Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst einige amtliche Mitteilungen: Aus dem Wahlprüfungsausschuß ist der Kollege Eduard Oswald als stellvertretendes Mitglied ausgeschieden. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt als Nachfolger den Kollegen Dr. Peter Ramsauer vor. Sind Sie einverstanden? - Dann ist der Abgeordnete Dr. Peter Ramsauer als stellvertretendes Mitglied in den Wahlprüfungsausschuß gemäß § 3 Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes gewählt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15a und 15 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes
- Drucksachen 13/8796, 13/9070, 13/9351 - ({0})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Matthias Berninger, Andrea Fischer ({1}), Rita Grießhaber, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Hochschulrahmengesetzes ({2})
- Drucksache 13/8824 - ({3})
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes ({4})
- Drucksache 13/5358 -({5})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({6})
- Drucksache 13/9822 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Thomas Rachel Edelgard Bulmahn
Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Ludwig Elm
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({7})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Doris Odendahl, Tilo Braune, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Investition für die Zukunft: Hochschul- und Studienfinanzierung sichern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Altmann ({8}), Matthias Berninger, Antje Hermenau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Reform der Personalstruktur an Hochschulen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Berninger, Elisabeth Altmann ({9}), Marieluise Beck ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Hochschul- und Studienfinanzierung: Studiengebühren sind der falsche Weg
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ludwig Elm, Wolfgang Bierstedt, Maritta Böttcher, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS
Für offene, demokratische Hochschulen
- Drucksachen 13/7914, 13/6121, 13/7473, 13/8847, 13/9822 Berichterstattung:
Abgeordnete Thomas Rachel Edelgard Bulmahn
Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Ludwig Elm
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Es liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., der Fraktion der SPD sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Die Fraktion der SPD hat außerdem zwei Änderungsanträge eingebracht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Kein Widerspruch. Wir verfahren so.
Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Thomas Rachel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor uns liegt der Entwurf für ein neues Hochschulrahmengesetz. SPD- und unionsgeführte Bundesländer haben ihn mit Bundesbildungsminister Rüttgers vereinbart. Im Kern der heutigen Debatte geht es um zwei Fragen: Erstens. Was bringt das neue Hochschulrahmengesetz? Zweitens. Wie steht es um die Verläßlichkeit der Sozialdemokratie in Deutschland?
({0})
Zur ersten Frage: Was bringt das neue Hochschulrahmengesetz? Eine Vielzahl von einengenden Vorschriften wird gestrichen. Wir geben den Hochschulen neue Entscheidungskompetenz. Aus dem HRG erwachsen neue Möglichkeiten für Wettbewerb und Leistungsorientierung. Die staatliche Finanzierung orientiert sich künftig an den in Forschung und Lehre erbrachten Leistungen. Wir haben einen Meilenstein in der Frauenförderung gesetzt.
({1})
Durch den von der CDU/CSU-Fraktion formulierten Änderungsantrag wird erstmals die staatliche Finanzierung der Hochschulen auch von Fortschritten bei der Frauenförderung abhängig gemacht.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie brauchen gar nicht zu schreien. Wir freuen uns, daß Sie sich dem Änderungsantrag der CDU/CSU angeschlossen haben.
({3})
- Liberale und Christdemokraten wollen, daß sich etwas ändert, daß nicht nur 4,8 Prozent der C-4-Professuren in weiblicher Hand sind, sondern daß die Frauen in die Männerdomäne der Spitzenpositionen eindringen können.
({4})
Wir bringen wichtige Verbesserungen in die Hochschulen ein, und zwar Studienberatungen, systematische Bewertungen und Freischußregelungen. Die Professoren müssen in Zukunft pädagogische Fähigkeit nachweisen, damit sie eingestellt werden können. Das ist auch gut so; denn die Hochschullehrer sind für die Studierenden da und nicht umgekehrt.
({5})
Meine Damen und Herren, wir schaffen mit dem Credit-point-System und den neuen internationalen Abschlüssen, Bachelor und Master, wichtige Impulse für unsere Hochschullandschaft.
Diese Verbesserungen haben wir als Koalition gemeinsam mit der SPD vereinbart.
({6})
Wissenschaftsminister Zöllner und seine Kollegin Anke Brunn haben selber im August letzten Jahres die Novelle zum HRG als einen „akzeptablen Kompromiß " bezeichnet. Sie versprachen, den Entwurf „konstruktiv und mit dem Ziel einer raschen Verabschiedung zu begleiten" . Wir nehmen die SPD-Bundesländer beim Wort, meine Damen und Herren!
Sie haben auch begründet, warum sie zustimmen. Ich zitiere wieder Zöllner und Brunn: „Wir können in dem vorliegenden Kompromiß unsere sozialdemokratische Handschrift wiedererkennen. "
({7})
Wenn dem so ist, dann wird die SPD doch wohl zu dem vereinbarten Gesetzentwurf stehen.
({8})
Damit sind wir auch schon bei der Frage nach der Verläßlichkeit der Sozialdemokratie. Der Chef der Hochschulrektorenkonferenz, Professor Landfried, hat uns aufgefordert: Jetzt kommt es darauf an, die Hochschulreform zu verwirklichen.
({9})
Und er warnt - ich zitiere ihn -: „Im Interesse der jungen Generation darf die Verabschiedung des Gesetzes nicht der Wahlkampftaktik der politischen Parteien geopfert werden." Und was macht die SPD? Sie macht das genaue Gegenteil davon. Sie kündigt an, gegen das Hochschulrahmengesetz zu stimmen, wenn in das Gesetz nicht zusätzlich ein Verbot von Studiengebühren aufgenommen wird.
({10})
Meine Damen und Herren, die SPD versucht also, den von ihr selber mitgestalteten Entwurf durch ein nachträglich inszeniertes Junktim zu Fall zu bringen.
({11})
Ich zitiere erneut die Hochschulrektorenkonferenz. Sie sagt: Die Hochschulreform „darf nicht an der Frage scheitern, ob ein Verbot von Studiengebühren" in das Gesetz „aufgenommen wird".
Richtig ist, die SPD hat immer, auch in der weiteren Diskussion, gesagt, die Frage der Studiengebühren
zu thematisieren. Aber es war allen Seiten von Anfang an klar, daß in der Frage der Studiengebühren unvereinbare Auffassungen vorhanden sind und weiter bestehen werden. Weil dies so ist, wurde bei der Vorlage des gemeinsamen Konsensentwurfes für die Hochschulreform weder die Forderung nach Studiengebühren noch ein Verbot von Studiengebühren aufgenommen.
({12})
Das war eine bewußte Entscheidung aller Beteiligten. Wenn Sie dies jetzt im nachhinein für den Ausstieg aus der Hochschulreform mißbrauchen wollen, dann ist das skandalös und unseriös.
({13})
Hier wird etwas zum Wahlkampfthema aufgeblasen, was keines ist. Keine Fraktion im Parlament will Studiengebühren einführen. Auch die CDU/CSU- Fraktion will keine Studiengebühren in der Regelstudienzeit. Dementsprechend ist dies auch nicht im Gesetz enthalten. Es ist aber abstrus, wenn die Sozialdemokratie ein von ihr selbst mitgestaltetes Gesetz deshalb ablehnen will, weil darin etwas nicht verboten wird.
({14})
Da stellt sich doch die Frage nach der Verläßlichkeit der Sozialdemokratie. Was ist eine Vereinbarung mit den Spitzen Ihrer Partei überhaupt noch wert, meine Damen und Herren? Nach der Blockade der Steuerreform und Ihrem unerträglichen Zickzack beim Lauschangriff lassen Sie sich nun ein weiteres Mal von Lafontaine zu einer Blockade hinreißen, diesmal bei der Hochschulreform,
({15})
und das nur aus parteitaktischen Gründen, alles nach Lafontaines Motto: Es darf nichts mehr gelingen in dieser Republik. - Das ist unerhört!
({16})
Ich appelliere an die Verhandlungsführer der SPD, die vernünftig sind, sich dem Diktat aus Saarbrücken nicht zu beugen.
({17})
Ich verweise auf Rudolf Scharping, der in der „Welt" vom 21. August mit den Worten zitiert wird, daß die Hochschulreform nicht an der Frage der Studiengebühren scheitern dürfe. Wir nehmen ihn beim Wort. Gleiches berichtet die FAZ von Anke Brunn.
Meine Damen und Herren, wir wollen dieses Gesetz beschließen. Das wollen wir mit Ihnen gemeinsam tun; denn wir nehmen Sie beim Wort.
Professor Zöllner hat in der letzten Debatte dazu, am 30. Oktober, gesagt: „Es ist besser, heute 60 Prozent eines Weges zu gehen, als wertvolle Zeit verstreichen zu lassen, weil möglicherweise nicht alles möglich ist. " Wir nehmen Sie beim Wort.
Das alte Hochschulrahmengesetz sah keine Studiengebühren vor. Auch durch das neue Hochschulrahmengesetz werden keine Studiengebühren eingeführt, egal was den Studenten suggeriert wird. Der wesentliche Unterschied besteht darin, daß durch das neue Hochschulrahmengesetz eine Vielzahl von Verbesserungen für die deutschen Hochschulen ermöglicht wird.
Geben Sie Ihre Blockade auf und stimmen Sie mit uns für das Hochschulrahmengesetz!
Herzlichen Dank.
({18})
Das Wort hat die Kollegin Doris Odendahl.
Sehr geehrte Herren, sehr geehrte Damen! Nicht nur weil heute Freitag der 13. ist - dies ist auch der schwarze Freitag für die Hochschulpolitik der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode.
({0})
Ihre Politik, Herr Minister Rüttgers, ist gescheitert.
({1})
Die SPD stimmt dem HRG-Kompromiß nicht zu, weil wesentliche Punkte im parlamentarischen Verfahren nicht in den Gesetzentwurf der Bundesregierung aufgenommen wurden - zugegeben: auch um den Preis, daß jetzt auf die mühsam erzielten Verbesserungen verzichtet werden muß. Zu Beginn der nächsten Wahlperiode kann ein entsprechender Entwurf von einer neuen Bundesregierung sofort neu eingebracht werden.
({2})
Dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novellierung des HRG gingen in der Tat schwierige Verhandlungen mit den Ländern voraus. Das heutige Ergebnis ist ein mühsam erzielter Kompromiß. Kompromisse haben es nun einmal an sich, daß sie immer Punkte enthalten, die der einen Seite große Freude bereiten und die andere zum Zähneknirschen veranlassen. Auf zwei davon werde ich nachher eingehen.
Lassen Sie mich aber zu Beginn noch etwas zur Vorgeschichte des HRG anmerken, weil dieser Punkt für die Länder und für uns von größter Bedeutung ist. Wir hatten in der Gemeinsamen Verfassungskommission des Bundes und der Länder eine Diskussion darüber, ob und wie im Bildungsbereich Gesetzgebungskompetenzen verändert werden sollen. Obwohl die Meinungen sehr auseinandergingen, stand
ich in diesem Punkt auf der Seite des Bundes. Im Art. 72 Abs. 2 unserer Verfassung ist festgeschrieben, daß für die Menschen in Deutschland gleiche Lebensbedingungen bestehen müssen. Selbstverständlich schließt das den Bildungsbereich mit ein. Angesichts der großen Unterschiede zwischen neuen und alten Bundesländern nach der deutschen Einheit war dies auch der entscheidende Punkt.
Wir haben seinerzeit in der Gemeinsamen Verfassungskommission angesprochen, daß das Hochschulrahmenrecht angepaßt und entrümpelt werden sollte. Dies war die Grundlage für die jetzige HRG- Novelle. Ich kann nachvollziehen, daß Herr Minister Rüttgers in Panik verfällt, wenn sein letztes vorgelegtes Reformwerk
({3})
in seiner zu Ende gehenden Ministerzeit von seiten des Bundesrates und des Parlaments Korrekturen erfährt. Seine bisherigen Reformvorhaben - samt BAföG-Reform - sind ja alle kläglich gescheitert.
({4})
Aber es ist mehr als schäbig - und übrigens dumm dazu -, zuerst lange mit den Ländern zu verhandeln, ständig die eigene Kompromißbereitschaft zu betonen und dann, wenn das Endergebnis nicht in den eigenen Kram paßt, das Zustimmungsrecht der Länder in Frage zu stellen.
({5})
Es ist ein Possenstück, am Ende solcher Verhandlungen die Länder herauszufordern, ihr Zustimmungsrecht in Karlsruhe einzuklagen. Daß Sie sich selbst blamieren, ist Ihre Sache. Aber es ist ganz und gar nicht Ihre Sache, die Studenten und die Hochschulen jetzt im Regen stehen zu lassen und auf Karlsruhe zu verweisen.
({6})
Es bringt nichts, Herr Minister Rüttgers, als verantwortlicher Ressortminister die Unfähigkeit zum politischen Handeln selbst hervorzurufen und dann zu beklagen.
({7})
Bei den Hochschulprotesten Verständnis zu signalisieren ist die eine Seite; beim politischen Handeln später dann das Risiko einzugehen, sich die eigene Unfähigkeit vom Bundesverfassungsgericht bescheinigen zu lassen, die andere.
({8})
Die verweigerte Zustimmungsformel - ich hätte nie gedacht, daß ich Sie dazu ermahnen muß - ist ein unerhörter Affront und ein Anschlag auf den kooperativen Föderalismus.
({9})
Bleibt festzuhalten: Sie haben die Hochschulreform von Anfang an falsch angepackt, nämlich allein von oben.
({10})
- Moment, wir kommen auf den parlamentarischen Vorgang noch zu sprechen.
Statt mit den Hochschulen - sie sind in diesem Fall die Bildungssubjekte, nicht die -objekte - gemeinsam zu Lösungen zu kommen, haben Sie über deren Köpfe hinweg den starken Max markiert und einen Kompromiß ausgehandelt. Wer kann und soll sich denn für die Umsetzung einer solchen Reform begeistern, wenn er am Verfahren selbst gar nicht beteiligt wurde?
Anstöße zu einer Bildungsreform müssen von unten und oben zugleich erfolgen. Das heißt zweierlei: Eine Bildungsreform von oben - und sei es „nur" mit mehr öffentlichen Mitteln für den Bildungs- und Wissenschaftsbereich - kann nicht gelingen, weil sie an den Bedürfnissen und den Interessen der Betroffenen vorbeigeht und von diesen deshalb auch nicht getragen würde. Eine Bildungsreform, die allein von unten gestaltet würde, wäre manchen Politikerinnen und Politikern vielleicht ein Graus, aber durchaus vorstellbar, wenn der Rahmen für Autonomie erweitert wird. In diese Richtung sollten das HRG und dann auch die Landeshochschulgesetze reformiert werden.
Damit kommen wir zum zweiten Punkt. Sie können nicht im Ernst in Frage stellen, daß die Studienfinanzierung einen Kernpunkt jeder Hochschulreform darstellt. Das Scheitern der BAföG-Reform in dieser Wahlperiode ist eine schwere Hypothek, die Sie zu verantworten haben.
({11})
Deshalb ist die Verankerung des Verzichts auf Studiengebühren im HRG für uns der entscheidende Faktor. Das von Ihnen verweigerte gesetzliche Verbot von Studiengebühren verändert unser Bildungssystem radikal. Bildung wird zur Ware, die verkauft und gekauft werden kann. Das Hochschulsystem eignet sich aber nicht für solche Deals. Zusammen mit der verweigerten grundlegenden Reform der Studienfinanzierung würde dies nicht nur die Einheitlichkeit des Hochschulsystems gefährden, sondern auch den Zugang von Studierenden aus finanziell schlechter gestellten Familien noch mehr als bisher erschweren.
({12})
Ihre Politik richtet sich einseitig gegen die Studierenden. Sie können sich über den Protest der Studierenden, von Gewerkschaften und selbst Hochschullehrerverbänden doch nicht wundern, ebensowenig über unsere Ablehnung der HRG-Novelle. Sie wollen mehr Effizienz, mehr Leistung und mehr Qualität der Lehre. Sie wollen Studienzeitverkürzung. Dagegen ist zunächst überhaupt nichts zu sagen. Doch bei den Maßnahmen setzen Sie fast ausschließlich bei den Studierenden an, ohne über die BAföG-Reform die materiellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Studierenden tatsächlich in der Regelstudienzeit fertig werden können.
Sie kürzen die Bundesausgaben im Bildungs- und Forschungsbereich, statt die versprochene Innovationsoffensive zu nutzen, um die Voraussetzungen - Bauten, Personal- und Sachmittel - für ein ordnungsgemäßes Studium innerhalb der Regelstudienzeit zu schaffen, soweit der Bund dabei Mitverantwortung trägt. Sie erhöhen den Druck auf die Studierenden und eröffnen dem jeweiligen Land - meine Heimat Baden-Württemberg liegt dabei wiederum an der Spitze ({13})
- sehr unrühmlich - Spielräume für die Einführung von Zwangsmaßnahmen. Das ist alles gegen die Studierenden gerichtet.
Allerdings gilt: Die Hochschullehrer bleiben weitgehend ungeschoren. Um eine durchgreifende Personalstrukturreform haben Sie sich nicht einmal bemüht.
({14})
Die Koalitionsfraktionen haben den ersten Schritt hierzu, nämlich die Einführung einer tarifvertraglichen Öffnungsklausel für Zeitverträge, abgelehnt. Sie versprechen mehr Autonomie - zunächst nur gegenüber den Ländern -, ohne sich letztlich darum zu kümmern, ob dieser Freiraum auch an die Hochschulen weitergeleitet wird.
({15})
Wessen Autonomie, lieber Herr Rachel, soll denn hier gestärkt werden?
({16})
- Die Anrede „lieber Herr" kann manchmal auch die Aufforderung beinhalten, endlich einmal den Denkapparat zu betätigen.
({17})
- Jetzt hören Sie einmal gut zu, weil Sie diesen Punkt immer nur sehr schwer verstehen!
({18})
Eine wirkliche Stärkung der Mitbestimmung der Studierenden und die rahmenrechtliche Absicherung lehnen Sie ebenfalls ab. Diese beiden Punkte haben miteinander zu tun. Das wollte ich Ihnen deutlich machen.
Was wollen Sie nun wirklich, Herr Minister Rüttgers? Ich bin ganz gespannt, ob Sie uns das nachher sagen werden. Sie sollten endlich den Studierenden, den Hochschulen und den Ländern reinen Wein einschenken. Mit der Erprobung internationaler Studiengänge könnte sich ja der Traum der Verfasser und Befürworter des Eckwertepapiers von 1993 für den gescheiterten Bildungsgipfel des Bundeskanzlers - das war ebenfalls nur eine Ankündigung - im nachhinein, sozusagen durch die Hintertür, realisieren lassen: die Zweiteilung des Studiums. Wir waren schon 1993 höchst wachsam, und auch heute ist für uns klar, daß eine solche Erprobung unter kontrollierten Bedingungen erfolgen muß. Bachelor-/MasterStudiengänge sind für uns nur unter bestimmten Bedingungen realisierbar. Dazu gehören die Durchlässigkeit, das heißt, keine zusätzlichen Hürden für den Aufbaustudiengang außer dem erfolgreichen Abschluß des BA, und nachgewiesene Berufsbefähigung. Das bedeutet auch, daß zuerst die beruflichen Anforderungen festgelegt werden, damit man dann sehen kann, wieviel Studienzeit letztlich benötigt wird, nicht umgekehrt: drei Jahre ex und hopp, nicht wahr? Dazu gehört auch die nachgewiesene internationale Vergleichbarkeit der einzelnen Module.
Ich habe noch eine ganz herzliche Bitte: Es gibt durchaus auch in Frankreich überlegenswerte Studienstrukturmodelle. Bitte heben Sie nicht nur auf Großbritannien und die USA ab. Ich betone das insbesondere im Hinblick auf Europa.
Meine Damen und Herren, wahrscheinlich ist das heute die letzte grundsätzliche Debatte zur Bildungspolitik in dieser Wahlperiode und hoffentlich die letzte während Ihrer Regierungszeit.
({19})
Für mich ist es vor meinem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag auch die letzte Möglichkeit, noch einmal darzulegen, wofür ich mich über 15 Jahre lang eingesetzt und manchmal hart gekämpft habe und was es jetzt zu bewahren gilt: Die Bildungsreform der 70er Jahre hatte ein offenes Bildungssystem zum Ziel, bei dem der Gedanke „Förderung statt Auslese" im Vordergrund steht.
({20})
- Ja, ja.
Nicht nur mit der klammheimlich gewollten Zweiteilung des Studiums, sondern auch mit dem vom Freistaat Sachsen geforderten Auswahlrecht, das die Hochschulen zunächst in zulassungsbeschränkten Fächern für ihre Studierenden erhalten sollen, verabDoris Odendahl
schieden Sie sich mit Ihrer Bildungspolitik endgültig vom Konsens der 70er Jahre.
({21})
Man kann ja sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, der habe Staub angesetzt.
({22})
- Jetzt hören Sie doch einmal zu. Dennoch: Der Öffnungsbeschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern vom November 1977 steht auf dem Spiel. Wir sollten stolz darauf sein, daß hierin der Unterschied zwischen dem westdeutschen Hochschulsystem und dem DDR-Hochschulsystem deutlich wird:
({23})
Nicht ein „Auswahlgespräch" mit vielleicht dubiosen Auswahlkriterien, sondern das Abitur als - bei allen Schwächen - immer noch objektives Kriterium soll darüber bestimmen, ob junge Menschen auf die Hochschule - möglichst ihrer Wahl - dürfen und was sie studieren wollen.
({24})
Zum Abschluß, und weil es so gut paßt, erlaube ich mir ein Zitat aus einem eigenen Vortrag aus dem Jahr 1992
({25})
- so lange dauert es, bis Sie überhaupt dazu kommen, nachzudenken -:
Am Ende einer sorgfältigen Studienreform könnte dann eine neue Studienstruktur entstehen, die zu einem berufsqualifizierenden Abschluß nach einem vier- bis fünfjährigen Grundstudium führt und alle Absolventinnen und Absolventen zum Aufbaustudium einerseits
({26})
und zum berufsbegleitenden weiterbildenden Studium andererseits befähigt bzw. berechtigt. Besondere Eingangsprüfungen zum Aufbaustudium lehnen wir ab.
({27})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gemeinsame Ziel muß doch weiterhin sein, junge Menschen - und zwar unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern - zum Studium zu ermutigen,
({28})
nicht sie abzuschrecken. Es drängt sich sonst leicht der Verdacht auf, es ginge Ihnen letztlich darum, die Hochschulen von den Studierenden zu befreien.
Was schwarz beginnt, muß nicht schwarz enden. Das ist besonders bei Ihnen der Fall. Ein schwarzer Freitag mag am Ende auch sein Gutes haben: Mit einem Moratorium, wie es die Studierenden ebenfalls wünschen, und durch die Ablehnung der HRG-Novelle - wie die SPD es will - im Bundesrat besteht die Möglichkeit zu einem Neuanfang. Wir sollten alle gemeinsam die Chance nutzen.
Vielen Dank.
({29})
Als nächster spricht der Kollege Matthias Berninger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bündnis 90/Die Grünen lehnen den von Herrn Rüttgers vorgelegten HRG-Entwurf ab. Wir halten ihn für unzureichend. Wir haben das auch, als er damals im Sommer auf den Tisch kam, sehr, sehr deutlich gesagt.
Meine Fraktion hat sich entschieden, einen eigenen Hochschulrahmengesetzentwurf in die Debatte einzubringen, weil es uns nicht gereicht hat, nur die Unzulänglichkeiten Ihres Entwurfes darzustellen. Wir wollten auch deutlich machen, wo Alternativen möglich sind. Für uns ist der Entwurf, den Sie hier als Start einer Hochschulreform verkaufen wollen, nichts anderes als eine Übereinkunft von Bürokraten. Ich glaube, daß dieser Entwurf an vielen Punkten Dinge regelt, wo er gar nicht regeln müßte, und sich an anderen Punkten, wo es dringend nötig ist, Regelungen verweigert.
Es gab seit dem letzten Sommer eine Debatte, die man vielleicht nicht ignorieren sollte. Gerade im Parlament halte ich es für wichtig, deutlich zu machen, daß sich das, was in Kommissionen zwischen Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung ausgehandelt wird, dann zunächst einmal der öffentlichen Diskussion stellen muß.
Was ist das Ergebnis dieser öffentlichen Diskussion? Die Studierenden protestieren gegen den Hochschulrahmengesetzentwurf. Die Anhörung, die der Bundestag gemacht hat, hat sehr viel Kritik offengelegt. Inzwischen sagen viele Länder, die anfangs bereit waren, diesen Weg mitzugehen, es gibt gute Gründe, den Entwurf abzulehnen, weil sich vom Sommer bis heute an wesentlichen Punkten etwas geändert hat.
Karl Deutsch, ein Politologe, hat einmal gesagt: Macht ist das Privileg, nichts hinzulernen zu müssen. Dieses Privileg haben Sie, Herr Rüttgers.
({0})
Sie können sich hier hinstellen und stur Ihren Entwurf durchsetzen und stur wie bei der Steuerreform das Blockadeargument vortragen. Es wird aber in der Sache nicht stimmen.
Beispiele: Autonomie der Hochschulen ist gefordert. Dieser Entwurf gibt Hochschulen keine Autonomie. Er gibt den Ländern die Autonomie, mit den Hochschulen etwas zu machen, aber er greift an der Stelle, wo man Mut aufbringen müßte, zu kurz. Warum sollen Hochschulen zum Beispiel nicht eigenes Vermögen bilden können? Das lehnen Sie in Ihrem Entwurf ab. Das hätten Sie ja hineinschreiben können.
({1})
Ein anderes Beispiel: Wenn Sie der Hochschulrektorenkonferenz so vertrauen, warum geben Sie ihr nicht die Tarifautonomie? Sie weigern sich. Sie wollen sie weiterhin am Gängelband halten, Sie halten weiterhin an der veralteten Personalstruktur fest.
({2})
Ein drittes Beispiel: Wie kommen denn Studierende in Ihrem Entwurf vor? Ich würde es so zusammenfassen: Studierende sind faule Säcke, die man gängeln muß, denen man über Regelstudienzeiten sagen muß, daß sie viel zu langsam studieren. Das geht völlig an der Realität vorbei.
({3})
Viele hatten ja die Gelegenheit, mit Studierenden zu reden. Es ist doch nicht so, daß in Deutschland die Leute nicht studieren wollen. Sie haben schlicht und ergreifend nicht die Zeit dazu, weil sie jobben müssen, oder sie haben nicht die Gelegenheit dazu, weil die Hörsäle überfüllt sind.
({4})
Man muß die Probleme nicht über Regelstudienzeit lösen, sondern man muß sich überlegen, wie man die Studierenden an einer Hochschulreform beteiligt.
Beteiligungsmöglichkeiten bedeuten für mich, daß wir ihnen demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten einräumen. Sie schreiben das Wort Evaluation auch in Ihren Gesetzentwurf. Nur, eine Evaluation ohne Konsequenzen ist nichts anderes als ein folgenloses Ausfüllen von Fragebögen. Warum sagen Sie nicht „Liebe Studierende, wir wollen von euch, daß ihr beurteilt, ob jemand dauerhaft Professor werden kann oder nicht"? Sie wollen es deshalb nicht, weil Sie keinen Mut hatten, alte Strukturen, die aus meiner Sicht überholt sind, in diesem Hochschulrahmengesetzentwurf anzugreifen.
Warum sind die Studiengebühren dieser entscheidende Streitpunkt? Ich glaube, seit den 70er Jahren hat sich etwas verändert. Es gibt eine ganze Reihe von Ländern, die sagen: Wir wollen uns abschotten, indem wir Studiengebühren einführen; wir möchten das, was wir für die Hochschulen selbst nicht mehr aufbringen wollen, von den Studierenden abkassieren. - Wenn einige Länder damit anfangen, setzen sie damit eine studentische Völkerwanderung in
Gang und werden andere Länder zwingen, ebenfalls Studiengebühren einzuführen.
({5})
Wenn sie die Studiengebühren eingeführt haben, dann ist das Recht auf Bildung nicht mehr Teil des bildungspolitischen Konsenses in Deutschland. Das ist das, was denen, die sagen „Studiengebühren müssen im Hochschulrahmengesetz ausgeschlossen werden", so große Sorgen macht.
Es ist eben auch eine Entscheidung, nichts hineinzuschreiben, weil es diesen Prozeß beschleunigt, statt ihn zu stoppen. Ich glaube, daß Studierende durchaus - weil sie vom Studium profitieren - auch an den Kosten beteiligt werden können. Wir haben einen Vorschlag zur BAföG-Reform gemacht, wo wir Ihnen auf den Tisch gelegt haben, wie wir uns das sozial verträglich vorstellen. So wie es jetzt kommt, wird sich durch Studiengebühren die soziale Auslese an den Hochschulen fortsetzen. Das lehnt Bündnis 90/Die Grünen ab.
Alles das, was ich Ihnen in dieser Rede gesagt habe, haben wir in einem Gesetzentwurf formuliert. Nun erwarte ich nicht von einem Minister, daß er sagt „Wunderbar, die Opposition hat recht, ich habe unrecht" und daß er hier in Sack und Asche auftaucht. Aber daß Sie nicht einen Punkt übernommen haben, ist ein Problem.
Eine Ausnahme muß ich machen. Man muß die Kollegin Sothmann loben, daß sie Ihre Fraktion dazu gebracht hat, mehr im Bereich der Frauenförderung zu tun. Nur, das, was Ihre Fraktion gemacht hat, Kollege Rachel, ist ja nicht von Ihnen erfunden worden. Das ist vom Bundesrat und von uns abgeschrieben worden.
({6})
Dennoch: Vor dem Hintergrund muß man Frau Sothmann loben, daß sie Sie überzeugt hat. Aber es ist kein Erfolg, den Sie erzielt haben.
({7})
Ich hoffe, daß der Bundesrat Sie, Herr Rüttgers, erweicht, noch einen Hochschulkompromiß zu machen, weil am Beginn der Hochschulreform Konsens und Übereinkunft stehen sollten. Bislang haben Sie das nicht geschafft. Hören Sie auf, so stur zu sein, und versuchen Sie, im Interesse der Hochschulreform Ihren schlechten Entwurf zu verbessern.
({8})
Als nächster spricht der Kollege Dr. Karlheinz Guttmacher.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Hochschulen unseres Landes sind die wichtigsten
Pfeiler für Wissenschaft, für Wissen und für eine hochqualifizierte Ausbildung.
({0})
Die Leistungen, die die deutschen Hochschulen erbringen, können angesichts der massiven Überlast, die unsere Hochschulen in den letzten zwei Jahrzehnten getragen haben, nicht hoch genug anerkannt werden.
({1})
Aber es gibt Probleme, zum Beispiel zu lange Studienzeiten und eine zu geringe Betreuung unserer Studierenden, besonders in der Startphase. Auch die internationale Attraktivität des Studienstandorts Deutschland läßt nach. Dies hängt maßgeblich damit zusammen, daß Studienleistungen und Hochschulabschlüsse der deutschen Hochschulen international nicht vergleichbar sind.
Das Hochschulsystem der Zukunft muß ein gestuftes System von Abschlüssen mit einer klaren Berufsorientierung in definierten Studienzeiten bieten. Die Modularisierung der Studiengänge ist hierbei ebenso erforderlich wie die Einbeziehung der Studiengänge in ein Leistungspunktsystem. Mit dem Leistungspunktsystem sollen die studienbegleitenden Leistungsnachweise, die an unterschiedlichen Hochschuleinrichtungen im In- und Ausland erworben werden können, erfaßt werden.
Die Novelle zum Hochschulrahmengesetz ist seit ihrer Einbringung in den Deutschen Bundestag in den zuständigen parlamentarischen Gremien ausgiebig diskutiert und beraten worden. Erstaunlich und sehr erfreulich ist die überaus große Beteiligung der Öffentlichkeit. Die Anhörung zum Hochschulrahmengesetz hat nicht nur alle Besucherrekorde des Deutschen Bundestages gesprengt. Sie hat auch für die inhaltliche Diskussion eine wichtige Grundlage geschaffen und die heutige Entscheidung des Parlaments erleichtert.
Die große Übereinstimmung zwischen den Sachverständigen auf der einen und dem Regierungsentwurf auf der anderen Seite konnte nicht überraschen, weil die Bundesregierung mit den Sachverständigen, aber auch allen Bundesländern ein Jahr zuvor - abseits der Öffentlichkeit - den Entwurf intensiv beraten hat und sich - das ist für mich ganz entscheidend - alle einvernehmlich auf einen Entwurf zur Novellierung des Hochschulrahmengesetzes verständigt haben.
Es gab zwei Gruppen, die an dieser einvernehmlichen Einigung bis zu diesem Zeitpunkt nicht beteiligt waren: Das waren die Studierenden und die Abgeordneten. Die einen konnten ihrem Unmut Luft machen und mit phantasievollen Aktionen und bundesweit beachteten Demonstrationen ihre Sicht der Dinge darstellen. Die anderen, wir Parlamentarier, haben das fix und fertig geschnürte Paket, das uns kurz vor Weihnachten erreichte, nur vorsichtig öffnen dürfen, um sich einerseits von der Richtigkeit des Inhalts zu überzeugen, andererseits aber das sorgsam Geschnürte nicht auseinanderbrechen zu lassen.
Die F.D.P. - das sage ich für meine Fraktion - hat sich in allen Reformansätzen dieser Novelle zumindest ansatzweise wiedergefunden. Die Internationalisierung, die leistungsorientierte Finanzierung, die Stärkung der Autonomie der Hochschulen, die Schaffung von Wettbewerb zwischen den Hochschulen - das alles ist nach dem Geschmack einer bildungspolitischen Offensive, wie wir Liberale sie uns wünschen.
({2})
Herr Kollege Guttmacher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Braune?
Ja.
Herr Kollege Guttmacher, Sie sprachen gerade von der bemerkenswerten Anhörung, die wir im Ausschuß durchgeführt haben. Ich erinnere daran, daß Sie den Studierenden damals eine Presseerklärung mit der Mitteilung übergeben haben, die F.D.P. habe dazugelernt.
({0})
Sie behaupteten in Ihrer Presseerklärung, daß die F.D.P. gegen Studiengebühren sei. Sie werden sich erinnern, daß ich sofort zu Ihnen kam und sie bat, mir zu erklären, in welcher Konsequenz Sie denn dagegen sein würden.
Nun müssen wir leider feststellen, daß Sie überhaupt keine Konsequenzen gezogen haben, sondern daß es lediglich eine verbale Eskapade war, Sie also wieder umgefallen sind. Würden Sie mir bitte erklären, in welchem Umfang die F.D.P. bei der Frage der Studiengebühren dazugelernt hat?
({1})
Sehr geehrter Herr Braune, wir haben in unserer Presseerklärung zu der öffentlichen Anhörung mitgeteilt - dazu werde ich hier auch heute noch eine Ausführung machen -: Die F.D.P. ist gegen Studiengebühren innerhalb der Regelstudienzeit. Wir haben aber nicht vorgehabt, dieses in einem Bundesrahmengesetz festzuschreiben.
({0})
Wir haben kein Recht dazu, den Bundesländern vorzuschreiben, wie sie die Bildungsfinanzierung vornehmen.
({1})
Deswegen weichen wir damit nicht von der Presseerklärung ab, die wir zur öffentlichen Anhörung gemacht haben.
({2})
Meine Damen und Herren, die Freiheit der Studenten, sich an jeder deutschen Hochschule bewerben zu können, und die Möglichkeit der Hochschulen, an dem Auswahlverfahren teilzuhaben, wurden in das Hochschulrahmengesetz aufgenommen. Die Studenten sollen besonders in der Startphase besser betreut und beraten werden und ihr Leistungsvermögen in dem von ihnen gewählten Studiengang spätestens nach vier Semestern durch eine Zwischenprüfung unter Beweis stellen. Zur Verkürzung der Studienzeit wird zweifellos auch die Prüfungsform des „Freischusses", so wie wir es beim Jurastudium kennen, in allen möglichen Fachrichtungen beitragen.
Von den Studentenverbänden wird besonders die Festschreibung der Regelstudienzeiten kritisiert und bemängelt, daß diese nicht mit den jeweiligen Fachrichtungen korrelieren. Im Hochschulrahmengesetz wird aber ausgeführt, daß zum Beispiel Praktikumssemester bei technischen Fachrichtungen zusätzlich berücksichtigt werden und Regelstudienzeiten in begründeten Fällen durchaus verlängert werden können.
Die Reform des Dienstrechts ist Thema vieler Arbeitsgruppen, aber noch immer nicht so weit vorangebracht, daß sie einvernehmlich in dieses Gesetzeswerk hätte integriert werden können.
({3})
Auch die mit der 18. BAföG-Novelle von Minister Dr. Rüttgers geschaffene Verbindung zwischen BAföG und Hochschulrahmengesetz als zwei Seiten derselben Medaille hätten wir gerne beibehalten. Aber bei einer so komplizierten Einigung kann niemand all seine Ansätze durchsetzen.
Die Allianz der großen Wissenschafts- und Forschungsverbände aus Fraunhofer-Gesellschaft, MaxPlanck-Gesellschaft, Helmholtz-Gesellschaft, Hochschulrektorenkonferenz und Wissenschaftsrat hat auf einer Veranstaltung in Bonn unlängst alle Abgeordneten gebeten, die Reformanstrengungen zügig voranzubringen, sie nicht zu verzögern oder gar zu blokkieren.
Bis zum Parteitag der SPD in Hannover hatte die Einigung zwischen Bund und Ländern noch Bestand. Doch das Zusammentreffen von Protesten der Studierenden und der Wahlkampfauftakt führten dazu, daß die SPD im Bund von ihrer Mitvaterschaft an diesem Gesetzentwurf nun nichts mehr wissen will. Oskar Lafontaine hat seine Mannschaft eingeschworen, auch diese Zukunftsreform zu blockieren.
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Meine Damen und Herren, das ist zu durchsichtig und zu platt und auch nicht akzeptabel. Mit Ihrem - mutmaßlichen - Abstimmungsverhalten verhalten Sie sich genauso wie bei anderen Reformen, die wir hier durchbringen wollten, ganz frei nach Shakespeare: Wie es euch gefällt.
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Völlig unverständlich sind auch die Gründe, die Sie zur Ablehnung angeführt haben. Das neue Hochschulrahmengesetz abzulehnen, weil es das Verbot von Studiengebühren nicht enthält, bedeutet, daß man bei dem alten Hochschulrahmengesetz bleibt, das zu Studiengebühren keinen Satz aussagt.
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Das neue Hochschulrahmengesetz, meine Damen und Herren von der SPD, abzulehnen, weil es die verfaßte Studierendenschaft nicht bundesweit vorschreibt, bedeutet, daß Sie der Gesamtheit der Studierenden die Mitwirkungsmöglichkeit bei der Evaluation von Forschung und Lehre vorenthalten.
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Die Frage, die Sie im Zusammenhang mit dem Hochschulrahmengesetz stellen, ob dieses Gesetz nun zustimmungspflichtig oder nicht zustimmungspflichtig ist, kann nicht von bestellten Juristen entschieden werden, sondern obliegt den Verfassungsressorts, dem Bundespräsidenten und in letzter Instanz dem Bundesverfassungsgericht.
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Die Hochschulreform kann nun endlich beginnen. Das Hochschulrahmengesetz wird in der heute hier vorliegenden Form beschlossen werden. Damit ist aber die Arbeit noch längst nicht getan. Dieses Gesetz bietet den Rahmen, den die Länder freihalten sollten und die Hochschulen mit dem ganzen Spektrum der gebotenen Gestaltungsfreiheit ausfüllen müssen. Ein „Weiter so wie bisher" wird es nicht geben.
Deshalb sind wir an einem Punkt angelangt, an dem auch die finanzielle Ausstattung der Bildungspolitik grundlegend reformiert werden muß. Nur dann, wenn die Finanzausstattung für Bund und Länder so angelegt ist, daß Hochschulbau, Personalhaushalt, Stellenkegel sowie die Förderung der Grundlagen- und Spitzenforschung in den nächsten Jahren wieder deutlich zunehmen werden, wird die Reform die erwünschten Früchte tragen. Der noch in diesem Jahr zu verabschiedende Haushalt für das Jahr 1999 muß deshalb die Bedürfnisse der Hochschulreform berücksichtigen.
Eine leistungsorientierte Finanzierung der Hochschulen ist grundsätzlich wünschenswert.
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Die F.D.P. wird mit Spannung beobachten, ob die von der Bundesregierung mit den Ländern gewählte Variante auch tatsächlich praktikabel ist. Erst wenn die Evaluierung greift, werden Parameter zur Verfügung stehen,
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die zeigen, daß wir unter Leistung mehr als etwa die Zahl der eingeschriebenen Studierenden oder der abgeschlossenen Examen zu verstehen haben.
Meine Damen und Herren, die F.D.P. hält nach wie vor ihr Modell der Bildungsgutscheine für geeigneter. Bildungsgutscheine bedeuten nichts anderes, als daß die Länder ihren Abiturienten für das von ihnen gewünschte Studium die staatlichen Gelder in Form von Gutscheinen treuhänderisch übereignen. Jeder Student entscheidet deshalb mit der Wahl der Hochschule, des Fachbereiches, aber auch der Lehrveranstaltungen, wohin nach seiner Wertschätzung die Finanzmittel fließen sollen. Der Länderfinanzausgleich wäre im Bildungsbereich keine Verhandlungssache mehr, sondern das direkte Resultat der Bildungsleistungsfähigkeit eines jeden Landes.
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Bildungsgutscheine haben - anders als Studiengebühren - nicht die geringste negative Auswirkung auf die Chancengleichheit. Die Gefährdung der Chancengleichheit und die Gefahr, daß jede zusätzlich eingenommene Mark zum Stopfen von Haushaltslöchern verwendet würde, haben uns dazu geführt, Herr Braune, die Studiengebühren in der Regelstudienzeit abzulehnen.
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Erfreulich ist aus unserer Sicht, daß es gelang, im Rahmen der Ausschußberatungen erhebliche Verbesserungen bei der Förderung akademischer Frauenkarrieren zu erreichen. Die Berücksichtigung der Gleichstellungserfolge bei der Evaluation und Finanzierung der Hochschulen wird entscheidend dazu beitragen, daß die Schieflage in der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau in den akademischen Bildungseinrichtungen bald der Geschichte angehören wird.
Der besondere Charme des novellierten Hochschulrahmengesetzes besteht in der Reduzierung bundeseinheitlicher Vorgaben und in der Schaffung von mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Markantestes Beispiel hierfür ist die Einführung internationaler Studienabschlüsse. Besonders die Fachhochschulen werden mit der Einführung internationaler Abschlüsse eine exzellente Profilierungschance erhalten.
Sicherlich werden nicht alle heute existierenden und künftig möglichen Abschlüsse auf ewig nebeneinander bestehen können. Aber die Studierenden selbst entscheiden mit der Wahl ihres Abschlusses, welches Studium für ihre Zukunft, aber auch für ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit die besten Voraussetzungen bietet.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, meine Damen und Herren, daß wir darüber erfreut sind, daß die Bundesregierung gleichzeitig zum Hochschulrahmengesetz auch das Bundesausbildungsförderungsgesetz so angepaßt hat, daß diese neuen Abschlüsse voll förderungsfähig sind.
Ich danke Ihnen.
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Jetzt hat der Kollege Dr. Ludwig Elm das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist erstaunlich, welch geringe Rolle nach den allseitigen Bekundungen von Solidarität mit den protestierenden Studentinnen und Studenten deren berechtigte Forderungen spielten und spielen. Das gilt vor allem für den vorliegenden Gesetzentwurf der Regierungskoalition, aber auch für große Teile der Beratungen im Ausschuß und heute im Plenum.
Ich erinnere daran, daß sich mehr als 700 000 Studierende aus über 100 Hochschulen an den Protesten gegen die Hochschulmisere beteiligten. An nahezu allen betroffenen Hochschulen beschäftigen sich studentische Arbeitsgruppen mit dem Regierungsentwurf zum HRG und erarbeiten Forderungen und Vorschläge zur Neufassung. Einige tausend Studentinnen und Studenten haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten erstmals intensiv mit Hochschulpolitik, insbesondere mit den vorliegenden Entwürfen, befaßt und ihre Beratungsergebnisse in Dutzenden von Forderungskatalogen und Stellungnahmen niedergelegt.
Herr Dr. Guttmacher, Ihrem Bezug auf die Anhörung vom 8. Dezember und auf den weitgehenden Gleichklang zwischen Sachverständigen und Inhalt der Regierungsvorlage entnehme ich, daß Sie die studentischen Vertreter nicht zu den Sachverständigen rechnen; einmal ganz abgesehen davon, daß es über die Gruppe der studentischen Vertreter hinaus wesentliche kritische Einwände und Forderungen gab.
Ich denke, daß wir uns als Parlamentarier und Politiker gar nichts Besseres wünschen können, als daß die Betroffenen in großer Zahl mit großer Intensität an der Erörterung der anstehenden Probleme und der auf den Tisch gelegten Entwürfe teilnehmen. Um so inakzeptabler - und gleichzeitig von einem eigenartigen Demokratieverständnis zeugend - erscheint es mir, daß die Mehrheit dieses Hauses, unverdrossen und unbeeindruckt von den Massenprotesten, den Gesetzentwurf der Regierung in nahezu unveränderter Weise verabschieden will.
Die Aussetzung der parlamentarischen Beratungen zum HRG und die Neuerarbeitung einer HRG-Novelle unter maßgeblicher Einbeziehung der studentischen Forderungen, insbesondere unter Einbeziehung der Studierenden selbst, war und ist eine zentrale Forderung der studentischen Protestbewegung der vergangenen Monate gewesen. Ich habe dieses Verlangen in Form eines Antrages auf ein Moratorium zum laufenden Gesetzgebungsverfahren im Ausschuß aufgegriffen. Leider wurde dieser Antrag nicht nur von der Regierungskoalition, sondern auch von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Nunmehr kann den massenhaft vorgebrachten Anliegen der Studierenden offenbar nur noch durch die Ablehnung des Regierungsentwurfs Rechnung getragen werden.
({0})
Häufig hört man die Behauptung, die Forderungen der Studierenden seien weder besonders neu noch besonders originell, im übrigen seien sie, wenn sie wirklich einmal substantiell seien, in den vorliegenden Entwürfen in hohem Maße berücksichtigt. Das trifft nicht zu. Deshalb ist es unumgänglich, an einige der Forderungen, die in hohem Maße unberücksichtigt geblieben sind, zu erinnern und deutlich zu machen, daß ein solcher Umgang mit den unterbreiteten Forderungen arrogant und letztlich undemokratisch ist.
Die meisten der Forderungen, Resolutionen und Stellungnahmen betrachten die Hochschulmisere im Zusammenhang mit gesamtgesellschaftlichen krisenhaften Prozessen, mit allgemeinen Tendenzen des Sozialabbaus in dieser Gesellschaft, insbesondere auch im Zusammenhang mit der Entwicklung der chronisch hohen und wachsenden Massenarbeitslosigkeit. Vielfach initiieren sie in erfreulicher Weise hochschulübergreifende, solidarische Bewegungen gegen den allgemeinen Sozial-, Bildungs- und Demokratieabbau.
In diesem Sinne hat die studentische Bewegung in den letzten Monaten ziemlich selbstverständlich und in überzeugender Weise ein allgemeines politisches Mandat wahrgenommen und tut damit etwas, was den Allgemeinen Studentenausschüssen nach wie vor untersagt werden soll. Gerade im Zusammenhang mit den Aktionen der Studierenden überrollen - vor allem vom RCDS und von der Jungen Union initiierte - Klagen viele Asten in der Mehrzahl der Bundesländer. Dies geschieht beispielsweise in Berlin und an der Universität Bremen. Den Studentenausschüssen wird mit der Androhung von Strafen bis zu 500 000 DM untersagt, sich über bildungs- und hochschulpolitische Fragen - im engeren Sinne verstanden - hinaus zu dem gesamtgesellschaftlichen Kontext dieser Probleme zu äußern. Charakteristisch ist in diesem Zusammenhang auch die beabsichtigte Klage der CDU-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen gegen die Verankerung von Rechten auf politische Meinungsäußerung im Landeshochschulgesetz die weitergehen als die im HRG.
Während der Gesetzesentwurf der Regierung gerade die ersatzlose Streichung der Paragraphen zur inneren Organisation und zur Gewährleistung eines Minimums an demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten beinhaltet und damit weiteren Demokratieabbau offenbar nicht nur ermöglichen, sondern in hohem Maße auch durchsetzen soll, ist die Forderung nach dem allgemeinen politischen Mandat nur eine der studentischen Forderungen, die auf eine weitere Demokratisierung der Hochschule gerichtet sind. Zu diesen Forderungen der Studierenden gehören auch die nach Ausweitung der studentischen Mitbestimmung auf allen dafür geeigneten Feldern und die nach bundesweit verfaßten Studierendenschaften, nach Drittelparität in den Hochschulgremien und nach Direktwahl der Hochschulleitung durch alle Hochschulmitglieder. Zu den in den Aktionen und Forderungskatalogen gemachten Vorschlägen gehören Forderungen - sie wurden von Anbeginn und uneingeschränkt von uns unterstützt - wie die nach dem Verbot von Studiengebühren, nach einem möglichst elternunabhängigen, bedarfsdeckenden BAföG, nach Ablehnung eines erweiterten Auswahlrechtes der Hochschulen oder sonstiger zusätzlicher Zugangshürden und nach Verhinderung der mißbräuchlichen Verwendung der neuen Abschlüsse „Bachelor" und „Master" für die Zweiteilung des Studiums in kurze, berufsvorbereitende und längere akademische Ausbildungsgänge. Ein weiterer Kritikpunkt ist, daß administrativ und ohne Beachtung der konkreten Voraussetzungen an den einzelnen Hochschulen zentral Regelstudienzeiten festgelegt werden sollen. Es sollte statt dessen Garantiestudienzeiten geben, die in Abhängigkeit von den vorzufindenden Bedingungen von den Studierenden auch eingehalten werden können.
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Gefordert werden auch eine Gleichstellung der Universitäten und der Fachhochschulen, eine inhaltliche Studienreform unter maßgeblicher Einbeziehung der Studierenden und der Hochschullehrer und natürlich eine bessere - das heißt: eine hinreichende - Grundfinanzierung und Ausstattung der Hochschulen.
Wir begrüßen, daß auch unter dem Eindruck der studentischen Massenproteste die SPD in dieser Beziehung zur Einsicht gekommen ist und daß die bisher geringe Bereitschaft, völlig begründete und überzeugende Verbesserungsvorschläge in den vorliegenden Regierungsentwurf aufzunehmen, nun einer veränderten Position gegenüber dieser Vorlage Platz gemacht hat. Wir gehen davon aus, daß die Positionen, wie die SPD sie in bezug auf ein zukunftsfähiges Hochschulkonzept, in bezug auf die von uns unterstützten Forderungen nach einem Verbot von Studiengebühren und nach verfaßten Studentenschaften vertritt, genau die richtigen Schritte in Richtung auf eine Erneuerung der Hochschulverfassung und der Arbeitsprozesse an den Hochschulen darstellen.
Wir finden in den neu eingereichten Anträgen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen viele kritische Bewertungen und Problemstellungen, die wir teilen können. Aber gleichzeitig müssen wir feststellen, daß die in den letzten Monaten artikulierten, legitimen Forderungen nicht in hinreichender Weise in diese Anträge aufgenommen worden sind. Wenn wir diese Gesichtspunkte gegeneinander abwägen, kommen wir zu dem Schluß, daß wir uns bei der Abstimmung über diese Anträge enthalten werden.
In diesen Tagen ist mir noch einmal von dem studentischen „AK notweHR" an der Friedrich-SchillerUniversität, also der Universität meines Bundestagswahlkreises, ein Schreiben zugegangen, in dem es heißt:
An einer Novellierung des HRG sollten die betroffenen Studierenden beteiligt werden. Wir
- die Jenaer Studenten rufen zu einer Zusammenarbeit zwischen Studierenden und zuständigen Politikern auf. Um dies zu realisieren, fordern wir Sie auf, am 13.02.1998 für die Aussetzung der HRG-Novelle und für eine Neuverhandlung einzutreten.
Ich war bemüht, im Ausschuß und mit diesen Bemerkungen in der heutigen Plenardebatte den berechtigten Erwartungen der Studenten der FriedrichSchiller-Universität und zahlreicher anderer Hochschulen in allen Bundesländern Rechnung zu tragen. Ich hoffe, daß diese Forderungen - wenn schon nicht auf Grund der heutigen Entscheidung, dann in den nächsten Runden der Auseinandersetzung - Wirklichkeit werden.
({2})
Es spricht jetzt in der Debatte der Bundesminister Dr. Jürgen Rüttgers
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einer Neuigkeit beginnen: Gestern am späten Abend
({0})
hat sich der Forschungsministerrat der Europäischen Union auf das 5. Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung in Europa verständigt. Es hat ein Gesamtvolumen von 14 Milliarden ECU. Insbesondere die deutschen Vorstellungen - die ja auch vom Parlament unterstützt worden sind -, einen besonderen Schwerpunkt im Bereich der Luftfahrtforschung, der Biotechnologie und der Geisteswissenschaften zu bilden, konnten voll in dieses Programm aufgenommen werden.
({1})
Das ist ein großer Erfolg nach fünf Jahren der Vorbereitung - ein Erfolg, der auch für unsere Hochschulen wichtig ist,
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weil sie sich im europäischen Kontext behaupten müssen. - Verehrter Herr Fischer, lassen Sie es sein; davon haben Sie sowieso keine Ahnung! Es hat keinen Zweck; man merkt es Ihnen an.
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Kommen wir zum HRG: Vier Monate haben die Verhandlungen gedauert, die Bund und Länder im vergangenen Jahr geführt haben. Sie haben ein gutes Ergebnis gehabt. Über Parteigrenzen hinweg konnte am 18. August ein Entwurf für ein neues Hochschulrahmengesetz vorgelegt werden. Bei diesem Gesetzentwurf waren drei Elemente wichtig:
Das erste war die Freiheit. Die deutschen Hochschulen brauchen weitaus mehr Raum zur Veränderung, als der Staat bisher bereit war, ihnen zuzugestehen. Das war und ist ein konkreter Fall der Neuvermessung von Verantwortungsräumen zwischen dem Staat und den verschiedenen Gruppen in der Hochschule.
Der zweite Punkt ist die Vielfalt. Die Einheitshochschule, welcher Prägung auch immer, ist kein Zukunftsmodell mehr. Unser Hochschulsystem muß für Innovationen, Varianten und Variationen offen sein.
({4})
Das dritte ist der Wettbewerb, und zwar nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck. Alle Versuche der „Hochschulreform von oben" der letzten Jahrzehnte haben nicht die Wirkungen gehabt, die der Gesetzgeber gewollt hat, gleich, ob der Bundestag oder die Länder solche Gesetze auf den Weg gebracht haben.
({5})
Nur im Wettbewerb wird sich erweisen, wie sich Forschung und Lehre unter den Bedingungen der Wissensgesellschaft optimal entfalten können.
Wir werden im 21. Jahrhundert nicht mehr eine einheitliche Hochschule in Deutschland haben, sondern viele Hochschulen mit sehr unterschiedlichem Profil. Die Humboldt-Universität ist tot. Die Hochschule wird ebenso Schule wie Forschungsstätte sein. Sie wird geistiges Zentrum einer Region wie auch Kristallisationspunkt internationaler Kontakte sein. Sie wird junge Menschen nicht mehr überwiegend für den Staatsdienst ausbilden, wie das heute noch der Fall ist, sondern für die unterschiedlichsten Berufe. Sie wird vor allen Dingen auch den Willen und die Fähigkeit zur Selbständigkeit stärken müssen. Sie wird Bildung und Wissen verbinden. Sie wird das Ganze im Auge behalten müssen und sich nicht im einzelnen verlieren dürfen.
Das sind die Grundgedanken des Entwurfs für ein neues Hochschulrahmengesetz, über das wir heute hier in zweiter und dritter Lesung beraten.
({6})
Das war auch die Basis für die Einigung zwischen Bund und Ländern. Wir haben in diesen wichtigen, zentralen Punkten Einigung erzielt, obwohl wir wußten, daß es einige Punkte gibt, über die keine Einigung möglich sein würde.
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Das muß auch nicht sein. Ich stimme Herrn Zöllner ausdrücklich zu, der immer wieder gesagt hat, daß wir angesichts des Zustandes der Hochschulen und auch angesichts der Proteste, die die Studentinnen und Studenten im vergangenen Jahr hier in Bonn vorgetragen haben, zusammen das machen sollten, was wir jetzt zusammen machen können.
({8})
Wir waren gemeinsam der Meinung, daß die Reform nicht an den offenen Fragen scheitern dürfe.
Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang ein hochinteressantes Dokument vom 25. August des vergangenen Jahres zur Kenntnis bringen. Dieses Dokument ist ein Text, den der SPD-Parteivorsitzende auf der Bundespressekonferenz vorgelegt hat. Ich zitiere:
Es gibt auch gute Nachrichten: Wir begrüßen es, daß es bei den Verhandlungen über die Hochschulreform zwischen Bund und Ländern eine Einigung gegeben hat. Für die SPD kann ich sagen: Unsere beiden Verhandlungsführer, Jürgen Zöllner und Anke Brunn, haben gute Arbeit geleistet. Das neue Hochschulrahmengesetz beseitigt bürokratische Hemmnisse und gibt den Hochschulen mehr Freiräume. Es bringt mehr Leistungsanreize und mehr Wettbewerb.
Meine Damen und Herren von der SPD, wenn Ihr Parteivorsitzender das sagt, dann stimmen Sie heute zu!
({9})
Oder geht es um etwas anderes? Geht es darum, daß - nachdem in der vorigen Woche Herr Schily in Sachen Lauschangriff von Herrn Lafontaine demontiert worden ist - jetzt auch Herr Zöllner und Frau Brunn in dieser Frage demontiert werden?
Im Bundestag hat es bekanntermaßen noch einige Veränderungen am Gesetzestext gegeben, und zwar zur Verbesserung der Gleichstellung von Frauen - übrigens auch wiederum im Konsens. Über die Punkte, die wir schon im August ausgeklammert haben, hat es natürlich auch im Deutschen Bundestag keine Einigung gegeben. Übrigens, unter vernünftigen Menschen würde man sagen: Wenn man das vorher weiß, ist das überhaupt kein Unglück. Aber es ist eben leider so, daß die Wirklichkeit anders aussieht. Deshalb habe ich die Chronologie der Ereignisse hier noch einmal vor Augen geführt.
Die Reform der deutschen Hochschulen soll, wenn es nach der SPD geht, zur Spielmasse der Wahlkampfstrategen werden. Die SPD hat behauptet - wir haben es soeben von Frau Odendahl wieder gehört -, daß die Reform der deutschen Hochschulen unmittelbar und eng mit der Frage der Studiengebühren verbunden sei. Das ist unwahr. Es ist unwahr und wird nicht dadurch besser, daß es wieder und wieder behauptet wird.
Der Vorsitzende der Hochschulrektorenkonferenz, Professor Landfried, hat noch am vergangenen Freitag ein Moratorium vorgeschlagen und gesagt: Wenn ihr alle sagt, daß es in den nächsten Jahren in keinem Land Studiengebühren geben wird, und wenn ihr euch nur über die Frage, ob das ins HRG hinein soll oder nicht, nicht einigen könnt, dann schließt ein solches Moratorium ab.
Dieser Vorschlag ist von Frau Bulmahn in der „Berliner Morgenpost" als „billiges Manöver" sofort kaltschnäuzig zurückgewiesen worden.
({10})
Dies ist der Beweis dafür, daß es letztlich überhaupt nicht um die Frage der Studiengebühren geht, daß es nicht darum geht, die Situation an den Hochschulen zu verbessern, sondern daß hier Wahlkampf gemacht werden soll. Es soll kein Gesetz mehr geben.
Frau Odendahl hat soeben gesagt: Sofort nach der Wahl werden wir die Vorlage wieder einbringen. Meine Damen und Herren, wer so Politik betreibt, der versündigt sich an unseren Hochschulen und an unseren Studenten.
({11})
Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, daß es kaum noch einen Verbündeten gibt, der an der Seite der SPD steht, vielleicht mit Ausnahme des einen oder anderen Professors, der keine Veränderung haben will; das will ich zugeben.
Sonst sagen alle: Es muß etwas in Sachen Hochschulen passieren, dieser Entwurf ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir haben immer gesagt, es ist nicht die Hochschulreform, sondern es muß noch weitere Stufen geben. Aber das soll blockiert werden, weil man einfach nicht will, daß sich etwas an den Hochschulen ändert. Es ist wieder das Gängelband des SPD-Vorsitzenden, wie es Herr Berninger Anfang der Woche mit Recht gesagt hat. SPD-Leute in der Bundestagsfraktion und in den Ländern müssen Pirouetten drehen, bloß weil es jemand befiehlt, statt ihrem Gewissen, statt der klaren Erkenntnis darüber, was notwendig ist, zu folgen.
({12})
Schauen wir uns an, was in den Beratungen im Deutschen Bundestag konkret gefordert worden ist. Es ging um die Frage der Studiengebühren - dazu habe ich gerade etwas gesagt -, es wurden die verfaßte Studentenschaft ebenso wie die Tarifverträge für Mittelbau und Professoren diskutiert. Das sind alles Forderungen, die seit 25 Jahren gebetsmühlenarfig von der SPD erhoben werden. Es gab keine einzige neue Idee für die Zukunft der Hochschulen.
({13})
Wer dann behauptet, er würde etwas für die Hochschulen und Studenten tun, der versündigt sich an den Hochschulen. Ich sage das noch einmal, weil mir die Sache wichtig ist. Weil das so ist - Herr Berninger, Sie haben da recht -, werde ich in der Sache stur bleiben; denn das finde ich richtig.
Sehen wir uns einmal an, welche Auswirkungen es hätte, wenn das Gesetz heute nicht beschlossen würde und im Bundesrat nicht durchgesetzt werden könnte. Es trifft nicht nur die Studenten und Professoren in unserem Land, sondern - das ist das eigentlich Irrwitzige - es fällt auch auf die SPD zurück.
Frau Kollegin Brunn, SPD, hat dargelegt, wie sie sich ihr Landeshochschulgesetz vorstellt. Wenn diese HRG-Novelle nicht kommt, dann kann sie ihr eigenes geplantes Landeshochschulgesetz mit der Dekanatsverfassung vergessen. Sie braucht die HRG-Novelle, wenn sie ihre Ziele in Nordrhein-Westfalen durchsetzen will.
({14})
Der Kollege Reiche in Brandenburg will Bachelor gerade einführen und Regelstudienzeiten und Professorenberufungen ändern. All das kann er vergessen, wenn diese HRG-Novelle nicht kommt.
Dem Kollegen Schuchardt, SPD, in Thüringen geht es nicht besser. Er möchte in seinem Hochschulgesetz festschreiben, daß Bewerber um die Professuren in Zukunft ihre pädagogische Eignung nachweisen müssen. Er hat recht, aber auch dafür braucht er erst einmal die HRG-Novelle.
({15})
Meine Damen und Herren, man fragt sich wirklich, wie die Kolleginnen und Kollegen es mit ihrer politischen Selbstachtung und Verantwortung, die sie ihrem Land gegenüber übernommen haben, noch in Einklang bringen können. Ich sage das ganz ohne Häme; ich möchte nicht in ihrer Haut stecken.
Ich hätte, meine Damen und Herren von der SPD, das Hochschulrahmengesetz sehr gern mit Ihnen gemeinsam gemacht. Aber ich will eines deutlich sagen: Ich werde unsere Universitäten nicht den Wahlkampfplänen der SPD ausliefern.
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Das neue Hochschulrahmengesetz wird kommen; denn unsere Hochschulen sollen Spielraum für mehr Freiheit, mehr Vielfalt und mehr Wettbewerb erhalten. Sie sollen die Zentren unseres geistigen und kulturellen Lebens sein. Sie sollen junge Menschen für ein erfülltes und erfolgreiches Berufsleben qualifizieren und zugleich die Voraussetzungen für die Entfaltung unserer wissenschaftlichen Elite bieten.
Sie sollen wieder mehr Studierende aus allen Teilen der Welt anziehen.
({17})
Aber sie sollen auch unsere jungen Menschen ermutigen, Erfahrungen zu sammeln, die über das eigene Land hinausgehen.
({18})
Unsere Hochschulen sollen den Übergang zur Wissensgesellschaft an der vordersten Front mitgestalten
können. Dafür werde ich mich mit aller Kraft einsetzen.
Entscheiden Sie sich jetzt dafür, meine Damen und Herren von der Opposition, ob man einmal wird sagen können: Das war ein gemeinsames Werk. Entscheiden Sie sich jetzt dafür, ob die Reform unserer Hochschulen mit der SPD oder trotz der SPD zustande kommt.
({19})
Das Wort erhält jetzt der Minister für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung, Rheinland-Pfalz, Professor Dr. Jürgen Zöllner.
Staatsminister Dr. Jürgen Zöllner ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie bereits anläßlich der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes von mir betont, enthält der vorliegende Regelungsvorschlag eine Reihe von Verbesserungen und Öffnungen zugunsten der Hochschulen und der Studierenden.
Daß unterschiedliche Positionen zu sachgerechten Lösungen zusammengeführt werden konnten, werte ich als Stärke des Kulturföderalismus und als dem gemeinsamen Ziel, den Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland wirklich eine Perspektive zu eröffnen und nicht nur darüber zu reden, ausgesprochen zuträglich. „Kompromiß" ist für mich kein Schimpfwort und schon gar kein Vorwurf, vor allen Dingen dann nicht, wenn er den Betroffenen dient.
So ist es zum Beispiel gelungen, durch das Prinzip „Orientierung vor Kontrolle", durch den Verzicht auf Sanktionen gegen die Studierenden, die Verankerung der Frauenförderung, die Stärkung des Wissens- und Technologietransfers und durch das Bekenntnis zur Gruppenuniversität in den Gesprächen zwischen Bund und Ländern den ursprünglichen Gesetzentwurf des Bundes entscheidend zu verbessern.
Absolut unakzeptabel im Hinblick auf diese Novelle, aber auch - und dies ist wichtig - im Hinblick auf zukünftige Entscheidungen ist das Beharren auf der Nichtzustimmungspflichtigkeit der Gesetzesnovelle seitens der Bundesregierung.
({1})
Hier - und nicht von seiten der SPD - ist ein Bestandteil des Kompromisses herausgebrochen worden. An dieser Stelle wird das kooperative Miteinander von Bund und Ländern im Hochschulbereich insgesamt in Frage gestellt.
({2})
Mit schöner Regelmäßigkeit und in diesem Falle zu Recht verweist die Bundesregierung auf die Primärverantwortung der Länder, wenn es um die finanzielle Ausstattung der Hochschulen geht. Wir Länder nehmen diese Verantwortung ernst.
Staatsminister Dr. Jürgen Zöllner ({3})
So haben die Länder insgesamt ihre Ausgaben für Bildung und Wissenschaft von 1992 von etwa 106 Milliarden DM auf rund 127 Milliarden DM in 1996- das sind die neuesten verfügbaren Daten -, das heißt um rund 20 Prozent, erhöht, während der Bund im gleichen Zeitraum seine Ausgaben für den entsprechenden Aufgabenbereich von 7,2 Milliarden DM auf 7,0 Milliarden DM, das heißt um mehr als 2 Prozent, zurückgefahren hat.
({4})
Für den Wissenschaftsbereich allein haben übrigens die Ausgaben der Länder von 28,5 Milliarden DM auf 34,8 Milliarden DM, das heißt ebenfalls um mehr als 20 Prozent, zugenommen.
Meine Damen und Herren, der Bund läßt die notwendige Ernsthaftigkeit in seinem Zuständigkeitsbereich zunehmend missen. Reden statt handeln!
({5})
Um es deutlich zu sagen: Die Rechnung zahlen die Länder, und das Gesetz macht der Bund alleine. Diese Aufgabenteilung stellt alle bisherigen Grundlagen in Frage. Sie kann und wird so nicht akzeptiert werden.
({6})
Ich bin enttäuscht, daß in dieser Frage, die aus meiner Sicht, wie mehrere Gutachter bestätigen, im übrigen juristisch eindeutig ist, keinerlei Bewegung seitens der Bundesregierung erkennbar ist.
({7})
Ausdrücklich strittig geblieben war in den vorangegangenen Gesprächen zwischen Bund und Ländern die Frage der Verankerung der Studiengebührenfreiheit im Hochschulrahmengesetz. Eine entsprechende Forderung war frühzeitig seitens der SPD-geführten Länder erhoben worden. Ich lasse mich hier gerne beim Wort nehmen. Ich muß dann aber auch alles, was in diesem Zusammenhang gesagt worden ist, zitieren.
({8})
Der Bundesrat hat übrigens - und das zeigt die Kontinuität der Argumentation - einen entsprechenden Beschluß gefaßt. In der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs hatte ich an dieser Stelle formuliert - das ist das entscheidende Zitat in diesem Zusammenhang -: Ich bin nach wie vor der Ansicht, daß wir hier eine Lösung brauchen. Wenn alle, die öffentlich beteuern, daß sie gegen Studiengebühren sind - inklusive derjenigen, die hier heute geredet haben -, auch so handeln, dann bin ich optimistisch, daß wir dieses Problem schnell lösen können. Leider ist dem, daß so gehandelt wie geredet wird, bis heute nicht so.
({9})
Woran liegt das? Der zuständige Bundesminister versichert bei studentischen Protestaktionen für mich glaubhaft, er sei gegen Studiengebühren. Führende Vertreter von F.D.P. und CDU und CSU betonen ebenfalls - auch in dieser Debatte -, daß Studiengebühren ein ungeeignetes Instrument sind.
({10})
Auch meine Kollegen aus den Ländern beabsichtigen zu einem großen Teil nicht, Studiengebühren einzuführen. Offensichtlich verhindern einige wenige CDU-Repräsentanten, namentlich der badenwürttembergische Wissenschaftsminister, eine parteiübergreifende Einigung, die von den übrigen 90 Prozent getragen würde. Das kann in einer so zentralen Frage nicht angehen.
({11})
Studiengebühren sind - das kann man allen Äußerungen dazu entnehmen, auch von allen Seiten dieses Parlaments - unsozial; sie schrecken ab; und sie sind wettbewerbsverzerrend.
Meine Damen und Herren, es gehört Verläßlichkeit zu diesem Geschäft; aber es gehört auch Glaubwürdigkeit zu diesem Geschäft. Es gibt neben der Kontinuität der Argumentation auch die Konsistenz der Argumentation. Die SPD-geführten Länder werden auch weiterhin alle Möglichkeiten nutzen, die Studiengebührenfreiheit im HRG zu verankern. Sie werden im weiteren Verfahren mit allem Nachdruck darauf hinwirken, daß die Zustimmungspflichtigkeit erhalten bleibt.
Ich fordere die Bundesregierung und die sie tragende Koalition auf, im Interesse der Hochschulen und insbesondere der Studierenden in diesen zentralen Punkten doch noch Einsicht zu zeigen. Nur dann, wenn Sie auch so handeln, wie Sie reden, können wir dieses Vorhaben gemeinsam und erfolgreich zu Ende bringen.
({12})
Als nächster ergreift das Wort in dieser Debatte der bayerische Staatsminister für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst, Hans Zehetmair.
({0})
Staatsminister Hans Zehetmair ({1}): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Als einer, der an diesen Verhandlungen von Anfang an beteiligt war, der die
Staatsminister Hans Zehetmair ({2})
mühsahmen, zähen, aber sachkundigen Gespräche mitgemacht hat, will ich zuerst einmal bestätigen, daß der Bundesbildungsminister eine sehr kooperative Rolle gespielt hat.
({3})
Ich will sehr deutlich sagen: Ihm wird das Verdienst gebühren, daß dieses Gesetz einen ganz großen Vorteil hat, vor allem in den Punkten, die herausgefallen sind. Wir haben nämlich endlich eine Deregulierung, durch die wir den Wettbewerb der Hochschulen möglich machen können; und darauf kommt es an. Das haben viele Rednerinnen und Redner hier zwar gesagt; aber es muß auch danach gehandelt werden.
Auch will ich bestätigen, daß wir - was wir generell sagen können - auf der Ebene der Kultusminister vertrauensvoll zusammenarbeiten, was auch für den A-Sprecher und den B-Sprecher gilt.
Herr Kollege Zöllner, bei einigen Punkten, die Sie heute ansprechen mußten, taten Sie mir leid; denn im Grunde wissen Sie selbst, daß das so nicht war. Sie können nicht plötzlich die Bundesregierung hernehmen, wenn Sie selbst zurückgepfiffen werden. Das kann doch nicht sein.
({4})
Sie müssen doch noch das Länderverständnis haben - ich gebe die Hoffnung bis zum 6. März nicht auf -, daß man nicht einfach sagen kann: Der Bund will anschaffen, und wir sollen zahlen. - Richtig so. Auch ich will das nicht. Daher sage ich ganz deutlich, daß ich politisch sehr um eine Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf ringe.
Aber, wer da mit uns ringt - die Opposition hat das deutlich gemacht -, muß bitte auch sagen, daß es eine Unredlichkeit ist, wenn man gleichzeitig behauptet: Du, Bundesgesetzgeber, schreibst uns vor - weil wir Länder nicht in der Lage dazu sind -, daß wir keine Studiengebühren erheben dürfen. - Was ist das für eine Mannhaftigkeit in den Ländern, meine sehr verehrten Damen und Herren?
({5})
Ich stehe hier für den Freistaat Bayern. Wir sind mit der Einbringung unseres Hochschulgesetzes so weit, daß ich Ihnen sagen muß: Machen Sie Tempo! Wir haben Sie längst überholt, weil wir klare Mehrheiten haben und entscheidungsfähig sind. Spätestens im Mai dieses Jahres wird es verabschiedet werden. Dann können wir das Thema Internationalisierung wieder nicht durchsetzen, obwohl es ein Essential ist für das, was wir brauchen, wenn wir unsere Universitäten öffnen wollen. Da kam der Zwischenruf, Kanther lasse die Leute nicht herein. Auch da haben wir inzwischen einen Riesenfortschritt erzielt.
({6})
- Das sollten ausgerechnet Sie nicht sagen. Denn wenn es nach Ihnen ginge, dann ginge ja gar nichts mehr.
({7})
Selbst wenn dies sehr spät durchgesetzt worden ist, muß man sagen: Das allein reicht nicht. Die Taten sprechen dagegen, daß mehr erreicht worden ist. Anderenfalls sollten Sie heute das Gegenteil beweisen. Ich würde mich freuen, als einer von hier weggehen zu können, der in seiner Meinung widerlegt wird. Denn Internationalisierung, Leistungszulagen, Bewertung der Professoren nach ihrer Belastung, Wettbewerb zwischen den einzelnen Hochschulen und Universitäten, das Vorhaben, das Budget in die Verantwortung der Hochschulen zu legen, und gleichzeitig die Möglichkeit, daß zwischen Kiel und Passau ganz unterschiedliche Akzente gesetzt werden können, sind Riesenschritte, die wir in einem Europa der Vielfalt brauchen.
Jetzt möchte ich noch einmal auf den Bereich der Studiengebühren eingehen. Ich erkläre für den Freistaat Bayern erneut, daß für uns Studiengebühren im Erststudium nicht in Frage kommen.
({8})
Ich bin der Koalition und dem Kollegen Rüttgers dankbar, daß wir uns hierbei völlig einig waren. Sie kritisieren in dieser Sache das Vorgehen Baden-Württembergs. Sie wissen aber, daß ich selbst das schon getan habe. Ich habe in Unionsfreundschaft dem Kollegen Trotha vorgehalten, daß ich die Einführung von Studiengebühren derzeit nicht für richtig halte,
({9})
weil dies die Reformfähigkeit der Hochschulen eher verhindert. Sobald Hochschulen, die am Beständigen festhalten, wieder Geld haben, meinen sie, daß es so weitergeht. Es geht aber so nicht weiter.
Also ist beides wichtig. Wir müssen der Bundesregierung ganz deutlich sagen: Wir brauchen weiterhin vom Bund die intensive prioritäre Unterstützung bei den Hochschulbaumaßnahmen und all dem, was zu Forschung und Lehre dazugehört.
({10})
Wir brauchen es dringend.
({11})
Wenn ich das als einer, der aus Bayern kommt, sage, dann wissen Sie, daß wir tatsächlich in enorme Vorleistungen gegangen sind und gehen.
Ich will aber gleichzeitig feststellen: Ich lasse mir vom Bund nicht vorschreiben, ob ich Studiengebühren erhebe oder nicht. So viel Souveränität hat mein Land, und soviel Souveränität müßte angesichts der
Staatsminister Hans Zehetmair ({12})
Kulturhoheit der Länder jedes Land haben, lieber Kollege Rüttgers.
({13})
Ich bin für jedes Moratorium zu haben. Ich erkläre hier zu Protokoll, daß das für Bayern gilt und daß ich mich auch bei den Kollegen und Kolleginnen dafür einsetze.
Nur, es sollte nicht dazu führen, daß Sie die mögliche Einführung von Studiengebühren als Vorwand gebrauchen - denn er ist zu oberflächlich -, um sagen zu können: Wir stimmen dem Gesetz nicht zu. - Studierende und Professoren, die es wahrhaftig nicht leichthaben, die nicht eine verrottete, sondern nach wie vor im Schnitt eine gute Hochschule haben, brauchen dringend den Schritt des Gesetzgebers als Rahmenbedingung. Daher müssen Sie ihn erfüllen. Darum bitte ich.
({14})
Herr Minister, Sie sind schneller zum Ende gekommen, als vorherzusehen war. Gestatten Sie noch eine Nachfrage des Kollegen Kubatschka?
Staatsminister Hans Zehetmair ({0}): Ja.
Herr Kubatschka, bitte.
Herr Minister, Sie haben gerade angesprochen, daß Sie sich nicht gerne vom Bund vorschreiben lassen, Studiengebühren einzuführen. Lassen Sie sich aber gerne Rahmenbedingungen vorschreiben, ohne daß die Länder zustimmen? Ich möchte Sie also fragen - denn Bayern tut ja immer so, als ob es der Hort des Föderalismus wäre -: Ist das Gesetz aus bayerischer Sicht zustimmungspflichtig, ja oder nein?
Staatsminister Hans Zehetmair ({0}): Ich vernachlässige einmal in meiner Antwort, daß Sie selbst aus Bayern kommen und Bayern nicht immer in Frage stellen sollten. Auch Sie sind ja ein Stück Bayerns.
({1})
- Es ist ja gut. Das wollte ich ja nur aus Ihrem Munde hören. - Ich will Ihnen aber deutlich antworten: Nein, ich lasse mir das nicht gerne vorschreiben. Ich möchte Zustimmungsbedürftigkeit haben. Aber Sie sollten es der Bundesregierung nicht zum Zwang machen, auf Verfassungsrecht zu pochen, wenn Sie politisch nicht bereit sind mitzuhandeln.
({2})
Als nächste in dieser Debatte spricht die Kollegin Edelgard Bulmahn.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Lebendige, leistungsfähige Hochschulen sind angesichts der zunehmenden Wissenschaftsintensität aller Lebensprozesse ein Gebot der Selbsterhaltung und der Zukunftsvorsorge.
Die Hochschulen brauchen hierfür Rahmenbedingungen, die ihnen erlauben, ihre Aufgaben möglichst optimal wahrzunehmen. Nötig sind dazu eine ausreichende finanzielle Ausstattung der Hochschulen, eine innere und eine inhaltliche Reform, sprich: eine Reform des Hochschulrahmengesetzes und in unterschiedlichem Umfang auch der Landeshochschulgesetze. Dringend nötig ist auch eine grundlegende Reform der Ausbildungsförderung. Vier Vorhaben, mit denen der Bundesbildungsminister die Chance gehabt hätte, die Rahmenbedingungen für Lehre und Forschung in dieser Republik entscheidend zu verbessern. Diese Chance hat er bei der Reform der Ausbildungsförderung und der finanziellen Ausstattung der Hochschulen völlig verspielt und beim HRG leider auch nur halbherzig genutzt.
({0})
Meine Damen und Herren, was ist das eigentlich für ein Bundesbildungsminister, der sich in der Öffentlichkeit gerne als Zukunftsminister präsentiert und gar behauptet, er leiste seinen Beitrag zur Stärkung der Hochschulen, wenn er gleichzeitig einen Haushalt vorlegt, der bis zum Jahre 2001 eine Kürzung der Hochschulausgaben von 3,5 auf 3,2 Milliarden DM vorsieht?
({1})
Was ist das für ein Bundesbildungsminister, der gleichzeitig jeden Fortschritt in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe blockiert hat und zugleich dafür sorgt, daß die tatsächlichen Ausgaben für das Studierenden-BAföG bis zum Jahre 2001 auf sage und schreibe 260 Millionen DM gekürzt werden sollen? Zehn Jahre zuvor - das möchte ich Ihnen in Erinnerung rufen -, im ersten Jahr der Einheit, waren es immerhin noch 1,6 Milliarden DM. - So viel zur Verantwortung für die Zukunft dieses Landes des Bundesbildungsministers.
({2})
Bei einer Politik, die so leichtfertig die Zukunft unseres Landes verspielt, braucht man über Reformen im Grunde nicht mehr zu reden; denn ohne zusätzliches Geld, ohne eine Verbesserung der Finanzausstattung unserer Hochschulen und ohne eine Ausbildungsförderung, die ihren Namen auch verdient, droht jede Reform bereits im Ansatz zu ersticken.
Der vorliegende Gesetzentwurf zum Hochschulrahmengesetz ist nicht der große Zukunftsentwurf, den wir eigentlich brauchten.
({3})
Er bringt allerdings in einer Reihe von Punkten Fortschritte - das habe ich immer wieder gesagt -, die mein Kollege Zöllner hier genannt hat.
({4})
- Diese unterstützen wir auch, Herr Guttmacher.
Wir haben aber bereits bei der Einbringung dieses Gesetzes gesagt, daß es gravierende Mängel hat - da bitte ich einmal, das Gedächtnis zu trainieren; das ist auch eine Bitte an Herrn Rüttgers; denn wenn man sich nicht einmal mehr fünf Monate zurückerinnern kann, dann ist das schon ein Armutszeugnis -, daß wir erreichen wollen, daß diese Mängel in den parlamentarischen Beratungen beseitigt werden.
({5})
Da haben Sie nicht mitgemacht. Es ist also Ihr Versagen, das Versagen von seiten der Koalitionsfraktionen.
({6})
Ich will auch deutlich machen, daß der HRG-Entwurf in bezug auf die Fortschritte weitgehend eigentlich nur das fortschreibt, was in den sozialdemokratisch regierten Ländern ohnehin bereits praktiziert wird, wie zum Beispiel die Evaluierung und die Veröffentlichung der Evaluierungsergebnisse sowie die leistungsbezogene Finanzierung. Für eine umfassende Hochschulreform, soweit diese in die Zuständigkeit des Bundes fällt - und darüber reden wir heute -, reicht dieser Entwurf nicht aus. Der schwerwiegendste Mangel liegt darin, daß er kein Verbot der Erhebung von Studiengebühren enthält.
({7})
Meine Damen und Herren, die Sicherung der Chancengleichheit in der Bildung ist für die SPD ein Herzstück ihrer Bildungs- und Gesellschaftspolitik.
({8})
Wir sind davon überzeugt, daß in einer offenen, demokratischen Gesellschaft alle jungen Menschen, unabhängig von ihrer sozialen und wirtschaftlichen Situation, die Chance haben müssen, eine ihren Fähigkeiten und Interessen entsprechende Ausbildung zu absolvieren. Der Hochschulzugang und das Studium müssen deshalb allen unabhängig von Herkunft und Einkommen offenstehen. Nicht das Gerede über die Herstellung der Chancengleichheit,
sondern die Herstellung der Chancengleichheit ist Verfassungsgebot.
({9})
Deshalb stellen wir heute den Antrag, die Erhebung von Studiengebühren im HRG zu untersagen.
({10})
Sie haben die Chance, diesem Antrag zuzustimmen. Nutzen Sie sie, dann können wir das HRG auch verabschieden.
Frau Bulmahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Graf von Waldburg-Zeil?
Sehr gerne.
Frau Kollegin, da Sie im Zusammenhang mit den Studiengebühren so stark auf die Chancengleichheit abstellen, möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen trotz Ihrer beneidenswerten Jugend bewußt,
({0})
daß auch der frühere bildungspolitische Vordenker der SPD Glotz über Studiengebühren nachgedacht hat, dabei aber natürlich in keiner Weise Chancenungleichheit im Auge hatte,
({1})
sondern mit entsprechenden Regelungen - die selbstverständlich auch die Chancengleichheit garantieren - erreichen wollte, daß der Student von seiten der Hochschulen begehrter wird? Glauben Sie, daß es sinnvoll ist, den Ländern von vornherein das Nachdenken über solche Dinge zu verbieten?
({2})
Sehr geehrter Kollege, da wir keine Einheitspartei sind, sondern eine Partei, in der demokratisch um richtige Positionen gerungen wird, ist mir dies durchaus bekannt. Nur, im Unterschied zu Ihnen scheuen wir diesen Konflikt innerhalb der Partei nicht, sondern diskutieren diese Fragen, führen sie zu einem Ergebnis und verstecken uns nicht hinter Landespolitikern.
({0})
Gemäß unserem Parteitagsbeschluß ist das Ergebnis so gefaßt, daß - so die Meinung der SPD - die Verwirklichung von Chancengleichheit ein Kern sozialer Demokratie bleiben muß. Deshalb müssen die
Grundlagen dafür geschaffen werden, daß Chancengleichheit auch in der Hochschulbildung in Zukunft nicht nur ein Anspruch ist, sondern daß es Aufgabe und Verantwortung gerade von Bundespolitik ist, das gesetzlich zu verankern.
({1})
Das Recht auf Bildung unabhängig von Herkunft und Einkommen zu sichern ist - genau so haben wir uns verständigt - Kernaufgabe von Politik in einer sozialen Demokratie. Wer dies nicht will, der soll es offen sagen und sich nicht feige hinter dem Argument verstecken, dies sollten die Länder regeln. Dies ist eine originäre Bundesaufgabe.
Ein Bundesrahmengesetz ist nötig, um in Kernbereichen - die Frage der Studiengebühren gehört dazu - die Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit von Studienbedingungen, von Bedingungen für Lehre und Forschung in Deutschland zu gewährleisten.
({2})
Was für einen Sinn macht eigentlich ein Rahmengesetz, wenn man die Frage der Erhebung von Studiengebühren, die eine Schlüsselrolle für diese Vergleichbarkeit und Einheitlichkeit spielen, nicht bundesweit regelt? Ich appelliere deshalb noch einmal, so wie im Ausschuß, an die Vernunft der Kollegen - nicht an ihr parteipolitisches Kalkül, an die Vernunft der Kollegen! -, unserem Antrag zuzustimmen.
({3})
Wo bleibt denn eigentlich Ihre Glaubwürdigkeit, meine Damen und Herren von der Koalition, angesichts der Tatsache, daß Sie, wie Minister Rüttgers ständig betont, angeblich keine Studiengebühren wollen? Scheuen Sie die parteiinterne Auseinandersetzung, oder sind Sie nicht Manns und Frau genug, den Konflikt mit zweien Ihrer gerade vier Landeswissenschaftsminister auszutragen?
({4})
Das ist der eigentliche Kern der Sache: Sie scheuen den Konflikt und sind nicht in der Lage, eine Entscheidung herbeizuführen.
({5})
Die Vermeidung dieses Konfliktes ist Ihnen offensichtlich wichtiger als die Sicherung von Chancengleichheit und gleichen Lebensverhältnissen im Bundesgebiet - wichtiger als die Sicherheit für die jungen Menschen, die zur Zeit nicht wissen, ob sie sich in drei oder sechs Jahren ein Studium überhaupt noch finanziell leisten können.
Die Einführung von Studiengebühren in einzelnen Ländern würde zudem eine Studienwanderung auslösen und andere Länder, die keine Gebühren erheben, unter Zugzwang setzen. Das gilt auch für Bayern. Auch deshalb ist eine Bundesregelung notwendig, und daher kann man sich nicht mit einer Landesregelung zufriedengeben.
Mangelhaft bleiben in dem HRG-Entwurf die Vorschriften zu den Studierendenschaften. Die Studierenden sind wesentliche Innovationsträgerinnen und -träger im Hochschulbetrieb - auch wenn das von seiten der Koalitionsfraktionen offensichtlich immer vergessen wird - und müssen daher diesen Hochschulbetrieb auch mitbestimmen können. Studierende haben ein Recht darauf, ihre Anregungen in den Prozeß der inhaltlichen und strukturellen Modernisierung der Hochschulen einfließen zu lassen. Dazu gehört auch die aktive Auseinandersetzung mit gesamtgesellschaftlichen Problemen. Deshalb wollen wir den Bundesgesetzgeber darauf verpflichten, für ein Mindestmaß an Einheitlichkeit im Bundesgebiet zu sorgen. Die Länder sollten verpflichtet werden, an allen Hochschulen die Bildung von verfaßten Studentenschaften zuzulassen.
({6})
Bedauerlich ist aus unserer Sicht auch, daß der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung den Bereich der Personalstruktur und der Schaffung eines einheitlichen Dienstrechts der Hochschulen weitgehend ausklammert. Ich kann nur sagen: Das ist wirklich Beton, was hier gemacht wird.
({7})
Alles nützt nichts, wenn wir nicht in die Köpfe von Menschen investieren, wenn wir nicht für Personalstrukturen und für ein Dienstrecht sorgen, das den besonderen Anforderungen, die sich aus den Aufgaben der Hochschulen in Lehre, Forschung und Gesellschaft ergeben, Rechnung trägt. Die Überprüfung und Reform des Dienstrechts und der Personalstruktur ist überfällig, damit wir die einmalige Chance, die sich aus der anstehenden Emeritierungswelle ergibt - nämlich neue Strukturen, neue Studiengänge und auch Forschungsschwerpunkte zu schaffen -, nutzen können. Ich kann nur sagen: Bis jetzt sind die Vorschläge der Regierung in dieser Frage eine Nullnummer.
Ein weiterer Antrag der SPD-Fraktion bezieht sich auf die Sicherung der Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Studiengängen. In der Anhörung wurde diese Forderung vielfach erhoben. Die Einführung von BA- und MA-Studiengängen, die wir wollen und die wir für richtig halten, darf aber unseres Erachtens nicht dazu führen, daß zusätzliche Barrieren aufgerichtet werden. Wer erfolgreich eine Bachelor-Prüfung abgelegt hat, der soll unabhängig von der Note zu einem Master-Studiengang zugelassen werden.
({8})
- Dann stimmen Sie unserem Antrag zu, Herr Guttmacher.
Der letzte Änderungsantrag meiner Fraktion bezieht sich auf die Eingangsformel des GesetzentwurEdelgard Bulmahn
fes. Unserer Auffassung nach bedarf das Gesetz gemäß Art. 84 des Grundgesetzes der Zustimmung des Bundesrates. Die Hochschulpolitik gehört zu den Kernelementen der Kulturhoheit der Länder. Den Ländern in diesem Punkt das Mitwirkungsrecht zu verwehren, das ihnen das Grundgesetz zusichert, ist politisch kurzsichtig und nicht verantwortbar.
({9})
Frau Bulmahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rachel?
Sehr gerne.
Liebe Kollegin Bulmahn, Sie haben das Thema Durchlässigkeit zwischen Bachelor- und Master-Studiengängen angesprochen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen - das haben wir Ihnen bereits im Ausschuß während der Beratung dieses Antrages mitgeteilt -, daß schon heute die Durchlässigkeit zwischen Bachelor- und Master-Studiengängen gewährleistet ist. Nach deutschem Verfassungsrecht - Art. 3 und Art. 12 des Grundgesetzes - und nach § 27 Abs. 1 des geltenden Hochschulrahmengesetzes darf außerhalb von Auswahlkriterien in NC-Zulassungsverfahren die Aufnahme eines Studiengangs nicht von weiteren Kriterien abhängig gemacht werden. Insofern ist Ihr Antrag überflüssig. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?
({0})
Herr Rachel, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß in der Anhörung von Sachverständigen genau auf den Punkt der Durchlässigkeit hingewiesen worden ist, nämlich daß es ein Problem sei, daß im Gesetzentwurf die Frage der Durchlässigkeit nicht eindeutig geregelt sei? In der Erläuterung des Gesetzes, die ja bei Streitfällen zur Interpretation der Absicht des Gesetzgebers hinzugezogen wird, ist genau diese Uneindeutigkeit zu finden. Es ist deshalb notwendig, daß man hier klarstellt, was wir wollen.
({0})
Ich habe ausgeführt, daß es aus unserer Sicht politisch kurzsichtig und nicht verantwortbar ist, die Mitwirkungsrechte der Länder beim HRG auszuschließen und ihnen dieses Mitwirkungsrecht zu verwehren. Wir sind der Meinung, daß es politisch falsch und verheerend ist, wenn man einen Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht provoziert - so wie Sie es tun -, nur damit man sich mit seinem Nein zu einem Verbot der Erhebung von Studiengebühren durchsetzen kann. Ich finde, es ist schon dreist, wenn man so verfährt.
({1})
Sie, Herr Minister Rüttgers, haben sich mit diesem Schlag gegen den Föderalismus von einer Reform des Hochschulrahmengesetzes, deren Erfolg davon abhängig ist, daß Bund und Länder kooperieren, verabschiedet. Sie sind derjenige, der um des parteipolitischen Kalküls willen die gesamte HRG-Reform aufs Spiel setzt.
({2})
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, können dies heute ändern, indem Sie unseren Änderungsanträgen zustimmen. Dann können wir auch die HRG-Reform gemeinsam auf den Weg bringen.
({3})
Es liegt in Ihrer Hand. Vielen Dank.
({4})
Als nächste spricht die Senatorin der Behörde für Wissenschaft und Forschung der Freien und Hansestadt Hamburg, Krista Sager.
Senatorin Krista Sager ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Bulmahn, ich freue mich, daß wir offensichtlich nicht nur die Vorliebe für grüne Jacken teilen, sondern auch die Leidenschaft für die Rechte der Länder. Die Verfassungsrechte der Länder sind in der Tat etwas, womit man nicht leichtfertig umgehen sollte, Herr Bundesminister.
Es ist nicht akzeptabel, daß Sie immer mit dem besonders spitzen Bundesfinger auf die Länder zeigen, wenn es um die heikle Frage der Hochschulfinanzierung geht, und zwar zu Unrecht, daß Sie aber dann den Ländern in einer so wichtigen Frage der Hochschulpolitik wie der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes ihre verfassungsmäßigen Rechte einfach beschneiden wollen. Das geht nicht an.
({1})
Ich warne Sie und appelliere an Sie: Brechen Sie in einer so empfindlichen Frage nicht den offenen Verfassungskonflikt mit den Ländern vom Zaun! Das wird sich bitter rächen. Daran können auch Sie kein Interesse haben. Außerdem lohnt es sich gar nicht, weil der Gesetzentwurf in der jetzigen Form gar nicht das Pulver wert ist, das Sie heute schon wieder dafür verschossen haben. Dort, wo dieser Gesetzentwurf besser ist als das alte Hochschulrahmengesetz, laufen Sie doch in Wirklichkeit Entwicklungen hinterher, die an den Hochschulen und in den Ländern
Senatorin Krista Sager ({2})
längst stattgefunden haben und stattfinden, und zwar tagtäglich.
({3})
Es ist nicht so, daß man an den Hochschulen und in den Ländern mit den Händen im Schoß dasitzt, in Sachen Reform nichts tut und nur auf den Bundesminister wartet. Ich glaube, das ist eine ziemlich schiefe Wahrnehmung.
Aber dort, wo Sie den Ländern gerade durch die Rahmengesetzgebung für die Zukunft noch mehr Gestaltungsraum hätten geben können, gerade da - wie zum Beispiel in der zentralen Frage des öffentlichen Dienstrechts - versagt dieses Gesetz und ist in puncto Reform ein richtiger Rohrkrepierer, weil es keine Öffnungsklausel enthält.
({4})
Nun ein Wort aus Ländersicht zu den Studiengebühren.
Gerade, weil Sie die Frage der Studiengebühren bei den grundständigen Studiengängen nicht ausdrücklich regeln und Gebühren nicht ausschließen, sind die Länder hier massiv betroffen.
Meine Damen und Herren, was wird denn passieren? Es reicht doch, wenn nur einige Hochschulen in unionsregierten Ländern Studiengebühren einführen. Dann wird es einen Run und einen Druck auf die Hochschulen geben, die das nicht tun. Das wird gerade in den attraktiven Großstadtmetropolen passieren. Das erzeugt dann wiederum Druck, in diesem Punkt nachzuziehen.
Aber wir werden noch etwas anderes erleben: Wir werden erleben, daß die Frage der Studiengebühren zu einer Art symbolischen Qualitätsmaßnahme nach dem Motto hochstilisiert wird: Nur was etwas kostet, kann etwas Gutes sein, und was keine Gebühr kostet, kann nicht so toll sein. Das heißt, die Hochschulen, denen Chancengleichheit und Offenheit noch etwas wert sind, geraten von zwei Seiten unter Druck. Wir haben dann auf der einen Seite die bayerischen und baden-württembergischen Studierenden vor der Tür und müssen uns auf der anderen Seite noch sagen lassen, daß unsere Hochschulen nichts taugen, weil sie nichts kosten. Dazu habe ich wirklich keine Lust.
({5})
Das kann keine Hochschule auf Dauer aushalten.
Das gleiche gilt für die hochschulinterne Zusatzaufnahmeprüfung. Dort werden Sie genau das gleiche erleben. Die Gespräche im Zuge der zusätzlichen Zugangsprüfung für Mediziner haben längst bewiesen, daß das einen Heidenaufwand erfordert und die Ergebnisse weder besser noch sachgerechter sind. Sie werden auch hier erleben, daß diese nicht sachgerechten, aufwandsintensiven Prüfungen zu einer
Qualitätsmaßnahme hochstilisiert werden. Dies wird eine Hochschulpolitik, die ihre Chancen in einer elenden Imageshow vertut und uns letztlich bei der Qualitätssicherung von Forschung und Lehre nicht weiterbringt.
({6})
Deswegen brauchen wir hier im Interesse der Studierenden eine einheitliche Regelung. Wie sieht es denn für die Studierenden aus? In Hamburg sind schon heute 70 Prozent der Studierenden neben ihrem Studium erwerbstätig, weil die Studierendenfinanzierung vollkommen ausgezehrt ist. Gleichzeitig wird ihnen aber vorgehalten, daß sie im internationalen Vergleich viel zu lange studieren. Dieses Nadelöhr, durch das die Studierenden getrieben werden, wollen Sie jetzt durch Studiengebühren noch enger machen. Das ist in der Tat etwas, was mit Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit in diesem Lande überhaupt nichts mehr zu tun hat. Die Studierenden bleiben nämlich dabei auf der Strecke.
({7})
Herr Bundesminister, meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Der Gesetzentwurf ist in seiner jetzigen Form nicht geeignet, die Bedeutung von Wissenschaft und Ausbildung in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft hinreichend zu würdigen. Er ist rechtlich gesehen unbedingt zustimmungspflichtig, aber er ist leider politisch gesehen nicht zustimmungsfähig.
({8})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Guido Westerwelle.
Frau Senatorin, Sie haben in Ihrer Rede das Prinzip der Leistungsorientierung beim Zugang zur Hochschule abgelehnt. Ich halte es für einen ganz großen Fehler und für eine wirklich groteske Fehlentscheidung, den Eindruck zu erwecken, als sei eine stärkere Leistungsorientierung beim Zugang zu den Hochschulen schlechter als das, was wir heute haben.
Das, was wir heute haben, ist eine Studentenlandverschickung à la ZVS. Das ist das eigentliche Problem. Das ist willkürlich. Es ist im Kern der Angelegenheit das Losverfahren. Wir finden, daß Leistung besser ist als losen. Deswegen muß die bisherige Rechtslage verbessert werden.
({0})
Sie haben auch gesagt, es lohnt sich mehr oder weniger überhaupt nicht, Pulver zu verschießen, weil an den Hochschulen alles in Ordnung sei. Wenn an den Hochschulen alles in Ordnung ist, dann frage ich mich, warum die Studenten jetzt auf die Straße
gehen und vor allen Dingen auch gegen die Politik der Landesregierungen protestieren, die an den Hochschulen die Mittel kurz und klein kürzen.
({1})
- Herr Fischer, es ist eine harte Erkenntnis für Sie: Die 68er haben Sie gewonnen, die 98er gewinnen wir.
({2})
Der ideale rotgrüne Lebenslauf lautet heute immer noch so: Nach dem 20. Semester Soziologiestudium wird man Fahrradbeauftragter bei der Stadt Hamburg. So denkt die heutige junge Generation aber nicht mehr. Es fällt euch APO-Opas schwer, aber ihr werdet euch daran gewöhnen müssen!
({3})
Jetzt mit allem Ernst noch zu einem Aspekt, den Sie angesprochen haben.
Herr Westerwelle hat das Wort.
({0})
Sie haben auf die Länge der Studienzeiten hingewiesen. Das ist genau Kern dieser Initiative. Wenn in Deutschland das durchschnittliche Berufseintrittsalter bei 28 Jahren liegt und in Großbritannien bei 24 Jahren, dann ist das für die Studenten erstens schlecht, und zweitens liegt es nicht daran, daß irgendwelche Studenten faul sind, sondern am System, das so nicht mehr funktioniert.
Genau deswegen wollen wir das Hochschulrahmengesetz reformieren. Wir sind als Koalition der Auffassung, daß es bei der Gleichung, die von Ihnen immer wieder vorgetragen wird, nämlich je länger jemand die Hochschule besucht, um so klüger ist er am Schluß, sinnvoller ist, mit kürzeren Ausbildungszeiten in den Beruf zu kommen.
Das ist der Grund, warum wir dieses Hochschulrahmengesetz vorgelegt haben. Es wird hier im Deutschen Bundestag von der Koalition verabschiedet werden. Das, was ihr macht, sind eure Rückzugsgefechte der 70er Jahre. Ihr seid von gestern, was das angeht.
({0})
Vielleicht hat jetzt die Senatorin Sager die Möglichkeit, angehört zu werden.
Senatorin Krista Sager ({0}): Mein sehr geehrter Kollege Westerwelle, wer die soziale Elite ständig mit der geistigen Elite verwechselt, der wird weder die 68er noch die 98er gewinnen. Das kann ich Ihnen versprechen.
({1})
Kein Mensch in diesem Saal hat etwas dagegen, daß die Studienzeiten kürzer werden, als sie es jetzt sind. Aber Sie müssen auch einmal zur Kenntnis nehmen, daß das massiv an die Frage der Studienfinanzierung gekoppelt ist. Dazu ist von Ihnen noch kein konstruktiver Beitrag gekommen. Durch Studiengebühren werden Sie das nur noch verschlimmern. Das kann ich Ihnen prophezeien.
({2})
Sie haben gesagt, Sie seien insbesondere für Leistung. Auch ich bin für Leistung. Aber können Sie mir einmal erklären, was Leistung mit dem Zahlen von Gebühren zu tun hat? Ich kann nicht erkennen, daß derjenige, der Gebühren leicht zahlen kann, leistungsfähiger ist als derjenige, der Gebühren nur schwer bezahlen kann.
({3})
Lassen Sie mich auch ein Wort zu den zusätzlichen Aufnahmeprüfungen - dem Abitur nach dem Abitur, wie es schon genannt worden ist - sagen. Ich habe davon gesprochen, daß es Erfahrungen mit Aufnahmegesprächen bei den Medizinern gibt. Die Ergebnisse sind in der Tat keineswegs sachgerechter gewesen als die, die Sie durch den Numerus clausus erzielen, es sei denn, Herr Westerwelle, Sie wären der Meinung, es ist besonders sachgerecht, daß man am Ende solcher Gespräche feststellt, daß die Studierenden, die aus Ärztefamilien kommen, bessere Chancen haben als andere. Das war nämlich ein Ergebnis.
({4})
Herr Westerwelle, daß Sie mit dieser Diskussion über Gebühren keine Probleme haben, wundert mich nicht, und das steht auch für Ihre Partei. Daß Sie so gute deutsche Worte wie Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit überhaupt nicht mehr verstehen, weil Sie nur noch Shareholder-Value kennen, haben Sie heute wieder einmal bewiesen.
({5})
Das Wort hat jetzt der sächsische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Professor Dr. Hans-Joachim Meyer.
Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Novelle des Hochschulrahmengesetzes eröffnet Freiräume, die für die Zukunft unserer Hochschulen von grundlegender Bedeutung sind. Es sind dies die Hochschulverfassung und die akademischen AbStaatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer ({1})
schlösse. Freilich birgt die Chance der neuen Gestaltung auch das Risiko des Mißlingens. Dieses Risiko ist um so größer, wenn man die Chance mit falschen Erwartungen befrachtet.
Mit Recht wird gefordert, die Eigenverantwortung und die Handlungsmöglichkeit der Hochschulen zu erhöhen. In diesem Ziel sind wir uns einig. Aber was heißt das? Genügt es zu sagen, Politik und Ministerialverwaltung sollten sich zurückziehen und den Dingen in den Hochschulen ihren Lauf lassen? Können wir davon ausgehen, daß die Hochschulen dann schon selbst die richtige Verfassung für sich finden und die ihnen zur Verfügung gestellten Mittel in geeigneter Weise verteilen?
Alle bisherige Erfahrung lehrt, daß diese Annahme eine Illusion ist, weil sie die reale Interessenlage in den Hochschulen ignoriert. Wahr ist, daß diejenigen am besten mit dem Geld umgehen, die damit eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen haben. Da ist in der Tat ein Hineinregieren und ein detailliertes Reglementieren unangebracht und oft sehr schädlich.
Davor steht aber die Entscheidung, welche Aufgaben zu erfüllen und wie diese Aufgaben zu gewichten sind. Solche Prioritätensetzungen sind bekanntlich fast nie im wechselseitigen Einvernehmen mit allen Betroffenen zu erreichen, es sei denn, man einigt sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.
Das akademische Konsensprinzip ist gut und richtig für die Inhalte von Lehre und Forschung. Aber es ist völlig ungeeignet, wenn es darum geht, die Hochschule als ein dem Gemeinwohl dienendes Unternehmen im öffentlichen Auftrag zu führen. Für eine solche Aufgabe ist es notwendig, die Handlungsfähigkeit und den Handlungswillen der Hochschule als Gesamtheit und als Verantwortungsgemeinschaft zu sichern. Das ist das Ziel der Länder. Sie haben auf diesem Wege schon sehr viel geleistet, auch schon vor Einbringung der Novelle zum Hochschulrahmengesetz.
Es ist aber auch - daran darf ich Sie einmal erinnern - die Verantwortung der Länder - deutlicher gesagt: es ist die Verantwortung der Landesgesetzgeber -, die Handlungsfähigkeit der Hochschule zu definieren und durch geeignete rechtliche Regelungen strukturell zu garantieren; denn die Länder sind es, die die Hochschulen finanzieren.
({2})
Darum sage ich, obwohl ich klar gegen Studiengebühren bin und mit Nachdruck dafür eintrete, daß sich die Länder auf ein gemeinsames Konzept zur Regelung und zur Lösung der Probleme der Hochschulfinanzen einigen, mit aller Klarheit: Wenn es Ihnen gelänge, ein Verbot von Studiengebühren in das Hochschulrahmengesetz hineinzuschreiben, dann hätten Sie damit das sicherste Mittel geschaffen, um die Verfassungswidrigkeit dieses GeSetzes zu begründen. Sie können den Ländern die Art der Finanzierung der Hochschulen nicht vorschreiben. Es ist die alte Illusion, Probleme mit rechtlichen Mitteln lösen zu können. Nein, wir müssen gemeinsam über die künftigen Wege der Hochschulfinanzierung
nachdenken. Daher bin ich für den Vorschlag von Professor Landfried, der sagt: Denkt zunächst noch einmal gemeinsam darüber nach und faßt einen gemeinsamen Entschluß; aber dieses ist keine Angelegenheit des Hochschulrahmengesetzes.
Niemand sollte meinen, die Landespolitik würde künftig das öffentliche Geld an der Hochschultür abliefern und blind darauf vertrauen, die Hochschulen würden schon das Rechte damit anstellen. Das gibt es nirgendwo auf der Welt. Vielmehr geht es damm, mit denjenigen in der Hochschullandschaft, die für eine wirkliche Handlungsfähigkeit der Hochschulen eintreten, Maßnahmen zu ergreifen und Strukturen zu schaffen, um eine solide Basis für die akademische Autonomie zu begründen.
Es ist sicherlich falsch, wenn Politik und Bürokratie meinen, sie müßten festlegen, was mit dem Geld in der Hochschule geschieht. Aber zu regeln, auf welche Weise und nach welchen Kriterien die Hochschule über den Einsatz von Geld entscheidet, und dafür geeignete Strukturen vorzusehen, ist sehr wohl Angelegenheit der Länder. Sie würden der Wissenschaft einen Bärendienst erweisen, wenn sie es nicht täten. Dieses festzustellen bedeutet überhaupt nicht, einen Gegensatz zwischen den Landes- und Hochschulinteressen zu konstruieren. Die jüngsten Überlegungen der Hochschulrektorenkonferenz über die Leitungs- und Entscheidungsstrukturen der Hochschulen weisen vielmehr einen Weg zu wirklicher Handlungsfähigkeit. Aber wir alle wissen auch, wie entscheidungsfreudige Hochschulrektoren und Hochschulpräsidenten in ihren Hochschulen mit Einzel- und Gruppeninteressen zu ringen haben.
Im übrigen, meine Damen und Herren, sollten wir uns alle zusammen über zwei Dinge im klaren sein:
Erstens. Die Hochschulreform ist kein Ersatz für Geldmittel. Vielmehr gilt auch nach einer Änderung des Hochschulrechts, daß Bund und Länder mehr tun müssen, um durch eine zureichende Finanzausstattung von Bildung und Wissenschaft die Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu sichern.
({3})
Zweitens stehen der Handlungsfähigkeit unserer Hochschulen auch nach dieser Novellierung ideologische Vorgaben entgegen. Eine solche Ideologie ist die realitätsfremde Vorstellung, mit dem Abitur könne jeder studieren, was, wo und wie lange er will.
({4})
- Ich komme gleich auf Sie.
Man hat aus der Hochschulreife einen einklagbaren Rechtstitel gemacht ohne zu klären, wie denn das zu finanzieren sei. Es war schon in den wirtschaftlich besten Jahren der Bundesrepublik nicht zu finanzieren; es wird auch in Zukunft nicht zu finanzieren sein. Das ist eine Fiktion, die unsere Hochschulen ruiniert. Solange es nicht das Selbstverständlichste von der Welt ist, daß eine Hochschule immer dann, wenn die Zahl der Studienbewerber für ein
Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer ({5})
Fach die Zahl der verantwortbaren Studienplätze übersteigt, das Recht und die Pflicht hat, auf der Grundlage der konkreten Abiturzeugnisse die am besten Geeigneten auszuwählen, gibt es keine Eigenverantwortung und keine Handlungsfähigkeit der Hochschulen im vollen Sinne des Wortes und auch keine Wettbewerbsfähigkeit. Das Ergebnis von Wettbewerbsfähigkeit, Frau Kollegin Sager, ist natürlich, daß die Hochschulen im Lande nicht mehr gleich sind. Das will ich in der Tat.
Herr Professor Meyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hilsberg?
Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer ({0}): Ja.
Vielen Dank, Frau Bundestagspräsidentin. - Herr Professor Meyer, ich stimme Ihnen darin zu - es ist ja auch gut, daß Sie das sagen -, daß Bund und Länder mehr für die Finanzierung der Hochschulen tun müssen. Es ist auch erfreulich, daß Sie sich gegen Studiengebühren aussprechen. Ich möchte Sie aber fragen: Woran liegt es denn eigentlich, daß Bund und Länder auf der einen Seite zur chronischen Unterfinanzierung der Hochschulen beitragen und dadurch auf der anderen Seite bewirken, daß die Befürworter von Studiengebühren in unserem Land immer mehr Zulauf erhalten?
Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer ({0}): Herr Kollege Hilsberg, die Festsetzung von Prioritäten bei der Verteilung von Finanzmitteln ist ein Ergebnis des öffentlichen Diskurses. In diesem öffentlichen Diskurs haben Wissenschaft und Hochschulen derzeit ausgesprochen schlechte Karten.
({1})
Das hat etwas mit der mangelnden Handlungsfähigkeit unserer Hochschulen zu tun. Daher bin ich für dieses Gesetz: weil es uns nämlich ermöglicht, die Hochschulreform, die wir in den Ländern bereits begonnen haben, entschlossen weiterzuführen.
({2})
Es ist doch eine Illusion anzunehmen, Herr Hilsberg, daß dies allein von politischen Mehrheiten in diesem Bundestag abhängt. Sehen Sie sich doch bitte an, wo die Studentendemonstrationen begonnen haben, doch nicht in christlich-demokratisch geführten Ländern.
({3})
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns der Wahrheit ins Auge sehen. Die Wahrheit ist, daß wir uns alle gemeinsam für einen höheren Stellenwert von Wissenschaft und Hochschulen entscheiden müssen. Das bedeutet natürlich, daß man für andere Politikbereiche nur weniger Geld einsetzen kann. Woher soll das Geld denn sonst kommen? Diese mangelnde Ehrlichkeit hindert uns daran, real mehr Geld für die Hochschulen einzufordern.
({4})
Ich komme jetzt zum zweiten Gebiet, den akademischen Graden. Dort stehen die Chancen für eine Fortentwicklung wesentlich besser. Die Reform der akademischen Grade ist in der Tat ein attraktives Feld der Reform. Allerdings werden die Aussichten auch auf diesem Gebiet durch falsche Erwartungen und unzutreffende Behauptungen verstellt und verdunkelt.
Angeblich gibt es ein anglo-amerikanisches Graduierungssystem. Meine Damen und Herren, glauben Sie einem Anglisten, der britische und amerikanische Universitäten kennt: Ein solches System gibt es nicht. Das einzige, was man von englischen - nicht von britischen - und von amerikanischen Universitäten sagen kann, ist, daß es dort den Bachelor und den Master gibt und daß der Master nach dem Bachelor kommt. Außerdem gibt es noch den PhD, den einige Leute auch noch importieren wollen, weil sie offenbar nicht wissen, daß dieser der auf Humboldt zurückgehende Dr. phil. ist, der amerikanischen und britischen Universitäten als Vorbild gedient hat.
Zwischen dem englischen und dem amerikanischen Bachelor gibt es so gut wie keine Gemeinsamkeit. Nur der englische Bachelor ist ein berufsbefähigender Abschluß, aber für ein viel kleineres Gebiet, als dies bei deutschen Studiengängen der Fall ist. Der amerikanische Bachelor ist überhaupt nicht berufsbezogen, sondern soll nur eine höhere Bildung als Vorstufe zu den eigentlichen Universitätsstudien oder als allgemeinen Einstieg in das Berufsleben bescheinigen. Es gibt also kein anglo-amerikanisches Graduierungssystem, das bei uns eingeführt werden könnte.
Tatsächlich geht es um etwas ganz anderes: Das deutsche Diplom steht international gesehen für ein hohes Ausbildungsniveau; aber das englischsprachige Äquivalent für das deutsche Wort Diplom bezeichnet fast immer Zeugnisse von viel geringerem Rang.
({5})
Also steht das deutsche Diplom in Gefahr, unter Wert gehandelt zu werden. Österreich, das längst den Magister als Abschluß fast aller universitären Studiengänge verwendet, hat diese Probleme nicht.
Darüber hinaus ist es aber auch zweckmäßig, einen akademischen Grad vor dem Magister zu haben. Für die Geisteswissenschaften ist es schon lange bekannt, daß es dort eine nicht geringe Anzahl von jungen Leuten gibt, die das Studium ohne Abschluß verlassen, gleichwohl auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich sind. Warum soll man ihnen nicht einen Bakkalaureus oder Bachelor nach drei Jahren ermöglichen?
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In den Natur- und Ingenieurwissenschaften dagegen würde ein Bachelor kaum primär als Berufsabschluß, sehr wohl aber für die internationale MobiliStaatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer ({7})
tät nützlich sein, und zwar sowohl für Deutsche, die nach diesem ersten Grad für einen Teil ihres Studiums ins Ausland gehen, als auch für Ausländer, die für einen Magister oder Master zu uns kommen. Auch für die Bezeichnung von Teilabschlüssen wäre Bachelor oder Bakkalaureus ganz nützlich.
Nicht um die Übernahme irgendeines angeblich existierenden Systems geht es also, sondern um die Reform unserer akademischen Grade und Studiengänge. Eines darf man sich allerdings nicht davon versprechen: durch ein allgemeines Herunterdrükken auf eine Studienzeit von drei Jahren die Probleme der deutschen Hochschulen lösen zu können. Wer das versucht, ruiniert nicht nur das Ansehen unserer Hochschulen, sondern fügt auch dem Wirtschaftsstandort Deutschland schweren Schaden zu.
({8})
Wenn wir aber, meine Damen und Herren, die von der Novelle des Hochschulrahmengesetzes eröffneten Wege zur Neugestaltung realistisch nutzen, dann erhöhen wir die internationale Attraktivität der deutschen Hochschulen und die strukturelle Flexibilität und Effizienz ihrer Studiengänge.
({9})
Dann lebt auch Humboldts Universität weiter; denn sie ist weltweit die Grundlage der modernen Universität.
({10})
- In Sachsen lebt Humboldts Universität, und zwar sehr kräftig.
Wie bei jedem Gesetz, insbesondere bei einem Gesetz, das auf einem Konsens beruht, läßt sich von unterschiedlichen Positionen aus Kritisches über die Gesetzesnovelle sagen. Dennoch bleibt wahr: Für zentrale Leistungsmerkmale unseres Hochschulwesens, für seine Handlungsfähigkeit, für seine Wettbewerbsbereitschaft und für seine Internationalität eröffnet diese Novelle bedeutsame Möglichkeiten. Lassen Sie uns deshalb die Schritte gehen, die wir jetzt gemeinsam gehen können. Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, bleiben Sie bei dem gemeinsam erreichten Kompromiß vom 18. August 1997.
Ich danke.
({11})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Gerhard Friedrich.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich Frau Odendahl richtig verstanden habe, dann hat sie heute so etwas wie ihre Abschiedsrede gehalten. Daher möchte ich Ihnen zwei Dinge sagen. Als ich Sie
kennengelernt habe, ist mir aufgefallen, daß Sie immer ein bißchen in einem beleidigten Tonfall reden.
({0})
Das verzeihen wir Ihnen, weil damit der Frust von 15 Jahren Opposition zum Ausdruck kommt.
({1})
Liebe Frau Kollegin, ich habe auch festgestellt, daß Sie den Forschungs- und Bildungsausschuß korrekt und souverän leiten, und dafür danken wir Ihnen.
({2})
Leider kann ich Ihnen nicht auch für den Inhalt Ihrer Reden danken. Was Sie heute wieder zur Verfassungsproblematik gesagt haben, ist falsch. Ich wiederhole, was ich im Ausschuß schon gesagt habe. Föderalismus bedeutet, daß wir den Ländern möglichst viel überlassen und nicht nur zum Trost sagen: Liebe Länder, ihr dürft über eure Landesregierungen im Bundesrat mit abstimmen. Ich verstehe es wirklich nicht, wenn die SPD darauf Wert legt, daß inzwischen immer mehr Gesetze im Bundesrat zustimmungspflichtig sind. Das führt ins Elend. Wenn Sie irgendwann einmal selbst regieren, dann werden Sie darunter ganz böse leiden.
({3})
Im Gegenteil: Wir brauchen mehr Trennung der Kompetenzen. Was die Studiengebühren betrifft, möchte ich daran erinnern, daß es hier um Einnahmen der Länder geht und um die Frage, ob die Lander für die Inanspruchnahme ihrer Einrichtungen so etwas wie Gebühren verlangen dürfen. Deshalb ist es typischerweise eine Entscheidung, die auf Landesebene getroffen werden muß. Ich sage dazu: Trotzdem gibt es bei uns eine klare Mehrheit, die gegen das ist, was man üblicherweise als Studiengebühr bezeichnet. Auch ich habe davon profitiert, daß der Zugang zur Hochschule nicht vom Bankkonto der Eltern abhängig ist.
({4})
Nun möchte ich einmal etwas zu denjenigen sagen, die noch über andere Lösungen nachdenken. Auch die Grünen haben einen Antrag eingebracht, in dem der Kollege Berninger etwas formuliert hat, was durchaus richtig ist. Auf Seite 13 Ihres einschlägigen Antrags gegen die Einführung von Studiengebühren behaupten Sie, daß das derzeitige System der Finanzierung unserer Hochschulen nicht sozial ist, weil viele kleine Leute mit ihren Steuern das Studium von Kindern reicher Eltern finanzieren und ihre Kinder später einmal keine Chance haben werden, ein Akademikereinkommen zu beziehen. Daher müsse es zulässig sein, über intelligentere Lösungen weiter nachzudenken.
({5})
Unabhängig davon sind auch wir der Meinung, normale Studiengebühren seien nicht richtig und würden die jetzige Hochschulrefom kaputtmachen.
Es ist zu Recht auf die finanzielle Not der Hochschulen und auf ihre weitgehende Unterfinanzierung hingewiesen worden. Beides bestreite ich nicht. Ich glaube auch, daß Sie darüber ehrlich empört sind. Ich will heute nicht darüber reden, ob eher der Bund zuständig ist oder ob eher die Länder zuständig sind. Ich sage Ihnen nur eines: Wenn ich mir den Bundeshaushalt anschaue, dann stelle ich fest, daß Herr Rüttgers etwa 15 Milliarden DM für Bildung und Forschung ausgeben darf und daß wir den Rentenversicherungsträgern in diesem Jahr etwa 100 Milliarden DM überweisen.
({6})
Ich glaube überhaupt nicht, daß die SPD - trotz ihres guten Willens - in der Lage ist, die Gewichte anders zu verteilen. Das nehme ich Ihnen überhaupt nicht ab.
Noch eine kurze Anmerkung zu den Inhalten der Hochschulreform. Es hat hier jemand gesagt, daß wir ganz begeistert in bezug auf die Durchsetzung des Leistungsprinzips bei den Studenten sind. Ich lege großen Wert darauf, festzustellen, daß wir im Rahmen der Evaluation vor allem der Lehre auch das Leistungsprinzip bei den Professoren besser durchsetzen wollen.
({7})
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, das Gesetz nicht mit in Kraft setzen, dann bestrafen Sie nicht nur die „Schwarzen", sondern vor allem die Hochschulen und Studenten.
({8})
Weil es zu wenig Evaluation der Lehre gibt, gehen auch in meinem Wahlkreis viele Jura-Studenten zum Repetitor. Dafür zahlen sie ja schon so etwas wie Hochschulgebühren. Daran wollen wir etwas ändern.
Eine letzte Anmerkung. Die Hochschulrektorenkonferenz hat Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, am 5. Februar aufgefordert, dieses Hochschulrahmengesetz jetzt mit in Kraft zu setzen, weil sie der Meinung ist, daß das Korsett des geltenden Rechts für eine umfassende Reform in den Ländern zu eng ist. Jetzt wollen Sie offensichtlich dieser Aufforderung nicht nachkommen. Wir wissen ja nicht so genau, ob sich alle von der SPD regierten Länder an das Diktat des Parteivorstandes halten. Ich meine nur folgendes: Herr Tauss, wenn ich mir die Meinungsumfragen anschaue, dann stelle ich fest, daß die Koalition zur Zeit ein wenig in Schwierigkeiten ist. Aber ich konnte mich noch immer darauf verlassen, daß die SPD vor der Wahl so viel Mist macht, daß nicht zu viele Wähler zu Ihnen überlaufen.
({9})
Vielen Dank.
({10})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes in der Ausschußfassung; das sind die Drucksachen 13/8796, 13/9070 und 13/ 9351 und 13/9822, Buchstabe a.
Zunächst kommen wir zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9862. Die Gruppe der PDS wünscht getrennte Abstimmungen zu den einzelnen Nummern.
({0}) Dann wollen wir so verfahren.
Wer der Nr. 1 des Änderungsantrages der SPD zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß Nr. 1 des Änderungsantrages mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Wir kommen jetzt zur Nr. 2 des Änderungsantrages der SPD. Wer dieser Nummer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß Nr. 2 des Änderungsantrages mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Wir kommen zur Nr. 3 des Änderungsantrages der SPD. Wer dieser Nummer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß Nr. 3 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Wir kommen zur Nr. 4 des Änderungsantrages. Wer dieser Nummer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß auch Nr. 4 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Damit ist der Änderungsantrag insgesamt abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9863. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist.
Nun stimmen wir über den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung ab. Wer dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in der Ausschußfassung in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Damit treten wir in die
dritte Beratung
und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit demselben Stimmenverhältnis angenommen worden ist.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 13/9844. Wer dem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Jetzt stimmen wir über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9864 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist.
Dann stimmen wir über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9859 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden ist.
Dann stimmen wir über den von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Hochschulrahmengesetzes auf Drucksache 13/8824 ab. Der Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung empfiehlt auf Drucksache 13/9822 unter Buchstabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/8824 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit demselben Stimmenverhältnis wie eben in zweiter Lesung abgelehnt worden ist. Damit entfällt die weitere Beratung.
Nun rufe ich die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zum Entwurf eines Gesetzes des Bundesrates zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes auf, Drucksache 13/9822, Buchstabe c. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/5358 für erledigt zu erklären. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einmütig angenommen worden.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zum Antrag der Fraktion der SPD zur Sicherung der Hochschul- und Studienfinanzierung auf; das ist die Drucksache 13/ 9822, Buchstabe d. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7914 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Reform der Personalstruktur an Hochschulen auf. Das ist die Drucksache 13/9822, Buchstabe e. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6121 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Hochschul- und Studienfinanzierung auf. Das ist die Drucksache 13/ 9822, Buchstabe f. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7473 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist.
Ich rufe die Beschlußempfehlung desselben langnamigen Ausschusses
({1})
zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu offenen, demokratischen Hochschulen auf, Drucksache 13/9822, Buchstabe g. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8847 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS angenommen worden ist.
Damit können wir diesen Tagesordnungspunkt abschließen.
Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 16a bis 16d auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Konzerne an internationaVizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
len Kapitalmärkten und zur Erleichterung der Aufnahme von Gesellschafterdarlehen ({2})
- Drucksache 13/7141 - ({3})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4})
- Drucksache 13/9909 - Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Geis Joachim Gres
Alfred Hartenbach
Detlef Kleinert ({5}) Dr. Eckhart Pick
Ronald Pofalla
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zulassung von Stückaktien ({6})
- Drucksache 13/9573 - ({7})
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({8})
- Drucksache 13/9857 - Berichterstattung:
Abgeordnete Ronald Pofalla Joachim Gres
Alfred Hartenbach
Detlef Kleinert ({9})
c) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland ({10})
- Drucksache 13/8933 - ({11})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hans Martin Bury, Ernst Schwanhold, Anke Fuchs ({12}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Unternehmensübernahmen ({13})
- Drucksache 13/8164 - ({14})
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({15})
- Drucksache 13/9874 Berichterstattung:
Abgeordnete Gisela Frick Christine Scheel
Jörg-Otto Spiller
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({16}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 13/9910 Berichterstattung:
Abgeordnete Adolf Roth ({17}) Dr. Wolfgang Weng ({18}) Karl Diller
Oswald Metzger
d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausübung der Tätigkeit als Finanzdienstleistungsvermittler und als Versicherungsvermittler sowie zur Einrichtung eines Beirats beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen
- Drucksache 13/9721 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({19})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
Zum Finanzmarktförderungsgesetz liegen zwei Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und zwei Entschließungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. vor.
Zum Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Margareta Wolf und Hans Martin Bury vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich darum, daß die Kollegen, die ihr nicht weiter folgen wollen, liebenswürdigerweise das Haus verlassen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Wolfgang Steiger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Entwurf des Dritten Finanzmarktförderungsgesetzes stand der Gesetzgeber vor großen Herausforderungen: die Stärkung des Finanzplatzes Deutschland in einem immer schärfer werdenden Wettbewerb, eine hinreichende Verbesserung der Ausstattung von kleinen und mittleren Unternehmen mit Eigen- und Risikokapital, die Erleichterung des Börsengangs und die Schaffung einer zukunftsfähigen Perspektive für die betriebliche Altersvorsorge und die private Alterssicherung.
Ein ganzer Strauß von Maßnahmen war dazu notwendig, und ich denke, nach einer intensiven Anhörung im Finanzausschuß, nach vielen Fachgesprächen und Beratungsstunden können wir feststellen, daß hier ein prächtiger, ansehnlicher Strauß gelungen ist. Dem Bundesfinanzminister Theo Waigel und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium gebührt unser Dank und unsere Anerkennung.
({0})
Denn in vielen kleinen Regelungen werden wir mit diesem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz die konsequente Politik der Modernisierung des Finanzplatzes Deutschland fortsetzen. Es ist ein Vorhaben,
das Deutschlands Stellung in der Spitze der internationalen Börsen- und Finanzdienstleistungslandschaft entscheidend stärken und ausbauen wird.
Mit diesem Gesetz ist beispielsweise eine leichtere und bessere Nutzung der Kapitalmärkte verbunden, weil Risikokapital für Unternehmen in Deutschland einfacher und schneller zugänglich sein muß. Heute noch vorhandene Hindernisse bei der Inanspruchnahme der Börsen zur Beschaffung von Eigen- und Risikokapital werden weiter abgebaut.
Zum anderen werden wir mit diesem Werk die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes verbessern. Zahlreiche Vorschriften werden den heute geltenden internationalen Bedingungen angepaßt. Nicht zuletzt deshalb, weil Kapital mobiler ist als Arbeitskraft, müssen wir vielerlei Anstrengungen unternehmen, um es langfristig an den Standort Deutschland binden bzw. für ihn neu gewinnen zu können. Damit wird unser deutscher Börsenplatz in der internationalen Spitze bleiben, und damit haben wir auch den Grundstein gelegt, um unsere eigene herausragende kapitalmarktpolitische Aufgabe vor dem Start der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion positiv lösen zu können.
({1})
Dabei ist natürlich auch der Anlegerschutz für beide Ziele ein ganz wichtiger Punkt. Das Vertrauen der deutschen Anleger in die Funktionsfähigkeit unseres Kapitalmarktes und in seine Fairneß - natürlich allen Marktteilnehmern gegenüber - wird zu einer weiteren Belebung unseres Finanzplatzes beitragen. Transparente und anerkannte Verfahren auf internationalem Niveau werden seine Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und ihn für internationale Anleger und Investoren noch interessanter und attraktiver machen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang drei Änderungen skizzieren, um diese Aussage zu verdeutlichen.
Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz enthält die Modernisierung der Prospekthaftung und der Haftung aus fehlerhafter Anlageberatung. Die Schwierigkeit bei dieser dringend erforderlichen Maßnahme bestand eigentlich darin, die Interessen beider Marktseiten, der Anleger wie auch der Emittenten, in einen fairen Ausgleich zu bringen.
Ich glaube, heute können wir im Lichte der Beratungen sagen, daß dieser Ausgleich gelungen ist. Denn der Anleger wird im Bereich der Prospekthaftung von Auflagen befreit, die eine Geltendmachung seines Anspruchs in der Vergangenheit häufig verhindert haben. Er muß die Papiere weder besitzen noch den Erwerb der Wertpapiere auf Grund des Prospektes nachweisen, um Ansprüche geltend machen zu können.
Die Begrenzung der Haftung auf den Ausgabepreis und die Verkürzung der Verjährungsfristen verbessern natürlich auch die Position des Emittenten. Dies ist ein wichtiger Beitrag dazu, daß wir Hürden aus dem Weg räumen, damit sich mehr, vor allem auch kleine und mittlere Unternehmen zum Gang an den deutschen Kapitalmarkt entschließen, um die
Börse zu nutzen, um die eigene Kapitalbasis zu stärken. Das führt letztlich dazu, daß sie in Krisenzeiten weniger anfällig sind und den negativen Konjunkturzyklen besser trotzen können.
Bei der Beurteilung der Haftung aus Anlageberatung möchte ich im übrigen vor einem häufig verbreiteten Mißverständnis warnen. Anlageberatung kann keine feste Renditegarantie geben. Seriöse Anlageberatung soll dem Kunden alle greifbaren Informationen zur Verfügung stellen, und der Berater soll angemessene Empfehlungen erteilen. Wer möchte, daß Anlageberater dabei eben nicht nur Standardwerte empfehlen und Vollkaskomentalität pflegen, muß sie von dem Druck einer 30jährigen Haftung konsequent befreien.
In beiden Punkten ist die SPD bedauerlicherweise wieder unterwegs stehengeblieben, und sie kann sich nicht mit uns zu wirklichen Reformen entschlieBen, um Deutschland mitzuhelfen, daß sich unser enger deutscher Markt verbreitert und daß sich mehr Unternehmen zum Börsengang entschließen, und um den Finanzplatz den internationalen Notwendigkeiten anzupassen.
({2})
Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, mit dem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz werden weitere Fondstypen im Bereich der Kapitalanlagegesellschaften in Deutschland zugelassen. Die traditionell hohen und scharfen Anlegerschutz- und Transparenzbestimmungen werden auf diese Fondstypen ausgedehnt. Mogelpackungen sind damit ausgeschlossen, wovon vor allem der Privatanleger profitieren wird.
Schließlich führen wir als dritten neuen Fondstyp die Altersvorsorge-Sondervermögen ein. Erstmalig kann in Deutschland ein Zielfonds zum langfristigen Vorsorgesparen und zur privaten Altersvorsorge aufgelegt werden. Daß sich allerdings wesentliche Teile der Diskussion in diesem Zusammenhang mehr mit dem Namen als mit dem Inhalt und den Chancen dieses neuen Zielfonds beschäftigt haben, wird als eine der Merkwürdigkeiten in die Geschichte dieses Gesetzgebungsverfahrens eingehen.
({3})
Durch mehrere Regelungen des Dritten Finanzmarktförderungsgesetzes wird für kleine und mittlere Unternehmen der Zugang zur Börse erheblich erleichtert. Mit vielen kleinen, auf den ersten Blick vielleicht eher technisch anmutenden Regelungen gelingt es uns, Bürokratie abzubauen und einen leichteren Markteintritt auf der einen, freilich aber auch einen leichteren Marktaustritt auf der anderen Seite zu ermöglichen, ohne daß dadurch der Anlegerschutz beeinträchtigt wird. Wir haben damit - auch dieses können wir nicht oft und deutlich genug sagen - den Finanzplatz Deutschland in seinem scharfen Wettbewerb unterstützt, der mit Beginn der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion noch wesentlich schärfer wird.
Das Signal unserer Ergebnisse für die Menschen in Deutschland ist klar: Auf diese Koalition, auf diese Bundesregierung können sich auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Finanzdienstleistungsbranche verlassen.
({4})
Die positive Liste ließe sich im übrigen noch fortsetzen. Um die auf den ersten Blick manchmal vielleicht klein erscheinenden Dinge ausreichend zu würdigen, fehlt aber leider die Zeit.
({5})
Lassen Sie mich deshalb abschließend auf den sogenannten § 7 a des Börsengesetzes eingehen, den wir heute neu einfügen werden und der das Verhältnis der Börsen zueinander bei der Einführung elektronischer Handelssysteme - Stichwort: Xetra - regeln wird.
Die getroffene Regelung entspricht nicht unbedingt dem Gestaltungswillen des Parlamentes. Angesichts der Dynamik der letzten Wochen in dieser Frage und der Notwendigkeit, daß das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz mit seinen vielen positiven Auswirkungen im April in Kraft tritt, fehlte uns die Zeit, einerseits die sich abzeichnenden Entwicklungen gründlicher zu analysieren und darauf zu reagieren sowie andererseits eine privatrechtliche Lösung des Problems abzuwarten. Auf kommende Entwicklungen sollte allerdings - auch dies sollte eine Botschaft der heutigen Debatte sein - eher mit den Instrumenten des Privatrechts reagiert werden.
({6})
Bedauerlich ist dabei nur, daß der Streit um Xetra die vielen positiven Auswirkungen des Dritten Finanzmarktförderungsgesetzes eine ganze Zeit lang überlagerte und wohl nicht nur im Ausland zu Kopfschütteln und auch zu Unverständnis geführt hat.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge verzeichnen wir seit Jahren einen latenten Rückgang. Als Gründe dafür werden zum Beispiel ein zu hoher Verwaltungsaufwand, vor allem auch für die mittelständischen Unternehmen, und eine zu schlechte Rendite der bisherigen Anlageform, der Pensionsrückstellungen, genannt.
Nicht nur in den angelsächsischen Ländern dominieren sogenannte Pensionsfonds die betriebliche Altersvorsorge und haben noch dazu den Charme, daß sie ausreichend Risikokapital zur Verfügung stellen können.
Aus zeitlichen Gründen - es sind eine ganze Reihe von Maßnahmen notwendig - ist die Einführung von Pensionsfonds zur Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge nicht mehr gelungen. Hierzu legen wir heute einen sehr konkreten Entschließungsantrag vor, der die Bedeutung dieses Vorhabens für die betriebliche Alterssicherung und seine positiven Auswirkungen nicht nur auf den Risikokapitalmarkt unterstreicht. Darüber müssen wir uns doch klar sein: Wir brauchen die betriebliche und die private Altersvorsorge. Sie wird zunehmend an Bedeutung gewinnen. Dies mit modernen Methoden des Kapitalmarktes zu unterstützen und dabei noch entsprechend hohe Renditen wie beispielsweise in den angelsächsischen Ländern einzufahren ist eine vorrangige Aufgabe, der wir uns sogleich nach der nächsten Bundestagswahl stellen müssen.
({7})
Denn gerade Pensionsfonds werden die Zukunft der privaten und betrieblichen Altersvorsorge sichern und ausbauen helfen. Sie werden den Finanzplatz stärken, und sie werden die Risikokapitalausstattung vor allem der kleinen und mittleren Unternehmen schlagartig verbessern helfen.
Silicon Valley, das High-Tech-Zentrum unserer Zeit, wäre ohne die Bereitstellung von Kapital durch Pensionsfonds nie gelungen. Der Erfolg der amerikanischen Zukunftsbörse NASDAQ ist darin begründet, mit vielen positiven Auswirkungen bei der Schaffung von neuen zukunftsfähigen Arbeitsplätzen. Diejenigen, die durch die Einführung von Pensionsfonds Steuerausfälle befürchten, werden sich im Gegenteil über steigende Steuereinnahmen und Unternehmensneugründungen freuen dürfen. Viele neue zukunftsfähige Arbeitsplätze werden damit auch in Deutschland geschaffen.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zusammenfassen: Die Kapitalmarktgesetzgebung wird mit diesem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz endgültig an die internationale Spitze gelangen. Wir haben mit großen gesetzgeberischen Anstrengungen optimale Rahmenbedingungen geschaffen und eine wichtige Zwischenetappe erreicht, aus der heraus wir in der nächsten Legislaturperiode die vor uns liegenden Aufgaben anpacken und den Finanzplatz Deutschland weiter stärken werden. Er kann und wird uns auf der anderen Seite bei der Lösung vieler Probleme ein ausgezeichneter Helfer und Partner sein. Die Situation erzwingt dies. Wir sollten, wir werden und wir müssen seine Hilfe in Anspruch nehmen.
Danke.
({9})
Nun gebe ich dem Abgeordneten Hans Martin Bury das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Dax jagt in diesen Tagen von Höchststand zu Höchststand. Das Interesse an der Börse scheint so groß zu sein wie nie zuvor. Doch der Eindruck täuscht: Deutschland ist unverändert ein „Aktienentwicklungsland", wie es der Chef der Deutschen Bank, Rolf Breuer, formulierte. Herr Breuer hat recht, wenigstens in diesem Punkt. Unverändert hinkt der Finanzmarkt Deutschland bei allen Kennziffern den Werten anderer, entwickelter Finanzmärkte weit hinterher. Wenn wir nicht schleunigst beginnen, die Rahmenbedingungen internationalem Standard anzupassen, dann wächst die GeHans Martin Bury
fahr, daß es dem Finanzplatz Frankfurt bald ebenso ergeht wie dem dortigen Fußballverein.
Nach jahrelanger Tatenlosigkeit hat diese Bundesregierung nun endlich die lang angekündigten Gesetzesvorlagen zur Stärkung des Kapitalmarktes vorgelegt. Ein großer Teil der darin enthaltenen Maßnahmen wird von der SPD-Bundestagsfraktion unterstützt. Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz ist - zumindest überwiegend - ein erster, wenngleich zaghafter Schritt in die richtige Richtung.
({0})
Daß derartige Trippelschritte nicht ausreichend sind, hat die Bundesregierung inzwischen offenkundig selbst bemerkt. Anders ist die mitten in die Beratungen dieses Gesetzes plazierte Ankündigung des nächsten Finanzmarktförderungsgesetzes nicht zu verstehen.
({1})
Darin soll dann all das enthalten sein, was Sie dieses Mal versäumt haben. Erst dann soll die dringend notwendige Reform des Bilanzrechts angepackt werden. Erst dann soll die Börsenstrukturreform kommen.
({2})
Erst dann soll die dringend erforderliche Reform der privaten und betrieblichen Altersvorsorge angepackt werden.
({3})
Die Bundesregierung hat sich in diesem angesichts des Desasters der Blumschen Rentenpolitik immer wichtiger werdenden Bereich als vollkommen konzeptionslos erwiesen. Das läßt sich, Herr Kollege Steiger, auch nicht durch hektisch nachgeschobene Entschließungsanträge kaschieren.
({4})
- Herr Steiger, ich habe bewußt den Plural verwandt. - Unsere Vorschläge für eine steuerliche Gleichstellung aller zur Altersvorsorge dienenden Sparformen werden zwar neuerdings begrüßt, im Bundestag jedoch blockiert. Die Einführung von Pensionsfonds wurde vertagt, und die Rolle der Regierungskoalition im Namensstreit über die von der Investmentbranche vorgeschlagenen Pensionssondervermögen war schlicht lächerlich.
({5})
Vertrauen ist der Anfang von allem. Wirkliche Finanzmarktförderung braucht vor allem die Stärkung des Vertrauens der Anleger in einen transparenten und fairen Markt.
({6})
Diese Bundesregierung hat bis heute nicht verstanden, daß ein wirksamer Anlegerschutz kein Luxus
ist, sondern die substantielle Grundlage zur Entwicklung der Aktienkultur, deren Fehlen Sie in Ihren Sonntagsreden regelmäßig beklagen.
Die drastischen Einschnitte in die Prospekt- und Beratungshaftung zu Lasten der Anleger sind für uns nicht akzeptabel. Deshalb haben wir hier zwei Änderungsanträge eingebracht, in denen die notwendige Modernisierung der Haftung mit der Beibehaltung eines wirksamen Anlegerschutzes verknüpft wird.
({7})
Die von Ihnen vorgeschlagene Verkürzung der Haftung hätte dagegen zur Folge, daß die Möglichkeit einer Haftungsklage bei lang laufenden Anleihen, beispielsweise bei Zero-Bonds, faktisch abgeschafft würde. Bei derart verkürzten Fristen hätten weder die Geschädigten im Fall Fokker noch die im Bond-Fall die Möglichkeit gehabt, ihre Rechte einzuklagen.
Geradezu abenteuerlich ist die Einschätzung der Bundesregierung, daß die Verkürzung von Haftungsfristen ein Beitrag zur Förderung von Risikokapital sein werde. Genau das Gegenteil dürfte der Fall sein: Was vordergründig der Förderung der Aktie dienen soll, öffnet in der Praxis Tür und Tor für dubiose Vermittler, die ihren Kunden hochprozentige Anleihen verkaufen, deren Wertlosigkeit sich oftmals erst nach wesentlich mehr als drei Jahren offenbart.
({8})
Zum Anlegerschutz gehört auch die Gewißheit, daß Klein- und Minderheitsaktionäre bei der Übernahme einer Aktiengesellschaft durch ein anderes Unternehmen nicht übervorteilt werden. Doch in Deutschland gibt es lediglich einen freiwilligen Übernahmekodex, eine Art unverbindliche Selbstverpflichtung, die aus Sicht ausländischer Unternehmen und Banken bestenfalls eine Lachnummer ist, wie nicht zuletzt Herr Achleitner von Goldman Sachs in der Anhörung des Finanzausschusses unmißverständlich klargestellt hat. Niemand könne ernsthaft erwarten, so Achleitner, daß sich das Management eines ausländischen Erwerbers beim Erwerb der Kontrollmehrheit eines deutschen Unternehmens freiwillig diesem Kodex unterwerfe.
Daß der Kodex auch in Deutschland nicht ernst genommen wird, hat die Börsensachverständigenkommission inzwischen selbst eingeräumt. Nach 30 Monaten haben den Kodex gerade einmal 40 Prozent der deutschen Aktiengesellschaften formal anerkannt. Selbst unter den Dax-100-Gesellschaften liegt die Anerkennungsquote nur bei 61 Prozent.
In diesen Tagen wurde empirisch belegt, daß der Kodex auch in der Praxis keinerlei Bedeutung hat. Eine aktuelle Untersuchung der Universität Osnabrück hat ergeben, daß es seit Inkrafttreten des Kodexes am 1. Oktober 1995 allein im amtlichen Handel 25 Unternehmensübernahmen gegeben hat, in denen ein Pflichtangebot nach Art. 16 des Übernahmekodexes hätte abgegeben werden müssen. Gerade einmal in vier Fällen - das sind 16 Prozent - haben sich die Erwerber an diese Verpflichtung des Kodexes gehalten.
Meine Damen und Herren, ein auf Freiwilligkeit setzender Kodex, der für ausländische Gesellschaften nicht gilt und von deutschen Gesellschaften kontinuierlich mißachtet wird, ist unbrauchbar.
({9})
Der freiwillige Kodex hat sich leider - ich betone: leider - als Flop erwiesen; er ist gescheitert. Wir können aber nicht zulassen, daß Deutschland zum einzigen Land in der Europäischen Union wird, in dem Aktionäre und Arbeitnehmer bei Unternehmensübernahmen zum Spielball der Interessen der übernehmenden Unternehmen werden.
Der von der SPD-Bundestagsfraktion vorgelegte Entwurf eines Übernahmegesetzes sieht die Schaffung einer verbindlichen Übernahmeregelung im Wertpapierhandelsgesetz vor. Damit wird ein am internationalen Standard orientierter gesetzlicher Rahmen geschaffen, der Rechtssicherheit für die Unternehmen, ihre Arbeitnehmer und Aktionäre sowie für potentielle Investoren schafft. Der Finanzplatz Deutschland wird auch in diesem Bereich an internationale Standards herangeführt. Das stärkt seine Wettbewerbsfähigkeit und ist ein entscheidender Beitrag zur Verbesserung der Aktienkultur in Deutschland.
({10}): Sehr gut!)
- Herr Repnik, Sie haben die Gelegenheit, anschließend zuzustimmen.
In den Kontext der Verbesserungen des Anlegerschutzes gehört auch der vom Bundesrat auf Initiative der Länder Niedersachsen und Saarland vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Ausübung der Tätigkeit als Finanzdienstleistungsvermittler und als Versicherungsvermittler sowie zur Einrichtung eines Beirats beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen.
Der Entwurf ist besser als sein Titel.
({11})
Er soll den Verbraucherschutz verbessern, eine effizientere staatliche Aufsicht ermöglichen und die Kompetenz der Vermittler stärken. So werden Informations-, Aufklärungs- und Beratungspflichten verankert und die Umkehr der Beweislast eingeführt, damit Haftungsansprüche in der Praxis durchgesetzt werden können.
({12})
Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt diesen Gesetzentwurf; denn Jahr für Jahr erleiden Deutschlands Anleger auf dem sogenannten grauen Kapitalmarkt Schäden in zweistelliger Milliardenhöhe. Die im Rahmen der 6. KWG-Novelle vorgenommene Ausweitung der Bankenaufsicht auf einen nur kleinen Teil dieses Marktes haben wir bereits bei der Beratung der KWG-Novelle als unzureichend kritisiert.
Weitgehend unkontrolliert ist zudem der gesamte Bereich der Versicherungsvermittlung. Unverändert ziehen provisionshungrige Druckerkolonnen durch
das Land, die den Menschen überteuerte oder unnötige Versicherungen andrehen. Erst kürzlich hat die Stifung Warentest eine Untersuchung vorgelegt, wonach jeder zweite Versicherungskunde von seinem Versicherungsvermittler unzureichend oder falsch beraten wird. Hauptmotiv für die Vermittlung von Versicherungspolicen ist demnach nicht der objektive Versicherungsbedarf des Kunden, sondern das Interesse der Vermittler an einer möglichst stattlichen Provision. Denn auch und gerade für schlechten Versicherungsschutz erhalten die Vermittler gutes Geld.
Wenn wir die Voraussetzungen dafür schaffen wollen, daß der Finanzplatz Frankfurt künftig einen Spitzenplatz im einheitlichen Euro-Finanzmarkt einnimmt, müssen wir insbesondere im Bereich Transparenz und Anlegerschutz erhebliche Anstrengungen unternehmen.
({13})
In beiden Punkten bleibt der Entwurf eines Dritten Finanzmarktförderungsgesetzes unzureichend. Unsere Verbesserungsvorschläge liegen dem Deutschen Bundestag vor. Tragen Sie dazu bei, daß dieser Freitag, der 13., nicht zu einem schwarzen Freitag für den Anlegerschutz in Deutschland wird.
({14})
Übrigens nimmt Eintracht Frankfurt derzeit mit einer neuen Mannschaft wieder Kurs auf die deutsche Eliteliga. Nicht nur im Fußball kann der Wechsel des Personals neue Leistungsfähigkeit entfachen. Wir brauchen auch in Deutschland einen Wechsel - eine neue Regierung.
Vielen Dank.
({15})
Ich gebe das Wort der Abgeordneten Margareta Wolf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Bury, ich bin Ihnen wirklich dankbar, daß Sie gerade noch positive Worte für Eintracht Frankfurt gefunden haben.
Meine Damen und Herren, wir sind uns einig in diesem Haus, daß das zur Diskussion stehende Dritte Finanzmarktförderungsgesetz wie auch das Stückaktiengesetz wichtige, wenn auch überfällige Beiträge zur Stärkung des Finanzplatzes Deutschland sind. Der Entwurf des Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetzes enthält viele unterstützenswerte Aspekte, die wir begrüßen. Eines der Ziele des Gesetzentwurfes ist es, deutsche Konzerne unter bestimmten Umständen von der Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses zu befreien, wenn sie gleichzeitig einen Konzernabschluß nach international anerkannten Grundsätzen der Rechnungslegung aufstellen.
Im Zuge der Beratungen im Rechtsausschuß ist nun der Begriff - ich zitiere mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident - „Mutterunternehmen, das einen
Margareta Wolf ({0})
ausländischen Kapitalmarkt ... in Anspruch nimmt" durch den Begriff „börsennotiertes Unternehmen, das Mutterunternehmen eines Konzerns ist" ersetzt worden. Zu diesem Punkt haben mein Kollege Bury und ich heute einen Änderungsantrag eingebracht, weil wir in diesem Punkt eine explizite Benachteiligung der nicht börsennotierten Unternehmen sehen. Das betrifft die Landesbanken, die öffentlich-rechtlichen Banken, die Deutsche Ausgleichsbank, die DG Bank.
({1})
- Entschuldigen Sie, das haben Sie tatsächlich erst in der letzten Woche im Rechtsausschuß über die Bühne gebracht, und die Umdrucke lagen uns erst gestern vor.
Wir halten dies nicht für gerechtfertigt und bitten Sie deshalb, unserem Änderungsantrag zuzustimmen. Herr Funke, Sie haben gegenüber der „BörsenZeitung", angesprochen auf das Petitum der Landesbanken auf rechtliche Gleichstellung, gesagt - Zitat -: „Sollen sie sich doch in AGs umwandeln" . Mit Verlaub, Herr Kollege, ich glaube, zu dieser Antwort haben Sie weniger sachdienliche Hintergründe als vielmehr politische Hintergründe bewogen.
({2})
Ich glaube, es besteht Konsens - das kam in den Beiträgen auch schon zum Vorschein -, daß Deutschland eine stärkere Aktien- und Beteiligungskultur braucht, um den Herausforderungen der Zukunft angemessen begegnen zu können. Dazu gehören funktionierende Kapitalmärkte. Sie sind die notwendige Voraussetzung für arbeitsplatzschaffende Innovationen. Hier hat die Bundesrepublik bislang ein Defizit.
Das derzeitige System der Altersvorsorge - auch Herr Steiger hat es angesprochen - ist an seine Grenzen gestoßen. Wir werden nicht umhinkommen, der Rentenversicherung ein zusätzliches kapitalgestütztes Standbein zu verschaffen.
Schließlich, meine Damen und Herren, ist zu sagen, daß die Vermögensverteilung in der Bundesrepublik immer ungleicher wird. Die Schere zwischen Vermögensbesitzern und Vermögenslosen wird immer größer. Die Schaffung einer breiten Aktienkultur kann dazu beitragen, den dringend nötigen Brückenschlag zwischen Kapital und Arbeit zu fördern.
Vor diesem Hintergrund begrüßen wir besonders: erstens die Erleichterung des Börsenzugangs für Emittenten, zweitens die Stärkung des Anlegerschutzes und drittens die Schaffung von Pensionssondervermögen. Letztere stellen zwar noch lange nicht Pensionsfonds im angelsächsischen Sinne dar, was wünschenswert wäre; sie stellen aber für unsere Begriffe einen Schritt in die richtige Richtung dar. Die Verzahnung mit der betrieblichen Altersvorsorge ist in den Vorlagen der CDU/CSU-Fraktion und meiner Fraktion projektiert.
Es ist aber auch wichtig, daß diese Reformen ganz schnell in Kraft treten. Deshalb wird meine Fraktion den Gesetzentwürfen zustimmen, obwohl wir nicht mit allen Punkten einverstanden sind. Die Punkte,
die sich positiv auswirken, wurden schon von Herrn Bury und Herrn Steiger dargestellt. Lassen Sie mich deshalb meine Redezeit dazu nutzen, um die Punkte darzustellen, mit denen meine Fraktion nicht einverstanden ist und wo wir noch Entwicklungsbedarf sehen.
Da ist erstens - Herr Kollege Bury hat es schon angesprochen - der Punkt Prospekthaftung und Haftung aus Anlageberatung. Es besteht unseres Erachtens kein Zweifel daran, daß die Prospekthaftung im geltenden Recht unzureichend geregelt ist und modernisiert werden muß - sowohl im Interesse der Anleger wie auch im Interesse der Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Eine Verkürzung der Verjährungsfrist für fehlerhafte Verkaufsprospekte von bisher fünf auf drei Jahre lehnen wir jedoch ab. Erfahrungsgemäß ist es so - Herr Steiger, Sie haben vorhin auf die Kleinanleger hingewiesen -, daß ein Zeitraum von drei Jahren bereits heute nicht für eine erfolgreiche Klageerhebung ausreicht. Kein einziges der bisher geführten Prospekthaftungsverfahren wäre zustande gekommen, wenn wir eine Frist von drei Jahren hätten.
Außerdem muß berücksichtigt werden, daß durch die Deregulierung der Finanzmärkte die Bedeutung des Streubesitzes in der Bundesrepublik und damit die Anzahl der Kleinaktionäre zunehmen wird. Wir wissen alle: Kleinanleger haben größere Schwierigkeiten, Prospekthaftungsklagen zu organisieren, als institutionelle Anleger. Deshalb sind wir der Meinung, daß es bei einer Deregulierung zunächst bei den bestehenden Haftungsregeln bleiben sollte. Eine Verringerung der Haftung sollte erst dann erfolgen, wenn sich das Modell tatsächlich bewährt hat.
Die für fehlerhafte Anlageberatung bislang geltende zivilrechtliche Haftungsfrist von 30 Jahren ist sicherlich zu lang. Das ist konzediert. Die Haftungsfrist jedoch gleich auf drei Jahre zu verkürzen, wie Sie planen, bedeutet doch, daß Sie das Kind mit dem Bade ausschütten, Herr Steiger. Ich wäre sehr dankbar, wenn man noch einmal darüber nachdenken würde. Deshalb sollte es aus unserer Sicht bei der Prospekthaftung und ebenfalls bei der Haftung aus Anlageberatung bei einer Frist von fünf Jahren bleiben.
Ein weiterer Punkt. Vor dem Hintergrund, daß es ja auch darum geht, in Deutschland perspektivisch die Möglichkeit echter Pensionsfonds zu schaffen, ist es mir völlig unverständlich - Sie haben vorhin darüber geredet, daß die Begriffsdebatte das witzigste bei der gesamten Debatte ist -, warum quasi in letzter Minute der Begriff Pensionssondervermögen durch den Begriff Altersvorsorge-Sondervermögen ausgetauscht wurde. Das Argument war und ist, daß der Begriff Pension beim unbedarften Anleger den Eindruck erwecke, Pensionssondervermögen seien in bezug auf ihre Sicherheit vergleichbar mit der Rente.
Unabhängig von der Tatsache, daß ich manchmal die Befürchtung habe, daß in Deutschland Pensionssondervermögen perspektivisch gesehen sicherer sein könnten als die Blümsche Rente, verstehe ich überhaupt nicht, warum der Begriff Altersvorsorge
Margareta Wolf ({3})
der bessere sein soll. Bildet der Begriff Altersvorsorge die Risiken etwa adäquater ab als der Begriff Pension? Ich möchte behaupten: im Gegenteil. An den Begriff Altersvorsorge sind wir gewöhnt. Damit verbinden die Deutschen Sicherheit.
Dazu kommt, daß man sich in Deutschland jetzt wieder ohne jede Not begrifflich von den gängigen internationalen Standards abhebt. Wenn mit dem Vierten Finanzmarktförderungsgesetz die Verzahnung der Pensionssondervermögen mit der betrieblichen Altersvorsorge gelingen würde, hätten wir praktisch Pensionsfonds nach angelsächsischem Muster. Nur würden sie bei uns wieder anders heißen. Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang auf die Intervention der ausländischen Banken im Zusammenhang mit der 6. KWG-Novelle verweisen. Die ausländischen Banken haben gesagt, daß das deutsche Regelwerk in aller Regel sehr schwer verständlich sei, im Fall der 6. KWG-Novelle noch nicht einmal übersetzbar sei. Der Begriff Pensionfunds ist absolut eingeführt. Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum wir hier jetzt wieder einen Sonderweg gehen sollen.
({4})
Drittens. Uns fehlt im Dritten Finanzmarktförderungsgesetz die steuerliche Gleichstellung der Anlageformen. Wir wissen alle, daß die Aufhebung der steuerlichen Nachteile für Anlagen in Produktivkapital im Vergleich zu weniger riskanten alternativen Finanzanlagen ein Ansatz wäre, um das notwendige Engagement von Privatanlegern zu verbreitern. Die Gleichstellung ist überfällig. Ich erwarte sie auch vom Vierten Finanzmarktförderungsgesetz.
Darüber hinaus soll hier nicht unterschätzt werden, wie wichtig der Aufbau eines Marktes für sogenanntes informelles Beteiligungskapital ist, das heißt für Beteiligungskapital unterhalb der Börsennotierung. In den USA sind die sogenannten „Business Angels", die individuell Kapital zur Verfügung stellen, die Hauptfinanzierungsquelle für Unternehmensgründungen. Wir wissen, daß jährlich zirka 30000 Unternehmensgründungen auf diese Art finanziert werden. In der Bundesrepublik ist eine derartige „SeedKultur" mit entsprechenden Informationsplattformen kaum vorhanden. Ich meine, wir brauchen neben diesen richtigen und wichtigen Maßnahmen, die wir heute ergreifen, Strategien für den Aufbau eines privaten Risikokapitalmarktes, weil Existenzgründerinnen und Existenzgründer häufig Kapitalbeträge benötigen, die für professionelle Kapitalbeteiligungsgesellschaften unrentabel sind.
Deshalb hat meine Fraktion - ich appelliere noch einmal an Sie, das zu unterstützen - in dieser Legislaturperiode den Antrag auf Schaffung einer Informationsbörse gestellt. Das meint einen Marktplatz - und keine Börse im eigentlichen Sinn -, wo sich Kapitalgeber und Kapitalnehmer treffen können. Wir denken, das wäre ein wichtiger Schritt zur Etablierung eines Risikokapitalmarktes.
Die Maßnahmen, die Sie heute vorschlagen, werden in Deutschland nicht zu einer Beteiligungskultur führen. Wir glauben, die Etablierung der Aktienkultur in der Bundesrepublik wird nur dann gelingen, wenn auch die Programme und Rahmenbedingungen abgebaut bzw. eingeschränkt werden, die traditionell die Fremdfinanzierung begünstigen. Neben der Schaffung der notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen für den Finanzplatz Deutschland und der steuerrechtlichen Gleichstellung der Anlageformen ist deshalb insbesondere eine grundlegende Umorientierung und langfristige Reform der Subventions- und Förderpolitik unumgänglich. Dies wäre doch eine schöne Aufgabe für die F.D.P. bis zum 27. September 1998.
({5})
Ich gebe dem Abgeordneten Carl-Ludwig Thiele das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Wolf, es war jedem Abgeordneten des Deutschen Bundestages unbenommen, insbesondere wenn er sich mit diesem Gesetz beschäftigt, an den Anhörungen, die öffentlich und ganztägig geführt wurden, und an den Beratungen des Finanzausschusses teilzunehmen. Wir haben uns gerade in den Anhörungen lange über Pensionsfonds unterhalten. Wir haben uns auch im Finanzausschuß lange über dieses Thema unterhalten und beraten. Es bestand ein weitgehender Konsens darüber, daß das, was hier vorgelegt wird, den Begriff Pensionfunds nicht verdient; es ist etwas anderes. Insofern verstehe ich nicht, daß die Grünen sagen, dieses solle als Pension-funds gewertet werden. Das ist es nicht, das kann es nicht sein. Insofern sind wir dafür, daß wir auch in Deutschland endlich diese Pensionfunds bekommen. Deshalb haben wir darauf gedrängt und in den Beratungen darüber diskutiert. Deshalb gab es Unterlagen.
Aber die Beschäftigung mit dieser Materie im Detail zeigte, daß es in diesem Stadium nicht möglich ist, diesen Punkt in diesem Gesetz, welches nicht ganz einfach verständlich ist - es ist auch nicht ganz einfach lesbar und wird sich der breiten Öffentlichkeit wahrscheinlich nie erschließen -, so zu regeln, daß es einwandfrei den Regelungen entspricht, die wir für Pensionfunds gesetzt sehen. Deshalb ging das nicht. Wir bitten aber darum - und wir werden weiter am Drücker bleiben -, daß diese Pensionfunds endlich kommen.
Ich glaube, heute, Freitag, der 13., ist kein schlechter Tag - was dieses Gesetz angeht - für den Kapitalmarkt Deutschland. Es ist gut, daß wir dieses Gesetz heute beschließen werden. Wir werden es voraussichtlich mit großer Mehrheit beschließen. Die Gesetze klingen zwar sehr technisch, sie haben aber eine hohe Bedeutung für den Finanzplatz Deutschland.
({0})
Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz bringt insbesondere mit seinen Deregulierungen und der Zulassung vieler neuer Produkte Verbesserungen für
die gesamte Finanzbranche und für die Anleger. Die F.D.P. hatte viele dieser Schritte schon seit langem gefordert, zuletzt noch auf ihrem Kongreß in Frankfurt im Februar 1997. Wir sind glücklich, daß die Koalition dieses ebenso sieht und daß wir mit diesem Gesetz wesentliche Punkte der Verabredung innerhalb der Koalition zur Stärkung des Finanzplatzes Deutschland auch tatsächlich umsetzen. Denn damit wird der Ausbau des deutschen Finanzplatzes konsequent fortgesetzt. Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Kreditinstitute und Wertpapierfirmen verbessert die Voraussetzung für zusätzliche qualifizierte Arbeitsplätze in der Finanzbranche, die ständig expandiert.
Kapital ist sehr beweglich. Es ist zu wünschen, daß sich mehr Kapital in und nach Deutschland bewegt. Das geht nur durch Deregulierung und nicht durch mehr Regulierung. Wettbewerb bietet eine Chance - auch in diesem Bereich. Wir sollten nicht durch zu enge Regulierungsmechanismen die Wettbewerbsmöglichkeiten, die sich uns hier bieten, einschränken.
({1})
Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz erleichtert zudem den Zugang für mittelständische Unternehmer und Existenzgründer zu den Risikokapitalmärkten. Ich nenne nur die Verkürzung der Frist für eine steuerliche Wiederanlage von Veräußerungsgewinnen oder die Abschaffung der obligatorischen Börsennotierung einer Unternehmensbeteiligungsgesellschaft. Jetzt liegt es an den Unternehmen, von diesen verbesserten Bedingungen auch tatsächlich Gebrauch zu machen. Wir wollten den Rahmen schaffen und haben dies getan. Wir haben ihn verbessert, und wir wünschen uns, daß dieser Rahmen angenommen wird.
Wir brauchen in Deutschland eine stärkere Eigenkapitalausstattung in insbesondere kleinerer und mittlerer Unternehmen. Das ist nicht nur eine Voraussetzung für die Existenz dieser Betriebe, sondern das ist die entscheidende Voraussetzung, um investieren zu können, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Wir alle wissen, daß die Arbeitsplätze gerade in den kleinen und mittleren Betrieben geschaffen werden. Deshalb muß hier mehr Eigenkapital gebildet werden können, damit die Investitionen und die Arbeitsplätze folgen, damit wir auch durch dieses Gesetz unseren Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland leisten.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die F.D.P. hat Wert auf die Neuregelung beim aktivischen Unterschiedsbetrag gelegt, mit der eine Auslegung des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen korrigiert wird. Zudem enthält das Gesetz die Gleichstellung der Deutschen Ausgleichsbank mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau bezüglich der Haftung des Bundes.
Für die Politik gibt es allerdings immer noch einiges zu tun. Angesichts der aktuellen Diskussion um die Rentenversicherung und den Generationenvertrag kommen wir bei privater wie betrieblicher Altersvorsorge ohne Elemente der Kapitaldeckung zukünftig nicht mehr aus.
({3})
Ich hatte es einleitend schon gesagt: Gerade die F.D.P. hatte sich bei den Beratungen des Finanzmarktförderungsgesetzes für die Einführung von Pensionsfonds nach angelsächsischem Muster ausgesprochen. Wie andere Länder auch müssen wir die Chancen der Anlage auf den Kapitalmärkten für die Altersvorsorge nutzen. Allerdings verlangt das bei vielen ein Umdenken.
Auch in diesem Bereich gilt: Wir müssen dort, wo unsere internationalen Wettbewerber Vorsprünge haben, nachziehen. Wir sollten uns zum Ziel setzen - das gilt nicht nur für diesen Bereich der Politik -, internationalen Entwicklungen nicht hinterherzulaufen, sondern ihnen voranzugehen. Den Wettbewerb gibt es auf der Welt, wir müssen ihn offensiv angehen. Denn wer glaubt, daß die Welt bei rein nationalstaatlichen Lösungen nur darauf wartet, welche Lösungen wir ihr für ihre Probleme vorschlagen, der hat die ganze Diskussion über die Veränderung der Welt überhaupt nicht verstanden.
({4})
Die Globalisierung zwingt uns dazu, unseren Kapitalmarkt international attraktiv und leistungsfähig zu gestalten. Auch darin liegt kein Selbstzweck, sondern eine Grundvoraussetzung für Investitionen und Beschäftigung. Die heute zur Abstimmung anstehenden Gesetze enthalten viele Maßnahmen, mit denen wir international gleichziehen.
Wichtiger Bestandteil des Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetzes: An der Börse notierte Unternehmen können künftig Abschlüsse nach internationalen Standards aufstellen. Das erleichtert die Aufnahme von Kapital gerade auch im Ausland - und das für deutsche Firmen -; denn der Kapitalmarkt beschränkt sich nicht auf Deutschland. Für international operierende Unternehmen war diese Öffnung des deutschen Rechts unumgänglich. Sie stärkt die Transparenz und die Aussagekraft der Abschlüsse der Unternehmen.
Es ist bewußt keine Entscheidung zwischen der Verwendung von IAS oder US GAAP getroffen worden, weil wir hoffen, durch die Gestattung beider zu einer Einigung auf ein gemeinsames System international beitragen zu können. Deshalb ist die Regelung auch bei uns in Deutschland ausdrücklich befristet worden.
Die Einführung der nennwertlosen Aktie durch das Stückaktiengesetz bietet ein neues Kapitalmarktinstrument; denn auch heute ist es so: Ob eine Aktie 50 DM, 5 DM oder 100 DM wert ist, spiegelt sich im Börsenkurs nicht wider. Das ist nur die Historie der Aktie. Der Wert der Aktie stellt sich im aktuellen Börsenkurs dar. Deshalb kann man auch in Deutschland zu der nennwertlosen Aktie kommen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, durch eine Reihe von Änderungen, die den FinanzCarl-Ludwig Thiele
platz Deutschland betreffen, sind wir international wettbewerbsfähiger geworden. Bei den Beratungen in den Ausschüssen stand mehr die Sache und weniger der politische Streit im Vordergrund. Es dürfte in unser aller Interesse sein, den Bürgern klarzumachen, daß wir uns in diesem Parlament noch einigen können, wenn wir uns denn einigen wollen und wenn es nicht die politische Aussagekraft bekommt, daß jemand meint, damit politisch spielen zu können. Insofern freue ich mich, daß bei diesem Gesetz die Sache im Vordergrund stand. Ich freue mich auch, daß wir - bei im Einzelfall unterschiedlichen Auffassungen - ein Ergebnis gefunden haben. Ich gehe angesichts dieser Mehrheitslage davon aus, daß der Bundesrat diesem Gesetz zustimmen wird und das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz, wie von vornherein beabsichtigt, rechtzeitig am 1. April 1998 in Kraft treten kann.
({5})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Uwe-Jens Rössel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat seit 1990 bereits das dritte Finanzmarktförderungsgesetz vorgelegt. Zur Vorlage des Entwurfs eines Ersten Arbeitsmarktförderungsgesetzes allerdings hat sie sich trotz ständig wachsender trauriger Rekordstände bei der Arbeitslosigkeit noch immer nicht durchringen können.
({0})
Das ist leiden die bitter Wahrheit und für die PDS
eine nicht hinnehmbare Situation.
Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz wiederum lehnt die PDS-Bundestagsgruppe ab. Sie sah, Kollege Thiele, hier keine Möglichkeit für eine politische Einigung. Die Unterschiede waren zu groß.
({1})
Der sehr umfangreiche Gesetzentwurf ist in weiten Teilen mit heißer Nadel genäht.
({2})
Bis eine Minute vor zwölf war beispielsweise die Regelung zur Einbeziehung der sieben Regionalbörsen in das neue vollelektronische System Xetra offen. Die Deutsche Börse AG hat mit ihrer Sturheit bis zur letzten Minute versucht, über das Xetra-System eine Monopolstellung auf dem deutschen Kapitalmarkt zu zementieren und den Regionalbörsen den Garaus zu machen. Es bleibt hier die Frage, wie die deutschen Großbanken, die im Aufsichtsrat der Deutschen Börse AG sitzen - der Aufsichtsratsvorsitzende ist der Sprecher der Deutschen Bank -, darauf Einfluß genommen haben.
Das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz stellt eine wesentliche Verschlechterung des Anlegerschutzes, insbesondere des Schutzes von Kleinanlegerinnen und Kleinanlegern, dar. Die Banken als Emittenten werden gestärkt, die Anleger aber geschwächt. Das
ist für die PDS nicht hinnehmbar und ein wichtiger Grund für die Ablehnung, Kollege Thiele, die ich noch einmal hervorheben möchte.
Vor allem die Verjährungsfristen für fehlerhafte Beratungen der Kreditinstitute sowie für falsche Angaben in den betreffenden Verkaufsprospekten - Stichwort Prospekthaftung - sind mit drei Jahren viel zu kurz. Es ist doch makaber: Wenn jemandem - um ein Beispiel zu nennen - sein Auto gestohlen wird, kann dieser 30 Jahre lang von jedem die Herausgabe seines Autos verlangen. Für den Fall, daß jemand bei einer Geldanlage 10 000 DM in den Sand setzt, weil er von einer Bank falsch beraten wurde, soll sein Anspruch bereits nach drei Jahren verfallen. Das ist unannehmbar.
Tatsache ist: Aus Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre hat die Bundesregierung nicht die notwendigen Schlußfolgerungen gezogen. So warten derzeit Zehntausende Anlegerinnen und Anleger vergebens auf Tilgungs- und Zinszahlungen für Anleihen der in Konkurs gegangenen Daimler-Tochter Fokker. Banken hatten ihren Kunden derartige festverzinsliche Wertpapiere des niederländischen Flugzeugbauers als besonders rentable Anlage gerade auch für Kleinanleger aufgeschwatzt, ohne auf die bereits frühzeitig erkennbaren Risiken einer solchen Investition aufmerksam zu machen.
Unverständlich ist mir in diesem Zusammenhang das Abstimmungsverhalten meiner Kolleginnen und Kollegen von der SPD im federführenden Finanzausschuß. Die hier im Plenum wieder vorgelegten Änderungsanträge der SPD wurden im Finanzausschuß von der Koalitionsmehrheit knallhart niedergestimmt. Trotzdem hat die SPD diesem Gesetzentwurf zugestimmt.
Mit dem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz werden die sogenannten Altersvorsorge-Sondervermögen eingeführt. Das sind Investmentfonds mit hohem Aktienanteil. Fast lächerlich, daß sich die Regierungskoalition bis zur Schlußabstimmung über die Benennung dieser Fonds, im übrigen von Lobbyisten der Versicherungsbranche und der Investmentgesellschaften hin- und hergetrieben, gestritten hat. Indem das sogenannte Altersvorsorge-Sondervermögen von der Bundesregierung als derzeitig angeblich wichtigste und modernste Form der privaten Altersvorsorge deklariert wird, will sie offensichtlich von der wachsenden Unsicherheit über die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung ablenken.
Bei den genannten Investmentfonds verpflichtet sich der Anleger zur Einzahlung von Beiträgen über mindestens 18 Jahre. Eine Auszahlungsgarantie allerdings ist anders als bei Kapitallebensversicherungen nicht gegeben. Verspekuliert sich der Fondsmanager, bliebe der sich auf sein im Fonds befindliches Altersvorsorge-Sondervermögen verlassende Anleger im Regen stehen. Stellen wir uns die Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten vor, wie sie jüngst in Südostasien an der Tagesordnung waren und wie sie auch jetzt noch nicht ausgestanden sind. Ich erinnere nur an die Entwicklung in Indonesien; heute ist die indonesische Währung zum Dollar erneut um 9 Prozent abgewertet worden. Der BundesfiDr. Uwe-Jens Rössel
nanzminister wird ja nächste Woche die Lage vor Ort gründlich studieren können.
Ich nenne ein Beispiel zu den Risiken der Fonds: Wer im Jahr 1990 seine Altersvorsorge durch Investitionen in den japanischen Aktienindex Nikkei 225 sicherte, hätte im Februar 1997 rund 50 Prozent seiner Beiträge zur Alterssicherung verloren. Manchem Rentner bliebe - etwas überspitzt gesagt - mit solch einer Anlage wohl nur noch der Weg zum städtischen Sozialamt.
Überhaupt haben Otto und Emma Normalverbraucher in Deutschland, wie der Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes Dr. Köhler dieser Tage nachwies, immer weniger Geld zum Sparen. Bei den Sparkassen vor allem in Ostdeutschland sind nämlich die privaten Ersparnisse ganz dramatisch zurückgegangen. Dr. Köhler erwartet - hier stimmen wir ihm vollständig zu - eine Wende zum Besseren erst dann, wenn es endlich wieder mehr Arbeitsplätze gibt und sich die Einkommenssituation für die unteren und mittleren Einkommensschichten deutlich verbessert.
Im übrigen sind im Jahr 1997 erstmals die Nettolöhne und -gehälter in der Bundesrepublik Deutschland sogar nominal zurückgegangen. Die Gewinne der Großbanken, der Großunternehmen und der Versicherungen explodieren dagegen und lassen deren Aktienkurse fulminant steigen. Die Aktie des Softwareherstellers SAP ist innerhalb eines Jahres um 190 Prozent gestiegen. Das ist kein Einzelbeispiel.
({3})
Die PDS wird auf die Zusammenhänge der zunehmenden Umverteilung von unten nach oben auf einem Aktionstag „Reichtum ist teilbar" an diesem Wochenende aufmerksam machen.
Ob das im Dritten Finanzmarktförderungsgesetz verankerte Regelwerk tatsächlich zur Verbesserung des Standorts Deutschland und zum Abbau der Arbeitslosigkeit beiträgt, wie es die Bundesregierung selbst vollmundig verkündet, ist mehr als fraglich. Schließlich ist nicht zu erwarten, daß nach Inkrafttreten des Finanzmarktförderungsgesetzes Hunderttausende neuer Arbeitsplätze für Börsenmakler entstehen. Wann legt die Bundesregierung endlich den Entwurf eines Ersten Arbeitsmarktförderungsgesetzes vor?
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({4})
Ich gebe das Wort dem Bundesminister der Justiz, Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will den Kapitalmarkt in und für Deutschland stärken. Wir stehen wegen der Globalisierung der Märkte nicht nur mit unseren Industrieprodukten, sondern auch mit unseren Kapitalmarktangeboten weltweit im Wettbewerb. Deshalb sollen neben den Entwürfen eines Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, eines Euro-Einführungsgesetzes und eines Dritten Finanzmarktförderungsgesetzes zwei weitere wichtige Gesetze die kapital- und finanzmarktpolitischen Rahmenbedingungen in unserem Land erheblich verbessern: das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz und das Stückaktiengesetz. Zu diesen beiden möchte ich speziell sprechen; zum Dritten Finanzmarktförderungsgesetz wird Herr Waigel noch sprechen.
Die bilanzrechtlichen Regelungen des Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetzes eröffnen den börsennotierten deutschen Unternehmen die Möglichkeit, den Konzernabschluß künftig nach international anerkannten Rechnungslegungsstandards aufzustellen. Ein Konzernabschluß nach deutschem Recht ist dann nicht mehr erforderlich. Für Unternehmen, die auf dem internationalen Kapitalmarkt und gegen ausländische Konkurrenz bestehen müssen, ist ein aussagekräftiger Jahresabschluß, der internationalen Anforderungen genügt, von unschätzbarem Wert. Anleger und Investoren möchten heute Unternehmensbilanzen weltweit miteinander vergleichen können.
Der Gesetzentwurf sieht insoweit ganz pragmatisch eine auf sechs Jahre befristete Befreiungsregelung vor; denn wir beabsichtigen, das deutsche Konzernbilanzrecht bis zum Ablauf der Sechsjahresfrist grundlegend an internationale Standards anzupassen. Eine solche Reform ist aber erst sinnvoll, wenn das möglicherweise wichtigste internationale Bilanzregelwerk der künftigen Jahre, nämlich die International Accounting Standards, endgültige Konturen angenommen hat.
Die Befreiungsregelung kommt - das ist gerade im Hinblick auf den Änderungsantrag von Bedeutung - allen börsennotierten deutschen Unternehmen zugute, unabhängig davon, ob sie einen ausländischen Kapitalmarkt in Anspruch nehmen oder nicht. Damit wird einer noch größeren Anzahl von Unternehmen die Möglichkeit gewährt, nach internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen zu bilanzieren. Ich begrüße es daher ausdrücklich, daß der Rechtsausschuß diese Ausweitung des Anwendungsbereiches für das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz beschlossen hat. Derzeit ist es wirklich nicht das beste Signal, wieder zu bremsen und die Öffnung gering zu halten, sondern es geht um weitere Öffnung. Die wird mit dieser Änderung durch den Rechtsausschuß erreicht.
({0})
Meine Damen und Herren, mit dem Stückaktiengesetz wird die nennwertlose Aktie eingeführt. Dabei handelt es sich wahrlich um eine revolutionäre Neuerung im deutschen Aktienrecht. Wir haben es geschafft, dieses Projekt wegen der baldigen Umstellung auf den Euro in kürzester Zeit zur Gesetzesreife zu bringen. Die Stückaktie repräsentiert nach wie vor einen Anteil am Grundkapital der Gesellschaft, ohne allerdings auf einen bestimmten Nennbetrag zu lauten.
Den börsennotierten Unternehmen wird die Umstellung auf den Euro damit erheblich erleichtert; denn es ist ein Weg, um zu vermeiden, daß zum BeiBundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
spiel Aktien mit dem Nennwert „Fünfzig Mark" nach der Umstellung plötzlich auf einen völlig krummen Euro-Betrag lauten. Den Anleger interessiert im übrigen ohnehin nicht der Nennbetrag einer Aktie, sondern zum Beispiel das Kurs-Gewinn-Verhältnis oder der Gewinn pro Aktie.
Die gesamte Gesellschaftsrechtswissenschaft, die Rechtspraxis, die Wirtschaft und die Aktionärsvereinigungen begrüßen die Einführung der Stückaktie nachhaltig. Einige Publikumsgesellschaften wollen eine Umstellung auf die Stückaktie sogar schon in der Hauptversammlungssaison 1998 verwirklichen. Auch der Bundesrat - das ist ja nun in der Tat nicht so oft der Fall - hat um rasches Inkrafttreten gebeten. Ich danke deshalb allen Beteiligten für die äußerst zügige und konstruktive Beratung dieses wichtigen Gesetzes, das zur Ankurbelung und Verbesserung des Finanzmarktes Deutschland von großem Gewinn ist.
Meine Damen und Herren, wir wollen die rechtlichen Rahmenbedingungen des Finanzplatzes Deutschland modernisieren. Wir wollen ausländische Investitionen erleichtern, und wir wollen dadurch Arbeitsplätze in Deutschland sichern und schaffen. Deshalb bitte ich Sie um breite Zustimmung zu diesen wichtigen Gesetzen.
Danke sehr.
({1})
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Eckhart Pick.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister, ich kann Ihnen diese breite Zustimmung - zumindest von seiten der SPD - schon zusichern. Wie Sie wissen, ging das Thema im Rechtsausschuß mit einer intensiven Diskussion einher. Wir sind, glaube ich, zu entsprechend guten Ergebnissen gekommen.
Ich kann mir allerdings nicht versagen, etwas zum Stichwort Globalisierung zu sagen, das uns ja in diesen Tagen mannigfach begegnet und in der Praxis eher als ein Mittel der Verschleierung denn als eines der Aufklärung über bestimmte Zusammenhänge dient. Das Stichwort Globalisierung wird häufig, insbesondere in der Wirtschaft, zur Begründung für den Abbau von Arbeitsplätzen verwendet. Doch das ist heute sicherlich nicht unser Thema. Ohne Zweifel gibt es Globalisierung in dem Sinne, daß es Zwänge zur weltweiten Betätigung und Kooperation von Wirtschaft und Finanzmärkten gibt.
Das vorliegende Gesetz mit dem etwas hochtrabenden Titel Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz - das ist ja schon die Kurzfassung des Titels - will die internationalen Startbedingungen der deutschen Wirtschaft verbessern. Es macht angesichts weltweiter Verflechtung mit dem Anspruch ernst, deutschen - aber nicht nur den weltweit operierenden - Unternehmen einen besseren Zugang zu den international führenden Börsen zu gewährleisten. Die Lösung von der nationalen Rechtsordnung durch die Option - also nicht die Verpflichtung -, nach international anerkannten Rechnungslegungsgrundsätzen künftig Konzernabschluß und Konzernlagebericht aufzustellen, erleichtert den Börsengang bzw. die Zulassung zu den international bedeutsamen Börsen in New York, in Tokio oder London. Auf Veränderungen der internationalen Börsenlandschaft können die betreffenden Unternehmen künftig sicherlich flexibler reagieren. So ist gewährleistet, daß sie jederzeit in der Lage sind, sich die Möglichkeiten des internationalen Kapitalmarkts zu erschließen.
Im Mittelpunkt der Diskussion steht die neue Vorschrift des § 292 a HGB. Das Ziel des Gesetzentwurfs, börsennotierten Unternehmen die Möglichkeit zu verschaffen, ihre Konzernabschlüsse zur Gewährleistung einer wirksamen internationalen Präsentation nach internationalen Rechnungslegungsmethoden aufzustellen, ist aus unserer Sicht zu begrüßen.
Im Vorfeld wurde die Befürchtung geäußert, daß die internationalen Rechnungslegungswerke - Herr Bundesminister, Sie haben IAS, International Accounting Standards, oder US GAAP, Generally Accepted Accounting Principles, erwähnt - letztlich nicht auf den Konzernabschluß beschränkt bleiben, sondern auch auf den Einzelabschluß der Unternehmen durchschlagen könnten. Diese Befürchtung ist unbegründet. Das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz beschränkt sich ausdrücklich darauf, nur Konzernen diese Form des Abschlusses einzuräumen; das heißt, daß ihnen ein Wahlrecht eingeräumt wird, an Stelle des Konzernabschlusses nach HGB einen Konzernabschluß nach international anerkannten Grundsätzen aufzustellen und offenzulegen.
Die Erleichterungen, die durch dieses Gesetz für die international operierenden deutschen Unternehmen geschaffen werden können, sind beträchtlich. Es ist daher wichtig, daß die Möglichkeit, Konzernabschlüsse auch - und dann ausschließlich nach internationalen Rechnungslegungsmethoden - aufstellen zu können, in dieser Legislaturperiode gesetzlich verankert wird.
Die jetzt vorgeschlagene Fassung des § 292 a HGB hat zur Folge, daß alle Unternehmen, die an einer inländischen oder ausländischen Börse notiert sind, die Befreiungsregelung in Anspruch nehmen können. Dadurch konnte aus meiner Sicht die einschränkendere Regelung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung verbessert werden. Das ist auch anerkannt worden.
Auch ausschließlich in Deutschland an der Börse notierte Konzerne können sich damit die international gewährleistete Akzeptanz ihrer Abschlüsse zunutze machen, weil sie sich der internationalen Vergleichbarkeit stellen und für ausländische Kapitalanleger attraktiver werden können. Ich will noch einmal deutlich machen, daß alle anderen Unternehmen nach wie vor - allerdings zusätzlich - nach international anerkannten Regeln Rechnung legen können, aber dies kann nicht anstelle eines Abschlusses nach deutschem Recht geschehen.
Die SPD begrüßt es, daß nunmehr vorgesehen ist, die Regelungen des § 292a HGB bis zum 31. Dezember 2004 zu befristen. Es kommt ja nicht so häufig vor,
daß der Gesetzgeber von sich aus eine Befristung einfügt. Wir halten diese Befristung aus zwei Gründen für wichtig. Zum einen ist in diesem Zeitraum eine Evaluierung der Regelungen des § 292 a möglich; zum anderen können die weiteren Entwicklungen im internationalen und europäischen Bereich auf dem Gebiet der Konzernrechnungslegung und des Konzernlageberichts abgewartet werden, die man dann in die nationale Gesetzgebung einarbeiten kann.
Es besteht ebenfalls Übereinstimmung, daß baldmöglichst die gesetzlichen Voraussetzungen für die Errichtung eines Rechnungslegungsgremiums geschaffen werden sollten. Dies konnte aus Zeitgründen nicht mehr im Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz erfolgen. Im Bericht des Ausschusses wurde die Bedeutung eines solchen Vorhabens sehr deutlich betont.
Noch eine Bemerkung zur Änderung des § 32 a Abs. 3 des GmbH-Gesetzes. Die Vorschrift regelt die Frage, wann eine Beteiligung an einer GmbH unter dem Gesichtspunkt eigenkapitalersetzender Gesellschafterdarlehen als Eigenkapital qualifiziert werden muß. Wir wissen, daß es hierzu eine sehr umfangreiche höchstrichterliche Rechtsprechung gibt, ohne daß in allen Punkten Klarheit besteht. Deswegen sieht der Entwurf insoweit eine klarstellende Regelung vor, daß der nur geringfügig Beteiligte, weil er typischerweise keine mitunternehmerische Verantwortung trägt, keine Insider-Stellung innehat und keine Einflußmöglichkeiten auf die Gesellschaft hat, so daß er nicht unter diese Haftungsregelung fällt. Wir haben aber das Problem der Sanierungsbeteiligung noch nicht abschließend regeln können. Ich denke, daß wir dazu noch einer Diskussion bedürfen, auch mit den Beteiligten und der Wissenschaft. Deswegen konnten wir in dieser Beziehung der Bitte des Bundesrates noch nicht entsprechen; das Thema ist allerdings nicht vom Tisch.
Noch einen Satz zum zweiten Thema, nämlich der Stückaktie. Herr Bundesminister, ich gehe nicht so weit, die Einführung der Stückaktie als revolutionäre Tat zu bezeichnen. Sie gibt es ja anderswo schon. Dann hätten wir höchstens eine Revolution aus anderen Ländern übernommen.
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Ich denke, dabei handelt es sich um etwas Sinnvolles, weil das unsere Unternehmen für die Einführung des Euro fit macht und ihnen dann Umrechnungsschwierigkeiten erspart, wenn sie sich der Stückaktie bedienen können. Das wird für sie nicht nur organisatorisch, sondern auch finanziell eine Erleichterung sein. Krumme Beträge werden auf Dauer sicher nicht zu akzeptieren sein.
Die SPD wird diesen beiden Gesetzesinitiativen zustimmen.
Schönen Dank.
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Damit gebe ich das Wort dem Abgeordneten Hans-Peter Repnik.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu drei Vorhaben, die heute zur Debatte stehen, einige Anmerkungen machen: erstens zum Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz, zweitens zum Stückaktiengesetz und drittens zu einem Entschließungsantrag, der sich mit einer weiteren Förderung der Vermögensbildung auseinandersetzt.
Das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz und das Stückaktiengesetz - dies wurde hier ja schon begründet - sind ein weiterer wichtiger Baustein für einen modernen und attraktiven Finanzstandort Deutschland. Beide Gesetze, die einhellig gefordert und begrüßt wurden, helfen der deutschen Wirtschaft, Antworten auf die globalen Herausforderungen zu geben, und sie sind gleichzeitig dazu geeignet, die Finanzmärkte flexibel und innovativ zu gestalten. Insofern kann ich nahtlos an das anschließen, was der Kollege Steiger heute morgen vorgetragen hat. Auch dienen sie dazu, den Standort Deutschland besser zu positionieren, den Finanzmarkt in die Standortdebatte einzubetten und den globalen Herausforderungen gerecht zu werden.
Herr Kollege Steiger, ich möchte ganz besonders Ihren Verdienst am Zustandekommen dieses Gesamtkomplexes im Finanzausschuß herausheben.
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- Nach dem alten Grundsatz, Herr Kollege Schwanhold, es „Tu Gutes und rede darüber" : Der Kollege Steiger und der Kollege Gres in dem anderen Bereich haben in den Ausschüssen als Berichterstatter ganz vorzügliche Arbeit geleistet,
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die es uns allen ermöglichen sollte, heute dem Gesamtvorhaben zuzustimmen.
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Ich möchte gerne eine kurze Anmerkung zu der Rede von Herrn Kollegen Rössel machen.
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- Das ist schon wichtig, weil er den Eindruck vermittelt hat, daß wir uns um den Finanzmarkt kümmern, um den Arbeitsmarkt aber nicht. - Herr Rössel, Sie haben noch immer nicht begriffen - das wundert mich nicht -, daß ein Arbeitsmarkt ohne einen funktionierenden attraktiven Finanzmarkt nicht funktionieren kann
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und daß wir ohne einen attraktiven Finanzmarkt keine Investitionen haben und ohne Investitionen keine Arbeitsplätze. Dieser volkswirtschaftliche Zusammenhang müßte Ihnen doch einleuchten. Deshalb ist es so wichtig, daß wir den Finanzmarkt international entsprechend attraktiv ausrüsten.
Mit dem Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz wird den deutschen Unternehmen die befreiende Möglichkeit eingeräumt, ihre Konzernabschlüsse eben nicht nur nach HGB-Regeln, sondern nach international anerkannten Rechnungslegungsstandards aufzustellen, sofern diese internationalen Standards mit EU-Recht vereinbar sind. Wir alle wissen, daß die Akzeptanz deutscher Konzernabschlüsse in der Vergangenheit nachgelassen hat. Immer mehr mußten sich gerade deutsche Konzerne, die sich international engagieren, internationalen Rechnungssystemen - IAS oder US GAAP - anpassen. Wir alle wissen auch: Dies hatte erhebliche Doppelarbeit und eine erhebliche Kostenbelastung zur Folge. Von daher ist dies eine ganz erhebliche Erleichterung.
Das zweite in diesem Zusammenhang: Wir haben hier eine Entscheidung getroffen, die auch für den Mittelstand höchst attraktiv ist, nämlich im Rahmen des Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetzes durch eine Änderung des § 32a GmbH-Gesetz eine Erleichterung für die Gewährung von Gesellschafterdarlehen an die GmbH einzuräumen, sofern derartige Gesellschafter jeweils weniger als 10 Prozent des Stammkapitals der Gesellschaft halten. Das bedeutet ganz konkret, daß dieser Personenkreis grundsätzlich von der Anwendung des komplizierten Kapitalersatzrechts ausgenommen wird, um eine angemessene Kapitalausstattung kleiner und mittlerer Unternehmen zu befördern. Auch das ist ein wichtiger Schritt, gerade für den Mittelstand.
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Zu den Stückaktien ist inhaltlich das Wesentliche gesagt worden. Ich glaube - von daher möchte ich nachdrücklich dem Herrn Justizminister beipflichten -, mit dieser Regelung ist es gelungen, daß noch 1998 all die, die das Instrument wahrnehmen wollen, es auch umsetzen können. Das ist bei den Hauptversammlungen wichtig im Hinblick auf die Vorbereitung der Währungsunion, im Hinblick auf den nächsten Schritt zum Euro. Auch das ist eine Erleichterung für die deutsche Wirtschaft. Ich wünsche mir jetzt, daß von der deutschen Wirtschaft, von den Unternehmen und von den Finanzinstituten von dieser neu eingeräumten Flexibilität zum Wohle des Standortes Deutschland in den geeigneten Fällen tatsächlich Gebrauch gemacht wird.
Ich möchte zum dritten Thema, zum Entschließungsantrag zur Vermögensbildung, einige Anmerkungen machen. In diesem Entschließungsantrag haben wir die zwei ersten Sätze wie folgt formuliert, - und dies ist auch die Begründung für unser Vorgehen -:
Individuelles Eigentum ist eine wesentliche Grundlage persönlicher Freiheit und Vorsorge und damit eine tragende Säule unserer Sozialen Marktwirtschaft. Eine breite Streuung des Eigentums, vorrangig beim Wohneigentum und beim Produktivvermögen, festigt unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
Als Ausfluß dieser Philosophie wollen wir über das hinaus, was wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten zur Vermögensbildung in Deutschland bereits geleistet haben, neue zusätzliche wichtige Akzente setzen.
Es kann überhaupt nicht bestritten werden, daß es Defizite beim Anteil breiter Bevölkerungsschichten am Produktivkapital gibt. Die Frage lautet: Wie können wir diese Defizite aufarbeiten? Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen im Entschließungsantrag angesprochen, und wir wollen schon in der nächsten Sitzungswoche einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen.
Erstens. Wir wollen durch privilegierte Förderung Anreize für einen größeren Anteil der Bevölkerung geben, sich am Produktivkapital zu beteiligen. Das ist ein wichtiger Schritt.
Zweitens. Ohne daß wir in die Tarifautonomie eingreifen, möchten wir die Tarifpartner nachhaltig ermuntern, sich dieses Themas anzunehmen.
Drittens. Wir möchten mit dieser Maßnahme - darum gehört die Diskussion über die Beteiligung der Bevölkerung am Produktivvermögen auch in die Diskussion über den Finanzplatz Deutschland - den Kapitalmarkt beleben und, angelehnt an die Erfahrungen mit dem angelsächsischen Recht, zum Beispiel mehr Wagniskapital generieren.
Viertens. Wir haben die Anhebung der Einkommensgrenzen im Sinn, um breitere Schichten der Bevölkerung zu erreichen.
Fünftens. Für uns ist in diesem Zusammenhang klar, daß wir eine völlige Wahlfreiheit des Arbeitnehmers bei der Anlage des Betrages in Produktivkapital haben. Es soll also keine Fremdbestimmung - von wem auch immer - stattfinden, sondern es soll die Anlagefreiheit für jeden Arbeitnehmer geben. Diese Wahlfreiheit war für uns wichtig.
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Sechstens. Angesichts der Arbeitsmarktsituation werden wir - wir sind ja mitten in Tarifverhandlungen - die Tarifpartner in den Tarifverhandlungen der nächsten Jahre bitten müssen, daß sie verantwortungsbewußt mit den Tarifabschlüssen umgehen. Das heißt, wir brauchen niedrige Tarifabschlüsse, um den Standort im Wettbewerb nicht zu verschlechtern.
Wenn dem so ist, dann glaube ich, es bietet sich an, daß wir einen zusätzlichen Anreiz dafür schaffen, daß sich die Arbeitnehmer am Produktivkapital beteiligen und über Zuwächse des Produktivkapitals einen zusätzlichen Vermögenszuwachs erfahren. Auch das ist ein ganz wichtiger Ansatz, den wir in den nächsten Sitzungswochen beraten wollen.
Schließlich fordern wir in unserem Entschließungsantrag die Bundesregierung auf, Vorbereitungen zu treffen, die es uns in der nächsten Legislaturperiode ermöglichen, der privaten Altersvorsorge, die neben
die gesetzliche Rentenversicherung treten soll, eine Chance durch eine entsprechende Förderung zu geben.
Ich glaube, das ist ein weiterer wichtiger Schritt, der breiten Bevölkerungsschichten zugute kommt. Ich möchte heute schon die SPD, die sich zu diesem Thema in den letzten Tagen geäußert hat, auffordern, sich in die Verhandlungen, die wir führen werden, wenn der Gesetzentwurf vorliegt, konstruktiv mit einzubringen, damit wir dieses wichtige Thema noch in dieser Legislaturperiode zu einem für die Bevölkerung, für die Arbeitnehmer erfolgreichen Abschluß bringen.
Herzlichen Dank.
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Ich gebe das Wort dem Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst freue ich mich, daß eine so wichtige Debatte in Anwesenheit so vieler engagierter und sachkundiger Kollegen stattfindet und daß - das spricht für die Wichtigkeit des Anliegens - auch auf der Pressetribüne inzwischen fünf engagierte Journalisten - es waren vorher nur zwei - vertreten sind.
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Das zeigt: Es ist ein wachsendes Interesse vorhanden. Wenn jetzt auch noch beim Bundesrat eine verstärkte Aktivität zu sehen wäre, würde das Engagement für die Regionalbörsen noch stärker wirken, als es bisher gewirkt hat.
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Auch ich, Herr Kollege Schwanhold, schließe mich dem Dank an die engagierten Kollegen an, vor allen Dingen an den Kollegen Steiger, der in das Thema eingeführt hat. Andere haben das im Finanzausschuß, wie ich meine, engagiert und sachkundig vorangebracht.
Dann hat mich der Kollege Bury durch seine Fußballkenntnisse natürlich sehr hellhörig gemacht. Normalerweise gehe ich davon aus, daß Sie in erster Linie Stuttgart und Karlsruhe verbunden sein müßten. Um so besser die Liebe zu Eintracht Frankfurt! Gerade wenn es einem Verein schlechtgeht, muß man zu ihm stehen,
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mit ihm durch dick und dünn gehen.
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Insofern nehme ich Ihre engagierte Teilnahme als eine Ermunterung morgen für 1860 München mit auf den Weg. Ich bin, wie Sie wissen, Mitglied nicht nur bei der TSG Tannhausen, sondern auch bei 1860 und
Bayern München. Insofern kann kaum ein Samstag völlig danebengehen.
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Trotzdem verdient es natürlich der Banken- und Börsenplatz Frankfurt, daß er auch fußballerisch wieder an alte Zeiten anknüpft.
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Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Globalisierung der Kapitalmärkte, die Einführung des Euro als gemeinsame Währung in Europa und der zunehmende internationale Wettbewerbsdruck sowie die Lage am Arbeitsmarkt erfordern gemeinsame und verstärkte Anstrengungen.
Es wundert mich schon: Vom Kollegen Dr. Rössel weiß ich, daß er sehr engagiert Aktienkurse verfolgt und sehr interessiert Vergleiche anstellt. Das kann er als Aktivist des früheren Systems nicht gelernt haben. Insofern merke ich schon, daß aus einem Aktivisten des Systems nun ein Aktivist des Finanzplatzes Deutschland geworden ist.
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Die Wandlungen von einem Kommunisten zu einem Kapitalisten sind also sehr bemerkenswert und verdienten eigentlich eine stärkere Erörterung. Aber das Thema läßt das nicht zu.
Dazu gehört es auch, Risikokapital für zukunftsträchtige und arbeitsplatzschaffende Investitionen zu mobilisieren. Das haben wir mit unserer konsequenten Politik zur Förderung des Finanzplatzes Deutschland in Gang gesetzt: Deregulierungen auf den Geld- und Kapitalmärkten, Finanzmarktinnovationen, eine zielgerichtete Gesetzgebung und die vielfältigen Aktivitäten der Marktteilnehmer haben Deutschland zu einer der wichtigsten Drehscheiben für Kapital in der Welt gemacht, eine Entwicklung, die noch vor wenigen Jahren viele in dieser Form kaum für möglich gehalten hätten.
Diese Drehscheibenfunktion wollen wir in der Euro-Zone mit der Europäischen Zentralbank in Frankfurt noch weiter ausbauen. Darum kommt dieses Gesetz genau zum richtigen Zeitpunkt in einer entscheidenden Phase deutscher und europäischer Politik.
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Der deutsche Finanzmarkt besitzt - das haben meine Vorredner bereits zum Ausdruck gebracht - noch ein gewaltiges Entwicklungspotential gerade im Bereich Risikokapital. Einer verhältnismäßig geringen Nachfrage der Unternehmen steht ein verhaltenes Angebot an Risikokapital durch die privaten Haushalte und seitens institutioneller Investoren gegenüber.
Noch spielt die Aktie als Anlagemedium nicht die Rolle, die ihr im Rahmen einer zukunfts- und renditeorientierten Anlagestrategie zukommen sollte. Hier
setzen wir an. Das eher konservative, auf Solidität angelegte deutsche Finanzierungssystem, an dem wir natürlich festhalten wollen, sollte im Interesse der kapitalsuchenden Unternehmen, im Interesse der Anleger durch dynamische zukunftsgerichtete Komponenten ergänzt werden.
Heute beraten wir im Deutschen Bundestag das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz in zweiter und dritter Lesung. Mit dem Gesetz werden die Transaktionskosten im Börsen- und Wertpapierbereich durch eine Fülle von Maßnahmen gesenkt, um so die Attraktivität des Börsenganges zu erhöhen. Novellierung der Börsenzulassung und Prospekthaftpflicht, Verkürzung der Anlageberatungshaftung und vereinfachte Listing-Verfahren sind nur einige wenige Beispiele aus dem Strauß der realisierten Maßnahmen.
Die Attraktivität des Investmentfondsstandorts Deutschland wird durch die Einführung neuer Fondstypen, wie' Dachfonds oder Indexfonds, und die Zulassung weiterer Finanzmarktprodukte als Anlagemöglichkeiten für Fonds erhöht. Gerade für weniger erfahrene Anleger - die sich nicht so intensiv mit den Kursen beschäftigen können wie der Marxist Dr. Rössel -,
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die sich erstmals für die Aktienanlage interessieren, werden Fonds damit noch interessanter. - Ich hätte gar nicht gedacht, daß ich durch Fußball und nostalgische Erinnerungen soviel Interesse an dieser Debatte wecken kann. Darum muß man auch solche Dinge nutzen.
Mittelfristig dürfte sich das Angebot an börsennotiertem Risikokapital weiter erhöhen. Durch eine umfassende Novellierung des Gesetzes über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften und die Beseitigung von Steuerhemmnissen werden das Angebot an Risikokapital für nicht börsennotierte Unternehmen ausgeweitet und der Venture-capital-Markt in Deutschland deutlich belebt.
Zu der Beteiligung der Regionalbörsen an dem neuen elektronischen Handelssystem Xetra gibt es jetzt einen Vorschlag. Ich begrüße den im Finanzausschuß zu diesem Komplex gefundenen Kompromiß. Damit wird den Regionalbörsen eine faire Chance eingeräumt, ihre Zukunft selbst zu gestalten. Dem Wettbewerb der Börsenplätze um Handelsteilnehmer, Anleger sowie Emittenten müssen sie sich mit Ideen und neuen Formen der Dienstleistungen stellen. Ich appelliere an alle Beteiligten, die Beratungen über die Xetra-Anbindungen zügig zu einem Abschluß zu bringen.
Den Namen „Pensions-Sondervermögen" werden wir gemäß dem Vorschlag des Bundesrates in „Altersvorsorge-Sondervermögen" ändern. Damit sind alle zwischen Bundesrat und Bundesregierung strittigen Punkte ausgeräumt. Nach Ihrer Zustimmung kann das Gesetz rasch zur weiteren Beratung an den Bundesrat gehen und am 1. April 1998 in Kraft treten.
Der heutige Schritt reicht aber noch nicht aus. Das Gesamtkonzept der Koalitionsfraktionen „Globale Kapitalmarktpolitik für mehr Beschäftigung " schlägt eine Erhöhung der Transparenz im Unternehmensbereich, eine stärkere Allokation des Kapitals über die Märkte und eine Weiterentwicklung der betrieblichen Altersvorsorge vor. Mit mehreren Maßnahmen sollen diese Ziele erreicht werden.
Mit dem heute ebenfalls zur zweiten und dritten Lesung vorliegenden Entwurf des Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetzes wird es deutschen Unternehmen ermöglicht, an Hand von internationalen Standards zu bilanzieren. Darauf ist mein Kollege Schmidt-Jortzig bereits eingegangen.
Mittel- und langfristig sollten auch eine Reform der deutschen Rechnungslegungsstandards sowie eine qualitativ verbesserte und zeitnähere Berichterstattung angestrebt werden.
Mit dem ebenfalls heute zu beratenden Gesetz zur Einführung der Stückaktie wird die Finanzierungsform Aktie weiter flexibilisiert und kostengünstiger gestaltet. Damit wird auch die Einführung des Euro für die Unternehmen erleichtert. Wir haben in allen Bereichen, wie ich meine, vorbildliche Vorbereitungen getroffen und mit dem Euro-Einführungsgesetz die richtigen Schritte eingeleitet.
Wir können heute auch sehen, daß wir bei den Konvergenzkriterien gut liegen. Als ich im letzten Jahr gesagt habe, daß ich alles daransetzen will, um 3,0 Prozent Staatsdefizit für Deutschland zu erreichen, bin ich manchmal kritisiert worden. Der eine oder andere hat gesagt, ehrliche 3,2 Prozent seien besser als unehrliche 3,0 Prozent. Ich kann nur sagen: Ehrliche 3,0 Prozent sind noch besser als ehrliche 3,2 Prozent. Darauf können wir, wenn sich das verifiziert, durchaus stolz sein.
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Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schild?
Bitte schön.
Herr Minister, Sie haben eben, wenn auch nur kurz, den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen gestreift. In diesem Koalitionsantrag werden Pensionsfonds im Rahmen eines kurzfristig vorzulegenden Gesetzentwurfs geplant.
Nun hebt gerade der Koalitionsantrag sehr stark auf Fragen der Besteuerung ab. Ich kann mich entsinnen, daß der Parlamentarische Staatssekretär Ende letzten Jahres in einem Gespräch mit dem „Handelsblatt" große Vorbehalte gegenüber Pensionsfonds geäußert hat, insbesondere im Hinblick auf die weitreichenden Konsequenzen der Besteuerung der Alterseinkünfte. Ich frage deswegen: Wie weit gehen nach Ihrer Auffassung die Konsequenzen bei der Besteuerung auch anderer Formen der Alterseinkünfte? Hat das nach Ihrer Auffassung über die
Petersberger Beschlüsse hinaus auch Konsequenzen für die gesetzliche Rentenversicherung?
Herr Minister, können Sie in diesem Zusammenhang die vom Parlamentarischen Staatssekretär genannte Höhe der Steuerausfälle durch diese Pensionsfonds von 1,6 Milliarden DM - so habe ich das in Erinnerung -, von der in den letzten Tagen in den Zeitungen häufiger zu lesen war, bestätigen?
Im Bereich der Alterseinkünfte und ihrer Besteuerung gibt es natürlich konsequente, ordnungspolitisch absolut saubere Ideen. Allerdings muß man auch wissen, was das bedeuten würde und daß all das, was schön wäre - Kapitaldeckungsverfahren, nachgeordnete Besteuerung usw. -, nicht auf einen Schlag zu verwirklichen ist, weil der Staat das auf Grund der Einnahmensituation nicht auf einen Schlag bzw. in kürzerer Zeit aushalten könnte.
Ich bin für Ihre Anregung natürlich dankbar. Wenn man in diese Richtung wenigstens ein Stück weit gehen möchte, dann hätte uns aber die SPD in unserem Ansatz, was die Besteuerung der Alterseinkünfte anbelangt, wie wir es in den Petersberger Vorschlägen vorgesehen haben, eigentlich unterstützen müssen. Denn es war eine sehr moderate und sozial sehr abgefederte, aber durchaus in sich schlüssige Konzeption, daß, wenn vorher Abzüge als Betriebsausgaben stattgefunden haben, dies danach natürlich auch berücksichtigt werden soll, vor allem angesichts dessen, daß die gegenwärtige Ertragsbesteuerung problematisch und relativ wenig einsichtig ist.
Es- hat dazu erst der Erwähnung durch den DGBVorsitzenden Schulte bedurft, der gesagt hat: Wenn die Sozialrente eines Alleinstehenden bis zu 2 600 DM und die eines verheirateten Ehepaars bis zu 5 200 DM nicht besteuert werde und erst die darüber hinausgehende D-Mark der Anfangsbesteuerung unterliege, dann sei dies für ihn kein Tabu. Erst dessen hat es bedurft, um die - vor allen Dingen von Ihrer Seite - nicht sachlich geführte Diskussion einer etwas sachlicheren mittelfristigen Erörterung zuzuführen.
Insofern ist das ein breites Thema, das wir natürlich noch weiter erörtern müssen. Aber wenn Sie wenigstens die Kraft hätten, zu sagen: „Das, was in den Petersberger Vorschlägen angelegt war, ist ein erster, ordnungspolitisch sauberer und vertretbarer Ansatz", dann wären wir schon sehr viel weiter.
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- Herr von Larcher, Ihre Zurufe kann man nicht beantworten. Das sind keine Fragen.
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- Sie müssen vorsichtig sein. Jeder Zuruf von Ihnen kann als Zuruf gegen Schröder gewertet werden.
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Insofern - nicht meinetwegen - bitte ich Sie in Ihrem ureigensten Interesse, mit Zurufen vorsichtig zu sein. Sie könnten sonst zwischen alle Stühle geraten. Das wünsche ich Ihnen nicht. Denn wir brauchen Sie ja als Zurufer noch möglichst lange.
Meine Damen und Herren, weitere Reformen planen wir für die nächste Legislaturperiode, und zwar die Umgestaltung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge, bei der das Einbeziehen kapitaldecken- der Elemente - auch das ist vorhin zum Ausdruck gekommen - wünschenswert ist. Mit der Einführung von Altersvorsorge-Sondervermögen durch das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz haben wir bereits erste Ansätze geschaffen. Zur Einführung von betrieblichen Pensionsfonds liegt Ihnen ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen vor.
Die steigende Bedeutung der Börse bei der Risikokapitalfinanzierung bedingt eine Neuausrichtung des Börsenrechts. Es muß flexibel und offen sein, darf neue Entwicklungen nicht behindern und muß gleichzeitig einen fairen Wettbewerb gewährleisten. Auch die Börsenaufsicht kann noch effizienter und kostengünstiger gestaltet werden. Mit dem Vierten Finanzmarktförderungsgesetz soll eine weitere Neugestaltung der im ausgehenden 19. Jahrhundert konzipierten Struktur der deutschen Börsenlandschaft eingeleitet werden.
Zur Diskussion steht heute auch der Gesetzentwurf der SPD zur Regelung von Unternehmensübernahmen. Ich halte diesen Gesetzentwurf zum jetzigen Zeitpunkt für unangebracht. Zum einen ist von der Europäischen Kommission eine Richtlinie für Unternehmensübernahmen in Aussicht gestellt, mit deren Verabschiedung Ende 1998/Anfang 1999 zu rechnen ist. Vor diesem Hintergrund macht es keinen Sinn, jetzt eine nationale gesetzliche Regelung zu schaffen, die in Kürze vor dem Hintergrund einer europäischen Richtlinie wieder geändert werden müßte.
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- Das ist kein schwaches Argument, Herr Schwanhold. Wir müssen auch hier effizient arbeiten.
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Es macht keinen Sinn, jetzt etwas zu verabschieden, wenn es nachher wieder verändert werden muß. Sie wissen das doch ganz genau.
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- Wir sind in Europa nicht das Schlußlicht, sondern der Motor. Wir müssen allerdings auch nicht alles übernehmen. Wir haben auch einmal das Recht, zu dem einen oder anderen Punkt zu sagen, daß uns etBundesminister Dr. Theodor Waigel
was nicht paßt, wenn wir es auf nationaler und regionaler Ebene besser machen können.
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Zum anderen sollten die Erfahrungen mit dem seit Anfang dieses Jahres deutlich verbesserten Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission abgewartet werden.
Meine Damen und Herren, den heute in erster Lesung anstehenden Gesetzentwurf des Bunderates zur Ausübung der Tätigkeit als Finanzdienstleistungsvermittler und als Versicherungsvermittler sowie zur Einrichtung eines Beirats beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen lehnt die Bundesregierung ab. Ich habe große Zweifel, ob der Gesetzentwurf des Bundesrates seinem Anspruch auf Verbesserung des Verbraucherschutzes gerecht würde.
Die Vielzahl von Widersprüchen und Unklarheiten im Gesetzentwurf führt zu einer unübersichtlichen Gesamtsituation für Verbraucher und Vermittler. Betrügerisches oder anderes unseriöses Verhalten wird durch die Regelungsvorschläge nicht ausgeschlossen. Auf der anderen Seite wird die Freiheit des Berufszugangs erheblich eingeschränkt und die Regulierungstätigkeit des Staates weiter ausgeweitet.
Darüber hinaus wollen die Bundesländer die Kontrolle darüber, ob Hunderttausende von Vermittlern die Vorschriften des Gesetzentwurfes einhalten, auf den Bund übertragen. Das ist eigentlich etwas seltsam. Meistens wollen die Länder, daß Gesetzgebung und Zuständigkeiten mehr auf sie übertragen werden. Hier ist das umgekehrt. Eine solche Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern ist nicht zweckmäßig. Bei der Beaufsichtigung der Vermittler sollten die Möglichkeiten der Gewerbeordnung ausgeschöpft werden.
Meine Damen und Herren, wir wollen eine ausreichende Ausstattung der Unternehmen mit Kapital. Wir wollen eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen. Mit dem heute vorliegenden, vom Kollegen Repnik begründeten Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zum Investivlohn, den ich begrüße, kommen wir beiden Zielen näher. Auch das ist ein Plus für den Finanzplatz Deutschland.
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Meine Bitte ist: Stimmen Sie dem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz zu! Die Globalisierung geht weiter. Der Euro kommt.
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Im Licht dieser Entwicklungen können und müssen wir heute unseren Finanzplatz weiter stärken.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und Ihren Beifall. Vielen Dank!
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Ich gebe dem Abgeordneten Jörg-Otto Spiller das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn es an den internationalen Finanzmärkten immer wieder Anzeichen dafür gibt, daß sich das Geschehen dort in besorgniserregendem Ausmaß von den güterwirtschaftlichen Entwicklungen entkoppelt hat, bleibt es doch dabei: Die Funktion des Finanzmarktes, wenn er richtig funktioniert ist, Kapital einer möglichst produktiven Verwendung zuzuführen.
Herr Kollege Dr. Rössel, hier geht es wirklich um Arbeitsplätze.
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Es geht nicht nur um die schnelle Mark, sondern darum, wie Kapital einer produktiven Verwendung in Deutschland zugeführt wird.
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Das hat etwas mit Arbeitsplätzen zu tun.
Ich glaube, wir sind uns alle bewußt, daß die strukturellen Schwächen, die der deutsche Kapitalmarkt nach wie vor aufweist - auch der Finanzminister hat das angesprochen -, mit diesem Gesetz nicht komplett überwunden werden. Dieses Gesetz aber bringt wesentliche Verbesserungen, und deswegen wird die SPD ihm zustimmen.
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Lassen Sie mich auf einige Kontroversen eingehen, die es während der Beratungen gegeben hat. Die erste, die, wie ich finde, auf erfreuliche Weise zu einem Abschluß gekommen ist: der Zugang zu dem elektronischen Handelssystem Xetra. Wir haben hier zunächst eine zögernde Bundesregierung erlebt. Wir haben eine zögernde, abwehrende Koalition erlebt.
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Sie haben es ausdrücklich abgelehnt, dem Wunsch des Bundesrates zu folgen, daß eine Garantie des Zugangs auch für die Regionalbörsen aufgenommen wird.
Sie haben sich letzten Endes der Meinung des Bundesrates und der SPD-Bundestagsfraktion angeschlossen; das war ein bißchen mühsam. Ich beglückwünsche Sie, daß Sie doch zu einer besseren Einsicht gelangt sind. Das war eine gute Entscheidung.
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Der zweite Punkt, der kontrovers war und bis heute noch kontrovers ist: der Umfang des Anlegerschutzes, des Sparerschutzes. Herr Steiger und Herr Thiele haben in diesem Zusammenhang von „Modernisierung der Haftungsregeln" gesprochen. Das ist ein bißchen verdächtig. Nachdem Herr Seehofer und Herr Blüm es geschafft haben
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- auch Herr Waigel -, den Begriff „Reform", der früher einmal etwas Positives hatte, mit dem Abbau von
Leistungen zu verbinden, fangen Sie jetzt an, den
Abbau von Haftung, Sicherheit und Verbraucherschutz mit dem Begriff „Modernisierung der Haftungsregeln" zu belegen. Das ist nicht in Ordnung.
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Ich sage Ihnen einmal, um was es eigentlich geht. Herr Steiger hat gesagt, die SPD hinke hinterher.
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Die SPD ist - das weiß ich in diesem Falle - einig mit jemandem aus Ihrer Koalition, der es bei Ihnen manchmal ein bißchen schwer hat, aber der etwas von der Sache versteht, nämlich Graf Lambsdorff. Graf Lambsdorff hat in der Anhörung des Finanzausschusses die Vertreter der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre und der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz gefragt, wie sie denn die Verkürzung dieser Haftungsfristen einschätzten. Der Vertreter der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz hat geantwortet: Herr Lambsdorff, der Musterfall, dieser sogenannte Bond-Fall, den der Bundesgerichtshof zum Anlaß für eine grundlegende Entscheidung genommen hat, wäre nicht zustande gekommen, wenn die Fristen, die Sie in den Gesetzentwurf geschrieben haben, bereits gegolten hätten.
Ich darf das vielleicht einmal sagen: Das waren ja keine wilden Spekulanten. Ein Ehepaar hatte nach dem Auslaufen eines Sparvertrages 20 000 DM anlegen wollen. Da hat die Bank geraten, australische Anleihen des Emittenten Bond zu nehmen. Die aber waren nach ein paar Jahren nichts mehr wert. Da wäre nach den jetzt von Ihnen vorgesehenen Fristen eine Klage nicht mehr wirksam geworden!
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Lassen Sie sich das von Lambsdorff erklären, und stimmen Sie unserem Antrag auf Verbesserung dieser Haftungsregelungen zu!
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Es ist ein Irrtum, anzunehmen, daß der Finanzmarkt gestärkt und die Bereitschaft, Aktien zu erwerben, erhöht wird, wenn Sie den Sparerschutz einschränken. Das ist ein großer Irrtum. Der „Tagesspiegel" hat gestern in einem Kommentar geschrieben: „Mut zur Aktie erzeugt man so nicht, eher Mißmut. Der potentielle Anleger wird mißtrauischer." Wir sind deswegen der Meinung, daß in dieses Gesetz angemessene Haftungsvorschriften hineingehören. Aus diesem Grunde haben wir unseren Änderungsantrag vorgelegt.
Lassen Sie mich noch zu den Entschließungsanträgen der Koalition kommen. Ich fange mit dem Entschließungsantrag zu den Pensionsfonds an. Der Wahrheit zuliebe muß ich sagen, wo die Anregung, Pensionsfonds aufzunehmen, zum erstenmal aufgetaucht ist, nämlich in der Stellungnahme des Bundesrates. Der Bundesrat hat die Bundesregierung aufgefordert, Pensionsfonds nach angelsächsischem Muster in das Gesetz bzw. wenigstens in die nächste Runde der Gesetzgebung aufzunehmen. Darauf haben Sie, Herr Bundesfinanzminister, geantwortet, das sei sehr, sehr kompliziert, Ihr Haus prüfe noch, und Sie könnten sich dazu noch nicht äußern. Die
Koalitionsfraktionen im Finanzausschuß haben ein bißchen gezögert, aber versprochen, sie würden noch etwas bringen. Daraufhin hat der Parlamentarische Staatssekretär gesagt: Laßt das mal lieber bleiben, das ist zu teuer; wir im Bundesfinanzministerium haben gerechnet und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß wir uns die Steuereinbußen jetzt nicht leisten können.
Jetzt bringt die Koalition diesen Entschließungsantrag ein. Es ist ja bemerkenswert, daß die Koalitionsfraktionen eine andere Meinung vertreten als die Bundesregierung, daß die Fraktionen sozusagen wider den Stachel der Regierung löcken. Das ist bemerkenswert, aber ich möchte Sie daran erinnern: Der Bundesfinanzminister hat nicht umsonst gemahnt, man müsse gerade dann zu einem Verein stehen, wenn es ihm schlechtgehe. Deswegen ist Ihr Verhalten gegenüber der Bundesregierung nicht ganz fair.
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Das, was Sie hineingeschrieben haben - wobei Sie so tun, als würden Sie das jetzt bringen -, ist eine Irreführung der Öffentlichkeit.
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- Herr Kollege Steiger, ich möchte meinen Gedanken noch zu Ende führen, bevor ich Ihre Zwischenfrage zulasse. - Sie hätten wirklich Probleme, wenn man die Maßstäbe der Prospekthaftung an Ihre Aussagen anlegen würde, die durch Unvollständigkeit und fehlerhafte Angaben gekennzeichnet sind. Sie bekämen Haftungsprobleme mit Ihrem Entschließungsantrag.
Herr Kollege Steiger, jetzt können Sie Ihre Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Spiller, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es in dieser Frage überhaupt keinen Dissens zwischen der Bundesregierung und der CDU/CSU- bzw. der F.D.P.-Fraktion gegeben hat?
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Wir haben vielmehr ein Problem erkannt und es auf den Tisch gelegt. Wir haben miteinander überlegt, wie wir dieses Problem a) gut und b) kurzfristig lösen und wie wir die betriebliche Altersvorsorge stärken können.
Der Entwurf, den wir heute vorgelegt haben, gibt der betrieblichen Altersvorsorge eine ausgezeichnete Perspektive. Dieser Entwurf ist sowohl von den Koalitionsfraktionen als auch von der Bundesregierung, insbesondere vom Bundesfinanzministerium, gemeinsam getragen worden. Sind Sie bereit, dies zur Kenntnis zu nehmen?
Mich würde mehr interessieren, ob der Bundesfinanzminister bereit wäre, dies zur Kenntnis zu nehmen. Bisher hat sich das Ministerium sowohl in der Person des Ministers als auch in
der Person des Parlamentarischen Staatssekretärs anders geäußert.
Im übrigen frage ich mich: Warum haben Sie den entsprechenden Gesetzentwurf nicht direkt eingebracht? Warum haben Sie gesagt: nächste Wahlperiode?
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Sie denken vielleicht: Solange wir die Mehrheit haben, müssen wir die Chance nutzen, die kommende Regierung zu binden. Das wird nicht laufen. Handeln Sie korrekt und sagen Sie, was Sie tatsächlich wollen!
Herr Kollege Steiger, auch folgender Punkt ist zu erwähnen: In Ihrem Entschließungsantrag sprechen Sie - Herr Waigel hat leider etwas ausweichend geantwortet - nach einem Spiegelstrich davon, daß es die „nachgelagerte Besteuerung in allen Formen der Alterssicherung" geben müßte. Das kann auf deutsch eigentlich nur heißen: Sie denken an eine volle Besteuerung der Renten. Der Bundesfinanzminister hat diesbezüglich, wie gesagt, wiederum nur unklare Anmerkungen gemacht. Ich habe nur die Bitte: Verunsichern Sie jetzt nicht auch noch die Rentnerinnen und Rentner,
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indem Sie sagen, daß Sie eine stärkere Besteuerung planen. Denn der Bundesfinanzminister hat eben gesagt, die Petersberger Beschlüsse seien nur ein erster moderater Schritt gewesen, aber das sei noch nicht alles, was Sie vorhätten.
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Wir werden dieses nicht mitmachen.
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Eine letzte Bemerkung zu dem, was der Kollege Repnik zur Entschließung hinsichtlich des Themas Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand gesagt hat: In diesem Punkt wissen Sie uns immer auf Ihrer Seite. Ich frage mich bloß: Warum haben Sie dem Antrag, den die SPD-Bundestagsfraktion vor zwei Jahren eingebracht hat, nicht zugestimmt? Warum haben Sie nicht gesagt: Jetzt machen wir etwas Konkretes zur Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, was zu einer breiteren und gerechteren Streuung von Vermögen führt? Jetzt, wo Ihre Zeit zu Ende geht, wollen Sie sich mit einer papierenen Aufforderung verabschieden. Ich glaube, das werden die Wählerinnen und Wähler in Deutschland richtig beurteilen.
Ich danke Ihnen.
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Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Konzerne an internationalen Kapitalmärkten und zur Erleichterung der Aufnahme von Gesellschafterdarlehen. Das sind die Drucksachen 13/7141 und 13/ 9909.
Es liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Margareta Wolf und Hans Martin Bury auf Drucksache 13/9930 vor, über den wir zuerst abstimmen werden. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD bei Enthaltung der PDS abgelehnt worden.
Ich bitte nun die, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung: Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden.
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Zulassung von Stückaktien, Drucksachen 13/9573 und 13/9857: Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung: Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden.
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland, Drucksachen 13/8933 und 13/9874 Nr. 1: Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor. Über diese müssen wir zunächst abstimmen.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9919: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9920: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
tionsfraktionen abgelehnt, während die SPD dafür gestimmt hat. Bündnis 90/Die Grünen und PDS haben sich enthalten.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung: Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/9923. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS angenommen worden, während sich Bündnis 90/Die Grünen enthalten hat.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/9929. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der PDS angenommen worden, während sich SPD und Bündnis 90/Die Grünen enthalten haben.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9924: Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD abgelehnt worden.
Dritte Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD und des Bündnises 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen worden. Enthaltungen gab es keine.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Regelung von Unternehmensübernahmen, Drucksache 13/8164. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 9874 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/8164 abstimmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf der SPD zustimmen wollen, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 13/9721 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17a und 17 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neueinteilung der Wahlkreise für die Wahl zum Deutschen Bundestag ({0})
- Drucksache 13/9598 -({1})
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2})
- Drucksache 13/9871 - Berichterstattung:
Abgeordnete Erwin Marschewski Wolfgang Bosbach
Rezzo Schlauch
Dr. Max Stadler
Maritta Böttcher
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({3}) zu Berichten der Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages
Abschließende Empfehlungen zur Vorbereitung der Verkleinerung des Deutschen Bundestages und zu Vorschriften des Bundeswahlgesetzes
gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 29. Juni 1995 und vom 30. November 1995
- Drucksachen 13/1803, 13/2800, 13/7950, 13/8270, 13/9871Berichterstattung:
Abgeordnete Erwin Marschewski
Wolfgang Bosbach Fritz Rudolf Körper Rezzo Schlauch
Dr. Max Stadler Maritta Böttcher
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und ein Änderungsantrag des Abgeordneten Dieter Pützhofen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist das so beschlossen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Wolfgang Bosbach.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag hält Wort! Im Zuge der umfassenden Parlamentsreform hatten wir unter anderem beschlossen, für die Wahl zum 15. Deutschen Bundestag, die voraussichtlich im Jahre 2002 stattfinden wird, die Zahl der Abgeordneten von derzeit 656 bzw. 672 auf dann nur noch 598 zu verringern. Infolgedessen reduziert sich die Zahl der Wahlkreise bei Beibehaltung unseres Wahlrechtes zwangsläufig von 328 auf dann nur noch 299. Die Neueinteilung erfolgt nach Maßgabe eines Gesetzes, das wir heute abschließend beraten.
Der vorliegende Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen beruht auf dem Vorschlag des Statistischen Bundesamtes, der dem Bericht der „Reformkommission" beigefügt war und allen Mitgliedern des Hauses seit Juni 1997 bekannt ist, so daß ich davon ausgehen kann, daß alle Mitglieder des Hauses seit Sommer vorigen Jahres die Gelegenheit hatten, sich mit der Materie intensiv zu befassen, und dies auch tatsächlich getan haben.
Gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf hat der nunmehr zur Beratung und Entscheidung vorliegende Text zwar einige Änderungen erfahren, hierbei handelt es sich aber überwiegend um die Korrektur von Schreibfehlern. Wahlkreisgrenzen und -zuschnitte wurden nur in einem begrenzten Umfang geändert, und zwar dort, wo unserer Ansicht nach geographische oder kommunale Grenzen nicht hinreichend beachtet wurden oder wo auf historisch gewachsene Gegebenheiten noch mehr Rücksicht genommen werden sollte.
Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, die den Berichterstattern wertvolle Hinweise gegeben haben, wie man die Wahlkreise unter Berücksichtigung von geographischen oder kommunalen Besonderheiten bzw. historisch gewachsener Strukturen noch weiter optimieren kann. Soweit dies möglich war, tragen die nunmehr vorliegenden Wahlkreiszuschnitte den jeweiligen örtlichen Anliegen Rechnung.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Peter Dreßen?
Natürlich.
Herr Kollege, Sie haben gerade gesagt, daß Sie Änderungen dort vorgenommen haben, wo es logisch war, und Änderungen im kommunalen Bereich sinnvoll ergänzt haben. Darf ich Sie darauf hinweisen, daß das nur teilweise zutrifft?
Wir haben Änderungsanträge in Hülle und Fülle gestellt, wo es tatsächlich sinnvoll war. Ein Wahlkreis zum Beispiel wird von einer Verwaltungsgemeinschaft getrennt, mit der er eine gemeinsame Schulplanung und eine gemeinsame Fremdenverkehrswerbung usw. hat. Die Betroffenen haben sich alle
gegen die Änderung gewehrt. Es wäre sinnvoll gewesen, wenn Sie dem kleineren Wahlkreis die gesamte Verwaltungsgemeinschaft zugeschlagen hätten; der hätte dann immer noch ein Minus gehabt. Meinen Sie nicht, daß Sie hier mit allen Parteien zuwenig verhandelt haben? Sind Sie nicht der Meinung, daß hier parteitaktische Gesichtspunkte sehr stark im Vordergrund gestanden haben, oder warum haben Sie die gesamten Änderungen kategorisch abgelehnt?
Die letzte Frage werde ich sofort beantworten, die beiden ersten im Laufe der Rede, weil es dann einen Gesamtzusammenhang gibt.
Nein, keine Partei und keine Fraktion kann sagen: Bei uns gibt es keine parteitaktischen Überlegungen. Die gibt es bei Ihnen, und die gibt es bei uns. Das ist auch nicht verboten. Entscheidend ist, ob parteitaktische Überlegungen die Hauptrolle gespielt haben. Das ist in diesem Gesetzentwurf bei keinem einzigen Wahlkreis der Fall.
({0})
Wir können jeden einzelnen Wahlkreiszuschnitt sachlich begründen. - Wie gesagt, auf die beiden ersten Fragen werde ich im Laufe meiner Rede noch eingehen.
Selbstverständlich konnte nicht allen Anliegen und Wünschen Rechnung getragen werden; das liegt in der Natur der Sache.
Ebenso herzlich danke ich auch denjenigen Kolleginnen und Kollegen, die sich im Laufe der vergangenen Wochen nicht gemeldet haben; denn ihrer vornehmen Zurückhaltung ist es zu verdanken, daß der Gesetzentwurf bereits heute abschließend beraten und über ihn entschieden werden kann.
Ich bedaure es sehr, daß dieser Gesetzentwurf nicht die Zustimmung der Sozialdemokraten und daher nicht eine - grundsätzlich wünschenswerte - breite Mehrheit des Parlaments finden wird.
({1})
Trotz vieler intensiver Verhandlungen konnte mit der SPD kein Einvernehmen erzielt werden, wobei ich der guten Ordnung halber ausdrücklich darauf hinweise, daß ich weit davon entfernt bin zu behaupten, ausschließlich die SPD habe an einer fehlenden Einigung schuld. In diesem Zusammenhang muß ich ausdrücklich den Kollegen Erwin Marschewski loben, der sich mit der Geduld und der Hingabe eines Sozialarbeiters darum bemüht hat, mit den Sozialdemokraten Einvernehmen zu erzielen. Das war aber leider nicht möglich.
({2})
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Wahlkreiseinteilungen keineswegs überwiegend umstritten sind. Richtig ist das Gegenteil: In über 90 Prozent der Fälle sind die Wahlkreiszuschnitte zwischen den einzelnen Fraktionen völlig unumstritten. Jedenfalls sind im Innenausschuß keine Änderungsanträge gestellt worden.
Für das Land Schleswig-Holstein hat die SPDFraktion beantragt, die Bezeichnung eines Wahlkreises zu ändern. Für die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Bremen, Brandenburg, Sachsen, Berlin, Sachsen-Anhalt und Saarland wurden überhaupt keine Änderungsanträge gestellt. Mit anderen Worten: Die Opposition ist von dem Gesetzentwurf restlos begeistert.
({3})
Die Änderungsanträge der SPD beziehen sich nur auf 19 von 299 Regionen, so daß wir - immer noch - der Meinung sind, der Gesetzentwurf hätte mit einer breiten Mehrheit verabschiedet werden können. Dies war jedoch nicht möglich. Ich erwähne beispielhaft einige streitbefangene Regionen: Hannover, Mannheim, München und das nördliche Münsterland. Dort konnte kein Einvernehmen erzielt werden.
Da die Gespräche mit den Verhandlungsführern der SPD ganz überwiegend in ruhiger und sachlicher Atmosphäre geführt worden sind, kann ich mir nur mit größter Mühe vorstellen, daß in dieser Debatte der Vorwurf erhoben werden könnte, die Koalitionsfraktionen hätten in einigen Wahlkreisen unter Vernachlässigung regionaler oder historischer Gegebenheiten parteipolitische Überlegungen in den Vordergrund gestellt.
({4})
Da aber derartige - nicht gerechtfertigte - Vorwürfe von mir nicht ganz ausgeschlossen werden können, möchte ich vorsorglich auf folgendes hinweisen: Liebe Freunde, wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen. Wir könnten nämlich bei solchen Vorwürfen in die Versuchung geraten, auf die Geschichte der Wahlkreiseinteilung bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hinzuweisen.
({5})
Ich empfehle jedem Sozialdemokraten, der Geschichte aufmerksam zu folgen: Wir könnten zum Beispiel darauf hinweisen, daß die Stadt Bonn mit knapp 300 000 Einwohnern zwei Wahlkreise erhielt, die SPD-regierte Stadt Gelsenkirchen mit weniger Einwohnern drei. Wir könnten auch darauf hinweisen, daß die sozialdemokratisch dominierte Stadt Dortmund mit knapp 600 000 Einwohnern sechs Wahlkreise bekam, obwohl sie nach der durchschnittlichen Bevölkerungszahl nur mit fünf Wahlkreisen hätte gesegnet werden dürfen. Im Münsterland mit 1,7 Millionen Einwohnern hätte man 12,5 Wahlkreise schaffen müssen, demgegenüber waren es jedoch nur 11. Die von der CDU gewonnenen Landtagswahlkreise hatten im Schnitt knapp 129000 Einwohner, die SPD-Wahlkreise kamen mit
knapp 113 000 Einwohnern aus. Die 25 kleinsten Landtagswahlkreise in Nordrhein-Westfalen wurden ausschließlich von der SPD gewonnen - wegen des Wahlkreiszuschnitts.
Wie gesagt, wir würden so etwas hier im Hause niemals vortragen. Ich weise nur vorsorglich darauf hin, falls entsprechende Vorwürfe uns gegenüber erhoben werden sollten.
({6})
- Herr Kollege Penner, Sie haben sich doch heute morgen im Westdeutschen Rundfunk sehr staatsmännisch geäußert. Wenn das hier an diesem Pult seitens des Kollegen Körper, der hoffentlich entspannt bleibt, auch geschieht, dann kann man dieser Argumentation ruhig folgen.
Die Ihnen hier vorliegenden Wahlkreiszuschnitte wurden nicht mit Blick durch die Parteibrille vorgenommen,
({7})
sondern auf der Grundlage der gesetzlichen Rahmenbedingungen und damit nach sachlichen Kriterien. Ausdrücklich darf ich darauf hinweisen, daß in diesem Gesetzentwurf auf Grund der notwendigen Veränderungen Entscheidungen getroffen werden mußten, die uns allen nicht leichtgefallen sind. Ich denke beispielsweise an den Verlust eines Wahlkreises in der Hansestadt Bremen, aber auch an die Aufteilung der kreisfreien Stadt Krefeld auf verschiedene Bundestagswahlkreise. Da es jedoch leider auch in diesen Fällen keine überzeugenden Alternativen gab, mußten diese Entscheidungen auf Grund der Bevölkerungsentwicklung in diesen Gebieten, aber auch auf Grund der Entscheidung, die Zahl der Wahlkreise zu reduzieren, leider so getroffen werden. Wegen der Sonderproblematik Bremen verweise ich auf die bereits vom Innenausschuß beschlossene Resolution.
Zum Schluß - aber keineswegs colorandi causa - darf ich sowohl den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Statistischen Bundesamtes als auch des Innenministeriums - und hier insbesondere Frau Rogall-Grothe - für ihre beispielhafte Unterstützung danken. Ohne ihre Sachkenntnis und technische Unterstützung wäre es nicht möglich gewesen, den umfangreichen Gesetzentwurf in so kurzer Zeit zu beraten und dem Parlament bereits heute beschlußreif zur Entscheidung vorzulegen.
({8})
Die Unterstützung und Zusammenarbeit waren hervorragend und beispielhaft sowie eine wichtige Voraussetzung dafür, daß gute Wahlkreiseinteilungen gefunden werden konnten. Der Kollege Penner weist als Ausschußvorsitzender zutreffend darauf hin, daß auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sekretariates des Innenausschusses in den allumfassenden Dank einbezogen werden sollten.
Dem vorliegenden Gesetzentwurf kann jedes Mitglied des Hauses freudig und guten Gewissens zustimmen. Darum bitte ich Sie.
Danke schön.
({9})
Jetzt hat der Abgeordnete Fritz Rudolf Körper das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wir wollen uns beim Statistischen Bundesamt für die hilfreiche Zusammenarbeit und auch beim Innenministerium bedanken, obwohl man das vielleicht nicht glauben würde. Aber das Verhalten dieses Hauses war in Ordnung: sowohl uns, der Opposition, gegenüber und als auch dem Ausschußsekretariat gegenüber.
Wir von seiten der SPD-Bundestagsfraktion hätten uns gewünscht, daß bei dem ureigenen parlamentarischen Thema Wahlkreiseinteilung ein Konsens erzielt worden wäre. Das hätte dem Deutschen Bundestag gut angestanden.
({0})
Sie sehen aber an der Liste unserer zahlreichen Änderungsvorschläge, daß wir diesen Konsens trotz langwieriger Verhandlungen und einer kompromißbereiten Haltung der SPD-Bundestagsfraktion nicht erzielen konnten. Das Einvernehmen in Wahlrechtsfragen hat in diesem Hause eigentlich eine gute Tradition. Diese Tradition ist aber leider schon bei der Verabschiedung des 13. Änderungsgesetzes zum Bundeswahlgesetz aufgebrochen worden, als es hier auch zum Streit gekommen ist.
Die Reduzierung der Wahlkreise findet unsere Zustimmung sowohl in bezug auf die Gesamtzahl der Mitglieder des Bundestages als auch in bezug auf die Reduzierung der Wahlkreise selbst. Für die Toleranzgrenzen von 15 und 25 Prozent gilt das gleiche. Nur denke ich, daß diese Grenzen für alle gelten sollten und nicht nur einseitig betrachtet werden sollten.
({1})
Die Bundesländer sind auf Grund ihrer unterschiedlichen Bevölkerungsentwicklung unterschiedlich von der Einsparung von Wahlkreisen betroffen. Wir hatten einvernehmlich einen Verhandlungsweg vereinbart und einen Terminplan festgelegt. In vielen Ländern hat das auch geklappt: Wir haben uns immerhin in neun Bundesländern - je nachdem, wie man Bremen zählt, in zehn - geeinigt. Bremen stellt in der Tat einen Sonderfall dar, und ich bin froh, daß es zu der vorliegenden Entschließung gekommen ist, die die Bevölkerungsentwicklung von Bremen bei der Frage berücksichtigt, ob es bei zwei Wahlkreisen bleiben soll oder zu einem dritten kommen kann.
Auf der anderen Seite ist es wenig erfreulich, was die Wahlkreiseinteilung in den größeren Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Thüringen angeht. Hier gelang es nicht, eine Einigung zu erzielen. Insbesondere in Bayern und Baden-Württemberg, aber auch in Nordrhein-Westfalen haben CSU und CDU nach meinem Dafürhalten eine rücksichtslose Machtpolitik betrieben und einzig und allein ihre parteipolitischen Interessen beim Zuschnitt der Wahlkreise in den Vordergrund gestellt.
({2})
Sie haben beispielsweise in Bayern und Baden-Württemberg jeweils den Wahlkreis eingespart, der von der SPD gewonnen worden war.
({3})
- Beispielsweise beim Wahlkreis München-Mitte, der 1994 von der SPD gewonnen wurde. Exakt dieser Wahlkreis soll bei dieser Reform wegfallen; das entspringt einem machtpolitischen Kalkül und sonst nichts.
({4})
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen das auch belegen. Das Statistische Bundesamt hat den Vorschlag gemacht, in München aus fünf Wahlkreisen vier zu schneiden, die zwischen minus 4 Prozent und minus 10,4 Prozent vom Bevölkerungsdurchschnitt abweichen. Der Unterschied zwischen dem bevölkerungsreichsten und bevölkerungsärmsten Wahlkreis hätte also nur etwa 20 000 Einwohner betragen. Weil dies der CSU nicht paßte - für sie stimmten die Mehrheitsverhältnisse nicht -, hat man kurzerhand einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, der einen Abstand von zirka 45 000 Einwohnern herbeiführt. Das ist Willkür.
({5})
Ähnliches gilt für Baden-Württemberg - ich will die Problematik nur an einigen Beispielen festmachen -, wo die Schäuble-Connection unter Umgehung aller objektiven Kriterien dafür gesorgt hat, daß nur sichere CDU-Wahlkreise „gestrickt" worden sind.
({6})
Meine Damen und Herren, das krasseste Beispiel - ich will Ihnen dies hier noch einmal vorführen - ist der Wahlkreis Mannheim. Auch hier wurde mit einem der beiden Mannheimer Wahlkreise ein langjährig von der SPD gewonnener Wahlkreis zerschlagen. Aber statt nun aus dem Stadtkreis Mannheim einen einheitlichen Wahlkreis zu bilden, hat die CDU noch Randgemeinden aus dem Rhein-Neckar-Kreis hinzugenommen nach dem Motto: Hauptsache, unsere CDU-Mehrheit ist gesichert. Das hat mit objektiven Kriterien und deren Einhaltung absolut nichts zu tun; das ist ausschließlich parteipolitisch motiviert. Deswegen können wir dem auch nicht zustimmen.
({7})
Meine Damen und Herren, ähnliches spielt sich in Nordrhein-Westfalen ab. Auch hier hat die CDU mehrere Wahlkreise - entgegen den Vorschlägen des Bundeswahlleiters - so geschnitten, daß sie für einen SPD-Kandidaten bzw. eine SPD-Kandidatin schwerer zu gewinnen sind. Obwohl sich die nordrhein-westfälische Landesgruppe der SPD bis zur letzten Minute um Konsensfindung bemüht hat, hat sich die CDU nicht bereit gefunden, eine einvernehmliche Lösung zu akzeptieren. Der Kollege Bosbach hat ja zu Recht darauf hingewiesen, daß das Fehlen eines Konsenses nicht ausschließlich an der SPD liegt. Hätte er das an die CDU/CSU-Fraktion gerichtet, wäre der Adressat richtig gewählt gewesen.
({8})
Als Beispiel nenne ich das nördliche Münsterland, wo die Wahlkreise in der Region um Steinfurt unnötigerweise so geschnitten wurden, daß sie trotz hoher Bevölkerungsdichte eine Ost-West-Ausdehnung bis zu 100 Kilometern - und nicht, wie in der Vorlage behauptet wird, bis zu 80 Kilometern - erreichen. Auf der Karte sieht man die beiden Schlauchgebilde - Herr Kollege Schlauch, das hat nichts mit Ihnen zu tun - sehr gut. Hier wurde von seiten der Koalition nach dem Motto verfahren: Wir sehen zu, daß die SPD im nächsten Jahrtausend auf dem Schlauch steht.
({9})
Nach dem Gesetzentwurf der Regierungskoalition werden auch in Köln und Essen Stadtteil- und Stadtbezirksgrenzen durchschnitten, so wie dies übrigens auch bei dem Münchener Beispiel der Fall ist. Dies alles geschieht nur, um den Wahlkreis für einen SPDKandidaten oder eine SPD-Kandidatin schwerer gewinnbar zu machen. - Nein, meine Damen und Herren, so geht es nicht.
({10})
Ich finde es im Grunde genommen unerträglich, daß die Koalitionsfraktionen mit der Mehrheit ihrer Mitglieder darauf beharrt haben, daß das Thema Wahlkreisneueinteilung bereits an diesem Freitag auf der Tagesordnung des Bundestages steht. Zwischen der abschließenden Beratung des Innenausschusses und der Beschlußfassung liegen somit nur zwei Tage. Angesichts unserer Korrekturliste, die hier vorliegt, ist offensichtlich, daß das nicht der Sache dient. Doch die Koalitionsfraktionen wollen hier um jeden Preis die Verabschiedung des Gesetzes über die Wahlkreisneueinteilung mit ihrer Mehrheit durchpeitschen. Eine andere Wortwahl fällt mir dazu nicht ein.
Meine Fraktion wird auf Grund der von CDU und CSU betriebenen parteipolitischen Prägung der Wahlkreiseinteilung dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen. Der Kollege von der F.D.P.
sollte sich eigentlich überlegen, ob sich seine Partei dafür von CDU und CSU einspannen läßt.
({11})
Wir haben einen umfangreichen Änderungsantrag vorgelegt, der neben den bereits dargestellten krassen Fällen weitere Änderungsvorschläge enthält. Um Mehrheiten sollte in einer Demokratie im politischen Wettstreit gekämpft werden und nicht durch vom Machtkalkül geprägte Tricksereien im Wahlrecht.
({12})
Wenn wir in der neuen Legislaturperiode die Möglichkeit dazu haben, werden wir diesen Tricksereien ein Ende setzen. Ich kann Ihnen garantieren, daß unsere Wiedervorlage gut funktioniert.
Schönen Dank.
({13})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rezzo Schlauch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Bosbach, wenn der Herr Marschewski Sozialarbeiter ist, dann werde ich zur Betschwester.
({0})
Sie haben einen Vergleich gebraucht, der überhaupt nicht hingehauen hat.
Zur Sache. Daß wir heute mittag noch schnell das Wahlkreisneueinteilungsgesetz abschließend im Bundestag durchziehen, wäre überhaupt nicht nötig gewesen; denn die interfraktionelle Einigung bestand darin, daß dieser Bundestag den Neuzuschnitt der Wahlkreise beschließt. Er hätte dazu bis zum Juni Zeit gehabt und hätte dies in einem normalen Zeitablauf beraten können. Daß das nun auf Druck der Koalition am Freitag, dem 13., passieren muß, legt mir die Frage nahe, warum Sie es denn so eilig haben. Außerdem habe ich noch ein bißchen Hoffnung, daß Ihnen das, was hier am Freitag, dem 13., zur Verabschiedung ansteht, irgendwann in der nächsten Zeit auf die Füße fällt.
({1})
Mit der Neueinteilung aller Wahlkreise wird der Beschluß des Bundestages, sich zu verkleinern, umgesetzt. Auch wir haben dieser Verkleinerung zugestimmt. Die beschlossene Senkung der Toleranzgrenzen bei der Wahlkreisneueinteilung war uns schon lange ein Anliegen, dessen Umsetzung im vorliegenden Gesetzentwurf wir mittragen.
Der Gesetzentwurf der Koalition mit Angaben über 299 Wahlkreise, die neu geschnitten werden sollen, liegt dem Bundestag erst seit drei Wochen vor. Eine angemessene Bewertung ist für eine kleine Fraktion wie die unsrige kaum zu machen; da hat es eine die Regierung tragende Koalitionsfraktion mit Hilfe der Bundesministerien natürlich sehr viel einfacher.
Aber daß Sie sich schwergetan haben, wird auch daran deutlich, daß Sie im Innenausschuß noch einen umfangreichen Änderungsantrag vorgelegt haben. Es entspricht überhaupt nicht den Gepflogenheiten im Innenausschuß, daß bei Vorliegen zweier umfangreicher Anträge sofort abgestimmt wird und sie innerhalb von zwei Tagen im Plenum behandelt werden. Deshalb lehnen wir dieses Gesetz schon aus Verfahrensgründen ab.
({2})
Hinzu kommt: Es ist offenkundig, daß die CDU/ CSU die Wahlkreise so zuschneidet, daß sie sich diese zur Beute machen kann. Kollege Körper hat die gravierendsten Beispiele genannt - Mannheim, München, Steinfurt. Eine Manipulation soll Ihnen ermöglichen, dort Direktkandidaten durchzubringen. Das hat mit gewachsenen Grenzen, mit Tradition und mit den Kriterien, die dieses Gesetz vorsieht, überhaupt nichts zu tun.
({3})
Solche Versuche, die Gelegenheit zu nutzen, um parteitaktische Vorteile zu erheischen, sind zwar nicht strafbar, aber sie sind durchsichtig, und letztlich werden sie sich nicht auszahlen. Sie schaden mit solchen Albernheiten der Demokratie, und Sie machen sich auch bei den Wählerinnen und Wählern lächerlich.
Wir Grünen waren bislang, was die Eroberung von Direktmandaten für den Deutschen Bundestag angeht, außen vor. Diesen Zustand werden wir aber ändern - mit guten Kandidatinnen und Kandidaten, mit inhaltlichem Profil und nicht mit so billigen Tricksereien, wie sie in diesem Gesetz enthalten sind, das wir deshalb ablehnen.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Irmer.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kurz in Erwiderung auf diesen Zwischenruf: Kollege Stadler, der heute nicht hier sein kann, hat mich gebeten, für ihn einzuspringen.
({0})
Ich verstehe die ganze Aufregung nicht.
({1})
- Nein, Augenblick; ich verstehe es nicht.
Ich habe erfahren, daß in gut 290 Fällen völlige Einigkeit erzielt wurde und daß lediglich acht oder neun Fälle streitig geblieben sind.
({2})
Die Aufregung verstehe ich deshalb nicht, weil ja für die Bundestagswahl sowieso das verbesserte Verhältniswahlrecht gilt, so daß sich durch die Eroberung eines Wahlkreises durch einen Direktbewerber das Machtverhältnis und das Kräfteverhältnis hier im Bundestag überhaupt nicht verändern,
({3})
weil für den direkt eroberten Wahlkreis ja ein Platz auf der Liste wegfällt.
({4})
Herr Kollege Körper, Sie haben gesagt, die F.D.P. ließe sich von der CDU/CSU vereinnahmen. Abgesehen davon, daß wir das nie mit uns machen lassen - wie allgemein bekannt ist - und wir immer mit Überzeugung das vertreten, was wir für richtig halten,
({5})
treten wir auch für diesen Gesetzentwurf mit Überzeugung ganz einfach deshalb ein,
({6})
weil er dazu beitragen wird, daß es weniger Überhangmandate geben wird. Die Überhangmandate führen ja in der Tat zu einer leichten Verzerrung der durch die Zweitstimmen erfolgten Festlegungen.
Meine Damen und Herren, das Gesetz ist - von wenigen Ausnahmen abgesehen - übereinstimmend so formuliert worden. Ich will noch darauf hinweisen, daß dieses Gesetz nur die Folge unseres gemeinsamen Beschlusses ist, den Bundestag zu_ verkleinern. Nun möchte ich in diesem Zusammenhang ein wirklich ernstes Wort anbringen: Die Verkleinerung von Parlamenten ist ja eine äußerst populäre Forderung. Letzten Sonntag ist in Bayern durch Volksentscheid der Landtag verkleinert worden, und es gibt in Bayern Bestrebungen, den Landtag noch weiter zu verkleinern. Ich warne davor, in der Verkleinerung von Parlamenten ein Allheilmittel für die Verschlankung unseres Staates zu sehen.
({7})
Wir sollten lieber bei der Verwaltung anfangen; da ist das nämlich sinnvoller.
({8})
Eine Verkleinerung der Parlamente darf es nur in einem geringen Umfang geben. Ansonsten kommen wir nämlich in ein großes Dilemma: Bei zu kleinen Parlamenten mit entsprechend größeren Wahlkreisen wird es dem einzelnen Abgeordneten nicht möglich sein, seine Aufgaben, die er jetzt in Bonn, später in Berlin - oder auch in München, im Landtag - tut, vernünftig zu erledigen, zugleich aber jene Nähe zum Bürger zu haben, die ja auch von einem Abgeordneten völlig zu Recht verlangt wird. Je kleiner die Parlamente sind, desto mehr Arbeit kommt auf den einzelnen Abgeordneten zu. Ich sehe bei einer zu starken Verkleinerung von Parlamenten durchaus die Gefahr, daß die von uns allen gewünschte und für erforderlich gehaltene Bürgernähe verlorengeht.
({9})
Dieser Gefahr sind wir bisher aus dem Weg gegangen. Aber ich meine, daß der Bundestag in der so zusammengestutzten Form genau die Größe hat, die für die erforderliche Arbeitsleistung, aber auch für die Bürgernähe gebraucht wird.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rolf Kutzmutz.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Phantasie, ständig etwas zu verändern, ohne etwas zu verbessern, kennt offensichtlich keine Grenzen. Wählerinnen und Wähler werden in einer unerträglichen Art und Weise zum Spielball von Parteienpolitik gemacht.
({0})
- Ach, Herr Marschewski.
Es gibt nur einen einzigen Grund, das Tempo vorzulegen, das Sie heute vorlegen: Sie wollen die Wahlkreise so zuschneiden, wie Sie sie brauchen. Andere Redner haben darauf hingewiesen, und bei denen haben Sie nicht dazwischengerufen.
({1})
Auch Ihr Hinweis auf die Länder, Herr Kollege Bosbach, belegt das. Es gibt überhaupt keine Rechtfertigung dafür, daß Sie auf die anderen zeigen, aber selbst so handeln.
Ein Antrag der Grünen im Innenausschuß, auf Grund umfangreicher Änderungsvorschläge - noch am Dienstag - die Beratung zu verschieben, wurde von der Koalition mit einem Handstreich abgelehnt.
Immerhin wurde in sechs Ländern keine Einigung erzielt. Im Land Brandenburg lag den Parteien nur ein Referentenentwurf zur Mitsprache vor. Es gab keinerlei Möglichkeiten der nochmaligen Abstimmung. Der Grundsatz, daß die Grenzen der Gemeinden, Kreise und kreisfreien Städte nach Möglichkeit eingehalten werden sollen, hält zumindest im Land Brandenburg einer Prüfung nicht stand. Völlig ohne Not werden Landkreise sogar dreimal zerteilt, wie in Brandenburg der Teltow-Fläming-Kreis. Am deutlichsten wird das Desaster in Berlin, wo die Ostwahlkreise zerschnitten und Stadtbezirken im ehemaligen Westteil zugeschlagen werden. Das ist reine Wahl; kreisgeometrie - ein PDS-Schelm, der Böses dabei denkt.
({2})
Wenn das kein Parteienpoker ist - was dann?
Die Vergrößerung der Wahlkreise als logische Folge der Verkleinerung des Parlaments löst natürlich keines der eigentlichen Probleme. Es schafft aber eines, welches ich ausdrücklich benennen möchte: Es macht die Transparenz, die gesamte Wahlkreisarbeit und auch das Wecken politischer Interessiertheit insgesamt in dünnbesiedelten Gegenden schier unmöglich. Im Gegenteil: Die Distanz zwischen Wählerinnen und Wählern und der oder dem Abgeordneten wird größer, und das erhöht selbstredend die Politikverdrossenheit.
({3})
Abschließend: Die Augenwischerei wird perfekt, wenn auch noch ernsthaft davon ausgegangen wird, daß sich damit das Problem der Überhangmandate löst. Sie wissen natürlich, daß dem nicht so ist.
Die PDS stimmt aus all diesen Gründen diesem mit heißer Nadel genähten Gesetzentwurf nicht zu.
({4})
Vizeprásidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. - Zunächst: Mir liegen persönliche Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung von den Abgeordneten Dieter Pützhofen, Peter Dreßen, Heinz-Günter Bargfrede, Konrad Kunick, Ilse Janz, Andreas Storm, Wolfgang Steiger, Bernd Scheelen und Rolf Olderog vor. Sind Sie einverstanden, daß diese Erklärungen zu Protokoll gegeben werden? *) - Danke schön.
Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zur Neueinteilung der Wahlkreise für die Wahl zum Deutschen Bundestag in der Ausschußfassung auf den Drucksachen 13/9598 und 13/9871 Buchstabe a. Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9887? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
*) Anlage 3
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Stimmen der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt worden.
Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag des Abgeordneten Dieter Pützhofen auf Drucksache 13/ 9914. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei einigen Stimmen aus der SPD und einigen Stimmen aus der CDU/CSU
({5})
- mehreren Stimmen aus der CDU/CSU - bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben die anderen sonst dagegengestimmt. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Wer stimmt nun für den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition bei einigen Enthaltungen aus der CDU/CSU angenommen worden.
Wir kommen nun zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden.
Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu dem Bericht der Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages mit den abschließenden Empfehlungen zur Vorbereitung der Verkleinerung des Deutschen Bundestages und zu Vorschriften des Bundeswahlgesetzes. Das sind die Drucksachen 13/1803, 13/2800 und 13/9871 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS angenommen worden.
Der Innenausschuß empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/9871 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angenommen worden.
Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 13/9388- ({6})
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Margareta Wolf ({7}) und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung
- Drucksache 13/8846 -({8})
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({9})
- Drucksache 13/9875 Berichterstattung:
Abgeordnete Jelena Hoffmann ({10})
Es liegen ein Entschließungsantrag und ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Außerdem wurde ein gemeinsamer Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebracht. Die Gruppe der PDS hat zwölf Änderungsanträge eingebracht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Karl-Heinz Scherhag.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Novellierung der Handwerksordnung in dieser Legislaturperiode ist von besonderer Bedeutung. Jeder Bürger hat tagtäglich mit dem Handwerk zu tun, ohne daß er dies in seinem Bewußtsein wahrnimmt. Ob man den Wasserhahn bedient, Brötchen kauft, den Lichtschalter betätigt oder mit seinem Auto zur Arbeit fährt, immer sind zuvor Handwerker tätig geworden.
Das deutsche Handwerk ist auch Deutschlands größter Arbeitgeber und Garant für Lehrstellen und Arbeitsplätze.
({0})
Deshalb ist eine Novellierung der Handwerksordnung von besonderer Brisanz. CDU/CSU, SPD und F.D.P. legen heute einen ausgewogenen, guten Gesetzentwurf vor.
Schon in der 12. Legislaturperiode wurde die Handwerksordnung in Teilbereichen novelliert. Die Neuordnung der Anlagen A und B wurde dem 13. Deutschen Bundestag übertragen. 1994 ging man noch von einer Halbierung der 127 Berufe aus. Die eingesetzte Arbeitsgruppe bestand zunächst aus Vertretern der CDU/CSU und F.D.P. Es wurde ein Eckwertepapier geschaffen, in dem folgende Kriterien festgelegt wurden: Der große Befähigungsnachweis sollte nicht in Frage gestellt werden, EU-Richtlinien sollten berücksichtigt werden. Die Berufe, die es nur in den neuen Ländern gab, mußten integriert werden. Bestand von Arbeits- und Ausbildungsplätzen sowie Wachstum und Zukunftsaussichten für die nächsten Jahre waren wichtige Punkte. Auch durfte die Tradition nicht auf der Strecke bleiben. Letztendlich war der wichtigste Punkt, daß dem Kunden möglichst viel Arbeit aus einer Hand angeboten werden sollte.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, es war eine schwierige Aufgabe. Die Interessen der Verbände der deutschen Wirtschaft, der Gewerkschaften und der Fachverbände waren zu berücksichtigen. Alle 127 Berufe wurden der Kriterienprüfung unterzogen, und es stellt sich sehr schnell heraus, daß mehr als zwei Drittel der Berufe ohne Veränderung bleiben konnten. Ein weiterer Teil wurde durch Zusammenlegen und Verwandtschaften geregelt.
Die Koalitionsarbeitsgruppe war von Anfang an der Meinung, daß alle Fraktionen an diesem Gesetz gemeinsam mitarbeiten sollten. Nach einer ersten gemeinsamen Sitzung aller Fraktionen erklärten die Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen jedoch, daß sie einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen wollten. Was dabei herauskam, können wir heute sehen, und wir werden diesen Gesetzentwurf ablehnen.
Eine Liberalisierung und der Wegfall des großen Befähigungsnachweises bei Beschränkung auf nur noch fünf Handwerke, wie von Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Gesetzentwurf empfohlen, kann bei Kenntnis der Sachlage des deutschen Handwerks keinerlei Zustimmung finden.
({1})
Ein solches Gesetz würde eine Systemveränderung des dualen Ausbildungssystems bedeuten, was schon allein angesichts der schwierigen Situation auf dem Lehrstellenmarkt und gegen das Interesse der Lehrstellensuchenden zu einer Katastrophe führen müßte.
CDU/CSU, SPD und F.D.P. haben den heute vorgelegten gemeinsamen Gesetzentwurf in allen Details diskutiert. Es wurden Anhörungen mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks, dem Deutschen Industrie- und Handelstag und dem Deutschen Gewerkschaftsbund durchgeführt. Die Vertreter der noch strittigen Berufsgruppen wurden eingeladen. In den Anhörungen wurde Meinungsbildung betrieben, wobei dort aber zum Ausdruck kam, daß das Handwerk nicht immer mit einer Stimme spricht. Vielmehr votierten die einzelnen Berufsgruppen auch gegeneinander.
Alle Vorschläge und Veränderungswünsche wurden sorgfältig geprüft. Ich möchte an einigen Beispielen verdeutlichen, daß auf Grund der Anhörungen nicht alle Wünsche realisiert werden konnten: so zum Beispiel beim Druckgewerbe, das zwar im Offsetdruck in Zukunft wie bisher ausbilden und Meisterprüfungen durchführen kann, ohne daß aber der Offsetdruck ein Vorbehaltsbereich des Handwerks wird.
Gleiches war bei den Kosmetikern der Fall, wo die angehörten Betriebe und Organisationen die Meinung vertraten, daß eine Ausbildung im Betrieb im Rahmen des dualen Systems nicht möglich sei, sondern die Fachschulen hierzu notwendig wären. Deshalb konnte auch dieser Beruf nicht als rein handwerkliche Tätigkeit gemäß Anlage A angesehen werden.
Viele Falschmeldungen gab es im Kommunikationsbereich, also im Bereich der PC- und Computerwelt. Hier wurden die Berufe Büroelektroniker und Radio- und Fernsehtechniker zu einem Beruf Informationselektroniker zusammengefaßt, ohne daß der sich selbständig entwickelnde PC-Markt hierdurch Einschränkungen erfahren hätte. Auch die strukturierte Verkabelung wurde als Vorbehaltsbereich gestrichen, da - dies wissen Sie alle - Vernetzungen innerhalb von PC- und Computerkonfigurationen auch vom Handel ausgeführt werden können. Auch das Auswechseln von Modulen spielte bei unserer Diskussion eine besondere Rolle.
Trotz dieser Veränderungen hat auch das Handwerk in diesem sich sehr stark entwickelnden Markt große Chancen. Eine wesentliche Veränderung, die widerspiegelt, welche Chancen das Handwerk hat, zeigt die Tatsache, daß in Zukunft in einem Gewerk mehrere Ausbildungsberufe möglich sind und damit mehr Lehrstellen geschaffen werden.
({2})
Ein Beispiel hierfür: die Zusammenlegung von KfzMechanik und Kfz-Elektrik. Bisher gab es 3 000 KfzElektrikbetriebe und 52 000 Kfz-Mechanikerbetriebe. Die 3 000 Elektrobetriebe waren aber nicht in der Lage, den Bedarf der 52 000 Kfz-Betriebe an Lehrstellen und Nachwuchs zu sichern. Durch die Zusammenlegung ist es jetzt möglich, daß auch die Kfz-Betriebe Kfz-Elektriker ausbilden können, so daß wir mehr Lehrstellen bereitstellen und den Bedarf decken können. Außerdem kann dann auch das Handwerk neue Ausbildungsberufe entwickeln und sie den bestehenden Berufsbildern zuordnen, was bisher nur in der Industrie möglich war.
Meine Damen und Herren, den uns heute von der SPD vorgelegten Änderungsantrag müssen wir ablehnen. Er macht Vorschläge, die bereits sehr intensiv beraten wurden und deren Auswirkungen nicht im Einklang mit den von mir dargestellten Kriterien stehen.
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Ich danke der SPD jedoch, daß sie im Vorfeld die Zustimmung zu dem gemeinsamen Gesetz nicht von der Zustimmung zu ihrem Änderungsantrag abhängig gemacht hat.
Auch zu unserem gemeinsamen Entschließungsantrag habe ich noch eine Anmerkung. Zur Zeit gibt es ein schwebendes Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Wahlordnung in der Anlage C. Sollte das erstinstanzliche Urteil bestätigt werden, müßte der Gesetzgeber schnellstens eine neue Wahlordnung verabschieden, damit die anstehenden Kammerwahlen korrekt durchgeführt werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Die neue Handwerksordnung ist nach Abwägung aller vorgebrachten Bedenken, Anregungen und Veränderungen eine Ordnung, die dem Handwerk Flexibilität und Entwicklungen im Wettbewerb mit europäischen Konkurrenten und mehr Arbeiten aus einer Hand ermöglicht sowie eine Organisationsreform zur Folge hat, die durch die Zusammenlegung der Berufe die Betriebe auch finanKarl-Heinz Scherhag
ziell entlastet. Da geht es auch um Lohnnebenkosten.
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Ich hoffe, daß die nicht immer sachgerechten Argumentationen und Angriffe gegen die Arbeitsgruppe nun ein Ende haben werden und wir alle uns anderen, sehr wichtigen Aufgaben widmen können: der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Förderung von Existenzgründungen und der Erweiterung des Lehrstellenangebotes.
Ich danke allen, die an diesem Gesetz mitgearbeitet haben, insbesondere meinen Kollegen Dr. Kolb, Ernst Hinsken, Dr. Pohler, Herrn Türk und Herrn Schwanhold sowie den Mitarbeitern des Wirtschafts-, des Bau- und des Bildungsministeriums.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Schwanhold.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Wort des Dankes an das Handwerk anfangen. Das scheint mir wichtiger zu sein, als uns selbst dafür auf die Schulter zu klopfen, daß wir unter schwierigen Bedingungen etwas zu Ende gebracht haben.
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Das Handwerk ist ein wesentlicher, wie ich finde, entscheidender Wirtschafts- und auch Gesellschaftsfaktor. 40 Prozent aller jungen Menschen werden im Handwerk vorzüglich ausgebildet. Das muß an einem Tag, an dem auch schmerzhafte Eingriffe für das Handwerk vorgenommen werden, deutlich gemacht werden.
Daß es im Handwerk ein großes Beharrungsvermögen gibt, wissen wir alle. Daß das Handwerk uns die Debatte nicht leichtgemacht hat, können wir, ohne falsche Blumen zu verteilen, deutlich sagen. Ich will mich in diesem Zusammenhang ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen der Gewerkschaften bedanken, die diesen Diskussionsprozeß in sehr konstruktiver Weise begleitet haben.
Das will ich auch an die Adresse der Industrie- und Handelskammern sagen. Es kann durchaus hilfreich sein, Arbeitnehmervertreter in den Gremien zu haben, die sich in die Debatte konstruktiv einmischen.
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Das Handwerk wird auch in Zukunft ein wesentlicher Wirtschaftszweig sein. Wir wollen diesen sichern, stabilisieren und helfen, daß er ausgebaut werden kann. Dazu dürfen nicht künstlich Grenzen gesetzt werden. Vielmehr muß das Handwerk den Wettbewerb im Markt bestehen.
Deshalb will ich dem Handwerk gerne einen Hinweis geben: Es wird für die Zukunft keinen Sinn machen, zu versuchen, sich über Richterrecht bestimmte Vorbehaltsbereiche neu zu erarbeiten, die der Gesetzgeber mit dieser Änderung der Handwerksordnung ausdrücklich nicht gewollt hat.
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Das gilt für unterschiedliche Bereiche, zum Beispiel für den EDV-Bereich oder auch den Druckbereich.
Wir haben ausdrücklich deutlich gemacht, daß der Wettbewerb eröffnet werden soll, da der Ausbildungsweg neue Technologien eröffnet und man sich in neue Technologien vorarbeiten kann.
Die Änderung der Handwerksordnung ist ganz sicher ein Meilenstein für ein flexibles, kundenorientiertes Handwerk. Mit der Zuordnung von Tätigkeiten und neuen Verwandtschaften haben wir bei aller Fragwürdigkeit in vielen Bereichen gute Möglichkeiten eröffnet.
Aber auch das will ich nicht verhehlen: In einigen Fällen haben wir uns nicht wirklich einigen können - trotz stundenlanger und tagelanger Debatten. Ich wäre sehr froh gewesen, wenn Partikularinteressen oder manchmal auch nur Individualinteressen im Interesse des Ganzen und im Interesse des Handwerks in besonderem Maße etwas zurückgestellt worden wären.
Für die SPD-Bundestagsfraktion war entscheidend, daß die dynamische Entwicklung des Handwerks weder behindert noch eingeschränkt wird. Daneben durfte allerdings auch keine industrielle oder nichthandwerkliche Struktur so angegriffen werden, daß sich dort entwickelnde oder schon ausgebaute Bereiche nicht hätten weiterentwickeln können. Auch das ist im Sinne der Sicherung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen erforderlich gewesen. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die in den beiden Problembereichen der Druck- und EDV-Branche gefundenen Lösungen, die ein Nebeneinander und diesen Wettbewerb eröffnen.
Zur strukturierten Verkabelung ist das Notwendige gesagt worden.
Daß wir den Eckpfeiler der Handwerksordnung, nämlich § 45, neu formuliert haben, ist für einige schmerzlich, aber es war notwendig. Jetzt wird endlich klargestellt, daß die Inhalte der Meisterprüfungsverordnungen nicht zum Zweck der Festlegung von Vorbehaltsbereichen geschaffen werden, daß aber das Handwerk im Zuge der dynamischen Entwicklung an Fortschritt und Innovationen teilhaben soll und auch teilhaben muß.
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Auf Antrag der SPD ist es gelungen ist, Fehler, die sich anfangs eingeschlichen haben - das ist der einzige Kritikpunkt, den ich an die Koalition richten will -, auszuräumen.
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Einen ersten Entwurf vorzulegen, der dann in der Welt ist und Erwartungen weckt, an denen man selber hinterher gemessen wird und von denen man weiß, daß man sie nicht erfüllen kann, behindert eher die Debatte, als daß es das Zustandekommen einer konsensualen Lösung fördert.
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Wenn wir über den ersten Entwurf frühzeitiger diskutiert hätten, hätten Sie sich manche peinlichen Rückzugsmanöver selbst ersparen können.
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Erst in letzter Sekunde ist es ja möglich geworden, daß die Betonstein- und Terrazzohersteller ein selbständiges Handwerk bleiben. Wenn ich mir vorstelle, welche Zusagen Sie in diesem Bereich gemacht haben, dann ist es richtig gewesen, daß wir so intensiv gerungen haben.
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- Herr Kollege Hinsken, ich sage doch gar nichts mehr zu der Verwandtschaftserklärung, die bestimmte Bereiche angeht, und zu dem Handwerk aus einer Hand. Ich denke dabei an Brötchen und Torten. Es wäre doch in Ordnung gewesen, dazu zu schweigen.
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Ich sage zu einem ganz anderen Punkt etwas: Ich finde es völlig in Ordnung, daß wir uns Gedanken auch darüber gemacht haben, wie der Wettbewerb auf dem europäischen Arbeitsmarkt insbesondere für das Handwerk neu gestaltet werden kann. Wir haben außerhalb unseres Landes eine Wettbewerbssituation, die die Anpassung zum Beispiel im Baubereich dringend notwendig machte, selbst wenn sie schmerzhaft war und manches nur in einigen Regionen vorangetrieben worden ist und in anderen nicht.
Ich finde in diesem Zusammenhang, daß die Wettbewerbssituation für ein gut Teil der Dachdecker in dieser Republik ausdrücklich erschwert wurde. Ich gehe aber davon aus, daß sie sich auf Grund der Flexibilität des Handwerks den neuen Markt, der ihnen dadurch eröffnet worden ist, daß sie in das Zimmereigewerbe hineingehen dürfen, sehr schnell erschließen können.
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Ich will sie ausdrücklich dazu ermuntern, damit sie den Wettbewerb bestehen können.
({10})
Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt ansprechen, der, wie ich glaube, ebenfalls von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Wir haben Verwandtschaften zwischen dem Malergewerbe und den Stukkateuren hergestellt. Das war notwendig, weil beide so weit in andere Bereiche vorgedrungen sind, daß die bestehenden Verwandtschaften auch formal festgeschrieben werden mußten. Wir gehen aber in zwei unterschiedliche Tarifbereiche hinein, und zwar einerseits in den Tarifbereich Bau, was erhebliche Wettbewerbsnachteile für den Stukkateurbereich beinhaltet. Der Malerbereich kann dorthin vordringen, ohne daß es einen adäquaten Ausgleich von seiten der Stukkateure hin zu den Malern gibt.
Es wäre klug gewesen, unserem Änderungsantrag zu folgen und diesen Verwandtschaftsbereich auf die Wärmedämmung und -isolierung zu begrenzen. Das ist der Bereich, der wirklich nicht mehr zu trennen ist. Dann hätte man einerseits das tarifvertragliche Gefüge beibehalten können und andererseits den Wettbewerb und auch die Überschneidungen sinnvoll möglich machen können. Dazu haben Sie sich nicht durchringen können. Ich will dies noch einmal ausdrücklich erwähnen. Es hindert uns aber nicht an der Zustimmung.
({11})
- Zurufe zu diesem Bereich sind relativ wirkungslos, weil ich eines - das muß ich Ihnen einmal sagen -, in dieser zweieinhalbjährigen Debatte gelernt habe, nämlich daß all diejenigen, die über das Handwerk schwätzen, in aller Regel verdammt wenig hineingeschaut haben und nicht wissen, welche Bedeutung das Handwerk hat, welche Vielfalt es innerhalb der Betriebe gibt und wo welche Strukturen verändert werden, wenn man eingreift. Damit muß man sich schon sehr intensiv auseinandersetzen. Sich hierherzustellen, Zurufe zu machen und zu kritisieren, das ist der Sache nicht angemessen.
({12})
Mein Eindruck ist, in der Fraktion der F.D.P. hat es im Vorfeld und bis zum heutigen Tage wenig Beschäftigung damit gegeben.
({13})
Ich plädiere dafür - dies möchte ich ausdrücklich noch einmal an die Adresse des Handwerkes sagen -, den Versuch zu unterlassen, über Klagen, also über Richterrecht, Vorbehaltsbereiche auszudehnen. Die Akzeptanz und der Wettbewerb wird von Ihnen dann gewonnen werden, sehr verehrter Herr Philipp, Chef des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, wenn Sie nicht einerseits nach Liberalisierung rufen und andererseits für sich selbst immer einen geschützten Raum reklamieren.
In diesem Sinne bin ich gerne bereit, auch in Zukunft diesem wirklich wichtigen Wirtschaftsfaktor der Bundesrepublik ein herzliches Glückauf zu wünschen und daran mitzuwirken, daß die Zahl der Arbeits- und Ausbildungsplätze dort weiterhin ausgebaut wird und es prosperierende Unternehmen gibt.
({14})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Margareta Wolf.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schwanhold, Sie haben gerade gesagt, daß es im Handwerk ein großes Beharrungsvermögen gibt. Ich möchte anschließen, daß dieses Beharrungsvermögen durchaus auch in der Politik existiert.
({0})
- Vielleicht auch in anderen Bereichen. Das ist um so bedenklicher.
Wir haben hier in der letzten Woche einen Antrag der Koalitionsfraktionen diskutiert. Damit möchte ich vor allen Dingen Sie, meine Damen und Herren der Koalition, konfrontieren. Dieser Antrag trug den Titel „Arbeit ist genug vorhanden - Neue Initiativen zur Beschäftigungsförderung". Sie versprechen in diesem Antrag 100 000 neue Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich. Ich möchte Ihnen den zentralen Satz im Feststellungsteil dieses Antrages vorlesen. Dort heißt es, es sei von entscheidender Bedeutung, daß der Arbeitsmarkt von Überregulierung und zu hohen Kosten befreit werde.
Sie legen überall unterschiedliche Maßstäbe an; der Antrag von CDU/CSU, SPD und F.D.P., der heute vorliegt, legt diese Maßstäbe an sich selber jedoch überhaupt nicht an. Das aber hätte ich mir sehr gewünscht.
Wir wissen alle, daß der schwierige Zugang zum Handwerk Existenzgründungen behindert. Durch die Pflicht zur Meisterprüfung wird die Gewerbe- und Berufsfreiheit im Handwerk massiv eingeschränkt, und erhebliche Arbeitsplatz- und Ausbildungspotentiale werden verschenkt.
({1})
Die Schwarzarbeit ist im Handwerk nicht ohne Grund so groß.
Die OECD beklagt seit Jahren, daß in Deutschland die Selbständigenquote zu gering sei. Sie sagt, in Deutschland brauche man entsprechende Rahmenbedingungen, dann könne man 500 000 neue Selbständige bekommen.
({2})
- Herr Hinsken, Sie sind doch jetzt Staatssekretär und es ist Freitag nachmittag.
Wenn er da steht, darf er auch fragen.
Das weiß ich.
Lassen Sie die Frage zu?
Ich bin es schon gewohnt; das tut er immer. Bitte, Herr Hinsken.
Verehrte Kollegin Wolf, wären Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß auch ich gerne viele Stunden bei den Beratungen zugebracht habe, damit die Novelle der Handwerksordnung so ausgestaltet wird, daß sie auch im kommenden Jahrtausend Bestand hat?
Nun meine konkrete Frage an Sie: Worauf führen Sie es zurück, daß wir, die Bundesrepublik Deutschland, um unser duales Ausbildungssystem und das Meisterprüfungssystem von aller Welt beneidet werden? Viele Delegationen kommen hierher, um sie kennenzulernen, zu kopieren und dann im eigenen Land einzusetzen.
Herr Kollege Hinsken, Sie haben sich zweieinhalb Jahre zusammengesetzt. Das Ergebnis ist, daß Sie die Zahl der Vollhandwerke nach Anlage A von vorher 125 auf 94 reduziert haben.
({0})
- Ja, auf Wunsch des Handwerks. Das ist doch das zweite Problem. Sie haben die ganze Zeit mit dem ZDH zusammengearbeitet.
Wir sollten uns wirklich einmal über die Rolle der Politik - zur Ausbildung komme ich gleich, Herr Hinsken - Gedanken machen. Besteht sie darin, sich erst einmal mit den Verbänden zusammenzusetzen und dann so etwas wie eine Perspektive zu formulieren? Daran kranken wir doch in Deutschland. Der Reformstau rührt doch daher, und das macht mich wirklich ärgerlich. Es ist entweder der DIHT bei der IHK-Richtlinie oder jetzt das ZDH. Die Politik verständigt sich nicht auf Reformen.
Herr Hinsken, warum haben wir denn in Deutschland ein völlig überreguliertes Gewerberecht? Wir bilden tatsächlich eine Insel innerhalb Europas.
Ich weiß, daß das Handwerk gut ausbildet. Warum aber brauchen wir den Zwang zum Meister in den nicht gefahrgeneigten Betrieben, um gut auszubilden? Das Handwerk ist abhängig von guten Ausbildungsplätzen. Es gibt eine hohe Ethik im Handwerk genauso wie in der Industrie. Die kleinen und mittleren Unternehmen bilden deshalb aus, weil sie eine Verantwortung für die Zukunft haben.
Sie können mir doch nicht erzählen, daß Ihr Gesetzentwurf tatsächlich die Ausbildungssituation im Handwerk nachhaltig verbessert. Das stimmt so nicht, Herr Hinsken.
({1})
- Nein, das stimmt so nicht.
Frau Kollegin, es hat noch jemand den Wunsch nach einer Zwischenfrage, nämlich der Kollege Hirche.
Bitte schön.
({0})
- Ich wollte gerade sagen: Sie sind nicht beschäftigt. Auch Herr Hirche ist Parlamentarischer Staatssekretär. Vielleicht sind diese überflüssig.
Frau Kollegin, Sie haben eben kritisiert, daß sich die Koalitionsfraktionen mit dem Handwerk abgestimmt haben. Ist es nicht so, daß Sie besonderen Wert darauf legen, sich in Umwelt- und Naturschutzfragen mit den Umwelt- und Naturschutzverbänden und den Betroffenen abzustimmen? Ist nicht der Grundsatz, mit den Betroffenen zu reden, ein integraler Bestandteil von Demokratie?
Herr Kollege Hirche, niemand hat etwas dagegen, Verbände zu hören. Das tun wir, das tun Sie; das ist auch völlig in Ordnung. Aber dieses Land krankt doch daran, daß die Verbände viel zu eng mit der Politik verwoben sind. Ich kann die Debatte aufmachen: Herr Göhner, CDU-Bundestagsabgeordneter, ist Hauptgeschäftsführer des BdA, gleiches ist Frau Yzer bei den Pharmazeuten. Das ist doch unser Problem.
({0})
Angesichts der Tatsache, daß ich mich in der letzten Woche um 7.30 Uhr morgens in den Wirtschaftsausschuß setzen mußte, nur um mir dort vom ZDH vortragen lassen zu müssen - nachdem die erste Beratung des Gesetzentwurfes schon gelaufen war -, daß man uns wegen der Akzeptanz der einzelnen Unterverbände leider noch mit diesem und jenem behelligen müsse, obwohl Herr Hinsken eher geneigt war, den Vorgaben von Herrn Philipp und Herrn Schleyer zu folgen, frage ich mich, ob es für die Verbändedemokratie nicht weitaus besser wäre, die Politik würde sich verständigen und dann, vielleicht auch im streitbaren Diskurs mit den Verbänden, die Gesetzesvorhaben formulieren. ({1})
Ich bedanke mich für die Zwischenfrage.
Sie haben sich zweieinhalb Jahre mit den Verbänden auseinandergesetzt. Aber Sie können doch nicht behaupten, Kollege Schwanhold, daß eine große Reform auf den Weg gebracht worden ist. Wir machen uns eher lächerlich beim europäischen Ausland. Ihr Antrag, meine verehrten Kollegen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD, ist keine Initiative zu mehr Existenzgründungen. Er ist ein Antrag, der fast alles beim alten beläßt und dem enormen Reformbedarf, den wir in Deutschland haben - Sie beklagen ihn allenthalben; aber wenn es um Ihre eigenen Vorhaben geht,
wollen Sie davon nichts mehr wissen -, nicht gerecht wird.
Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Zugangsvoraussetzungen zum Handwerk lockern will. Nach unserem Vorschlag können sich im Bereich der sogenannten nicht gefahrengeneigten Handwerke künftig auch Handwerksgesellen eintragen lassen, die drei Jahre lang ununterbrochen in ihrem Beruf tätig waren. Nach einer zweijährigen erfolgreichen Selbständigkeit und mit dem Nachweis ihrer Ausbildungseignung können sie auch ausbilden.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß das in der Industrie funktioniert. Herr Kollege Hinsken, Sie würden mir doch nie erzählen, daß die Qualität der Ausbildung in der Industrie nicht gut ist. Uns gehtes nicht - das möchte ich abschließend noch einmal sagen - um die Abschaffung der Meisterprüfung, sondern um eine Belebung des Wettbewerbs im Handwerk, von der auch Sie gesprochen haben. Bei uns erfährt der Meisterbrief einen Wandel von der verpflichtenden Voraussetzung zum freiwilligen Qualitätskriterium.
Nehmen Sie den Bildungseifer der Leute in diesem Land doch einmal ernst! Können Sie mir einmal sagen, Herr Hinsken, warum ich keine Meisterprüfung machen darf, obwohl ich Maskenbildnerin und in der Handwerksrolle B bin? Warum stellen Sie das nicht für die nicht gefahrengeneigten Handwerke frei? Damit beleben Sie den Wettbewerb in Deutschland, und Sie beleben die Bildung in diesem Land. Außerdem wird man gegenüber dem Ausland konkurrenzfähiger, als man es jetzt ist.
Danke schön.
({2})
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Tauss das Wort.
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Kollege Scherhag sprach vorhin von „Falschmeldungen". Ich habe die herzliche Bitte, mit Befürchtungen, die gerade bezüglich des EDVDienstleistungsgewerbes geäußert worden sind, etwas sorgfältiger umzugehen. Ich teile die Sorge, daß die vom Kollegen Schwanhold zu Recht angesprochene Problematik dieses Dienstleistungsbereichs noch nicht so berücksichtigt ist, wie wir das für die Zukunft brauchen.
Wir werden diese Situation gemeinsam beobachten müssen. Ich füge hinzu: Ende letzten Jahres ist durch den Bundespostminister eine Personenzulassungsverordnung ergangen. Ausgerechnet in dem am stärksten wachsenden Bereich - das ist der Dienstleistungsbereich des Computergewerbes -, in dem viele junge Leute in Sparten tätig sind, die nicht unter das Handwerk fallen, gibt es die höchste Regulierungsdichte, und diese Zulassungsverordnung bringt zusätzliche Probleme mit sich. Ich hoffe, daß
es nicht zu Schwierigkeiten in dieser Branche kommen wird. Ich bedauere sehr - der Kollege Ost lächelt -, daß viele der Anliegen aus Briefen, die Sie bekommen haben, nicht aufgegriffen worden sind.
Wir werden an diesem Thema dranbleiben, Herr Kollege Scherhag, und die Debatte nicht nach dem Motto „Das war eine Falschmeldung" beenden. Ich denke, wir sind alle aufgerufen, diesen innovativen Bereich auch künftig gemeinsam zu beobachten und ihn nicht zu behindern.
Ich hoffe, daß wir heute dafür kein Hindernis gesetzt haben.
Herr Kollege Scherhag, ich muß Sie im Interesse eines anderen Kollegen bitten, daß Sie nur ganz kurz antworten.
({0})
Herr Kollege Tauss, die Punkte, die Sie angesprochen haben, wurden behandelt. Sie hätten sich darüber einmal von Ihrem Kollegen Schwanhold aufklären lassen sollen, denn wir haben den Gesetzentwurf gemeinsam erarbeitet.
Das war der schwierigste Punkt bei der Neuordnung: Wir wollten auf der einen Seite den sich entwickelnden Markt nicht beeinflussen und nicht eindämmen. Wir wollten aber auf der anderen Seite dem Handwerk die Chance geben - ich denke, das ist richtig -, auf diesem Markt mitzumachen. Wenn dies gemeinsam geschieht, habe ich keine Bedenken.
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Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Türk.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will hier keinen Wahlkampf machen.
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Ich will vielmehr erklären, warum wir die Handwerksrolle novellieren. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Die technische Entwicklung ist fortgeschritten. Wir haben längst die Globalisierung. Sie ist kein Schlagwort mehr; sie ist schon Realität. Das heißt, daß auch das Handwerk in einem härteren Wettbewerb steht und ihm - vor allem auf dem europäischen Binnenmarkt - ausgesetzt ist. Darauf muß sich das Handwerk einstellen und dementsprechend fitgemacht werden.
Wie kann es in diesem Wettbewerb bestehen? Indem es noch flexibler, noch effizienter und kundenfreundlicher wird. Das heißt zum Beispiel, daß dem Verbraucher weitestgehend Leistungen aus einer Hand angeboten werden - einschließlich Beratung und Service vor und nach der Leistung. Um das zu erreichen, sind eine andere Zuordnung und ein anderer Zuschnitt erforderlich.
Genau das hat die Arbeitsgruppe aus Koalition und SPD unter vorbildlicher Leitung - das muß man hier einmal sagen - des Parlamentarischen Staatssekretärs Heinrich Kolb getan,
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und zwar in Abstimmung mit dem Handwerk, mit den Verbänden, mit der Industrie und den Gewerkschaften, so wie sich das gehört.
Um ein breiteres Leistungsangebot zu erreichen, wurden hauptsächlich Gewerbe zusammengelegt. Nur ein neues Gewerbe, der Gerüstbau, wurde in die Anlage A aufgenommen. Andere Anträge konnten in der Anlage nicht berücksichtigt werden, da sie nicht den Eckwerten entsprachen oder weil sich die Arbeitsgruppe sinnvollerweise auf ein Konsensprinzip geeinigt hatte. Das betrifft zum Beispiel auch das Kosmetikerhandwerk - um nur ein Beispiel zu nennen -, obwohl es meines Erachtens in die Anlage A gehört hätte. Aber wir hatten ja das Konsensprinzip.
Es bleibt aber festzustellen, daß der Bestandsschutz für Kosmetikermeister der früheren DDR bestehenbleibt und daß Qualitätsarbeit und Nachwuchsförderung analog zur Ausbildungsordnung des Gerüstbaus durch eine bundeseinheitliche Ausbildungsordnung unter Einbeziehung der Kosmetikschulen gesichert werden.
Außerdem sollte die Anregung des ZDH, über diese Verordnung in der Perspektive von Anlage B in Anlage A zu kommen, umgesetzt werden. Richtig war meines Erachtens auch, den Titel des Pfefferküchlers beizubehalten und dem Bäckerhandwerk zuzuordnen, Ernst Hinsken. Damit tragen wir bewußt auch der Tradition, ebenfalls ein Eckwert, Rechnung.
({2})
Wichtig war die Klarstellung, daß der Vorbehaltsbereich nicht auf die EDV und den Offsetdruck ausgedehnt wird; denn strukturierte Verkabelung und Offsetdruck sind nun mal ohne besondere Befähigung möglich. Das ist der Standpunkt von uns Liberalen zum großen Befähigungsnachweis: Wir sind weiterhin gegen Regulierung, aber nicht um jeden Preis, sondern nur dort, wo sie Entwicklung und Entfaltung verhindert. Wir haben also, liebe Frau Kollegin Wolf, den umgekehrten Standpunkt.
Halten wir uns also an die Fakten. Der Befähigungsnachweis hat Qualitätsarbeit, Ausbildungsqualität und - wie in keinem anderen Bereich - Arbeits- und Ausbildungsplätze gebracht. Das ist ja das, was wir brauchen. Alles in allem stellen diese Faktoren einen großen Standortvorteil für Deutschland dar. Man muß sich die Frage stellen: Warum soll man den Befähigungsnachweis ohne Not aufgeben?
Nun, Frau Kollegin Wolf, zu der unbewiesenen Behauptung, die Meisterprüfung würde Existenzgründungen verhindern. Ich glaube, daß der Schritt in die Selbständigkeit kein Selbstzweck ist, sondern daß er vor allem für die Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen wichtig ist. Dies schafft man viel besJürgen Türk
ser, wenn betriebswirtschaftliche, praktische und pädagogische Kenntnisse nachgewiesen werden können. Was nützt die Existenzgründung, wenn bald die Insolvenz folgt?
Natürlich kann und muß das Handwerk in der Meister- und Lehrausbildung noch flexibler werden. Das sage ich mit Nachdruck. Es stellt sich zum Beispiel die Frage, ob in jedem Gewerbe unbedingt eine siebenjährige Berufserfahrung nachgewiesen werden muß, um sich selbständig machen zu können. Warum soll es nicht auch mehr Ausnahmebewilligungen geben? Hierüber befinden wir uns mit dem Handwerk im Gespräch.
Dieses und anderes ist in den neuen und möglichst bundeseinheitlichen Ausbildungs- und Meisterprüfungsverordnungen schnellstens zu klären.
Vielen Dank.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Kutzmutz.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann verstehen, liebe Abgeordnetenkollegen Scherhag, Schwanhold und Dr. Kolb, daß Sie mittlerweile von den Unmengen an Briefen, Faxen und Telefonaten von Betroffenen innerhalb wie außerhalb des Handwerks genervt sind. Ich kann auch nachvollziehen, daß Sie nach zwei Jahren gemeinschaftlicher Arbeit zum Abschluß kommen wollen. Aber das rechtfertigt nicht die Art und Weise Ihres Vorgehens.
Anspruch und Wirklichkeit liegen weit auseinander. Noch im Dezember, Herr Kollege Hinsken, haben Sie mir zugerufen, ich könne jetzt, nachdem ich vorher ausgeschlossen war, im Ausschuß mitarbeiten. Fakt ist aber: Am Dienstag abend um 20.15 Uhr faxt das Wirtschaftsministerium den 13seitigen Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. an das Sekretariat des Wirtschaftsausschusses. Am Mittwoch ziehen dieselben Fraktionen - Frau Kollegin Wolf von den Bündnisgrünen mußte leider schon vorher gehen - den Gesetzentwurf in einer nicht einmal 15minütigen Debatte im federführenden Ausschuß durch. Das nenne ich einen wahrhaft unparlamentarischen konspirativen Umgang mit einer wichtigen Sache.
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- Ich will Ihnen ja glauben, Kollege Hinsken und den Kollegen von der großen Koalition, daß Sie sich mit dem Thema über Jahre hinweg in stundenlangen Sitzungen ausgiebig befaßt haben. Aber das war eben nicht in einem parlamentarischen Gremium. Die Frage bleibt, warum nur Fraktionen mitarbeiten durften. Der Sachverstand dieses Gremiums war schließlich auch nicht über jeden Zweifel erhaben. Sonst hätte es das Parlament wohl nicht noch am Dienstag abend mit einigen jähen Wendungen zu beglücken brauchen.
Die Erkenntnis, daß Beton die einzige Gemeinsamkeit von Maurer und Betonsteinhersteller gewesen wäre, hat kurz vor Schluß glücklicherweise doch noch betonköpfigen Widerstand aushebeln können.
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Es will mir aber überhaupt nicht in den Kopf, daß den fast 12 600 bereits in die Handwerksrolle eingetragenen Bodenlegerbetrieben dasselbe Recht wie den gerade mal 900 Betonstein- und Terrazzoherstellern verweigert wird. Der Vorbehalt wäre schließlich so auszugestalten gewesen, daß die Baumarktbrigade dennoch zu Hause den Teppichboden hätte ausrollen können.
Angesichts der Begeisterung der Initiatoren für Handwerk aus einer Hand, die im Baubereich nicht einmal vor Glaswerkschornsteinen von Maurern und komplizierten Dachstühlen von Dachdeckern zurückschrecken, kann ich mir die vornehme Zurückhaltung beispielsweise im Kfz-Reparaturbereich nicht erklären. Oder sollte die dort offensichtliche Privilegierung der neuen Kraftfahrzeugtechniker etwa nur mit entsprechender parlamentarischer Lobby erklärbar sein?
Da mir nur drei Minuten zustehen, kann ich nicht auf die Änderungsanträge der PDS eingehen. Deren Begründungen sprechen für sich selbst. Ehe Sie sie nachher ablehnen, hätten Sie sie wenigstens lesen sollen.
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Leider hat sich nicht einmal im Ausschuß jemand diese Mühe gemacht, denn über sie ist im Block abgestimmt worden.
Es geht auch uns um Effizienz, Entbürokratisierung und tatsächliche Innovation, frei von Gruppeninteressen, zugunsten aller Handwerker wie der Verbraucher, auch wenn unsere Vorschläge nur kleine Schritte dahin sind.
Ich finde es schade, daß die Bündnisgrünen ihre diskussionswürdigen Ideen im Ausschuß nicht weiter verfochten haben. Zum Werk der großen Koalition fällt mir - bei allen Fortschritten gegenüber dem geltenden Recht - nur ein: Der Berg kreißte - das Ergebnis ist bekannt.
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Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Kolb.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was lange währt, wird endlich gut. Ich hoffe, das gilt auch für die Novelle zur Handwerksordnung, die wir heute nach einer zweieinhalbjährigen Beratung, davon eineinhalb Jahre auch gemeinsam mit der SPD, vorlegen.
Es ist mir nach vielen Stunden gemeinsamer Beratung ein echtes Bedürfnis, den Kollegen zu danken, die ihre Ideen mit eingebracht haben, nämlich für die
CDU den Kollegen Scherhag und Pohler, für die SPD dem Kollegen Schwanhold, für die CSU dem Kollegen Hinsken, der sich zwar zum Schluß verabschiedet hat, der aber doch mit dem Herzen beim Handwerk ist - ich weiß das -, und für die F.D.P. den Kollegen Türk und Friedhoff. Ich danke auch den Mitarbeitern aus den Ressorts. Habe ich jemanden vergessen?
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- Natürlich, Kollege Uldall. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Ich danke auch den Mitarbeitern aus den Ressorts, stellvertretend dem zuständigen Referatsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft, Herrn Ministerialrat Schulze, und auch meinem persönlichen Ref eren-ten, Herrn Ulrich Schönleiter, und den Damen im Vorzimmer, die die große Last der Organisation zu tragen hatten.
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Aber ich denke, der Aufwand und die Mühe für die Novellierung der Handwerksordnung sind nur allzu gerechtfertigt. Die Handwerksordnung ist das Grundgesetz des Handwerks. Die Bedeutung des Handwerks mit seinen 600 000 Betrieben, den 6,2 Millionen Beschäftigten und den 620000 Auszubildenden für unsere Wirtschaft und für unsere Gesellschaft kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die 620 000 Auszubildenden sind ein Faktum, das in der heutigen Situation - Frau Wolf, man muß das einfach sehen - besonders zählt.
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Deswegen stand im Vordergrund unser Bemühen, zukunftsorientierte Arbeits- und Ausbildungsplätze zu sichern und womöglich neue entstehen zu lassen. Unter dem Dach eines breiten Berufes können jetzt mehrere Ausbildungsberufe angeboten werden. Dies wird Impulse für Ausbildung, Beschäftigung und Arbeitsplätze liefern. Ich bin mir sicher, daß durch die heute verabschiedete Novelle einige tausend zusätzliche Ausbildungsplätze im Handwerk entstehen werden.
Die Novelle wird das Handwerk zudem in eine bessere Wettbewerbsposition bringen. Wir ermöglichen ein breiteres Leistungsangebot aus einer Hand erstens dadurch, daß wir Handwerke zu breiteren Handwerken zusammenlegen - das ist beim Elektrotechniker sowie beim Installateur und Heizungsbauer der Fall, um nur zwei Beispiele zu nennen -, zweitens dadurch, daß wir die Zuordnung bestehender Tätigkeiten zu mehreren Handwerken einführen - etwas beim Dachdecker und Zimmerer -, und drittens dadurch, daß wir Verwandtschaften zwischen Handwerken erweitern, etwa beim Maler, Lackierer und Stukkateur. Das Handwerk wird dadurch in allen Fällen flexibler, schneller und kostengünstiger als bisher am Markt agieren können.
Nicht zuletzt sprechen wir mit der Novelle ein klares Votum für die Struktur des deutschen Handwerks und für den großen Befähigungsnachweis aus.
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Wir haben es uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in der Zeit nach der ersten Lesung seit Dezember nicht leichtgemacht. Der Ausschuß hat ein Gespräch mit dem ZDH geführt. Dieses Gespräch und die zahlreichen weiteren Eingaben haben zu dem Ihnen vorliegenden, von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gemeinsam beschlossenen Änderungsantrag geführt.
Auf Ihre Anmerkungen eingehend, Herr Kollege Schwanhold, was den Betonstein-Terrazzo-Hersteller angeht: Wir haben während der gesamten Beratungszeit immer wieder intensive Gespräche mit Betroffenen geführt. Wo einsichtige Argumente geliefert wurden, haben wir uns den entsprechenden Petiten auch nicht verschlossen. Ich nenne hier ausdrücklich etwa den Klempner, den Wachszieher, den Weber, den Orthopädieschuhmacher oder viele andere Bereiche, wo wir natürlich nach dem Gespräch mit den Betroffenen auf entsprechende einsichtige Argumente reagiert haben.
Es ist darauf hingewiesen worden: Wir werden heute auch noch offene Fragen zurücklassen. Das betrifft einmal die Anlage C, also die Wahlen zu Vollversammlungen. Hier ist der nächste Bundestag gefordert, sich möglichst zu Beginn der nächsten Legislaturperiode mit dieser Frage zu befassen. Das ist schon gesagt worden.
Noch nicht hingewiesen wurde auf die Notwendigkeit, fakultativ nach Beschluß einer Innung - nachdem wir die Möglichkeit geschaffen haben, AnlageB-Berufe, also handwerksähnliche Betriebe, auch in die Innungen aufzunehmen - dafür zu sorgen, daß die Beschäftigten dieser Betriebe entsprechend in die Innungskrankenkasse kommen können.
Uns liegt heute noch ein weiterer SPD-Antrag vor. Dazu, Kollege Schwanhold, will ich nur soviel sagen: Wir haben die Novelle und ihre Vor- und Nachteile ausführlich diskutiert. Wir haben uns im Sinne des Ganzen um Konsens bemüht, der auch oft gefunden wurde. Es war nicht immer einfach. Konsens setzt immer auch Kompromisse voraus, die wir alle eingegangen sind.
So wie Sie heute einen Antrag gestellt haben, hätten die Kollegen der Koalitionsfraktionen und auch ich problemlos noch weitere 20 Änderungsanträge einbringen können. Ich hätte mir auch andere Lösungen, etwa beim Druck, bei den Feintäschnern oder beim Karosserie- und Fahrzeugbauer, vorstellen können. Meine Vorschläge, die ich eingebracht habe, ließen sich nicht durchsetzen; im Sinne des Konsenses habe ich sie nicht verfolgt. Ich sage das nur deswegen, weil man natürlich einen Konsensantrag auch ein bißchen relativiert, wenn jeder anschließend noch seine Dissensvoten vorlegt.
Die Zeit ist abgelaufen. Viele Kollegen wollen zu ihren Flugzeugen. Obwohl ich noch einiges sagen könnte, schließe ich.
Ich hoffe, daß dieser Gesetzentwurf heute eine breite Zustimmung findet und auch im Bundesrat möglichst schnell Klarheit geschaffen werden kann. Das Gesetz sollte im Interesse des Handwerks, aber auch der jungen Menschen, die auf einen Ausbildungsplatz im Handwerk hoffen, am 1. April in Kraft treten.
Vielen Dank.
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Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Der Kollege Tauss will nach § 31 unserer Geschäftsordnung eine Erklärung zur Abstimmung abgeben. Diese nehme ich mit Ihrer Zustimmung zu Protokoll.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Handwerksordnung, Drucksachen 13/9388 und 13/9875 Nr. I. Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und zwölf Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor, über die wir zunächst abstimmen müssen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9921? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden.
Damit kommen wir zu den zwölf Änderungsanträgen der PDS.
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Änderungsantrag auf Drucksache 13/9902: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9903: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9904: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit demselben Stimmenverhältnis abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9905: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ebenfalls abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9906: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9907: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9908: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9911: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9915: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9916: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9917: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden.
Änderungsantrag auf Drucksache 13/9918: Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt worden.
Damit sind alle Änderungsanträge der PDS abgelehnt worden.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen eine Stimme aus der SPD und die Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS und gegen die Stimme des Abgeordneten Tauss angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. auf Drucksache 13/9922. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - EnthalVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
tungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, F.D.P. und PDS bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9876: Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition abgelehnt worden.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung der Handwerksordnung auf Drucksache 13/8846: Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 13/9875 Nr. II, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/8846 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 4. März 1998, 13.00 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.