an dem zu lernen ist, daß auch im Osten höchst unterschiedliche Interessenlagen bestehen, die man in einen klugen Ausgleich bringen muß.
({6})
Die Vorschläge der PDS taugen überhaupt nicht dazu, diesen klugen Interessenausgleich zu finden.
Die PDS hat natürlich, wie es alle tun, die solche Sachen machen würden - das würde ich sicherlich auch so machen -, darauf verwiesen, wie hoch die Rente einer Kindergärtnerin ist und wie man sie aufstocken muß. Wir haben in der ersten Lesung der Gesetzentwürfe schon einmal darüber gesprochen: Da werden Zahlen über die Versorgung einer Kindergärtnerin im Westen genannt, die jenseits aller Realität sind und mit dem Ganzen überhaupt nichts zu tun haben. Dieser Vergleich taugt nicht.
Vor allem aber können Sie nicht darüber hinwegtäuschen, daß die meisten Menschen, die von Ihren Vorschlägen profitieren würden, jetzt schon deutlich über dem Durchschnitt liegende Renten in Ostdeutschland haben. Da ist dann doch die Frage erlaubt: Ist das unter den gegenwärtigen Bedingungen - das Geld fällt nicht vom Himmel -, bei denen genau überlegt werden muß, woher wir es nehmen, wer es braucht und wem wir es geben müssen, eine zielführende Sozialpolitik? Es gibt niedrige Renten in Ost- und in Westdeutschland. Dort, wenn überhaupt, haben wir das sozialpolitische Problem und nicht bei den hohen Renten.
({7})
Grundsätzlich - das sei noch abschließend gesagt - ist es eine rückwärts gewandte Politik, die die PDS hier betreiben will. Wir haben in der gesetzlichen Rentenversicherung einen gewaltigen Reformbedarf, der sowohl den Osten wie auch den Westen betrifft. Hier spielt die Musik in den nächsten Jahren und nicht bei einer rückwärtsgewandten Politik, mit der die PDS vermeintliche Gerechtigkeit herstellen will.
({8})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Petra Bläss.
Herr Kollege Grund, da Sie meine Zwischenfrage leider nicht zugelassen haben, muß ich Sie jetzt im nachhinein fragen. Sie haben unterstellt, daß unser Vergleich, der die Versorgungsansprüche in Ost und West betrifft, ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen sei. Ich gebe einmal die Frage zurück: Ist nicht der Vergleich der Höhe der Bezüge in der gesetzlichen Rentenversicherung zwischen Ost und West, der vom Bundesarbeitsminister Blüm immer wieder gebetsmühlenhaft wiederholt wird, gerade auch ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen?
Sie als Sozialexperte Ihrer Partei wissen ja nur zu gut, daß die gesetzliche Rentenversicherung im WePetra Bläss
sten nur eine Säule der Alterssicherung ist. Daneben gibt es die Beamtenversorgung, die beruf ständischen Versorgungsrenten, die Betriebsrenten und vieles andere mehr. Die Systementscheidung aus dem Renten-Überleitungsgesetz aus dem Jahr 1991 beinhaltete, sämtliche Versorgungsansprüche, die in der DDR erworben wurden, in das SGB VI, also allein in die gesetzliche Rentenversicherung, zu überführen. Das heißt, in der gesetzlichen Rentenversicherung sind im Osten alle drin: vom Herrn Professor bis zur Mindestrentnerin aus der ehemaligen DDR.
({0})
- Ach, hören Sie doch auf mit Ihren blöden Stasivorwürfen! Stellen Sie bitte noch eine Frage, oder geben Sie einen ordentlichen Debattenbeitrag! Das ist dermaßen unqualifiziert.
Es geht hier um zu DDR-Zeiten erworbene Anwartschaften. Ich denke, eine Debatte über die notwendige Bewältigung der Stasivergangenheit führen wir auf anderen Ebenen, aber nicht im Sozialrecht. Das bekunden Sie beim Wahlkampf im Osten übrigens auch immer wieder.
Die von der PDS vorgeschlagene Lösung eines befristeten Versorgungssystems sui generis
({1})
geht von der richtigen Schlußfolgerung aus, daß es unmöglich ist, die jetzt rentennahen Jahrgänge bzw. die Bestandsrentnerinnen und Bestandsrentner in das Beamtenversorgungsrecht einzuschieben. Das geht ja gar nicht. Deshalb schlagen wir ein befristetes Versorgungssystem vor.
Herr Kollege Grund, zu Ihrem billigen Einlaß, daß uns die Genossinnen und Genossen irgend etwas aufgetragen hätten: Sie wissen genau, daß die SED 2,3 Millionen Mitglieder hatte. Die PDS hat derzeit knapp über 100 000 Mitglieder. Wo der Rest abgeblieben ist, können Sie sich ja selber einmal fragen. Davon sind genug auch in den Reihen Ihrer Partei gelandet.
({2})
Herr Kollege Grund.
Herr Präsident! Frau Kollegin Bläss, rufen wir uns noch einmal das Renten-Überleitungsgesetz und die dem Renten-Überleitungsgesetz zugrundeliegenden Kriterien in Erinnerung:
({0})
Es ging darum, was mit 4 Millionen Rentnern in den neuen Bundesländern geschehen sollte, nachdem eine Volkswirtschaft ruiniert und zusammengebrochen war und alle Versorgungsansprüche, die zu DDR-Zeiten erworben wurden, null und nichtig waren. Der Gesetzgeber, der Bundestag, hat damals beschlossen, alle Ansprüche und Anwartschaften in die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen.
({1})
Wir hätten lange zuwarten können, bis zum Beispiel berufständische Versorgungswerke die Versorgungsansprüche von Rechtsanwälten oder Ärzten übernommen hätten. Sie hätten wahrscheinlich einige Jahre überhaupt keine Rente bezogen, wenn der Gesetzgeber hier nicht gehandelt hätte. Das gleiche gilt für die von Ihnen angesprochenen Professoren. In den alten Bundesländern finanzieren die Länder die Pensionen und die Versorgungsansprüche der Professoren. Die Länder waren auf dem Gebiet der ehemaligen DDR noch gar nicht wieder gegründet, als es darum ging, Rentenzahlungen zu leisten. Uns blieb damals gar nichts anderes übrig. Die meisten Rentner haben es auch dankbar aufgenommen, einschließlich meiner Mutter, die nicht mit Äpfeln und Birnen von der DDR in die Rente geschickt wurde, sondern mit Dörrobst.
({2})
Sie ist nämlich mit 340 DM Rente von Ihnen in das Jahr 1989/90 geschickt worden.
Mir kommt Ihr Verhalten und das Verhalten der PDS manchmal vor wie das Verhalten von jemandem, der ein Haus anzündet, die Feuerwehr nach Kräften beim Löschen hindert und sich dann über Wasserschäden beschwert. Sie haben 4 Millionen Rentner in eine völlig ungewisse Zukunft entlassen. Wenn diese Bundesrepublik und die Solidarität der westdeutschen Beitragszahler für Ostdeutschland nicht gewesen wären, die wir noch heute brauchen - ungefähr 17 Milliarden DM brauchen wir jedes Jahr für die gesetzliche Rentenversicherung -, dann würde ich gerne einmal sehen, was die Rentner in den neuen Bundesländern Ihnen sagen würden. Denn Sie haben deren Lebensperspektive 40 Jahre lang entwertet.
({3})
Die Kollegin Rennebach, die Kollegen Türk und Dr. Pohler sowie der Parlamentarische Staatssekretär Kolb geben ihre Beiträge in dieser Debatte zu Protokoll.*)
Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu einer wirtschaftlichen und ökologischen Alternative in den neuen Bundesländern. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7519 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
*) Anlage 7
Vizepräsident Hans-Ulrich Klose
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften aus zusätzlichen Versorgungen der DDR, Drucksache 13/9448, Buchstabe a. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7118 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften aus den-Systemen der Altersversorgung der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post der DDR, Drucksache 13/9448, Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7119 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften auf Renten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheits- und Sozialwesens der DDR, Drucksache 13/9448, Buchstabe c. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7536 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Beschlußempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften auf berufsbezogene Zuwendungen von Ballettmitgliedern aus der DDR, Drucksache 13/9448, Buchstabe d. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8463 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der Gruppe der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen angenommen.
Wir sind damit am Schluß der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 24. April 1998, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.