Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Fragestunde
- Drucksachen 13/10153, 13/10177 Ich rufe die Dringliche Frage des Abgeordneten Schily zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Folgen der Entlassung der russischen Regierung durch Präsident Boris Jelzin?
Zur Beantwortung steht uns Staatsminister Helmut Schäfer zur Verfügung.
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Kollege, die Bundesregierung geht davon aus, daß sich der politische und wirtschaftliche Reformkurs Rußlands wie auch die bisherige außenpolitische Linie einschließlich der Beziehungen zu Deutschland durch die Entlassung der bisherigen und die bevorstehende Ernennung einer neuen Regierung nicht ändern werden. In diesem Sinne hat sich auch Präsident Jelzin selbst in seiner Fernsehansprache am 23. März geäußert, indem er sagte, daß die neue Regierung die Reformpolitik entschlossener voranbringen müsse als die bisherige, daß der Kurs der Regierung jedoch unverändert bleiben werde.
Die Bundesregierung wird die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen. Wichtige Rückschlüsse wird im übrigen die personelle Zusammensetzung des neuen Kabinetts einschließlich der Person des neuen Ministerpräsidenten erlauben.
Bitte schön, eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatsminister, ist es nicht ein etwas überraschender und ungewöhnlicher Vorgang, daß die gesamte Regierung eines bedeutenden Landes auf diese Weise ausgewechselt wird? Welche Folgerungen ergeben sich denn für die Politik der
Bundesregierung vor dem Hintergrund einer kontinuierlichen Zusammenarbeit mit diesem Land?
Herr Kollege Schily, ich hatte heute vormittag Gelegenheit, mich mit dem russischen Außenminister Primakow, der sich zufällig - oder besser: nicht zufällig ({0})
wegen der Sitzung der Kontaktgruppe in Bonn aufhält, noch kurz vor dieser Sitzung schon im Hinblick auf diese heutige Bundestagssitzung zu unterhalten und ihm die Frage zu stellen, die Sie mir gerade gestellt haben. Herr Primakow hat darauf verwiesen - ich darf das hier vortragen -, daß auch in bestimmten westeuropäischen Ländern mit erfahrenen und erprobten Demokratien zum Teil sehr häufig Regierungswechsel stattgefunden hätten; man möge jetzt Rußland deswegen nicht besonders hervorheben. Er nannte auch das eine oder andere Mittelmeerland.
Ich habe ihm aber auch die Frage gestellt: Wie geht es denn weiter? Er hat gesagt: Es ist überhaupt keine Frage, wir setzen unsere Reformen entschlossen fort; an der Außenpolitik wird sich nichts ändern. Er hat ja heute morgen noch erklärt, er bleibe Außenminister; zumindest habe ich das den Nachrichten entnommen. Selbstverständlich werde auch die Politik der Demokratisierung Rußlands weiterhin einen ganz wichtigen Stellenwert einnehmen. Ich gehe davon aus, daß sowohl solche Äußerungen, wie sie gerade vorhin vom russischen Außenminister in diesem Gespräch gemacht worden sind, als auch die Tatsache, daß der Bundeskanzler ja noch in dieser Woche zusammen mit Herrn Chirac Herrn Jelzin in Moskau treffen wird, natürlich auch die Möglichkeit zur Erörterung der Frage eröffnen, welchen Stellenwert dieser Regierungswechsel hat und welche denkbaren Konsequenzen mit neuen Personen verbunden sind.
Eine zweite Frage.
Herr Staatsminister, Sie wissen ja, daß verläßliche Rahmenbedingungen gerade
auch für die wirtschaftliche Zusammenarbeit eine große Rolle spielen. Kann man davon ausgehen, daß der Regierungswechsel für die wirtschaftliche Kooperation verläßlichere Rahmenbedingungen schaffen wird als zuvor, oder muß man damit rechnen, daß ähnliche Ereignisse, wie sie jetzt stattgefunden haben, auch in Zukunft in etwas hektischer und, wie gesagt, unkonventioneller Form stattfinden?
Man kann sicher nicht ausschließen, daß es auch in Zukunft auf Anordnung des Präsidenten Veränderungen in der russischen Regierung gibt, so wie das in den vergangenen Jahren zu beobachten war. Die Ungeduld des Präsidenten in bezug auf den wirtschaftlichen Fortschritt spielt hier sicher eine gewisse Rolle.
Für mich ist interessant, daß ein über 60 jähriger Ministerpräsident durch einen 35 jährigen Ministerpräsidenten ausgetauscht wird. Es erfolgt also eine erhebliche Verjüngung. Inwieweit das eine Verstärkung der Bemühungen um Reformen und um eine moderne Wirtschaftsform in Rußland mit sich bringen wird, ist abzuwarten. Ich glaube aber, der Wille dazu ist vorhanden. Es gibt Hinweise, daß bestimmte Reformer bei diesem Regierungswechsel offensichtlich eine Rolle gespielt haben.
Danke schön, Herr Staatsminister.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Der Abgeordnete Hans Wallow hat für die Frage 1 schriftliche Beantwortung beantragt. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Die Fragen 2 und 3 des Abgeordneten Gernot Erler werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir schon beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft. Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Kurt Neumann auf:
Auf welche Bestimmungen des Grundgesetzes bzw. auf welche verfassungsrechtlichen Erwägungen stützt die Bundesregierung ihre dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge ({0}) zugrundeliegende Rechtsauffassung, es gäbe eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes, gegenüber Ländern und Gemeinden abschließend zu regeln, welche Kriterien diese bei der Vergabe öffentlicher Aufträge berücksichtigen dürften?
Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb zur Verfügung. Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Neumann, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Vergaberechtsänderungsgesetz ergibt sich aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 des Grundgesetzes „Recht der Wirtschaft", aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 16 des Grundgesetzes „Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung" sowie aus Art. 109 Abs. 3 Grundgesetz „Grundsätze des Haushaltsrechts".
Das Vergaberechtsänderungsgesetz dient der Umsetzung der europäischen Vergaberichtlinien, die oberhalb bestimmter Auftragswerte sowohl die Zuschlagskriterien als auch die Eignungskriterien abschließend regeln. In § 106 Abs. 3 des Vergaberechtsänderungsgesetzes wird der Grundsatz verankert, daß Aufträge „an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen vergeben" werden.
Die Ziele einheitliche Märkte, Rechtsklarheit und Rechtseinheit wie auch diskriminierungsfreier Wettbewerb können nur durch eine bundeseinheitliche Regelung erreicht werden. Unterhalb der EG-rechtsrelevanten Auftragswerte bleibt die Landeskompetenz im übrigen erhalten.
Bitte schön, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Auffassung, daß bei der Nachfrage des Staates stets ein Fall wirtschaftlicher Macht vorliegt, der in den Bereich der Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht fällt? Sind Sie im übrigen der Auffassung, daß das Recht der Wirtschaft insofern berührt wird, als hier allgemeine Gesetze über die Wirtschaft erlassen werden sollen?
Herr Kollege Neumann, ich glaube nicht, daß eine der drei von mir genannten Rechtsgrundlagen isoliert gesehen werden kann. Vielmehr ergibt sich im Zusammenspiel dieser drei Rechtsgrundlagen aus meiner Sicht eine klare Gesetzgebungskompetenz des Bundes.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Sie zitierten den Art. 109 des Grundgesetzes. Dort ist festgelegt, daß die Haushaltswirtschaften von Bund und Ländern getrennt und unabhängig voneinander sind und daß nur durch Bundesgesetz die Grundsätze der Haushaltsführung geregelt werden können. Sind Sie der Auffassung, daß es beim Vergaberechtsänderungsgesetz um Grundsätze des Haushalts geht?
Es geht, Herr Kollege Neumann, auch um Grundsätze des Haushalts. Aber ich betone noch einmal - Entschuldigung, daß ich so hartnäckig sein muß -, daß sich durch das Zusammenspiel der drei genannten Rechtsgrundlagen letztendlich die klare Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt.
Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Kolb.
Vizepräsidentin Michaela Geiger
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Der Abgeordnete Jürgen Augustinowitz hat beantragt, daß die Frage 5 schriftlich beantwortet wird. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Der Abgeordnete Thomas Krüger hat beantragt, daß die Fragen 6 und 7 schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr. Der Abgeordnete Wolfgang Zöller hat beantragt, daß die Fragen 8 und 9 schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Dr. Burkhard Hirsch auf:
Wird es in diesem Jahr im Gegensatz zu den Vorjahren gelingen, die Polizeiliche Kriminalstatistik nicht wieder erst Monate nach ihrer Erstellung zu veröffentlichen, und damit vermieden, daß Insider ihnen bekannte Statistikergebnisse bereits vor der Veröffentlichung nutzen, um ihre rechts- oder kriminalpolitischen Forderungen zu untermauern, ohne daß andere diese Angaben daraufhin überprüfen können, ob sie wegen weiterer Ergebnisse der Statistik modifiziert werden müssen oder sachlich unzulässig aus einem Gesamtzusammenhang gerissen worden sind?
Herr Kollege Dr. Hirsch, die Antwort lautet wie folgt: Die Zahlen der PKS für die Bundesrepublik Deutschland liegen nach Aufbereitung durch das Bundeskriminalamt grundsätzlich Ende März vor und werden nach Abstimmung mit den Ländern in der Regel Anfang Mai gemeinsam durch den Vorsitzenden der Innenministerkonferenz und den Bundesminister des Innern der Öffentlichkeit vorgestellt. Nach den bundeseinheitlichen und zuletzt mit Beschlüssen des Arbeitskreises II, Innere Sicherheit, der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 7. Juli 1992 und 23. Februar 1993 verbindlich festgelegten Richtlinien zur Führung der PKS sind die Jahrestabellen der Länder dem BKA bis zum 15. Februar des Folgejahres zuzuliefern. Nach dem Beschluß der IMK vom 12. Juni 1981 erfolgt dann die Veröffentlichung der Bundes-PKS gemeinsam mit den Ländern. Dies setzt ein förmliches Beschlußverfahren im AK II und der IMK voraus.
Im übrigen entspricht es ständiger Übung, daß die Bundesstatistik erst nach den Landestatistiken veröffentlicht wird, so daß es durch Addieren der Länderdaten auch externen Institutionen - nicht nur Insidern - möglich ist, Aussagen vor der Freigabe der Veröffentlichung der PKS vorzunehmen. Eine „Verwahrung" der Bundesdaten zur Vermeidung von Vorabveröffentlichungen und -kommentierungen ist aus den vorgenannten Gründen nicht möglich.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, ich schicke voraus, daß sich hinter dem Kürzel PKS die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik für das Jahr 1997 verbirgt, nach der ich gefragt habe, und daß wir sicherlich darin einig sind, daß es wirklich ärgerlich ist, daß die Kriminalitätsstatistik für 1997 erst im Juni oder Juli veröffentlicht wird und bis dahin jeder nach Belieben aus Teilergebnissen und nach politischer Präferenz zitiert, begründet oder ablehnt. Ich möchte Sie nun fragen: Können Sie mir zunächst einmal sagen, wo denn nun zur Zeit der Bericht des Bundeskriminalamtes liegt? Liegt er beim Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz, liegt er dort in der Arbeitsgruppe, oder wo liegt er sonst im Augenblick?
Herr Kollege Dr. Hirsch, meiner Kenntnis nach ist er im Arbeitskreis II. Ich bin aber nicht auf dem allerletzten Stand. Er ist jedenfalls in Bearbeitung, und wir streben eine Veröffentlichung im Mai an.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ist es denn, nachdem - so geht es aus meinen Unterlagen hervor - dem Bundeskriminalamt inzwischen alle Länderstatistiken lückenlos vorliegen und nachdem 11 der 16 Länder ihre Landesstatistiken schon veröffentlicht haben, wirklich ein so verheerender Schlag gegen das Selbstverständnis der Innenminister des Bundes und der Länder, wenn eine Beschleunigung dadurch erreicht wird, daß die Statistik nicht von der IMK, sondern vom Bundeskriminalamt veröffentlicht wird?
Herr Kollege Dr. Hirsch, Sie haben darüber ja auch mit der zweiten Seite korrespondiert, die für die Veröffentlichung der PKS zuständig ist, nämlich mit der Länderseite. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz der Länder, Minister Zuber, hat Ihnen mitgeteilt ({0})
- ich komme gleich dazu -, daß die Länder strikt dagegen sind, daß das Bundeskriminalamt die Statistik vor diesem Abstimmungsprozeß allein und ohne die Länder veröffentlicht. Da wir - auch gebunden durch Beschlüsse in der Vergangenheit; ich habe sie vorhin zitiert - auf das Zusammenwirken mit den Ländern angewiesen sind, können wir diesen Schritt, den Sie uns quasi empfehlen, nicht allein vollziehen, sondern bräuchten die Zustimmung der Länder. Diese bekommen wir aber nicht, wie Sie aus dem Antwortschreiben an Sie selber ersehen können.
({1})
- Wir haben die Frage erörtert. Es ist natürlich im Grunde möglich, bestimmte Eckdaten sehr viel früher zu veröffentlichen. Aber wir haben uns bewußt nicht dazu entschlossen, weil wir in der ganzen Materie sehr auf die Zusammenarbeit mit den Ländern angewiesen sind; denn die Länder sind Hauptträger der Polizeiarbeit; dort fallen die statistischen Unterlagen an. Daher sehen wir uns nicht in der Lage, isoliert, ohne daß die Länder dem zustimmen würden, nach Ihrem Wunsch zu verfahren.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schily.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die Polizeiliche Kriminalstatistik sehr leicht fehlinterpretiert werden kann, daß viele Fehlerquellen in ihr stecken und daß es deshalb sinnvoll wäre, an Stelle einer solchen Polizeilichen Kriminalstatistik einen Sicherheitsbericht zu veröffentlichen, in dem die von der Polizei erhobenen Daten mit anderen Datenbeständen vernetzt und zu einem Lagebild in bezug auf die Kriminalität zusammengeführt werden?
Herr Kollege Schily, die von Ihnen dargelegten Kritikpunkte sind ja in den zuständigen Gremien mehrfach erörtert worden. Selbstverständlich muß die Polizeiliche Kriminalstatistik mit Erläuterungen versehen werden, die auf mögliche Verzerrungen hinweisen, die aus den Daten selber nicht erkennbar sind. Sie wissen, daß wir uns eigentlich immer bemüht haben, Kritik an dem Zahlenwerk aufzugreifen und zu berücksichtigen, wenn sie nach unserer Auffassung gerechtfertigt war.
Den zweiten Teil Ihrer Frage muß ich leider deshalb verneinen, weil alle von uns angestellten Untersuchungen, ob es möglich ist, eine Art Verlaufsstatistik, die Sie jetzt angesprochen haben, zu erstellen, zeigen, daß diese Aufgabe organisatorisch und statistisch nicht bewältigt werden kann. Ein Beweis dafür, daß das tatsächlich zutreffend ist, mag der Hinweis sein, daß es in keinem europäischen Land bisher gelungen ist, etwas Derartiges zu erstellen. Das liegt an vielfältigen Schwierigkeiten beim Zusammenführen von justitiellen Daten und Polizeidaten.
Wir, das heißt die IMK und der Bund, haben uns vorgenommen, zu einer weiteren Harmonisierung von bestimmten Schlüsseldaten zu gelangen, was dann, wenn Sie so wollen, ein Element Ihres Wunsches erfüllen würde. Zu einem umfassenden Sicherheitsbericht, einer Zusammenfassung von Polizeidaten und justitiellen Daten, aber, die dann miteinander vergleichbar gemacht werden müßten, wird es aus praktischen Gründen nicht kommen können. Das ist übrigens die Meinung des Bundes sowie aller Länder. Hier gibt es keinerlei Differenzen in der Beurteilung.
Ich rufe jetzt die Frage 11 des Abgeordneten Dr. Burkhard Hirsch auf:
Welches sind die Gründe dafür, daß es bisher immer noch nicht gelungen ist, wie u. a. bereits Ende 1989 von der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt gefordert, eine Verlaufsstatistik zu erstellen, die aufzeigt, was aus den von der Polizei erfaßten Fällen bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten geworden ist?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Im Rahmen eines Auftrages der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 6. Mai 1994, die Erfassungsgrundlagen der Polizeilichen Kriminalstatistik, der PKS, hinsichtlich der Möglichkeiten zu überprüfen, die Kriminalitätslage sachgerechter darzulegen und realitätsbezogener zu bewerten, wurde auf Anregung des Bundes insbesondere auch die Problematik einer Verlaufsstatistik einbezogen. Als Ergebnis wurde festgestellt, daß eine fachlich wünschenswerte Verlaufsstatistik unter Einbeziehung der justitiellen Verfahrensergebnisse in die PKS unter den gegebenen Voraussetzungen aus organisatorischen, technischen und finanziellen Gründen nicht realisierbar erscheint.
Bitte schön, Ihre erste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär ich bin ja geradezu erschrocken darüber, daß Sie sagen, es habe hierzu 1994 einen Auftrag gegeben, nachdem die von diesem Haus eingesetzte Gewaltkommission schon im Jahre 1989 vorgeschlagen hatte, eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Kriminologen, Polizei, Justiz, Statistikern usw. zu bilden, um eine Verlaufsstatistik zu erarbeiten. Sind Sie denn mit dem, was Sie soeben dargestellt haben, zufrieden?
„Zufrieden" ist vielleicht die falsche Vokabel. Wenn es gelingen würde, diese Verlaufsstatistik unter zumutbaren Konditionen zu erstellen, hätten wir überhaupt nichts dagegen. Aber die Erstellung ist weder organisatorisch noch technisch, noch finanziell zu bewältigen. Deshalb muß ich einfach feststellen - ohne daß es darum geht, ob ich zufrieden oder nicht zufrieden bin -, daß eine Verlaufsstatistik nicht realisiert werden kann.
Bitte, Ihre zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, um Ihnen ein Beispiel zu geben: Eine Untersuchung der Universität Konstanz hat ergeben, daß die Zahl der nach der Polizeilichen Kriminalstatistik straffällig gewordenen Jugendlichen von 1984 bis 1995 um 59 Prozent gestiegen ist. Nach der Verurteilungsstatistik, der Justizstatistik, ist die Zahl der verurteilten Jugendlichen aber in demselben Zeitraum um 25 Prozent gesunken.
Ist es Ihrer Meinung nach nicht notwendig, diese augenfällige und nicht gerade uninteressante Differenz, die man nicht der Untätigkeit oder der Unwissenheit der Justiz zuschreiben kann, aufzuklären, und sehen Sie eine andere Möglichkeit, das zu tun, als durch das wirklich entschlossene Arbeiten an einer Verlaufsstatistik?
Herr Kollege Dr. Hirsch, Sie unterstellen jetzt, daß das, was Sie vorgetragen haben, möglich ist. Das ist aber nicht möglich. Sie könnten zwar die Daten aus der PKS von 1985 bis 1995 addieren. Aber die Frage, welche Jugendlichen in diesem Zeitraum für welche Delikte endgültig verurteilt worden sind, können Sie frühestens dann beantworten, wenn alle Verfahren rechtskräftig abgeschlossen sind. Wenn es also beispielsweise 1994 zur Einleitung eines Verfahrens kommt, das im Jahre 1997 zu Ende geführt wird, dann ist dieser Fall in der Justizstatistik nicht erfaßt, wohl aber in der Polizeilichen Kriminalstatistik.
Es gibt also eine zeitliche Verschiebung, die die Vergleichbarkeit der Daten aus beiden Bereichen ausschließt. Sie müßten mit Personenkennziffern arbeiten, um die von Ihnen geforderte Vergleichbarkeit herbeiführen zu können. Herr Dr. Hirsch, ich kenne Sie als engagierten Datenschützer. Ich traue mich fast vorauszusagen, daß Sie gegen die Einführung einer solchen Personenkennziffer erhebliche Bedenken hätten.
({0})
- Doch.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Schily. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, besteht nicht die Gefahr einer wirklich massiven Fehlinterpretation der Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik, da die PKS, wenn man genau hinschaut, eigentlich nur ein Arbeitsnachweis der Polizei und eine „Verdachtsstatistik" ist?
Zudem muß man beachten, bei welchen Deliktsformen welches Anzeigeverhalten der Bevölkerung zu beobachten ist. Zum Beispiel wird der Ladendiebstahl zu 4 bis 6 Prozent angezeigt, der Bankraub etwa zu 100 Prozent - oder er wird auf andere Weise von der Polizei bemerkt. Das Anzeigeverhalten der Bevölkerung spielt eine erhebliche Rolle. Auch spielt eine erhebliche Rolle, wo die Polizei aktiv wird und wo nicht usw. Sie kennen die Fehlerquellen, die zu beobachten sind.
Wie wirken Sie als Innenministerium denn einem falschen Eindruck in bezug auf Kriminalität entgegen? Herr Kollege Hirsch hat mit Recht auf einen Sachverhalt hingewiesen: Nach der Polizeistatistik steigt die Jugendkriminalität. Aber nach der Verurteiltenstatistik sinkt sie. Oder sehen Sie sich die jüngsten Zahlen - ich weiß nicht, aus welcher Statistik - über das angebliche Anwachsen der Kinderkriminalität an, die bekanntgegeben worden sind. Wenn Sie aber genau hinsehen, kommen Sie zu ganz anderen Zahlen. Sie müssen doch irgendein Konzept haben, wie Sie dem entgegenwirken wollen. Ansonsten betreiben Sie - Entschuldigung, fassen Sie es nicht als persönlichen Vorwurf auf - eine Irreführung der Öffentlichkeit.
Da es das Interesse der Öffentlichkeit ist, zu wissen, was da vor sich geht und das subjektive Sicherheitsgefühl nicht zuletzt damit zusammenhängt, welche Zahlen darüber veröffentlicht werden, ist dies eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Deshalb meine ich schon, daß man das nicht mit dem Sicherheitsbericht abtun kann. Dieser erschöpft sich übrigens nicht in einer Verlaufsstatistik. Es werden auch andere Daten, etwa aus dem sozialen Umfeld, damit verglichen, so daß es nicht nur zu einer quantitativen, sondern auch zu einer qualitativen Beurteilung der Kriminalitätsentwicklung kommt.
Da sehe ich ein Defizit bei der Bundesregierung, sicherlich nicht nur da, aber auch in diesem Punkt.
Herr Kollege Schily, erstens müßten Sie das Defizit zumindest auf alle Länderregierungen ausdehnen; denn die Zahlen stammen praktisch zu 90 Prozent von den Ländern.
({0})
Die Länder erstellen ihre Statistik nach demselben Schema wie der Bund. Dieser Vorwurf in Richtung Bund scheint mir daher nicht ganz plausibel zu sein.
Zweitens. Wir versuchen, den Problemen, die der Statistik immanent sind, dadurch gerecht zu werden, daß wir in ausführlichen Erläuterungen darauf hinweisen. Auch bei entsprechenden Äußerungen hier im Bundestag oder anderswo wird auf diese Problematik eingegangen.
Drittens. Verschiedene Dinge, die Sie angesprochen haben, sind deshalb nicht ganz so prekär zu sehen, weil der Fehler sozusagen in allen Statistiken enthalten ist. Daß das Hellfeld bei Ladendiebstahl beispielsweise nur 4 bis 6 Prozent beträgt, gilt für den Norden genauso wie für den Süden. Trotz dieser Prozentzahl können Sie sich einen relativ guten Überblick über das Geschehen verschaffen.
Es wird zwar immer gern behauptet, daß - Stichwort: verschiedenes Anzeigeverhalten - Delikte im Norden eher angezeigt werden als im Süden, um das Kriminalitätsgefälle von Nord nach Süd erklären zu können; aber ich wage sehr zu bezweifeln, daß das auch belegt werden könnte, wenn es untersucht würde.
Schließlich wird die PKS meistens herangezogen, um Trends zu belegen. Diese Trends sind - unabhängig von den Einwänden, die Sie gegen die konkreten Zahlen vorbringen - sehr wohl belegbar. Ich kann an Hand dieser Zahlen sehr wohl feststellen, daß sich die Jugendkriminalität vermehrt hat, ohne deshalb in Anspruch nehmen zu müssen, daß die Zahlen auf die Kommastelle genau sind.
Wenn man eine Art Güterabwägung vornimmt, ist die Kriminalitätsstatistik, so glaube ich, sehr wohl berechtigt. Im übrigen richtet sich das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung in erster Linie natürlich nach den Straftaten selbst. Wie sie dann hinterher von den Gerichten bewertet werden, ist aus der Sicht der Bevölkerung in der Regel nicht so interessant, zumal die konkrete Straftat vom Gericht möglicherweise erst nach jahrelangen Prozeßverfahren geahndet wird. Für das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung ist die Straftat selbst also eher ausschlaggebend und nicht so sehr - wie Sie das dargelegt haben - die Verurteilung.
Danke schön. - Bevor ich die nächste Frage aufrufe, möchte ich einen Satz aus unserer Geschäftsordnung in Erinnerung rufen:
Die Fragen müssen kurz gefaßt sein und eine kurze Beantwortung ermöglichen.
Jetzt kommen wir zur Frage 12 der Abgeordneten Dr. Christine Lucyga:
Unterstützt die Bundesregierung in dem laufenden Gesetzgebungsverfahren zum Versorgungsreformgesetz 1998 den Vorstoß des Bundesrates, die „Versorgungslücke" bei Polizeibeamten in den neuen Ländern, die im vorgerückten Alter in das Beamtenverhältnis berufen wurden und bei Eintritt in den Ruhestand derzeit nur die Mindestversorgung erhalten, zu schließen, und beabsichtigt die Bundesregierung beim Schließen der „Versorgungslücke" durch eine Rückwirkungsklausel auch die während des Gesetzgebungsverfahrens ab 1. Januar 1998 in den Ruhestand tretenden Polizeibeamten mit zu erfassen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, die Antwort lautet: Wird ein Beamter wegen Erreichens einer besonderen gesetzlichen Altersgrenze - Vollzugsdienst: 60. Lebensjahr - in den Ruhestand versetzt, kann es zu einer sogenannten Versorgungslücke kommen, wenn sich seine Altersversorgung auf Grund später Verbeamtung aus der Pension und einer Rente zusammensetzt, da bis zum Erreichen des Renteneintrittsalters - in der Regel das 65. Lebensjahr - nur die Pension gezahlt wird. Diese Problematik betrifft Vollzugsbeamte bei Polizei, Feuerwehr und Justiz und Berufssoldaten gleichermaßen.
Die §§ 14a des Beamtenversorgungsgesetzes und 26 a des Soldatenversorgungsgesetzes sehen in diesem Fall sowohl in den alten wie auch in den neuen Ländern eine vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltsatzes vor. Allerdings sind nach der derzeitigen Rechtslage die Empfänger der Mindestversorgung in den neuen Ländern vom Anwendungsbereich der genannten Vorschriften ausgeschlossen.
Die Forderung des Bundesrates, diesen Ausschluß zu beseitigen, ist von den Innenpolitikern der Regierungskoalition im Einvernehmen mit der Bundesregierung aufgegriffen worden und soll in die laufenden Ausschußberatungen zum Versorgungsreformgesetz eingebracht werden. Die Neuregelung soll zum 1. Januar 1999 in Kraft treten und würde von diesem Zeitpunkt an auch für bereits laufende Ruhegehälter gelten.
Eine Zusatzfrage, bitte, Frau Dr. Lucyga.
Sie würden also eine Rückwirkungsklausel ausdrücklich vorsehen. Ab welchem Stichtag?
Soweit Betroffenheit gegeben ist, soll diese Neuregelung, die zum 1. Januar 1999 getroffen werden soll, auf bereits laufende Ruhegehälter angewandt werden.
Zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Denkt die Bundesregierung darüber nach, daß das Schließen der Versorgungslücke auch für ehemalige NVA-Soldaten Anwendung findet, die bereits vor Erreichen der Altersgrenze von 60 Jahren - wesentlich früher - in den Ruhestand versetzt werden?
Frau Kollegin, die ganze Problematik ist ja ausführlich erörtert worden. Man hat sich entschlossen, die Dinge zu bereinigen. Aber ich nehme an, daß die Regelung, die jetzt getroffen werden soll, auch abschließend ist.
Dann kommen wir jetzt zur Frage 13 der Abgeordneten Dr. Christine Lucyga:
Wie hoch ist die Zahl der Polizeibeamten in den einzelnen neuen Ländern, die seit 1996 mit einer Mindestversorgung in den Ruhestand getreten sind, und wie hoch ist die Zahl der Polizeibeamten in den einzelnen neuen Ländern, bei denen zur Milderung von Härten die Dienstzeit über die vorgezogene Altersgrenze hinaus bis zum Inkrafttreten des Versorgungsreformgesetzes nach § 25 Abs. 2 des Beamtenrechtsrahmengesetzes und entsprechendem Landesrecht gegebenenfalls verlängert werden kann?
Der Bundesregierung ist die Nennung der erbetenen Zahlenangaben nicht möglich. Konkrete Zahlen können nur die Regierungen der neuen Länder nennen. Der Bundesregierung ist lediglich bekannt, daß von der Problematik der sogenannten Versorgungslücke rund 1 000 Polizeivollzugsbeamte und rund 1 200 Berufssoldaten in den neuen Ländern betroffen sind. Ergänzend darf ich in diesem Zusammenhang auf die Antwort der Bundesregierung vom 5. März 1996 zur Frage 2 der Kleinen Anfrage der SPD-Fraktion verweisen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Wie verfährt die Bundesregierung mit Anträgen auf Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand bei Polizeivollzugsbeamten des Bundesgrenzschutzes in den neuen Ländern?
Bundesgrenzschutzbeamte können insofern betroffen sein, als sie übernommen worden sind. Nur sehe ich da im Moment wenig Betroffenheit. Die Dinge sind bei der Übernahme geregelt worden, soviel ich weiß.
Zweite Zusatzfrage.
Möglicherweise können Sie mir das, was da noch offen bleibt, schriftlich mitteilen. Ich möchte Sie bitten, noch einmal zu prüfen, wie mit Polizeivollzugsbeamten des Bundesgrenzschutzes im Bereich des Grenzschutzpräsidiums Ost bei derartigen Anträgen verfahren wird.
Meine zweite Zusatzfrage: Da sich immer noch Unklarheiten und Lücken bei der Versorgungsproblematik der Beamten - in Polizeidienst, Feuerwehr und Justiz; Sie haben einige genannt - in den ostdeutschen Ländern auftun, möchte ich noch einmal nachfragen, wie die Bundesregierung andererseits zu der Ungleichbehandlung steht, die dadurch entsteht, daß Beamte und Richter, die als Aufbauhelfer in den Osten gekommen sind, ihre dort geleisteten Dienstzeiten doppelt beim Ruhegehalt angerechnet bekommen.
Meines Erachtens fehlt es hier an der Vergleichbarkeit. Sie dürfen ja nicht vergessen, daß es bei der Problemlösung in Sachen Versorgungslücke um Beamte geht, die, aus den Zeiten der DDR stammend, übernommen worden sind. Das können Sie nicht mit solchen Beamten vergleichen, die unter Hinnahme erheblicher persönlicher Probleme beim Aufbau geholfen haben. Sie hätten sicher in dieser großen Zahl und mit dieser hohen Effektivität nicht zur Verfügung gestanden, wenn wir nicht genau die Regelung getroffen hätten, die Sie jetzt kritisieren.
Zum anderen will ich zu dem, was Sie vorher angesprochen haben, noch sagen: Die Beamtensachverhalte sind Bleichgelagert. Das heißt, es wird bei dieser Versorgungslücke keinen Unterschied geben bei dem, was auf Bundes-, Landes- oder sonst einer Ebene geregelt wird. Wir können die Sache nicht isoliert für einzelne regeln. Ich meine daher, daß in bezug auf den BGS kein Sonderregelungsbedarf besteht.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums des Innern. Ich bedanke mich beim Parlamentarischen Staatssekretär Eduard Lintner.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen 14 und 15 der Abgeordneten Christine Scheel, die Frage 16 des Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim sowie die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Günter Gloser werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 19 der Abgeordneten Heidemarie Lüth auf:
Haben Langzeitarbeitslose im höheren Lebensalter in rentennahen Jahrgängen eine Chance, bei Nichterhalt von Arbeitslosenhilfe in der gesetzlichen Krankenversicherung zu bleiben, um den Übertritt in die gesetzliche Krankenversicherung der Rentner zu ermöglichen?
Frau Kollegin Lüth, Arbeitslose, die keine Leistungen der Arbeitslosenversicherung mehr beziehen, können ihre Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung in der Regel als freiwillig Versicherte fortsetzen. Voraussetzung hierfür ist, daß sie die erforderliche Vorversicherungszeit erfüllt haben. Das bedeutet, daß sie entweder unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht 12 Monate ununterbrochen Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen sein müssen oder 24 Monate in den letzten 5 Jahren vor dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht. Bei Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen können die Betroffenen auch in die beitragsfreie Familienversicherung einbezogen werden. Hierdurch ist der Schutz dieser Personen im Krankheitsfall sichergestellt.
Die Zeit einer freiwilligen Versicherung wird seit dem 1. Januar 1993 nicht mehr als Vorversicherungszeit für die Pflichtmitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner angerechnet. Seit diesem Zeitpunkt ist ein Rentner nur dann Pflichtmitglied, wenn er mindestens 90 Prozent der zweiten Hälfte des Erwerbslebens selber als Pflichtmitglied oder als Familienangehöriger eines Pflichtmitglieds versichert war. Ist diese Vorversicherungszeit nicht erfüllt, kann die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung jedoch auch im Rentenalter als freiwillige Versicherung fortgesetzt werden. Dies gilt auch beim Übergang von Langzeitarbeitslosigkeit in den Ruhestand.
Zusatzfrage? - Bitte, Frau Abgeordnete Lüth.
Eine erste Zusatzfrage. Würde das bedeuten, daß die freiwillig Versicherten bei nicht geleisteter Arbeitslosenhilfe dann sowohl den Arbeitgeber- als auch den persönlichen Anteil aus Privatmitteln finanzieren müssen, um diesen Übergang zu garantieren?
Frau Kollegin Lüth, die Höhe des freiwilligen Beitrages ist in § 240 SGB V geregelt. Ich möchte darauf Bezug nehmen. Ich habe mir die Mindestsätze sagen lassen; sie liegen in den neuen Bundesländern bei zirka 160 DM.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Erst als es um die Veränderung des AFRG ging, wo insbesondere die Möglichkeit des Bezugs von Arbeitslosenhilfe verändert wurde, entstand für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die nicht in der Familienversicherung unterkommen können, dieses Problem. Ist daran gedacht worden, eine andere Lösung als diese zu finden, weil die Beibehaltung der Mitgliedschaft für einen Teil der Betroffenen doch ziemlich erschwert ist?
Nein, Frau Kollegin. Diese Regelung, die ich Ihnen jetzt vorgetragen habe, ist 1993 mit der großen Mehrheit des Bundestages verabschiedet worden. Wir sehen auch durch andere gesetzliche Regelungen keine Schlechterstellung der Betroffenen.
Damit kommen wir zur Frage 20 des Abgeordneten Horst Schmidbauer ({0}):
Mit welcher Begründung verzichtet die Bundesregierung darauf, entgegen dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis das Votum des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht, koffeinhaltige Kombinationsschmerzmittel rezeptfrei zu belassen, zurückzuweisen, wie das Magazin „Plusminus"/ARD am 10. März 1998 berichtet hat, obwohl dadurch 6 000 bis 9 000 vermeidbare Dialysefälle und 600 bis 900 vermeidbare Fälle von Krebs der ableitenden Harnwege jährlich verursacht werden?
Herr Kollege Schmidbauer, der Sachverständigenausschuß für Verschreibungspflicht ist ein beratendes Gremium, das vor Erlaß einer Rechtsverordnung anzuhören ist. Nach seiner Auffassung ist die Datenlage zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausreichend, um die generelle Unterstellung koffeinhaltiger Kombinationsschmerzmittel unter die Verschreibungspflicht zu rechtfertigen.
Für die Beurteilung von Arzneimittelrisiken ist fachlich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die zuständige Behörde. Eine Unterstellung von Kombinationsanalgetika unter die Verschreibungspflicht erfordert auch nach seiner Auffassung die Klärung der Frage, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der dialysepflichtigen Nierenschädigung und der mißbräuchlichen Anwendung von Kombinationsanalgetika besteht. Deshalb ist es erforderlich, eine Studie durchzuführen, die aussagekräftige Daten liefert.
Grundsätzlich besteht sowohl bei Kombinationsals auch bei Monoanalgetika bei langandauernder mißbräuchlicher Anwendung die Gefahr der Nierenschädigung. Auf dieses Risiko ist vielfach hingewiesen worden. Diese Hinweise finden sich auch in den jeweiligen Gebrauchsinformationen. Die Einzeldosis sowie die Gesamtmenge an Wirkstoff in einer Pakkung sind wegen dieses Risikos bereits begrenzt worden.
Bei koffeinhaltigen Kombinationspräparaten besteht der Verdacht, daß diese einen Mißbrauch fördern können. Diese Frage wird unter Experten jedoch kontrovers diskutiert. Die von mir erwähnte Studie kann hier Klarheit schaffen. In einer im Februar 1998 im „New England Journal of Medicine" erschienenen Übersichtsarbeit kommen die Autoren zu dem Schluß, daß der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Mißbrauch von Analgetika und dialysepflichtigen Nierenschäden in weiteren Studien zu klären sei.
Die Aussage, daß durch die Einführung der Verschreibungspflicht für diese Präparategruppe 6000 bis 9000 Erkrankungen mit dialysepflichtiger, chronischer Niereninsuffizienz pro Jahr vermieden werden könnten, trifft nach Kenntnis des BfArM nicht zu. Ebenso trifft die Aussage nicht zu, pro Jahr könnten durch die Einführung der Verschreibungspflicht für diese Präparate in Deutschland 600 bis 900 Tumorerkrankungen der ableitenden Harnwege vermieden werden. Eine Datenquelle, die diese Aussage stützen könnte, ist dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nicht bekannt.
Eine Zusatzfrage. Herr Schmidbauer, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich denke, der Sachverhalt und die Problemlage sind für unser Land ja nicht neu. Meine letzte Kleine Anfrage dazu stammt aus dem Jahre 1993; heute schreiben wir 1998.
Der Contergan-Einstellungsbeschluß besagt doch: Die Bundesregierung und die zuständige Oberbehörde sind verpflichtet, in solchen Fällen erst das Risiko zu beseitigen und dann Forschungsmaßnahmen einzuleiten. Für mich ist die Frage: Wieso ist seit 1993 nichts in puncto Risikobeseitigung unternommen worden, und wieso sind die entsprechenden Forschungsmaßnahmen nicht rechtzeitig eingeleitet worden?
Herr Kollege Schmidbauer, daß nichts geschehen ist, ist ja so nicht ganz richtig. Sie wissen ja, daß im Vorfeld koffeinhaltige Analgetika einer bestimmten Stärke und Pakkungsgröße der Verschreibungspflicht unterstellt worden sind. Es verhält sich so - ich habe das eben in meiner Antwort ausgeführt -, daß der zuständige Sachverständigenausschuß als beratendes Gremium und das BfArM als die für die Entscheidung zuständige Behörde - nicht die Politik hat hier die Entscheidung zu treffen - gesagt haben, daß die derzeitige Datenlage nicht ausreichend ist, daß die Studien, die durchgeführt worden sind, praktisch nicht kongruent sind, daß sie aus methodischen Gründen keinen wissenschaftlichen Beweis, sondern lediglich Anhaltspunkte liefern. Aus diesem Grunde ist geplant, eine weitere Studie durchführen zu lassen. Wir werden natürlich die weitere Entwicklung bei koffeinhaltigen Analgetika aufmerksam beobachten.
Zweite Zusatzfrage. Bitte, Herr Schmidbauer.
Frau Staatssekretärin, sehen Sie nicht die Gefahr, daß dadurch der Eindruck entstehen kann, daß die Bundesregierung auch bei bestehenden Sicherheitsrisiken für Patientinnen und Patienten keine Entscheidung treffen will? Es steht doch fest, daß heute die Datenlage ganz eindeutig ist. Diese Datenlage müßte Ihnen eigentlich bekannt sein. Sie ist von der zuständigen Fachgesellschaft, der Gesellschaft für Nephrologie, erstellt worden. Gerade diese Fachgesellschaft hat die Zahlen, die ich in meiner Frage genannt habe, bekanntgegeben. Ich frage mich, auf welche Fakten oder Daten Sie noch warten wollen, wenn die Zahlen einer Fachgesellschaft für eine Entscheidung nicht ausreichend sein sollen.
Herr Kollege Schmidbauer, ich bedauere sehr, daß Sie die Gründe, die ich genannt habe, nicht akzeptieren können. Sie behaupten, die Datenlage sei klar; der Sachverständigenausschuß, der ja auch aus Wissenschaftlern und Experten besteht, sowie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, zu dessen Mitarbeitern ebenfalls Wissenschaftler und Experten zählen, haben dazu eine andere Auffassung. Ich als Politikerin kann und will das nicht bewerten. Ich muß diese Auffassung zumindest zur Kenntnis nehmen.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Steindor? - Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, inwiefern können Sie bestätigen, daß die Forderung nach einer Verschreibungspflicht für diese Kombinationsarzneimittel aus dem BfArM selbst erhoben worden ist?
Mir liegen Schreiben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vor, das letzte vom 24. März. Das kann ich Ihnen gern zur Verfügung stellen.
Ich rufe die Frage 21 der Abgeordneten Marina Steindor auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, daß der Sachverständigenausschuß für Verschreibungspflicht den Vorschlag des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte ({0}), die Verschreibungspflicht für koffeinhaltige Analgetika-Kombinationspräparate einzuführen, abgelehnt hat, obwohl der Gebrauch dieser Präparate nachweislich für ein Fünftel aller chronischen Niereninsuffizienzen verantwortlich ist, und wie begründet die Bundesregierung ihre Haltung?
Da sich Ihre Frage auf das gleiche bezieht wie die des Kollegen Schmidbauer, möchte ich Sie auf meine Antwort zu der Frage von Herrn Schmidbauer verweisen.
Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, inwiefern können Sie bestätigen, daß zu der Sitzung des Ausschusses, der für die Verschreibungspflicht zuständig ist, sogenannte unabhängige Sachverständige geladen worden sind, die den Herstellerfirmen dieser inkriminierten Arzneimittel angehören?
Diese Frage, ob da von seiten der Herstellerfirmen Experten anwesend waren, kann ich jetzt so nicht beantworten. Die Antwort muß ich Ihnen schriftlich nachliefern. Mir ist die Zusammensetzung dieses Sachverständigenausschusses zur Zeit nicht gegenwärtig.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Eine kurze Vorbemerkung meinerseits: In meinen Lehrbüchern - ich vermute, auch in Ihren Lehrbüchern - stehen als verursachende Medikamente für Niereninsuffizienz seit vielen Jahren diese inkriminierten Schmerzmittel, über die wir hier diskutieren.
Ich möchte Ihnen jetzt die Frage stellen: Wer führt die Studie durch, die Sie hier im Hause angekündigt haben? Wo wird sie durchgeführt? In welchem Zeitraum wird sie erstellt? Wann wird sie der Öffentlichkeit präsentiert werden?
Zu Ihrer Vorbemerkung möchte ich sagen, daß es hier nicht um den bestimmungsgemäßen Gebrauch von koffeinhaltigen Analgetika-Kombinationspräparaten geht, sondern um ihre mißbräuchliche Anwendung. Bei der mißbräuchlichen Anwendung eines Medikamentes besteht immer eine erhöhte Gefahr von gesundheitlichen Schädigungen. Ich glaube, wir müssen das hier unterscheiden. Das haben sowohl ich als wahrscheinlich auch Sie im Studium gelernt.
Zu Ihrer Frage, wer diese Studie durchführt und wann sie vorliegen wird: Diese Studie wird vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte durchgeführt. Wir rechnen mit einem Vorliegen der Ergebnisse in zirka zwei Jahren.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidbauer, bitte.
Frau Staatssekretärin, bei der Dimension der Schädigungen, die nach Auffassung von Fachleuten eingetreten sind, muß man doch zu dem Schluß kommen, daß sie nicht nur auf Mißbrauch zurückzuführen sind. Wenn Sie der mißbräuchlichen Verwendung von Schmerzmitteln eine so große Bedeutung beimessen, frage ich Sie: Wieso sind Sie nicht sofort dafür, daß dieser MißHorst Schmidbauer ({0})
brauch durch eine Rezeptpflicht abgestellt wird? Denn mit einer Rezeptpflicht könnte der mißbräuchlichen Verwendung der Arzneimittel am schnellsten und besten entgegengewirkt werden. Wir verstehen nicht, wieso Sie hier nicht eindeutig handeln und im Sinne der Sicherheit sofort die Rezeptpflicht einführen. Es wird niemandem etwas weggenommen, weder den Herstellern noch den Patienten.
Herr Kollege Schmidbauer, Sie unterstellen damit, daß bei einer Verschreibungspflicht keine mißbräuchliche Verwendung des Arzneimittels möglich wäre. Das wage ich zu bezweifeln; denn ein Bürger ist in der Lage, sich über mehrere Ärzte mehrere Rezepte über ein Medikament zu verschaffen.
Ich denke, wir sollten zunächst die Studie abwarten. Ich muß mich auf die Aussage der Experten verlassen.
Wir kommen zur Frage Nr. 22 der Abgeordneten Marina Steindor:
Welche Meinung vertritt die Bundesregierung bezüglich einer erheblichen Gebührenerhöhung um mehr als 700 % pro Medikament für die Nachzulassung von Arzneimitteln durch das BfArM, wie sie im Referentenentwurf zur Änderung der Kostenverordnung für die Zulassung von Arzneimitteln mit der Begründung der Kostendeckung vorgesehen ist?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Steindor, die in dem genannten Verordnungsentwurf vorgesehene Erhöhung der Gebühr für die Nachzulassung von derzeit 3100 DM auf 23 000 DM dient der Kostendeckung. Sie ist vor folgendem Hintergrund zu sehen: In diesem Bereich besteht ein besonders deutliches Ungleichgewicht zwischen dem Personal- und Sachaufwand und den zur Zeit dafür erhebbaren Gebühren. Dies beruht darauf, daß bei der ursprünglichen Bemessung der Gebühren der im Nachzulassungsverfahren anfallende Prüfaufwand nicht bekannt war.
Die bisherige Eingruppierung der Nachzulassung als Zulassungsverlängerung entspricht nicht dem anfallenden Prüfaufwand. Tatsächlich entsteht der Aufwand, der auch bei der Zulassung eines Arzneimittels mit einem bekannten Stoff entsteht. Das Arzneimittel ist im Nachzulassungsverfahren ebenso wie bei der Neuzulassung nach den Kriterien Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zu prüfen.
Das sehr deutliche Ungleichgewicht zwischen Prüfaufwand und Kosten war auch für die Antragsteller erkennbar, so daß diese nicht darauf vertrauen konnten, es werde auch in Zukunft nach Vorliegen der entsprechenden Erfahrungen und Beurteilungskriterien so bleiben.
Allgemein ist darauf hinzuweisen, daß der Verordnungsgeber aufgefordert ist, die Gebühren für die Zulassung von Arzneimitteln so zu bemessen, daß die Kosten für den Personal- und Sachaufwand gedeckt werden. Insbesondere wurde in der Vergangenheit vom Gesundheitsausschuß des Deutschen Bundestages, vom Rechnungsprüfungsausschuß und vom Bundesrechnungshof die Erwartung geäußert, daß der Verordnungsgeber die Kostenverordnungen regelmäßig auf ihren Kostendeckungsgrad überprüft und gegebenenfalls zur Erreichung der erforderlichen Kostendeckung anpaßt.
Abweichend von dem dargestellten Kostendekkungsprinzip sieht die Kostenverordnung bereits jetzt Ermäßigungstatbestände vor. Die Gebühren können bis auf ein Viertel ermäßigt werden, wenn ein den Entwicklungs- und Zulassungskosten angemessener wirtschaftlicher Nutzen nicht erwartet werden kann und an dem Inverkehrbringen des Arzneimittels auf Grund des Anwendungsgebietes ein öffentliches Interesse besteht oder die Anwendungsfälle selten sind oder die Zielgruppe klein ist. In diesen Fällen kann von der Gebühr sogar ganz abgesehen werden, wenn der zu erwartende wirtschaftliche Nutzen im Verhältnis zu den Entwicklungskosten besonders gering ist.
Daneben kann in Einzelfällen, in denen ein geringerer Personal- und Sachaufwand entsteht, diesem durch eine Ermäßigung bis auf die Hälfte der Gebühren Rechnung getragen werden, sofern dies im Verhältnis zum Nutzen der Amtshandlungen für den Antragsteller gerechtfertigt ist.
Selbstverständlich sieht der Verordnungsentwurf auch abgestufte Gebühren für verschiedene Konzentrationen oder Darreichungsformen desselben Arzneimittels vor.
Die Stellungnahmen der Verbände der pharmazeutischen Unternehmen werden derzeit im Rahmen der Ressortabstimmungen und mit den Zulassungsbehörden ausgewertet. Das Ergebnis dieser Auswertung bleibt nunmehr abzuwarten.
Zusatzfrage bitte, Frau Steindor.
Ist sich die Bundesregierung der Tatsache bewußt, daß es bei kleinen Firmen, die naturheilkundliche Medikamente herstellen und mehrere Medikamente in der Zulassung haben, zu ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten bis hin zu Firmenschließungen kommen kann?
Das ist uns von den Verbänden mitgeteilt worden. Gleichwohl besteht - das habe ich bereits vorgetragen - der Auftrag des Gesundheitsausschusses, dem Sie auch angehören, des Rechnungsprüfungsausschusses des Deutschen Bundestages und des Bundesrechnungshofes. Dem müssen wir Folge leisten.
Zweite Zusatzfrage.
In welcher Beziehung stehen die rechtliche Klarstellung für die Nachzulassung in der 8. AMG-Novelle, die wir derzeit im Hause beraten, und diese drastische, unverhältnismäßige Gebührenanhebung im Verordnungsbereich?
Frau Kollegin Steindor, diese Frage können Sie gern in der Anhörung, die heute vom Gesundheitsausschuß beschlossen worden ist, stellen. Vielleicht können Ihnen die Experten dort eine Antwort darauf geben.
Damit sind wir bei der Frage 23 des Abgeordneten Klaus Kirschner:
Wie schätzt die Bundesregierung die Bedrohung von Arbeitsplätzen bei Zahnärzten und bei Zahntechnikerbetrieben in Deutschland durch die Veränderungen und Kürzungen von Leistungen beim Zahnersatz, z. B. durch den Wegfall des Zahnersatzes für nach dem 31. Dezember 1978 Geborene oder die Umstellung von Sachleistung auf Kostenerstattung, generell ein?
Herr Kollege Kirschner, ich sehe weder bei Zahnärzten noch bei Zahntechnikern eine Bedrohung von Arbeitsplätzen durch die Neuregelungen zum Zahnersatz. Die gesetzlichen Änderungen im Bereich der zahnmedizinischen Versorgung sollen die Eigenverantwortung stärken, die Wahlmöglichkeiten erweitern sowie qualitätsorientierten Preiswettbewerb fördern. Eine Leistungskürzung bei Zahnersatz hat der Gesetzgeber bewußt nicht vorgenommen.
Die Begrenzung der Festzuschüsse auf Kunststoffverblendungen stellt keine qualitative Minderung dar, denn diese Verblendungsart ist mittlerweile den teuren Keramikverblendungen ebenbürtig. Insofern stellt diese Maßnahme eine Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven dar. Im übrigen sind die Festzuschüsse auf der Basis eines 50 prozentigen Zuschußniveaus festgelegt worden, so daß auch von daher kein Nachfragerückgang zu erwarten ist.
Die Ausgrenzung von Zahnersatz für nach dem 31. Dezember 1978 Geborene macht sich erst langfristig bemerkbar. Zu welchen marktmäßigen Auswirkungen sie führt, kann deshalb gegenwärtig nicht eingeschätzt werden.
Insgesamt dürften durch das neue Recht grundsätzlich keine negativen Auswirkungen auf die Arbeitsmarktsituation bzw. -entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland gegeben sein. Der durch die Festzuschüsse geförderte Preiswettbewerb erhöht die Freiheitsspielräume aller Beteiligten und ist damit für Zahnärzte, Zahntechniker und Versicherte mit Chancen und Risiken verbunden. Die Festzuschüsse zu den einzelnen Versorgungsformen sind auf dem bisherigen Versorgungs- und Qualitätsniveau definiert worden und umfassen auch neue Behandlungstechniken wie zum Beispiel Galvanokronen, metallfreie Kronen und Brücken sowie Adhäsivbrücken. Damit ermöglicht das Festzuschußkonzept eine Umsetzung des medizinischen Fortschritts in die
Praxis, was durchaus auch nachfragesteigernd wirken kann. Ferner ist zu berücksichtigen, daß kein Land einen so umfangreichen Leistungskatalog bei Zahnersatz hat wie die Bundesrepublik Deutschland.
Vor diesem Hintergrund sehe ich keine Bedrohung der Arbeitsplätze bei Zahnärzten und Zahntechnikern. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, daß betriebsbedingte Faktoren in Einzelfällen zum Verlust eines Arbeitsplatzes führen könnten.
Zusatzfrage, Herr Kirschner.
Frau Staatssekretärin, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Umstellung von der Sachleistung auf Kostenerstattung - das heißt, der Patient bekommt eine Privatrechnung -, die beispielsweise bei Kronen beim 1,7fachen Satz ungefähr 60 DM pro Krone an Mehrkosten für den Patienten verursacht, nicht dazu führen darf, daß Patienten auf die notwendige Behandlung verzichten?
Gegenwärtig haben wir darüber keine Erkenntnisse, Herr Kollege Kirschner. Da das Festzuschußkonzept erst vor kurzem in Kraft getreten ist, sollte man das vielleicht noch ein wenig abwarten.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, sind Ihnen die Zahlen des Verbandes Deutscher Zahntechniker-Innungen bekannt, wonach im letzten Ausbildungsjahr ungefähr 50 Prozent weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden und die Zahl der Arbeitsverträge für die ausgebildeten Gesellen ebenfalls um zirka 50 Prozent zurückgegangen ist? Sehen Sie dies nicht als eine gewisse Auswirkung der damaligen Ankündigung einer Umstellung von Sachleistung auf Kostenerstattung?
Herr Kollege Kirschner, ich kann da beim besten Willen keine Beziehung erkennen und glaube auch nicht, daß die Frage der Ausbildung und der Einstellungen mit dem Festzuschußkonzept zusammenhängt, das sich von der vorherigen Regelung gar nicht so sehr unterscheidet, nämlich nur darin, daß der Patient einen Vertrag mit dem Zahnarzt eingeht, zusammenhängt.
Zu einer Zusatzfrage der Abgeordnete Schmidbauer.
Frau Staatssekretärin, wenn es zutrifft, was das Zahntechnikerhandwerk berichtet, daß nämlich Einbußen in der Größenordnung von 30 bis 50 Prozent zu verzeichnen sind und daraus wirtschaftliche Folgerungen entste20422
Horst Schmidbauer ({0})
hen und daß die wirtschaftliche Situation des Zahntechnikerhandwerks so schlecht ist, daß Zahnärzte teilweise Eigentum an Laboreinrichtungen des Handwerks erwerben, dann besteht für mich die Frage: Wie beurteilen Sie diese Entwicklung auf dem Markt der Zahntechniker?
Herr Kollege Schmidbauer, ich kann keinen Bezug zu den Fragen des Herrn Kollegen Kirschner erkennen. Ich glaube nicht, daß sich das Festzuschußprinzip derartig auf die Arbeitsmarktentwicklung in bestimmten Berufen auswirkt.
Dann kommen wir jetzt zur Frage 24 des Abgeordneten Klaus Kirschner:
Wie schätzt die Bundesregierung die Bedrohung von Arbeitsplätzen durch die Gewährung von Festzuschüssen für Zahnersatz in EU-Staaten und Staaten, mit denen ein bilaterales Sozialversicherungsabkommen besteht, ein?
Herr Kollege Kirschner, angesichts der gegenwärtig nur im Ausnahmefall möglichen Gewährung von Festzuschüssen für Zahnersatz in EU-Staaten und in Staaten, mit denen ein bilaterales Sozialversicherungsabkommen besteht, sehe ich auch hier keine Bedrohung von Arbeitsplätzen. In Nicht-EU-Staaten bzw. in Staaten ohne Sozialversicherungsabkommen darf von den Kassen kein Festzuschuß für Zahnersatz erstattet werden, zum Beispiel in Polen und Ungarn. Ich hatte diesbezüglich bereits in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 4. März 1998 geantwortet.
Grundsätzlich muß es das Ziel aller in Deutschland für die prothetische Versorgung Tätigen sein, für Preis-Leistungs-Verhältnisse zu sorgen, die dem Wettbewerb standhalten. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß dies möglich ist; denn die Importquote für zahntechnische Leistungen beträgt gegenwärtig nur rund 1 Prozent.
Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Kirschner.
Frau Staatssekretärin, ist der Bundesregierung bekannt, daß Zahnärzte in zunehmendem Maße versuchen, ausländische Zahnlabors bei der Fertigung von Zahnersatz in Anspruch zu nehmen bzw. Aktiengesellschaften dies geradezu anbieten, und wie beurteilen Sie diese Entwicklung vor dem Hintergrund dessen, was meine erste und zweite Frage betrifft, nämlich der Auswirkungen auf die Arbeitsplätze hier?
Herr Kollege Kirschner, die Bedeutung des Imports von Zahnersatz wird häufig überschätzt. Im Jahre 1995 betrug der Gesamtumsatz gewerblicher zahntechnischer Labore in den alten Bundesländern rund 5,6 Milliarden DM.
Die Importe lagen im gleichen Jahr bei rund 73 Millionen DM.
Lassen Sie mich im übrigen hinzufügen: Auch Sie sind, glaube ich, der Meinung, daß die Leistungen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung wirtschaftlich erbracht werden sollen. Wir können bei einem freien Warenverkehr die wirtschaftliche Leistungserbringung wohl nicht in Frage stellen.
Zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Kirschner.
Frau Staatssekretärin, es geht darum, daß durch die Umstellung von Sachleistung auf Kostenerstattung die Zuzahlungen der Patienten allein bei Zahnkronen bundesweit - so die Schätzungen - beim 1,7fachen Satz entsprechend der Gebührenordnung für Zahnärzte um 400 Millionen DM steigen.
Glauben Sie nicht, daß vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die zukünftige Entwicklung, daß in zwei Jahren bis zum 3,5fachen abgerechnet werden kann - dies gilt dann für alle Zahnersatzleistungen -, ein verstärkter Trend festzustellen sein wird, entweder daß man sich Zahnersatzleistungen im Ausland direkt besorgt oder daß Zahnärzte ausweichen, um ausländische Zahnlabors damit zu beauftragen, um so eine höhere Gewinnspanne für sich selbst zu reklamieren?
Herr Kollege Kirschner, was in zwei Jahren sein wird, bewegt sich natürlich im Spekulativen. Aber ich kann jetzt dazu sagen: Wenn sich ein Versicherter für die im Festzuschußkonzept dargestellten Leistungen, die einer guten prothetischen Versorgung entsprechen, entscheidet, dann wird er nicht mit höheren Zuzahlungen belastet.
({0})
Der Versicherte selbst hat die Möglichkeit, das zu entscheiden. Wenn er eine höherwertige Versorgung haben möchte, dann hat er natürlich mit einer größeren Zuzahlung zu rechnen. Das ist, denke ich, gegenüber der Solidargemeinschaft auch gerecht.
Zusatzfrage des Abgeordneten Schmidbauer.
Frau Staatssekretärin, wenn es so ist, wie Sie es eben gesagt haben, daß der Arbeitsplatzverlust und der Abbau an Volumen im Handwerk nicht auf die 400 Millionen DM an zusätzlicher Belastung für die Versicherten zurückzuführen ist und ursächlich auch nichts mit dem zunehmenden Export zu tun hat, wo sehen Sie dann den Grund für den Rückgang? Ist denn Ihrer Meinung nach die Zahngesundheit der Bevölkerung innerhalb eines Quartals so dramatisch besser geworden?
Herr Kollege Schmidbauer, auch Sie haben sicherlich noch die Erfahrungen im Zusammenhang mit unserem gemeinsam verabschiedeten Gesundheitsstrukturgesetz in Erinnerung, nämlich daß nach einer entsprechenden neuen gesetzlichen Regelung bei der Bevölkerung zunächst einmal eine gewisse Verunsicherung eintritt und es damit zu Leistungsrückgängen kommen kann. Das haben wir 1989, das haben wir auch 1993 erlebt.
Gleichwohl muß ich sagen, daß sicherlich auch der Streit zwischen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Deutschlands und dem Ministerium bei der Frage der Honorarbindung - 1,7fache - dazu beigetragen hat, daß eine gewisse zusätzliche Verunsicherung bei der Bevölkerung vorhanden ist. Ich glaube aber, daß das zeitlich begrenzt sein wird. Insgesamt, denke ich, wird sich das Festzuschußkonzept bei der Bevölkerung durchsetzen.
Die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Gesundheit. Ich bedanke mich bei der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl.
Wir sind damit auch am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 26. März 1998, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.