Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/5/1998

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich auf der Ehrentribüne den Vorsitzenden der Volksversammlung der Republik Albanien, Herrn Professor Skender Gjinushi, mit seinen Parlamentariern, die zu einem zweitägigen Arbeitsbesuch in Bonn sind, recht herzlich willkommen heißen. ({0}) Wir wünschen Ihnen bei dem schwierigen Prozeß der Demokratisierung, der Stabilisierung und des Aufbaus der Marktwirtschaft in Ihrem Lande viel Erfolg. Nach den Gesprächen gestern und den heutigen Gesprächen hier in Bonn weiß ich, wie sehr wir Gespräche und Zusammenarbeit brauchen. Alles Gute auf Ihrem Weg! Dann möchte ich zunächst dem Kollegen Carl-Detlev von Hammerstein, der am 26. Januar seinen 60. Geburtstag feierte, und der Kollegin Editha Limbach, die am 1. Februar ihren 65. Geburtstag beging, nachträglich herzliche Glückwünsche des Hauses aussprechen. ({1}) Nun zu den Amtlichen Mitteilungen: Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die Ihnen mit einer Zusatzpunktliste vorgelegten Punkte zu erweitern: 2. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen - Drucksache 13/97413. Beratung des Antrags des Abgeordneten Ulf Fink und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Gisela Babel und der Fraktion der F.D.P.: Arbeit ist genug vorhanden - Neue Initiativen zur Beschäftigungsförderung - Drucksache 13/9743 4. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({2}) a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts - Strafverfahrensänderungsgesetz 1996 - ({3}) - Drucksache 13/9718 - b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen - Drucksache 13/9720 - c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verbesserten Abschöpfung von Vermögensvorteilen aus Straftaten - Drucksache 13/9742 - d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung - Drucksache 13/96105. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({4}) a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5}) zu der Verordnung der Bundesregierung Zustimmungsbedürftige Verordnung über die Rücknahme und Entsorgung gebrauchter Batterien und Akkumulatoren ({6}) - Drucksachen 13/9516, 13/9669 Nr. 2.1, 13/9762 - b) Beratung des Antrags der Bundesregierung: Ausnahme vom Verbot der Zugehörigkeit zu einem Aufsichtsrat für ein Mitglied der Bundesregierung - Drucksache 13/ 9702 6. Vereinbarte Debatte: Naturschutzrecht, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und Ausgleichsregelung für die Landwirtschaft 7. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({7}) zu dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften - Drucksachen 13/6441, 13/7778, 13/ 8180, 13/8268, 13/96388. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({8}) zu dem Gesetz zum Schutz des Bodens - Drucksachen 13/ 6701, 13/7891, 13/8182, 13/9637 9. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({9}) zu dem Gesetz zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die besondere Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen ({10}) - Drucksachen 13/8052, 13/8837, 13/9325, 13/964110. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Haltung der Bundesregierung zur Eignung des Termins 13. August 1998 für ein Öffentliches Gelöbnis 11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Monika Knoche, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Benzol- und Toluolbelastungen von Lebensmitteln ausschließen - Drucksache 13/8762 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 12. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu der vom Bundesrat geplanten Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Weiterhin ist vereinbart worden, die kulturpolitische Debatte sowie die Tagesordnungspunkte 12 a und b - Kapitalaufnahmeerleichterungs- und Stückaktiengesetz - und 14 a bis c - Vorlagen zum Urheberrecht - abzusetzen. Sodann soll heute mit der Beratung des Tagesordnungspunktes 13 in Verbindung mit weiteren Vorlagen zur Arbeitsmarktdebatte begonnen werden. Hieran schließt sich Tagesordnungspunkt 4 - Absatzförderung für Produkte aus Ostdeutschland - als weiteres Kernzeitthema an. Nach den Beratungen ohne Aussprache und der Abstimmung über einige Ergebnisse des Vermittlungsausschusses soll der Tagesordnungspunkt 7 - Nichtraucherschutzgesetz - aufgerufen werden. Die forschungspolitische Debatte soll auf Freitag, 9 Uhr verschoben werden. Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 210. Sitzung des Deutschen Bundestages am 11. Dezember 1997 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung überwiesen werden. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung des Euro ({11}) - Drucksache 13/ 9347 überwiesen: Rechtsausschuß ({12}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Fremdenverkehr uns Tourismus Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Der in der 211. Sitzung des Deutschen Bundestages am 12. Dezember 1997 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und dem Ausschuß für Post und Telekommunikation zur Mitberatung überwiesen werden. Gesetzentwurf der zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts - Drucksachen 13/9314, 13/9437 überwiesen: Ausschuß für Verkehr ({13}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Post und Telekommunikation Der in der 214. Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. Januar 1998 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung zur Mitberatung überwiesen werden. Gesetzentwurf der zur Umsetzung des Versorgungsberichts ({14}) - Drucksache 13/9527 überwiesen: Innenausschuß ({15}) Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Der in der 151. Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. Januar 1997 überwiesene nachfolgende Antrag soll nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union zur Mitberatung überwiesen werden. Antrag der Abgeordneten Gert Weisskirchen ({16}), Brigitte Adler, Robert Antretter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ziviler Friedensdienst - Expertendienst für zivile Friedensarbeit - Drucksache 13/6204überwiesen: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({17}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Angelegenheiten der Europäischen Union Der in der 210. Sitzung des Deutschen Bundestages am 11. Dezember 1997 überwiesene nachfolgende Antrag soll nachträglich zusätzlich dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. Antrag der Abgeordneten Günter Verheugen, Rudolf Scharping und der Fraktion der SPD: Errichtung eines Sozialwerks für tschechische NS-Opfer - Drucksache 13/9395 überwiesen: Innenausschuß ({18}) Auswärtiger Ausschuß Haushaltsausschuß Die in der 213. Sitzung des Deutschen Bundestages am 15. Januar 1998 überwiesenen nachfolgenden Anträge sollen nachträglich zusätzlich dem Finanzausschuß zur Mitberatung überwiesen werden: Antrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Gila Altmann ({19}), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konsequenzen aus den Ergebnissen der Klimakonferenz in Kioto für die deutsche und europäische Umweltpolitik - Drucksache 13/9411Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({20}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Antrag der Fraktion der SPD: Die Ergebnisse der Klimakonferenz in Kioto weiterentwickeln und notwendige Maßnahmen durchsetzen - Drucksache 13/9602 überwiesen: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({21}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b sowie die Zusatzpunkte 2 und 3 auf: Arbeitsmarkt-Debatte 13. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Uwe Jens, Ernst Schwanhold, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Schaffung von Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor - Drucksache 13/5353 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({22}) Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Mehr Beschäftigung im Dienstleistungssektor - Drucksache 13/9599 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({23}) Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus ZP2 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen - Drucksache 13/9741 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({24}) Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Haushaltsausschuß ZP3 Beratung des Antrags des Abgeordneten Ulf Fink und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Gisela Babel und der Fraktion der F.D.P. Arbeit ist genug vorhanden - Neue Initiativen zur Beschäftigungsförderung - Drucksache 13/9743 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({25}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Gesundheit Haushaltsausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Abgeordnete Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002769, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Dezember 1982, zum Jahreswechsel, gab es in Deutschland 2 349 000 Arbeitslose. Der Bundeskanzler sagte in seiner Neujahrsansprache: Ich bin ganz sicher, daß es unserer gemeinsamen Bemühung gelingen wird, 1983 den meisten dieser jungen Leute einen Ausbildungs- oder einen Arbeitsplatz zu schaffen. Im Dezember 1985 war die Arbeitslosigkeit auf dem gleichen Niveau, und der Bundeskanzler sagte: Die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen bleibt auch 1986 unsere wichtigste innenpolitische Herausforderung. Die Arbeitslosigkeit verharrte auf demselben Niveau, und der Bundeskanzler sagte 1987/88 in seiner Neujahrsansprache: Wir stehen alle vor einer gemeinsamen Aufgabe, die eben nur in Solidarität gelöst werden kann. ({0}) 1989/90 sagte der Bundeskanzler: Die Zahl der Beschäftigten steigt, aber wir haben bei der Überwindung der Arbeitslosigkeit noch viel zu tun. Und tatsächlich: Die Arbeitslosigkeit war bescheiden zurückgegangen. In seiner Neujahrsansprache von 1990/91 sagte der Bundeskanzler: Aber wir haben die Kraft, und wir haben die Möglichkeiten, es gemeinsam zu schaffen. ({1}) Die Arbeitslosigkeit lag bei 1,8 Millionen. 1992/93 sagte der Bundeskanzler: Es geht jetzt darum, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 3,1 Millionen. 1993 sagten Sie, Herr Kohl: Beschäftigung zu sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen - dies ist unsere gemeinsame Pflicht. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 3,7 Millionen. 1995 sagten Sie: Wir müssen uns gemeinsam anstrengen, um neue, zukunftssichere Arbeitsplätze zu schaffen. Die Arbeitslosigkeit verharrte bei 3,6 Millionen. 1996 sagten Sie: Und wir müssen uns anstrengen, um neue, zukunftssichere Arbeitsplätze zu schaffen. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 3,8 Millionen. ({2}) 1997 sagten Sie: Wir müssen auch für jene handeln, die einen Arbeitsplatz suchen und heute arbeitslos sind. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 4,1 Millionen. Und in der diesjährigen Neujahrsansprache sagten Sie: Wir dürfen die Arbeitslosen und ihre Familien nicht ihrem Schicksal überlassen. Jeder wird gebraucht. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 4,8 Millionen. Sie verhöhnen die Menschen mit Ihren Ankündigungen, denen keine Taten folgen. ({3}) Das, was Sie uns jetzt als sogenanntes Programm vorlegen, hat in der deutschen Öffentlichkeit eine entsprechende Reaktion gefunden. Die Koalition verfährt nach der Methode: Es muß etwas geschehen, aber es darf nichts kosten. - Der „Kölner Stadtanzeiger" schreibt, die Bonner Koalition reagiere nervös. Andere Zeitungen nennen Sie ratlos, bezeichnen Ihr Programm als einen Bonner Bluff, als eine Beschäftigungstherapie ohne Wirkung, als eine Beruhigung ohne Hilfe. ({4}) Meine Damen und Herren, wenn in Deutschland so viele Menschen wie noch nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg arbeitslos sind, dann verbietet sich jede Routine: die Routine von immer neuen Ankündigungen, ohne irgend etwas zu tun, die Routine von immer neuen Vertröstungen, ohne eine einzige konkrete Entscheidung zu treffen, die Routine, den Menschen angeblich Zuspruch zu geben, sie dann aber durch Ihre Taten alleine zu lassen. Was Sie machen, ist eine Politik der Vertröstungen ohne jeden konkreten Trost, eine Politik der Vertagung ohne jede konkrete Entscheidung, eine Politik, die Menschen alleine läßt und sie belastet, anstatt wirksam zu helfen, wo Politik mit Ihren Entscheidungen helfen könnte. ({5}) Ich weiß auch, daß man immer wieder anmahnen muß - das wird auch heute geschehen -, daß etwas geschieht, daß man immer wieder versuchen muß, neue Aufmerksamkeit für das Schicksal der betroffenen Menschen zu erreichen, und daß man immer wieder appellieren muß. Appelle gibt es genug. Die Bereitschaft, gemeinsam etwas zu tun, ist vorhanden. Die christlichen Kirchen haben sich in bemerkenswerten Worten zur wirtschaftlichen und sozialen Lage unseres Landes geäußert. Die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer waren bereit, ein Bündnis für Arbeit zu schließen und auch Belastungen zu tragen, wenn es den arbeitslosen Mitbürgern hilft. Sie beweisen diese Bereitschaft jeden Tag in Tarifverhandlungen und Tarifverträgen, durch konkrete Vereinbarungen in den Betrieben. Sie sind bereit, Solidarität und Zusammenhalt praktisch zu üben. Nur in dieser Bundesregierung finden sie dafür keinen Partner. ({6}) Die Wohlfahrtsverbände haben appelliert. Die Caritas, das Diakonische Werk und die Arbeiterwohlfahrt machen in eindringlichen Berichten darauf aufmerksam, was es in dieser Zeit bedeutet, zu jenen jetzt 4,8 Millionen Menschen gezählt zu werden, die keine Arbeit mehr haben, zu jenen weit mehr als 500 000 jungen Menschen zu zählen, die keine Arbeit finden, zu jenen weit mehr als 1,5 Millionen Menschen zu zählen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind. Was Sie mit Ihrer Politik dulden, hinnehmen und zum Teil sogar fördern, hat eine Versteinerung, eine Verfestigung der Arbeitslosigkeit zur Folge. Sie ergreifen aber keine Maßnahmen um sie abzubauen. Gegen diese Koalition der Ignoranz und der steinernen Herzen muß endlich etwas getan werden; denn sonst gibt es in Deutschland keine Änderung. ({7}) Manchmal, wenn ich höre, wie Sie mit den Menschen umgehen und was Sie sagen, überlege ich mir - und ich hoffe, auch Sie überlegen es sich -: Wie war das wohl, als die Familien zum Jahreswechsel zusammensaßen, in denen ein Mitglied der Familie arbeitslos ist, ein Kind auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz ist? Wie war das wohl in jenen Familien angesichts der Erfahrungen, die man sammeln mußte? Mittlerweile sind es ja nicht 4,8 Millionen, sondern weit mehr als 10 Millionen Familien, die die konkrete Erfahrung von Arbeitslosigkeit machen mußten. Was bedeutet das mit Blick auf Ihre Politik, mit Blick auf Ihre Fähigkeit, mit den Menschen zu denken und zu fühlen? Was Sie hier vorlegen, ist eine so blamable, eine so schlimme, eine so enttäuschende Vorstellung, daß man sich nur noch wundern kann, mit welcher Dreistigkeit Sie das Wort „christlich" beanspruchen, das Nächstenliebe beinhaltet. Sie legen Anträge vor, die nichts anderes beinhalten als eine Verschiebung der Verantwortung auf andere Ebenen, anstatt die eigene Verantwortung wahrzunehmen. ({8}) Man müßte - das weiß jeder - die wirtschaftlichen Rahmenbedigungen verbessern. Wir haben Ihnen hier viele Vorschläge gemacht. ({9}) Wir haben angeregt, die Lohnnebenkosten zu senken, dazu beizutragen, daß ein Bündnis für Arbeit mit niedrigeren Lohnnebenkosten einen Ansatzpunkt findet, usw. ({10}) Jeder weiß, daß die Bereitschaft der Koalition, Lohnnebenkosten zu senken, Arbeitsplätze wettbewerbsfähiger zu machen, die Chance auf neue Arbeitsplätze einzuräumen, gescheitert ist an den inneren Widersprüchen der Koalition und an der Unfähigkeit der F.D.P., einmal umzudenken. ({11}) Jeder weiß, daß zum Beispiel der Kollege Solms, der jetzt nicht da ist, die Diskussionswürdigkeit einer solchen Politik ausdrücklich anerkannt hat, und jeder weiß, daß er in seiner Fraktion damit gescheitert ist. Jeder weiß, daß Sie nicht bereit sind - das muß dann eben am 27. September geändert werden -, Lohnnebenkosten zu senken und wenigstens die versicherungsfremden Aufgaben aus der Beitragsfinanzierung herauszunehmen. ({12}) Was, meine Damen und Herren, hat denn die Finanzierung von Fremdrenten, was hat die Finanzierung der Auffüllbeträge für ostdeutsche Renten, was denn beispielsweise die Beseitigung des SED-Unrechts mit den Beitragszahlern zu tun? ({13}) Das ist eine gemeinsame Aufgabe des ganzen deutschen Volkes, die Sie nicht nur den Beitragszahlern aufbürden dürfen, zu Lasten der Arbeitsplätze und der Arbeitseinkommen. ({14}) Jeder weiß - es macht fast keinen Sinn mehr, es noch zu beklagen; dennoch muß man es in Erinnerung rufen -: Es wäre auch besser gewesen, man hätte wenigstens erste Schritte hin zu einem sozial gerechteren, wirtschaftlich vernünftigeren Steuersystem unternommen. Auch das ist gescheitert. ({15}) Noch im Dezember haben Sie angekündigt, daß Sie entsprechende Gesetzentwürfe vorlegen, und im Januar hat die Koalitionsrunde unter Vorsitz des Bundeskanzlers beschlossen, daß es keinen Anlauf mehr gibt, um wenigstens das zu Vereinbarende, das Gemeinsame in der Steuerpolitik in das Bundesgesetzblatt zu bringen. Sie haben das blockiert und damit verhindert, daß bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen durchgesetzt werden konnten. ({16}) Jetzt appelliere ich an Sie, in den nächsten Wochen zumindest das zu tun, was unbedingt getan werden muß, um wenigstens Recht und Ordnung auf den Arbeitsmärkten durchzusetzen. In Deutschland sind nach den Feststellungen der Arbeitsverwaltung und anderer Institute mehrere hunderttausend Menschen illegal beschäftigt. Ich habe vor wenigen Tagen den Bericht des Winterbauausschusses des Landesarbeitsamtes Nord erhalten. Dieser Bericht gibt Auskunft über Kontrollen auf Baustellen. Er gibt Auskunft über Mißstände auf Baustellen. Er gibt Auskunft darüber, daß mit Hilfe ausländischer Verleihfirmen dort Bauarbeiter beschäftigt werden, die Stundenlöhne von weniger als 3 DM bekommen. Wenn man sich dann anschaut, daß in Deutschland gegen diese illegale Verleihpraxis nichts wirksam unternommen werden kann, weil Sie außer mit Österreich keine Rechtshilfeabkommen mit den anderen europäischen Ländern geschlossen haben, sage ich: Lassen Sie uns doch wenigstens gemeinsam ein Aktionsprogramm gegen illegale Beschäftigung machen! Lassen Sie uns den Straftatenkatalog verschärfen und dafür sorgen, daß Menschen in ihrer Notlage nicht so hemmungslos ausgebeutet werden können, wie dies heute der Fall ist! ({17}) Man kann doch nicht darüber hinwegsehen, daß Ihre Politik der Verschlechterung des Schlechtwettergeldes auf der einen Seite und der mangelnden Durchsetzung von gleichen Löhnen auf deutschen Baustellen auf der anderen Seite dazu beigetragen hat, daß allein deswegen in Deutschland weit über 250 000 Bauarbeiter keine Arbeit mehr finden. Dasselbe sage ich Ihnen im Zusammenhang mit der Schwarzarbeit und mit der Scheinselbständigkeit. Sie wissen doch ganz genau, daß ein Lkw-Fahrer, daß ein Kellner nicht selbständig sein kann. ({18}) Sie wissen auch ganz genau, daß es in Deutschland mittlerweile über 1 Million Menschen gibt, die auf diese Weise aus der Sozialversicherung hinausgedrängt werden, deren Arbeitgeber die Sozialversicherung fliehen und dazu beitragen, daß andere eine wesentlich höhere Leistung für die gemeinsame soziale Sicherheit erbringen müssen. Ich appelliere an Sie, jetzt gemeinsam etwas gegen diese Form der Scheinselbständigkeit zu tun, die eine Spaltung der Gesellschaft, eine Spaltung der Arbeitsmärkte und eine schwere Belastung auch der Menschen bedeutet, die noch in regulärer Arbeit sind. ({19}) Ich appelliere an Sie, wenn wir wegen Ihrer Blokkadehaltung schon nicht bei Steuern, schon nicht bei Lohnnebenkosten, schon nicht beim Abbau der Bürokratie vorankommen, doch wenigstens dazu beizutragen, daß die versicherungsfreien Tätigkeiten auf das begrenzt werden, was mit ihnen einmal gemeint war, nämlich Tätigkeiten, die während der Semesterferien oder als Aushilfe, als Gelegenheitsarbeit erfolgen. Man kann es doch nicht hinnehmen, daß eine Handelskette in Deutschland andere damit kaputtkonkurriert, daß sie über die Hälfte ihrer Belegschaft außerhalb der Sozialversicherung beschäftigt. Das ist ein schwerer Mißbrauch gesetzlich eingeräumter Möglichkeiten. Ich appelliere an Sie: Beseitigen Sie dies endlich, damit Teilzeitarbeitsplätze in Deutschland entstehen können! ({20}) Meine Damen und Herren, ich will noch einen anderen Punkt erwähnen, nämlich aktive Arbeitsmarktpolitik. Als wir im Dezember des letzten Jahres den Haushalt und den Nachtragshaushalt berieten, haben Sie uns mit großer Geste und mit manchem dröhnenden Wort dargetan, daß mit diesem Haushalt die Wende der wirtschaftlichen Entwicklung und die Wende auf dem Arbeitsmarkt vollzogen werden könnten. Gleichzeitig haben Sie die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik weiter reduziert. Ich sage Ihnen: Neben der Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, neben einem Sofortprogramm, um Recht und Ordnung auf den Arbeitsmärkten durchzusetzen, wäre es jetzt dringend geboten, wenigstens die zerstörten Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik wiederaufleben zu lassen und sie ordentlich zu finanzieren. Wer mit einiger Schwierigkeit dazu in der Lage war, den Solidaritätszuschlag zu senken und das so zu finanzieren, wie Sie das finanziert haben, der sollte angesichts dieser schrecklichen Rekordzahl von über 4,8 Millionen Bürgerinnen und Bürgern ohne Arbeit in der Lage sein, im Sinne einer aktiven Arbeitsmarktpolitik wenigstens das wiederaufleben zu lassen, was man zerschlagen hat. Dies muß geschehen, damit Menschen einen Weg in die Arbeitswelt finden können und damit auch in ein Leben, das aus eigener Arbeit finanziert wird und nicht von der Hilfsbereitschaft anderer abhängig ist. ({21}) Meine Damen und Herren, Ihre Politik ist vollständig gescheitert. Sie haben Ziele reklamiert, die Sie zu keinem einzigen Zeitpunkt erreicht haben. Sie haben immer wieder behauptet, Ihre Politik würde zu einer Belebung der Wirtschaft, zu neuen Investitionen, zu neuen Arbeitsplätzen führen. Ihre Politik hat in 15 Jahren schrittweise immer tiefer in die Spaltung, in die Ausgrenzung, in die Hoffnungslosigkeit für viele Menschen geführt. Ich weiß auch, daß es sehr vielen Menschen in Deutschland sehr gut geht, daß sehr viele Menschen außerordentlich gute Chancen haben. Aber ich weiß, daß ein Land auf Dauer nicht bestehen kann, wenn durch dieses Land ein so tiefer Riß geht, wie das heute der Fall ist, und wenn Millionen Menschen ausgegrenzt und in die Hoffnungslosigkeit abgedrängt werden. Ändern Sie Ihre Politik wenigstens in den Bereichen, in denen das sofort möglich ist! Wenn Sie schon nicht mehr die Kraft haben, gemeinsam zu vereinbaren, was vereinbar wäre, nämlich bei den Steuern, bei den Lohnnebenkosten, bei anderen Themen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, dann bringen Sie angesichts dieser dramatischen Zahlen doch bitte wenigstens die Kraft auf, jetzt endlich das durchzusetzen, was durchgesetzt werden muß: bessere Rahmenbedingungen, Recht und Ordnung auf den Arbeitsmärkten, bessere Chancen für die jungen Menschen. Wenn Sie nicht mehr in der Lage sind, wenigstens die bescheidensten Konsequenzen aus einer vollständig gescheiterten Politik zu ziehen, dann haben Sie es nicht nur verdient, abgewählt zu werden; dann verraten Sie - jedenfalls die Christlich-Demokratische Union - Ihren eigenen Anspruch durch tägliches Nichthandeln immer mehr. Neben allen anderen Bedrängnissen ist aus meiner Sicht eines der problematischsten - wenn nicht das problematischste - Ergebnisse überhaupt, daß dank Ihrer Politik im öffentlichen Leben Rücksichtnahme, Toleranz, Hilfsbereitschaft - alles das, was Elemente der Nächstenliebe sind - ausgehöhlt wurden, obwohl die große Mehrzahl unserer Bürgerinnen und Bürger täglich beweist, daß sie es anders wollen und daß sie es auch anders können. Sie haben sich so weit von den Menschen entfernt; Sie dürfen sich nicht wundern, wenn sich die Menschen jetzt auch von Ihnen entfernen. ({22})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächster spricht Bundesminister Dr. Norbert Blüm. ({0})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Lage ist zu ernst, als daß ich auf diese Kalauer eingehen möchte. ({0}) - Weil es so ernst ist. Ich beginne mit einer ganz nüchternen Feststellung: Ein Patentrezept zur Überwindung der Arbeitslosigkeit gibt es nicht; es gibt nur den Weg der tausend Schritte. ({1}) Es gibt keine Patentrezepte. Wer den Bürgern etwas anderes erklärt, täuscht sie. ({2}) Der Staat steht in der Verantwortung, auch für die Arbeitslosen. Aber der Staat kann nicht alles machen. Darin besteht der Grundirrtum der SPD: Immer, wenn ein Problem auftaucht, fordert sie zweierBundesminister Dr. Norbert Blüm lei: mehr Geld und mehr Gesetze. Das kann aber nicht die Lösung sein. ({3}) Der Staat kann nicht die unternehmerische Initiative und die Verantwortung der Sozialpartner ersetzen - genausowenig die Verantwortung der Arbeitgeber, die Arbeit geben. Wie das Wort „sozial" ja besagt, tragen die Sozialpartner nicht nur Verantwortung für diejenigen, die Beschäftigung haben. ({4}) Sie sollten nicht die Festung der Erwerbstätigen zumauern, sondern sie sollten Brücken bauen. Das ist eine Aufgabe für die Tarifpolitik - für eine Tarifpolitik, die zurückhaltend ist und Beschäftigung ermöglicht. Darin besteht die wichtigste Verantwortung der Sozialpartner. ({5}) Auch das große Ziel, die Arbeitslosigkeit zu halbieren, befand sich nicht in einer Solo-Erklärung der Bundesregierung, sondern dabei handelt es sich um das gemeinsame Ziel von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Staat. Daß Initiativen nicht folgenlos zu sein brauchen und daß es in unserer Wirtschaft Verantwortung gibt, das beweist das Ergebnis der Anstrengungen für die Schaffung von Ausbildungsplätzen. Die Zahl der Ausbildungsplätze hat zum erstenmal seit 1984 zugenommen - trotz schwieriger Zeit. Rechnerisch ist der Ausgleich geschaffen worden. Das ist ein großartiger Beweis dafür, daß es in unserer Wirtschaft noch Verantwortung gibt. Ich danke allen, die mehr als bisher gemacht haben; ich danke besonders vielen kleinen und mittelständischen Betrieben. ({6}) Herr Scharping, der Beweis für die Richtigkeit meiner Meinung ist, daß Sie auch in dieser Angelegenheit nach dem Staat gerufen haben und daß Sie weiterhin nach dem Staat rufen. Ich bin nicht für einen Nachtwächterstaat; der Staat steht in der Verantwortung. Aber Arbeitsmarktpolitik kann nicht die Bemühungen der Unternehmer und Tarifpartner ersetzen. Arbeitsmarktpolitik kann auch nicht Wirtschafts- und Finanzpolitik ersetzen. Herr Scharping, so viele Arbeitsplätze auf dem zweiten Arbeitsmarkt und durch ABM, Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen kann kein Mensch schaffen, wie durch die Blockade der Steuerreform auf dem ersten Arbeitsmarkt vernichtet werden. ({7}) So tüchtig - ich sage es noch einmal - kann keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmenpolitik sein, daß sie die Vernichtung von Arbeitsplätzen durch eine blockierte Steuerpolitik ausgleichen könnte. ({8}) Ich will noch hinzufügen: So viel Geld kann man auch nicht sparen, wie Arbeitslosigkeit kostet. Es kann doch niemand behaupten, daß wir keine Arbeitsmarktpolitik betreiben. Wir stehen an der fünften Stelle in Europa. Die vor uns Stehenden, außer Dänemark, haben eine noch höhere Arbeitslosigkeit. Wir haben proportional einen höheren arbeitsmarktpolitischen Einsatz als zu Ihrer Zeit. Ich weiß nicht, ob diese Rechnerei weiterführt. Aber sich nur hinzustellen und den Eindruck zu erwecken, wir würden nichts machen, ist und bleibt die Unwahrheit. ({9}) Wir haben ein neues Arbeitsförderungsgesetz mit Verantwortung vor Ort von Arbeitgeber und Gewerkschaften und mit mehr Flexibilität. ({10}) Es ist seit dem 1. Januar in Kraft. Wenn nur ein Teil derjenigen, die Probleme beklagen, einen Teil ihrer Kraft dafür abzweigen, um etwas zu machen, dann sind wir schon ein großes Stück weiter. Ich lade auch all diejenigen, die heute demonstrieren - das ist ihr gutes Recht; das sage ich, damit kein Zweifel aufkommt -, dazu ein, einen Teil der Kraft zu verwenden, um mit den Arbeitsämtern vor Ort - da ist große Bereitschaft vorhanden - nach neuen Wegen zu suchen. Dafür stellen wir neue Geldmittel zur Verfügung. Wir müssen neue Wege suchen. Der Kreativität ist keine Grenze gesetzt. Es gibt 20 neue Instrumente, zum Beispiel Trainingsmaßnahmen oder Lohnkostenzuschüsse. ({11}) - Lieber Herr Schreiner, ich bemühe mich darum, Initiativen vor Ort zu mobilisieren. Diese sollten Sie nicht konterkarieren, sondern Sie sollten mitmachen, damit vor Ort mehr Beschäftigung entsteht. ({12}) Bleiben wir doch einmal beim Staat. Er besteht nicht nur aus der Bundesregierung; er besteht auch aus Landesregierungen. Die Landesregierungen haben ihre Mittel für die Arbeitsmarktpolitik zurückgenommen. Ich bedaure das sehr. Am stärksten hat das Land seine entsprechenden Mittel zurückgenommen, das am lautesten schreit: Sachsen-Anhalt hat seine Gelder für Arbeitsmarktpolitik von allen fünf neuen Ländern am meisten und radikalsten gekürzt. ({13}) Deshalb, Herr Scharping, reden Sie doch einmal mit Ihren Parteifreunden. ({14}) Es geht auch darum, mit einer Unternehmensphilosophie zu arbeiten, die ihre Erfolge nicht an Freistellung und Personalabbau mißt. Auch das ist mein ApBundesminister Dr. Norbert Blüm pell an die Unternehmer. Gewinne und Einstellung sind keine Gegensätze. Man kann durch Personalabbau Gewinne machen. Man kann aber auch durch ein intelligentes Personalmanagement Gewinne machen. Man kann Personalüberhang durch Sozialpläne - ich sage: passiv - reduzieren oder beispielsweise durch Teilzeit bzw. durch Altersteilzeit. Dazu bieten wir heute das Instrument: ein Gesetz, das die Altersteilzeit verbessert, mit einem Potential von 1,5 Millionen Menschen, die davon Gebrauch machen können. Das ist doch intelligent: Zwei ältere Arbeitnehmer reduzieren ihre Arbeit um die Hälfte, um einem jüngeren eine neue Chance zu geben. Das ist praktisch angewandter Generationenvertrag. Das ist praktische Politik und nicht heiße Luft von allgemeinen Reden. ({15}) Ich habe hier den Brief eines Personaldirektors: Es ist ein betriebswirtschaftliches Gebot, die Personalanpassungsprobleme so anzugehen, daß sich Lösungen ohne Arbeitslosigkeit ergeben. Weiter heißt es: Es ist sattsam bekannt, daß es die teuerste Lösung ist, auf Auftragsschwankungen mit Entlassungen und späteren Neueinstellungen zu reagieren. Heute besteht die Möglichkeit, Flexibilität nicht durch Ausstieg aus dem Arbeitsverhältnis zu erreichen, sondern im bestehenden Arbeitsverhältnis. Was beklagen Sie? Warum soll ein Sozialhilfeempfänger nicht arbeiten? Ist Arbeit eine Schande? Warum soll nicht ein deutscher Arbeitsloser auch in der Landwirtschaft arbeiten? Ist das eine Schande? ({16}) Was für einen polnischen Mitbürger möglich ist, darf für einen deutschen Arbeitslosen nicht unzumutbar sein. ({17}) Ich will eines festhalten, damit kein falscher Ton in die Debatte kommt: Arbeitslose sind keine Betrüger. Gegen dieses Kollektivurteil wehre ich mich entschieden. Aber wer will bestreiten, daß es auch Ausnutzer gibt, daß es Clevere gibt, die durch die Kombination von Schwarzarbeit und staatlicher Unterstützung mehr Geld in der Tasche haben als die Malocher, die täglich zur Arbeit gehen? Will jemand in diesem Saal das bestreiten? ({18}) Solidarität ist nicht nur schutzwürdig; sie ist auch schutzbedürftig. Solidarität bedeutet nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Wir haben 1993 persönliche Meldekontrollen eingeführt. Da war festzustellen: Auf die erste Meldeaufforderung haben sich 611 000 überhaupt nicht gemeldet, wobei ich die Zahl derjenigen abziehen muß, die möglicherweise krank waren. Aber darf man denn nicht fragen, ob jemand wirklich arbeitslos ist? Was ist daran unzumutbar, daß sich jemand, der Geld vom Staat erhält, beim Arbeitsamt melden muß? Lieber Herr Scharping, da fordere ich Sie zur Klarheit auf. Vielleicht kann das auch Herr Lafontaine tun. Ich habe kraftvolle Worte Ihres möglichen Kanzlerkandidaten Schröder gelesen. Am 11. September 1997 hat er im „Handelsblatt" gesagt: Wir erwarten, daß diese Maßnahmen, nämlich Zumutbarkeit, spürbare Entlastung bringen. Diese neue Zumutbarkeit muß voll ausgeschöpft werden. - Diese Zumutbarkeitsregelung, die Schröder ausnutzen will, haben Sie im Deutschen Bundestag abgelehnt. ({19}) Schröder sagt: Man muß die Zumutbarkeit voll ausnutzen. - Lafontaine sagt: Das ist eine Zumutung. - Entscheiden Sie sich einmal! Oder haben Sie Kanzlerkandidaten für jede Gelegenheit? Bei der IG Metall holzt Lafontaine; bei den Arbeitgebern schmust Schröder. Das ist ein Theaterstück, wie es euch gefällt: Jedem das Seine. Ihr müßt Klarheit schaffen, was jetzt gilt. ({20}) Sie sagen: Illegale Beschäftigung wächst. Wir bekämpfen sie. Sie fordern hier: Die Strafen müssen erhöht werden. Das haben wir vor acht Wochen beschlossen. Sie stellen hier Forderungen - waren Sie nicht im Saal, oder wissen Sie es nicht? -, die wir längst erfüllt haben. ({21}) Das ist die neue Mode in Deutschland, daß ständig Forderungen gestellt werden, wodurch die Kraft und die Aufmerksamkeit abhanden kommen, um das durchzusetzen, was geboten ist. Meine Damen und Herren, wir brauchen Risikobereitschaft auf allen Seiten. Natürlich muß ein Arbeitsloser - wie das in vielen anderen Ländern auch der Fall ist - einen Arbeitsplatz auch unter seiner Qualifikation annehmen.. Allerdings - auch das ist richtig -: Das darf ihm bei seiner nächsten Bewerbung nicht als Makel ausgelegt werden. Ein Ingenieur, der als Maurer arbeitet, hat bei mir ein Plus und kein Defizit - so wie das auch in Amerika ist: Wir brauchen eine Mentalitätsveränderung. Arbeit ehrt. Wer Arbeit annimmt, hat ein Plus. ({22}) Herr Pumm hat gesagt - das habe ich gerade gelesen -: Wer Arbeit unter seiner Qualifikation annimmt, begibt sich auf die Abstiegsspirale, weil er, wenn er wieder arbeitslos wird, weniger Arbeitslosengeld erhält. Falschmeldung, um nicht zu sagen: Lüge! Wir haben die Regel, daß jemand, der nach drei Jahren erneut arbeitslos wird, Arbeitslosengeld bezogen auf seinen ersten Verdienst bekommt. Warum informiert ihr die Arbeitslosen falsch? Warum macht ihr angst? Das ist eine Falschmeldung! ({23}) - Ich kann mich in die Lage eines Familienvaters bzw. einer Mutter, die arbeitslos sind, versetzen. Das ist gar keine Frage. ({24}) Vergleichen Sie aber nicht Deutschland mit Frankreich. Dieser Vergleich ist unzulässig. In Frankreich erhalten Jugendliche unter 25 Jahren überhaupt keine Sozialhilfe. Das können Sie doch nicht mit unseren Verhältnissen vergleichen. In Frankreich beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 27,5 Prozent. Fast jeder dritte Jugendliche ist arbeitslos. Bei uns beträgt die Arbeitslosenrate der Jugendlichen 10,9 Prozent und ist damit halb so hoch wie die entsprechende Durchschnittsrate in Europa. In Frankreich gibt es in den ersten acht Tagen der Arbeitslosigkeit überhaupt kein Arbeitslosengeld. Nach neun Monaten Arbeitslosigkeit wird es um 17 Prozent, nach weiteren sechs Monaten noch einmal um 17 Prozent gekürzt. Wer Deutschland mit Frankreich vergleicht, handelt unredlich, oder er belügt die Leute. Wir haben Gott sei Dank eine Arbeitslosenunterstützung. ({25}) Ein Arbeitsloser ohne Kind bezieht in Deutschland 1 144 DM Arbeitslosenhilfe, in Frankreich 690 DM, ein Ehepaar mit Kind in Deutschland 1 500 DM, in Frankreich 690 DM. Alleinerziehende bekommen in Deutschland 1 321 DM, in Frankreich 690 DM. Meine Damen und Herren, wir brauchen den Sozialstaat. Er ist der soziale Mantel. Aber der Sozialstaat kann nicht die wirtschaftlichen Probleme meistern. Dafür brauchen wir Unternehmer und Sozialpartner. Es wird niemand sagen, daß wir keine Chancen hätten. Wir sind das Land mit der am besten ausgebildeten Arbeitnehmerschaft. Das ist ein großer Standortvorteil. Auch sind unsere Bedürfnisse an Dienstleistungen noch nicht befriedigt; Dienstleistung ist nicht nur als sektorale Beschäftigung zu sehen, sondern geradezu als eine Gesinnung: Der Kunde ist König. Wir brauchen eine Gesinnung, die die Produktion stärker an Kundenwünschen orientiert. Das ist nicht nur eine Frage von Gesetzen, sondern eine Frage von Mentalität. ({26}) Es gibt neue Beschäftigungsfelder im Biobereich, in der Informatik und beim Umweltschutz. Mit Klagen werden Sie keine Arbeitsplätze schaffen. Wir brauchen in Deutschland keine Miesmacher, wir brauchen mehr Mutmacher. ({27}) Wir haben in Westdeutschland - dies ist überraschend, jedoch nicht beruhigend - jetzt 1,3 Millionen mehr Beschäftigte als bei unserem Regierungsantritt, weil mehr Menschen - ich begrüße das - Arbeit suchen und gefunden haben. Wir hatten Zuwanderungen. Mehr Frauen als je zuvor - was ich nicht kritisiere, dies ist ein Prozeß der Emanzipation - suchen Arbeit und haben Arbeit gefunden. Wir brauchen in Deutschland ({28}) nicht mehr Staat. - Das ist die einzige Empfehlung, die Ihnen einfällt: Staat morgens, Staat abends, Staat mittags, Staat nachts. Wir antworten darauf: Selbstverantwortung, Innovation, Initiative und Investition, und der Sozialstaat wird die Menschen weiterhin in schwierigen Lagen begleiten. ({29}) Aber es wird auch von jedem verlangt mitzuwirken. Auch der Arbeitslose muß mitwirken. Im übrigen möchte ich der Bundesanstalt für Arbeit ausdrücklich für 3,3 Millionen Vermittlungen plus 500 000 Vermittlungen über das Stelleninformationssystem danken. Am heutigen Tag werden viele Arbeitsämter belagert werden. Dies ist Grund, einmal zu sagen: Die Arbeitsamtsbediensteten leisten mit der Vermittlung von fast 4 Millionen Beschäftigten hervorragende Arbeit. Aber wo keine offenen Stellen sind, können sie nicht helfen. Wir haben den Arbeitsämtern durch neue Instrumente neue Aufgaben gegeben. Wir können es schaffen, wenn alle mitmachen. Dazu lade ich Sie ein, nicht zum Mitklagen, sondern zum Mitmachen. ({30}) - In diesen zehn Jahren, Herr Schreiner, haben wir das große Werk der deutschen Einheit vollbracht, ({31}) das eine arbeitsmarktpolitische Herausforderung sondergleichen war. Diese Herausforderung, die uns auf dem Arbeitsmarkt in Bedrängnis gebracht hat, bleibt noch immer ein großer Gewinn für die Menschen in Ost und West. ({32})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Joschka Fischer.

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am heutigen Tag werden durch den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit die jüngsten Arbeitslosenzahlen veröffentlicht. Mit über 4,8 Millionen Arbeitslosen hat dieses Land einen einmaligen Höchststand an Arbeitslosigkeit nach dem Kriege zu verzeichnen. Herr Blüm, es geht hier nicht um Ablenkung, sondern es geht um eine wirksame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zu der Sie und Ihre Regierungskoalition offensichtlich nicht mehr in der Lage sind. ({0}) Joseph Fischer ({1}) Es geht nicht um den Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich. Es geht darum, warum in Ihrer Regierungszeit, in der Regierungszeit von Dr. Helmut Kohl, die Arbeitslosigkeit Jahr für Jahr auf diesen einmaligen Höchststand gestiegen ist. Es geht nicht um die Frage: mehr Staat oder weniger Staat? Was muß denn noch passieren, damit wir in diesem Lande endlich eine andere Politik bekommen? ({2}) Ich erinnere mich noch, Herr Bundeskanzler: - es ist ja typisch, daß der Bundeskanzler heute morgen nicht mit einer Regierungserklärung vor das deutsche Volk getreten ist -: ({3}) Blühende Landschaften wurden im Zusammenhang mit der deutschen Einheit versprochen. Schauen Sie sich einmal vor allen Dingen an Hand der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in Ostdeutschland an, was aus diesem Versprechen von den blühenden Landschaften geworden ist! Mich würde interessieren, was Sie heute dazu zu sagen haben. Sie haben von einer Halbierung der Arbeitslosigkeit gesprochen, Herr Bundeskanzler. Mich würde interessieren, was aus diesem Versprechen geworden ist. Statt einer Halbierung der Arbeitslosigkeit erleben wir, daß die Arbeitslosigkeit immer höher gegangen ist und, wenn Sie weiter im Amt bleiben, die Fünfmillionengrenze übersteigen wird. ({4}) Das ist die Situation, mit der wir es heute zu tun haben. Das Schlimme an der ganzen Sache ist: Wir haben es hierbei mit einer echten Systemgefährdung zu tun, die zuerst und vor allen Dingen die sozialen Sicherungssysteme und ihre Zukunftsfähigkeit durch die hohe Arbeitslosigkeit betrifft. Wenn es aber so weitergehen wird, wird diese Systemgefährdung meines Erachtens auch auf die Politik durchschlagen. Wenn man dieses Drama sieht und wenn man sieht, wie handlungsunfähig die Koalition in dieser Frage geworden ist, dann muß man sich den Antrag, den Sie heute vorgestellt haben, einmal genau anschauen. Es ist bitter, es ist ein schlechter Witz, was Sie hier heute vorgelegt haben. In diesem Antrag steht nichts Konkretes, was diese Bundesregierung betrifft. Was Sie vorgelegt haben, ist ein Antrag einer Opposition, die Politik auf erbärmlichstem, unterstem Niveau betreibt. Ich muß Sie fragen: Wer regiert denn dieses Land eigentlich noch, wenn Sie als Koalition solche Anträge in den Deutschen Bundestag einbringen? ({5}) Mir fehlt die Zeit, um hier ins Detail zu gehen. Die einzigen konkreten Dinge in dem Antrag sind Forderungen zu Lasten Dritter, nämlich der Gemeinden. Dieser Antrag ist ein Dokument der völligen Abdankung. Diesen Antrag angesichts einer einmalig hohen Zahl von 4,8 Millionen Arbeitslosen als die Antwort der Koalition und der Regierung auf dieses zentrale Problem vorzulegen, ist eine schlichte Frechheit, ist eine Bankrotterklärung dieser Koalition und dieser Bundesregierung. ({6}) Wir befinden uns in einer Situation, in der sich zwei Dinge auf verderbliche Art und Weise verbinden können: ({7}) - Das ist Ihre große Furcht. Rot und Grün wären für Sie in der Tat verderblich; das ist mir klar. ({8}) Ich prophezeie Ihnen: Sie sind doch diejenigen, die die Notwendigkeit von rot-grün mit jedem Tag, den Sie länger im Amt sind, in diesem Lande klarmachen. ({9}) Ihr Antrag, den Sie heute vorgelegt haben, dieses Dokument der Handlungsunfähigkeit, hat das nachdrücklich unterstrichen. Doch jenseits dieser Albernheiten, meine Damen und Herren: Wir stehen vor dem großen Problem des vertagten Strukturwandels in diesem Lande. Daß in der Zeit, als die Chance, die deutsche Einheit zu nutzen, daß in der Zeit, in der die Steuereinnahmen auf Grund des großen Konjunkturprogramms deutsche Einheit geflossen - ({10}) - Zur F.D.P. und ihrem gigantischen Konjunkturprogramm „Abschaffung der Vermögensteuer" komme ich noch. Halten Sie sich ganz ruhig zurück, Frau Babel! Ich frage Sie: Wie viele Arbeitsplätze haben denn die 9,5 Milliarden DM Senkung der Vermögensteuer gebracht? ({11}) Ich sage Ihnen: Nicht ein Butler, nicht ein Dienstmädchen mehr wurde eingestellt. Vielmehr wurden damit allein die Anlageprobleme der Besser- und Bestverdienenden vergrößert. Das ist die F.D.P.-Politik, nämlich eine Umverteilung von unten nach oben. Bei der Vermögensteuer ist das sehr klar geworden. Das Verjubeln und Verjuxen der Privatisierungserlöse, die zahlreichen Steuervergünstigungen und die durch eine falsche Politik hervorgerufenen Steuerausfälle des Dr. Waigel haben nicht dazu beigetragen, die ArJoseph Fischer ({12}) beitslosigkeit zu verringern. Was ist denn an Zukunftsinvestitionen aus den Privatisierungserlösen durch diese Regierung finanziert worden? ({13}) Das ist Ihre Politik. Mir fielen dazu noch viele andere Dinge ein. Doch zurück zum Thema: Der vertagte Strukturwandel, der in den Jahren 1990 bis 1994, meinetwegen auch mit einer Nettoentlastung bei der Einkommensteuerreform, möglich gewesen wäre, die Sie damals, als die Haushaltslöcher noch nicht so groß waren, nicht angepackt haben - ({14}) - Wir haben unseren Vorschlag vorgelegt, Herr Dr. Schäuble. ({15}) Wir waren bereit, auf dieser Grundlage zu verhandeln. Wir sind aber nicht bereit, eine Politik mitzumachen, wie Sie sie bei der Senkung der Vermögensteuer offenbart haben. Mit uns ist eine weitere Umverteilung von unten nach oben nicht zu machen ({16}) Ich sage Ihnen auch, warum. Das zeigt schlicht und einfach die Konjunkturentwicklung in diesem Land. Es geht doch nicht darum, die oben noch weiter zu entlasten. Die schwache Binnenkonjunktur in diesem Lande zeigt nur allzu klar, wo der Schuh wirklich drückt: Wir müssen endlich dafür Sorge tragen, daß die Massenkaufkraft angekurbelt wird und durch eine Stärkung der Gemeindefinanzen wieder Binnennachfrage entsteht, so daß die regionale Wirtschaft eine Perspektive hat und einstellen kann. ({17}) Für mich ist der entscheidende Punkt aber ein anderer: Wenn sich die weltwirtschaftlichen Gefahren, die sich vor allen Dingen durch die Ostasienkrise ergeben, mit dem vertagten Strukturwandel verbinden, wenn die Volksrepublik China in den nächsten 18 Monaten tatsächlich eine Abwertung vornehmen muß, wie es verschiedene Experten und Analysten prophezeien, und wenn wir nicht endlich den Mut zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik haben, dann, fürchte ich, werden wir die Grenze von 5 Millionen Arbeitslosen in diesem Land übersteigen. Um das zu verhindern, müssen Sie die Mittel allerdings bereitstellen. Sie haben mit den Kürzungen bei ABM, mit der Gesundheitsreform und mit dem chaotischen Vorgehen bei der Entsenderichtlinie zu einer Steigerung der Arbeitslosigkeit beigetragen. Dieses ist unter anderem durch die Bundesanstalt für Arbeit dokumentiert. Wir brauchen jetzt einen Politikwechsel und endlich den Mut, die Lohnnebenkosten durch eine ökologische Steuerreform zu senken. Das fordern wir in diesem Hause seit vier Jahren, damit wir endlich die hohen Bruttolohnkosten senken können. ({18}) Wir brauchen jetzt eine Umverteilung von Arbeit. Hier wird immer Holland angeführt. In Holland und in Dänemark wurden die Erfolge durch eine Teilzeitoffensive erzielt, wie wir sie hier schon lange gefordert haben. In Holland wurden diese Erfolge dadurch erzielt, daß auf der einen Seite Lohnzurückhaltung geübt wurde und auf der anderen Seite verbindliche Einstellungszusagen in einem Bündnis für Arbeit gegeben wurden. Ich frage Sie: Gab es in Deutschland Lohnzurückhaltung? Schauen Sie sich die Entwicklung bei den Reallohneinkommen an: Es gab hier eine Lohnzurückhaltung. Es hat aber keine verbindliche Zusage für Neueinstellungen gegeben. Das liegt unter anderem daran, daß Sie das „Bündnis für Arbeit" aus schlichtem Mutwillen gegen die Wand gefahren haben. ({19}) Deswegen sagen wir Ihnen: Senkung der Bruttolohnkosten durch eine ökologische Steuerreform; ein Bündnis für Arbeit, das auf einer Neuverteilung der Arbeit durch mehr Teilzeit und auf einer gerechteren Verteilung der Arbeit durch eine Beseitigung der zwei Milliarden Überstunden gründet, die wir in 1997 hatten; ein Bündnis für Arbeit, das nicht nur auf einer Basis, nämlich Lohnzurückhaltung bei den Beschäftigten, sondern endlich auch auf verbindlichen Zusagen zu Neueinstellungen und Investitionen auf der Unternehmerseite gründet. Das werden Sie nicht mehr hinbekommen. Dazu brauchen wir einen Politik- und damit auch einen Mehrheitswechsel. ({20})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Gisela Babel.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat heute mit 4,8 Millionen Arbeitslosen einen neuen Rekord bekanntgegeben. ({0}) 4,8 Millionen Arbeitslose in Deutschland, das ist eine schwere Hypothek. Sie lastet auf der gesamten Gesellschaft, sie lastet auf der Politik in Bund, Ländern und Gemeinden. Sie lastet auch auf den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden. Diese hohe Arbeitslosigkeit steht durchaus im Widerspruch zur wirtschaftlichen Lage. Nach wie vor ist die deutsche Wirtschaft eine der leistungsfähigsten und modernsten in der Welt. Die deutsche Börse, die seit den 90er Jahren eine steile Entwicklung vollzogen hat, auch im internationalen Vergleich, eilt von Rekord zu Rekord. Dies werte ich durchaus auch als Beweis dafür, daß es ein Vertrauen in deutsche Unternehmen gibt. Doch diese Wirtschaftskraft schlägt sich nicht in neuen Arbeitsplätzen nieder. Im Gegenteil: Die Zahl der Arbeitsplätze wurde abgebaut und die Zahl der Arbeitslosen hat zugenommen. Auffallend ist: Die Ausländer investieren ihr Geld in den deutschen Finanzmarkt, sie scheuen aber konkretes wirtschaftliches Engagement in Form von Direktinvestitionen in Betriebe und Unternehmen in Deutschland. ({1}) Ist das verwunderlich? ({2}) Unternehmen, die sich bei uns niederlassen wollen und engagieren wollen, müssen sich durch den Drahtverhau deutscher Regulierungen, Genehmigungsverfahren und Auflagen durchbeißen ({3}) und scheitern mitunter an großspurigen Landesfürsten wie Gerhard Schröder, der selber Firmen aufkauft, wie wir das gestern beredet haben, um sichere Arbeitsplätze noch sicherer zu machen. Ein ganz entscheidender Grund für ausbleibende Investitionen im In- und Ausland ist zweifellos die Höhe der Kosten, die ein solcher Arbeitsplatz verursacht. Der internationale Vergleich zeigt es ganz deutlich: Zwar zahlen wir in Deutschland die höchsten Löhne, aber den deutschen Arbeitnehmern wird auch am meisten weggenommen. ({4}) Während ein japanischer Facharbeiter etwa 60 Prozent seines Bruttoverdienstes in der Tasche behält, darf ein deutscher Facharbeiter oft nur 30 Prozent seines Lohnes mit nach Hause tragen. ({5}) Es handelt sich hierbei um schwer arbeitende Leute. Herr Fischer hat mit seiner Idee der Grundsicherung ein wunderbares Rezept, das einer Familie 4 000 DM ohne jede Gegenleistung garantiert. Diejenigen, die dies finanzieren müssen, sind wiederum die Facharbeiter. Das ist mit uns nicht zu machen. ({6}) Diese gigantische Umverteilungsmaschine bremst die Leistungsbereitschaft; sie mindert die Wettbewerbschancen und die Effizienz in der Wirtschaft. Deshalb ist es richtig, hier den Hebel anzusetzen. Herr Scharping, es reicht nicht aus, wenn Sie sich hier hinstellen und tränenreich das Schicksal beschwören, Mitleid zum Ausdruck bringen, aber sich im Grunde genommen verweigern, wenn es um die Bedingungen geht, die erfüllt werden müssen, um Arbeitslosigkeit in unserem Lande zu bekämpfen. ({7}) Das Thema Steuerreform ist bei der Frage der Senkung der Abgabenlast ein Schlüsselthema. Wer aber, wie die SPD es tut, Steuern nicht nachhaltig senkt, sondern - im Gegenteil - Steuern erhöht, um sie in soziale Sicherungssysteme zu pumpen, der senkt die Abgabenlast nicht und der wird auch den Wandel auf dem Arbeitsmarkt nicht schaffen. Es gibt in der ganzen Welt kein Land, das seine Wirtschafts- und Beschäftigungsprobleme durch Steueranhebungen gelöst hat. Es gibt aber viele Länder, die durch konsequentes und mutiges Absenken der Steuern Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpft haben. ({8}) Als Beispiel verweise ich auf die USA. Für Sie besonders interessant und lehrreich sollte sein, daß Tony Blair das Senken der Steuern für Unternehmen auf 31 Prozent erwägt. Das muß Sozialdemokraten doch sehr schmerzen. ({9}) Im Gegensatz zur Opposition hat die Koalition diese Tatsachen richtig erkannt und eine zutreffende Diagnose gestellt. Der Reformkurs als Therapie war ebenfalls richtig; aber die Dosis war zu schwach und die Therapie wurde zu spät begonnen. Wir haben die sozialen Sicherungssysteme reformiert; es handelte sich dabei um echte Strukturreformen. Die Reform der Arbeitslosenversicherung - das wird oft vergessen; Arbeitsminister Blüm hat darauf hingewiesen - ist ja erst vor knapp fünf Wochen, zum 1. Januar dieses Jahres, in Kraft getreten. Die Rentenreform wirkt in Minischritten überhaupt erst ab 1999. Trotz Abschaffung der Frühverrentung haben wir auf Grund des Vertrauensschutzes nach wie vor Hunderttausende von Frührentnern jährlich. Hier haben wir zu spät gehandelt. Es gibt durchaus einige Bereiche - das sage ich als F.D.P.-Mitglied -, die eine noch stärkere Liberalisierung vertragen. Das gilt für das Arbeitsrecht, zum Beispiel im Bereich der Zeitarbeit. Warum können wir in Deutschland nicht mehr Zeitarbeit zulassen? Warum verbessern wir nicht die Voraussetzungen? Die Niederlande führen uns eindrucksvoll vor, in welchem Maße sich das Instrument der Zeitarbeit zur Integration von Arbeitslosen entwickelt hat. Ich stimme in diesem Punkt mit meinem Kollegen Louven überein, daß in Deutschland - zum Nachteil von Arbeitslosen - Möglichkeiten nicht genutzt werden. Dies zu tun wäre also eine Aufgabe des Herrn Arbeitsministers. Um unsere Reformstrategie sichtbar und überzeugend zu machen, halte ich es übrigens auch für zwingend notwendig, Lohnnebenkosten wenigstens dort zu senken, wo es schnell möglich wäre. ({10}) Wir haben in der Koalition vereinbart, diese Lohnzusatzkosten wieder unter 40 Prozent zu drücken. Zur Zeit liegen die Lohnzusatzkosten bei 42,1 Prozent. Leider ist die F.D.P. weit und breit die einzige Partei, die jetzt für eine Senkung des Beitrages in der Pflegeversicherung um 0,2 Prozent von 1,7 Prozent auf 1,5 Prozent eintritt. Wir werden dies auch weiterhin mit Vehemenz fordern. Es geht uns darum, die vereinbarte Senkung der Lohnzusatzkosten wenigstens einzuleiten. Dabei ist mir bewußt, daß dies nur ein kleiner Schritt ist; aber das zurückzugebende Geld beträgt immerhin 3,6 Milliarden DM. Es gehört in die Tasche der Beitragszahler. ({11}) Es gehört eben nicht, wie mir Kollege Andres in einem Brief geschrieben hat, den Pflegebedürftigen. Sie haben nur Anspruch auf die Leistungen aus der Pflegeversicherung, an denen wir ja nicht rütteln wollen. Mehr Geld in der Tasche der Beschäftigten, mehr Eigeninitiative, mehr Leistungsbereitschaft, weniger Versorgungsleistungen nach dem Gießkannenprinzip - das sind die Stichworte, die auch beim Thema Beschäftigung von Sozialhilfeempfängern anzumerken sind. Hier wird das Menschenbild erkennbar: Nicht der Versorgungsempfänger erhebt Ansprüche, sondern er bietet seine Arbeitskraft an und erhält Arbeitsgelegenheiten. Es ist wichtig, diese gerade für Jugendliche zu schaffen. Das ist ein Schwerpunkt unseres Antrages und - wie ich finde - ein richtiger Ansatz. ({12}) Gegenstand unserer Debatte ist auch der Gesetzentwurf zur Flankierung flexibler Arbeitszeit. Mit diesem Gesetzentwurf setzt die Koalition ihren Reformkurs fort, indem sie damit Regelungen zur flexiblen Arbeitszeit erleichtert. Jahreskonten und Lebenszeitkonten erfordern flexible Regelungen in den Sozialversicherungen. Sie sind in diesem Gesetzentwurf verankert. Für die F.D.P. ist es ganz wichtig, daß diese Vereinbarungen jetzt innerhalb von drei Jahren in Betriebsvereinbarungen und in Einzelverträgen ohne Tarifvorbehalt abgeschlossen werden können. Danach ist allerdings eine tarifvertragliche Regelung ein Erfordernis. Das ist ein wichtiges Signal in der Diskussion über die notwendige Flexibilisierung. Ich bin sehr gespannt, zu hören, wie sich die Sozialdemokraten zu diesem Gesetz, das immerhin die Zustimmung der Gewerkschaften gefunden hat, stellen werden. 4,8 Millionen Arbeitslose dürfen die Gesellschaft nicht ruhen lassen. Auch die Opposition sollte vermeiden, Arbeitslosigkeit als reines Wahlkampfthema zu Markte zu tragen und sich ansonsten aus der Verantwortung zu stehlen. ({13}) Sie haben die Steuerreform blockiert. Sie war eines der wichtigsten Reformvorhaben in Deutschland überhaupt. Sie waren gegen alle Sparvorschläge in den Sozialversicherungen. Jetzt haben Sie sogar den Rückzug von der Regelung in bezug auf die gesetzliche Lohnfortzahlung im Krankheitsfall angetreten. ({14}) Meine Damen und Herren, Sie versagen in Nordrhein-Westfalen konkret im Fall von Garzweiler II, Sie versagen in Schleswig-Holstein, Sie begnügen sich in Niedersachsen damit, Arbeitsplätze, die sicher sind, noch sicherer zu machen, indem der Landesfürst eine entsprechende Beteiligung auf Pump erwirbt. Das ist wirklich kein Beweis dafür - Sie sehen ja die Schaffung von Arbeitsplätzen als Chefsache an -, daß Sie in irgendeiner Weise vernünftig handeln. ({15}) Auf dem steinigen Weg zu mehr Arbeit dürfen wir nicht in Schutzhütten mit der Aufschrift „Beschäftigungsprogramm" Zuflucht suchen. Wir müssen uns dem Wind und sogar dem Hagel von Wettbewerb und Leistung aussetzen. Dazu braucht der Bürger wieder mehr Freiheit zum Handeln, mehr Geld in der Tasche, aber natürlich auch die Bereitschaft zu mehr Leistung. Zu dem Kurs der Koalition und der Bundesregierung gibt es keine Alternative. Allenfalls kann man - nach meiner Meinung - versuchen, mit mehr Tempo und Entschlossenheit schneller voranzukommen. Nur das hilft den Arbeitslosen; nur das hilft der Gesellschaft. Ich bedanke mich. ({16})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Babel, Sie irren. Es gibt immer Alternativen, die realisierbar sind. ({0}) - Natürlich bin ich eine Alternative. Daß Sie sie als abschreckend empfinden, ehrt mich bei der Politik, die Sie in den letzten Jahren hier betrieben haben, in gewisser Hinsicht. ({1}) Wir haben es tatsächlich mit einer sehr ernsthaften Situation zu tun. Ich freue mich, daß heute das erste Mal Arbeitslose in Deutschland auf die Straße gehen, ({2}) sich selbst einmal zu Worte melden und nicht mehr nur als Zuschauer verharren und sich anschauen, was da oben geschieht. Sie erkennen vielmehr, daß sie sich selbst bewegen müssen, damit sich in dieser Gesellschaft etwas bewegt. Das halte ich für völlig richtig. ({3}) Auf der anderen Seite haben wir die erschrekkende Zahl von mehr als 4,8 Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen. Beides veranlaßte die Koalition, heute einen Antrag vorzulegen. Ich finde, daß es sich lohnt, sich damit zu beschäftigen. Ich sage Ihnen etwas zu den neuen Bundesländern. Wenn Herr Bundesminister Blüm hier am Schluß seiner Rede erklärt, daß an der Arbeitslosigkeit die deutsche Einheit schuld sei, die er dennoch begrüße, dann behaupte ich, daß er ein Mann ist, der die deutsche Einheit kaputtredet, der in Wirklichkeit spaltet. Nein, schuld an der Arbeitslosigkeit ist nicht die deutsche Einheit, sondern Ihre verfehlte Politik. Dazu müssen Sie sich hier einmal bekennen. ({4}) - Sie haben gesagt, sie habe die Situation auf dem Arbeitsmarkt wesentlich erschwert. Damit haben Sie in der deutschen Einheit eine Ursache der Arbeitslosigkeit gesehen. Das ist eine völlig falsche Analyse. ({5}) - Sie können der DDR wirklich viel vorwerfen, bloß nicht einen Mangel an Arbeitsplätzen. ({6}) Aber ich würde gerne auf Ihr Programm zurückkommen, das Sie heute vorgelegt haben. Ich habe mich über eines gewundert: Weder Herr Blüm noch Frau Babel sind auf das eingegangen, was Sie hier vorgelegt haben. Warum stehen Sie eigentlich nicht zu dem Entwurf des Beschlusses, den Sie vorgelegt haben? Warum diskutiert niemand über dieses Papier? Darüber soll doch nachher abgestimmt werden! ({7}) Schauen wir uns doch einmal an, was Sie in Anbetracht von über 4,8 Millionen Arbeitslosen diesem Deutschen Bundestag ernsthaft anbieten. Wenn eine Oppositionsfraktion vom Niveau her so etwas vorgelegt hätte - einmal abgesehen davon, daß es ihr inhaltlich nicht zuzutrauen wäre -, hätten Sie das in der Luft zerrissen - mit der, übrigens völlig berechtigten, Bemerkung, daß durch ein solches Programm nicht ein einziger Arbeitsplatz in diesem Lande entstehen kann. ({8}) Erstens: arbeitslose Sozialhilfeempfänger. Was bieten Sie da ernsthaft an? Das muß man sich wirklich einmal ansehen. Da schreiben Sie, Herr Schäuble: Die Kommunen sind aufgefordert, jede Möglichkeit der Beschäftigung von Sozialhilfeempfängern, insbesondere durch Schaffung von Arbeitsgelegenheiten, im eigenen finanziellen Interesse zu nutzen, aber auch die Kürzungsvorschriften bei Ablehnung von Arbeitsangeboten, bis hin zur vollständigen Versagung, konsequent anzuwenden. Was heißt das im Klartext? Sie fordern für Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger nicht einmal Arbeitsplätze, sondern Sie fordern nur noch „Arbeitsgelegenheiten" . Sie sagen aber nicht einmal, was das sein soll, und drohen ihnen bei Ablehnung mit Kürzung oder vollständiger Versagung von Arbeitslosenhilfe. Eine Frage beantworten Sie allerdings nicht: Was soll aus demjenigen, dem Sozialhilfe vollständig versagt wird, eigentlich werden? Soll er verhungern? Sie müssen das hier schon erklären, was aus einem solchen Menschen werden soll. Wieso sollen die Kommunen das machen? Das ist ein Aufruf an Dritte. Sie sagen, die Kommunen hätten dafür zu sorgen. Damit sind die Länder und der Bund raus, und Sie haben damit überhaupt nichts zu tun. Also: kein Arbeitsplatzangebot für Sozialhilfeempfänger. Zweitens. Im Falle der Arbeitslosenhilfeempfänger fordern Sie lediglich, vorhandene Gesetze anzuwenden. Was ist denn an dieser Initiative neu, daß vorhandene Gesetze angewandt werden sollen? ({9}) Außerdem sagen Sie - wieder an Dritte gewandt; nicht etwa Sie wollen etwas tun, und nicht die Regierung soll etwas tun -: Der Deutsche Bundestag fordert die Arbeitsämter auf, von diesen neuen Möglichkeiten intensiven Gebrauch zu machen. Also sind die Arbeitsämter schuld. Mit der Regierung hat das Ganze nichts zu tun. Ganz abgesehen davon: Wovon sollen sie denn eigentlich mehr Gebrauch machen, Herr Schäuble? Wissen Sie, worauf Sie hinweisen? Sie weisen darauf hin, daß die Arbeitsämter jetzt auch private Serviceagenturen beauftragen dürfen, Arbeitsvermittlung zu organisieren. Davon soll konsequent Gebrauch gemacht werden. Nur eins erklären Sie in diesem Punkte nicht: Wie wollen Sie denn, ob nun privat oder staatlich, Arbeit vermitteln, wenn keine bezahlte Arbeit vorhanden ist, wenn es keine Arbeitsplätze gibt? Das ist doch das Problem. Das ist doch keine Vermittlungsfrage, sondern es ist die Frage des Angebots an Arbeitsplätzen. Dieses Angebot fehlt. ({10}) Drittens kommen Sie zu dem Punkt arbeitslose Jugendliche und sagen, Sie bräuchten mehr AusbilDr. Gregor Gysi dungs- und Praktikantenstellen für arbeitslose Jugendliche. Wie sieht jetzt der Vorschlag aus? Ich lese es Ihnen wieder vor: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, - hier kommt sie das erstemal vor mit den Ländern, den Kommunen, der Bundesanstalt für Arbeit und den Sozialpartnern darüber in Gespräche einzutreten. Dann schreiben Sie: Dies gilt besonders - ich weiß gar nicht, was mit „dies" gemeint ist: die Gespräche? für die Länder, bei denen die Nachfrage nach Lehrstellen das Angebot übersteigt. Also, die Länder, bei denen das so ist, sollen besonders viel reden. Das heißt, Ihr ganzer Vorschlag läuft darauf hinaus, daß man sich miteinander unterhalten soll und dabei möglicherweise eine Idee hat, wie man Praktikantenstellen für jugendliche Arbeitslose schafft. Das bieten Sie ernsthaft als kurzfristiges Programm zur Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit in Deutschland an. Und damit ist auch Schluß. Das sind die drei Punkte, die Sie dafür anbieten. Dann kommen Ihre mittelfristigen Pläne. Da dachte ich: Nun kommt es aber; jetzt kommen die Reformen. Was schlagen Sie da vor? Als erstes schlagen Sie vor: die Vereinheitlichung des Arbeitslosenhilferechts und des Sozialhilferechts. Können Sie mir sagen, was für ein Arbeitsplatz durch die Vereinheitlichung von Sozialhilfe- und Arbeitlosenhilferecht entstehen soll? Wie soll das die Arbeitslosigkeit bekämpfen? ({11}) Ich habe in diesem Zusammenhang keine Ideen. Wissen Sie, das einzige, das dann passiert, ist: Sie versuchen die Arbeitslosenhilfe abzuschaffen, Sie versuchen, aus all diesen Leuten Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger zu machen, und zwar mit dem einzigen Ziel, die Statistik zu bereinigen, ({12}) weil Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger nicht in der Arbeitslosenstatistik aufkreuzen. Das ist nun wirklich die klassische Politik, wie ich sie noch von früher kenne. Man beseitigt nicht das Problem, ({13}) sondern man ändert die Statistik über das Problem. ({14}) Ich sage Ihnen: Damit kommen Sie nicht durch. Jetzt kommt Ihr Hauptpunkt: das Bündnis für Langzeitarbeitslose. Ich hatte gehofft, Sie wollten ein Bündnis gegen Langzeitarbeitslosigkeit machen, aber lassen wir das dahingestellt. ({15}) Was bieten Sie ernsthaft an? Sie sagen: Die Lohnstruktur muß stärker gespreizt werden. Sie sagen: Wir brauchen endlich billig bezahlte Dienstleistungen. Sie schlagen vor, daß das Personal um Pförtner, Schuhputzer und Hilfen an Tankstellen und in Supermärkten erweitert werden muß. Sagen Sie einmal, Frau Babel und Herr Schäuble: Soll Ihr Vorschlag an die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland ernsthaft der sein, daß gesagt wird: ({16}) Wir lösen das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit, indem wir wieder mehr Pförtner einstellen und Schuhputzer auf die Straße stellen. Es ist wahr: Wenn man durch Indien fährt, sieht man mehr Schuhputzer, als wenn man durch Deutschland fährt. Das ist wahr. Aber ich sage Ihnen: Sie werden diese Probleme in Deutschland nicht auf diesem Weg lösen. Ich halte es auch für einen zivilisatorischen Rückschritt, ernsthaft anzunehmen, daß man durch Billigdienstleistungen, durch sichtbare Armut auf der Straße, durch ganz schlecht bezahlte Jobs Arbeitslosigkeit mindern kann. Das wird niemals der Weg sein. Das mag Ihr Versuch sein, aber die Linke in Deutschland wird diesen Weg nicht gehen. ({17}) Wenn Sie die Massenarbeitslosigkeit wirklich bekämpfen wollten, dann hätten Sie ein ganz anderes Programm vorlegen müssen, dann hätten Sie ein Programm darüber vorlegen müssen, wie Sie die Arbeit neu verteilen wollen, das heißt, wie Sie eine Arbeitszeitverkürzung erreichen wollen, wie Sie das Arbeitszeitgesetz der Bundesrepublik Deutschland so verändern wollen, daß wir von der über 1 Million Überstunden endlich herunterkommen und daß daraus Arbeitsplätze werden. Sie hätten Vorschläge dazu machen müssen, wie man die Arbeitsmarktpolitik aktiv gestaltet und wie man die Maßnahmen, die Sie zurückgenommen haben, wieder einführt. Sie hätten Vorschläge machen müssen - daraus kann man den Staat nicht entlassen, Herr Dr. Blüm -, wie wir bei über 4,8 Millionen Arbeitslosen versuchen, mit Hilfe eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, und zwar in Bereichen, wo es keine Konkurrenz gibt, bei der Pflege, im ökologischen Bereich, im Kulturbereich, im Bildungsbereich und im Bereich von Dienstleistungen, wie zum Beispiel Schulderinnen- und Schuldnerberatung. Das ist auf Dauer nicht über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und schon gar nicht über die Abschaffung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen möglich. Wir brauchen sowohl aus inhaltlichen Gründen als auch zur sozialen Sicherung dauerhafte Arbeitsplätze. Dann fließen wieder Steuern und Beiträge in die Versicherungssysteme, die Kaufkraft wird gestärkt. Das ist in jeder Hinsicht erforderlich. Sie könDr. Gregor Gysi nen nicht alles auf die Wirtschaft abschieben. Was die Wirtschaft nicht leistet, müssen wir durch einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor ergänzen. ({18}) Sie hätten Vorschläge machen müssen, wie Sie die Lohnzusatzkosten endlich so berechnen wollen, daß einerseits die Unternehmen nicht daran zugrunde gehen und daß auf der anderen Seite die Unternehmen, die zahlen können, auch die entsprechenden Beiträge in die Versicherungssysteme leisten. Wir schlagen seit Jahren vor, die Lohnzusatzkosten der Unternehmen an die Bruttowertschöpfung und nicht an die Zahl der Beschäftigten, nicht an den Bruttolohn zu koppeln, um sie nicht arbeitsfeindlich, sondern vom Wirtschaftsergebnis eines Unternehmens abhängig zu machen. Das wäre ein sinnvoller Schritt. Wo ist Ihr Vorschlag zur Förderung der kleinen und mittelständischen Unternehmen? Dazu gibt es keinen einzigen Vorschlag in Ihrem Programm. ({19}) Wo ist Ihr Vorschlag, die Kommunen zu stärken, damit sie als öffentlicher Auftraggeber auftreten können? Dafür braucht man nicht einmal mehr Geld; wir müssen nur die Landes- und Bundesförderungen in großem Umfang abschmelzen und den Kommunen das Geld pauschal geben, damit sie sich selbst verwalten können, wie es das Grundgesetz fordert, und öffentliche Aufträge ausschreiben können, und zwar in kleinen Losen, um eigene kleine und mittelständische Unternehmen endlich zu fördern und regionale Strukturen aufzubauen. Wo ist Ihr Vorschlag zur Stärkung der Kaufkraft? Ohne Kaufkraftstärkung wird es keine neuen Arbeitsplätze in Deutschland geben. Wo ist Ihr Vorschlag zu einer Steuerreform, die endlich Arbeit begünstigt und nicht länger Arbeit bestraft? Alle diese Vorschläge bleiben aus. Alles, was Sie in den letzten Jahren gemacht haben, ist, die Besserverdienenden, die Vermögenden, die Reichen ständig zu begünstigen, wobei Sie immer versprochen haben, daß das Geld von jenen zur Schaffung von Arbeitsplätzen eingesetzt würde. Frau Babel, wenn Sie das je geglaubt haben sollten, müßten Sie doch inzwischen akzeptieren, daß es nicht funktioniert hat. Die Abschaffung der Vermögensteuer hat zu keinem neuen Arbeitsplatz geführt. Das gilt auch für viele andere Steuergeschenke, die Sie gemacht haben. Alle Steuerschlupflöcher, über die Sie sich heute beschweren, haben Sie selber organisiert.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Dr. Gysi, bitte kommen Sie zum Schluß.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme zum Schluß. - Herr Blüm, ich finde, es ist ein Skandal, wenn Sie darauf hinweisen, daß es unter Arbeitslosen auch Betrüger gibt. Das mag es im Einzelfall geben. Aber die Betrüger, unter denen diese Gesellschaft leidet, sind die Hinterzieher hoher Steuern. Gegen diese Menschen macht die Koalition nichts. ({0}) Sie haut immer nur bei der Sozialhilfeempfängerin und beim Arbeitslosen drauf. Kümmern Sie sich einmal um die Reichen in dieser Gesellschaft! Bei denen ist etwas zu holen, nicht bei den Armen in Deutschland. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

In der Debatte spricht jetzt der Abgeordnete Ulf Fink.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierungskoalition hat Ihnen heute ein Programm gegen Langzeitarbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit vorgelegt. ({0}) Dieses Programm entspricht der auf dem EU-Gipfel getroffenen Verabredung, daß sich staatliche Politik vor allem auf die Problemgruppen des Arbeitsmarktes zu beziehen habe. Konjunkturprogramme à la Schmidt - das haben wir gesehen - haben sich zumeist als wirkungsloses Strohfeuer entpuppt. ({1}) Dieses Programm gegen Langzeitarbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion seit Sommer des vergangenen Jahres in vielen Expertengesprächen mit Vertretern der Regierung, der Länder, der Städte, des Deutschen Gewerkschaftsbundes sorgsam ausgearbeitet. Im vergangenen November haben wir dazu in Berlin einen großen Kongreß durchgeführt, auf dem die Städtetagspräsidentin Roth, Dieter Schulte und Dieter Hundt anwesend waren, um nur einige zu nennen. Aus all diesen Beiträgen haben wir das vorliegende Programm entwickelt. Deshalb ist es auch kein Wunder, daß der Deutsche Industrie- und Handelstag, der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Deutsche Städte- und Gemeindebund, beispielsweise das Geschäftsführende Präsidialmitglied Landsberg, dieses Programm ausdrücklich begrüßt und gesagt haben, bisher gebe es keine Alternative zu diesem Programm. Als bei Ihnen offenbar noch keine Sprachregelung ausgegeben worden war, hat selbst Ihr wirtschaftspolitischer Sprecher, Herr Schwanhold, gesagt, dieses Programm sei insbesondere in seinem arbeitslose Sozialhilfeempfänger betreffenden Teil wichtig. Er hat das wohl aber nur sagen dürfen, bevor Sie Ihre neuen Sprachregelungen ausgegeben haben. Ich fordere Sie auf: Kommen Sie aus Ihren Schützengräben heraus! ({2}) Ein ganz wichtiger Teil ist, daß 100 000 arbeitslose Sozialhilfeempfänger in diesem Jahr neu in Arbeit gebracht werden können. Das ist ein Auftrag nach dem Bundessozialhilfegesetz an die Kommunen. Sie haben nach § 18 die Aufgabe, arbeitslosen Sozialhilfeempfängern Beschäftigungsgelegenheiten anzubieten. Dafür gibt es doch heute schon großartige Beispiele, etwa Lübeck und Leipzig, wo jedem arbeitslosen Sozialhilfeempfänger eine Arbeit angeboten wird, Osnabrück-Land, Mannheim, Berlin, wo über 50 000 Sozialhilfeempfänger arbeiten. Das sind großartige Beispiele dafür, was geschehen kann, wenn man sich dabei wirklich Mühe gibt. Es rechnet sich doch auch. Herr Ruschmeier, der Oberstadtdirektor von Köln, kommt zwar daher und sagt, das könne nicht bezahlt werden. Alle Erfahrungen zeigen aber ein ganz anderes Bild. Sobald Sozialhilfeempfänger zur Arbeit aufgefordert werden, stellt ein Drittel den Kontakt zum Sozialamt ein, weil ganz offenbar bei ihnen das Gefühl nicht vorhanden ist, daß eine Leistung einer Gegenleistung bedarf. Ein weiteres Drittel schafft es, endgültig in den ersten Arbeitsmarkt überzutreten. ({3}) Ein weiteres Drittel hat dann Ansprüche gegenüber dem Arbeitsamt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Fink, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schwanhold?

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Ich will dies im Zusammenhang ausführen. Nur ein ganz geringer Teil fällt wieder in die Sozialhilfe zurück. Da kann ich Herrn Ruschmeier nur folgendes vorrechnen: Wenn man in Nordrhein-Westfalen ein Beschäftigungsverhältnis mit einem Entgelt von beispielsweise monatlich 3000 DM finanziert, dann kommen einschließlich Arbeitgeberbeiträgen pro Jahr Kosten in Höhe von rund 43 000 DM zustande. Nach Abzug der Zuschüsse, die das Land NordrheinWestfalen den Kommunen für die Beschäftigung eines Sozialhilfeempfängers zahlt, nämlich von 18 000 DM, entstehen der Stadt Nettokosten von 25 000 DM. Dagegen muß nun aber gerechnet werden, was der Jahresunterhalt eines arbeitslosen Sozialhilfeempfängers kostet. Das sind pro Jahr über 10 000 DM. Das ist wenig gerechnet. Das heißt, bereits nach spätestens 16 Monaten hat es sich für die Gemeinde ausgezahlt, den Sozialhilfeempfänger zu beschäftigen. Zu einem noch besseren Ergebnis kommt man, wenn man dies für einen verheirateten arbeitslosen Sozialhilfeempfänger mit zwei Kindern berechnet. Denn da kostet das Arbeitsverhältnis wiederum rund 25 000 DM. Dagegengerechnet werden müssen aber fast 22 000 DM, die für den Unterhalt dieser Familie zu zahlen sind. Das heißt, bereits nach drei Monaten hat sich die Beschäftigung für die Gemeinde gelohnt. Es gibt kein einziges Argument, warum Kommunen arbeitslose Sozialhilfeempfänger nicht beschäftigen sollen. Wenn sie es nicht tun, liegt es an Gedankenlosigkeit, Bürokratie oder daran - auf diesen Verdacht könnte man kommen -, daß der eine oder andere sozialdemokratische Bürgermeister eine klammheimliche Freude über hohe Arbeitslosenzahlen hat. ({0}) Ein nächster Punkt. ({1}) Ich komme zum Thema Jugendarbeitslosigkeit. Natürlich ist es besser, wenn ein Jugendlicher einen Arbeitsplatz oder eine Lehrstelle erhält. Da aber, wo dies nicht gelingt, ist es gut - dies schlagen wir vor -, wenigstens einen Praktikantenplatz bei gleichzeitiger Qualifizierung anzubieten. In Hamburg hat man das mit großem Erfolg insbesondere für die Jugendlichen ohne Hauptschulabschluß getan. Das sind 80 000 Jugendliche pro Jahr. Die kann man doch nicht außen vor stehen lassen. Sie bekommen im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses 800 DM brutto bzw. 500 DM netto. Angesichts dessen sagen manche, das sei ein Billigprogramm. Was glauben Sie denn, wo wir leben und wie hoch tarifvertragliche Lehrlingsvergütungen sind? Im Handwerk verdient man im ersten Lehrjahr im Durchschnitt 750 DM brutto, im zweiten Lehrjahr 850 DM und im dritten 1000 DM. Es gibt viele Lehrberufe, in denen man weniger verdient, zum Beispiel im Schuhhandwerk in Ostdeutschland: 400 DM im ersten, 450 DM im zweiten und 500 DM im dritten Lehrjahr. Wo leben wir denn überhaupt? Da sagt der Herr Wiesehügel, der Kollege von der IG Bau, das alles sei nichts, es sei ein schlimmes Programm, was wir nach dem Hamburger Vorbild umsetzen wollen. ({2}) Ich will Ihnen aus einem Protokoll des Hamburger Arbeitsamtes, Abteilung Berufsberatung, mit Datum vom 30. Mai 1997 vorlesen. Da steht ausdrücklich: Das Quas-Konzept wird von allen am Ausbildungsmarkt beteiligten Institutionen unterstützt. Die Senatsbehörde für Schule, Jugend und Berufsbildung stieg in die Finanzierung mit ein. ({3}) Die Arbeitgeberorganisationen einschließlich der Kammern sowie - jetzt kommt es der Deutsche Gewerkschaftsbund und die DAG Hamburg bemühten sich erfolgreich, Hindernisse zum Beispiel tarifrechtlicher und vertragsrechtUlf Fink licher Natur aus dem Wege zu räumen und bei den Hamburger Betrieben Akzeptanz für das Projekt zu erreichen. ({4}) Wie kann denn auf einmal das, was in Hamburg vom DGB ausdrücklich unterstützt wird, dann falsch sein, wenn wir es bundesweit vorschlagen? Das kann doch nicht in Ordnung sein. ({5}) Sie sollten auch einmal die Scheuklappen herunternehmen, was das Thema Löhne angeht. Natürlich ist es das beste, wenn man wenigstens 15, 20 oder 25 DM in der Stunde verdient. Klar ist das gut. Aber es werden auf der anderen Seite nicht so viele Arbeitsgelegenheiten angeboten, weil manche eben sagen, sie könnten es sich nicht leisten, jemanden für 15, 20 oder 25 DM Stundenlohn einzustellen, wenn noch die Arbeitgeberbeiträge hinzukommen. ({6}) Dann ist es doch in Ordnung, zu sagen: Laßt uns doch einmal sehen, wie wir aus dem Dilemma herauskommen. Es werden bei uns bestimmte einfache Dienstleistungen nicht angeboten, weil sie einfach zu teuer sind. Dabei besteht gerade im Dienstleistungssektor ein riesiges Beschäftigungspotential. Wir haben gerade in Hannover einen Kongreß gehabt. Dort haben wir gesehen: Das, was da an Existenzgründungen möglich ist, birgt Riesenmöglichkeiten. Aber natürlich ist es schwer. Wir wollen den Menschen doch wenigstens ein bestimmtes Mindesteinkommen geben. Deshalb muß man das tun, was in der sozialen Marktwirtschaft schon immer das Erfolgsrezept unserer Väter gewesen ist: Primäreinkommen müssen sich am Markt orientieren, ({7}) und Sekundäreinkommen und Transferzahlungen müssen hinzukommen. Schauen Sie: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat einen sehr vernünftigen und realistischen Vorschlag, den Vorschlag eines Kombilohns, gemacht, eines Zusammenstellens von Primär- und Sekundäreinkommen, was ich als ehemaliger Stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes ausdrücklich begrüße. ({8}) Dieter Schulte hat dies im Sommer ebenfalls getan. Er ist aus Amerika zurückgekommen und hat gesagt: Jawohl, laßt uns über diese Frage reden. Mittlerweile ist im Wahlkampf wieder Beton gemischt worden. Offensichtlich darf er dies jetzt gar nicht mehr machen. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns nur einmal einen kleinen Schritt anschauen, der zu tun ist, damit sich die Arbeit für die Betreffenden lohnt. Nehmen wir einmal das Thema der arbeitslosen Sozialhilfeempfänger, § 76 der Verordnung. Herr Lafontaine, im Sommer letzten Jahres hat Ihr Konkurrent, Herr Schröder, an einem Programm gearbeitet und hat - das war der strahlende Punkt des Vorschlags - neue Wege der SPD vorgeschlagen. Danach sollte ein arbeitsloser Sozialhilfeempfänger zumindest 50 Prozent von dem, was er verdient, behalten dürfen. Die ganze Welt bei Ihnen hat gejubelt; Ottmar Schreiner hat gesagt: Prima! Aber die Bundesregierung, der Seehofer, will denen nur 10 Prozent belassen. - Sie haben gesagt, das sei unglaublich, hasenfüßig und überhaupt nicht in Ordnung. Was soll ich sagen? Jetzt hat der Bundesgesundheitsminister diese Verordnung tatsächlich entworfen und sie in den Bundesrat eingebracht. Aber was hören wir nun? ({9}) Daß ihr immer alles ablehnt, ist ja nichts Neues. Aber mit welcher Begründung lehnen Sie dies ab? Sie lehnen es nicht ab, weil das, was wir den Sozialhilfeempfängern belassen wollen, etwa zuwenig ist; Sie wollten doch ursprünglich 50 Prozent. Nein, jetzt plötzlich ist es zuviel. ({10}) Die Gradlinigkeit eines hakenschlagenden Hasen ist immer noch höher zu veranschlagen als die Haltbarkeit Ihrer Programmvorschläge. ({11}) Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage dazu nur folgendes und möchte damit gerne die Worte des Bundespräsidenten in seiner bedeutenden Berliner Rede aufnehmen und sie hier zitieren. Er hat gesagt: Durch Deutschland muß ein Ruck gehen. ({12}) Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, alle müssen mitmachen: Er sagt weiter: die Arbeitgeber, indem sie Kosten nicht nur durch Entlassungen senken; die Arbeitnehmer, indem sie Arbeitszeit und -löhne mit der Lage ihrer Betriebe in Einklang bringen; die Gewerkschaften, indem sie betriebsnahe Tarifabschlüsse und flexiblere Arbeitsbeziehungen ermöglichen; Bundestag und Bundesrat, indem sie die großen Reformprojekte jetzt rasch voranbringen; die Interessengruppen in unserem Land, indem sie nicht zu Lasten des Gemeininteresses wirken. Er sagt weiter: Die Bürger erwarten, daß jetzt gehandelt wird. Wenn alle die vor uns liegenden Aufgaben als große, gemeinschaftliche Herausforderung begreifen, werden wir es schaffen. Ich habe diesen Worten des Bundespräsidenten nichts hinzuzufügen. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Schwanhold.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens. Der Abgeordnete Fink hat eben in seiner Rede gesagt, es gebe offenbar sozialdemokratische Oberbürgermeister, die eine klammheimliche Freude daran hätten, daß die Arbeitslosigkeit steigt. Ich stelle fest: Dies ist eine ungeheure infame Unterstellung, eine Art von Dreckschleuderei, die dieser Sache nicht angemessen ist. ({0}) Zweitens. Der Abgeordnete Fink hat meine Aussagen auf einer Pressekonferenz und die Berichterstattung darüber falsch und nur zu einem Teil zitiert. Ich habe darauf hingewiesen, daß angesichts von fast 4,9 Millionen Arbeitslosen die Debatten über Programme, mit denen Sozialhilfeempfänger in Arbeit kommen, viel zu kurz greifen und daß das Wichtigste ist, Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. Dafür sollten die politischen Möglichkeiten, die diese Regierung hat - und die sie sträflich vernachlässigt -, genutzt werden. ({1}) Drittens. Einerseits über Sozialhilfeempfänger zu reden und so zu tun, als könne man damit die Arbeitslosigkeit beseitigen, und andererseits zuzulassen, daß Vollzeitarbeitsplätze durch Umwandlung in 620-Mark-Arbeitsplätze abgeschafft werden, daß die Menschen, die Sozialhilfe bekommen, wegen dieser geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse nicht in die sozialen Sicherungssysteme hineingenommen werden und daß 5,5 Millionen Arbeitsplätze ohne soziale Sicherung angeboten werden, spricht dem Problem Hohn und ist ein Schlag ins Gesicht für diejenigen, die Arbeit suchen und gerne in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen arbeiten möchten. ({2}) Viertens. Die Möglichkeiten, Arbeitsplätze zu schaffen, der mittelständischen Wirtschaft Investitionen in die eigene Zukunft zu ermöglichen und einer neuen Existenzgründungswelle Vorschub zu leisten, nicht auszunutzen, ist eine Vernachlässigung dessen, was wir eigentlich zu tun haben, nämlich Unternehmen zu gründen, in denen Menschen beschäftigt werden, anstatt darüber nachzudenken, wie die Folgen Ihrer Politik - meist mit unmenschlichen Mitteln - abgemildert werden können. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Kollege Ulf Fink.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Abgeordneter Schwanhold, mir liegt eine dpa-Meldung vom 29. Januar 1998 vor, in der es heißt: Zugleich räumte Schwanhold ein, daß er auch Einzelheiten der Regierungspläne mitträgt. Die SPD weise seit langem darauf hin, „daß es sinnvoller ist, Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit". ({0}) Deshalb müsse man auch Sozialhilfeempfängern eine Dienstleistung abverlangen, erklärte er zur Absicht der Unionsfraktion, 100 000 arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger über die Kommunen zu beschäftigen und an bezahlte Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt heranzuführen. Es sei richtig zu prüfen, „wie wir die Arbeitslosigkeit auch durch solche Maßnahmen am zweiten Arbeitsmarkt bekämpfen können" . Herr Schwanhold, Sie sollten sich einfach zu Ihren Aussagen bekennen. ({1}) Ich habe darüber hinaus nicht gesagt, daß SPD- Oberbürgermeister aus parteipolitischen Motiven heraus eine solche Politik verfolgen, ({2}) sondern nur darauf hingewiesen: Es kommt einem dieser Verdacht. - Und der muß einem in der Tat kommen. ({3}) Ich kann Ihnen ja einmal die Zahlen vortragen: In Essen - 627 000 Einwohner - sind nur 755 arbeitslose Sozialhilfeempfänger beschäftigt. Allein in Berlin dagegen - ich habe es Ihnen bereits vorhin gesagt - sind es 50 000. In Hannover beispielsweise -523 627 Einwohner - sind genau 283 Sozialhilfeempfänger beschäftigt. In Bochum, meiner alten Heimatstadt -400 000 Einwohner -, sind genau 242 arbeitslose Sozialhilfeempfänger beschäftigt. Da muß man mehr tun! Sie sollten sich an die Städte wenden, die von Oberbürgermeistern Ihrer eigenen Partei regiert werden. Wenn Ihnen der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit so wichtig ist, dann tun Sie das, was in Leipzig getan wird! ({4})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wir setzen die Debatte fort. Der nächste Debattenredner ist Kollege Ottmar Schreiner.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ja hier eine etwas eigenartige Debattenlage: Vor wenigen Wochen hat der Bundeskanzler das große strategische Ziel der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen, die Arbeitslosigkeit in Deutschland bis zum Jahr 2000 zu halbieren, zurückgenommen. Er hat dieses Ziel zurückgenommen. Er hat jahrelang den Menschen in Deutschland eingeredet, diese Regierung verfüge über Konzepte, die Arbeitslosigkeit in einigen Jahren auf ein erträgliches Maß zurückzuführen. ({0}) Dieses Ziel ist zurückgenommen worden, und wir würden ganz gern wissen: Wie geht es denn weiter, Herr Bundeskanzler? Was ist denn jetzt das neue Ziel der Bundesregierung, wenn es schon keine Halbierung der Arbeitslosenzahlen bis zum Jahre 2000 mehr gibt? Was sind die nächsten kurzfristigen Ziele der Bundesregierung? Mit welchen Instrumenten, mit welchen Vorschlägen wollen Sie in Zukunft die Massenarbeitslosigkeit bekämpfen, und aus welchen Gründen ist Ihr Halbierungsziel gescheitert? Erklären Sie das bitte einmal im Deutschen Bundestag! ({1}) Es geht doch nicht an, daß in einer so zentralen Frage der Bundeskanzler hier bräsig herumsitzt und daß sich irgendwelche verzweifelten Koalitionsabgeordneten darum bemühen, noch zu retten, was zu retten ist. Das kann doch wohl im Ernst vom deutschen Parlament nicht so akzeptiert werden. ({2}) Deshalb fordern wir Sie dringlich auf, die Lage endlich zu verändern, sich in die Horizontale zu begeben und zu erklären, mit welchen Instrumenten und Vorschlägen es nun in Sachen Arbeitslosigkeit nach Auffassung der Bundesregierung in den nächsten Monaten weitergehen soll. Zweiter Punkt: Der Kollege Fink hat eben zu erklären versucht, das sogenannte Konzept, das er hier gerade vorgestellt hat, sei vom DGB, von den kommunalen Spitzenverbänden, von den Städten usw. mitgetragen worden. Herr Kollege Fink, ich kann jetzt reihenweise zitieren. Ich kann den Bundesvorsitzenden des DGB zitieren, den Sie eben für sich in Anspruch genommen haben. Herr Schulte hat vor wenigen Tagen in Düsseldorf, bezogen auf dieses merkwürdige Programm, gesagt, es handele sich um eine erschreckende Zwischenbilanz. Kurzfristige Pseudoprogramme aus dem Boden zu stampfen, um langfristige Versäumnisse vergessen zu machen, gehe nicht an. So Schulte. Wiesehügel haben Sie selbst zitiert. Die Präsidentin des Deutschen Städtetages, die Frankfurter Oberbürgermeisterin, hat Ihre Vorschläge mehrfach zurückgewiesen. Sie würden die finanziellen Kapazitäten der Städte völlig überfordern. Die Bundesvereinigung aller kommunalen Spitzenverbände hat vor kurzem in einer gemeinsamen Erklärung folgendes öffentlich formuliert: Die kommunalen Spitzenverbände fordern die Aufgaben- und Finanzverantwortung des Bundes sowie die vorrangige Verantwortung der Tarifvertragsparteien im Bereich der Arbeitsmarktpolitik ein. Sie sprechen sich eindeutig und unmißverständlich gegen einseitige Kommunalisierungsbestrebungen dieses Politikfeldes aus. Das ist eine klare Erklärung gegen Ihr Pseudoprogramm. Eindeutiger kann es von seiten der kommunalen Spitzenverbände gar nicht formuliert werden. Ich zitiere Ihnen aus den Nachrichtenmeldungen des gestrigen Tages: Mit heißer Nadel, die Verkündung des neuen Arbeitslosenrekordes durch die Bundesanstalt für Arbeit vor Augen - hatten Union und F.D.P. ihre Job-Initiative gestrickt und am Dienstag abend durch die Fraktionen geboxt. Selbst Unionsfraktions-Chef Schäuble ({3}), habe am Abend vor dem Beschluß noch keine konkreten Einzelteile gekannt, hieß es. Dabei war in der Union vor Schnellschüssen und „Pseudoaktionen" gewarnt worden. Soweit das Zitat. Und jetzt redet Herr Kollege Fink hier von einem Ruck, der mit diesem Programm durch das Land gehe. Das ist geradezu lächerlich. Da geht ja nicht einmal ein Ruck durch die Unionsfraktion! Nicht einmal das ist der Fall. Im übrigen, wenn ich den Nachrichtenagenturen vertrauen darf, hatten die Kollegen Geißler und Grund ein Programm mit 2,3 Milliarden DM zur Ausweitung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefordert. Das, Herr Minister Blüm, sind offenkundig staatliche Maßnahmen. Sie sagen, die SPD verlange immer nur Staat, Staat, Staat. Augenscheinlich hat sich der Kollege Geißler mitsamt dem etwas verwirrten Kollegen Grund in die falsche Formation eingereiht. Sie müssen das wohl in den Koalitionsfraktionen, in der Unionsfraktion unterstützt haben. Das ist alles abgelehnt worden zugunsten eines Pseudoschnellschusses des Kollegen Fink, der nicht davor zurückschreckt, sich gewissermaßen als Alibi der Koalitionsfraktionen mißbrauchen zu lassen. ({4}) Dann heißt es weiter: Genau eine solche Aktion sei nun beschlossen worden, urteilen die Kritiker. „Das, was jetzt inszeniert wird, ist nur eine nach außen gerichtete Show und bringt uns keinen Millimeter weiter", sagte der Vorsitzende des Verbandes der kommunalen Arbeitgeberverbände. Eindeutiger kann die Kommentierung, kann die Nachrichtenlage in bezug auf dieses eigentümliche Programm nicht sein. Ich sage Ihnen, wenn der Regierung bei knapp 5 Millionen Arbeitslosen - das ist ein dramatischer Rekord in der deutschen Nachkriegsgeschichte; wir sind nicht mehr sehr weit entfernt von den 6 Millionen Arbeitslosen des Jahres 1932 -, wenn der Regierung in einer so dramatischen Situation nichts anderes einfällt als ein schlichtes Strohfeuer, als eine Summe von Appellen und Schuldzuweisungen an die Kommunen, an die Tarifvertragsparteien und an die Arbeitsämter, dann ist das eine endgültige Bankrotterklärung in Sachen Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik dieser Regierung und der sie tragenden Fraktionen. ({5}) Ich sage Ihnen nochmals: Es gibt auch sehr viele sozialdemokratisch geführte Kommunen, die sich die allergrößte Mühe geben, arbeitslosen Sozialhilfeempfängern eine Arbeitsperspektive zu vermitteln. Das sind über 200 000. Aber was man nicht machen kann, ist, die finanziellen Grenzen der Kommunen zu sprengen. Viele Kommunen in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit haben schon heute keinerlei politische Gestaltungsmöglichkeiten mehr. ({6}) Sie haben die Kommunen über Änderungen im Bereich der Lohnersatzleistungen in den letzten Jahren mit über 8 Milliarden DM Sozialhilfekosten im Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit belastet. Das ist ein Höchststand. Die Kommunen sind am Ende ihrer finanziellen Kapazitäten. Deshalb macht es überhaupt keinen Sinn, jetzt so zu tun, als ließe sich das Problem der Arbeitslosigkeit über weitere kommunale Anstrengungen auf ein erträgliches Maß zurückführen. Was Sie hier betreiben, ist reine Roßtäuscherei, ({7}) ein pures Ablenkungsmanöver von der Tatsache, daß sie überhaupt kein Konzept dazu, wie es denn weitergehen soll, haben. Sie sitzen hier herum als eine Ansammlung von ratlosen Zeitgenossen. ({8}) - Ich habe nicht mehr sehr viel Zeit, noch drei Minuten. Ich will Ihnen zwei Beispiele aus den letzten Wochen und Monaten nennen. Sie weisen ja immer auf Holland hin. In Holland beträgt die Arbeitslosenquote 5 Prozent. Die Holländer haben dieses Ziel mit zwei Maßnahmen erreicht. Erstens gibt es dort seit Jahren ein gut funktionierendes „Bündnis für Arbeit", das von der Regierung ins Leben gerufen worden ist. Bei uns hat die Bundesregierung ohne jede Not und mutwillig das von den Gewerkschaften angebotene „Bündnis für Arbeit" aufgekündigt. ({9}) - Natürlich ist das so. Zweitens. In Holland beträgt die Teilzeitquote über 30 Prozent. Bei uns dümpelt diese Quote bei etwa 16, 17 Prozent, weil diese Koalition nicht in der Lage ist, endlich dem hemmungslosen Mißbrauch sozialversicherungsfreier 620-DM-Arbeitsverhältnisse einen Riegel vorzuschieben. Das ist die zentrale Bremse gegen eine vernünftige Ausweitung von Teilzeitarbeit. ({10}) Ein letztes Beispiel; es bezieht sich auf etwas, was nicht vom Staat kommt. Sie erklären ja hier immer, wir würden ständig nach dem Staat rufen. Dieses Beispiel müßte Sie eigentlich sehr nachdenklich stimmen. Zu Beginn der Tarifrunde für den öffentlichen Dienst hat der Bundesvorsitzende der ÖTV, der Kollege Mai, öffentlich eine solidarische Lohnpolitik angeboten. Man sei bereit, auf denkbare Lohnerhöhungen zu verzichten, wenn es zu entsprechenden Arbeitszeitverkürzungen und in der Folge der Arbeitszeitverkürzungen zu Einstellungen von Arbeitslosen im öffentlichen Beschäftigungssektor komme. Das wäre eine solidarische Lohnpolitik gewesen. Das ist von der Großen Tarifkommission abgelehnt worden. Nun könnte man sich ja fragen: Sind die Menschen in Deutschland böser oder schlechter geworden, als sie es vor Jahren waren? - Das ist mitnichten der Fall. Eine Krankenschwester, die hart arbeitet, hat am Monatsende eben noch weniger als 50 Prozent ihres Bruttoeinkommens als verfügbares Einkommen in den Händen. ({11}) - Das ist das direkte Ergebnis Ihrer Steuer- und Abgabenpolitik. ({12}) Wenn der Stahlarbeiter und der Müllfahrer am Monatsende nach mühevoller Arbeit ({13}) je nach Familienstand ein verfügbares Einkommen haben, das weniger als 50 Prozent des Bruttoeinkommens ausmacht, und wenn die Krankenschwester und der Müllfahrer morgens in der Zeitung lesen müssen, daß in Deutschland mehr als die Hälfte der Einkommensmillionäre auf legale Weise keinen einzigen Pfennig Steuern zahlt, dann sieht man, daß die gesamte Richtung in diesem Lande nicht mehr stimmt. ({14}) Dann dürfen Sie sich nicht wundern, daß die Entsolidarisierung in der gesamten Bevölkerung ein dramatisches Ausmaß annimmt. Das ist das direkte Ergebnis einer Politik, die alle Maßstäbe sozialer Gerechtigkeit in den letzten Jahren mit Füßen getreten hat. Eine letzte Bemerkung dazu. Der Bundeskanzler hat in den frühen 80er Jahren hier im Deutschen Bundestag einmal gesagt, wenn die Arbeitnehmerschaft weniger als 50 Prozent des Bruttoeinkommens als verfügbares Nettoeinkommen in den Händen habe, dann sei sie im Sozialismus gelandet. Der Bundeskanzler hat zahlreiche deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Sozialismus geführt, ohne daß die Betroffenen es gemerkt haben. Das ist offenkundig das Ergebnis dieser Politik. ({15}) Ich finde, hier sitzt eine Ansammlung von ratlosen Damen und Herren der Koalitionsfraktionen. Packen Sie Ihre Koffer! Bereiten Sie sich auf den Umzug in die Oppositionsbänke vor! Herzlichen Dank. ({16})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Manfred Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, der Kollege Schreiner hat mich angesprochen. Dazu möchte ich zweierlei feststellen. Erstens. Das beste Arbeitsplatzbeschaffungsprogramm ist eine große Steuerreform. ({0}) Wer hier „Ach!" geschrien hat, möge sich einmal die Vereinigten Staaten anschauen. Nicht nur die Millionen Arbeitsplätze, die auf Grund der Reaganschen Steuerreform entstanden sind, sind dafür ein beredtes Beispiel. Die sprudelnden Steuereinnahmen werden durchaus auch im sozialen Bereich verwandt. Zweitens. Für uns bleibt es dabei: Wir müssen strukturelle Reformen im Bereich der sozialen Sicherungssysteme, des Arbeitsrechtes und der Arbeitszeitflexibilisierung angehen. Allerdings müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, daß diese strukturellen Reformen eine langfristige Wirkung haben, die sich nicht sehr kurzfristig und schnell einstellt. Wenn das so ist und wir Regionen mit einer Arbeitslosenquote von 30 Prozent und mehr haben, mit Betroffenen, die es sehr schwer haben, am ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, und sich ein erster Arbeitsmarkt zum Teil gar nicht so schnell einstellt, dang sind wir schon gehalten, darüber nachzudenken, ob wir nicht mit Programmen, bei denen man vielleicht etwas Geld investieren müßte, diesen Menschen Hoffnungen geben, wohl wissend, daß Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht die Lösung des Problems sind, sondern uns ein Stück weit auf dem Weg helfen können, Leuten Hoffnung zu vermitteln. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Abgeordneter Schreiner. ({0})

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich möchte dem Kollegen Grund nur zur Kenntnis bringen, daß ich der Nachrichtenlage folgenden Satz entnehme: In einem von der „Sächsischen Zeitung" zitierten Papier des ostdeutschen CDU-Parlamentariers Manfred Grund heißt es, der Wahlkampf werde ohne Trendwende am Arbeitsmarkt „sehr schwer zu führen" sein. „In einigen Regionen der neuen Bundesländer könnte man dann auf das Anbringen von Plakaten getrost verzichten." ({0}) Lieber Kollege Grund, ich will Sie fragen, ob ich das richtig interpretiere, daß es Ihnen weniger um die Arbeitslosen und um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geht, sondern daß Sie sich Gedanken über Ihr Mandat, über Ihre Pfründe machen, daß das der eigentliche Beweggrund Ihrer Umtriebe ist. Sind Sie bereit, die Kosten, die die Plakate verursachen würden, den Arbeitsloseninitiativen in Ihrem Bundesland zu spenden und auf das Anbringen von Plakaten konsequenterweise ganz zu verzichten? ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schreiner, das wäre sicher ein bißchen vordergründig. Tatsächlich geht es mir darum, daß diese Koalition auch nach dem 27. September ihre erfolgreiche Arbeit fortsetzen kann und wir nicht zu den Instrumenten zurückkehren müssen, mit denen Sie schon in den siebziger Jahren gescheitert sind. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Nein, Herr Schreiner hat ihn unmittelbar gefragt, und er hat unmittelbar eine Antwort bekommen. So etwas muß im parlamentarischen Bereich möglich sein, wenn man es unmittelbar provoziert. ({0}) Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Rexrodt.

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben trotz günstiger Konjunktur steigende Arbeitslosigkeit.` Heute gehen viele betroffene Menschen auf die Straße. Wir haben das Thema Arbeitslosigkeit wieder im Bundestag: das fünfte Mal innerhalb eines halben Jahres. Das ist gut so, das ist richtig. Dieses Thema gehört immer wieder in dieses Haus. Ob die Menschen, die wirklich betroffenen Menschen auf der Straße etwas davon haben, Herr Schreiner, wenn wir uns hier gegenseitig in die Ecke stellen, wenn wir uns hier lautstark Vorwürfe machen, daß wir den Ernst der Situation nicht richtig erkannt hätten und uns das Bewußtsein fehle, die Probleme zu lösen? Ich sage hier mit großem Ernst, meine Damen und Herren: Wir haben das Problem voll erfaßt und über alle Maßen Anstrengungen darauf verwandt, durch praktisches Handeln die Arbeitslosigkeit in Deutschland zurückzuführen. ({0}) Wir haben Konzepte, von denen Sie sagen - das liegt auf der Hand -, sie seien gescheitert, wir sollten doch nur auf die Arbeitslosenzahlen schauen. Ich sage: Unsere Konzepte sind richtig. Es sind im übrigen Konzepte, die in anderen Ländern erfolgreich umgesetzt werden - gerade in Ländern, die sozialdemokratisch regiert werden. Daß die Konzepte noch nicht richtig wirken, liegt daran, daß es leider immer wieder erfolgreiche Versuche der Verhinderung, der Verzögerung und der Blockade gibt. Das ist das eigentliche Problem, weswegen es nicht gelungen ist, die Arbeitslosigkeit befriedigend zu senken. ({1}) Meine Damen und Herren, wir haben auch genügend Programme. Wir haben Programme zur Förderung der Selbständigkeit, zur Förderung des Mittelstandes, zur Förderung von Forschung und Entwicklung. Wir machen Programme zur Eingliederung der Langzeitarbeitslosen. Es gibt die verschiedensten ABM-Programme; ich erinnere an § 249h AFG. Das ist unsere Tagesarbeit. Diese Programme müssen wir ausfeilen. Wir müssen die Arbeit an und mit diesen Programmen fortsetzen. Wir können dadurch Härten abwenden. Wir können Brücken schlagen. Wir können manches erleichtern. Ich werde in absehbarer Zeit ein neues Programm für Existenzgründung und Innovation vorstellen. Wenn wir ehrlich sind, meine Damen und Herren, müssen wir aber zugeben: Wir können noch so viele Programme machen - die Probleme lösen wir nur dann, wenn wir ihre Ursachen beseitigen. Um ihre Ursachen beseitigen zu können, brauchen wir einen Strukturwandel in diesem Land. Sie sagen, auch Sie wollen den Strukturwandel. Aber was ist die Realität? Ich will Sie da nicht nur mit der Blockade der Steuerreform konfrontieren; das ist ein ganz wichtiger Punkt, der immer wieder angesprochen werden muß. Faktum ist aber auch, daß Sie sich einer sinnvollen Flexibilisierung der Arbeitswelt entgegenstellen, daß Sie die Öffnung der Märkte in den verschiedensten Bereichen bekämpfen - bei der Energie, bei der Telekommunikation -, daß Sie in den Kommunen und Ländern nicht bereit sind zu privatisieren und daß bei den Grünen überall die latente Technikfeindlichkeit, ({2}) die Arbeitsplätze kostet, erkennbar ist. Das sind die Fakten. Gehen Sie doch nicht her und sagen: Auch wir wollen Strukturwandel. Wenn wir sinnvolle Konzepte zum Strukturwandel vorlegen, sind doch Sie es, die lauthals dafür eintreten, dagegen auf Länderebene, auf kommunaler Ebene und auch im Bundestag zu Felde zu ziehen, um das Ganze zu blockieren. Das sind die wirklichen Ursachen, die bekämpft werden müssen. ({3}) Im übrigen ist das Konzept, das wir vorgelegt haben, durch internationale Organisationen, den Sachverständigenrat und viele andere bestätigt worden. Ich möchte Sie hier gar nicht mehr - das ist in den letzten Wochen und Monaten so oft getan worden - mit den Einzelheiten dieses Konzepts und der Reformen konfrontieren. Meine Damen und Herren, ich möchte mich ganz kurz - es ist wenig Zeit - mit dem auseinandersetzen, was Sie konzeptionell entgegenhalten wollen. Das ist das Entscheidende. Die Menschen im Lande mögen darüber nachdenken. Das erste Argument, das Sie bringen, lautet: Wir müssen die Binnennachfrage steigern; die Binnennachfrage ist wichtig für das Anlaufen der Konjunktur, da muß etwas getan werden. Wenn da etwas getan würde, dann wäre auch die Nachfrage da, um in diesem Lande neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das zweite Argument, das Sie bringen, lautet: Die Unternehmen im Lande machen phantastische Gewinne. Aber sie behalten die Gewinne ein oder geben sie dem Shareholder; sie schaffen mit diesen Gewinnen keine Arbeitsplätze. Das ist Ihr Argument. Bei diesem zweiten Argument klingt an: Nehmt die Gewinne und schüttet sie nicht nur an den Shareholder aus, sondern verteilt sie an den Staat und an die Privaten, und der Staat und die Privaten mögen dann eine erhöhte Nachfrage zeigen oder über den zweiten Arbeitsmarkt und die Infrastruktur Arbeitsplätze schaffen. ({4}) - Das ist Ihre Argumentation, Herr Scharping. ({5}) - Reden Sie doch nicht so. Sie sagen doch: Es wird zu wenig investiert. Die Gewinne sind dort fehl am Platze, wir verteilen sie mal eben um. ({6}) Mit der Umverteilung geschieht dann das, was wir wollen. ({7}) Es erhöht sich die Binnennachfrage, und es wächst die Fähigkeit des Staates, der mehr Steuern hat, zu investieren. Das ist doch Ihre Argumentation. Sie sind damit gar nicht vertraut, Herr Scharping. Was reden Sie denn da? Gehen Sie doch nicht von Ihrer eigenen Argumentation ab! ({8}) Das ist sie doch und nichts anderes. ({9}) Ich will mich mit Ihren Argumenten auseinandersetzen, und zwar zunächst mit der Stärkung der Binnennachfrage. Wer die Binnennachfrage - auf die ich noch zu sprechen komme und die ich für wichtig halte - jetzt mit einer expansiven Lohnpolitik ankurbeln will, macht den Menschen in unserem Land etwas vor. ({10}) Lohnsteigerungen bedeuten immer zuerst höhere Kosten für die Unternehmen. Um eine Binnennachfrage von 100 DM durch persönliches Einkommen entstehen zu lassen, entsteht für unsere Unternehmen eine Kostenbelastung von 300 DM. Die Unternehmen werden im globalen beinharten Wettbewerb auf höhere Kosten damit reagieren, daß sie rationalisieren. Sie werden kostengünstige Vorleistungen aus dem Ausland beziehen oder sogar die Produktion dorthin verlagern. Ein Teil der höheren Löhne - ich komme darauf noch zu sprechen - würde unmittelbar im Ausland nachfragewirksam werden. Der Sachverständigenrat hat bereits vor 20 Jahren die Kaufkraftideologie als einen Weg in die Sackgasse bezeichnet. In dieser Sackgasse befinden sich viele von Ihnen bis zum heutigen Tage; nein, ich muß das differenzieren: weite Teile von Ihnen. ({11}) Ich leugne das Gewicht der Binnennachfrage für die Konjunktur gar nicht. Der Unterschied in der Betrachtung liegt nur darin, wie diese Binnennachfrage gefördert werden soll: nach Ihrem Rezept, Herr Scharping, oder nach einem Konzept, das so aussieht, daß wir uns auf eine Förderung und Begünstigung von Investitionen in diesem Land konzentrieren. Nur Investitionen schaffen Arbeitsplätze, und nur zusätzliche Arbeitsplätze können die Binnennachfrage kurzfristig so anregen, wie wir das brauchen. ({12}) Die damit einhergehende steuerliche Entlastung würde dazu führen, daß der Bürger mehr in der Tasche hat. Das gilt im übrigen auch, wenn wir die Politik zur Senkung der Lohnnebenkosten fortsetzen würden. Wenn der Bürger mehr in der Tasche hat, wenn die Differenz zwischen dem Brutto- und dem Nettolohn kleiner ist, und wenn wir verstärkt Investitionen durch bessere Bedingungen für Investitionen bewirken, haben wir eine größere Binnennachfrage, die wichtig für die Konjunktur ist, die aber niemals so hervorgerufen werden kann, wie Sie sich das vorstellen. Das ist das erste Argument. Das zweite Argument bezieht sich auf den Zusammenhang zwischen „Gewinnexplosionen" und Unternehmensinvestitionen. Ich verstehe sehr gut, daß Sie damit operieren. Das Argument „Gewinnausschüttung, aber keine Arbeitsplätze" zielt auf die Emotionen der Menschen. Es zielt auf das Gefühl des einzelnen, gegenüber anderen benachteiligt zu sein. Aber was sind die Fakten? Lassen Sie mich den Sachverständigenrat zitieren, der in seinem letzten Gutachten folgendes feststellt: Richtig ist, daß sich die Gewinnsituation der Unternehmen in Deutschland in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen: Im internationalen Vergleich hinken die Renditen in Deutschland immer noch hinterher. Hinzu kommt: Die Gewinnsteigerungen sind auch das Resultat von Rationalisierungsanstrengungen und Personalabbau. Leider ist das so. Ich versuche, das Ganze einmal nach den Aspekten aufzugliedern, von denen sich die für Arbeitsplätze Verantwortlichen leiten lassen. Mit Rationalisierungsanstrengungen hat die Wirtschaft versucht, die extremen Steigerungen bei den Kosten in allen Bereichen in der ersten Hälfte der 90er Jahre aufzufangen. Im übrigen muß einmal gesagt werden - wir müssen nicht immer nur schwarzmalen -: Die verbesserte Situation bei den Erträgen hängt schon mit den Investitionen zusammen. 1997 stiegen die Anlageinvestitionen in Deutschland um 4 Prozent. Noch wird die Konjunktur in der Breite nicht von den Investitionen getragen, aber es gibt viele, die sich wieder für Investitionen in Deutschland interessieren. Deshalb müssen wir die Ertragserwartungen bei kleinen und mittleren Unternehmen, die geringer als im Ausland, geringer als anderswo sind, verbessern. Viele große Branchen - Auto, Chemie und andere - stellen heute wieder ein. Der Mittelstand aber ist zögerlich, weil seine Ertragserwartungen weit unter dem liegen, was vorher möglich war und was in anderen Ländern üblich ist. In anderen Ländern wird in eindrucksvoller Art und Weise Reformpolitik praktiziert, und es werden dort gute Rahmenbedingungen geschaffen, die sich in Arbeitsplätzen auszahlen. Die USA konnten im letzten Jahr über 3 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze verbuchen. Die Arbeitslosenquote liegt unter 5 Prozent. Die anhaltende Zunahme der Beschäftigung ist dort vor allem auf geringe Steuer- und Abgabenquoten, auf geringere Regulierungsdichte und eine ausgeprägte Lohndifferenzierung zurückzuführen. Großbritannien hat im letzten Jahr einen Beschäftigungsanstieg von 1,5 Prozent verzeichnet, und die Arbeitslosigkeit liegt ebenfalls bei nur 5 Prozent. Was ist das Geheimnis in Großbritannien gewesen: umfangreiche Deregulierungen und Privatisierungen, leistungsfördernde Reformen - wir könnten das im einzelnen durchgehen -, insbesondere im Steuer- und Transfersystem, umfassende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Das ist in Großbritannien der Schlüssel zum Erfolg gewesen. Das sind auch unsere Ziele, meine Damen und Herren. Sie werden aber an jeder Stelle blockiert und konterkariert. In den Niederlanden, die hier angesprochen wurden, ist die Beschäftigung in den letzten drei Jahren um durchschnittlich 2 Prozent gestiegen. In den Niederlanden ging der Beschäftigungsboom mit einer kräftigen Ausweitung der Teilzeitarbeit - das ist völlig richtig - und mit einer umfassenden Sozialreform einher. Aber entscheidend in den Niederlanden - auch das müssen Sie sagen - war eine über Jahre hinweg durchgehaltene gemäßigte Lohnpolitik. ({13}) Diese beschäftigungspolitischen Erfolge jahrelanger Zurückhaltung sollten unsere Tarifpartner bestärken, den Kurs tarifpolitischer Vernunft fortzusetzen. ({14}) Meine Damen und Herren, dieses Land krankt nicht an nackter Gewinnsucht der Unternehmer, es krankt nicht an mangelndem Fleiß der Arbeitnehmer. Es mangelt auch nicht an materiellen Ressourcen, und es gibt keine materielle Not. ({15}) Platitüden tun diesem Land nicht gut. Wir brauchen vielmehr Argumente. ({16}) Und die Argumente lassen Sie vermissen; das ist das Faktum. ({17}) Dieses Land muß sein Beharrungsvermögen, sein Besitzstandsdenken überwinden, zu dessen Anwalt Sie sich in weiten Bereichen gemacht haben. Dieses Land krankt nicht an der Marktwirtschaft, sondern dieses Land krankt daran, daß es einen Mangel an Marktwirtschaft und einen Mangel an Bereitschaft zu marktwirtschaftlichen Reformen gibt. ({18}) Diese Reformen wollen wir. Das ist der einzige Weg, um mit der Arbeitslosigkeit fertig zu werden. ({19})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Ministerpräsident des Saarlandes, Herr Lafontaine. Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich nehme den Beitrag des Herrn Wirtschaftsministers gern zum Anlaß, noch einmal die unterschiedlichen Auffassungen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik darzulegen. Wir sind nämlich der Meinung, daß Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik die Ursache für die steigende Massenarbeitslosigkeit in Deutschland ist. ({1}) Ich möchte noch einmal betonen, daß ich der Auffassung bin, daß Sie - genauso wie wir - bemüht sind, die Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Ich halte es nicht für einen guten Stil, das dem jeweils anderen abzusprechen. Insoweit würde ich auch den Kollegen Fink bitten, seine Aussage zu überdenken. Es wäre nämlich genauso möglich, zu sagen: Die Tatsache, daß Arbeitsmarktmittel gekürzt worden sind, zeigt, daß Sie froh darüber sind, daß die Arbeitslosigkeit steigt. So wie Sie Haushaltsgründe geltend gemacht haben, so müssen auch die Gemeinden Haushaltsgründe geltend machen. Es wäre gut, wenn das aus der Welt käme. ({2}) Ich will darauf hinweisen, daß der Bundeskanzler im letzten Februar bei einer Arbeitslosenzahl, die noch geringer war als die heutige, gesagt hat: Dies ist die schwärzeste Zahl meiner Amtszeit. - Auch diese Aussage ist ernst zu nehmen. Es ist von daher heute die Frage zu stellen, warum wir jetzt eine noch schwärzere Zahl, noch höhere Arbeitslosigkeit haben und ob Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht doch falsch orientiert ist. Damit die Debatte - vielleicht - nicht nur als ein Gegeneinander von Opposition und Regierung begriffen wird, weise ich darauf hin, daß das, was ich jetzt in dieser Debatte deutlich zu machen versuche, bis in die Zeit der sozialliberalen Koalition zurückreicht. Die Debatte hat mit dem Sachverständigengutachten 1977/78 begonnen, in dem der Sachverständigenrat die sogenannte Angebotspolitik als Rezept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit empfohlen hat. Diese Angebotspolitik war damals umstritten. Sie sollte eine Politik ablösen, die Angebot und Nachfrage zu steuern versucht hatte; man behauptete von ihr, daß sie in der Lage wäre, die Arbeitslosigkeit zurückzuführen, die Staatsschulden zu senken und die Steuer- und Abgabenlast der Beschäftigten und der Steuerzahler zurückzuführen. Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({3}) Mit diesen Behauptungen mußte sich schon damals die sozialliberale Koalition auseinandersetzen. Zumindest die Entscheidungen in der Endphase der zweiten Ölpreiskrise sind nach unserer Auffassung schon deshalb nicht mehr richtig getroffen worden, weil sich die angebotspolitische Linie mehr und mehr durchsetzte. Auf die erste Ölpreiskrise hat man noch mit einem entsprechenden Programm reagiert. Das führte zu einem Anstieg der Beschäftigung. Bei der zweiten Ölpreiskrise hat man anders reagiert. Die Zahlen liegen alle vor. Sie sind für jeden überprüfbar. Ich bin der Auffassung, daß die Versprechungen der Angebotspolitik widerlegt sind. Es müßte doch möglich sein, einmal sachlich darüber zu debattieren. ({4}) Was ist das Credo der Angebotspolitik? Zunächst fordert die Angebotspolitik - das können Sie in allen Gutachten nachlesen -, daß es möglichst niedrige Unternehmensteuern geben solle, um die Investoren zum Investieren zu bringen und um die Kapitalrenditen zu erhöhen. Zum zweiten weist sie darauf hin, daß die Staatsquote gesenkt werden solle - ich verweise auf Dänemark oder Holland und empfehle, diese Staatsquoten einmal mit der deutschen zu vergleichen - und insbesondere soziale Leistungen zurückgeführt werden sollten. Zum dritten fordert die Angebotspolitik immer wieder, daß die Löhne zurückhaltend, beschäftigungsorientiert, moderat erhöht werden sollten. In den letzten Jahren ist versucht worden, diese Politik - mehr oder weniger - umzusetzen. Es ist sicherlich nicht unsachlich, festzustellen, daß das Ziel, die Arbeitslosigkeit, die Staatsschulden und die Steuer- und Abgabenlast zu senken, nicht erreicht worden ist. Also wäre es doch vernünftig, darüber zu diskutieren, ob diese Politik nicht korrigiert werden muß und ob es Beispiele gibt, wo diese Politik nicht verfolgt worden ist. ({5}) Ich möchte den Beitrag des Kollegen Rexrodt, der die Vereinigten Staaten angeführt hat, zum Anlaß nehmen, um meine Argumente vorzutragen, die deutlich werden lassen, daß in den Vereinigten Staaten in den letzten Jahren eine andere Wirtschafts- und Finanzpolitik gemacht worden ist als in Europa und insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik hat drei größere Bereiche, die über Wachstum und Beschäftigung entscheiden: Das ist die staatliche Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik, das ist die Tarifpolitik, und das ist die Geldpolitik. Jeder, der die Frage objektiv untersucht, warum beispielsweise das Ifo-Institut zu der Auffassung gekommen ist, 40 bis 50 Prozent unserer Arbeitslosenprobleme seien konjunkturbedingt, müßte sich doch die Frage stellen, ob auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Finanzpolitik in den letzten Jahren eine Fehlsteuerung eingetreten ist. Ich komme zunächst einmal zur Finanz- und Steuerpolitik, die hier heute schon eine Rolle spielte. Wir sind der Auffassung, daß die Finanz- und Steuerpolitik erstens ihre Aufgabe nicht erfüllt hat, die Konjunktur zu unterstützen, daß sie vielmehr - dies ist ja unstreitig -, wie der Sachverständigenrat bemerkt hat, durch eine ganze Reihe von ständig wechselnden Zielen, ständig wechselnden Steuervorgaben zunächst einmal das Ziel verfehlt hat, eine gewisse Stetigkeit als Grundlage von Wachstum und Beschäftigung zu erreichen. Sie hat zweitens das Ziel verfehlt, die Rahmenbedingungen stabil zu halten, und sie hat zum dritten in den letzten Jahren das Ziel verfehlt, Impulse für Wachstum und Beschäftigung zu geben. ({6}) Diese Analyse trifft nicht für die Vereinigten Staaten zu; in den Vereinigten Staaten hat insbesondere in den 80er Jahren die Finanzpolitik wesentliche Impulse für Wachstum und Beschäftigung gegeben. In den 90er Jahren hat die Geldpolitik diese Rolle übernommen. Zunächst bleibe ich aber noch bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Regierung. In diesem Zusammenhang ist die Steuerreform streitig gestellt worden; sie spielte hier vorhin bereits eine Rolle. Ich will mich mit diesem Thema sachlich auseinandersetzen und auf die Polemik der letzten Monate verzichten. In Ihrem Steuerreformkonzept war unter anderem auch das Ziel enthalten, die Mehrwertsteuer anzuheben - zusätzlich zu der bereits beschlossenen Mehrwertsteueranhebung - und eventuell auch noch die Mineralölsteuer anzuheben. Ganz klar war das zwar nicht, aber entsprechende Diskussionsbeiträge sind öffentlich geleistet worden. Dies kann man für richtig halten, man kann es auch nicht für richtig halten. Wir haben dies in der jetzigen Situation nicht für richtig gehalten, weil wir die Meinung vertreten: Angesichts der Tatsache, daß wir vor dem Hintergrund der schwachen Binnennachfrage Handwerk, Einzelhandel und ortsgebundene Dienstleistungen bereits mit einer Mehrwertsteuererhöhung konfrontieren, ist es nicht sinnvoll, eine zweite Mehrwertsteuererhöhung und eine weitere Verbrauchsteuererhöhung anzukündigen, weil dadurch die Binnennachfrage negativ beeinträchtigt würde. ({7}) Im übrigen haben wir darauf hingewiesen, daß in Japan mit einer 2prozentigen Anhebung der Verbrauchsteuern negative Erfahrungen gemacht worden sind. Wir haben dafür geworben, daß diese negativen Erfahrungen bei unseren Entscheidungen berücksichtigt werden. Dies ist ein sachliches Argument, das Sie nicht übernehmen müssen, das wir aber ins Feld führen, wenn wir sagen, daß Ihre Steuerreformpläne aus unserer Sicht nicht vernünftig sind und nicht in die Landschaft passen. ({8}) Zweiter Punkt. Es kommt auch auf die Einkommensstruktur, auf die Wirkungsweise des Steuersystems auf die Einkommensstruktur an. Hier gibt es wirklich fundamentale Unterschiede in der Betrachtungsweise. Wenn wir über Steuern und Abgaben reMinisterpräsident Oskar Lafontaine ({9}) den, dann müssen wir wissen, daß die Abgaben nur von einem Teil der Bevölkerung gezahlt werden, daß insbesondere diejenigen, die hohe Einkommen haben, zum Beispiel als Selbständige, von der ständigen Erhöhung der Abgabenlast nicht betroffen sind. Wir sind der Auffassung, daß die Finanzierung vieler Aufgaben über Abgaben, insbesondere der deutschen Einheit, ein schwerer struktureller Fehler ist, weil sie zu Einkommensungleichgewichten geführt und den Druck auf die Arbeitsplätze, auf die Rationalisierungen weiter verstärkt hat. Das ist schlicht und einfach eine strukturelle Betrachtungsweise, die Sie teilweise übernommen haben, indem Sie gesagt haben: Auch wir haben das Ziel, die Höhe der Abgaben zurückzuführen. - Die Ergebnisse kennen Sie selbst; ich brauche sie hier gar nicht zu benennen; den Streit in der Koalition darüber kennen Sie ebenfalls; ich brauche das nicht auszuführen. - Aber die verteilungspolitische - und damit ökonomische - Wirkung dieser Vorgehensweise ist in vielen Stellungnahmen von Ihnen nicht berücksichtigt worden. Es gibt gesicherte internationale Untersuchungen, die ausweisen, daß eine Stärkung der konsumintensiven Einkommen auch über die Steuer- und Abgabenpolitik zu entsprechenden Wirkungen auf den Binnenmarkt führt, während eine Schwächung der konsumintensiven Einkommen und eine relative Stärkung der nichtkonsumintensiven Einkommen zu den Ergebnissen führen, die wir hier seit Jahren zu beobachten haben. Anders ausgedrückt: Wenn Sie beispielsweise hohe Einkommen mit großen Steuerentlastungen fördern, dann stärkt das nicht die Binnennachfrage, allenfalls - da haben die Kollegen Scharping und Fischer recht - haben dann bestimmte Leute Probleme, ihr Geld anzulegen. Die Binnennachfrage hat davon aber wenig. Es ist eine Binsenweisheit, daß diejenigen, die nun einmal ein geringes Einkommen haben, zusätzliches Geld auch ausgeben. Auch aus diesem Grunde ist Ihre Steuerpolitik falsch. ({10}) Sie haben, Herr Kollege Schäuble - soweit ich das den Unterlagen entnehmen kann -, nicht, wie die Bareis-Kommission vorgeschlagen hat, Einzelfallberechnungen veranlaßt. Ich sage, das war ein schwerer Fehler. Ich hätte nicht geglaubt, daß Sie diesen Fehler machen würden. Die Einzelfallberechnungen haben ergeben, daß die Kumulation der Kürzungen von Kilometerpauschale, Arbeitnehmerpauschale, Nacht- und Schichtzulage bei Berufsgruppen wie Krankenschwestern und Facharbeitern, die für Wachstum und Beschäftigung ganz entscheidend sind, zu Einkommensverlusten geführt hätte. Sie halten an diesen Punkten fest. Auch aus diesem Grunde ist eine solche Steuerreform mit uns schlicht und einfach nicht zu machen. Es wäre ökonomisch falsch. ({11}) Sie mögen das anders sehen. Ich wollte nur einmal darauf hinweisen, daß wir drei wichtige Argumente haben, die Steuerreform in dieser Form nicht zu akzeptieren. Im übrigen sind wir der Auffassung, daß bei der Stärkung der Massenkaufkraft auch die Familien durch ein höheres Kindergeld bedacht werden sollten. Wenn beispielsweise der BDI-Präsident sagt, das schaffe keine Arbeitsplätze, dann ist das aus ökonomischer Sicht nicht sauber, es beeindruckt uns aber auch nicht. Wir sind der Auffassung: Die Familien in Deutschland müssen bessergestellt werden. So einfach ist das! Das ist für uns eine wichtige Grundlage unserer Vorgehensweise. ({12}) Der zweite wesentliche Bereich, in dem eine unterschiedliche Vorgehensweise in Europa und in Amerika festzustellen ist, ist der Bereich der Geldpolitik. Während wir etwa im Jahre 1992 - so etwas entwikkelt sich ja über lange Zeit - in Amerika im kurzfristigen Bereich einen Realzins von Null hatten, hat die Bundesbank mit einem Diskontsatz von 8,5 Prozent versucht, den Vereinigungsboom abzubremsen. Sie hat damit nach dem Urteil der internationalen Fachwelt die Massenarbeitslosigkeit in Gesamteuropa wesentlich gesteigert. Der Bundesfinanzminister hat in einem Interview in dieser Woche - ich referiere das rein sachlich - gesagt, daß die Wechselkursprobleme im Zeitraum 1993/1994 mindestens 500000 Arbeitsplätze gekostet hätten. Ich richte an ihn die Frage, worauf diese Wechselkursprobleme eigentlich zurückzuführen waren. Sie waren unter anderem darauf zurückzuführen, daß die deutsche Geldpolitik in dieser Situation in keiner Weise ihrer Aufgabe, neben der Preisstabilität auch Wachstum und Beschäftigung im Auge zu haben, gerecht geworden ist, was beinahe dazu geführt hätte, daß das europäische Währungssystem auseinandergeflogen wäre. ({13}) Die Amerikaner jedenfalls hatten mit einem Realzins von Null im kurzen Bereich Wachstum und Beschäftigung wesentlich unterstützt. Das ist also ein zweiter Bereich, in dem die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik fehlorientiert ist. Als einen dritten Bereich möchte ich die Tarifpolitik ansprechen, von der vorhin schon die Rede war. Herr Kollege Rexrodt, Sie sprachen von Lohnmäßigung. Ich glaube, auch Herr Fink - ich bin mir nicht ganz sicher; es könnte auch der Kollege Blüm gewesen sein - sprach von moderater Lohnpolitik. Ich möchte darauf hinweisen, daß die moderate Lohnpolitik schon seit einer ganzen Reihe von Jahren das Ergebnis hat, daß in Deutschland die Lohnquote permanent sinkt. Sie ist deutlich niedriger als in den Vereinigten Staaten und deutlich niedriger als in Großbritannien. Wie weit soll die Lohnquote noch absinken, bis Sie meinen, die Voraussetzungen für Wachstum und Beschäftigung seien erfüllt? ({14}) Es ist ein schwerer Irrtum, dem Sie unterliegen. Die Lohnquote hat nämlich etwas mit Wachstum und Beschäftigung zu tun. Die These, die Lohnquote müsse immer weiter zurückgehen, ist schlicht falsch. Da Sie immer von moderater und auch beschäftigungssichernder Lohnpolitik sprechen: Es gibt eine einzige Formel, die tragfähig ist und die Ihnen zum Beispiel in Ostdeutschland zu Beginn der Vereinigung hätte verbieten müssen, zu sagen: Gleicher Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({15}) Lohn für gleiche Arbeit, so war es ja in Berlin plakatiert. Denn Sie haben damit den Eindruck erweckt, daß der gleiche Beruf zu gleicher Bezahlung in West- und Ostdeutschland führen müsse. Ich will das alles aber jetzt nicht weiter vertiefen. ({16}) Also: Es gibt eine einzige Formel, an der man sich zu orientieren hat. Das ist die Produktivitätsformel. Jedes Land, das zu lange die Produktivitätsformel mißachtet, schwächt systematisch die Binnennachfrage. Genau dies finden wir derzeit in Deutschland vor. ({17}) Es ist ja interessant, daß der Sachverständigenrat dieses Jahr zum ersten Mal wieder die Produktivitätsorientierung der Lohnpolitik nach längerer Zeit - er hat 1977/1978 diese Politik empfohlen - etwas deutlicher betont, wenn auch verschämt. Ich will Ihnen aber auch hier zwei Zahlen präsentieren, damit Sie die Zusammenhänge überprüfen können. Die Lohnsumme in den Vereinigten Staaten ist im letzten Jahr um 6 Prozent angestiegen. Bei uns ist sie, ohne daß die Kürzungen des Weihnachtsgeldes berücksichtigt worden sind, nur um ein halbes Prozent angestiegen. Die Reallöhne sind in den Vereinigten Staaten im letzten Jahr um 3,5 Prozent gestiegen. Vor diesem Hintergrund sind Forderungen wie Nullrunden, wie sie noch immer von einzelnen Verbandssprechern der Wirtschaft kommen, schlicht und einfach Forderungen, die nur auf ökonomische Ignoranz zurückzuführen sind, weil Betriebswirtschaft mit. Volkswirtschaft verwechselt wird. Das kann auf Dauer nicht tragen. ({18}) Solange Sie also - das ist meine These - an Ihrer angebotspolitischen Orientierung festhalten, werden Sie, Herr Bundeskanzler, jedes Jahr, das Sie diese Regierung noch führen, mit der schwärzesten Zahl Ihrer Amtszeit konfrontiert sein, weil Ihrer Politik eine systematische Schwächung der Binnennachfrage innewohnt, die dann - im Gegensatz zur Lage in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten - zu den Arbeitslosenzahlen führt, die wir hier in Deutschland und teilweise in Gesamteuropa haben. Denn: Das, was wir hier in Deutschland veranstalten, insbesondere bei der Geldpolitik, aber auch bei den anderen Politikbereichen, etwa bei der Steuerpolitik auf Unternehmerseite usw., ist nicht mehr nur eine Entscheidung für Deutschland. Alle Politikentscheidungen, die wir hier treffen, sind Entscheidungen, die direkt oder indirekt auf Gesamteuropa Auswirkungen haben. Deshalb ist Ihre zentrale These „Beschäftigungspolitik machen wir zu Hause" grundfalsch. Beschäftigungspolitik kann nur noch in Europa und zu Hause gemacht werden, aber nicht nur zu Hause. ({19}) Sie, Herr Kollege Rexrodt, haben dann wiederum das Rezept der Deregulierung vorgeschlagen. - Ich versuche, das hier sachlich vorzutragen. Ich hoffe, das kommt zumindest bei Ihnen so an. - Sie mögen daran glauben, daß Deregulierung das richtige, das Allheilmittel ist, um Wachstum und Beschäftigung zu steigern. Ich bitte Sie, einmal zu überdenken, ob es nicht eine ganze Reihe von Prozessen gibt, die deutlich machen, daß die Formel der Deregulierung nicht trägt, daß sie sogar dazu geführt hat, daß erhebliche Wachstums- und Beschäftigungsverluste zu verzeichnen sind. Ich nehme einmal die Ostasienkrise. Die Formel der Deregulierung ist auf die internationalen Finanzmärkte nicht anwendbar. ({20}) Sie ist im Grunde genommen mit ursächlich dafür, daß wir diese Fehlentwicklungen haben, die zu Beschäftigungsverlusten in vielen Staaten der Welt führen. Bei den internationalen Finanzmärkten wäre Regulierung angesagt und nicht Deregulierung. ({21}) Mittlerweile hat man das auch auf dem Kolloquium in Davos erkannt. Herr Bundeskanzler, Sie sollten sich das einmal etwas näher ansehen. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Wir waren doch da! Es hat doch niemand vertreten, was Sie eben gesagt haben!) - Wenn Sie sagen, das habe doch niemand vertreten, dann haben Sie nicht genau verfolgt, über was dort diskutiert worden ist. Die internationale Fachwelt diskutiert jetzt darüber, ob nicht auf den internationalen Finanzmärkten unter Mitwirkung von IWF, Weltbank und anderen Institutionen mehr Regulierung notwendig ist, um solche Fehlentwicklungen zu vermeiden. ({0}) Herr Geißler nickt. Ich will das hier gar nicht polemisch anlegen. Er ist in seiner Schrift, die ich schon einmal zitiert habe - ich bin wahrscheinlich der einzige in diesem Kreis, der sie gelesen hat, aber immerhin: Sie haben einen Leser, Herr Geißler -, zu dem Ergebnis gekommen, daß internationale Zusammenarbeit an dieser Stelle zwingend notwendig ist, um ökonomische Fehlentwicklungen zu vermeiden. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Ja!) - Jetzt sagen Sie wieder „ja", Herr Bundeskanzler. Dann sind wir uns ja wieder einig. Aber Sie müssen sich jetzt entscheiden: Wollen Sie weiter deregulieren, ({0}) oder haben Sie erkannt, daß die internationalen Finanzmärkte stärker reguliert werden müssen? Dann wären wir schon ein Stück weitergekommen. ({1}) Nun kommen wir zu den Strukturreformen im Innern. Zu den Lohnnebenkosten ist viel gesagt worden. Sie waren nicht in der Lage, die LohnnebenkoMinisterpräsident Oskar Lafontaine ({2}) sten zu senken. Das liegt schlicht und einfach daran, daß Sie eine Fehlfinanzierung vieler Aufgaben vorgenommen haben. Diese Fehlfinanzierung hat einen doppelten Effekt: Der Druck auf die Arbeitsplätze ist erhöht worden, und die Einkommensverteilung ist zu Lasten der Facharbeiter, der Arbeitnehmer verschoben worden. Dieser doppelte Effekt schwächt die Binnenkonjunktur und führt zu Arbeitsplatzverlusten. Es ist unstreitig in diesem Hause, daß beispielsweise strukturell auch anzugehen wäre, die Bildung, die Forschung, die Infrastruktur und vieles andere mehr zu verbessern. Aber Sie haben in den letzten Jahren genau das Gegenteil von all dem getan, und zwar auch wieder aus einem falschen Glauben heraus. Es ist einfach die Wahrheit, daß Forschungsausgaben und öffentliche Investitionsausgaben in den letzten Jahren systematisch zurückgegangen sind. Das ist eine klare Fehlorientierung, eine falsche Weichenstellung, die korrigiert werden muß, wenn es in Deutschland wieder zu Wachstum und Beschäftigung kommen soll. ({3}) Nun haben Sie, Herr Kollege Rexrodt, in aller Sachlichkeit die Frage aufgeworfen, ob in Deutschland genügend Marktwirtschaft sei. Es stellt sich in der Tat die Frage, ob diese Koalition - in einigen Bereichen sicher - überall in Anspruch nehmen kann, daß sie auf entsprechende Preisbildung hinwirkt und Marktpreise gelten läßt. Ich nenne nur den Bereich der Landwirtschaft. Ich sehe hier den CSU-Vorsitzenden, aber ich will das gar nicht vertiefen. Ich nenne jetzt weiter den Bereich der Selbständigen, Herr Kollege Rexrodt. Das ist ein Thema, zu dem Sie zu fragen wären, wie es zum Beispiel um die Honorarordnungen steht. Ist das wirklich in vollem Umfang Marktpreisbildung? Ich verweise ferner auf die relativ schwache Handhabung des Kartellrechtes in den letzten Jahren. Auf der einen Seite haben größere Unternehmen Vorteile, Waren abzusetzen und Innovationen auf den Markt zu bringen, auf der anderen Seite ist damit eine geringere Flexibilität der Güterpreise verbunden. Darauf ist keine einfache Antwort zu geben. Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen, daß wir häufig beobachten müssen, daß zum Beispiel große Unternehmen, wenn bei ihnen ökonomische Schwierigkeiten auftreten, Zweigwerke schlicht und einfach schließen, während ein mittelständischer Unternehmer, wenn er Eigner des Unternehmens ist, um seine Existenz kämpfen und versuchen würde, durch Produktinnovation und selbstverständlich auch durch Kostenmanagement die Arbeitsplätze zu erhalten. Großunternehmen legen statt dessen im Zeitalter von Shareholder Value diese Betriebe still. Das führt zu einer systematischen Starrheit der Güterpreise. Die Güterpreise sind an dieser Stelle zu starr. Und wer das Kartellrecht sehr zaghaft einsetzt, wird zu einer immer stärkeren Verhärtung der Güterpreise beitragen. Das waren vier Reformvorhaben im Inneren, die nach meiner Auffassung unzureichend angegangen worden sind. Ein fünftes Vorhaben will ich ansprechen: die ökologische Reform des Steuer- und Abgabensystems. Es ist doch nicht unsachlich, wenn ich darauf verweise, daß auch innerhalb der Koalitionsfraktionen immer wieder Anläufe unternommen worden sind, diese Reform schrittweise anzugehen. Wir sind der Auffassung, daß diese Reform wirklich einen sehr tiefen ökonomischen Sinn hat. ({4}) Alle Staaten haben sich in ihrer Entwicklung der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte, so könnte man fast sagen, darauf verlegt, die Arbeitsproduktivität zu steigern. Wer aber - auch durch die Preisbildung, ich denke an die Lohnnebenkosten - Signale gibt, die Arbeitsproduktivität zu steigern, hat natürlich auch mit den Folgen dieser Entwicklung zu kämpfen. Wer auf der anderen Seite seinen ganzen Ehrgeiz daransetzen würde, die Energieprodukvität zu steigern, der würde die entscheidenden Impulse für Beschäftigung und für Absatzmärkte der Zukunft geben, die dann entstehen würden, wenn wir die Energieproduktivität in den Mittelpunkt der ökonomischen Bemühungen stellen würden. ({5}) Auch bei dieser Reform, meine Damen und Herren, sind wir kein bißchen vorangekommen. Natürlich bedarf es einer Politik, die Strukturreformen anpeilt. Ich sage bewußt, es gibt auch in Ihren Reihen Diskussionen; ich greife nur das Beispiel auf, das der Kollege Schreiner hier angeführt hat, nämlich die 620-DM-Arbeitsverhältnisse. Es ist doch nicht so, als wenn es nicht eine Mehrheit in diesem Hause gäbe, die der Auffassung ist, daß die 620-DM-Arbeitsverhältnisse eingegrenzt werden müssen und der größte Teil von ihnen in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umgewandelt werden muß, wie das zum Beispiel die Holländer mit großem Erfolg getan haben. In diesem Hause ist eine Mehrheit dafür vorhanden. ({6}) Ich werfe die Frage auf, warum Sie bei solchen Entscheidungen - Senkung der Lohnnebenkosten, Strukturreform, Veränderung der Beschäftigungsbedingungen für geringfügig Beschäftigte - nicht weiterkommen, nachdem auf dem CDU-Parteitag solche Vorschläge als große Reformansätze gefeiert worden sind. Wir vertreten sie seit langem. Warum kommen wir an dieser Stelle nicht weiter? Es bleibt im Hinblick auf Amerika das oft wiederholte Argument, der Niedriglohnbereich sei nicht genügend entwickelt, die Flexibilität nicht genügend ausgeprägt. Wir haben Millionen von sozialversicherungspflichtigen Halbtagsbeschäftigungen oder Arbeitsverhältnisse, denen nicht die reguläre Arbeitszeit zugrunde liegt. Das sind etwa 5 Millionen. Aber wir haben eine zwischen 3 und 5 Millionen schwankende Zahl - sie sind ja nicht registriert - von 620Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({7}) DM-Arbeitsverhältnissen. Ist irgend jemand hier der Auffassung, diese bewegten sich im Hochlohnbereich? Ist irgend jemand der Aufassung, daß bei diesen Arbeitsverhältnissen nicht genügend Flexibilität bestünde? Ich stelle diese Frage einfach mal. Flexibilität und Niedriglohnbereich sind in Deutschland in größerem Umfang vorhanden, als immer wieder behauptet wird. Der einzige systematische Mangel ist der, daß diese Arbeitsverhältnisse im Gegensatz zu Holland und anderen Ländern nicht sozialversicherungspflichtig sind. Genau diese Reform bieten wir Ihnen seit Jahren an. ({8}) Dann haben Sie, Herr Kollege Rexrodt, hier noch einmal angeführt, das Besitzstandsdenken blockiere die notwendigen Reformen. Ich möchte in aller Sachlichkeit feststellen, daß dieser Frage schlicht und einfach unterschiedliche Wertmaßstäbe und unterschiedliche Wertorientierungen zugrunde liegen. Ich hatte hier schon einmal darauf hingewiesen, daß die Durchschnittsrenten der Frauen 900 DM und die der Männer 1600 DM betragen. ({9}) - Frau Babel, ich wiederhole Ihren Zuruf: „Das sagt nichts über das Einkommen aus!" Ich greife ihn gerne auf. Die Statistik über die Einkommen der Rentnerhaushalte zeigt, daß es eine ganze Reihe von Rentnerinnen und Rentnern gibt, die noch andere Einkünfte haben. Da haben Sie recht. Aber nun kommt unser entscheidender Einwand: Es gibt aber auch viele Frauen, die auf diese 900 DM angewiesen sind. Es ist Aufgabe der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, darauf zu achten, daß unser Begehren, denen nicht noch eine relative Kürzung auf dem Gesetzeswege zuzumuten, nicht als Besitzstandswahrerei diskriminiert wird. ({10}) Zu meinem Erstaunen habe ich gelesen, daß Norbert Blüm kürzlich einen Aufsatz veröffentlicht hat, in dem er seinen Kollegen in den Koalitionsfraktionen dargelegt hat, daß er nach heutiger Rechnung 98 Milliarden DM im Sozialhaushalt bei Rentnern, Arbeitslosen usw. eingespart habe. Ich hatte den Eindruck, daß Sie das mit einem gewissen Stolz vorgetragen haben, Herr Bundesarbeitsminister. Im Hinblick auf die Vermögensteuer und die Steuerpolitik der letzten Jahre überhaupt bitte ich einmal darum, daß die Regierung Kohl nicht nur auflistet, was sie bei Rentern und Arbeitslosen eingespart hat, sondern auch das, was sie Vermögenden und Menschen mit höheren Einkommen, pro Jahr gerechnet, an Steuervergünstigungen gegeben hat. ({11}) Dann würden Sie schlagartig erkennen, meine Damen und Herren, wie fehlgeleitet Ihre Politik in den letzten Jahren war. Machen Sie es geheim und nicht öffentlich, wenn Sie Angst davor haben. Versuchen Sie einmal, irgend jemanden dazu zu bringen, dieselbe Fleißarbeit wie der Arbeitsminister zu machen, damit nicht nur dargestellt wird, daß pro Jahr bei Arbeitslosen und Rentnern 98 Milliarden DM gespart worden sind, sondern daß auch dargestellt wird, was über Veränderungen bei der Vermögensteuer und den Unternehmensteuern und über Reformen im Einkommensteuertarif den Höherverdienenden und den Vermögenden in unserem Lande gegeben worden ist. Es ist einfach wahr: Die Reichen sind immer reicher geworden, und die Armen sind relativ immer ärmer geworden. Das ist die traurige Bilanz einer solchen Politik, die vielleicht gut gemeint war, aber zu dieser Massenarbeitslosigkeit wesentlich beigetragen hat. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Norbert Blüm? Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({0}): Ja.

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Ministerpräsident, ich frage Sie, wer die Beiträge zahlt und wem die Senkung in Höhe von 98 Milliarden DM zugute gekommen ist. Das sind die Beitragszahler: die Arbeitnehmer und Arbeitgeber. ({0}) Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({1}): Das ist richtig, Herr Kollege. ({2}) Ich habe an dieser Stelle nicht gesagt, Sie hätten bei den Unternehmern gespart, und ich habe auch nicht gesagt, Sie hätten bei den Arbeitnehmern gespart. Was Sie sagen, ist richtig. Aber es ist eine Tatsache, daß Sie stolz verkünden, daß Sie bei Arbeitslosen und Rentnern 98 Milliarden DM eingespart hätten. Sie sollten sich eher schämen, als stolz darauf zu sein und zu sagen: Was habe ich nicht alles für Leistungen vollbracht. Ich habe den Unternehmern und den Arbeitnehmern Geld zurückgegeben. Im übrigen stimmt das auch nicht. Im Saldo sind die Beiträge trotz dieser Bemühungen, Herr Kollege Blüm, systematisch immer weiter nach oben gegangen. ({3}) - Nun lassen Sie mich das einmal zu Ende führen. ({4}) - Ihre Fraktion glaubt, Sie haben noch etwas ganz besonders Kluges drauf. Bitte schön. Aber es ist die letzte Intervention, die ich zulasse.

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Ministerpräsident, wenn wir diese 98 Milliarden DM nicht gespart hätten, dann wären die Beiträge, die Sie heute schon als zu hoch beklagen, noch höher, dann müßten die Arbeitnehmer, die Handwerker und Arbeitgeber weitere 98 Milliarden DM zahlen. Ist das richtig? Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({0}): Das ist richtig, Herr Kollege Blüm. ({1}) Sie brauchen die Systematik aber nicht immer wieder vorzutragen. Ich sage Ihnen einmal ganz hart: Wenn auf Grund Ihrer Steuerpolitik die veranlagte Einkommensteuer, die über 40 Milliarden DM lag, jetzt im Minusbereich angekommen ist, die Vermögensteuer abgeschafft wurde und die Unternehmensteuern immer wieder mit dem Ergebnis gesenkt wurden, daß sie real die niedrigsten nach dem Kriege sind, dann haben Sie schamlos umverteilt. Das muß Ihnen entgegengehalten werden. Deshalb ist Ihre Politik gescheitert. ({2}) Meine Damen und Herren, ich will durch meine Rede dazu beitragen, daß Sie einmal darüber nachdenken, warum die Arbeitslosenzahlen Jahr für Jahr immer höher werden. Ich habe hier ganz bewußt gesagt: Ich unterstelle Ihnen nicht, daß Sie nicht genauso wie wir bemüht sind, die Arbeitslosigkeit zu senken. Aber die Erfahrung allgemein ist doch, daß man dann, wenn man einen bestimmten Weg geht und ein gewisses Ziel erreichen will, man aber immer das Gegenteil erreicht, den Weg und seine Methoden überprüft. Wir verstehen einfach nicht mehr, daß Sie hartnäkkig an einer Wirtschafts- und Finanzpolitik festhalten, die erwiesenermaßen zu immer höheren Arbeitslosenzahlen geführt hat. Wahrscheinlich ist damit wirklich belegt, daß der Politikwechsel notwendig ist, der diese Wirtschafts- und Finanzpolitik durch eine Politik ersetzt, die auf Wachstum und Beschäftigung orientiert ist und die damit die Sozialkassen wieder in Ordnung bringen kann und das Schicksal vieler Menschen verbessert. Denn Arbeitslosigkeit ist ein hartes Schicksal. Man wagt es ja fast nicht mehr zu sagen, daß diejenigen, die jetzt außerhalb dieses Hauses protestieren, unsere Solidarität haben, weil sie solche Worte allmählich nicht mehr annehmen. Das sollte uns allen zu denken geben. Die jetzige Wirtschafts- und Finanzpolitik ist eine der wesentlichen Ursachen für diese Fehlentwicklung. Daher muß sie korrigiert werden. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Wolfgang Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Lafontaine, Sie haben in einem Ton gesprochen, der es möglich machen sollte, in dieser Tonart auch weiter Argumente über Alternativen auszutauschen. ({0}) - Vielleicht schaffen auch Sie das. Die Arbeitslosigkeit ist zu hoch. Das ist sehr bedrückend. Die Frage ist: Gibt es bessere Wege, um die Arbeitslosigkeit schneller abzubauen? Das ist die Frage dieses Tages. Darüber muß man diskutieren. ({1}) Sie haben gesagt, die Wirtschafts- und Finanzpolitik sei schuld daran, und haben den Eindruck erweckt, es gäbe eine Alternative. Sie haben ein wenig in Richtung des amerikanischen Vorbildes argumentiert. Die Worte aus Ihrem Munde insbesondere in bezug auf die Steuerpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika in den 80er Jahren haben mich doch etwas überrascht. Denn bisher dachte ich immer, „Reaganomics" sei aus Ihrem Munde ein Schimpfwort für eine Politik gewesen, die die Vereinigten Staaten von Amerika in den 80er Jahren betrieben haben. Denn sie haben durch eine Politik, die eine Zeitlang - länger, als damals in Amerika vorgesehen - erhebliche, wenn nicht gar dramatische Defizite in Kauf genommen hat, nämlich drastische Steuersenkungen und eine Verbesserung der Angebotsbedingungen für die Wirtschaft, Beschäftigungsimpulse ausgelöst, die jetzt, in der zweiten Hälfte der 90er Jahre, in den Vereinigten Staaten von Amerika zu Ergebnissen führen, die, jedenfalls was die Beschäftigungsquote anbetrifft, besser sind als die Beschäftigungszahlen, die wir im Augenblick in Deutschland haben - mit einer Reihe von Folgen, angesichts deren wir gemeinsam der Überzeugung sind, daß sie für uns nicht akzeptabel sind. Wenn man aber die Frage prüft: Gibt es wirklich eine Alternative?, muß man zu der Frage kommen: Worin liegen die Ursachen, daß die Vereinigten Staaten von Amerika und die Bundesrepublik Deutschland im Vergleichszeitraum von etwa 1980 bis 1990 kumuliert ziemlich genau das gleiche reale Wachstum zu verzeichnen hatten, daß aber der Beschäftigungseffekt in den Vereinigten Staaten von Amerika erheblich größer geworden ist? Es besteht ja das Paradoxon, daß der englische Begriff „jobless growth", Wachstum ohne Wirkung auf den Arbeitsmarkt, in Amerika ein Fremdwort ist, während es in Deutschland fast eingedeutscht worden ist. Da liegen die Ursachen, nicht in dem, was Sie dargelegt haben. Wir haben ein befriedigendes Wachstum. Die OECD hat uns doch in ihrer Prognose für 1998 in der Reihe „vergleichbare Industrieländer", was die Wachstumsperspektiven anbetrifft, mit die beste Position gegeben. Das heißt: Es ist nicht ein konjunkturpolitisches Problem, wie Sie es dargelegt haben. Wer es zum konjunkturpolitischen Problem macht, ist nach unserer Überzeugung auf der falschen Fährte und wird die Probleme nicht lösen. ({2}) Nein, die Frage ist: Warum hat sich ein in der Entwicklung für das Jahr 1997 und auch in der Prognose für 1998 ausgewiesenes befriedigendes Wachstum noch nicht auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt? Oder: Was kann man tun, damit es sich stärker auswirkt? Vielleicht könnten wir uns auch einmal darüber verständigen, Herr Kollege Schreiner, daß wir nicht immer wieder gebetsmühlenhaft falsche Behauptungen widerlegen müssen. ({3}) Wir reden ja jetzt ganz sachlich und vernünftig miteinander, weil die Lage zu ernst ist und die Menschen draußen von uns nicht erwarten, daß wir jetzt wild übereinander herfallen. Norbert Blüm hat heute morgen zu Beginn der Debatte noch einmal ganz klar und präzise erklärt, was im Januar 1996 war. Es gab kein Versprechen des Bundeskanzlers, die Arbeitslosigkeit zu halbieren. Das wäre ja auch ganz falsch; das kann die Regierung nicht. Die Regierung kann keine solchen Zusagen machen. ({4}) - Frau Fuchs, Sie wissen es doch besser. Es gab eine Verabredung zwischen Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften, ({5}) in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen alles zu tun, um einer Verbesserung der Lage am Arbeitsmarkt bei den anstehenden Entscheidungen Priorität zu geben. ({6}) Es war die gemeinsame Einschätzung, daß, wenn dies geschehe, das Ziel erreicht werden könnte, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren. ({7}) Es ist bedauerlich, daß man heute der Ehrlichkeit halber sagen muß: Es spricht mehr dafür, daß dieses Ziel bis zum Jahr 2000 nicht zu erreichen sein wird. Daran kann niemand Freude haben. Es unterstellt auch niemand dem anderen, man habe Freude daran, daß die Arbeitslosigkeit zunehme. Das hat auch Ulf Fink nicht gesagt; Sie sollten ihn nicht anders verstehen. ({8}) - Nein, er hat es auch noch einmal klargestellt. Ich glaube, wir müssen über die Ursache dafür sprechen, warum wir alle - wahrscheinlich auch Sie, zumindest aber wir - gemeinsam mit der Regierung, den Wirtschaftsverbänden und den Gewerkschaften im Januar 1996 optimistischer waren. Das meiste von dem, was damals vereinbart worden ist, ist, zumindest was die Politik angeht, umgesetzt worden - überwiegend gegen Ihren Widerstand, obwohl mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften verabredet. Eine Ausnahme ist die Steuerreform; dazu werde ich noch einige Bemerkungen machen. Die Frage ist: Warum hat dies noch nicht die Wirkung gehabt, die wir uns gemeinsam im Januar 1996 davon erhofft haben? Da sind wir bei dem Problem, das Sie in Ihren Ausführungen zu den internationalen Finanzmärkten angesprochen haben. Sie haben da übrigens einen kleinen Kunstgriff gemacht. Das ist legitim; das macht jeder. Sie haben nämlich die Ausführungen des Bundeswirtschaftsministers zum Thema „Deregulierung in Deutschland" - die ich im übrigen 100 prozentig unterschreibe: Wir haben zuviel Regulierung in Deutschland, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, wir werden einen besseren Beschäftigungseffekt haben, wenn wir dort weniger strukturelle Regulierungen haben; das bringt mehr Bewegung - auf die internationalen Finanzmärkte bezogen. Sie haben im vergangenen Jahr einmal geschrieben, der Standortwettbewerb im Zuge der Globalisierung sei keine Lösung. Leider ist ihm nicht auszuweichen, und das Problem bleibt: Um in der Globalisierung zu bestehen, hat heute keiner ein international so funktionierendes Regelwerk, wie wir es mit der sozialen Marktwirschaft der Nachkriegszeit seit Ludwig Erhard hatten, mit der wir nicht schlecht gefahren sind. Trotzdem: Die Globalisierung findet statt. Das bringt veränderte Anforderungen an die Steuerpolitik aller Länder mit sich, die ihre Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Weltwirtschaft bewahren wollen. Diesem Prinzip muß die Steuerpolitik verpflichtet sein. ({9}) Deswegen mußten wir die Substanzsteuern abschaffen. Sie machen daraus eine Verteilungsdebatte. Ich halte das unter den Bedingungen einer globalisierten Wirtschaft für eine falsche und der Beschäftigungslage nicht förderliche Debatte. Mit Verteilungsdebatten ist in einer globalisierten Wirtschaft nichts zu gewinnen. ({10}) Was wir brauchen, ist insoweit die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Deswegen mußten die Substanzsteuern - die Vermögensteuer und die Gewerbekapitalsteuer - abgeschafft werden. ({11}) Ich füge hinzu: Es war schade, daß es so lange gedauert hat, bis die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft worden ist - Sie haben das zu lange blockiert -, und es war ein Fehler, daß die Abschaffung im Vermittlungsausschuß überkompensiert werden mußte. ({12}) Wenn Sie schon das amerikanische Vorbild anführen, dann brauchen wir uns doch wirklich nicht über solch irreführende Begriffe wie „Steuerschlupflöcher" zu streiten. Das Problem ist: Wir haben im internationalen Vergleich - und damit sind wir nicht konkurrenzfähig - zu hohe Steuersätze. ({13}) Diese zu hohen Sätze bei der Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer führen dazu, daß die Notwendigkeit, immer mehr Ausnahmen zu regeln, geradezu unausweichlich ist. Wer diesen Tatbestand beseitigen will - nach amerikanischem Vorbild, nach dem Vorbild vieler europäischer Länder mit überwiegend sozialdemokratischen Regierungen -, muß zunächst einmal und in erster Linie alle Steuersätze deutlich senken. Im Zuge dessen kann man auch Ausnahmen von der Besteuerung beseitigen. Nun haben Sie heute merkwürdigerweise Ihre alte Argumentation, mit der Sie die Steuerreform blokkiert haben, nicht mehr so verwandt wie damals. Wir haben das bemerkt. Damals haben Sie nämlich gesagt, eine Nettoentlastung komme nicht in Frage. Das war das vorderste Argument in Ihrer Blockade. ({14}) Heute haben Sie bemerkenswerterweise gesagt, Sie haben die Steuerreform abgelehnt, blockiert, weil wir eine Umschichtung zwischen direkten und indirekten Steuern vorgesehen haben. ({15}) Herr Lafontaine, Sie müssen sich das eine oder das andere Argument aussuchen, aber Sie müssen sich festlegen. Wenn Sie schon blockieren, sollten Sie wenigstens in der Begründung kontinuierlich bleiben. Am allerbesten wäre, Sie wechselten nicht die Begründung aus, sondern die Verweigerung der Zustimmung. ({16}) Inzwischen sagen Sie wie wir - darin stimmen wir überein; das macht die Sache noch dringlicher -, daß das Steuersystem unter diesen Rahmenbedingungen nicht befriedigend sei. Ja, dann muß es verbessert werden. Übrigens: Das Gesetz ist vom Bundestag am 30. Juni 1997 hier verabschiedet worden. Es mangelt nur an der Zustimmung des Bundesrates. ({17}) Wenn man die Richtigkeit des Konzeptes, die Sätze zu senken und eine Nettoentlastung in Kauf zu nehmen, erkennt, muß man auf der Ausgabenseite sparen. Wer die Steuer- und Abgabenbelastung als zu hoch beklagt - was erfreulicherweise auch Sie getan haben -, der muß zu Ausgabensenkungen bereit sein. Jedenfalls muß er bereit sein, den Anstieg der Ausgaben zu bremsen. Da haben wir von Ihrer Seite bisher zuwenig Unterstützung, sondern nur Kritik erfahren. Kritik ist manchmal hilfreich, aber ausschließlich Kritik ist gelegentlich ein bißchen schwierig. Wir kommen nicht darum herum, die Dynamik des Ausgabenanstiegs zu bremsen, damit wir die Steuerbelastung herunterfahren können. Denn sie ist insgesamt zu hoch. ({18}) Aber ich will dann doch mit Blick auf einen Ministerpräsidenten - insofern sind Sie ja auch ein bißchen Mehrheitsführer im Bundesrat - folgende Bemerkung machen: Im Bundeshaushalt sinken die Ausgaben seit 1994 Jahr für Jahr, Wir haben inzwischen, Herr Ministerpräsident Lafontaine, den niedrigsten Anteil der Einnahmen des Bundes an den öffentlichen Gesamteinnahmen. Der Anteil von Ländern und Gemeinden ist gestiegen, der des Bundes geht zurück. In einer Zeit, in der wir den Aufbau der neuen Bundesländer nach 40 Jahren Teilung und Sozialismus über den Bundeshaushalt finanzieren müssen und die Finanzierungslasten für die Europäische Union im Bundeshaushalt haben, kann das nicht richtig sein. ({19}) - Na gut, auch für das Saarland. ({20}) Wir haben das niedrigste Niveau beim Verhältnis der Ausgaben des Bundes zum Bruttoinlandsprodukt seit den 50er Jahren. Beim Bund haben wir also nachhaltig gespart. Das ist eine große Leistung des Bundesfinanzministers Theo Waigel und der ganzen Regierung sowie der Koalition. ({21}) Die Entwicklung bei Ländern und Gemeinden ist nicht deckungsgleich. Es wird zu einer Belastung unseres - richtigen - föderalen Systems, wenn wir nicht zu einer größeren Parallelität der finanzpolitischen Entwicklung auf allen Ebenen der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften kommen. Diesen Appell will ich an Sie richten. ({22}) - Frau Kollegin, weil Sie gesagt haben, wir sollten die Bundeswehr verkleinern - ({23}) - In diesem Falle muß ich Frau Babel ausnahmsweise zustimmen, was die Auseinandersetzung mit den Kollegen anbetrifft: Das wird jetzt wirklich nicht besser. ({24}) - Frau Kollegin Fuchs, bleiben Sie bei Ihrem üblichen Charme. Wenn Sie hier beklagen, was die Kommunen anbetrifft, sollten Sie bitte drei Tatsachen hinzufügen, mit denen der Bund die Kommunalfinanzen entlastet hat: Die Pflegeversicherung entlastet die Sozialhilfeträger erheblich. Der Rückgang der Asylbewerberzahlen, den wir, mühsam genug, seit 1993 endlich erreicht haben - da haben Sie auch ziemlich lange gebraucht -, entlastet die Sozialhilfeträger erheblich. Wenn Sie daran mitwirken würden, daß wir die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz so zurückführen können, daß die Anreizwirkung für Schlepperbanden geringer wird, kämen wir noch weiter. ({25}) Die Aussiedlerzahlen waren durch eine kluge Politik, die darauf abzielt, das Tor offenzuhalten, aber zugleich die Zuwanderung maßvoll und im Einvernehmen mit den Betroffenen zu verstetigen und zurückzuführen, im Jahre 1997 um ein Drittel niedriger, als sie im Jahre 1996 waren. Sie waren übrigens niemals so hoch wie die Asylbewerberzahlen. Das heißt, wir haben unsere Verantwortung für die Kommunalfinanzen durchaus wahrgenommen. Deswegen können wir auch entsprechend unserem Antrag, den Ulf Fink gut begründet hat und zu dem ich um Ihre Zustimmung bitte, auch sagen: Liebe Kommunen, helft bitte mit, daß wir in einer gemeinsamen Anstrengung von Bund, Ländern und Gemeinden dort, ({26}) wo die Verbesserung von Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt allein nicht ausreicht, die besonderen Problemgruppen tatsächlich auch in Arbeit bringen. Und das geht nur auf dem Wege unseres Antrages. ({27}) Dazu gehört, daß wir es schaffen müssen, bessere Rahmenbedingungen, die zu mehr Wachstum geführt haben, auch umzusetzen, so daß in Deutschland mehr Bewegung durch Deregulierung, aber auch durch eine Veränderung der Mentalität entsteht. Das ist der Weg in die Dienstleistungsgesellschaft. Deswegen haben wir ja auch die Anträge zu einer Verstärkung von Dienstleistungen. Schweden hat einen Anteil von Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich an der Gesamtbeschäftigung von 43 Prozent. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben einen Anteil von Dienstleistungsarbeitsplätzen an der Gesamtbeschäftigung von 39 Prozent. Die Bundesrepublik Deutschland hat einen Anteil von Dienstleistungsarbeitsplätzen an der Gesamtbeschäftigung von 27 Prozent. Hätten wir eine vergleichbare Stärke des Dienstleistungssektors, des tertiären Sektors, an der Gesamtbeschäftigung - das muß gar nicht so hoch wie in den Vereinigten Staaten von Amerika sein; denn der nächste Redner wird das große Modell Vereinigte Staaten von Amerika, das Herr Lafontaine beschrieben hat, zurücknehmen und sagen, das seien alles die Billigjobs -, hätten wir schwedische oder holländische Anteile der Beschäftigung im Dienstleistungssektor, wäre die Arbeitslosigkeit in Deutschland nicht einmal halb so hoch. Deswegen müssen wir den Weg gehen, die Bereitschaft zu Dienstleistungen in unserem Land entscheidend zu fördern. ({28}) Das heißt aber auch, daß wir eine größere Bereitschaft hervorrufen müssen, daß Menschen angebotene Arbeitsplätze annehmen und daß sie mehr kundenorientiert arbeiten, auch was die Flexibilität der Arbeitszeit angeht. Warum klagen denn ganze Branchen, daß sie weder qualifizierte Auszubildende noch qualifizierte Arbeitnehmer in Bereichen bekommen, in denen die Arbeitszeiten nicht so sind, wie sie den Wünschen der Mehrzahl der Deutschen entsprechen, nämlich von montags 9 Uhr bis freitags 14.30 Uhr und nicht darüber hinaus? Wenn ich mich recht erinnere, so hat der rheinland-pfälzische Sozialminister vor kurzem gesagt: Wenn alle Flüchtlinge kurzfristig nach Bosnien zurückkehren würden, dann müßte er in den Krankenhäusern ganze Abteilungen schließen. Dazu sage ich: Da kann doch etwas in Deutschland nicht in Ordnung sein. Das muß man ansprechen, und das muß man ändern, wenn man Arbeitslosigkeit bekämpfen will. ({29}) Ich habe im vergangenen Jahr - ich habe darauf schon einmal hingewiesen - erlebt, daß Vertreter der Metall- und Elektrobranche gesagt haben, sie hätten die Ausbildungsplätze nicht besetzen können. Als ich mit Vertretern des DGB-Kreisverbandes in meinem Wahlkreis darüber gesprochen habe, wurde mir bestätigt: Das stimmt; das ist auch bei uns so. - Da kann etwas nicht in Ordnung sein. Deswegen müssen wir die Rahmenbedingungen weiter verbessern. Ich kann nicht erkennen, daß die Höhe des Zinsniveaus - Sie, Herr Lafontaine, haben die Geldpolitik der Bundesbank zwischendurch auch noch verantwortlich gemacht - dazu beigetragen hat. Wenn ich es richtig sehe, haben wir inzwischen im langfristigen Vergleich ein historisch niedriges Zinsniveau erreicht. Sie, Herr Lafontaine, haben übrigens bei all Ihren Bemerkungen zur internationalen Entwicklung und zu mehr Kontrollen wenig zu den Chancen gesagt, die die Europäische Währungsunion uns auf diesem Feld bietet. ({30}) Wenn wir stärkere Reglementierungen im Hinblick auf die Auswirkungen der Internationalisierung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen wünschen Dr. Wolfgang Schäuble das können wir heute nicht leisten; das bekommt auch die UNO nicht zustande -, dann sind die europäische Einigung und die Schaffung einer Europäischen Währungsunion - der Bundesfinanzminister hat es dieser Tage wieder zu Recht öffentlich gesagt - ein Beitrag dazu, um die erratischen Auswirkungen von Schwankungen in anderen Teilen der Erde für uns in Europa zu verringern und die Lage bei uns zu stabilisieren. Deswegen ist die Europäische Währungsunion richtig und hilft uns bei der Lösung dieser Probleme. ({31}) Darin sind wir uns einig. Aber weil dies alles richtig ist, brauchen wir eine Steuerpolitik - das sage ich noch einmal -, bei der wir international, jedenfalls im europäischen Vergleich, wettbewerbsfähig sind. Herr Ministerpräsident Lafontaine, im europäischen Vergleich betrachtet, sind unsere Verbrauchsteuersätze zu niedrig und unsere Sätze bei den direkten Steuern zu hoch. ({32}) Deswegen ist es im Sinne einer europäischen Harmonisierung, wenn wir eine Nettoentlastung durch sparsames Wirtschaften bei Bund, Ländern und Gemeinden, aber auch eine Korrektur des Verhältnisses zwischen direkten und indirekten Steuern anstreben. Dazu kommt noch, daß wir Ausnahmen von der Besteuerung beseitigen wollen. Wenn wir das so machen, bekommen wir eine Steuerreform, die die Wachstumskräfte in unserem Land stärkt und die uns hilft, die zu hohe Arbeitslosigkeit schneller zu bekämpfen. ({33}) Sie haben auch von den Sozialkosten gesprochen. Das, was Sie gesagt haben, ist ebenfalls wahr. Aber wenn man dieses Problem ernsthaft lösen will, darf man wiederum nicht nur an den Symptomen herumkorrigieren, sondern man muß den Menschen klar sagen: Bei unserem hohen Maß der sozialen Sicherheit - vergleichen Sie einmal, was Arbeitslose in Frankreich und was sie in Deutschland bekommen; das hat auch Norbert Blüm gesagt; das zeigt, daß wir in Deutschland ein hohes Maß an sozialer Sicherheit haben - können wir aber unsere Augen vor der demographischen Entwicklung nicht verschließen. Die Menschen leben länger; die Geburtenzahlen gehen zurück. Als Folge davon nimmt der Anteil älterer Menschen in unserer Gesellschaft ständig zu. Der medizinische Fortschritt hat Folgen sowohl für das Renten- als auch für das Gesundheitssystem. Dazu kommen dann immer kürzere Lebensarbeitszeiten, weil die Ausbildungszeiten immer länger - ich sage: zu lang - werden. Ich sage, Herr Ministerpräsident: Machen Sie in den Ländern statt 13 doch 12 Schuljahre. Verkürzen Sie die Ausbildungszeit. Die Länder sind für die Dauer der schulischen Ausbildung und auch für die Hochschulen zuständig. ({34}) Die Ausbildungszeiten sind zu lang. Das tatsächliche Ruhestandseintrittsalter ist zu niedrig, bei vielen Menschen nicht freiwillig, aber im Ergebnis scheiden sie zu früh aus. Alles zusammen führt dazu, daß die Kosten unserer Systeme der sozialen Sicherung auf die Dauer wirtschaftlich nur dann tragbar sind, wenn wir den Ausgabenanstieg verlangsamen. Deswegen ist Ihre Diffamierung der Rentenreform langfristig unverantwortlich. Die Reform ist notwendig, damit die Renten sicher bleiben. ({35}) Deswegen müssen Sie, wenn Sie die Lohnzusatzkosten nicht steigen lassen, sondern senken wollen, endlich einmal mitmachen, so daß wir im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zu Einsparungen kommen, wie wir es gegen Ihren Widerstand durchgesetzt haben. Deshalb müssen wir auch im Bereich der Sozialhilfe - ich bin wieder bei unserem Antrag - dafür sorgen, daß jeder, wenn er arbeitet, mehr hat, als wenn er nicht arbeitet, weil sonst die Geschichte nicht funktioniert. ({36}) Daher müssen wir, wenn wir mehr Dienstleistungen und überhaupt mehr Arbeitsplätze wollen, aufhören, die Arbeitgeber zu verteufeln. Wir haben nicht nur zuwenig Arbeitsplätze, wir haben auch zuwenig Arbeitgeber in Deutschland. Deswegen brauchen wir mehr Existenzgründer. Deswegen brauchen wir viel mehr kleine und mittlere Unternehmen. ({37}) Wir brauchen auch die großen Unternehmen. Das eine ist nicht die Alternative zum anderen. Im Umfeld von großen Unternehmen gedeihen auch die kleinen Unternehmen besser. ({38}) - Weil wir gerade bei Niedersachsen sind, möchte ich dazu eine Bemerkung machen. Wir brauchen ausländische Investitionen; deshalb habe ich überhaupt nichts dagegen, daß sich auch ein österreichisches Unternehmen in der deutschen Stahlindustrie engagiert. ({39}) Wenn Sie einmal genau hinschauen: Unter dem relativ großen Einfluß des Landes Niedersachsen - noch hat es eine SPD-Regierung - ({40}) - Das entscheiden die Wähler in Niedersachsen am 1. März. Vorläufig ist es noch so. Das ist aber nicht mein Punkt. ({41}) Ich wollte zum Zusammenwirken von großen, mittleren und kleinen Unternehmen etwas sagen. Die Mittelstandspolitik in Niedersachsen, ausgehend von der Politik von Volkswagen gegenüber seinen mittelständischen Zulieferern, ist nicht das Modell, das ich mir wünsche. Da hat offenbar die SPD zuviel StaatsDr. Wolfgang Schäuble einfluß in der Unternehmenspolitik. Wir sind mehr für Privatisierung. ({42}) Wir brauchen mehr Existenzgründer. ({43}) - Aber auch wenn Ihr Freund - Sie sind doch so eng befreundet; jedesmal, wenn Sie sich treffen, umarmen Sie sich - einen so maßgeblichen Einfluß hat, ({44}) können Sie doch den Fehler, der dort begangen wird, nicht dadurch entschuldigen, daß Sie sagen: Auch andere machen Fehler. Das mag schon sein. Aber damit wird das eigene Fehlverhalten nicht besser. Mehr Existenzgründer werden wir übrigens auch nur dann bekommen, wenn wir die Verteilungsdebatten nicht weiter führen. Es geht um die Verteilungsdebatten mit unten und oben. Das ist ganz falsch. Was wir brauchen, sind mehr Investitionen, mehr Bereitschaft zum Risiko, mehr Engagement, mehr Bereitschaft, Neues zu wagen, und mehr Bereitschaft, vorhandene Arbeit anzunehmen und sich darum zu bemühen. Jeder muß seinen Teil dazu beitragen. Nur so kommen wir voran. Immer mit dem Finger auf andere zu zeigen nützt überhaupt nichts. ({45}) Ich bekenne mich dazu: Ich hatte im Januar 1996 die Hoffnung, daß, wenn alles, was damals zwischen Bundesregierung, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften verabredet worden war, schneller umgesetzt wäre, wir mehr Wirkungen auf dem Arbeitsmarkt hätten. Die Verwerfungen durch die Globalisierung, durch die technologische Revolution, also die Rationalisierung, die sozialen Veränderungen bis hin zum Altersaufbau sind offenbar noch größer, und deswegen sind die Anforderungen an uns härter. Deshalb ist der Weg aber nicht falsch, sondern die Anstrengungen müssen verstärkt werden. Die Blokkaden müssen dort, wo wir noch blockiert sind, aufgegeben werden. Ich habe bei Ihren Ausführungen keine Alternative erkennen können. ({46}) Ich habe Ihnen sehr genau zugehört, Herr Ministerpräsident Lafontaine. Ich habe in dem, was Sie vorgetragen haben, nicht den Ansatz einer Alternative für mehr Beschäftigung in Deutschland erkennen können. Deswegen bleibt uns nur der Weg, die Weichen für mehr Wachstum zu stellen, dafür, daß mehr Wachstum auch zu mehr Beschäftigung führt, uns darauf zu konzentrieren, daß wir Problemgruppen, Langzeitarbeitslose und Jugendliche, die nach der schulischen Ausbildung gleich in Arbeitslosigkeit zu fallen drohen, in Beschäftigung führen, wie es unser Antrag zeigt, die Flexibilität, auch mit mehr Teilzeit und mehr Bereitschaft zu Dienstleistungen, und im übrigen auch den Gestaltungsspielraum für die Tarifpartner zu erhöhen, so daß sie selber flexibler werden. Unser Gesetzentwurf zur Altersteilzeit soll die Tarifpartner bei ihren Bemühungen unterstützen, durch mehr Flexibilität mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Auf diesem Weg werden wir in Deutschland am ehesten mehr Arbeitsplätze und weniger Arbeitslosigkeit erreichen. Diesem Ziel bleiben wir verpflichtet. Wir werden unsere Bemühungen auch weiterhin darauf konzentrieren. Das haben wir bisher bereits getan. Wenn Sie uns in Zukunft nicht mehr blockieren, kommen wir noch schneller voran. Herzlichen Dank. ({47})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marieluise Beck.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Selbst wenn Sie sich, Herr Schäuble, jetzt mit filigranen Formulierungen darum bemühen, uns zu überzeugen, daß der Kanzler nie versprochen habe, die Arbeitslosigkeit bis zum Ende der Legislaturperiode zu halbieren, ist nicht zu übersehen, daß der Kanzler nicht wirklich versucht hat, das, was ihm in den vergangenen Jahren zugeschrieben worden ist, von sich zu weisen. Natürlich ist die Regierungskoalition mit dem Versprechen angetreten, durch ihre Maßnahmen die Arbeitslosigkeit bis zum Ende der Legislaturperiode zu halbieren. Sie können das nicht wegdrücken - auch wenn hier volkswirtschaftliche Proseminare gehalten werden -, sondern müssen zugeben, daß heute wieder einmal ein Tag ist, an dem durch die Statistiken unumstößlich dokumentiert wird, daß sich die Arbeitslosenzahl der nächsten Millionenschwelle nähert, nämlich der 5-Millionen-Schwelle. Vor zwei Jahren wäre es wahrscheinlich undenkbar gewesen, daß dieses Land das überhaupt aushalten kann. ({0}) Wir dürfen jetzt nicht - Sie können es noch viel weniger - sagen: Nun müssen wir wirklich einmal über die volkswirtschaftlichen Grundlagen nachdenken. Das reicht den Menschen nicht, die das Recht haben, zu erfahren, wie es weitergehen soll. Es hat hier einen interessanten Schlagabtausch über die Frage Wachstum und Beschäftigung gegeben. Was die Bevölkerung draußen am eigenen Leibe spürt, ist, daß diese Gleichung offensichtlich so nicht mehr aufgeht, und zwar nicht deshalb, weil sich die Ökologen, die Grünen als wachstumskritische Partei weltweit durchgesetzt hätten, sondern offensichtlich deshalb, weil es selbst mit den unterschiedlichen ökonomischen Ansätzen - es ist egal, ob sie eher angebots- oder nachfrageorientiert sind - und bei einem maßvollen Wachstum von 2 bis 3 Prozent nicht möglich ist, Beschäftigung in einem Umfang zu schaffen, das es allen Menschen in den Industriegesellschaften erlaubt, so am Arbeitsmarkt teilzuhaben, wie sie es wollen. Das Problem entsteht nicht aus Marieluise Beck ({1}) ökologischen Gründen, sondern aus Gründen, die in der Ökonomie selbst liegen. Damit hat sich hier niemand auseinandergesetzt. Wenn wir uns dieser Frage aber nicht widmen, dann werden wir trotz maßvollen ökologischen Wachstums auch in den kommenden Jahren verzweifelt vor steigenden Arbeitslosenzahlen stehen. Das ist das Problem, um das es hier geht. ({2}) Es gibt seit 1974 durchaus maßvolles Wachstum. Ich will die ökologische Frage, ob das wünschenswert ist oder nicht, einmal vollkommen außer acht lassen. Trotzdem ist die Zahl der Arbeitslosen von Rezession zu Rezession in Millionensprüngen gestiegen. Das ist das Problem, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben. Offensichtlich sind die Wachstumsstrategien, wie sie nach wie vor verfolgt werden, nicht geeignet, zu erreichen, daß das Wachstum die Produktivitätsschübe, die gleichzeitig mit dem Wachstum erfolgen, übersteigt. Deswegen haben wir trotz wirtschaftlichen Wachstums eine Abnahme von Erwerbsarbeit, eine Abnahme des Bedarfs an menschlicher Arbeit. Daraus resultieren die fast 5 Millionen Menschen, die vom Erwerbsarbeitsmarkt ausgeschlossen sind. Deswegen ist die grundsätzliche Frage, ob die alte Gleichung, die die 50er, 60er, 70er und 80er Jahre bestimmt hat, nämlich daß wir einen Gleichklang von Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und wachsendem Einkommen haben, die 90er Jahre und das kommende Jahrtausend überhaupt noch abbilden kann, ob die Gleichung, daß Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik gleich Wachstumspolitik sein müssen, überhaupt noch zeitgemäß ist oder ob nicht Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik vor allem - da bin ich ganz anderer Meinung als Sie, Herr Schäuble - Verteilungspolitik ist. Verteilungspolitik allerdings nicht im Sinne einer Neiddebatte. Wenn es stimmt, daß die Wachstumsraten faktisch von den Produktivitätsschüben aufgefressen werden - wir brauchen diese Produktivitätsschübe wegen der globalisierten Wettbewerbssituation -, bestehen bei abnehmendem Erwerbsvolumen gesellschaftlich nur zwei Möglichkeiten: Erstens. Das Erwerbsvolumen wird auf einen relativ kleinen Teil der Bevölkerung verteilt, der als vollzeit tätige, gut verdienende „weiße Mittelklasse" im Zentrum der Gesellschaft steht. Ein immer größer werdender Teil von Menschen, die sich in den sozialen Transfersystemen am Rande der Armut bewegen müssen, steht dagegen draußen. Die sind einmal ein bißchen drin oder bekommen die Jobs, die Sie jetzt anbieten wollen, nämlich die Niedriglohnjobs im prekären, ungesicherten Bereich. Zweitens. Das Erwerbsvolumen dieser Gesellschaft wird auf alle verteilt, die am Arbeitsmarkt teilhaben wollen, auch auf die Frauen, die sich nicht mehr wegdrängen lassen wollen. Es geht also um eine Sozialpolitik, um eine Arbeitszeitpolitik, um eine Tarifpolitik, um die Anstrengung aller gesellschaftlichen Kräfte, um diese Verteilung im Sinne der sozialen Gerechtigkeit und der Chance auf Teilhabe für alle wirklich herzustellen. ({3}) In der Nähe, gleich hinter der Grenze ist ein Land, das mit größerem Erfolg gegen die soziale Spaltung gekämpft hat als unser Land. Das holländische Modell ist genau dieser Grundidee gefolgt, daß selbst in einer Wachstumsökonomie und gerade bei hoher Produktivität nur die Verteilung von Erwerbsarbeit die Chance auf soziale Teilhabe bietet. Das ist die Grundidee des holländischen Modells. Dazu gab es in Holland eine politische Basis aller gesellschaftlichen Kräfte, von den Tarifpartnern, den Unternehmen bis hin zur Politik und den kommunalen Ebenen, die sich dieser Aufgabe, eine gerechte Verteilung von Arbeit hinzubekommen, gemeinsam gestellt haben. Dagegen hat die Bundesregierung - das war vermutlich der größte Fehler in dieser Legislaturperiode - das Bündnis für Arbeit zerschlagen und damit die Chance, alle Kräfte an einen Tisch zu bekommen, die eine gerechte Verteilung von Arbeit und Einkommen herstellen könnten, vertan. Sie werden keine zweite Chance bekommen. Das kann nur eine neue politische Konstellation in diesem Land herstellen, die überhaupt das Vertrauen mobilisieren kann, das erforderlich ist, um diesen Weg zu beschreiten. ({4}) Herr Schäuble hat gesagt: Schaut in die USA, dort gibt es Wachstum und entsprechende Beschäftigungseffekte. Er hat auf die Dienstleistungsgesellschaft verwiesen. Zunächst einmal, Herr Schäuble, wissen wir - und das wissen Sie vermutlich auch -, ({5}) daß der Anteil der Dienstleistungen in unserer Ökonomie von 27 Prozent im Verhältnis zu 40 Prozent in Schweden sehr umstritten ist, weil - wie bei allen Statistiken - entscheidend ist, wie gezählt wird. Es gibt andere Gutachten, die belegen, daß der Anteil von produktiven Dienstleistungen in Deutschland sehr viel höher ist. Allerdings haben wir gerade in den Bereichen der produktiven Dienstleistungen auch extreme Rationalisierungsschübe. Denn dort werden mit Erfolg die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt, die wir alle auch wollen. Sie sind aber in sich Rationalisierungstechnologien. Die Deutsche Post, die Telekom, die Banken, sie alle stehen vor großen Entlassungswellen. Dort wird Arbeit durch intelligente Maschinen, durch Computer, ersetzt. Vor der Lösung dieses Problems kann man sich nicht drücken. Als Antwort bleibt dann das, was Herr Fink hier erklärt hat - das ist dann auch die Konsequenz dessen, was in diesem Blättchen hier vorgelegt wird -: personennahe Dienstleistungen. Herr Fink sagt ehrlicherweise: Das müssen die Niedriglohnbereiche sein. Marieluise Beck ({6}) Meine Damen und Herren, gleichzeitig sagen Sie: Wir wollen kein Working poor. Ich fürchte, es wird nicht beides zu erreichen sein. Wenn Sie wirklich den Schaffner wieder mitfahren lassen wollen, wenn Sie die Lebensmittel ins Haus bringen lassen wollen - eine wunderbare Vorstellung -, glauben Sie dann wirklich, daß 30 bis 35 DM brutto von den Konsumenten für diese Art von Dienstleistungen bezahlt wird? Wohl eher nicht. Wenn diese Kosten nicht erbracht werden, dann haben Sie Stundenlöhne von 6, 7 oder 8 DM, und dann haben Sie Working poor. Mit diesem Ausweg, den Sie jetzt anbieten - von der Gartenarbeit über die Haushälterin, die personennahen Dienstleistungen in diesen unteren Bereichen, in die Sie die schlecht Qualifizierten hineinschieben wollen, und zwar nicht nur mit sanftem, sondern massivem Druck; denn Sie drohen damit, ihnen die Sozialhilfe zu kürzen -, werden Sie vermutlich doch eine Gruppe von Working poor schaffen. Denn eine Lösung, über die Sie meinen nachdenken zu müssen, nämlich daß man diese niedrigen Einkommen mit Transfereinkommen aufbessern müßte, ist von Ihrem Kronzeugen Professor Siebert aus Kiel als nicht finanzierbar hingestellt worden. ({7}) Er geht davon aus - auch wir haben diese Einschätzung; das betrifft auch das Problem des Bürgergelds und der negativen Einkommensteuer -, daß vermutlich so hohe Transfervolumen notwendig werden, daß kein Land sie finanzieren kann. Das heißt also: Sie stellen sich nicht der wirklichen Verteilungsfrage von Arbeit und Einkommen im positiven Sinne, sondern Sie landen bei diesen kleinen, unglaublich oberflächlichen Programmen, ({8}) die aber letztlich unter dem Deckmantel der Fürsorge, nämlich Arbeit statt Sozialhilfe, doch den Schritt in billige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bedeuten, über Arbeitszwang hin zur Arbeitszwangmentalität. Ich will nicht noch deutlicher werden. Man sollte nicht an das Dritte Reich und an diese Phantasien anknüpfen, nein. ({9}) Aber der Zwang, den Sie hier aufbauen, nährt die Vorstellung - an die knüpfen Sie an -, daß derjenige, der arbeiten will, es in diesem Land auch kann. Genau das ist nicht der Fall. Wir wissen, die Menschen wollen Arbeit, und Sie müssen sie nicht an ihre Pflichten erinnern.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Babel? - Bitte schön.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Beck, glauben Sie nicht auch, daß die Vorstellung, die in dem Papier von Herrn Fink erläutert worden ist, daß wir nämlich Arbeitsgelegenheiten für Jugendliche schaffen - schon mit der Sanktion, daß, wenn sie nicht angenommen würden, die Jugendlichen die Unterstützung verlieren oder diese zumindest gemindert wird -, auf einem völlig anderen Konzept beruht als die Arbeitslager in der NS-Zeit? Vielmehr beruht dies hier auf einem humanen Ansatz. In Dänemark - diesem Land kann man solche Vorwürfe wirklich nicht machen - wird so etwas mit großem Erfolg praktiziert. ({0})

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Manchmal geht einem im Eifer des Gefechts auch etwas schief; das möchte ich hier zugeben. ({0}) Ich habe, als ich gesagt habe, ich möchte diesen Vergleich nicht ziehen, ihn nun doch ins Spiel gebracht. Ich bitte Sie, mir das nachzusehen. Das möchte ich zurücknehmen. ({1}) Was ich sagen möchte, ist: Diese Art von großangelegten Arbeitsprogrammen für Sozialhilfeempfänger - da kenne ich mich aus, weil ich Kommunalpolitik gemacht habe - läßt ohne Einsatz von Mitteln nur Schippe-und-Schaufel-Programme zu. Sie haben nämlich auf der Investitionsseite nichts angesetzt. Sie haben keine Qualifizierungsmittel eingesetzt. ({2}) Es ist nichts für die Ausbildung da. Das heißt, es sind billige Programme. Sozialhilfeempfänger halten dann mit Besen und Schaufel die Städte sauber. Das ist kein Weg und keine Brücke zurück in den ersten Arbeitsmarkt; denn wir wissen, der Bau solcher Brükken ist wirklich mühselig und immer mit Ausbildung, Fortbildung und Qualifikation verbunden. Aber ein mit Zwang versehenes Angebot, bei dem Sie sagen, wer die Arbeit nicht annimmt, dem wird die Sozialhilfe gekürzt und schließlich gestrichen, ist politisch schärfstens abzulehnen. Das wollte ich mit meinen Aussagen ausdrücken. Eine moderne Gesellschaft muß allen Menschen die Möglichkeit geben, über Qualifikation auch an Arbeitsplätzen teilzuhaben, die zur modernen Industriegesellschaft gehören. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Fink? - Bitte.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Beck, Sie haben vorhin gesagt, daß Arbeiten für Sozialhilfeempfänger nicht dazu führen, daß die Betroffenen nachher bessergestellt sind. Würden Sie mit mir übereinstimmen, daß alle Untersuchungen, die dazu bisher vorliegen, zum Beispiel jüngst die des Deutschen Städtetages, zeigen, daß ein Drittel der Sozialhilfeempfänger die Arbeit ablehnt, ein Drittel aber nach dieser Arbeit in den ersten Arbeitsmarkt integriert ist, auf dem es sonst nie eine Chance gehabt hätte, und ein weiteres Drittel nach diesen Arbeiten Ansprüche gegenüber dem Arbeitsamt auf berufliche Fortbildung, Arbeitslosengeld und dergleichen mehr hat? Würden Sie sich der Meinung anschließen, daß dieses ein Fortschritt für die arbeitslosen Sozialhilfeempfänger ist?

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Fink, ich komme aus einem Bundesland, wo von seiten der Grünen in die Koalitionsverhandlungen die Stärkung des Programms „Arbeit statt Sozialhilfe" eingebracht worden ist. Insofern bin ich auf Ihrer Seite. Aber ich weiß auch, daß dieses Programm ein teures Programm war. ({0}) Es war nicht auf der Basis eines Nullsummenspiels, wie Sie es hier heute morgen vorgemacht haben, zu haben. Wir haben nämlich die Erfahrung gemacht: Sozialhilfeempfänger sind oft lange Zeit erwerbslos gewesen, mit allen sozialen Folgeerscheinungen, die das nach sich zieht. Das heißt, man brauchte einen hohen Einsatz an sozialpädagogischer Betreuung, man brauchte Schuldnerberatung, man brauchte für die alleinerziehenden Frauen - das ist ein hoher Anteil - Kinderbetreuung, man brauchte ein langandauerndes Qualifikationsprogramm. Das alles zusammengenommen war ein Programm, das leider dann so teuer war, daß wir es nicht so auslegen konnten, wie es die Nachfrage von Sozialhilfeempfängern in Bremen gefordert hätte. Die Nachfrage war größer als das, was die Kommune finanziell vorhalten konnte. Wir hätten den Umfang dieses Programmes gerne verdoppelt und verdreifacht. Das spricht nicht gegen das Programm, aber gegen ein Programm, das angeblich nichts kosten soll. ({1}) Das bekommen Sie leider so nicht hin. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der F.D.P., Hermann Otto Solms. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lafontaine, ich bedanke mich, daß Sie uns nicht unterstellen - das unterstellen wir Ihnen selbstverständlich auch nicht -, wir würden es nicht ernst meinen mit unserer Sorge um Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt. ({0}) Es geht um die Instrumente, mit denen wir ein besseres Ergebnis erreichen wollen. Dazu haben Sie interessante Ausführungen - nicht zum erstenmal, sondern wiederholt - zu dem Verhältnis von Angebots- und Nachfragepolitik gemacht. Ich frage mich, ob Sie wirklich ein richtiges Verständnis von dem haben, was Angebotspolitik bedeutet. Viel besser und verständlicher wäre es, sie vielleicht als kostenorientierte Politik zu benennen. Es geht doch darum, daß die Bedingungen für Arbeit in Deutschland so gestaltet werden, daß die Produkte, die aus dieser Arbeit entstehen, auf den Märkten wettbewerbsfähig sind und verkauft werden können. Wenn die Kosten über dieses wettbewerbsfähige Maß hinaus steigen, dann fallen die deutschen Unternehmen aus dem Wettbewerb heraus oder sie sind gezwungen, die Kosten so umzugestalten, daß sie wieder wettbewerbsfähig werden. Genau das ist dieser wahnsinnige Kostendruck zur Erreichung von Produktivitätssteigerungen, der dazu führt, daß menschliche Arbeit durch Kapital ersetzt wird, wenn man überhaupt im Wettbewerb bestehen will. ({1}) Deswegen haben wir Arbeitslosigkeit in dieser Höhe; deswegen haben wir den Export von Arbeitsplätzen. Wenn Sie also erreichen wollen, daß in Deutschland wieder mehr menschliche Arbeit nachgefragt wird, dann müssen Sie eine noch konsequentere Angebotspolitik machen, als wir das getan haben und tun konnten, weil wir durch Sie - hier im Bundestag und insbesondere im Bundesrat - immer daran gehindert worden sind. Es ist richtig, daß wir uns zu Beginn der 90er Jahre durch die Einflüsse der deutschen Einheit und die schwierigen Aufgaben, die mit ihr auf uns zugekommen sind, nicht mit der vollen Konsequenz auf diese Reformarbeit konzentriert haben, die wir in den 80er Jahren ja sehr erfolgreich begonnen hatten. Wir haben Ende der 80er Jahre mehr als 3 Millionen Arbeitsplätze geschaffen! In dieser Legislaturperiode haben wir uns bemüht, die Strukturen in allen Bereichen zu reformieren; man muß an die Strukturen herangehen, um dieses Ergebnis zu verbessern. Es ist interessant, daß Angebotspolitik in Form einer sauberen Strukturpolitik, die zu Kostenverbesserungen führt, die Nachfrage gar nicht negativ beeinflußt; vielmehr beeinflußt sie auch diese positiv. Aber wir haben in Deutschland das Problem, daß wir Weltmeister auf dem Gebiet der Höhe der Lohnzusatzkosten sind. Wenn es gelingen würde, die Lohnzusatzkosten - in der Bauindustrie machen die Lohnzusatzkosten beispielsweise 111 Prozent der Bruttolöhne aus, also mehr als einen zusätzlichen Lohn - zu senken, dann hätten die Arbeitnehmer ein höheres Nettogehalt, könnten mehr nachfragen und die Arbeitgeber hätten geringere Kosten und könnten mehr Arbeitsplätze anbieten. ({2}) So sieht der ökonomische Zusammenhang aus; deswegen muß man eine solche StrukturreformpoliDr. Hermann Otto Solms tik konsequent, schnell und mutig voranbringen. Dann wird sie auch gute Ergebnisse erzielen. Was Sie heute über die USA gesagt haben, das war ja nun wirklich überraschend. ({3}) Es widersprach dem völlig, was Sie uns bislang immer als Lehre aus der USA dargeboten haben. Bisher haben Sie immer ganz anders gesprochen. Erinnern Sie sich doch an die zwei Reaganschen Steuerreformen - insbesondere die 1986er Reform -, die zunächst zu erheblichen Ausfällen bei den Steuereinnahmen und zu erheblichen Budgetdefiziten geführt haben, die aber dann wegen ihrer Wirkung auf Investitionen einen erheblichen Beschäftigungseffekt ausgelöst haben, so daß die Amerikaner jetzt schlußendlich sogar einen ausgeglichenen Haushalt haben. ({4}) Vor wenigen Jahren hätte nie jemand geglaubt, daß dies dadurch einmal erreichbar sein werde. Genau dasselbe würden auch wir in diesem Lande erreichen, wenn wir eine mutige Steuerreform durchführen würden - an der Sie uns gehindert haben -, auch mit dem Ziel, dadurch mehr Steuergerechtigkeit zu erreichen, daß wir alle Ausnahmen ohne Ansehen von Personen und Gruppen gestrichen und dafür die Tarife drastisch gesenkt hätten. Was Ihre Verhandlungsführer uns in den Verhandlungen angeboten haben, das war keine Steuerreform, sondern eine Steuerumfinanzierung, die am Ende zu einer Mehrbelastung geführt hätte. Genau diejenigen, die Arbeitsplätze hätten schaffen sollen, hätten die Kosten tragen müssen; die anderen, die sie nicht geschaffen hätten, wären entlastet worden. ({5}) Das hätte uns wirklich nicht weitergeführt. Zu einer solchen Politik gehört aber nicht nur eine Steuerreform, sondern auch eine Strukturreform im sozialen Bereich. Aus Sicht der F.D.P. ist eines der Kernprobleme, mit dem wir uns auf Dauer beschäftigen müssen, daß die sozialen Kosten durch das Umlagefinanzierungssystem zu 100 Prozent an die Arbeitsplätze gebunden sind. Das traurige Ergebnis ist, daß die Arbeitskosten auf diese Höhe gestiegen sind; andere Länder haben in diesem Punkt bessere Konzepte gehabt. Deswegen fordern wir auch eine Senkung der Beiträge zur Pflegeversicherung um 0,2 Prozent. ({6}) Das ist kein großer Schritt. Doch jeder kleine Schritt hilft uns, voranzukommen. ({7}) Das ist ein Signal in die richtige Richtung. Leider haben wir uns darauf bis jetzt noch nicht geeinigt. Ich halte es nach wie vor für den ökonomisch einzig richtigen Weg. Diesen Weg können aber nicht nur die Bundesregierung oder die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern und Kommunen gehen; dazu gehören natürlich auch die Tarifvertragsparteien. Ich rede Lohnsenkungen nicht das Wort. Aber eines ist klar: Lohnerhöhungen, die über die Produktivitätserhöhungen hinausgehen, führen zwingend zu Entlassungen. ({8}) Also muß sich die Lohnentwicklung an der Produktivitätsentwicklung orientieren. Herr Siebert hat, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, gerade jetzt in einem Interview im „Spiegel" gesagt: 170 000 Arbeitsplätze könnten entstehen, wenn die Lohnsteigerungen um 1 oder 2 Prozent unter der Produktivitätsentwicklung bleiben würden. ({9}) Ich kann diese Rechnung in bezug auf die Zahlen nicht prüfen. Aber ich kann sagen, daß die Aussage hinsichtlich der Tendenz richtig ist. Sie erreichen aber den gleichen Effekt - ({10}) - Nein. ({11}) - Das habe ich Ihnen doch gerade gesagt: Ich will die Lohnzusatzkosten senken. ({12}) Ich will eine maßvolle Lohnpolitik, orientiert an der Produktivitätsentwicklung, und ich will natürlich eine flexiblere Lohnpolitik mit einer größeren Lohnspreizung, weil die Tendenz der Tarifvertragsparteien in den letzten 30 Jahren, die Sockellöhne immer stärker anzuheben, dazu geführt hat, daß Menschen, die zu komplizierten Arbeiten nicht fähig sind, aus dem Arbeitsprozeß ausgegliedert worden sind. ({13}) Das hat jeder schon erlebt: In jedem Betrieb gab es jemanden, der einfache Tätigkeiten ausgeübt hat. Diese Tätigkeiten sind verschwunden; diese Menschen leben heute von Sozialhilfe. Das müßte nicht so sein. Dazu wäre eine Lohndifferenzierung notwendig. Die Vorlagen, die Herr Fink in diesem Zusammenhang präsentiert hat, sind ausgesprochen hilfreich. Das ist der Kern der Auseinandersetzung: Wie lösen wir unsere Strukturprobleme? Andere Länder, die mit guten Ergebnissen vorangegangen sind, haben genau diesen Weg beschritten. Sie haben die Arbeitsbedingungen so gestaltet, daß Wettbewerbsfähigkeit entstanden ist. Sie haben Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt möglich gemacht. Dadurch sind in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien, in Holland und in Neuseeland neue Arbeitsplätze in großer Zahl entstanden. Das heißt, wir müssen uns mehr auf die Menschen verlassen. Sie sind leistungsbereit. Man muß sie nur lassen; man darf sie nicht fesseln. Wir haben sie zu sehr gefesselt, und wir müssen ihnen jetzt den Freiraum geben. Mit Verteilungspolitik ist das Problem nicht zu lösen. ({14}) Der Neidgedanke hilft hier nicht. ({15}) Es geht darum, die Strukturreformen konsequent anzugehen; denn die beste Sozialpolitik - das ist meine persönliche Überzeugung -, die man machen kann, ist eine Politik, die die Menschen in die Lage versetzt, ihren Lebensunterhalt aus eigener Arbeit zu finanzieren. Das wollen wir erreichen. ({16}) Vielen Dank. ({17})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Professor Uwe Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Solms, ich will kurz auf Ihre Darstellung eingehen. Es läßt sich doch beim besten Willen nicht leugnen, daß die Argumentation von Oskar Lafontaine nicht falsch war. Fakt ist, daß wir seit etwa 1980 eine angebotsorientierte Politik betrieben haben. Sie betreiben eine global angebotsorientierte Politik mit den Auswirkungen, die Oskar Lafontaine dargestellt hat. Gehen Sie nicht einfach über diese Argumente hinweg! Nehmen Sie doch die Effekte und Auswirkungen auf Beschäftigung, auf Verschuldung und auf die Verteilung der Arbeit zur Kenntnis! ({0}) Man kann sie nicht ignorieren. ({1}) Wir müssen darüber nachdenken, was wir in Zukunft besser machen können. So geht es nicht weiter. Die Sozialdemokraten haben sich zu einer Politik der Neuerungen und der Innovationen bekannt. Wir wollen eine evolutionistische Wirtschaftspolitik praktizieren. Das ist die Lösung der Probleme von morgen. Denken Sie einmal darüber nach, ob das nicht der bessere Weg ist, den wir gemeinsam gehen sollten! ({2}) Ich bedauere außerordentlich, daß das Bündnis für Arbeit gescheitert ist. ({3}) Das war ein vernünftiger Ansatz, der Erfolge hätte bringen können. Das Bündnis ist aber mit Sicherheit nicht an den Sozialdemokraten und an den Gewerkschaften gescheitert. Vielmehr habe ich Sie, Herr Kanzler Kohl, ein bißchen in Verdacht. Ich sage Ihnen: Sie hätten Herrn Henkel von Zeit zu Zeit zurechtweisen und ihm sagen müssen, was er für ein dummes Zeug in der Öffentlichkeit redet. Das wäre Ihre Aufgabe gewesen. ({4}) Ich will nicht auf alle Vorwürfe eingehen. Ich halte den Blockadevorwurf, wie er immer von Herrn Rexrodt vorgetragen wird, für ausgesprochen unsinnig. Das ist eine Manier, um von den eigenen Problemen abzulenken. Ich will einmal kurz darstellen, was wir Sozialdemokraten anders machen würden als Sie. ({5}) Von Geldpolitik ist gesprochen worden. Aber die realen Zinsen - wohlgemerkt: die realen; ich hoffe, Sie begreifen das - sind noch immer zu hoch, und sie sind zu lange zu hoch gewesen. Sie hätten niedriger sein müssen. Dann hätten wir das Beschäftigungsproblem der Lösung eher etwas nähergebracht. Bei der Steuerpolitik - davon bin ich zutiefst überzeugt - geht es in Zukunft darum, daß wir verstärkt die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entlasten und nicht mehr die der großen. Das ergibt keinen Sinn. Die Ausgabenpolitik ist von Ihnen leider prozyklisch betrieben worden. ({6}) Die wirtschaftlichen Schwankungen wurden unterstützt, statt eliminiert. Es kommt in Zukunft darauf an, daß wir die Ausgaben des Staates auf allen Ebenen verstetigen ({7}) und möglicherweise die Einnahmen schwanken lassen. Wenn wir die Ausgaben von vornherein verstetigt hätten, hätten wir ein bißchen mehr an Beschäftigung erreicht. ({8}) Schließlich hätten wir - man kann gar nicht alles aufführen - in der Forschungs- und Technologiepolitik nun wirklich nicht sparen dürfen, Herr Kanzler. Da hätten wir mehr Geld zur Verfügung stellen müssen. Doch wir haben uns so benommen wie ein Agrarstaat, der gewissermaßen darangeht, das Saatgetreide zu verfrühstücken. Hier liegen aber die Zukunftschancen. Hier muß geklotzt und darf nicht gekleckert werden. Hier müssen wir die Weichen für die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft stellen. ({9}) Die Bundesregierung hat die Weichen leider häufig falsch gestellt. Arbeitslosigkeit - das sage ich jetzt ein bißchen pointiert und vielleicht auch ein bißchen überzogen - ist nicht primär ein Verteilungsproblem. Es ist nicht so, daß wir die Arbeitslosigkeit beseitigen, wenn wir den Reichen mehr geben. Das ist nicht richtig. Arbeitslosigkeit ist auch nicht primär ein Kostenproblem. Sie können mit den Kosten noch soweit nach unten gehen, Sie schaffen trotzdem nicht unbedingt mehr Arbeitsplätze. ({10}) Arbeitslosigkeit ist vor allem ein Innovationsproblem. Die deutsche Volkswirtschaft ist faul und satt; sie ist übersättigt. Sie müßten verstärkt etwas tun, um neue Produkte zu entwickeln, neue Märkte zu erschließen und Neuerungen auf den Markt zu bringen. Darum geht es in Zukunft. Das ist die Programmatik der Sozialdemokraten. ({11}) Was die Bremsklötze angeht, die wir möglicherweise aufgestellt haben: Wenn man ehrlich ist, muß man doch zugestehen, daß bei der Regierung Versäumnisse liegen. Denken wir nur einmal an Solartechnologie, aus meiner Sicht ein Zukunftsmarkt par excellence. Aber hier haben Sie die deutschen Anbieter zunächst einmal vertrieben; sie sind nach Amerika gegangen. Jetzt hat Herr Rüttgers Geld genommen und ein paar Anbieter wieder hier angesiedelt. Das hätte man einfacher haben können. ({12}) Oder denken wir an die Biotechnologie. Da haben Sie - Sie sind dafür verantwortlich; das war kein zustimmungsbedürftiges Gesetz - die Gesetze so gemacht, daß die Deutschen ihre Produktionskapazitäten in Frankreich oder in den Vereinigten Staaten aufgebaut haben. Dann haben Sie das korrigiert, und jetzt wundern Sie sich darüber, daß sie nicht wieder nach Deutschland kommen. Das ist doch nicht in Ordnung. (Beifall bei der SPD -

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Das ist ja absurd! Das ist wirklich absurd, was Sie sagen!) Oder denken Sie bitte an den Markt für Umweltschutz - ein Milliardenmarkt, auf dem wir wiederum zurückgefallen sind. Hier müssen wir endlich verstärkt unsere Chancen nutzen und die ökonomischen Weichen so stellen, daß in Umweltschutz investiert wird. Wir dürfen vor allem nicht andauernd über die Risiken reden. Das ist das Gebot der Zukunft. ({0}) Wir brauchen - das sollten meine Beispiele zeigen - eine aktive Strukturpolitik des Staates, um neue Märkte zu erschließen und damit neue Arbeitsplätze in dieser Republik zu schaffen. ({1}) Wir brauchen nicht den Unternehmer, der nur Shareholder-value macht; den wollen auch Sie wahrscheinlich nicht. Wir brauchen auch nicht den Unternehmer, der nur auf seine Rendite achtet. Wir brauchen vor allem den kreativen Unternehmer; ({2}) um den geht es in Zukunft verstärkt. Wir brauchen auch nicht den Unternehmer, der glaubt, man könnte ein Gleichgewicht auf dem Markt durch Lohnsenkung oder Preissenkung herstellen. Wir brauchen den Unternehmer, der neue Arbeitsplätze schafft und neue Produkte auf den Markt bringt. Um den geht es. Es bringt uns auch nicht weiter, wenn wir andauernd über Kostenreduzierung reden, wie es in den Unternehmen bis vor kurzem noch immer gemacht worden ist; „cost cutting" hieß das auf hochdeutsch so schön. Aber was ergibt es für einen Sinn, wenn die Unternehmen dazu übergehen, etwa die Abteilung für Forschung und Entwicklung zu schließen oder die Zahl der dort Tätigen zu halbieren, und sich dann hinterher wundern, daß sie nichts Neues auf den Markt bringen? Das macht überhaupt keinen Sinn. Wir müssen auch an die Dienstleistungen denken. Die Daten, die soeben vorgetragen wurden, Herr Schäuble, waren nicht korrekt. Es gibt neuere Untersuchungen vom IW und vom DIW, die besagen: Es gibt bei uns keine große Dienstleistungslücke. Es ist jedoch zweifellos so, daß wir noch viele Arbeitsplätze in den Bereichen schaffen könnten, wo es um das Helfen, das Dienen und das Wissen geht. Das sind die Bereiche der Zukunft im Dienstleistungssektor. Beim Helfen, glaube ich, müssen wir über neue Finanzierungsinstrumente nachdenken; Vorschläge dazu haben wir gemacht. ({3}) Beim Dienen geht es vor allem darum, die Mentalität der Menschen in der Republik ein wenig zu verändern; das gebe ich gern zu. Beim Wissen müssen wir Bremsklötze wegräumen; gar keine Frage. Oskar Lafontaine hat bereits über die Honorarordnung gesprochen. Warum gehen Sie eigentlich nicht an die Honorar- und Gebührenordnungen heran? ({4}) Sie sind doch extrem verkrustet. Warum gehen Sie nicht verstärkt an das Werbeverbot für freie Berufe heran? Warum schaffen Sie nicht endlich das Rechtsberatungsgesetz aus dem Jahre 1935 ab? ({5}) Das sind Bremsklötze, die dazu beitragen, daß wir zukünftige Entwicklungen nicht so richtig auf die Schiene setzen. ({6}) Aber das hat vielleicht etwas - das greife ich gern auf - mit der Interessenlage der F.D.P. zu tun. Das ist Ihre politische Klientel. Wir dürfen aber keine ausnehmen, auch nicht Ihre politische Klientel. Meine Damen und Herren, der Antrag, der uns vorgelegt wurde, soll offenbar zeigen, daß Sie etwas tun. ({7}) Es steht aber kein Pfennig Geld zur Verfügung, und Sie verschieben die Verantwortung auf die Kommunen, die sich aus meiner Sicht redlich bemühen. Das ist in der Tat ein Ablenkungsmanöver; es ist weiße Salbe. Das bringt nun überhaupt nichts ein. ({8}) Taktisch kann ich das sogar gut verstehen. Ich kann durchaus nachvollziehen, daß Sie sagen: Wir müssen noch schnell etwas machen, damit sich das Klima in der Wirtschaft ändert. Ich glaube, es ist auch wichtig, daß sich das Klima verbessert; denn Wirtschaftspolitik besteht zu 50 Prozent aus Psychologie und zu 50 Prozent aus Harte-Fakten-Setzung. Das ist gar keine Frage. Aber mit diesem Antrag verbessern Sie das Klima nicht. Statt dessen tragen Sie dazu bei, daß die Bürger das Gefühl haben: Die bringen überhaupt nichts mehr zustande. Sie verschlechtern das Klima in der Öffentlichkeit. ({9}) Was die Frage der Problemlösungskapazität auf dem Felde der Beschäftigung angeht, so bringt uns Ihr Vorschlag nicht weiter. Ich habe in Ansätzen - ich gebe das gern zu; man könnte es vertiefen - die Punkte umrissen, die wir praktizieren würden, wenn wir drankämen. ({10}) Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß wir damit das Problem der Beschäftigung eher einer Lösung zuführen als mit solchen Papieren. Wenn Sie das Klima verbessern wollen, müssen Sie zunächst einmal aufhören, den Standort Deutschland schlechtzureden. In der letzten Zeit machen Sie das auch nicht mehr; das gebe ich gern zu. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Das habe ich noch nie gemacht!) - Ihre Klientel hat das eifrig betrieben. Aber auch das hilft nicht mehr weiter. Wir müssen den Bürgern wirklich sagen: Hier ist Geld; wir wollen dieses und jenes anpacken, und wir wollen diese und jene Maßnahme ergreifen. Ein paar Vorschläge dazu habe ich gemacht. Wenn wir das hinbekommen - ich bin davon überzeugt, wir würden das hinbekommen -, ({0}) dann findet auch ein Stimmungswechsel statt. Aber vorher muß diese Regierung abgelöst werden. Schönen Dank. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es spricht jetzt die Abgeordnete Dagmar Wöhrl.

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Obwohl sich unsere Konjunktur belebt und weiter beleben wird, zeigen uns die neuesten Arbeitslosenzahlen, daß der Arbeitsmarkt von diesem Trend leider immer noch nicht profitiert. Es zeigt sich aber auch noch etwas anderes, nämlich daß wir unseren entschlossenen Reformkurs, den wir eingeschlagen haben, beibehalten müssen. Wir haben in den letzten Jahren eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um unser Land zu modernisieren und wettbewerbsfähig zu machen. Aber auch Sie alle hier im Saal wissen, daß Reformen nicht kurzfristig, sondern zumeist erst langfristig wirken. ({0}) Wir können keine Nachfrageprogramme auf Pump gebrauchen. ({1}) Ein falscher Weg wäre es, die Bundesbankgewinne für ein wie auch immer geartetes Beschäftigungsprogramm einzusetzen. Mit diesem Vorschlag ignoriert Herr Scharping, wofür die Bundesbankgewinne - sie betragen derzeit über 7 Milliarden DM - vom Gesetz vorgesehen sind, nämlich zur Rückführung von langfristigen Schulden. Offenbar wird darauf spekuliert, daß sich „Gewinnverwendung" für die Menschen besser anhört als „Kreditaufnahme", obwohl beides auf das gleiche hinausläuft. ({2}) - Es war eine ganz andere Situation. ({3}) Die Bundesregierung hat mehr getilgt, als sie nach dem Tilgungsplan hätte tilgen müssen. Das läßt sich aber nicht beliebig wiederholen; das wissen Sie ganz genau, liebe Frau Kollegin Fuchs. ({4}) Als Mutter von zwei Kindern möchte ich nicht, daß ein beschäftigungspolitisches Strohfeuer von nachfolgenden Generationen bezahlt werden soll. ({5}) - Liebe Frau Kollegin Fuchs, Sie haben offenbar vergessen, daß Sie in den 70er Jahren das sogenannte Deficit-spending betrieben haben. Auch die erfahrene Wirtschaftsmacht Japan hat, wie Sie damals, daDagmar Wöhrl mit Schiffbruch erlitten. Es ist nicht gelungen, die Wirtschaft mit den riesigen Konjunkturprogrammen anzukurbeln. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, die SPD-Matadore Lafontaine und Schröder, deren Länder den ersten und dritten Platz bei der ProKopf-Verschuldung einnehmen, zeigen, wohin Ihr Zug fährt: in die Schuldenfalle und nirgendwohin sonst. ({7}) Keinerlei beschäftigungspolitische Effekte sind dort erkennbar. Man braucht sich nur die Arbeitslosenzahlen in diesen beiden Ländern anzuschauen, die sich am Ende des Ländervergleichs befinden. Ihr lieber Kollege Schröder aus Niedersachsen hat es in den ersten sieben Jahren seiner Regierungszeit sogar geschafft, 25 Milliarden DM Schulden zu machen. ({8}) In den 44 Jahren zuvor wurden insgesamt nur 37 Milliarden DM Schulden gemacht. ({9}) Wir brauchen niedrige Steuern und niedrige Abgaben. Dadurch muß es zu mehr Investitionen kommen. Das ist das A und O. Wir brauchen Investitionen in neue Betriebe, neue Produkte, neue Dienstleistungen und neue Märkte. ({10}) Daher muß es weiterhin unser Ziel sein - wie es das auch bis jetzt schon gewesen ist -, die Investitions-, Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und vor allen Dingen unseres Mittelstandes zu verbessern. ({11}) - Lieber Kollege Schwanhold, Sie tönen mit großen Investitionsprogrammen nach draußen. Aber was machen Sie denn in Ihren eigenen Ländern? ({12}) In Niedersachsen haben Sie Investitionsdarlehen auf 61 DM pro Kopf der Bevölkerung heruntergefahren. In Bayern sind es dagegen 538 DM. ({13}) Was haben Sie beim Wagniskapital gemacht? ({14}) Sie tönen ganz groß, wir brauchten mehr Wagniskapital. Das wissen wir alle; wir arbeiten auch daran mit unserem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz. Aber was machen Sie in den Ländern, in denen Sie die Möglichkeit haben, das zu realisieren? In Niedersachsen beträgt das Wagniskapital 1,50 DM pro Kopf. Lesen Sie einmal Ihre Statistiken nach. In Bayern sind es 38 DM. ({15}) Deutschland ist auf dem richtigen Weg. Unsere Reformen stellen den richtigen Weg in die Zukunft dar. Es zeigt sich auch, daß der Standort Deutschland für ausländische Investoren wieder attraktiv ist. ({16}) Das zeigt sich auch an Rückverlagerungen von deutschen Firmen nach Deutschland. Schauen Sie sich Varta an, das die Produktion von Minibatterien von Singapur zurück nach Ellwangen verlagert, oder den Maschinenbauer Ex-Cell-O, der die Produktion von Tschechien nach Deutschland zurückverlagert. Das sind Zeichen, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Die Unternehmer antworten auf die Frage, warum sie zurückverlagern: Inzwischen gibt es hier wieder bessere Bedingungen und wachsende Gewinne sowie moderate Lohnabschlüsse. ({17}) Das sind die Aussagen der Unternehmen, die ihren Sitz nach Deutschland zurückverlagern. Diese sich abzeichnende Trendwende müssen wir weiter forcieren. Sie darf keinesfalls durch irgendwelche lautstarken Verkündigungen, wie zum Beispiel die von Herrn Lafontaine, der vom „Ende der Bescheidenheit" gesprochen hat, gefährdet werden. ({18}) Es geht nach wie vor darum: Wir brauchen weniger Staat; wir brauchen mehr Eigenverantwortung. ({19}) Eine Volkswirtschaft ist auf Dauer nicht wettbewerbsfähig, wenn jede zweite Mark durch öffentliche Kassen fließt. Wir brauchen einen breiten Bewußtseinswandel weg von unserem Anspruchsdenken, das wir gegenüber dem Staat haben, hin zu mehr Eigenverantwortung. ({20}) Das gilt für die soziale Absicherung ebenso wie für die Teilnahme am Berufsleben. Eigenverantwortung im Berufsleben kann noch immer derjenige am besten realisieren, ({21}) der sich selbständig macht. Besondere Chancen für die Gründung einer selbständigen Existenz bietet der Dienstleistungssektor, auf dessen Stärkung unser Antrag hinzielt, der heute in der gesamten Diskussion in meinen Augen leider ein bißchen zu sehr in den Hintergrund geraten ist. ({22}) Neun von zehn Existenzgründungen finden inzwischen im Dienstleistungssektor statt. Besonders dynamisch entwickeln sich die unternehmensbezogenen Dienstleistungen. Große Potentiale bieten aber auch die personenbezogenen Dienstleistungen - vorausgesetzt, daß sich eine noch positivere Einstellung zu den Dienstleistungen durchsetzt. Wir brauchen hier noch mehr Servicebereitschaft und noch mehr Flexiblität. ({23}) Unser Privatisierungskurs, den wir sehr erfolgreich durchgeführt haben, und zwar bei der Post, der Bahn, der Telekom und der Lufthansa, ist eine solide Grundlage für moderne Dienstleistungsunternehmen der Zukunft. Inzwischen haben auch die Länder kapiert und eingesehen, daß unternehmerische Aufgaben von Privaten besser wahrgenommen werden können als von staatlichen Verwaltern - aber leider noch nicht alle: Einige Länder sind hier noch immer gefordert. Vor allem auch die Kommunen sind gefragt. Es stellt sich wirklich die Frage, warum Prüf- und Testverfahren oder Planungs- und Überwachungsleistungen nicht von privater Hand entwickelt bzw. erbracht werden sollen. Diese tun es mit Sicherheit effizienter, maßgerechter und folglich auch besser. ({24}) Liebe Kollegen und Kolleginnen, insbesondere im Dienstleistungssektor wäre mehr Beschäftigung möglich, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der Vereinbarung der Arbeitsbedingungen sowie der Löhne und Gehälter mehr Freiheit hätten, als das gegenwärtig der Fall ist. Gerade im Arbeitsrecht muß Deregulierung eine Daueraufgabe sein. Daß wir auf dem richtigen Weg sind, hat mir diese Woche ein Treffen mit dem Handwerksverband gezeigt, ({25}) bei dem uns gesagt worden ist, daß unsere Deregulierung im Arbeitsrecht, infolge derer die Schwelle für den Kündigungsschutz auf zehn Arbeitnehmer heraufgesetzt wurde, im Handwerk zu zusätzlichen 20 000 Arbeitsplätzen geführt hat. ({26}) Dies ist ein kleiner Schritt. Aber es ist der richtige Schritt in die richtige Richtung. Dies müssen wir konsequent weiterverfolgen. Auch die Tarifparteien müssen in einem noch viel stärkeren Umfang als bisher Öffnungsklauseln in ihren Tarifverträgen vorsehen und davon Gebrauch machen. ({27}) 60 Prozent unserer Arbeitslosen sind gering oder nicht qualifiziert. Für diese Menschen gibt es keine Arbeit zu Kosten, die der Markt akzeptiert. Diese Menschen wären es, die den unterentwickelten Bereich der einfachen Dienstleistungen erschließen könnten, jedoch nur bei stärkerer Spreizung der Lohnstruktur. Ohne das Inkaufnehmen einer stärkeren Lohnspreizung wird der deutsche Arbeitsmarkt nicht die Dynamik erhalten, die unter den gegebenen Umständen notwendig ist. Dann bleibt der Beschäftigungsaufbau aus, oder Arbeitgeber und Arbeitnehmer weichen, wie es leider schon jetzt der Fall ist, auf außertarifliche Absprachen, Schwarzarbeit oder geringfügige Beschäftigung aus. Das ist es, liebe Kollegen, was unseren Sozialstaat dann essentiell bedroht. ({28}) Liebe Kollegen und Kolleginnen, der Knoten könnte platzen: bei den Investitionen und auf dem Arbeitsmarkt. ({29}) Aber die Voraussetzung dafür ist, daß sich die Reformbereitschaft gegenüber den Beharrungskräften durchsetzt, den Beharrungskräften, die jetzt insbesondere in der Bundesratsmehrheit und in der Bundestagsopposition zu finden sind. ({30}) Aber, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Opposition, ich bin sehr, sehr zuversichtlich, daß sich die Menschen in Niedersachsen, in Sachsen-Anhalt und in ganz Deutschland ({31}) für die Reformkräfte der Zukunft entscheiden werden. Vielen Dank. ({32})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Heidi Knake-Werner.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin Wöhrl, auch ich bin davon überzeugt, daß sich die Menschen in Niedersachsen, in Sachsen-Anhalt und am 27. September auch in der gesamten Bundesrepublik für die Reformkräfte in diesem Land entscheiden werden. ({0}) Gestern ging die Meldung durch die Medien, daß der Neubau des Bundeskanzleramtes in Berlin 70 Millionen DM teurer werden darf. Aber für einen Antrag, den die Regierungskoalition heute unter dem anspruchsvollen Titel „Arbeit ist genug vorhanden - Neue Initiativen zur Beschäftigungsförderung" einbringt, wird keine müde Mark bereitgestellt. Das, was Sie hier vorhaben, ist doch ein völlig durchsichtiges Wahlkampfgeklapper. Diese Art von Prioritätensetzung in Ihrer Politik ist es, die die Menschen zunehmend auf die Palme bringt - und, wie ich finde, zu Recht. ({1}) Für Repräsentations- und Prestigeprojekte wird das Geld mit vollen Händen ausgegeben. Bei den Arbeitslosen aber, bei den Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern wird gespart, gestrichen und gekürzt, was das Zeug hält. Wer noch immer behauptet, der Arbeitslosigkeit sei heute kostenneutral beizukommen, der will sie nicht wirklich bekämpfen. Im Januar hat der Bundesarbeitsminister Blüm alle Mitglieder der Regierungsfraktionen mit einer umfangreichen „Fleißkärtchenbilanz" ausgestattet. Akribisch genau zählt er dort auf, wie durch seine Aktivitäten allein 1997 38 Milliarden DM im Bereich der Arbeitsförderung und der Arbeitslosenversicherung eingespart worden sind. 38 Milliarden DM an Einsparungen! Das kann man ja wollen, und offensichtlich wollen Sie das. Wenn Sie diese Einsparungen aber schon vornehmen - zu Lasten der sozialen Situation von Arbeitslosen und zu Lasten der aktiven Arbeitsmarktpolitik -, dann hätten Sie, Herr Minister, wenigstens erklären sollen, was diese Einsparungen zur Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit beigetragen haben. Eine solche Bilanz hätte ich mir von dem Bundesarbeitsminister dieser Regierung in dieser Situation gewünscht. Nicht eine konkrete Zahl taucht in Ihrem Papier unter dem Punkt „Beschäftigungsförderung" auf. Kein Wunder; denn Sie haben hinsichtlich der Effekte auf dem Arbeitsmarkt nur Negativrekorde vorzuweisen. Ich will Ihnen einmal meine Bilanz aufführen. Erstens. Was hat das Arbeitszeitgesetz mit seinen Gummiparagraphen an Arbeitsplätzen gebracht? Überstunden in Milliardenhöhe statt neue Beschäftigungsverhältnisse. Zweitens. Was hat die Änderung des Ladenschlußgesetzes gebracht? Abbau von Vollzeitarbeitsplätzen und mehr Frauen in ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen, die Sie auch dort lassen wollen, wie Sie jetzt verkündet haben. Drittens. Was haben die Abschaffung des Schlechtwettergeldes, die Aufweichung des Kündigungsschutzes und die Einschränkung der Lohnfortzahlung gebracht? Arbeitsmarktpolitisch ein Flop nach dem anderen. Das gilt für Ihr großangekündigtes Altersteilzeitgesetz ebenso wie für das Arbeitsförderungs-Reformgesetz. Da hat Ihnen sogar der ,,Focus" die Pleite bescheinigt. Mit dieser Politik bekämpfen Sie nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeitslosen. Sie tragen die Verantwortung dafür, daß weiterhin Monat für Monat mehrere hunderttausend Arbeitsplätze verschwinden. Die schlimmsten Einbrüche sind auch in diesem Monat wieder in Ostdeutschland zu verzeichnen. Bei einer Arbeitslosenquote von über 21 Prozent ist dort inzwischen jede fünfte Frau bzw. jeder fünfte Mann arbeitslos. Deutlicher kann man den Bankrott Ihrer Politik wirklich nicht mehr machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit den Arbeitslosenzahlen von heute sind wir aber längst noch nicht auf dem traurigen Rekord. Schon sind weitere Arbeitsplatzverluste in erheblicher Größenordnung angekündigt, insbesondere in den Schlüsselindustrien. Der Dienstleistungsbereich wird diese eben nicht auffangen. Wir stehen in der Tat vor tiefgreifenden Umbrüchen und brauchen den Umbau dieser Arbeitsgesellschaft. Wir brauchen jetzt eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt. Sie muß heute eingeleitet werden. Aber was Sie mit dem auf vier Seiten beschriebenen Papier vorlegen, verläuft genau nach dem hilflosen Motto: Augen zu - und weiter so! ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/5353, 13/9599, 13/9741 und 13/9743 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert Otto ({0}), Dr. Hermann Pohler, Gerhard Schulz ({1}) und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Jürgen Türck und der Fraktion der F.D.P. Absatzförderung für Produkte aus Ostdeutschland - Drucksache 13/9385 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({2}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Ilte, Ernst Bahr, Tilo Braune und weiterer Abgeordneter Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Absatzförderung für Produkte aus Ostdeutschland - Drucksache 13/8080 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({3}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß Für die Aussprache ist eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Hermann Pohler.

Dr. Hermann Pohler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001731, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Umstellung des Wirtschaftssystems im Zuge der deutschen Einheit und den wirtschaftlichen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa war der Absatz der ostdeutschen Industrie- und Nahrungsmittelprodukte innerhalb kürzester Zeit rapide gesunken. Trotz des erfolgreichen Umstrukturierungs- und Aufbauprozesses in den letzten Jahren sind ostdeutsche Unternehmen nach wie vor unterproportional am Markt vertreten. Obwohl immer mehr wettbewerbsfähige Produkte angeboten werden können, bestehen nach wie vor erhebliche Probleme, diese Produkte abzusetzen. Die Ursachen für die Absatzschwierigkeiten sind vielfältig. Neben der Eigenkapitalschwäche der ostdeutschen Unternehmen gibt es viele weitere Gründe: Um ein Produkt absetzen zu können, muß es entweder deutlich besser sein als die Produkte der Konkurrenz oder deutlich billiger, um diese vom angestammten Platz zu verdrängen. Hinzu kommen hohe Anforderungen der Großabnehmer im Hinblick auf Rabatte und gleichbleibende Qualität. Zu einem guten und absatzfähigen Produkt gehört aber auch die kundenorientierte Vermarktung, also das, was heute so schön neudeutsch unter „Marketingstrategien" zu verstehen ist. Oft sind es der fehlende Bekanntheitsgrad eines Produktes oder aber die Vernachlässigung der Käufermentalität, die den Absatz erschweren. Hier kann insbesondere auch das von der Deutschen Ausgleichsbank geförderte Patenschaftsprogramm eine gute Hilfestellung leisten. ({0}) Entscheidend für die potentiellen Abnehmer ist nicht nur das Vertrauen in das Produkt, sondern auch die Solidität des anbietenden Unternehmens. Langfristige Geschäftsbeziehungen werden nur dann aufgebaut, wenn die Abnehmer zuversichtlich davon ausgehen können, daß sie von ihren Partnern auch noch im nächsten Jahr und darüber hinaus beliefert werden. Wenn allerdings täglich - nicht nur in den Medien - der Eindruck erweckt wird, daß das Schwert des Konkurses über den ostdeutschen Unternehmen schwebt, so sind diese Äußerungen kontraproduktiv. Ich will hier die finanziellen Schwierigkeiten vieler Unternehmen in den neuen Bundesländern weder ignorieren noch verharmlosen; doch es muß erlaubt sein, im Interesse der Vermarktung von Produkten und des Lieferantenprofils hier auf die Gefahren aufmerksam zu machen. Unter diesem Gesichtspunkt kommt es in bezug auf die Absatzförderung nicht nur auf finanzielle Hilfe an, sondern es geht auch um vertrauensbildende Maßnahmen. Unter „vertrauensbildenden Maßnahmen" verstehe ich unter anderem die verstärkte Teilnahme ostdeutscher Unternehmen an Wirtschaftsdelegationen der Bundesregierung und der jeweiligen Landesregierung; denn der potentielle Kunde wird mit Recht davon ausgehen, daß nur vertrauenswürdige Unternehmen mit echter Zukunftschance an solchen Reisen teilnehmen. Es ist daher erfreulich festzustellen, daß auf Bundesebene 1997 zirka 110 ostdeutsche Unternehmen an Ministerreisen teilnahmen. Zu erwähnen ist auch, daß im Rahmen gesamtdeutscher Exportförderveranstaltungen 1997 zirka 420 ostdeutsche Unternehmen an über 40 Veranstaltungen im In- und Ausland beteiligt waren. All diese Maßnahmen, zu denen auch Projekte zur Vermarktungshilfe zählen, sind wirksame Hilfen zur Selbsthilfe. Die Politik kann nur flankierend, gewissermaßen als Türöffner, tätig sein; denn für die Unternehmens- und Absatzstrategie ist der Unternehmer verantwortlich. Daß diese begleitenden Maßnahmen von den Unternehmen angenommen und erfolgreich genutzt werden, zeigt auch die Tatsache, daß sich der Außenhandelsumsatz der neuen Bundesländer im ersten Halbjahr 1997 gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum um 9,9 Prozent auf 40,7 Milliarden DM erhöht hat. Damit setzt sich die seit 1994 eingetretene positive Entwicklung im Außenhandel der neuen Bundesländer weiter fort. Ich meine, das sind bemerkenswerte Zahlen, auch wenn die Ausgangsbasis niedrig ist; denn insgesamt ist der Anteil der neuen Bundesländer am gesamtdeutschen Außenhandelsumsatz mit 5,2 Prozent noch unbefriedigend. Diese Ergebnisse müssen uns Anlaß sein, den eingeschlagenen Weg nicht nur weiter zu beschreiten, sondern noch effektivere Maßnahmen zu suchen, um den positiven Trend weiter zu beschleunigen. Diesem Ziel dient nicht nur der von uns vorgelegte und heute zur Diskussion stehende Antrag zur Absatzförderung, sondern auch der Erfahrungsaustausch des Wirtschaftsausschusses mit ostdeutschen Unternehmen und Institutionen, der im Frühjahr dieses Jahres auf unsere Anregung zu Fragen der Absatzförderung in Leipzig durchgeführt wird. Ich bitte hierzu im Sinne der Sache um konstruktive Mitarbeit. Recht schönen Dank. ({1})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Ilte, SPD-Fraktion.

Wolfgang Ilte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Pohler, Ursprung und Ausgangspunkt waren sicherlich nicht die Förderung des Absatzes der ostdeutschen Industrie im Export. Ausgangspunkt unserer ursprünglich gemeinsam ins Leben gerufenen Initiative war der Absatz ostdeutscher Produkte in Westdeutschland. Daß der Absatz innerhalb Ostdeutschlands hängt, wissen wir alle. Daß der Absatz ostdeutscher Produkte im Export hängt, das wissen wir auch. Aber die Ausgangslage war ursprünglich eine andere. Die Absatzförderung für Produkte aus Ostdeutschland war das Thema, das sich eine parteiübergreifende Arbeitsgruppe von Abgeordneten dieses Hauses gestellt hatte. Als diese Arbeitsgruppe Anfang 1996 langsam ins Laufen kam, glaubte ich, daß alle Beteiligten hierbei eben nicht die parteipolitische Profilierung suchten, sondern daß sie der Wunsch einte, ein Stück zur deutsch-deutschen Normalität beizutragen. Wir waren der Auffassung, daß es an der Zeit sei, auch in Stuttgart, Köln oder Hamburg Produkte kaufen zu können, die in den fünf neuen Bundesländern hergestellt wurden. ({0}) Ich bin nach wie vor der Auffassung, daß auch Kunden in Düsseldorf oder Köln mittlerweile bereit sind, ein Stück Butter zu essen, das in Schwerin hergestellt wurde. Das Problem ist nur: Wie bekommt man das hin? Wir mögen noch so sehr an den Hannoveraner Kunden appellieren, er möge doch bitte ostdeutsche Produkte kaufen - solange er sie in den Regalen nicht vorfindet, wird er dies beim besten Willen nicht tun können. Die Frage kann also nur lauten: Wie bringe ich die Produkte zum Kunden? Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen, daß auch in den Führungsetagen des deutschen Einzelhandels das Verständnis für die Lage der ostdeutschen Produzenten durchaus gegeben ist. Dennoch müssen wir als Politiker akzeptieren, daß insbesondere in der heutigen wirtschaftlichen Lage eines jeden Unternehmens kaufmännisch verantwortungsvoll zu kalkulieren ist, und zwar nicht nur im Interesse einer Gewinnmaximierung, wie hier vielfach unterstellt wird - jeder weiß, wie gering die Gewinnspanne derzeit im Einzelhandel ist -, sondern mindestens mit dem gleichen Stellenwert auch auf Grund der Verantwortung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der jeweiligen Unternehmen. Deren Arbeitsplätze sind nun einmal nur dann sicher, wenn das Unternehmen auch schwarze Zahlen schreibt. Dies scheint bei oberflächlicher Betrachtung ein gordischer Knoten zu sein, den man aber, so glaube ich, durchaus lösen kann. Annähernd gleiche Lebensbedingungen in ganz Deutschland zu schaffen erfordert auch eine annähernd gleiche Wertschöpfung. Als Alternative dazu bleiben demzufolge nur noch Transferleistungen. Für unsere Gesellschaft ist es nun einmal allemal besser, Ostdeutschland in die Lage zu versetzen, seinen Lebensstandard selbst zu erarbeiten. Die ostdeutschen Produzenten mit ihren teilweise über 100jährigen Traditionsmarken brauchen wieder eine Chance beim Kunden - und zwar in Westdeutschland. Der Handel kann aber mit neuen oder anderen Produkten nur handeln, wenn der Kunde sie auch kauft. Dafür brauchen diese Produkte nun einmal einen entsprechenden Bekanntheitsgrad. Aber das Preis-Leistungs-Verhältnis muß auch akzeptabel sein; da haben Sie völlig recht. Denn auch Produkte aus Ostdeutschland müssen letztlich am Markt bestehen. Was kann die Politik denn hierbei leisten? Als allererstes können wir Politiker dafür sorgen, daß ein bestimmtes Problembewußtsein geschaffen wird. Das war eigentlich auch der ursprüngliche Sinn dieser Arbeitsgruppe. Aber auch dann, wenn dieses Problembewußtsein geschaffen sein sollte, braucht man weiterhin eine permanente Einflußnahme. Es muß doch nun einmal jeder auch sein eigenes persönliches Kaufverhalten analysieren, und er wird bald feststellen, daß dieses spezielle Problembewußtsein noch lange nicht vorhanden ist - auch bei uns selbst. Natürlich wird kein Händler hier in Bonn beispielsweise ab morgen ostdeutsche Produkte ins Sortiment aufnehmen, weil irgend jemand einmal nachgefragt hat. Aber wenn der Zehnte nachfragt, dann wird der Händler möglicherweise beim nächsten Einkauf zumindest auf das Produkt aufmerksam. Schon dann haben wir etwas erreicht. Eine solche Situation erreicht man nicht mit einer einmaligen Aktion, sondern hier ist, wie gesagt, permanente Einflußnahme erforderlich. Das kann Politik auch nicht allein leisten; dazu brauchen wir, wie gesagt, die Öffentlichkeit und insbesondere die Medien. ({1}) Politik kann darüber hinaus noch Unterstützung für Marketing und Werbung leisten; dies ist selbstverständlich ebenfalls dringend erforderlich. Wir können zusätzlich das Einkaufsverhalten von Bundesbehörden oder Unternehmen in Bundesbesitz ändern. Es ist doch ein Skandal, wenn Uniformen für unsere Bundeswehr in Indonesien hergestellt werden, während wir gleichzeitig Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter in Brandenburg und Sachsen in die Arbeitslosigkeit schicken. ({2}) Dies alles hatte sich die Arbeitsgruppe auf die Fahne geschrieben. Wie kommt es nun, daß von der ursprünglichen interfraktionellen Eintracht bei dieser Problematik heute offensichtlich nicht mehr viel geblieben ist? Der interessierte Zuschauer wird sich fragen: Wie kommt es denn, daß hier auf einmal zwei konträre Anträge eingebracht werden? Um dies zu beantworten, muß man vielleicht ein bißchen in die Historie zurückgehen. Im März 1996 fanden erste Kontaktgespräche statt, um eine solche Arbeitsgruppe zu gründen. Wie gesagt, das war schon 1996, jetzt haben wir 1998. Im Mai haben wir es dann geschafft, diese Arbeitsgruppe zu installieren, und es wurden die Ziele abgesteckt und die Initiativen forWolfgang Ilte muliert, mit denen wir ein Ergebnis erreichen wollten. Zum Auftakt sollten drei Dinge parallel laufen: zum einen eine medienwirksame Präsentation ostdeutscher Produkte hier in Bonn, unterstützt durch bundesweite Presse; zum zweiten, parallel dazu, eine Beilage in den Mitgliedermagazinen der beteiligten Parteien, und die dritte parallele Aktion war die Formulierung eines gemeinsamen interfraktionellen Antrages, um auch hier, in diesem Hause, eine politische Diskussion beginnen zu können, die dann fortgeführt werden sollte. Im Oktober 1996 waren die ersten Entwürfe eines solchen interfraktionellen Antrages fertig, und im März 1997 lag der erste Entwurf auf dem Tisch. Nun muß man der Öffentlichkeit ruhig einmal erläutern, wie so etwas vor sich geht. Ich habe damals die aus meiner Sicht wichtigen Punkte aufgeschrieben und entsprechend formuliert. Da stand natürlich: Die Bundesregierung muß endlich dieses oder jenes machen. Erwartungsgemäß hat dann die Koalitionsseite diese Vorschläge mit Hilfe des Bundeswirtschaftsministeriums umgearbeitet. Die Formulierung erfolgte nach dem Tenor: Die Bundesregierung wird gebeten, die positive Politik fortzuführen. Schön, das sind nun einmal parlamentarische Spielchen, aber damit kann man ja leben. Zur gleichen Zeit empfing der Kanzler die Chefs der führenden Handelsunternehmen zu einer Besprechung, deren wesentliches Ergebnis zum einen die Zusage der Verdoppelung der Einkäufe aus Ostdeutschland und zum anderen die Ausrichtung einer Messe für Ostprodukte vom 1. bis 3. September in Düsseldorf war. In aller Bescheidenheit sei mir an dieser Stelle erlaubt, anzumerken, daß ich glaube, am Zustandekommen dieses Treffens einen kleinen Anteil gehabt zu haben, worauf ich nicht näher eingehen möchte. Ich möchte vielleicht dazu doch noch so viel sagen: In einem anderthalbstündigen Gespräch mit dem damals zuständigen Staatssekretär Dr. Ludewig hatte ich zumindest den Eindruck gewonnen, daß die Regierung die Problematik endlich erkannt hat und auch durchaus bereit ist, nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Ob mittlerweile sein Nachfolger die gleiche Einsicht zeigt, muß man allerdings derzeit bezweifeln. Trotzdem aber ergab sich die Möglichkeit, genau diese Einkaufsmesse in Düsseldorf zu nutzen, um zeitnah unsere Vorstellungen verwirklichen zu können. Das heißt zum einen die Präsentation der Beilage, die von den Mitgliedermagazinen „Union" und „Vorwärts" im Monat September herausgebracht worden ist, was im übrigen noch unter der dankenswerten Mitwirkung des Generalsekretärs der CDU, Herrn Peter Hintze, und unseres Bundesgeschäftsführers Franz Müntefering im Rahmen einer Bundespressekonferenz mit echtem bundesweitem Interesse geschah. Nur die parallele Behandlung der seit anderthalb Jahren vorbereiteten parlamentarischen Initiative klappte nicht. Warum? Woran lag das? Wir hatten, wie gesagt, im März im wesentlichen die Fassung fertig. Sie wurde noch mehrfach überarbeitet. Die letzte Fassung stammt vom 2. Juni 1997. Um zeitnah im September in den Deutschen Bundestag zu kommen, wurde in der Arbeitsgruppe verabredet, noch vor der letzten Sommerpause diesen Antrag als Gruppenantrag in den Deutschen Bundestag einzubringen - Gruppenantrag deshalb, damit er eben nicht im Vorfeld die gesamten Gremien der Fraktionen durchlaufen mußte, sondern damit wir die Möglichkeit bekämen, ihn nach Einbringung an die Ausschüsse zu überweisen und über eine zweite und dritte Lesung weitere Öffentlichkeit herzustellen. Wir haben uns an diese Verabredung gehalten. Ich habe in Absprache mit den Kollegen von CDU und F.D.P. diesen Antrag mit den Unterschriften von SPD und Bündnis 90/Die Grünen in der letzten Sitzungswoche im Parlamentssekretariat eingebracht. Noch in der letzten Sitzungswoche erhielt ich die Zusage, daß die Unterschriften von CDU und F.D.P. im Rahmen der von ihren Fraktionen geplanten Sondersitzung in der ersten sitzungsfreien Woche in der Sommerpause nachgereicht werden. Darauf haben wir uns verlassen. Noch am 26. August, also in der Woche vor der Ausstellung, als wir die gemeinsame Bundespressekonferenz abhielten und auch dort schon diesen Antrag gemeinsam ankündigten, war von einer Aufkündigung der Zusammenarbeit keine Rede. Im Laufe des Septembers taten mir eigentlich nur die Beamten des Parlamentssekretariats leid, weil sie nun nicht wußten, was sie mit dem Antrag machen sollten. Ich bat den zuständigen Beamten, den Antrag noch zurückzuhalten mit dem Argument, es würden noch Unterschriften aus CDU und F.D.P. kommen. Natürlich hatte ich Verständnis, daß er sich in einer gewissen Zwickmühle befand. Es waren genügend Unterschriften auf dem Gruppenantrag, er war im Juni von mir eingebracht, mit Eingangsstempel versehen, eigentlich hätte das Sekretariat ihn vorlegen müssen. Bis Ende September konnte ich das Verfahren hinauszögern. Wir haben also noch drei Monate gewartet. Danach mußten wir uns entscheiden: Bringen wir ihn ein, oder ziehen wir ihn zurück? Ich habe vorher noch einen dringenden Hilferuf schriftlich an den Kollegen Otto geschickt, doch die Arbeitsgruppe einzuberufen, um weitere Zielstellungen und weitere Vorgehensweisen zu besprechen, was im übrigen bis heute nicht passiert ist. Als Antwort erhielt ich zwei Tage später einen Brief, in dem stand, die CDU-Fraktion habe noch Beratungsbedarf. Das muß man sich einmal vorstellen: über anderthalb Jahre einen Antrag fraktionsübergreifend beraten, der in seiner Endfassung durch das Bundeswirtschaftsministerium gelaufen ist und dessen erklärtes Ziel es war, ihn ohnehin vor Verabschiedung in die Parlamentsgremien zu überweisen. Jeder, der sich unseren Antrag vornimmt, wird leicht feststellen, daß dies natürlich kein üblicher Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist. Derartige Formulierungen würden uns gar nicht einfallen. Nichtsdestotrotz wurde der Konsens aufgekündigt. Ich muß Ihnen ehrlich gestehen: Ich weiß bis heute nicht, warum. Möglicherweise erfahren wir es noch heute in der Debatte. Anfang Januar dieses Jahres sickerte nun in unserer Fraktion durch, daß die Koalition im Dezember in aller Eile einen eigenen Antrag zusammengestrickt hat, um diesem hier irgend etwas entgegenzusetzen. Daraus ergibt sich für mich nur die Schlußfolgerung, daß Sie als Koalition nicht einmal in dieser Frage bereit sind, einen Konsens zu wollen. ({3}) Sie hatten anderthalb Jahre Zeit, alle Ihre Vorstellungen einzubringen. Ich kann Ihnen versichern, im Interesse der Sache hätten wir bis auf die eine oder andere Formulierung inhaltlich auch das mitgetragen, was Sie heute aus der Tasche zaubern.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Enkelmann?

Wolfgang Ilte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Kollege Ilte, wenn es Ihnen tatsächlich um die Sache ging, wenn es Ihnen tatsächlich darum ging, den Absatz von Ostprodukten zu fördern, warum haben Sie dann nicht auch PDS-Abgeordnete gefragt, ob Sie den Antrag mit unterstützen?

Wolfgang Ilte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Enkelmann, wir haben natürlich überlegt, mit wem wir das alles machen können. Dabei war die Frage: Ist die Mitarbeit der PDS hilfreich? Es ist nicht persönlich gemeint, ich habe mit der PDS kein Problem. Aber die Frage war, ob die Mitgliederzeitschrift der PDS tatsächlich in Düsseldorf, Hamburg oder München gelesen wird und, wenn ja, in welchem Umfang. Das muß man sich an dieser Stelle fragen. Das erklärte Ziel war nicht, Frau Enkelmann, die Förderung von Ostprodukten in Ostdeutschland durchzusetzen, wo die PDS sicherlich eine hilfreiche Unterstützung gewesen wäre. Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, ostdeutsche Produkte in Westdeutschland abzusetzen. Da erschien Ihre Hilfe aus unserer Sicht nicht erforderlich. Ich habe von Ihnen auch nicht gehört, Frau Enkelmann, daß Sie da unbedingt mitmachen wollten. ({0}) Zu der Situation, daß Sie heute einen Antrag aus der Tasche zaubern, den wir bereits seit einer Woche kennen, müssen Sie mir erlauben, zu sagen, daß ich die Art und Weise des Umgangs miteinander, Herr Kollege Otto - das gilt auch für Ihre Fraktionskollegen -, als eine Frechheit empfinde, die entweder Ausdruck der eklatanten Unfähigkeit der in der Sache handelnden Personen ist oder aber ein parteipolitisches Ränkespiel Ihrer Fraktionsführung. Für beides stehen wir nicht zur Verfügung. Dazu ist uns das Thema viel zu ernst. Vielen Dank. ({1})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile das Wort jetzt dem Abgeordneten Jürgen Türk, F.D.P.- Fraktion.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich, lieber Kollege Ilte, über die Bürokratie, wie man einen Antrag stellt, jetzt nicht unterhalten, sondern zur Sache kommen. Wenn die Koalition und die SPD jetzt auch getrennt beantragen, so haben wir, Kollege Ilte, doch hoffentlich auch weiterhin das gemeinsame Interesse, den Absatz für Produkte aus Ostdeutschland zu fördern. ({0}) Die Absatzförderung ist auch deshalb wichtig, weil nur das abgesetzte Produkt bezahlt wird - wenn es bezahlt wird. Nur mit dem eingenommenen Geld kann man Arbeitsplätze erhalten. Diese Absatzförderung soll keine Dauerveranstaltung werden, sondern ein Nachteilsausgleich sein, um Chancengleichheit beim Markteintritt zu erreichen; denn Nachteile sind noch immer vorhanden: Ostmärkte sind weggebrochen; Westmärkte waren und sind besetzt; der Bekanntheitsgrad der Produkte ist noch immer gering; die Mittel für die Werbung sind knapp bzw. nicht vorhanden; das gleiche gilt für das VermarktungsKnow-how. Wie kann der Handicapausgleich erreicht werden? Erstens durch Erhöhung des Bekanntheitsgrades. Denn was der Kunde nicht kennt, das kauft er natürlich nicht; und was nicht gekauft wird, wird natürlich auch nicht gelistet. Ein guter Anfang zur Verbesserung des Bekanntheitsgrades war natürlich die Konsumgütermesse - das muß man hier einfach sagen: dazu hat Herr Ilte beigetragen -, die vom 1. bis 3. September 1997 in Düsseldorf stattgefunden hat. Sie wurde überaus gut genutzt, nämlich von über 900 ostdeutschen Ausstellern, die ihre Leistung zeigen und Kontakte knüpfen konnten. Darauf muß man aufbauen, und man muß diese Messe zu einer festen Institution etablieren. Darum muß 1998, und zwar im Rahmen der Einkaufsoffensive „Neue Bundesländer 2000", die am 6. November 1997 in Berlin konstituiert wurde, eine Nachfolgemesse organisiert werden. Wir sollten bei der Vermarktungshilfe für ostdeutsche Konsumgüter aber nicht stehenbleiben. Hier muß und kann eine Erweiterung auf den Schwerpunkt Investitions- und Ausrüstungsgüter, also verarbeitendes Gewerbe, erfolgen. Warum soll es eine solche Messe nicht in den neuen Bundesländern geben, zum Beispiel in Cottbus? ({1}) Unsere Messe-GmbH hat dort in den letzten Jahren Erfahrungen gewonnen. Warum soll man nicht Kunden und Verbraucher zum Produzenten holen und das mit touristischen Angeboten verbinden? Das ist ein ernstgemeinter Vorschlag. Über die Messen hinaus kann ich mir zwar keine Butterfahrten - Sie haben von Butterfahrten gesprochen, Herr Kollege Ilte -, aber gut organisierte Futterfahrten vorstellen, das heißt Schnuppertouren mit Bus, Bahn oder Zweirädern in die neuen Bundesländer. Auch so lernt man Ostprodukte und das Land kennen. Marktöffnung und Absatz bleiben die größte Herausforderung in Ostdeutschland. Ein zweiter Weg ist die gezielte Unterstützung von Existenzgründern. Dabei reicht es nicht, Gewerberäume günstig zur Verfügung zu stellen. Vielmehr ist es notwendig, den innovativen Unternehmer von der Idee bis zum verkauften Produkt zu unterstützen und zu begleiten. Hierzu ist noch mehr bzw. grundsätzlich das umfangreiche Netz von ostdeutschen Gründungs- und Technologiezentren zu nutzen. Eine dritte Notwendigkeit ist die noch bessere Unterstützung der Markterschließung im Ausland - wir haben gestern im Wirtschaftsausschuß darüber gesprochen -, wie zum Beispiel der Einsatz von Knowhow, von Baumaterialien und Dienstleistungen in China. Das ist ein großer Markt. Hier müssen angesichts der riesigen Chancen mindestens eine Förderung der Entwicklung von Marktzutrittskonzeptionen und die Zusammenführung von Interessenten, der sogenannte Firmenpool, möglich sein. Wenn das durch Bündelung vorhandener Möglichkeiten geht, ist das um so besser. Das gleiche gilt zum Beispiel auch für Vietnam und für Länder, in denen ostdeutsche Firmen schon vor der Wende auf dem Markt waren und wo riesiger Bedarf beim Infrastrukturaufbau besteht. Hier sollten und müssen wir wegen des großen Marktes, der dort mit Sicherheit kommt, unterstützen. Auch hier geht es um den so wichtigen Anschub für selbsttragende Projekte mit immenser Wertschöpfung. Und noch eines: Warum sollte der Absatzförderer - das muß nicht immer nur der Bund sein - im Erfolgsfall nicht an dieser Wertschöpfung beteiligt werden? Vielen Dank. ({2})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat die Abgeordnete Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ursprünglich sollte heute ein interfraktioneller Antrag verhandelt werden. Offensichtlich ist sich die Koalition jedoch nicht zu schade, auch dieses Thema zum Wahlkampfthema zu machen, so daß dabei letztendlich zwei Anträge mit Bleichlautendem Titel und teilweise identischem Inhalt herausgekommen sind. Die großspurige Ankündigung in Form einer gemeinsamen Hochglanzbroschüre - anfangs noch mit der SPD - und der gemeinsamen Pressekonferenz ist in diesem jetzt eiligst eingebrachten Antrag gelandet. Eine parteiübergreifende Initiative zur parlamentarischen Umsetzung war mit der CDU nicht mehr möglich. ({0}) Die Produkte aus ostdeutscher Produktion sind inzwischen in den neuen und alten Bundesländern trotz alledem so gefragt wie nie zuvor, und zwar auch ohne einen interfraktionellen Antrag. Die Produkte erreichen in den neuen Bundesländern inzwischen wieder einen Marktanteil von 50 Prozent. In den alten Bundesländern hängt er jedoch noch immer bei rund 3 Prozent. Eine Umfrage der Agrarmarketinggesellschaft Sachsen-Anhalt hat ergeben, daß fast alle westdeutschen Befragten Produkte aus den neuen Bundesländern probieren möchten, diese dazu aber stärker angeboten werden müßten. Es geht nicht darum, irgendwelchen Jammer-Ossis neue Zuschüsse zu geben, sondern darum, die Rahmenbedingungen zu schaffen, um eine real existierende Nachfrage mit einem entsprechenden Angebot befriedigen zu können. Die von Sachsen-Anhalt 1996 ins Leben gerufene Aktion „Ostpakete für den Westen" war ein voller Erfolg. Sie hat zu einem hohen Öffentlichkeitsinteresse geführt. Sie hat den teilnehmenden Unternehmen und den teilnehmenden Produktmarken zu einem wesentlichen Aufschwung verholfen und hat die Aktivitäten der Parteien und Fraktionen im Bundestag mit ausgelöst. Ich denke, daß dies gezeigt hat, daß eine Absatzerhöhung auch in den alten Bundesländern möglich ist, daß vor allem der Bedarf an diesen Produkten existiert. Eine weitere Investition in der Ernährungsindustrie als einer der beschäftigungsintensivsten Branchen ist gerade in den neuen Bundesländern vor dem Hintergrund der heute morgen geführten Debatte sinnvoll, weil sie auch Arbeitsplätze in nachgelagerten und nebengelagerten Bereichen nach sich zieht. Einzelne Traditionsmarken aus den neuen Bundesländern sind inzwischen zu Marktführern avanciert. Sie haben es geschafft, wie man so schön sagt. Dies hat auch nichts mehr mit Solidarität zu tun, die in den ersten Jahren nach der Eingliederung vielleicht einigen ostdeutschen Produkten entgegengeschlagen ist. Jetzt kommt es aber darauf an, auch anderen Produkten den Markt zu eröffnen, die nicht mit so renommierten Namen werben können und auch noch keine langjährige Tradition besitzen. Der Aufwärtstrend für die Markenprodukte sollte auch andere ostdeutsche Produkte mit sich ziehen und in den westdeutschen Handelsketten etablieren können. Die zentrale Marketingorganisation hat seit ihrer Gründung im Jahre 1969 eine Summe von 220 Millionen DM in die Verbesserung der Vermarktung für heimische Nahrungsmittel gesteckt. Dabei ist aber zu wenig herausgekommen. Der Anteil deutscher Produkte im Lebensmittelsortiment hat sich insgesamt stetig verringert. Der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel an den Gesamtausgaben deutscher Haushalte ist rückläufig. Die CMA hat französische und niederländische Erzeugnisse ins Visier genommen und damit auf Feindbilder gesetzt, anstatt sich um die deutschen Konsumentinnen und Konsumenten zu bemühen. Das Argument, man könne nicht für einzelne Marken werben, weil dies Wettbewerbsverzerrung bedeute, und müsse statt dessen ein Gemeinschaftsmarketing betreiben, hat den westdeutschen Landwirten in den 70er und 80er Jahren ebensowenig gebracht, wie es heute dem Bekanntheitsgrad ostdeutscher Qualitätsprodukte nutzt. Ich denke, daß eine Umorientierung in der Werbestrategie absolut notwendig ist und daß die vorliegende Exportstrategie den Produkten und den Herstellern nichts bringt. Vielmehr kann eine Exportstrategie im Lebensmittelbereich nur solchen Unternehmen, die mit beiden Füßen im deutschen Markt - sowohl Ost wie auch West - stehen, überhaupt eine Hilfe sein. ({1}) Die gängige Praxis von Listungsgebühren und Einstandspreisen im Handel sollte insgesamt einer Überprüfung unterzogen werden. Ich denke, daß davon auch westdeutsche Landwirte und Hersteller von Lebensmitteln profitieren könnten; denn Dumpingpreise im Einzelhandel nützen weder dem Verbraucher noch den Landwirten. Die Menschen wollen keine anonymen Lebensmittel, sie wollen Transparenz, Sicherheit und Identifikation in Ost wie in West. Altbewährte Produkte, vertraute Markennamen und der regionale Bezug sind Faktoren, mit denen sich das Vertrauen der Verbraucher erwerben und auf Dauer festigen läßt. In diesem Sinne unterstützen wir die Absatzanstrengungen der Agrarmarketinggesellschaften in den neuen Bundesländern. ({2})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Rolf Kutzmutz, PDS.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts der heute schon oft diskutierten Arbeitslosenzahlen macht es ganz sicher Sinn, den kleinen wirtschaftspolitischen Ausschnitt „Förderung des Absatzes ostdeutscher Produkte" zu besprechen. Das zentrale Problem „sind und bleiben die Märkte für die ostdeutschen Betriebe - die an den Westen verlorenen heimischen Märkte im Raum der früheren DDR und die Exportmärkte der Welt." - So Klaus von Dohnanyi 1996. Das Bild hat sich bis heute nicht verändert, obwohl nicht wenige finanzielle Mittel eingesetzt wurden, um zum Beispiel die Eigenkapitalbasis von Unternehmen zu stärken. Wurden aber Maßnahmen zur Marktsicherung für ostdeutsche Unternehmen überlegt und durchgesetzt? Wurden Präferenzen beschlossen, die den Absatzproblemen entgegenwirkten? Nein. Gab es staatliche Auflagen für Handelsketten, in den neuen Ländern regionale Produkte zumindest im Lebensmittelbereich mit anzubieten? Nein. Die Nahrungshilfen für Osteuropa wurden keineswegs über brachliegende ostdeutsche Kapazitäten realisiert. Aus diesen und anderen „Nein" leiten sich eine Reihe von Forderungen im SPD-Antrag ab. Das Problem ist aber: Wir stehen nicht am Anfang dieses Prozesses, sondern sind mittendrin. Nun gibt es den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. Ich will hier einmal sagen: Wenn dort nicht Ihre Namen, sondern mein Name und der der PDS gestanden hätten, wäre dieser Antrag hoffnungslos zerrissen worden. Denn das, was in diesem Antrag geäußert wird, zeigt das Glauben an eine staatliche Plankommission, das Glauben an eine überzentralisierte Wirtschaft. Das kann einfach nicht aufgehen, was Sie dort vorhaben. Ich wundere mich nur, daß Sie so etwas aufschreiben. ({0}) - Herr Türk, ich will einmal zitieren: Die Industrie soll - im Vergleich zu 1995 - vor allem das Einkaufsvolumen bis zum Jahr 2000 um 50 % steigern ... Die Unternehmen des Handels sollen ihr Einkaufsvolumen bis 1998 gegenüber 1995 verdoppeln ... Die Zitate ließen sich fortsetzen. - Auf die Idee, wie gesagt, den Bundestag in eine staatliche Plankommission zu verwandeln, wäre selbst ich nicht gekommen. Angesichts der realen Lage und Rahmenbedingungen der Ostunternehmen beinhaltet die Forderung: 5. Die ostdeutschen Betriebe sollen ihre Absatzstrategien unternehmerisch und selbstbewußt weiterentwickeln und verfolgen. eine Lyrik, die mir vom SED-Parteitag bekannt war. Zur Ehrenrettung der Einreicher sage ich einmal: Sie verleugnen wenigstens nicht ihre Herkunft. ({1}) Das alles geht doch meilenweit an der von Ihnen vertretenen Marktwirtschaft und den inzwischen vorhandenen praktischen Erfahrungen vorbei. In Ihrem Antrag feiern Sie die bewährte „Einkaufsoffensive Neue Bundesländer", deren Höhepunkt ja wohl die Kanzler-Messe im September in Düsseldorf gewesen sein soll. Deren Ergebnis: „Viele gute Gespräche, aber kaum etwas gelistet." Das sagt zumindest Thomas Hambüchen, und der CMA-Geschäftsführer muß es ja wohl wissen. Die Ursachen dieser Pleite liegen weder im bösen Willen noch in Vorurteilen. Erst das Fell des erlegten Bären verteilen - dies war schließlich der fatale Grundzug Ihrer Anschlußpolitik seit März 1990 -, um dann die Raubtiere - Pardon: die Marktteilnehmer - anzubetteln, doch bitte wieder ein Stück herauszurücken - wie mit dem vorliegenden Antrag -, das ist nicht philanthropisch, sondern das ist ganz einfach dumm. Sie bieten buchstäblich nichts außer Wortgeklingel, für das Sie niemand haftbar machen kann. Mit Ihrem Absatzförderprogramm Ost erinnern Sie von der Koalition - wie auch zum Teil die Kollegen von der SPD, die aber zugegebenermaßen wesentlich vorsichtiger formulieren - mich an Ärzte, die einen Beinamputierten in ein Sauerstoffzelt schieben und sich wundern, warum er nicht gleich wieder zu laufen anfängt. Statt mehr Sauerstoff braucht er zunächst einmal Prothesen. Um die Wirtschaft im Osten zum Laufen zu bringen, bräuchten wir beispielsweise Überlegungen zum politischen Umgang mit der Tatsache, daß in Deutschland acht Handelsketten den Absatz von 80 Prozent aller Milchprodukte kontrollieren. Statt Forderungskataloge an den Handel zu richten, ist der Umgang mit Nachfragemacht im Kartellrecht zu regeln. Ist es nicht absurd, daß Sie ostdeutsche Fleischprodukte in westdeutsche Regale puschen wollen - Herr Ilte nimmt Butter mit dazu -, was so nicht gelingen wird, statt sich der Tatsache zu stellen, daß der Selbstversorgungsgrad der neuen Länder beispielsweise bei Schweinen mittlerweile bei nur noch 50 Prozent liegt? Die Schaffung der Rahmenbedingungen für regionale Wirtschaftszusammenhänge - beispielsweise durch drastische Verteuerung der Transporte statt aussichtsloser Fernabsatzpropaganda - wäre ökologisch und wirtschafts- wie arbeitsmarktpolitisch sinnvoll. ({2}) Das sind nur zwei Beispiele für den Weg, den wir - übrigens nicht nur im Interesse des Ostens - beschreiten müssen: ökologischer und ökonomischer Umbau der gesamten Gesellschaft statt folgenloser unverbindlicher Plattheiten. ({3})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Heinrich Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die ostdeutschen Unternehmen melden sich auf den Weltmärkten zurück. ({0}) Sie beweisen, daß mit Innovationsfreude und mit unternehmerischer Zähigkeit auf den internationalen Märkten Erfolge erzielt werden können. Vor wenigen Wochen, im Dezember letzten Jahres, hat Bundesminister Dr. Rexrodt zusammen mit der Wirtschaftsinitiative „wir" einige ostdeutsche Unternehmen mit dem Exportpreis ausgezeichnet. Der erste Preis ging an ein Unternehmen aus Brandenburg, das mit Schleif- und Trennwerkzeugen satte 85 Prozent seines Umsatzes im Ausland erwirtschaftet. ({1}) Das ist nur ein Beispiel von vielen. Ein anderes ist das des innovativen Kleinunternehmens aus Mecklenburg-Vorpommern, das gerade ein Elektronenmikroskop gegen starke internationale Konkurrenz an die japanische Weltraumbehörde verkauft hat. Solche Beispiele zeigen: Preis und Qualität ostdeutscher Produkte stimmen. ({2}) Aus diesen Einzelbeispielen ergibt sich auch ein Gesamtbild. Die nackten Zahlen der Statistik beweisen: In den ersten neun Monaten von 1997 sind die ostdeutschen Exporte um rund 26 Prozent gestiegen. Die Auftragseingänge der Industrie aus dem Ausland weisen einen Zuwachs von knapp 40 Prozent im letzten Jahr auf und gingen damit steil nach oben. ({3}) Bei den Investitionsgüterherstellern entwickelten sich die Exportaufträge mit plus 50 Prozent sogar geradezu boomartig. Das zeigt: Wir sind auf einem guten Weg; die Maßnahmen greifen. Richtig ist aber auch: Erhebliche Probleme bestehen fort. So dürfte das Wachstum in den neuen Ländern 1997 mit rund 2 Prozent leicht hinter dem westdeutschen Wachstum zurückgeblieben sein. 1998 wird es ähnlich aussehen, wenn sich auch das Wachstum insgesamt etwas beschleunigen dürfte. Der Hintergrund ist: Beim tiefgreifenden Strukturwandel in Ostdeutschland steht der Rückgang des überdimensionierten Bausektors dem dynamischen Wachstum der Industrie mit etwa 10 Prozent gegenüber und zehrt dieses teilweise auf. Aber - auch das muß deutlich gesagt werden - die Exportbasis der neuen Länder ist noch zu schmal. Die neuen Länder haben erst einen Anteil am gesamtdeutschen Export von gut 5 Prozent. Viele ostdeutsche mittelständische Unternehmer haben zwar beachtliche Erfolge beim Absatz ihrer Produkte, aber eben auch noch Schwierigkeiten. Ich füge hinzu: Wie könnte es denn anders sein? Die Mehrzahl der Unternehmen ist noch jung. Sie müssen sich auf einem hart umkämpften Markt erst einen Namen machen. Auch der Glanz alter Marken muß nach 40 Jahren Sozialismus erst wieder hart erarbeitet werden. Marketingerfahrung gewinnt man nicht von heute auf morgen, sondern in langjähriger Praxis. Solche Entwicklungsprozesse brauchen Zeit. ({4}) Ich betone aber erneut: Die Erfolge werden jetzt sichtbar und sollten uns allen Mut machen. Um es ganz klar zu sagen: In einer Marktwirtschaft ist zuallererst der Unternehmer für den Absatz seiner Produkte verantwortlich. Dafür stehen auch die eingangs genannten Beispiele. Aber zweifelsohne ist der Aufbau in den neuen Bundesländern noch nicht selbsttragend; daher wird die Bundesregierung diesen Aufbau weiterhin unterstützen. Zunächst einmal ist hier das mittelfristige Förderkonzept für die Zeit von 1998 bis zum Jahr 2004 zu nennen, mit dem wir im letzten Jahr die Weichen für die Festigung von Investitionen und Innovationen gestellt haben.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Bläss? - Bitte.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär Kolb, ich möchte Sie fragen, ob Sie sich vorstellen könnten, eine Idee der PDS aufzugreifen. Die PDS hat vor kurzem bei einer öffentlichkeitswirksamen Großveranstaltung die Chance genutzt, in Köln-Chorweiler ostdeutsche Produkte zu verkaufen. Ich kann Ihnen sagen, daß das ein ziemlich großer Erfolg war. Könnten Sie sich vorstellen, daß auch die F.D.P. den kommenden Wahlkampf dafür nutzt, in Westdeutschland bei ihren Veranstaltungen ostdeutsche Produkte zu verkaufen? ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Das ist möglicherweise eine innovative Idee. Ich habe Schwierigkeiten mir vorzustellen, dann im Kombi bei Terminen und Veranstaltungen durch die Lande zu fahren. - Aber Spaß beiseite, Frau Kollegin Bläss: Die Bundesregierung hat ja mehr als das getan. Wir haben im letzten Jahr in Düsseldorf mit nicht unerheblichem Kostenaufwand eine Messe auf die Beine gestellt, an der sich mehr als 900 Unternehmen aus den neuen Bundesländern beteiligt haben; viele davon mit großem Erfolg. 70 Prozent der Unternehmen haben bereits auf dieser Messe Verkaufsabschlüsse tätigen können, weitere im Zeitraum nach der Messe. Ich denke, das ist viel wirksamer als das, was Sie hier vorgeschlagen haben. Das ist auch der Weg, auf dem wir weiter vorangehen werden. ({0}) Mit der Fortschreibung des mittelfristigen Förderkonzepts haben wir im letzten Jahr die Weichen bis zum Jahr 2004 gestellt. Daneben gibt es konkrete Hilfen beim Absatz, die die Innovations- und Investitionsförderung flankieren. Diese Absatzhilfen setzen dort an, wo der größte Nachholbedarf besteht, nämlich beim Export. Daneben werden auch die Förderung von Inlandsmessen, von wichtigen Auslandsmessen und die erfolgreichen Vermarktungshilfen und Vermarktungsprojekte im Ausland fortgeführt. Besonders wichtig und in der Praxis vielleicht noch bedeutsamer ist, daß die Hermes-Bürgschaften weiter vorrangig für Unternehmen aus den neuen Bundesländern zur Verfügung stehen. Hilfen sind aber nicht allein Sache des Bundes. Vielmehr möchte ich sehr deutlich darauf hinweisen, daß auch die neuen Länder ihre regionale Verantwortung verstärkt wahrnehmen müssen, zum Beispiel durch die Unterstützung von regionalen Messen, auch verstanden als Nachfolgeveranstaltungen der Düsseldorfer Messe vom September letzten Jahres. Die westdeutsche Industrie, der Handel, die Banken und die Sozialpartner müssen ihre Zusagen aus der gemeinsamen Initiative für mehr Arbeitsplätze in Ostdeutschland einhalten. Der Schwung der erfolgreichen Einkaufsmesse in Düsseldorf muß genutzt werden. Um es anders auszudrücken: Ostdeutsche Produkte müssen auch in westdeutschen Regalen zu einem gewohnten Bild werden. ({1}) Ich glaube sagen zu können, daß die beiden vorliegenden Anträge zeigen, daß wir in der Zielsetzung mit der Opposition einig sind, den Absatz aus ostdeutschen Unternehmen, wo immer dies möglich ist, zu stützen. Doch dafür müssen auch die Instrumente stimmen. Wir wollen keinen neuen Interventionismus mit Eingriffen in unternehmerische Entscheidungen. Wer neue Fördermaßnahmen des Staates will, muß gleichzeitig sagen, wo er an anderer Stelle kürzen möchte. Meine Damen und Herren, der Antrag der Koalition macht deutlich, daß wir den eingeschlagenen und auch mit Erfolg begleiteten Weg konsequent und mit Geduld weitergehen müssen. Ich bitte Sie, diesen Antrag zu unterstützen. ({2})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Der letzte Redner im Rahmen dieser Debatte ist der Abgeordnete Norbert Otto, CDU/CSU-Fraktion.

Norbert Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte eingangs folgende Bemerkung machen. Herr Ilte, wir haben gut anderthalb Jahre schön, praktisch und praktikabel zusammengearbeitet. Ich möchte aus dem Auseinanderdriften der beiden Anträge jetzt kein Auseinanderdriften der Zielstellungen ableiten; vieles von dem, was hier gesagt wurde, ist einfach ein Orakelspiel. Wir haben die Meinung vertreten, daß es besser ist, die Ergebnisse der Düsseldorfer Messe abzuwarten und sie noch in der Formulierung des Antrags zu berücksichtigen. Sie waren anderer Meinung, und so waren die beiden unterschiedlichen Vorstellungen zeitlich nicht zu vereinbaren. Die Kollegin Lemke hat aber richtig gesagt: Wer die Anträge liest, weiß, daß die Zielstellungen völlig identisch sind. Es gibt ein paar unterschiedliche Formulierungen, die uns jedoch vom Inhalt her überhaupt nicht auseinanderdividieren. Norbert Otto ({0}) Mit unserer Vorlage wollen wir in keiner Weise in marktwirtschaftliche Regularien eingreifen. Jedoch tragen wir Verantwortung dafür, daß die politischen Rahmenbedingungen abgesteckt und nötigenfalls auch angepaßt werden. Das hat überhaupt nichts mit sozialistischer Marktwirtschaft zu tun. Wer die sozialistische Marktwirtschaft kennengelernt hat, weiß, was hier für Unterschiede vorhanden sind. ({1}) - Lesen Sie im Kürschner nach, dann wissen Sie, wo ich war. Die Schieflage bei den Marktanteilen zuungunsten der ostdeutschen Produkte geht in unserem Land schließlich auch auf politische Umschichtungen zurück. Wir erinnern uns: Nach der Wiedervereinigung mußten die Unternehmen in Ostdeutschland mit massiver Konkurrenz aus den westlichen Ländern rechnen und zurechtkommen. Zudem brachen die vormals sicheren Absatzmärkte in Osteuropa völlig weg. Ich denke, daß es mit Blick auf diese nachteilige Ausgangssituation mehr als gerechtfertigt ist, wenn wir hier versuchen, ein wenig korrigierend, aber nicht dirigierend - das war Planwirtschaft - zugunsten der ostdeutschen Betriebe auf die Rahmenbedingungen einzuwirken. Klar ist, daß sich die Unternehmen in den neuen Ländern dem Wettbewerb stellen müssen. Die meisten Betriebe stellen inzwischen mit hochmodernen Anlagen qualitativ und preislich absolut wettbewerbsfähige Produkte her. Gebremst werden die Unternehmen aber noch immer dadurch, daß häufig die nötige Eigenkapitalausstattung fehlt. Nur mit ausreichender Eigenkapitalausstattung können sie aber die notwendigen Investitionen und vor allem die erfolgreichen Strategien für den Eintritt in den gesamtdeutschen und den internationalen Markt verwirklichen. Nur dadurch können sie den Bekanntheitsgrad und schließlich den Absatz ihrer Produkte steigern. Über eines müssen wir uns aber im klaren sein: Qualität und Menge der Produkte sowie Liefertreue und Leistungsfähigkeit ostdeutscher Unternehmen sind inzwischen durchweg vergleichbar mit denen der Konkurrenz in den alten Ländern. ({2}) Die pauschale Kritik des CMA-Chefs an den Erzeugnissen der Unternehmen aus den neuen Bundesländern geht völlig ins Leere und ist - Gott sei Dank - mittlerweile korrigiert worden. Das sehr viel ausschlaggebendere Hindernis sind jedoch die hohen Listungsgelder. Der Appell in unserem Antrag richtet sich deshalb auch an den Handel: Machen Sie Ihr dem Bundeskanzler gegebenes Versprechen wahr und verdoppeln Sie den Einkauf ostdeutscher Waren bis Ende 1998! Geben Sie den Qualitätsprodukten aus den neuen Ländern eine faire Chance für den Markteintritt! Soweit unser Appell an den Handel. ({3}) Viele von Ihnen erinnern sich an die Präsentation des gemeinsamen Sonderheftes von „Union" und „Vorwärts" im vergangenen Jahr. Die Generalsekretäre Hintze und Müntefering stellten damals zusammen das Heft unter dem Titel „Marktplatz Deutschland - Qualitätsprodukte aus ostdeutschen Landen" vor. Diese Präsentation und das Sonderheft waren eine Initiative unserer überparteilichen Arbeitsgruppe zur Absatzförderung, die im März 1996 mit zehn ostdeutschen Kollegen gegründet wurde. Sie alle waren von dem gleichen Ziel beseelt, etwas für den Absatz ostdeutscher Produkte zu tun. Das Projekt erzielte sowohl in den Medien als auch bei den Verbrauchern und Unternehmen nachhaltig positive Wirkung. Außerdem zeigt der überparteiliche Charakter, daß wir eine gemeinsame Zielstellung verfolgen, die wir auch in Zukunft gemeinsam weiterverfolgen werden. Für die Mitarbeit in dieser Gruppe möchte ich noch einmal allen Mitgliedern danken, insbesondere den Kollegen Ilte und Türk, die die Arbeit wesentlich gestaltet haben. Eine hilfreiche Maßnahme zur Erhöhung des Bekanntheitsgrades ostdeutscher Artikel war auch die Einkaufsmesse in Düsseldorf. - Ich komme gleich zum Ende, Frau Präsidentin. - Mehr als 10 Prozent der 900 Aussteller kehrten mit konkreten Vertragsabschlüssen zurück. Wer auf der Grünen Woche in Berlin die Menschenmengen vor den Ständen der Thüringer Wurstbratereien, vor dem Stand mit Köstritzer Schwarzbier oder vor anderen Ständen mit ostdeutschen Waren gesehen hat, der kann ungefähr erahnen, welche Absatzmöglichkeiten Produkte aus den neuen Ländern haben. So mancher westdeutsche Bürger hat spätestens hier erkannt, was ihm an kulinarischen Genüssen aus Ostdeutschland bisher entgangen ist. ({4}) Letzter Satz: Mit den vorliegenden Anträgen eröffnen wir zumindest von der politischen Seite her die Möglichkeit, daß demnächst bundesweit noch mehr Menschen in den Genuß ostdeutscher Qualitätsprodukte kommen. Dafür wünsche ich Ihnen guten Appetit. Danke schön. ({5})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Die SPD hat noch vier Minuten übrig, die sie nutzen möchte. Es spricht jetzt der Abgeordnete Wolfgang Ilte. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß wir im Anschluß daran einen Abstimmungsmarathon vor uns haben.

Wolfgang Ilte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielen Dank, daß wir noch ein paar Minuten haben. Ich will sie gerne ausnutzen. Herr Otto, wir haben in der Arbeitsgruppe anderthalb Jahre lang gemeinsam an einem Antrag gefeilt und haben um Formulierungen gerungen. Der Sinn der Sache war dabei klar; jedenfalls bin ich immer davon ausgegangen, daß er jedem klar war. Im AuWolfgang Ilte gust vorigen Jahres haben Sie dann plötzlich gesagt: Jetzt wollen wir das nicht mehr machen; wir warten erst die Ergebnisse der Düsseldorfer Einkaufsmesse ab. - Wenn Sie das heute anders darstellen, ist das - nehmen Sie es mir nicht übel - eine Unverschämtheit.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Otto?

Wolfgang Ilte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte schön.

Norbert Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Ilte, seien wir mal ganz ehrlich: Der Gedanke des Antrages ist erst wesentlich später geboren worden. Unser Grundgedanke war die gemeinsame Beilage in den beiden Parteimagazinen. Um diesen Grundgedanken zu untermauern, haben wir gesagt, daß wir diesen Antrag nachschieben.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Stellen Sie nur Ihre Frage, Herr Abgeordneter.

Norbert Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist Ihnen das noch bewußt, oder können Sie das so zur Kenntnis nehmen?

Wolfgang Ilte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Otto, da müssen Sie Gedächtnislücken haben. Ich habe die Papiere mit Ihren Unterschriften auf meinem Platz, und wenn die Zeit es erlauben würde, würde ich sie holen. Ich habe im Oktober 1996 den ersten Vorschlag formuliert, und Ihr Büro hat ihn im Frühjahr 1997 in Antragsform ausformuliert. Nun stellen Sie sich nicht hier hin und versuchen, uns einzureden, daß der Sinn des Antrages erst im Sommer 1997 entstanden sei. Wir haben ihn in der Arbeitsgruppe mehrfach diskutiert, und er ist mehrfach umformuliert worden. Ich kann nicht begreifen, wieso Sie sich hier herstellen und plötzlich behaupten, Ihnen sei das im August eingefallen. Ich will noch auf folgendes hinweisen. Herr Staatssekretär Kolb hatte hier auf das mittelfristige Förderkonzept 1999 bis 2004 hingewiesen. Herr Kolb, bei der Aufstellung dieses Konzepts gab es zwei unterschiedliche Vorlagen, eine von Ihrer Regierung und eine von der SPD. Wir haben dies - es wäre schön, wenn Sie und auch die anderen Kollegen sich daran noch erinnerten - noch vor der letzten Sommerpause in einem großen Konsens über die Bühne gebracht. Ich habe seinerzeit mit dem Abgeordneten Schulz von der CDU/CSU-Fraktion, mit dem Bauministerium, mit dem Wirtschaftsministerium und mit dem Finanzministerium verhandelt. Es hat geklappt, offensichtlich, weil man sich in der Arbeitsgruppe, die wir damals eingerichtet haben, an das erinnert hat, was man gemeinsam abgesprochen hat. Man hat gemeinsame Festlegungen getroffen und sie durchs Parlament gezogen. Es ist gut, daß Sie dieses Beispiel noch einmal gebracht haben. Wenn die Kollegen aus Ihrer Fraktion in diesem Fall genauso gehandelt hätten und man sich auf die Absprachen hätte verlassen können, dann wäre das hier sicherlich ebenso gelaufen. Sie sprechen die „Einkaufsoffensive neue Bundesländer" an. Herr Kolb, dazu fällt mir eigentlich gar nichts mehr ein. Ihre Aufgabe ist es doch, das zu machen. Ihre Aufgabe ist, dafür zu sorgen, daß der Bundestag und die Bundesregierung Aufträge aus dem Bundeshaushalt in der Form vergeben, daß wenigstens 20 Prozent der Waren im Osten eingekauft werden. Sie machen das doch nicht! ({0}) Wenn Sie endlich verstehen, was Ihre politische Aufgabe ist, möchte ich darum bitten, daß Sie dieser auch nachkommen. Wenn Sie den Kanzler in bezug auf die Messe in Düsseldorf loben, dann muß ich Ihnen sagen: Der Kanzler hat sich in Düsseldorf hingestellt, sich von allen abfeiern lassen und ist dann gegangen. Das war alles. Das kann nicht der Sinn der Sache gewesen sein. ({1})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, es besteht der Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage, und zwar vom Abgeordneten Dr. Kolb.

Wolfgang Ilte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gleich. - Das war auch nicht der Sinn unserer ursprünglichen Initiative. Der Sinn der ursprünglichen Initiative war, daß dies weitergeführt wird. Mit einer einmaligen Aktion bekommen Sie so etwas nicht gebacken. Bitte sehr, Herr Staatssekretär.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Ilte, Sie haben gesagt, es sei Aufgabe der Bundesregierung, dafür zu sorgen, daß 20 Prozent der Einkaufsvolumina des Bundes in den neuen Bundesländern getätigt werden. Ist Ihnen bekannt, daß wir diese Zahl de facto erreichen?

Wolfgang Ilte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002686, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist mir nicht bekannt, ich bin aber gern bereit, das prüfen zu lassen. Eines möchte ich noch anfügen: Herr Türk, es ist zwar sehr charmant - auch ich komme aus Brandenburg -, die Messen in Cottbus stattfinden zu lassen. Aber es ging bei dieser Aktion nicht darum, die ostdeutschen Exporte zu steigern - das ist eine wichtige Aufgabe -, es ging nicht darum, den Absatz der Ostprodukte in Ostdeutschland zu steigern - auch das ist eine wichtige Aufgabe -, es ging einfach und allein, Herr Kolb, um die Aufgabe, die sich diese Arbeitsgruppe gestellt hat, nämlich den Anteil der Ostprodukte im westdeutschen Einzelhandel zu steigern. Ich will es noch einmal in aller Ruhe sagen: Herr Türk, wir haben lange genug in der Arbeitsgruppe gesessen, und wir wissen, eine Messe in Cottbus hilft, so leid mir das tut, nichts. Den Kölner EinzelWolfgang Ilte händler bekommen wir möglicherweise nach Cottbus, aber wenn wir die Messe in Köln veranstalten, ist das sinnvoller. Deshalb haben wir uns ja auch entschlossen, die Messe nicht in Leipzig oder Cottbus zu veranstalten. Herr Türk, vielleicht wird es in den nächsten Jahren klappen. Ich werde dann leider nicht mehr daran teilnehmen können, obwohl es mir sehr viel Spaß gemacht hätte. Wie Sie wissen, werde ich im nächsten Deutschen Bundestag nicht mehr vertreten sein. Ihnen persönlich wünsche ich, daß sie wieder dabei sind, Ihrer Partei wünsche ich das natürlich nicht. Insofern könnte es passieren, daß der nächste Deutsche Bundestag ohne Ihre geschätzte Mitwirkung auskommen muß. Vielen Dank. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/9385 und 13/8080 an in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zu den Beratungen ohne Aussprache, und zwar zu den Tagesordnungspunkten 16a bis 16j sowie den Zusatzpunkten 4 a bis 4 d: 16. Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich ({0}) - Drucksache 13/9712 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({1}) Sportausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Steigerung der Effizienz von Aufsichtsräten und zur Begrenzung der Machtkonzentration bei Kreditinstituten infolge von Unternehmensbeteiligungen - Drucksache 13/9716 -Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({2}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 22. April 1996 zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Armenien andererseits - Drucksache 13/9512 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({3}) Auswärtiger Ausschuß Finanzausschuß Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. April 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die gegenseitige Hilfeleistung bei Katastrophen oder schweren Unglücksfällen - Drucksache 13/9529 -Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({4}) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. April 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik der Philippinen über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/9531 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 21. Oktober 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Chile über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/9532 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. März 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Libanesischen Republik über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/9533 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Protokollen zu den Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Russischen Föderation, Vizepräsidentin Michaela Geiger der Ukraine und der Republik Moldau andererseits - Drucksache 13/9547 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({5}) Finanzausschuß Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. Juli 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Litauen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 13/9548 - Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 14. September 1994 des Weltpostvereins - Drucksachen 13/9574, 13/9694 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Post und Telekommunikation ZP4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({6}) a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrensrechts - Strafverfahrensänderungsgesetz 1996 - ({7}) - Drucksache 13/9718 -Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({8}) Innenausschuß b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen - Drucksache 13/9720Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({9}) Rechtsausschuß Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verbesserten Abschöpfung von Vermögensvorteilen aus Straftaten - Drucksache 13/9742 -Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({10}) Innenausschuß d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung - Drucksache 13/9610 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 17 a bis 17 z sowie den Zusatzpunkten 5 a und 5 b. Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt 17 a auf: Abschließende Beratungen ohne Aussprache Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetzes - Drucksache 13/8711 - ({11}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({12}) - Drucksache 13/9471 - Berichterstattung: Abgeordnete Thomas Rachel Lothar Fischer ({13}) Simone Probst Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Wolfgang Bierstedt Der Ausschuß für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung empfiehlt auf Drucksache 13/9471 Nr. 1, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der Opposition angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen. Der Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/9471 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition bei Enthaltung der Opposition angenommen. Vizepräsidentin Michaela Geiger Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 17 b: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Maritta Böttcher, Dr. Ludwig Elm, weiteren Abgeordneten und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesrückerstattungsgesetzes - Drucksache 13/5803 - ({14}) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({15}) - Drucksache 13/8371 - Berichterstattung: Abgeordnete Wolfgang Ilte Reiner Krziskewitz Dr. Uwe-Jens Rössel Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 8371, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/5803 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Regierungskoalition und der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17 c: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzierung der Sanierung von Rüstungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland ({16}) - Drucksache 13/8295 - ({17}) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({18}) - Drucksache 13/9105 -Berichterstattung: Abgeordnete Peter Jacoby Dr. Wolfgang Weng ({19}) Karl Diller Kristin Heyne Der Haushaltsausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und Bündnis 90/ Die Grünen gegen die Stimmen von SPD und PDS abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17 d: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda ({20}) - Drucksache 13/7953 - ({21}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Gerald Häfner, Wolfgang Schmitt ({22}), Volker Beck ({23}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda - Drucksache 13/6165 - ({24}) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({25}) - Drucksache 13/9734 - Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Röttgen Dr. Herta Däubler-Gmelin Wir stimmen zunächst über den Gesetzentwurf der Bundesregierung ab. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen. Dritte Beratung und Schlußabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis angenommen. Wir kommen nun zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ 9734, Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17 e: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Oktober 1996 zur Änderung des Abkommens vom 8. April 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über niederländische Kriegsgräber in der Bundesrepublik Deutschland ({26}) - Drucksache 13/7991 - ({27}) Vizepräsidentin Michaela Geiger Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({28}) - Drucksache 13/9469 - Berichterstattung: Abgeordnete Andreas Krautscheid Dieter Schloten Gerd Poppe Ulrich Irmer Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17f: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 23. Januar 1995 zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Kasachstan andererseits - Drucksache 13/8457 - ({29}) Beschlußempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({30}) - Drucksache 13/9470 - Berichterstattung: Abgeordnete Willy Wimmer ({31}) Dieter Schloten Dr. Helmut Lippelt Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 17g bis 17r: g) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 14. Juni 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Katar über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/8826 -({32}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({33}) - Drucksache 13/9495 - Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz h) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 14. Mai 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Venezuela über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/8827 - ({34}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({35}) - Drucksache 13/9496 - Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz i) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 21. März 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ecuador über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/8828 - ({36}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({37}) - Drucksache 13/9497 - Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz j) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 25. Juni 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/8829 -({38}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({39}) - Drucksache 13/9498 - Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz k) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 10. Juli 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indien über die Förderung und den Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/8830 -({40}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({41}) - Drucksache 13/9499 -Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz Vizepräsidentin Michaela Geiger l) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 21. September 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderativen Republik Brasilien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/8831 - ({42}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({43}) - Drucksache 13/9500 - Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz m) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 6. Mai 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Nicaragua über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/8832 - ({44}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({45}) - Drucksache 13/9501 - Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz n) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 30. April 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kuba über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/8834 - ({46}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({47}) - Drucksache 13/9502- Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz o) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Oktober 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich SaudiArabien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/8691 - ({48}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({49}) - Drucksache 13/9503 -Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz p) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. Dezember 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Aserbaidschanischen Republik über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/8692 -({50}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({51}) - Drucksache 13/9504 - Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz q) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. Mai 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kenia über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/8693 - ({52}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({53}) - Drucksache 13/9505 - Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz r) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 25. Juni 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Georgien über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/8694 - ({54}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({55}) - Drucksache 13/9506 -Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf den Drucksachen 13/9495 bis 13/9506, die Gesetzentwürfe unverändert anzunehmen. Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich über die zwölf Gesetzentwürfe gemeinsam abstimmen. - Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann verfahren wir so. Vizepräsidentin Michaela Geiger Ich bitte diejenigen, die den zwölf Gesetzentwürfen zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind die zwölf Gesetzentwürfe mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17 s: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({56}) Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hier: Beschluß des Deutschen Bundestages betreffend Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages gemäß Anlage 6 GO-BT - Drucksache 13/9519 Berichterstattung: Abgeordneter Dieter Wiefelspütz Wer stimmt für die Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17 t: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({57}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Abfalldeponien - Drucksachen 13/7541 Nr. 2.4, 13/9292 -Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Dr. Liesel Hartenstein Dr. Jürgen Rochlitz Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/9292 Kenntnisnahme. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen. Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/9292 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17u: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({58}) zu den Unterrichtungen durch die Bundesregierung Empfehlung für einen Beschluß des Rates zur Ermächtigung der Kommission, Verhandlungen über ein Seeverkehrsabkommen zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten und der Volksrepublik China aufzunehmen Empfehlung für einen Beschluß des Rates zur Ermächtigung der Kommission, Verhandlungen über ein Seeverkehrsabkommen zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten und der Republik Indien aufzunehmen - Drucksachen 13/8615 Nr. 2.22 und Nr. 2.23, 13/9451 Berichterstattung: Abgeordneter Konrad Kunick Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17v: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({59}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 1997 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 04 Titel 526 45 - Planungskosten für Baumaßnahmen außerhalb des Parlamentsviertels - Drucksachen 13/9052, 13/9066 Nr. 6, 13/ 9452 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Pützhofen Jürgen Koppelin Dr. Rolf Niese Oswald Metzger Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17 w: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({60}) zu dem Antrag des Bundesministeriums für Wirtschaft Rechnungslegung über das Sondervermögen des Bundes „Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes" für das Wirtschaftsjahr 1996 - Drucksachen 13/8562, 13/9453 - Berichterstattung: Abgeordnete Dankward Buwitt Ina Albowitz Antje Hermenau Vizepräsidentin Michaela Geiger Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17x: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({61}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 1997 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 1102 Titel 682 01 - Erstattung von Fahrgeldausfällen bei der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter - Drucksachen 13/8924, 13/9066 Nr. 5, 13/ 9454 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Kontanze Wegner Hans-Joachim Fuchtel Antje Hermenau Ina Albowitz Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17y: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Post und Telekommunikation ({62}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über angeschaltete Telekommunikationsgeräte und die gegenseitige Anerkennung ihrer Konformität - Drucksachen 13/8615 Nr. 2.11, 13/9536 ({63}) - Berichterstattung: Abgeordnete Elmar Müller ({64}) Hans Martin Bury Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 17 z: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({65}) Sammelübersicht 274 zu Petitionen - Drucksache 13/9624 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({66}) Sammelübersicht 235 zu Petitionen - Drucksache 13/9625 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({67}) Sammelübersicht 276 zu Petitionen - Drucksache 13/9626 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({68}) Sammelübersicht 277 zu Petitionen - Drucksache 13/9627 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({69}) Sammelübersicht 278 zu Petitionen - Drucksache 13/9628 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({70}) Sammelübersicht 279 zu Petitionen - Drucksache 13/9629 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({71}) Sammelübersicht 280 zu Petitionen - Drucksache 13/9630 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({72}) Sammelübersicht 281 zu Petitionen - Drucksache 13/9631 leratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({73}) Sammelübersicht 282 zu Petitionen - Drucksache 13/9632 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({74}) Sammelübersicht 283 zu Petitionen - Drucksache 13/9633 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({75}) Sammelübersicht 284 zu Petitionen - Drucksache 13/9634 Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({76}) Sammelübersicht 285 zu Petitionen ({77}) - Drucksache 13/9635 Sammelübersicht 274: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 274 mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen. Sammelübersicht 275: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist diese Vizepräsidentin Michaela Geiger Sammelübersicht mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen. Sammelübersicht 276: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 276 mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P., Bündnis 90/Die Grünen und SPD gegen die Stimmen der PDS angenommen. Sammelübersicht 277: Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 277 mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen. Sammelübersicht 278: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 278 mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen. Sammelübersicht 279: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 279 mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen. Sammelübersicht 280: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 280 mit den Stimmen des Hauses, außer denen der PDS, die dagegen ist, angenommen. Sammelübersicht 281: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 281 bei dem gleichen Mehrheitsverhältnis angenommen. Sammelübersicht 282: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 282 mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen. Sammelübersicht 283: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 283 mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Sammelübersicht 284: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 284 bei dem gleichen Mehrheitsverhältnis angenommen. Sammelübersicht 285: Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Sammelübersicht 285 mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zu Zusatzpunkt 5, und zwar zunächst zu Zusatzpunkt 5 a: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({78}) zu der Verordnung der Bundesregierung Zustimmungsbedürftige Verordnung über die Rücknahme und Entsorgung gebrauchter Batterien und Akkumulatoren ({79}) - Drucksachen 13/9516, 13/9669 Nr. 2.1, 13/ 9762Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Marion Caspers-Merk Dr. Jürgen Rochlitz Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen. Wir kommen zu Zusatzpunkt 5 b: Beratung des Antrags der Bundesregierung Ausnahme vom Verbot der Zugehörigkeit zu einem Aufsichtsrat für ein Mitglied der Bundesregierung - Drucksache 13/9702Wer stimmt für den Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Antrag mit den Stimmen des Hauses, außer denen der PDS, die dagegen ist, angenommen. Ich rufe die Zusatzpunkte 6 bis 9 auf: ZP6 Vereinbarte Debatte Naturschutzrecht, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und Ausgleichsregelung für die Landwirtschaft ZP7 Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({80}) zu dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften - Drucksachen 13/6441, 13/7778, 13/8180, 13/ 8268, 13/9638Berichterstattung: Abgeordneter Michael Müller ({81}) ZP8 Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes Vizepräsidentin Michaela Geiger ({82}) zu dem Gesetz zum Schutz des Bodens - Drucksachen 13/6701, 13/7891, 13/8182, 13/ 9637 Berichterstattung: Abgeordnete Anke Fuchs ({83}) ZP9 Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({84}) zu dem Gesetz zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die besondere Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen ({85}) - Drucksachen 13/8052, 13/8837, 13/9325, 13/ 9641Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Heribert Blens Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sieben Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Abgeordneten Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin, gestatten Sie, daß ich zu dem vorherigen Tagesordnungspunkt zurückspringe, weil ich auf etwas aufmerksam machen möchte: Sie haben - mit einem Blick auf die Regierungsbank - den Parlamentarischen Staatssekretär Ernst Hinsken ermahnt, Stillschweigen zu bewahren.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich habe die Regierungsbank allgemein ermahnt, keinen speziellen Kollegen.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin, ich wollte nur Ihr Augenmerk darauf richten, daß Ernst Hinsken Gratulation zu seinem 55. Geburtstag erfahren hat. Deshalb hat er sich so gefreut. Ich wollte diese Gratulation von hier aus nachtragen. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Dann muß ich meine Rüge natürlich sofort zurücknehmen und mich ganz herzlich der Gratulation anschließen.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben es in dieser vereinbarten Debatte zum Vermittlungsergebnis, die heute auf die Tagesordnung genommen wurde, mit einem Thema zu tun, das den klassischen Konflikt zwischen dem Umweltschutz auf der einen Seite und den Rechten einer anderen wichtigen Gruppe der Bevölkerung, den Landwirten, auf der anderen Seite tangiert. Die Rechtsprechung erkennt bei Beschränkungen aus Gründen des Naturschutzes den Bauern nur selten einen Entschädigungsanspruch wegen Enteignung zu. Weil dem so ist, wollen wir durch ein neues Entschädigungsrecht den Ausgleich von Ertragseinbußen, wenn Auflagen für Landwirte über die allgemeinen Regeln hinausgehen. SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben die große Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz von der ersatzlosen Streichung des Entschädigungsanspruchs abhängig gemacht. Dem konnten und können wir nicht folgen. Deswegen ist dieses wichtige Gesetz leider gescheitert. ({0}) Ich sage deshalb „leider" , weil wir natürlich wissen, daß es noch eine ganze Reihe von Defiziten gibt, die wir in diesem Gesetz regeln wollten. Aber ohne eine Entschädigung für die davon negativ betroffenen Bauern sehen wir dafür keine Möglichkeit. ({1}) Dem Vermittlungsausschuß und nunmehr auch dem Deutschen Bundestag liegt eine „kleine Novelle" vor, die nur noch die FFH-Richtlinie der EU umsetzt. Es geht konkret um den Schutz von Naturschutzgebieten von europaweiter Bedeutung. Diese Gebiete müssen Brüssel gemeldet werden. Mit der Umsetzung sind wir - das wissen wir alle - in Verzug. Deshalb muß sie schnell kommen. Im Dezember 1997 hat uns der EuGH bereits ein erstes Mal in dieser Frage verurteilt. ({2}) Im Normalfall werden nur bereits ausgewiesene Schutzgebiete gemeldet. Die Rechtsgrundlagen für die Ausweisung von Naturschutzgebieten stehen im bereits gültigen Naturschutzrecht. Deshalb müßten unsere Landwirte in Deutschland keine zusätzlichen Belastungen wegen der FFH-Richtlinie fürchten und diesbezügliche Sorgen haben. Wenn das Thema dennoch eine politische Bedeutung gewonnen hat, so deshalb, weil wir zur Kenntnis nehmen müssen - daran führt kein Weg vorbei -, daß zum Beispiel am Niederrhein die grüne nordrhein-westfälische Umweltministerin unter Hinweis auf die FFH-Richtlinie in großem Stil neue Schutzgebiete ausweisen will, und zwar ohne eine Entschädigung den Landwirten gegenüber. ({3}) Wenn Sie seitens der SPD meinen, Einspruch erheben zu müssen, dann will ich ein anderes Bundesland, das ebenfalls mehrheitlich von der SPD regiert wird, nämlich Schleswig-Holstein, anführen. Dort geht es so weit, daß dies sogar in der Koalitionsvereinbarung verankert ist: In der Koalitionsvereinbarung für die laufende Legislaturperiode wurde den Naturschutzverbänden ein Vorschlagsrecht für die Neuausweisung von Naturschutzgebieten eingeräumt. ({4}) Eine Organisation - deren Recht wir ja nicht beschneiden wollen - soll die Möglichkeit erhalten, Naturschutzgebiete auszuweisen. Diejenigen, die davon ganz konkret negativ betroffen sind, die Landwirte, sollen das Nachsehen haben. Das ist ein Verfahren, das wir so nicht mittragen können. ({5}) Durch die Zurückweisung des Vermittlungsergebnisses wollen wir unseren Standpunkt noch einmal klar aufzeigen: Wir brauchen im Naturschutzrecht einen fairen finanziellen Ausgleich für die Bauern. Ohne ein besseres Entschädigungsrecht gibt es - das müssen doch auch die Naturschützer wissen - ständige Konflikte zwischen Naturschutz und Landwirtschaft. Diese Konflikte auf Dauer auszuräumen, dem sollte unser Vorschlag einer Entschädigung dienen. Ich lade Sie dazu ein, hier mitzumachen. ({6}) Gerade wer einen ökologischen, einen naturschützenden Anspruch erhebt, muß doch einer davon benachteiligten Gruppe, den Landwirten, eine Entschädigung zugestehen. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die ökologische Vielfalt soll und muß gefördert werden. Allerdings müssen die verschiedenen Anforderungen ebenfalls berücksichtigt werden. Da in unserem föderalen Staat die Länder für die Ausweisung von Schutzgebieten zuständig sind, tragen sie auch die Entschädigungspflicht. Dieser Entschädigungspflicht verweigern sich aber die meisten Länder. Eigentumsrechtlich geht es darum, daß wir der Aushöhlung des Eigentums einen Riegel vorschieben wollen, und ordnungspolitisch kann es doch nicht angehen, daß bei Naturschutzauflagen, die die Länder finanziell nicht ausgleichen wollen, schlußendlich die Bauern bluten müssen. Das entspricht zumindest nicht unserem Gerechtigkeitssinn. Land- und Forstwirten, deren Flächen einen hohen Natur- und Landschaftswert besitzen, ist dies, wie wir wissen, nicht in den Schoß gefallen. Sie haben bereits in der Vergangenheit ihre Flächen verantwortungsbewußt und nachhaltig bewirtschaftet. ({8}) Wenn sie eine Beschwernis erfahren, müssen sie dafür einen Ausgleich erhalten. Wir streben ein zweites Vermittlungsverfahren an, und wir appellieren nachhaltig nicht nur an die SPD und an die Grünen im Deutschen Bundestag, sondern auch an die Länder, sich den Interessen der Landwirte ebenso verpflichtet zu fühlen wie dem Naturschutz. Der Streitwert hält sich übrigens in Grenzen, und der Streit kann beigelegt werden. Wir hoffen auf Ihr Einsehen, wir hoffen auf ein Einsehen der Länder, so daß wir in einem zweiten Verfahren sowohl den naturschützenden Belangen als auch den berechtigten Interessen der Landwirtschaft Rechnung tragen können. Ich glaube, daß wir nach diesem zweiten Durchgang dieser Novelle im Deutschen Bundestag zustimmen können. Herzlichen Dank. ({9})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Mehl, SPD-Fraktion.

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Repnik, Sie haben eben gesagt, der Streit halte sich in Grenzen. Wenn es doch nur so wäre! Das, was ich Ihnen vorwerfe, ist, daß Sie und Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen dafür sorgen, daß er sich eben nicht in Grenzen hält. Sie treiben die Leute, die in der Landwirtschaft arbeiten, auf die Palme und bekommen sie dann nicht mehr von dort herunter - und das nur aus wahltaktischen Gründen. Das werfe ich Ihnen vor. ({0}) Sie haben richtig festgestellt: Die umfassende Gesamtnovelle des Bundesnaturschutzgesetzes ist im Herbst im Vermittlungsausschuß in erster Linie daran gescheitert, daß Sie an Ihren Uraltforderungen bezüglich der Form der Ausgleichszahlungen an die Landwirtschaft festgehalten haben, die wir nicht mitmachen. Das war für Sie überhaupt nichts Neues. Es war für Sie eigentlich schon absehbar, daß das so kommt. ({1}) Ich will bei dieser Gelegenheit gleich das wiederholen, was wir seit Jahren sagen: Wir sind nicht grundsätzlich gegen Ausgleichszahlungen. Die Ausgleichszahlungen werden von den Ländern auch geleistet, und zwar in Millionenhöhe. Zu diesem Punkt komme ich noch. ({2}) - Das könnte ich Ihnen auch erzählen, aber dazu ist leider meine Redezeit zu kurz. Wir haben mit Ministerin Merkel vereinbart, daß wir wenigstens eine kleine Novelle beraten, weil allen Beteiligten klar ist, daß die seit dreieinhalb Jahren überfällige Umsetzung der Flora-Fauna-HabitatRichtlinie nicht nur aus Naturschutzgründen, sondern auch aus Kostengründen notwendig ist, denn es winken bereits - das ist eben gesagt worden - hohe Geldstrafen. Wir sind vom EuGH wegen Nichtumsetzung bereits verurteilt worden. Die im Mai 1992 vom Rat der Europäischen Gemeinschaft beschlossene Richtlinie war ein MeilenUlrike Mehl stein für den Naturschutz, weil sie eine neue Naturschutzphilosophie in Recht umgesetzt hat, nämlich daß es Naturschutzkonzeptionen gibt, die insbesondere den Lebensraumschutz betreffen. Deswegen ist es besonders wichtig, diese Richtlinie für den Naturschutz umzusetzen. In der Richtlinie ist zu lesen, daß sich der Zustand der natürlichen Lebensräume im europäischen Gebiet unaufhörlich verschlechtert und daß dem vor allem mit der Einrichtung eines zusammenhängenden ökologischen Netzes Einhalt geboten werden muß. Die Bundesregierung hat diese Richtlinie unterschrieben, und jetzt ist sie nicht mehr bereit, europäisches Recht in deutsches Recht umzusetzen. Der Vermittlungsausschuß hat sich auf eine Gesetzesvorlage von Ministerin Merkel geeinigt; sie liegt heute auf dem Tisch. Nun haben die Koalitionsfraktionen in ihrer großen Weisheit beschlossen, dieses von ihrer Bundesumweltministerin und stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden mitgetragene Ergebnis abzulehnen. ({3}) Dieses Ergebnis hat Frau Merkel als ein echtes Vermittlungsergebnis bezeichnet. Damals konnten alle davon ausgehen, daß das den Bundestag passieren würde. Ich glaube, daß dieser Vorgang ziemlich einmalig ist: ({4}) Die Koalition lehnt ein von ihr zunächst akzeptiertes Vermittlungsergebnis im Bundestag ab und nimmt in Kauf, daß ihre Umweltministerin massiv beschädigt aus dieser völlig wirren Taktiererei hervorgeht. ({5}) Der Landwirtschaftsminister hat sich gleich selbst beschädigt, weil er erklärt hat, die FFH-Richtlinie komme ohne Ausgleichszahlungen nicht. ({6}) Heute kommt sie ja auch nicht. Aber Sie haben ja gleich mit beschlossen, daß der Vorschlag so, wie er heute auf dem Tisch liegt, dann, wenn er in vier Wochen wieder vorgelegt werden wird, von Ihnen mitgetragen werden würde, ({7}) so denn der Vermittlungsausschuß nicht zu einem anderen Ergebnis kommt. Jetzt müssen Sie mir einmal erklären, warum nach einem solchen Vorlauf der Vermittlungsausschuß zu einem anderen Ergebnis kommen sollte. ({8}) Hier geht es doch um Wahltaktik. Ich kann Ihnen sagen, was herauskommen wird: In vier Wochen, nach der Wahl, haben wir es dann wieder auf dem Tisch. Für wie dumm halten Sie eigentlich uns oder die Menschen in diesem Land? Das sieht doch ein Blinder, daß Sie - vor allen Dingen die F.D.P. - nur ein Ziel haben: Sie wollen glimpflich über die Landtagswahlen in Niedersachsen hinwegkommen. ({9}) Dafür hauen Sie Ihrer Umweltministerin die Faust in das Gesicht, und sie läßt sich das auch noch gefallen. ({10}) Ich sage Ihnen: Die große Volkspartei CDU läßt sich zum wiederholten Male von ihrem kleinen Koalitionspartner wie ein Tanzbär am Nasenring hier durch den Saal führen. ({11}) Ich frage mich, wer in Niedersachsen diesen Chaosklub eigentlich in politische Verantwortung wählen soll. ({12}) Ich möchte noch auf zwei weitere Punkte näher eingehen. Wie dringend die Umsetzung der FFH- Richtlinie ist, haben die Verurteilung durch den EuGH wegen Nichtumsetzung von EG-Recht ({13}) und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Januar 1998 zur A 20 gezeigt. Das BVG stellt ausdrücklich fest, daß der Planfeststellungsbehörde in Schleswig-Holstein keinerlei Verfahrensfehler vorzuwerfen sind; es bestünden aber in der Frage des Umgangs mit der FFH-Richtlinie erhebliche Rechtsunsicherheiten, weil die Bundesrepublik diese Richtlinie nicht umgesetzt hat. Sogar der Bundesverkehrsminister hat gestern noch erklären lassen, daß er auf eine ganz schnelle Umsetzung der Richtlinie drängt und selbige anmahnt. ({14}) Da frage ich: Wer regiert hier eigentlich? Und warum sagt Herr Wissmann das der Presse und nicht seiner Fraktionsführung? - Machen Sie Ihre Hausaufgaben, dann können Sie wiederkommen! ({15}) Sie haben sich jahrelang mit dem Argument zurückgelehnt, die Länder seien ja für den Naturschutz zuständig. Sie haben dabei ignoriert, daß Sie die europäische Richtlinie unterschrieben haben und daß Sie für deren Umsetzung zuständig sind. Sie haben jetzt von einem Bundesgericht und außerdem vom EuGH bestätigt bekommen, daß Ihr Handeln mangelhaft ist. ({16}) - Das unterlassene Handeln; so ist es. Sie haben offenbar nicht damit gerechnet, daß Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, auch einmal Projekte, die Sie gern voranbringen wollen, treffen könnten. ({17}) Bei dem zweiten Punkt handelt es sich um den eigentlichen Streitpunkt, nämlich um die Ausgleichszahlungen an die Landwirtschaft. ({18}) Daß sich nun ausgerechnet die selbsternannte Subventionsstreichungspartei F.D.P. an die Spitze der Bewegung setzt, ist, finde ich, der absolute Gipfel. ({19}) Sie haben daraus eine Grundsatzfrage gemacht. ({20})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will diesen Abschnitt erst zu Ende bringen. Sie können sich gleich noch einmal melden; Sie wissen ja, wie lange ich rede. Sie wollten mit einer Vorschrift im Bundesrahmenrecht den Ländern in die Tasche greifen ({0}) und erklären gleichzeitig, daß sie für Naturschutz nicht zuständig sind. ({1}) Ich bleibe jetzt bei Ihren Begrifflichkeiten, weil ich den entsprechenden Spruch von Ihrer Seite schon öfter gehört habe: Sie wollen die Musik bestellen, und die Länder sollen sie bezahlen. ({2}) Statt endlich dafür zu sorgen, daß die in die Landwirtschaft fließenden Millionen von Ländern, Bund und Europa in eine umweltfreundliche und naturverträgliche Landwirtschaft fließen, machen Sie hier einfach nur Klientelpolitik mit der Behauptung - Sie haben sie heute nicht aufgestellt, aber sie kommt gelegentlich -, 80 Prozent der Fläche der Bundesrepublik seien privaten Gärten vergleichbar und gehörten den Besitzern; Naturschutz könne man dort machen, wo man Lust dazu habe. ({3}) So geht es nicht! ({4}) Was ich aber für ein wirklich starkes Stück halte - hören Sie einmal zu, das tut Ihnen vielleicht gut -, ist, daß Sie den Eindruck vermitteln, die Länder wollten keine Ausgleichszahlungen tätigen, und zwar bei naturschutzbedingten Einschränkungen. Tatsache ist, daß zum Beispiel das Land Brandenburg im Jahr 40 Millionen DM aus diesen Gründen an die Landwirtschaft zahlt und das Land Hessen etwa 43 Millionen DM naturschutzbedingte Ausgleichszahlungen leistet. Darüber haben sich, nach dem, was ich mir habe sagen lassen, bisher die Landwirte nicht übermäßig beschwert, um nicht zu sagen: gar nicht beschwert, sondern sie sind damit recht gut gefahren. Aus diesem Grunde sind wir der Meinung, daß es bei dieser Regelung bleiben sollte.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Wir haben jetzt zwei Wünsche nach Zwischenfragen. Frau Peters steht noch an und Herr Carstensen.

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Sie sie hintereinanderschalten könnten, wäre ich Ihnen dankbar. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte schön, Frau Peters.

Lisa Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001696, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Mehl, ich hätte Sie gerne gefragt, ob ich Sie richtig verstanden habe. Sie haben eben von Subventionen gesprochen, als es um Ausgleichszahlungen für Ertragseinbußen ging. Betrachten Sie das wirklich als Subvention, wenn uns Landwirten nachgewiesene Ertragseinbußen ausgeglichen werden, weil wir Auflagen erfüllen müssen?

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da sind wir genau an dem Punkt, den man hier leider nicht ausführlicher behandeln kann. Da ist genau die Schnittstelle. Wir sagen: Wir zahlen Ausgleichsgelder an die Landwirtschaft, wenn sie nachweisen kann, daß sie durch naturschutzbedingte, über die Sozialpflichtigkeit des Eigentums hinausgehende Ertragseinbußen erleidet; dann sind wir bereit, zu zahlen, dafür fließen diese Mittel. Aber die Frage ist die Abgrenzung. In Ihrem Gesetzesvorschlag steht der Begriff der „guten fachlichen Praxis". Sie sind nicht bereit, zu definieren, was die gute fachliche Praxis in bezug auf den Naturschutz ist. Es reicht nämlich nicht aus, was da steht. Das ist genau unser Streitpunkt. Solange das nicht geklärt ist und solange Sie nicht bereit sind, eine Ökologisierung der Landwirtschaftspolitik anzuerkennen, und zwar nicht nur als Nischenpolitik, so lange sind wir auch nicht bereit, so etwas in das Bundesnaturschutzgesetz zu schreiben. Da gehört es so nicht hinein. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Wir haben jetzt nicht nur die Frage von Herrn Carstensen, sondern noch zwei weitere.

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist dann die letzte.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das ist die letzte. Gut, dann müssen die anderen beiden Kollegen bitte ihre Frage zurückziehen.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich, Frau Mehl, daß ich noch drankommen darf. ({0}) Ist Ihnen bewußt, daß Sie gerade eine Äußerung gemacht haben, die an sich ein bißchen verräterisch ist? ({1}) - Lieber Herr Schily, Sie sind Jurist. Dann wissen Sie wahrscheinlich nicht, daß eine Frage mit „W" anfängt. Ist Ihnen bewußt, daß Sie eine Bemerkung über die Sozialpflichtigkeit gemacht haben und über das, was über die Sozialpflichtigkeit des Eigentums hinausgehende Einbußen betrifft? Können Sie mir bitte einmal sagen, welche Unterschiede in Deutschland bei den Umweltministern der Länder hinsichtlich der Sozialpflichtigkeit gemacht werden? Können Sie bitte bewerten, wie die Sozialpflichtigkeit durch den Umweltminister in Schleswig-Holstein definiert wird, der sagt: Die Sozialpflichtigkeit in der Landwirtschaft geht extrem weit? Geht sie so weit, daß die Landwirte nicht mehr in der Lage sind, überhaupt noch in ihren Betrieben zu arbeiten?

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Carstensen, ich würde Ihnen vorschlagen, daß Sie zu diesem Thema eine Kurzintervention machen, weil Sie ganz genau wissen, daß die Antwort auf die Fragen, die Sie gestellt haben, mindestens eine Stunde dauern würde. Soviel Zeit habe ich nicht. Sie brauchen keine Sorge zu haben, daß ich mich hinter irgend etwas verstecke. Aber ich weiß, wie es im Naturschutz seit vielen Jahren zugeht und welche Position die Landwirtschaft in den letzten 15 Jahren eingenommen hat. In dem Zeitraum zwischen 1980 und 1990 haben wir es geschafft, zwischen Naturschutz und Landwirtschaft ein konstruktives Gespräch zu etablieren. Das fing 1990 an zu bröseln. Mit dem, was Sie hier vertreten und was Sie auch in den Medien öffentlich erklären, machen Sie alles kaputt, was da an Gemeinsamkeit geschaffen wurde. Deswegen kann ich Ihnen nur raten: Wenn Sie wollen, daß auch in der öffentlichen Meinung die Landwirtschaft Zuspruch von denjenigen erhält, die für den Naturschutz eintreten, dann reichen Sie die Hand, dann benutzen Sie nicht die Faust, so wie Sie es in der letzten Zeit - ich meine nicht Sie persönlich - gemacht haben. ({0}) Aber zu diesem Thema - das kann ich Ihnen versprechen - kommen wir noch, allerdings nicht heute. Sie hetzen mit Ihrer Art der Diskussion, mit der Sie hier verdecken, in welcher Bredouille Sie in der Koalition sind, daß Sie sich hier gegenseitig im Gehege sind, mit halbwahren oder unvollständigen Darstellungen völlig unnötig die Landwirtschaft auf den Naturschutz. ({1}) Das Schlimmste ist, daß Sie die Landwirte durch Ihr Nichtstun um EU-Mittel in Millionenhöhe bringen. ({2}) Seit 1996 ist ein europäisches Programm, nämlich LIFE, an Vogelschutzgebiete und FFH-Gebiete gebunden. Im Jahre 1996 ist wegen Nichtumsetzung der FFH-Richtlinie die Hälfte der deutschen Anträge zurückgewiesen worden. ({3}) Das ist die Wahrheit! Es ist mir, ehrlich gesagt, ziemlich unbegreiflich, warum der Präsident des Bauernverbandes verschweigt, daß die Landwirtschaft bereits Millionenbeträge aus dem Bereich des Naturschutzes bekommt. Man kann ja darüber reden, ob man es richtig findet, wie sie verteilt werden. Aber so zu tun, als gäbe es da überhaupt nichts, als würde sich der Naturschutz verweigern, finde ich wenig konstruktiv. ({4}) Auch finde ich, daß diese Haltung dem öffentlichen Ansehen der Landwirtschaft nicht besonders dienlich ist. Deswegen biete ich dem Bauernverband an, über diese Punkte außerhalb des Wahlkampfes konstruktiv zu reden. Die Taktik, die die Koalition hier jetzt angewendet hat - einen billigen, wahlkampfbezogenen Trick -, ist meiner Meinung nach für die gesamte Politik ein echter Schaden. Das bedauere ich sehr. ({5}) Ich halte abschließend fest: Erstens. Die Bundesregierung ist trotz bereits erfolgter Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof nicht bereit, europäisches Recht in deutsches Recht umzusetzen. Zweitens. Sie nimmt dafür in Kauf, daß die Bundesumweltministerin aus billigen, wahltaktischen Gründen massiv beschädigt wird. Drittens. Die Bundesumweltministerin und stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende ist von ihrem Kanzler und ihrem Fraktionsvorsitzenden im Regen stehengelassen worden. Das hat sie sich auch noch gefallen lassen. ({6}) Zum Schluß stellt sich mir deshalb nur noch die Frage, Frau Merkel: Wie stimmen denn Sie ab? ({7})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention der Abgeordneten Birgit Homburger, F.D.P.-Fraktion.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Mehl, ich möchte auf drei Punkte, die Sie genannt haben, kurz eingehen und sie aus unserer Sicht richtigstellen. Sie haben hier gesagt: Wer die Musik bestellt, bezahlt. - Sie verkennen dabei vollkommen, daß die Möglichkeit, Naturschutzgebiete auszuweisen, und die Verantwortlichkeit dafür bei den Ländern liegen. Wer Naturschutzgebiete ausweist und die Möglichkeit hat, zu bestimmen, wie groß sie werden und auf welche Höhe sich die Kosten aus eventuell daraus resultierenden Entschädigungen belaufen, ist der Ansprechpartner, der bezahlt. Wenn der Bund das bezahlen müßte, könnten die Länder ohne Beachtung von Argumenten und vor allen Dingen ohne Beachtung finanzieller Auswirkungen beschließen, was sie wollten. Der Vorwurf, den Sie immer wieder erheben, ist, so denke ich, überhaupt nicht gerechtfertigt. ({0}) Zum zweiten: Wenn Sie bereit sind, zu zahlen, wenn auch die SPD-regierten Bundesländer oder die rotgrün-regierten Bundesländer, wie sie immer behaupten, in diesen Fällen bereit sind, Entschädigungen für die Landwirte zu zahlen, dann frage ich Sie: Warum kann das nicht in ein Gesetz geschrieben werden? ({1}) Das haben Sie bis jetzt noch in keiner Weise erklärt. ({2}) - Ich habe Ihnen sehr gut zugehört. Der dritte und letzte Punkt: Sie haben sich hier hingestellt und sich darüber beschwert, daß wir nicht bereit gewesen seien, die „gute fachliche Praxis" zu definieren. Wir haben es in einem langen Verfahren, an dem Sie beteiligt waren, geschafft, die „gute fachliche Praxis" im Bundes-Bodenschutzgesetz festzulegen. Falls es Ihnen entgangen sein sollte: Wir hatten in der Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz ebenfalls einen Hinweis auf diese Bestimmung im Bodenschutzgesetz vorgesehen. Daß das Bundesnaturschutzgesetz nicht umfassend novelliert werden kann, liegt in Ihrer Verantwortung. Die SPD hat das Vorhaben zu Fall gebracht. Daß Sie sich jetzt hier hinstellen und sagen, die Bestimmung fehle nun bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie, kann ich nicht nachvollziehen. Sie müssen konsequent handeln und dürfen nicht erst das Vorhaben zu Fall bringen und sich anschließend hier hinstellen und Krokodilstränen vergießen. ({3})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Frau Abgeordnete Mehl, wollen Sie antworten? - Bitte schön.

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Homburger, ich habe geahnt, daß Sie trotz der langen, nun schon mehr als zehn Jahre dauernden Debatten - das Gesetz soll schon seit zehn Jahren novelliert werden; Herr Töpfer hat sich gehütet, das zu tun, weil er schon damals erkannt hat, wo der Hase im Pfeffer liegt - überhaupt nicht mitbekommen haben, wie sich die Diskussion geändert hat. Sie sagen, die Länder wollen nicht zahlen. Natürlich zahlen sie. Das habe ich eben gesagt. Aber der Spruch ging so: Sie bestellen die Musik. ({0}) - Richtig! Sie wollten etwas ins Bundesgesetz hineinschreiben, was die Länder zu bezahlen haben. ({1}) Das ist das erste. Das zweite ist: Sehr geehrte Frau Homburger, wenn Sie uns bei den Beratungen zugehört hätten, hätten Sie mitbekommen, daß wir gesagt haben - das habe ich eben auch schon einmal gesagt -, daß die Definition der „guten fachlichen Praxis", die im Bodenschutzgesetz steht, für den Naturschutz nicht ausreicht und daß wir deswegen eine andere Definition brauchen. Das ist das Minimum dessen, was in der Diskussion erreicht werden muß. Im übrigen weise ich Sie darauf hin, daß sich zum Beispiel das Land Bayern dagegen gewendet hat, dies im Bundesrecht zu ändern. ({2})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Wir haben eine weitere Kurzintervention des Abgeordneten KurtDieter Grill, CDU/CSU. ({0})

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Mehl, ich möchte zunächst einmal festhalten, daß Ihre Behauptung, die Länder zahlten, zumindest für Niedersachsen nicht gilt, weil dort gerade das Geld für das, was bisher als Vertragsnaturschutz verkauft wird, auf ein Drittel der Summe gekürzt wird, ohne daß die Landwirte konsultiert worden sind. Das ist das eine. ({0}) Das zweite ist: Aus dem, was hier gesagt wurde, könnte man möglicherweise den Schluß ziehen, den Frau Griefahn im Bundesrat gezogen hat, nämlich daß Sie in Wahrheit der Auffassung sind, daß Landwirte - so Frau Griefahn im Bundesrat -, die Ausgleichszahlungen erhalten wollen, Ladendiebe sind. Was Sie hier vorhin vertreten haben, entspricht eher dieser Auffassung. ({1})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Möchten Sie darauf antworten, Frau Abgeordnete Mehl? - Bitte schön.

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist die typische Taktik! Herr Grill ist bekannt dafür, daß er den Bundestag besonders gern zu einer Landtagswahlkampfarena macht. Ich behaupte, daß das, was Sie gesagt haben, nicht wahr ist, und fordere Sie auf, es mir nachzuweisen. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulrich Heinrich, F.D.P.-Fraktion. ({0}) - Dieses Wort wollen wir überhört haben.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Mehl, Sie gehören dem Hause lange genug an, um zu wissen, daß hier eine Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes gegeben ist. Wir schlagen nicht den Ländern die Höhe der Entschädigung vor, sondern dies soll nach Landesrecht gestaltet werden. Es soll keine generelle Entschädigung auf Grund der Flächenausweisung geben, sondern nach nachgewiesenen Einschränkungen und Belastungen der einzelnen Landwirte. Verbreiten Sie in diesem Raum doch nicht solchen Unsinn! Das glaubt doch kein Mensch. ({0}) Zum Schluß meiner einleitenden Bemerkung muß ich noch sagen - um mich danach der Sache zuzuwenden -: Es ist bemerkenswert, daß kein einziger Agrarpolitiker aus Ihrer Fraktion bei dieser Debatte weilt. Wo sind denn Ihre Agrarpolitiker? Die haben sich versteckt, weil sie sich Ihrer Ausführungen schämen. Das würde mir genauso gehen. ({1})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es muß hier ein bißchen ruhiger werden; sonst versteht man sein eigenes Wort nicht. Ich bitte um Aufmerksamkeit für den Abgeordneten.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erkläre hier für die F.D.P.: Wir sind für die Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht. Wir wollen das nicht verhindern. Wir sind für Natur- und Umweltschutz. Die Richtlinie ist auf europäischer Ebene gültig, und wir haben sie jetzt in deutsches Recht umzusetzen. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Kann man die Überkreuzgespräche jetzt bitte beenden!

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber eins muß klar sein: Die Umsetzung kann nicht gegen, sondern nur mit der Landwirtschaft vollzogen werden. Das müssen Sie sich merken. Folgende Fakten belegen, daß die Landwirtschaft bereit ist, in einer vernünftigen, freiwilligen Regelung Extensivierungs- und Umweltschutzmaßnahmen mitzutragen: 37 Prozent der Agrarfläche sind heute schon mit besonderen Naturschutz-, Umweltschutz- und Extensivierungsmaßnahmen belegt. Davon ist mehr als ein Drittel der gesamten Agrarfläche betroffen, und das funktioniert. ({0}) Meine Damen und Herren, wenn wir eine Richtlinie umsetzen, dann muß uns klar sein, daß mit dem Umsetzen europäische Zuständigkeit in deutsche Umweltgesetzgebung hineinreicht und Brüssel in diesen Fragen in Zukunft mehr mitredet als in der Vergangenheit. Darum ist es sehr wichtig, wie wir diese Umsetzung vornehmen. Wenn wir eine Einszu-Eins-Umsetzung, also eine direkte Umsetzung von europäischem Recht in deutsches Recht vornehmen, müssen wir sehr sorgfältig prüfen, ob das nach unserer deutschen Verfassung überhaupt erlaubt ist. Da sage ich Ihnen: Ich habe sehr große Bedenken. Das Parlament tut, wenn es sich um Eingriffe in das Eigentum handelt, gut daran, sehr sorgfältig zu prüfen und sehr genau hinzusehen, ob wir hier nur etwas in blindem Gehorsam umsetzen oder ob wir das mit deutschem Recht, mit der deutschen Verfassung in Einklang bringen können. ({1}) Ich sage Ihnen: Enteignungsvorgänge sind ausgleichspflichtig. Art. 14 des Grundgesetzes gewährleistet den Schutz des Eigentums durch geeignete Ausgleichs- und Entschädigungsregelungen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein?

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte meinen Gedanken mit einem Satz noch zu Ende bringen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte schön. Aber anschließend ist es gestattet.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Unter diesem verfassungsrechtlichen Aspekt, wonach das Eigentum in unserer Verfassung - Gott sei Dank - einen höheren Wert einnimmt als in Ihren Köpfen, müssen wir diese Frage hier sorgfältig prüfen. ({0}) Bitte sehr.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Heinrich, wollten Sie eben sagen, daß die Bundesregierung 1992 im Europäischen Rat bei ihrer Zustimmung zur FFH-Richtlinie nicht wußte, was sie tat? ({0})

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Richtlinie kann mit einer zusätzlichen Entschädigungsregelung umgesetzt werden. Hier ist deutsches Recht gefordert. Wir müssen jede europäische Richtlinie, die wir in deutsches Recht umsetzen, mit Blick auf unser Verfassungsrecht überprüfen. Sie werden mir doch wohl recht geben, daß eine Überprüfung dann nicht standhält, wenn Eingriffe in das Eigentum in der Art und Weise vorgenommen, wie das mit der FFH-Richtlinie geschieht. ({0}) Sie können sich drehen und wenden, wie Sie wollen: Es ist die Pflicht des Parlaments, die Regierung zu kontrollieren. Auch das sage ich ganz offen. Über das, was 1992 entschieden worden ist, haben wir noch nicht in der notwendigen Breite diskutiert. Das ist heute unsere Aufgabe, wenn wir diese Richtlinie in deutsches Recht übernehmen. Ich lasse mir als Parlamentarier nicht das Recht nehmen, hier mitzubestimmen. Gott sei Dank hat dieser Bundestag entsprechende Möglichkeiten, zuzustimmen oder nicht zuzustimmen. Meine Damen und Herren, vorhin wurde gesagt: Wer die Musik bestellt, der muß sie auch bezahlen. - Das ist richtig, Frau Kollegin Mehl. Aber die Länder bestellen die Musik. Die Länder sind für die Ausweisung der Gebiete zuständig. Ich betone noch einmal: Wir machen hier nur ein Rahmengesetz. Die Länder füllen es aus, und sie haben die Pflicht, die Ausweisungen vorzunehmen. Deshalb ist es nicht mehr als recht und billig - dort, wo der Bund keine direkten Einflußmöglichkeiten hat, sondern im Benehmen mit ihm Meldungen nach Brüssel nur weitergeleitet werden -, eine klare finanzielle Regelung zu schaffen. Das ist Ihr Denkfehler: daß Sie nicht erkennen, daß nicht der Bund mit der Rahmengesetzgebung, sondern die Länder mit ihrer Meldung von Flächen die Musik bestellen und sie deshalb auch bezahlen müssen. ({1})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Abgeordneter.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich stelle zum Schluß einfach noch einmal lapidar fest: ({0}) Die Opposition ist nicht bereit, bei Eingriffen in das Eigentum entsprechenden Ausgleich zu gewähren und das auch im Rahmen einer Rahmengesetzgebung des Bundes zu verankern. Dazu kann man nur sagen: Eigentumsfeindlicher geht es wohl nicht mehr. ({1})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bündnis 90/ Die Grünen.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eigentlich sollten Sie auch Rügen wegen Falschaussagen an den Kollegen Heinrich verteilen. Mit dem Ausgleich verhält es sich ja wohl nicht so - das hat Frau Mehl überzeugend dargelegt -, wie Sie meinen. ({0}) Das ist der erste Punkt: Wenn es auf den Machterhalt ankommt, ist der Bundesregierung jedes Mittel recht. Nicht nur der soziale Konsens, sondern auch der bisherige gesellschaftliche Konsens zur Erhaltung der Umwelt wird aufgekündigt. ({1}) Von wegen Konflikte ausräumen: Die rechtswidrige Verhinderung einer notwendigen Umweltpolitik in Form der Umsetzung der Artenschutz- und Naturschutz-Richtlinien wird hier gar zum Schutz der Eigentumsrechte von CDU/CSU und F.D.P. hochgejubelt. ({2}) Damit einher geht eine haltlose Panikmache. Sie erzählen das nämlich den Bauern, so daß sie glauben, sie würden enteignet und eine zweite Bodenreform erleben. ({3}) Das Ganze wird Ihnen selbst auf die Füße fallen, weil letztendlich auch Sie diese EG-Richtlinie, die 1992 unterschrieben wurde, umsetzen müssen. Seitdem war weiß Gott Zeit genug, um diese Umsetzung zu betreiben, statt den Leuten irgendeinen Scheiß zu erzählen. ({4}) Es geht Ihnen eigentlich nur darum, die Länder an den Pranger zu stellen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Frau Abgeordnete, der letzte Ausdruck war nicht sehr parlamentarisch.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- Mist, Mist! -, weil sie keinen Pauschal-Entschädigungsfreibrief für die zum großen Teil nur vermeintlichen Einschränkungen ausstellen wollen. Das ist der entscheidende Punkt. Es geht nicht darum, daß die Länder „die Musik bestellen" könnten. Das geht, Frau Homburger, auf Unkenntnis zurück oder ist eine Irreführung. Die Länder sind keineswegs in der Lage, die FFH-Gebiete nach ihrem Belieben auszuweisen, sondern diese Kriterien sind gemäß den EG- Richtlinien definiert. Es gibt vielleicht ein Vetorecht der Länder in bestimmten Fällen, aber es ist nicht so, daß die Länder dort ausweisen könnten, wo es ihnen gerade Spaß macht. ({0}) - Nein, Sie sollten die Richtlinie vielleicht einmal lesen. ({1}) Im übrigen ist ja auch die Diskussion um die A 20 genau auf diesen Faktor zurückzuführen. Es gab eine Entwicklung zum Positiven - das haben wir hier schon festgestellt -, die von Ihnen jetzt konterkariert wird. Selbstverständlich legen auch die Länder neue Programme auf, etwa Niedersachsen mit dem Wasserpfennig. Für die Eskalation des Konfliktes tragen die Bundesregierung, Frau Merkel und Landwirtschaftsminister Borchert die Verantwortung. ({2}) Die Verweigerung der Umsetzung der FFH-Richtlinie in nationales Recht hat eine unverantwortliche Rechts- und Umsetzungsunsicherheit geschaffen, ({3}) die die Landwirtschaft - und das sagt der BDI auch -, die Länder und Kommunen in eine zu Recht kritisierte Planungsunsicherheit bringt. ({4}) Ein zweiter Punkt: Die Umsetzung wurde ewig in die Länge gezogen, bis es nicht mehr ging. Abgelehnt wurden die Änderungsanträge von Bündnis 90/ Die Grünen und vom Bundesrat auf eine getrennte Umsetzung, die mehr Raum für eine Diskussion gegeben hätte und die drohende Zwangsgeldverhängung abgewendet hätte. Ein dritter Punkt betrifft die „gute fachliche Praxis", die nicht definiert worden ist. Wie sollen denn die Länder, wenn ein Automatismus festgeschrieben wird, festsetzen, was ein Entschädigungstatbestand ist, wenn noch nicht einmal eine Definition vorliegt? Richtig ist doch, daß eine naturschutzrechtliche Einwirkung nicht im Bodenschutzgesetz festgeschrieben werden kann, sondern in das Naturschutzgesetz gehört. ({5}) Damit verbunden sind doch schließlich auch finanzielle Forderungen und Rechtssicherheit für die Betroffenen, die Sie ihnen nicht geben wollen. Das Weitere ist, daß die Betroffenen noch nicht einmal ordnungsgemäß informiert worden sind. Auch diese Verpflichtung ist in den Richtlinien verankert. Zu den Betroffenen gehören die Wirtschaft, die Landwirtschaft und die Bevölkerung. Sie spüren, was es heißt, von der Umsetzung eines FFH-Gebietes betroffen zu sein. Das eben macht den Leuten angst. Auf dieser Basis wollen Sie nun Wahlkampf machen. Ich finde das schändlich! Des weiteren verweigert die Bundesregierung noch immer eine finanzielle Unterstützung mit dem Verweis auf die „Musik der Länder", die - wie ich eben schon gesagt habe - so nicht existiert.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heinrich?

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gleich. - Dabei stehen die Entschädigungsleistungen für die Landwirtschaft kaum im Vordergrund. Im Vordergrund steht die Realisierung der im Rahmen der FFH-Richtlinie geforderten Maßnahmen wie die Erfassung von Schutzgebieten, von Tier- und Pflanzenarten, das Erstellen von Bewirtschaftungsplänen und ihre Überwachung, die Verfassung von Berichten, die Information und die Koordination. Für die Umsetzung dieser Maßnahmen haben wir schon im Haushalt 1997 gefordert, daß entsprechende Gelder zur Verfügung gestellt werden. Das ist nicht passiert. Sie haben das abgelehnt, nicht wir. Diese mangelhafte Vorbereitung macht den Zugriff auf die Finanzförderungsprogramme zunichte. Dies geschieht auch zu Lasten der Landwirtschaft. Deutschland ist unter Ihrer Regierung ein Nachzügler auf dem Gebiet des Naturschutzes geworden. Dabei sind Naturschutz und Artenschutz Zukunftsaufgaben und nicht etwa irgendein Firlefanz. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Der Abgeordnete Heinrich steht noch immer da und möchte gern seine Zwischenfrage stellen.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, er darf es jetzt tun.

Ulrich Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000851, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, von Ihnen wird uns Wahlkampf vorgeworfen. ({0}) Ist Ihnen bekannt, daß wir 1994, nach der Bundestagswahl, den Grundsatz der Ausgleichspflicht in unser Koalitionspapier hineingeschrieben haben, daß wir das als eine grundsätzliche Frage betrachten, die man nicht beliebig variieren kann, und daß das Zusammenfallen der Beratung dieses Gesetzes, mit den demnächst stattfindenden Wahlen nur dadurch zustande kommt, weil die Verabschiedung des Gesetzes in Verzögerung geraten ist?

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das Gesetz ist deswegen in Verzögerung geraten, weil Sie selbst es verzögert haben. Das ist der eine Punkt. Der zweite ist, daß die Ausgleichszahlungen für Leistungen beispielsweise der Landwirtschaft, die über die Sozialpflichtigkeit des Eigentums hinausgehen oder die - wie die EU-Kommission sagt - besondere Leistungen sind, auf irgendeiner Grundlage definiert werden müssen. Solange Sie diese Grundlage nicht liefern und eine solche Festschreibung deshalb auch auf der Bundesebene nicht erfolgen kann, sind die Länder nicht in der Lage, einen pauschalen Freibrief zu erteilen. Das ist das ganze Problem. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Umsetzung der Artenschutz- und FFH-Richtlinie nicht weiter zu blockieren, den Vereinbarungen des Vermittlungsausschusses zuzustimmen - in diesen Vereinbarungen sind auch Öffnungsklauseln für die Landwirtschaft und die Entschädigung enthalten -, die Erpressung der Länder bezüglich eines Entschädigungsautomatismus fallenzulassen, im Rahmen der Novellierung des Pflanzenschutzgesetzes, die sich auch im Vermittlungsausschuß befindet, und einer Neuvorlage eines Bundesnaturschutzgesetzes die „gute fachliche Praxis " als Voraussetzung für die Unterstützung der Landwirtschaft zu definieren sowie die notwendigen Finanzen für die Umsetzung der FFH-Richtlinie durch eine Bundesbeteiligung bereitzustellen, wie es die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in einem Antrag zum Bundeshaushalt 1997 gefordert hat. Dazu haben Sie, Herr Repnik, gesagt, daß der Streitwert nicht hoch sei. Dann wollen wir doch mal sehen, was Sie in dieser Frage einbringen. Danke schön. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Frau Kollegin Homburger fühlt sich persönlich angesprochen und kann deshalb nach § 30 unserer Geschäftsordnung eine Erklärung abgeben.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, Sie haben mich angesprochen und gesagt, daß ich einmal die Richtlinien lesen solle. In der Tat gehört zum Erfassen eines Tatbestandes nicht nur das Lesen einer Richtlinie, sondern auch die Kenntnis der Zusammenhänge. In den Richtlinien steht, daß der Mitgliedstaat an die EU meldet. Mitgliedstaaten sind nicht die Länder. Allerdings ergibt sich nach Art. 75 des Grundgesetzes, daß für diesen Fall für den Vollzug der Gesetze die Länder zuständig sind. Somit legen die Länder fest, welche Gebiete zu Naturschutzgebieten werden. Sie reichen ihre Festlegungen der Bundesregierung ein, die diese dann nach Brüssel weitermeldet. All das gehört dazu, nicht nur das Lesen einer Richtlinie. Es geht nicht an, daß Sie nur die Richtlinie lesen und dann behaupten, die Bundesregierung sei zuständig. Was Sie sagen, ist unrichtig. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter, PDS.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kern der Auseinandersetzung im jahrzehntelang währenden Streit um die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes liegt im Verhältnis zwischen Naturschutz und Landbzw. Forstwirtschaft. Das ist eindeutig belegt. Im Gegensatz zur Agrarindustrie hat die natürliche Umwelt leider keine schlag- und finanzkräftige Lobby. Ehrenamtliche Naturschutzverbände können nur die öffentliche Meinung mobilisieren, während Bauernverbände und Chemiekonzerne engste Verbindungen zu Regierungskreisen und zur Parlamentsmehrheit pflegen - wie hier bewiesen. Der Widerstand der Koalition gegen ein zukunftsweisendes Naturschutzrecht hat nun seinen Höhepunkt erreicht. Trotz der drohenden 1,5 Millionen DM täglicher Strafgelder ist sie sich nicht zu schade, die überfällige rechtliche Umsetzung der FloraFauna-Habitat-Richtlinie mediengerecht - quasi auf Bauernfang in Niedersachsen - zu verzögern, indem diese mit der Ausgleichsdebatte verknüpft wird. ({0}) Die F.D.P. sagt in ihrer Presseerklärung vom Dienstag deutlich, worum es ihr geht: Die klare Ablehnung des schwererkämpften Vermittlungsergebnisses durch die Koalition wäre „agrar- und vor allem eigentumspolitisch die absolut richtige Entscheidung". Von Umweltpolitik findet sich kein Wort. Die F.D.P. hält die vorgesehene Ausweisung von 8,5 Prozent der Landesfläche Nordrhein-Westfalens entsprechend den FFH-Kriterien für ein „abschreckendes Beispiel" Da paßt es auch ins Bild, daß die Ausweisung neuer Naturschutzgebiete in Ostdeutschland durch großflächige Privatisierungen ökologisch wertvollster Flächen behindert wird. ({1}) Wir hatten in der letzten Woche eine Debatte darüber. Es soll alles verscherbelt werden, auch die NaEva Bulling-Schröter turschutzgebiete in den neuen Bundesländern. Ich sage es hier noch einmal: Das ist ein Skandal! ({2}) Die PDS wendet sich genausowenig gegen Ausgleichszahlungen an Land- und Forstwirte wie die Umweltverbände. Allerdings dürfen diese Zahlungen nicht zu Geschenken aus den Töpfen der Umwelthaushalte der Länder verkommen, wie es die Bundesregierung in ihrem Entwurf zur Naturschutznovelle vorhatte. Die Koalition hat in diesem Zusammenhang eine Verdummungskampagne entfacht. Es existieren nämlich Instrumente zum berechtigten Ausgleich. Man kann darüber diskutieren, ob die Höhe der Mittel ausreicht. Die Zahlungen werden auf Grund spezieller vertraglicher Vereinbarungen zwischen den Umweltministerien und betroffenen Landwirten geleistet. Teilweise erfolgen sie über regional begrenzte, pauschalierte Sockelbeträge, auf die dann noch speziellere vertragliche Vereinbarungen aufsetzen können. Dagegen will die Koalition an Landwirte für deren Flächen - egal, ob bewirtschaftet oder nicht, egal ob Acker, Brache, Wiese oder sogar Wald - pauschal Geld ausschütten - und das auch noch rückwirkend -, wenn diese innerhalb von Schutzgebieten liegen. Wir meinen dagegen: Wenn durch die Ausweisung von Naturschutzgebieten tatsächlich Verluste für Landwirte entstehen, dann sind diese selbstverständlich auszugleichen. Wir meinen aber auch, daß eine allgemeine Subvention zur Führung Ihres Wahlkampfes abgelehnt werden muß. Noch ein Wort zur Verbindung zwischen Bund und Land.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Kein Wort mehr. Es blinkt schon eine Zeitlang. Ihre Redezeit ist zu Ende.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Schade. Vielleicht das nächste Mal. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile jetzt das Wort der Bundesministerin Angela Merkel.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie alle wissen, daß ich mich in den vergangenen Tagen für eine Zustimmung zu dem Vermittlungsergebnis zur Umsetzung der FFH-Richtlinie eingesetzt habe. Ich habe dies nicht etwa deshalb getan, weil ich gegen Ausgleichsregelungen wäre. Ich bin nämlich sehr wohl der Meinung, daß Ausgleichsregelungen für die Landwirte von essentieller Bedeutung für die Akzeptanz des Naturschutzes sind. ({0}) Der Unterschied in unserer Auffassung hat seine Ursache in der Tatsache, daß ich nach dreijährigen Bemühungen und vielen kontroversen Diskussionen mit den Vertretern der Länder leider keine Aussicht auf Erfolg mehr gesehen habe. Ich möchte hier noch einmal ganz deutlich sagen - das hat auch Herr Heinrich gesagt -: Die Koalition wird europäisches Recht umsetzen. Sie wird die FFH-Richtlinie - unabhängig vom Ausgang eines neuen Vermittlungsverfahrens - umsetzen. Aber es geht hier darum, daß wir in einer wichtigen Frage eine größere Einigkeit bekommen, als wir sie bisher haben. Die Ausgleichsfrage ist von essentieller Bedeutung. Deshalb respektiere ich den Wunsch vieler Kollegen hier im Hause, zu sagen: Wir müssen alle unsere Möglichkeiten ausschöpfen, um zu versuchen, diesen Ausgleich für die Landwirte hinzubekommen. ({1})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Höfken?

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Nein, ich möchte die ganze Rede zusammenhängend halten.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Die ganze Rede keine Zwischenfragen?

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Ja. Natur- und Artenschutz sind Kernpunkte der Umweltpolitik dieser Bundesregierung und dieser Koalition. Aber Natur- und Umweltschutz brauchen die Akzeptanz der Menschen. Gerade im Naturschutz geht es um die Akzeptanz im ländlichen Bereich. Frau Mehl, Sie haben selber gesagt: Seit den 90er Jahren bröckelt der Dialog mit den Bauern. Warum?, frage ich. Deshalb, weil an vielen Stellen das, worauf ein Anrecht besteht, mißachtet wird, nämlich daß in dem Maße, wie Einkommenseinbußen entstehen - das sind keine Subventionen -, Ausgleich gezahlt wird, ({0}) und weil wir, gerade die städtische Bevölkerung, nicht das Recht haben, den Menschen, die von der Nutzung des Bodens leben, ihren Erwerb zu schmälern, der oftmals sowieso sehr kritisch ist. ({1}) Deshalb hat im übrigen auch die Europäische Union im Rahmen des Life-Programms genau das getan, was auch wir für richtig halten: Sie hat Gelder für Naturschutzmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Deshalb plädiere ich dafür, daß wir Deutsche diese Gelder nutzen. ({2}) Wir alle, die am Naturschutz interessiert sind, haben in den letzten Jahren - ich erinnere an die Wattenmeer-Konferenz - die Erfahrung gemacht, wie brenzlig die Stimmung vor Ort ist. Diese Wirkung müssen wir bekämpfen. Da glaube ich, daß vernünftige Ausgleichsregelungen eine gute Maßnahme sind. Ich sage auch noch einmal, daß unser Bundesprogramm mit den 40 Millionen DM jährlich für Strukturmaßnahmen im Naturschutz mit Ausgleichsmaßnahmen und Hilfen für die Landwirte der richtige Weg ist, solche Projekte zu schaffen, wie wir sie wollen. Ich stimme auch denen zu, die sagen, wir bräuchten die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, um Planungssicherheit zu haben. Wir haben das an dem Prozeß um die A 20 gesehen. Denn mein Ziel ist nicht, daß bei Herrn Steenblock die Sektkorken knallen, ({3}) weil die Autobahn um Lübeck nicht gebaut werden kann, sondern mein Ziel sind Berechenbarkeit und Planungssicherheit. Dafür ist auch die Umsetzung europäischen Rechts notwendig. ({4}) Liebe Frau Mehl und liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen, Sie haben sich in den vergangenen Tagen darüber empört, daß bei der Umsetzung dieser FFH-Richtlinie wiederum ein Zeitverzug eintritt. Ich habe am 4. Juli im Bundesrat, als die Gesamtnovelle des Bundesnaturschutzgesetzes leider gescheitert ist, so daß sie nicht umgesetzt werden konnte, gebeten, daß die Länder von ihrer Möglichkeit Gebrauch machen - ich hatte Herrn Steenblock persönlich angesprochen -, den Vermittlungsausschuß anzurufen, um gerade im Blick auf das europäische Recht eine schnelle Umsetzung möglich zu machen. Die Länder haben von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Deshalb möchte ich sagen: Gerade die, die heute laut rufen, wir bräuchten die FFH-Richtlinie schnell, haben damals gar nichts dazu beigetragen, daß es zu ihrer Umsetzung kommen konnte. Wir von der Bundesregierung haben den Vermittlungsausschuß angerufen, und wir werden auch dafür sorgen, daß die FFH-Richtlinie umgesetzt wird, wie es Europa erfordert. Herzlichen Dank. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist etwas unverständlich, Frau Ministerin Merkel, daß Sie uns die Fragen, die Frau Mehl konkret gestellt hat, nicht beantwortet haben, nämlich auf der einen Seite: Wie stimmen Sie ab? Und auf der anderen Seite: Wie ist Ihre Erklärung? Daß Sie sagen, die FFH-Richtlinie würde umgesetzt, müsse aber noch einmal den Vermittlungsausschuß durchlaufen, ist eine völlig inakzeptable Situation für dieses Parlament. Das müssen Sie einfach akzeptieren. ({0}) Entweder man stimmt heute dem Ergebnis des Vermittlungsausschusses zu, oder man gibt ein Angebot ab. Beides ist nicht passiert. Ich denke, das ist ein Sich-drehen-im-Kreise. Das sind interne Auseinandersetzungen, die wir hier austragen müssen, weil Sie die Leitbilddiskussion beispielsweise in der Landwirtschaft verpaßt haben. Das zweite. Sicherlich haben Sie recht, was die Konflikte mit den Bauern betrifft. Ich würde an Ihrer Stelle ganz gerne Herrn Minister Borchert beschimpfen, denn Sie bekommen immer alles ab; das finde ich auch nicht gerecht. Aber es ist natürlich auch eine verfehlte Agrarpolitik, die zu dieser Situation geführt hat. Die ganze Preissenkungspolitik, die letztendlich mit Naturschutz ausgeglichen werden soll, kann nicht funktionieren. Insofern an dieser Stelle ein Verweis auf die Agrarpolitik. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Ministerin, wollen Sie erwidern?

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Ja.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Frau Kollegin, erstens habe ich deutlich gemacht, daß ich den Wunsch der Koalition und des Parlamentes, von ihrem Recht, den Vermittlungsausschuß in einer solchen Frage anzurufen, Gebrauch zu machen, respektiere. Zweitens möchte ich ganz deutlich machen, daß die Fragen des Naturschutzes und der Umweltpolitik natürlich eng zusammenhängen und in der Agrarpolitik sehr wohl Vorkehrungen getroffen wurden, zum Beispiel mit der Verordnung 2078 für Vertragsnaturschutzmaßnahmen, die sehr wohl Maßnahmen im europäischen Bereich für den Zusammenhang von landwirtschaftlicher Nutzung und Umweltpolitik beinhaltet. Heute aber geht es darum, daß wir vor Ort - das wissen Sie genauso wie ich - Grabenkämpfe und hohe Emotionen darüber haben, daß die Bauern zum Teil Auflagen bekommen, die nicht ausgeglichen werden, und daß der Naturschutz je nach Haushaltslage einer der ersten Streichungsposten in einigen Bundesländern ist. Es hilft doch denjenigen, die sich für den Naturschutz einsetzen, überhaupt nichts, wenn wir gerade an diesen Stellen sparen. In der Sache kämen wir dadurch nicht voran. Die Umsetzung von Naturschutzmaßnahmen ist Länderaufgabe. Sie wird unterschiedlich gehandhabt, aber in einigen Ländern ist sie absolut nicht zufriedenstellend und wirft uns im Naturschutz eher zurück, als daß sie uns voranbringt. Deshalb sagen wir: Wir brauchen bundeseinheitliche Festlegungen, damit nicht jeder innerhalb der Rahmengesetzgebungskompetenz machen kann, was er will. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zu Zusatzpunkt 7: Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften. Berichterstatter ist der Kollege Michael Müller ({0}). - Ich höre jedoch, daß das Wort zur Berichterstattung nicht mehr gewünscht wird. Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/9638? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS abgelehnt. Wir kommen zu Zusatzpunkt 8: Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zum Schutz des Bodens. Berichterstatter ist die Kollegin Anke Fuchs. - Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht. Ich teile aber dem Hause mit, daß es zahlreiche Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung gibt, und zwar von den Kollegen Gert Willner, Hubert Deittert, Elke Wülfing, Karl-Josef Laumann, Freiherr von Schorlemer, Werner Lensing und Jürgen Augustinowitz.*) Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/9637? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die *) Anlagen 2 und 3 Grünen und PDS sowie einigen Gegenstimmen aus der CDU/CSU angenommen. ({1}) - Herr Kollege Kuhlwein, mein Wort „einige" steht jetzt im Protokoll und Ihr Zwischenruf „erhebliche" auch, also sind wir beide zufrieden. Wir kommen zu Zusatzpunkt 9, zur Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die besondere Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen. Berichterstatter ist der Kollege Dr. Heribert Blens. - Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht. Erklärungen liegen nicht vor. Das Wort zur Aussprache wird ebenfalls nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat wiederum gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/9641? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion sowie der Gruppe der PDS bei Gegenstimmen von Bündnis 90/ Die Grünen angenommen. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz zu erweitern. Über die Beschlußempfehlung soll, wie ich höre, sofort abgestimmt werden. Ist das Haus mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Damit rufe ich den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 13 auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({2}) zu dem Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes und des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesamtes für Strahlenschutz - Drucksachen 13/8641, 13/8958, 13/9543, 13/ 9771Berichterstattung: Abg. Dr. Peter Struck Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht. Erklärungen zur Abstimmung gibt es auch nicht. Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung wiederum beschlossen, daß im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/9771? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 10 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD Haltung der Bundesregierung zur Eignung des Termins 13. August 1998 für ein öffentliches Gelöbnis Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Walter Kolbow, SPD-Fraktion.

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Ihrer Ankündigung auf der CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth und der fortwährenden Bekräftigung, am 13. August 1998 in Berlin vor dem Roten Rathaus ein öffentliches Gelöbnis der Bundeswehr abhalten zu wollen, haben Sie, Herr Bundesverteidigungsminister Rühe, diese Aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag geradezu provoziert. ({0}) Es war und ist Ihre Absicht, die gelobenden Wehrpflichtigen und die Bundeswehr zum Instrument wahltaktischer Auseinandersetzungen zu machen. ({1}) Dafür haben Sie zwei Gründe. Erstens wollen Sie von Ihrer politischen Verantwortung für die zur Serie gewordenen Vorfälle mit rechtsradikalem Hintergrund in den Streitkräften ablenken. Zweitens wollen Sie dem politischen Gegner am Zeug flicken und ihn als Bösen an den Pranger stellen, weil er gegen den 13. August und gegen öffentliche Gelöbnisse überhaupt ist, wenn es zu nicht gewaltfreien Protesten in Berlin kommt. ({2}) Sie wissen genau, daß Sie mit dem Termin am 13. August in Berlin spalten. ({3}) Das wird aus vielen Diskussionen vor Ort, in Zeitungskommentaren und Leserbriefen deutlich. Auch in der Bundeswehr wird dies artikuliert. ({4}) Aber Sie nehmen das billigend in Kauf. Mehr noch, dies ist Ihre Absicht, Herr Bundesminister der Verteidigung. ({5}) Sie wollen Ihren Bezug herstellen zwischen den Gelöbnissen und den besorgniserregenden Vorfällen in der Bundeswehr. Sie versuchen, stellvertretend die ganze Gesellschaft für die Entwicklung in der Bundeswehr verantwortlich zu machen. Das wird Ihnen aber nicht gelingen. Denn diese Bundeswehr ist mit unserer Unterstützung in unserer Gesellschaft fest verankert. ({6}) Öffentliche Gelöbnisse, die nur durch größten Polizeischutz abgehalten werden können, bringen Unfrieden und tragen nicht dazu bei, die Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft zu festigen. ({7}) Der Umgang mit Gelöbnissen, insbesondere die Wahl des Ortes und des Zeitpunktes, erfordern besonderes Fingerspitzengefühl. In Deutschland ist nach den verherenden Kriegen dieses Jahrhunderts der Gebrauch tradierter Formen der Militärgeschichte nie unproblematisch. ({8}) Ein solches Zeremoniell, wie es das feierliche Gelöbnis darstellt, muß positive öffentliche Wirkung haben, um seinem Zweck zu dienen. ({9}) Daran sind alle derartigen Veranstaltungen zu messen. Gelöbnisse in der Öffentlichkeit dürfen nicht zu Gegendemonstrationen und Gewalt führen, angesichts der sich die Bundeswehr hinter einem riesigen Polizeiaufgebot verstecken muß. ({10}) Weder den beteiligten Soldaten - es sind unsere jungen Wehrpflichtigen - noch den sie schützenden Polizeibeamten ist solch eine unwürdige Situation zuzumuten. ({11}) Der 13. August ist kein geeignetes Datum für ein öffentliches Gelöbnis der Bundeswehr in Berlin. ({12}) Der Mauerbau vor 37 Jahren erinnert an die schmerzhafte deutsche Teilung, an die brutale Wirklichkeit des kalten Krieges, die Berlin zerrissen und Leid für die Menschen gebracht hat. Der Mauerbau war eine massive Verletzung der Menschenrechte ({13}) und ein Akt brutaler staatlicher Willkür, in deren Folge Menschen durch das Grenzregime auch ermordet wurden. ({14}) Der 13. August war eine Niederlage für die Demokratie, ja, der Demokratie. Vor diesem Hintergrund, ({15}) in den, Herr Feilcke, nicht nur die große Politik, sondern auch verletzte Gefühle und Trauer um verpaßte Lebenschancen einfließen, hat die Planung eines öffentlichen Gelöbnisses in Berlin etwas Herbeigeredetes und Erzwungenes. ({16}) Auch das Verhältnis eines gelernten DDR-Bürgers zum 13. August - es hat mich sehr beeindruckt, was gestern im Verteidigungsausschuß vom Kollegen Ortleb dazu gesagt worden ist - ist gespalten. Das Gefühlsspektrum muß doch toleriert werden. Herr Rühe meinte dazu, daß Menschen aus der früheren DDR, die wegen ihrer Befindlichkeit den 13. August als Datum für ein öffentliches Geblöbnis ablehnen, noch nicht angekommen seien. Welche Hybris verordnen Sie? Die Richtigkeit von Geschichte und von Gefühlen der Menschen im Zusammenhang mit Geschichtsdaten? ({17}) So ist es wieder einmal mehr Georg Leber gewesen, der in der „Bild am Sonntag" geschrieben hat: Es ist aber eine Frage politischer Klugheit und politischer Verantwortung, ob ein Gelöbnis in der heißen letzten Phase des Bundestagswahlkampfes in der Mitte von Berlin sinnvoll ist oder nicht.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zeit, Herr Kollege.

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine letzten Sätze, Herr Präsident. Die Anordnung eines Gelöbnisses ist ein militärischer Befehl, zu dem der Bundeskanzler - auch der hat sich noch eingemischt ({0}) im Frieden nicht befugt ist. Indem er sich persönlich darauf festbeißt, wird das Ereignis zu einem Politikum, und - ob er es will oder nicht: Das Gelöbnis erhält wegen des Zeitpunktes, des Ortes und der Art, wie es verlaufen kann, völlig unnötig einen politischen, parteipolitischen und auch provozierenden Stellenwert. Dafür und im übrigen auch für die gesamte negative Entwicklung in unseren Streitkräften trägt dieser Bundesminister der Verteidigung die Verantwortung. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Paul Breuer, CDU/CSU.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte um das feierliche öffentliche Gelöbnis junger Wehrpflichtiger in Berlin scheint groteske Formen angenommen zu haben. ({0}) Ich denke, daß der Beitrag des ansonsten sehr geschätzten Kollegen Kolbow ein beredtes Beispiel dafür war. ({1}) Wenn ich diese Rede einmal analysiere, dann ist es offenbar so, daß es beim feierlichen öffentlichen Gelöbnis in der Hauptstadt Berlin - ({2}) - Das bitte ich zu Protokoll zu nehmen. Der Kollege Kolbow hat gerade gesagt: „Ein Heuchler spricht". ({3}) Ich bin bereit, vieles hinzunehmen. Das aber ist unter dem Niveau, auf dem wir normalerweise miteinander zu verkehren pflegen. ({4}) Da es beim feierlichen öffentlichen Gelöbnis in Berlin offenbar nur um die Terminfrage geht und nicht darum, daß junge deutsche Staatsbürger in der deutschen Hauptstadt vor der gesamten deutschen und auch der internationalen Öffentlichkeit ihr Gelöbnis auf unsere freiheitliche Verfassung abgeben, ist das Schauspiel, das die SPD hier bietet, unwürdig. ({5}) Meine Damen und Herren, in unserer Gesellschaft sind nicht allzu viele in die Pflicht genommen, sich notfalls unter Einsatz von Leib und Leben für Frieden und Freiheit einzusetzen. Treue zum Staat, Verteidigung von Recht und Freiheit - sind das etwa keine Werte, für die es sich lohnt, öffentlich einzutreten? ({6}) Anstatt sich an dieser zentralen Frage zu orientieren, verzettelt sich die SPD in der Frage des passenden Termins. ({7}) Ich behaupte: Alles ist nur vorgeschoben. ({8}) In Berlin wird die SPD den Ansprüchen einer Hauptstadtpartei in keiner Weise gerecht. ({9}) Es wäre eine Beleidigung für die Provinz, sie dort als Provinzpartei zu bezeichnen. ({10}) Schlimmer aber ist, daß sie heute hier in Bonn auch noch Unterstützung dafür erhält. ({11}) Eine besondere Qualität hat auch das, was an Diskussion, an Theater in Hamburg stattfindet. Was vor 21 Jahren unter Bundeskanzler Helmut Schmidt und Verteidigungsminister Georg Leber möglich war, ({12}) nämlich ein Gelöbnis auf dem Rathausmarkt durchzuführen, ist heute offenbar verpönt. ({13}) Herr Kollege Kolbow, Sie haben sich gestern im Verteidigungsausschuß von Ihren Genossen in Hamburg distanziert. Dies habe ich heute hier im Plenarsaal des Deutschen Bundestages vermißt. Ich weiß, Hamburg ist Ihnen peinlich. Und wenn Sie nach dem Konsens der Demokraten fragen: Stellen Sie den Konsens einmal in Ihrer eigenen Partei her, Herr Kollege Kolbow! ({14}) Es ist für die große Volkspartei SPD beschämend, ({15}) wie sehr sie sich - da verweise ich auf Hamburg - in einer Koalition von den Grünen instrumentalisieren läßt. Es wird deutlich, daß Sie in einer rotgrünen Koalition in den Fragen der Verteidigungs- und der Sicherheitspolitik absolut unberechenbar werden, soweit Sie es überhaupt jemals waren. ({16}) Wenn Sie, meine Damen und Herren Kollegen von der SPD, darauf verweisen - dies hat Herr Struck gestern gemacht -, daß die SPD-Verantwortlichen in Berlin am 13. August - ein geeignetes Datum - zu Gedenkfeiern anläßlich des Mauerbaus gehen, dann fühle ich mich persönlich angesprochen. Ich erinnere mich daran, Herr Kollege Scharping, in den 70er Jahren als Mitglied der Jungen Union an solchen Demonstrationsveranstaltungen gegen die Mauer teilgenommen zu haben. Ich habe damals allerdings festgestellt, daß die Jungsozialisten - das sind die SPD-Verantwortlichen von heute - Flugblätter verteilt haben, in denen sie uns als „kalte Krieger" bezeichneten. ({17}) Wir haben gegen die Mauer demonstriert, als sie stand, und Sie bezeichneten uns als „kalte Krieger". Die Juso-Fahnen wehten rings um uns herum. Die Juso-Fahnen in Berlin beim öffentlichen Gelöbnis am 13. August werden beim Pöbel sein, der gegen die Veranstaltung demonstriert. Um das zu vertuschen, führen Sie diese Diskussion. ({18})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Liebe Frau Kollegin Fuchs und verehrter Kollege Kolbow, Sie sind beide lange genug im Parlament, um zu wissen, daß die Bezeichnung eines Kollegen mit dem Wort „Heuchler" jenseits der parlamentarischen Ordnung liegt. Beachten Sie das bitte! ({0}) - Er hat niemanden persönlich angesprochen. Wenn ich Ihnen das noch einmal erläutern darf: Wenn identifizierbar ist, daß eine solche Bezeichnung auf eine bestimmte Person gemünzt ist, dann gilt das außerhalb dieses Parlaments als Beleidigung und hier im Parlament als wichtig genug, daß dies einen Ordnungsruf nach sich zieht. Jetzt die Kollegin Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja nicht ungeschickt, Herr Rühe, wie Sie die Gelöbnisse in die öffentliche Debatte gebracht haben, um von Ihren eigenen Problemen und denen der Bundeswehr abzulenken. ({0}) Sie hoffen auf eine Langzeitwirkung in den Wahlkampf hinein. Ich muß Sie aber leider enttäuschen: Das wird nicht funktionieren, nicht in diesem Stil, nicht bei dem Rumgeballere. Zu offensichtlich ist Ihr Versuch und der der Koalition, die Bundeswehr wahlkampftaktisch in Beschlag zu nehmen, sie zu instrumentalisieren. Es wird Ihnen auch nicht gelingen, damit die sachliche Aufklärungsarbeit über rechtsextremistische Vorfälle in der Bundeswehr zu torpedieren. ({1}) Sind Sie wirklich so naiv, zu glauben, daß durch militärisches Zeremoniell in der Öffentlichkeit die Armee demokratisch integriert wird? Gerade durch solche Veranstaltungen, die in der Vergangenheit - es ist erwähnt worden - nicht selten von einem riesigen Polizeiaufgebot begleitet wurden, ({2}) machen Sie die Bundeswehr besonders für jene attraktiv, die Sie - so sagen Sie jedenfalls - gar nicht haben wollen, nämlich für Menschen mit rechtsextremem und nationalautoritärem Gedankengut. Weil dies so ist und weil Ihr Wunsch, ausgerechnet zum Jahrestag des Mauerbaus, am 13. August, ein öffentliches Gelöbnis in Berlin zu erzwingen, von politischer Instinktlosigkeit zeugt, ist öffentlicher und demokratischer Protest gegen das Gelöbnis mehr als gerechtfertigt. Wir werden uns beteiligen. ({3}) Mit Ihren pauschalen Diffamierungen der Kritiker und Kritikerinnen, die das von Ihnen gewählte Datum und den Ort aus sehr guten Gründen nicht akzeptieren, zeigen Sie lediglich, daß Sie den Stil demokratischer Auseinandersetzungen nicht beherrschen. Die Kritiker und Kritikerinnen nehmen ein selbstverständliches Recht in einer Demokratie wahr und wehren sich gegen den Verfall der politischen Kultur. Und das ist gut so. ({4}) Daß die Traditionalisten in der Bundeswehr noch nie etwas mit demokratischen Tugenden am Hut hatten, das ist bekannt. Ausgesprochen bedauerlich aber ist, daß Sie, Herr Rühe, sich - trotz aller verbalen Bekundungen - in der Praxis zu diesem Kreis gesellen. ({5}) Sie haben ja recht, Herr Minister Rühe, wenn Sie sagen, daß die Grünen grundsätzlich gegen Gelöbnisse auf öffentlichen Plätzen sind; denn wir sind überzeugt: Gelöbnisse gehören in die Kasernen. ({6}) - Das sage ich Ihnen gerne: Die Bundesrepublik ist eine zivile Gesellschaft, in der nicht Sekundärtugenden wie Disziplin und Gehorsam zählen, sondern selbstbewußtes und eigenverantwortliches Auftreten. Deshalb appelliere ich an Sie: Verzichten Sie auf Ihre Gelöbniskampagne - man muß wissen: bis zum 13. August gibt es immerhin 66 öffentliche Gelöbnisse, mit denen Sie den Druck eskalieren lassen wollen -, die dazu dient, die Relegitimierung von Militär und seine interventionistischen Aufgaben in der Gesellschaft durchzusetzen! Versuchen Sie nicht, das Auslaufmodell Wehrpflicht mit öffentlichen Gelöbnissen rechtfertigen zu wollen! Andererseits gibt es einen Vorschlag von Ihnen, den wir gut finden: die gläserne Kaserne. Das ist durchaus interessant, nur, nicht im Hinblick auf die Gelöbnisse. Versuchen Sie doch nicht, die Kasernen auf die Marktplätze zu verlegen. ({7}) Ich schlage Ihnen vor: Verfolgen Sie den Gedanken der gläsernen Kaserne weiter, und zwar in dem Sinne, daß wir endlich sicher sein können, daß die Verherrlichung der Wehrmacht nicht länger in Traditionsräumen der Bundeswehr betrieben werden kann! ({8}) Ein öffentliches Gelöbnis am Tag des Mauerbaus, Herr Rühe, ist nichts anderes als eine politische Demonstration. Sie ist eine Provokation für alle, die des Tages des Mauerbaus mit Ruhe, Ernsthaftigkeit und Trauer gedenken wollen statt mit militärischem Tschingderassabum. ({9}) Wer sich in den öffentlichen Raum begibt, Herr Minister Rühe, muß auch öffentliche Kritik vertragen können, muß in der Lage sein, auch mißliebige Stimmen auszuhalten. Gerade hierin - das haben Ihre Reaktionen deutlich gemacht - fehlt Ihnen leider die demokratische Toleranz. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Günter Nolting, F.D.P.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Beer, ich weise Ihre Aussage zurück, die Sie gerade gemacht haben, ({0}) die Bundeswehr werde für Rechtsextreme und Rechtsradikale attraktiv gemacht. Sie sollten sich schämen! ({1}) Die Bundeswehr ist die Streitkraft unserer Demokratie. Frau Kollegin Beer, das haben Sie vielleicht auch vergessen. ({2}) - Die Bundeswehr ist die Armee des Parlaments Herr Kollege Scharping, das ist richtig - und sie ist durch und durch mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung verbunden. Ich hätte mich gefreut, wenn auch dazu aus Ihren Reihen etwas gekommen wäre. ({3}) Die Bundeswehr ist jünger als dieser deutsche Staat und von ihm in dem Bewußtsein geschaffen worden, daß Freiheit, Demokratie und Menschenrechte immer wieder verteidigt werden müssen. Deswegen haben die Freien Demokraten im letzten Jahr in ihr Wiesbadener Grundsatzprogramm unter anderem aufgenommen - ich zitiere -: Wer es ablehnt, Frieden und Freiheit zu sichern, notfalls auch mit militärischen Mitteln, läßt die Menschen im Stich. Wir sagen dazu: Wir lassen die Menschen nicht im Stich, und unsere Bundeswehr tut es auch nicht. ({4}) Sie hilft, wo sie nur helfen kann, und dies hat sie in den letzten 40 Jahren immer wieder bewiesen. Meine Damen und Herren, diese Bundeswehr hat das Recht, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Niemand darf ihr das ernsthaft bestreiten und erst recht nicht die Vertreterin der Grünen. ({5}) Mein Bundesvorsitzender Dr. Wolfgang Gerhardt hat dazu gesagt: Eine Armee der Demokratie muß auch Gelöbnisse auf Plätzen der Demokratie abhalten können. Er war - das zeigt die Debatte heute - leider gezwungen, diese Tatsache, die eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, erneut auszusprechen, weil das Verhältnis von Teilen der Opposition zur Bundeswehr zutiefst gespalten ist. Dafür haben wir heute ja wieder einige Bestätigungen bekommen. ({6}) Ich will hier daran erinnern, daß es die Bündnisgrünen nach wie vor als programmatisches Ziel betrachten, die Bundeswehr und übrigens auch die NATO abzuschaffen. ({7}) Die sprachliche Relativierung, die es in letzter Zeit dazu gegeben hat, ist nichts anderes als weiße Tünche. Ich will auch daran erinnern, daß meine Vorrednerin in einer Presseerklärung unter der Überschrift „Grüne gratulieren der Bundeswehr nicht" mitteilte: Erst dann, nach der Abschaffung der Bundeswehr, haben wir einen wirklichen Grund zum Feiern. ({8}) Wen wundert es, daß Vertreter einer solchen Haltung die Bundeswehr nicht sehen möchten, weder öffentlich noch nichtöffentlich? Ich bedaure es, daß sich die SPD hier hat einbinden lassen, sich hier hat fesseln lassen. Das beweist wohl auch die heutige Aktuelle Stunde. ({9}) Ich bedaure dies, weil es sich bei der Sozialdemokratie um eine wichtige Kraft handelt, die in der Geschichte durchaus Verdienste um diese Bundeswehr hatte. Ich betone „hatte" und erinnere an die ehemaligen Verteidigungsminister Schmidt, Apel und Leber. Aber, Herr Kollege Kolbow, ich weise den törichten Vorwurf zurück, wir wollten mit Ort und Terminierung eines Gelöbnisses Wahlkampf machen. ({10}) Gehen wir noch einmal auf den 13. August 1961 ein. An diesem Tage geschah tiefes Unrecht. Das SED-Regime mauerte die Deutschen im östlichen Teil unseres Landes ein. Es war das Eingeständnis der Ohnmacht gegenüber dem Grundrecht auf Freizügigkeit. Fast 30 Jahre später aber siegten Recht und Freiheit, die Mauer stürzte und kurz nach ihr das SED-Regime. Deutsche diesseits und jenseits der eingerissenen Mauer erhielten die Chance, nach über 40 Jahren Trennung wieder in einem Staat zusammenzufinden. Die Bundeswehr, die entschieden für Recht und Freiheit eintritt, stand an der Spitze dieses Einigungsprozesses; sie erhielt den Qualitätsstempel „Armee der Freiheit". Frau Kollegin Beer, wenn Sie hier von einer Demonstration gesprochen haben, dann haben Sie recht: Es ist eine Demonstration für Recht und Freiheit. ({11}) Deshalb halte ich es für richtig, daß junge Wehrpflichtige, die die Existenz der schändlichen Mauer als Kinder erlebt haben, am Jahrestag des Mauerbaus öffentlich geloben, daß sie das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer verteidigen wollen. Ich sage aber auch: Es gibt zweifelsohne auch andere Daten, die dazu gleichermaßen geeignet wären. Lassen Sie uns deshalb, Herr Kollege Kolbow, geGünther Friedrich Nolting ureinsam dafür eintreten, daß auch an solchen Tagen öffentliche Gelöbnisse in unserem Lande stattfinden. Ich appelliere deshalb an Sie, an die SPD, mit der Koalition darüber einen Konsens herzustellen. Ich fordere Sie noch einmal auf: Lösen Sie sich von den ideologischen Fesseln der Grünen! Stehen Sie mit uns fest zur Bundeswehr, damit die Irritationen, die es in der Bundeswehr gibt, wieder beseitigt werden können! Das wäre in Ihrem Sinne und im Sinne der SPD, Herr Kollege Kolbow, und es wäre in unserem Sinne. Es wäre aber vor allen Dingen im Sinne der vielen Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr. Vielen Dank. ({12})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Gerhard Zwerenz, PDS. ({0})

Gerhard Zwerenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002833, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Nolting, wenn ich mir das Vokabular Ihrer Rede in das Gedächtnis zurückrufe, muß ich sagen: Diese Rede hätten Sie auch vor 10 oder 20 Jahren halten können. Es ist eigentlich eine Rede aus dem kalten Krieg. Man merkt an ihr überhaupt nicht, daß Zeit vergangen ist. ({0}) Es ist das Vokabular des kalten Krieges. ({1}) Auch die „ewige Mauer" kam vor. Sie wissen doch ganz genau, daß es wieder genügend Leute gibt, die eine um drei Meter erhöhte Mauer wieder aufbauen wollen. Auf beiden Seiten wachsen derartige Stimmungen nach. Darauf sollten Sie einmal eingehen. Ich muß überhaupt einmal fragen: Was ist das eigentlich für eine Partei, die in einer Zeit, in der es Millionen von Arbeitslosen gibt, nichts anderes zu tun hat, als über Waffen, über die Bundeswehr und über Gelöbnisse zu sprechen? ({2}) Man muß sich einmal vor Augen halten: Was ist das für ein Jahrhundert? Man muß sich einmal fragen, wie viele Eide geleistet wurden, die sich als Meineide herausstellten, wie viele Schwüre geleistet wurden, die sich als falsche Schwüre herausstellten, und wie viele Gelöbnisse es gegeben hat. Wissen Sie nicht, daß auch die NVA Gelöbnisse durchgeführt hat? Unter uns sind so viele, die in der NVA Gelöbnisse abgelegt haben, die sich gegen den Westen richteten. Jetzt werden Gelöbnisse mit einer umgekehrten Stoßrichtung abgelegt. Vergessen Sie doch einmal diese Geschichte, die ja so glücklich ausgegangen ist. ({3}) - Freiheit; in der Tat. Aber wo ist denn hier das Wort Freiheit gefallen? Sie reden doch nur von Waffen und Soldaten. Sie sind doch nur an dem militärischen Aspekt interessiert, nicht an dem der Freiheit. ({4}) - Ja, „unmöglich". Hier werden immer nur solche Sachen möglich gemacht; es ist endlich an der Zeit, daß so etwas unmöglich gemacht wird. Über den 13. August 1961 läßt sich natürlich sprechen. Da muß auch Aufklärung geleistet werden. Es wäre auch darüber zu sprechen, welchen Grund Herr Adenauer eigentlich gehabt hat, so lange nicht zur Mauer zu gehen. Es wäre darüber aufzuklären, wie sehr damals Westdeutschland überrascht worden ist. Aber man kann doch nicht aufklärend wirken, indem man Soldaten auf einen Platz schickt und dann auf sie als Stellvertreter alles ablädt. Die Soldaten wissen doch darüber gar nichts. Wir haben doch gestern erst im Verteidigungsausschuß erlebt, wie wenig darüber, auch bei Offizieren, bekannt ist. Ich bitte Sie! Natürlich wäre auch das Datum des 20. Juli ein möglicher Termin; mir persönlich gefiele er besser. Aber dann muß ich schon wiederum fragen: Weshalb scheuen Sie sich denn eigentlich, an Orte von Konzentrationslagern, Zuchthäusern und Hinrichtungsstätten zu gehen? Dort kann man den Soldaten zeigen, was es heißt, einen falschen Eid zu leisten. Man kann ihnen auch klarmachen, daß sie ein Gelöbnis ablegen und damit eventuell etwas ganz anderes verbinden. Aber man muß wissen, was einem solchen Eid nachfolgen kann, wie viele Eide und Meineide in diesem Jahrhundert geleistet worden sind. Nach Dachau, wo Niemöller eingesperrt war, nach Buchenwald, wo Thälmann ermordet worden ist und worüber Kogon sein Buch „Der SS-Staat" konzipiert hat, nach Bergen-Belsen, wo Anne Frank gestorben ist, nach Papenburg, wo Ossietzky eingesperrt gewesen ist und wo das Lied von den Moorsoldaten entstanden ist, nach Torgau, wo über tausend Deserteure hingerichtet worden sind, dort können Sie meinetwegen Bundeswehrsoldaten hinschicken. ({5}) Darüber ließe sich noch reden. Das sind die eigentlichen Orte, zu denen man gehen kann und an denen man geloben kann: Nie wieder Rassismus; nie wieder Nationalismus! Diese Bundeswehr ist eine Armee des Friedens! Aber eine solche Haltung haben sie bis heute noch nicht gezeigt; vielmehr machen sie kalten Krieg und provozieren Parteienstreit. Sie legen Gelöbnisse auf solche Termine, daß ein Teil dieses Volkes das nicht akzeptieren kann. Das ist das Schäbige an der Wahl dieses Termins. Danke. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat Herr Bundesminister Rühe.

Volker Rühe (Minister:in)

Politiker ID: 11001897

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, daß es uns in der Debatte doch noch gelingt, klarzumachen, worüber wir uns einig sind und worüber wir uns nicht einig sind. Gestern haben auf dem Rathausplatz von Lebach mitten in der Stadt fast 300 junge Rekruten aus acht Bundesländern unter großer öffentlicher Anteilnahme - mehrere tausend Bürger und Eltern - ihr Gelöbnis abgelegt. Sie haben versprochen, was vor ihnen bereits mehr als 10 Millionen Soldaten seit 1957 gelobt haben, nämlich unserem Land treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Ich habe den jungen Männern gesagt - ich wiederhole das hier ganz bewußt im Plenum -: Heute legen wir stellvertretend für das ganze deutsche Volk den Schutz unserer Freiheit auch in Ihre Hände. Ich habe mich gefreut, daß der Ministerpräsident des Saarlands seinen Kultusminister geschickt hat, der ausdrücklich darum gebeten hat, die Front als eine Geste gegenüber den Soldaten abzuschreiten. Auch der Landtagspräsident war da. ({0}) - Hören Sie doch einmal zu! ({1}) - Das Thema ist eben, daß wir uns nicht einig sind, daß öffentliche Gelöbnisse überall in Deutschland mitten in der Stadt, so wie gestern, durchgeführt werden können. ({2}) Darüber müssen wir uns zunächst unterhalten. Dann sprechen wir über Berlin und über den Termin. ({3}) Öffentliche Gelöbnisse sind in vielen Städten unseres Landes eine bewährte Tradition. Immer wieder bitten mich Minister, Abgeordnete, Bürgermeister und Stadträte um ein Gelöbnis in ihrer Heimatstadt. Das war in Berlin nicht anders. Ich habe im übrigen nirgendwo ein Gelöbnis durchgeführt, zu dem ich nicht eingeladen gewesen wäre. Wer noch ein bißchen Erinnerung hat, wird sich vielleicht entsinnen können, daß ich in den letzten Jahren eher bremsend gewirkt, vorsichtig angefangen habe und auch mit dem ersten Gelöbnis in der Leber-Kaserne kritisiert worden bin. Warum nicht gleich am Pariser Platz? Das haben wir aus guten Gründen so gemacht. Als wir vor dem Schloß Charlottenburg mit dem Bundespräsidenten ein öffentliches Gelöbnis durchgeführt haben, hat sich gezeigt, daß es auch dort gewalttätige Demonstranten und Leute gab, die sich dagegen gewehrt haben. Deswegen ist es falsch, diese Auseinandersetzung an einem Termin festzumachen. Vielmehr müssen wir zur Kenntnis nehmen: Es gibt in unserem Lande Kräfte, auch in diesem Parlament - ich denke an die Grünen -, die diese Form der öffentlichen Verpflichtung ablehnen. Das muß in aller Deutlichkeit angesprochen werden. Öffentliche Gelöbnisse sind ein Teil der Tradition der Bundeswehr. Wir waren uns doch darüber einig, daß die Tradition der Bundeswehr wieder stärker in den Mittelpunkt gerückt werden sollte. Es ist ein ernstes, würdevolles Ereignis, bei dem sich unsere Soldaten zu ihrer besonderen Verantwortung bekennen, eine Verantwortung, die auch den äußersten Fall einschließt, nämlich notfalls ihr Leben für Frieden und Freiheit unseres Landes zu geben. Es gibt im Laufe des Jahres einige hundert Gelöbnisse. Die meisten haben mit einem symbolträchtigen Termin überhaupt nichts zu tun. ({4}) - Hören Sie doch einmal in Ruhe zu, damit wir einmal feststellen können, in welchen Punkten wir uns einig sind und in welchen nicht. ({5}) Sehr viele finden auf großen, zentralen öffentlichen Plätzen statt. Das hat überhaupt nichts mit Waffengeklirr und Säbelrasseln zu tun. Das ist kein Relikt aus der verstaubten Traditionskiste, sondern es ist eine gute Tradition der Bundeswehr. Wir nehmen sie mit der Wehrpflicht, die dieses Haus zu verantworten hat, in die Pflicht. Dann müssen wir ihnen für ihren schwierigen Dienst auch den Rückhalt geben. Diesen haben Sie zu Recht von uns zu erwarten. ({6}) Das heißt, es geht hier um den Kern unseres Verständnisses von der Bundeswehr als Armee der Bürger. Es wäre doch geradezu absurd, wenn die Armee der Bürger irgendwelche geheime Zeremonien hinter den Kasernenmauern veranstalten würde. Nein, das Gelöbnis findet in der Mitte der Stadt statt. Jeder soll hören, was dort gesprochen wird. Jeder soll sehen, wie dieses öffentliche Gelöbnis abgehalten wird. Ich finde, darüber sollten wir uns alle einig sein, wenn wir wollen, daß es eine Armee ist, die tief in der Gesellschaft integriert ist. Es geht also um den Kern unseres Verständnisses von der Bundeswehr. Mit der Teilnahme bezeugt unsere Öffentlichkeit den Soldaten Respekt - das vermisse ich bei den Grünen, Frau Beer -, den unsere Soldaten als Staatsbürger in Uniform verdienen. ({7}) Das Verständnis haben Sie, lieber Herr Kollege Klose, Herr Präsident, 1977 beim großen öffentlichen Gelöbnis - damals übrigens noch zusammen mit einem Zapfenstreich - vor dem Hamburger Rathaus gezeigt, als Sie dieses Gelöbnis als „demokratische Solidarität mit unseren Streitkräften" bezeichnet haben. Ich kann das nur voll unterstreichen. ({8}) Ich frage mich: Warum ist diese ganz normale demokratische Solidarität heute nicht mehr möglich? Viel wichtiger als alles andere ist, daß wir uns, Herr Scharping, darüber verständigen, daß es auch in diesem Jahr überall in Deutschland, in der Mitte der Bürgerschaft, in der Mitte der Städte möglich ist, öffentliche Gelöbnisse durchzuführen. Ich werde alle Ministerpräsidenten - bekanntlich regiert die SPD zur Zeit in vielen Bundesländern - wie auch die verteidigungspolitischen Sprecher ansprechen, dort Gelöbnisreden zu halten. Bei den beiden wichtigsten und größten öffentlichen Gelöbnissen, die ich für alle Teilstreitkräfte in Bordenau durchgeführt habe, um an Scharnhorst zu erinnern, haben einmal Herr Klose, Vizepräsident des Deutschen Bundestages, und ein Jahr danach der ehemalige Verteidigungsminister Leber Reden gehalten. Soweit zu der parteipolitischen Unausgewogenheit. Das waren die beiden wichtigsten und größten öffentlichen Gelöbnisse, die ich durchgeführt habe. ({9}) Ich muß Ihnen sagen: Alle Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland waren sich einig - egal, aus welcher Partei sie kamen -, daß Gelöbnisse eine wichtige Tradition sind. Ich erinnere mich noch an den Pöbel hier in Bonn gegen das öffentliche Gelöbnis, das Hans Apel dennoch mutig durchgeführt hat. Ich frage mich: Sollen wir 20 Jahre später vor solchem Pöbel zurückweichen? Ich finde es falsch, eine so wichtige und gute Tradition aufzugeben. ({10}) Es gibt im übrigen kaum einen besseren Ort für öffentliche Gelöbnisse als den Rathausplatz. Das Rathaus steht wie das Parlament für den Bürgerwillen und unser demokratisches Selbstverständnis. Ich komme zu Berlin. Da gilt das in besonderem Maße. Ich habe immer gesagt: Am Pariser Platz haben wir die Verbündeten verabschiedet. Deshalb finde ich es eine zu pathetische Geste, das Gelöbnis dort abzuhalten. Ich finde, auch am Gendarmenmarkt läßt sich auf Grund der Architektur kein normales Gelöbnis durchführen. Auch dort wäre es sehr pathetisch. Darüber habe ich mit einigen diskutiert. Ich fand deshalb den Vorschlag, der aus Berlin gekommen ist, gut, das Gelöbnis mitten in Ostberlin vor dem Roten Rathaus durchzuführen. Wer ein bißchen Geschichte kennt, weiß: Am 6. September 1948 wurden die gewählten Vertreter aller demokratischen Parteien Berlins von den Kommunisten gewaltsam aus diesem Rathaus vertrieben. Erst 1990 konnten die frei gewählten Vertreter der wiedervereinigten Stadt erneut in das Rote Rathaus einziehen. Deswegen sind dieses Rathaus und der Platz davor ein Symbol und ein Mahnmal für die Einheit und Freiheit ganz Berlins und hervorragend geeignet, um ein öffentliches Gelöbnis durchzuführen. ({11}) Ich fand die Diskussion im Ausschuß über das Datum für das Gelöbnis sehr bewegend. Herr Thierse, Sie haben kein Monopol. Professor Ortleb hat geschildert, wie er nach dem 13. August in der Klasse - und das war seine einzige Möglichkeit - das Lied „Gedanken sind frei" angestimmt hat. Herr Zwerenz und andere haben geschildert, wie es war, als er die DDR nicht mehr betreten durfte. Andere haben geschildert, wie es war, als sie die DDR nicht mehr verlassen konnten. ({12}) - Ja, ist ja gut. In dem Punkt haben Sie meinen Respekt. ({13}) - Nein, er hat meinen Respekt, daß er als früherer Kommunist den Mut aufgebracht hat zu opponieren. Das muß man respektieren. Ich fand das sehr bewegend. Wenn Sie sich einmal die Briefe der Bürgerrechtler, die ich bekommen habe, anschauen, Herr Thierse, dann werden Sie feststellen: Die finden es sehr wohl richtig, das Gelöbnis am 13. August durchzuführen. ({14}) - Da sollten Sie von der SED bzw. PDS gar nicht lachen. Ich finde das schlimm. Hier ist eine gute Diskussion entstanden; ({15}) die kann auch weitergeführt werden. Unsere Armee ist die Armee der Einheit und der Freiheit. Das ist der Kontrapunkt zum 13. August. Daran muß man doch erinnern dürfen. ({16}) Mich hat der 17. Juni politisiert. Sonst wäre ich heute wahrscheinlich gar nicht hier. Der 17. Juni hat mich zur Politik gebracht. Natürlich können wir im nächsten Jahr am 17. Juni, Herr Scharping - das geht auch im Zusammenhang mit den EinberufungstermiBundesminister Volker Rühe nen -, in Berlin eine Veranstaltung durchführen. Wenn es hinsichtlich der Einberufung technisch möglich ist, können wir das auch am 20. Juli machen. Ich glaube, es gibt niemanden, der mehr gemacht hat als ich. Ich habe die größte Kaserne Berlins nach Julius Leber benannt. Darum hat mich niemand gebeten. Es war mein eigener Wille. Ich gehe deswegen auch als Verteidigungsminister in den Bendlerblock, weil ich mich zum deutschen Widerstand bekenne. Ich finde, es gibt mehrere geeignete Termine. Dazu gehört auch der 13. August. Vielleicht hat die Debatte auch ein Gutes, nämlich daß wir uns gegenseitig berichtet haben - jedenfalls haben wir im Verteidigungsausschuß damit begonnen -, wie wir den 13. August erlebt haben. Dort legen 19jährige junge Männer ihr Gelöbnis auf das wiedervereinigte Deutschland ab. Diesen muß die Zeitgeschichte klar werden. Für die gehört das Jahr 1948, in dem die Kommunisten das Rote Rathaus plattgemacht haben, fast zum Mittelalter. Für die ist auch der 13. August, über den wir unsere Geschichten erzählen können, ganz weit weg. Ich finde, was in Hamburg geschieht, ist eine schlimme Sache. Herr Scharping, manche Dinge dürfen nicht von der Zusammensetzung einer Koalition abhängig sein. Es gibt bestimmte Dinge - die Bundeswehr gehört dazu -, die in der Kontinuität gleich behandelt werden müssen. ({17}) Wenn Hamburg von Rotgrün regiert wird, mag das den Hafen und die Wirtschaft treffen. Aber es geht nicht an, daß die Bundeswehr unterschiedlich behandelt wird, je nach dem, welche Parteikonstellation es gibt. ({18}) Deswegen ist es meine herzliche Bitte, daß man zu einer sachlichen Diskussion zurückkehrt. Niemand denkt daran, es zu einer Tradition zu machen und dies immer am 13. August durchzuführen. ({19}) Ich habe das eben auch deutlich gemacht. Aber diejenigen, die für öffentliche Gelöbnisse mitten in unseren Städten sind, bitte ich noch einmal, dies in diesem Jahr deutlich zu machen. Wir verlangen viel von unseren Soldaten, und die Soldaten haben es verdient, daß wir sie unterstützen. Ich danke Ihnen. ({20})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Thierse, SPD.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Bemerkung vorweg Herr Rühe - ich will das grundsätzlich sagen -, Sie brauchen die SPD über ihr grundsätzlich positives Verhältnis zur Bundeswehr und ihr Ja zu öffentlichen Gelöbnissen nicht zu belehren. ({0}) Dies ist auch nicht Gegenstand der heutigen Debatte. Wir sind uns vielleicht auch noch darüber einig, daß bei Fragen der Traditionspflege und bei der öffentlichen Selbstdarstellung der Bundeswehr ein besonderes Ausmaß historischer und politisch-psychologischer Sensibilität gefragt ist. Nichts ist hier falscher als das Brecheisen und der Holzhammer. Hier ist auch immer der Konsens der demokratischen Parteien notwendig. Den haben Sie verletzt, indem Sie zusammen mit Herrn Diepgen für Berlin ein Datum festgelegt haben, ohne die andere demokratische Partei in die Überlegungen einzubeziehen. Sie haben dies also zum Gegenstand der heutigen Debatte gemacht. Sie haben es zu einem Parteienstreit gemacht, indem Sie so vorgegangen sind. Sie können jetzt nicht den Spieß umdrehen. ({1}) Ich will Ihnen jetzt noch einmal in aller Ruhe zur Sache sagen, warum ich und, wie ich meine, sehr viele Berliner und sehr viele Ostdeutsche den 13. August für ein falsches Datum halten. ({2}) Der 13. August steht für eine Niederlage, deren Opfer die Berliner und die Ostdeutschen waren. ({3}) Hier ist zunächst und vor allem die Politik der Sowjetunion und ihrer militärischen Macht, aber auch die des SED-Regimes gescheitert, das die Bevölkerung einsperren mußte, weil sie sie nicht anders im Lande hielt. Dies war das Dokument des endgültigen Scheiterns dieses politisch-ideologischen Versuchs. Gescheitert war aber auch die westliche Politik der Zurückdrängung, der rhetorischen Konfrontation. Die Folgen brauche ich nicht zu schildern: bittere menschliche Schicksale, Trennung von Familien, Tote an der Mauer, dreißigjähriges Eingesperrtsein. Deshalb - das werden Sie doch verstehen - ist dieser Tag ein Tag der traurigen Erinnerungen und der bitteren Gefühle der Berliner und der Ostdeutschen und eben auch der assoziierten Bilder - daran habe ich erinnert - von Kampfgruppenaufmärschen. Darauf hinzuweisen, was in unseren Berliner und ostdeutschen Köpfen und Herzen vor sich geht, was darin steckt und was am 13. August wachgerufen wird, heißt eben nicht, Bundeswehr und Kampfgruppen miteinander zu vergleichen, ja gleichzusetzen, sondern setzt den Unterschied voraus. An diesem Tag geht es wegen der menschlichen Realität dieses Datums nicht. Dies muß man in Erinnerung rufen. ({4}) Wer mir unterstellt, ich würde hier eine Gleichsetzung machen, der betreibt eine böswillige, verfälschende, verleumderische Interpretation und setzt sich dem Verdacht aus, dieses Gelöbnis eben doch parteipolitisch zu Wahlkampfzwecken zu mißbrauchen. ({5}) Natürlich, Herr Rühe, haben Sie recht: Der 13. August gehört niemand. Ich habe ihn nicht für mich alleine in Anspruch genommen. Ich habe auf die menschliche Realität dieses Tages hingewiesen. Sie müssen uns nicht belehren, was wir zu tun haben. Aber wer ausgerechnet diesen 13. August will, einen Tag, der für ganz viele Menschen so negativ besetzt ist, der muß positive Argumente angeben: Warum ausgerechnet an diesem Tage? Das habe ich bisher nicht gehört. Sie schreiben ja selber und haben es hier in Erinnerung gerufen: Dieses Datum steht für Unfreiheit, Diktatur und gewaltsame Teilung. Die Herbsttage, 3. Oktober, 9. November, 9. Oktober, die stehen für Befreiung, Einheit und Neuanfang. ({6}) Ich will abschließend sagen: Man dient der Bundeswehr und ihrer bleibenden, immer neu zu bestärkenden Integration in die demokratische Gesellschaft nicht, wenn man den Konsens der demokratischen Parteien absichtsvoll verletzt und sich rücksichtslos, ja arrogant gegenüber Erinnerungen und Gefühlen wichtiger Teile unserer Bevölkerung verhält. ({7}) Deswegen bitte ich Sie noch einmal: Suchen Sie den Konsens der Demokraten! Es geht nicht um den Ort, es geht nicht um die Stadt, es geht nur um dieses Datum. Das ist ein ernsthafter Appell, den ich an Sie richte. Dies ist das falsches Datum, mit den falschen, bitteren und traurigen Erinnerungen und Gefühlen sehr vieler Berliner und sehr vieler Ostdeutscher. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Jochen Feilcke, CDU/CSU.

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Was ist daran falsch, an einem Tag der Unfreiheit ein Bekenntnis für die Freiheit abzulegen?" ({0}) Das fragte Generalmajor von Kirchbach in einer öffentlichen Veranstaltung in meinem Wahlkreis Kreuzberg/Schöneberg. Natürlich weiß jeder hier im Hause, daß nichts daran falsch ist. Deshalb bezog sich die Kritik Ihrer Fraktions- und Landesvorsitzenden aus Berlin, Herr Thierse, logischerweise nicht auf den 13. August wegen seiner Bedeutung, sondern die Kritik war: Der Tag liegt zu nahe am Wahltag. Genau das war die Kritik; das andere wurde nachgeschoben. ({1}) Es geht Ihnen in der Tat um Wahlkampf. ({2}) Frau Holzhüter, die Berliner SPD-Führung fürchtet offensichtlich negative Auswirkungen auf das Wahlergebnis, wenn junge Sozialdemokraten an Störaktionen gegen das Gelöbnis beteiligt sind. ({3}) Der Sprecher der „Kampagne gegen Wehrpflicht" erklärt zu diesem Thema: Es wird niemals Normalität sein, ein öffentliches Gelöbnis durchzuführen. Das ist ein öffentliches Ärgernis, und es wird Widerstand geben. Der Landesvorsitzende der Jungsozialisten in Berlin, der junge Sozialdemokrat Linnekugel, fügt hinzu: Die Beteiligung der Jungsozialisten an Aktionen gegen dieses Gelöbnis ist selbstverständlich. ({4}) Davor fürchten Sie sich; das verstehe ich. Meine Damen und Herren von der SPD, sorgen Sie einmal für einen Konsens in Ihrer Partei! Es war wirklich angenehm zu hören, daß Herr Scharping gesagt hat, er werde kommen. Ich bin der Meinung, alle sollten kommen. Sie sollten sich darum bemühen, daß diejenigen, die sich am Gelöbnis stören, daran teilnehmen, es aber nicht stören. Sorgen Sie dafür, daß junge Sozialdemokraten nicht gegen öffentliche Gelöbnisse mobil machen! Wie soll denn eine Vereinbarung über Ort und Zeit eines öffentlichen Gelöbnisses im Konsens erfolgen, wenn Sie nicht einmal in der Lage sind, innerhalb Ihrer eigenen Partei den Konsens herzustellen? Ich akzeptiere doch, daß es in unserer Gesellschaft Gruppen gibt, die etwas gegen die Bundeswehr äußern und auch etwas gegen die öffentliche Darstellung der Bundeswehr haben. ({5}) - Aber, Frau Kollegin Beer, es ist schlimm, wenn sich Volksvertreter oder auch Kandidaten für den Bundestag öffentlich zur Bundeswehr so äußern, daß diese Bundeswehr genauso in der Tradition der deutschen Wehrmacht wie die PDS in der der SED steht. ({6}) - Das ist mein nicht verehrter Gegenkandidat Ströbele, der sich darum bemüht, einen Spitzenplatz auf der Liste Ihrer Partei in Berlin zu bekommen. Ich finde es auch unerträglich, wenn Sie, Frau Kollegin Beer, sagen, die Bundeswehr habe es sich zur Aufgabe gemacht, die Wehrmacht zu verherrlichen. ({7}) Das sind alles Vorgänge, die ich nicht akzeptiere. Nun hat der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Herr Thierse, der sich rechtzeitig vor der Bundestagswahl auch in Berlin zurückmeldet, eine Verbindung zwischen den Kampfgruppen der DDR und dem Auftreten der Bundeswehr vor dem Berliner Rathaus in Berlin-Mitte - und nicht Ostberlin, Herr Minister - hergestellt. ({8}) - Wer sich so äußert, muß sich nicht wundern, wenn er so verstanden wird. ({9}) Ist Ihnen eigentlich klar, daß Sie mit dieser Bezugnahme einerseits die Kampfgruppen, nämlich die Mauerbauer, verharmlosen und andererseits die Bundeswehr schmähen? ({10}) Es ist übrigens kein Zufall, daß sich Angehörige der Bundeswehr, die vorher in der NVA gedient haben, durch diese Inbezugnahme besonders beleidigt fühlen. Sie haben es mir jedenfalls mehrheitlich so gesagt. Es ist deshalb ganz logisch, daß der Herausgeber der „Berliner Zeitung" zu Ihrer Äußerung schreibt: „Thierses Vergleich ist schlicht unsinnig"; ich sage: unanständig. ({11}) Meine Damen und Herren, am 19. August 1961, sechs Tage nach dem Beginn des Mauerbaus, bekräftigte der damalige Vizepräsident der USA im Namen seines Präsidenten vor dem Berliner Abgeordnetenhaus und dem Senat das Engagement der Amerikaner mit den Worten: Für das Überleben und die schöpferische Zukunft dieser Stadt haben die Amerikaner in der Tat das verbürgt, was unsere Vorfahren bei der Schaffung der Vereinigten Staaten verbürgt haben: unser Leben, unser Gut und unsere heilige Ehre. Sind Sie, meine Damen und Herren, nicht auch der Meinung, daß unsere jungen Soldaten - vielleicht sind sogar Söhne von Mauerbauern dabei - in dieser Tradition genau am Jahrestag des schrecklichen Mauerbaus, nachdem die Berliner in ihrem unbeugsamen Freiheitswillen die Mauer zunächst eingedrückt und dann beseitigt haben, versprechen sollten, Recht und Freiheit des deutschen Volkes, und zwar aller Deutschen, ob sie dafür oder dagegen sind, tapfer zu verteidigen? ({12}) Richard von Weizsäcker sagte am 20. Jahrestag, am 13. August 1981: Die Mauer ist das Bauwerk gegen Menschen schlechthin. Sie ist die versteinerte Zwangsabsage der Politik an die Menschlichkeit. Dennoch und eben deshalb ist sie, so lange sie steht, der tägliche Beweis, daß die Zusammengehörigkeit lebt, die sie vergessen machen will.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zeit, Herr Kollege!

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich füge hinzu, Herr Präsident: Nicht nur die Zusammengehörigkeit und der Einheitswille leben dauerhaft, sondern auch der unbeugsame Wille, Recht und Freiheit durchzusetzen und, wenn wir sie erreicht haben, tapfer zu verteidigen. Der 13. August wird niemals ein Tag der Freude sein können. Er bleibt immer ein Tag der Verpflichtung. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Rudolf Scharping, SPD-Fraktion.

Rudolf Scharping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002769, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Es geht offenkundig nicht mehr darum, über ein Datum und einen geeigneten Ort für ein öffentliches Gelöbnis zu reden, um sich gegenseitig zu überzeugen und Argumente verständlich zu machen, sondern offenkundig geht es darum, getroffene Entscheidungen zu begründen, zu rechtfertigen, und im Zweifel auch darum, sich gegen ungerechtfertigte Vorwürfe zu wehren, so wie sie beispielsweise soeben gegen Wolfgang Thierse erhoben worden sind. ({0}) Wenn das der Charakter der Debatte ist, macht es ja wenig Sinn, Herr Kollege Rühe, Sie noch einmal an einige Dinge zu erinnern: Die Bundeswehr ist eine Armee in der Demokratie. Sie gehört nicht der Bundesregierung, sondern wird nur von ihr befehligt. Es wäre klug gewesen, gerade auch angesichts der Erfahrungen mit Gelöbnissen in Berlin, im Parlament zwischen den Fraktionen - so wie wir es bei anderen Dingen, die problematisch werden können ebenfalls handhaben - einmal über diese Dinge miteinander zu reden. ({1}) Aber offenkundig geht Ihr Verständnis ja nicht dahin, daß die Bundeswehr die Streitmacht des ParlaRudolf Scharping ments ist; vielmehr haben Sie offenkundig ein anderes Verständnis. Wenn es wahr ist, daß die Bundeswehr Armee in der Demokratie ist, dann ist es eine gute Tradition, daß sie nicht nur gesellschaftlich, zum Beispiel durch die Wehrpflicht, verankert ist, sondern auch, daß sie ihre Verpflichtungen für das Land insgesamt und die Menschen, die in ihm wohnen, öffentlich dokumentiert. Das kann dadurch geschehen, daß man die Öffentlichkeit in Kasernen einlädt; das kann dadurch geschehen, daß öffentliche Gelöbnisse auf Marktplätzen oder andernorts stattfinden. Ich unterstütze das ausdrücklich - und mit mir tut das die SPD-Bundestagsfraktion -, weil öffentliche Gelöbnisse demonstrieren, daß diese Armee, daß diese Bundeswehr von der Gesellschaft nicht abgesondert ist, sondern ein wichtiger Teil von ihr ist. ({2}) Herr Bundesverteidigungsminister, ich warte gespannt darauf, ob Sie in den nächsten Wochen jenes kleine Stück Souveränität aufbringen, das dazu gehört, eine einmal getroffene Entscheidung zu überprüfen und im Zweifel zu korrigieren. ({3}) Wenn das alles richtig ist - es ist unbestreitbar richtig; ich brauche Sie nicht an entsprechende Urteile des Bundesverfassungsgerichtes zu erinnern - wäre es wirklich gut, wenn man gerade bei solchen, sehr demonstrativ gedachten Daten und Orten zunächst den Versuch machen würde, miteinander zu reden und ein Einverständnis zu finden. ({4}) - Verehrter Herr Kollege, noch nicht einmal in einer Kompanie, geschweige denn in einer politischen Partei, ist eine hundertprozentige Einigkeit herzustellen. Das geht nicht. Ich strebe es auch nicht an. Im übrigen möchte ich Ihnen folgendes sagen: Ich habe noch nie wegen einer nationalistischen nahe am Rechtsextremismus befindlichen Äußerung einzelner CDU-Mitglieder die ganze CDU für nationalistisch oder sich in der Nähe des Rechtsextremisus befindend oder sonstwas gehalten, niemals! ({5}) Es ist ja interessant, wie Sie argumentieren. Die Identifizierung einer ganzen Partei mit der Meinung einer Minderheit und die Infragestellung ihrer Glaubwürdigkeit dadurch, daß Sie versuchen, ihr insgesamt kleine Minderheiten aus dieser Partei ({6}) mit einer abseitigen Meinung „auf die Backe zu kleben", ist doch genau der Beweis dafür, wie taktisch Sie denken und wie taktisch Sie argumentieren. ({7}) Jetzt möchte ich zum Bundesverteidigungsminister zurückkehren und Sie bitten, sich folgendes zu überlegen: Es gab ja vor zwei Jahren das Gelöbnis in Berlin. Ich stimme Ihnen zu, daß es in Berlin und vielleicht in der einen oder anderen großen Stadt in Deutschland auch gar nicht möglich sein wird, ein öffentliches Gelöbnis durchzuführen, ohne gleichzeitig Krawalle, Demonstrationen und Ärger zu haben. Das ist meine Einschätzung. Ich bedaure, daß es so ist, wie es ist. Damit hat man sich auseinanderzusetzen. Wenn es so ist, daß man in Berlin und vielleicht auch in anderen Städten mit solchen Auseinandersetzungen rechnen muß - die Erfahrung spricht leider dafür -, dann wäre es um so dringender notwendig gewesen, im Sinne einer wohl abgewogenen Sorgfalt miteinander darüber zu reden, welcher Ort und welches Datum geeignet ist. ({8}) Es wäre nach den Erfahrungen, die wir vor zwei Jahren gemacht haben, auch im Interesse der Bundeswehr und gerade der Wehrpflichtigen gut gewesen, ein öffentliches Gelöbnis in Berlin am 20. Juli durchzuführen, ({9}) um auch der kritischen Öffentlichkeit deutlich zu machen, was der entscheidende Teil der Tradition ist und auf welche einzelnen Persönlichkeiten der Wehrmacht die Bundeswehr zurückgreift. Dies sollte genau deswegen geschehen, um sie von dem unberechtigten, aber gegen sie erhobenen Verdacht ein Stück freier zu machen, als sie ohnehin schon ist. ({10}) Vor diesem Hintergrund und auch mit Blick auf das, was Wolfgang Thierse und andere geschildert haben, sage ich Ihnen: Es wäre klug gewesen, mit den Fraktionen des Parlamentes darüber zu reden; es wäre klug gewesen, den 20. Juli zu wählen; es wäre klug gewesen, darüber von vornherein Einverständnis herbeizuführen. Ich bitte Sie herzlich, Herr Rühe, diese Klugheit vielleicht im nachhinein aufzubringen. ({11}) Es würde Ihnen zur Ehre gereichen und die Bundeswehr aus einem Konflikt herausführen, in den sie nicht gehört und von dem auch viele in der Generalität sagen, sie möchten nicht, daß auch nur der leiseste Schatten der parteipolitischen Instrumentalisierung auf die Bundeswehr fällt. Vielleicht nehmen Sie das ernster, als das, was ich hier sage. Nehmen Sie es bitte ernst! ({12})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Hans Raidel, CDU/CSU.

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wünsche uns allen bei diesem Thema etwas mehr Gelassenheit. Wir reden über einen ganz normalen und selbstverständlichen Vorgang; zu Aufgeregtheiten besteht überhaupt kein Anlaß. Es weiß doch jeder, daß feierliche Gelöbnisse grundsätzlich in öffentlicher Form durchgeführt werden. ({0}) In einem solch feierlichen Rahmen wird gezeigt, was die Bundeswehr von jungen Menschen verlangt und was Bundeswehr wirklich ist. Der Herr Minister hat das sehr eindrucksvoll ausgeführt. Ein Gelöbnis kann doch weiß Gott keine Provokation sein. Seit wann sollte dies denn der Fall sein? Wer sich provoziert fühlt, der wird natürlich immer einen Anlaß suchen, um gegen die Bundeswehr, gegen die Verteidigungsbereitschaft insgesamt und auch gegen die Friedenspolitik zu demonstrieren. Niemand kann ihn daran hindern; in einer Demokratie ist es sein selbstverständliches Recht. Aber - und darauf kommt es mir an - er kann sich eben nicht darauf berufen, dazu provoziert zu werden. Es ist vielmehr umgekehrt. Was hier gesagt worden ist, deutet darauf hin, daß die Bundeswehr provoziert werden soll. Das ist doch etwas ganz anderes. Wir sehen dem Gelöbnis gelassen entgegen. Ich bin sicher, daß alles so ablaufen wird, wie wir uns das vorstellen. Persönlich halte ich diesen Ort und diesen Tag für geeignet. Die Mehrheit der Bürger in diesem Lande denkt genauso, weil sie Gelöbnisse dieser Art und in dieser Form als eine Selbstverständlichkeit und als eine Normalität anschaut. ({1}) Die Bundeswehr ist der Garant für Frieden. Sie braucht sich doch nicht hinter Kasernenmauern zu verstecken, wie das hier zum Teil gefordert worden ist. Fragen Sie einmal Eltern, Verwandte und Freunde von Wehrdienstleistenden. Alle finden ein solches Gelöbnis in der Öffentlichkeit eindrucksvoll und sehr angemessen. Die Bundeswehr unterstreicht damit, daß sie die Armee aller Bürger ist. Was ist denn daran falsch? Unsere Bevölkerung weiß genau, was sie von Trillerpfeifen und Sirenen, von Sitzblockaden und militanten Störungen dieser Gelöbnisse zu halten hat. Sie weiß auch, welche Gruppierungen, Parteien und Medien sich als Brandstifter und Vergifter der öffentlichen Meinung betätigen und parteipolitisch Honig aus Beschuldigungen und Verdächtigungen saugen wollen. Das ist doch bekannt; es ist fast jeden Tag - zumindest im Moment - nachlesbar, sehbar und hörbar. Deswegen warne ich Rotgrün und auch die PDS davor, sich als Stichwortgeber für politische Gewalt gegen den Staat herzugeben. ({2}) Bremen läßt grüßen. Lesen Sie einmal nach, was 1980 alles in Bremen passiert ist. Ich will Sie aber überhaupt nicht daran hindern, weitere Eigentore zu schießen, wie Sie es schon gemacht haben. Das ist Ihre Sache. Nur derjenige, der kein Traditionsverständnis hat, kann argumentieren, das Zeremoniell des Gelöbnisses sei ein Relikt vergangener Tage und nicht mehr zeitgemäß. Den Gegnern geht es nicht um die Form, sondern sie wollen ganz generell die Bundeswehr aus der Öffentlichkeit verbannen. Es gilt eben der Grundsatz: Wenn man eine Institution vernichten will, dann muß man zuerst ihre Symbole zerstören. Das feierliche Gelöbnis ist ein solches Symbol. Es geht den Gegnern also weniger um die Ablehnung des Gelöbnisses als um die Ablehnung der Institution Bundeswehr insgesamt. Deswegen sage ich noch einmal: Wir treten dafür ein, daß die Bundeswehr Gelöbnisse an jedem Tag und an jedem Ort in dieser Republik öffentlich abhalten kann. Für den 13. August wünsche ich mir: Gelassen und ruhig soll es zugehen. Es soll eine Stunde der Besinnung sein, damit deutlich wird, was die Bundeswehr für uns ist, was sie für diesen Staat und für die Bevölkerung bedeutet. ({3}) Ich wünsche mir auch, daß dieses Gelöbnis so gestaltet wird, daß es aufzeigen kann, in welch interessanten, aber auch in welch schwierigen Zeiten wir leben. Das sollte doch mit etwas mehr Gelassenheit von uns allen gemeinsam geschafft werden. Vielen Dank. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Peter Zumkley, SPD-Fraktion.

Peter Zumkley (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002608, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch einmal zur Klarstellung: Das gesetzlich verankerte Gelöbnis von Wehrpflichtigen ist grundsätzlich unter Beteiligung der Öffentlichkeit innerhalb und außerhalb von Kasernen und im Prinzip an fast jedem Ort und zu jedem Zeitpunkt möglich. ({0}) Sensibilität und Gespür für bestimmte Orte und Zeiten sind jedoch geboten. Ein öffentliches Gelöbnis gehört zu den Veranstaltungen, bei denen größtmöglicher Konsens aller Beteiligten hergestellt werden sollte. ({1}) Man braucht in der Regel, Herr Minister, auch Zeit, derartige Veranstaltungen inhaltlich und organisatorisch vorzubereiten. Zur Zeit besteht - auch nach Ihrer Rede, Herr Minister, bei der wir in vielen Passagen übereinstimmen - der Verdacht, daß die Bundeswehr doch parteipolitisch instrumentalisiert wird. ({2}) Es gibt auch den Vorwurf, daß derartige öffentliche Gelöbnisse besonders im Wahljahr plaziert würden, um damit, wie die „Zeit" kommentiert, Systemgegner zu schaffen. Dies alles ist geeignet, in dieser Frage zu spalten, und das auf dem Rücken der Bundeswehr und vor allem der jungen Wehrpflichtigen. Ich unterstelle Ihnen nicht, daß Sie das wollen. So befürchtet auch die Truppe teilweise, zu Wahlkampfzwecken mißbraucht zu werden. ({3}) Für das Entstehen derartiger negativer Eindrücke sind Sie, Herr Minister - ich kann nichts dafür - verantwortlich. Was Hamburg angeht, Herr Minister - auch Herrn Kollegen Breuer zur Kenntnis -, bin ich befremdet darüber, wie Sie an die Stadt herangetreten sind. Es gab keine offizielle Bitte an die Stadt, ein öffentliches Gelöbnis durchführen zu lassen, ({4}) und auch keine von Ihnen initiierten Sondierungsgespräche. Sie haben vielmehr im Rahmen einer Parteiveranstaltung des CDU-Wirtschaftsrates am 11. Januar 1998 eine derartige Veranstaltung auf dem Rathausmarkt gefordert. Im Wahlkreis Hamburg-Harburg, in dem Sie für den Bundestag kandidieren, haben Sie anläßlich eines Neujahrsempfangs der CDU- Bezirksfraktion den Vorschlag gemacht, vor dem Harburger Rathaus ein öffentliches Gelöbnis zu veranstalten. Welch ein Stil ist das eigentlich, auf Parteiveranstaltungen nach dem Motto „Vogel friß oder stirb" derartig sensible und wichtige Themen voranbringen zu wollen? ({5}) Da kann durchaus der Gedanke aufkommen, daß parteipolitische Konfrontation mehr gewünscht ist als Verständigung mit der Stadt. ({6}) Dem Ersten Bürgermeister der Stadt Hamburg bin ich dankbar, daß er, ebenso wie meine Partei in Hamburg, öffentliche Gelöbnisse nicht abgelehnt hat, sondern seinerseits verschiedene Plätze in Hamburg in die Diskussion gebracht hat. Auch den Rathausmarkt hat er nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern er hat angesichts der von uns allen bedauerten rechtsradikalen Vorfälle die Auffassung vertreten, daß der Rathausmarkt derzeit eine zu bequeme Lösung sei, um darauf zu antworten. Die Bundeswehr ist in Hamburg sehr willkommen. Dies wird auch durch den jährlichen Soldatenempfang des Senats im Rathaus unterstrichen. Man muß das ja nicht immer wiederholen. Herr Minister, Sie haben uns geschrieben, daß der 13. August 1961 unter anderem nicht der Berliner SPD gehöre. Sie haben recht; niemand bezweifelt das. Aber ebenso ist die Bundeswehr auch keine CDU-Armee und auch nicht die einer anderen Partei. ({7}) Die Bundeswehr ist seit ihrer Aufstellung im Jahre 1955 gut damit gefahren, daß sie in der Öffentlichkeit eher zurückhaltend aufgetreten ist, ohne sich versteckt zu haben. Sorgen Sie, Herr Minister, als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt dafür, daß keine Zweifel an Ihrer Pflicht gerechtfertigt sind, die Bundeswehr parteipolitisch neutral zu halten und sie aus politischen Streitereien herauszuhalten! Ziehen Sie sie nicht in solche Streitigkeiten hinein! Ich danke Ihnen. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Frederick Schulze, CDU/CSU.

Frederick Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 13. August 1961 errichtete das SED-Regime die Berliner Mauer und schuf damit ein monströses Bauwerk, das es „antifaschistischen Schutzwall" nannte. Tatsächlich sollte die Mauer jedoch nicht vor dem bösen Westen schützen, sondern es ging darum, den Genossen Ulbricht davor zu schützen, ein König ohne Untertanen zu sein. Schließlich hatten bis zum Sommer 1961 Hunderttausende von Menschen dem Arbeiter- und Bauernstaat den Rücken gekehrt. Seit dieser Zeit und bis zum November 1989 hatte die Mauer mitten durch Berlin zu unsäglichem Leid in der Bevölkerung geführt. Sie wissen alle, wovon ich spreche. Hätte uns damals, in den 60er, 70er und 80er Jahren, jemand gesagt, im Jahre 1998 streitet sich der Bundestag des nunmehr wiedervereinten Deutschland darüber, ob an eben jenem 13. August ein feierliches Gelöbnis der Bundeswehr in Berlin stattfinden solle oder nicht, hätten wir uns vielleicht glücklich geschätzt, im Jahre 1998 scheinbar keine anderen Probleme mehr zu haben. ({0}) Tatsache ist jedoch, daß wir im Jahre 1998 vor Problemen und Herausforderungen stehen, die unsere ungeteilte Aufmerksamkeit verlangen, so daß ich mir wünsche, wir würden die gewöhnlichen Dinge der Normalität überlassen. Ein feierliches Gelöbnis junger Rekruten der Bundeswehr sollte ein Stück Normalität darstellen. Dabei kann der ausgewählte Ort Berlin heißen, und dieses Gelöbnis kann auch an einem 13. August stattfinden; denn zu Recht hat VerFrederick Schulze ({1}) teidigungsminister Rühe in einem Brief an die Mitglieder dieses Hauses darauf verwiesen, daß die Bundeswehr zusammen mit den Streitkräften unserer Verbündeten mehr als 40 Jahre lang Garant für den Frieden in Freiheit nicht zuletzt auch in Berlin war. Es gibt also durchaus eine Verbindung zwischen dem Gedenken an den Mauerbau am 13. August 1961 und dem Gelöbnis junger Soldaten der Bundeswehr als Armee der Demokratie. Herr Thierse hat eine Wesensgleichheit zwischen Bundeswehr, NVA und Kampftruppen hergestellt. Diese Aussagen, die er in einem n-tv-Interview Anfang der Woche gemacht hat, bestreitet er jetzt vehement. ({2}) - Herr Thierse ist jetzt weg, das ist wohl wahr. - Er drückt lediglich den Schlingerkurs aus, den große Teile der Sozialdemokratie einschlagen, wenn sie sich eindeutig zur Bundeswehr und den jungen Soldaten bekennen sollen. Dieses darf gesagt werden. Wofür stehen unsere Soldaten? Sie sollen geloben: Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe. Ich bin stolz darauf, diesen Eid vor mehr als 30 Jahren geleistet zu haben. ({3}) - Daß Sie ihn nicht geleistet haben, glaube ich glatt. ({4}) Ich meine, daß es durchaus Argumente für einen anderen Tag gibt, der ebenfalls als Gedenktag geeignet wäre. Ich jedenfalls halte es aber für stil- und haltlos, wenn Teile der Opposition dem Bundesverteidigungsminister im Laufe der Diskussion vorwerfen, die Bundeswehr zu Wahlkampfzwecken zu instrumentalisieren. Dies macht ausschließlich die Opposition, insbesondere Herr Thierse, der seine roten Genossen und die Jungsozialisten in seinem Wahlkreis beruhigen will. Herr Kolbow, ich schäme mich dafür, daß Sie sich dem anschließen. Ich danke. ({5})

Gerd Höfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002679, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um die Stimmung noch ein bißchen mehr anzuheizen: Lieber aus der Tradition heraus ein roter Genosse als ein schwarzes Schaf. ({0}) Herr Minister, Sie haben gesagt, die Soldaten verdienten den Respekt des gesamten Hauses. Ich teile Ihre Meinung. Aber sie verdienen insbesondere Ihren Respekt, weil Sie die Verantwortung als Verteidigungsminister tragen und Inhaber der Kommandogewalt sind. Es macht auch keinen Sinn, den Konsens einzufordern - auch wenn er in der Vergangenheit bestanden hat -, um ihn als Alibi dafür zu benutzen, daß Sie heute nicht versucht haben, ihn herbeizuführen. ({1}) Sie haben selbst gesagt, der 13. August sei nicht geeignet, eine Tradition in der Bundeswehr für feierliche Gelöbnisse in der Öffentlichkeit zu begründen. Ich bedanke mich ausdrücklich dafür; so deutlich habe ich das noch nicht gehört. Ich habe aber feststellen müssen, daß Sie den Traditionserlaß, den Sie wie eine Monstranz vor sich hertragen und bei dessen Erwähnung Sie immer wieder honorige sozialdemokratische Namen wie den von Herrn Apel ins Spiel bringen, der diesen Erlaß hat erarbeiten lassen und herausgegeben hat - dadurch ist er wesentlich besser geworden; wir haben ihm zu danken -, mit Füßen treten. Das werde ich Ihnen jetzt nachweisen. In diesem Erlaß steht ganz klar, daß das feierliche Gelöbnis zur Tradition der Bundeswehr gehört und daß es üblich ist, daß fünf bis sechs Wochen nach der Einberufung ein Gelöbnis stattfindet. Das wäre in diesem Fall die 31. oder 32. Woche, also vor dem 13. August. ({2}) - In der 31. oder 32. Woche, also in jedem Fall vor dem 13. August, nämlich spätestens am 11. Dann sind die sechs Wochen um. ({3}) - Wer mit Kleinigkeiten umgeht, muß sich gefallen lassen, daß man mit Kleinigkeiten antwortet. ({4}) Das feierliche Gelöbnis ist Bestandteil der Traditionspflege. Insoweit ist die Normalität hergestellt. Der Zeitpunkt ist festgelegt. Das Gelöbnis fände normalerweise zwischen dem 4. und dem 11. August statt, also in der sechsten Woche nach dem Einberufungstermin. Verantwortlich wären die Kompaniechefs und Kommandeure - so steht es in dem Erlaß -, und zwar im eigenen Ermessen. Sie legen in der Regel den Ort, den Platz, den Redner und diejenigen, die eingeladen werden, fest. So ist es positive Routine in der Bundeswehr, und diese ist zu begrüßen. Die Gelöbnisse sind in der Regel öffentlich, sei es, daß die Öffentlichkeit in die Kaserne kommt, sei es, daß die Gelöbnisse in der Öffentlichkeit stattfinden. Es wäre also alles ganz normal, wäre da nicht ein einziger Kristallisationspunkt, den Sie, Herr Minister, nicht begründen konnten, sondern zu dem Sie ganz im Gegenteil sogar gesagt haben, er könne nicht Gegenstand der Tradition werden: Der Minister bestimmt die Zeit, den Ort, und er redet. Ich unterstelle einmal, daß Sie eingeladen sind. Der arme Kommandeur hat ja kaum eine Chance, den obersten Chef nicht einzuladen. Warum möchte denn der Minister reden? Er hat es schon öfter getan. Ich kenne viele seiner Reden; es gibt auch vieles schriftlich. Er möchte reden, weil er sich an dem Traditionserlaß orientiert. In dem Traditionserlaß steht, daß die Tradition aus bestimmten Symbolen, Zeichen und Zeremonien besteht. Das Zeremoniell ist nun einmal das feierliche Gelöbnis, gegen das nichts einzuwenden ist. Was ist denn nun mit den Symbolen und Zeichen? Daraus hat der Minister ein Gemisch gemacht: Berlin, Rotes Rathaus, Mauerbau. Mit Berlin und dem Roten Rathaus komme ich noch einigermaßen klar, weil sie in vielfältiger Weise eine Tradition begründen können. Aber mit dem 13. August komme ich nicht klar, zumal Sie selbst gesagt haben, er könne keine Tradition begründen, das müsse ein einmaliges Ereignis sein. ({5}) In diesem Moment beginnen Sie, Herr Minister Rühe - das haben Sie selbst gesagt -, etwas zu instrumentalisieren, was nicht zu instrumentalisieren ist. Sie mißbrauchen die Bundeswehr, obwohl beim feierlichen Gelöbnis die Wehrpflichtigen im Mittelpunkt stehen sollten, indem Sie - ich nehme an, daß Sie das wollten - den 13. August in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung gestellt haben. Das waren Sie, kein anderer. Es waren keine Sozialdemokraten, keine Freien Demokraten; die müssen gehorchen. ({6}) Sie verletzen damit die Tradition, die Sie selber in Berlin unter anderem mit der Namensgebung für die Julius-Leber-Kaserne begonnen haben. Das treten Sie jetzt mit Füßen. Sie haben selbst gerade aufgezählt, an welchen freiheitlich-symbolträchtigen Stellen in Berlin man ein Gelöbnis genausogut hätte durchführen können. ({7}) Das heißt, Sie wollten bewußt instrumentalisieren und bewußt polarisieren, damit Sie Ihre CDU als Wahrer und Hüter der Ordnung hinstellen können. Wir sind wieder in die Nähe der vaterlandslosen Gesellen gerückt worden. Es nützt Ihnen nichts, hier Namen zu nennen und sie sozusagen als Alibi zu benutzen, damit ein Konsens möglich wird. Mit dieser sozialdemokratischen Partei wäre für ein feierliches Gelöbnis an bestimmten Orten - auch in Berlin - und zu bestimmten Zeiten selbstverständlich ein Konsens erreichbar gewesen. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Krautscheid, CDU/CSU.

Andreas Krautscheid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte am letzten Beitrag anknüpfen: Mir scheint, es ist aus Ihrer Sicht wirklich kein Argument zu absurd, um um diesen 13. August herumzukommen. Da wird eine Sechswochenfrist ausgerechnet, um schließlich auf den 11. August zu kommen. Das ist die Rechnung eines Kompaniefeldwebels, aber nicht die eines Politikers. ({0}) - Ich entschuldige mich bei allen ehrenwerten Kompaniefeldwebeln. Kollege Kolbow, Sie sagen, wir sollten die Gelöbnisse grundsätzlich nur dann abhalten, wenn sie ohne die Provozierung von öffentlichem Protest über die Bühne gehen. Was ist das für eine grundsätzliche Einstellung? Eine Angelegenheit, die vom Gesetz und von der Verfassung gedeckt ist, braucht man nicht zu verstecken, wenn andere protestieren wollen. Es gibt keinen Grund, sich in die Kasernen zurückzuziehen. ({1}) Ihre Genossen in Hamburg sind die ersten, die nach der Bundeswehr schreien, wenn sie in ihrer Stadt Hochwasser haben. Aber sie haben nicht die Traute, ein öffentliches Gelöbnis auf die Beine zu stellen und den gleichen jungen Leute die Ehre zu erweisen. Das bekommen sie nicht auf die Beine gestellt. ({2}) Gespalten ist durch diese Diskussion nicht die Republik oder die Politik, sondern allenfalls die SPD. Denn die meisten von Ihnen, gerade die Verteidigungspolitiker, merken ja, daß sie wieder einmal auf dem falschen Weg und im falschen Boot sind. ({3}) Mir ist ein Gesichtspunkt noch ein besonderes Bedürfnis. Ich fand es schön, daß sich Kollege Scharping einmal mit verteidigungspolitischen Aspekten beschäftigt hat. ({4}) - In der Tat, es kann ihm nicht schaden. - Herr Kollege Scharping, nur eines wundert mich: Ich hatte mich sehr gefreut, in der „Süddeutschen Zeitung" vom 31. Januar 1998 zu lesen, daß die SPD das Zentrum für Innere Führung der Bundeswehr in Koblenz besucht hat. Da war vielleicht der Genius loci im Spiel. Jedenfalls lautete die betreffende Überschrift in der „Süddeutschen Zeitung": „Scharping: SPD nimmt teilt an Gelöbnis am 13. August". ({5}) Ferner war zu lesen, Scharping „plädiere ... dafür, daß auch führende Sozialdemokraten daran teilnehmen sollten". ({6}) Eine Überschrift in der „Berliner Zeitung" vom 2. Februar 1998 lautet dann: „SPD-Fraktion verärgert über Scharping - Bemerkung zum Gelöbnis ,wenig hilfreich' " . Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus teilte mit - so ist in dem betreffenden Artikel zu lesen -: „Da gehe ich mit Sicherheit nicht hin". Zwei Tage später, am 4. Februar 1998, ist in der „Berliner Zeitung" in der Überschrift zu lesen: „Gelöbnis-Streit: Scharping macht Rückzieher - SPD-Teilnahme wieder offen". Herr Scharping, Sie haben soeben eine große Chance verpaßt. Wenn Sie noch ein bißchen Mumm haben, dann stellen Sie sich hier hin und sagen Sie: Ja, ich komme am 13. August nach Berlin und gehe zum Gelöbnis. ({7}) Denn diese Angelegenheit hat nur insofern etwas mit Wahlkampf zu tun, wenn es sich denn um die Veranstaltung einer Partei handeln würde. Aber, meine Damen und Herren, Sie haben doch alle Chancen. Kommen Sie nach Berlin! Nehmen Sie als SPD mit Masse teil! Dann ist das kein Wahlkampf für eine Partei, sondern eine Demonstration für die Demokratie und eine Demonstration für diejenigen, die unsere Demokratie schützen wollen. ({8}) Zum Abschluß vielleicht ein versöhnlicher Gedanke - denn es ist soeben wieder gesagt worden, es werde natürlich massiven Protest, Streits, vielleicht auch gewaltsame Auseinandersetzungen geben -: Für den Fall der Fälle werden diese jungen Männer und Frauen, die dort vereidigt werden sollen, ihr Gelöbnis abhalten, die Meinungs- und auch die Demonstrationsfreiheit derjenigen schützen, von denen sie am gleichen Tag beschimpft und von denen sie unter Umständen in den Schmutz gezogen werden. Ich finde, diejenigen, die sich dort für den Schutz unserer Demokratie zur Verfügung stellen, haben mehr Unterstützung aus dem Parlament verdient. Vielen Dank. ({9})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Heistermann, SPD.

Dieter Heistermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000854, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Ich möchte zunächst einmal auf den Kollegen Krautscheid antworten. - Wer Demokratie für sich in Anspruch nimmt, der muß hier auch demokratische Gepflogenheiten beachten. Dieses Parlament ist nicht der Befehlsempfänger des Bundesverteidigungsministers. ({1}) - Über die Form der Einladung muß man, so denke ich, reden. Er kann den Verantwortlichen befehlen, die ihm unterstellt sind. In diesem Parlament aber gilt nicht der Befehlston, sondern der Gesprächston. ({2}) Wir legen schon sehr großen Wert darauf, daß die Unterschiede dort klargemacht werden, wo es angemessen ist. Wir entscheiden hier nicht als Befehlsempfänger des Ministers. Herr Minister, lassen Sie mich das einmal ganz deutlich sagen: Die Bundeswehr ist wichtig. Verteidigungsminister kommen und gehen. Es könnte Ihnen passieren, daß Sie zu letzterem noch einige Ausführungen machen müssen, nämlich dann, wenn der Zeitpunkt zum Gehen gekommen ist. Ich denke, das sollten Sie immer im Auge haben. Sie sollten in diesem Hause nicht falsche Relationen aufzeigen, indem Sie der Opposition global unterstellen: Wer am 13. August nicht erscheint, ist kein Demokrat oder hat kein Verhältnis zur Bundeswehr. Was für ein perfider Diskussionsansatz ist das! ({3}) Ich kann nur sagen, Herr Minister: Dieser Ansatz fällt voll auf Sie zurück. Man muß nämlich darauf antworten: Das, was Sie erzeugen wollen, ist Konfrontation und kein Konsens. ({4}) Herr Minister, ich muß Sie einmal offen fragen: Wer hat denn die Konsenspflicht in diesem Hause herzustellen? Muß dies das Parlament gegenüber dem Ministerium tun? Oder ist der Minister diesem Parlament verantwortlich, und muß der Minister mit den parlamentarischen Gremien dieses Hauses Kontakt halten, wenn er eine Einladung ausspricht? ({5}) Die Fronten müssen hier schon klar genannt werden. Ich denke, das ist durch dieses Parlament einzufordern. Ich möchte doch noch einige Worte zum öffentlichen Gelöbnis sagen. Was sind eigentlich Gelöbnisse? ({6}) Um wen geht es da? An dem Tag des Gelöbnisses geht es um die Grundwehrdienstleistenden, um die wehrpflichtigen Soldaten, die zum erstenmal geloben, die zum erstenmal einen Eid ablegen und damit ihr Verhältnis zur Verfassung deutlich machen. ({7}) Das ist nicht der Tag des Ministers und auch nicht der Tag der Opposition. Das ist der Tag der Grundwehrdienstleistenden. Sie haben im Mittelpunkt zu stehen; um deren Interessen hat es zu gehen. ({8}) Ich möchte deutlich machen - wer einmal an Gelöbnisveranstaltungen teilgenommen hat, weiß dies -: Was heißt es denn für die Grundwehrdienstleistenden, das Bewußtsein zu bekommen, daß das, was man gelobt, eines Tages ernst werden könnte. Ich habe bei dem Gelöbnis immer viele ernste Gesichter feststellen können, weil die jungen Menschen zum erstenmal damit konfrontiert werden, etwas zu geloben und dafür letztendlich das eigene Leben einzusetzen. Ich habe die Gefühle der Eltern kennengelernt, die gespürt haben, daß das bei ihren Söhnen einen besonderen inneren Zwiespalt ausgelöst hat: Kann ich das so geloben? Bin ich dazu bereit und in der Lage? Ich denke, wir haben mehr auf diese Befindlichkeiten der jungen Wehrdienstleistenden Rücksicht zu nehmen als auf äußerliche Formen oder Gedenktage, wie wichtig sie auch immer gewesen sind. Herr Minister, wenn wir auf diese Gefühle der jungen Menschen Rücksicht nähmen, dann täten wir auch gut daran - das will ich ganz deutlich sagen -, sie am Tag des Gelöbnisses, wo immer es auch stattfinden soll, in den Mittelpunkt des Interesses zu stellen und nicht irgendwelche Äußerlichkeiten. Ich bitte Sie auch darum, diese feine Art, wie wir mit der Bundeswehr umgegangen sind, beizubehalten; dies hat der Kollege Zumkley hier bereits dargestellt. Wir waren immer bemüht, die Bundeswehr so normal zu halten wie nur möglich. Sie sollte weder herausgehoben noch untergebuttert werden. Sie sollte so normal behandelt werden, wie es auch bei jeder anderen Organisation praktiziert wird. Die Bundeswehr ist nichts Besonderes, sondern Teil unserer Verfassung und schwört auf unsere Verfassung. Deshalb hat sie den gleichen Schutz dieses Parlamentes und kann gewiß sein, daß sie dieses Parlament immer dann in Schutz nimmt, wenn sie unangemessen angegriffen wird. Deshalb, Herr Minister: Stellen Sie den Konsens mit diesem Parlament wieder her! Laden Sie die Fraktionen zu einem Gespräch ein, wie man zu einer gemeinsamen Lösung kommen kann! Wenn alle aufeinander zugehen, denke ich, ist eine gemeinsame Form dieser Veranstaltung möglich. Wir jedenfalls rufen Sie noch einmal in aller Deutlichkeit dazu auf. Vielen Dank. ({9})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gerald Häfner, Volker Beck ({0}), Cem Özdemir, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Nichtraucher in der Öffentlichkeit ({1}) - Drucksache 13/6166 ({2}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Roland Sauer ({3}), Uta TitzeStecher, Dr. Burkhard Hirsch und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Nichtraucher ({4}) - Drucksache 13/6100 ({5}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({6}) - Drucksache 13/9740 Berichterstattung: Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch Es liegt ein Entschließungsantrag der Abgeordneten Horst Seehofer, Wolfgang Lohmann ({7}), Jürgen W. Möllemann und weiterer Abgeordneter vor. Außerdem gibt es vier Änderungsanträge. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Häfner, Bündnis 90/Die Grünen.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht um das Rauchen geht es hier heute, nicht darum, ob man in diesem Land in Zukunft noch rauchen darf oder nicht, ({0}) sondern um den Schutz der Nichtraucher, um den Schutz derjenigen Menschen, die - wie ich meine, sehr zu Recht - einen Anspruch darauf haben und diesen Anspruch in Zukunft auch gewahrt sehen wollen, nicht gegen ihren Willen mit Zigarettenqualm vollgenebelt zu werden. Denn - das wissen wir - Zigarettenrauch ist nicht nur unangenehm, er reizt nicht nur die Augen, die Lunge, die Schleimhäute, sondern er ist in sehr hohem Maße gesundheitsschädlich. Ich will Sie auf eines hinweisen: Wir haben heutzutage in vielen Bereichen Grenzwerte für den Arbeitsplatz durchgesetzt, was dazu führt, daß viele Schadstoffe - die im Promillebereich der Schadstoffwerte liegen, was bei Zigaretten emittiert wird - verboten sind, während der Zigarettenrauch mit seinen unzähligen Schadstoffen, die in ihm enthalten sind, die Menschen nach wie vor auch gegen den Willen von Betroffenen umnebeln darf. Wir wollen das Rauchen nicht verbieten. Wir wollen Rauchern nicht Einschränkungen auferlegen. Wir wollen das, was alle hier im Hause behaupten, zu wollen: Wir wollen mehr Toleranz, wir wollen mehr Rücksichtnahme. Wir wollen, daß diejenigen, die nicht möchten, daß in ihrer Umgebung geraucht wird, darauf zukünftig einen Rechtsanspruch haben. Denn - das ist leider so - mit persönlicher Rücksichtnahme ist es oft nicht getan. Diese Rücksichtnahme findet oft immer weniger statt. Deshalb brauchen wir eine gesetzliche Regelung. Wir wollen eine gesetzliche Regelung, die maßvoll ist, die moderat ist, die liberal ist. Wir wollen nicht - wie in manchen anderen Ländern - einen starken Staat, der den Leuten sagt, was sie zu tun und zu lassen haben. Aber wir wollen einen Individualschutz. Wir wollen einen Schutz derjenigen Menschen, die wollen, daß in ihrer Umgebung nicht geraucht wird. Deswegen - das ist ein ganz wichtiger Unterschied zu dem anderen vorliegenden Gesetzentwurf - haben wir in der entscheidenden Passage, in der die Frage des Rauchens am Arbeitsplatz geregelt wird, nicht formuliert „Das Rauchen am Arbeitsplatz ist verboten" und dann Ausnahmen normiert, sondern wir haben deutlich gesagt - das ist der wichtige umgekehrte Ansatz -: „Jeder Beschäftigte hat einen Anspruch auf einen rauchfreien Arbeitsplatz ". Dieses Recht wird gegenwärtig nicht gewährleistet. Sie wissen, daß die Rechtsprechung vor den Arbeitsgerichten sehr unterschiedlich ausfällt. Angestellte der Lufthansa etwa sind gescheitert bei dem Versuch, einen Anspruch auf einen rauchfreien Arbeitsplatz durchzusetzen. Darunter waren auch Angestellte, die selbst bereits massive Schädigungen durch Passivrauchen geltend machen konnten. Deshalb brauchen wir eine gesetzliche Regelung. Wir wollen diese gesetzliche Regelung auch für eine Reihe weiterer Bereiche. Wir wollen sie für die Bereiche öffentliche Gebäude, öffentliche Verkehrsmittel und Verkehrsflächen. Wir wollen sie für den Bereich der Gaststätten, für die, so meinen wir, eine Regelung dringend erforderlich ist - allerdings eine maßvolle Regelung, eine Regelung, die Gaststätten mit weniger ais 50 Sitzplätzen ausnimmt. Denn wir meinen, daß dort - insbesondere natürlich bei Stehimbissen, bei „der Kneipe um die Ecke" - eine gesetzliche Regelung nicht nur nicht erforderlich, sondern auch nicht praktikabel ist. Aber in großen Gaststätten, die über die räumlichen Möglichkeiten verfügen, müssen nach unserer Meinung künftig Nichtraucherbereiche angeboten und eingerichtet werden. Wir sind der Auffassung, daß der Kinder- und Jugendschutz dringend verstärkt werden muß. Das heißt unter anderem, daß Zigaretten künftig nicht mehr im unmittelbaren Zugangsbereich von Kindern und Jugendlichen angeboten werden sollen. Deswegen wollen wir auch eine Einschränkung des Verkaufs durch Automaten. Sie wissen, daß es vor langer Zeit in unserem Land möglich und üblich war, auch Schnaps und Bier, also Alkoholika, öffentlich in den Straßen an Automaten zu verkaufen. Dies ist durch das Jugendschutzgesetz eingeschränkt worden. Wir meinen, daß ähnliches in Zukunft auch für Zigaretten gelten müßte. Wir können die Doppelmoral nicht ganz verstehen, die in diesem Hause häufig herrscht. ({1}) Zigaretten sind ein Suchtmittel und tragen in ganz hohem Maße zu Gesundheitsschädigungen in der Bevölkerung bei. Hier wird gegen Konsumenten weicher Drogen manchmal in einer Weise vorgegangen, die befremdet, aber das Zigarettenrauchen wird überhaupt nicht thematisiert. Das liegt auch daran, daß der Staat an jeder Zigarette, die in diesem Lande geraucht wird, in erheblichem Maße mitverdient. Wir wollen, daß in Zukunft auch mehr getan wird für die Aufklärung der Bevölkerung über die Gesundheitsschädlichkeit des Rauchens. Wir wollen, daß Ärzte künftig verpflichtet sind, bei Schäden an Kindern, die nachweislich durch Passivrauchen hervorgerufen werden, darauf aufmerksam zu machen; denn wir wissen, daß diese Zusammenhänge den Eltern oder denen, die diese Schäden hervorrufen, vielfach nicht bekannt und nicht bewußt sind. Aber es ist kein Gesetz des starken Staates, kein Gesetz, das zentral mit Verboten arbeitet, sondern ein Gesetz, das maßvoll, liberal und moderat dort Schutzbestimmungen aufrichtet, wo diese aus der Erfahrung heraus notwendig sind. Ich möchte zum Schluß eines sagen: Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Ich finde, es ist ein Ruhmesblatt der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, daß es in dieser Fraktion keine Trennlinie zwischen Rauchern und Nichtrauchern gab oder gibt. Das war und ist überhaupt nicht die Frage, und es darf auch bei der Abstimmung am Ende nicht die Frage sein. In unserer Fraktion haben Raucherinnen und Raucher wie Nichtraucherinnen und Nichtraucher gemeinsam diesem Gesetzentwurf zugestimmt, weil sie alle gemeinsam der Ansicht waren, daß ein Schutz von Nichtraucherinnen und Nichtrauchern und Passivraucherinnen und Passivrauchern geboten ist, notwendig ist und auch im Interesse der Raucher liegt, denen im übrigen niemand ihren Genuß verwehren möchte, solange andere dadurch nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Wir haben diesen Entwurf vorgelegt. Wir werden in der Abstimmung für diesen Entwurf eintreten. Unser wichtigstes Ziel aber ist, daß ein wirksames Gesetz zum Schutz der Nichtraucher und der Passivraucher in diesem Lande zustande kommt. Wir werden nach der ersten Abstimmung sehen, welcher Entwurf der aussichtsreichere ist. Sollte sich nicht der grüne, sondern der interfraktionelle Entwurf, den die Kollegin Titze-Stecher, die Kollegen Sauer, Hirsch und andere formuliert haben, durchsetzen, würden wir an zwei Stellen um eine Änderung dieses Entwurfs bitten. Wir haben deshalb Anträge gestellt. Das betrifft den Kinder- und Jugendschutz, und es betrifft die Regelung für den Arbeitsplatz, die in unserer Formulierung sehr viel mehr Spielraum für innerbetriebliche Regelungen, für Regelungen auch zusammen mit dem Betriebsrat und den Gewerkschaften beläßt, also nicht so sehr mit der Keule, mit dem Verbot arbeitet, sondern mehr mit moderaten Regelungen. Wir werden aber am Ende alle gemeinsam dafür sorgen, daß heute ein wirksamer Nichtraucherschutz beschlossen wird. Deshalb wird es, sollte sich unser Entwurf nicht durchsetzen, dennoch an den Stimmen der Grünen und an der Unterstützung der Grünen für ein wirksames Nichtraucherschutzgesetz in diesem Hause nicht fehlen. Ich danke Ihnen und bitte sie dringend und herzlich, dem Entwurf zuzustimmen. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Roland Sauer, CDU/CSU.

Roland Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001922, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Nichtraucherschutz gehen verständlicherweise die Emotionen hoch. ({0}) - Ja, das kommt vielleicht noch. - Da ist die Rede von der Bevormundung des Bürgers, ({1}) von der Schaffung neuer Konflikte, von der Spaltung der Gesellschaft, von dem Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen, von den angeblich vielen Milliarden, die das Nichtraucherschutzgesetz kosten würde. Die Zigarettenindustrie und ihre Lobbyisten sind nervös geworden. ({2}) Sie streuen auch bewußt Falschmeldungen. Die Redner von unserer Seite werden nachher darauf eingehen. Ich möchte vorweg klipp und klar feststellen: Es wird keinen Krieg gegen die Raucher geben. ({3}) Sie werden nicht an den Pranger gestellt, sie werden nicht stigmatisiert oder kriminalisiert, wie dies in den Vereinigten Staaten von Amerika leider der Fall ist. Es gibt kein absolutes Rauchverbot. Wir wollen nur den Schutz des Nichtrauchers dort durchsetzen, wo er zwangsläufig mit Rauchern zusammentreffen muß, nicht ausweichen kann und so unfreiwillig zum Mitrauchen gezwungen ist: im öffentlichen Bereich, in öffentlichen Gebäuden, in öffentlichen Verkehrsmitteln und am Arbeitsplatz. ({4}) Der Grund dafür liegt in der eindeutigen, erheblichen Gesundheitsschädigung durch das Passivrauchen. Es handelt sich um chronische Erkrankungen der Atemwege, Teerlungen und Lungenkrebs. 400 Menschen sterben pro Jahr infolge des Passivrauchens an Lungenkrebs. Das Passivrauchen verschlimmert Herzerkrankungen bis hin zum Herzinfarkt. Das Risiko einer Herzkreislauferkrankung steigt um bis zu 88 Prozent, wenn Nichtraucher mit Rauchern ständig zusammenleben müssen. Ich frage Sie: Sind Sie schon einmal in eine Klinik gegangen, in der die Opfer des Aktiv- und Passivrauchens liegen? Sprechen Sie doch einmal mit Lungenfachärzten, die Tag für Tag Menschen an der Teerlunge operieren müssen, falls dies überhaupt noch möglich ist, und die dann anschließend mit ansehen müssen, wie diese Menschen unter schlimmen Umständen dahinsiechen und sterben müssen! Sprechen Sie doch einmal mit diesen Lungenfachärzten. Ich würde dies jedem empfehlen, auch denen, die mit einem Federstrich über dieses Nichtraucherschutzgesetz hinweggehen wollen. Die Passivraucher erleiden nahezu die gleichen akuten und chronischen Gesundheitsschäden wie die Aktivraucher. Nicht von ungefähr haben in diesen Tagen 130 Institutionen des deutschen Gesundheitswesens und die namhaftesten deutschen Professoren auf diesem Gebiet nochmals eindringlich an den Bundestag appelliert, auf Grund der eindeutigen Datenlage doch nun endlich diesem Nichtraucherschutzgesetz zuzustimmen. Wollen wir als verantwortungsvolle Politiker dies einfach in den Wind schlagen? Will dies der Gesundheitsminister einfach ignorieren? Ich glaube, das kann nicht wahr sein. ({5}) Die Freiheit und die Mündigkeit des Bürgers, von denen immer wieder gesprochen wird, haben dort ihre Grenze, wo zum Beispiel Kinder, Schwangere und viele Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz durch Passivrauchen gesundheitlich schwer geschädigt werden. Wir ziehen nun daraus mit einem sehr moderaten Gesetzentwurf die Konsequenzen - moderat, weil das Gesetz nur dann greifen soll, wenn uneinsichtige Raucher keine Rücksicht auf die Gesundheit ihrer Mitmenschen nehmen wollen. Wir wollen ein Rauchverbot am Arbeitsplatz durchsetzen, weil die bestehenden Regelungen nicht ausreichen. ({6}) Es gab in den letzten Jahren über 100 Arbeitsgerichtsurteile, durch die Arbeitnehmer in Deutschland ihren rauchfreien Arbeitsplatz erstreiten mußten. Diese hohe Zahl von Klagen zeigt doch klar - das sollte sich auch der Bundesarbeitsminister einmal vor Augen halten -, daß bei uns nicht alles geregelt ist, wie man es immer von gewisser Seite hört. Die Gegner der Gesetzesinitiative glauben, eine gesetzliche Reglementierung sei unnötig. Man sagt, Herr Kollege Feilcke, man könne alles mit Rücksichtnahme und Toleranz lösen. ({7}) Dies ist aber nicht möglich, da nach Ansicht renommierter Wissenschaftler 60 Prozent der Raucher in Deutschland nikotinabhängig, also süchtig sind; sie Roland Sauer ({8}) sind verständlicherweise gar nicht in der Lage, Rücksicht zu nehmen und für eine gesunde Luft für ihre Mitmenschen zu sorgen. Nun hat kurz vor den Schlußberatungen des federführenden Gesundheitsausschusses der Verband der Cigarettenindustrie kalte Füße bekommen. Mit einem dubiosen Gutachten wurde ein Schreckensszenario an die Wand gemalt. Der deutschen Wirtschaft würden über 30 Milliarden DM Kosten durch das Nichtraucherschutzgesetz entstehen. So wurden zum Beispiel allein für die Schaffung von Raucherräumen 16 Milliarden DM hochgerechnet. Man muß sich einmal vorstellen, wie das passieren und wie das gehen soll. Schon heute haben 30 Prozent der Betriebe ähnliche Nichtraucherschutzregelungen. Dort gibt es Sozialräume. Da wird ein Sozialraum mit einem „R" gekennzeichnet. Das ist der Raucherraum. Ein anderer Sozialraum wird mit einem „N" bezeichnet. Das ist der Nichtraucherraum. Wo entstehen denn da Kosten? Es entstehen geringfügige Kosten für das Hinweisschild, aber doch keine 16 Milliarden DM. ({9}) Dieses Gutachten ist im Gesundheitsausschuß wie auch im Haushaltsausschuß überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden, weil es unbrauchbar war und weil es nur das Ziel hatte, eine Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes noch weiter hinauszuzögern. Der Strafgedanke steht bei unserem Gesetzentwurf nicht im Vordergrund, sondern nur die psychologische Wirkung. Wir haben in unserem Änderungsantrag die Bußgeldbewehrung am Arbeitsplatz herausgenommen und sagen: Dieses Problem an allen Arbeitsplätzen, auch des öffentlichen Dienstes, muß durch innerbetriebliche Sanktionsmechanismen geregelt werden. Wir haben Vertrauen, daß wir damit einen Beitrag zu einem guten Betriebsklima geleistet haben. Denken Sie nur einmal, wenn Sie die Bußgeldbewehrung kritisieren, an die Einführung der Gurtpflicht. Hätten wir damals bei der Anschnallpflicht nach wenigen Monaten kein Bußgeld eingeführt, nachdem wir es zuerst nicht hatten, dann wäre dieses Gesetz im Interesse der Verkehrssicherheit nicht so schnell in die Tat umgesetzt worden. ({10}) Lassen Sie mich schließen. Gestern abend haben in der ARD-Sendung „Raucher raus!" über 100 000 Menschen über Ted angerufen. Nahezu 65 000 Menschen haben sich für dieses Nichtraucherschutzgesetz ausgesprochen. Das ist die große überwiegende Mehrheit. Bei anderen Befragungen sind zum Teil bis zu 84 Prozent Zustimmung zu diesem Gesetz, so zum Beispiel beim Bayerischen Rundfunk, herausgekommen. Tragen wir diesem Votum Rechnung! Stimmen Sie bitte diesem moderaten Gesetzentwurf zu! Herzlichen Dank. ({11})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Editha Limbach, CDU/CSU.

Editha Limbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001342, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was generell für das Zusammenleben von Menschen gilt, ist natürlich auch für das Zusammenleben von Rauchern und Nichtrauchern unerläßlich, nämlich die gegenseitige Rücksichtnahme. Ich denke, wir brauchen hier jetzt nicht darüber zu diskutieren, daß Rauchen schädlich ist. Das wissen sogar die Raucher selbst. Auch brauchen wir nicht darüber zu reden, daß Passivrauchen für Nichtraucher schädlich ist. Das ist zwar in seinem Ausmaß und in den Auswirkungen wissenschaftlich etwas unterschiedlich gewichtet, aber alle sind sich darüber einig, daß auch Passivrauchen schädlich ist. Daß es darüber hinaus stört und belästigt, wissen wir auch. Deshalb ist es heute in dieser Debatte nicht die Frage, ob Rauchen schädlich ist oder nicht, ob Passivrauchen schädlich oder belästigend ist. Die Frage ist: Ist das ein Problem, das wir nur mit einem Gesetz regeln können? Ist das nicht ein Problem, das wir auch anders lösen können? ({0}) Brauchen wir für das Miteinander von Rauchern und Nichtrauchern wirklich gesetzliche Regelungen, die über diejenigen hinausgehen, die wir bereits haben? Jugendschutz, Arbeitsstättenverordnung und alles mögliche sind schon vorhanden. Also frage ich mich: Haben diejenigen recht, die eine gesetzliche Regelung wünschen, ober haben nicht doch diejenigen recht, die auf die Bereitschaft und die Fähigkeit der Menschen vertrauen, in weiten Bereichen ihre eigenen Angelegenheiten auch ohne gesetzlichen Druck eigenverantwortlich und verträglich zu gestalten? ({1}) Eines ist natürlich richtig: Durch die Diskussion über die Gesundheitsgefährdung auch durch das Passivrauchen, die schon seit vielen, vielen Jahren läuft, wie wir alle wissen, hat sich das Bewußtsein verändert. Es ist schon vieles geschehen, was im Grunde aber nur beweist, daß es eben auch ohne Gesetz geht. Ich nenne entsprechende Betriebsvereinbarungen. Ich wiederhole, was der Kollege Sauer gesagt hat, der von 30 Prozent Betrieben sprach, in denen es auch schon für die Sozialräume das berühmte „R" bzw. „NR" gibt. Ich denke an die rauchfreien Flüge, die den Rauchern zu schaffen machen, die die Lufthansa gerade in diesen Tagen aber auch für Interkontinentalflüge beschlossen hat. ({2}) Ich denke an Nichtraucherzonen in Gaststätten, an Rauchverbote im öffentlichen Personennahverkehr, in öffentlichen Einrichtungen, überall dort, wo eine Kommune ihr Hausrecht so nutzt, wie sie es für richtig hält. Wenn es nicht nur große, sondern auch kleine Betriebe gibt, in denen es ganz selbstverständlich ist, daß die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Freie gehen, wenn sie rauchen möchten, wenn ich höre, daß die DAG festgestellt hat, daß die Zahl der Streitigkeiten um das Rauchen und Nichtrauchen am Arbeitsplatz dramatisch zurückgegangen ist, wenn ich höre - was der Kollege Sauer eben selber gesagt hat -, daß die Gerichte, wenn sie zu entscheiden haben, ohnehin Urteile zugunsten der Nichtraucher fällen, dann frage ich mich wieder: Brauchen wir wirklich noch ein zusätzliches Gesetz, um den Schutz der Nichtraucher zu verbessern? ({3}) Heute morgen hat mich ein Bürger im Hinblick auf diese Debatte gefragt: Können wir Deutschen denn nicht ohne Gesetz und Bürokratie etwas Vernünftiges regeln? ({4}) Ich möchte diesem Bürger heute abend gern sagen können: Doch, wir können das. Wir setzen uns für Information und für Aufklärung ein; wir werben um gegenseitige Rücksichtnahme; und wir gehen selbst mit gutem Beispiel voran. Das müßten wir dann allerdings auch tun. ({5}) Das würde ich diesem Bürger, aber auch anderen Bürgerinnen und Bürgern heute wirklich gern sagen. ({6}) Etwas Kopfzerbrechen - das gebe ich zu - macht mir natürlich die Gefährdung von Säuglingen und Kleinstkindern. ({7}) Da ist die Problematik aber noch viel schwieriger. Wir können schließlich nicht in jedes Kinderzimmer und in jede Wohnstube einen Raucherpolizisten stellen. Das wollen wir auch gar nicht. Also ist es auch da richtig: an die Eigenverantwortung appellieren, Informationen geben, Meinungsbildung betreiben und ein gutes Beispiel geben. Ich könnte mir - ich bin selbst Mutter und Großmutter - nichts Besseres vorstellen, als wenn es „in" wäre, gesellschaftlich schick wäre, das Rauchen im Beisein von Kindern und Jugendlichen zu unterlassen. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin ganz sicher: Wir brauchen für das Zusammenleben in einer freien Gesellschaft kein Nichtraucherschutzgesetz. Wir brauchen mehr Gemeinsinn und gegenseitige Rücksichtnahme. Gemeinsinn und Rücksichtnahme kann man nicht per Gesetz verordnen. Deshalb müssen wir auf die vorliegenden Gesetzentwürfe verzichten. Lassen Sie uns gemeinsam, und zwar nicht nur im Bundestag, für Gemeinsinn und Rücksichtnahme auch auf diesem Feld werben und eintreten. Das ist die bessere Lösung. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erteile ich nun dem Kollegen Braun das Wort.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Limbach, es ehrt Sie natürlich, daß Sie gegenüber den Kleinkindern und Kindern bei uns zumindest ein schlechtes Gewissen haben, weil sie Gefahren ausgesetzt sind, die Sie sehr wohl erkannt haben. Gestatten Sie, daß ich als Vorsitzender der Kinderkommission des Deutschen Bundestages die Aufmerksamkeit auf diese besondere Belastung der Kinder durch das Mitrauchenmüssen lenke. Kinder können ihren Aufenthaltsort meist nicht selbst bestimmen. Sie sind von dem Willen der Eltern abhängig. Wenn die Eltern es so wollen, müssen Kinder im Wohnzimmer, im Auto, auch im Zugabteil mitrauchen. ({0}) Hierbei geht es nicht darum, daß Kindern etwas zugemutet würde, was sie als lästig empfinden mögen. Es geht vielmehr um eine riesige Gesundheitsgefährdung, ({1}) der Kinder mit ihrem kindlichen Organismus in ganz anderer Weise ausgesetzt sind als die Erwachsenen. Gewiß will der vorliegende Gesetzentwurf nicht in die familiäre Situation hineinregieren. ({2}) Das bedeutet, daß Kinder durch dieses Gesetz nicht vor dem Gift der rauchenden Eltern oder der älteren Geschwister in der Wohnung geschützt werden können, wohl aber in öffentlichen Verkehrsmitteln. Also würde auch etwa in Zugabteilen sichergestellt, daß Kinder nicht wie bisher oft viele Stunden unter Bedingungen leben müssen, die mehr der Umweltqualität eines Abluftkamines gleichen. Wir alle wissen, Hildebrecht Braun ({3}) daß oft nur in Raucherabteilen Platz ist, weil mehr Kunden der Bahn in die Nichtraucherabteile drängen, und sich die Bahn diesem geänderten Bedarf noch nicht angepaßt hat. ({4}) Wir von der Kinderkommission haben eine Anhörung der Kinderärzte in Deutschland durchgeführt. Wir hatten dort auch Professor von Mühlendahl als Referenten, der uns über die Gefährdungen durch Asbest, Ozon, Formaldehyd sowie durch Auspuffgase und ähnliches informiert hat. Am Schluß habe ich ihn gefragt: Welches von diesen Giften ist eigentlich wie giftig? Würden Sie es uns bitte an Hand des Beispieles des bekannten Giftes in Form des Mitrauchenmüssens der Kinder erklären? Er sagte uns - und zwar unter Beifall aller anwesenden Mitglieder des Vorstandes der Kinderärzte in Deutschland -, daß all die Gefährdungen durch Asbest, Ozon, Formaldehyd usw. zusammengenommen noch nicht einmal 1 Prozent der Gefährdung ausmachen, der Kinder durch das Mitrauchenmüssen ausgesetzt sind. ({5}) Vor diesem Hintergrund ist es nicht vertretbar, daß wir die Dinge so lassen, wie sie sind. Wir brauchen das Signal dieses Gesetzes, damit sich die Situation für unsere Kinder verbessert. Deswegen bitte ich Sie dringend, für dieses Gesetz zu stimmen. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Wollen Sie antworten? - Nein. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Uta Titze-Stecher. ({0})

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Keine Angst, Herr Möllemann, ich übertreibe nie. ({0}) Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Spätestens an der Unruhe ist zu merken, daß es hier um eine wichtige Sache gehen muß. Wahrscheinlich sehen wir Initiatoren, die in dieser Legislaturperiode den zweiten Versuch machen, einen ganz moderaten Gesetzentwurf zu beschließen, dies gelassener als die, die sich hier mit Hilfe von Lobbyistenvorlagen und unter starkem Druck ({1}) gegen eine gesetzliche Regelung wehren, ({2}) die bereits in 90 Ländern der Erde, auch in 14 von 15 EU-Ländern, Realität ist. Deutschland bildet hier das berühmte hartleibige Schlußlicht; und dies in einem Bereich, in dem es nicht darum geht - das sei Ihnen zum Ziel dieses Gesetzentwurfes gesagt -, Ihnen die Wahl des Genußmittels zu vermiesen. Wir wollen kein totales Rauchverbot in der Republik einführen. Uns graut es, wenn wir nach Amerika schauen, wo es Bundesländer, in denen Sie überhaupt keine Zigarette mehr rauchen dürfen, und öffentliche Parks, in denen das nicht gestattet ist, gibt. Dies sind in meinen Augen fundamentalistische Vorstellungen. Seien Sie froh, daß die Initiatoren das Rauchen nur für die Bereiche regeln wollen, in denen Raucher und Nichtraucher gezwungenermaßen nebeneinander und miteinander leben müssen und, Frau Limbach, sich nicht ausweichen können. Da Sie ständig auf die Appelle zurückkommen, die man doch an vernünftige Menschen richten könnte und die zu etwas führen müßten, frage ich Sie, warum der Präsident der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar, gesagt hat - dies war in diesen Tagen in der „Süddeutschen Zeitung" zu lesen -: Mit Appellen ist nicht gedient. Ihre Wirkungslosigkeit ist erwiesen. Die Ausführungen zumindest sämtlicher medizinischen Sachverständigen im Rahmen der öffentlichen Anhörung im Oktober letzten Jahres haben eindeutig erwiesen, daß ein Nichtraucherschutz - dieser Name ist Programm - auf gesetzlicher Basis dringend notwendig ist. ({3}) Ich sage Ihnen auch, warum, Frau Limbach. Die Freiheit bei der Wahl des Genußmittels ist Ihnen unbenommen. Ob Sie Ihre Leber durch zuviel Whisky schädigen oder ob Sie Ihren Körper durch Drogenkonsum schädigen, interessiert uns nicht. Aber Sie zwingen auch keinen Zuckerkranken zur täglichen Portion Torte. Wieso sollen wir dann zum Mitrauchen und zu den Schädigungen gezwungen werden, die dadurch entstehen? ({4}) Hier geht es doch nicht um die Toleranz der Nichtraucher. Entschuldigung, ich kann doch nicht davon sprechen, daß ich tolerant bin, wenn ich hinter mir die Whiskyflasche stehen habe und immer dann, wenn ich will, auch trinken kann. Der Raucher fragt doch nicht den Nichtraucher: „Paßt es dir, wenn ich jetzt rauche?" Ich habe als Nichtraucher doch keine Wahl. ({5}) Ich denke, bei der Abwägung der Persönlichkeitsrechte - das sage ich ganz friedlich, aber sehr bestimmt - muß ein fairer Interessensausgleich zugunsten der Gesundheit stattfinden dürfen. ({6}) Dazu sind wir als Gesetzgeber verpflichtet. Das sei hinter die Ohren des Gesundheitsministers geschrieben. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schuster?

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gem.

Dr. R. Werner Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002118, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Kollegin, wie Sie persönlich wissen, trage ich in diesem Punkt auf zwei Schultern: Als Arzt weiß ich - Sie brauchen mich da nicht zu überzeugen -, wie recht Sie haben. Auf der anderen Seite liebe ich Zigarren. Ich unterstütze trotzdem Ihre Initiative. Nur habe ich eines nicht verstanden: Warum darf ich nicht, wenn ich meine Mitarbeiter gefragt habe und in deren Büros nicht rauche, in meinem eigenen Büro, im öffentlichen Bereich, rauchen? Das läßt Ihr Vorschlag nämlich nicht zu. Ich meine, die gegenseitige Rücksichtnahme, die ich gerne praktizieren will, bedeutet auch, daß man in abgetrennten Räumen, in denen man arbeitet, rauchen darf, auch wenn es im öffentlichen Bereich ist. Eine letzte Anmerkung: Ich selber plädiere schon lange dafür, Herr Seehofer, daß wir eine zweckgebundene Abgabe in Form von Steuern auf Alkohol und Nikotin einführen, um damit endlich Gesundheitsförderung ordentlich bezahlen zu können.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Schuster, ich bin Ihnen für diese Steilvorlage dankbar. Denn eines der vielen falschen Gerüchte, die gezielt gestreut werden, ist, daß man in einem nicht öffentlich orientierten Raum - ein solcher ist das Abgeordnetenbüro; denn dort haben Sie nicht ein ständiges Kommen und Gehen - nicht rauchen darf. ({0}) - Da empfangen Sie nur die Besucher, die Sie auswählen. ({1}) Beim Arbeitsamt oder im Krankenhaus dagegen gibt es eine andere Art von Öffentlichkeit. Dieses Mißverständnis räume ich aus. Wo nur Raucher in einem Großraumbüro miteinander arbeiten, ist das kein Problem. Da klagt niemand einen Nichtraucherplatz ein. In einem Raum, in dem Sie alleine zu arbeiten haben, oder in einem Lkw - auch da ist alles andere ein übles Gerücht - bestimmen Sie alleine. Wo kein Kläger, da kein Richter. ({2}) Wenn ich schon dabei bin, will ich auch ein zweites Gerücht ausräumen. Ich finde es fast rührend in seiner Lächerlichkeit, daß wir angeblich auch das Rauchen an Zebrastreifen oder offenen Bushaltestellen reglementieren wollen. Die Begriffe ,,Verkehrsmittel" und „Verkehrsanlagen" beziehen sich auf geschlossene Räume; das ist die Definition. Ich bitte Sie, nicht auf Feldern zu kämpfen, wo niemand als Ihr Gegner auftaucht. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, auch der Kollege Dreßen möchte eine Zwischenfrage stellen. - Nicht mehr? Gut.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe sowieso nur fünf Minuten Redezeit, und ich sehe, daß ich bei meiner letzten Minute angekommen bin. Ich hoffe, daß die Kollegen, die den Gesetzentwurf befürworten, auf Fragen, die von mir wegen der Kürze der Zeit nicht beantwortet werden können, noch eingehen. Ich denke, nicht nur die gesundheitlichen Schäden erfordern eine gesetzliche Regelung, sondern auch die Tatsache, daß das Rauchen eine höchst persönliche genußvolle Entscheidung ist. Wie gesagt: Wie Sie niemandem, der zuckerkrank ist, aufzwingen können, täglich sein Stück Torte zu essen - dann wird er nämlich noch kränker -, genauso können Sie niemanden gegen seinen Willen zwingen mitzurauchen. Wenn Sie schon von Freiheit und Toleranz sprechen, dann praktizieren Sie das doch gegenüber den Nichtrauchern! Die werden, wie gesagt, in diesen Entscheidungsprozeß nicht eingebunden. Sie haben ihn mit allen Konsequenzen zu erdulden. Herr Seehofer, wenn es in den Zigaretten bekanntermaßen 4000 schädliche Substanzen gibt, von denen 50 krebserregend sind, die sich verlustlos summieren - es gibt dort keine Schwelle, ab der der Krebs erst entsteht -, und wenn sogar die amerikanische Umweltbehörde EPA den Tabakrauch als das Umweltgift Nummer eins bezeichnet hat - vergleichbar mit Arsen, Asbest und Radon -, dann frage ich Sie angesichts der Zuzahlungsmechanismen, die nicht die Opposition zu verantworten hat: Wieso soll denn ein kranker Passivraucher für seine Behandlungskosten noch zuzahlen, wo er doch an der Entstehung seiner Krankheit nicht einmal beteiligt war? Das ist ja absurd! Wenn Sie wollen, daß weniger gezahlt wird und die Volksgesundheit besser wird, dann sorgen Sie bitte dafür, daß die Volksgesundheit durch ein Nichtraucherschutzgesetz verbessert werden kann. Mir persönlich tut es leid, daß wir in diesem Gesetz nur den Aspekt des Nichtraucherschutzes regeln, und zwar nur für die Bereiche, in denen man nicht ausweichen kann, das Gaststätten und Hotels also außen vor bleiben. Mir tut es auch leid, daß die Kinder im Privatbereich nicht geschützt werden können. Wir haben aber gesagt, daß wir die Schnüffelei, die das Durchsetzen eines gesetzlichen Schutzes zur Folge haben würde, nicht wollen, und haben uns deswegen auf die wirklich notwendigen Bereiche beschränkt. Ich danke zum Schluß - das habe ich auch bei der ersten Lesung getan - meinen beiden Kollegen Dr. Burkhard Hirsch und Sauer stellvertretend für alle Unterstützerinnen und Unterstützer, meinem Büro und allen anderen, die eine Flut von negativen und positiven, militanten und nichtmilitanten Zuschriften zu bewältigen hatten. Ich bitte Sie ganz herzlich, Ihrem Herzen einen Ruck zu geben und die Chance zu ergreifen, den Nichtraucherschutz auf eine einwandfreie Basis zu stellen, damit der persönliche Konfliktfall endlich aus dieser Ebene herausgeholt werden kann. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manfred Hampel.

Manfred Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000798, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich spreche für den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/9752 und damit gegen die Entwürfe des Nichtraucherschutzgesetzes. ({0}) Damit keine Mißverständnisse aufkommen, sage ich Ihnen: Ich bin seit mehr als 20 Jahren leidenschaftlicher Nichtraucher. ({1}) Einer der am häufigsten gesprochenen Sätze, an den ich mich aus der Zeit, in der ich noch geraucht habe, erinnern kann, war: Gestatten Sie, daß ich rauche? - Sollten wir nicht lieber wieder dahin kommen? ({2}) Es ist auch unstrittig - Herr Kollege Sauer hat es dargestellt -, daß Nichtraucher durch Passivrauchen gefährdet sind. Das bestreitet keiner. Es gibt eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen darüber. Es muß auch gemeinsames Anliegen von Befürwortern und Gegnern dieses Nichtraucherschutzgesetzes sein - ich gehe davon aus, daß es das ist -, daß bestimmte Personengruppen besonders geschützt werden müssen: Schwangere, Säuglinge, Kleinkinder, Menschen mit asthmatischen Erkrankungen und anderen Erkrankungen der Atemwege. Ich denke, das muß unser Anliegen sein. In diesem Sinne habe ich in gewisser Weise auch Sympathie für das Anliegen der Initiatoren dieses Nichtraucherschutzgesetzes. ({3}) Muß das aber unbedingt durch einen typisch deutschen Regelungswust, durch eine Vielzahl von Paragraphen ({4}) und empfindliche Strafen geschehen? Ich weiß nicht, ob wir damit das gewünschte Ziel, Nichtraucher zu schützen, erreichen. Toleranz, Vernunft, Freiwilligkeit und gegenseitige Rücksichtnahme wären bessere Instrumente, den Nichtraucherschutz durchzusetzen. Deswegen plädiere ich, wie in diesem Antrag formuliert und gefordert, dafür, daß eine Untersuchung stattfindet. Auf der Basis der Ergebnisse dieser Untersuchung könnten der Umfang und die Art des Schutzes gefährdeter Personengruppen anders als unbedingt durch neue gesetzliche Regelungen festgelegt werden. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Hampel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fuhrmann?

Manfred Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000798, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin zwar am Ende, aber warum nicht?

Arne Fuhrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000619, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege, ich möchte eine einzige Zwischenfrage stellen, weil mir der erste Satz so gut gefallen hat. Herr Kollege Hampel, haben Sie schon ein einziges Mal im Leben erlebt, daß jemand zu Kindern gesagt hat: Gestattet ihr, daß ich rauche? ({0})

Manfred Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000798, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist eine Frage, die ich in dieser Form nicht beantworten kann. Ich kann nur für mich sprechen. Ich selbst habe lange Jahre - über 15 Jahre - ziemlich stark geraucht. Für mich war es immer ein Anliegen, Rücksicht zu nehmen. Ich denke, daß auch viele Raucher so wie ich handeln. Sie fragen, ob es stört, wenn sie rauchen. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob die Betroffenen Erwachsene oder Kinder sind. Wenn Kinder im Raum sind, dann braucht man oftmals gar nicht zu fragen, man tut es einfach nicht. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Bläss.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte um die Beschlußfassung über ein Nichtraucherschutzgesetz hat mittlerweile einen Grad an Peinlichkeit erreicht, über den man lachen könnte, wenn es nicht um die Gesundheit von Millionen Bürgerinnen und Bürgern ginge. Eigentlich ist alles klar: Sämtliche Umfragen bestätigen, daß eine satte Mehrheit der Bevölkerung - immerhin 75 Prozent und sogar die Hälfte der Rauchenden hierzulande - ein Nichtraucherschutzgesetz befürwortet. Unzählige wissenschaftliche Studien belegen die gesundheitlichen Gefahren, die vom PassivPetra Bläss rauchen ausgehen. Ich verweise diesbezüglich nur auf das Protokoll der Anhörung des Gesundheitsausschusses und die vielen Zuschriften, die uns Abgeordnete in der letzten Zeit erreicht haben. Die Unterstützerinnen und Unterstützer des Nichtraucherschutzgesetzes haben immer wieder deutlich gemacht, daß es ihnen nicht um die Diskriminierung von Rauchenden, sondern um den Schutz von Nichtrauchenden, um ihren Anspruch auf eine rauchfreie Umwelt in öffentlichen Gebäuden, in Verkehrsmitteln und am Arbeitsplatz geht. ({0}) Bezeichnenderweise geht der eigentliche Streit nicht um die Inhalte, sondern um die Notwendigkeit, die Verhältnismäßigkeit und die Durchführbarkeit des Nichtraucherschutzgesetzes. Die Gegnerinnen und Gegner der heute zur Debatte stehenden Minimallösung - um mehr geht es in der Tat erst einmal nicht - haben sich in den letzten Wochen mit ihrer Geschäftigkeit selbst ein Armutszeugnis ausgestellt. Die Lobbyarbeit der Tabakindustrie hinter den Kulissen lief auf Hochtouren. Da wurde sogar extra ein Gefälligkeitsgutachten über die Kosten eines Nichtraucherschutzgesetzes für die unternehmerische Wirtschaft in Auftrag gegeben. ({1}) Da wird ausgerechnet von denen, die - wie heute vormittag und auch sonst - ein Hohelied auf die USA singen, die Gefahr amerikanischer Verhältnisse heraufbeschworen. ({2}) Ich denke, daß meine Vorrednerinnen und Vorredner, die für das Nichtraucherschutzgesetz sprachen, deutlich gemacht haben, daß es hierum überhaupt nicht geht. Den Gipfel der Peinlichkeit stellen die Hilferufe des Verbandes der Cigarettenindustrie dar, die zugleich Gehör bei ihren Handlangern in den Koalitionsfraktionen gefunden haben, das Nichtraucherschutzgesetz stelle eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und des Standortes Deutschland dar. ({3}) Daß sich ausgerechnet Bundesgesundheitsminister Seehofer so vehement gegen ein Nichtraucherschutzgesetz wendet, finde ich erschreckend und skandalös. ({4}) Zu Recht ist ihm deshalb vor kurzem vom Nichtraucherbund Berlin ein entsprechender Preis verliehen worden. Selbst der Tagesschau war die Überreichung des „Stinkstiefel 1998" - ich zitiere diesen bestimmt unparlamentarischen Ausdruck hier nur - eine Meldung wert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Glaube, das Problem löse sich von selbst, Nichtrauchende und Rauchende kämen schon zu einem Einvernehmen, hat sich als Illusion erwiesen. Deshalb gibt es keine tragfähige Alternative zu einem Nichtraucherschutzgesetz. ({5}) Der heute zur Abstimmung stehende, fraktionsübergreifend eingereichte Gesetzentwurf ist so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner. Das vorgeschlagene Nichtraucherschutzgesetz würde lediglich Mindeststandards setzen und käme sowieso nur im Konfliktfall zur Anwendung. Es würde, insbesondere was den Arbeitsplatz betrifft, die unklare Rechtslage beseitigen. Die Initiatorinnen und Initiatoren des Gruppenentwurfs haben die notwendigen Präzisierungen für den Geltungsbereich und die Sanktionierung vorgenommen. Unter dem Strich bleibt festzustellen: Ein Nichtraucherschutzgesetz ist notwendig, angemessen und durchführbar. Während der anschließenden Abstimmungen haben wir Abgeordnete die Chance, fraktionsübergreifend den Forderungen einer klaren Bevölkerungsmehrheit nachzukommen und ein politisches Signal für den überfälligen Nichtraucherschutz hierzulande zu setzen. Sowohl die nichtrauchenden als auch die rauchenden Abgeordneten der PDS werden dies heute tun. Wir werden mehrheitlich auch dem Gesetzentwurf der Bündnisgrünen zustimmen, denn er setzt, was den Anspruch auf einen rauchfreien Arbeitsplatz und die Festschreibung gesundheitlicher Aufklärung betrifft, wichtige und notwendige Akzente. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Franz Peter Basten.

Franz Peter Basten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002623, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin als Gelegenheitsraucher für den Schutz von Nichtrauchern, aber gegen die vorgelegten Gesetzentwürfe. Die Entwürfe haben schwere Mängel. Der hektische Abänderungsaktivismus der letzten Tage zeigt ja nur, daß die Autoren selbst nicht so recht wissen, was sie wollen. Sie können nicht unterschiedslos reine Belästigungstatbestände und Tatbestände der gesundheitlichen Gefährdung unter eine gesetzliche Verbotsnorm zwingen, die dazu noch keine Ausnahme duldet. Belästigungen schafft man zwischen erwachsenen Leuten im Rahmen von Anstand und Rücksicht aus der Welt. ({0}) Zur Beseitigung der gesundheitlichen Gefährdungen stehen andere Lösungswege zur Verfügung als die vorgelegten Gesetzentwürfe.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sauer?

Franz Peter Basten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002623, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, jetzt nicht. Der Gruppenantrag führt im Einzelfall zu völlig unsinnigen Ergebnissen. Ich nenne an Hand des Gruppenantrags drei Beispiele: Erster Fall. In einem Schreibbüro eines mittelständischen Unternehmens ohne Publikumsverkehr arbeiten zwei Raucher. Gleichwohl besteht ein striktes Rauchverbot, denn als Ausnahmetatbestand kommt nur § 2 Abs. 2 - Räume ohne Publikumsverkehr, die Rauchern als Einzelräume dienen - in Betracht. Zweiter Fall. Von den zwei Arbeitnehmern ist einer Raucher und der andere Nichtraucher. ({0}) Der Nichtraucher ist mit dem Rauchen einverstanden. Es besteht trotzdem ein striktes Rauchverbot, denn eine derartige Vereinbarung ist unzulässig. Das ist kein Firlefanz; es entspricht der Lebenswirklichkeit. Sie müssen sich daran gewöhnen, daß Sie die Gesetze, die Sie machen, an den Lebenswirklichkeiten, an den Realitäten auch in der Wirtschaft orientieren. ({1}) Ansonsten werden Sie mit Ihren Initiativen - ich jedenfalls werde solchen Initiativen nicht zustimmen - scheitern. Dritter Fall. Er ist schon angesprochen worden: der Abgeordnete im Bürgerbüro. Selbstverständlich handelt es sich um Publikumsverkehr. Wie soll er denn sonst seine Arbeit machen? Publikumsverkehr ist doch gerade die Voraussetzung für den Kontakt mit den Leuten. Es gibt gar keinen Zweifel, Frau Kollegin Titze-Stecher, daß nach den Gesetzentwürfen auch dort ein Rauchverbot bestehen würde. Das gleiche gilt für die Anwaltskanzlei und für das Steuerbüro. Sie könnten die Liste endlos fortsetzen. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin TitzeStecher?

Franz Peter Basten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002623, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich beantworte jetzt keine Zwischenfrage. Ich möchte ohne Unterbrechung weiterreden. Es gibt weitere Kuriositäten. Wenn der städtische Angestellte verbotswidrig raucht, begeht er eine Ordnungswidrigkeit und zahlt. Wenn der Angestellte im Privatbetrieb im Gebäude nebenan unter denselben Voraussetzungen verbotswidrig raucht, begeht er keine Ordnungswidrigkeit und zahlt dementsprechend nicht. Aber in jedem Fall zahlt der Chef. Das sind die logischen Folgen eines Gesetzentwurfs, der nicht durchdacht und nicht überlegt ist. Er bringt uns bei der Bevölkerung in Schwierigkeiten, weil das, was wir eigentlich sinnvollerweise anstreben sollten, nur karikiert wird. Wenn die Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft auch nur annähernd stimmen, dann kommt auf die Privatwirtschaft, insbesondere auf die mittelständische Wirtschaft, eine Belastung in zweistelliger Milliardenhöhe zu. ({0}) Wir können nicht die Entlastung der Wirtschaft von Kosten zur Schicksalsfrage der Nation erheben und gleichzeitig durch solche Gesetze Milliarden DM draufsatteln. Die Debatte heute morgen und diese Debatte passen nicht zusammen. Auch das will ich bei dieser Gelegenheit einmal sagen. ({1}) Der angesehene Staatsrechtslehrer Hans-Peter Schneider weist in einem Gutachten nach, daß der Gruppenantrag unter anderem auch gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip sowie gegen das Übernormierungsverbot verstößt und damit zu allem Überfluß auch noch verfassungswidrig ist. Die geltende Rechtslage gewährt bereits Rechtsschutz in erheblichem Umfang. § 5 Arbeitsstättenverordnung und § 618 BGB sehen Schutzbestimmungen vor. Besondere Schutznormen gibt es im Mutterschutzgesetz und im Jugendarbeitsschutzgesetz. Diese gesetzlichen Regelungen geben den Betroffenen einklagbare Rechte. In der Anhörung hat ein einschlägig erfahrener sachverständiger Rechtsanwalt von einer hohen Erfolgsquote gesprochen. Bestehende Lücken, wie zum Beispiel beim Luftverkehr oder in Gaststätten, können durch Vereinbarungen geschlossen werden. Man arbeitet auch daran. Aber gerade für diese Bereiche sehen auch die Entwürfe keine Regelungen vor. Die vorhandenen gesetzlichen Regelungen und betrieblichen Vereinbarungen lassen, im Gegensatz zum kompromißlosen Totalverbot der Entwürfe, differenzierte betriebs- und ortsbezogene Lösungen zu. Wir sprechen so viel vom Subsidiaritätsprinzip. Hier können wir es anwenden. Mit betrieblichen Vereinbarungen werden auch die Mitbestimmungsrechte der Belegschaft gewahrt. Die vorgesehenen gesetzlichen Regelungen schaffen die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates ab. Völlig zu Recht hat sich der DGB in einer Presseerklärung vom 3. Februar 1998 gegen die vorliegenden Entwürfe ausgesprochen. Zum Schluß noch folgende Bemerkung. Die Anhänger der Gesetzentwürfe verweisen immer wieder darauf, daß eine große Mehrheit der Bevölkerung diese Gesetze zum Schutze der Nichtraucher wolle. Ich begegne viel öfter der Frage: Habt ihr in Bonn angesichts der wirklichen Probleme im Lande nichts Besseres zu tun, als solche Gesetze auf den Weg zu bringen? ({2}) Wir Politiker fordern immer: weniger Staat, weniger Gängelung, weniger Regulierung und weniger Bevormundung. Wir führten gestern eine Anhörung zum Ehrenamt durch und rufen heute nach dem Staat, um Anstand und Rücksichtspflichten zu kodifizieren. Der Ruf nach dem Staat zur Regelung von Rücksichtnahme und Toleranz ist eine Kapitulationserklärung und mit der Vorstellung vom selbstbewußten und zur Konfliktregelung fähigen Bürger nicht vereinbar. Es ist ein schlechter Weg, den Sie gehen. Ich kann diesen Gesetzentwürfen nicht meine Zustimmung geben. Vielen herzlichen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Titze-Stecher das Wort.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Basten, um mit Ihrem letzten Vorwurf anzufangen: Wenn dieses Gesetz heute keine Mehrheit findet, dann kann ich mich als Mitinitiatorin zwar damit trösten - wie auch Frau Limbach bemerkt hat -, daß zumindest das Bewußtsein in der Bevölkerung für die Problematik und die Gesundheitsschäden zugenommen hat, wenn auch ohne Konsequenzen. Aber was Sie zur Kapitulationserklärung gesagt haben, möchte ich anders ergänzen: „Die Nichtverabschiedung des notwendigen Gesetzes wäre für mich eine Kapitulation vor den Interessen der Tabaklobby." ({0}) So wörtlich in einer amerikanischen Zeitung zur Debatte um das Nichtraucherschutzgesetz in Deutschland. Die ganze Welt begreift gar nicht, daß dieses Thema zur Standortfrage hochstilisiert wird, obwohl es um das Thema Gesundheit geht. ({1}) Wenn wir schon immer die Ökonomie über die Ökologie stellen, stellen Sie doch hier einmal die Gesundheit über die Ökonomie, Herr Basten. In diesem Fall ist es so - wahrscheinlich wissen Sie das nicht -, daß die volkswirtschaftlichen Kosten der Schädigung durch Tabakrauch auf eine Summe zwischen 80 und 90 Milliarden DM beziffert werden. Bei den Kosten, die die Wirtschaft berechnet hat, und zwar auf Grund einer komischen Umfrage kurz vor Weihnachten in Form von telefonischen Recherchen bei zehn Unternehmen, hochgerechnet auf die ganze Republik, übrigens im Auftrag der Tabakindustrie - „Wes Brot ich ess', des Lied ich sing' " -, war klar, was herauskommt. Daß Sie es wagen, eine solche unseriöse Grundlage hier als veritables Gutachten zu präsentieren, spricht schon gegen Ihre Argumentationskette. ({2}) Der nächste Punkt: das Abgeordnetenbüro. Natürlich sind wir alle daran interessiert und müssen daran interessiert sein, den Kontakt zum Bürger zu pflegen. ({3}) Wenn ich in meinem Büro alleine bin - darum geht es ja -, kann ich machen, was ich will. Ich kann die Zigarette sogar fressen, wenn es mir schmeckt. ({4}) - Ich muß das einmal spaßig bringen, weil es solche Irrsinnsargumente sind, die vorgebracht werden. In dem Moment, da ich mit einer Mitarbeiterin in einem Raum sitze - aber zeigen Sie mir den Abgeordneten, bei dem das der Fall ist; das ist doch Fiktion -, ist das etwas anderes. ({5}) Ich traue Ihnen zu, Herr Basten, daß Sie in dem Moment, da Sie Besuch in Ihrem Wahlkreisbüro empfangen und der Besucher Sie bittet, nicht zu rauchen, weil er empfindlich ist, Rücksicht nehmen. Davon gehe ich aus. ({6}) - Hinter mir sagt jemand: Der raucht weiter. Das muß er selber verantworten. Jeder ist für die Dummheiten, die er anstellt, selber zuständig. Ich komme jetzt zur Verfassungsmäßigkeit. Herr Basten, wir haben vier Jahre lang an diesem Gesetzentwurf herumgebastelt, der jetzt wirklich nur noch einen Zahn hat. Sie dürfen rauchen, aber nicht immer, wenn Sie wollen, und nicht überall, wo Sie wollen. Sie müssen es eben auf gekennzeichnete Räume beschränken. Das ist aber den Preis wert, nämlich den der besser werdenden Gesundheit bei Passivrauchern und Rauchern. Glauben Sie denn nicht, daß, nachdem zweifelsfrei festgestellt wurde, daß der Bundesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz hat, die Verfassungsmäßigkeit vorausgesetzt ist? Letzter Punkt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Titze-Stecher, Sie haben nur drei Minuten Redezeit. Sie können noch einen Satz sagen.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die von Ihnen erwähnten Betriebsvereinbarungen sind nach den Zuschriften, die ich von Mitarbeitern bei Siemens und anderen großen Konzernen erhalten habe, deswegen nicht greifend, weil die Machtspielchen je nach Mehrheiten Sieger oder Verlierer hinterlassen. Wir möchten dieses durch das Gesetz entschärfen und befrieden. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es wird keine Antwort gewünscht. Dann hat der Kollege Burkhard Hirsch das Wort.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Basten, Sie haben laut, voll innerer Überzeugung und ohne jede Rücksicht auf den Text der vorgelegten Anträge gesprochen. ({0}) Wir haben kein Raucherverbotsgesetz vorgelegt, sondern ein Nichtraucherschutzgesetz. Wir wollen das Rauchen nicht verbieten, sondern wir wollen diejenigen schützen, die gegen ihren Willen gezwungen werden, Tabakrauch, Nikotin und andere krebserregende Stoffe einzuatmen. ({1}) Wir befinden uns mit diesem Gesetzentwurf in völliger Übereinstimmung mit den Entschließungen des Rates und des Ministerrats der Europäischen Gemeinschaft, einer Erklärung der Bundesregierung von 1992, einer Entschließung des Bundesrates von 1993 und der Entschließung des Europarates vom Dezember 1997. ({2}) Es ist kein unerhörter Verstoß, sondern Gesetze dieser Art bestehen in über 90 Ländern dieser Erde. Nach der Anhörung ist völlig unstreitig - übrigens auch bei denjenigen, die die Entschließung beantragt haben -, daß das Passivrauchen nicht nur lästig und ärgerlich, sondern auch gesundheitsschädlich ist. Nur der Verband der Cigarettenindustrie behauptet unverändert etwas anderes. Das Passivrauchen ist gesundheitsschädlich, es erhöht die Zahl von Krebs- und Kreislauferkrankungen. Auf dieser Grundlage haben wir einen Gesetzentwurf beraten, den wir durch einen von Ihnen karikierten Änderungsantrag sogar abschwächen, um die Akzeptanz zu vergrößern. Wir haben Folgerungen aus der Anhörung gezogen. Bei Ihnen mag es vielleicht ungewöhnlich sein, Folgerungen aus den Anhörungen zu ziehen. Trotzdem haben wir uns mit einer Reihe von Argumenten auseinanderzusetzen, die offenkundig gegenstandslos sind. Da wird von einer Überreglementierung gesprochen. Der Gesetzentwurf ist so einfach, wie ich in den letzten 20 Jahren keinen anderen gesehen habe; er hat sieben einfache Paragraphen. ({3}) Es wird von Kriminalisierung gesprochen. Nichts davon ist wahr. Das Rauchen in Gaststätten wird völlig ausgeklammert. Das Rauchen in einem Büro ohne Publikumsverkehr wird völlig herausgenommen. Publikumsverkehr herrscht in Büros, die für jedermann offen sind, also beispielsweise Meldestellen und Polizeiwachen. Ihr Büro zählt dazu natürlich nicht. Das Rauchen am Arbeitsplatz ist von jeder Buße freigestellt. Es bleibt eine Regelung wie in vielen anderen Bereichen übrig: Wenn Sie zum Beispiel im Straßenverkehr 50 km/h statt 30 km/h fahren, wird Ihnen ein Bußgeld in Höhe bis 100 DM und nicht mehr auferlegt. Es bleibt schließlich eine Buße für diejenigen übrig, die die Hinweisschilder nicht anbringen, also für die Inhaber des Hausrechts, oder für diejenigen, die einer Durchführungsverordnung, die die Bundesregierung erlassen wird, zuwiderhandeln. Die Buße beträgt 5 000 DM. Denken Sie bitte daran, daß in der Gewerbeordnung bei Kleinigkeiten eine Buße in Höhe von bis zu 10 000 DM vorgesehen ist, ohne daß ich jemals gehört habe, daß Sie sich darüber beschwert hätten. ({4}) Die Kernfrage ist und bleibt: Warum machen wir überhaupt einen Gesetzentwurf? ({5}) Das will ich Ihnen sagen. Gesetze sind Streitregelungen; sie erfassen die Fälle, in denen die Menschen die normale Rücksichtnahme auf den anderen nicht erbringen. Das sind die Fälle, in denen die Raucher nicht akzeptieren, daß sie nicht nur sich selbst, sondern ihre Mitmenschen gegen deren Willen gesundheitlich schädigen. Wir könnten auf die meisten Gesetze, auf das Ehegesetz, auf die Straßenverkehrsordnung, auf jede strafrechtliche Bestimmung, sogar auf den größten Teil der Zehn Gebote verzichten, wenn die Menschen sich so benähmen, wie sie sich benehmen sollten. Aber sie tun es nicht! ({6}) Nun ist die Frage, ob wir als Gesetzgeber den Nichtraucher damit alleinlassen sollen. Die Rechtsprechung zum Nichtraucherschutz, verehrter Herr Anwaltskollege, ist leider nicht einheitlich. Geht ein Nichtraucher zum Arbeitsgericht, dann ist er der Störenfried. Er muß nachweisen, wie hoch die Belastung in seinem Einzelfall ist, wieviel in seinem Großraumbüro geraucht wird und wer das tut. Er muß darlegen, daß er mit seiner gesundheitlichen Konstitution nicht zurechtkommt und deswegen auf einem rauchfreien Arbeitsplatz besteht. Er wird im Hinblick auf das Betriebsklima in die Rolle des Angreifers gedrängt, obwohl er sich doch verteidigt. Sein Chef hat es einfach. Er sagt, hier wird nicht geraucht, oder er steckt sich eine an, und alle anderen müssen es akzeptieren. Darum brauchen wir ein Gesetz: Das Gesetz schützt den Schwachen. Sie lassen denjenigen allein, der sich nicht durchsetzen kann; er muß hinnehmen, was der andere will. ({7}) Hinzu kommt - das wissen Sie genau -, daß ein erheblicher Teil der Raucher nikotinabhängig ist und sich gar nicht mehr klarmacht, was das Rauchen für die anderen bedeutet. Jeder von uns weiß das aus zahllosen Sitzungen. Letzte Bemerkung: Die Emotionen, mit denen wir zu kämpfen haben, kommen nicht nur aus den wirtschaftlichen Interessen der Tabakindustrie, sondern auch daraus, daß das Rauchen eine dramatische Entwicklung genommen hat. Die erste automatische Zigarettenherstellungsmaschine ist 1880 aufgestellt worden. Damals war der durchschnittliche Konsum eines Rauchers 40 Zigaretten pro Jahr. Heute ist der durchschnittliche Konsum eines Rauchers 12 000 Zigaretten pro Jahr. Allein in Deutschland sind 17 Millionen Menschen nikotinabhängig; das ist gering geschätzt. Das ist der Grund, warum so viele Emotionen entstehen: Wir müssen nämlich zur Kenntnis nehmen, daß eine eingefleischte Gewohnheit nicht nur lästig, sondern gesundheitsschädlich ist, und zwar nicht nur für einen selbst, sondern auch für andere. ({8}) Wir müssen die Sache wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Es ist nicht normal, daß sich der Raucher einfach eine ansteckt und die anderen es dulden müssen. Normal ist es genau umgekehrt: Derjenige, der die Gesundheit seiner Mitmenschen berührt, muß sich den Nichtrauchern anpassen. Daran müssen wir uns gewöhnen, auch Sie, verehrter Herr Kollege. Deswegen bitte ich Sie, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen W. Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Nichtraucher, habe drei Kinder, bin Mitglied des Gesundheitsausschusses und will versuchen, zu begründen, warum ich trotzdem gegen die vorgelegten Gesetzentwürfe bin. Ich halte die Gesetzentwürfe erstens für unnötig, zweitens für unverhältnismäßig und drittens für nicht kontrollierbar. ({0}) Darüber hinaus verursachen sie unnötige, teilweise unvertretbare Kosten. Zum ersten Punkt. Die Gesetzentwürfe sind unnötig, weil wir im deutschen Arbeits- und Zivilrecht bereits ausreichende gesetzliche Vorschriften sowie die Arbeitsstättenverordnung und das Beamtenrechtsrahmengesetz haben. Darüber hinaus haben wir durch die Mitbestimmungsregeln des Betriebsverfassungsgesetzes hinreichend Möglichkeiten, im Betrieb zu Vereinbarungen zwischen Rauchern und Nichtrauchern zu kommen, die sicherstellen, daß beide zu ihrem Recht kommen. Das gleiche gilt für Behörden. Jeder, der heute einen Behördengang macht, weiß doch, daß es längst Bestimmungen gibt, die in den Behörden das Rauchen weitestgehend ausschließen. In der Anhörung unseres Ausschusses, liebe Kolleginnen und Kollegen - ich wende mich an diejenigen bei der SPD, die den Gesetzentwürfen zustimmen -, haben ausgerechnet die Gewerkschaftsvertreter mit allem Nachdruck dafür geworben, nicht dieses Gesetz zu beschließen, sondern die Mitbestimmungsregeln weiter gelten zu lassen. Ich bitte Sie, das doch ernst zu nehmen. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Möllemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heuer?

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja. Da dies hier eine Debatte ist, selbstverständlich.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Werter Kollege Möllemann, Sie sagen, dieser Gesetzentwurf sei unnötig. Wie erklären Sie dann die ungeheuren Anstrengungen der Zigarettenindustrie, ihn zu verhindern? ({0})

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich beabsichtige eigentlich nicht, die Anstrengungen irgendeiner Industrie zu erklären. Ich vertrete hier vielmehr meine Meinung. ({0}) Ich denke, daß das jeder für sich reklamiert. Mit der billigen Methode, über die ich auch nach 25 jähriger Zugehörigkeit zu diesem Haus noch staunen kann, daß man bei Bedarf Amerika heranzieht oder es verteufelt, daß man bei Bedarf die Gewerkschaft, die Wirtschaft oder etwas anderes heranzieht oder sie lächerlich macht, ({1}) können Sie bei mir nichts erreichen. Ich fand die Argumente der Gewerkschaftsvertreter eindrucksvoll und finde, Sie sollten sie sich zu Herzen nehmen. ({2}) Zweiter Punkt. Ein rigoroses Rauchverbot, wie es in den Gesetzentwürfen vorgesehen ist, halte ich für unverhältnismäßig. Nach meinem Lebensgefühl haJürgen W. Möllemann ben wir schon genug Regelungen und Vorschriften in diesem Lande. ({3}) Es wird immer stärker in den privaten Lebensbereich hineinreglementiert. Ich will das einfach nicht. Ich bin für eine nachhaltige und deutliche Aufklärung über die Gesundheitsgefahren des Rauchens aus der Überzeugung heraus, daß wir auf Prävention ausgerichtet sein müssen. Aber es kann dabei nicht darum gehen, dem einzelnen seine persönliche Lebensgestaltung immer stärker vorzuschreiben. Man kann es mit Händen greifen: Es geht immer ein Schrittchen weiter. Heute tun Sie das beim Rauchen; morgen werden Sie das beim Alkohol und bei anderen Dingen tun. ({4}) Der mündige Mensch sollte im eigenen Verantwortungsbereich hinreichend Spielräume bekommen und sollte nicht von bestimmten Moralaposteln bis in den letzten Bereich hinein Vorschriften gemacht bekommen. ({5}) Nun will ich auf einen dritten Punkt zu sprechen kommen, der mich wirklich fuchst. Herr Kollege Braun, jetzt meine ich Sie und die anderen, die diese Meinung vertreten. Im Gesundheitsausschuß haben 80 Prozent der Herren Professoren, deren Kenntnisse ich wirklich bewundert habe, immer nur von den Kindern gesprochen. ({6}) Dann habe ich gefragt: Können Sie mir einmal sagen, an welcher Stelle dieser Gesetzentwurf irgend etwas für Kinder bewirkt? ({7}) Verstehen Sie: Das ist die Sauerei. Man spricht die ganze Zeit von den Kindern und weiß genau, daß sie im wesentlichen zu Hause geschädigt werden. Man traut sich aber nicht, per Gesetz festzulegen, daß zu Hause nicht mehr geraucht werden darf. ({8}) Sie sprechen von Arbeitsstätten und von Behörden. Wo bleiben denn da die Kinder? Wenn Sie keine besseren Argumente haben als den Kinderschutz, dann fordern Sie doch konsequenterweise: Wir wollen die Kinder durch Rauchverbote, die auch zu Hause gelten, schützen. Das trauen Sie sich nicht, weil Sie wissen, Sie würden von den Wählern davongefegt, wenn Sie auch das noch fordern würden. Das ist an dieser Stelle eine verlogene Debatte.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Möllemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sauer?

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, besonders gerne. ({0})

Roland Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001922, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Möllemann, haben Sie schon einmal etwas von Bewußtseinsbildung und von Sensibilisierung gehört, ({0}) die man durch ein Nichtraucherschutzgesetz auch bei Eltern und Familien erzeugen kann, indem durch dieses Gesetz klargemacht wird, daß Passivrauchen gesundheitsschädigend ist? Hilft dies nicht auch den Kindern und den Eltern, verantwortungsvoll mit diesem Thema umzugehen? ({1})

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Sauer, ich habe schon einmal etwas davon gehört, daß man sich von hinten durch das Knie in das Auge schießen kann. Wer will, daß die Eltern zu Hause nicht rauchen, wer ständig das Argument heranzieht, es gelte, die Kinder zu schützen, und wer gleichzeitig einen Gesetzentwurf einbringt, der genau diese Frage komplett ausklammert, soll mir nicht mit der Hilfskrücke kommen, er wolle den Eltern auf diese Weise irgendwie das richtige Bewußtsein vermitteln. Sie, Herr Kollege, sind mir der richtige Bewußtseinsvermittler! Nein, das bringt nichts. ({0}) Ich will einen letzten Punkt ansprechen. Wer soll eigentlich die Einhaltung eines solchen Gesetzes überwachen? Ich sehe schon: Wie es bei allen Gesetzen ist, wird es auch hier sein. Wir wissen, daß der Großteil der Menschen gegen die permanente Reglementierung ist. Sie sagen auf Ihren Parteiveranstaltungen wie wir auf den unsrigen: Es muß Schluß sein mit Bürokratisierung und Reglementierung, mit dem Hineinregieren des Staates. Aber jeden Monat machen wir hier ein neues Gesetz! Deswegen nehmen die Leute das allmählich nicht mehr ernst. ({1}) Ein solches Gesetz ist nicht notwendig; die bestehenden Regelungen sind hinreichend. Es ist unverhältnismäßig, verursacht Kosten, reglementiert in einer Weise, die meinem Lebensgefühl nicht entspricht. Ich bitte Sie daher, die Gesetzentwürfe abzulehnen. Vielen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ingrid Matthäus-Maier.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wollen mit dem Nichtraucherschutzgesetz den Nichtraucher vor dem unfreiwilligen Passivrauchen schützen. ({0}) Unser Ziel ist nicht die Missionierung der Raucher. ({1}) Sie sollen überall rauchen können, wo sie Nichtraucher nicht beeinträchtigen. Aber Passivrauchen schadet der Gesundheit und ist eine Belästigung, insbesondere dann, wenn es, wie oft am Arbeitsplatz, über mehrere Stunden hinweg geschieht. ({2}) Es gibt viele rücksichtsvolle Raucher, meine Damen und Herren, aber es gibt eben auch rücksichtslose Raucher, die stur weiterrauchen, wenn man sie bittet aufzuhören, und die sogar denjenigen, der bittet, man möge aufhören, in die Ecke des Quenglers, Nörglers und Störenfriedes abschieben. ({3}) Dies wollen wir mit einem Gesetz, mit einem Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden, in öffentlichen Verkehrsmitteln und am Arbeitsplatz, ändern. Nun gibt es Gegenargumente; ich will einige davon aufgreifen. Einwand Nummer eins: Es gebe wichtigere Probleme in Deutschland. ({4}) Das ist zweifellos richtig. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist unser wichtigstes politisches Anliegen. Das darf uns aber doch nicht daran hindern, endlich den Nichtraucher stärker zu schützen. Das sind immerhin mehrere Millionen Menschen. ({5}) Einwand Nummer zwei: Wir hätten schon genug Gesetze in Deutschland. Ganz sicher haben wir sogar zu viele davon. Schlanker Staat heißt, daß wir alle uns bemühen müssen, die Zahl der Gesetze zurückzuführen. Aber die Notwendigkeit, den Paragraphendschungel in diesem Lande zu lichten, kann doch nicht bedeuten, daß wir eine Regelung, die zum Schutze der Nichtraucher dringend notwendig ist, nicht verabschieden, eine Regelung, die 90 Länder der Welt bereits haben. ({6}) Manchmal wird gesagt: Typisch deutsch! Dazu will ich nur anmerken: Wenn 90 Länder der Welt diese Regelung haben, aber wir nicht, dann kann es nicht typisch deutsch sein. Einwand Nummer drei: Man brauche kein Gesetz; das regele sich schon einvernehmlich zwischen Rauchern und Nichtrauchern. - Das ist eindeutig falsch. Die vielen Klagen, die die Menschen anstrengen, um sich am Arbeitsplatz rauchfrei zu halten, zeigen doch, daß die Regelung bisher nicht einvernehmlich geklappt hat. ({7}) Müssen wir denn die vielen Nichtraucher zwingen, daß sie alle als Individuen den mühevollen Weg zum Gericht wählen, nur damit sie endlich geschützt werden, meine Damen und Herren? ({8}) Übrigens: Wer ernsthaft meint, die Dinge seien schon in Ordnung und alles sei geregelt, der braucht vor diesem Gesetz keine Angst zu haben; denn dann würde sich ja nichts ändern. Sie sehen an diesem Argument, wie lächerlich der Einwand ist. ({9}) Einwand Nummer vier: Das Gesetz koste furchtbar viel Geld, ein Gutachten hat ergeben: 33 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, Lobbyarbeit in Bonn ist wichtig und legitim, aber sie muß intelligent sein. ({10}) 33 Milliarden DM! Dümmlichere Zahlen gibt es gar nicht. Das ist eine eindeutige Auftragsarbeit der Zigarettenindustrie. ({11}) Wenn Nichtraucherschutz zu solchen Horrorkosten führte, dann müßten die USA, wo die Gesetze viel schärfer sind, doch längst pleite sein. Ich habe es satt, meine Damen und Herren: Die Wirtschaft fordert uns jeden Tag auf, machen Sie es doch wie in den USA, da ist alles viel besser! - Und nun machen wir etwas wie in den USA, nur sehr viel maßvoller, jetzt geht angeblich der Standort kaputt. So ein Unsinn! ({12}) Einwand Nummer fünf - letzter Einwand -: Sie können dieses Gesetz auch mit abstrusen Beispielen und mit Beispielen aus den Grenzbereichen nicht lächerlich machen. Der Kollege Uldall hat gestern im Fernsehen ernsthaft behauptet: Wenn jemand morgens um 6 Uhr an der Bushaltestelle raucht, dann muß er 5000 DM Strafe bezahlen. - Das ist absoluter Unsinn. ({13}) Denn erstens darf er dort rauchen, und zweitens muß er deshalb auch kein Bußgeld bezahlen. ({14}) Auch unser Gesetzentwurf ist zweifellos unvollkommen; denn wir können mit diesem Gesetzentwurf zum Beispiel die Babys und Kinder, die zu Hause von ihren Eltern vollgequalmt werden, nicht schützen. Aber ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir mit diesem Gesetzentwurf ein Signal in Richtung Nichtraucherschutzgesetz setzen, dann ist das auch ein Signal an diese Eltern und ein Appell, nicht zu rauchen, wenn Kinder anwesend sind, weil das für Kinder gesundheitsschädlich ist. ({15}) Meine Damen und Herren, nach mir spricht Gesundheitsminister Seehofer. Ich kann ja verstehen, daß der eine oder andere aus dem Bereich der Wirtschaft hier eine andere Meinung hat. Aber ausgerechnet der Gesundheitsminister, dem wir jährlich - zu Recht! - lobenswerterweise 10 Millionen DM zur Bekämpfung der Krebsgefahren zur Verfügung stellen, wird gleich gegen das Gesetz reden! Ich bin sehr erstaunt, daß Sie hier zum Oberlobbyisten der Zigarettenindustrie geworden sind. ({16})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Steinbach das Wort.

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Matthäus-Maier, eigentlich müßte ich Ihnen ja sehr dankbar sein; denn ich gehöre zur Gruppe der armen, unterdrückten Nichtraucher. Trotzdem müßte ich Ihnen eines sagen: Wir brauchen mehr Rücksicht auf freiwilliger Basis. Gerade diejenigen, die jahrzehntelang die hemmungslose Selbstverwirklichung der Menschen gepredigt haben, wollen heute alles per Gesetz regeln. ({0}) Wir benötigen die Einsicht, daß man schon von Kindesbeinen an pfleglich miteinander umgehen muß. Vor diesem Hintergrund kann ich es für mich als Nichtraucher nicht als eine wirkliche Erleichterung empfinden, daß ich heute zwangsbeglückt werden soll mit einem zusätzlichen Gesetz, das letzten Endes bei den Bürgern dieses Landes den Eindruck verstärken wird, daß wir als Politiker alles tun, um die Menschen mit immer weiteren gesetzlichen Regelungen zu knebeln und zu knechten. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ebenfalls zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Möllemann das Wort. Sie dürfen dann auf beide zusammen antworten, Frau Matthäus-Maier. - Bitte.

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Matthäus-Maier, Sie haben soeben einen Kollegen, der die gleiche Auffassung hat wie ich, den Bundesgesundheitsminister, noch bevor dieser seine Meinung begründet hat - aber schon einmal vorsichtshalber -, wegen seiner Auffassung zum Oberlobbyisten eines Wirtschaftszweiges gemacht. ({0}) Darf ich Sie fragen, ob Sie damit auch alle Ihre Kollegen in Ihrer Fraktion, die die gleiche Auffassung vertreten wie wir, zu Oberlobbyisten machen? Oder handeln die aus einem besseren Bewußtsein heraus, weil sie Sozialdemokraten sind? Ich verbitte mir es - auch im Namen Ihrer Kollegen, die unsere Meinung teilen -, daß Sie hier das Gute vertreten, während die, die eine andere Meinung haben, von Ihnen als Lobbyisten diskreditiert werden. Ich finde das nicht in Ordnung. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau MatthäusMaier, bitte.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Möllemann, erstens ist es richtig, daß Herr Seehofer erst später spricht. Aber er hat ja seine Meinung zum Gesetzentwurf schon kundgetan. Zweitens. Wenn Sie mir genau zugehört haben, werden Sie gemerkt haben, daß ich ausdrücklich gesagt habe: Wenn jemand aus einem anderen Arbeitsbereich - zum Beispiel aus der Wirtschaft - anders abstimmt, könnte ich das hinnehmen. ({0}) Aber daß der Bundesgesundheitsminister, dem wir Geld zur Verfügung stellen, um den Krebs zu bekämpfen, dieses Gesetz ablehnt, halte ich für unglaubwürdig und für widersprüchlich. ({1}) Wenn sich schließlich ein Vertreter der Zigarettenindustrie in vielen Zeitungsartikeln rühmt, daß er fast alle Abgeordneten „abgeklappert" habe und daß es ihm gelungen sei, eine Mehrheit dagegen zustande zu bringen - das werden wir gleich sehen -, dann kann ich nur sagen: Hier ist massiv Lobbyismus betrieben worden, und davon halte ich nichts, meine Damen und Herren. ({2}) Jetzt zu der Frau Kollegin: Frau Kollegin, Sie haben noch einmal wiederholt - es wäre ja schön, wenn es so wäre -, daß man eigentlich auf die Einsicht der Menschen vertrauen könne, daß sie nicht etwas tun würden, was die Gesundheit der anderen schädige. Da halte ich Ihnen aber folgendes entgegen: Es ist offensichtlich, daß Autofahrer, wenn sie durch die Städte rasen, die Gesundheit anderer gefährden. Es ist offensichtlich, daß Autofahrer, wenn sie betrunken Auto fahren, andere Verkehrsteilnehmer gefährden. Trotzdem gibt es rasende Autofahrer und betrunkene Autofahrer. Man braucht offensichtlich Gesetze, um die Vernunft zu unterstützen, und das wollen wir mit diesem Gesetz. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt Herr Bundesminister Seehofer.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Niemand bezweifelt ernsthaft, daß Rauchen der Gesundheit schadet. Das ist unbestritten, und wir sind uns auch alle darüber einig, daß wir, wo immer möglich, Anstrengungen brauchen, um die Gesundheitsgefahren durch Rauchen zu verringern. Ohne Zweifel gilt das auch für den Schutz der Nichtraucher vor dem Passivrauchen. Wir streiten also nicht um das Ziel, sondern allein um den Weg, wie Nichtraucher wirkungsvoller vor dem blauen Dunst geschützt werden können. Frau Matthäus-Maier, wenn wir uns darüber einig sind, daß Rauchen gesundheitsschädlich ist, daß es auch um den Schutz von Passivrauchern vor Rauchern geht und daß wir nur über den richtigen Weg streiten, ist es einfach grob unfair, dem Gesundheitsminister zu unterstellen, ihm liege weniger am Gesundheitsschutz der Bevölkerung als Ihnen. ({0}) Ich habe beispielsweise in der Europäischen Union gegen das Werbeverbot für Tabak gestimmt, weil ich es für grob unlogisch gehalten habe, daß wir einerseits ein in sich völlig unschlüssiges Werbeverbot verabschieden und andererseits den Tabakanbau in der Europäischen Union subventionieren und fördern, meine Damen und Herren. ({1}) Wir haben seit vielen Jahrzehnten in der Gesundheitsvorsorge und in der Prävention einen großen, parteiübergeifenden Konsens, wenn es um die Frage geht, wie wir Menschen schützen, wenn es auf das persönliche Verhalten von Mitmenschen ankommt, um Dritte vor Ansteckungen, vor Gesundheitsgefahren zu schützen. In allen Bereichen, zum Beispiel bei Suchtgefahren, bei gefährlichen Infektionskrankheiten, gab es in diesem Hause immer Konsens darüber, daß wir uns primär auf Information, Aufklärung und Eigenverantwortung stützen, weil uns immer gemeinsam die Überzeugung getragen hat, daß man Verantwortungslosigkeit, Sprachlosigkeit, Egoismus und Anonymität nicht mit mehr Gesetzen und Paragraphen überwinden kann, sondern nur mit mehr Eigenverantwortung. ({2}) Meine Damen und Herren, wir können Erfolge vorweisen, auch was das Rauchen betrifft. Heute sind wesentlich weniger Jugendliche in Deutschland Raucher als vor 20 Jahren. Heute werden von den Menschen am Arbeitsplatz, in den Flugzeugen der Lufthansa, in der VIP-Lounge und in öffentlichen Gebäuden wesentlich mehr freiwillige Absprachen getroffen, und es wird mehr Rücksicht genommen als jemals zuvor. ({3}) Wir sollten diesen Weg der Eigenverantwortung und der freiwilligen Rücksichtnahme weitergehen. Von der HIV-Infektion bis zu den Drogen: Wir haben sehr positive Entwicklungen auf Grund der Rücksichtnahme und des Vorrangs der Eigenverantwortung vor einem staatlichen Verbot zu verzeichnen. ({4}) Wir in Deutschland haben keinen Mangel an gesetzlichen Regelungen. Mit immer mehr Gesetzen wird in immer mehr Lebensbereiche eingegriffen. Wir müssen mit dem Irrglauben Schluß machen, daß der Staat in bezug auf Prävention und Gesundheitsvorsorge der beste Problemlöser ist. Mehr Staat heißt mehr Bürokratie; mehr Bürokratie führt zu mehr Bevormundung, und mehr Bevormundung durch den Staat führt zu immer weniger Eigeninitiative und Eigenverantwortung. ({5}) Eines meiner Hauptbedenken gegen dieses Gesetz lautet: Ein Übermaß an bürokratischen Vorgaben würde genau das lähmen, was wir in unserer Gesellschaft in vermehrtem Umfang brauchen, ({6}) nämlich die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung durch den einzelnen. Wir brauchen Freiheit und Verantwortung. Was wir nicht brauchen, ist Freiheit von Verantwortung. ({7}) Ich stimme ausdrücklich dem Deutschen Gewerkschaftsbund zu, der nach sorgfältigen und, wie ich weiß, auch sehr kontroversen internen Diskussionen öffentlich erklärt hat, daß er von gesetzlichen Maßnahmen wenig hält, weil er das Subsidiaritätsprinzip in den Vordergrund stellt, das ja besagt: Man soll einer größeren Einheit, dem Staat, nichts übertragen, was eine kleinere Einheit, die Familie oder die Beschäftigten am Arbeitsplatz, genauso gut erledigen kann. ({8}) Deshalb sagt die Arbeitnehmervertretung in bezug auf den Bereich, in dem wir uns während unseres Lebens die längste Zeit aufhalten: Das soll nicht der Staat auf zentralistische Weise regeln; das sollen die Betriebs- und Personalräte mit ihren Kolleginnen und Kollegen vor Ort regeln. Das funktioniert nämlich in der Praxis besser, als wenn der Staat mit Geboten und darüber hinaus mit Kontrollen und Bußgeldern arbeitet. Das Problem der Kinder ist hier immer wieder in die Debatte eingeführt worden. Das Hauptproblem dieses Gesetzentwurfs liegt darin: Dort, wo sich Kinder aufhalten, greift das Gesetz überhaupt nicht. Ich habe in einer Senator-Lounge der Lufthansa, in einem Finanzamt oder in einem Rathaus noch nie erlebt, daß dort regelmäßig eine übergroße Anzahl von Kindern oder Kleinkindern ist, so wie zu Hause, etwa im Wohnzimmer, oder in Pkws, wo aber der Gesetzentwurf nicht greift. Dieses Problem macht deutlich, daß wir mit Paragraphen vielleicht nur unser Gewissen beruhigen wollen, ({9}) daß wir aber in bezug auf das Verhalten der Menschen nichts erreichen, wenn es uns nicht gelingt, wieder mehr Rücksichtnahme und mehr Eigenverantwortung in unserer Gesellschaft zu fördern. Frau Titze-Stecher, was hilft denn der schönste Paragraph, wenn sich ein Vater in seiner Eigenschaft als Betriebsrat dieses Paragraphen brüstet, zu Hause Kette raucht und die Wohnung, in der seine Kleinkinder sind, verpestet und auch im Auto keine Rücksicht nimmt? ({10}) Was wir in unserer Gesellschaft brauchen, ist, daß wir wieder mehr miteinander reden, daß wir mehr Rücksicht aufeinander nehmen, daß wir also mehr miteinander sprechen und weniger mit Hilfe der Rechtsschutzversicherung gegeneinander prozessieren. Das ist die Herausforderung unserer Zeit! ({11}) Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß wir mit Gesetzen und Paragraphen eher das Gegenteil von dem erreichen, was wir wollen. Wir werden eine Menge Ärger bekommen; an kleinen Beispielen haben wir es heute gemerkt. Es geht etwa um die Frage: Was ist ein öffentlicher Raum? Es wird rechtliche Auseinandersetzungen und vieles andere mehr geben. In der Praxis werden wir nur sehr wenig oder gar nichts im Hinblick auf Bewußtseinsbildung und Verhaltensänderung der Menschen erreichen können. Deshalb bleibe ich bei dem Konsens, den wir in Deutschland seit 50 Jahren in der Gesundheitsvorsorge und der Prävention haben - das gilt parteiübergreifend immer dann, wenn es bei der Prävention auf das Verhalten der einzelnen Menschen ankommt -: nämlich auf die Eigenverantwortung, die Information und die Aufklärung zu setzen. Ich schließe mit einem sehr weisen Spruch von Eugen Roth, der so wunderschön geschrieben hat: Ein Mensch ist manchmal wie verwandelt, sobald man menschlich ihn behandelt. Meine Damen und Herren, behandeln wir unsere Mitmenschen rücksichtsvoll und menschlich. Das bewirkt viel mehr als Gesetze und Paragraphen. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Freiherr von Stetten. Ich bitte darum, auch dem letzten Redner in Ruhe zuzuhören.

Dr. Wolfgang Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Das Nichtraucherschutzgesetz hat doch beträchtliche Emotionen freigelegt, wie wir hier in der letzten halben Stunde gehört haben. Mancher Bürger im Land fragt sich sicher, ob angesichts vieler Probleme, die wir auf dem Tisch haben, der Aufwand von drei namentlichen Abstimmungen diesem Thema angemessen ist. ({0}) - Ich habe auch keine namentliche Abstimmung beantragt. Viele sind der Meinung, daß wir gar nichts machen sollten, so auch unser Kanzler, dem ich sonst gern blind folge. Aber hier bin ich der Meinung, daß wir etwas tun müssen, so daß es einen Ruck gibt, damit Nichtraucher mit Rauchern - und umgekehrt - besser auskommen. Am liebsten hätte ich einen Gesetzentwurf mit der Überschrift vorgelegt: „Raucherschutzgesetz", mit drei Paragraphen 1. Das Rauchen ist erlaubt, wo es nicht verboten ist. 2. Wo das Rauchen erlaubt ist, müssen Nichtraucherzonen ausgewiesen werden. 3. Wo das Rauchen verboten ist, müssen Raucherzonen ausgewiesen werden. Das Gesetz tritt in Kraft ... Damit wäre alles, wenn wir vernünftig wären, gereDr. Wolfgang Freiherr von Stetten gelt. Aber wenn wir vernünftig wären, bräuchten wir in der Tat kein Gesetz. ({1}) Die vorgelegten Nichtraucherschutzgesetze einschließlich der Änderungsanträge leiden daran, daß Raucher in die kriminelle Ecke gestellt werden, wenn sie sich an das eine oder andere Rauchverbot nicht halten. Ich halte es für unangemessen, einen Raucher mit einem Bußgeld von 100 DM oder Verantwortliche für die Einhaltung des Rauchverbots mit einem Bußgeld bis zu 5000 DM zu belegen. Das ist nicht in Ordnung. Ich möchte niemandem das Rauchen verbieten. Ich war selber starker Raucher und weiß, wie schwierig das Nichtrauchen ist. Es soll auch niemand auf die Straße geschickt werden, weil für die Raucher Raucherzonen auszuweisen sind. Es genügt der Hinweis auf raucherfreie Zonen oder Raucherzonen, ob in größeren Räumen oder auf dem Flur, wenn ein Bedarf besteht. Ich habe aus dem Gesetz bewußt Verkehrsanlagen herausgenommen, weil es nämlich nicht klar ist, ob man dann auf Bahnsteigen, Straßenbahn- und Omnibusbahnhöfen noch rauchen darf. Es wäre sicher ein schlechter Witz, wenn man im Freien nicht rauchen dürfte. In der Diskussion kam - auch heute - immer wieder die Frage der hohen Belastung der Wirtschaft zur Sprache. Das Gutachten ist sicher nicht seriös, aber Kosten fallen natürlich an. Damit Kleinbetriebe mit zehn und weniger Arbeitnehmern vom Gesetz ausgenommen werden, habe ich gesagt: Für sie gilt das Nichtraucherschutzgesetz nicht. Damit sind 80 Prozent der Arbeitnehmerstätten ausgenommen. Ich weiß, daß die meisten in diesen kleinen Betrieben miteinander gut auskommen. Mein Änderungsantrag, für den ich um Zustimmung werbe, ist sicher nicht der große juristische oder politische Wurf. Das Gesetz ist sicher auch kein „Tiger". Aber ich glaube, es wäre ein guter Beitrag für ein Miteinander von Rauchern und Nichtrauchern, ohne gleich - wie die anderen Gesetze es tun - mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Versuchen wir es mit dem milderen Mittel. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Danke schön. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Das Wort zu einer Erklärung zur Aussprache nach § 30 unserer Geschäftsordnung erhält nun der Kollege Möllemann. ({0}) - Das ist ein geschäftsordnungsmäßiges Recht: Erklärung zur Aussprache, die eigene Person betreffend. Ich bitte darum, das in Ruhe anzuhören.

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fühle mich durch eine Bemerkung der Kollegin Matthäus-Maier betroffen und möchte mich hier dagegen wehren. Frau Kollegin Matthäus-Maier hat gesagt, daß diejenigen, deren Arbeitsgebiet die Gesundheitspolitik ist - das gilt für den Minister, das gilt für die Abgeordneten des Gesundheitsausschusses -, in besonderer Weise verpflichtet seien, dem Anliegen der Gesetzentwürfe zu entsprechen. Wenn sie das nicht täten, seien sie Lobbyisten der Zigarettenindustrie. ({0}) Ich weise das zurück und sage Ihnen, liebe Frau Kollegin Matthäus-Maier: Wir alle hier, unabhängig davon, in welchem Ausschuß wir sind, sind auf die gleichen Aufgaben verpflichtet. Der Vorwurf, daß diejenigen, die dem Entwurf nicht zustimmen, Lobbyisten seien, würde dann in gleicher Weise auf diejenigen Ihrer Kolleginnen und Kollegen von der SPD zurückfallen, die die Gesetzentwürfe ebenfalls nicht akzeptieren wollen. Ich bitte Sie herzlich, diese Diskriminierung bleibenzulassen. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich denke, wir sind uns einig, daß alle Kollegen und Kolleginnen hier nach ihren Überzeugungen und ihrem Gewissen abstimmen können. ({0}) Wir kommen nun zu den Abstimmungen. Folgende Kollegen und Kolleginnen haben nach § 31 der Geschäftsordnung schriftliche Erklärungen zur Abstimmung abgegeben: Renate Blank*), Wolfgang Dehnel, Wilhelm Schmidt ({1}), Klaus Bühler ({2}), Erika Steinbach, Dr. Heinrich L. Kolb, Hartmut Büttner ({3}), Rosel Neuhäuser, Peter Götz und Alois Graf von Waldburg-Zeil. Sind Sie einverstanden, daß wir diese Erklärungen zu Protokoll nehmen? **) - Das ist der Fall. Der Ausschuß für Gesundheit hat zu den Gesetzentwürfen keine Beschlußempfehlung abgegeben, sondern auf Drucksache 13/9740 empfohlen,***) einen Beschluß im Plenum herbeizuführen, was wir jetzt machen müssen. Ich stelle Ihnen die Abstimmungsreihenfolge vor. Zunächst werden wir über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. Danach folgt die Abstimmung über die vier Änderungsanträge zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Roland Sauer ({4}), Uta Titze-Stecher, Dr. Burkhard Hirsch und anderer, und zwar in folgender Reihenfolge: *) Anlage 5 **) Anlage 6 ***) Anlage 4 ({5}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Erstens. Änderungsantrag der Abgeordneten Gerald Häfner und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das ist Drucksache 13/9749. Zweitens. Änderungsantrag der Abgeordneten Rita Grießhaber und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das ist Drucksache 13/9748. Über diese beiden Änderungsanträge wird nicht namentlich abgestimmt. Drittens. Über den Änderungsantrag der Abgeordneten Roland Sauer ({6}), Uta Titze-Stecher, Dr. Burkhard Hirsch auf Drucksache 13/9703 wird namentlich abgestimmt. Danach müssen wir die Sitzung unterbrechen. Viertens. Änderungsantrag des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten. Das ist Drucksache 13/9711 ({7}). Auch die Abstimmung über diesen Änderungsantrag wird eine namentliche sein. Dann werden wir die Sitzung noch einmal unterbrechen. Danach wird die namentliche Abstimmung über den Gesetzentwurf in zweiter Beratung stattfinden. Sind Sie mit diesem Vorgehen einverstanden? - Dann machen wir das so. Wir stimmen zunächst über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Schutz der Nichtraucher in der Öffentlichkeit ab. Das ist Drucksache 13/6166. Ich bitte die, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei zwei Enthaltungen der PDS abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Damit kommen wir zum Gesetzentwurf der Abgeordneten Roland Sauer ({8}), Uta Titze-Stecher, Dr. Burkhard Hirsch und weiterer Abgeordneter zum Schutz der Nichtraucher. Das ist Drucksache 13/ 6100. Es liegen, wie gesagt, vier Änderungsanträge vor. Zunächst kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Gerald Häfner und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das ist Drucksache 13/9749. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei zwei Enthaltungen der PDS und einigen Enthaltungen der SPD abgelehnt worden. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Rita Grießhaber und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das ist Drucksache 13/9748. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und den meisten Stimmen aus der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen, PDS und gegen einige Stimmen aus der SPD bei etlichen Enthaltungen insgesamt abgelehnt worden. Jetzt kommen wir zur ersten namentlichen Abstimmung: Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Sauer, Titze-Stecher und Dr. Hirsch auf Drucksache 13/9703. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist, soweit ich sehen kann der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses unterbreche ich die Sitzung. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Roland Sauer, Uta Titze-Stecher und Dr. Burkhard Hirsch zum Entwurf eines Gesetzes zum Schutze der Nichtraucher bekannt, Drucksache 13/9703. Abgegebene Stimmen: 630; mit Ja haben gestimmt: 264; mit Nein haben gestimmt: 330; es gab 36 Enthaltungen. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 629; davon ja: 264 nein: 329 enthalten: 36 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Jürgen Augustinowitz Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({0}) Monika Brudlewsky Wolfgang Dehnel Maria Eichhorn Hans-Joachim Fuchtel Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Dr. Renate Hellwig Peter Hintze Hubert Hüppe Helmut Jawurek Dr. Egon Jüttner Irmgard Karwatzki Peter Keller Dr. Bernd Klaußner Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Hermann Kues Karl Lamers Helmut Lamp Werner Lensing Eduard Lintner Dr. Manfred Lischewski Sigrun Löwisch Dr. Michael Luther Günter Marten Rudolf Meinl Dr. Angela Merkel Rudolf Meyer ({1}) Norbert Otto ({2}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Dr. Winfried Pinger Ruprecht Polenz Dieter Pützhofen Thomas Rachel Helmut Rauber Christa Reichard ({3}) Dr. Bertold Reinartz Hans-Peter Repnik Dr. Erich Riedl ({4}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Franz Romer Kurt J. Rossmanith Roland Sauer ({5}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({6}) ({7}) Diethard Schütze ({8}) Wilhelm Josef Sebastian Johannes Selle Johannes Singhammer SPD Brigitte Adler Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig Lilo Blunck Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Dr. Marliese Dobberthien Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Gabriele Fograscher Iris Follak Dagmar Freitag Katrin Fuchs ({9}) Monika Ganseforth Günter Gloser Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Christel Hanewinckel Dr. Liesel Hartenstein Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Stephan Hilsberg Jelena Hoffmann ({10}) Frank Hofmann ({11}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Barbara Imhof Renate Jäger Klaus Kirschner Siegrun Klemmer Dr. Hans-Hinrich Knaape Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz Klaus Lohmann ({12}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Winfried Mante Dorle Marx Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Herbert Meißner Dr. Jürgen Meyer ({13}) Michael Müller ({14}) Jutta Müller ({15}) Christian Müller ({16}) Volker Neumann ({17}) Dr. Edith Niehuis Günter Oesinghaus Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Karin Rehbock-Zureich Otto Reschke Bernd Reuter Günter Rixe Gerhard Rübenkönig Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({18}) Wilhelm Schmidt ({19}) Regina Schmidt-Zadel Dr. Emil Schnell Walter Schöler Reinhard Schultz ({20}) Volkmar Schultz ({21}) Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({22}) Dr. Angelica Schwall-Düren Lisa Seuster Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Antje-Marie Steen Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Karsten D. Voigt ({23}) Hans Georg Wagner Hans Wallow Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Gert Weisskirchen ({24}) Hildegard Wester Inge Wettig-Danielmeier Heidemarie Wieczorek-Zeul Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Hanna Wolf ({25}) Heidi Wright BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({26}) Volker Beck ({27}) Matthias Berninger Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({28}) Joseph Fischer ({29}) Rita Grießhaber Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({30}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Egbert Nitsch ({31}) Cem Özdemir Simone Probst Halo Saibold Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({32}) Wolfgang Schmitt ({33}) Ursula Schönberger Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({34}) Margareta Wolf ({35}) F.D.P. ({36}) Dr. Olaf Feldmann Hans-Dietrich Genscher Dr. Burkhard Hirsch Birgit Homburger PDS Wolfgang Bierstedt Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Dr. Ludwig Elm Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi Dr. Uwe-Jens Heuer Gerhard Jüttemann Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne Heidemarie Lüth Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({37}) Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Fraktionslos Kurt Neumann ({38}) Nein CDU/CSU Anneliese Augustin Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Hans-Dirk Bierling Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Jochen Borchert Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Rudolf Braun ({39}) Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({40}) Hartmut Büttner ({41}) Dankward Buwitt Peter Harry Carstensen ({42}) Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Horst Eylmann Anke Eymer Ilse Falk Jochen Feilcke Ulf Fink Dirk Fischer ({43}) Klaus Francke ({44}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma Glücklich Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Horst Günther ({45}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({46}) Gerda Hasselfeldt Otto Hauser ({47}) Hansgeorg Hauser ({48}) Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise Detlef Helling Josef Hollerith Elke Holzapfel Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Pete Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr. Dionys Jobst Michael Jung ({49}) Ulrich Junghanns Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler ({50}) Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({51}) Dr. Norbert Lammert Armin Laschet Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Christian Lenzer Peter Letzgus Walter Link ({52}) Dr. Klaus W. Lippold ({53}) Wolfgang Lohmann ({54}) Julius Louven Heinrich Lummer Erich Maaß ({55}) Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Dr. Martin Mayer ({56}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Hans Michelbach Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({57}) Engelbert Nelle Bernd Neumann ({58}) Johannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Rolf Rau Peter Rauen Otto Regenspurger Klaus Dieter Reichardt ({59}) Erika Reinhardt Roland Richter Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Rönsch ({60}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Adolf Roth ({61}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Dr. Jürgen Rüttgers Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({62}) Andreas Schmidt ({63}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz ({64}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte ({65}) Gerhard Schulz ({66}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Horst Seehofer Marion Seib Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Bernd Siebert Jürgen Sikora Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset Michael Teiser Dr. Susanne Tiemann Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({67}) Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({68}) Gert Willner Bernd Wilz Willy Wimmer ({69}) Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller SPD Gerd Andres Hans Berger Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({70}) Karl Diller Peter Dreßen Elke Ferner Lothar Fischer ({71}) Norbert Formanski Anke Fuchs ({72}) Iris Gleicke Günter Graf ({73}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl Hermann Haack ({74}) Manfred Hampel Klaus Hasenfratz Reinhold Hemker Reinhold Hiller ({75}) Erwin Horn Gabriele Iwersen Jann-Peter Janssen Ilse Janz Volker Jung ({76}) Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Marianne Klappert Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Eckart Kuhlwein Brigitte Lange Dieter Maaß ({77}) Christoph Matschie Angelika Mertens Siegmar Mosdorf Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Leyla Onur Rudolf Purps Hermann Rappe ({78}) Renate Rennebach Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Rudolf Scharping Dr. Hermann Scheer Horst Schild Günter Schluckebier Ulla Schmidt ({79}) Dagmar Schmidt ({80}) Ottmar Schreiner Brigitte Schulte ({81}) Bodo Seidenthal Erika Simm Johannes Singer Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Jörg-Otto Spiller Dr. Peter Struck Jörg Tauss Jella Teuchner Ute Vogt ({82}) Josef Vosen Reinhard Weis ({83}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Jochen Welt Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({84}) Dieter Wiefelspütz Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gerd Poppe F.D.P. Ina Albowitz Dr. Gisela Babel Günther Bredehorn Jörg van Essen Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({85}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({86}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Dr. Wolfgang Weng ({87}) Dr. Guido Westerwelle PDS Hanns-Peter Hartmann Enthalten CDU/CSU Wolfgang Bosbach Manfred Carstens ({88}) Heinz Dieter Eßmann Michaela Geiger Joachim Gres Manfred Grund Helmut Heiderich Wolfgang Krause ({89}) Herbert Lattmann Dr. Peter Ramsauer Dr. Norbert Rieder Ortrun Schätzle SPD Konrad Gilges Uwe Göllner Angelika Graf ({90}) Alfred Hartenbach Sabine Kaspereit Dr. Elke Leonhard Ulrike Mascher Gerhard Neumann ({91}) Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Margot von Renesse Heinz Schmitt ({92}) Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({93}) Horst Sielaff Joachim Tappe Lydia Westrich Uta Zapf BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Angelika Beer Annelie Buntenbach Renate Blank ({94}) hat gemäß § 31 Abs. 2 GOBT erklärt, an der Abstimmung nicht mitzuwirken. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Änderungsantrag des Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten auf Drucksache 13/9711 ({95}). Auch hierzu ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer wieder, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne damit die Abstimmung. Ist jemand hier im Raum, der noch nicht abgestimmt hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Die Schriftführer werden die Auszählung vornehmen. Bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses unterbreche ich die Sitzung. ({96})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag des Abgeordneten Dr. Wolfgang von Stetten auf Drucksache 13/9711 ({0}) bekannt. Abgegebene Stimmen: 626. Mit Ja haben gestimmt: 79. Mit Nein haben gestimmt: 506. Enthaltungen: 41. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 625; davon ja: 79 nein: 506 enthalten: 40 Ja CDU/CSU Peter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Heribert Blens Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Dehnel Dr. Alfred Dregger Michaela Geiger Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Otto Hauser ({2}) Helmut Heiderich Elke Holzapfel Dr. Egon Jüttner Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Bernd Klaußner Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({3}) Karl Lamers Dr. Paul Laufs Werner Lensing Eduard Lintner Dr. Manfred Lischewski Dr. Angela Merkel Johannes Nitsch Dr. Rolf Olderog Dr. Gerhard Päselt Hans-Wilhelm Pesch Dr. Winfried Pinger Thomas Rachel Rolf Rau Dr. Bertold Reinartz Dr. Norbert Rieder Franz Romer Gerhard Scheu Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({4}) Hans-Otto Schmiedeberg Wolfgang Schulhoff Diethard Schütze ({5}) Wilhelm Josef Sebastian Dr. Rita Süssmuth Gottfried Tröger Gert Willner SPD Tilo Braune Freimut Duve Petra Ernstberger Gabriele Fograscher Dr. Barbara Hendricks Frank Hofmann ({6}) Dr. Hans-Hinrich Knaape Nicolette Kressl Konrad Kunick Werner Labsch Detlev von Larcher Markus Meckel Dr. Martin Pfaff Siegfried Scheffler Dr. Emil Schnell Horst Sielaff Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Jörg-Otto Spiller Franz Thönnes Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Heidemarie Wieczorek-Zeul Hanna Wolf ({7}) BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Monika Knoche Christa Nickels Irmingard Schewe-Gerigk F.D.P. ({8}) Nein CDU/CSU Ulrich Adam Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Jochen Borchert Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Rudolf Braun ({9}) Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({10}) Hartmut Büttner ({11}) ({12}) Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Wilhelm Dietzel Hansjürgen Doss Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Horst Eylmann Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Anke Eymer Use Falk Ulf Fink Dirk Fischer ({13}) Klaus Francke ({14}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Horst Günther ({15}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({16}) Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser ({17}) Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise Detlef Helling Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Michael Jung ({18}) Ulrich Junghanns Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Hans-Ulrich Köhler ({19}) Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Dr -Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Werner Kuhn Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Armin Laschet Karl-Josef Laumann Christian Lenzer Peter Letzgus Walter Link ({20}) Dr. Klaus W. Lippold ({21}) Wolfgang Lohmann ({22}) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Erich Maaß ({23}) Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten Dr. Martin Mayer ({24}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Rudolf Meyer ({25}) Hans Michelbach Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({26}) Engelbert Nelle Bernd Neumann ({27}) Claudia Nolte Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({28}) Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Helmut Rauber Peter Rauen Otto Regenspurger Christa Reichard ({29}) Klaus Dieter Reichardt ({30}) Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Dr. Erich Riedl ({31}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Rönsch ({32}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({33}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer ({34}) Ortrun Schätzle Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({35}) Andreas Schmidt ({36}) Hans Peter Schmitz ({37}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Dieter Schulte ({38}) Gerhard Schulz ({39}) Frederick Schulze ({40}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Horst Seehofer Marion Seib Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset Michael Teiser Dr. Susanne Tiemann Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({41}) Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({42}) Bernd Wilz Willy Wimmer ({43}) Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller SPD Brigitte Adler Gerd Andres Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig Lilo Blunck Anni Brandt-Elsweier Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({44}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Annette Faße Elke Ferner Lothar Fischer ({45}) Iris Follak Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({46}) Katrin Fuchs ({47}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Günter Graf ({48}) Angelika Graf ({49}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl Hermann Haack ({50}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Monika Heubaum Uwe Hiksch Stephan Hilsberg Jelena Hoffmann ({51}) Ingrid Holzhüter Erwin Horn Eike Hovermann Wolfgang Ilte Barbara Imhof Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Volker Jung ({52}) Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Volker Kröning Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Dr. Uwe Küster Brigitte Lange Waltraud Lehn Klaus Lennartz Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Klaus Lohmann ({53}) Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({54}) Winfried Mante Dorle Marx Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Ulrike Mehl Herbert Meißner Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({55}) Siegmar Mosdorf Michael Müller ({56}) Jutta Müller ({57}) Christian Müller ({58}) Volker Neumann ({59}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Georg Pfannenstein Joachim Poß Rudolf Purps Hermann Rappe ({60}) Karin Rehbock-Zureich Renate Rennebach Otto Reschke Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Günter Rixe Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({61}) Ulla Schmidt ({62}) Wilhelm Schmidt ({63}) Regina Schmidt-Zadel Walter Schöler Brigitte Schulte ({64}) Reinhard Schultz ({65}) Volkmar Schultz ({66}) Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({67}) Dr. Angelica Schwall-Düren Bodo Seidenthal Lisa Seuster Erika Simm Johannes Singer Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Antje-Marie Steen Dr. Peter Struck Jörg Tauss Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Ute Vogt ({68}) Karsten D. Voigt ({69}) Josef Vosen Hans Georg Wagner Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({70}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({71}) Jochen Welt Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({72}) Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Heidi Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEr Marieluise Beck ({73}) Volker Beck ({74}) Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({75}) Joseph Fischer ({76}) Rita Grießhaber Antje Hermenau Kristin Heyne Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({77}) Winfried Nachtwei Egbert Nitsch ({78}) Cern Özdemir Gerd Poppe Simone Probst Christine Scheel Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({79}) Wolfgang Schmitt ({80}) Ursula Schönberger Manna Steindor Christian Sterzing Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({81}) Margareta Wolf ({82}) F.D.P. Ina Albowitz Günther Bredehorn Jörg van Essen Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({83}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Roland Kohn Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({84}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Wolfgang Weng ({85}) Dr. Guido Westerwelle PDS Wolfgang Bierstedt Petra Bläss Maritta Böttcher Dr. Ludwig Elm Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann Gerhard Jüttemann Rolf Kutzmutz Heidemarie Lüth Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({86}) Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Fraktionslos Kurt Neumann ({87}) Enthalten CDU/CSU Hans-Dirk Bierling Dr. Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Dankward Buwitt Manfred Carstens ({88}) Werner Dörflinger Maria Eichhorn Heinz Dieter Eßmann Wilma Glücklich Joachim Gres Peter Keller Wolfgang Krause ({89}) Herbert Lattmann Rudolf Meinl Dr. Hermann Pohler Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Johannes Singhammer SPD Ernst Bahr Konrad Gilges Brunhilde Irber Sabine Kaspereit Thomas Krüger Dr. Elke Leonhard Christa Lörcher Ulrike Mascher Gerhard Neumann ({90}) Dr. Eckhart Pick Margot von Renesse Dr. Hermann Scheer Dagmar Schmidt ({91}) Heinz Schmitt ({92}) Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({93}) Hans Wallow BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Angelika Beer F.D.P. PDS Rolf Köhne Renate Blank ({94}) hat gemäß § 31 Abs. 2 GOBT erklärt, an der Abstimmung nicht mitzuwirken. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Damit kommen wir nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf in zweiter Beratung, und zwar ohne Änderungen, da beide Änderungsanträge abgelehnt sind. Es ist namentliche Abstimmung über den originären Gesetzentwurf verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, wieder die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wiederum unterbreche ich die Sitzung bis zum Vorliegen des Ergebnisses. ({95})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung in zweiter Beratung über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Roland Sauer, Uta Titze-Stecher, Dr. Burkhard Hirsch und anderer bekannt. Abgegebene Stimmen: 626. Mit Ja haben gestimmt: 256. Mit Nein haben gestimmt: 366. Enthaltungen: 34. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 624; davon ja: 255 nein: 335 enthalten: 34 Ja CDU/CSU Peter Altmaier Jürgen Augustinowitz Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({0}) Monika Brudlewsky Wolfgang Dehnel Maria Eichhorn Ulf Fink Hans-Joachim Fuchtel Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Dr. Renate Hellwig Peter Hintze Hubert Hüppe Helmut Jawurek Dr. Egon Jüttner Irmgard Karwatzki Peter Keller Dr. Bernd Klaußner Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Hermann Kues Karl Lamers Helmut Lamp Werner Lensing Eduard Lintner Dr. Manfred Lischewski Sigrun Löwisch Dr. Michael Luther Rudolf Meinl Dr. Angela Merkel Rudolf Meyer ({1}) Johannes Nitsch Norbert Otto ({2}) Dr. Gerhard Päselt Hans-Wilhelm Pesch Dr. Friedbert Pflüger Dr. Winfried Pinger Ruprecht Polenz Dieter Pützhofen Thomas Rachel Rolf Rau Helmut Rauber Christa Reichard ({3}) Dr. Bertold Reinartz Hans-Peter Repnik Dr. Erich Riedl ({4}) Franz Romer Kurt J. Rossmanith Roland Sauer ({5}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({6}) ({7}) Diethard Schütze ({8}) Wilhelm Josef Sebastian Johannes Selle Dr. Rita Süssmuth Gottfried Tröger SPD Brigitte Adler Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig Lilo Blunck Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Dr. Marliese Dobberthien Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Gabriele Fograscher Iris Follak Dagmar Freitag Katrin Fuchs ({9}) Monika Ganseforth Günter Gloser Angelika Graf ({10}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Christel Hanewinckel Dr. Ingomar Hauchler Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch Stephan Hilsberg Jelena Hoffmann ({11}) Frank Hofmann ({12}) Ingrid Holzhüter Barbara Imhof Brunhilde Irber Renate Jäger Dr. Uwe Jens Klaus Kirschner Siegrun Klemmer Dr. Hans-Hinrich Knaape Nicolette Kressl Volker Kröning Horst Kubatschka Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Detlev von Larcher Waltraud Lehn Klaus Lennartz Klaus Lohmann ({13}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Winfried Mante Dorle Marx Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Herbert Meißner Dr. Jürgen Meyer ({14}) Michael Müller ({15}) Jutta Müller ({16}) Christian Müller ({17}) Volker Neumann ({18}) Günter Oesinghaus Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Willfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Karin Rehbock-Zureich Bernd Reuter Günter Rixe Gerhard Rübenkönig Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Otto Scully Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({19}) Wilhelm Schmidt ({20}) Regina Schmidt-Zadel Walter Schöler Dr. Mathias Schubert Reinhard Schultz ({21}) Volkmar Schultz ({22}) Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({23}) Dr. Angelica Schwall-Düren Lisa Seuster Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Karsten D. Voigt ({24}) Hans Georg Wagner Hans Wallow Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Gert Weisskirchen ({25}) Hildegard Wester Inge Wettig-Danielmeier Heidemarie Wieczorek-Zeul Berthold Wittich Hanna Wolf ({26}) Heidi Wright BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({27}) Volker Beck ({28}) Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({29}) Joseph Fischer ({30}) Rita Grießhaber Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Dr. Angelika Köster-Loßack Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({31}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Egbert Nitsch ({32}) Cern Özdemir Simone Probst Halo Saibold Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({33}) Wolfgang Schmitt ({34}) Ursula Schönberger Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({35}) Margareta Wolf ({36}) F.D.P. ({37}) Dr. Olaf Feldmann Hans-Dietrich Genscher PDS Wolfgang Bierstedt Petra Bläss Maritta Böttcher Dr. Ludwig Elm Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Dr. Uwe-Jens Heuer Gerhard Jüttemann Rolf Köhne Rolf Kutzmutz Heidemarie Lüth Manfred Müller ({38}) Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Fraktionslos Kurt Neumann ({39}) Nein CDU/CSU Anneliese Augustin Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Hans-Dirk Bierling Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Rudolf Braun ({40}) Paul Breuer Georg Brunnhuber Hartmut Büttner ({41}) Dankward Buwitt Manfred Carstens ({42}) Peter Harry Carstensen ({43}) Hubert Deittert Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Wolfgang Engelmann Ramer Eppelmann Horst Eylmann Anke Eymer Ilse Falk Dirk Fischer ({44}) Klaus Francke ({45}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma Glücklich Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Horst Günther ({46}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({47}) Gerda Hasselfeldt Otto Hauser ({48}) Hansgeorg Hauser ({49}) Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise Detlef Helling Ernst Hinsken Josef Hollerith Elke Holzapfel Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr. Dionys Jobst Michael Jung ({50}) Ulrich Junghanns Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler ({51}) Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus Wolfgang Krause ({52}) Andreas Krautscheid Arnulf Kriedner Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Karl A. Lamers ({53}) Dr. Norbert Lammert Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach Walter Link ({54}) Dr. Klaus W. Lippold ({55}) Wolfgang Lohmann ({56}) Julius Louven Heinrich Lummer Erich Maaß ({57}) Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten Dr. Martin Mayer ({58}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Hans Michelbach Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({59}) Engelbert Nelle Bernd Neumann ({60}) Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Beatrix Philipp Ronald Pofalla Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Otto Regenspurger Klaus Dieter Reichardt ({61}) Erika Reinhardt Roland Richter Dr. Norbert Rieder Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Rönsch ({62}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Adolf Roth ({63}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Dr. Jürgen Rüttgers Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({64}) Andreas Schmidt ({65}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz ({66}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte ({67}) Gerhard Schulz ({68}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Horst Seehofer Marion Seib Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Bernd Siebert Jürgen Sikora Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Michael Stübgen Egon Susset Michael Teiser Dr. Susanne Tiemann Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({69}) Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({70}) Gert Willner Bernd Wilz Willy Wimmer ({71}) Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer SPD Gerd Andres Hans Berger Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({72}) Karl Diller Peter Dreßen Elke Ferner Lothar Fischer ({73}) Norbert Formanski Anke Fuchs ({74}) Iris Gleicke Günter Graf ({75}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl Hermann Haack ({76}) Manfred Hampel Klaus Hasenfratz Reinhold Hemker Erwin Horn Eike Hovermann Wolfgang Ilte Gabriele Iwersen Jann-Peter Janssen Ilse Janz Volker Jung ({77}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Marianne Klappert Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Eckart Kuhlwein Brigitte Lange Dieter Maaß ({78}) Christoph Matschie Angelika Mertens Siegmar Mosdorf Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Leyla Onur Rudolf Purps Hermann Rappe ({79}) Margot von Renesse Renate Rennebach Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Rudolf Scharping Dr. Hermann Scheer Horst Schild Günter Schluckebier Ulla Schmidt ({80}) Dagmar Schmidt ({81}) Ottmar Schreiner Brigitte Schulte ({82}) Bodo Seidenthal Erika Simm Johannes Singer Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Dr. Peter Struck Jörg Tauss Jella Teuchner Ute Vogt ({83}) Josef Vosen Reinhard Weis ({84}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Jochen Welt Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({85}) Dieter Wiefelspütz Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gerd Poppe F.D.P. Ina Albowitz Günther Bredehorn Jörg van Essen Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({86}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Roland Kohn Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Dr. Otto Graf Lambsdorff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({87}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Dr. Wolfgang Weng ({88}) Dr. Guido Westerwelle PDS Hanns-Peter Hartmann Enthalten CDU/CSU Ulrich Adam Albert Deß Heinz Dieter Eßmann Michaela Geiger Helmut Heiderich Dr. Harald Kahl Ortrun Schätzle Johannes Singhammer Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten SPD Freimut Duve Annette Faße Konrad Gilges Uwe Göllner Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Gerd Höfer Thomas Krüger Dr. Elke Leonhard Ulrike Mascher Gerhard Neumann ({89}) Dr. Edith Niehuis Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Heinz Schmitt ({90}) Dr. Emil Schnell Gisela Schröter Richard Schuhmann ({91}) Horst Sielaff Wolfgang Spanier Joachim Tappe Lydia Westrich BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Angelika Beer Monika Knoche Renate Blank ({92}) hat gemäß § 31 Abs. 2 GOBT erklärt, an der Abstimmung nicht mitzuwirken. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Horst Seehofer, Wolfgang Lohmann, Jürgen Möllemann und weiterer Abgeordneter auf Drucksache 13/9752. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit der Mehrheit der Stimmen des Hauses aus den unterschiedlichen Fraktionen abgelehnt worden. Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Uwe Hiksch, Achim Großmann, Otto Reschke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zukunft der Bauwirtschaft - Drucksachen 13/6318, 13/7741 Dazu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. ({93})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Otto Reschke, SPD-Fraktion.

Otto Reschke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man darf sich wirklich fragen, wie tief die deutsche Bauwirtschaft noch fallen muß, bis diese Regierung endlich begreift, in welch katastrophaler Lage sich der Bausektor, die Bauwirtschaft insgesamt befindet. ({0}) Die Bauwirtschaft war in Deutschland immer Konjunkturlokomotive, bis 1994 im Westen und 1995 im Osten der Absturz kam. 300 000 Bauarbeiter haben seitdem - in diesen etwas mehr als drei Jahren - ihre Arbeitsplätze verloren. Auch in diesem Jahr stehen wieder 100 000 Arbeitsplätze auf der Kippe. Es besteht erneut die Gefahr, diese Arbeitsplätze zu verlieren. ({1}) Die Zahl der Insolvenzen und Konkurse steigt von einem traurigen Rekord zum nächsten. Allein 1996 entfiel ein Viertel der rund 18 000 westdeutschen Konkurse auf die Baubranche. Im Osten übrigens waren es sogar 36 Prozent. Die aktuellen Zahlen des Bauhauptgewerbes für das letzte Quartal des Jahres 1997 im Vergleich zu dem des Jahres 1996 bieten ein verheerendes Bild: Minus, minus, minus, und zwar ein Minus bei den Wirtschaftsbauten, beim öffentlichen Bau und beim Wohnungsbau. Es ist keine Nachfrage mehr zu verzeichnen. Es zeigt sich, daß sich hier im Grunde genommen Schleifspuren der hausgemachten Konjunktur niederschlagen. Besser als wir kann dies natürlich der Hauptverband der Bauindustrie beschreiben. Er sieht für 1998 keine Anzeichen einer Besserung. Ich zitiere: Trotz eines bereits extrem niedrigen öffentlichen Investitionsniveaus müssen sich die im öffentlichen Bau tätigen Unternehmen auf den proportional größten Produktionsrückgang einstellen. Im Wohnungsbau werden die Impulse aus dem Eigenheimbau auch 1998 nicht ausreichen, um die Rückschläge im Geschoßwohnungsbau aufzufangen. Ich bin der Auffassung - das möchte ich hier unterstreichen -: Die letzte Regierung Kohl redet seit gut zwei Jahren über die Lage am Bau; getan hat sie nichts. ({2}) Sie stiehlt sich bei der Bekämpfung der Baukrise aus der Verantwortung. Die ständigen Vertröstungen auf eine baldige Erholung sind eine Verhöhnung der Bauarbeiter, die auf den Baustellen auf Weiterbeschäftigung hoffen, und sind eine Verhöhung derjenigen, die arbeitslos sind. ({3}) Das groß angekündigte Investitionsprogramm - über eine Woche aktuell und in Koalitionskreisen diskutiert - hat sich in dieser Woche als eine Lachnummer erwiesen. Die Bundesregierung schaut tatenlos zu, wie „der Karren auf ein Riff fährt, daß es nur so kracht"; so Ignaz Walter, der neue Präsident des Hauptverbandes der Bauindustrie. Die SPD-Fraktion hat ein Aktionsprogramm mit konkreten Vorschlägen vorgelegt, um die Rahmenbedingungen in der Bauwirtschaft und für die Arbeitsplätze zu verbessern: Erstens. Wir müssen auf dem Arbeitsmarkt bei illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit am Bau Ordnung schaffen. Zweitens. Wir müssen das Sozialdumping auf den Baustellen beenden, das unseren Bauarbeitern keine Chance läßt. ({4}) Das Mindestlohn- und Entsendegesetz hat kaum Wirkung gezeigt. Das haben übrigens viele, die wissend sind, schon vorausgesagt. Schon bei der Abschaffung des Schlechtwettergeldes hat die Regierung vorgeführt, wie kontraproduktiv ihre Politik ist - nach dem Motto: Koste es, was es wolle; wir sparen ein, egal, was es hinterher kostet. ({5}) Ein drittes Stichwort, was die Rahmenbedingungen angeht: Die Ordnungs- und Wettbewerbspolitik muß den Mittelstand stärken. Ihre Vorschläge für eine neue Vergabeverordnung, die die Auftragsvergabe an reine Generalunternehmen vorsehen, bedeuten den Todesstoß für die mittleren und kleinen Bauunternehmen in Deutschland. ({6}) Viertens. Wir brauchen vor allem verläßliche Rahmenbedingungen, um die Baunachfrage zu verstetigen und Arbeitsplätze zu sichern. Die Wohnungspolitik dieser Bundesregierung hat entscheidend dazu beigetragen, daß der Bauwirtschaft der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Schlagzeilen - und das sind ja nicht unsere Schlagzeilen - wie „Bonn würgt den Wohnungsbau ab" treffen den Nagel auf den Kopf. Ich nenne nur in Stichworten, was dazu geführt hat, daß der Wohnungsbau abgewürgt worden ist: Erhöhung der Grunderwerbsteuer, Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen im Mietwohnungsbau, vor allem im Osten, ({7}) Rückzug des Bundes aus dem sozialen Wohnungsbau und Verunsicherung über die zukünftige steuerliche Behandlung von Immobilien und Bauleistungen. Gewerkschaften, Mieterbund und Baufirmen, Herr Kansy, schlugen Alarm, da die Steuerreformpläne der Regierung über 300 000 Arbeitsplätze im Baugewerbe gekostet hätten. Deswegen haben wir auch nein zu dem gesagt, was Sie vorgelegt haben. ({8}) Diese Politik ist die Ursache der Krise und der Arbeitsplatzvernichtung in der Bauwirtschaft. Zur Verstetigung der Baunachfrage und der Bauinvestitionen haben wir klare Vorgaben für die Zukunft. Wir fordern daher: Erstens. Der Wohnungsbau als wichtigste Säule der Bauwirtschaft darf nicht weiter eingeschränkt werden. Der soziale Wohnungsbau muß auf einem ausreichendem Niveau fortgeführt werden, und er muß in Deutschland weiter gefördert werden. Wir treten für eine Reform der steuerlichen Förderung des frei finanzierten Mietwohnungsbaus ein. Wir wollen und wir werden sicherstellen, daß Investitionen in Wohnungen, Infrastruktur und Umwelt dort getätigt werden, wo sie dringend notwendig sind, und nicht dort, wo die höchste Steuerersparnis lockt. ({9}) Die Eigenheimförderung muß zielgenauer werden. Die Reformen der Eigenheimzulage hat sich zu einem Renner für die Baukonjunktur entwickelt; das zweifelt niemand an. Doch Familien mit Einkommen über 160 000 DM im Jahr brauchen in dieser Situation keine staatliche Hilfe. Was hier zu sparen ist, soll den Schwellenhaushalten zugute kommen. Das ist unsere Auffassung. Nur so kann dauerhaft eine ausreichende und preiswerte Wohnraumversorgung für breite Schichten gesichert und - das wollen wir - die Bauwirtschaft stabilisiert werden. Zweites Stichwort unseres Forderungskatalogs: Die Mittel zur Städtebauförderung müssen insbesondere für die alten Bundesländer aufgestockt und der Maßnahmenkatalog muß erweitert werden. 80 Millionen DM Städtebauförderung West jährlich seit 1991 sind völlig unzureichend. ({10}) Es gibt in den Kommunen einen riesigen Bedarf an Investitionen, die durch eine deutlich verbesserte Städtebauförderung angestoßen werden müssen. Die Städtebauförderung muß endlich zu einem Infrastrukturelement entwickelt werden. Drittes Stichwort: Die Handlungsfähigkeit der Städte und Gemeinden muß durch eine Gemeindefinanzreform wiederhergestellt werden. ({11}) Die kommunalen Investitionen sind das Rückgrat öffentlicher Auftragsvergabe in der Bauwirtschaft. Nahezu 70 Prozent aller öffentlichen Investitionen werden von Städten und Gemeinden getragen. Doch unsere Städte und Gemeinden sind mittlerweile durch Bundesgesetze in ihren Finanzspielräumen so eingeschränkt, daß ihre Mittel nicht mehr zum Erhalt bestehender Infrastruktur ausreichen. ({12}) Ich will Ihnen zum Schluß an einem kleinen Beispiel aufzeigen, welch enormer Investitionsstau sich in unseren Städten und Gemeinden auftut. 1992 tätigten die Kommunen in allen Ländern noch 46,8 Milliarden DM an Sachinvestitionen, von denen zirka 80 Prozent Baumaßnahmen sind. 1996 betrug diese Summe der kommunalen Sachinvestitionen nur noch 36 Milliarden DM. Nimmt man den Stand von 1992 als Mindestbedarf an, so ist in den Jahren 1993 bis 1997 ein Investitionsrückstand bei den Baumaßnahmen von insgesamt zirka 20 Milliarden DM entstanden. Diesen gilt es aufzulösen, sonst geht die Substanz vor Ort in vielen Bereichen völlig vor die Hunde. ({13}) Hier liegen, so meinen wir, Investitions-, Wachstums- und Beschäftigungspotentiale brach, deren Ausnutzung für den Standort Deutschland unverzichtbar ist. Übrigens ist neben Bildung und Ausbildung eine hochwertige und leistungsfähige Infrastruktur das A und O unserer Wirtschaft. Wenn darin nicht mehr investiert wird, wenn die Bauten vor Ort zu Klamotten verkommen, wenn die Qualität sinkt, werden ausländische Investoren fernbleiben und inländische Investoren abwandern. Hören Sie also auf, den Ast, auf dem wir alle sitzen, weiter abzusägen! Stimmen Sie den Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigung in der Bauwirtschaft, die wir vorgeschlagen haben, zu! Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu! Wir meinen, auf dieser Basis könnte Sinnvolles im Sinne der Bauwirtschaft geschehen. Schönen Dank. ({14})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Hansjürgen Doss, CDU/CSU. ({0})

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kollegen! Herr Reschke, ich gebe Ihnen zum Teil recht. Nur, der Bau braucht Reformen und keinen Aktionismus. Deswegen erlauben Sie mir, daß ich zu Ihren Ausführungen im Rahmen meiner Rede Stellung nehme. Festzustellen ist, daß die Exportwirtschaft boomt und der Bau lahmt. So zerrissen, wie unsere Konjunktur ist, so unterschiedlich sind die Chancen und Probleme der einzelnen Sparten der Bauwirtschaft. Im Wohnungsbau, den Sie ankurbeln wollen, haben wir Leerstände; Sie wissen das. Hier wird in einem Bereich gefördert, in dem die Bedarfsdeckung im Grunde bereits ihre Grenzen erreicht hat. ({0}) - Statt gegen die Regierung gerichtete Polemik schulden wir dem Bau Ehrlichkeit, eine saubere AnaHansjürgen Doss lyse und zielführende Reformen. Das darf der Bau von uns erwarten. ({1}) Der Wirtschaftsbau hat etwas mit der allgemeinen Konjunkturlage zu tun; darüber haben wir heute morgen geredet. Wenn die Wirtschaft nicht läuft, wenn die Rahmenbedingungen nicht so sind, wie wir sie brauchen, dann wird auch im Wirtschaftsbau nichts passieren. Kollege Reschke, der öffentliche Bau macht rund 15 Prozent des Bauvolumens aus. Rund ein Siebtel davon liegt in der Verantwortung des Bundes. Hier sind Länder, die durch einen tragischen Wählerirrtum mehrheitlich in der Hand anderer Regierungen sind, und die Gemeinden gefordert. Wir sind nur mit einem Siebtel von 15 Prozent dabei. Beim Verkehrswegebau sind die Voraussetzungen - auch das gehört zur Wahrheit - im Grunde genommen gar nicht schlecht. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß der Bau Schlüsselbranche und Seismograph der deutschen Wirtschaft ist. Sie haben recht: Es muß uns alle bedrücken, daß die Baunachfrage in Gesamtdeutschland, gemessen von Januar bis Oktober 1997, mit minus 6,9 Prozent rückläufig ist. Weitere Zahlen dazu erspare ich mir. Die Ertragslage ist äußerst angespannt. Das Bruttoergebnis der westdeutschen Bauwirtschaft ist seit 1994 um zwei Drittel gesunken. Die Umsatzrenditen sind um 2,5 Prozent zurückgegangen und liegen heute bei weniger als einem Prozent. Es hat überhaupt keinen Sinn, diese Tatsachen zu leugnen. ({2}) Wir sind dort unterschiedlicher Auffassung, wo Sie meinen, diesen Strukturproblemen mit Aktionismus begegnen zu können. ({3}) - Entschuldigung, ich weiß, wovon ich rede: Ich habe noch einen bürgerlichen Beruf, der etwas mit dem Bau zu tun hat. Und darüber hinaus verantworte ich das, was ich tue, noch. Das heißt, ich weiß absolut, wovon ich rede. ({4}) In einigen Bereichen gibt es Überkapazitäten, weil der Markt gesättigt ist. Die Auslastung der Betriebe sinkt. Das ist unbestreitbar. Die Zahl der Konkurse ist beängstigend. Ursächlich ist, daß die Eigenkapitalbasis der Betriebe so schwach ist und die Renditen so gering sind. Wenn ich mit sozialdemokratischen Bürgermeistem in meinem Wahlkreis rede, dann höre ich: „Die Gewinne explodieren, und dann schmeißen die noch die Leute raus." Sie sollten sich entscheiden, was Sie wollen. Ich sage Ihnen: Die Erträge unserer auf dem heimischen Markt tätigen mittelständischen Betriebe sind gering genug. Da explodieren die Gewinne wahrlich nicht. ({5}) Nicht diese Regierung - Ihr Lieblingsthema - ist an allem schuld. ({6}) - Das ist der Grund für die, sagen wir einmal, geistig nicht sehr Anspruchsvollen. Aber wir sollten lieber sachlich bleiben. - Vielmehr ist das Ende des Baubooms nach der deutschen Wiedervereinigung einer der Gründe. In dieser Zeit wurden 3,1 Millionen Wohnungen neu gebaut. Die Bauinvestitionen erreichten 1995 das höchste Niveau der Nachkriegsgeschichte. Das können Sie doch bei einem gewissen Maß an gutem Willen und Seriosität nicht leugnen. Die auf dem deutschen Markt tätige internationale Konkurrenz aus dem europäischen Ausland bringt uns mit kostengünstigeren Bauleistungen in weitere Bedrängnis. Verbote und Reglementierungen alleine helfen da wenig. Wir müssen dafür sorgen - und das, was in den Händen der Politik liegt, tun -, daß die Bauwirtschaft in Deutschland wieder wettbewerbsfähiger wird. ({7}) Viele Konkurse, die wir heute haben, sind Anschlußkonkurse. Zu ihnen kommt es dann, wenn ein Großer in Konkurs geht und der Kleine nicht die Kraft hat, zu überleben. Die Eigenkapitalquote ist verheerend. ({8}) - Zum Beispiel. Es ist im übrigen einfach unzutreffend - ich sage es Ihnen einmal in dieser eleganteren Form -, wenn Sie uns unterstellen, daß wir mit Generalunternehmern die Zukunft gewinnen wollten. Wir kämpfen mit Nachdruck darum, daß in Einzellosen ausgeschrieben und vergeben wird. Es gibt genug Beispiele, die dies belegen. Aber es gehört einfach dazu, daß Sie solche Unterstellungen vortragen. Einige der Ursachen sind durchaus auch von unserer Seite beeinflußbar: das Bruttolohnniveau - ich sage das ausdrücklich, damit nicht wieder der Verhetzungsvorwurf erhoben wird; das Nettolohnniveau ist nicht das Problem -, die Produktivität, die Lohnzusatzkosten, die Steuer- und Abgabenlast und auch die rechtlichen Rahmenbedingungen. Der von Ihnen eben zitierte Ignaz Walter, Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, hat folgende Zahlen genannt: Der Stundenlohn eines einheimischen Baufacharbeiters liegt bei 24,95 DM. Die Lohnzusatzkosten betragen 27,75 DM. Das bedeutet, daß wir einen Mittellohn von 53 DM haben. Der Mitarbeiter erhält 14,32 DM. Der Stundenlohn eines portugiesischen Baufacharbeiters - das ist einfach die Realität, damit haben wir zu leben - beträgt 16 DM; im übrigen nach geltendem Recht. Die Lohnnebenkosten betragen bei ihm 6 DM. Der Mittellohn liegt bei 22 DM. Der Mitarbeiter erhält 12 DM. Das heißt, wir müssen mit 53 DM Mittellohn konkurrieren, wobei der deutsche Facharbeiter lediglich 14,32 DM bekommt, während der Portugiese 22 DM Mittellohn kostet und 12 DM auf die Hand bekommt. ({9}) - Ach, hören Sie doch auf! - Das ist ein Problem, das nicht gelöst ist. Da besteht gar keine Chance für den Wettbewerb. Wenn dann zum Beispiel einer der großen Betriebe diese Mitarbeiter beschäftigt, werden alle anderen, wollen sie im Wettbewerb bestehen, überhaupt nicht umhinkommen, ähnliches zu machen. Das ist der Teufelskreis. Deswegen müssen die deutschen Lohnkosten gesenkt werden, und zwar die Bruttolohnkosten, nicht die Nettolohnkosten; denn die sind gerade niedrig genug. Ein Mühlstein am Hals - das sollten Sie wissen; ich weiß nicht, ob Sie es wissen - ist die Höhe der Lohnzusatzkosten. Sie liegt bei uns auf dem Bau bei 113 Prozent. Ansonsten liegen sie im Durchschnitt bei 85 Prozent. Daran sehen Sie, wie wichtig es ist, daß hier reformiert wird. Ich will noch etwas gegen den weitverbreiteten Eindruck sagen, bei uns gehe die Arbeit aus. Das wird immer wieder erzählt. Wir haben allein 550 Milliarden DM Umsätze im Bereich der Schwarzarbeit. 550 Milliarden - das müssen Sie sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Überlegen Sie einmal, wie viele Arbeitsplätze das sind! Ich behaupte, daß diese Schwarzarbeit nicht in erster Linie deswegen nachgefragt wird, weil die Deutschen so kriminell geworden sind, sondern wir haben ihnen durch zu hohe Lasten auf den Faktor Arbeit den Spaß an der legalen Arbeit verdorben. ({10}) Deswegen sage ich Ihnen nochmals: Die Kosten müssen gesenkt werden. Weil Sie so freundlich waren, noch einmal auf die Steuerreform aufmerksam zu machen: Ich halte das, was die Opposition betrieben hat, tatsächlich für unverantwortlich. Wir haben im Deutschen Bundestag das Steuerreformkonzept, das ein wesentlicher Schritt gewesen wäre, beschlossen, und die gleichen Genossen haben es dann im Bundesrat blockiert. Das ist eine fast geschichtliche Schuld, die Sie auf sich geladen haben. ({11}) Sie blockieren Reformen und beklagen dann die Konsequenzen aus dieser Tatsache. Ich halte das wirklich für unerträglich. ({12}) Ich bin der Meinung, daß wir im Bereich des Straßenbaus noch Chancen haben. Dort sind auch die Investitionen nicht rückläufig. Darüber hinaus haben wir etwa 200 Millionen DM dazugelegt. Ich bin darüber sehr froh. Eine der teuersten Handwerkerstunden ist nämlich die Stunde, in denen der Handwerker im Stau steht, und das tut er morgens und abends. Deswegen bin ich der Meinung, daß wir diesen Stau auflösen müssen. Deswegen brauchen wir noch viele Ortsumgehungen, gut ausgebaute Landstraßen, damit der Verkehr flüssig rollt und die Menschen zu ihrer Arbeit und die Güter an ihr Ziel kommen. ({13}) Deshalb sage ich: Offensiv in den Straßenbau! Da gibt es noch eine ganze Menge Möglichkeiten. Die Bundesregierung hat an dieser Stelle investiert. Es ist absolut unmöglich, in der Kürze der Zeit die vielfältigen Probleme des Baues hier abzuhandeln. Ich sage Ihnen nur eines: Der Schlüssel zu allem ({14}) sind nicht kurzfristige Programme, Strohfeuer, Investitionen in Bereichen, wo kein Bedarf besteht, sondern der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Entlastung der arbeitenden Menschen und der Betriebe. Wir sollten uns daranmachen. Ich will ebenfalls erwähnen, daß wir das eine oder andere gemacht haben, was mir nicht gefällt. Das zu sagen gehört zur Ehrlichkeit. Das sage ich für mich persönlich. Ich meine zum Beispiel, daß wir Betriebe, die im Wettbewerb stehen, mit bürokratischen Auflagen belasten, wie zum Beispiel durch die Einführung eines Sicherheitskoordinators am Bau. ({15}) Anstatt daß wir die Bauwirtschaft entlasten, bringen wir solche Dinge, die Kosten verursachen. Ich erwähne weiter vergabefremde Vorgaben bei öffentlichen Aufträgen. Etwas, das gut gemeint ist, ist immer etwas Schlechtes. Besser wäre es, wenn man so etwas der freien Vereinbarung überläßt. In diesem Sinne haben wir ja auch vorhin abgestimmt. Die Handwerksmeister in Deutschland haben deswegen mehr Lehrstellen geschaffen, weil man an ihre Ehre - das ist etwas sehr Altmodisches - appelliert hat. ({16}) Deswegen hat man in diesem Bereich Leute eingestellt - und nicht deswegen, weil man sie dazu gezwungen hat. ({17}) Ich halte eine bundesweite Sperre für öffentliche Aufträge bei Wettbewerbsverstößen für genauso verkehrt. Herr Staatssekretär, darüber wird zur Zeit in Ihrem Haus nachgedacht; ich empfehle dringend, daß man das sofort vom Tisch nimmt. Jemand, der gegen ein Wettbewerbsgebot verstößt, gehört gestraft. Aber daß ein größeres Unternehmen, dessen selbständige Niederlassung in Schleswig-Holstein möglicherweise gegen eine Wettbewerbsregel verstoßen hat - ich bin ja nicht gerade der Lobbyist dieser Großunternehmen -, in München keine Aufträge mehr bekommen soll, das ist eine Art von Sippenhaft, die ich nicht gut finde. ({18}) Man sollte solche Überlegungen wirklich zurückstellen und sollte Entlastungen überall dort, wo sie möglich sind, sobald wie möglich und so weit wie möglich herbeiführen. In diesem Sinne glaube ich, daß die Rahmenbedingungen zu verändern das Gebot der Stunde ist. Wir brauchen keinen kurzatmigen Aktionismus, der der wirklich bedrängten Bauwirtschaft nicht hilft, sondern sie nur belastet, weil das letztendlich nur Wege in die falsche Richtung sind. Ich bedanke mich für die freundliche Begleitung meiner Rede durch meine sozialdemokratischen Kollegen. ({19}) Es ist immer gut, wenn man sieht, wie Sie dazulernen. ({20})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Helmut Wilhelm, Bündnis 90/Die Grünen.

Helmut Wilhelm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002825, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deutsche Bauwirtschaft befindet sich auf einer dramatischen Talfahrt. Die Zahl der Konkurse hat einen ähnlich traurigen Rekord erreicht wie die Höhe der Arbeitslosigkeit. Die Krise der Bauwirtschaft ist eine strukturelle Krise. Lange Zeit prosperierte die Bauwirtschaft in den wirtschaftlichen Wachstumsjahren der Nachkriegszeit. Sie war damit nicht zu Anpassungen, Umstellungen und Modernisierungen gezwungen. Die Bundesregierung spricht von einem Zusammenwirken konjunktureller und struktureller Komponenten und sagt lapidar: Ab 1998 dürfte die Baubranche dann wieder auf einen günstigeren Entwicklungskurs einschwenken. Diese Antwort zeigt, daß die Bundesregierung die strukturelle Bedingtheit der Krisenerscheinungen und die reale Krisensituation in der Bauwirtschaft unterschätzt und sie vorwiegend als konjunkturbedingte Erscheinung deutet. ({0}) Die Bundesregierung betreibt eine äußerst unstetige Bauförderpolitik. ({1}) Insbesondere in Ostdeutschland hat sie mit dem Fördergebietsgesetz die Bauwirtschaft kurzzeitig aufgebläht und führt mit dem abrupten Abbau der Steuervorteile nun den Absturz der Branche herbei. Gleichzeitig verniedlicht die Bundesregierung die Probleme der Arbeitslosigkeit und der Lohndrückerei in der Bauwirtschaft und ignoriert ihre eigene Mitverantwortung durch den halbherzigen Umgang mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und der Einführung von Mindesttarifen. ({2}) Dabei geht es um zahlreiche Arbeitsplätze. Die 219 000 Unternehmen im Bauhauptgewerbe und im Ausbaugewerbe beschäftigen 2,5 Millionen Mitarbeiter. Dabei verfügen die großen Baukonzerne über gerade einmal 90 000 Arbeitsplätze. Die Bauwirtschaft ist überwiegend mittelständisch organisiert und daher besonders anfällig. Die Investitionen gingen 1996 um 2,7 Prozent zurück, die der öffentlichen Hand sogar um 6,8 Prozent, 1997 nochmals um 2,5 Prozent. Für 1998 erwartet der Hauptverband der Bauindustrie gleiches. In den vergangenen Jahrzehnten waren die Investitionshaushalte von Bund, Ländern und Gemeinden der Nachfragemotor für die Bauwirtschaft. Dies wird in Zukunft anders sein. Bund und Länder können die bisherigen Fördervolumina nicht mehr aufrechterhalten. Die Folgen dieser Politik waren ein rasanter Anstieg der Bodenpreise, hohe Zersiedelungseffekte, falsche Signale an die Bauwirtschaft. Die falschen Investitionsentscheidungen der Vergangenheit sind ein wesentlicher Grund dafür, daß die öffentlichen Haushalte den Erfordernissen langfristiger wirtschaftlicher und ökologischer Stabilität nicht mehr genügen. Die bisherige Politik kann also weder aus ökologischen noch aus ökonomischen Gesichtspunkten fortgesetzt werden. Die Ausgabenpolitik der öffentlichen Hände muß sich am Prinzip der Zukunftsfähigkeit orientieren. Die Förderung überflüssiger Groß- und Prestigeprojekte darf nicht weitergeführt werden. Der kostenträchtige Ausbau des Straßennetzes ({3}) muß einen neuen Aufgabenschwerpunkt im Bauerhalt und der Reparatur zeigen. ({4}) Einen generellen großen Ausbaubedarf der Verkehrsinfrastruktur gibt es hingegen im Bereich der Eisenbahnen. Beim sozialen Wohnungsbau ist wichtig: Sicherung der Bestände und der sozialen Bindungen, langfristige Vermögensbindung, Aufbau einer zielgruppengenauen Förderung. Die steuerliche Wohnbauförderung ist zu ersetzen durch ein Konzept von Bauzulagen. Für die Bauwirtschaft ergeben sich dabei deutlich neue Tätigkeitsfelder. Vom Neubau zur Bestandserneuerung: Zirka 80 Prozent des Bruttoanlagevermögens der deutHelmut Wilhelm ({5}) schen Volkswirtschaft sind in Bauwerken aller Art gebunden. Seine Pflege rückt aus umweltpolitischer und volkswirtschaftlicher Sicht immer mehr in den Mittelpunkt. Umbau und Modernisierung sind arbeitsintensiv. Der Lohnkostenanteil ist hierbei besonders hoch. Schon heute erweist sich nicht der Neubau, sondern die Werterhaltung als Stabilisator der Branche. Mit dem wechselnden Bestand an Bauwerken, dem zunehmenden Alter, steigenden Ansprüchen und wandelnden Nutzerbedürfnissen wächst die Nachfrage nach kleinteiligen Bauleistungen. Eine große Zukunftschance bieten bauliche Sanierungen. Mit einer Mark öffentlicher Mittel werden bei städtebaulichen Sanierungen private Investitionen in mehrfacher Höhe angestoßen. Mit einem jährlichen Programmvolumen von 1 Milliarde DM könnten 80 000 bis 100 000 Arbeitsplätze gerade bei Bauunternehmen, bei mittelständischen Unternehmen in der Region gesichert werden. Die Refinanzierung erfolgt aus anfallender Mehrwert- und Lohnsteuer auf dem Fuße. ({6}) Erneuerung von Infrastruktur und städtischen Brachen ist zwingend geboten. Neue planerische, organisatorische und technische Aufgabenfelder bieten sich in diesem Bereich. Weitere Aufgabenfelder für die Bauwirtschaft zeigen die dringend notwendige Erneuerung und Bestandspflege kommunaler Infrastrukturen. Durch ein konsequentes Klimaschutzprogramm mit Verschärfung der Wärmeschutzverordnung und dergleichen mehr könnten deutliche Sanierungsaktivitäten von 100 Milliarden DM ausgelöst werden. Auf die Dauer können damit 120 000 Arbeitsplätze erhalten oder geschaffen werden. Bauen und Sanieren mit ökologischen Baustoffen, die teils hochwertiger sind als die konventionellen, sind erforderlich. Es besteht also Handlungsbedarf. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Chancen der Bauwirtschaft zu erkennen, den Wandel voranzutreiben und richtige Rahmenbedingungen zu setzen. Das sind ökologisch soziale Steuerreform, eine Mittelstandspolitik, die einen besseren Zugang zu Risikokapital verschafft, ein transparentes, zielgerichtetes Fördersystem, eine Wettbewerbspolitik, die die Kooperation kleiner und mittelständischer Unternehmen fördert, und eine Handwerksreform, die Zugangsvoraussetzungen für die Gründung einer selbständigen Existenz erleichtert, sowie eine Umwelt-, Forschungs- und Technologiepolitik, welche den Bereich des ökologischen Bauens als einen der großen Zukunftsmärkte erkennt. Notwendig sind - damit komme ich zum Schluß - ökonomische und arbeitsmarktpolitische Regelungen, die Lohn- und Sozialdumping, Scheinselbständigkeit und illegale Leiharbeit vermeiden. Ich danke. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Hildebrecht Braun, F.D.P.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Beitrag von Herrn Reschke hat deutlich gemacht, wie unterschiedlich die Rezepte für einen Sachverhalt sind, den wir alle ganz gut kennen. Herr Reschke fordert - wen nimmt es wunder? - mehr Geld vom Staat. Herr Reschke sagt: Der Wohnungsbau darf nicht mehr zurückgeführt werden. An wen richtet er sich eigentlich? Hier debattiert der Gesetzgeber. Die Wohnungen werden aber von Privaten gebaut. Tatsache ist, daß genau die andere Botschaft richtig wäre: Wie können wir es schaffen, daß die Bauwirtschaft weniger abhängig wird vom Staat? ({0}) Das wäre das richtige Rezept. Bisher muß doch der Eindruck entstehen, der Bundesfinanzminister sei der eigentliche Bauminister; denn von den Entscheidungen in der Finanzpolitik hängt ab, was sich im Baubereich tut und was nicht. Das zeigt diese ungesunde Abhängigkeit vom Staat statt vom Markt. Die führt zu diesen Ausschlägen in der Bauwirtschaft: Riesenproduktion und dann ein Abfallen in ein Tal, das der Bauwirtschaft und speziell ihren Mitarbeitern überhaupt nicht guttut. Denken Sie doch an folgendes: 1990 hatten wir in Deutschland 200 000 fertiggestellte Wohnungen. Bis zum Jahr 1995 stieg die Zahl der fertiggestellten Wohnungen rapide auf 600 000 an. Ein solcher Anstieg, führt natürlich dazu, daß viele neue Betriebe gegründet werden, daß viele neue Mitarbeiter eingestellt, angelernt, ausgebildet werden. Jetzt sinkt die Zahl der Neubauwohnungen ganz natürlich. Warum? Weil wir im statistischen Durchschnitt nur 470 000 und nicht 600 000 Wohnungen pro Jahr brauchen. Wenn wir einige Jahre mehr Wohnungen bauen, als nachgefragt werden, wird es eine ganz normale Marktreaktion geben: Die Zahl der Neubauwohnungen wird deutlich sinken. Die Zeche dafür zahlen aber in erster Linie die Mitarbeiter der Bauwirtschaft, die dann nämlich wieder ausgestellt werden müssen, weil die Betriebe keine Arbeit mehr haben. Deswegen muß es das Ziel vorausschauender Baupolitik sein, daß wir die Feinsteuerungsmechanismen besser im Griff haben, damit die Ausschläge nach oben und nach unten geringer ausfallen. Kontinuierliche Beschäftigung ist das Ziel der Bauwirtschaft. Das liegt im Interesse aller. ({1}) Wir haben immer wieder folgendes Problem gehabt: Mit viel Aufwand, mit viel Geld wurden exzellente deutsche Facharbeiter herangezogen. Dann fehlten die Aufträge. Man konnte diese Facharbeiter nicht halten. Sie wanderten in andere Branchen ab und kehrten auch dann nicht zurück, als sie wenige Jahre später wieder gebraucht wurden. Worauf will ich hinaus? Würde der Markt diesen Bereich regulieren wie andere Bereiche der WirtHildebrecht Braun ({2}) schaft, hätten wir diese Ausschläge nicht. Warum? Weil wir in kaum einem Teilbereich der Wirtschaft eine so kontinuierliche Nachfrage haben wie im Wohnungsbau. Diese ist der wesentliche Faktor im gesamten Baubereich. ({3}) Wir haben seit 40 Jahren eine kontinuierliche Entwicklung: Pro Person wird pro Jahr etwa ein halber Quadratmeter Wohnfläche zusätzlich nachgefragt. Daraus errechnen sich die 470 000 neuen Wohnungen, die wir pro Jahr für unsere Bevölkerung brauchen. Wenn aber über Jahre hinweg - wie Ende der 80er Jahre - nur zwischen 200 000 und 300 000 Wohnungen gebaut werden, ergibt sich ein kurzfristiger Nachfrageboom. ({4}) Wenn dieser steuerlich gefördert wird, kommt er entsprechend schneller. Wir haben das Problem, daß über die steuerliche Förderung investitionsfremde Erwägungen in die Kalkulation einfließen. Man will nicht die normale Rendite, sondern die steuerlichen Vorteile aufnehmen. Das führt notwendigerweise zu Fehlentwicklungen, das geht am Markt vorbei. Das führt zu Leerständen speziell im Gewerbebau, die uns überhaupt nicht guttun und die zu diesem Absacken speziell in den neuen Bundesländern führen. ({5}) Diejenigen, die draufzahlen, sind die Mitarbeiter und die Betriebe in der Bauwirtschaft. Deswegen ist ein Umsteuern in der Baupolitik hin zu weniger Staat und zu mehr Markt dringend veranlaßt. Dann hätten wir die Entwicklung, die die Bauwirtschaft braucht, nämlich eine kontinuierliche Entwicklung zugunsten aller in diesem Bereich Beteiligten. Vielen Dank. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Manfred Müller, PDS.

Manfred Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002740, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als die Bundesregierung im Mai letzten Jahres in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der SPD eine Verschlechterung der Lage in der Bauwirtschaft prognostizierte, lag sie ausnahmsweise einmal richtig: Die Lage hat sich verschlechtert, und sie wird sich weiter verschlechtern. Gestern meldete das „Handelsblatt", daß die Bauindustrie für dieses Jahr mit einem Verlust von weiteren 70 000 bis 100 000 Arbeitsplätzen rechnet. Heute erfuhren wir von der Bundesanstalt für Arbeit, daß die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter seit dem letzten Monat von 288 000 auf 368 000 - also um rund ein Drittel - gestiegen ist. Dabei muß man berücksichtigen, daß die Bauwirtschaft einen zentralen Platz in unserer Volkswirtschaft einnimmt, und das nicht allein, weil hier fast jeder zwölfte Beschäftigte Arbeit findet. Wichtiger ist, daß an jeder Mark, die für den Bau ausgegeben wird, ein zweieinhalbmal so hohes Produktionsvolumen in den vor- und nachgelagerten Branchen hängt. Aber - und das macht das Thema heute so interessant - die Lage in der Bauwirtschaft ist auch ein zuverlässiger Indikator für den Zustand der gesamten Volkswirtschaft. Nirgendwo wird die Schwäche der Binnenwirtschaft so deutlich wie auf dem Bausektor. Nirgendwo anders läßt sich die Schwäche der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzpolitik so unverfälscht studieren wie in der Bauwirtschaft. Die Bundesregierung kann sich in ihrer Antwort auf die Anfrage der SPD nicht damit herausreden, daß sich die Bauwirtschaft in einem strukturellen Anpassungsprozeß befindet. Die Bauwirtschaft hat nur erhebliche Schwierigkeiten, sich an diese, Ihre Politik anzupassen. Einerseits leidet sie unter dem drastischen Rückgang öffentlicher Investitionen. Andererseits ist sie mit einem Lohn- und Sozialdumping konfrontiert, das mehr an das 19. als an das kommende 21. Jahrhundert erinnert. ({0}) Fast genau vor zehn Jahren veröffentlichte das IfoInstitut eine Studie, nach der ein Bedarf an Bauleistungen bis zum gegenwärtigen Jahr in der Größenordnung von rund 2000 Milliarden DM veranschlagt wurde. Obwohl sich dieser Bedarf mit der deutschen Einheit noch erheblich erhöhte, ist gerade einmal die Hälfte davon abgearbeitet worden. Ein entscheidender Grund für diese mangelhafte Befriedigung des Baubedarfs liegt auf der Hand: Wir müßten über keine Krise in der Bauwirtschaft reden, wenn sich die öffentliche Bautätigkeit am wirklichen Bedarf orientieren könnte. Das tut sie nicht, und insbesondere die Kommunen können das nicht, weil die Haushalts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung auf der einen Seite Steuergeschenke in dreistelliger Milliardenhöhe verteilt und auf der anderen Seite öffentliche Investitionen zugunsten der Maastrichter Konvergenzkriterien abwürgt. Immerhin ist die Bundesregierung so ehrlich, selbst zuzugeben, daß jeder dritte Arbeitsplatz, der in den vergangenen Jahren in der Bauwirtschaft beseitigt wurde, auf das Konto rückläufiger öffentlicher Investitionen geht. Aber das sollte sie dann ehrlicherweise auch den arbeitslosen Bauarbeitern sagen, daß nämlich jeder Dritte seine Arbeitslosigkeit der Politik dieser Bundesregierung und keiner abstrakten Strukturkrise verdankt und daß schon gar nicht - wie es auch heute wieder angeklungen ist - die Einkommensbedingungen der Beschäftigten schuld an der Massenarbeitslosigkeit auch auf dem Bau sind. Diese Regierung ist auch an dem auf deutschen Baustellen wuchernden Lohn- und Sozialdumping nicht schuldlos. Die Entsenderichtlinie der Europäischen Union ist von Ihnen auf eine Weise umgesetzt Manfred Müller ({1}) worden, die das Wort „unzureichend" zu einer maßlosen Untertreibung macht. Erstens ist das Entsendegesetz in seinem Kern wertlos, weil die Höhe des gesetzlichen Mindestlohnes der Willkür der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände überlassen bleibt. Ohne selbst Tarifpartner zu sein, entscheiden die BDA-Funktionäre über den auf deutschen Baustellen zu zahlenden Mindestlohn. Wie bereits vom Bundesrat beantragt, sollte sich der Bundesarbeitsminister künftig bei einem Patt im Tarifausschuß über die Blockadehaltung der Arbeitgeber hinwegsetzen und die Allgemeinverbindlichkeit von sich aus erklären können. ({2}) Zweitens sind die durch Lohndumping oder illegale Beschäftigung zu erzielenden Gewinne so hoch und die kassierten Bußgelder so niedrig, daß sie offensichtlich alles mögliche bewirken - nur keine Abschreckung. Nach Mitteilung der Bundesregierung wurden im Jahr 1996 von April bis Dezember 6661 Verstöße mit Werkvertragsarbeitnehmern geahndet. Die Bußgeldeinnahmen betrugen 3,54 Millionen DM. Das sind pro Fall sage und schreibe 531 DM. ({3}) Ich nehme einmal an, daß die durch Lohndumping oder illegale Beschäftigung zu erzielenden Gewinne das Zehn- bis Zwanzigfache betragen. Drittens ist nach Angaben der Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt ein großer Teil des Sozialdumpings trotz intensiver Kontrolle überhaupt nicht feststellbar, weil nicht überprüft wird, ob für die entsendeten Arbeitnehmer in ihren Heimatländern tatsächlich Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer abgeführt werden. Dazu bedarf es europäischer Regelungen, wie sie die IG Bau seit langem fordert. ({4}) Aus all den genannten Gründen werden wir uns den Entschließungsanträgen der SPD-Fraktion sowie dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen anschließen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Staatssekretär Kolb. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Hiksch, es lohnt sich immer mitzuschreiben. Bis 1995 hatte die Bauwirtschaft eine lange Aufwärtsphase. Diese wurde 1990 durch die deutsche Einheit und den Aufbau der neuen Länder sogar noch verstärkt. Im Laufe des Jahres 1995 - der Kollege Reschke hat es gesagt - kippte die Baukonjunktur allerdings. Seit dieser Zeit geht es mit der Bauwirtschaft bergab. Der Kollege Wilhelm hat von einer Talfahrt gesprochen. Um im Bild zu bleiben: Wir erwarten für dieses Jahr, daß die Talsohle zumindest im Westen erreicht wird. Dabei ist das Bild, das die Bauwirtschaft bietet, allerdings nicht einheitlich. Das betrifft sowohl die einzelnen Bausparten als auch die Entwicklungen im Westen beziehungsweise im Osten. Im Bereich des Wohnungsbaus gibt es zur Zeit im Eigenheimbau positive Impulse. Es ist zu erwarten, daß der Wirtschaftsbau in diesem Jahr dem allgemeinen Aufschwung folgen wird. Auch der öffentliche Bau dürfte etwas - wenn auch nur leicht - zunehmen. Betrüblicher sind die Aussichten allerdings im Osten. Dort ist nach dem Boom infolge der Vereinigung mit weiterer Abkühlung zu rechnen. Herr Kollege Wilhelm, ich halte es aber schon für richtig, daß wir den Bau zum Motor der Entwicklung in den neuen Bundesländern gemacht haben und daß der Nachholbedarf an modernen Wohnungen gedeckt worden ist. Es mußte aber jedem klar sein, daß sich diese Entwicklung nicht auf Dauer so fortsetzen konnte. Es geht allerdings nicht, auf der einen Seite laut das Schließen von Steuerschlupflöchern zu fordern und auf der anderen Seite zu beklagen, daß in den neuen Bundesländern bestimmte steuerliche Rahmenbedingungen nicht auf Dauer fortgelten können. ({0}) Insgesamt ist die Durststrecke der Bauwirtschaft noch nicht überwunden. Auch die Beschäftigung am Bau ist weiter rückläufig. Diese von mir beschriebene gegenwärtige Schwächephase der Bauwirtschaft stellt auch an die Wirtschaftspolitik besondere Anforderungen. Wir sind in diesem Bereich nicht untätig geblieben. Ich will das an drei Aktionsfeldern aufzeigen. Erstens. Der Kollege Wilhelm hat von einer unstetigen Politik der Bundesregierung gesprochen. Das will ich ausdrücklich zurückweisen. Wir sind davon überzeugt, daß es wichtig ist, die Bauinvestitionen zu verstetigen. Das ist der Grund dafür gewesen, warum die Bundesregierung im März 1997 das „Konzept zur Verstetigung beschäftigungsfördernder Investitionen" beschlossen hat. Dieses Programm ist gut aufgenommen worden: Der zur beschleunigten Umsetzung öffentlicher Bauvorhaben vorgesehene Kreditrahmen von über 20 Milliarden DM ist bisher zu zwei Dritteln beansprucht. Wir gehen davon aus, daß das die Beschäftigung von rund 100 000 Bauarbeitnehmern gesichert hat und weiter sichern wird. Weiterhin haben wir mit dem Programm auch die private Wohnraummodernisierung gefördert und die Möglichkeit zur privaten Finanzierung zur Förderung von öffentlichen Investitionen verbessert. Das Neue und für mich besonders Wichtige ist, daß das alles ohne neue Belastungen des öffentlichen Haushalts geschieht. Darin liegt der wichtigste Unterschied zu den Ausgabenprogrammen der 70erParl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb Jahre. Durch Schulden finanzierte staatliche Ausgabenprogramme sind kein tauglicher und gerade in der jetzigen Haushaltssituation kein gangbarer Weg der Wirtschaftspolitik. ({1}) Solche Programme nützen wenig; sie erzeugen nur kurzfristige konjunkturelle Strohfeuer und haben hohe Mitnahmeeffekte. Auf lange Sicht erhöhen sie die öffentliche Verschuldung und das Zinsniveau. Wir setzen deshalb darauf, private Initiative und Engagement zu ermutigen. ({2}) Zweitens. Die Bauwirtschaft muß - ich bin mir sicher, sie wird - den Strukturwandel meistern, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Allerdings muß sie dazu auch Innovationen wagen. Insofern gibt es noch erhebliche Möglichkeiten, die genutzt werden müssen. Dazu gehört auch, die hohe Arbeitsintensität im Baubereich zu reduzieren. Dies ist nur zum Teil durch verstärkte Mechanisierung oder Automatisierung möglich. Es kommt hier auch auf ganzheitliche Konzepte an, die alle Beteiligten und die am Bau Beschäftigten einbeziehen. Um es anders zu sagen: Die Zahl der Schnittstellen in den Bereichen Planung und Bauausführung kann verringert und die Koordination verbessert werden. Das heißt, die Bauunternehmen müssen und werden sich umstellen. In der Vergangenheit sind vor allem einzelne Bauleistungen nachgefragt worden. Demgegenüber werden heute zunehmend ganzheitliche Systemlösungen gefordert. Im eigenen Interesse sind auch mittelständische Bauunternehmen aufgerufen, diesem veränderten Nachfrageverhalten Rechnung zu tragen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Ich will an der Stelle noch einmal sagen, daß wir beim Ausbau des neuen Bundeswirtschaftsministeriums in Berlin gerade darauf Wert gelegt haben, mittelständischen Bietergemeinschaften eine Chance zu geben. Ein nicht unbeträchtlicher Auftrag ist dann auch in Konsequenz an eine solche Bietergemeinschaft gegangen. Wir erhoffen uns davon auch Erfahrungen und wünschen uns, daß zukünftig noch mehr Mittelständler in diesem Bereich Beschäftigung finden können. ({3}) Wir wollen zur Reduktion der Zahl der Schnittstellen von seiten der Regierung und auch einer breiten Mehrheit hier im Parlament mit der Novelle zur Handwerksordnung vermehrt Angebote aus einer Hand schaffen und damit für den Bauherrn attraktive Offerten des Handwerks ermöglichen. Das führt mich zum dritten Thema, nämlich kosten- und flächensparendes Bauen. Die Bundesregierung verfolgt dieses Thema mit Nachdruck weiter. Einflußfaktoren für teures Bauen sind nämlich nicht nur Lohnkosten oder Lohnnebenkosten, sondern auch ineffiziente Bauweisen, hohe Bodenkosten und gesetzliche Vorschriften, die das Bauen verteuern. Mit den zum 1. Januar 1998 in Kraft getretenen Vorschriften des neuen Baugesetzbuches werden flächen- und kostensparendes Bauen erleichtert, Verfahren vereinfacht und damit auch beschleunigt. Das ist nur ein Teil der Deregulierungspolitik. Genehmigungsverfahren und Bauvorschriften, Umwelt- und Sicherheitsauflagen, Raumordnungsverfahren und städtebauliche Vorschriften sind alles Regulierungen, die die Bautätigkeit beeinflussen. Sie dürfen sich nicht zu einer Bremse - das muß unsere gemeinsame Sorge sein - für die Dynamik im Bausektor entwikkeln. ({4}) - Ich lade Sie ausdrücklich ein, Herr Kollege, daß wir gemeinsam weitere entschiedenere Schritte auf diesem Weg gehen. ({5}) Sie werden die Regierung an Ihrer Seite finden. ({6}) Es gibt keine Alternative: Es müssen bestehende neue Vorschriften laufend überprüft und dort, wo notwendig, vereinfacht werden. Mit dem Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren ist ja auch ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan. Seine Änderungen müssen jetzt in die entsprechenden Regelungen der Länder übernommen werden. ({7}) Sie sehen, wir haben einige Weichen neu gestellt, damit die sicherlich vorhandene Baunachfrage neue Flügel bekommt und wirksam werden kann. Wenn der begonnene Aufschwung in der Gesamtwirtschaft sich jetzt weiter fortsetzt, so wird er an der Bauwirtschaft, insbesondere am Wirtschaftsbau, nicht vorbeigehen. Eine Bemerkung zum Schluß: Von der SPD sind erneut Änderungen der gesetzlichen Vorschriften zur Bekämpfung von illegaler Beschäftigung am Bau gefordert worden. ({8}) Mit dem zum 1. Januar 1998, also vor wenigen Wochen in Kraft getretenen Ersten Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch sind bereits eine Reihe von Maßnahmen beschlossen worden, mit denen Leistungsmißbrauch sowie illegale Beschäftigung wirksamer bekämpft werden können. Das ständige Nachbessern von Kontrollvorschriften führt nicht zum gewünschten Erfolg. Die neuen Regelungen, die auch eine Erhöhung des Bußgeldrahmens bei illegaler Ausländerbeschäftigung auf eine halbe Million DM beinhalten, Herr Kollege Müller, und seit Anfang dieses Jahres gelten, müssen nun zunächst erst einmal angewandt werden. Aktionismus hilft nicht. Wir gewinnen dadurch auch keine Glaubwürdigkeit. Gleichwohl sind wir alle aufgerufen, die Rahmenbedingungen für eine möglichst positive Entwicklung der Bauwirtschaft in Zukunft gemeinsam und, wie ich hoffe, auch fraktionsübergreifend zu gestalten. Vielen Dank. ({9})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Uwe Hiksch, SPD.

Uwe Hiksch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002677, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär Kolb, wenn Sie davon sprechen, daß kurzfristiger Aktionismus von seiten der Sozialdemokratie betrieben wurde, so frage ich Sie, ob Sie auf einem anderen Planeten leben. 1996 gingen Hunderttausende von Arbeitsplätzen in der Bauwirtschaft verloren, 1997 sind Hunderttausende von Bauleuten arbeitslos geworden, und 1998 erwarten sowohl die Industrie als auch das Handwerk im Baubereich und auch die Gewerkschaft, daß mindestens 70 000 Bauleute arbeitslos werden. Dann spricht die Bundesregierung davon, daß wir kurzfristigen Aktionismus betrieben! - Nein, wir nehmen uns dieser Bauleute an; wir kümmern uns darum, daß in diesem Land endlich etwas geschieht, daß die Kolleginnen und Kollegen auf der Baustelle wieder Hoffnung schöpfen können. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Hiksch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Kolb?

Uwe Hiksch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002677, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Hiksch - danke, daß Sie die Zwischenfrage zulassen -, haben Sie mich falsch verstanden, oder wollen Sie mich falsch verstehen? Ich habe von Aktionismus in dem Zusammenhang gesprochen, daß man vier Wochen nach Inkrafttreten eines Gesetzes, das entscheidende Rahmenbedingungen verändert, bereits wieder fordert, neue Rahmenbedingungen zu schaffen. Ich glaube, wir sind alle gut beraten, zunächst einmal die Wirkungen dieser Gesetzesänderung zu beobachten. Wenn das geschehen ist, können wir uns gerne über weitere Änderungen unterhalten. Das war der enge Kontext, in dem ich von Aktionismus gesprochen habe. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?

Uwe Hiksch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002677, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Kolb, ich bin bereit, das zur Kenntnis zu nehmen. Ich möchte Sie aber darauf hinweisen, daß wir in unserem Entschließungsantrag das fordern, was die SPD-Bundestagsfraktion auch schon vor wenigen Wochen gesagt hat. Wir haben deutlich gemacht, daß die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung bei dem, was Sie vorgelegt haben, nicht effektiv und notwendigerweise so, wie es theoretisch geschehen kann, auch tatsächlich passiert. Deshalb zeigen wir auf, was notwendig ist, um diesen Skandal zu beenden, daß auf der einen Seite zur Zeit 400 000 Bauleute arbeitslos sind und auf der anderen Seite Hunderttausende von illegal Beschäftigten arbeiten. Ich selbst glaube, daß das nicht Aktionismus ist, sondern genau das Gegenteil. ({0}) Wir spüren als Sozialdemokraten, daß die Menschen draußen im Land, daß die Bauleute, die an den Baustellen vorbeilaufen ({1}) und sehen, daß sie selbst arbeitslos sind, während auf den Baustellen immer mehr Illegale arbeiten, ein Recht auf Gesetze zur Einschränkung illegaler Beschäftigung haben. Mit Aktionismus hat das nichts zu tun, sondern mit Realitätssinn für die Situation in unserem Lande. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Braun hat richtigerweise darauf hingewiesen, daß der jetzige Finanzminister manchmal der eigentliche Bauminister ist. Ein Finanzminister, der die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die kleinen Leute aussaugt, so daß sie nichts mehr in den Taschen haben, ({3}) ein Finanzminister, der die Kommunen kaputtmacht und wie eine Zitrone, die nicht mehr gebraucht wird, auspreßt, ein Finanzminister, der kleinen und mittelständischen Unternehmen durch eine völlig verfehlte Sozialpolitik Lohnnebenkosten in unvorstellbarer Höhe zufügt, ein solcher Finanzminister ist ein Bauminister, nämlich ein „Bauzerstörungsminister", und ein Minister, der in diesem Lande alles kaputtmacht. ({4}) Auch deshalb muß der Finanzminister weg, damit die Kommunen, die Menschen und die kleinen und mittelständischen Unternehmen endlich wieder in die Lage versetzt werden, zu investieren und der Bauwirtschaft zu helfen. ({5}) Kollege Kolb, in einem möchte ich Ihnen widersprechen - vielleicht habe ich Sie da falsch verstanden; ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das klarstellen -: Der Abbau von 270 000 Arbeitsplätzen im Baubereich ist nicht eine Notwendigkeit; es ist auch kein struktureller Abbauprozeß nötig. Die Gewerkschaft IG Bau spricht davon, daß, wenn allein die illegale Beschäftigung eingeschränkt werden könnte, das Bauvolumen in der Bundesrepublik selbst auf dem niedrigen Stand, den wir zur Zeit haben, leicht ausreichen würde, um den deutschen und ausländischen Kolleginnen und Kollegen, die zu anständigen Rahmenbedingungen auf den hiesigen Baustellen arbeiten, genug Arbeit zu geben. Deshalb sehen wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht eine strukturelle Notwendigkeit, daß 400 000 Bauleute arbeitslos sind: Vielmehr weisen wir darauf hin, daß die Arbeitslosigkeit unmittelbar damit zu tun hat, daß endlich wieder Ordnung auf den Baustellen geschaffen werden muß. Derjenige, der auf einer Baustelle arbeitet und dort sein Geld verdienen möchte, muß dafür auch anständig bezahlt werden. ({6}) Lassen Sie mich eine dritte kurze Replik auf Ihre Rede machen. Es ist auch nicht richtig, wenn Sie davon sprechen, daß die Bundesregierung eine Politik zur Verstetigung der Baunachfrage gemacht habe. Leider ist das Gegenteil eingetreten. Im Bereich der Städtebauförderung beispielsweise hat die Bundesregierung zugelassen, daß die Förderung von ehemals einer Milliarde DM auf 600 Millionen DM im Bundeshaushalt heruntergefahren wurde. Hat das etwas mit Verstetigung zu tun? Im Bereich des sozialen Wohnungsbaus hat die Bundesregierung durch eine falsche Politik zugelassen, daß der Etat im Bundeshaushalt von 3,4 Milliarden DM auf 1,4 Milliarden DM, also auf ein Drittel, zurückgefahren wurde. Das ist keine Verstetigung im Bereich der Baupolitik, sondern das Gegenteil. Es ist sozusagen eine Zerstörung der Baupolitik und damit eine Zerstörung dessen, was notwendig ist. Ich empfinde es als schlichtweg schlimm, daß der Kollege Doss von purem Aktionismus gesprochen hat. ({7}) Die Menschen draußen im Lande erwarten, daß wir ihnen hier im Deutschen Bundestag eine Antwort geben, ({8}) daß Arbeit, die getan werden muß, auch endlich getan werden kann. Sie wollen nicht das, was Sie betreiben, wodurch sie arbeitslos werden. Kollege Doss, als Sie in Ihrer Rede davon sprachen, daß deutsche Bauleute wieder konkurrenzfähig werden müßten, hatte ich ein wenig den Eindruck, daß Ihnen die 1,50- und die 5-DM-Jobs auf deutschen Baustellen gefallen und daß Sie geradezu herbeisehnen, daß die Löhne der Kolleginnen und Kollegen, die für ihre schwere Arbeit niedrig genug sind, noch einmal gesenkt werden. Deutsche Bauleute sind produktionsorientiert; deutsche Bauleute bringen höchste Leistungen und wären auch eindeutig konkurrenzfähig, wenn endlich bei den illegal Beschäftigten eingegriffen würde und der Arbeitsmarkt für den Bau endlich wieder organisiert würde. Alles andere ist eine Diffamierung des deutschen Baus. ({9}) Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion klargemacht, daß gehandelt werden muß. Allein im letzten Jahr, Kollege Doss, gab es in Westdeutschland 2700 Insolvenzen im Bereich des Baus. In den neuen Bundesländern kamen 2100 Insolvenzen hinzu. Das macht zusammen 4800 Unternehmen, die verschwunden sind. Die Zunahme der Insolvenzen hat beispielsweise in Ostdeutschland 27 Prozent betragen, und Sie wollen mir erzählen, daß es nicht notwendig ist, sich mit der Bauwirtschaft zu beschäftigen und konkret zu sagen, was wir ändern müssen. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, haben mit dem Entschließungsantrag aufgezeigt, wie wir erreichen wollen, daß Ordnung auf den Baustellen geschaffen werden kann, damit die Menschen in diesem Land endlich wieder wissen, daß für anständige Arbeit auch anständiges Geld bezahlt wird. Wenn wir ab dem 27. September regieren, werden wir dafür sorgen, daß die illegale Beschäftigung von Ausländern, die illegale Leiharbeit, die Scheinselbständigkeit und die unerlaubte Ausübung des Handwerks endlich eingeschränkt werden und daß endlich durchgesetzt wird, daß Firmen, die das nicht einhalten, streng bestraft werden. ({10}) Es muß einmal deutlich ausgesprochen werden: Firmen, die solche Praktiken mit illegaler Leiharbeit und illegaler Beschäftigung von Ausländern durchführen, und Generalunternehmen, die wissend hinnehmen, daß solche Praktiken bei ihren Subunternehmen durchgeführt werden, handeln eindeutig kriminell und sind für die Gesellschaft parasitär. ({11}) Unser Programm wird deshalb dafür sorgen, daß die illegale Beschäftigung bekämpft und daß das Lohndumping auf den deutschen Baustellen eingeschränkt werden kann. Weil wir der Überzeugung sind, daß die illegale Beschäftigung kein Kavaliersdelikt ist, fordern wir, daß es eine Erhöhung der Bußgelder auf 1 Million DM für schwere Fälle geben muß, daß diese Regelung angewendet und in Europa vollstreckbar wird. Wir fordern weiter, daß es eine klare Stärkung der Rechtsstellung der Bundesanstalt für Arbeit als bedeutendster Behörde bei der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung geben muß, weil wir der Überzeugung sind, daß das, was wir richtigerweise für die Finanzbehörden geregelt haben - nämlich einzuräumen, daß sie im Fall des Steuerbetrugs bei Gericht einen Strafbefehl beantragen können -, auch für die Bundesanstalt für Arbeit möglich werden soll. Wir treten ganz klar dafür ein und werden dies ab dem 27. September auch umsetzen, daß es endlich zu einer Haftung der Generalunternehmen für Sozialversicherungsbeiträge, für Steuern und für nicht bezahlten tariflichen Mindestlohn kommt. Wenn die Subunternehmer eindeutig kriminell handeln, müssen die Generalunternehmer bezahlen. Wir wollen auch endlich erreichen, daß die Verfolgungsbehörden personell und sachlich so gestärkt werden, daß sich die Kolleginnen und Kollegen, die sich darum bemühen, die illegale Beschäftigung zu bekämpfen, nicht vorkommen wie diejenigen, die zu einem Platz hinrennen, obwohl es an tausend Plätzen brennt. Wir brauchen mehr Leute, die sich darum kümmern, daß auf den Baustellen überwacht wird und durchgesetzt wird, daß auf den Baustellen endlich wieder Ordnung herrscht. Wir wollen auch ganz klar eine Strafverschärfung bei illegaler Ausländerbeschäftigung, weil wir der Überzeugung sind, daß das nicht nur eine Ordnungswidrigkeit, sondern eine Straftat ist, die deutlich angegriffen und bekämpft werden muß. Um dies europäisch abzusichern, wird die SPD- Bundestagsfraktion dafür sorgen, daß dies auf EU- Ebene umgesetzt wird. Es kann in einem Europa, das nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial zusammenwachsen soll, nicht mehr hingenommen werden, daß keinerlei Sozialversicherungsbeiträge ins heimatliche oder ins nationale System eingezahlt werden. Wir wollen, daß die Kontrollbehörden zusammenarbeiten und zu einer EU-weiten Kooperation kommen, um solche Praktiken überwachen zu können. Wir wollen weiter erreichen, daß es zu einer Erfassung aller EU-Baubetriebe und der von ihnen entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommt, damit auch überwacht werden kann, ob die Kolleginnen und Kollegen tarifvertraglich bezahlt werden und sozialversicherungspflichtig abgesichert sind. Wir wollen auch erreichen, daß das Sozialdumping wirksam bekämpft werden kann. Deshalb wollen wir, daß die EU bei grenzüberschreitender Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern koordinierend und unterstützend eingreifen kann. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, das bisher bis zum 1. Januar 1999 beschränkt ist, wollen wir darüber hinaus ausbauen. Wir waren nicht für das heutige Arbeitnehmer-Entsendegesetz, aber wir glauben, daß es besser ist als nichts. Es gibt für die SPD-Bundestagsfraktion eines, was wir als Regierung umsetzen werden. Wir sind der festen Überzeugung, daß, wenn es uns nicht gelingt, den Bauleuten wieder eine Perspektive zu geben und ihnen zu zeigen, daß die Politik verstanden hat, wo sie der Schuh drückt - Ihre Regierung hat das nicht verstanden; Ihre Regierung tritt die Bauleute mit Füßen -, bei den Bauleuten ein Potential geweckt wird, das wir alle nicht haben wollen. Bauleute sind gewohnt, multikulturell zu arbeiten. Bauleute haben immer multikulturell gearbeitet. Aber Bauleute wollen auch wissen, daß das, was sie getan haben, ernst genommen wird, daß das, was sie tun, auch anständig bezahlt wird und daß umgesetzt wird, daß illegale Beschäftigung, die von Ihnen geduldet wird, bekämpft wird. Das, was Sie, Herr Staatssekretär, gesagt haben, und das, was von den Kollegen der Regierungsfraktionen gekommen ist, scheint mir wie von einem anderen Stern. Sie reden von den Hunderttausenden arbeitslosen Bauleuten, als wenn es statistische Zahlen und keine Menschen wären. Hinter jedem dieser 400 000 arbeitslosen Bauleute steckt ein Individuum, das das Recht hat, daß man sich seiner annimmt und daß es wieder Arbeit bekommt. Ihre Regierung muß weg, und wir werden dafür sorgen, daß auf dem Baumarkt endlich wieder Ordnung herrscht. Besten Dank. ({12})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Dietmar Kansy, CDU/CSU.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß zwar nicht, wie zur Zeit die Form unserer Eisläuferinnen in Japan ist. Aber falls sie Probleme mit der B-Note für künstlerische Selbstdarstellung haben, werden wir Sie, Herr Hiksch, für Olympia nachmelden. ({0}) Etwas anderes haben Sie heute abend nämlich nicht geboten. Wir hätten schon in dem Fachkreis die Chance nutzen sollen, die tatsächliche und nicht nur vermeintliche Strukturkrise ein bißchen ernster zu behandeln, als wir das mit der alten Masche - staatliche Programme und Schuldzuweisung - wieder getan haben. Wenn wir das demnächst nicht tatsächlich einmal machen, wird man - wer auch immer, ob der betroffene Arbeitnehmer oder der betroffene Unternehmer - von uns als Politikern früher oder später kein Stück Brot mehr nehmen. Wir haben eine Bringeschuld, über Wahlkämpfe hinaus nachzudenken: Was ist eigentlich los auf dem Bau in Deutschland? Über das Konjunkturelle ist heute abend alles gesagt worden. Ich möchte das nicht unnötig wiederholen. Aber es ist doch wohl ganz klar, daß wir eine ernste Strukturkrise, und zwar eine mit vielen unterschiedlichen Wurzeln, haben, die es uns besonders schwer macht, das Problem anzugehen. ({1}) Da ist - da haben Sie völlig recht - die Internationalisierung des Arbeitsmarktes, und zwar in legaler und in illegaler Weise. Das hat doch der Kollege Doss angesprochen. - Wissen Sie, ich finde es schon ein bißchen unverschämt, wenn Sie ihm unterstellen, daß er seine Freude daran habe, wenn auf den Baustellen unseriös gearbeitet wird. ({2}) - Gelitten haben wir, als wir Ihnen zehn Minuten zugehört haben. ({3}) Meine Damen und Herren, wir haben in den letzten Monaten und Jahren mit zig staatlichen Eingriffen reagiert: wesentliche Erhöhung der Bußgelder - der Staatssekretär hat es gesagt -, verstärkte Kontrollen, Entsendegesetz, Tariftreueerklärung und, und, und. Ich frage mich langsam, ob wir damit wirklich den Bauarbeitern helfen oder ob wir unfreiwillig einen Beitrag zu Illegalität und Betrügereien leisten. Wenn wir langsam, aber sicher - kommen Sie auf unsere Bundestags- und Bundesregierungsbaustellen in Berlin, die mittlerweile vom BGS gesichert werden, und zwar nicht nur wegen Abhörerei - aus unseren Baustellen halbe Gefängnisse machen und wenn das unser Instrument ist, dieser Branche Hoffnung zu geben, so ist das. ein Weg, der nicht zum Ziel führen wird. Wer das nicht ausspricht, der verkleistert, was wirklich los ist. ({4}) Meine Damen und Herren, ich verhehle nicht, daß einzelne Vertreter der Bauwirtschaft mit der Politik unseriös umgehen. Manche Lösung, die wir in den letzten ein, zwei Jahren erarbeitet haben, verhöhnen sie heute als weiße Salbe, obwohl sie vorher mit in der weißen Salbe gerührt hatten. Auch waren Arbeitszeitkonten eigentlich zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit im Winter gedacht und nicht als schwarze Kasse für Schwarzarbeit, als die sie teilweise benutzt werden. Aber - ich wiederhole mich - wir müssen ernsthaft - mit der Bauwirtschaft und der Gewerkschaft, nicht in Selbstüberschätzung der Politik - diskutieren, die Probleme wirklich aufnehmen und, uns fragen, was wirklich auf unseren Baustellen los ist - ob es zum Beispiel der Weisheit letzter Schluß ist, wenn eine Baufirma aus Brandenburg, die mit Zustimmung ihrer Arbeitnehmer einen betrieblichen Tarifvertrag abgeschlossen hat, in Berlin abgewiesen wird, wenn sie baut, obwohl die Leute klargemacht haben: Wenn wir in Brandenburg Berliner Löhne nehmen, ist unser Betrieb pleite. - Das kommt davon, wenn wir von früh bis spät regulieren, statt wirklich an die Probleme heranzugehen. ({5}) Deswegen heißt politische Verantwortung zu übernehmen für uns nicht, die alten Platten wieder abzuspielen. Wir müssen bei dem Wettbewerbsdruck, unter dem die deutsche Bauwirtschaft steht - - Bei Ihrer Unterstreichung des Wortes „deutsch" in jedem dritten Satz stellt sich mir übrigens die Frage: In welchem Land befinden wir uns eigentlich, ({6}) und in welcher Zeit befinden wir uns, da wir in der Europäischen Union arbeiten? Wir haben reagiert. Wir haben in einem 25-Milliarden-DM-Programm für Investitionen alle MW-Programme zusammengefaßt, das schon erwähnte Eigenheimzulagengesetz verabschiedet, Vorschriften verschlankt, das Baugesetzbuch novelliert. Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und vieles andere kommt natürlich auch den Bauunternehmen zugute. Ich will nicht verhehlen, daß ich noch Möglichkeiten sehe, beim KfW-Programm für Energieeinsparung und im Bereich des Wohneigentums usw. über Erhöhungen nachzudenken. Aber auf die Dauer werden wir - das ist die Wahrheit - mit allen unseren Maßnahmen und allen unseren Strangulierungen nicht verhindern können, daß deutsche Unternehmen bei ihren pausenlosen Bemühungen, sich gegen die Marktkräfte durchzusetzen, geringere Chancen haben, als sie es in all den Nachkriegsjahrzehnten gewöhnt waren; das wird die Politik nicht ändern können. Ich möchte ein weiteres Thema ansprechen. Wir haben einige Bereiche zuwenig in den Vordergrund gestellt. Es war heute wieder vom Wohnungsbau die Rede. Es war vom Straßenbau die Rede, vom Wirtschaftsbau. Das ist alles richtig. Aber wir haben seit Jahren über vieles zuwenig gesprochen, so daß es auf der Strecke geblieben ist: Betreibermodelle, Bauleasing, Energie-Contracting und vieles andere. Wir hatten Konferenzen von Rio bis Kioto. Wir haben Lösungsvorschläge auf dem Tisch, wie man gleichzeitig Arbeit für hochqualifizierte Kräfte in mittelständischen Unternehmen schaffen und den CO2-Ausstoß vermindern kann. Trotzdem reden wir noch immer von staatlichen Programmen für den Wohnungsbau, obwohl wir nach der Errichtung von 3 Millionen Wohnungen in den letzten Jahren zur Zeit am Markt vorbei bauen würden. Wir haben Probleme, bestimmte Randgruppen zu versorgen, aber zur Zeit kein Wohnungsproblem im Hinblick auf breite Gruppen. ({7}) Meine Damen und Herren, wir müssen uns auch überlegen, ob wir nicht, während wir über die Lage der Bauwirtschaft diskutieren, schon wieder dabei sind, Überregulierungen zu schaffen und neue Fehlei- zu machen. Ich frage mich zum Beispiel, ob es die richtige Zeit ist, die EG-Baustellen-Richtlinie umzusetzen, ({8}) was wahrscheinlich Baukostenerhöhungen von 3 bis 4 Prozent - in Großbritannien wird sogar von 8 Prozent geredet - nach sich zieht, oder ob es zur Zeit besonders vernünftig ist, das deutsche Vergaberecht umzustellen. ({9}) Das diskutieren wir aber an einem anderen Tag, während wir heute angeblich angetreten sind, 400 000 arbeitslose Bauarbeiter in Arbeit und Brot zu bringen. ({10}) Meine Damen und Herren, weil die öffentliche Hand trotz mancher Luftnummer mit ihren eigenen Bauausgaben diese Strukturkrise nicht wird beheben können, haben wir eine Bringepflicht, über neue Wege nachzudenken, wie durch Innovation, durch neue Produkte, durch ein Stückchen Mut und vor allen Dingen durch Wahrheit gegenüber den BauarDr.-Ing. Dietmar Kansy beitnehmern in diesem Land eine Chance geschaffen wird, daß auch die deutsche Bauwirtschaft überleben kann. ({11}) Einige von Ihnen, meine Damen und Herren, waren am Montag bei einem parlamentarischen Abend des Verbandes der deutschen Zimmerleute. Da hat uns der Meister gesagt - wir waren völlig baff -, daß die Zimmerleute optimistisch in die Zukunft gingen. ({12}) Das war nicht immer so. Es gab auch im Zimmerhandwerk eine schwere Strukturkrise. Aber dann haben sich die Zimmerleute umgestellt. Sie haben nicht nur Dachstühle gerichtet, sondern moderne Hallen und moderne Holzbrücken gebaut, haben Komplettangebote im Häuslebau gemacht, kurzum: sie haben Innovation erreicht und neue Produkte angeboten. Heute hat das Zimmerhandwerk in Deutschland wieder eine Zukunft. Das haben große Teile der Bauwirtschaft noch vor sich. In einem staatlich gestützten Korsett war der Druck, nach zukunftsfähigen Lösungen zu suchen, nicht besonders stark verbreitet. Dies auszusprechen und danach zu handeln, scheint uns von der CDU/ CSU-Fraktion jedenfalls wichtiger zu sein, als wieder eine Garantie abzugeben, es brauche nur die Partei X zu regieren, und alle 400 000 arbeitslosen deutschen Bauarbeiter seien aus der Arbeitslosigkeit heraus. Das ist unseriös und nach hinten gewandt. Zukunftsgewandt ist, was wir in diesem Bereich angehen, ohne uns dabei zu übernehmen. Vielen Dank. ({13})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 13/9745. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Nun erfolgt die Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9768. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten - Drucksachen 13/3281, 13/9517 -Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Wiefelspütz Jörg van Essen Ulla Jelpke Simone Probst Dr. Bertold Reinartz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist es beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Wilhelm Schmidt, SPD.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, die im Zusammenhang mit der Neuregelung der Rechtsstellung der Mitglieder des Deutschen Bundestages Ende des Jahres 1995 steht. Damals hatte der Deutsche Bundestag den Geschäftsordnungsausschuß beauftragt, die Verhaltsregeln für Mitglieder des Bundestages, also die Regeln, die die Offenlegung von Nebeneinkünften betreffen, dahin gehend zu überprüfen, ob und inwieweit diese Regelungen einer Ergänzung bedürfen. Der entsprechende Antrag der Koalitionsfraktionen sah seinerzeit vor, daß der Bericht des Geschäftsordnungsausschusses so rechtzeitig vorliegen sollte, daß der Bundestag bis zur Sommerpause 1996 entscheiden könnte. Hintergrund des Koalitionsantrages war ein von der SPD-Fraktion eingebrachter Änderungsantrag im Zusammenhang mit der Neuregelung der Rechtsstellung der Mitglieder des Bundestages. Der SPD- Antrag sah eine Änderung des Abgeordnetengesetzes mit dem Ziel vor, eine weitreichende Pflicht zur Veröffentlichung der Nebeneinkünfte von Mitgliedern des Deutschen Bundestages festzulegen. Damit hätten wir einen qualitativen Sprung für die Weiterentwicklung der Offenlegungsregelungen gehabt, und wir hätten ein hohes Maß an zusätzlicher Transparenz eingeführt. Dies haben Sie jedoch seinerzeit abgelehnt und meinten, sich damit über die Runden helfen zu können, daß Sie durch Ihren Entschließungsantrag damals jenen Auftrag mit auf den Weg gegeben haben, an dem wir dann in den vergangenen Monaten - um nicht zu sagen: in den vergangenen Jahren - gearbeitet haben. Insbesondere - daran will ich erinnern - der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion Andreas Schmidt hatte seinerzeit der SPD-Fraktion vorgeworfen, einen Schnellschuß abzugeben und aus taktischen Überlegungen handeln zu wollen. Er sagte damals wörtlich - ich zitiere -: Wir schlagen Ihnen vor, diese Verhaltensregeln im Geschäftsordnungsausschuß zu überprüfen, Wilhelm Schmidt ({0}) damit wir sie bis zum Sommer des nächsten Jahres - also 1996 gegebenenfalls konkreter fassen können ... Ich appelliere an Sie: Lassen Sie von diesem Schnellschuß ab, und stimmen Sie diesem vernünftigen Entschließungsantrag zu. Dann können wir in dieser Angelegenheit gemeinsam etwas erreichen. Das ist der Sache insgesamt angemessen. Ich erinnere deswegen daran, weil wir damit auch die Art und Weise unserer Diätenerhöhung sehr nachdrücklich begründet haben, die wir im Winter 1995 vorgenommen haben und deren nächste Stufe am 1. April dieses Jahres ins Haus steht. Wir waren damals - mit Bedenken - zu dieser Verfahrensweise bereit, hatten allerdings schon die Sorge, daß sich die Koalitionsfraktionen nur von der Verantwortung für den Teil der Regelungen im Bereich der Rechtsstellung der Abgeordneten reinwaschen oder zurückhalten wollten. Wir waren allerdings schon damals nicht mit der Art und Weise einverstanden, mit der die Koalitionsfraktionen dieses ganze Thema dann im Geschäftsordnungsausschuß betrieben haben. Denn wir hatten sehr schnell den Eindruck, daß sie von vornherein die Absicht verfolgt haben, die Überprüfung der Verhaltensregeln zu verschleppen und zu blokkieren. Ich halte es für bemerkenswert, daß in der Frage der Offenlegung ausgerechnet die Koalitionsfraktionen der SPD taktisches Verhalten vorgeworfen haben, während sie selbst seither keine Gelegenheit ausgelassen haben, die für das Selbstverständnis des Parlaments wesentliche Frage der Offenlegung in den Hintergrund zu drängen. Die Verweigerungshaltung der Koalitionsfraktionen wird besonders durch die Präsenz in der vom Geschäftsordnungsausschuß im Juni 1996 durchgeführten Anhörung namhafter Experten anschaulich. Von der Fraktion der F.D.P. war gar keiner und von der CDU/CSU waren ab und zu zwei Abgeordnete anwesend. Auch dies spricht für die Einstellung zu diesem Themenkomplex. Im Gegensatz dazu hat sich die SPD-Fraktion - ich füge hinzu: auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die PDS - im Laufe des Überprüfungsverfahrens immer wieder bemüht, das Verfahren im Sinne der zeitlichen Vorgaben des Bundestages einzuhalten. Es war jedoch offenkundig, daß dies von den Fraktionen der Regierungskoalition nicht gewollt war. Wir haben uns dann im Herbst des vergangenen Jahres entschlossen, eigene und neue Vorschläge konkreter Art zur Änderung der Verhaltensregeln vorzulegen. Ich will Ihnen nicht ersparen, hier an dieser Stelle die wesentlichen Grundzüge des Vorschlages der SPD-Fraktion kurz darzustellen. Die Vorschläge unserer Fraktion sehen die Veröffentlichung von Bezügen aus öffentlichen Kassen vor, wenn ein bestimmter Mindestbetrag überschritten wird. Nach unserer Auffassung ermöglicht dies eine verbesserte Transparenz bei den Politikerbezügen und erleichtert die Korrektur von unvertretbaren Doppelalimentationen aus öffentlichen Kassen. Weiterhin soll die Pflicht zur Anzeige der Höhe der Einkünfte aus Nebentätigkeiten bei der Präsidentin des Bundestages ausgeweitet werden. Neben der Herabsetzung der Mindestgrenzen soll hierfür die Unterscheidung zwischen Tätigkeiten, die bereits vor der Mitgliedschaft ausgeübt worden sind, und solchen, die erst während der Mitgliedschaft aufgenommen worden sind, beseitigt werden. Dies ist jetzt ein Zustand, der als sehr ärgerlich bezeichnet werden muß. Nach unseren Vorstellungen sollen künftig auch alle nebenberuflichen Tätigkeiten, und zwar nicht nur Tätigkeiten in Aufsichtsräten, Vorständen usw., einbezogen werden. Mit Rücksicht auf die von den Koalitionsfraktionen zu erwartenden Widerstände haben wir auf einen Vorschlag zur Veröffentlichung der Höhe der Einkünfte zugunsten eines möglichen Kompromisses bei der Überarbeitung der Verhaltensregeln verzichtet. Wir sind Ihnen also schon im Verfahren der vergangenen Monate entgegengekommen. Unsere Vorschläge sahen außerdem vor, die Wertgrenzen für die Anzeige bzw. die Veröffentlichung von Direktspenden an Abgeordnete erheblich herabzusetzen. Spenden an Abgeordnete wären hiernach statt bisher ab 20 000 schon ab 10 000 DM im Jahr zu veröffentlichen. Letztlich schlagen wir eine Veröffentlichung der veröffentlichungspflichtigen Angaben nicht nur im Amtlichen Handbuch des Bundestages, sondern auch in einer Bundestagsdrucksache, die in Form eines Berichts der Bundestagspräsidentin jährlich erscheint, vor. Das verbessert ebenfalls die Zugänglichkeit und die Transparenz einer solchen Veröffentlichung, die nämlich über das Amtliche Handbuch relativ umständlich für die Öffentlichkeit zu erreichen wäre. Diese Vorschläge sind nicht so weitgehend, und sie sind außerordentlich ausgewogen. So, wie wir sie im Jahre 1995 zunächst ins Gespräch gebracht haben, enstprechen sie allerdings nicht mehr ganz dem Maß der Dinge, eben weil wir eine Möglichkeit gesucht haben, mit Ihnen eine gemeinschaftliche Regelung zu erreichen. An die Koalitionsfraktionen gerichtet sage ich, daß auch Sie nicht umhin kommen werden, sich einer Verschärfung der Offenlegungsregeln für Nebeneinkünfte zu öffnen. Es besteht entgegen Ihrer im Geschäftsordnungsausschuß vertretenen Auffassung ein Bedürfnis hierzu in der Öffentlichkeit, wie ich finde aber auch - wenn man ehrlich miteinander umgeht - unter uns Parlamentariern hier im Hause. ({1}) Die Bürgerinnen und Bürger haben den Wunsch und das Recht, zu erfahren, in welchem Umfang die Abgeordneten Nebentätigkeiten ausführen, welche Interessen sie dabei vertreten, welchen Einfluß diese Interessen auf ihr Mandat haben könnten und welche Bezüge sie aus ihren Nebentätigkeiten beziehen. Wilhelm Schmidt ({2}) Die öffentliche Entrüstung wird zunehmen, wenn, wie schon in letzter Zeit in Ihren Reihen geschehen - ich wende mich dabei bewußt an die Koalitionsfraktionen -, Abgeordnete hauptberufliche Verbandsfunktionäre werden, ihr Mandat behalten und in ihrem Hauptberuf ein Vielfaches der Abgeordnetenbezüge hinzuverdienen. ({3}) Hier stellt sich der Bürger zu Recht die Frage, ob diese Abgeordneten ihr Bundestagsmandat noch frei von äußeren Interesseneinflüssen wahrnehmen können und genügend Zeit finden, sich dem Mandat zu widmen. ({4}) Dies würde erweiterte Offenlegungsregelungen zumindest transparenter als bisher machen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, als Resümee der Diskussion um die Offenlegung von Nebeneinkünften stelle ich also fest, daß in diesem heute zu diskutierenden und abzuschließenden Bericht weiterhin ein erheblicher Reformbedarf bleibt. Meine Faktion hat hierzu mehrfach Vorschläge vorgelegt, die alle von den Koalitionsfraktionen abgelehnt worden sind. Aber die Diskussion wird weitergehen; das kann ich Ihnen schon jetzt ankündigen. An die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. gerichtet sage ich, daß es Ihnen nicht gelingen wird, das Thema von der politischen Tagesordnung abzusetzen. Hierbei wird Ihnen auch Ihr Taktieren, Blokkieren und Verhindern nicht helfen. ({5}) Ich kann an Sie nur appellieren, das Ansehen des Parlaments nicht weiter zu beschädigen und sich so bald wie möglich dieser Thematik zu stellen. Wir werden deswegen den Bericht des Geschäftsordnungsausschusses ablehnen. Vielen Dank. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Stoltenberg, CDU/CSU.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte empfehlen, daß wir dem Votum des federführenden Ausschusses folgen, die Verhaltensregeln für Abgeordnete nach dem geltenden Recht zu bestätigen und die weiterführenden oder anderslautenden Anträge der SPD abzulehnen. Wir glauben, daß sich die geltenden Regeln von 1995 bewährt haben. Herr Kollege Schmidt, Sie haben über Verfahren geredet, Sie haben noch einmal Ihre Anträge hier vorgetragen. Ich habe, offen gesagt, keine neue und überzeugende Begründung für diese Anträge von Ihnen gehört. ({0}) Aber vielleicht folgt das noch in dieser kurzen Debatte. Bei Ihrer Rede waren übrigens vier Kollegen Ihrer Fraktion zugegen, jetzt sind es noch zwei. So brennend scheint dieses Problem also für die große Mehrzahl der Mitglieder Ihrer eigenen Fraktion nicht zu sein. ({1}) - Ich sage das ohne jene Polemik. Nur, nach dem Pathos! ({2}) - Sie ersetzen die Präsenz durch pausenlose Zwischenrufe. Ich bitte, das nicht auf meine Zeit anzurechnen. Die geltenden Regeln sind nach den Erfahrungen der letzten Jahren geeignet, das etwas komplizierte Nebeneinander von Rechten und Pflichten aus dem Mandat und gleichzeitig von vielen, nicht von allen, ausgeübten beruflichen Tätigkeiten zu ermöglichen und auch ein Stück transparenter zu gestalten. Aber die Vorschläge der SPD und der Grünen führen zu unscharfen Begriffen. Ich will in der Kürze der Zeit nur einmal darauf verweisen, was die Berichterstatter - jedenfalls deren Mehrheit - auf Seite sechs des Ausschußberichtes ausgeführt haben, etwa hinsichtlich des unscharfen Begriffes der „öffentlichen Kassen" . Das führt zu einer unnötigen Komplizierung, die wir - im Interesse der Kolleginnen und Kollegen - nicht wünschen. In einem Bundesland haben wir ja erlebt, was unscharfe Begriffe in Regelungen über Bezüge von Ministern und Abgeordneten bedeuten können. Das sollten wir vermeiden, auch bei der Neuregelung von Verhaltensregeln. ({3}) - Ich will nur kurz darauf verweisen, daß das für uns alle eine Mahnung sein sollte, bei gesetzlichen Regelungen und der Regelung von Verhaltensregeln für Minister und Abgeordnete nur mit ganz präzisen, eindeutigen Rechtsbegriffen zu arbeiten und unnötige Komplizierungen zu vermeiden. ({4}) Vor allem aber greifen Sie, so glaube ich, ohne überzeugende Begründung stärker als sinnvoll in die Privatsphäre der Abgeordneten des Bundestages ein. Herr Kollege Schmidt, was mich stört, ist, daß Sie gegen den allgemeinen Trend in der Gesetzgebung und Rechtsprechung in der Bundesrepublik gehen. Wir wissen alle - es gibt ein wichtiges Urteil des VerDr. Gerhard Stoltenberg fassungsgerichts dazu -, daß der Stellenwert des Datenschutzes für die Bürgerinnen und Bürger in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen hat, ({5}) in Gesetzgebung und Rechtsprechung. Ich erwähne das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, die unbestrittene Berufsfreiheit, das in Deutschland besonders stark geschützte Steuergeheimnis. ({6}) - Da seid ihr ja nicht einig. Das müßt ihr miteinander austragen. Das will ich deswegen heute abend hier gar nicht weiter vertiefen. Man könnte dazu einiges sagen; aber die Zeit reicht nicht. Ich will noch einmal sagen: Die öffentliche Meinung, die Gesetzgebung, die Rechtsprechung haben sich in Deutschland in die andere Richtung bewegt. Wir müssen uns sehr genau überlegen, inwieweit besondere Verpflichtungen für die Abgeordneten des Bundestages, die wir alle bejahen und die ja auch mit den Verhaltensregeln begründet sind, im Gesamtkontext der Rechtsentwicklung nicht mehr vertretbar sind. Ich erinnere daran, daß wir erst vor zehn Jahren eine große außerparlamentarische Bewegung gegen die Volkszählung hatten, weil viele meinten - ich weiß, daß auch einige Mitglieder der linken Seite dieses Hauses an dieser Bewegung mitgewirkt haben -, ({7}) daß es den Bürgern nicht zumutbar sei, weniger allgemeine, persönliche Daten den zuständigen Behörden mitzuteilen, obwohl das für die kommunale und staatliche Daseinsvorsorge zweifellos sehr wichtig war. Ich denke auch an die Erosion der allgemeinen Meldepflicht. Natürlich, bestimmte besondere Verpflichtungen für uns Abgeordnete bejahen wir alle - aber mit Augenmaß! Die Formel, daß wir keinen „gläsernen Abgeordneten" wollen, muß ernst genommen werden. Wir sollten nichts beschließen, was für die Mitglieder des Deutschen Bundestages und ihre Familien unzumutbar wird, auch aus sehr konkreten Gründen. ({8}) Ich sage als einer der Älteren und vor allem als eines der dienstältesten Mitglieder diesen Hohen Hauses am Ende meiner parlamentarischen Laufbahn: Mir macht große Sorge - auch im Zusammenhang mit der jetzt laufenden Kandidatendiskussion -, daß die Tätigkeit im Deutschen Bundestag, aber eben auch die in den Landtagen und in der kommunalen Selbstverwaltung für viele tüchtige, im Beruf bewährte und im guten Sinne erfolgreiche Leute der jüngeren und mittleren Generation weniger attraktiv ist als vor 20 oder 40 Jahren. Ich erinnere aus meiner Erfahrung von vier Jahrzehnten einmal daran, daß zahlreiche Kolleginnen und Kollegen, die hier im Bundestag besonders verantwortliche Aufgaben - wie wir alle wissen, gibt es in der Wirklichkeit unseres Parlaments gewisse Abstufungen - oder Ministerämter übernommen haben, im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Vorurteil auf Einkommen verzichtet haben. Das gilt übrigens auch für meine eigene Biographie. Ich habe vor meinem Mandat - was ja öffentlich bekannt war - eine leitende Tätigkeit in der deutschen Wirtschaft ausgeübt und mit meiner ersten Berufung zum Bundesminister 1965 auf Einkommen verzichtet. Das war für mich kein Problem. Aber es gibt Grenzen der Zumutbarkeit. Ich sage das in einer Zeit, in der sich bestimmte Professoren und Publizisten überschlagen in der Diffamierung der Abgeordneten, auch hinsichtlich der Bezüge - eine Sache, der wir alle entschieden widersprechen sollten! ({9}) Das heißt also, heute ist die Attraktivität der parlamentarischen Laufbahn in den Kommunen, in den Ländern und im Bund für viele geringer geworden. Die zeitliche Beanspruchung hat in der Regel zugenommen. Daher bin ich der Meinung, daß wir im Bundestag und daß vor allem unsere Kolleginnen und Kollegen in den Landtagen auch darüber reden sollten, ob man nicht die Arbeit auch unter Wahrung von Minderheitenrechten etwas rationeller und effektiver gestalten könnte, nicht indem man Minderheitenrechte wegnimmt, sondern indem man die Ausübung von Rechten etwas genauer überprüft. Da gibt es manches an Leerlauf, was vermieden werden kann. Aber insgesamt hat die zeitliche Beanspruchung zugenommen; das öffentliche Meinungsklima ist unfreundlicher geworden. Ich sage das ohne Larmoyanz. Wer sich ins politische Rampenlicht begibt - das gilt nicht nur für uns im Bundestag -, muß mit Kritik leben, gelegentlich auch mit ungerechter Kritik. Aber insgesamt müssen wir es ernst nehmen, daß das öffentliche Meinungsklima unfreundlicher geworden ist. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Leuten, die ihren Familien und sich das nicht mehr zumuten wollen. Das kann ein Verlust für die Lebendigkeit unserer Demokratie und auch ein Verlust für den repräsentativen Charakter unserer Parlamente sein. Ich verstehe es, offen gesagt, nicht, Herr Kollege Schmidt - ich sage das ganz höflich -, daß Sie hier nun noch heftige Kritik an einigen Kolleginnen und Kollegen geübt haben, die hauptamtliche Aufgaben in Verbänden übernommen haben. Seitdem ich dem Bundestag angehöre, haben wir immer hervorragende Gewerkschaftsführer in diesem Parlament gehabt, die Hauptämter hatten. Ich habe das immer begrüßt, und ich habe in einer meiner letzten Reden im vergangenen Jahr die persönliche Leistung des Kollegen Rappe in einem bestimmten Zusammenhang ausdrücklich gewürdigt. ({10}) Auf Leute wie ihn sollten wir nicht verzichten. Aber dann müssen Sie doch auch akzeptieren, daß es Geschäftsführer oder Vorsitzende von anderen Verbänden im Hauptamt gibt, die hier tätig sind. ({11}) Diese Art von Polemik bringt uns in der Gemeinsamkeit der Abgeordneten doch überhaupt nicht weiter. Ich will noch zwei Dinge sagen. Die maßlose Kritik, die einige üben, muß zurückgewiesen werden. Herr von Arnim, Professor in Speyer, hat jetzt ein Buch veröffentlicht mit dem unsäglichen Titel „Fetter Bauch regiert nicht gerne - die politische Klasse selbstbezogen und abgehoben". Wenn das ein nach seinem Verständnis angesehener deutscher Ordinarius tut, muß ich sagen: Es ist unter jedem Niveau, es ist im Grunde ein Skandal. ({12}) Wenn Sie es mir nicht anrechnen, Herr Präsident, will ich die Zwischenfrage gerne zulassen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte, Herr Kollege Schmidt.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dr. Stoltenberg, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß auch ich und meine Fraktion genau in der gleichen Weise Kritik an diesem Professor üben, wie Sie es eben zum Ausdruck gebracht haben?

Dr. Gerhard Stoltenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin nicht überrascht, daß Sie das sagen, aber ich begrüße Ihre ausdrückliche Bestätigung. Ich sage, wir müssen mit Kritik leben, aber diese Art einer verkommenen Sprache - um das deutlich zu sagen - in der Auseinandersetzung mit den demokratisch gewählten Abgeordneten ist wirklich nicht mehr akzeptabel. Er erinnert mich als habilitierten Historiker, der einmal darüber gearbeitet hat, schon an die Fehlleistungen mancher deutscher Professoren vor 1933, meine Damen und Herren. Ich denke daran, wie damals der Parlamentarismus madig gemacht wurde. Das waren nicht nur Leute, die nachher mit Hitler marschiert sind. Das waren Leute, die sich dann wieder distanziert haben. Ich will zum Abschluß folgendes sagen: Was ich wünsche, ist eine Erweiterung der Diskussion auf Verhaltensregeln für andere gewählte Inhaber politischer Ämter. Oberbürgermeister, Bürgermeister, Landräte, Intendanten von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und die Spitzenkräfte dort haben auch ein politisches Mandat. Wir sollten uns einmal darüber unterhalten, ob es nicht an der Zeit ist, daß bestimmte Verhaltensregeln, die wir bereits haben, auch für diese Träger politischer Mandate gelten sollten. Ich bin dagegen, daß wir immer nur über eine weitere Ausprägung des Sonderrechtes für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages reden. Wir sollten die Diskussion in einer vernünftigen und fairen Weise erweitern. Das aber ist für mich ein öffentliches Thema, das über den heutigen Tag hinausgeht. Eine solche Erweiterung auf die hier genannten Gruppen und andere wäre gut für unsere Demokratie, gut auch für unser Parlament. Schönen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Christa Nickels, Bündnis 90/Die Grünen.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum wiederholten Male befassen wir uns mit der Frage nach einer möglichen Pflicht zur Offenlegung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten. Dabei geht es aber nicht nur um eine technische Spezialfrage des Parlamentsrechtes, sondern um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Abgeordneten, die schließlich über Gesetze befinden, die unterschiedslos für alle Menschen in unserem Land zu gelten haben. Eine funktionierende Demokratie ist auf das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das Parlament angewiesen. Darum ist auch die Frage der Nebeneinkünfte der Abgeordneten nicht unbedeutend. Zwei Gesichtspunkte sind zu beachten: Zum einen sind Nebeneinkünfte selbstverständlich legal. Jeder Abgeordnete hat grundsätzlich das Recht, neben seinem Mandat andere Tätigkeiten auszuüben. Herr Kollege Stoltenberg hat schon zu Recht gesagt, daß sich viele Freiberufler praktisch kaum noch um ein Bundestagsmandat bewerben, wenn sie ihre Praxen und Kanzleien für die Dauer des Mandates schließen müßten. Ein Verbot solcher Nebentätigkeiten oder auch nur ein Genehmigungsvorbehalt, wie er von der PDS gefordert wird, wäre unserer Meinung nach deshalb verfassungspolitisch unsinnig, weil Selbständige und Freiberufler damit aus dem Parlament gedrängt würden. Das kann niemand wollen. ({0}) Zum anderen können natürlich solche Nebeneinkünfte aber auch politisch durchaus bedenklich sein. Wenn man weiß, daß einige Kolleginnen und Kollegen auch aus den Koalitionsfraktionen Nebentätigkeiten in einer Zahl wie Perlen an der Schnur ausüben, dann muß sich ein normaler Mensch fragen, ob denn für diese Kolleginnen und Kollegen der Tag 48 statt 24 Stunden hat und wie sie diese zahlreichen Nebentätigkeiten mit der anstrengenden und verantwortungsvollen Tätigkeit eines Bundestagsabgeordneten vereinbaren. ({1}) Man kann vornehm davon sprechen, daß solche Tätigkeiten, wenn sie in einer solchen Vielzahl ausgeübt werden, eine übermäßige Belastung für das Bundestagsmandat und für die Arbeit für die BevölChrista Nickels kerung bedeuten würden. Daraus können natürlich auch Interessenverflechtungen resultieren. Ich möchte jetzt eine Passage aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975 zitieren, in dem sehr deutlich gesagt wird: Das Grundgesetz verlangt gesetzliche Vorkehrung dagegen, daß Abgeordnete aus einem Angestelltenverhältnis, aus einem sogenannten Beratervertrag oder ähnlichem, ohne die danach geschuldeten Dienste zu leisten, nur deshalb etwas erhalten, weil von ihnen im Hinblick auf ihr Mandat erwartet wird, sie würden im Parlament die Interessen des zahlenden Arbeitgebers, Unternehmers oder der zahlenden Großindustrie vertreten und nach Möglichkeit durchzusetzen versuchen. Einkünfte dieser Art sind mit dem unabhängigen Status des Abgeordneten und ihrem Anspruch auf gleichmäßige finanzielle Ausstattung in ihrem Mandat unvereinbar. Diese Ansicht teilen wir Grünen. Die anderen Kolleginnen und Kollegen haben schon dargelegt, welche Vorstellungen sie haben. Wir sind der Meinung, daß die Vorschläge der SPD-Fraktion hier keine Abhilfe schaffen können. Aus der Begründung des Antrags der SPD geht ja hervor, daß Sie Doppelalimentationen vermeiden helfen wollen. Doppelalimentationen zu vermeiden ist aber gerade Aufgabe des Gesetzgebers. Mehrfachbezahlungen aus öffentlichen Kassen gehören nicht öffentlich beobachtet; solche Mehrfachbezahlungen gehören parlamentarisch abgeschafft. ({2}) Dazu haben wir auch noch einen anderen Antrag eingebracht. Um ihn geht es aber heute nicht. Darüber hinaus haben wir einen Gesetzentwurf zur Frage der Nebentätigkeiten eingebracht, der keineswegs den gläsernen Abgeordneten schafft, sondern selbstverständlich die legitimen Interessen der Abgeordneten berücksichtigt. Aber er stellt natürlich auch die notwendige Transparenz für die Öffentlichkeit her, damit sich die Wählerinnen und Wähler ein Bild von den Interessen und Tätigkeiten der Abgeordneten machen können. Unser Antrag umfaßt drei Punkte. Erstens. Bagatellbeträge brauchen nicht offengelegt zu werden - an ihrer Kenntnis besteht kein öffentliches Interesse. Zweitens. Einkommen, das aus Einkommensarten stammt, die nicht mandatsrelevant sind, werden nicht offengelegt. Drittens. Unser Antrag sieht vor, daß dem GO-Ausschuß eine Einzelfallprüfung aufgetragen wird, wenn schutzwürdige Interessen des Abgeordneten das öffentliche Interesse der Offenlegung überwiegen. Unser Modell sichert also die notwendige Transparenz der Nebeneinkünfte der Abgeordneten, ohne die Abgeordneten zum gläsernen Menschen zu machen. Wir würden uns freuen, wenn diese Vorschläge Ihre Zustimmung finden würden, so daß wir nicht wieder unendlich lange Debatten führen müssen, bis das, was notwendig ist, gemacht wird, ohne die Abgeordneten nackt und bloß dastehen zu lassen. Danke schön. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Jörg van Essen, F.D.P.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erneut beschäftigt uns heute das Thema Parlamentsreform. Wir haben unter diesem Leitbegriff bisher drei große Themenbereiche behandelt: die Reform der Parlamentsarbeit und die Stärkung der Handlungsmöglichkeiten des einzelnen Abgeordneten - hierbei haben wir in der laufenden Legislaturperiode am schnellsten einige positive Schritte getan -, die Problematik der Amtsausstattung von Mandatsträgern mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten und schließlich die Frage einer Parlamentsverkleinerung einschließlich der damit zusammenhängenden wahlrechtlichen Fragen und der notwendigen Wahkreisneueinteilung. Das diesbezügliche Gesetz werden wir in der nächsten Woche verabschieden. Offengeblieben war in den bisherigen Beratungen noch die Frage, ob und inwieweit die Regelungen über die Anzeigepflichten aus Gründen der Transparenz einer Ergänzung bedürfen. Wir haben uns im Geschäftsordnungsausschuß in dieser Hinsicht intensiv mit entsprechenden Vorlagen befaßt, sind aber mehrheitlich eindeutig zu der Auffassung gelangt, daß eine Beibehaltung der geltenden Verhaltensregeln am besten den von allen Parteien geforderten fairen Ausgleich zwischen Transparenz auf der einen Seite - aber das ist eben nur ein Wert - und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung auf der anderen Seite - dieses Wort ist in der Rede des Kollegen Schmidt überhaupt nicht gefallen - gewährleistet. Die Opposition, allen voran die SPD, hatte hierzu andere Vorstellungen, die selbstverständlich angesichts der Bedeutung des Themas im Kontext einiger Erosionserscheinungen der politischen Kultur in diesem Lande diskutabel sind. Ich möchte an dieser Stelle also deutlich betonen, daß die F.D.P., wie in allen anderen Fragen der Parlamentsreform auch, selbstverständlich offen ist für entsprechende Anregungen. Schließlich waren wir es, gemeinsam mit Hildegard Hamm-Brücher und Burkhard Hirsch, die den Prozeß der Parlamentsreform wesentlich mit initiiert haben. Aber bei genauerem Hinsehen vermögen die Vorschläge der Opposition nicht zu überzeugen. Trotz gegenteiliger Aussagen führen sie letzten Endes doch zu dem mehr oder minder gläsernen Abgeordneten. Es werden, ohne daß ich an dieser Stelle auf Grund der knappen Zeit auf alle Einzelheiten eingehen kann, eine Vielzahl von Anzeigepflichten vorgeschlagen. Diese beschneiden jedoch deutlich über das bislang schon verlangte Maß hinaus das Grundrecht - ich unterstreiche es noch einmal: Grundrecht - auf informationelle Selbstbestimmung, die Berufsfreiheit und auch das Eigentumsrecht. Die angestrebten Regelungen führen letzten Endes dazu, daß der Abgeordnete seine persönlichen Einkommensverhältnisse weitgehend offenlegen müßte. Wen berührt das in allererster Linie? Natürlich die Berufsgruppe, die im Parlament ohnehin unterdurchschnittlich vertreten ist: die Freiberufler und die Selbständigen, also Handwerker wie Ärzte, Rechtsanwälte genauso wie Unternehmer. Kein Selbständiger oder Freiberufler kann es sich leisten, Einkommenszahlen zu veröffentlichen, die seinem Konkurrenten Einblick in seine Ertragslage und damit Wettbewerbsvorteile bringen würden. Der berufliche Schaden wäre vorprogrammiert und würde tendenziell zu einem Verzicht auf das Mandat führen. Die Vorschläge der Opposition dienen also nur der Verarmung der Mitgliedervielfalt, der Berufsvielfalt des Parlaments. ({0}) Wir aber wollen, daß das Parlament die verschiedenen Bevölkerungsgruppen möglichst gleichmäßig repräsentiert. Schon die Kissel-Kommission, in der im übrigen unter anderem auch die damalige Präsidentin des Bundes der Steuerzahler gesessen hat, die ja jetzt Gelegenheit hat, die tatsächlichen Verhältnisse des Lebens von Abgeordneten kennenzulernen, hat sich gegen Offenlegungspflichten gewandt. Ich darf zitieren: Der „gläserne" Abgeordnete garantiert weder ausreichenden Schutz vor Fehlverhaltensweisen noch trägt dieses Bild dazu bei, qualifizierte Mitglieder für die Bewerbung um ein Mandat zu gewinnen. Weiter heißt es in dem Abschlußbericht - ich darf erneut zitieren -: Eine solche Verfahrensweise käme dem Offenbarungseid sehr nahe und könnte nach dem Verständnis der Kommission auch nicht im entferntesten mit der im übrigen vom Bürger zu Recht eingeforderten Transparenz von Abhängigkeiten und wirtschaftlichen Verbindungen begründet werden. Die Veröffentlichungen im Handbuch des Bundestages ... erfüllen den angestrebten Zweck. Der Bekanntmachung tatsächlicher Einkünfte bedarf es dazu nicht. Diese sind ohnehin nur beschränkt aussagefähig. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Vielen Dank. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann, PDS.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr van Essen, ich hätte es wesentlich spannender gefunden, wenn zum Beispiel der Kollege Graf Lambsdorff zu dem Thema gesprochen hätte. Aber gut, das haben Sie leider verhindert. ({0}) Ich weiß gar nicht, wie oft ich, seitdem ich im Bundestag bin, zu diesem Thema gesprochen habe. Alle Vorschläge, die in den Jahren gemacht worden sind, sind letzten Endes von einer Blockade der Mehrfachverdiener verhindert worden. Wir beklagen uns hier und auch anderswo oft genug über eine Null-Bockauf-Politik-Mentalität insbesondere bei jungen Menschen. Aber Politikverdrossenheit - man sollte besser sagen: Politikerverdrossenheit - hat ihre eigentlichen Ursachen nicht in Beiträgen von „Bild"-Zeitung oder „Spiegel", sondern genau hier in diesem Haus. Null Bock auf Politik gründet sich auf Erfahrungen fehlender Teilhabemöglichkeiten an politischen Entscheidungen und verbindet sich mit der Erkenntnis, daß es in politischen Auseinandersetzungen immer weniger um tatsächliche Problemlösungen, dafür immer mehr um medienwirksamen Schlagabtausch geht. Das geht mit einem zunehmenden Mißtrauen gegenüber Repräsentanten der Politik einher, weil deren Handeln kaum kontrolliert oder nachvollzogen werden kann. Daher muß uns eines klar sein: Es geht dabei nicht um uns als Personen, sondern letztlich um das Mißtrauen gegenüber parlamentarischer Demokratie. Die Offenlegung von Nebentätigkeiten und Nebeneinkünften könnte ein kleiner Baustein sein, dieses Mißtrauen aufzubrechen. ({1}) Meine Damen und Herren, tun wir doch nicht so, als seien wir hier der Karnevalsverein von Buxtehude. Der muß witzig und unterhaltsam sein, mehr nicht. ({2}) Wir sind der oberste Gesetzgeber, demokratisch gewählte Vertreterinnen und Vertreter des Volkes, gewählt mit dem klaren Auftrag, uns tatsächlich und mit voller Kraft um die Belange der Bürgerinnen und Bürger zu kümmern. Daß ein Teil der Abgeordneten nach der Wahl schnell vergessen hat, woher er kommt, steht auf einem anderen Blatt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erhalten für das, was wir hier tun, das Geld der Steuerzahler. Ob jeder von uns es zu Recht erhält, sei einmal dahingestellt. Das Leistungsprinzip gilt für den Bundestag bekanntlich nicht. ({3}) Aber gerade weil wir hier im Auftrag unserer Wählerinnen und Wähler sitzen, weil wir nach dem Grundgesetz Vertreterinnen und Vertreter des gesamten Volkes sein sollen, haben unsere Wählerinnen und Wähler ein Recht, zu erfahren, was wir hier tun, was wir neben unserer Tätigkeit als Abgeordnete tun und was wir dafür bekommen. Kollege Stoltenberg, es geht nicht um ein Verbot von Nebentätigkeiten; sondern es geht darum, den Wählerinnen und Wählern diese Nebentätigkeiten offenzulegen, ({4}) und zwar nicht, um vielleicht ihre Neugierde zu befriedigen. Wir stehen hier in der Öffentlichkeit. Ich denke, wir haben eine besondere Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit, der wir auch gerecht werden müssen. Es geht letzten Endes - das ist schon mehrfach gesagt worden - um mögliche Interessenkonflikte zwischen der Tätigkeit als Abgeordneter und der Tätigkeit, die neben dem Abgeordnetenmandat wahrgenommen wird. Es geht darum, diese Interessenkonflikte rechtzeitig zu erkennen und möglicherweise auch auszuräumen. Es geht um politische Integrität. Es geht auch um politische Moral. Ich denke, es würde uns allen ganz gut stehen, uns darum zu kümmern. Lapidar besagt die Beschlußempfehlung des Geschäftsordnungsausschusses: Es bleibt alles beim alten; bloß nicht daran rühren. Wir, die PDS, meinen: Es besteht dringender Handlungsbedarf. Das sind wir unseren Wählerinnen und Wählern schuldig. Die PDS hat in dieser und auch in der letzten Legislaturperiode mehrfach entsprechende Vorschläge eingebracht. Deswegen lehnen wir diese Beschlußempfehlung ab. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu dem Gesetzentwurf zur Neuregelung der Rechtsstellung der Abgeordneten. Das sind die Drucksachen 13/3281 und 13/9517. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 d auf: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus ({0}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. Für moderne Ausbildungs- und Arbeitsplätze in der Freizeit- und Tourismuswirtschaft - Drucksachen 13/8045, 13/8892 - Berichterstattung: Abgeordnete Halo Saibold Werner Kuhn Dr. Olaf Feldmann b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jann-Peter Janssen, Susanne Kastner, Anke Fuchs ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Arbeitsplatz- und Ausbildungssituation in der Fremdenverkehrswirtschaft - Drucksachen 13/2981, 13/6788 -Berichterstattung: Abgeordnete Halo Saibold Hans-Joachim Fuchtel Jann-Peter Janssen c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus ({3}) zu der Unterrichtung über ein Unionsdokument gemäß § 93 Abs. 2 GO-BT Geänderter Vorschlag für einen Beschluß des Rates über ein erstes Mehrjahresprogramm zur Förderung des europäischen Tourismus „PHILOXENIA" ({4}) - Drucksachen 13/8894 Nr. 2.2, 13/9322 -Berichterstattung: Abgeordnete Halo Saibold Dr. Roll Olderog Dr. Olaf Feldmann d) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({5}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung hier: „Entwicklung und Folgen des Tourismus" - Drucksache 13/9446 -Berichterstattung: Abgeordnete Ulla Burchardt Wolfgang Bierstedt Dr. Karlheinz Guttmacher Josef Hollerith Dr. Manuel Kiper Thomas Rachel Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus ({6}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Es liegen je ein Entschließungsantrag und ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Rolf Olderog, CDU/CSU.

Dr. Rolf Olderog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001645, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst ein Wort zu den kurzfristig vorgelegten Anträgen vom Bündnis 90/Die Grünen. Zu „Philoxenia" haben wir öffentlich detailliert und dezidiert ablehnend Stellung bezogen: zu nebulös, ohne klare Aussage, keine Beachtung des Grundsatzes der Subsidiarität und kein Wort zur Finanzierung. Wir bleiben bei unserer Ablehnung. ({0}) Den TAB-Bericht, der noch gar nicht fertig ist, sollten wir nicht in den politischen Streit hineinziehen. Wir sind deshalb für Ausschußüberweisung. ({1}) - Der Streit würde vielleicht kommen, wenn wir darüber ausführlich diskutierten. Meine Damen und Herren, wo liegen die Problemfelder, denen wir uns als Tourismuspolitiker zu stellen haben? Wenig ermutigend waren in den letzten Jahren vor allem die Zahlen und Daten für Reisen und Urlaub in Deutschland. Das zeigt auch das Gutachten des Büros für Technikfolgenabschätzung. Aber gerade deshalb möchte ich mit großem Nachdruck meine Überzeugung ausdrücken: Es gibt keinen Grund zur Resignation. ({2}) Es gibt Grund zur Zuversicht, Stichwort „Die Krise als Chance". Gerade für den Deutschlandtourismus hat sich doch Entscheidendes getan. Endlich haben wir auf Bundesebene mit der neuen DZT, der Deutschen Tourismus Marketing GmbH, und mit dem Reservierungssystem DIRG drei leistungsfähige Marketinginstitutionen errichtet. Durch die Fusion der DZT mit der DTM und den weiteren Ausbau aller Institutionen werden sie noch leistungsfähiger. Endlich gibt es eine flächendeckende Werbe- und Vermarktungsoffensive für Deutschland in Deutschland. Im vergangenen Jahr standen bescheidene 3 Millionen DM für die Dachwerbung zur Verfügung. 1998 sollen es 10 Millionen DM werden. Endlich gibt es die enge Zusammenarbeit zwischen den Regierungen in Bonn und den Ländern, auf die wir jahrelang gewartet haben. ({3}) Endlich gibt es auch in den Ländern und Regionen einen Aufbruch zu neuen Ufern, zu mehr Professionalität. Fachleute haben das schon über viele Jahre von uns gefordert: statt Konkurrenzdenken mehr Kooperation. In vielen Regionen erarbeiten heute Fachleute Tourismuskonzeptionen, erzeugen Leitbilddiskussionen in der Öffentlichkeit eine neue Aufbruchstimmung. Was sind jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, die nächsten Schritte? Diese sind eine noch stärkere Konzentration der Mittel für Werbung und Marketing auf überörtlicher, regionaler und nationaler Ebene, noch mehr Kundenorientierung bei den Angeboten, wie zum Beispiel Pauschalangebote, Sonderangebote, Baukastensysteme und anderes. ({4}) Bei Reha und Kuren kommen wir um den Abbau von Überkapazitäten leider nicht herum. Aber mancher Ort hat auch eine Chance mit innovativen Angeboten für Selbstzahler. ({5}) Was brauchen wir weiter? Wir brauchen eine moderne Infrastruktur, ausgestattet vor allem mit Angeboten für unbeständiges Wetter. Wir müssen systematisch eine Strategie gegen unsere Benachteiligung durch schlechtes Wetter entwickeln. Wir brauchen unbedingt mehr Freundlichkeit und Service in Deutschland. ({6}) Wir brauchen eine weitere Verbesserung - das ist sicher am schwierigsten, Frau Kastner - beim PreisLeistungs-Verhältnis und eine noch stärkere Kooperation aller Organisationen und Leistungsanbieter in landschaftlich zusammengehörenden Gebieten wie zum Beispiel an der Nordseeküste, an der Ostseeküste, im Schwarzwald, im Harz oder im Thüringer Wald, in der Mecklenburgischen Seenplatte oder im Erzgebirge. Wir brauchen eine noch anspruchsvollere Ausbildung. Die neuen Ausbildungsberufe, die wir fordern, werden das Ausbildungsangebot noch breiter gestalten. Ferner brauchen wir mehr Qualität und Intensität in der Fortbildung, insbesondere auch für die Chefs der kleinen und mittleren Unternehmen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland ist mit seiner landschaftlichen Schönheit und Vielfalt, mit seinen historischen Städten, mit seinen kulturellen Angeboten von den Museen bis zu den Musicals und - an anderer Stelle - mit seiner eindrucksvollen Modernität ein faszinierendes und auch für Deutsche aufregendes Land. ({7}) Wenn die Deutschen mehr über die Reize und Schönheiten ihres eigenen Landes, über die Faszinationen vieler Landschaften wüßten, dann würden sie zwar trotzdem weiterhin oft ins Ausland und zum Warmwasser fahren, aber sie würden auch öfter Urlaub und Reisen in Deutschland machen. Obendrein würden sie damit einen Beitrag zu Arbeit und Einkommen im eigenen Land leisten. Vielen Dank. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Jann-Peter Janssen, SPD.

Jann Peter Janssen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002691, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute zum dritten - und zum vorerst wohl letztenmal in dieser Wahlperiode über die Arbeitsplatz- und Ausbildungssituation im Fremdenverkehrsgewerbe. ({0}) Das Thema beschäftigt uns in diesem Hause seit nunmehr drei Jahren. Am 27. Januar 1995 habe ich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion in der ersten tourismuspolitischen Debatte in dieser Wahlperiode versprochen, der Situation der Beschäftigten in der Tourismusbranche sowie deren Perspektiven einen höheren politischen Stellenwert zu verschaffen. Ja, ich darf wohl sagen, daß der SPD das zu einem gewissen Maße gelungen ist. ({1}) Die heutige Diskussion wird ein Beleg dafür sein. Jedoch läßt mich die Art und Weise des Zustandekommens der heutigen Debatte befürchten, daß das Thema der Arbeitsplatz- und Ausbildungssituation im Tourismus zumindest bei der Regierungskoalition leider noch nicht den von uns erwünschten Stellenwert hat. Nein, vielmehr ist es schon merkwürdig und traurig, daß die Regierungskoalition es verhindert hat, heute mehr Redezeit für dieses Thema zur Verfügung zu haben. ({2}) Denn 30 Minuten, die auch noch mit anderen - zugegeben: wichtigen - Themen geteilt werden müssen, sind zuwenig, um der Sachlage gerecht zu werden. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der neuesten offiziellen Arbeitsmarktzahlen: Knapp 5 Millionen Menschen sind ohne Arbeit und Lohn. Das ist ein trauriger Rekord und eindeutig das Ergebnis einer falschen Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Regierung. ({3}) Im Fremdenverkehrs- und Gastgewerbe aber liegt ein bedeutendes Potential für eine positive Arbeitsmarktpolitik. Wir sprechen heute über zwei Anträge zu dem Bereich der Arbeitsplatz- und Ausbildungssituation. CDU/CSU und F.D.P. haben einen eigenen Antrag zu diesem wichtigen Thema vorgelegt, wenn auch etwa 18 Monate nach uns. ({4}) Beim ersten Lesen hatte ich darauf gehofft, daß man auf der Regierungsseite die Bedeutung dieses Themas im Fremdenverkehr erkannt hat. Leider wird Ihr Antrag dieser Hoffnung nicht ganz gerecht. Dennoch ist es schön - um dies zu Beginn zu sagen -, daß es gewisse Gemeinsamkeiten in den vorliegenden Anträgen gibt. Die gegenwärtige wirtschaftliche Bedeutung des Tourismussektors wird erkannt; die zukünftigen Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten werden gesehen. Wir reden über eine der expansivsten Wirtschaftsbranchen in Deutschland mit zirka 2 Millionen Beschäftigten. Das sind etwa 1,4 Millionen Vollarbeitsplätze sowie über 70 000 Stellen für Auszubildende in unserem Land. Auch die Europäische Union sieht im Tourismus den Sektor mit dem größten Potential für die Schaffung von Arbeitsplätzen in den kommenden Jahren. Wir begrüßen auch die Fortentwicklung bei der Neuordnung der Berufsausbildung im Gastgewerbe und möchten die bisherigen Leistungen der Tarifpartner in diesem Bereich anerkennen. ({5}) Denn durch die Neugestaltung der Ausbildungsgänge macht sich das Gewerbe fit für die Zukunft und für kommende Anforderungen im Wettbewerb. Es bleibt zu hoffen, daß der Zeitplan eingehalten werden kann und die Neuregelungen ab August 1998 greifen. Denn eine gute Ausbildung und dadurch qualifiziertes Personal ist und bleibt das wichtigste Kapital der Tourismuswirtschaft. ({6}) Eine Abbrechquote von 40 Prozent darf nicht hingenommen werden. Nein, sie ist sehr imageschädigend. Wir müssen daher dem Bild von Ausbeutung und Mißbrauch des beruflichen Nachwuchses entgegenarbeiten. Auszubildende dürfen nicht zu billigem Personal verkommen. ({7}) Mit der Einführung der dreijährigen Ausbildung zu dem neuen Berufsbild „Fachfrau oder Fachmann für Systemgastronomie" wird man zum Beispiel dem wachsenden Stellenwert dieser Gastronomie gerecht. Ja, wir erwarten etwa 1 500 neue Arbeitsplätze in diesem Bereich. Das sind 1 500 Jugendliche mit einer beruflichen Perspektive mehr. Wir gehen davon aus, daß die Branche der Systemgastronomie ihrer Verantwortung für die jungen Menschen, welche die Ausbildung nun einmal mit sich bringt, gerecht wird. Mindeststandards in der Ausbildung müssen gewahrt bleiben. Es ist schön, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß jetzt auch Union und F.D.P. das Gewicht der Systemgastronomie erkannt haben. In der Debatte am 1. Februar 1996 war das nämlich noch nicht so: Der Kollege Fuchtel zum Beispiel äußerte damals nur den Wunsch, „den Angriff auf die deutsche Eßkultur" einzuschränken. Während die Regierungskoalition beim Thema Systemgastronomie Lernfähigkeit bewies und dies Erlernte in ihren Antrag aufgenommen hat, ist das bei anderen Themen unseres Antrages leider nicht geschehen. Damit hat es leider auch ein Ende mit den erwähnten Gemeinsamkeiten. Ich stelle nämlich fest, daß Sie in Ihrem Antrag zwar eine Überschrift „Neue Berufe in der Tourismusbranche" haben, das eigenständige Berufsbild „Fremdenverkehrsamtsleiter" aber nicht wollen. Ich stelle weiter fest, daß Sie zu dem Thema Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung kein Wort sagen. Ja, manchmal kann einem der Verdacht kommen, daß die Regierungskoalition ihren Antrag nur eingebracht hat, um diesen Teil unseres Antrages mit aller Gewalt zu verhindern. ({8}) Denn bei dem Thema Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung tut sich die Koalition besonders schwer. ({9}) Die F.D.P., hier der Kollege Dr. Feldmann, erklärt im Plenum, die Trinkgeldbesteuerung müsse abgeschafft werden. In der Ausschußsitzung, in der über diesen Punkt abgestimmt wird, ist er nicht da. Wort und Tat gehen hier also weit auseinander. Trinkgelder sind und bleiben die Anerkennung des Gastes für eine erbrachte Leistung. ({10}) Eine Besteuerung des Trinkgeldes als Arbeitslohn widerspricht dem persönlichen Charakter dieser Belohnung; es ist keine Entlohnung. Darum bleiben wir dabei: Die Bundesregierung soll einen Bericht über die Erfahrungen mit den geltenden Bestimmungen über die Besteuerung von Trinkgeldern vorlegen. ({11}) - Danke schön, Herr Dr. Feldmann. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gastgewerbe ist ein dynamischer Wirtschaftssektor mit Zukunft. Struktur- und Technologiewandel machen vor diesem Zweig natürlich nicht halt. Diesem Wandel wird sich das Gewerbe anpassen müssen. Aber der Blick in die Zukunft darf nicht von den Problemen der Gegenwart ablenken. Nein, positive Aussichten dürfen gegenwärtige Mißstände nicht überdecken. Eines ist ganz sicher: Die Fortentwicklung im Bereich des Fremdenverkehrs darf und wird nicht auf Kosten der in diesem Bereich beschäftigten Kolleginnen und Kollegen gehen. Hierfür wird die SPD sorgen. ({13}) Es ist unserer Meinung nach nämlich mehr denn je notwendig, auf die Situation der Beschäftigten und der Auszubildenden im Tourismus zu achten. Es gibt - das wissen wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen - weiterhin nicht hinzunehmende Zustände für die Kolleginnen und Kollegen in den Hotels, in den Herbergen, in den Restaurants und Gaststätten. Ich werde nicht müde werden und die Mißstände immer wieder aufzählen: befristete Arbeitsverträge, Saisonarbeit, versicherungsfreie Arbeitsverhältnisse, schlechte Bezahlung, mehr als ungünstige und überlange Arbeitszeiten, Mehrarbeit als Regel und nicht als Ausnahme. Die Hauptprobleme der im Fremdenverkehr Beschäftigten sind und bleiben: schlechte und für die erbrachten Leistungen unverhältnismäßige Entlohnung sowie ungünstige Arbeitszeiten, die in der Saison überlang sind und völlig außerhalb der normalen Arbeitszeiten liegen. Zugegeben, oft geht es nicht anders; denn die Arbeit fällt nun einmal an Wochenenden und abends an. Aber die Rahmenbedingungen können und müssen durch Arbeitszeitpläne, durch die Kooperation mehrerer Betriebe oder durch höhere Löhne verbessert werden. ({14}) Unsere Sozialdemokratische Partei wird sich weiterhin für die Belange der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einsetzen; denn wir dürfen und werden nie vergessen, daß jeder Arbeitsplatz auch ein Gesicht hat. Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluß: Unsere Beschäftigten in der Fremdenverkehrsbranche haben es verdient, daß wir ihnen auf einer möglichst breiten politischen Front unsere Unterstützung zukommen lassen. ({15}) Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß der von der SPD-Bundestagsfraktion vorgelegte Antrag „Die Arbeitsplatz- und Ausbildungssituation in der Fremdenverkehrswirtschaft " dazu einen Beitrag leisten kann. Aus diesem Grund bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({16})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Halo Saibold.

Hannelore Saibold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001915, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In vier Minuten Redezeit kann ich leider nur ein paar kurze Sätze sagen. ({0}) Zuerst einmal zu „Philoxenia". Sie, die Vertreter der Koalitionsfraktionen, lehnen dieses gestaltungsfähige Programm einfach ab, während der Bundesverband der Tourismuswirtschaft sogar beim Bundeskanzler für „Philoxenia" interveniert hat und sich auf EU-Ebene massiv dafür einsetzt. Die Blockadehaltung der Bundesregierung führte wieder einmal dazu, daß sich Deutschland auf internationaler Ebene lächerlich gemacht hat. ({1}) Sie haben heute die Möglichkeit, dies auszugleichen, indem Sie unserem Entschließungsantrag zustimmen. ({2}) Und nun zum TAB-Bericht: Vor etwa einem halben Jahr hat Wirtschaftsminister Rexrodt den Tourismus in die Reihe der drei wichtigsten Zukunftsbranchen des nächsten Jahrhunderts eingeordnet. ({3}) Das ist nicht nur eine wirtschaftliche Herausforderung, sondern vor allem eine gesellschaftliche, eine ökologische und nicht zuletzt eine politische Herausforderung. Dieser Herausforderung wollten wir uns im Tourismusausschuß mit der Vergabe des Gutachtens an das Büro für Technikfolgenabschätzung stellen. Ich bin sehr froh, daß der Ausschuß meinem Vorschlag gefolgt ist und das Gutachten im Ausschuß auf breite Zustimmung stieß. Es liefert eine hervorragende partei- und interessenunabhängige Zusammenschau über Tourismus und Wirtschaft, Umwelt, Technik, Wertewandel sowie Tourismuspolitik. Gleichzeitig zeigt es auch die jeweiligen Mängel auf. Die ersten Reaktionen aus der Wissenschaft und der Praxis haben gezeigt, daß dieses Gutachten in keiner Uni-Bibliothek und auf keinem Schreibtisch der Verbände fehlen wird. Es hilft uns, die Zukunftsfragen im Tourismus mit dem nötigen Weitblick anzugehen. Dafür möchte ich mich beim Büro für Technikfolgenabschätzung bedanken; dieses Büro hat sich in seiner relativ kurzen Geschichte einen ausgezeichneten Ruf erarbeitet. ({4}) Für uns Politiker und Politikerinnen ist die Analyse der Tourismuspolitik in Deutschland das Entscheidende. Noch entscheidender ist natürlich, wie wir mit dieser Analyse umgehen. Das TAB stellt fest, daß Tourismuspolitik in Deutschland „kein wohlbestelltes Feld" ist, sondern konzeptionslos erfolgt. Diese Feststellung kommt an anderer Stelle noch deutlicher zum Ausdruck. Das TAB kritisiert - ich zitiere wörtlich - „Unübersichtlichkeit, unzulängliche Kommunikation, fehlende Abstimmung, Doppelarbeit, Blockaden und Ineffizienz" in der deutschen Tourismuspolitik. ({5}) Diese wissenschaftlich begründete Ohrfeige für das Versagen der Bundesregierung in der Tourismuspolitik wird Folgen haben. Es verwundert mich gar nicht mehr, daß die Koalition den Bericht mittlerweile am liebsten totschweigen würde. Bei der Pressekonferenz wollten Sie von den Koalitionsfraktionen plötzlich nicht mehr dabeisein, und hier im Bundestag haben Sie den Bericht mit drei anderen Anträgen in eine halbstündige Debatte gequetscht. Dieses peinliche Taktieren wird Ihnen aber nur Kopfschütteln in der Fachöffentlichkeit einbringen. Ich werde mich natürlich dafür einsetzen, daß dieser TAB-Bericht nicht in der Schublade verschwindet. ({6}) Deshalb hat meine Fraktion heute einen Entschließungsantrag zum TAB-Bericht eingebracht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es würde mich mittlerweile nicht mehr wundern, wenn Sie diese Vorschläge, über die es eigentlich parteiübergreifenden Konsens geben müßte, wieder einmal nur deswegen überstimmen würden, weil sie von meiner Fraktion eingebracht worden sind. Ich kann Ihnen aber heute schon versprechen, daß Bündnis 90/Die Grünen in einer neuen Regierung alles daransetzen werden, daß die Zukunftsfragen im Tourismus richtig angepackt werden. Vielen Dank. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun spricht der Abgeordnete Dr. Olaf Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir spannen mit dieser kurzen Debatte heute einen sehr weiten Bogen um die vielfältigen Felder des Tourismus. Frau Kollegin Saibold, ich kann Ihnen nur in einem Punkt recht geben: In Fünfminutenbeiträgen kann man diesen weiten Themenfeldern wirklich nicht gerecht werden. Der Tourismus ist ein expansiver und dynamischer Wirtschaftszweig. Es wäre schön gewesen - auch wir sehen das so -, wenn wir etwas mehr Redezeit zur Verfügung gehabt hätten. ({0}) Herr Janssen, die Koalition hat die Ausbildungs- und die Arbeitsplatzsituation, vor allem im Tourismusbereich, in aller Deutlichkeit gewürdigt. Das erkennen Sie auch an unserer Vorlage. Die Ausbildungssituation im Gastgewerbe ist wirklich eindrucksvoll - vielleicht hätten Sie ein Wort darüber verlieren sollen -: ({1}) 1996 wurden 8 Prozent mehr Ausbildungsverhältnisse neu begonnen als 1995. 1997, Herr Kollege Janssen, gab es noch einmal fast 7 Prozent mehr Ausbildungsplätze als 1996. ({2}) Das sind fast 32 000 neue Ausbildungsverhältnisse. Das ist ein Wort. Dafür verdient das Gastgewerbe Anerkennung. ({3}) Die F.D.P. begrüßt die kontinuierlichen Bemühungen der Bundesregierung zur Neuordnung der Berufsausbildung im Gastgewerbe. Wir haben das neue Berufsbild „Systemgastronomie" ganz deutlich begrüßt, Herr Janssen. Wir begrüßen auch das neue Berufsbild „Reiseverkehrskaufmann" und die Tatsache, daß mehr Professionalität in den Fremdenverkehrsämtern Einzug halten soll. Ich habe überhaupt keine Probleme damit, der Forderung des VDKF zuzustimmen. Wir sagen aber deutlich, daß wir Probleme mit dem Berufsbild „Reiseleiter" haben. Wir können uns den Bedenken der Bundesregierung nicht verschließen. Herr Kollege Olderog, auch die F.D.P. - das haben wir schon mit gemeinsamen Anträgen getan - wendet sich mit Nachdruck gegen eine besondere Kompetenz der EG im Tourismusbereich. Auch wir wollen Subsidiarität. Deswegen haben wir gemeinsam das „Philoxenia" -Programm abgelehnt, obwohl einige Punkte - da werden Sie mir wahrscheinlich zustimmen - durchaus unterstützenswert sind. Es gab aber zu viele unklare Formulierungen, die allen möglichen Auslegungen durch die EG-Bürokratie Tür und Tor geöffnet hätten. Wir haben mit der Generaldirektion XXIII bereits in der Vergangenheit nicht immer die besten Erfahrungen gemacht - leider nicht. Statt ständig neue Kompetenzen für die EG zu verlangen, sollte diese erst einmal die vielfältigen Aufgaben, die noch unerledigt auf dem Tisch liegen, abarbeiten. Die EG sollte sich erst einmal darin bewähren, die Diskriminierung von Reiseleitern in einigen Mitgliedsländern zu beseitigen, ({4}) die gegenseitige Anerkennung der Ausbildungszertifikate zu erleichtern und die Koordination im Ferienbereich voranzutreiben. Da gibt es noch viele Betätigungsfelder; ich habe nur einige genannt. Ich wundere mich, daß Sie im Gegensatz zu Ihrer Haltung im Ausschuß noch nichts zu den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen gesagt haben. Das Gastgewerbe, das wissen Sie doch genau, ist mehr noch als andere Branchen - auf jeden Fall mehr als die Metaller, Herr Kollege Janssen - auf flexible Tarifmodelle angewiesen, um den starken saisonal, wochen- und tageszeitlich sowie den wetterbedingten Nachfrageschwankungen gerecht werden zu können. Die Zunahme der Zahl von geringfügig Beschäftigten ist doch nur ein Indiz dafür, daß irgend etwas in der Lohnstruktur nicht stimmt. ({5}) Dieses Problem können wir nur lösen, wenn wir die Ursachen durch eine wirkliche Steuersenkung und durch die Beseitigung von Abgaben im Bereich der Lohnkosten bekämpfen. Zum TAB-Bericht, Frau Saibold. Der Bericht ist besser, als wir befürchtet haben. Er weist zum Beispiel auf den Koordinationsbedarf hin. Aber wir sind doch schon längst auf dem Weg zu mehr Koordination und Kooperation im Tourismus. Wenn man nur zwei Legislaturperioden zurückschaut, dann sieht man, was wir bereits erreicht haben. Der Kollege Olderog hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß DZT und DFV gemeinsam die DTM finanzieren, damit im In- und Ausland für Urlaub und Reisen in Deutschland geworben werden kann, was vor wenigen Jahren - Sie müssen einmal zurückblicken und sehen, wo wir standen - noch undenkbar war. Auch bei der DIRG haben wir endlich den Durchbruch geschafft. Der TAB-Bericht ist aber auch widersprüchlich. Auf der einen Seite beklagt er die knappe Personalausstattung des Bundes. Auf der anderen Seite stellt er aber richtigerweise fest: Verfassungsrechtlich ist die Kompetenzverteilung für Tourismus zugunsten der Länder geregelt. Das ist so. Deswegen hat der Bund nicht die Hauptkompetenz. Frau Saibold, wir sind eine Republik aus Bundesländern und kein Zentralstaat. Das müssen auch die Grünen verstehen lernen. Wir können keine zentralistisch ausgerichtete Tourismuspolitik betreiben. Die Bundesregierung - ich darf das zum Schluß feststellen - verdient Lob für ihre Anstrengungen, ({6}) die Berufsbilder im Bereich des Tourismus voranzutreiben. Wir bedauern, daß Sie, obwohl wir - wie haben Sie gesagt? - so viele Gemeinsamkeiten auf diesem Gebiet haben, unserem Antrag nicht zustimmen. Warum stimmen Sie nicht zu?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Feldmann, Ihre Redezeit!

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Trinkgeldbesteuerung - das darf ich zum Schluß sagen - will ich genauso abgeschafft haben wie Sie. Aber ich warte auf die groß angekündigten Initiativen von der Länderseite für die Abschaffung dieser Steuer.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, ich sage es ungern, aber Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich bedanke mich. Meine Damen und Herren, vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Christina Schenk.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es stehen hier zwei Anträge zur Arbeitsplatz- und Ausbildungssituation im Tourismus zur Diskussion. Ich will gleich vorausschicken, daß wir den Antrag der Regierungskoalition ablehnen werden, weil er - wie schon andere zuvor - schwammig, ungenau und unkonkret ist. Dem Antrag der SPD hingegen werden wir zustimmen und uns bei den Abstimmungen über die Beschlußempfehlungen des Ausschusses entsprechend verhalten. Ich möchte eine Bemerkung zur Frage der Qualifizierung in Tourismusberufen machen. Von Expertinnen und Experten ist schon sehr oft darauf hingewiesen worden, daß die bis dato bestehende Qualifikation für deutsche Reiseleiterinnen und Reiseleiter sehr verbesserungsbedürftig ist. Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten, wie zum Beispiel der Türkei, Griechenland oder Frankreich, schneidet die Bundesrepublik schlecht oder zumindest nicht besonders gut ab. Es ist in den letzten Jahren sogar immer wieder zu Behinderungen, bis hin zu vorläufigen Festnahmen, deutscher Reiseleiterinnen und Reiseleiter im Ausland gekommen, weil sie gemäß der jeweils in den einzelnen Länder herrschenden Vorschriften nicht befugt waren, Reisegruppen zu leiten. Zu einer dramatischen Situation könnte es kommen, wenn im Rahmen der EU tatsächlich einheitliche Qualifizierungsstandards als Voraussetzung für die Ausübung des Berufs durchgesetzt würden. Das ist aus unserer Sicht zwar wünschenswert, käme allerdings unter den jetzigen Gegebenheiten wahrscheinlich einem Berufsverbot für die deutschen Reiseleiterinnen und Reiseleiter gleich. Ich meine, daß hier ganz dringender Handlungsbedarf besteht. Wir meinen auch, daß die Schaffung eines Berufsbildes Fremdenverkehrsamtsleiterin/Fremdenverkehrsamtsleiter und auch die Qualifizierung der Reiseleiter sehr dringend erforderlich ist. Nach der ITB 1994 ist von mehreren Institutionen unter dem Dach des Bundesinstituts für Berufsbildung ein Rahmenlehrplan für die Grundqualifizierung von Reiseleitern und Gästeführern erarbeitet, mittlerweile erprobt und inzwischen auch evaluiert worden. Wir meinen, daß es an der Zeit ist, diesen auch bundesweit für verbindlich zu erklären. Zum Schluß möchte ich noch eine ergänzende Bemerkung zum Ausbau des Tourismus in Ostdeutschland machen. Während in den alten Bundesländern der Tourismus von festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern organisiert und betreut wird, liegt er in den neuen Bundesländern hauptsächlich in den Händen von ABM-Kräften, die in der Regel, wie es jetzt der Fall ist, nach einem Jahr ausgewechselt werden. Kontinuierliche und kompetente Arbeit ist auf diese Weise nicht möglich. ({0}) Für den Aufbau einer stabilen, strukturell abgesicherten Tourismuswirtschaft im Osten sind auch weiterhin öffentliche Mittel notwendig, bis sich die touristischen Strukturen dort entsprechend entwickelt haben. Allerdings müssen diese längerfristig angelegt sein und sich auf qualifizierte Kräfte stützen. Das heißt, mit den jetzt geltenden Förderungskriterien und Finanzierungsmodalitäten sind ABM im Grunde dafür ungeeignet. Statt nun aber an diesen Unzulänglichkeiten herumzulaborieren, sollten wir hier im Bundestag endlich mit einer ernsthaften Debatte über den Aufbau des von der PDS schon seit längerem geforderten öffentlich geförderten Beschäftigungssektors beginnen, der tariflich bezahlt und als Teil des sogenannten ersten Arbeitsmarkts ein Ausweg auch im Tourismusbereich wäre. Danke schön. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich will ein Versäumnis nachholen und zu der Rede des Kollegen Feldmann der Kollegin Brunhilde Irber das Wort zu einer Kurzintervention geben.

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beziehe mich auf die Rede von Herrn Feldmann und seiner Ausführungen zu „Philoxenia". Leider Gottes, muß ich sagen, hat die Bundesregierung der deutschen Tourismuswirtschaft mit der Ablehnung von „Philoxenia" und des Mehrjahresprogrammes schweren Schaden zugefügt. ({0}) Das Subsidiaritätsprinzip, das Sie hier anführen, hätte beileibe nicht darunter gelitten, weil sich alle Maßnahmen nach dem Subsidiaritätsprinzip gerichtet hätten und deshalb hier keine Gefahr bestanden hätte, daß der Europäischen Union Kompetenzen zugekommen wären, die ihr nicht zustehen. Ihnen ging es vielmehr nur ums Geld. Sie haben es abgelehnt, weil Sie 5 Millionen, maximal 15 Millionen DM, auf einen mehrjährigen Zeitraum verteilt, als zu große Belastung des Haushaltes gefürchtet haben. Es ist interessant: Das Wirtschaftsministerium hat in den ersten Stellungnahmen bei der Diskussion im Ausschuß „Philoxenia" befürwortet, und auch Sie haben durchblicken lassen, daß es notwendig wäre, „Philoxenia" zu verabschieden. Aber dann kam der Einwand aus dem Finanzministerium, und leider Gottes bestimmt bei uns die Finanzpolitik alle anderen Politikfelder. Sie hatten nicht den Mut, „Philoxenia" durchzusetzen, obwohl Sie genau wissen, wie notwendig das gewesen wäre. Herr Godin von der GD XXIII hat letzte Woche gesagt, daß er kein Budget hat, und alles, was nun auf europäischer Ebene zur Förderung des Tourismus getan werden könne, sei, daß man einen Rat mit fünf Weisen einsetze. Der kann natürlich kluge Gedanken fassen. Aber dabei kommt für die Tourismuswirtschaft nichts heraus, obwohl sie der Beschäftigungssektor mit dem größten Wachstum in der Zukunft ist: Jetzt haben wir 9 Millionen, in Zukunft haben wir 12 Millionen Beschäftigte. Sie sind dagegen. Das kann ich nicht verstehen, und mit mir Herr Kaub, der Vorsitzende des Bundesverbandes der Deutschen Tourismuswirtschaft. Ich möchte ein Zitat von ihm hier zur Kenntnis geben: Daß nun Finanzpolitik unsere Tourismuspolitik bestimmt, ist eigentlich schon eine Absage an die Zukunftsorientierung von Politik überhaupt. Dem kann ich nur zustimmen. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Feldmann, Sie können darauf antworten.

Dr. Olaf Feldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich bedanke mich bei der Kollegin Irber für das Lob auf die Koalition. Es ist richtig, daß diese Koalition besonders sorgfältig mit den Finanzen - das sind nämlich die Steuergelder der Bürger - umgeht. ({0}) Sie wissen ganz genau - oder vielleicht erfahren Sie es jetzt zum erstenmal -, daß ein Großteil der Ausgaben, die im Rahmen Europas und unter europäischer Flagge geleistet werden, aus deutschen Steuergeldern kommt. Deswegen haben wir eine besondere Verpflichtung, mit den Geldern, die nach Europa gehen, sehr sorgfältig umzugehen. Das mag bei Ihnen anders gesehen werden. Wir haben sehr deutlich gemacht - das weiß auch Herr Dr. Kaub vom Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft -, daß wir einzelne Elemente des „Philoxenia" -Vorschlages, wie er zuletzt in Luxemburg beschlossen wurde, durchaus begrüßen, daß wir aber insgesamt - ich weiß nicht, ob Sie überhaupt den „Philoxenia"-Text sorgfältig gelesen haben - einem solch allgemeinen Text nicht zustimmen können. Wenn Sie von Gesetzestexten und juristischer Gesetzesarbeit Ahnung haben, können Sie das auch nicht tun; das wäre fast verantwortungslos. So sieht das auch Herr Dr. Kaub. Wir haben unsere Haltung erklärt. Lassen Sie es unsere Sorge sein, wie wir mit dem Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft zurechtkommen. Uns ist dieser Text zu allgemein. Offensichtlich haben Sie schon verdrängt, was in der Generaldirektion XXIII in den letzten Jahren an Mitteln ganz böse verschludert worden ist. Die Strafverfahren, die da laufen, haben Sie alle schon vergessen. Oder haben Sie keine Ahnung, was da gelaufen ist? Es scheint mir fast so zu sein. Vielen Dank. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich das Wort dem Abgeordneten Werner Kuhn. ({0})

Werner Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002710, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es wurde heute schon mehrmals erwähnt: Die Tourismuswirtschaft ist eine der Wachstumsbranchen in unserer Volkswirtschaft. Sie ist ungefähr gleichzusetzen mit dem Bereich der Telekommunikation oder dem der Computer- und Rechentechnologien. Es ist völlig richtig - Jann-Peter Janssen hat es vorhin gesagt -: 2 Millionen Arbeitnehmer sind in dieser Branche beschäftigt. 5,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes entfallen auf sie. Das ist erwähnenswert. Da sind auch Ansatzpunkte für Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik. Mehr als 100 000 junge Menschen werden jährlich in den unterschiedlichsten Berufen der Tourismus- und Fremdenverkehrswirtschaft und des Freizeitbereiches ausgebildet. Ich möchte in diesem Zusammenhang allen Betrieben, die jungen Leuten die Chance gegeben haben, ausgebildet zu werden, ein herzliches Dankeschön sagen. ({0}) Sie haben streckenweise auch über den Bedarf hinaus ausgebildet. Die geburtenstarken Jahrgänge haben es wirklich verdient. Es ist unbedingt notwendig, daß den jungen Menschen mit einer guten Ausbildung auch eine Zukunft gegeben wird. ({1}) Der Reiseverkehrskaufmann wird, wenn ich mich nicht täusche, zum 1. August 1998 tatsächlich als Berufsbild definiert sein. Das halten wir auch für sehr wichtig und erwähnenswert. Die Systemgastronomie ist sicherlich eine futuristische Angelegenheit, die aber mehrere tausend neue Arbeitsplätze bringen wird. Da denke ich nicht nur an Fast-food-Ketten, sondern auch an die hochqualifizierten Restaurantketten wie Mövenpick und Nordsee. Diesbezüglich kann ich dem Wirtschaftsministerium nur ein Lob aussprechen. Die zuständige Referentin hat alles dafür getan, daß diese Berufsbilder entsprechend definiert und in die Gesetzestexte geschrieben werden. ({2}) Über die Berufsbilder des Reiseleiters und Fremdenverkehrsamtsleiters läßt sich streiten. Ich bin der Auffassung, daß junge Menschen einen solchen Beruf nicht aus dem Lehrbuch heraus erlernen können. Vielmehr brauchen sie ein gewisses Standing und Lebenserfahrung und können als Quereinsteiger solche Berufe oft viel besser erlernen. Da sind Sie mit mir sicherlich einer Meinung. Deshalb muß ich das nicht mit Kraft hineindrücken und unbedingt solche neuen Berufe definieren, zumal der Bedarf so groß gar nicht ist. Das sagen uns auch die Verbände. Beim Kaufmann für den Verkehrsservice ist besonders die Bahn avantgardistisch nach vorne gegangen; sie bietet dieses Berufsbild den jungen Menschen an. Das gleiche gilt für den Luftverkehr. Das bedeutet, das fliegende Personal hat in Zukunft die Chance, im Bodenbereich als Kaufmann für Verkehrsservice arbeiten zu können. Das ist auch im Bereich der Tarife viel günstiger. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir setzen nach wie vor in der Ausbildung auf das duale SyWerner Kuhn stem, also die Berufsschule und den Lehrbetrieb. Dabei ist es notwendig, daß ich den Blockunterricht - das möchte ich an dieser Stelle einmal erwähnen - zeitlich so gestalte, daß der Auszubildende dann im Betrieb ist, wenn das saisonale Geschäft läuft. Zu dieser Zeit bekommt er das meiste Wissen vermittelt. Ich bin nicht Ihrer Auffassung, daß das Billigarbeitskräfte sind und die jungen Leute ausgebeutet werden. ({4}) Das bringt das Image gerade dieser Berufsgruppen immer weiter nach unten. Dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn in Zukunft niemand den Beruf des Kochs, der Kellnerin, der Restaurantfachfrau usw. als sein persönliches Lebensziel ansieht. ({5}) Die überbetriebliche Ausbildung hat gerade beim Boom in den letzten Jahren eine enorme Rolle gespielt. Auch das System der theoretischen Ausbildung in den einzelnen überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen, kombiniert mit einem Praktikum und auch mit IHK-Prüfung, hat gute Früchte getragen. Interessant ist dabei, daß wir in Zukunft auch neue Berufsbilder haben müssen. Ich denke dabei nur daran, daß das deutschlandweite Informations- und Reservierungssystem endlich in die Praxis überführt werden muß ({6}) und daß wir Call-Center aufbauen müssen. Wer von den jungen Menschen oder überhaupt von den Fremdenverkehrsbetrieben kann denn in der Werbung beispielsweise mit e-mail arbeiten? Wer hat schon einmal im Internet Angebote veröffentlicht oder Homepages selber erstellt? ({7}) Hier muß in Zukunft doch Ausbildung stattfinden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, 90 Prozent aller Betriebe in der Tourismuswirtschaft sind kleine und mittelständische Unternehmen. Zwei Drittel aller Beschäftigten dieser Branche sind in ihnen beschäftigt. In den letzten zehn Jahren sind hier 2 Millionen Arbeitsplätze entstanden, während 500 000 im Industriebereich abgebaut worden sind. Wenn wir über Arbeitsmarktpolitik sprechen, muß das erwähnt werden. Hier sind unsere Chancen. Wir hatten ja schon viele Philosophen, die uns den Kapitalismus richtig definieren wollten. Ich erinnere nur an die Entwicklungsphilosophie des Kapitalismus von Marx. ({8}) - Sie wissen das sicher noch viel besser als ich. - Da wurde verkündet, die Monopolisierung der Wirtschaft werde weiter voranschreiten, die Großen würden die Kleinen fressen. Wir haben hier genau das Gegenteil. Sie dagegen streben mehr den staatsmonopolistischen Kapitalismus an. ({9}) Wir wollen, daß kleine und mittelständische Betriebe gefördert werden, daß sie nach oben kommen. Ich sage Ihnen nur eines: Marx ist tot; der Mittelstand lebt. ({10})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Heinrich Kolb das Wort.

Dr. Heinrich L. Kolb (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001171

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Schlußsatz des Kollegen Kuhn ist eigentlich schon vieles - wenn nicht alles - gesagt worden. ({0}) Ich möchte trotzdem noch zu drei Punkten, die in dieser Debatte heute eine Rolle gespielt haben, Anmerkungen machen, nämlich zu dem Bereich der Ausbildungsplätze in der Freizeit- und Tourismuswirtschaft, zum TAB-Bericht und zu dem Thema „PHILOXENIA". Zum ersten Thema, zu modernen Ausbildungs- und Arbeitsplätzen in der Freizeit- und Tourismuswirtschaft: Hier möchte ich noch einmal auf die besondere Bedeutung hinweisen, die die Bundesregierung der deutschen Tourismuswirtschaft auf Grund ihres Anteils von etwa 5,6 Prozent an der Nettowertschöpfung und der hier wiederholt erwähnten 2 Millionen Arbeitsplätze beimißt. Deswegen hat die Bundesregierung auf die veränderten Anforderungen an die Qualifikation der im Tourismus beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch die Initiierung der Neuordnung und Modernisierung von Ausbildungsordnungen sowie durch die Schaffung neuer Berufe reagiert. Allein im Hotel- und Gaststättenbereich haben sich die Sozialpartner Ende 1996 auf die Neuordnung von sechs Berufen geeinigt. Diese Neuordnungen und das neue Berufsbild des Fachmannes oder der Fachfrau für Systemgastronomie werden am 1. August dieses Jahres in Kraft treten. Auch bei der Neuordnung des Berufsbildes des Reiseverkehrskaufmannes bzw. der Reiseverkehrskauffrau ist jetzt endlich der Durchbruch gelungen. Die Sozialpartner haben sich auf einen Kompromißvorschlag des Bundesministeriums für Wirtschaft verständigt, so daß auch diese Ausbildungsordnung zum 1. August 1998 in Kraft treten kann. Daneben sind weitere neue Berufe geschaffen worden. So ist am 1. August letzten Jahres der Beruf des Kaufmanns für Verkehrsservice angeboten worden. Hier sind bereits rund 1 000 neue Ausbildungsplätze entstanden. Das zeigt, wie wichtig die Arbeit ist, die wir hier leisten, und wie kurzfristig sie Wirkungen auf dem Ausbildungsmarkt zeitigen kann. Auch beim Servicekaufmann im Luftverkehr erwarten wir zahlreiche Ausbildungsplätze auf Flughäfen und in Luftverkehrsgesellschaften. Dieser Beruf wird ebenfalls ab dem 1. August dieses Jahres angeboten werden. Ich will zu dem, was die Kollegin Irber hier gesagt hat, noch anmerken, daß mir die Ausbildung zum Reiseleiter und zum Fremdenverkehrsamtsleiter eher für eine Fortbildungsregelung als für eine Ausbildungsregelung, also für eine Erstausbildung, geeignet scheint, da sich die Anforderungen, was diese beiden Berufe anbelangt, eher von jungen Erwachsenen mit Berufserfahrung erfüllen lassen und sich weniger an Jugendliche richten. Im übrigen dürfte der Ausbildungsbedarf der Tourismuswirtschaft einen eigenen Ausbildungsberuf „Reiseleiter" nicht rechtfertigen. Zusammenfassend ist festzustellen: Wir sind stolz darauf, daß in den neun bestehenden Ausbildungsberufen der Tourismusbranche 1996 bundesweit rund 78 000 Ausbildungsverhältnisse bestanden, von denen 1996 rund 33 000 neu abgeschlossen wurden. Ich nutze die Gelegenheit, hier anzukündigen, daß das Bundeswirtschaftsministerium während der diesjährigen ITB in Berlin Infotage zu Berufen im Tourismus sowie Hotel- und Gaststättenbereich zusammen mit Kooperationspartnern aus der Wirtschaft durchführen wird, um jungen Berufsanfängern den Einstieg in touristische Ausbildungsberufe zu erleichtern. ({1}) Zum Thema „PHILOXENIA": Die Bundesregierung hat - ebenso wie die britische Regierung - in der Sitzung des Tourismusministerrates am 26. November 1997 den modifizierten Vorschlag der luxemburgischen Präsidentschaft für ein Mehrjahresprogramm zur Förderung des europäischen Tourismus mit Bedacht abgelehnt. Zum einen waren die Gründe finanzieller Natur. Diese finanzielle Argumentation betrifft nicht den Tourismus allein, sondern entspricht einer Grundsatzhaltung, die mit dem Status der Bundesrepublik als Nettozahler in der Europäischen Union zusammenhängt. Ein weiterer Grund für die Ablehnung war der Umstand, daß die im luxemburgischen Kompromißvorschlag enthaltenen Punkte aus unserer Sicht auch ohne den formellen Beschluß eines Förderprogramms aufgegriffen werden können. Hierzu ist die Bundesregierung auch bereit. Wichtig ist mir, zu sagen, daß wir mit unserer Haltung im Tourismusministerrat die Tür keineswegs zugeschlagen haben. Vielmehr ist die Bundesregierung sehr daran interessiert, daß die zuständige Generaldirektion XXIII ihr Gewicht in anderen Generaldirektionen der Kommission stärker zur Geltung bringt und Gemeinschaftspolitiken mit Tourismusbezug stärker koordiniert. Hierfür ist aber ein Gemeinschaftsprogramm wie der Programmvorschlag „PHILOXENIA" meines Erachtens nicht erforderlich. Was den TAB-Bericht und die Vermutungen, die hier geäußert worden sind, anbelangt, will ich sehr deutlich sagen, daß ich die Durchführung des Technikfolgenabschätzungsprojektes „Entwicklung und Folgen des Tourismus" durch das TAB für eine sehr lobenswerte Initiative des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus erachte. Tatsächlich gibt es jede Menge Daten und Fakten zum „Phänomen Tourismus". Der vorgelegte Bericht zeigt, daß das TAB gute Arbeit geleistet hat - das will ich hier ausdrücklich sagen -, indem versucht wurde, diese Daten und Fakten in sechs Kapiteln systematisch aufzubereiten. Viele der Schlußfolgerungen sind meines Erachtens zutreffend. ({2}) - Frau Kollegin Saibold, wir wollen doch nicht, daß das jetzt in der Schublade verschwindet. Aber man muß auch sagen, daß die aufgezeigten Schwachstellen und die daraus abgeleiteten Empfehlungen und Forderungen der Prüfung bedürfen, inwieweit sie Grundlage für politisches Handeln sein können. ({3}) Dabei müssen wir die Realitäten im Auge behalten, zum Beispiel was die tourismusbezogene Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern betrifft. Wir müssen auch die Beschlüsse der Bundesregierung, statistische Erhebungen auf das absolut Notwendige zu reduzieren, sowie die Situation der öffentlichen Haushalte im Auge behalten. Ich will auch an die Grundsätze liberaler Wirtschaftspolitik erinnern, denen sektorspezifische Ansätze eher zuwiderlaufen. Ich erinnere an das von mir zu Beginn meines Beitrags Gesagte: Die Bundesregierung hat die wirtschaftspolitische Bedeutung des Tourismus als Wirtschaftsfaktor längst erkannt. Wir haben verschiedene Initiativen ergriffen, um dieser Bedeutung Rechnung zu tragen. Herr Dr. Olderog hat die wesentlichen hier genannt; mit Blick auf die Uhr brauche ich das nicht zu wiederholen. Ich denke, die Bundesregierung und der Ausschuß für Fremdenverkehr sind mit der Tourismuspolitik gemeinsam auf einem guten Weg. Wir können mit Stolz auf das zurückschauen, was in den letzten Jahren geleistet worden ist. Ich rufe uns alle dazu auf, auf diesem Weg gemeinsam fortzuschreiten. Vielen Dank. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zu den Abstimmungen, und zwar zunächst über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zum Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu modernen Ausbildungs- und Arbeitsplätzen in der Freizeit- und Tourismuswirtschaft, Drucksache 13/ 8892. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8045 anzunehmen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Arbeitsplatz- und Ausbildungssituation in der Fremdenverkehrswirtschaft, Drucksache 13/6788. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/2981 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Ablehnung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit der gleichen Mehrheit angenommen worden ist. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Fremdenverkehr und Tourismus zu einem geänderten Beschlußvorschlag der Europäischen Union zur Förderung des europäischen Tourismus „Philoxenia", Drucksache 13/9322. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9767 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Wir stimmen nun über die Beschlußempfehlung des Ausschusses ab. Wer ihr zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung des Ausschusses mit der gleichen Mehrheit angenommen worden ist. Wir kommen zur Vorlage auf Drucksache 13/9446. Interfraktionell wird vorgeschlagen, diese Drucksache federführend an den Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus und mitberatend an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu überweisen. Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 13/9765 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Gibt es irgendwelche anderen Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9a bis f und den Zusatzpunkt 11 auf: 9 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Futtermittelgesetzes - Drucksache 13/9534 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0}) Ausschuß für Gesundheit b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Milch- und Margarinegesetzes - Drucksache 13/9535 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1}) Ausschuß für Gesundheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, Halo Saibold, Christian Sterzing und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Umsetzung der verbesserten Standards zur Herstellung von Tierkörpermehlen und Tiermehlen in den EU-Mitgliedstaaten zur Bekämpfung des Rinderwahnsinns - Drucksache 13/7962 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2}) Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Monika Knoche, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesundheitsgefährdende Lebensmittelverpackungen verbieten - BADGE ({3}) - Anwendung einstellen - Drucksache 13/8425 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit ({4}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union e) Beratung des Antags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Monika Knoche, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Höchstmengen für Ochratoxin A in Lebensmitteln festsetzen - Drucksache 13/8426 -Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit ({5}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, Monika Knoche, Marina Steindor und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vermeidung von Gesundheitsrisiken für den Menschen durch Einschränkung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung - Drucksachen 13/7528, 13/8910 - Berichterstattung: Abgeordneter Heinrich-Wilhelm Ronsöhr ZP11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Monika Knoche, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Benzol- und Toluolbelastungen von Lebensmitteln ausschließen - Drucksache 13/8762

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Ausschuß für Gesundheit ({0}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sechs Minuten erhalten soll. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe zuerst dem Staatssekretär Ernst Hinsken das Wort. ({1}) - Von „Jungfer" kann in dem Zusammenhang wohl überhaupt keine Rede sein. Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Ernst Hinsken (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000906

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn meiner Ausführungen auf die beiden zur ersten Lesung anstehenden Gesetzentwürfe eingehen und hierbei kurz die wesentlichen Zielsetzungen dieser Vorhaben beschreiben. Zunächst: Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Futtermittelgesetzes ist beabsichtigt, die Bestimmungen von sechs EG-Ratsrichtlinien in nationales Recht umzusetzen. Die Regelungen betreffen unter anderem: die Ausweitung der Vorschriften zur Einfuhr und Ausfuhr von Futtermitteln, Zusatzstoffen und Vormischungen; die Anerkennung und Registrierung von Betrieben des Futtermittelsektors, die Aufhebung der Zulassungsbedürftigkeit für den größten Teil der Einzelfuttermittel und Vorschriften über Rückstände an Schädlingsbekämpfungsmitteln. Mit Blick auf eine zügige Umsetzung der betreffenden Ratsrichtlinien bitte ich Sie, den vorliegenden Gesetzentwurf zu unterstützen. Zum weiteren: Das vorgesehene Erste Gesetz zur Änderung des Milch- und Margarinegesetzes enthält im Schwerpunkt Änderungen, die im EG-Recht über Streichfette begründet sind. So werden mit Änderungen der Straf- und Bußgeldvorschriften die Voraussetzungen geschaffen, um Verstöße gegen die entsprechenden gemeinschaftlichen Vorschriften strafrechtlich oder über Ordnungswidrigkeiten verfolgen zu können. Weitere Änderungen betreffen die Begriffsbestimmungen und Einzelheiten der bestehenden Regelung über Ausnahmegenehmigungen zum Herstellen und Inverkehrbringen der vom Gesetz erfaßten Erzeugnisse. Auch hier möchte ich Sie bitten, verehrte Kolleginnen und Kollegen, den Gesetzentwurf zu unterstützen. ({0}) Lassen Sie mich nun auf den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema Tiermehl eingehen. Nicht zuletzt durch den Einsatz der Bundesregierung wurden alle Mitgliedstaaten durch eine Kommissionsentscheidung vom Juli 1996 verpflichtet, die Tierkörperbeseitigungsanstalten, die zur Verfütterung bestimmtes Tiermehl herstellen, bis zum 1. April 1997 auf das Verfahren umzurüsten, das die höchstmögliche Sicherheit bietet. Zufrieden können wir deshalb feststellen, daß alle Tierkörperbeseitigungsanstalten in Deutschland diese gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen erfüllen. Erfreulich ist auch, Kollege Sielaff, daß die Kommission der wiederholten Forderung der Bundesregierung nach einer Anpassung der Handelsregelungen für verarbeitetes Säugetiereiweiß an die genannte Kommissionsentscheidung vom Juli 1996 Rechnung getragen hat. Nach einer weiteren Entscheidung der Kommission vom Oktober 1997 darf zur Verfütterung bestimmtes Säugetiereiweiß inner-gemeinschaftlich oder nach Drittländer nur verbracht oder ausgeführt werden, wenn bei der Herstellung das bereits genannte Verfahren, das die höchstmögliche Sicherheit bietet, angewendet wurde. Gleiche Konditionen gelten auch für die Einführung von verarbeitetem Säugetiereiweiß und für Heimtierfutter, das unter Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe hergestellt wurde. Werte Kolleginnen und Kollegen, momentan gibt es eine große Diskussion um die sogenannten Risikomaterialien von Wiederkäuern. Das heißt, bestimmte Teile des Tierkörpers sollen nicht mehr zur Tiermehlherstellung verwendet werden dürfen, sondern anderweitig entsorgt werden. Manchen geht das noch nicht weit genug. Sie wollen das Tiermehl ganz aus der Fütterung, nicht nur aus der Wiederkäuerfütterung - hier ist bekanntlich der Einsatz von Tiermehl bereits seit 1994 EU-einheitlich verboten -, sondern auch aus der Schweine- und Geflügelfütterung, verbannen. ({1}) - Ich bedanke mich, Kollege Hornung. Ich teile diese Meinung. Das sind aus meiner Sicht ganz eindeutig überzogene Reaktionen. In BSE-freien Ländern ist ordnungsgemäß hergestelltes Tiermehl kein Risikofaktor. ({2}) Deutschland ist BSE-frei, und wir haben seit langem das Verfahren der Tierkörperbeseitigung, das die höchstmögliche Sicherheit bietet. Dieses in Deutschland seit vielen Jahren übliche Verfahren mit mindestens 133 rad, 3 bar und 20 Minuten bietet die höchstmögliche Sicherheit im Hinblick auf die Inaktivierung auch der Traberkrankheit- und BSE-Erreger. ({3}) Im übrigen ist es wissenschaftlich unbestritten, daß den Erzeugnissen, die im Rahmen der Tierkörperbeseitigung gewonnen werden, auf Grund ihrer mikrobiologischen Unbedenklichkeit und im Hinblick auf ihre Inhaltsstoffe ein besonderer Stellenwert in der Mischfutterindustrie und damit in der Tierernährung zukommt. Ebenso wie das Thema BSE ist auch die Verwendung von Antibiotika in der Tierhaltung eine aktuelle Frage mit großer gesundheitspolitischer Bedeutung. Damit befaßt sich der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Eine erste Aussprache zu diesem Antrag hat bereits im Juni 1997 stattgefunden. Die Anwendung von Antibiotika bei Tieren birgt grundsätzlich die Gefahr der Resistenzbildung bei Mensch und Tier, so die Wissenschaftler. Öffentlichkeit und Verbraucher sind hierüber zunehmend beunruhigt. Die Bundesregierung nimmt diese Sorge ernst und setzt sich bereits seit längerem intensiv mit diesem Thema auseinander. Der Schutz der Gesundheit des Menschen steht für die Bundesregierung an erster Stelle. Daher müssen alle Antibiotika, die in der Tierhaltung verwendet werden, zügig und umfassend unter Einbeziehung der neuen Erkenntnisse überprüft werden. Diese Überprüfung darf im Interesse des Verbraucherschutzes nicht bei den antibiotischen Futtermittelzusatzstoffen enden, sondern muß auch Tierarzneimittel einschließen. Die Bundesregierung hat die Europäische Kommission bereits aufgefordert, die Verwendung antibiotischer Leistungsförderer und die damit verbundenen Risiken zu untersuchen und nötigenfalls Korrekturen einzuleiten. Ergeben die Überprüfungen, daß gesundheitliche Risiken bei bestimmten Stoffen nicht ausgeschlossen werden können, müssen die betreffenden Stoffe EU-weit verboten werden. Seit Jahren setzt sich die Bundesregierung auch dafür mit Nachdruck ein. Als Beispiel dafür, daß wir auch danach handeln, möchte ich den antibiotischen Leistungsförderer Avoparcin nennen. Dieses Mittel wurde vor seiner Zulassung in den 70er Jahren umfassend geprüft und auf der Grundlage des damaligen wissenschaftlichen Kenntnisstandes als unbedenklich beurteilt. Nach der Zulassung dieses Mittels erweiterte sich zum einen der wissenschaftliche Kenntnisstand erheblich, indem zum Beispiel bessere Methoden zur Untersuchung der Resistenzeigenschaften von Mikroorganismen entwickelt wurden. Zum anderen wurde weltweit eine Verschlechterung der Resistenzsituation im medizinischen Bereich beobachtet. Als Ergebnis dieser Entwicklungen erwuchsen schwerwiegende Bedenken bezüglich der gesundheitlichen Unbedenklichkeit dieses Präparates. Daraufhin wurde dieses Mittel zunächst Anfang 1996 national in Deutschland und anschließend - unter anderem auf Drängen Deutschlands - auch EU-weit verboten. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, manchmal wird in der öffentlichen Diskussion allerdings kritisch gefragt, warum überhaupt solche antibiotischen Futtermittelzusatzstoffe zugelassen sind, deren gesundheitliche Unbedenklichkeit nicht völlig außer Zweifel steht. Eine solche Kritik greift zu kurz. Bei einer Analyse der gegenwärtigen Situation muß doch berücksichtigt werden, daß erstens Futtermittelzusatzstoffe, darunter auch Antibiotika, bereits seit 1970 EU-einheitlich zugelassen und durch die ZusatzstoffRichtlinie geregelt werden. Für die Zulassung muß ein Unternehmen umfangreiche Unterlagen vorlegen, in denen vor allem auch die gesundheitliche Unbedenklichkeit für Mensch, Tier und Umwelt lückenlos zu belegen ist. Zweitens. Es ist selbstverständlich, daß bei der Prüfung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit nur der jeweils aktuelle wissenschaftliche Kenntnisstand Maßstab sein kann. Drittens. Im übrigen möchte ich darauf verweisen, daß inzwischen auch die Bestimmungen der Zusatzstoff-Richtlinie fortgeschrieben worden sind. Die neuen Regelungen wurden 1996 verabschiedet und treten dieses bzw. teilweise nächstes Jahr in Kraft. Abschließend möchte ich feststellen: Der Gesundheitsschutz der Verbraucher endet nicht an den Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten; er ist im Binnenmarkt nicht teilbar. Deshalb brauchen wir eine für Europa einheitliche Lösung der Antibiotikafrage. Dafür setzt sich die Bundesregierung mit Nachdruck ein. Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, möchte ich bitten, die Bundesregierung gerade hier nachhaltig zu unterstützen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Reinhold Hemker.

Dr. Reinhold Hemker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002670, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, wir unterstützen natürlich die Bundesregierung in dieser Beziehung ständig und bemühen uns, in der fachlichen Arbeit entsprechend vorzugehen. Es ist gut, daß wir jetzt mit der Beratung - und hoffentlich auch mit der baldigen Verabschiedung - des Dritten Gesetzes zur Änderung des Futtermittelgesetzes zur notwendigen Anpassung des deutschen Futtermittelrechtes an das Recht auf europäischer Ebene kommen - auch wenn dort nach dem Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners verfahren wurde. Das gleiche sage ich auch im Hinblick auf die Änderung des Milch- und Margarinegesetzes - und das, nachdem die unmittelbar geltenden Vorschriften über die Herstellung und Kennzeichnung von Butter, Streichfetten, Margarine und Milchfetten bereits am 1. Januar 1996 in Kraft getreten sind. Es ist wichtig und an der Zeit, daß Deutschland - wie die anderen EU-Mitgliedstaaten - seiner Verpflichtung nachkommt, wirksame Sanktionen für den Fall eines Verstoßes gegen die Bezeichnungsschutzregelung sowie die Herstellungs- und Kennzeichnungsvorschriften festzulegen. Ich begrüße es, daß der Bundestag in seiner Sitzung am 19. Dezember letzten Jahres keine Bedenken gegen die Gesetzentwürfe erhoben hat. Ich gehe davon aus, daß im Sinne und im Interesse der Verbraucher verfahren wird. Das heißt: baldiger Erlaß einer Rechtsverordnung zur ordnungsgemäßen Überwachung der mit den Gesetzen vorgegebenen Grundlagen. Das heißt auch: Kennzeichnung der Straftatbestände und Ordnungswidrigkeitentatbestände und Sicherstellung der eben bereits angesprochenen Sanktionen. Im Hinblick auf die Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen begrüße ich, daß dem Prinzip der Vorsorge gegenüber den Verbrauchern große Bedeutung - und das sehr konkret - beigemessen wird. Hier helfen die ständigen Hinweise auf das im interReinhold Hemker nationalen Vergleich gute deutsche Lebensmittelrecht nicht. ({0}) Wenn bestimmte Stoffe in Verpackungen gesundheitsgefährdend sind oder wenn, wie bei Ochratoxin A, Gefahrenpotentiale schon lange - bisher ohne Ergebnis - in einer Arbeitsgruppe auf EU- Ebene diskutiert werden, dann ist Handlungsbedarf gegeben. ({1}) Die Ausschußberatungen der Anträge werden das berücksichtigen. Beim Bereich „Konsequente Verringerung des Einsatzes von Antibiotika in der Tierhaltung für eine wirksame Gesundheitsvorsorge beim Menschen" begrüße ich den Mehrheitsbeschluß des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, europaweit auf eine Rücknahme der Zulassung für antibakteriell wirksame Futtermittelzusatzstoffe hinzuwirken, wenn Gefahren für die öffentliche Gesundheit beim Einsatz derartiger Stoffe erkennbar werden. Das geht in die richtige Richtung. Das reicht aber bei weitem nicht aus; das ist zuwenig konkret. Wie bereits im Ausschuß vermerkt, verweise ich darauf, daß die SPD-Fraktion den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen unterstützt. ({2}) Gleichzeitig mache ich darauf aufmerksam, daß sich mit der Drucksache 13/6553 ein entsprechender Antrag meiner Fraktion im Geschäftsgang des Bundestages befindet, der in den Ausschüssen noch abschließend beraten werden muß. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Vielzahl von Menschen - das ist durch Untersuchungen belegt - wies resistente Keime in der Darmflora auf. Es wurde immer deutlicher, daß die Keime über die Nahrungskette aufgenommen wurden. Als Ursache gelten unter anderem antibiotische Stoffe, die als Leistungsförderer zur Beschleunigung des Muskelansatzes bei der Tierhaltung eingesetzt werden. Deshalb ist eine Verringerung des Antibiotikaeinsatzes unbedingt erforderlich. Meine Fraktion hat in dem schon erwähnten Antrag konkrete Vorschläge gemacht, die auf die Verbesserung der heute diskutierten Situation abzielen. Im Rahmen von Stellungnahmen, die aus der Weltgesundheitsorganisation kommen, wurden immer wieder Empfehlungen zur Vermeidung von Resistenzentwicklungen gegeben. Zum Beispiel: Antibiotika müssen vor ihrer Vermarktung grundsätzlich einen umfangreichen Zulassungsprozeß durchlaufen, der auch Fragen der möglichen Resistenzbildung beinhaltet. Antibiotika sollten nicht ungenügendes landwirtschaftliches Management in der Tierhaltung kompensieren. ({3}) Umsichtiger Umgang mit diesen Stoffen ist Teil guter landwirtschaftlicher Praxis. Hygienische Maßnahmen bei der Gewinnung und Verarbeitung von tierischen Lebensmitteln müssen der Vervielfältigung und Übertragung von Resistenzen entgegenwirken. Auf Länderebene wird eine sorgfältige Überwachung der Zulassungsbestimmungen, des Vertriebs und der Anwendung gefordert. Diese und weitere Empfehlungen sollen dazu beitragen, daß Antibiotika in der Tierhaltung umsichtig und gezielt zur Anwendung kommen. Die Industrie - so in einer Presseerklärung der Arbeitsgemeinschaft für Wirkstoffe in der Tierernährung - begrüßt diese Vorsorgeempfehlung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Interesse der ländlichen Räume, im Interesse der Bauern, insbesondere derjenigen aus dem Bereich der Tierhaltung, ist jede Maßnahme der Akzeptanzsteigerung beim Verbraucher im Blick auf die bei uns produzierten Nahrungsmittel zu begrüßen. Die genannten Anträge gehen in diese Richtung. Sie müssen deswegen unsere Zustimmung finden. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Ulrike Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Damen und Herren. Ich möchte Herrn Hinsken ganz herzlich zum Geburtstag gratulieren. Wenn ich es früher gewußt hätte, hätte ich eine Torte gebacken. Das kann ich nämlich auch, aber wahrscheinlich können Sie es besser. ({0}) - Gut. Die Ernährungs- und Verbraucherpolitik der Bundesregierung ist von vielen Versäumnissen und Altlasten gekennzeichnet. Das ist auch der Grund, warum wir heute über diese Punkte debattieren. Langfristige Probleme mit Rückständen und Kontaminationen von tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln sind seit vielen Jahren bekannt. Doch letztendlich warten wir immer noch auf eine effektive Behandlung dieses Themas und auf einen wirklichen Verbraucherschutz. Hier geht es um folgende Themen: Einschränkung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung, verbesserte Standards zur Herstellung von Tierkörpermehlen, Verbot gesundheitsgefährdender Lebensmittelverpackungen, Höchstmengen für Ochratoxin A - ein Pilzgift - in Lebensmitteln, Ausschluß von Benzol- und Toluol-Belastungen in Lebensmitteln. Diese Themen sollen wir heute neben dem Futtermittelrecht und ähnlichem auch noch behandeln. Das ist in der Form natürlich etwas schwierig. Antibiotikaeinsatz: Ich möchte das, was mein Kollege Hemker gesagt hat, unterstreichen und schlichtweg zusätzlich bemerken: Avoparcin ist 1996 verboten worden. Herr Hinsken, Sie haben darauf hingewiesen. Aber das kann wirklich erst der Anfang sein. Vor einigen Tagen wurde in Dänemark auch der Leistungsförderer Virginiamycin aus gesundheitlichen Gründen aus dem Verkehr gezogen. Das heißt, der Handlungsbedarf ist groß. Die Probleme sind immer offensichtlicher. Die Konsequenz muß sein: Antibiotika gehören als Masthilfsmittel und als Leistungsförderer nicht mehr eingesetzt. Der ökonomische Nutzen für die Betriebe steht in keinem Verhältnis zu dem Schaden, der damit im gesundheitspolitischen Bereich angerichtet wird. Wir fordern daher ein Sicherheitskonzept, das auch von der SPD getragen wird. Bestimmte antibakterielle und gesundheitsgefährdende Leistungsförderer müssen sofort vom Markt genommen werden. Dazu gehört meines Erachtens jetzt auch das Virginiamycin, nachdem Dänemark diesen Schritt schon getan hat. Ich möchte etwas zur Hormonbehandlung von Fleisch sagen. Da ist vor kurzem ein Erfolg erzielt worden: Die WTO hat zugestimmt, daß die EU ein Hormonverbot aufrechterhält. Ich denke, es besteht die Möglichkeit, das Verbot des Einsatzes von Antibiotika viel stärker und viel energischer als bisher durchzusetzen. Man braucht sich dann nicht mehr hinter der WTO zu verstecken. ({1}) Nächster Punkt: Tiermehle. Die Tiermehle sind der Hauptübertragungsweg von BSE gewesen. Wir stehen vor der Situation, daß nur 2 von 15 Mitgliedstaaten der EU - wie Veterinärkontrollen im zweiten Halbjahr 1997 gezeigt haben - diese Mindeststandards, die Sie so gerühmt haben, einhalten. ({2}) Wenn daran die Glaubwürdigkeit einer BSE-Bekämpfungspolitik geknüpft wurde, dann müssen zwei Dinge klar sein: Erstens. Man fordert von der EU-Kommission die sofortige Schließung der Tiermehlfabriken, die die Standards nicht einhalten. Ich meine, das ist immer noch nicht genug. Aber immerhin: Das ist das Mindestmaß. Zweitens. Man muß auch Maßnahmen einführen oder zumindest androhen, die die Einfuhr von Tiermehlen, die die Standards nicht erfüllen, verhindern. ({3}) In Deutschland haben wir eine etwas andere Auffassung. Aber wenn man die Verbreitung von BSE eindämmen will, muß man zumindest das garantieren, damit es nicht zu weiteren Eskalationen kommt. Das verlangen wir von Ihnen auch. ({4}) Ochratoxin, BADGE, Benzol und Toluol sind Beispiele dafür, daß es bei der Lebensmittelverarbeitung eine Reihe von ungelösten Problemen gibt. Vom Schimmelpilzgift Ochratoxin betroffen sind übrigens - das sage ich ganz ehrlich - gerade die Bioprodukte. Unsachgemäße Lagerung - nicht nur von Bioprodukten, sondern von allen Produkten - und Kontamination kann die Verbreitung und Vermehrung dieses Pilzgiftes, das hochtoxisch und krebserregend ist, fördern. Es sind bis heute keine Höchstmengen und keine täglich duldbare Aufnahmemenge - das ist der ADI-Wert - festgelegt, obwohl in Lebensmitteln teilweise sehr hohe Belastungen festgestellt werden. Wir fordern konkrete Höchstmengen für Ochratoxin. BADGE sind Kunststoffbeschichtungen, die hauptsächlich bei bestimmten Fischkonserven auftreten. Auch hier liegt eine Gesundheitsgefährdung vor. Auch hier fordern wir, daß das Vorsorgeprinzip gelten muß und daß dieser Stoff für Lebensmittelverpakkungen nicht mehr verwendet werden darf. ({5}) In Österreich sind im Jahr 1997 mehr als eine Million Dosen aus dem Verkehr gezogen worden. Hier passiert nichts. Zu Toluol und Benzol ist noch zu sagen: Auch hier muß der Vorsorgewert gelten. Das muß eine Nullsumme sein. Entsprechende Maßnahmen sind einzuleiten. Vielen Dank. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Günther Bredehorn.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Ihrem Antrag, Frau Höfken, zur Herstellung von Tierkörpermehlen fehlt mir ein entscheidender Hinweis, nämlich daß Deutschland BSE-frei ist ({0}) und die deutschen Landwirte Produkte von hervorragender Qualität erzeugen. Außerdem möchte ich entschieden der Formulierung widersprechen, die in der europäischen Richtlinie zur Tierkörperbeseitigung vorgegebenen Produktionsbedingungen - für die Herstellung von Tierkörpermehl 20 Minuten Erhitzung mit 133 Grad Celsius bei 3 Bar Druck - seien „absolute Mindeststandards". Es handelt sich hier nicht um Mindeststandards, sondern um Regelungen, die etwaige Gesundheitsrisiken ausschließen. Gerade deshalb und weil Deutschland als BSE-frei einzustufen ist, ({1}) kann ich den Vorschlag der Grünen nicht unterstützen, die Verordnung über die Verarbeitung sogenannter Risikomaterialien undifferenziert in ganz Europa anzuwenden. Der hohe Aufwand einer gesonderten Behandlung und Entsorgung durch Verbrennung von Risikomaterialien und die daraus resultierenden Kosten von zirka 400 DM pro Tonne sind jeGünther Bredehorn denfalls in Deutschland nicht gerechtfertigt. Den deutschen Landwirten und den Betreibern von Tierkörperbeseitigungsanlagen in Deutschland dürfen nicht die Schlampereien und die Verantwortungslosigkeit einiger ihrer europäischen Kollegen angelastet werden. ({2}) Statt dessen muß die Europäische Kommission Deutschland endlich offiziell als BSE-frei einstufen. ({3}) Die Regionalisierung des Verbots der Verwendung von Risikomaterialien muß kommen. Nur so können die Verbraucher sicher geschützt und die deutschen Landwirte vor unnötigen Belastungen bewahrt werden. EU-Staaten, die nicht bereit sind, die Vorschriften zur Tierkörperbeseitigung genauestens einzuhalten, muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre eine laxe Handhabung der bestehenden Bestimmungen nicht mehr toleriert werden kann. Die Bundesregierung hat unsere Unterstützung bei den Gesprächen und Verhandlungen in Brüssel. Die Frage der Lebensmittelsicherheit und des Vertrauens der Verbraucher in deutsche Produkte wird auch mit dem Antrag über die Verwendung antibiotischer Leistungsförderer und Arzneimittel in der Tierhaltung angesprochen. Der im November letzten Jahres veröffentlichte Bericht der Weltgesundheitsorganisation über Resistenzwirkungen bei Menschen hat für großes Aufsehen gesorgt und die Verbraucher verunsichert. Die Rückführung des Phänomens allein auf die Verwendung von Antibiotika als Masthilfen oder Tiermedikamente ist jedoch zu einfach. Bei näherer Betrachtung ergibt sich ein differenzierteres Bild. So betonen zahlreiche Wissenschaftler, daß derartige Resistenzen in erster Linie auf die übermäßige und nicht selten ungezielte Anwendung von Antibiotika in der Humanmedizin zurückzuführen seien. Gleichwohl ist es geboten, die Verwendung von Antibiotika in der Tierzucht fortwährend zu prüfen und sorgsam darauf zu achten, daß etwaige Gefahren für den Menschen gründlich erforscht und rechtzeitig erkannt sowie entsprechende Maßnahmen schon bei geringen Zweifeln an der Unbedenklichkeit von Substanzen ergriffen werden. Entsprechend hat die Bundesregierung inzwischen die Zulassung von Avoparcin und Dimetridazol aus Gründen des vorbeugenden gesundheitlichen Verbraucherschutzes widerrufen und hat sich erfreulicherweise mit ihrer Forderung nach einem europaweiten Verbot der Substanzen als Futtermittelzusatz durchsetzen können. Die F.D.P. hat sowohl die nationale Entscheidung als auch die Verhandlungen auf EU-Ebene nachhaltig befürwortet und unterstützt. Wir begrüßen die Initiative von Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert, der die Europäische Kommission aufgefordert hat, ein umfassendes Programm zur Erforschung des Zusammenhangs zwischen der vielseitigen Verwendung von Antibiotika in der Tier- und Humanmedizin und als Zusatz in Futtermitteln und auftretenden Resistenzen bei Menschen zu erarbeiten. Ein grundsätzliches Verbot von Antibiotika in der Tierzucht halten wir allerdings nicht für erforderlich und auch nicht für sinnvoll. Die Verwendung dieser Substanzen als Leistungsförderer und erst recht als Bestandteil veterinärmedizinischer Maßnahmen ist bei Einhaltung aller sonstigen tierhygienischen und tierschutzrechtlichen Bestimmungen durchaus verantwortbar und ein Garant für optimale Zuchtergebnisse und hohe Fleischqualität. Entscheidend ist der verantwortliche Umgang damit. Der vorliegende Entwurf zur Änderung des Futtermittelgesetzes sieht eine Beschränkung der Zulassungsbedürftigkeit auf die in der Richtlinie 82/471/ EWG genannten Erzeugnisse vor. Die Option gesonderter nationaler Zulassungen von Einzelfuttermitteln soll entfallen. Dies ist auf den ersten Blick sicher eine wichtige Maßnahme zur Deregulierung und Entbürokratisierung.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Bredehorn, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ein letzter Satz. Wir sollten in den Ausschußberatungen der kommenden Wochen noch darüber reden und prüfen, ob dadurch nicht die hohen Standards an die Herstellung von Futtermitteln verwässert werden und sich daraus Auswirkungen für die Lebensmittelqualität und die Lebensmittelsicherheit ergeben könnten. ({0}) Die Einschränkung der Zulassungsbedürftigkeit für Einzelfuttermittel darf jedenfalls nicht zu Qualitätsnachteilen im Mischfutter führen. Wir werden sicher noch Gelegenheit haben, uns darüber zu unterhalten. Schönen Dank. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Dr. Günther Maleuda das Wort.

Dr. Günther Maleuda (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002730, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, zu Ihrem heutigen 55. Geburtstag auch von unserer Gruppe die besten Glückwünsche! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die acht Drucksachen in der verbundenen Debatte stehen mir drei Minuten zur Verfügung. Man muß den Eindruck gewinnen, es gehe weniger um die Beratung wichtiger inhaltlicher Probleme als um parlamentarische Aufräumarbeiten in der Endphase dieser Legislaturperiode. ({0}) Das ist bedauerlich, denn es stehen acht Drucksachen zur Diskussion. Bei dieser Redezeit kann man eigentlich auch ohne Debatte auskommen. Alle vorliegenden Anträge tangieren mehr oder weniger den Verbraucherschutz. Sie finden deshalb die Aufmerksamkeit unserer Gruppe. Ich möchte mich für den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zur Umsetzung des verbesserten Standards zur Herstellung von Tierkörpermehlen und Tiermehlen einsetzen und fordere, daß seine Umsetzung nicht auf die lange Bank geschoben wird. Denn Sicherungsmaßnahmen gegen BSE können nicht ernst genug genommen werden. Ich meine das vor allem unter Berücksichtigung der folgenden, jetzt bekanntgewordenen Tatsache - Frau Höfken hat das bereits gesagt -: Zwischen Deutschland und Finnland gibt es auf diesem Gebiet wohl erhebliche Differenzen. Es wäre für Deutschland eine wichtige Aufgabe, auf europäischer Ebene entsprechenden Einfluß zu nehmen, denn nur dann sind verbindliche Garantien gegeben. Bei den Entwürfen der Gesetze zur Änderung des Futtermittelgesetzes und zur Änderung des Milch- und Margarinegesetzes sind die sachlichen Probleme weitgehend klar. Ein generelles Problem ist, daß die Bundesregierung erhebliche Verzögerungen in der Umsetzung von EU-Richtlinien zuläßt. So soll mit den Gesetzesvorhaben nun nach sieben Jahren die EU-Richtlinie über die Festsetzung von Höchstgehalten an Rückständen von Schädlingsbekämpfungsmitteln auf und in bestimmten Erzeugnissen pflanzlichen Ursprungs verwirklicht werden. Zu beschließen ist heute über den Antrag zur Einschränkung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierproduktion. Wir stehen zu der Beschlußempfehlung des Agrarausschusses, die Bundesregierung aufzufordern, europaweit auf „eine Rücknahme der Zulassung für antibakteriell wirksame Futtermittelzusatzstoffe hinzuwirken, wenn Gefahren für die öffentliche Gesundheit beim Einsatz derartiger Stoffe erkennbar werden". ({1}) Trotzdem bleiben Fragen offen. Die für die Zulassung geltende Richtlinie ist seit 1987 in Kraft. Eine Anzahl der den Futtermitteln beigemischten Leistungsförderer ist jedoch vor 1987 zugelassen worden und mußte die jetzt geltenden Prüfrichtlinien nicht bestehen. Mit einer solchen Politik kann man nicht das Vertrauen und erst recht nicht den Schutz der Verbraucher umfassend erreichen. Es ist eine trügerische Hoffnung, darauf zu vertrauen, es werde schon nichts passieren. Tatsache ist aber: Bei gewissenhafter Einhaltung der geltenden gesetzlichen Bestimmungen beim Einsatz der Leistungsförderer erreichen wir ein hohes Maß an Verbraucherschutz. Zusammenfassend sei gesagt: Die Agrarpolitik der Bundesrepublik und der Europäischen Union muß der Landwirtschaft durch langfristig angelegte Rahmenbedingungen eine Existenz und den Bürgern einen hohen Verbraucherschutz sichern. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Heinrich-Wilhelm Ronsöhr das Wort.

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ulrike Höfken hat angeboten, eine Torte zu backen. Nun weiß ich, daß Ernst Hinsken Bäckermeister ist. ({0}) - Konditor? Das ist ja noch besser. ({1}) - Na, das ist ja noch besser. Dann steigt er in meinem Ansehen um so mehr. Das würde er aber noch mehr tun, wenn er heute eine Torte liefern würde. Das kann man von einem Konditormeister an seinem Geburtstag erwarten. ({2}) Meine Damen und Herren, es sind zu mehreren Themen wichtige Anmerkungen gemacht worden. Wir beraten heute mehrere Anträge und Gesetzesvorhaben. Ich möchte mich in meinen Ausführungen auf einige ganz wichtige Anliegen konzentrieren. Ich warne davor, in bezug auf die Produktion von Tiermehlen immer wieder den deutschen Verbraucher zu verunsichern. ({3}) Wir Deutschen hatten Standards, nach denen die Tiermehle in Deutschland produziert worden sind. Sie sind gemäß unseren Standards sicher produziert worden. Wir sind dabei BSE-frei geblieben. BSE ist kein Ergebnis der deutschen Agrarpolitik, sondern ein Ergebnis der britischen und schweizerischen Agrarpolitik, weil man dort nicht bereit war, die Bedenken, die immer von deutscher Seite geäußert worden sind, ernst zu nehmen und sich den deutschen Sicherheitsstandards anzunähern. Statt dessen haben sie Tiermehl unterhalb dieser Sicherheitsstandards produziert und zur Verfütterung zugelassen. Das hat letztlich zu BSE geführt. ({4}) - Darauf komme ich gleich. - Die Nichteinhaltung der deutschen Regeln hat letztlich zu den Auswirkungen geführt, die wir in Großbritannien und in der Schweiz zu beklagen haben. Deswegen ist es nicht richtig, zu sagen, daß man Schlachtabfälle nicht zu Tiermehl verarbeiten dürfe. ({5}) Nein, man kann sie verarbeiten, wenn man die entsprechenden Sicherheitsstandards einhält. Natürlich muß die EU zur Hüterin dieser Sicherheitsstandards werden. Sie muß in den einzelnen Mitgliedstaaten kontrollieren. Wir sollten sie im Deutschen Bundestag auffordern, diese Sicherheitsstandards zu überwachen; wir kennen ja die unterschiedliche Verwaltungspraxis in den einzelnen EU- Ländern. Letztlich geht es hierbei um Verbraucherschutz. Ich kann nur immer sagen: Für diesen Bereich des Verbraucherschutzes ist die Europäische Kommission verantwortlich. Leider wissen wir ja, daß die EU mit ihrer Verantwortung nicht immer so umgegangen ist, daß sie ihr auch gerecht geworden ist. Sie muß in Zukunft dieser Verantwortung gerecht werden. Es wird akzeptiert, keine Tiermehle an Wiederkäuer zu verfüttern. Das ist auch richtig so. Es ist ein ganz unnatürlicher Vorgang, wenn man Tiermehle an Wiederkäuer verfüttert. ({6}) Nun wird gesagt, wenn man Tiermehle an Schweine oder Hühner verfüttert, sei auch das sehr problematisch. Ich kann dazu nur sagen: Das ist nicht problematisch. Es war schon immer so, daß tierisches Eiweiß an Schweine und Hühner verfüttert wurde. Das ist nicht erst das Ergebnis einer modernen Agrarkonzeption, sondern das war immer Bestandteil des Futterkonzeptes, wie ich es auch früher auf den Höfen kannte. Manchmal versucht man hier auch bewußt, den Verbraucher zu verunsichern. Das halte ich nicht für gerechtfertigt. Wir sollten hier sachlich argumentieren. Wir sollten meinetwegen dort, wo beim Verbraucherschutz der Finger in eine Wunde gelegt werden muß, den Finger in diese Wunde hineinlegen. Wieso wir aber das, worüber wir letztlich Einigkeit darüber erzielen können - viele Landwirtschaftsminister, egal welcher Couleur, sind meiner Auffassung und betonen nachhaltig, daß es immer diese Verfütterung von Tiermehlen an Hühner und Schweine gegeben hat -, hier immer wieder in Frage stellen und dadurch zur Verunsicherung beitragen, kann zumindest ich nicht verstehen. Meine Damen und Herren, wir sprechen jetzt auch über Antibiotika. Ich halte das Gespräch, den Dialog und die Auseinandersetzung darüber für gerechtfertigt, weil es auch in diesem Bereich um Gesundheitsschutz geht. ({7}) Ich glaube auch nicht, daß Ulrike Höfken es so gemeint hat, wie sie es hier angesprochen hat, als sie sagte, daß wir zwischen ökonomischen und anderen Überlegungen abwägen müssen. Ich meine, daß der Gesundheitsschutz immer im Vordergrund zu stehen hat. Wir müssen immer dann handeln, wenn von Antibiotika ein Schaden ausgehen kann. Ich glaube, daß wir darüber auch Einigkeit erzielen. Nun sagen einige: Weil das so ist, müßten wir im Grunde genommen Antibiotika verbieten. Aber es ist nicht so. Nicht von jedem Einsatz von Antibiotika geht Schaden aus. Die Bundesregierung war immer bereit, zu handeln und auch EU-weit dort etwas durchzusetzen, wo Schaden von Antibiotika ausgegangen ist. Deswegen haben wir wie die Dänen sehr frühzeitig Avoparcin verboten. Wir haben gehandelt, und wir haben das Verbot EU-weit durchgesetzt. Ich halte es für wichtig, daß wir diesen Verbraucherschutz immer wieder auch EU-weit durchsetzen. Wir haben heute nun einmal europäische Handelsbeziehungen auch auf den Agrar- und Nahrungsmittelmärkten. Wir haben sogar weltweite Handelsbeziehungen. Ich finde folgenden Gedanken wichtig, den ich in diese Debatte zumindest noch einführen möchte: Jochen Borchert fordert immer wieder, daß der Verbraucherschutz zu einem integralen Bestandteil der Welthandelsverhandlungen wird. Ich glaube, daß wir Agrarpolitiker uns zumindest darüber einig sind, daß dies ein Bestandteil werden muß, weil wir letztlich nur in den Welthandelsverhandlungen international den notwendigen Schutz für unsere Verbraucher durchsetzen können. Schließlich kommen aus allen Teilen der Erde Nahrungsmittel zu uns. ({8}) Wenn wir diesen Weg weiterhin gemeinsam so konsequent beschreiten, wie dies die Bundesregierung bisher getan hat, ({9}) dann werden wir viele Erfolge im Verbraucherschutz erreichen. Vielen Dank, daß Sie mir zugehört haben. ({10})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg.

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal möchte ich mich meinen Vorrednern anschließen und Herrn Hinsken recht herzlich zum Geburtstag gratulieren, auch im Namen der SPD-Fraktion. ({0}) Sie taten mir heute ein bißchen leid, als Sie als Bäcker und Konditor über Tiermehl sprechen sollten; Sie hätten über andere Mehlsorten sicherlich fachmännischer sprechen können. Von daher waren Sie in einer etwas undankbaren Rolle. Das kann ich verstehen. Bei dem Beitrag von Herrn Ronsöhr haben wir gehört, daß die Regierungsfraktionen sehr dezidiert und forsch auftreten. Immer wenn die Regierungsfraktionen sehr lautstark über ein Problem reden, das sie anpacken wollen, dann ist das meist genau der schwache Punkt, wo sie am wenigsten machen. ({1}) Ich möchte auf das Beispiel der Antibiotika, das Sie hier vorgetragen haben, nur ganz kurz eingehen. Obwohl dies meine erste Legislaturperiode im Deutschen Bundestag ist, muß ich sagen, daß sich schon vor meinem Eintritt in den Bundestag in Fachkreisen und unter Hygienikern - ich bin ja Hygieniker - herumgesprochen hatte, daß an dieser Stelle ein gewaltiger Handlungsdruck bestand. Daß Avoparcin verboten gehört, war schon lange bekannt. Daß Chloramphenicol noch verwendet wurde, war lange bekannt und wurde angeprangert. Wir von der SPD haben aus der Opposition heraus jedesmal Medikament für Medikament an die Öffentlichkeit gebracht und gesagt: Ihr tut nichts, Ihr tut nichts! Sie haben dem entgegnet: Ja, das stimmt; da müßte etwas getan werden. So langsam kamt ihr dann in die Puschen, und dann wurde auch einmal etwas geDr. Wolfgang Wodarg macht. Es hat immer sehr lange gedauert. Diese Regierung muß man zum Jagen tragen. ({2}) Erst wenn in der Öffentlichkeit über Skandale berichtet wird, dann bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als etwas für die Leute zu tun. Das ist kein Verantwortungsbewußtsein; da muß sich etwas ändern. ({3}) Jetzt möchte ich noch etwas zum Thema BSE sagen. In diesem Bereich sieht es genauso aus. Deutschland ist BSE-frei, das hört man hier tönen. Das ist reines Wunschdenken. Das ist Blindflug. Wenn diese Regierung das auf Grund gründlicher Recherche, auf Grund verantwortungsvollen Umgangs, auf Grund der Ausschöpfung aller ihrer Möglichkeiten, alles in Frage Kommende auch wirklich zu untersuchen, dann könnte ich das verstehen. Dann wäre das in Ordnung. Leider ist hier Wunschdenken der Vater des Gedankens. Was ich vermisse, ist eine vernünftige Forschung. Die Bundesregierung tut nichts. Wenn man sich die riesigen Ställe, die ein wahnsinniges Geld gekostet haben, im zuständigen Veterinäramt in Berlin anguckt - ich bin dort durchgegangen, habe sie mir zeigen lassen und mit den Leuten geschnackt -, dann kann man feststellen, was man dort erforschen könnte, auch was die Übertragbarkeit, die Inkubationszeit und den Grad der Sicherheit in Abhängigkeit vom Schlachtalter angeht. Seit über BSE so viel bekannt wurde, seit die Engländer wissen, daß eine bestimmte Dauer der Inkubationszeit erforderlich ist, bis die Kuh die ersten Symptome zeigt, hat man allein dadurch, daß man das Schlachtalter vorverlegt hat, dafür gesorgt, daß kein weiteres Tier noch als krank erkannt werden konnte. Das heißt aber nicht, daß diese Tiere nicht infiziert waren. Das heißt auch nicht, daß diese Tiere kein Risiko darstellten. Sie sind nur, bevor sie krank werden konnten, schon sozusagen in den Topf gewandert. Diese Art von Blindflug kann man natürlich vermeiden. Unser Vorschlag ist der - das haben wir auch im Zuge der Schlachtaktion, die Sie bei den Extensivrindern veranstaltet haben, vorgeschlagen -, daß man Rückstellproben nimmt. Das heißt: Einige Rinder aus Beständen, deren Tiere man zum Verzehr freigibt, hält man zurück, um sie länger zu beobachten und um zu sehen, ob sie während einer langen Inkubationszeit von Krankheiten freibleiben. Ein bestimmter Prozentsatz der Rinder hätte also zurückgestellt werden müssen, um diese Sicherheit zu erhalten und um den Verbrauchern sagen zu können: Ihr könnt mit Recht sicher sein, weil wir an alles gedacht haben. Aber was Sie machen, ist Blindflug. Den Deal, der dahintersteht, will ich einmal nennen: Herr Borchert möchte natürlich gerne, daß er von der für die Lebensmittelwirtschaft - ich gebe das ja zu - teuren und wirklich umständlichen Aktion mit den Risikoorganen freikommt. ({4}) Deutschland als Land mitten in Europa soll den gleichen Status haben wie Australien, Neuseeland und USA, obwohl es um uns herum die Fälle von BSE gibt. In Frankreich ist jetzt im Januar der 32. BSE- Fall aufgetreten. Sie wissen genauso gut wie ich, daß zum Beispiel die Firma Rethmann in Deutschland und in Frankreich Tierkörperbeseitigungsanstalten - früher hießen sie Abdeckereien - betreibt. Diese Firma, die auf europäischer Ebene arbeitet, kann überall in Europa ihr Tiermehl auf die Laster laden. Die Lkws können hin- und herfahren. Sie können überhaupt nicht sagen, woher das Tiermehl kommt, welches hier in Deutschland in das Futtermittel gelangt. Ich habe nachgefragt, und die Bundesregierung hat die Daten über die Tiermehlimporte und -exporte nennen müssen. Bei den offenen Grenzen in Europa ist das Tiermehl in Europa, auch in England, lange Zeit hin- und hergefahren worden.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Wodarg, gestatten Sie, ehe Ihre Redezeit abgelaufen ist, eine Zwischenfrage des Kollegen Ronsöhr?

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe Ihnen noch die Zwischenfrage, wenn Sie sie haben wollen.

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Wodarg, würden Sie mir recht geben, daß in Deutschland noch kein einziger BSE-Fall aufgetreten ist? Würden Sie das auch nach außen vertreten wollen, denn es dient letztlich auch den deutschen Landwirten, die sich in diesem Verfahren immer wieder korrekt verhalten haben? ({0})

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann Ihnen folgende Antwort geben: Es ist sehr viel Tiermehl aus infizierten Beständen aus dem Ausland, auch aus England, über viele Jahre nach Deutschland importiert worden. Noch in den 80er Jahren stand in den deutschen Lehrbüchern, daß Tiermehl die Milchleistung fördert. ({0}) Das heißt, es ist auch in Deutschland Tiermehl an Rinder verfüttert worden. ({1}) Das Risiko war also vorhanden. Wir importieren jetzt sehr viel Fleisch aus den östlichen Nachbarländern. Deutsche und auch dänische Landwirte produzieren in den europäischen Nachbarländern. Auch in diesem Fall ist die Grenze offen; auch hier geht es hin und her. Wir können Deutschland nicht abgrenzen. Wir sind mitten in Europa. Die Risiken, die für unsere Nachbarländer gelten, gelten mit einer gewissen Abschwächung, bis wir das Gegenteil beweisen, auch für Deutschland. Wir können den Kunden nur sagen, daß sie auf der sicheren Seite sind, wenn wir nicht beschwören, daß wir sicher sind, sondern wenn wir es ihnen beweisen. Dafür tut diese Bundesregierung viel zu wenig. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nein, Herr Kollege, das geht nicht. Damit sind wir am Ende unserer Aussprache. Ich will dem Kollegen Hinsken wirklich Gerechtigkeit widerfahren lassen. Er ist nicht nur, wie gesagt worden ist, Bäckermeister und nicht nur, wie gesagt worden ist, Konditormeister, sondern er ist Bäckermeister und Konditormeister. Darum verdient er doppelte Glückwünsche. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/9534, 13/9535, 13/7962, 13/8425, 13/8426 und 13/8762 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen. Dann kommen wir zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Vermeidung von Gesundheitsrisiken für den Menschen durch Einschränkung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung. Der Ausschuß für. Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt unter Nr. 1 der Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/ 8910 die Annahme einer Entschließung. Wer für diese Beschlußempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS angenommen worden ist. Unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/8910 empfiehlt der Ausschuß, den Antrag auf Drucksache 13/7528 abzulehnen. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Ablehnung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung des Ausschusses mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Konrad Kunick, Gerd Andres, Lilo Blunck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Förderung der Seeschiffahrt in Deutschland - Drucksache 13/9075 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({0}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Verkehr Ich stelle fest, daß alle Reden - die Reden der Kolleginnen und Kollegen Werner Kuhn, Konrad Kunick, Egbert Nitsch, Lisa Peters und Dagmar Enkelmann - zu Protokoll gegeben worden sind.*) Ich nehme an, daß Sie damit einverstanden sind. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/9075 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 11 a und 11b auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Dagmar Enkelmann, Maritta Böttcher, weiteren Abgeordneten und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der parlamentarischen Demokratie durch die unmittelbare Demokratie - Drucksache 13/9280 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1}) Innenausschuß Rechtsausschuß b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Uwe-Jens Heuer, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages - Drucksache 13/9281 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Für diese Aussprache ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Gleichzeitig stelle ich fest, daß die Reden der Kollegen Andreas Schmidt, Wilhelm Schmidt, Gerald Häfner und Jörg van Essen zu Protokoll gegeben worden sind. **) Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der Abgeordneten Dagmar Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wir sind das Volk" war richtig in einem totalitären System. Für die Demokratie bedeutet dieser Slogan aber die Diskriminierung unseres parlamentarischen Systems. So Rupert Scholz, CDU, 1993 in der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat. *) Anlage 7 **) Anlage 8 Welche Überheblichkeit eines gewählten Volksvertreters! ({0}) Welche Selbstzufriedenheit! Welche Ignoranz gegenüber einer Mehrheit der Bevölkerung, die seit langem eine stärkere Beteiligung in politischen Entscheidungsprozessen fordert! Das ist Arroganz der Macht pur. 1992/1993 wandten sich zirka 230 000 Bürgerinnen und Bürger mit der Forderung nach einer verfassungsrechtlichen Verankerung plebiszitärer Demokratie an die Gemeinsame Verfassungskommission. In Meinungsumfragen sprechen sich zwischen 65 und mehr als 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger für eine Volksgesetzgebung aus. Eine deutliche Mehrheit gibt sich eben nicht mehr damit zufrieden, alle vier oder fünf Jahre zur Wahl zu gehen, um dann hilflos zusehen zu müssen, was mit ihrem Wählerwillen passiert. Eine deutliche Mehrheit will bei wichtigen politischen Entscheidungen gefragt werden, will nicht mehr nur die Stimme bei der Wahl abgeben, um dann stimmlos vier Jahre zum Zuschauer degradiert zu werden. ({1}) Die PDS möchte mit ihren Vorschlägen den Übergang von der Zuschauerdemokratie zur Teilhabedemokratie einleiten. Wäre es nicht so spät, würde es jetzt wahrscheinlich einen Aufschrei geben: Ausgerechnet Sie! Sie haben doch die Demokratie mit Füßen getreten. 40 Jahre haben Sie die Menschen in der DDR bevormundet und ihnen keine demokratischen Rechte zugebilligt. - Dann sage ich Ihnen: Ja, gerade wir. Denn ein großer Teil von uns hat sich bei der Wende aktiv in die politischen Veränderungen eingebracht, hat sich an Demonstrationen für mehr Pressefreiheit und Demokratie beteiligt und hat an runden Tischen gesessen. So wie wir erfahren jetzt mehr und mehr Bürgerinnen und Bürger in der ehemaligen DDR Grenzen und Defizite in der neuen Demokratie. Zur Zeit läuft in Brandenburg zum Beispiel das Volksbegehren gegen den Bau der Strecke des Transrapid zwischen Berlin und Hamburg. Nicht selten sagen mir die Leute: Was können wir schon machen? Die da oben entscheiden ja doch. Das ist so wie früher. Da hat sich nichts geändert. - Ich finde, dies ist eine schlimme Erfahrung, die die Leute in der ehemaligen DDR gemacht haben. Die Möglichkeiten der Beteiligung zum Beispiel an Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren werden nicht ausgeschöpft, weil inzwischen allzuoft die Erfahrung gemacht wurde, daß Widersprüche und Bedenken vom Tisch gekehrt wurden und daß selbst Gutachten von Sachverständigen unberücksichtigt blieben, wenn ein politischer Wille durchgesetzt werden sollte. Wieder machen Bürgerinnen und Bürger die Erfahrung, für unmündig erklärt zu werden, nicht gefragt zu sein, wenn es um ihre eigenen Belange geht. Es gibt übrigens ein hübsches chinesisches Sprichwort, das ich hier als sehr passend empfinde: Wenn man den Teich austrocknen will, darf man die Frösche nicht fragen. Nebenbei bemerkt: Bei meiner Sympathie für Frösche möchte ich, daß auch sie gefragt werden. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger fordern, daß sich da etwas ändert, daß sie stärker Einfluß auf politische Entscheidungsprozesse nehmen können. Genau vor diesem Hintergrund schlägt die PDS in ihrem Gesetzentwurf vor, erstens Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid im Grundgesetz zu verankern, ({2}) zweitens das Petitionsrecht insbesondere im Hinblick auf Rechte der Vertreterinnen und Vertreter von Massenpetitionen zu präzisieren und zu erweitern, drittens darüber hinaus einen Bürgerbeauftragten oder eine Bürgerbeauftragte mit weitgehenden Initiativrechten einzusetzen, ({3}) viertens ein Grundrecht auf Verfahrensbeteiligung im Grundgesetz festzuschreiben. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus". Diesem Satz des Grundgesetzes wollen wir endlich mehr Gewicht verleihen. Wir wollen damit eben nicht die Diskriminierung des parlamentarischen Systems, sondern seine Demokratisierung erreichen. ({4}) Ich kann Sie nur auffordern: Machen Sie mit! ({5}) Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche eine angenehme Nachtruhe. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/9280 und 13/9281 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 6. Februar 1998, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen, so daß der Erfüllung des Wunsches von Frau Dr. Enkelmann nichts weiter im Wege steht.