Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/15/1998

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet. Ich möchte Ihnen und uns allen zu Beginn ein gutes Jahr 1998 wünschen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich zunächst dem Kollegen Peter Kurt Würzbach, der am 15. Dezember seinen 60. Geburtstag feierte, dem Kollegen Dr. Rolf Olderog, der am 29. Dezember ebenfalls seinen 60. Geburtstag beging, und dem Kollegen Helmut Schäfer zu seinem 65. Geburtstag am 9. Januar nachträglich die besten Glückwünsche im Namen des Hauses aussprechen. ({0}) Sodann teile ich folgendes mit: Der Kollege Arne Börnsen ({1}) hat am 6. Januar 1998 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als seine Nachfolgerin hat die Abgeordnete Eva Folta am 9. Januar 1998 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die neue Kollegin sehr herzlich und wünsche eine gute Zusammenarbeit. ({2}) Aus dem Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes scheidet der Kollege Eduard Oswald als ordentliches Mitglied aus. Als Nachfolger schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Kollegen Dr. Peter Ramsauer vor. ({3}) Sind Sie damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Damit ist der Kollege Dr. Peter Ramsauer als ordentliches Mitglied im Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes bestimmt. Auch aus dem Vermittlungsausschuß scheidet der Kollege Eduard Oswald aus - hier als stellvertretendes Mitglied. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt als seinen Nachfolger ebenfalls den Kollegen Dr. Peter Ramsauer vor. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist der Kollege Dr. Peter Ramsauer als stellvertretendes Mitglied im Vermittlungsausschuß bestimmt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die Ihnen mit einer Zusatzpunktliste vorgelegten Punkte zu erweitern: 2. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Die Ergebnisse der Klimakonferenz in Kioto weiterentwickeln und notwendige Maßnahmen durchsetzen - Drucksache 13/9602 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Pinger, Anneliese Augustin, Jochen Feilcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Roland Kohn, Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.: Mikrofinanzierung als Mittel der Armutsbekämpfung - Drucksache 13/96014. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Förderung der Nichtregierungsorganisationen in der Entwicklungszusammenarbeit - Drucksache 13/9603 5. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({4}) a) Erste Beratung des von der Bundesregierung -eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Erdölbevorratungsgesetzes - Drucksache 13/ 9530- b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zulassung von Stückaktien ({5}) - Drucksache 13/9573 - c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Transfusionswesens ({6}) - Drucksache 13/9594 - d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halo Saibold, Elisabeth Altmann ({7}), Gila Altmann ({8}), Albert Schmidt ({9}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz der Preisangaben bei Flugreisen - Drucksache 13/9447 - e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gila Altmann ({10}), Albert Schmidt ({11}), Helmut Wilhelm ({12}) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gefährdung durch Gefahrguttransporte minimieren - Drucksache 13/94496. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({13}) a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung - Drucksachen 13/7383, 13/9438- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes - Drucksachen 13/ 8805, 13/9618- c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Unidroit-Übereinkommen vom 28. Mai 1988 über das internationale Factoring - Drucksachen 13/ 8690, 13/9572- d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({14}) zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Dreiundneunzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 13/8516, 13/8594 Nr. 2.1, 13/95907. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Erklärung des Bundeskanzlers, daß eine Halbierung der Arbeitslosenzahl bis zum Jahre 2000 nicht mehr zu erreichen sei 8. Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz: Tätigkeitsbericht 1995 und 1996 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz -16. Tätigkeitsbericht - Drucksache 13/7500 9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Tilo Braune, Stephan Hilsberg, Doris Odendahl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Internationalität der Hochschulen - Drucksache 13/962110. Beratung des Antrags der Abgeordneten Freimut Duve, Stephan Hilsberg, Dr. Elke Leonhard, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gefahren abwenden von der Auswärtigen Kulturpolitik - Drucksache 13/945011. Beratung des Antrags des Abgeordneten Claus-Peter Grotz und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ina Albowitz, Ulrich Irmer, Dr. Karl-Hans Laermann und der Fraktion der F.D.P.: Neue Herausforderungen für die Auswärtige Kulturpolitik - Drucksache 13/9613 12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ludger Volmer, Helmut Lippelt, Angelika Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einführung einer spekulationsdämpfenden Steuer auf Währungstransaktionen ({15}) - Drucksache 13/9597 13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner und der Gruppe der PDS: Bedarfsgerechte und gebührenfreie Auszahlung von Lohnersatzleistungen wiederherstellen - Drucksache 13/9592 14. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Andrea Fischer ({16}), Oswald Metzger, Marina Steindor und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Modernisierung von Beamtenrecht und Beamtenversorgung - Drucksache 13/9622 15. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Gruppe der PDS: Haltung der Bundesregierung zur Privatisierung von Flächen in den Nationalparks der neuen Bundesländer Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Weiterhin ist vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte 9 - Armuts- und Reichtumsbericht -, 10 a und b - Absatzförderung für Produkte aus Ostdeutschland - und 15 - Schaffung von Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor - abzusetzen. Des weiteren soll der Tagesordnungspunkt 12 - Elektronikschrottverordnung - ohne Debatte überwiesen werden. Außerdem mache ich auf- nachträgliche Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 210. Sitzung des Deutschen Bundestages am 11. Dezember 1997 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zur Mitberatung überwiesen werden: Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung des Euro ({17}) - Drucksache 13/ 9347 überwiesen: Rechtsausschuß ({18}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Der in der 210. Sitzung des Deutschen Bundestages am 11. Dezember 1997 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Mitberatung überwiesen werden: Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und F.D.P. zur Änderung des Grundgesetzes ({19}) - Drucksache 13/9393 überwiesen: Rechtsausschuß ({20}) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Innenausschuß Der in der 211. Sitzung des Deutschen Bundestages am 12. Dezember 1997 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zur Mitberatung überwiesen werden: Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des Güterkraftverkehrsrechts - Drucksachen 13/9314, 13/9437 überwiesen: Ausschuß für Verkehr ({21}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Der in der 163. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. März 1997 überwiesene nachfolgende Antrag soll nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union zur Mitberatung überwiesen werden: Antrag der Abgeordneten Uta Zapf, Günter Verheugen, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Priorität für eine Politik der zivilen Krisenprävention und Konfliktregelung - Drucksache 13/6999 überwiesen: Auswärtiger Ausschuß ({22}) Verteidigungsausschuß Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuß Der in der 203. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. November 1997 überwiesene nachfolgende Antrag soll nachträglich zusätzlich dem Finanzausschuß zur Mitberatung überwiesen werden: Antrag der Fraktion der SPD: Klimagipfel in Kioto: Ein neuer Anlauf zum Schutz des Klimas - Drucksache 13/ 8969 überwiesen: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({23}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Wir verfahren so. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Eidesleistung eines Bundesministers Der Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom 14. Januar 1998 folgendes mitgeteilt: Gemäß Art. 64 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland habe ich heute auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers den Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Herrn Dr. Klaus Töpfer, aus seinem Amt als Bundesminister entlassen und Herrn Eduard Oswald zum Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ernannt. Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leistet ein Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56 vorgesehenen Eid. Herr Bundesminister Oswald, ich darf Sie zur Eidesleistung zu mir bitten. - Herr Bundesminister, ich bitte Sie, den vorgesehenen Eid zu sprechen.

Eduard Oswald (Minister:in)

Politiker ID: 11001663

Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Sie haben den im Grundgesetz vorgesehenen Eid gesprochen. Ich wünsche Ihnen im Namen des ganzen Hauses für das neue Amt viel Glück, Erfolg und eine gute Hand!

Eduard Oswald (Minister:in)

Politiker ID: 11001663

Vielen Dank, Frau Präsidentin. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Zugleich danke ich ganz herzlich dem ausgeschiedenen Bundesminister Dr. Töpfer für seine verdienstvolle Tätigkeit als Mitglied der Bundesregierung und für das, was er in bezug auf die Umsetzung unserer Beschlüsse über den Umzug unseres Parlaments von Bonn nach Berlin sowie für den Ausbau Berlins geleistet hat. ({0}) Wir wünschen Ihnen alles Gute und viel Glück bei Ihrer neuen internationalen Aufgabe, die gleichwertig ist! Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d sowie Zusatzpunkt 2 auf: 3. a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung Moto - Erfolg und weitere Verpflichtung im weltweiten Klimaschutz b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michaele Hustedt, Gila Altmann ({1}), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsequenzen aus den Ergebnissen der makonferenz in Kioto für die deutsche und europäische Umweltpolitik - Drucksache 13/9411- Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Helmut Wilhelm ({4}), Franziska Eichstädt-Bohlig, Gila Altmann ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN CO2-Minderung durch Energieeinsparung im Gebäudebereich - Drucksachen 13/7241, 13/8967 -Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Meister Norbert Formanski d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dietmar Schütz ({6}), Marion Caspers-Merk, Friedhelm Julius Beucher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Klimaschutz durch Minderung von Stand-by-Verlusten bei Elektrogeräten - Drucksache 13/9254 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7}) Ausschuß für Wirtschaft ZP2 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Die Ergebnisse der Klimakonferenz in Kioto weiterentwickeln und notwendige Maßnahmen durchsetzen - Drucksache 13/9602 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({8}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklärung eineinhalb Stunden vorgesehen. - Dazu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Angela Merkel.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 1997 - das kann man sagen - war ein Jahr des internationalen Umweltschutzes. Der weltweite Klimaschutz spielte dabei vielfach eine zentrale Rolle. Schon im Juni 1997 zog die Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs in New York eine erste umfassende Bilanz des Gipfels von Rio im Jahre 1992.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Ministerin, ich bitte Sie, einen Augenblick zu warten. Ich verstehe, daß jetzt Glückwünsche ausgetauscht werden sollen. Aber vielleicht kann das vor dem Plenarsaal fortgeführt werden; denn sonst ist es hier zu laut. - Frau Ministerin.

Dr. Angela Merkel (Minister:in)

Politiker ID: 11001478

Fünf Jahre nach dem Gipfel von Rio hat Bundeskanzler Helmut Kohl in einer gemeinsamen Initiative mit seinen Kollegen aus Brasilien, Südafrika und Singapur sehr klare Zeichen für den Klimaschutz gesetzt. Diese Initiative ist ein Beispiel dafür, was wir in Deutschland schaffen müssen und wofür ich Klaus Töpfer guten Erfolg wünsche, nämlich diese Fragen auch weltweit voranzutreiben. ({0}) Unmittelbar vor dem Treffen in New York hatten die Staats- und Regierungschefs der acht wichtigsten Industriestaaten auf dem Wirtschaftsgipfel in Denver intensiv auch die Fragen des Klimaschutzes erörtert. Beide Konferenzen machten einmal mehr deutlich, wie schwierig es ist, in den internationalen Klimaverhandlungen die sehr unterschiedlichen Interessen und Positionen nicht nur zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern, sondern auch im Kreise der Industrieländer miteinander in Einklang zu bringen. Gerade die Behandlung auf höchster politischer Ebene und vor den Augen der Weltöffentlichkeit hat noch einmal nachdrücklich deutlich gemacht, daß wir Fortschritte auf dem Gebiet des Umwelt- und insbesondere des Klimaschutzes brauchen. In Kioto ist uns mit der Einigung auf das Klimaprotokoll der Fortschritt gelungen, den wir dringend brauchten. Es ist auch gelungen, einen vorläufigen Abschluß der Konferenz von Berlin im Jahre 1995 zu finden, nämlich das Berliner Mandat ein Stück weit in die Tat umzusetzen. Alle, die dabei waren, werden wissen, daß der Verhandlungsprozeß von starken Widerständen geprägt war. Dies ist nicht überraschend; denn zum erstenmal ging es um rechtsverbindliche Reduktionsverpflichtungen der Industrieländer. Zwar verpflichtete bereits die Klimarahmenkonvention, die in Rio de Janeiro abgeschlossen wurde, die Industrieländer zu Politiken und Maßnahmen; aber die Verpflichtung, die Treibhausgas-Emissionen auf das Niveau von 1990 zurückzuführen, war nicht rechtsverbindlich. Genau dies haben wir in den Verhandlungen in Kioto auch gemerkt. Erst sehr kurz vor Kioto haben die nichteuropäischen Indstrieländer überhaupt Zielvorstellungen quantifiziert. Die USA und Japan haben damals gesagt: Stabilisierung bzw. Reduktion um 3 Prozent bis zum Jahre 2012, obwohl wir in Rio bereits gesagt hatten: Rückführung auf das Niveau von 1990 bis zum Jahre 2000. Die Europäische Union hat den Verhandlungsprozeß von Anfang an forciert und im März und Juni 1997 bereits eine Verringerung der Emissionen der drei wichtigsten Treibhausgase gegenüber 1990 um mindestens 7,5 Prozent bis zum Jahre 2005 und um 15 Prozent bis zum Jahre 2010 vorgeschlagen. Es hat sich gezeigt, daß die Europäische Union in diesem Prozeß zum einen in der Abwehr der von anderen Industrieländern immer wieder vorgeschlagenen unzureichenden Verpflichtungen und zum anderen - das halte ich für genauso wichtig - als Brückenbauer zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern einmal mehr die treibende Kraft war. Dies ist eine Aufgabe, die Europa in den nächsten Jahren mit wachsender Dringlichkeit erfüllen muß. Dies ist auch die Grundlage dafür, daß wir in Zukunft in einem Zeitalter der Globalisierung weltweit in Frieden leben können. Die entwicklungspolitische Debatte heute wird dies noch einmal unterstreichen. ({1}) Wenn man sich diese schwierige Situation vor Augen führt, wird man sagen: Kioto war ein klarer Erfolg für den weltweiten Klimaschutz; Kioto hat uns einen beträchtlichen Schritt vorangebracht. Der Zug fährt jetzt auf den richtigen Gleisen. Aber - um im Bild zu bleiben - Kioto ist selbstverständlich nicht die Endstation dessen, was wir erreichen müssen. Wir haben bei anderen Verpflichtungen bereits gelernt - das Montrealer Protokoll zur Bannung der Fluorchlorkohlenwasserstoffe ist hierfür ein Beispiel -: Wenn ein solcher Prozeß einmal eingeleitet ist, ist er unumkehrbar. Er wird weitergehen. Ich bin sicher, daß dies auch mit dem Kioto-Protokoll gelungen ist. Die wesentlichen Inhalte des Protokolls möchte ich an sechs Beispielen darstellen: Erstens geht es natürlich um die Reduktionsziele. Die Industrieländer müssen ihre Treibhausgase insgesamt um mindestens 5 Prozent reduzieren, und zwar nicht nur die drei, die wir in unserer Diskussion immer wieder in den Mittelpunkt gestellt haben, nämlich CO2, Methan und Distickstoffoxid, sondern auch HFCs, PFCs und Schwefelhexafluorid, drei weniger bekannte Substanzen. Die Reduktion um mindestens 5 Prozent soll in der Periode von 2008 bis 2012 erreicht sein, wobei das Basisjahr für die ersten drei Gase das Jahr 1990 ist und für die zweiten drei Gase auch das Jahr 1995 gewählt werden kann. Jedes Industrieland hat eine spezifische Reduktionsverpflichtung, die Mitgliedstaaten der Europäische Union in diesem Zusammenhang 8 Prozent. Aber die Europäische Union hat es geschafft - das war für uns ganz wichtig -, das sogenannte EU-Bubble, also die gemeinsame Umsetzung dieser Ziele in unserer Staatengemeinschaft, zu realisieren. Wir hatten das EU-Bubble gegen sehr aggressive Angriffe zu verteidigen. Das ist uns gelungen. Die anderen Staaten in Europa müssen die Emissionen zum größten Teil ebenfalls um 8 Prozent reduzieren. Die USA müssen um 7 Prozent reduzieren, Japan, Kanada, Polen und Ungarn um 6 Prozent. Rußland - das ist, sage ich, bedauerlich - sowie die Ukraine und Neuseeland müssen ihre Emissionen lediglich stabilisieren. Norwegen darf sie sogar um 1 Prozent steigern, Australien um 8 Prozent. Man kann sicherlich nicht mit jeder dieser Größen zufrieden sein. Bis zum Jahre 2005 müssen alle Industrieländer belegbare Fortschritte bei der Umsetzung dieser Ziele erreichen. Ich will ganz klar sagen: Damit diese Ziele erreicht werden können, müssen viele Industrieländer scharfe und starke Anstrengungen unternehmen; denn die 5 Prozent Reduktion, die sich relativ wenig anhören, entspricht einer rund 30 prozentigen Reduktion der Emissionen, die heute für das Jahr 2010 prognostiziert werden. Wir müssen uns nämlich mit dem sehr unangenehmen Tatbestand auseinandersetzen, daß beispielsweise in Amerika, Kanada, Japan und Australien die CO2-Emissionen bereits im Jahre 1996 um 5 bis 10 Prozent über denen von 1990 lagen. Das heißt, daß man nicht auf dem richtigen Pfad zur Stabilisierung ist. Es gibt also sehr viel zu tun. Die Europäische Union wird aller Voraussicht nach die Verpflichtungen von Rio erreichen, nämlich im Jahr 2000 die Rückführung geschafft haben. Wir haben hier wirklich einen großen Vorsprung vor anderen Industrienationen. ({2}) Zum zweiten ist es der Europäischen Union mit Unterstützung der assoziierten Länder und der Schweiz in Kioto gelungen, Politiken und Maßnahmen zu vereinbaren. Natürlich ist es richtig, daß jeder national etwas tut. Aber in einer globalisierten Wirtschaft ist es natürlich auch wichtig, daß wir uns auf gemeinsame Maßnahmen einigen. Es ist gelungen, eine nachhaltige Land- und Forstwirtschaft zu verankern sowie die Emissionen von Treibhausgasen in den Bereichen Verkehr, Abfall und Energie zu begrenzen. Es ist auch wichtig, daß es uns gelungen ist, eine Regelung über die Emissionen durch Flug- und Schiffstreibstoffe aufzunehmen. Die Internationale Zivilluftfahrtorganisation bzw. die Internationale Schiffahrtsorganisation müssen Maßnahmen in diesem Sektor vorantreiben. Wir und die ganze Europäische Union haben angestrebt, diese Maßnahmen sehr viel detaillierter und präziser zu vereinbaren. Das ist uns leider nicht gelungen. Wir werden weiter daran arbeiten. Drittens. Ein vieldiskutierter Punkt in Kioto war der Handel mit Emissionsrechten, das sogenannte Trading. Beim Handel mit Emissionen können die einzelnen Länder untereinander Emissionsreduktionen kaufen. Damit wird ein Markt geschaffen, um effizient und konstengünstig Treibhausgasemissionen zu senken. Das heißt, man kann Zertifikate in Ländern kaufen, in denen eine CO2-Reduktion noch leichter machbar ist und damit billiger wird. So kann man Kosteneffizienz zum Klimaschutz nutzen. Insofern ist das ein vernünftiges Instrument. Es hat gar keinen Sinn, es von vornherein zu verdammen. Man muß es vernünftig nutzen. Aber dieses Instrument muß natürlich zu vernünftiger und wirklicher Kosteneffizienz führen. Das heißt, man darf nicht die sogenannte heiße Luft, also das, was schon in der Vergangenheit reduziert wurde, nun einfach zum Verkauf anbieten, sondern man darf nur wirkliche, noch zu erbringende Reduktionen handeln. Wir haben - das war sehr wichtig - festgelegt, daß nur der Handel zwischen den Industrieländern erlaubt ist, und wir haben festgelegt, daß ein solcher Handel nationale Anstrengungen natürlich nicht ersetzen darf. Denn unser Ziel muß sein, daß die Länder, die über die beste Technologie verfügen, diese Technologie weiter verbessern und dann insbesondere in die Entwicklungsländer exportieren. Das heißt, der Druck auf die einzelnen Nationen muß erhalten bleiben. Wir haben auch erreicht, daß nicht mit Emissionsreduktionen gehandelt werden darf, die vor Beginn der Zielperiode, also vor 2008, erreicht werden. Die sogenannten Schlupflöcher sind damit eingeschränkt worden. Allerdings haben wir uns nicht einigen können - das bleibt auf der nächsten Vertragsstaatenkonferenz in Buenos Aires im November dieses Jahres zu behandeln -, in welchem Verhältnis denn nun nationale Reduktionen zu den gehandelten Emissionen stehen müssen, das heißt, welchen Prozentsatz man national erreichen muß und welchen man außerhalb des eigenen Landes erbringen darf. Darüber muß weiter gesprochen werden. Ein noch kritischerer Punkt sind - viertens - die Senken. Senken bieten die Möglichkeit, CO2 zu speichern. Hier kommen vor allen Dingen die Wälder in Frage. Die Einbeziehung von Senken ist methodisch umstritten. Man kann sich mit den verschiedenen Methoden - ich sage das einmal etwas platt - fast jede Reduktion ausrechnen, die man braucht. Deshalb ist es ganz wichtig, daß wir uns in Kioto darauf geeinigt haben, daß bei der Erfüllung von Reduktionsverpflichtungen nur die CO2-Emissionen, die durch den Menschen verursacht werden, einbezogen werden dürfen und daß wir uns auf die Bereiche Aufforstung, . Wiederaufforstung und Entwaldung beschränken. Das heißt, es geht im wesentlichen um die Bindung von Kohlendioxid in Wäldern. Wir müssen uns darum kümmern, daß wir bis zur Konferenz von Buenos Aires - damit sehen Sie schon, daß wir bis zum November 1998 noch eine Menge zu tun haben - auch auf diesem Gebiet vernünftige Methoden vereinbaren und keine Schlupflöcher zulassen. ({3}) Ein fünfter, ganz wichtiger Punkt ist die gemeinsame Umsetzung von Klimaschutzprojekten, die sogenannte Joint Implementation. Hier befinden wir uns zur Zeit in einer Erprobungsphase, die wir in Berlin vereinbart haben. Es ist uns gelungen, daß das Instrument der Joint Implementation auch im Protokoll verankert wird. Das heißt, im Ausland kostengünstiger zu erzielende Reduktionen durch Investitionen in konkrete Projekte können angerechnet werden. Auch hier haben wir sehr viel zu tun. Ich will betonen, daß es vor allem durch die sehr gute Kooperation mit Brasilien inzwischen gelungen ist, im Rahmen des sogenannten Clean Development Mechanism zum ersten Mal mit den Entwicklungsländern, gemeinsame Mechanismen zu vereinbaren. ({4}) - Wissen Sie, man kann alle zur Verfügung stehenden Instrumente, die anderen Ländern dienen, sofort mit einem europäisch-historisierten, pönalisierenden Begriff bedenken und sagen, damit sei das Instrument erledigt. Niemand kann ignorieren, daß es vernünftig ist, bestimmte Projekte zur Treibhausgas-Reduktion außerhalb von Deutschland zu verwirklichen, damit Technologie exportiert und Bildung, Ausbildung und Know-how transferiert werden. Wer das als „Ablaßhandel" bezeichnet, der muß sich auf anderen Veranstaltungen bewegt haben als ich. Ich halte das für völlig absurd. ({5}) Damit zu dem sechsten Punkt, nämlich der Einbeziehung von Entwicklungsländern. Dies ist ein schwieriges Feld. Die Entwicklungsländer sind voller Skepsis, weil sie fragen: Wollt ihr eure Reduktion auf unsere Kosten und unter Begrenzung unseres Wachstums erbringen? Natürlich muß man dieser Frage vernünftig und redlich begegnen. Deshalb bestehen wir von deutscher und europäischer Seite darauf, vorrangig nationale Maßnahmen zu ergreifen. Aber es ist doch inzwischen unbestritten, daß in kurzer Zeit die Emissionen Chinas höher sein werden als die der Amerikaner. Darüber kann man im internationalen Rahmen doch nicht hinweggehen. Deshalb ist es richtig zu sagen: Natürlich müssen die Entwicklungsländer, so wie im Montrealer Protokoll vereinbart, in absehbarer Zeit einbezogen werden, insbesondere jene, die über hohe jährliche Wirtschaftswachstumsraten, die mehr Wohlstand versprechen, verfügen. Die Entwicklungsländer selber wissen dies. Wenn man mit ihnen redlich spricht, wird es uns gelingen, ein ganzes Stück voranzukommen. Wichtig für Kioto war auch, daß das Berliner Mandat keine zusätzlichen Verpflichtungen für die Entwicklungsländer vorsah. Die bestehenden Verpflichtungen werden wir erstmals bei der zweiten Vertragsstaatenkonferenz des Protokolls überprüfen, voraussichtlich spätestens im Jahre 2002. Ich denke, dies wird sogar sehr viel früher der Fall sein. Ich will aber auch ganz klar sagen: Wer von den Entwicklungsländern etwas ultimativ fordert, wird nichts erreichen. Es geht um Partnerschaft, um Kooperation. Wenn man so verfährt, wird der Weg auch offen sein. ({6}) Es ist mitnichten so, daß die Europäische Union als Vorreiter dieser Verhandlungen keinerlei Aufgaben mehr zu erfüllen hat. Auch wir müssen sicherstellen, daß wir unser Reduktionsziel von 8 Prozent erreichen. Hierzu müssen wir die wichtigen EU-Richtlinien und -Verordnungen überprüfen und gemeinsam weiterentwickeln. Es ist natürlich wichtig, nationale Maßnahmen durchzuführen. Aber in einer Wirtschaftsunion, zukünftig auch in einer Währungsunion, wird es unerläßlich sein, daß wir hier gemeinsam vorangehen. Alle für den Klimaschutz relevanten Maßnahmen im Bereich der Europäischen Union müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Das betrifft die Energieeffizienz, die Kennzeichnung von Geräten, die Maßnahmen zur Energieeinsparung, die Entwicklung von erneuerbaren Energien, eine CO-Energiebesteuerung, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, Forschung und Entwicklung, natürlich den Verkehr einschließlich des Luftverkehrs, die Landwirtschaft, Chemie und Abfallfragen. Wir müssen die interne Aufteilung unseres europäischen Ziels von 8 Prozent jetzt rechtsverbindlich regeln. Bis jetzt haben wir unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein „burden sharing" vereinbart, das aber noch nicht rechtsverbindlich war. Die vom Umweltministerrat im vergangenen Jahr vereinbarte Lastenteilung, bei der Deutschland für das von der EU vorgeschlagene Gesamtreduktionsziel von 15 Prozent einen Beitrag von 25 Prozent für die drei Gase, die wir bis dahin betrachtet hatten, zugesagt hat, hatte nur indikativen Charakter. Nun müssen wir diese Lastenteilung im Lichte von Kioto, aber auch im Lichte der neu einzubeziehenden Gase und Senken überprüfen. Dadurch verändert sich natürlich die Reduktionslast insgesamt. Die Einbeziehung der drei einbezogenen Gase führt dazu, daß die Reduktionen und die Zielwerte sich ändern, weil die drei Gase, insbesondere die HFCs als Ersatz für die FCKWs, in den nächsten Jahren ansteigen werden. Deshalb müssen wir im übrigen größere Reduktionen erbringen. Die EU-Kommission hat bereits in Kioto den Auftrag erhalten zu klären, was das nun genau für das „burden sharing" in Europa bedeutet. Wir müssen ganz klar sagen: Deutschland steht mit seinem 25-Prozent-Reduktionsziel in der EU und weltweit vorbildlich da. ({7}) Wir erbringen innerhalb der Europäischen Union bei dem „burden sharing" einen überproportionalen Anteil. Deshalb werden wir natürlich die nationalen Beiträge der anderen Länder überprüfen. Wir stehen zu unserem Angebot, aber wir werden unseren Beitrag nicht erhöhen können. Es geht darum, daß sich alle Länder beteiligen. Ich bin sicher, daß eine ganz große Zahl von Mitgliedstaaten noch einige Spielräume hat. Damit bin ich bei unserer nationalen Klimaschutzpolitik. Ich will ganz klar sagen: Deutschland bleibt bei seinem nationalen 25 prozentigen Minderungsziel für Kohlendioxid zwischen 1990 und 2005. Das darf aber nicht mit dem verwechselt werden, was wir an Lastenteilung in die Europäische Gemeinschaft einbringen. Wir haben anläßlich der Debatte über den Vierten Bericht, den Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe, „CO2-Reduktion" unterstrichen, daß wir unser nationales Klimaschutzprogramm fortschreiben werden. Wir hatten in Deutschland zwischen 1990 und 1996 eine Reduktion der CO2-EmisBundesministerin Dr. Angela Merkel sionen von ungefähr 10,3 Prozent. Viel wichtiger aber ist die Tatsache, daß zwischen 1990 und 1996 das Verhältnis der energiebedingten Kohlendioxidemissionen zu unserem Bruttoinlandsprodukt, das heißt zur Summe unserer Wirtschaftsleistung, in Deutschland um rund 19 Prozent gesunken ist. Dies belegt eben, daß sich die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch - das ist das eigentlich Entscheidende - fortgesetzt hat. Daran müssen wir weiter arbeiten. Pro Einwohner haben sich die CO2-Emissionen in Deutschland zwischen 1990 und 1996 um 13,3 Prozent verringert. Auch das ist eine ganz wichtige Größe. ({8}) Um abzuschätzen, was unsere Maßnahmen bewirkt haben und was wir in Zukunft noch tun müssen, haben verschiedene Bundesressorts in zwei Studien ein ganzes Bündel von Maßnahmen getestet. Daraufhin haben wir neue Beschlüsse gefaßt. Wir haben festgelegt: Mit den bisher ergriffenen Maßnahmen schaffen wir es, bis zum Jahre 2005 eine Reduktion von 15 bis 17 Prozent zu erreichen. Hätten wir keine Maßnahmen ergriffen, dann hätten wir bis zum Jahre 2005 nur eine Reduktion von drei Prozent erreicht. Das sagen beide Studien übereinstimmend. Auch hieran sieht man, daß unsere Politik etwas bewegt. 15 bis 17 Prozent sind aber nicht 25 Prozent. Deshalb brauchen wir weitere Maßnahmen. Auf der Basis des von mir schon angesprochenen Berichtes, der Ihnen vorliegt, haben wir solche Maßnahmen beschlossen. Ich will sie hier kurz nennen: Erstens. Die Weiterentwicklung der Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft. Ich will ganz deutlich sagen: In Kioto hat die Weltöffentlichkeit mit staunenden Augen wahrgenommen, daß in Deutschland eine Zusammenarbeit zwischen Regierung und Wirtschaft über die Reduktion von CO2-Emissionen möglich ist. So etwas gibt es in diesem Umfang in keinem anderen Land. Dafür interessiert man sich sehr, denn man muß nicht immer die Keule des Ordnungsrechtes benutzen, man kann auch flexiblere Maßnahmen ergreifen, um Reduktionen zu erreichen. ({9}) Zweitens. Die Förderung des Einsatzes erneuerbarer Energien. Hier möchte ich insbesondere die Novellierung des Stromeinspeisungsgesetzes und des Energiewirtschaftsgesetzes nennen. Entgegen vielen Unkenrufen sind dies wichtige Meilensteine, um den Umweltgedanken im Energierecht besser zu verankern. ({10}) Drittens. Die Novellierung der Wärmeschutzverordnung und der Heizungsanlagen-Verordnung, die wir in Kürze vornehmen werden und die uns wirtschaftliche Anreize eingeschlossen Reduktionen von 16 bis 24 Millionen Tonnen bringen wird. Die Förderung des Einsatzes erneuerbarer Energien bringt übrigens 5 bis 7 Millionen Tonnen, und auch die Selbstverpflichtung der Wirtschaft leistet einen großen Beitrag. Viertens. Die verstärkte Nutzung der industriellen und kommunalen Kraft-Wärme-Kopplung. Hierin liegen Reduktionspotentiale von 30 bis 60 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Fünftens. Fortbildungsprogramme, Beratungs- und Informationskampagnen zu Klimaschutz. Als weitere Maßnahme halten wir daran fest, zumindest EU-weit eine aufkommens- und wettbewerbsneutrale CO2-/Energiesteuer einzuführen oder ein vergleichbares steuerliches Instrument unter Nutzung der vorhandenen Verbrauchsteuerstrukturen voranzutreiben. Dies ist national, aber natürlich auch im Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft außerordentlich wichtig, um nicht Wettbewerbsverzerrungen innerhalb des wirtschaftlichen Systems der Europäischen Union zuzulassen. ({11}) Meine Damen und Herren, die Aufzählung zeigt, daß die in den Anträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angesprochenen Bereiche von der Bundesregierung längst als wichtige Bereiche erkannt sind. ({12}) - Darüber können wir nachher noch debattieren. Wir haben ja noch viel Zeit für die Debatte. Ich habe die Maßnahmen eben genannt. Sie entsprechen weitestgehend dem Themenkatalog, den Sie in Ihren Anträgen ansprechen. Die SPD hat die Leerlaufverluste bei Elektrogeräten angesprochen: Dabei basieren sämtliche in ihrem Antrag genannten Fakten und Daten auf der Studie, die das Bundesumweltministerium und das Umweltbundesamt in Auftrag gegeben haben. Das heißt, uns sind die Ergebnisse bekannt. Deshalb werden wir genau auf diesem Gebiet weiterarbeiten. Wir haben dieses auch in dem 4. Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe berücksichtigt. In der Tat ist die Vermeidung der Leerlaufverluste von Elektrogeräten ein fast idealtypisches Beispiel dafür, wie man durch technische Innovationen gleichzeitig Kostensenkung, nämlich weniger Stromverbrauch, und Reduktion von CO2-Emissionen schaffen kann. Das heißt, wir haben der Senkung des Energieverbrauchs von TV- und Videogeräten im Stand-by-Betrieb durch verschiedene Maßnahmen - ich nenne das Umweltzeichen „Blauer Engel" für solche Elektrogeräte, die unter anderem auch einen niedrigen Stand-by-Verbrauch haben, und die freiwilligen Vereinbarungen aller europäischen Hersteller mit der EU-Kommission - ein Stück weit Rechnung getragen. Wir sind selbstverständlich für jeden Gedanken auf diesem Gebiet offen. Die Bundesregierung hält konsequent an ihrer anspruchsvollen internationalen, EU-weiten und nationalen Klimaschutzpolitik fest. Es gilt dabei, alle die Treibhausgase im Auge zu behalten, deren Reduktion im Montrealer Protokoll nicht geregelt ist. Den Hauptbeitrag wird weiterhin die Reduktion von Kohlendioxid durch Energieeinsparung, Verbesserung der Energieeffizienz und Beibehaltung eines ausgewogenen Energiemixes unter Einschluß der friedlichen Nutzung der Kernenergie leisten. Ich sage all denen, die mit dem gestrigen Tag im Gegensatz zu mir zufrieden sind: Wer glaubt, daß wir auf die Nutzung der Kernenergie verzichten können, der irrt gewaltig. ({13}) Wer auch noch „stolz" darauf ist, wenn ein großes Investitionsprojekt in Deutschland nicht in Betrieb genommen werden kann, sorgt nur dafür, daß andere uns den Strom liefern und wir zahllose Arbeitsplätze gefährden und anschließend als Standort und als Exporteur ausfallen. ({14}) Wenn ich die Diskussion um Mülheim-Kärlich dann noch mit dem verbinde, was sich um Garzweiler abspielt, kann ich nur feststellen: Wir können sämtlichen Strom auch außerhalb Deutschlands einkaufen, wenn uns das paßt. Ob wir aber damit etwas für den Standort Deutschland gewonnen haben, weiß ich nicht. Ich kann nur sagen: Die Bundesregierung wird zusammen mit den Koalitionsfraktionen dafür sorgen, daß Energiesparen und Energieeffizienz und gleichzeitig technologischer Fortschritt und Arbeitsplätze keinen Gegensatz bilden. Zusammen helfen sie uns vielmehr bei der Bewältigung der Aufgaben der Zukunft. Herzlichen Dank. ({15})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich auf der Ehrentribüne den Präsidenten des spanischen Abgeordnetenhauses, Herrn Federico Trillo-Figueroa, mit seiner Delegation ganz herzlich begrüßen. Herzlich willkommen. ({0}) Nach den Gesprächen, die Sie in Brandenburg und Berlin geführt haben und seit gestern hier in Bonn führen, können wir aus eigener Erfahrung sagen, daß die Spanier eng mit uns Deutschen verbunden sind und daß sie sich gemeinsam mit uns für eine europäische Zukunftsordnung einsetzen. Wir wünschen Ihnen, daß Sie in diesem Jahr, 20 Jahre nach Einführung der demokratischen Verfassung, an Ihrer Zuversicht festhalten und daß es Ihnen auch mit der Unterstützung aller Europäer gelingen möge, den Terror und den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung von politischen Zielen einzudämmen und zu vermeiden. Wir sind auch in diesem Punkt an Ihrer Seite. Gute Gespräche in Bonn! ({1}) Ich eröffne die Aussprache. Es spricht der Kollege Michael Müller.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor 10 Jahren hat die Vorsitzende der Unabhängigen Kommission Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen, Gro Harlem Brundtland, von der Weltgemeinschaft gefordert, die ganzen Kräfte darauf zu konzentrieren, eine real mögliche Klimakatastrophe zu verhindern. Sie hat damals die möglichen Folgen einer Klimaänderung mit den Gefahren eines Atomkrieges im Nuklearzeitalter verglichen. Ich erwähne das, um deutlich zu machen, welche gewaltige globale und alle Anstrengungen fordernde Aufgabe vor uns liegt. In den letzten 10 Jahren haben sich die Zahlen und Fakten einer vom Menschen verursachten Klimaänderung weiter verdichtet. Auf der anderen Seite ist aber die Bereitschaft, wirklich etwas für die Verhinderung einer Klimakatastrophe zu tun, deutlich zurückgegangen. Es tut sich eine Schere auf: Anfang der 90er Jahre haben wir weltweit noch eine große Bereitschaft gehabt. Aber heute scheint die Welt wegen der Sorge um die Lösung der Alltagsprobleme ausgebrannt und nicht mehr fähig zu sein, weitergehende Perspektiven zu entwickeln. In Kioto haben wir eklatante Rückwärtsbewegungen erlebt, die Welt ist gefangen in den Gegenwartsproblemen. Viele erkennen gar nicht, daß die Zukunftsprobleme ein zentraler Teil unserer Gegenwartsprobleme sind. ({0}) Klimaschutz ist nichts Abstraktes, das in der fernen Zukunft liegt. Klimaschutz ist vielmehr eine Chance, um auch die heutigen Probleme zu lösen. Wer Klimaschutz ernst nimmt, hat einen strategischen Ansatz, um wieder Reformpolitik, Innovationen und Modernisierung in unserer Gesellschaft voranzutreiben. Der eigentliche und für uns wichtige Punkt ist, daß wir nicht nur auf die internationale Ebene schielen dürfen, sondern daß wir erkennen müssen, daß Klimaschutz die große Chance zur ökologischen Modernisierung auf nationaler und europäischer Ebene ist. Das ist bisher jedoch nicht der Fall. ({1}) Die Daten einer Klimaänderung haben sich weiter verdichtet. Ich will die wichtigsten nennen: Wir haben heute bereits eine von Menschen verursachte Erwärmung um 0,7 Grad bezogen auf das natürliche Niveau. Auf der Basis der drei großen Indikatoren für die reale Gefahr einer Klimakatastrophe - nämlich erstens der Klimasimulationsrechnungen, zweitens der klimahistorischen Vergleiche und drittens der konkreten Beobachtungen der Wettermessungen aus den letzten 130 Jahren - ist es wahrscheinlich, daß bis zum Ende des nächsten Jahrhunderts eine Erhöhung der mittleren Temperatur der Erde um 2,5 Grad eintreten wird. Michael Müller ({2}) Wir erreichen dann erstens ein Temperaturniveau, das deutlich über der Temperaturspitze der letzten 200 000 Jahre liegt. Und zweitens - was noch sehr viel wichtiger ist -: Durch diesen Klimaschock pressen wir Veränderungen, die im natürlichen Prozeß über mehrere tausend Jahre ablaufen, auf wenige hundert Jahre zusammen. Die Geschwindigkeit der Veränderung ist die größte Gefahr, weil sie nämlich die Anpassungsfähigkeit des Klimasystems und der Ökosysteme gewaltig überfordert. In diesem Geschwindigkeitsproblem liegt die eigentliche große Herausforderung. Die Klimaforschung sagt, die kritische Erwärmungsobergrenze liegt bei 1,5 Grad oder maximal 2 Grad pro Jahrhundert. Wenn Sie sehen, daß wir erstens bereits 0,7 Grad Erwärmung und zweitens eine Zeitverzögerung von 40 bis 50 Jahren in der Anpassung des Klimasystems an die veränderte Anreicherung von wärmestauenden Gasen in der Atmosphäre haben, dann können Sie feststellen: Wir können bereits eine Erwärmung um rund 1 Grad nicht mehr verhindern. Das heißt, wir sind knapp unter der kritischen Erwärmungsgrenze. Was noch hinzukommt: Allein die bisherige Erwärmung ruft bereits gewaltige Veränderungen auf der Erde und im Klimasystem hervor. Sehen Sie nur die Zunahme der Wetterextreme überall in der Welt. Die Zunahme der Wetterextreme ist der Indikator dafür, daß sich das Klimasystem neu einpendelt. Es ist nicht so, daß die Klimaveränderung langsam und kontinuierlich erfolgt, sondern gerade die Extreme im Wettergeschehen sind der alarmierende Hinweis darauf, daß das Klimasystem aus dem Lot gerät. Dies geschieht vor dem Hintergrund, daß ungefähr 75 bis 80 Prozent der Verursachung von Klimagefahren auf nur ein Viertel der Menschheit entfallen, nämlich auf die, die in den Industriestaaten leben. Die Zeitdimension und die Verteilungsdimension bedeuten: Klimaschutz wird die zentrale Aufgabe für das friedliche Zusammenleben der Menschen werden. Und die Nationen und die Staatengemeinschaften, die hierauf Antworten geben, sind innovativ, modern und zukunftsfähig, nicht die anderen. ({3}) Deshalb auch an dieser Stelle unsere Kritik: Was die USA und andere Wirtschaftsstaaten in Moto gemacht haben, war Ausdruck eines gestrigen Denkens. Die USA haben sich dort nicht als Weltmacht profiliert, sondern als eine Macht von gestern mit antiquierter Interessenpolitik und unfähig, wirklich das Tor in die Zukunft aufzustoßen. Umgekehrt muß in aller Deutlichkeit erkannt werden, daß damit eine gewaltige Chance für die Europäische Union eröffnet wird, allerdings nur unter der Voraussetzung, daß sie endlich begreift: Europa kann nicht sein, daß wir Staaten um eine Bank herum bauen; Europa muß auch zu einer sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitsunion werden und damit eine zentrale Rolle für eine friedliche Weltordnung spielen. ({4}) Das ist die große Chance für Europa, die sich in Kioto gezeigt hat. Ich will einen weiteren kritischen Punkt nennen. Frau Ministerin, Sie haben gesagt, es seien jetzt neue Stoffe hinzugekommen. Pardon, aber das kann ich nicht nachvollziehen. Wir haben in der Aufarbeitung der Ozonzerstörung stets darauf hingewiesen, daß die Ersatzstoffe, obwohl sie zwar ein weniger ozonzerstörendes Potential haben, dennoch zum großen Teil nicht in Frage kommen, weil sie als genauso klimaschädlich zu bewerten sind wie die Halonen und FCKWs. Das steht in allen Berichten, daß der treibhausrelevante Wert dieser Stoffe genauso problematisch zu sehen ist wie die FCKWs und die Halonen. Jetzt zu sagen, da gebe es neue Stoffe - Entschuldigung, das ist ein Zeichen dafür, daß die Berichte nicht ausreichend zur Kenntnis genommen wurden. Das kann ich nicht nachvollziehen. ({5}) Ein weiterer Punkt: Sie, Frau Merkel, haben gesagt, wir hätten beim Klimaschutz auch in den neuen Bundesländern einen erheblichen Fortschritt gemacht, der nur deshalb nicht richtig zum Tragen gekommen sei, weil es eine starke Bevölkerungswanderung von den neuen in die alten Bundesländer gegeben habe. Auch da muß ich sagen: Die Mima-Enquete-Berichte haben die Bevölkerungswanderung mit berücksichtigt. Sie ist in die Szenarien einbezogen. Wir haben dort eine Bevölkerungswanderung von zwei bis zweieinhalb Millionen von Ost nach West unterstellt. Sie liegt nur geringfügig höher. Insofern ist falsch, was Sie sagen, daß durch die Wanderungsbewegung innerhalb der Bundesrepublik die Erfolge nicht deutlich werden. Die Wahrheit ist anders. Wir haben in der Bundesrepublik in den alten Bundesländern seit 1990 nicht in einem einzigen Jahr eine Absenkung der absoluten CO2-Emissionen erreicht. Der Beschluß vom November 1990 forderte jedoch für die alten Bundesländer die Absenkung um 25 Prozent und für die neuen Bundesländer eine Absenkung um einen sehr viel höheren Prozentsatz. Ich stelle fest: Das ist nicht erfüllt worden. Hierbei kann ich mich auch an dem Gutachten des RWI orientieren, das sagt, daß die spezifischen Emissionsminderungen in vielen Branchen im wesentlichen auf den Zusammenbruch der Grundstoffindustrie in den neuen Bundesländern zurückzuführen sind. Wir begrüßen dort die ökologische Verbesserung, die damit verbunden ist. Dies aber als Klimaschutzpolitik darzustellen, geht an den Tatsachen vorbei. ({6}) Michael Müller ({7}) Der RWI-Bericht weist übrigens auch nach, daß die Investitionen im wesentlichen im Rahmen der normalen Investitionszyklen erfolgt sind und nicht auf zusätzlichen Anstrengungen beruhen. Er folgert, daß es wichtig sei, mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit bei der Datenerhebung zu erreichen. Ich kann mich dem nur anschließen. Meine Damen und Herren, wir wollen die ökologischen, sozialen und beschäftigungspolitischen Dividenden, die ein nationales Klimaschutzprogramm erbringt, nutzen. Wir wollen deshalb eine ökologische Steuerreform. Wir lehnen deshalb das Energiegesetz von Herrn Rexrodt ab. Wir wollen deshalb die Brücke ins Solarzeitalter bauen. Wir machen das doch nicht aus Jux und Dollerei, sondern weil wir wissen: Die entscheidende Zukunftsfrage ist die ökologische Modernisierung der Industriestaaten. Sie wird nicht von selbst kommen, sondern ist nur zu erreichen, wenn wichtige Länder vorangehen und andere mitziehen. Das können nach Kioto nur Deutschland und Europa sein. ({8}) Wir sollten Klimaschutz nicht als Belastung für die Menschen sehen, sondern als große Chance für eine solidarische Welt und als Verpflichtung für zukünftige Generationen. Klimaschutz ist die beste Innovations- und Modernisierungspolitik, die wir uns vorstellen können. Klimaschutz ist ein Teil des neuen Fortschrittsverständnisses, das wir heute brauchen. Deshalb fordern wir: Hört auf mit der Halbherzigkeit! Hört auf, Klimaschutz nur auf andere Politikfelder aufzusetzen! Seid endlich bereit und fähig, Klimaschutz in das Zentrum einer Modernisierungspolitik von Ökonomie, Technik und Gesellschaft zu stellen! Wir sind bereit, jeden, der dies will, zu unterstützen. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Kollege Dr. Klaus Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich vorweg sagen: Der Dank des Hauses allgemein ist das eine; der Dank der Umweltpolitiker dieses Hauses an Klaus Töpfer ist das andere. ({0}) Klaus, wir danken dir für jahrelange freundschaftliche, gute, kollegiale und auch erfolgreiche Zusammenarbeit. Dein neues Tätigkeitsfeld bedeutet für uns, daß für die Zukunft Felder der Zusammenarbeit vorgezeichnet sind. Ich gehe davon aus, daß das so freundschaftlich, wie es in der Vergangenheit war, auch in Zukunft stattfinden und zu einem generellen Erfolg weltweiter Umweltschutzpolitik führen wird, die wir hier gemeinsam vertreten haben und für die wir von dir auch in deiner neuen Funktion zusätzliche Impulse erwarten, wie du sie auch in der Vergangenheit gegeben hast. Ganz herzlichen Dank, Klaus! ({1}) Kollege Müller, es ist sehr wichtig, vorweg noch einmal darauf hinzuweisen, daß der Ausdruck der Halbherzigkeit in Sachen weltweiter Klimapolitik allenfalls von einem Sozialdemokraten und vielleicht noch von ein paar anderen Oppositionellen in den Mund genommen werden kann. Aber wenn ich die weltweite Diskussion betrachte, dann stelle ich fest, daß die Führungsposition der internationalen deutschen Klimaschutzpolitik uneingeschränkt respektiert und die Verdienste des Bundeskanzlers und der Umweltministerin in vollem Umfang anerkannt werden. Sie werden permanent aufgefordert, in diesem Sinne weiterzuarbeiten und auf ihre jeweiligen Regierungen einzuwirken. Gerade im Vorfeld von Kioto, lieber Kollege Müller, haben uns die japanischen Kollegen noch einmal um reichhaltige Unterstützung gebeten, weil sie meinten, daß wir seitens unserer Bundesregierung viel mehr Verständnis und Hilfestellung bekämen, als sie es je von ihrer Regierung erwarten könnten. Sie haben uns gefragt, wie wir gemeinschaftlich Druck auf Medien ausüben könnten, um ihre Regierung in dieser Frage zu einem ganz anderen Marschtempo zu bewegen. Wenn diese internationalen Erfolge hier durch septemberorientierte Überlegungen auf den Punkt „Halbherzigkeit" zurückgedrängt werden, dann ist dies, lieber Kollege Müller, nicht angemessen; ({2}) denn wir sind uns doch in der Notwendigkeit der Klimaschutzpolitik uneingeschränkt einig. Ich will gar nicht in die Details gehen, wo ich die Risiken durch die zeitliche Zusammendrängung der Prozesse, die uns zu schnelleren Fragestellungen und zu schnelleren Lösungsmöglichkeiten zwingen, als noch größer empfinde als Sie, Kollege Müller. Wir sind bereit, diesen Weg mitzugehen. Die Konferenzen der UN in der Vergangenheit haben deutlich gemacht, daß es gelungen ist, den Bewußtseinsprozeß weltweit anders zu verankern, als dies früher der Fall war. Bedauerlicherweise handelt es sich in vielen Fällen nur um den Bewußtseinsprozeß, nicht aber um die Änderungen, die unabweisbar erforderlich sind, wenn wir auf diese Herausforderungen reagieren wollen. Deshalb meine Bitte, daß wir alle Möglichkeiten gemeinschaftlich nutzen, um im internationalen Bereich für die Position, die wir als deutsches Parlament einnehmen, zu werben und dafür Verständnis und Unterstützung herbeizuführen; denn das wird die Position sein, die wir brauchen. In diesem Zusammenhang danke ich noch einmal der Präsidentin für die Unterstützung, die sie uns in diesen Politikfragen in der Vergangenheit hat angedeihen lassen. Die Ergebnisse der Enquete-KommisDr. Klaus W. Lippold ({3}) sion wären ohne die Unterstützung von Frau Professor Süssmuth so nicht möglich gewesen. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Kioto-Konferenz war ein Erfolg, weil nur diejenigen, die sich mit der realen internationalen Entwicklung nicht auseinandergesetzt haben, mehr erwarten konnten. Es gab härtesten Widerstand nicht nur von der USA, nicht nur von Ländern wie Australien und auch der OPEC. Es gab auch die mangelnde Bereitschaft vieler anderer, unseren Weg mitzugehen. Wenn ich vorhin die Parlamentarierbeteiligung angesprochen habe, dann aus zwei Aspekten. Ich glaube, daß es notwendig sein wird, insbesondere mit den US-amerikanischen Kollegen die Probleme noch einmal zu vertiefen. Wir haben am Rande des Kioto-Prozesses mit ihnen diskutiert und haben festgestellt, daß sie einen Bewußtseinsstand haben, der dem unsrigen vor etwa 15 Jahren entspricht, daß von ihrer Seite überhaupt kein Verständnis besteht für die Grundproblematik generell und erst recht kein Verständnis dafür, daß dies eine Frage des internationalen Wettbewerbs ist. Wenn nämlich alle entwickelten Länder, alle Industrienationen, diesen Weg einer erfolgreichen Klimaschutzpolitik im Gleichschritt gehen, ändert dies nichts an den Wettbewerbsbedingungen, wovor diese Senatoren dort gewarnt haben. Wir werden auch deshalb werben müssen, weil die Verunsicherungskampagne, die über einige Wissenschaftler gesteuert läuft, dort besonders greift und weil zum Beispiel die Ratifikation dieses Ergebnisses im US-Kongreß nach wie vor noch nicht gesichert ist. Wer sich an die Byrd-Hagel-Resolution erinnert, wird wissen, daß hier noch einiges an Arbeit zu leisten ist, damit das in dieser Frage wichtigste Land, gerade was die Emissionen angeht, dieses Ergebnis ratifiziert. Hier einen Beitrag zur dortigen Bewußtseinsänderung zu leisten wird notwendig sein. Das heißt aber auch, daß sich deutsche Parlamentarier verstärkt in die internationalen Diskussionen einschalten müssen. Ich weiß, daß das in diesem unserem Lande manchmal etwas kritisch gesehen wird. Wer aber beobachtet hat, wie wenig konzertiert zum Beispiel die Europarlamentarier in diesen Diskussionsprozeß gegangen sind und wie sie auf eine geschlossene Fronde US-amerikanischer Senatoren und Kongreßabgeordneter trafen, der weiß, daß wir, wenn wir erfolgreich sein wollen, erst einmal die Lücken im eigenen Bereich schließen und die Defizite aufarbeiten müssen, bevor wir diese Fragen konzertiert, taktisch und strategisch orientiert als europäische Parlamentarier der Nationalparlamente angehen, und daß wir nicht innerhalb von fünf Minuten Zukunftsabstimmungen versuchen dürfen; denn das bringt nichts. Hier haben wir nachzuarbeiten. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will nicht alles das im einzelnen nachzeichnen, was die Umweltministerin hier angesprochen hat. Aber eines möchte ich sagen: Es darf natürlich keine Zeit verlorengehen, in Zusammenarbeit mit der Wissenschaft und der Wirtschaft die Ergebnisse von Kioto aufzugreifen. Wir müssen die Thematik der Senken in die politischen Überlegungen einbeziehen. Wir müssen zusammen mit unseren Wissenschaftlern - ich denke hier insbesondere an die Potsdamer Wissenschaftler, die ja in dieser Frage weltweit führend sind - jetzt die Konditionen und die Eckpunkte formulieren, um deren Umsetzung wir uns - möglichst sofort - in der internationalen Diskussion bemühen sollten. Ziel sollte sein, zu verhindern, daß über eine Steuerung der Randbedingungen eine Verfälschung der Ergebnisse möglich gemacht wird. Das wird ein ganz wesentlicher Punkt sein. Dabei handelt es sich um eine wissenschaftlich schwierige, aber unter Beteiligung von deutschen Wissenschaftlern gut zu leistende Arbeit. Frau Ministerin, gerade in dieser Frage bitte ich Sie noch einmal um eine ganz besondere und konkrete Unterstützung. Hieran müssen wir arbeiten. ({6}) Das gleiche gilt auch in bezug auf die Emissionszertifikate. Die „joint implementation" muß weiterentwickelt werden. Hier ergeben sich für die Zukunft Chancen; die Risiken werden wir aussteuern müssen. Aber, Frau Ganseforth, um Ihre Zwischenrufe von vorhin aufzugreifen: In vielen dieser Fragen waren wir uns ja ursprünglich einmal einig. Es wäre gut, wenn wir zu dieser Einigkeit zurückkehren würden. Ich denke dabei an den ersten Bericht der zweiten Enquete-Kommission zum Klimaschutz, in dem wir uns in einer ganzen Reihe von Fragen noch einvernehmlich geäußert haben. Ich glaube, zu dieser einvernehmlichen Haltung sollten wir wieder zurückkehren. ({7}) Natürlich sind wir auch gefordert, die Dinge national weiterzuentwickeln. Ich möchte etwas zu den Überlegungen hinsichtlich des Ziels einer Reduktion um 25 Prozent sagen. Ich komme jetzt zu dem Punkt zurück, den ich vorhin aufgegriffen habe. Ich habe direkt im Anschluß an die Konferenz von Moto noch einmal sehr ausführlich mit dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie über Klimaschutz und Weiterentwicklung gesprochen. ({8}) Seine Meinung, wonach vor dem Hintergrund des erzielten Ergebnisses eine Reduzierung der Anforderungen national und in Europa zu erwägen sei, weil andere ja auch nur zu weniger verpflichtet seien, habe ich entschieden zurückgewiesen. ({9}) Ich glaube, hier werden wir gemeinsam dafür werben müssen, daß das Ziel, das zu erreichen wir uns vorgenommen haben, uneingeschränkt gültig bleibt. Es wird unter den Kolleginnen und Kollegen, auch in den eigenen Reihen und nicht nur bei uns, den einen oder anderen geben, der von einer solchen Argumentation angekränkelt werden könnte. Auch hier Dr. Klaus W. Lippold ({10}) werden wir noch deutlich nacharbeiten müssen. Herr Kollege Müller, bei der Diskussion der Analyse, die Sie hierzu geleistet haben, werden wir das hoffentlich auch gemeinschaftlich tun. Denn dann wird es von Erfolg gekrönt sein. Wir werden an dem Ziel der Reduktion festhalten. Nur dadurch ist auch ein Erreichen der für Europa gesetzten Ziele möglich, weil dies maßgeblich auf unseren Anstrengungen, nicht auf denen anderer, basiert. Wir sollten versuchen, die Vorstöße der Ministerin insbesondere im Blick auf Großbritannien, das dazu gebracht werden sollte, die eine oder andere Reserve zu mobilisieren, auf parlamentarischer Ebene mitzutragen. Dies ist unabweisbar notwendig. Wir sollten die Möglichkeiten, die sich uns national bieten, ausschöpfen. Hier geht es auch um den folgenden Punkt: Parlamentarier der Koalitionsfraktionen haben die Auseinandersetzung zum Beispiel mit den Stand-by-Geräten angeregt. Die Bundesregierung hat dies dankenswerterweise zügig aufgegriffen; das muß man einmal lobend hervorheben. Ich sage ganz deutlich: Hier stecken eine ganze Menge Reserven, nämlich 1,5 Prozent dessen, was möglich ist. Denn allein von den Stand-by-Geräten wird Strom in einer Größenordnung der Leistung von zwei Großkraftwerken verbraucht. Wir sollten mit einem Appell hinsichtlich der Selbstverpflichtungen der Industrie, die diese Geräte herstellt, den deutschen Ingenieurgeist dazu anhalten, neue Lösungen zu finden, die für den Konsumenten praktikabel sind und die gleichzeitig keine Energie verschleudern, was bei den jetzigen Geräten noch nicht der Fall ist. Man kann Bequemlichkeit auch mit weniger Energieeinsatz erzielen. Das werden wir hoffentlich geschlossen gegenüber den Betroffenen vertreten. Dies ist nur ein Punkt von vielen, die möglich sind. Bei aller Unterschiedlichkeit der Auffassungen glaube ich, daß wir geschlossen vorangehen sollten. Die Bundesrepublik kann einen guten Beitrag zum Klimaschutz leisten; wir haben ihn schon geleistet. Wir sprechen der Ministerin in dieser Form noch einmal unseren Dank für die kluge und erfolgreiche Vorgehensweise in Kioto aus. Ganz herzlichen Dank. ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt die Kollegin Michaele Hustedt.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! El Niño, der Eisregen in Kanada und an der Westküste der USA, aber auch, daß wir hier in Deutschland und weltweit das wärmste Jahr seit der Temperaturerfassung haben, machen deutlich, daß es sehr wohl Anzeichen dafür gibt, daß der Treibhauseffekt schon jetzt begonnen hat, daß wir bereits mitten im Treibhauseffekt sind. Darauf haben - nicht beachtet hier in Deutschland -104 Nobelpreisträger - zwei Drittel aller lebenden Nobelpreisträger - parallel zu Kioto hingewiesen. Ihrer Meinung nach hat der Treibhauseffekt schon begonnen, und jetzt ist dringend schnellstmögliches Handeln notwendig. Kioto wurde aus meiner Sicht und auch aus der Sicht der Nobelpreisträger dieser Herausforderung nicht gerecht. Die Reduktionsziele sind wesentlich zu niedrig. Es gibt viel zu viele Schlupflöcher, so daß diese zu niedrigen Reduktionsziele noch unterlaufen werden können. Meine Meinung ist, daß wir dieses Protokoll nur ratifizieren sollten, wenn sich die Industrieländer von ihren Reduktionspflichten nicht - wie im Beispiel die USA von Rußland - freikaufen können. Ich übe dabei keine Kritik an dem persönlichen Auftreten von Frau Merkel. Im Gegenteil: Ich fand, daß Frau Merkel in Kioto tatsächlich gekämpft hat. Was ich besonders gut fand, war, daß sie auch sehr harte Worte gegenüber den USA gefunden hat. Aber jetzt ist es so, daß im Windschatten von Kioto - Herr Lippold hat es angesprochen - der BDI-Präsident Henkel auch hier in Deutschland ein Abrücken vom Klimaschutzziel fordert. Wenn solche Berufsprovokateure Morgenluft wittern, dann ist das ein Alarmzeichen. Ich finde, es ist ein absolut falsches Signal, wenn wir uns jetzt hinter den Bremsern verstecken und das als Argument nehmen, in Deutschland von unseren Zielen abzurücken. ({0}) Herr Henkel hat aber auch gesagt - da muß ich ihm leider recht geben -: Das Erreichen dieses Ziels in Deutschland ist leider ein frommer Wunsch. „Leider" hat er nicht gesagt; das sage ich. Herr Henkel hat gesagt: Das ist ein frommer Wunsch. Da muß ich ihm recht geben. Denn Frau Merkel hat zwar Kämpferqualitäten in Kioto gezeigt, aber diese Kämpferqualitäten vermisse ich leider, so muß ich sagen, von ihr als Umweltministerin hier in Deutschland. ({1}) Ihre Kollegen sind da überhaupt nicht zurückhaltend, siehe Blüm gegen Rexrodt, Gerhardt und Henkel, Kohl gegen Nolte, Stoiber gegen den Euro. ({2}) Da ist eine heftige Streitkultur im Gange. Aber Frau Merkel ist doch - es ist außerordentlich -, wenn es um Streit hier geht, absolut nicht mehr die Kämpferin, sondern mutiert langsam zum pflegeleichten Feigling. Da kann man nur Adenauer zitieren: Machen Sie sich erst einmal unbeliebt, dann werden Sie auch ernst genommen. ({3}) Die Bilanz der pflegeleichten Ministerin ist deswegen dramatisch schlecht. Die Selbstverpflichtungen sind doch, ehrlich gesagt, nur Show. Gemacht wurde das, was sowieso gemacht werden sollte, nämlich Deindustrialisierung im Osten und dann noch die Energieeinsparungen, die sich tatsächlich rechnen. Jetzt, wo es ernst wird, wo man sich nicht mehr durch Deindustrialisierung retten kann, machen Sie sich langsam vom Acker. Der Automobilverband hat schon angekündigt, daß er sich nicht mehr an die Selbstverpflichtung gebunden fühlt. Die nächste wird wahrscheinlich die Energiewirtschaft sein; denn sie hat ihre Selbstverpflichtungserklärung von Millheim-Kärlich abhängig gemacht. Das ist ja Gott sei Dank jetzt endgültig - ein Hoch den Gerichten - abgeschaltet. ({4}) Das heißt, jetzt, wo es ernst wird, werden Sie auf härteren Widerstand stoßen. Sie werden genau auf das Problem stoßen, das Sie bisher nie in Angriff genommen haben und das Ihr Grundproblem ist: daß Sie nie Konsequenzen für den Fall angedroht haben, daß diese Selbstverpflichtungserklärungen nicht eingehalten werden. Staatliche Konsequenzen müssen dann sein, sonst funktionieren die Selbstverpflichtungserklärungen nicht. Der zweite Bereich ist Verkehr. Da sieht es noch viel schlimmer aus. Von wegen Entkoppelung! Wir haben in diesem Bereich eine heftige Steigerung der Emissionen. Es gibt keinerlei Maßnahmen - auch heute habe ich von Frau Merkel keine einzige Maßnahme gehört -, wie in dem Verkehrsbereich die Emissionen überhaupt stabilisiert werden könnten. Da müßte sie sich, wie gesagt, sehr heftig mit Herrn Wissmann anlegen, und das scheut sie. ({5}) Auch die Privathaushalte haben keinerlei Anreiz, Energie einzusparen. Da liegen Riesenpotentiale. Ich kann diese Ankündigungen, ehrlich gesagt, nicht mehr hören. Die Wärmeschutzverordnung ist schon im Koalitionsvertrag enthalten und noch immer nicht umgesetzt. Machen Sie endlich in diesem Bereich, was das Wichtigste und Entscheidendste wäre: die Energiesteuer. ({6}) Meine Bilanz ist deshalb sehr traurig. Da dies die letzte große Klimadebatte in dieser Legislaturperiode ist, möchte ich folgendes sagen: Vier wertvolle Jahre wurden durch diese Bundesregierung auf dem Gebiet des Klimaschutzes verschenkt, vier wertvolle Jahre, die wir, wenn im September Rotgrün die Regierung übernimmt, als Altlasten übernehmen werden. Wir übernehmen nicht nur die Altlasten in Form der Haushaltslöcher von Waigel, wir übernehmen nicht nur die Altlasten in Form der hohen Arbeitslosigkeit von mehr als fünf Millionen Menschen; vielmehr übernehmen wir auch dergestalt Altlasten, daß vier Jahre für den Klimaschutz nichts getan wurde. ({7}) Deswegen wird Rotgrün ein Klimaschutzgesetz verabschieden und ein aktives, wirksames Klimaschutzaktionsprogramm erstellen. Es muß dann Schluß sein mit dem Verharmlosen, mit dem Verwalten, mit dem Schönreden; wir werden Rahmenbedingungen schaffen, zum Beispiel durch die Energiesteuer, durch ein wirklich ökologisches Energiewirtschaftsgesetz, so daß sich umwelt- bzw. klimafreundliches Verhalten sowohl für die Verbraucher als auch für die Wirtschaft lohnt und für Öko-Pioniere, die Innovationen in diesem Bereich anzubieten haben, tatsächlich Absatzmärkte geschaffen werden. ({8}) Es wird - das will ich gar nicht leugnen - nach diesen vier Jahren des Nichtstuns nicht leicht sein, in den dann verbleibenden Jahren das Klimaschutzziel noch zu erreichen. Ich bin aber optimistisch, daß, wenn der politische Wille nach der Bundestagswahl da ist, es noch erreichbar ist - dann allerdings mit Frau Merkel auf der Oppositionsbank. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste Rednerin die Kollegin Birgit Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst mit einem Dank an Frau Bundesministerin Dr. Merkel und auch an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beginnen. Nicht nur auf der Klimakonferenz in Kioto, sondern bereits weit im Vorfeld wurde mit großem Geschick und Einsatz für eine wirksame internationale Klimaschutzstrategie gekämpft. Nicht zuletzt dem Einsatz der deutschen Delegation ist es zu verdanken, daß die Europäische Union in Kioto die treibende Kraft war. Die Ergebnisse des 3. Klimagipfels haben leider nicht den großen Durchbruch gebracht. Sie sind besser, als zu befürchten war, aber nicht so, wie wir uns es erhofft haben. Insbesondere die USA als weltweit größter CO2-Emittent haben sich vehement gegen vernünftige Reduktionsziele gewandt und sich damit vermeintlichen wirtschaftlichen Interessen gebeugt. Ich habe absichtlich „vermeintliche" wirtschaftliche Interessen gesagt; denn eine vernünftige Klimaschutzstrategie und wirtschaftliche Interessen sind kein Gegensatz. Das beweist auch das Konzept, das die Bundesregierung in den letzten Jahren gefahren hat. In der Welt werden in Zukunft energiesparende Techniken und Produkte gefragt sein. Wer da die Nase vorn hat, hat auch den Absatzmarkt. Deshalb begreift die F.D.P. Klimaschutz auch als Chance zur technologischen Innovation und zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Deutschland und die EU dürfen jetzt nicht von ihren selbstgesteckten höheren Reduktionszielen abrücken: erstens, weil sich der Handlungsbedarf im Klimaschutz - das wurde ja schon ausführlich erläutert - mit den Beschlüssen von Kioto nicht verringert hat und Fehlentwicklungen in diesem Bereich nicht beliebig umkehrbar sind, und zweitens, weil Anstrengungen im Klimaschutz auch technischen Fortschritt und damit Vorsprung auf Zukunftsmärkten bedeuten. ({0}) Es ist deshalb unverständlich und ökonomisch unvernünftig, wenn Herr Henkel die bisherigen Anstrengungen und das Klimaschutzziel in Frage stellt. Die F.D.P. hält am nationalen Klimaschutzziel fest. Wir werden die Industrie weiter beim Wort nehmen und die Erfüllung ihrer Selbstverpflichtungen einfordern. Immerhin brachte Kioto eine Neuerung: den Einsatz handelbarer Emissionen. Dieses Instrument wurde ja schon vorher in der Rede von Frau Ministerin Merkel erklärt. Damit werden neue Wege in der internationalen Umweltpolitik beschritten, und das von der F.D.P. seit den 80er Jahren vertretene Modell der ökologischen Marktwirtschaft erfährt damit internationale Anerkennung. ({1}) So kann mehr Effizienz und Flexibilität im Umweltschutz erreicht werden. Wir müssen aber darauf achten - da sind wir uns offensichtlich einig, wenn ich an die Äußerungen der Vorredner denke -, daß das nicht zu Mißbrauch führt und einige Staaten sich sozusagen von ihrer Reduktionsverpflichtung freikaufen. Deshalb findet die F.D.P. es wichtig, daß der Handel nur ergänzend zu nationalen Maßnahmen stattfinden darf. Noch besser wäre es natürlich, wenn sich bei der nächsten Vertragsstaatenkonferenz die EU-Forderung nach einer prozentualen Begrenzung der Zielerfüllung durch Trading durchsetzen würde. Es gibt natürlich vielfältige Vorschläge darüber, wie wir unser Reduktionsziel erreichen können. Im Gebäudebereich muß das große Potential zur Energieeinsparung besser erschlossen werden; deswegen bereitet die Bundesregierung eine Energieeinsparverordnung vor. Die steuerlichen Rahmenbedingungen für den Klimaschutz müssen verbessert werden. Dazu hat die F.D.P. bereits seit langem ein Konzept entwickelt und vorgelegt. Ich hoffe, daß sich das jetzt in Europa durchsetzen läßt. Die F.D.P. bleibt dabei, daß die Abschaffung der Kfz-Steuer und deren Umlegung auf die Mineralölsteuer ein Anreiz zur Verkehrsvermeidung und zum Kauf verbrauchsärmerer Fahrzeuge sowie gleichzeitig zum Bürokratieabbau wäre. Auch das läßt sich nämlich miteinander verbinden. ({2}) Nur, die im letzten Jahr via Bundesrat und Vermittlungsauschuß in großer Koalition erzwungene Änderung ist ein bürokratisches Monstrum, aber ein umweltpolitisches Mäuschen. ({3}) Hier bieten SPD und Grüne ein schwaches Bild. Sie fordern im Bundestag den Einstieg - Frau Hustedt, Sie haben das gerade wieder einmal getan - in die ökologisch-soziale Steuerreform, schaffen aber nicht einmal einen kleinen Anfang, wenn wir denn anfangen wollen. So sind zum Beispiel die Umwandlung der Kfz-Steuer oder die Umwandlung der Kilometerpauschale in eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale Ansätze in diese Richtung. Diese haben Sie jedoch verhindert, indem Sie diese Ziele rot-grünen Länderinteressen geopfert haben. Etwas anderes war das doch nicht. ({4}) Schwerpunkte müssen in Zukunft nicht nur im Verkehrssektor, sondern auch im Gebäudebestand gesetzt werden, ({5}) aber das Rezept der Grünen dazu ist unbrauchbar. Es zeugt von Staatsgläubigkeit und obrigkeitsstaatlichem Staatsverständnis. Das kann man sehr gut dokumentieren, wenn man die gestrige Umweltausschußsitzung und die Ausführungen des Herrn Kollegen Rochlitz Revue passieren läßt. Genau das finden wir auch in dem heute gestellten Antrag wieder. Darin werden die alten Rezepte angeboten. Sie reden wieder einmal vom Ausstieg aus der Kernenergie in der Klimadebatte. ({6}) Zum Thema Kohle sagen Sie allerdings nichts.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Köhne?

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin gerade bei den Grünen und würde das gern fertigmachen. Dann können wir zum Kollegen Köhne kommen. ({0}) Ich halte es für wichtig, im Zusammenhang vorzutragen, weil es sonst auseinandergerissen wird. Sie haben in Ihrem Antrag wieder einmal den Ausstieg aus der Kernenergie gefordert. Sie wissen, daß das sehr wohl Relevanz für die CO2-Emissionen hat. Über Ihr Verhältnis zur Kohle sagen Sie nichts. Ich würde das an Ihrer Stelle wahrscheinlich auch nicht tun; denn zuerst haben Sie einen drastischen Subventionsabbau bei der Kohle gefordert, dann haben Sie über Nacht den Beschluß gekippt, damit sich Herr Fischer von den Kumpels hat feiern lassen können, anschließend haben Sie dem Steinkohleförderungsgesetz nicht zugestimmt, und jetzt steht im Entwurf des Wahlprogramms wieder die Reduzierung der Kohleförderung. Ich finde es schon erstaunlich, wie man nach einem Umfaller so oft wieder aufstehen kann, um erneut wieder umzufallen. ({1}) Grüne Politik läßt sich auf drei Kernpunkte reduzieren: ein staatliches Steuererhöhungs- und Umverteilungsprogramm unter dem Deckmantel der sogenannten Ökosteuerreform und Ausbau anstatt Abbau der staatlichen Subventionen und Verbote. Das ist Politik von gestern. Was wir brauchen, sind Ideen. Davon gibt es eine ganze Reihe. Ich habe sie mehrfach vorgetragen. Leider reicht meine Redezeit nicht aus, um das noch einmal zu tun. Wir haben eine ganze Reihe von Beispielen genannt, wie man intelligentere Wege gehen kann, die nicht auf Staatsknete, sondern auf Eigenverantwortung und selbstregulierende Prozesse setzen. Dazu gehören beispielsweise der Einbau von Energieverbrauchszählern in Heizungsanlagen, die jährliche Erstellung eines Energiespiegels analog zum Mietspiegel, die Einführung von Wärme- oder Energiebedarfsausweisen für Gebäude, die Deckelung der Umlagefähigkeit von Heizkosten und vieles mehr. Es gibt eine ganze Latte von Vorstellungen. ({2}) In Zeiten knapper öffentlicher Kassen hilft die Fixierung auf staatliche Förderprogramme nicht weiter. Hier versagt Ihre politische Phantasie. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat jetzt der Abgeordnete Köhne.

Rolf Köhne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002702, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Kollegin Homburger, Sie haben das Thema verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale angesprochen. ({0}) Erinnern Sie sich: Vor ungefähr zwei Jahren hat die PDS einen entsprechenden Antrag eingebracht. Im Umweltausschuß gab es folgende Debatte: Sie haben unseren Antrag mit der Begründung abgelehnt, das habe unkalkulierbare Auswirkungen auf den Staatshaushalt. Daraufhin hat der Kollege Müller von der SPD den Änderungsantrag eingebracht, die Pauschale so zu berechnen, daß sie auf den Staatshaushalt keine Auswirkungen habe. Wir haben diesen Änderungsantrag übernommen. Sie haben diesen Änderungsantrag abgelehnt. Sie können sich jetzt also nicht hier hinstellen und den Grünen und der SPD vorwerfen, sie hätten das blockiert. ({1}) Das ist doch wohl der reine Hohn. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Frau Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Köhne, wir können das sehr wohl. Wenn Sie die Güte hätten, in unseren Steuervorschlägen nachzulesen, dann würden Sie feststellen, daß die verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale dort vorgesehen gewesen ist, ({0}) und zwar so, daß sie für den Staatshaushalt keine zusätzliche Belastung bringt. Diese Steuerbeschlüsse sind abgelehnt worden. Deswegen kann ich diesen Punkt hier heute sehr wohl anführen. ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Wir setzen in der Rednerliste fort. Jetzt hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter das Wort.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weltweit sind in den letzten acht Jahren wertmäßig genauso viele Güter produziert und verbraucht worden wie seit Beginn der menschlichen Zivilisation bis zum Jahre 1950. Dieses Anwachsen zerstörerischer Produktion kennt keine Grenzen. Im Gegenteil: Vom konservativsten Friedman-Anhänger bei der CDU/CSU oder der F.D.P. bis zum Links-Keynesianer in der SPD alle sehen ihr Heil zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zur Lösung der Umweltprobleme letztlich in der Verteilung vermeintlicher Wachstumsdividenden. Dieses ständige Mehr an Waren und Dienstleistungen, dieser Wahnsinn an Naturverbrauch frißt nicht nur ungezügelt Ressourcen. Diese Wirtschaftsweise schleudert auch Klimagase in die Atmosphäre, die selbst mit ausgeklügelter Technik und ausgeklügelten Technologien nur teilweise vermieden werden können. Während sich die Industrieländer auf dem Gebiet des Gewässerschutzes vergleichsweise zügig auf halbwegs wirksame Standards einigen konnten, liegt die Sache bei den Klimagasen - wie wir das in Kioto gerade erleben konnten - völlig anders. Der Ausstoß dieser Gase ist so eng mit den jeweiligen Produktionsvolumina, Technologie- und Verkehrsstrukturen verbunden, daß sich die jeweiligen Wirtschaftslobbys mit Zähnen und Klauen an den Status quo klammern. Ohne Zweifel: Der härteste Widerstand gegen wirksame Klimaschutzziele kam aus den USA, Australien, Neuseeland und Japan - ein Kniefall vor der heimischen Auto-, Erdöl- und Kohleindustrie. Die Forderung Präsident Clintons, auch die Entwicklungsländer hätten einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, gehörte dabei sicher zu den zynischsten Beiträgen der Konferenz. Die Nummer eins des Landes, in dem nur 4 Prozent der WeltbevölkeEva Bulling-Schröter rung leben, das aber mit 5 Milliarden Tonnen 24 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen in die Atmosphäre pustet, fordert Gleichbehandlung - ein Witz. Die Verhandlungsposition der EU ging weiter als die der USA. Aber aus den ohnehin mageren 15 Prozent bis zum Jahre 2010 wurden am Ende nur 8 Prozent Reduktion. Die USA und Japan genehmigen sich noch etwas weniger. Damit manifestiert das in Kioto beschlossene Protokoll die Unfähigkeit und den Unwillen der Wirtschaftslobby führender Industriestaaten, langfristige Menschheitsinteressen in ihre Entscheidungsfindungen zu integrieren. Mit der geplanten Reduzierung der Treibhausgase um durchschnittlich 5,2 Prozent im Zeitraum 2008 bis 2012 gegenüber dem Jahre 1990 liegt das Ergebnis meilenweit unter den Forderungen von Klimaforschern und Umwelt-NGOs. Es liegt auch unter der Forderung der von den Auswirkungen einer Erwärmung am stärksten betroffenen Inselstaaten. Ihnen würde das Wasser als erste in die Stube laufen. Deshalb wurde von diesen Gruppen als Minimalziel eine Reduktion von 20 Prozent bis zum Jahre 2005 gefordert. Der faule Kompromiß beinhaltet zudem Schlupflöcher, deren Dimensionen heute noch gar nicht abzusehen sind. Durch die Möglichkeit des Handelns mit Emissionszertifikaten könnten westliche Industriestaaten nicht ausgenutzte Emissionsquoten anderer Länder aufkaufen. Viele osteuropäische Länder übererfüllen aber durch den Zusammenbruch ihrer Industrien seit 1990 schon jetzt die beschlossenen Einsparungen um 30 bis 40 Prozent. Somit könnten die größten Dreckschleudern der Erde, beispielsweise die USA, von Rußland oder der Ukraine ungenutzte Verschmutzungsrechte erwerben, um weiter CO2 in die Atmosphäre blasen zu können. Ein ähnliches Schlupfloch ist die Verrechnung von Aufforstungen als CO2-Einsparung. Ich frage mich, ob im Gegenzug die gigantischen Abholzungen beispielsweise in Rußland für finnische Firmen, die Papier für deutsche Zeitungen und Drucksachen produzieren, gar als CO2-Ausstoß für Deutschland oder Finnland gerechnet werden. In der Summe aller Hintertüren - das ist wohl realistisch - werden die Hauptverschmutzer nicht einmal ihre in Kioto vereinbarten niedrigen nationalen Reduktionsziele einzuhalten brauchen. Die PDS-Bundestagsgruppe fordert die Bundesregierung auf, endlich an der Selbstverpflichtung festzuhalten, den CO2-Ausstoß auf der Basis von 1990 bis zum Jahre 2005 um 25 Prozent zu senken. ({0}) Dabei sollten alle Klimagase zugrunde gelegt werden. Letztlich ist jedoch weltweit der Ausstoß an den naturwissenschaftlich begründeten Notwendigkeiten auszurichten. Das bedeutet als Mindestforderung eine weltweite Halbierung dieser Emissionen bis Mitte des nächsten Jahrhunderts. Für die Industriestaaten heißt das - so der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderungen" in seinem Sondergutachten vom Dezember - eine Reduktion von 77 Prozent bis zum Jahre 2050. Nur so kann auch den Entwicklungsländern eine Chance zur Entwicklung gegeben werden. Das bedeutet, daß bei einem Wachstumsfaktor von jährlich nur 2,5 Prozent jede Einheit Sozialprodukt in 50 Jahren mit 17mal weniger Klimaemissionen hergestellt werden muß. Umgerechnet auf jährliche Reduktionsraten hieße das, diesen Ausstoß in jedem Jahr um durchschnittlich 5,5 Prozent zu reduzieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie sich diese Zahl noch einmal auf der Zunge zergehen: 5,5 Prozent. In den fünf Jahren von 1990 bis 1995 hat die Bundesrepublik ihren CO2-Ausstoß nach Regierungsangaben trotz des Zusammenbruchs der ostdeutschen Industrie gerade einmal insgesamt um 11,8 Prozent verringert. Ich möchte nun aber nicht weiter mit Prozenten agieren. Klar ist, daß die Bundesrepublik ohne einen Wandel in der Wirtschafts- und Verkehrspolitik nicht nur das vom WBGU gestellte Ziel meilenweit verfehlen wird. Auch das Zwischenziel bis zum Jahre 2005 steht in den Sternen. Damit bin ich wieder beim Ausgangspunkt: Eine radikale Energie- und Verkehrswende ist nur eine Säule einer langfristigen Klimapolitik. Die zweite Säule muß ein Ende der Wachstumsspirale sein. Die Bevölkerung der Industriestaaten leidet nicht an zu wenig Gütern und zu wenig Arbeit, sondern an deren ungerechter Verteilung. ({1}) Unter diesen weltweit vom Norden diktierten Produktions- und Verteilungsverhältnissen leiden aber vor allem die Länder des Südens; denn sie tragen als Lieferanten von Rohstoffen und Halbfertigprodukten einen großen Teil des ökologischen Rucksacks, der überhaupt nicht in die Bilanzen der Industrieländer eingeht, seien es abgeholzte Wälder, geplünderte Bergwerke oder das ausgestoßene CO2 beim Transport in die erste Welt. Ferner leiden sie unter Abhängigkeit und diktierten Weltpreisen, die eine sozial gerechte und ökologisch verträgliche Entwicklung der meisten afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen Länder nachhaltig verhindern. Klimapolitik ist also mehr als Umwelt- und Verkehrspolitik. Sie ist im Kern Wirtschafts- und Sozialpolitik und rüttelt, wenn sie konsequent betrieben wird, an den Grundfesten dessen, was die Mehrheit in diesem Hause für selbstverständlich und ewige Wahrheit hält. ({2}) Abschließend möchte ich mich beim Herrn Bundeskanzler - er ist leider nicht mehr da - und bei Frau Merkel recht herzlich dafür bedanken, daß sie mich, stellvertretend für die PDS, von der offiziellen deutschen Delegation in Kioto ausgeschlossen haben. Ein wahrlich souveräner Umgang mit der Opposition! Danke. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste spricht in der Debatte die Kollegin Ulrike Mehl.

Ulrike Mehl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001454, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Vertreter der Bundestagsmehrheit haben es auf internationalen Umweltkonferenzen immer recht gut - man hörte dies auch von Herrn Lippold, er hat sich richtig darüber gefreut -, ({0}) weil sie von den Kolleginnen und Kollegen der anderen Staaten häufig gesagt bekommen, was in Deutschland für eine tolle Umweltpolitik gemacht würde. Abgesehen davon, daß das zum Teil in die Rubrik „Schmeicheleien zwischen den Kollegen" fällt, ist den Kollegen nicht bewußt, daß ein großer Teil Ihrer Umweltpolitik nur auf dem Papier steht. Wir haben sie darüber auch im dunkeln gelassen. ({1}) Aber weil das so ist, werden Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Deutschen Bundestag der rauhen Wirklichkeit stellen müssen. Das ist unsere Aufgabe. Ich möchte noch einen Moment bei der Konferenz von Kioto bleiben. Das Gute an dieser dritten Folgekonferenz war, daß alle, die keine Klimaschutzmaßnahmen wollten - beispielsweise aus der Energie- und Erdöllobby -, immerhin große Angst gehabt haben müssen, daß es diesmal mit dem Klimaschutz richtig ernst wird. Dieser Eindruck konnte sich aufdrängen, weil es bei dieser Konferenz eine große Zahl von Lobbyisten gab. Am Ende sollen dort 10 000 Menschen gewesen sein. Gemessen an dieser Zahl war es sicher eine große und wichtige Konferenz. Das Schlechte an der Konferenz war, daß diese Interessengruppen ihrem Ziel, ein wirksames und schnelles Umsetzen der Klimaschutzbeschlüsse zu verhindern oder wenigstens zu behindern, leider recht nahe gekommen sind. ({2}) Gerade in der ersten Woche drängte sich manchmal der Eindruck auf, daß es hier überhaupt nicht um Klimaschutz ging, sondern darum, wer am Ende das beste Geschäft gemacht hat. Denjenigen, denen wegen des drohenden Meeresspiegelanstieges das Wasser buchstäblich bis zum Hals steht, standen diejenigen gegenüber, die unter allen Umständen besondere Maßnahmen und Anstrengungen zur Senkung der Treibhausgase vermeiden wollten, allen voran die USA. Sie standen inhaltlich sehr weit auseinander. Die Entwicklungsländer sahen sich einem enormen Druck ausgesetzt, weil vor allem die USA erklärten, daß sie keine Klimagasreduktion akzeptieren würden, wenn nicht auch die Entwicklungsländer - und zwar entgegen bestehender vertraglicher Vereinbarung, Berliner Mandat - neue Verpflichtungen auferlegt bekämen. Nun hat solch eine Konferenz sicherlich ihre eigene Dynamik. Ich habe großen Respekt vor den Beamtinnen und Beamten, die dort während der ganzen Zeit rund um die Uhr verhandelt haben. Angesichts so mancher skurriler Maßnahmenvorschläge hatte diese Konferenz allerdings manchmal den Hauch eines orientalischen Basars. Zu solchen Vorschlägen zähle ich den Begriff der sogenannten „superheated air" . Dahinter verbirgt sich, daß die bereits eingetretenen Klimagassenkungen wegen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs in den osteuropäischen Ländern für zukünftige Reduktionsziele als bereits angesparte Mengen hätten in den Handel gebracht werden können. Dies ist Gott sei Dank verhindert worden. Dieser Vorschlag kommt mir so vor, als würde man Geld, das schon längst ausgegeben worden ist, so behandeln, als läge es auf dem Sparbuch. ({3}) Die Konferenzroutiniers hat das relativ kalt gelassen. Das ist sicherlich auch gut so. Man muß allerdings wissen, daß solche Vorschläge, die einem völlig abwegig vorkommen, immerhin auch deswegen gemacht werden, um am Ende ein möglichst niedriges Reduktionsniveau ausgehandelt zu haben. Am Ende ist man froh, daß überhaupt ein Vertrag zustande gekommen ist. So ähnlich war das auch hier der Fall. Natürlich kann man sagen, daß ein Protokoll mit kleinen Schritten besser ist als gar keines. Aber man muß immer wieder allen ins Bewußtsein rufen, daß wir keine Zeit haben, jahrzehntelang zu verhandeln. Wir müssen vielmehr schnellstens Ergebnisse erzielen. ({4}) Der weltweite Wettlauf um ökonomische Entwicklungen wird unter Inkaufnahme der massiven weltweiten Umweltzerstörung offenbar als gottgegeben hingenommen. Daß wir uns damit aber im von Menschen gemachten Wettlauf um die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlage befinden, scheint viele überhaupt nicht zu interessieren. Darum bereitet es jedenfalls mir große Schwierigkeiten, das Ergebnis von Kioto als einen Erfolg zu sehen. Es ist, wie gesagt, das mindeste, was herauskommen mußte. Noch dazu, wenn bisher keiner weiß, ob die USA das Protokoll überhaupt ratifizieren. Herr Lippold hat das zu Recht angesprochen und kritisiert. Es kommt hinzu, daß in diesem Protokoll zwei Dinge geregelt sind, die diesen Prozeß möglicherweise konterkarieren können. Das ist zum einen der Handel mit Treibhausgaszertifikaten und zum anderen die Anrechnung von Waldflächen als CO2-Senken. Beim Handel mit Zertifikaten kann ich mir sogar noch vorstellen, daß es eine akzeptable Lösung geben kann, wenn man ihn denn will. Es muß aber allen bewußt sein, daß hier die große Gefahr des modernen Ablaßhandels besteht. Es muß in den Verhandlungen, die im Grunde schon jetzt anlaufen müssen, verhindert werden, daß genau dies eintritt. Auch muß verhindert werden, daß das, was in dem Handel akzeptiert wird, auf die nationalen Reduktionsziele angerechnet wird. Für viel problematischer halte ich die Anerkennung der CO2-Senken, was insbesondere für die großen borealen und tropischen Waldgebiete gelten würde. Natürlich ist das Thema Erhaltung und Schutz der Wälder enorm wichtig. Aber wir müssen dann erst einmal anfangen, wesentlich intensiver über Abholzungen und das Waldsterben zu reden. ({5}) Inzwischen wird beides doch schon als normal hingenommen, und wir reden dann über irgendwelche anderen Probleme. Wenn Waldflächen durch das Waldsterben entfallen, entfallen natürlich auch CO2-Senken. Nach Aussagen von Fachwissenschaftlern zum Thema CO2-Senken gibt es im Moment nicht die leiseste Idee, wie die Anrechnung gehandhabt werden könnte. Ich halte es für absurd, die Bindung von CO2 in Wäldern berechnen, messen und vor allen Dingen kontrollieren zu können und festzulegen, welche Wälder, welche Baumarten in welchen Altersgruppen welche Mengen CO2 binden können, und im Gegenzug dann so zu tun, als könnten wir mit allem so weitermachen wie bisher, wenn wir entsprechende Wälder anpflanzen. Das ist die völlig falsche Richtung. Deswegen bin ich der Meinung, daß das verhindert werden muß. ({6}) Gerade hier ist die Gefahr am größten, daß die Industrieländer versuchen werden, ihre Reduktionsverpflichtungen billig zu erkaufen, statt im eigenen Land die Weichen für eine nachhaltige Entwicklung zu stellen. Aber genau das ist der entscheidende Punkt. Nur dann, wenn wir Industriestaaten es schaffen, unsere Wirtschaftssysteme insgesamt auf Nachhaltigkeit umzustellen, können wir die drohenden Klimaveränderungen abwenden. ({7}) Nur so können wir auch die Entwicklungsländer mit ins Boot bekommen. Das ist ganz entscheidend, da gebe ich Ihnen völlig recht. Wir dürfen nicht ignorieren, daß dort Entwicklungen stattfinden, die in zehn oder 15 Jahren global massive Schwierigkeiten verursachen werden. Deswegen ist es so wichtig, die Entwicklungsländer ins Boot zu bekommen. Aber die Entwicklungsländer sagen zu Recht: Wenn diejenigen, die heute mit großem Abstand die Hauptverursacher der klimaschädigenden Gasentwicklungen sind, sagen, wir machen erst etwas, wenn auch ihr anfangt, allen voran die USA, aber auch andere, dann werden auch wir nichts machen. Das heißt, die Industrieländer müssen mit großen Schritten vorangehen, die Industrieländer müssen Wohlstandsmodelle entwickeln, die garantieren, daß Natur und Umwelt erhalten bleiben. Das müssen wir auch vorleben. ({8}) Damit komme ich noch einmal auf das eingangs erwähnte geduldige Papier zurück, nämlich auf die Umweltschutzpolitik der Bundesregierung. Ich will gar nicht unterstellen, daß Sie nichts täten oder daß die Umweltpolitiker und -politikerinnen bei Ihnen nichts tun wollten. Aber der Unterschied zwischen Theorie und Praxis bleibt; Herr Lippold hat das schon angedeutet. Bei der Diskussion, ob unsere bisherigen Reduktionsziele gecancelt werden, wird sich der Streit, den Sie schon seit Monaten in Ihren eigenen Reihen führen, sicherlich fortsetzen. Sie haben zwar über 130 Maßnahmen zur Klimagasreduzierung beschlossen, aber ich habe den Eindruck, daß nicht alle Kollegen im Kabinett diese Beschlüsse ernst nehmen. Sonst müßten wir nämlich eine andere Verkehrs-, Wirtschafts- und Raumordnungspolitik haben, ganz zu schweigen von Ihrer Landwirtschaftspolitik. ({9}) Die Landwirtschaftspolitik ist von einer Nachhaltigkeit weit entfernt. Frau Merkel, Sie haben gesagt, Sie haben die Nachhaltigkeit auch in der Landwirtschaft beschlossen. Dann versuchen Sie doch nach dem Kampf, den Sie gerade ausstehen mußten, Ihren Kollegen nun davon zu überzeugen, daß er auch wirklich das Prinzip der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaftspolitik durchsetzt. Davon ist er weit entfernt. Ich erwähne dieses Thema, weil es a) aktuell ist und b) die Landwirtschaft mit 15 Prozent an der Erzeugung klimaschädigender Gase beteiligt ist, und dies nicht etwa nur in fernen Reisfeldern, sondern auch in Europa. Darüber gibt es auch schriftliche Unterlagen. Methan und Lachgas sind die beiden Gase, die zu erheblichen Teilen - mit 45 Prozent - am Ausstoß von Treibhausgasen beteiligt sind. Da Methan eine 62mal stärkere Wirkung hat als CO2, handelt es sich um ein bedeutendes Gas. Deswegen müssen wir auch über die Landwirtschaftspolitik und die Nachhaltigkeit derselben reden. ({10}) Ich habe jetzt mein Zeitbudget leider ausgeschöpft. Aber lassen Sie mich am Ende noch sagen: Es gibt möglicherweise doch ein paar Lernfähige im Kabinett. ({11}) Ich habe gestern gelesen, daß Herr Kinkel entdeckt hat, daß die größte Gefahr für die Antarktis die Zunahme der Treibhausgasemissionen sei ({12}) und das Abschmelzen der Antarktis ein Horrorszenario sei, das unter allen Umständen verhindert werden müsse. ({13}) Sehr gut! Ich kann Ihnen allen empfehlen: Setzen Sie sich einmal zusammen, und überlegen Sie, wie Sie diesen Horror verhindern! ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Kollege Paziorek.

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit dem Weihnachtsfest des letzten Jahres, an dem der parteipolitische Frieden zwischen Rot und Grün in Nordrhein-Westfalen, zwischen den Ministern Frau Höhn und Clement, wegen Garzweiler II zerbrochen ist, glaubt doch niemand mehr, daß das, was von Rot und Grün hier im Bundestag zur Umweltpolitik gesagt wird, jemals Grundlage für ein gemeinsames Regierungsprogramm werden könnte. ({0}) Es reicht eben nicht, bei jeder umweltpolitischen Debatte hier in diesem Hause weitgehende umweltpolitische Zielvorstellungen zu formulieren und dann kläglich zu scheitern, wenn eine konsequente, solide und ernsthafte Umweltpolitik in einem Regierungsamt betrieben werden muß. ({1}) Das Bild der rotgrünen Koalition in Düsseldorf zur Energie- und Umweltpolitik ist das Bild einer Streitkoalition und hat mit einer Sachkoalition nichts mehr zu tun. Es gibt keine klare gemeinsame rotgrüne Sicht in der Energie- und Umweltpolitik. Das ist das Ergebnis der Regierungskoalition in Düsseldorf. ({2}) Nur damit Frau Höhn und Herr Vesper beim Scheitern der rotgrünen Landesregierung in Düsseldorf nicht arbeitslos werden, nur damit eigene Minister bei den Grünen die Vorteile eines Regierungsdienstwagens weiter nutzen können, muß - sowohl nach Ansicht der grünen Landtagsfraktion in Düsseldorf als auch nach Ansicht der Realos hier in der grünen Bundestagsfraktion - die völlig gescheiterte Landesregierung in Düsseldorf weiter gestützt werden. ({3}) Wer kann überhaupt noch ernst nehmen, was die Opposition hier im Bundestag zur Umweltpolitik geäußert hat, wenn man sich vor Augen führt, welche konzeptionslose Energie- und Umweltpolitik sie in Düsseldorf betreibt?

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Paziorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt?

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Paziorek, ich finde es ja ganz klasse, daß Sie unsere Position vertreten, daß Garzweiler II unter Umständen mit dem Klimaschutzziel nicht zu vereinbaren ist. Aber ist Ihnen bekannt, daß sowohl die CDU als auch die F.D.P. wie die SPD für Garzweiler II und nicht - aus Gründen des Klimaschutzes oder aus industrie- und wirtschaftspolitischen Gründen; Garzweiler II ist ja auch Ausdruck einer schlechten Wirtschaftspolitik - gegen Garzweiler II sind?

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mir ist natürlich bekannt, wie sich unsere CDU und wie sich F.D.P. und SPD in Nordrhein-Westfalen dazu einlassen. Mir ist aber auch bekannt, mit welch fadenscheinigen Argumenten die Grünen versuchen, ihr Umfallen in Nordrhein-Westfalen zu kaschieren. Ich finde es bezeichnend, Frau Hustedt, daß Sie mit dieser Zwischenfrage von Ihrem eigenen Versagen in Nordrhein-Westfalen ablenken wollen. ({0}) Denn eines ist doch ganz klar: Vom Aufbruch zu neuen Ufern ist in Düsseldorf noch nicht einmal im Ansatz etwas zu spüren. Bei Rotgrün gilt nur noch der Grundsatz: Machterhalt geht vor Prinzipientreue! Warum spricht sich der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen dafür aus, daß der Umweltministerin Frau Höhn noch 2 Millionen DM aus dem Landeshaushalt für eine wasserrechtliche Prüfung zur Verfügung gestellt werden sollen, obwohl klar ist, daß nach der Inkraftsetzung des Rahmenbetriebsplanes Ende letzten Jahres für ein eigenständiges und ergebnisoffenes Wasserrechtsverfahren kein Raum mehr ist? Die Antwort ist ganz einfach: Der Ministerpräsident Johannes Rau hat zwar von seiner Staatskanzlei aus den Rhein im Blick, aber die Ruhr und Garzweiler im Nacken und leider nur noch die Spree im Kopf. Das ist die landespolitische Situation. ({1}) Sie von der Opposition, Rot und Grün gemeinsam, haben hier in Bonn jede umweltpolitische Glaubwürdigkeit durch diesen Regierungszirkus in Düsseldorf, den Sie dort veranstalten, verloren. Dem Landtagsabgeordneten Kreutz von den Grünen ist nur zuzustimmen, wenn er erklärt, er habe Verständnis, wenn Leute sagen, eine Landesregierung in einem solchen Zustand ist eigentlich gescheitert, wenn sie es auch nicht zugibt. ({2}) - Ich verstehe die Reaktion der Realos in Ihrer Fraktion, daß sie jetzt gequält aufschreien, aber wo der Mann recht hat, da hat er recht. ({3}) Der Bauminister von Nordrhein-Westfalen, Herr Vesper, schreibt in der „FAZ" vom 13. Januar 1998: „Wer die Energiewende will, braucht Stehvermögen." Dann schreibt er sinngemäß weiter: Jetzt gibt es erstmals die Chance, eine neue Prüfung des Garzweiler-Vorhabens durchzuführen. Gleichzeitig ist aber am 22. Dezember letzten Jahres unter der Fachaufsicht des SPD-Wirtschaftsministers Wolfgang Clement der Rahmenbetriebsplan für den Tagebaubetreiber Rheinbraun genehmigt worden, wodurch eine klare Rechtsgrundlage für den Tagebau eröffnet worden ist. Solche Äußerungen eines Spitzenpolitikers der Grünen machen deutlich, daß hier mit geDr. Peter Paziorek zinkten Karten gespielt wird; denn es gibt keine ergebnisoffene wasserrechtliche Prüfung mehr, nachdem der Rahmenbetriebsplan gemäß § 55 des Bundesberggesetzes genehmigt ist. Daraus kann es nur eine Schlußfolgerung geben. Die lautet: Wer eine wirklich umweltorientierte Energiepolitik will, braucht keine grünen Umfaller in Düsseldorf und erst recht nicht hier in Bonn. ({4}) Frau Müller und Herr Fischer können noch so viele politische Rachegefühle gegen den SPD-Minister Clement entwickeln. Sie können noch so oft androhen, daß er in Nordrhein-Westfalen seine landespolitischen Hoffnungen begraben muß. ({5}) - Sie werden auch durch Ihre Zwischenrufe nicht verhindern, daß die politische Glaubwürdigkeit der Grünen im Tagebau Garzweiler II versinken wird. Erstaunlich finde ich auch die Haltung einiger SPD-Umweltpolitiker in Bonn, obwohl ich nicht verhehlen kann, daß ich sie persönlich durchaus schätze. Sie, Herr Müller, sind umweltpolitischer Sprecher Ihrer Fraktion, kommen aus Nordrhein-Westfalen und sogar direkt aus Düsseldorf. Wie kommen Sie überhaupt damit klar, daß Sie hier in Bonn eine radikal neue Energiepolitik fordern, während Sie gleichzeitig akzeptieren müssen, daß Ihre eigene Partei in Nordrhein-Westfalen Sie trotz Ihrer täglichen Presseerklärungen einfach links liegen läßt und eine andere, eine realistische Energiepolitik betreibt? Wer das Düsseldorfer Bündnis als eine Musterkoalition und als einen Probelauf für Bonn ansieht, dem kann man nur noch sagen, daß das Trainingslager Düsseldorf für Rotgrün Endstation sein wird. Bedauerlicherweise leidet unser schönes Land Nordrhein-Westfalen darunter. Für Nordrhein-Westfalen ist dieses Trainingslager eine verlorene Zeit. ({6}) Es geht nicht nur um die Sicherung von nahezu 10 000 Arbeitsplätzen im Braunkohlentagebau. Es geht auch darum, mit Garzweiler II ein Kraftwerkserneuerungsprogramm umzusetzen, wodurch die Wirkungsgrade der Braunkohlenkraftwerke enorm verbessert werden. Das wäre endlich einmal ein positiver Beitrag Nordrhein-Westfalens zu einer wirkungsvollen nationalen Klimaschutzpolitik. Das RWE hat nämlich Investitionen in Höhe von ca. 20 Milliarden DM für den Neubau und die Modernisierung von Braunkohlenkraftwerken zugesagt, wodurch die Umweltbelastung insgesamt um mehr als 25 Prozent gesenkt werden könnte. Die Grünen argumentieren natürlich, daß der Verzicht auf Braunkohlenstrom bei der Emission klimawirksamer Spurengase zu noch positiveren Umwelteffekten führen müßte. Aber, meine Damen und Herren, nach allen ernsthaften Untersuchungen kann auch zukünftig nicht auf Braunkohlenstrom verzichtet werden. Die Gedankenskizze des Wuppertaler Instituts, die von den Grünen ja immer wieder zitiert wird, geht von falschen Grundannahmen aus, sowohl in bezug auf den Gesamtmarkt als auch in bezug auf die Wettbewerbssituation der Braunkohle. Die Folgen und Kosten Ihres Alternativprogramms werden in dieser Studie weder zutreffend noch vollständig untersucht. Dagegen zeigt gerade das Investitionsprogramm von Rheinbraun, daß erhebliche Wirkungsgradsteigerungen zu einer markanten Minderung der CO2-Emissionen in Deutschland führen können. Den Vogel in dieser Diskussion hat aber der SPDVorsitzende Oskar Lafontaine abgeschossen: Laut Pressemeldungen rief er Clement und Höhn auf, sich im Streit um Garzweiler II gesetzeskonform zu verhalten. - Das kann ich in bezug auf Frau Höhn durchaus verstehen und nachvollziehen. Mich erstaunt aber dieser Hinweis gegenüber seinem eigenen Parteifreund Clement. ({7}) War das nur ein Wink mit dem Zaunpfahl, vom Kurs abzulassen? Gleichzeitig betonte Lafontaine aber, daß es trotz Düsseldorfer Querelen grundsätzlich keinen Dissens in der Energiepolitik zwischen SPD und Grünen gebe. ({8}) - Da kann man in der Tat nur fragen, Herr Westerwelle: Hat Herr Lafontaine aus dem Saarland inzwischen den Überblick verloren? Das ist die einzige Frage, die nach dieser Äußerung gestellt werden kann. ({9}) - Ich glaube das auch, Herr van Essen. Ich sehe das auch so, daß seine Äußerungen nichts anderes als ein rhetorischer Trick sind. Mit solchen rhetorischen Tricks will die SPD die Öffentlichkeit nur über die Handlungsunfähigkeit von Rot und Grün täuschen. Seit Weihnachten 1997 sind Sie von der Opposition umweltpolitische Märchenerzähler. Solche Märchenerzähler haben in Regierungsämtern sowohl in Düsseldorf als auch erst recht hier in Bonn nichts zu suchen'. ({10})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Hustedt.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Erstens. Die Alternative zu Garzweiler II stellen Energieeinsparungen, die Nutzung von regenerativen Energien und vor allen Dingen GuD-Kraftwerke dar. Dieses ist nicht nur wesentlich ökologischer, sondern auch gute Wirtschafts- und Industriepolitik, weil wir, wie es Ihnen vielleicht entgangen ist, inzwischen einen Wettbewerb im Energiebereich haben. Selbst die Stromkonzerne sagen in ihrer eigenen Studie, die Braunkohlenkraftwerke werden gegenüber GuDKraftwerken nicht mehr konkurrenzfähig sein. Wenn CDU, F.D.P. und SPD weiter auf Braunkohle und Garzweiler II setzen, ist die Konsequenz, daß im Energieland Nummer eins Energie von außen benötigt wird und dadurch die Arbeitsplätze woanders entstehen und eben nicht mehr in Nordrhein-Westfalen. Zweitens. Ein Umfallen von Bündnis 90/Die Grünen in der Frage Garzweiler II wird es nicht geben. Wir sind und waren uns immer einig und werden es sein in dem Ziel, Garzweiler II zu verhindern. Wir streiten uns lediglich über den Weg, auf dem das am besten erreicht werden kann. Der eigentliche Umfalber ist nach wie vor und natürlich auch in dieser Frage die F.D.P. ({0}) - Sie haben 1996, um sich bei der SPD für eine Koalition in Nordrhein-Westfalen anzubiedern, inhaltlich Ihren Beschluß von einem eindeutigen Nein zu Garzweiler II - diesen haben Sie aus ähnlichen Gründen wie wir gefaßt - zu einem Ja zu Garzweiler II geändert. Die F.D.P. ist nach wie vor die Umfallerpartei des Jahres. Wer im Glashaus sitzt, sollte also nicht über Elche witzeln. ({1}) Drittens. Ich kann Ihnen auch eine Begründung für die Krokodilstränen von Linssen, Paziorek, Westerwelle, Möllemann & Co. liefern. Möllemann sagt, ihm wäre es lieb, wir würden aus der rotgrünen Koalition austreten, weil es dann Neuwahlen gäbe und die jetzige Opposition gute Chancen hätte, an die Regierungsverantwortung zu kommen. Das ist der Grund für Ihre Krokodilstränen. Sie behaupten, Sie seien fähiger zu einem Konsens mit der SPD. Das stimmt genau deswegen, weil Sie vorsorglich Ihren Beschluß geändert haben. Im übrigen muß ich Ihnen sagen: Sie haben den Eichtest vielleicht nicht genau mitverfolgt. Da sind nicht die Elche umgefallen. Die Elche sind stehengeblieben, aber die Autos sind umgefallen. Die netten Elche, die Sie uns geschenkt haben, sind für uns ein Symbol der Standhaftigkeit bei unserem Nein zu Garzweiler II. Vielen Dank, daß Sie dieses genauso sehen wie wir. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich möchte Herrn Westerwelle schon jetzt auffordern, weder einen Elch noch einen Mercedes mitzubringen, ({0}) denn was dem einen recht ist, ist dem anderen billig. Was für T-Shirts mit Emblemen gilt, das gilt auch für die Stoff-Elche. Wollen Sie antworten, Herr Paziorek? - Nein. Dann spricht als nächster der Kollege Albert Schmidt. ({1})

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem nun geklärt ist, wer 1996 seine Position um 180 Grad geändert hat, ist dieses Thema erledigt. Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche. So sieht es mit Ihnen aus, Herr Möllemann! ({0}) Nun aber zurück zur Sache. Ich fand es beschämend, Herr Kollege Paziorek, daß Sie hier eine Rede gehalten haben, ohne inhaltlich mit einem einzigen Satz auf das bezug zu nehmen, um was es heute geht, nämlich um die Auswertung und die Bewertung des Abkommens von Kioto und um den Verlauf der Klimakonferenz. ({1}) Was dieses Abkommen von Moto wirklich wert ist, wird erst der weitere Verhandlungsprozeß zeigen; denn bei den Beratungen sowohl im Juni in Bonn als auch im November in Buenos Aires wird es um all die strittigen Fragen gehen, die in Kioto offengeblieben sind, genauer: um die Schließung all der Schlupflöcher, die selbst das bescheidene Reduktionsziel von 5,2 Prozent vorerst entwerten. Lassen Sie mich ganz klar sagen, welche Position wir hier zu vertreten haben werden: Erstens. Der zwischenstaatliche Handel mit Emissionslizenzen - Stichwort: Trading - darf nicht als Ersatz für eine reale Minderung von Treibhausgasen im eigenen Land gelten. ({2}) Das wäre Betrug, Frau Merkel, um es mit den Worten des dänischen Umweltministers Svend Auken zu sagen. Es widerspräche dem ursprünglichen Sinn des gesamten Rio-Prozesses, bei dem es um die Verminderung von Treibhausgasen und nicht um einen Ablaßhandel geht. Zweitens. Es darf nicht durchgehen, daß sich die Industrieländer durch ihre eigenen wirtschaftlichen Exportaktivitäten ihre CO2-Bilanz zu Hause schön-rechnen. Das Stichwort dafür heißt Joint implemenAlbert Schmidt ({3}) tation. Wir müssen darauf bestehen, daß jedes Land seine Pflichten in bezug auf die CO2-Minderung durch echte Reduktionsmaßnahmen im eigenen Hause erfüllen muß. ({4}) Drittens. Die Einbeziehung der sogenannten CO2-Senken - Stichwort: Aufforstung - in die Emissionsbilanz muß so lange ausgeschlossen bleiben, solange das tatsächliche Ausmaß der Bindung von Kohlendioxid durch forstwirtschaftliche Maßnahmen weder methodisch erfaßbar noch exakt berechenbar ist. Schließlich werden wir vor dem Hintergrund der aktuellen Klimadaten des amerikanischen Wetterdienstes auch für ein anspruchsvolleres globales Reduktionsziel kämpfen müssen. Die USA - ich möchte das ganz deutlich sagen; es ist schon mehrfach angeklungen - haben in Kioto in ihrer Führungsrolle versagt. Sie waren nicht die Protagonisten, sondern die Bremser der Bewegung, die immer nur von den Lasten anstatt von den Chancen einer modernen Energiepolitik geredet haben. Herr Kollege Lippold hat es angesprochen. In Kioto ist statt dessen so etwas wie eine globale Leadership der Europäer in Sachen Umweltschutz deutlich geworden, und zwar nicht aus einem falsch verstandenen Eurozentrismus, sondern aus der Wahrnehmung der Verantwortung der entwickelten Industriestaaten in enger Abstimmung und Kooperation mit den Entwicklungsländern. Dieser zukunftsweisende Trend ist auch ein Verdienst, Frau Dr. Merkel, Ihrer beharrlichen Anstrengungen. ({5}) Frau Dr. Merkel, eines sollten Sie aber sehr ernst nehmen. Wir werden auf die Dauer im weiteren Verhandlungsprozeß im globalen Umweltmanagement nur Durchsetzungschancen haben, wenn wir in Deutschland und Europa mit unserer eigenen Klimaschutzpolitik glaubwürdig sind. Wir werden in Europa eine Diskussion um das 15-Prozent-Ziel bekommen. Ich sage allen, die dieses Ziel nach unten korrigieren wollen: Wir brauchen überhaupt nicht mehr nach Buenos Aires zu fahren, wenn wir vorher dieses Ziel reduziert haben. Wir werden sogar unsere Position von Kioto im nachhinein als ein taktisches Manöver entlarvt haben; wir werden nicht mehr ernst genommen werden. Deshalb müssen wir auf diesem Ziel bestehen. ({6}) Zur Glaubwürdigkeit der Klimaschutzpolitik gehört nicht nur, hehre Ziele auf geduldigem Papier zu schreiben - in einer Rollenverteilung und nach dem Muster: Die Verantwortlichen für das Umweltressort sind für das Gute und Schöne zuständig, und die anderen im Wirtschafts-, Finanz- und Verkehrsressort sind für die reale Gestaltung der Welt zuständig. Deshalb frage ich Sie, Frau Merkel: Wo ist Ihr Vorstoß im Kabinett für eine schrittweise Erhöhung der Mineralölsteuer, nachdem das DIW in Ihrem Auftrag ausgerechnet hat, daß ein Benzinpreis von 3 DM bis zum Jahre 2005 - das entspricht in etwa dem Erhöhungsvorschlag der Grünen - 23 Millionen Tonnen an Schadstoffemissionen verhindern würde, während ein Nichtstun à la Wissmann und Waigel 40 Millionen Tonnen mehr an CO2 allein im Straßenverkehr verursachen wird? ({7}) Wo ist Ihre Initiative zur Umsetzung des EU-Weißbuches zu den erneuerbaren Energien? Wo ist Ihr Powerplay für eine europäische Energiesteuer, die nicht nur das Klima in Europa schützt, sondern Millionen neuer Arbeitsplätze schafft? Was ist eigentlich mit Bundeskanzler Helmut Kohl, der bei jeder Gelegenheit Schulterschluß mit seinem Männerfreund Suharto demonstriert, dem diktatorischen Chef eines korrupten Systems, dessen Familienclan nicht nur für die Verletzung von Menschenrechten, sondern auch für ungeheure Umweltschäden verantwortlich ist? Wer gemeinsame Sache mit notorischen Umweltfrevlern und notorischen Menschenrechtsverletzern macht, die obendrein noch ökonomische Geisterfahrer sind, hat wenig Glaubwürdigkeit auf der internationalen Bühne, wenn es um Klimaschutzpolitik geht. ({8}) Nein, wir brauchen den Gleichklang zwischen einer fairen und gerechten Wirtschafts- und Handelsordnung, einer ökologischen Strukturpolitik und der strikten Beachtung der Menschenrechte. Nun haben wir in Europa inzwischen drei grüne Umweltministerinnen. Frau Merkel, bald werden es vier sein. ({9}) Ich kann Ihnen schon heute versprechen - ich hoffe, das ist in Ihrem Sinne -, daß die grüne Umweltachse Paris-Bonn bzw. Paris-Berlin ein zentraler Motor einer glaubwürdigen und wirksamen internationalen Klimaschutzpolitik sein wird. Lassen Sie mich zuletzt eine persönliche Anmerkung machen. Am Rande der Klimakonferenz in Kioto gab es eine Veranstaltung, die wenig Aufsehen erregt hat, die aber auf die schlichte Tatsache aufmerksam gemacht hat, daß es bei solchen Verhandlungen nicht nur um Prozente und Märkte geht, sondern auch um Menschenleben. 400 Mediziner aus 30 Ländern, darunter einige Nobelpreisträger, haben darauf aufmerksam gemacht, daß bei einer Fortführung des Status quo bis zum Jahre 2020 acht Millionen Menschen durch Wassermangel, Naturkatastrophen, Luftverschmutzung und Ernteeinbußen ihr Leben verlieren werden. Die Hauptbetroffenen werden die Ärmsten der Armen, vor allem in Afrika, sein. Albert Schmidt ({10}) Lassen Sie uns also nie vergessen: Wir verhandeln nicht nur über Prozente, Märkte und Technologien, sondern wir verhandeln auch über Menschenleben. Das muß der eigentliche Ansporn sein, wenn wir zu größerer Wirksamkeit kommen wollen. Ich danke Ihnen. ({11})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Jetzt spricht der Kollege Möllemann. ({0})

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich die Entschließungsanträge anschaut, die von den denkbaren Schlußfolgerungen aus den Arbeiten und Ergebnissen von Kioto handeln und wenn man daran die Vorschläge und die Bemerkungen mißt, die in dieser Debatte vorgetragen worden sind, gerade in den letzten Minuten, dann kann man doch eine gewisse Diskrepanz nicht übersehen. Es ist sehr wichtig, zu sehen, daß Klima- und Umweltschutz nur wirkungsvoll verbessert werden können, wenn es gelingt, ökonomische und ökologische Aspekte in einer vernünftigen, einem Industriestaat angemessenen Weise zu verzahnen. ({0}) Das bedeutet, daß man die Akzeptanz umweltpolitischer Zielvorstellungen nicht durch eine Überforderung der Bürger oder der Betriebe gefährden sollte. Wenn in diesen Tagen als Vorschlag zur Reduktion der Schadstoffemissionen allen Ernstes vorgeschlagen wird, auf einen Liter Sprit fürs Auto 5 DM Steuer draufzuknallen, dann kann ich nur sagen: Das mögen Sie, Herr Fischer, und die paar Minister, die die Grünen haben - hoffentlich nicht mehr allzulange -, bezahlen können. Aber der normale Bürger, der in der Fläche wohnt, der zu Arbeit, Sport und Freizeit mit dem Auto fahren will, kann das nicht. Das ist ein unmögliches Programm und ein weltfremdes Programm. Damit tun Sie dem Umweltschutz keinen Gefallen. Sie schaden aber natürlich vielen Arbeitsplätzen und der Planungssicherheit in einem der wichtigsten Industriezweige der Bundesrepublik Deutschland: im Automobilbereich. ({1}) Mir ist im übrigen jetzt auch klar, warum Frau Höhn und Herr Vesper ihren Dienstwagen behalten wollen. 5 DM für einen Liter Sprit werden auch für sie bald ein bißchen viel, weil sie ja keine Abgeordneten mehr sind, wenn sie konsequent sind und zurücktreten. ({2}) - Herr Kollege Fischer, nehmen Sie ruhig Platz! Wenn Sie mir zuhören wollen, fühle ich mich geehrt. Aber wenn Sie herumplärren wie ein kleiner Junge im Kindergarten, finde ich das ein bißchen albern. Setzen Sie sich also ruhig hin; dann bin ich bereit, Ihnen weiterhin etwas zu sagen. ({3}) Herr Kollege Fischer, ich weiß, daß es nicht leichtfällt, sich von einem Ministeramt zu trennen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. ({4}) Aber es gibt Situationen, da muß man das um der eigenen Glaubwürdigkeit und der Glaubwürdigkeit seiner Idee willen tun. ({5}) - Sehen Sie, Herr Fischer, das ist der Unterschied zwischen uns: Die einen sprechen von Glaubwürdigkeit; die anderen handeln danach. ({6}) Hier war die Rede von Garzweiler. Ich habe mir Aufzeichnungen über die diesbezügliche Pressekonferenz des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers Wolfgang Clement im Hinblick auf die Frage „Dient dieses Projekt der Schlußfolgerung, die wir aus Kioto ziehen?" angesehen. Ich habe mir die von ihm getroffenen Feststellungen mehrfach auf einem Video angeschaut, um zu bewerten, ob die Umsetzung des Projektes Garzweiler im Einklang steht mit dem, was wir hier beraten. Herr Clement hat folgende fünf Feststellungen getroffen. Erste Feststellung: Man brauche dieses Kraftwerkprogramm, weil die Braunkohle ein subventionsfreier Energieträger sei, und zwar der einzige subventionsfreie, zum Beispiel im Unterschied zur Steinkohle. - Im übrigen legt gerade in diesen Tagen Tony Blair, den Sie sonst immer so loben, Widerspruch gegen die europäische Genehmigung von Steinkohlesubventionen in Deutschland ein. Da haben Sie eine gewisse Gesprächsmöglichkeit. - Die erste Feststellung von Herrn Clement war also, die Braunkohle sei als subventionsfreier Energieträger unverzichtbar. Zweite Feststellung: Die ökologischen Probleme im Zusammenhang mit Garzweiler II seien vollständig beherrschbar. In 100 Gutachten, so Herr Clement; sei das festgestellt worden. - Es gibt allein 67 teure GutJürgen W. Möllemann achten zur wasserrechtlichen Beherrschbarkeit. - Der Landeswirtschaftsminister, der designierte Ministerpräsident stellt also fest, dies sei ökologisch beherrschbar. ({7}) Dritte Feststellung: Er stellt fest, daß mit diesem Projekt die Finanzierung von 50000 Arbeitsplätzen auch im ökologischen Bereich verbunden sei, also in Industriezweigen, in denen Forscher, Techniker und Ingenieure Arbeit haben. - Da kann ich nur sagen: In einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit kann man diese Zahl ja wohl nicht bagatellisieren. - Dazu hat Herr Priggen von den Grünen erklärt: Wirtschaftsminister Wolfgang Clement macht in einer Zeit, in der viele Menschen Angst um ihren Arbeitsplatz haben, mit völlig überzogenen Zahlen Stimmung für Garzweiler. Er spricht, ohne es im Detail zu belegen, von 50 000 Arbeitsplätzen. Diese Zahl ist völlig aus der Luft gegriffen. - Was stimmt denn nun? Ich stimme der Bewertung von Herrn Clement zu. Es geht um 50 000 Arbeitsplätze. Es geht um moderne Umwelttechnologie. Vierte Feststellung: Mit der Entscheidung über den Rahmenbetriebsplan sei der - ich zitiere wörtlich - „Point of no return überschritten". Es gibt kein Zurück mehr. ({8}) Fünfte Feststellung: Die Umsetzung, die Verwirklichung von Garzweiler II sei die Nagelprobe auf die industriepolitische Handlungsfähigkeit dieses Landes. ({9}) Dazu sagt Frau Müller: Eine solche traditionelle und rückwärtsgewandte Energie- und Industriepolitik ist mit uns nicht zu machen. - Was gilt denn? Der Wirtschaftsexperte der Sozialdemokraten spricht von einer Nagelprobe auf die industriepolitische Handlungsfähigkeit; Sie sagen, so etwas Rückwärtsgewandtes sei mit Ihnen nicht zu machen. ({10}) Sie haben vorhin davon gesprochen, daß wir Freien Demokraten - wie alle anderen Parteien auch - über das Thema Garzweiler lange, intensiv und streitig diskutiert haben. Nachdem aber klar war, daß in Deutschland kein Kernkraftwerk mehr genehmigt wird, und klar ist, daß die Steinkohlesubventionen zurückgehen werden und Steinkohle weniger verbrannt wird, haben wir gesagt: Laßt uns hier eine Korrektur vornehmen. Wir brauchen unter diesen veränderten Annahmen die Braunkohle. Ich finde nicht, daß sich derjenige diskreditiert, der seine Position korrigiert, sondern derjenige, der behauptet, er halte sie aufrecht, dann aber nicht die Konsequenzen daraus zieht. Das ist doch der Punkt! ({11}) Sie behaupten, Sie seien gegen Garzweiler, und fallen um. Am kommenden Samstag wird in Jüchen doch folgendes passieren: Der uns lange Zeit auch von Ihnen angepappte Begriff „Umfaller" sucht eine neue Heimat, und er findet sie bei Ihnen. Darum geht es doch! ({12}) Nein, meine Damen und Herren, ich glaube, daß die Glaubwürdigkeit von Umweltpolitik, die Parteien dort, wo sie regieren, betreiben, an dem gemessen werden muß, was sie konkret tun.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Möllemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Altmann?

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber selbstverständlich. Wir sind ja in einer Debatte.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

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, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr wohl, Herr Möllemann. Ich habe Ihnen jetzt lange geduldig zugehört Jürgen W. Möllemann F.D.P.: Das müssen Sie ja auch!

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- und habe eine Frage. Ich bin Abgeordnete aus Niedersachsen und natürlich auch an der bundesdeutschen Klima- und Energiepolitik interessiert. Ich finde, es reicht langsam. Ich möchte Sie einmal fragen: Finden Sie es nicht an der Zeit, jetzt langsam zu dem Thema, wie es in der Tagesordnung steht, nämlich zur Regierungserklärung von Frau Merkel zum Klimagipfel in Kioto und zur Klimadebatte, Ihre eigene Position, die Position der F.D.P., darzustellen und uns nicht weiter mit der Landespolitik von Nordrhein-Westfalen, dessen F.D.P.-Vorstand vorzusitzen Sie die Ehre haben, zu langweilen? ({0})

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das einzige, was ich aus Ihrer Frage nachvollziehen kann, ist Ihre Bitte, ich solle langsam vortragen - wegen des Nachvollziehens. Deswegen sage ich es noch einmal. ({0}) In der Tat: Es ist von größter Bedeutung für den Klimaschutz, daß 20 Milliarden DM in die Modernisierung von Kraftwerken investiert werden, damit die Schadstoffemissionen reduziert werden, damit der heimische Energieträger besser genutzt werden kann. ({1}) Es ist von größter Bedeutung für den Klimaschutz, daß deutsche Umwelttechnologien nicht behindert werden, sondern sich durch Investitionen entfalten können. Es ist von größter Bedeutung für den Klimaschutz, daß Parteien ihn nicht dadurch diskreditieren, daß sie ein Jahr lang jede Woche öffentlich verkünden: „Wenn Garzweiler kommt, ist die Koalition beendet, ziehen wir unsere Minister zurück", dann aber genau das Gegenteil tun. Das ist von Bedeutung für die Klimapolitik, den Umweltschutz und die Überzeugungskraft. Sie sind im Moment zutiefst sauer darüber - das merke ich ja -, daß Sie beim Umfallen ertappt werden. ({2}) Sie sind zutiefst sauer darüber, daß Ihren hohen moralischen Ansprüchen das, was Sie praktisch tun, nicht mehr entspricht; das ist sehr schmerzhaft. Sie sind zutiefst sauer darüber, daß der Wunschpartner SPD das fundamentale Gegenteil von dem sagt, was Sie hier die ganze Zeit sagen. Und Sie sind zutiefst sauer darüber, daß sich die Menschen im Land natürlich allmählich fragen: Was soll industriepolitisch aus diesem Land werden, wenn man diese beiden, Grüne und SPD, zusammen in ein Boot steckt? Wollen Sie denn allen Ernstes das, was in Nordrhein-Westfalen Tag für Tag passiert, demnächst jeden Tag auf der Bonner Bühne haben? Da Sie gesagt haben, Sie kommen aus Niedersachsen: Ich habe nachgelesen, was der Ministerpräsident Ihres Landes - ich weiß nicht, ob es auch Ihr Ministerpräsident ist, aber immerhin regiert er Ihr Land -, Herr Schröder, in der vergangenen Woche gesagt hat. Gerhard Schröder hat gesagt: Ich will in Niedersachsen kein Rot-Grün; denn ich will keine Zustände wie in NRW. - Das kann man wirklich nachvollziehen: Er will keine Zustände wie in NRW. ({3}) „Herzlichen Glückwunsch" kann ich nur sagen. Wenn dieser Mann Kanzlerkandidat wird, bekommen wir hier mit Ihnen diese Zustände - da bin ich ziemlich sicher -, wenn Sie denn für das, was Sie vertreten, eine Mehrheit bekommen. Meine Damen und Herren, es ist unvernünftig, zu verlangen, daß die Menschen, die ihr Auto brauchen, demnächst 5 DM Steuern für einen Liter Sprit zahlen sollen. Das hilft niemandem; das schadet nur. Es ist unredlich, zu sagen: „Wir sorgen dafür, daß Garzweiler nicht kommt", obwohl Sie ganz genau wissen, daß es kommt. Sie können es nicht verhindern. Johannes Rau hat den Bergleuten sein Wort gegeben. Ich denke, er wird es halten wollen. Auch Herr Clement hat erklärt, Garzweiler komme. Sie und die von Ihnen gestellten Amtsträger haben hoch und heilig gesagt: Wenn man das dann trotzdem macht, ist Schluß mit dieser Koalition; dann scheiden wir aus der Regierung aus. - Jetzt müssen Sie entscheiden, was Ihnen wichtiger ist: daß Ihr Hintern im Dienstwagen chauffiert wird oder daß Sie Ihr Gesicht bewahren. Diese Entscheidung müssen Sie treffen. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Wolfgang Schmitt. ({0})

Wolfgang Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002784, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Möllemann, ich muß die Vorwürfe, die Sie hier gegen die grünen Mitglieder des nordrhein-westfälischen Kabinetts erhoben haben, entschieden zurückweisen. ({0}) Ich kann verstehen, daß Sie die Bühne einer klimapolitischen Debatte des Deutschen Bundestages nutzen - ich würde sagen: mißbrauchen -, weil sich die F.D.P. in Nordrhein-Westfalen nach wie vor am Rande der vollkommenen Bedeutungslosigkeit bewegt und glücklicherweise keine Gelegenheit hat, diese Vorwürfe im Plenum des nordrhein-westfälischen Landtags zu erheben, da sie dort nicht vertreten ist. Zweitens muß ich feststellen, daß eine Partei, die ihre sprichwörtliche Prinzipientreue und Flexibilität beim Thema der doppelten Staatsbürgerschaft am gestrigen Tage noch einmal so eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, überhaupt keine Berechtigung hat, anderen Parteien vorzuwerfen, ({1}) daß sie eine Glaubwürdigkeitskrise hätten. Dritte und vorletzte Bemerkung: Es ist auffällig, daß die zahlreichen Stammwählerinnen und Stammwähler der Grünen, die sich hier in den Reihen der F.D.P. und auch der Union outen, sich solche Sorgen um die Glaubwürdigkeit der Grünen machen. Ich glaube, wir Grünen sollten es da eher mit Umweltverbänden wie dem Naturschutzbund Deutschland halten, der durch seinen Präsidenten eindeutig hat feststellen lassen, daß die nordrhein-westfälischen Grünen nicht umgefallen seien. Vielmehr sagte sein Präsident am vergangenen Wochenende in einem Interview: Nein, es sei kein Umfallen; denn das wäre erst dann der Fall, wenn die Grünen dem Verfahren an Stellen zugestimmt hätten, an denen sie politisch andere Optionen gehabt hätten. ({2}) Das weitere Verfahren bei Garzweiler II liegt jetzt in den Händen der nordrhein-westfälischen Umweltministerin. Wolfgang Schmitt ({3}) Herr Möllemann, der RWE-Konzern ist - anders als Sie - nicht so sicher, daß das Projekt jetzt zügig vorangetrieben wird. Wenn Sie sich die einschlägige Presseerklärung dieses Großkonzerns ansehen, dann werden Sie finden, daß sie erhebliche Zweifel haben, ob das, was sie sich wünschen, auch in Erfüllung gehen wird. Allerletzte Bemerkung: Eine Landesregierung ist verpflichtet, Großvorhaben zügig, aber auch gewissenhaft zu prüfen. Welche Folgen das hat, wenn man das nicht tut, kann man an dem ersehen, was der damaligen Regierung Kohl in Rheinland-Pfalz offenbar passiert ist: Eine nicht sorgfältig durchgeführte Prüfung hat dazu geführt, daß am gestrigen Tage ein bedeutendes Großprojekt, Mülheim-Kärlich juristisch beerdigt wurde. Herzlichen Dank. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege, Sie sagten, Sie müßten meine kritischen Bemerkungen an die Adresse der grünen Regierungsmitglieder in Nordrhein-Westfalen zurückweisen. Zunächst möchte ich auf folgendes hinweisen: Die Unionsfraktion im nordrhein-westfälischen Landtag hat vorgeschlagen, dort eine entsprechende Debatte zu führen. Auf Grund eines Hinweises der Grünen, wonach die Fraktion der Grünen wegen der Vorbereitung des Landesparteitages am Freitag leider keine Zeit für eine Parlamentsdebatte habe, durfte der Landtag nicht darüber diskutieren. Nur so viel zu den Diskussionen im nordrheinwestfälischen Landtag zum Thema Garzweiler. Daß die Verwendung der Braunkohle ein Thema der Energiepolitik in Deutschland ist, das mag Ihnen unter den Vorzeichen, die die Grünen in Nordrhein-Westfalen jetzt gesetzt haben, nicht passen, aber es ist in der Sache doch unbestritten. Weil Sie dargelegt haben, eine Kritik an Frau Höhn sei nicht berechtigt, will ich Ihnen aufzeigen, warum eine solche Kritik doch berechtigt ist: Frau Höhn hat in einer Pressekonferenz ausgeführt, die Entscheidung von Herrn Clement, den Rahmenbetriebsplan zu genehmigen, sei nach ihrer Auffassung erstens in Teilen rechtswidrig und zweitens politisch motiviert. Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang, wenn ein Mitglied eines Kabinetts ein anderes öffentlich des Rechtsbruchs bezichtigt. Ich frage Sie: Wie wollen Sie eigentlich die Bürger zu rechtstreuem Verhalten motivieren, wenn ein Kabinettsmitglied über ein anderes sagt, daß es das Recht bricht? Die einzige Frage, die ich in dem Zusammenhang gehört habe, ist: Warum hat Johannes Rau die Frau nicht rausgeschmissen? Wer als Kabinettsmitglied so etwas einem anderen Kabinettsmitglied unterstellt, verhält sich, finde ich, in einer Weise unmöglich, die nicht akzeptabel ist. Zweitens. Frau Höhn hat gesagt, das sei politisch motiviert. Dazu haben Sie, verehrter Kollege Schmitt, in Borken in Westfalen beschlossen, mit einer politisch motivierten Genehmigung eines Rahmenbetriebsplans für Garzweiler gäbe die SPD - Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen - Rheinbraun fahrlässig Entschädigungsansprüche. Sie würde damit die vereinbarte Rückholbarkeit des Projekts unmöglich machen und die Koalition aufkündigen. Nun sagte Frau Höhn gestern in einem Interview mit dem „General-Anzeiger": Wir brauchen aus dieser Regierung nicht auszuscheiden. Wir müssen nur entscheiden, ob wir die Kündigung der SPD annehmen. - Verstehen Sie, es gibt schon Grenzen der Peinlichkeit. Sie soll doch sagen: Ich habe mein Dienstauto lieb, ich möchte es behalten, ich kann darauf nicht verzichten. Was sind Prinzipien noch wert? Der letzte Punkt: Es war Frau Höhn, die am 25. August erklärt hat - ich zitiere wörtlich -: Garzweiler war Hauptthema in unserem Wahlkampf. Wenn es zum Schwur über den beantragten Rahmenbetriebsplan kommt, dann muß unsere Partei darüber entscheiden. Ich rechne mit einer eindeutigen Ablehnung, und die hätte klare Konsequenzen für die Koalition. Das meinte ich vorhin. Wer sich so aus dem Fenster gehängt hat, so klare und unmißverständliche Versprechen gegeben hat: „Wenn das Ding kommt, dann ist Schluß", der sollte uns hier keine Vorträge mehr halten über Moral, Glaubwürdigkeit und ähnliches, sondern sollte zurücktreten. Wenn er das nicht tut, soll er sich als umgefallener Elch in der politischen Landschaft dafür rühmen lassen, daß der Begriff des Umfallens eine neue Heimat gefunden hat: Umfall - dein Name sei Grün. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Jupp Vosen.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte noch kurz darauf hinweisen, daß ich aus dem Wahlkreis Düren komme, wo das Bergamt sitzt, das die Genehmigung nach Recht und Gesetz erteilt hat. Dieser Wahlkreis hat zwei Großtagebaue, nämlich Hambach - das ist der größte in Deutschland - und Inden II. Die Bevölkerung in unserem Bereich befürwortet den Braunkohletagebau mehrheitlich, obwohl viele betroffen sind. Ich möchte nun aber auf eins hinweisen. Wir reden über Energiepolitik und über Energieversorgung in unserem Land. Das kommt aus meiner Sicht in allen Diskussionen viel zu kurz. Ihnen geht es im Moment nur um die Frage, Herr Möllemann: Kann man eine Landesregierung stürzen, soll die Regierung aufgelöst werden, was hat die F.D.P davon? Das will ich jetzt gar nicht beantworten. Sie wissen als Politiker, daß vorgezogene Neuwahlen - Sie haben das schon gefordert - auch neue Chancen beinhalten. Ich denke, wenn wir über Energiepolitik reden, dann werden wir in Nordrhein-Westfalen gut beraten sein, die Sache ruhig und sachlich zu prüfen. Das Genehmigungsverfahren wird sowieso in jedem Fall bis Juni oder Juli brauchen. Wir reden hier über einen Zeitraum von drei oder vier Monaten, was für RWE und Rheinbraun ein völlig zu vernachlässigender Zeitraum ist. Lieber eine sorgfältige Prüfung nach allen Seiten, sage ich Ihnen, als eine übergroße Hast, die letztendlich nur politisch genutzt werden soll. Mein Hinweis geht auch an die Grünen, zu bedenken, daß hier eine sorgfältige Prüfung nicht ausgeschlossen ist. Daß Recht und Gesetz für alle Parteien zu gelten haben, ist für mich eine klare Sache. Ich verstehe als betroffener Abgeordneter - wie viele andere auch - diese plötzliche Hektik nicht. Wir haben Zeit. Tagebaue sind auf 50 Jahre angelegt. Die Erschließung von Tagebauen dauert oft über 10 Jahre. Jetzt auf einmal kommt alles auf ein paar Monate an. Ich halte das nicht für in Ordnung. In Wirklichkeit ist das sachlich gar nicht gerechtfertigt; denn es geht Ihnen um rein politische Angelegenheiten. Ich bitte alle politisch Verantwortlichen, sich wieder der Sache zuzuwenden. Dann wird man im Rahmen des Rechtes und des Gesetzes eine vernünftige Lösung finden. Das ist auch eine Bitte an RWE und Rheinbraun. Auch sie können zu Ruhe und zur Versachlichung beitragen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001520, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Vosen, ich bin mit Ihnen der Meinung, daß die Fragen, um die es hier ging, ruhig und sachlich geprüft werden mußten. Deswegen sind 100 Gutachten erstellt worden, davon 67 allein zur wasserrechtlichen Frage. Herr Clement hat vorgetragen, er wisse nicht, was noch zu prüfen sei; auch deswegen waren wir alle so verblüfft, daß als „Besänftigungsgeld" noch 2 Millionen DM für zwei weitere Gutachten hinterhergeworfen werden mußten. Um die durchzusetzen, mußte Johannes Rau, wie wir alle im Fernsehen sehen konnten, sogar sagen: Wenn ihr das nicht macht, trete ich zurück. - Ich meine, 2 Millionen ist schon nicht schlecht. Ich wollte Ihren Minister Clement vor dem Vorwurf des Rechtsbruchs in Schutz nehmen. Ich wollte meine Zustimmung zum Ausdruck bringen, daß jetzt die entscheidenden Fragen geklärt sind, so daß jetzt dem Investor gesagt werden soll: Investiere die 20 Milliarden DM, damit 50 000 Arbeitsplätze geschützt, gesichert und ausgebaut werden können. ({0}) Sie kennen doch alle öffentliche Erklärungen unserer grünen Kollegen, in denen gesagt wird, daß man Garzweiler nicht akzeptieren könne, daß man nur in der Koalition bleibe, um das Projekt kaputtzumachen, nicht um zu prüfen. Wie wollen Sie denn gemeinsam miteinander arbeiten, wenn Ihr Regierungschef und Parteivorsitzender den Bergleuten sagt: Ich verspreche es kommt, und die sagen: Wir bleiben nur in der Koalition, um es kaputtzumachen? Das ist doch keine seriöse Politik! Darauf wollte ich hinweisen. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Hustedt, ich muß Ihnen sagen, daß es in diesem Hause nicht üblich ist, sich wechselseitig den Vogel zu zeigen. Lassen Sie das bitte! Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Michael Meister, CDU/CSU.

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Henen! In der Regierungserklärung von Frau Bundesministerin Dr. Merkel heute morgen ist deutlich geworden, daß die Bundesrepublik in Moto eindeutig eine Führungsrolle hatte. Das ist hier von allen Fraktionen in der Aussprache bestätigt worden. Wenn man dann von Frau Kollegin Mehl hört, daß bei dieser Bewertung im Ausland ab und an Schmeichelei dabei sei, dann, so glaube ich, widerspricht dem der Punkt, mit dem wir unsere Sitzung heute morgen begonnen haben, eindeutig. Daß nämlich der Kollege Töpfer in eine Funktion bei den UN berufen worden ist, um dort eine zentrale Rolle im Bereich der weltweiten Umweltpolitik zu übernehmen, ist nicht nur für ihn eine Auszeichnung, sondern ist auch Anerkennung, Hoffnung und Vertrauen in die Arbeit der Bundesrepublik Deutschland auf dem Sektor der Umweltpolitik. ({0}) Das ist nicht als Schmeichelei abzutun; das ist ein Faktum, mit dem wir arbeiten und das wir auch international in die Waagschale werfen sollten. ({1}) Herr Kollege Schmitt vom Bündnis 90/Die Grünen hat die Welt in Gute und Böse eingeteilt. Mit den Guten sollten wir den Dialog führen, mit den Bösen sollten wir nicht sprechen. - Ich glaube, das ist der falsche Ansatz. Wir sollten nicht mit der Arroganz in der Welt herumlaufen, zu sagen: Die einen sind die Guten, die anderen sind die Bösen. Vielmehr sollten wir unseren Beitrag in der Bundesrepublik Deutschland leisten, was wir immerhin mit einem Einsparvolumen von über 10 Prozent in den vergangenen Jahren getan haben. Und dann sollten wir mit allen anderen den Dialog führen, so daß sie mit uns gemeinsam dieses internationale Problem angehen und lösen. Heute morgen wurde hier der Verkehrssektor angesprochen. Wir haben generell - der Kollege Lippold hat es erwähnt - gesagt, daß wir Umwelt- bzw. Klimaschutz durch Innovationen wollen. Ich selbst gehöre der Enquete-Kommission „Neue Medien" an. Wir verfolgen hier zum Beispiel das Projekt „Telematik", um durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien" Verkehr zu verringern und Mobilität zu erhöhen. Ich glaube, daß an diesem Beispiel deutlich wird, wie man sehr wohl durch Innovation Umweltschutz betreiben kann - eben nicht nur durch Ordnungspolitik und nicht nur dadurch, daß man ständig höhere Abgaben und Steuern fordert. Ich glaube, das wir auch mit dem seit wenigen Tagen in Kraft gesetzten Baugesetzbuch in der Raumordnungspolitik einen Gedanken implementiert haben, mit dem versucht wird, Arbeit, Wohnen und Freizeit zusammenzuführen und damit Mobilität zu verringern. Das ist ein ganz wichtiger Fortschritt, der jetzt, ab dem Jahre 1998, Wirkung zeigen wird. Dies ist etwas, was hier in der Debatte viel zu kurz kommt und ausgeblendet wird. ({2}) 1996 hat der Bundestag ein Aktionsprogramm zur Mobilisierung des CO2-Einsparpotentials im Gebäudebereich beraten und beschlossen. Viele der Maßnahmen, die wir der Regierung damals angetragen haben, sind jetzt im IMA-Bericht aufgegriffen worden. Wir haben im Gebäudebereich bereits ein Sechstel der Emissionen im Vergleich zum Jahr 1987 reduziert. Wenn wir neue Maßnahmen angehen, wird natürlich immer die Frage gestellt, wie es dabei mit der Wirtschaftlichkeit aussieht. Ich möchte sagen, daß sich die Kollegen der F.D.P.-Fraktion in diesem Punkt ein großes Verdienst erworben haben. Der Kollege Braun hat zu einem Hearing eingeladen und ausgeleuchtet, wie Investitionen in Umweltschutzmaßnahmen vor dem Hintergrund der Wirtschaftlichkeit aussehen. Bei dem Hearing kam heraus, daß man die Frage der Betriebskosten viel stärker ins Auge fassen muß. Bisher wird immer sehr stark auf die Investitionskosten abgehoben, während die Betriebskosten unbeachtet bleiben. Was wir alle bisher noch nicht geleistet haben - dazu könnten wir durch diese Debatte einen Anreiz geben -, ist, alle Beteiligten in der Wirtschaft darauf aufmerksam zu machen, daß wir nicht nur die Investitionskosten, sondern die Kosten der gesamten Lebensdauer eines Objekts betrachten. Ich bin Mitglied des Bauausschusses. In diesem Ausschuß wird das besonders deutlich; denn wir haben es dort mit Objekten zu tun, die eine Lebensdauer von 50 Jahren und mehr haben. Das heißt, Investitionen, die heute getätigt werden, werden über eine sehr lange Zeit abgeschrieben. Damit verbindet sich aber auch eine riesige Chance. Heute morgen wurde viel von Senken gesprochen. Ich glaube, wir haben gerade bei den Baumaterialien eine große Chance, CO2 aufzunehmen, zu binden und einzusparen, wenn wir den Bausektor dahin gehend entwickeln, daß solche Materialien eingesetzt werden, die CO2 binden. Wir können also nicht nur in der Beheizung und der Energieversorgung der Gebäude, sondern bereits in der Anlage der Gebäude etwas tun. Ich kann nicht nachvollziehen, daß der Kollege Müller als einer der ersten Sprecher in der Debatte beklagt hat, daß die neuen Bundesländer nicht wesentlich zur Reduktion der CO2-Emissionen beigetragen haben. In den neuen Bundesländern wurden seit 1990 3 Millionen Wohnungen wärmetechnisch saniert. Was ist denn schlecht daran, daß wir 3 Millionen Wohnungen in den neuen Bundesländern - in diesen Wohnungen wohnen etwa 9 Millionen Menschen - wärmetechnisch besser ausgestattet haben, so daß ein Einzelnachweis für den Energieverbrauch möglich ist und kein Wind mehr durch die Fugen der Plattenbauten weht? Ich glaube, hier wurden wesentliche Fortschritte erzielt. Diese müssen wir auch positiv darstellen und dürfen sie nicht schlechtreden. ({3}) Wir haben in der Enquete-Kommission, der der Kollege Lippold vorsaß, das Dreiliterauto propagiert. Im Baubereich müssen wir - ich will es vorsichtig formulieren - das „Siebenliterhaus" propagieren. Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, daß wir einfache Parameter durch die neue Energieeinsparverordnung bekommen. Wir müssen dem einzelnen Bürger durch Fördermaßnahmen an einem begreifbaren Parameter klarmachen, was eine solche Reduzierung für sein Haus bedeutet. Mit dem Energiepaß sind wir auf dem richtigen Weg. Im Paß sollte lediglich eine einfache Kennziffer stehen, die jeder Normalbürger versteht und nicht nur in Expertenkreisen diskutiert werden kann. Wir wollen das gemeinsam, und wir werden das zum Beginn des nächsten Jahres gemeinsam umsetzen. ({4}) Vorhin habe ich über die Ordnungspolitik gesprochen. Wenn wir über ordnungspolitische Maßnahmen und Anregungen reden, ist es nicht damit getan, daß wir in Bonn Gesetze beschließen und uns mit den Vertretern des Bundesrates darauf einigen. Dazu gehört auch, daß solche Gesetze umgesetzt werden. Die Umsetzung, die Ausführung dieser Gesetze wird nicht dadurch erreicht, daß man in Sonntagsreden sagt, wir müssen das Klima und die Umwelt schützen, und in der Arbeit der Länderverwaltung - mit Ausnahme von drei Bundesländern - von Montag bis Freitag zum Beispiel die Prüfung einer Wärmeschutzverordnung vollkommen außer acht läßt. Hier fallen Handeln und Reden gewaltig auseinander. Es reicht nicht aus, in Sonntagsreden vom Klimaschutz zu reden und diesen in der täglichen Arbeit vollkommen auszublenden. Bitte gehen Sie dorthin, wo Sie Verantwortung tragen. Fordern Sie diejenigen auf, die als Länderbauminister und Länderumweltminister tätig sind, ihre Kontrollfunktion wahrzunehmen und das, was heute bereits Recht und Gesetz ist, in die Praxis umzusetzen. ({5}) Es reicht nicht aus, nur an die Verantwortlichen in den Ländern und Kommunen zu appellieren. Wir müssen ebenso deutlich machen, daß die Wirtschaft selbst ein Interesse daran haben muß, die Klimapolitik umzusetzen. Wir haben zum Beispiel durch das KfW-Programm 5 Milliarden DM zur Verfügung gestellt, um die Schaffung von Arbeitsplätzen und Investitionen anzuschieben. Es ist notwendig, daß das von Architekten, Planern und Handwerkern begriffen wird, daß eine Gemeinschaftsaktion zustande kommt, bei der nicht nur die Politik Vorgaben macht, sondern bei der deutlich wird, daß von ihr positive Impulse für Arbeitsplätze, Wirtschaft und Konjunktur ausgehen können. Deshalb sollten wir die Umwelt- und Klimadebatte nicht nur mit Blick auf die Frage „Wie können wir zu höheren Belastungen für die Wirtschaft kommen?" führen, sondern sie vielleicht auch als Gemeinschaftsaktion „Wie können wir über die Umweltpolitik positive Impulse für die Wirtschaftspolitik und die Schaffung von Arbeitsplätzen geben?" verstehen. Das sei mein Appell zum Abschluß. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Dr. Liesel Hartenstein, SPD.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute über Kioto und nicht über Garzweiler. ({0}) Herr Kollege Paziorek, wenn ich Sie nicht so lange kennen würde, hätte ich geglaubt, Sie hätten sich in der Saaltür geirrt. Ich denke, das gilt auch für Herrn Möllemann. Wir sollten das Jahr 1998 in diesem Hause nicht mit Reden dieses Stils füllen. ({1}) Damit wird dem Klimaschutz nicht gedient - und schon gar nicht dem Ansehen des Deutschen Bundestages. ({2}) Zurück zu Kioto. Es wird Sie nicht verwundern, daß ich die euphorische Beurteilung von der Regierungsbank und von der Koalition nicht teilen kann. Mißt man die Ergebnisse an den kümmerlichen Vorschlägen, mit denen namhafte Industrieländer, beispielsweise die USA, in die Verhandlungen gegangen sind, nämlich mit einer Null-Option, dann könnte man tatsächlich von Fortschritt oder gar von Erfolg reden, allerdings nicht von einem Meilenstein, wie Frau Minister Merkel dies getan hat. ({3}) Mißt man Kioto jedoch an den tatsächlichen Herausforderungen, nämlich an der Jahrhundertaufgabe, den drohenden Klimakollaps zu verhindern, dann muß man sagen, daß die 160 Teilnehmerländer kläglich versagt haben, voran die Industrieländer. ({4}) Die Klimakonferenz von Toronto hat die Meßlatte schon vor zehn Jahren weit höher gelegt. Wenn das Weltklima stabil bleiben soll, müßten die CO2-Emissionen bis 2005 global um 20 Prozent und bis 2050 um 50 Prozent gesenkt werden. Davon ist heute keine Rede mehr, und dies, obwohl wir bereits Zeugen hochdramatischer Entwicklungen sind. Nicht nur, daß 1997 das wärmste Jahr seit Beginn der Klimaaufzeichnungen ist, auch die Nachricht, daß in Alaska bereits die Permafrostböden auftauen und Straßen abzusacken beginnen, muß doch alarmieren. Eigentlich müßte jedem klar sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß eine gemeinsame Kraftanstrengung dringend not tut. Statt dessen standen in Kioto leider auf weiten Strecken kurzsichtige Schuldzuweisungen zwischen Nord und Süd und auch ein erbärmliches Feilschen um nationale Vorteile im Vordergrund. Es ist wahr, daß China seine Kohleverstromung seit 1980 praktisch verdoppelt hat. Es ist wahr, daß dieses Land mit 1,2 Milliarden Einwohnern heute bereits 14 Prozent der globalen CO2-Emissionen verursacht. Aber es ist ebenso wahr, daß noch immer die Industrieländer 80 Prozent der klimaschädlichen Emissionen erzeugen und daß allein die USA für ein Viertel des Ausstoßes verantwortlich sind. ({5}) Deshalb ist die zwingende Schlußfolgerung, daß nur dann, und erst dann, wenn die Industrieländer vorangehen mit Einspartechnologien, mit neuen Verkehrssystemen, mit einer breiten Nutzung regenerativer Energien, kurz: wenn sie zeigen, daß man auch mit der Hälfte des Energieverbrauchs komfortabel leben kann, auch die Entwicklungsländer diesen Weg einschlagen werden. Das ist der Dreh- und Angelpunkt einer sich bedrohlich zuspitzenden Lage im Nord-Süd-Konflikt. Wir sind schlecht beraten, meine Damen und Herren, die ärmeren Länder zuerst auf unser verschwenderisches Entwicklungsmodell einzuschwören, um ihnen dann zu sagen: Jetzt müßt aber ihr kürzertreten! So geht das nicht. ({6}) Hier herrscht eine riesige Glaubwürdigkeitslücke auf seiten der Industrieländer, die geschlossen werden muß. Internationale Verhandlungen sind ein mühsames Geschäft; das ist bekannt. Ich möchte mich deshalb hier besonders um eine gerechte Bewertung bemühen und will zwei Dinge positiv hervorheben. Erstens. Obgleich - wie schon gesagt - das notwendige Ziel bei weitem verfehlt wurde, ist ein konDr. Liesel Hartenstein kretes Ergebnis herausgekommen. Das ist trotz allem ein Fortschritt. Zweitens. Zu diesem Ergebnis hat die EU wesentlich beigetragen. Zu diesem Ergebnis hat auch Frau Ministerin Merkel durch ihr hartnäckiges Eintreten für klare Zahlen und Reduktionsfristen wesentlich beigetragen. Das soll ausdrücklich anerkannt werden. ({7}) Damit ist ein Anfang gemacht. Das Erreichte darf aber nicht durch hemmungsloses Ausnutzen von Emissionsrechten und durch einen weltweiten Kuhhandel zur Anrechnung von Wäldern als CO2-Senken wieder ausgehöhlt werden. Damit könnte schnell alles zunichte gemacht werden. Wir fordern Sie deshalb eindringlich auf, Frau Dr. Merkel, diesen Tendenzen bei den weiteren Verhandlungen einen kräftigen Riegel vorzuschieben. Freilich - das muß auch gesagt werden; denn es ist die andere Seite der Medaille -, das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland wäre auch in Kioto noch ungleich größer gewesen, wenn wir unsere nationalen Hausaufgaben gemacht hätten. Aber genau das haben wir nicht getan. ({8}) Der schon 1990 gefaßte Beschluß über ein Reduktionsziel von 25 Prozent ist bekannt. Aber, meine Damen und Herren, das Versprechen des Bundeskanzlers, die CO2-Emissionen bis 2005 um 25 Prozent zu reduzieren, ist so glaubwürdig wie das Versprechen, die Arbeitslosenzahlen bis zum Jahr 2000 zu halbieren. Das ist vor zwei Tagen zurückgenommen worden. ({9}) - Ich weiß das, Herr Repnik. Frau Merkel hat selber im November gesagt, daß die jetzt ergriffenen Maßnahmen nur zu einer Reduzierung um 15 bis 17 Prozent führen würden. Deswegen hat man eilends vor Kioto im Kabinett noch einen Maßnahmenkatalog beschlossen. Aber damit wird es nicht gelingen, die große Lücke bis 25 Prozent aufzufüllen; denn der Punkt ist doch, daß wir uns nicht mit noch so vielen marginalen Maßnahmen an strukturellen Veränderungen vorbeimogeln können. Aber genau dies wird von seiten der Bundesregierung immer wieder versucht: Hier wird Aktivität um der Aktivität willen entfaltet. Das buchhalterische Aufrechnen von 150 oder noch mehr Maßnahmen ist eher ein Zeichen von Hilflosigkeit. Es ersetzt keine Grundsatzentscheidungen für ein Umsteuern in der konkreten Verkehrs-, Energie-, Wirtschaftspolitik usw. ({10}) Wir brauchen - man muß es immer wiederholen - die oft versprochene und vielbeschworene Wende zur Nachhaltigkeit, also zu einer ökologischen und sozial verträglichen Wirtschaftsweise, kurz, die Erfüllung des Imperativs von Rio. Ich erinnere daran, daß auch diese Bundesregierung die Rio-Deklaration von 1992 unterschrieben hat. Warum hält sie sich nicht daran? ({11}) Deutschland hat eigentlich alle Voraussetzungen, um eine neue Politik einzuleiten. Es fehlt erstens nicht an Wissen. Es fehlt zweitens nicht an technischem Know-how. Es gibt hochqualifizierte Techniker und Erfinder, und sie haben längst die Wege gewiesen, daß wir zum Beispiel bis zum Jahre 2010 mindestens 12 Prozent unseres Energiebedarfs aus regenerativen Energien schöpfen können. Warum gibt es hier keinen Push und keine Initiative? Es fehlt drittens nicht an Umweltbewußtsein. Viertens ist heute nicht mehr bestreitbar, daß ökologische Erneuerung Arbeitsplätze schafft. Hier werden Sie auch bei den Gewerkschaften auf offene Ohren treffen. ({12}) Nein, was fehlt, ist lediglich die Einsicht der Regierenden selbst. Es fehlen der Wille und der Mut zum politisch verantwortlichen Handeln. Seien wir doch ehrlich: Die Stolpersteine liegen schon im Bundeskabinett. Solange die Herren Minister Rexrodt, Wissmann und Borchert nicht bereit sind, die Weichen in ihren Ressorts neu zu stellen, solange vor allem die Unterstützung des Bundeskanzlers ausbleibt, so lange kann sich die Umweltministerin noch so emsig und redlich abmühen; den entscheidenden Sprung schafft unser Land nicht. Nehmen wir das bereits angesprochene Beispiel Verkehr, eine der größten Schwachstellen. Die Emissionen allein aus dem Verkehrssektor werden von 1990 bis 2010 um knapp 40 Prozent ansteigen, wenn keine einschneidenden Maßnahmen ergriffen werden. Es ist fast grotesk, daß der Bundesverkehrsminister lauthals dekretiert, das Verkehrssystem dürfe ja nicht „zum Engpaßfaktor wirtschaftlicher Entwicklung " werden, und prompt einen schnelleren und zügigeren Ausbau des Straßensystems fordert, gleichzeitig aber sein Staatssekretär sagt, wir stünden damit bereits an der Spitze aller Staaten Europas. Auf den umgekehrten Schluß kommt offenbar der BMV nicht, daß nämlich der vorrangige und zügige Ausbau eines europäischen Schnellbahnsystems ({13}) mitsamt der Einrichtung hochmoderner Containerterminals, die kurze Umschlagszeiten ermöglichen und einen großen Teil des Güterferntransports - wir sind ja Transitland - auf die Schiene ziehen könnten, der richtigere Weg wäre. Das wäre eine wirkliche europäische Option für das 21. Jahrhundert. Hierbei haben Sie unsere volle Unterstützung. Es ist fast unnötig zu sagen, daß im regierungsamtlichen Maßnahmenkatalog gerade die entscheidenden Instrumente für den Klimaschutz wie die ökoloDr. Liesel Hartenstein gische Steuerreform, die Anhebung der Energiesteuern bei gleichzeitiger Senkung der Lohnnebenkosten und die Besteuerung des Flugbenzins nur zaghaft angesprochen werden. ({14}) Hier sind die wichtigen Schaltknöpfe, die man betätigen muß, wenn man den Klimaschutz wirklich voranbringen will. Dem Stillstand auf Bundesebene - das darf nicht unerwähnt bleiben - steht eine höchst erfreuliche Bewegung auf kommunaler Ebene gegenüber. Wenn überhaupt irgendwo, dann hat man in den Kommunen begriffen, wo der Weg langgehen muß. Viele sind dabei, die lokale „Agenda 21" mit ihren zugegebenermaßen beschränkten Mitteln schrittweise umzusetzen. Ich könnte eine ganze Reihe von Städten nennen, tue dies aber aus Zeitgründen nicht. Dies sind aber brachliegende Aktionsfelder: etwa der Bau von Windkraftanlagen, der Ausbau der Fernwärmeversorgung und der Kraft-Wärme-Kopplung, die Wärmedämmung in Gebäuden, die Förderung der Photovoltaik und die Verwertung von Deponiegas. Man muß fragen, warum diese brachliegenden Aktionsfelder nicht bundesweit systematisch besser genutzt werden. ({15}) Unser Antrag formuliert die unbedingt notwendigen Forderungen, nämlich erstens das Festhalten am europäischen Klimaschutzziel einer Reduzierung um 15 Prozent und zweitens die Forderung, ein nationales Klimaschutzgesetz zu beschließen und damit eine schon 1990 beschlossene Selbstverpflichtung zu erfüllen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Werfen Sie bitte zwischendurch einen Blick auf die Uhr.

Dr. Liesel Hartenstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000815, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. Ich habe sie im Auge und bin gleich fertig. - Dies wäre ein Fitneßprogramm für das 21. Jahrhundert. Zugleich würde es uns die Chance eröffnen, bei Zukunftstechnologien wieder die Nase vorn zu haben. Dorthin muß der Weg gehen. Danke schön. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Norbert Rieder, CDU/CSU.

Prof. Dr. Norbert Rieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001841, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich wie immer Aufgabe der Opposition, das zu kritisieren, was die Regierung tut. Aber es ist auch Aufgabe der Opposition, konstruktive Vorschläge zu machen. ({0}) Es war interessant zu hören, daß der eine oder andere Redner bzw. die eine oder andere Rednerin der Opposition nur dieser ersten Aufgabe nachgekommen ist. Frau Hustedt, das gilt leider für Sie. Vielleicht haben Sie aber mit Ihrem Kollegen Schmidt Arbeitsteilung gemacht, denn er hat die zweite Aufgabe, die der positiven Kritik, gut erfüllt. ({1}) Sie haben leider nur kritisiert. Ich muß dies so anmerken. Es war nicht gut. Aber insgesamt hat diese Debatte gezeigt, daß wir in der Klimapolitik in vielen Dingen quer durch alle Parteien im Prinzip einer Meinung sind, nicht in allen Einzelheiten, aber in Grundzügen. Alle Parteien und die Bundesregierung haben hier eindeutig betont, daß sie an dem Ziel der Reduktion der Treibhausgase um 25 Prozent, gemessen an dem Basisjahr 1990, festhalten wollen und werden. Dies ist ausdrücklich festzuhalten und äußerst wichtig. Damit haben wir weltweit - auch das ist von verschiedenen Rednern, auch seitens der Opposition, deutlich bemerkt worden - das ehrgeizigste Ziel. Mit diesem Ziel haben wir gleichzeitig erreicht, die Europäische Union auf ein im Weltmaßstab immer noch ehrgeiziges - wenn auch weniger ehrgeizig als unseres - Ziel festzulegen. Daß wir weltweit noch nicht das geschafft haben, was wir alle uns wünschen und was wir national machen werden, ist natürlich bedauerlich. Trotzdem muß man die Gefechtslage bedenken und zugeben, daß das, was in Kioto erreicht worden ist, ein Erfolg war, der weit über das hinausgeht, was man erwarten konnte. Man muß dies in aller Deutlichkeit sagen. Daß dieser Erfolg so zustande gekommen ist, ist einer ganzen Reihe von Dingen zu verdanken. Das ist unter anderem dem Geschick unserer Verhandlungsdelegation, also den Beamten zu verdanken, die auch im Vorfeld viele Stunden, Wochen und Monate, auch viel ihrer Freizeit, investiert haben und die in Kioto Hervorragendes geleistet haben. Dies muß ausdrücklich erwähnt werden. ({2}) Es müssen aber auch ausdrücklich die NGOs erwähnt werden, die nicht nur in Kioto, sondern auch davor in unser aller Sinne Hervorragendes geleistet und großartig mitgearbeitet haben. Sie haben das ganz prima gemacht. Ein bißchen muß man vielleicht auch den Parlamentariern danken, die allen Problemen und allen parteilichen Disputen zum Trotz in dieser Frage zumindest nach außen hin sehr einheitlich agiert haben. Ich erinnere mich - das muß ich offen sagen - mit großem Vergnügen an eine Reise in die USA vor einigen Jahren. Wir wissen, die USA sind beim Klimaschutz das Hauptproblem; sie sind heute schon genannt worden. Jetzt sehe ich dich, liebe Kollegin Ulrike Mehl, und dich, liebe Kollegin Dagmar Enkelmann, an. Wir drei und noch ein paar andere, die jetzt nicht da sind, waren schon vor Jahren in den USA, zu einer Zeit, als wir alle auf die Regierung Clinton/Gore die große Hoffnung gesetzt haben, daß wir einen gewichtigen Partner haben werden, der uns hilft, die gemeinsamen, weltweiten Probleme besser zu lösen. Ich erinnere mich, daß ich in diesem Plenum in der letzten Legislaturperiode einmal gesagt habe: Weltweit gibt es nur zwei, die den Umweltschutz, den Klimaschutz als Umweltpolitiker wirklich voranbringen, das sind Klaus Töpfer und Al Gore. Leider Gottes mußten wir lernen, daß man die Reihe dieser Namen auf einen reduzieren mußte. Gott sei Dank ist ein neuer zweiter Name dazugekommen, nämlich Angela Merkel. Man muß in aller Deutlichkeit sagen, daß sie mit ungeheurem Geschick, mit Charme und darüber hinaus mit ungeheurem Wissen die Diskussionen weitergetrieben hat. Sie gehört nicht zu denen, Frau Hustedt, die irgend jemandem mit dem Hammer vor den Kopf hauen und glauben, er würde dann in ihrem Sinne agieren. Das muß man, glaube ich, lobend erwähnen. Frau Merkel gehört zu denen, die mit den Menschen vernünftig reden und auf diese Weise sehr viel mehr erreichen, als wenn sie irgendwelche mehr oder weniger pressewirksamen Mitteilungen von sich geben. ({3}) Das macht sie auch im nationalen Rahmen. Ich habe Angela Merkel bis jetzt in derartig vielen Verhandlungen erlebt, daß ich wirklich sagen kann: Ich kenne kaum jemanden, der solche Verhandlungen mit so exzellentem Geschick führt. Wir haben mit Angela Merkel und Klaus Töpfer wirklich zwei Schwergewichte in der internationalen Debatte, die das Ganze so viel weitergetrieben haben, wie es kaum jemand anderer, wahrscheinlich niemand anderer geschafft hätte, außer unserem in jedem Wortsinn größten Schwergewicht, nämlich dem Bundeskanzler. Ich erinnere nur an Berlin. Es ist noch nicht lange her. Das Ergebnis von Berlin wäre ohne ihn nicht zu erreichen gewesen. ({4}) Das heißt, wir haben mehr erreicht, als angesichts der interntionalen Gefechtslage zu erwarten war. Daß wir aber, auch in den nächsten Verhandlungen, noch eine ganze Menge erreichen müssen, steht außer Zweifel. Wir können als Parlament hierzu beitragen, indem wir uns über die Gemeinsamkeiten einigen und sie vorwärtszutreiben versuchen. Es sind eine ganze Menge Punkte, die auch heute angeklungen sind. Wir müssen uns zum Beispiel bei der Debatte um die Senken einklinken. Dies wird eine äußerst schwierige Debatte werden. Ich kenne einige hier im Parlament - ich sehe meine Kollegin Mehl, die hierzu einiges beizutragen hat -, die bereit sind, diese Diskussion zu begleiten, damit etwas Brauchbares herauskommt. Auch Sie, Herr Schmidt, haben darauf hingewiesen, daß es eine äußerst komplexe Materie ist. Wir müssen bei der Lösung der Senkenproblematik weiterkommen, denn sonst können wir uns der Waldproblematik, die weltweit eine ganz andere ökologische Dimension hat, nicht in dem Maße widmen, wie wir es wollen. Beides muß in der Debatte verbunden behandelt werden. Wir sollten es uns als Parlament nicht nehmen lassen, uns in diese Diskussion einzuklinken. Wir müssen uns natürlich auch in die Debatte um die Treibhausgase einklinken. Herr Müller, es ist klar, dies betrifft nicht nur die sechs Gase, über die jetzt verhandelt wird, sondern es sind ein paar mehr. Aber die Schwierigkeit ist - das wissen auch Sie -, daß es methodisch manchmal leichter ist, Gas für Gas als über ein Bündel zu verhandeln. Das ist die große Schwierigkeit. Um die Sache methodisch zu vereinfachen, hat deshalb die EU zunächst nur über drei Gase verhandelt. Es wurden dann in Kioto sechs, was die Diskussion nicht vereinfacht hat. Wir müssen uns deswegen auch in die Debatte über die anderen Gase einklinken. Wir im Parlament sollten die Gemeinsamkeiten suchen, um auf diese Weise gemeinsam zu erreichen, was zu erreichen ist. Die Umwelt, das Klima hat es nötig. Laßt es uns gemeinsam machen! Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/9600 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/9411, 13/9254 und 13/9602 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur CO2-Minderung durch Energieeinsparung im Gebäudebereich; das ist die Drucksache 13/8967. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7241 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 r sowie die Zusatzpunkte 3 und 4 auf: 4 a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts der Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Zehnter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung - Drucksachen 13/3342, 13/9309 -Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Winfried Pinger Dr. Uschi Eid b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Ingomar Hauchler, Brigitte Adler, Robert Antretter, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache 13/2223 - ({1}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({2}) - Drucksache 13/7993 - Berichterstattung: Abgeordnete Michael Wonneberger Dr. Ingomar Hauchler Roland Kohn c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Schmitt ({3}), Dr. Uschi Eid und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ablehnung einer Weltbankbeteiligung am Tschad/Kamerun Öl- und Pipeline Projekt - Drucksache 13/8321 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Alois Grad von Waldburg-Zeil, Karl Lamers, Dr. Winfried Pinger und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Ulrich Irmer, Roland Kohn und der Fraktion der F.D.P. Afrikapolitik: Für Frieden und Entwicklung - Drucksachen 13/6717, 13/7869 -Berichterstattung: Abgeordnete Alois Graf von Waldburg-Zeil Joachim Tappe Dr. Helmut Lippelt e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker, Dr. Ingomar Hauchler, Horst Sielaff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gezielte Politik zugunsten der Entwicklungsländer durch die Europäische Union und Abbau der Subventionierung von Agrarexporten - Drucksachen 13/3903, 13/7944 - Berichterstattung: Abgeordnete Armin Laschet Brigitte Adler Wolfgang Schmitt ({6}) Dr. Irmgard Schwaetzer f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Adler, Dr. Ingomar Hauchler, Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Intensivierung der Agrarförderung in den Entwicklungsländern - Sicherung der Welternährung und Beitrag zur Bewältigung globaler Probleme - Drucksachen 13/5143, 13/7945 -Berichterstattung: Abgeordnete Marlies Pretzlaff Brigitte Adler Wolfgang Schmitt ({8}) Dr. Irmgard Schwaetzer g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({9}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Wolfgang Schmitt ({10}), Dr. Angelika Köster-Loßack und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deutsche Afrikapolitik - Solidarität mit den Menschen Afrikas ist notwendig - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Joachim Tappe, Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Deutschlands Verantwortung für Subsahara Afrika - Drucksachen 13/6581, 13/6725, 13/7974 -Berichterstattung: Abgeordnete Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. R. Werner Schuster Dr. Irmgard Schwaetzer h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({11}) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose - zu dem Antrag der Abgeordneten Marlies Pretzlaff, Dr. Winfried Pinger und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Roland Kohn und der Fraktion der SPD Zur Überwindung von Kinderarbeit in Entwicklungsländern beitragen - zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bekämpfung der Kinderarbeit in der Welt - Drucksachen 13/6716, 13/6732, 13/8108 -Berichterstattung: Abgeordnete Marlies Pretzlaff Gabriele Fograscher Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Irmgard Schwaetzer i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({12}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Adelheid Tröscher, Joachim Tappe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Förderung der Medien im südlichen Afrika - Drucksachen 13/6726, 13/8387 - Berichterstattung: Abgeordnete Alois Graf von Waldburg-Zeil Gabriele Fograscher Dr. Irmgard Schwaetzer j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Willibald Jacob, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Schuldenerlaß für Forderungen aus Geschäften der DDR mit 29 Staaten der Dritten Welt - Drucksachen 13/6719, 13/8417 - Berichterstattung: Abgeordnete Jochen Feilcke Adelheid Tröscher Wolfgang Schmitt ({14}) Roland Kohn k) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({15}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Willibald Jacob, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Bilateraler Schuldenerlaß für die am wenigsten entwickelten Staaten - Drucksachen 13/6720, 13/8418Berichterstattung: Abgeordnete Jochen Feilcke Adelheid Tröscher Wolfgang Schmitt ({16}) Roland Kohn 1) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({17}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Pinger, Jochen Feilcke, Dr. Bernd Klaußner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Roland Kohn, Jürgen Koppelin und der Fraktion der F.D.P. Selbsthilfeorientierte Armutsbekämpfung in der Entwicklungszusammenarbeit - zu dem Antrag der Abgeordneten Ingrid Becker-Inglau, Dr. Ingomar Hauchler, Dr. R. Werner Schuster, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Selbsthilfeorientierte Armutsbekämpfung in der Entwicklungszusammenarbeit - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Wolfgang Schmitt ({18}), Dr. Angelika Köster-Loßack und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reformbedarf der selbsthilfeorientierten Armutsbekämpfung in der Entwicklungszusammenarbeit - Drucksachen 13/6381, 13/3896, 13/7088, 13/9261 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Winfried Pinger Ingrid Becker-Inglau Dr. Irmgard Schwaetzer m) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({19}) zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Adler, Adelheid Tröscher, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Frauen und nachhaltige Entwicklungspolitik - Drucksachen 13/6738, 13/9266 -Berichterstattung: Abgeordnete Marlies Pretzlaff Brigitte Adler Dr. Irmgard Schwaetzer n) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({20}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Dr. Angelika Köster-Loßack, Wolfgang Schmitt ({21}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu den Großen Anfragen der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Dr. Angelika Köster-Loßack, Wolfgang Schmitt ({22}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Politik der Bundesregierung und entwicklungspolitische Ansätze zum Schutz der tropischen Wälder unter besonderer Berücksichtigung Brasiliens ({23}) - Drucksachen 13/1637, 13/1638, 13/3338, 13/4713, 13/9341- Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Christian Ruck Dr. Mathias Schubert Dr. Irmgard Schwaetzer o) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({24}) zu dem Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker, Dr. Ingomar Hauchler, Dr. R. Werner Schuster, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Entwicklungspolitisches Jugendprogramm „Solidarisches Lernen" - Drucksachen 13/4119, 13/9368 -Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Bernd Klaußner Reinhold Hemker Roland Kohn p) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({25}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker, Brigitte Adler, Horst Sielaff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Forderungen zum Welternährungsgipfel vom 13. bis 17. November 1996 in Rom - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Dr. Uschi Eid, Wolfgang Schmitt ({26}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Position der Bundesregierung zum Welternährungsgipfel vom 13. bis 17. November 1996 in Rom - Drucksachen 13/5809, 13/5964, 13/7021 - Berichterstattung: Abgeordneter Heinrich-Wilhelm Ronsöhr q) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dagmar Schmidt ({27}), Dr. Christoph Zöpel, Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Stärkung demokratischer Institutionen und der Rolle von Nichtregierungsorganisationen in den palästinensischen Autonomiegebieten - Drucksache 13/9249Überweisungsvorschlag: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({28}) Auswärtiger Ausschuß r) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Dr. Emil Schnell, Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für mehr Verstetigung, Flexibilität und Transparenz der Finanzierung deutscher Entwicklungszusammenarbeit ({29}) - Drucksache 13/9412 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried Pinger, Anneliese Augustin, Jochen Feilcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Roland Kohn, Dr. Irmgard Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P. Mikrofinanzierung als Mittel der Armutsbekämpfung - Drucksache 13/9601 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({30}) Auswärtiger Ausschuß ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Förderung der Nichtregierungsorganisation in der Entwicklungszusammenarbeit - Drucksache 13/9603 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Zum entwicklungspolitischen Bericht der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der SPD vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Widerspruch gibt es nicht. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Wolfgang Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bekämpfung der Armut in der dritten Welt, die Hilfe in akuten Hungersnöten und Katastrophen, die UnterDr. Wolfgang Schäuble stützung beim Aufbau tragfähiger wirtschaftlicher und sozialer Strukturen, bei Schuldenentlastung und Exportförderung, bei der Bewältigung des Bevölkerungswachstums, bei der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, beim Abb au von Fluchtursachen - das alles sind Themen, die uns alle angehen. Deshalb danke ich zunächst einmal allen, die sich innerhalb von Parlament und Regierung, aber auch außerhalb um diese Probleme in besonderer Weise kümmern. ({0}) An der Schwelle zum 21. Jahrhundert, in einer Zeit, in der das Wort „Globalisierung" in jedermanns Munde ist, schaffen dramatische Unterschiede in politischer, in wirtschaftlicher, in sozialer, in ökologischer Hinsicht weltweite Spannungspotentiale. Im übrigen kann niemand angesichts des Ausmaßes von Hunger, Not und Elend in unserer Welt achselzukkend beiseite stehen, ohne Schaden an seiner Seele zu nehmen. ({1}) Die Mobilität von Menschen und Informationen hat eigentlich schon zu den Zeiten der europäischen Entdecker und Eroberer eine der Ursachen für die tiefen Gegensätze und Konflikte gesetzt, die das Verhältnis sogenannter entwickelter und unterentwikkelter Weltregionen bis heute bestimmen. Es ist das Problem der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, des Nebeneinanders traditionaler und moderner Strukturen, Institutionen, Verhaltensformen in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, das im Kern den Entwicklungsproblemen der dritten Welt zugrunde liegt. Vielleicht konnte man sich bis vor nicht allzu langer Zeit in den Industrieländern zur Not damit beruhigen, daß die Folgen dieses konflikthaften Nebeneinanders ausschließlich die Menschen in der dritten Welt zu tragen hatten. Aber auch das hat sich geändert im Zeichen der Globalisierung, im Zeichen einer wachsenden politischen und wirtschaftlichen Verflechtung und Interdependenz, die die Welt zum globalen Dorf zusammenwachsen läßt, und in einer Zeit, in der Entfernungen immer leichter zu überwinden sind, Grenzen ihren trennenden Charakter verlieren, Information und Kommunikation weltweit ausgetauscht werden. Heute, in dieser Zeit, gehen die Entwicklungen in allen Teilen dieser Welt eben auch alle anderen unmittelbar an - das ist das Neue -: ökonomische genauso wie ökologische Entwicklungen, Fragen der Friedenssicherung genauso wie Fragen der innenpolitischen Stabilität oder der Kurssturz an den asiatischen Börsen genauso wie das unaufhaltsame Wandern der Sahelzone, die Proliferationsprobleme der GUS-Staaten ebenso wie der Terroranschlag von Oklahoma City. Immer wieder ist die Armut in der dritten Welt Ursache vieler Übel: von der Bodenerosion durch unzulängliche Landbewirtschaftung über die Ausbreitung von Infektionskrankheiten und den Drogenanbau und Drogenschmuggel bis hin zu Flüchtlings- und Wanderungsbewegungen. Heute sind wir eben auch in den entwickelten Industriegesellschaften von dieser Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen bedroht. Mehr noch: Heute droht unsere Gesellschaftsform mit ihren Verkrustungen und ihren zementierten Wohlstandsansprüchen auch ihrerseits aus dem Takt der weltweiten Entwicklungen zu geraten. ({2}) Wenn wir für das kommende Jahrhundert tragfähige Lösungen für viele Fragen finden müssen und wollen, Herr Kollege, werden wir viel stärker, als wir das bislang gewohnt sind, unsere Antworten darauf überprüfen müssen, ob sie im Zusammenhang mit Umwelt und Entwicklung auch globalen Maßstäben und Fragestellungen standhalten können. ({3}) - Ja, wir müssen uns gegenseitig beim Wort nehmen. Ich halte noch immer den Aufsatz Ihres Parteivorsitzenden mit der Überschrift „Der Standortwettbewerb ist keine Lösung" mit der Botschaft, daß wir möglichst Grenzen um uns herum ziehen sollen, um unsere eigenen Probleme so wenig wie möglich wahrnehmen zu müssen, für den genau falschen Ansatzpunkt. ({4}) - Wir müssen uns darüber verständigen, welches die richtigen und welches die falschen Wege sind. Das ist einer der falschen. ({5}) - Gut. Ich wollte gerne darauf hinweisen, daß solchen Entwicklungsländern, die ihre elementaren staatlichen Aufgaben aus eigener Kraft nicht erfüllen, die ihre Menschen nicht ausreichend ernähren, die die Folgen von Naturkatastrophen und Umweltschäden nicht beheben und gewaltsame Auseinandersetzungen nicht wirksam verhindern können, mehr und mehr Menschen den Rücken kehren und anderswo Zuflucht vor lebensbedrohenden Konflikten, Hunger und Elend suchen. Die Vereinten Nationen schätzen die Zahl der Bürgerkriegs- und Armutsflüchtlinge weltweit auf über 100 Millionen Menschen. Jährlich kommen über 10 Millionen Menschen dazu. Die meisten Flüchtlinge ziehen in die Nachbarländer, was dort häufig zusätzliche Spannungen auslöst. Aber ein wachsender Teil sucht zunehmend Zuflucht in der nördlichen Hemisphäre. Armut und Unterentwicklung haben Folgen für das ökologische Gleichgewicht auf dieser Erde. Deswegen macht es Sinn, daß wir diese Debatte unmitDr. Wolfgang Schäuble telbar im Anschluß an die vorangegangene führen. Man muß aber gleich hinzufügen: Zwar tragen noch immer die Industrieländer die Hauptverantwortung für Luftverschmutzung und Klimabelastung, für die Kontamination der Böden und die Verunreinigung der Gewässer, aber die Verödung der Böden durch extensive Landnutzung, die Vernichtung der Wälder durch Brandrodung und die Gefährung des Grundwassers sind inzwischen auch spezifische Probleme der dritten Welt, deren Auswirkungen auf die natürlichen Lebensgrundlagen ebenso gravierend sind wie das, was wir Industriegesellschaften in West und Ost der Umwelt zumuten. Genauso gibt es einen Zusammenhang von Armut, sozialer Ungleichheit und der Bereitschaft zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. 90 Prozent aller Kriege in den 50 Jahren seit dem zweitem Weltkrieg haben in Ländern der dritten Welt stattgefunden. Wenn wir also an der Schwelle zum 21. Jahrhundert wachsenden Spannungen auf dieser einen Erde entgegenwirken wollen, dann darf diese Welt nicht immer stärker in einen Teil von wachsendem Wohlstand und einen anderen Teil von immer ärmer Werdenden zerfallen. 800 Millionen Menschen auf dieser Erde sind unterernährt, hungern und verhungern. Hunger und Armut widersprechen unserem Verständnis von Menschenwürde und Menschenrechten. Deshalb muß der Kampf gegen die Armut im Zentrum stehen. Der Weg, den die Bundesregierung mit ihrer Entwicklungspolitik hierzu beschreitet, ist richtig; er hat sich auch bei unseren Partnern durchgesetzt: Schaffung geeigneter politischer und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen als Voraussetzung für unsere Entwicklungshilfe, also Beachtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit; eine sozial ausgerichtete Marktwirtschaft; Entwicklungsorientierung staatlichen Handelns; Hilfeleistung verstanden als Hilfe zur Selbsthilfe, um den Menschen die Chance zu geben, in absehbarer Zeit auf eigenen Füßen stehen zu können. Dabei werden vor allem die Faktoren Bildung und Ausbildung von ganz zentraler Bedeutung sein. Den Ländern der dritten Welt die Chance zur Selbsthilfe zu geben sagt sich übrigens leicht, aber noch immer und nicht überall machen wir ausreichend damit Ernst. Noch ist das Verhalten der Industrieländer nicht frei von Widersprüchlichkeit. ({6}) Welchen Sinn macht es beispielsweise, den hochverschuldeten Ländern der dritten Welt durch Schuldenerlaß und Umschuldung mit der einen Hand zu geben, was wir ihnen mit der anderen Hand durch Handelsrestriktionen wieder nehmen? ({7}) Es ist besser, den betroffenen Menschen die Chance zu geben, ihre Schulden aus eigener Kraft zurückzuzahlen, statt ihre Abhängigkeit zu prolongieren. Der freie Welthandel ist die beste Entwicklungshilfe, die sich denken läßt. Nun werden wir nicht von heute auf morgen - deswegen können wir uns darüber unterhalten - vom Unbefriedigenden zum Ideal kommen, sondern wir bewegen uns schrittweise dorthin. Beispielsweise war die vor vier Jahren erfolgreich abgeschlossene Uruguay-Runde des GATT ein Erfolg für die Länder der dritten Welt. Daß Deutschland maßgeblichen Anteil an diesem erfolgreichen Abschluß hatte, ist doch wohl ein Erfolg der Bundesregierung und auch ganz persönlich des Bundeskanzlers. ({8}) Aber noch immer bleiben Wünsche offen. Insbesondere im Bereich der nichttarifären Handelshemmnisse kennt, wie wir wissen, die Phantasie - übrigens auch in Europa - keine Grenzen. Gelegentlich vermag ja niemand mehr zu sagen, was noch legitimer Schutz vor unfairer Konkurrenz ist und wo bereits der blanke Protektionismus beginnt. Also müssen wir, wenn wir wachsender Kluft und wachsenden Spannungen entgegenwirken wollen, unsere eigenen Antworten auf politische, wirtschaftliche und soziale Fragestellungen zunehmend unter dem Gesichtspunkt prüfen, wie sie sich global auswirken und ob sie als Maßstab für globale Entwicklungen taugen. Wir müssen auch das weltweite Netzwerk gegen wachsende Spannungen stärken. Deshalb bleiben wir übrigens auf die institutionellen Möglichkeiten der Vereinten Nationen angewiesen: für weltweiten Dialog, für Konfliktvorbeugung und -begrenzung, für Entwicklungshilfe und Umweltschutz. Kritik an vielem, was sich in den Vereinten Nationen abspielt oder was sie nicht zustande bringen, kann doch nur zur Konsequenz haben, die Vereinten Nationen zu verbessern und sie zu stärken. Deshalb sind wir auch Klaus Töpfer dankbar, daß er eine so wichtige Führungsaufgabe im Rahmen der Vereinten Nationen übernimmt. Wir wünschen ihm dafür von Herzen alles Gute und für uns alle jeden Erfolg. ({9}) Weil aber staatliche Organisationen weder bei uns noch weltweit Probleme allein lösen können, müssen wir das Engagement der Menschen fördern - das der Betroffenen vor Ort ebenso wie das der Menschen in unseren Wohlstandsgesellschaften. Deshalb verdienen die Aktivitäten der Nicht-Regierungsorganisationen, der Kirchen, der politischen Stiftungen, der Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen unsere Unterstützung. Sie besitzen häufig intensivere Anschauungen von den Verhältnissen vor Ort, die Menschen vertrauen ihnen eher, und ihre Möglichkeiten, flexibel zu handeln, sind größer als die staatlicher Stellen. Bei uns vermögen sie die Menschen davon zu überzeugen, daß es auch unsere eigene Sache ist, was sich in den Entwicklungsländern abspielt. Wenn wir auf Freiheit, Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Toleranz für die Welt von morgen setzen, dann muß sich dies in der Entwicklungshilfe bewähren, wenn die Legitimität unserer Ordnung nicht Schaden leiden soll. Wir dürfen auch nicht der Versuchung nachgeben, aus einer Position vermeintlich überlegener Kultur und Zivilisation mit Arroganz oder Geringschätzung auf die Schwächeren in dieser Welt herabzublicken. Unser Ziel muß die gegenseitige Anerkennung sein, der faire Dialog der Kulturen und eben nicht ihr gewaltsamer Zusammenprall. Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, hilft uns dann auch im eigenen Lande. So zeigt sich schon wieder, daß im Zusammenwachsen dieser Welt nicht in erster Linie Gefahren und Risiken, sondern vor allem Herausforderungen und Chancen liegen. Nun weiß auch ich - die Kollegen, die sich darum in diesem Hause, in der Regierung und anderswo bemühen, wissen es noch besser -: Entwicklungspolitik betreiben bringt immer auch unvermeidlich mit sich, daß man sich zwischen die Stühle setzt. ({10}) Den einen ist alles, was wir tun, zuwenig - sie beklagen stagnierende Haushaltsansätze und mangelndes öffentliches Interesse -, und den anderen ist alles viel zuviel; ihnen erscheint die Entwicklungshilfe viel zu teuer, und sie sagen: Es nützt doch nichts; das ist hinausgeworfenes Geld. Ich glaube, die eine Kritik ist sowenig berechtigt wie die andere. Daß in einer aufs äußerste angespannten Haushaltslage auch die Entwicklungspolitik einen Beitrag zur Konsolidierung leisten muß, ist unvermeidlich. Im übrigen muß man in solche Betrachtungen doch wohl die ganz unvergleichlichen Leistungen der Bundesrepublik Deutschland für den Aufbau in Osteuropa und in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion einbeziehen, wenn man zu einem gerechten Urteil kommen möchte. ({11}) Es muß ja nicht unbedingt ein Nachteil sein, wenn die Bemühungen um Evaluierung von Entwicklungshilfeprojekten und um Effizienzsteigerungen in der Mittelverwendung im Zeichen der Knappheit öffentlicher Mittel den einen oder anderen zusätzlichen Impuls bekommen. Immerhin ist es gelungen, den Mittelansatz für 1998 nicht nennenswert unter den des Vorjahres absinken zu lassen, ({12}) was vor allem - das kann ich Ihnen aus eigener Kenntnis sehr gut sagen - dem beharrlichen Einsatz von Minister Spranger zu verdanken ist. ({13}) Wir brauchen im übrigen den Vergleich mit anderen nicht zu scheuen. Die Bundesrepublik Deutschland behält mit über 7,6 Milliarden DM allein aus dem Bundeshaushalt ihre Position als drittgrößtes Geberland der Welt. Man muß auch den beachtlichen Beitrag der Bürger unseres Landes hinzurechnen, nämlich die Bereitschaft, für kirchliche und private Hilfswerke zu spenden. Nicht-Regierungsorganisationen leisten aus Eigenmitteln und Spenden jährlich über 1,5 Milliarden DM Zuschüsse an Entwicklungsländer. Das Geld ist nicht hinausgeworfen. Es ist viel im Kampf gegen Armut und Unterentwicklung auf dieser Welt erreicht worden. Nichts wäre verkehrter, als immer nur grau in grau zu malen. Die Weltbank kommt in ihrem letzten Bericht zu dem Ergebnis, es habe seit vielen Jahrzehnten nicht derart vielversprechende Chancen für Wachstum und zur Eindämmung von Armut in der dritten Welt gegeben wie heute. Die Weltbank prophezeit den Entwicklungsländern durchschnittliche Wachstumsraten von 5 bis 6 Prozent jährlich bis zum Jahr 2020. Das könnte in den nächsten 25 Jahren den Anteil der Entwicklungsländer an der Weltproduktion glatt verdoppeln und somit auf ein Drittel steigen lassen. Selbst die Gruppe der 47 am schwächsten entwikkelten Länder der Erde hat 1996 ein Wirtschaftswachstum von 4,7 Prozent erreicht. Die Zahl der Länder, die ihre Menschen selbst ernähren können, hat sich verdoppelt. Verdoppelt hat sich auch die Einschulungsrate in den Entwicklungsländern. Selbst die Bevölkerungsentwicklung scheint sich dort langsam auf ein demographisches Gleichgewicht hin zu entwickeln. Das alles heißt nicht, daß wir Grund hätten, uns auf unseren Lorbeeren auszuruhen. ({14}) Wir sollten mit Entschiedenheit auf dem richtig eingeschlagenen Weg weiter vorangehen. Wir sollten für die Solidarität und Hilfsbereitschaft unserer Bürger dankbar sein. ({15}) Jeder in unserem Lande soll wissen, daß er mit dem Einsatz gegen Hunger und Not und für mehr Gerechtigkeit auf dieser Welt zugleich das Beste tut, um unser aller Weg in die Zukunft zu sichern. ({16})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Günter Verheugen, SPD.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die nachdenkliche und nach meiner Meinung in weiten Teilen der Analyse vollkommen richtige Rede des Kollegen Schäuble gibt mir die Hoffnung, daß auch Sie etwas erkannt haben, was wir seit längerer Zeit beklagen, nämlich daß der schleichende Bedeutungsverlust der Entwicklungspolitik in unserem Lande nicht länger hingenommen werden kann und daß an dieser Stelle eine Wende nötig ist. ({0}) Allen Analysen und richtigen Erkenntnissen zum Trotz ist es leider so, daß die Entwicklungszusammenarbeit zu einer politischen und finanziellen Restgröße verkommen ist. Das bedeutet einen schneidenGünter Verheugen den Gegensatz zwischen dem, was wir alle längst als richtig und notwendig erkannt haben, und den daraus folgenden Taten. Sie haben hier, Herr Kollege Schäuble, wichtige Worte gesprochen. Wir werden Sie aber daran messen, welche Taten diesen Worten in Ihrer Koalition und der von ihr getragenen Regierung folgen werden. ({1}) Ich wage eine Vorhersage: Ob das nächste Jahrhundert, an dessen Schwelle wir stehen, für die Menschheit insgesamt glücklicher sein wird als das zu Ende gehende, wird davon abhängen, ob wir diese Kluft zwischen Erkenntnis und Handeln schließen können, ob wir das, was wir wissen und erkannt haben, ob wir das, von dem wir wissen, daß es notwendig ist, auch endlich tun oder ob wir weiter den Weg der Verdrängung und der Bequemlichkeit gehen. Wir führen seit einer ganzen Reihe von Jahren - im Grunde seit der Wiederherstellung der deutschen Einheit und den großen Veränderungen in Europa und in der Welt - eine wichtige und notwendige Diskussion über die deutsche Verantwortung in der Welt. Worin besteht diese Verantwortung? Ich glaube, sie besteht in erster Linie darin, mit allen Kräften und Mitteln, die wir haben, einen Beitrag zur friedlichen Lösung der globalen Probleme wie Verelendung, Umweltzerstörung, unkontrolliertes Bevölkerungswachstum und des Teufelskreises von Gewalt und Not, der sich aus diesen Faktoren ergibt, zu leisten. Wenn wir darüber diskutieren und die Bundesregierung sich große Mühe gibt, zu erreichen, daß unser Land ständiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen wird, muß man fragen: Warum eigentlich? Was wird denn Deutschland, wenn es einen solchen Platz einnimmt, tun? Wird von unserem Land eine Initiative ausgehen, wird von uns der Versuch ausgehen, die Industriestaaten dazu zu bringen, dem Ziel weltweiter Gerechtigkeit oder wenigstens eines fairen Umgangs zwischen den Starken und den Schwachen ein Stück näher zu kommen? Wenn wir darüber diskutieren und entschieden haben, daß wir uns beteiligen wollen und müssen, wenn militärische Maßnahmen zur Friedenssicherung notwendig sind, muß man hier auch die Frage stellen: Was bedeutet es eigentlich, daß mehr und mehr Krisen in der Welt entstehen, bei denen dann am Ende Militär geschickt werden muß, damit man wenigstens Zeit gewinnt, um eine politische Lösung dieser Krisen zu finden? Wenn man hinschaut, findet man immer, daß hinter diesen Krisen soziale, ökonomische und Entwicklungsprobleme stehen. Es stellt sich doch die Frage: Wäre es nicht besser gewesen, eine vorsorgende, vorausschauende Politik zu betreiben, die die Ursachen dieser Krisen erkennt und bekämpft, statt darauf zu vertrauen, daß die Soldaten es am Ende schon richten werden? ({2}) Ich halte das übrigens auch für einen Mißbrauch. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten halten an dem fest, was wir von Willy Brandt, Erhard Eppler und Egon Bahr gelernt und niemals aufgegeben haben: Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik. ({3}) Wir stellen fest, daß es weltweit noch immer ein krasses Mißverhältnis zwischen den Anstrengungen zu nachhaltiger ökologisch verantwortbarer Entwicklung und den Rüstungsanstrengungen gibt. Ich weiß, daß man manchmal als naiv gescholten wird, wenn man den Zusammenhang herstellt, wenn man vergleicht: Was geben wir und andere für militärische Sicherheit, für gewaltige Rüstungsprojekte aus, und was wenden wir zur Lösung der großen globalen Fragen auf? Ich weiß, daß man dann als naiv gescholten wird. Aber ich sage Ihnen: Es besteht ein Zusammenhang. Überrüstung in weiten Teilen der Welt ist eine gigantische, unverantwortliche, ich möchte sagen: geradezu verbrecherische Fehlsteuerung von Ressourcen, die der Menschheit zur Verfügung stehen, um die wirklichen Probleme zu lösen. ({4}) Sehen Sie sich die vielen Konflikte auf der Welt an, die täglich in blutiger Weise ausgetragen werden und die unsere Aufmerksamkeit mehr und mehr nur noch dann erreichen, wenn die Bilder im Fernsehen und in den Zeitungen für die Menschen unerträglich werden. Hundert Tote in Algerien in einer Woche erregen die Aufmerksamkeit schon nicht mehr. Sind wir so weit gekommen, daß es tausend Tote sein müssen, ehe wir aufmerksam werden und uns fragen: Was geschieht da eigentlich? Eine Antwort gibt es: Das alles könnte nicht geschehen, das Morden in Ruanda und Burundi hätte nicht geschehen können, wenn es nicht Kräfte gäbe, die diejenigen, die dort morden, mit den dazu notwendigen Mitteln versorgen würden. Irgendwoher kommen die Waffen. In Ruanda werden keine Gewehre und Mörser produziert. Deshalb gehört es auch zur Entwicklungspolitik, daß wir parallel dazu zunächst einmal eine Initiative zur Abrüstung der sogenannten kleinen und leichten Waffen - übrigens 90 Prozent aller Opfer in bewaffneten Konflikten in der Welt werden heute durch diese Waffen verursacht - starten. Eine Initiative zur Rüstungskontrolle auf diesem Gebiet ist dringend erforderlich. Denn was nützen Investitionen und Entwicklungshilfe, wenn dann ein Krieg über das hinwegtobt, was wir dort mühsam aufgebaut haben? ({5}) Ich glaube, Friedenssicherung braucht heute viel feinere und weiterentwickelte Instrumente. Wir haben es mit der sozialen Frage im Weltmaßstab zu tun. Ich wage das Wort, daß es in Wirklichkeit um Gerechtigkeit im Verhältnis zwischen den Völkern und den Nationen geht. Es liegt in unserem eigenen InGünter Verheugen teresse, daß das Verhältnis zwischen den Nationen von Gerechtigkeit bestimmt ist. Denn niemand kann doch bezweifeln, daß wir mehr und mehr in Abhängigkeiten geraten sind, die wir nicht verhindern wollten und deren Ergebnisse wir aber jetzt sehen. Was bedeutet die Finanzkrise in Südostasien für die Arbeitsplätze und die Steuerzahler in unserem Land? Was bedeutet die zunehmende Migration, die wir erleben? Wir alle hier im Hause wissen doch, daß die Diskussion über den Zustrom der Kurden aus der Türkei und dem Nordirak, die wir vor wenigen Tagen und auch noch heute geführt haben, nur ein Vorbote dessen ist, was noch kommen wird. Diese Migrationsdiskussion kann doch nicht damit beantwortet werden, daß wir sagen: Wir machen Europa zu einer Festung, wir igeln uns ein, wir sichern uns mit Mauern und Stacheldraht. Eines Tages wird an dieser Festung dann auch geschossen werden. Wer glaubt, daß es möglich ist, Europa zu einer Insel der Seligen in einer Welt zu machen, in der das Elend nicht bekämpft wird, ist ein Nan. Es geht vielmehr damm, daß wir unsere politischen Kräfte sowie die unserer Verbündeten und Freunde einsetzen, um die politischen Bedingungen für eine Entwicklungszusammenarbeit deutlich zu verändern und zu verbessern. Über die ökologische Verantwortung ist hier heute morgen schon diskutiert worden. Ich brauche das nicht zu wiederholen. Es geht um die Nachhaltigkeit der Entwicklung, aber auch um Demokratie und Menschenrechte. Ich glaube, daß die Demokratie, eine demokratische Ordnung, die beste Voraussetzung ist, um eine stabile, sich selbst tragende ökonomische und soziale Entwicklung in aller Welt in Gang zu setzen. ({6}) Der Blick nach Südostasien zeigt übrigens auch, daß die Vorstellung falsch ist, man könne wirtschaftlich vorankommen, ohne die politischen Systeme entsprechend zu verändern und zu reformieren. ({7}) Was die Menschenrechte angeht: Wenn wir wollen, daß Gerechtigkeit in dieser Welt herrscht, dann müssen wir nicht nur gesellschaftliche, sondern auch individuelle Kräfte freisetzen, und dann müssen wir in den weniger entwickelten Gesellschaften die Voraussetzungen dafür schaffen, daß sich jeder nach seinen Kräften und Fähigkeiten einbringen kann. Dazu ist es notwendig, daß die elementaren Grundrechte und Grundfreiheiten, die in Europa durch die Aufklärung erkämpft worden sind, in der ganzen Welt anerkannt werden. Demokratie kann sich in sehr unterschiedlichen Formen darstellen. Das muß man akzeptieren. Was wir aber nicht akzeptieren können, ist, daß uns irgend jemand auf der Welt erzählt, es gebe einen Gegensatz zwischen Kulturen, der dazu führe, daß in bestimmten Ländern die Freiheit der Rede, der Meinung, des Gewissens, der Religionsausübung oder die Freiheit zu wählen nicht gewährt werden könne. Es gibt keine Kultur auf der Welt, die das verlangt und voraussetzt. ({8}) Es geht nicht nur um die bürgerlichen Menschenrechte; es geht auch um die sozialen Menschenrechte, und zwar um das schlichte Recht, menschenwürdig zu überleben. Wenn wir wollen, daß sich dieses Menschenrecht durchsetzt, wenn wir also wollen, daß es allen gutgeht, dann müssen wir erkennen, daß wir die Verbindung zwischen dem herstellen müssen, was wir selber tun, und dem, was wir von anderen erwarten. Wenn wir wollen, daß es uns in Zukunft weiterhin gutgeht, müssen wir dafür eintreten, daß es auch anderen gutgeht. Das wirft die Frage nach dem Stellenwert und den tatsächlichen Möglichkeiten unserer Entwicklungszusammenarbeit auf. Niemand wird bestreiten, Herr Bundesminister, daß die Entwicklungszusammenarbeit in Zeiten großer Sparzwänge neu organisiert, neu justiert werden muß. Sie muß vorausschauend und präventiv sein, vielleicht noch mehr als in der Vergangenheit auch auf die Effektivität achten. Wir müssen ganz nüchtern sehen, wie mit einem realistischen Mitteleinsatz - wir sollten an dem 0,7-ProzentZiel festhalten und versuchen, es zu erreichen - der größtmögliche Erfolg erzielt werden kann. Wunschdenken ist dabei sinnlos. Die Probleme sind in vielen Ländern nicht kurzfristig lösbar, auch nicht allein durch deutsche Hilfe. Deshalb halten wir es für einen zentralen Punkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit nicht zu diffamieren, sondern sie zu stärken und da, wo es notwendig ist, an den Reformen multilateraler Entwicklungszusammenarbeit in positiver und konstruktiver Weise mitzuwirken. ({9}) Es wäre beinahe schon töricht, zu glauben, daß allein mit den vorhandenen deutschen Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit oder auch der internationalen Entwicklungszusammenarbeit durchgreifende Verbesserungen bei den Partnerländern erreicht werden können. Angesichts der durchschnittlichen Entwicklungsleistungen von jetzt etwa 45 Milliarden Dollar im Jahr werden die Entwicklungsländer kaum automatisch auf den richtigen Kurs kommen. Man muß auch Verständnis dafür haben. Ich denke nur an die vielen Probleme bei der wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland, wo wir Transfers in ganz anderer Größenordnung geleistet haben, ohne daß die Probleme schon hätten gelöst werden können. Die Gesamtpolitik muß entwicklungsfördernd wirken; das gilt auch für uns. Notwendig ist also die Kohärenz der gesamten deutschen Politik im Sinne entwicklungspolitischer Ziele. Deshalb haben wir einen entwicklungspolitischen Gesetzentwurf vorgelegt, für den ich hier werben möchte. Er soll die deutsche Entwicklungszusammenarbeit für uns und unsere Partnerländer planbarer und verläßlicher machen. Wenn wir die deutsche Entwicklungszusammenarbeit durch diesen Gesetzentwurf auf eine gesetzliche Grundlage stellen, wie in den USA, in Schweden oder Österreich, dann, so glaube ich, werden wir in den entwicklungspolitischen Zielvorstellungen an Boden und Rückhalt auch in der Bevölkerung gewinnen. ({10}) Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß wir die Entwicklungszusammenarbeit nicht als eine nur staatliche Aufgabe betrachten. Das ist nichts, was der Staat alleine schaffen kann. Er sollte es nicht einmal alleine versuchen. Ich stimme völlig mit dem Kollegen Schäuble überein, der auf das große und wertvolle Engagement in vielen Gruppen unserer Gesellschaft, in vielen Nicht-Regierungsorganisationen, in Kirchen und in Stiftungen aufmerksam gemacht hat. An Sie, Herr Minister Spranger, habe ich dann schon die Bitte, dafür zu sorgen, daß denjenigen die Arbeit erleichtert wird, die genau das tun, was wir immer fordern: in dieser Zeit eben nicht nur an sich selbst zu denken, nicht egoistisch zu handeln, sondern Arbeitszeit, Kraft, Mühe und auch eigenes Geld einzusetzen, um Frieden und soziale Gerechtigkeit weltweit zu fördern. Wenn im Zuge der bedauerlichen Entwicklung Ihres Haushaltes das Ergebnis leider ist, daß die freien Träger der Entwicklungszusammenarbeit im neuen Haushaltsjahr eine deutliche Einbuße hinnehmen müssen, dann ist das eben einer der beklagten Widersprüche zwischen Reden und Handeln, die wir auflösen wollen. ({11}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es kommt darauf an, die Entwicklungspolitik im Bewußtsein dieses Hauses, dieser Regierung und unserer Gesellschaft fester zu verankern. Es kommt darauf an, die Erkenntnis zu vermitteln, daß dies nicht ein exotischer, abseits gelegener Politikbereich ist, um den man sich noch kümmern kann, wenn man alles andere getan hat, sondern daß es das Politikfeld ist, auf dem sich mit hoher Wahrscheinlichkeit unser Schicksal im nächsten Jahrhundert entscheiden wird. ({12}) In diesem Sinne, lieber Herr Kollege Schäuble, verstehe ich das, was Sie gesagt haben, als ein Angebot, bei einer Neuorientierung und bei der Überwindung von Defiziten und Fehlern, die es in der Vergangenheit gegeben hat, zusammenzuarbeiten. Wenn das so gemeint war, dann sage ich: Wir nehmen das Angebot gern an. Vielen Dank. ({13})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Dr. Uschi Eid, Bündnis 90/Die Grünen.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, hat zur heutigen Debatte eine Reihe von Anträgen vorgelegt, in denen unsere Vorstellungen und zum Teil sehr detaillierte Alternativkonzepte zur herrschenden Politik aufgezeigt werden, zum Beispiel zur Armutsbekämpfung, zur Bekämpfung der Kinderarbeit, zum Schutz der Tropenwälder und zur Ernährungssicherung. Darauf kann ich jetzt leider nicht eingehen. Die Anträge wurden aber auch - Gott sei dank - in den Ausschüssen sorgfältig diskutiert. Unser AfrikaAntrag zum Beispiel fand große Beachtung in der Öffentlichkeit und wurde am letzten Freitag in der „Frankfurter Rundschau" dokumentiert. Statt dessen sehe ich mich nun gezwungen, auf Sie, Herr Dr. Schäuble, einzugehen. ({0}) Ich begrüße Sie. Sie sind doch zum erstenmal in dieser Runde. Bisher haben Sie gefehlt, und das erklärt auch, weshalb Sie sich mit dem, was Sie eben gesagt haben, im Widerspruch zu Ihrer eigenen Politik befinden. ({1}) Herr Schäuble, Sie haben eben den Eindruck vermittelt, als seien Sie die Speerspitze der Dritte-WeltSolidaritätsbewegung. Aber, ehrlich gesagt: Das nimmt Ihnen niemand so ganz ab. ({2}) Denn das, was Sie gesagt haben, entspricht überhaupt nicht dem, was Ihre Fraktion und die von Ihnen gestellte Regierung bisher gemacht haben. Diese Regierung ist eben nicht ihrer globalen Verantwortung gerecht geworden. ({3}) Sie hat jämmerlich wenig zum Abbau des globalen Wohlstandsgefälles beigetragen. Die reichsten 20 Prozent der Weltbevölkerung besitzen immer noch 85 Prozent des Welteinkommens; 1,3 Milliarden Menschen in Entwicklungsländern leben immer noch unterhalb der Armutsgrenze; 70 Prozent davon sind Frauen. Ich werfe Ihnen vor, daß Ihre Politik aktiv zu einem dramatischen Akzeptanz- und Legitimationsverlust der Entwicklungspolitik und einer solidarisch-partnerschaftlichen Nord-Süd-Politik beigetragen hat. Ich will dies begründen. Erstens. CDU/CSU - Ihre CDU, Herr Schäuble - und F.D.P. haben im Haushaltsausschuß gerade einmal sage und schreibe 7,65 Milliarden DM für Entwicklungspolitik beschlossen - knapp doppelt soviel wie der Jahresetat der Stadt Stuttgart. 7,65 Milliarden DM zur Bekämpfung von Armut, Hunger und Analphabetentum, für Investitionen im Umwelt- und Ressourcenschutz, für Frauenförderung, zur Förderung von Menschenrechten und zur Demokratiehilfe - das ist eine Bankrotterklärung dieser Bundesregierung angesichts globaler Erfordernisse. ({4}) Ich sage nicht, daß allein durch mehr Geld eine wirksamere Entwicklungspolitik gesichert würde. Ich kritisiere, daß sich die Bundesregierung durch ein langsames Austrocknen dieses Politikbereiches aus ihrer Verantwortung für die Bewältigung globaler Probleme verabschiedet. Ich meine, daß Entwicklungspolitik Zukunftsicherung bedeutet. Das hat diese Regierung nicht begriffen. Vielleicht, Herr Schäuble, begreift sie es nach Ihrer Rede. ({5}) Zweitens. Der Bundeskanzler hat keines seiner international gegebenen Versprechen gehalten. Weder hat er das Versprechen hinsichtlich der Verwendung von 0,7 Prozent unseres Sozialproduktes für die Nord-Süd-Kooperation gehalten - mit derzeit gerade einmal 0,28 Prozent sind wir weiter von diesem Ziel entfernt als je zuvor -, noch hat er das Versprechen eingelöst, daß die Entwicklungshilfe für den Süden nicht zum Steinbruch für Mittel für den Osten wird. Ich hoffe, Herr Schäuble, daß sich Ihre Rede von heute nicht in diese Kette der leeren Versprechungen einreiht. ({6}) Statt dessen hofiert Bundeskanzler Kohl korrupte, menschenrechtsverachtende Regime und nennt zum Beispiel den indonesischen Staatschef Suharto einen Freund. Er führt immerhin einen Clan an, der 30 Milliarden US-Dollar in die eigene Tasche gewirtschaftet hat und der OstTimor immer noch gewaltsam besetzt hält. Dem Kollegen, der heute morgen gesagt hat, wir Grünen würden immer zwischen Guten und Bösen unterscheiden, entgegne ich: Ich glaube, Sie haben nicht begriffen, daß es ein Unterschied ist, ob man mit den Bösen einen kritischen Dialog führt oder ob man sie Freunde nennt. ({7}) Drittens. Sie, Herr Spranger, verkünden seit 1991 die angeblich für Ihr Haus gültigen Kriterien der Entwicklungszusammenarbeit: die Beachtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozeß, Schaffung einer sozial orientierten Marktwirtschaft und entwicklungsorientiertes staatliches Handeln - Kriterien, die wir begrüßt haben und deren Anwendung wir massiv unterstützen. Was stellen wir aber heute fest, wenn wir uns die zehn Hauptempfängerländer deutscher Entwicklungshilfe ansehen? China, Indonesien und die Türkei führen diese Liste seit Jahren an. Alle drei wahrlich keine Weltmeister in Sachen Menschenrechte. Hieran wird deutlich, daß die Entwicklungshilfe für völlig andere Interessen instrumentalisiert wird, vor allem für außenwirtschaftliche. Dies läuft mit uns nicht. ({8}) Viertens. Die Bundesregierung hat völlig versagt bei der Krisenprävention und der zivilen Konfliktbearbeitung. Es ist überhaupt nicht zu akzeptieren, daß immer mehr Mittel der Entwicklungszusammenarbeit für Not- und Katastrophenhilfe verwendet werden. Wir können nicht zulassen, daß die Entwicklungspolitik zum Reparaturbetrieb verkommt, daß immer mehr Mittel statt für den Aufbau langfristiger Strukturen und die Förderung einer sich selbst tragenden Entwicklung für Katastrophenhilfe eingesetzt werden. Die Regionen der großen Seen, Burundi, Ruanda und Kongo, sind besonders augenfällige Beispiele für das Unvermögen zur Krisenprävention dieser Bundesregierung und der Internationalen Staatengemeinschaft. Hierüber haben wir in diesem Hause in den letzten Jahren diskutiert. Ich möchte hier nicht darauf eingehen. Wir von Bündnis 90/Die Grünen begreifen Entwicklungspolitik auch als innenpolitische Aufgabe, aber nicht als Innenpolitik, wozu die Herren Bundesminister Spranger und Kanther sie mißbrauchen wollen. Geld für abgeschobene Landsleute, ein Kopfgeld quasi, muß endlich aus der Debatte verschwinden. ({9}) Herr Verheugen, sagen Sie dies bitte auch dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder. Neue Impulse sind notwendig, um die Nord-SüdPolitik aus ihrer politisch randständigen Nische herauszuholen. Ich glaube, da sind sich alle, die bisher geredet haben, einig. Wir müssen sie in das Zentrum politischer Diskussion und gesellschaftlichen Engagements rücken. Im Afrika-Antrag von Bündnis 90/Die Grünen haben wir zum Beispiel den Vorschlag gemacht, einen gesellschaftlich breit angelegten afrikanisch-deutschen Dialog einzurichten, der sich mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft der afrikanisch-deutschen Beziehungen auseinandersetzen soll. Dies ist ein Beispiel dafür, wie entwicklungspolitische Themen auch innenpolitisch umgesetzt werden können. Ich komme zum Schluß. Wenn wir die Folgen von Hunger und Armut sowie Umweltzerstörung, kriegerische Konflikte, Klimaveränderungen und Flüchtlingsströme für uns und unsere Kinder abwenden wollen, müssen wir dazu beitragen, daß möglichst viele Menschen eine Chance erhalten, ihr Leben menschenwürdig und selbstbestimmt zu erfüllen. Diesen Worten von Ingeborg Schäuble, der Vorsitzenden der Welthungerhilfe, ist nichts hinzuzufügen. Danke. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Roland Kohn, F.D.P.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Entwicklungspolitik ist in Deutschland heutzutage nicht besonders populär. Die Bürger sind natürlich in erster Linie mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Dennoch kann es uns nicht egal sein, was auf dieser Welt passiert, daß mehr als 15 Millionen Menschen auf der Erde sterben, weil sie nichts zu essen haben, und daß mehr als eine Milliarde Menschen in bitterer Armut lebt. Uns in Europa wird es nicht auf Dauer gutgehen können, wenn es über einem Fünftel der Menschen auf der Welt existentiell schlecht geht. Wie muß vor diesem Hintergrund in Zukunft moderne Entwicklungspolitik aussehen? Wir Liberalen wollen in dieser Entwicklungspolitik die ordnungspolitische Wende hin zur sozialen Marktwirtschaft konsequent fortsetzen. Wir müssen weg von der Idee, durch öffentlich finanzierte Subventionen aus den wohlhabenden Staaten auf Dauer die Lebensbedingungen der Menschen in der dritten Welt verbessern zu können. Entwicklungspolitik ist eben nicht weltweite Sozialhilfe. Entscheidend ist vielmehr, in den Entwicklungsländern selbst die erforderlichen politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen in den Schlüsselbereichen zu schaffen, die Voraussetzung für eine nachhaltige und selbstbestimmte Entwicklung sind. ({0}) Es liegt in der Eigenverantwortung der Regierungen und Eliten der Entwicklungsländer selbst, dafür zu sorgen, daß durch Demokratisierung, durch Liberalisierung, durch Deregulierung diese Voraussetzung für eine positive Entwicklung in ihren Ländern entsteht. Die Wirtschaftsturbulenzen in Südostasien in den letzten Wochen haben gezeigt, daß ohne gute Regierungsführung keine Stabilität zu erreichen ist. Deshalb wollen wir durch Politikdialog und Politikberatung mithelfen, positive Prozesse nachhaltig zu fördern. Wir müssen in der Entwicklungszusammenarbeit verstärkt marktwirtschaftliche Instrumente nutzen. Hierzu gehört vor allem die Unterstützung der Entwicklungsländer beim Aufbau eines leistungsfähigen Finanzsektors, einschließlich der Förderung von Kleinkreditprogrammen. Hierzu gehört die verstärkte Förderung privater Infrastrukturprojekte, damit der Staat von Ausgaben in diesem Bereich entlastet wird. Hierbei spielt das Modell der „private-public-partnership" eine besondere Rolle, wie auch der Einsatz weiterer innovativer Finanzierungsinstrumente. Dies alles dient dem Aufbau einer leistungsfähigen Privatwirtschaft. Durch die Förderung von privaten Unternehmen im produktiven Bereich entstehen in den Entwicklungsländern Arbeitsplätze, die Armut direkt verringern. Dieses Konzept trägt der Tatsache Rechnung, daß die Mobilisierung von privatem Kapital von entscheidender Bedeutung für die Zukunftschancen in vielen Ländern ist. Wir müssen endlich zur Kenntnis nehmen, daß der private Kapitalfluß inzwischen das Siebenfache der öffentlichen Entwicklungshilfe ausmacht. Durch unser marktwirtschaftliches Konzept wird es möglich, den Schenkungsanteil in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit deutlich zu senken, langfristig das Fördervolumen der Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen und mit den vorhandenen Mitteln größere entwicklungspolitische Effekte zu erzielen. Dort, wo wir weiterhin direkte Armutsbekämpfung betreiben, sollte dies durch gezielte Unterstützung erfolgreicher Programme von Selbstverwaltungsorganisationen vor Ort geschehen. Ich denke hier an die Einführung von wettbewerblich organisierten Ausschreibungen in einem Land, bei denen sich Träger von Programmen auf kommunaler und regionaler Ebene um die Vergabe dieser Fördermittel bewerben. Durch ein solches Verfahren erhöhen wir die Wirksamkeit der eingesetzten Geldmittel und verringern die Verschwendung von Steuergeldern. Dieses Konzept ist übrigens auch geeignet, die Abhängigkeiten der Entwicklungsländer von den Geberländern zu reduzieren. Wir müssen endlich zugeben, daß wir mit unserer deutschen Entwicklungspolitik nicht alles machen können. Daher brauchen wir im Einzelplan 23 in Zukunft eine eindeutige sektorale und regionale Konzentration; deshalb muß mit der Zersplitterung der Kräfte Schluß sein. ({1}) Herr Schäuble hat darauf hingewiesen, daß wir eine bessere Kohärenz unserer eigenen Politik brauchen. Das gilt vor allem auch für die europäische Ebene. Diese europäische Handels- und Agrarpolitik muß reformiert werden; europäischer Protektionismus sollte endlich der Vergangenheit angehören. ({2}) Ich möchte an dieser Stelle Herrn Bundesminister Spranger für die klaren Worte gegen den unsäglichen und kläglichen „Bananen-Protektionismus" der EU ausdrücklich danken. ({3}) Welches sind die vordringlichen Probleme in der Entwicklungszusammenarbeit? Drei davon möchte ich hier beispielhaft ansprechen. Wir werden die Lebensbedingungen der Menschen auf Dauer nicht verbessern können, wenn es uns nicht gelingt, das weltweite Bevölkerungswachstum zu verringern. Nach den jüngsten Zahlen der Vereinten Nationen hat sich dieses Wachstum im letzten Jahrzehnt zwar erstmals verlangsamt; aber das ist noch kein Grund zur Entwarnung. Die bevölkerungspolitische Entwicklungszusammenarbeit der Bundesregierung ist international anerkannt und außerordentlich erfolgreich. Dennoch dürfen wir nicht mit unseren Anstrengungen nachlassen. Die Weltbevölkerung wächst weiterhin jährlich um mehr als 86 Millionen Menschen. Nach wie vor mangelt es über 350 Millionen Paaren, die weitere Schwangerschaften verhindern möchten, am ungehinderten Zugang zum Beispiel zu Verhütungsmitteln. Neben einer möglichst umfassenden Aufklärung und Information kommt es deshalb darauf an, in den Entwicklungsländern Grundstrukturen sozialer Sicherungssysteme auch zur Altersvorsorge aufzubauen. Nur dadurch können wir verhindern, daß die Menschen in diesen Ländern Kinder als Mittel zur Altersvorsorge begreifen. Entscheidend ist dabei die Stärkung der rechtlichen und wirtschaftlichen Rolle der Frauen in den Entwicklungsländern und das Einräumen besserer Bildungschancen. Ein zweites großes Problem stellt die zunehmende Verstädterung in den Entwicklungsländern dar. Zur Zeit leben 2,6 Milliarden Menschen in Städten, davon 1,7 Milliarden in Entwicklungsländern. Schon in zwei Jahren werden 40 Prozent der Bevölkerung in der dritten Welt in Städten wohnen. Viele dieser neuen Stadtbewohner, insbesondere Frauen und Kinder, werden unter erbärmlichsten Bedingungen vegetieren. Die Entwicklung hin zu gigantischen Megastädten vollzieht sich immer dramatischer. Schon heute liegen 27 der 33 sogenannten Megastädte mit mehr als 8 Millionen Einwohnern in den Entwicklungsländern. Bis zum Jahre 2015 werden dort weitere 13 solcher Megastädte entstanden sein. Wer solche Städte einmal gesehen hat, weiß, daß die damit verbundenen enormen sozialen und ökologischen Probleme nicht lösbar sind. Solche Städte sind nicht mehr zu regieren, sind nicht mehr zu verwalten. Schon heute verfügt ein Drittel dieser Stadtbevölkerung nicht über die Mittel zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse. Wenn sich die Voraussagen der Vereinten Nationen bestätigen, droht vielen Großstädten in den Entwicklungsländern in den kommenden Jahren der Zusammenbruch. Ihre Bevölkerung wächst mit hohem Tempo, sie ersticken in schlechter Luft, ertrinken im Müll, leiden unter dem Mangel an gesundem Trinkwasser, von den sozialen Desintegrationsprozessen ganz zu schweigen. Bisherige Erfahrungen zeigen uns, daß diese gewaltigen Probleme nicht durch zentral gelenkte Programme der jeweiligen Regierungen in den Entwicklungsländern gelöst werden können. Gerade in den Bereichen Wohnungsbau, Müllentsorgung und Verkehrsinfrastruktur müssen Projekte mit privaten Investitionen zustande kommen, die die nötigen Gelder aufbringen und diese Projekte selbst managen. Besonders hervorheben möchte ich schließlich den dritten Bereich, nämlich das Flüchtlings- und Migrationsproblem. 100 Millionen Menschen - wir hörten es bereits - befinden sich derzeit auf der Flucht, in der Hoffnung, in anderen Ländern Sicherheit und Lebensperspektiven zu finden. Diese Menschen fliehen vor Krieg, Bürgerkrieg, Armut, Umwelt- und Naturkatastrophen. Wenn es uns nicht gelingt, die Lebensbedingungen dieser Menschen zu verbessern und ihnen Chancen für soziale und politische Stabilität aufzuzeigen, dann wird sich dies früher oder später auch als Wanderungsdruck auf Europa und damit auch auf Deutschland auswirken. Meine Damen und Herren, im Zehnten Bericht zur Entwicklungspolitik kommt zum Ausdruck, wie wichtig die von der Bundesregierung erarbeiteten Kriterien für unsere Entwicklungszusammenarbeit geworden sind. Ich begrüße es sehr, daß auch die Bekämpfung des Krebsgeschwürs Korruption als Kriterium für unsere Entwicklungszusammenarbeit hinzugekommen ist. Natürlich gibt es Länder, die von der Erfüllung dieser Kriterien noch weit entfernt sind. Das heißt aber nicht, daß wir diese Länder links liegenlassen sollten. Vielmehr müssen wir mit unseren entwicklungspolitischen Instrumentarien, beispielsweise Nichtregierungsorganisationen und politischen Stiftungen, mithelfen, auf diese Länder im Sinne der genannten Kriterien einzuwirken. In Fällen, in denen Länder trotz aller Bemühungen nicht bereit sind, positive Veränderungen einzuleiten, wie zum Beispiel im Falle von Nigeria, fordere ich die Bundesregierung auf, international hart zu bleiben. Die Europäische Union hat beschlossen, alle Kontakte im Bereich des Sports zu unterbrechen, indem die Visaerteilung für offizielle Delegationen und Nationalmannschaften aus diesem Land abgelehnt wird. Nun höre ich aber, daß im April auf Einladung des Deutschen Fußballbundes ein Freundschaftsspiel gegen die nigerianische Nationalmannschaft stattfinden soll. Ich frage die Bundesregierung, was sie zu tun gedenkt. Meine Damen und Herren, Entwicklungspolitik kann auf Dauer nur dann erfolgreich betrieben werden, wenn sie die Zustimmung unserer Bürger hat. Eine erfolgreiche Entwicklunspolitik hilft nicht nur den Menschen in den Entwicklungsländern, sondern dient der Friedenssicherung und den Arbeitsplätzen in Deutschland. Eine moderne, marktwirtschaftlich ausgerichtete Entwicklungspolitik liegt daher im nationalen Interesse Deutschlands. Vielen Dank. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Willibald Jacob, PDS.

Dr. Willibald Jacob (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002689, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es besteht unter Entwicklungspolitikern theoretisch Einigkeit darüber, daß wir die eine Welt, in der wir leben, zu bewahren haben, daß wir von den Menschen, die auf ihr leben, Schaden abzuwenden haben. Regierungen und ParDr. Willibald Jacob lamente stehen dabei in besonderer Pflicht. Die Verflechtungen des internationalen Lebens verpflichten uns, auch von denen Schaden abzuwenden, die nicht in unserem Lande leben, aber möglicherweise von uns abhängig sind oder gar als Flüchtlinge ihr eigenes Land verlassen müssen. Es ist eine weltweite Abhängigkeit entstanden, aus der eine vielfach gegenseitige Verantwortung erwachsen ist. Dabei ist der ökonomisch und sozial Starke besonders gefordert - so auch die Bundesrepublik Deutschland. Das, was wir heute Globalisierung nennen, ist eine alte Sache, die bereits vor 150 Jahren, im Jahre 1848, folgendermaßen beschrieben werden konnte: Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz ihrer Produkte jagt die Unternehmen über die ganze Erdkugel ... Die Unternehmen haben durch ihre Ausbeutung des Weltmarktes die Produktion und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie haben der Industrie den nationalen Boden unter den Füßen weggezogen ... Unter Freiheit versteht man innerhalb der jetzigen ... Produktionsverhältnisse den freien Handel. Seit dieser Zeit, seit 1848, sind Weltkriege und Revolutionen über die Völker hinweggegangen, die mit dem Unvermögen und dem Unwillen der Regierenden und Einflußreichen zusammenhingen, die sozialökonomischen Spannungen, die in diesem Globalisierungsprozeß auftraten, auszugleichen. Nur partiell, regional und befristet ist es gelungen. Heute wissen wir, daß der Ausgleich der Spannungen nur gelingt, wenn soziale Gerechtigkeit in einem hohen Maße realisiert wird. Dann wird auch sozialer Frieden und Frieden zwischen den Staaten und Regionen möglich. Das kann und muß unsere Antwort auf die Anforderungen der Globalisierungsprozesse sein. Dem muß sich auch die staatliche Entwicklungspolitik stellen, die die Verpflichtungen der Regierung kennt: Herstellung von Rechtsordnung und Rechtssicherheit, Sorge für makroökonomische Stabilität, Bereitstellung einer grundlegenden Infrastruktur, Schutz der sozial Schwachen, Schutz der Umwelt. Junge Menschen sagen uns heute: Wir haben nur diese eine Welt. Wir müssen lernen, solidarisch miteinander zu leben. Nur so können wir diese Welt erhalten. - Solche Äußerungen klingen wie das Echo auf die Analyse des Jahres 1848. Sie wissen zwar um die Revolutionen, die Katastrophen und auch das Scheitern der Zwischenzeit, besonders um die zwei globalen Kriege, die letztlich wegen der ökonomischen Aufteilung der Welt geführt worden sind. Sie erwarten dennoch und gerade deshalb, daß wir neu anfangen. Sie halten das auch für möglich. Wir haben uns daher Rechenschaft darüber abzulegen, was eine Weltinnenpolitik behindert, die auf ökologisch verträgliches Wirtschaften, auf sozialen Ausgleich und auf solidarisches Zusammenleben gerichtet ist. Den Behinderungen haben wir mit einer als Querschnittsaufgabe angelegten Entwicklungspolitik entgegenzuwirken. Ich nenne hier Maßnahmen und Schritte, die meines Erachtens die genannten Zielstellungen einer menschlichen Entwicklung verhindern. Sie sind eingebettet in die verstärkte Implementierung des neoliberalen Wirtschaftsmodells. Erstens die einseitige vertragliche Sicherung von Investitionsgewinnen. Im Rahmen der OECD wird zur Zeit unter Ausschluß der Öffentlichkeit das multilaterale Investitionsabkommen beraten. Souveränitätsrechte der Staaten und Lebensrechte der Menschen sind zutiefst berührt. Zweitens die Freigabe des Handels unter ungleichen ökonomischen und sozialen Bedingungen durch die Schaffung von Freihandelszonen, in denen die ökonomisch Schwächeren an den Rand gedrängt werden. Siehe dazu die Situation der Provinz Chiapas in Mexiko. Drittens die Deregulierung der Finanzsysteme, die unerwartete und verheerende Folgen in Südostasien und weit darüber hinaus zeigt. Das Ziel dieser „Entwicklung" ist die Sicherung von Produktionsgewinnen, Handelsgewinnen und Spekulationsgewinnen in den Händen von Minderheiten. Dadurch wird die sozialökonomische Spaltung von Gesellschaften weltweit vertieft. Das aber widerspricht den Kernaufgaben, die Regierungen erfüllen wollen und sollen, nämlich Schaden von Menschen und Gemeinwesen abzuwenden. Was haben nun aber Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit dem zügellosen und scheinbar alternativlosen neoliberalen Wirtschaften entgegenzusetzen? Wird das neuerdings angekündigte paradigmatische Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft in der Entwicklungszusammenarbeit die Schäden beheben können, die eben dieses Wirtschaften in der südlichen Hemisphäre und auch bei uns bereits angerichtet hat? Wie werden in Zukunft Entwicklungshilfe durch die Wirtschaft und Entwicklungspolitik mit Hilfe der Wirtschaft aussehen? Wir dürfen gespannt sein, welches Verhältnis deutsche Betriebe in Entwicklungsländern, vom BMZ unterstützt, zu Frauen, Kindern und entwurzelten Menschen aufbauen werden. Wer wird uns darüber berichten? Werden sich in Zukunft Manager herablassen, vor Abgeordneten zu berichten? Beginnt damit die Transparenz von Wirtschaftsunternehmen? Beginnt damit ihre Demokratisierung? Es soll ja um ein neues Paradigma gehen. Wie ist die Situation, in der wir diese Fragen stellen müssen? Es ist eine Situation, die durch eine 500 jährige global wirkende Dominanz des Nordens über den Süden entstanden ist. Im Zusammenwirken von Staaten und Wirtschaft hat sie sich ausgeformt. Ein Fünftel der Menschen verbraucht vier Fünftel der entscheidenden Ressourcen der Welt. Dem armen Süden, ebendiesen vier Fünfteln, wird nur ein Fünftel der Ressourcen zugestanden. Dieser Zustand wird bisher verschärft und verfestigt. Die eben genannten Abkommen dienen dazu. Bisher sahen wir die rücksichtslose Ausbeutung der Natur, den ungleichen Austausch von Gütern, Kapital und Dienstleistungen, Schuldenkrisen und Flüchtlingsströme, Bürgerkriege und HungerrevolDr. Willibald Jacob ten, einseitigen Geldtransfer in den Norden und inadäquate Strukturanpassungen sowie am Ende die Rückwirkung all dieser Dinge auf uns. Die Asylproblematik zeigt dies. Schon die bisherige Durchsetzung des neoliberalen Wirtschaftsmodells veränderte die ohnehin diskriminierenden Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Frauen zu ihren Ungunsten. Sie tragen die Hauptlasten des Strukturwandels und aller Strukturanpassungsprogramme. Die Ungleichbehandlung von Frauen nimmt zunehmend gewalttätige Formen an; ich nenne nur Zwangsprostitution und Frauenhandel. Wie werden in Zukunft deutsche Wirtschaftsunternehmen dieser üblen Tradition der Ausbeutung von Mensch und Natur begegnen? Herr Bundesminister Spranger und der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Henkel, haben eine neue Art der Kooperation von Politik und Ökonomie angekündigt, gar von einem Paradigmenwechsel gesprochen: Eine „strikte Trennlinie" zwischen Außenwirtschaftsförderung und Entwicklungshilfe lasse „sich nicht immer ziehen". Freier Markt und freier Handel seien die „wichtigsten Entwicklungshelfer" . Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit kommt es zum Schwur. Soll nicht weiter geschehen, was 500 Jahre lang geschah? Bisher, in den letzten 35 Jahren, mußte Entwicklungshilfe den Folgen von Wirtschaftstätigkeit entgegenwirken, war sie ein Kontrapunkt im freien Spiel der Marktkräfte. Was soll sich nun grundlegend ändern? Wird nun beispielhaft gezeigt werden, wie im neoliberalen Wirtschaftssystem die Probleme gelöst werden, die ebendiese Wirtschaftsweise fortlaufend selbst schafft? Wir dürfen gespannt sein. Die weltweite sozialökonomische Spaltung der Gesellschaften war und ist der Skandal unseres Jahrhunderts. Werden die deutsche Regierung und die deutsche Wirtschaft entscheidend dafür wirken können, daß diese Spaltung überwunden wird? Die PDS wird alle Anträge, vor allem alle praktischen Schritte unterstützen, die wirklich erkennen lassen, daß sie dieses Ziel ernsthaft verfolgen. Wir lehnen allerdings den Zehnten Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung ab. Wir sehen nicht, daß die Politik der Bundesregierung der Überwindung der sozialökonomischen Spaltungen der Gesellschaften weltweit dient. Danke sehr. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort für eine Kurzintervention hat der Kollege Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sowohl Herr Schäuble als auch Herr Verheugen haben das Thema politische Stiftung erwähnt. Sie haben beide die Finanzkrise in Ostasien angesprochen, die auch in anderen Reden vorkam. Sie brauchen keine Sorge zu haben, daß ich hier eine Wirtschaftsdebatte über die Folgen der Finanzkrise in Ostasien führe, die ich allerdings für gewichtiger halte, als das allgemein - viel zu optimistisch - angenommen wird. Ich möchte auf einen bestimmten Umstand hinweisen: Wir erleben Ansätze zu demokratischen Entwicklungen in einigen südostasiatischen Ländern. Jetzt ist zum Beispiel Kim Dae Jung, ein ausgewiesener Demokrat, mit dem wir von der Friedrich-Naumann-Stiftung seit vielen Jahren zusammenarbeiten, zum Präsidenten in Korea gewählt worden. Was wird nun passieren? Die neue Regierung wird mit der wirtschaftlichen und finanziellen Misere beladen werden, die ihre Vorgänger angerichtet haben. Das Gedächtnis der Menschen ist bekanntlich kurz. Man wird ihnen die Mühsal und Schwierigkeiten anlasten, die zur Beseitigung dieser Probleme dazugehören. Ganz abgesehen davon: Wie sollen sie eigentlich ihre Auslandsschulden bedienen, wenn nicht durch massiv verstärkte Exporttätigkeit mit der Folge, daß protektionistische Tendenzen, beginnend vermutlich in den USA, aber wahrscheinlich auch in Europa, wieder aufflammen werden? Ich begrüße sehr, daß hier dazu gesagt worden ist, daß wir dagegenhalten müssen. In diesem Bereich ist die Arbeit der politischen Stiftungen, die für Demokratieverständnis werben und sich für den Aufbau demokratischer Institutionen einsetzen, gerade unter den heutigen Umständen außerordentlich nützlich und notwendig. Ich beklage mich bei niemandem, nicht bei Herrn Minister Spranger, der uns unterstützt, und nicht beim Haushaltsausschuß. Sie erinnern sich an die Haushaltsdebatte. Wir sind ordentlich behandelt worden. Ich bitte aber darum, daß alle Beteiligten auch hier die Prioritäten richtig setzen, was uns in unserem Lande nicht immer gelingt. Die Arbeit aller Stiftungen gerade im Bereich der Demokratieentwicklung muß fortgesetzt und unterstützt werden. Wir dürfen jetzt nicht unter den Schwierigkeiten der finanziellen Krise das kaputtgehen lassen, was wir in vielen mühsamen Jahren mit unseren Partnern und Freunden vorbereitet und erreicht haben. Hierzu heute beizutragen, Herr Präsident, war meine Absicht. Ich bedanke mich. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zur Gegenrede wird nicht gewünscht. Dann hat jetzt Herr Bundesminister Carl-Dieter Spranger das Wort.

Carl Dieter Spranger (Minister:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum wiederholten Male steht am Anfang der Parlamentsarbeit in einem neuen Jahr eine entwicklungspolitische Debatte. Ich freue mich darüber und hoffe, daß sich dieser Brauch fortsetzt. Ich freue mich besonders, daß der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Dr. SchäuBundesminister Carl-Dieter Spranger ble, diese Debatte in einer sehr eindrucksvollen Weise eröffnet hat. ({0}) Das ist auch ein Zeichen dafür, welche Bedeutung der Deutsche Bundestag dem Thema zumißt. ({1}) Die Debatte unterstreicht, daß wir uns trotz der Konzentration der Diskussion auf innenpolitische Themen den Blick dafür bewahrt haben, daß die Zukunft unseres Landes auch von den Entwicklungen in der weiten Welt abhängig ist. Erfreulich ist, daß wir uns in der Entwicklungspolitik auf gemeinsamem Grund bewegen. Die Beschlüsse des SPD-Bundesparteitages in Hannover übernehmen die Argumentation der Regierungsparteien, daß Entwicklungszusammenarbeit Politik der globalen Zukunftssicherung ist. ({2}) Grundsatzpapieren von Bündnis 90/Die Grünen ist ähnliches zu entnehmen. Diese weitgehende Übereinstimmung besteht in den grundlegenden Zielvorstellungen und Inhalten der Entwicklungspolitik. Das hat dieser Zukunftsaufgabe immer gutgetan. Wir sollten alles daransetzen, diesen Konsens auch über das Wahljahr 1998 hinaus zu erhalten. ({3}) Herr Kollege Verheugen, ich glaube, wir tun der Entwicklungspolitik keinen Gefallen, wenn wir sie mit nicht belegbaren Behauptungen herunterreden. Von Bedeutungsschwund kann keine Rede sein. Das zeigen alle aktuellen Umfrageergebnisse; das zeigt der Rang dieser Politik in der Gesamtpolitik der Bundesregierung. Es hat keine Kürzungen im Haushalt 1998 gegeben, im Gegenteil. Rund 7,6 Milliarden DM sind kein Pappenstiel. Deutschland ist der drittgrößte Geber weltweit. Das ist eine große Leistung des deutschen Steuerzahlers. ({4}) Frau Kollegin Dr. Eid, Ihre Angriffe gegen den Herrn Franktionsvorsitzenden Dr. Schäuble und gegen die Bundesregierung sind nicht nur völlig unverständlich, sie sind - auch das muß ich sagen -, da Sie es besser wissen, für Sie auch etwas peinlich. Ich glaube, Sie haben wohl am falschen Ort und zur falschen Zeit in die Wahlkampfkiste gegriffen. ({5}) Sie haben zusätzlich eine große Chance vertan, durch sinnvolle Vorschläge die Grundübereinstimmung der Fraktionen des Deutschen Bundestages in der Entwicklungszusammenarbeit im Interesse der Menschen in den Entwicklungsländern zu stärken und zu fördern. ({6}) - Das tun Sie immer wieder, und das weiß ich auch zu schätzen. In den Diskussionen ergibt sich immer wieder, daß Taten und Worte sehr deckungsgleich sind. Auch das wissen Sie aus den zahlreichen Debatten in den zuständigen Ausschüssen genau. Ich darf zu einigen grundsätzlichen Fragen Stellung nehmen, die sich nach meiner Auffassung für die Entwicklungspolitik in den kommenden Jahrzehnten stellen. Ich möchte auf vier zentrale Bereiche eingehen, auf die sich unsere Anstrengungen konzentrieren sollten. Erstens. Das wichtigste Ziel bleibt weiterhin, die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in unseren Partnerländern zu verbessern. Es geht darum, staatliche Ordnungen zu schaffen und Wirtschaftsverfassungen durchzusetzen, die menschliche Kreativität und Entfaltungsdrang stimulieren und nicht entmutigen. Wenn dies gelingt, setzt ein sich selbst tragendender Prozeß ein, der nicht mehr aus fremden öffentlichen Mitteln finanziert werden muß. Der globalisierte Kapitalmarkt bietet ausreichend Finanzierungsmöglichkeiten an, sobald nur die Rahmenbedingungen stimmen. Zahlreiche Beispiele belegen, wie die deutsche Entwicklungszusammenarbeit auf die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unmittelbar Einfluß genommen hat. Allein auf dem Gebiet der Rechtsberatung gibt es inzwischen über 100 laufende Vorhaben. Dabei geht es sowohl um die Ausarbeitung von Verfassungstexten, von Kodifizierungen im Zivil-, Straf- und Wirtschaftsrecht als auch um die Verbesserung des Zugangs insbesondere benachteiligter Bevölkerungsgruppen zu unabhängigen Gerichten. Zukunftsweisend sind unsere Vorhaben zur Förderung der Dezentralisierung und der Rechtsstaatlichkeit in der Verwaltung, insbesondere auch in den östlichen Transformationsländern. Das zweite Handlungsfeld, das damit in enger Berührung steht und ähnlich große Multiplikatoreffekte erreicht, sind Anreize zum Einsatz von Privatkapital. Private Kapitalflüsse erreichen inzwischen ein Vielfaches der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit. Die Tendenz ist weiter steigend. Wir wollen erreichen, daß sich diese Entwicklung verstetigt und möglichst viele Entwicklungsländer in ihren Genuß kommen. Auch hierfür ist die Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die entscheidende Voraussetzung. Dort, wo die Rechtsordnung vor staatlicher Willkür schützt, wo Privateigentum garantiert ist und dem freien Unternehmertum Spielräume gelassen sind, wird automatisch privates Kapital mobilisiert. Sein Einsatz fördert Arbeitsplätze und Einkommen, Wirschaftswachstum und EntwickBundesminister Carl-Dieter Spranger lung in einem so dynamischen Prozeß, wie ihn staatlich finanzierte Programme allein nicht bewirken können. ({7}) Ein Beispiel dafür, daß Privatwirtschaftsförderung auch gezielte Armutsbekämpfung ist, ist die Tätigkeit der DEG. Seit ihrer Gründung hat sie in 106 Ländern mit Finanzierungszusagen von 4,5 Milliarden DM private Investitionen von 40 Milliarden DM ausgelöst. Von ihnen hängen Arbeitsplätze und Einkommen von 4 Millionen Menschen ab - 4 Millionen Menschen, die ohne diese Unterstützung das Heer der Armen vergrößern würden. Deshalb ist die Förderung der Privatwirtschaft in unseren Partnerländern eine zentrale Aufgabe des BMZ. Und deshalb wollen wir auch die deutsche Privatwirtschaft stärker an der Entwicklungszusammenarbeit beteiligen. Sie bringt schließlich die Erfahrung und das Wissen mit, wie unternehmerische Initiative am ehesten zum Erfolg führt. Der Erfolg unseres Modells, der Verbindung staatlicher und privater Mittel, zeigt, daß die Bündelung von Kräften und Innovationen auf diesem Gebiet möglich ist. Die dritte zentrale Aufgabe für moderne Entwicklungspolitik ist es, die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen zu fördern, ohne daß dies zu Lasten des Wirtschaftswachstums und des Rechts der Armen auf materielle Sicherheit geht. Die Milliardeninvestitionen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in den Umweltschutz bieten viele Beispiele dafür, daß Programme, aus denen sowohl die Wirtschaft als auch die Umwelt Nutzen ziehen, möglich sind. Wenn wir chinesische Kohlekraftwerke umrüsten, so dient dies gleichzeitig der Energieeffizienz und der Luftreinhaltung. Wenn wir helfen, kommunale Wasserversorgungssysteme zu reorganisieren und zu privatisieren, kommt dies gleichermaßen der Bevölkerung, der Wirtschaft und der Umwelt zugute. Unser viertes großes Ziel ist es, den Gedanken der Partnerschaft in der nationalen und internationalen Entwicklungszusammenarbeit noch stärker mit Leben zu erfüllen. Die OECD hat dieses Leitmotiv über ihre Entwicklungsstrategie für das 21. Jahrhundert gestellt. In unserer EZ ist es in den letzten Jahren gelungen, den Konsens mit den Nicht-Regierungsorganisationen zu vertiefen. Wenn es heute in den entwicklungspolitischen Grundauffassungen keine markanten Unterschiede mehr gibt, spricht alles dafür, auch in der praktischen Arbeit ein noch engeres Miteinander anzustreben. Noch immer werden weltweit viele Gelder dafür verwendet, eine unübersichtliche Vielzahl von Entwicklungsbürokratien, bi- und multilateralen Institutionen sowie halbstaatliche und nichtstaatliche Einrichtungen in Funktion zu halten. Wenn wir auch aus unserem politischen Verständnis heraus den Pluralismus wollen, so ist dies nur zu rechtfertigen, wenn die Arbeitsteilung zwischen all diesen. Instanzen besser wird. In einer Welt, die zunehmend enger zusammenwächst, ist das Nebeneinander verschiedener Einrichtungen mit der gleichen Zielsetzung kritischer zu hinterfragen. Das Gebot, Doppelarbeit zu vermeiden, Kosten zu sparen, mehr Wirkung zu erzielen, gilt für alle. Viele Beispiele aus der praktischen Entwicklungszusammenarbeit sind Beweise für eine neue Qualität der Arbeitsteilung im Geiste der Partnerschaft. Auch die Partnerschaft mit den Entwicklungs- und Transformationsländern bedarf eines größeren Gleichgewichts in der Verantwortung und aktiven Mitwirkung. Nicht nur ihr Anteil am Welthandel, auch die politische Bedeutung dieser Länder steigt. Schon heute können wir große Probleme, wie Flucht, Einwanderung, organisierte Kriminalität und Drogenhandel, nicht mehr ohne sie lösen. Das aktuelle Problem der illegalen Einwanderung von Kurden zeigt einmal mehr, daß die Abschottung Europas allein kein wirksames Gegenmittel wäre, sondern wir die Ursachen von Flucht und Wanderungsbewegungen gemeinsam mit den Herkunftsländern vor Ort bekämpfen müssen. ({8}) Die Globalisierung, unter deren Zeichen auch die Entwicklungspolitik zur Jahrhundertwende steht, führt zu zunehmender Arbeitsteilung und Zusammenarbeit. Die Chancen, diese Zusammenarbeit noch weiter zu vertiefen, stehen gut. Noch nie war die internationale Übereinstimmung über Grundfragen der staatlichen Ordnung und der gesellschaftlichen Organisation so groß wie heute. Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft, Selbständigkeit und Verantwortung sind die wesentlichen Strukturmerkmale, die für Entwicklung bestimmend sind. Die Aufgabe des 21. Jahrhunderts wird darin bestehen, dem einzelnen zu helfen, seine eigenen Kräfte zu entfalten. Hierfür sind Bildung, Wissen und Information entscheidende Grundvoraussetzungen. Der von der Weltbank verfaßte Weltentwicklungsbericht 1998 wird sich mit diesen Themen befassen. Dies ist eine Bestätigung für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, die sich schon seit vielen Jahren auf die Schwerpunktbereiche Bildung und Ausbildung konzentriert. Meine Damen und Herren, wenn wir die Chancen, die der Wegfall von Grenzen und Beschränkungen bietet, nutzen, dann kann die Globalisierung einen riesigen Entwicklungsschub auslösen. Entwicklungszusammenarbeit wird damit zu einem herausragenden politischen Handlungsfeld im 21. Jahrhundert. Sie ist eines der umfassendsten, gezieltesten und flexibelsten politischen Instrumente, um der Vision einer Welt in Frieden, Sicherheit und Menschlichkeit näherzukommen. Helfen Sie weiter mit, diese Politik zu stärken und zu fördern! ({9})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Adelheid Tröscher, SPD-Fraktion.

Adelheid Tröscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Umwelt und Entwicklung zusammen an einem Vormittag zu diskutieren und zu debattieren ist für uns neu. Der Zusammenhang ist vielleicht zufällig hergestellt, aber er ist einfach zwingend. Ich freue mich darüber, daß es hier, wie auch immer, gelungen ist. Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker im Ausschuß AWZ haben in der Tat hart gearbeitet, um der Entwicklungspolitik mehr Stellenwert, mehr Bedeutung und Geltung zu verschaffen. Vielleicht ist das ein Ergebnis, das wir heute in der Kernzeit hier diskutieren können. Nach den weltpolitischen Umwälzungen der letzten Jahre müssen wir die Entwicklungspolitik und die Entwicklungszusammenarbeit neu definieren. Eine neue Etappe der Entspannungspolitik ist erforderlich, eine Entspannungspolitik, die nicht mehr nur von militärischen Bedrohungen, sondern von Bedrohungen ganz anderer Art auszugehen hat, nämlich von dem Gegensatz Armut und Reichtum, Flüchtlingswanderungen, regionale Bürgerkriege und Klimaveränderungen. Der Nord-Süd-Konflikt ist in den letzten Jahrzehnten keineswegs auch nur annähernd gelöst worden, sondern verschärft sich in Gestalt zunehmender sozialer Ungleichheiten. Willy Brandt hat bereits als Vorsitzender der NordSüd-Kommission die Bemühungen um den Ausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern als eine neue geschichtliche Dimension für die aktive Sicherung des Friedens begriffen; denn wo Hunger herrscht, kann Friede nicht Bestand haben. ({0}) Wer den Krieg ächten will, muß auch die Massenarmut bannen. Was gebraucht werde, so heißt es im Bericht dieser Kommission, sei ein neuer Glaube an den Menschen, an seine Würde, an seine fundamentalen Rechte, ein Glaube an die Gerechtigkeit, Freiheit, Frieden, gegenseitigen Respekt. Er nennt hier auch die Liebe und Freigebigkeit an Vernunft statt an Gewalt. Das traditionelle Verständnis von Entwicklungspolitik als Entwicklungshilfe hat also ausgedient. Diese Ziele der Entwicklungspolitik waren zu hoch gesteckt und suggerierten, in absehbarer Zeit könnten Armut in den Entwicklungsländern überwunden, die Umweltzerstörungen aufgehalten und die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft in den Entwicklungsländern erhöht werden. Demgegenüber muß Entwicklungspolitik Teil einer neuen politischen Qualität der Gesamtpolitik sein, die die Voraussetzungen für eine weltweite nachhaltige Entwicklung berücksichtigt. Das heißt, die internationalen Dependenzen, die wirtschaftliche Globalisierungsdynamik, die nach wie vor bestehende Armuts-, Umwelt- und Flüchtlingsbewegung und ethnische Konflikte und regionale Kriege erfordern ein Umdenken in vielerlei Politikdimensionen. Die wirtschaftliche Globalisierung hat erhebliche Strukturveränderungen in den Industrieländern nach sich gezogen, trifft die meisten Entwicklungsländer aber besonders hart. Deshalb bestehen die Hauptaufgaben der Entwicklungspolitik darin, im Rahmen einer Weltordnungspolitik der Europäischen Union und auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen zu verbessern, Armut und Hunger überwinden zu helfen, den Umweltschutz zu intensivieren, zur Krisenvorbeugung beizutragen und den Dialog zwischen den Kulturen zu fördern. Entwicklungspolitik kann nicht länger isoliert von anderen Politikbereichen betrieben werden. Sie muß Teil einer zukunftsfähigen Entwicklungspolitik für den Norden und Süden sein, die die Außen-, Sicherheits-, Wirtschafts-, Umwelt- und Sozialpolitik verantwortlich in die politische Entscheidung mit einbindet. ({1}) Sie muß also Querschnittsaufgabe einer neuen globalen Strukturpolitik werden. Dieses erweiterte Verständnis von Entwicklungspolitik kann diese aus ihrer bisherigen Isolierung herausbringen und Teil einer neuen qualitativen globalen Politik sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, jede Politik ist Interessenpolitik, auch die Entwicklungspolitik. Mit einer Neuorientierung der Entwicklungspolitik im weiteren Sinne verbinden sich auch wohlverstandene Eigeninteressen der Industrieländer: die Sicherung und Beschaffung von Arbeitsplätzen, die Erhaltung der Umwelt, die Stärkung der Demokratie, die Sicherung bzw. Herstellung von Menschenrechten, der Kampf um soziale Gerechtigkeit und Solidarität sowie die Erhaltung des Friedens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies alles führt dazu, daß wir die Entwicklungspolitik reformieren müssen. Ich will hierbei auf fünf Punkte eingehen: Erstens. Wir müssen die Wirkung der Entwicklungspolitik steigern. Zu oft krankte die Entwicklungspolitik insbesondere während des Ost-WestKonflikts an einer Reihe von politischen Schwächen, die es künftig zu vermeiden gilt. De facto bedeutete Entwicklungspolitik oft eine Protektion undemokratischer, reformunfähiger Entwicklungsländer. Institutionelle Willkür und fehlende Rechtssicherheit unterliefen sowohl die Bemühungen der Auslandshilfe und deren wirksamen Einsatz als auch die Förderung sinnvoller Eigenanstrengungen der Bevölkerung. Hier möchte ich die Korruption natürlich nicht unerwähnt lassen. Es wurde aber schon verschiedentlich darauf eingegangen. ({2}) - Ja, immer noch. Hinzu kommt: Entwicklung braucht Zeit. Entwicklungspolitik kann, richtig eingesetzt, Notsituationen entschärfen, sinnvolle Beiträge und Impulse für die Entwicklung in einem Land leisten und insofern Impulse mit Beispiel- und Modellcharakter liefern. Allein das Finanzvolumen von 7,5 Milliarden DM für 60 Entwicklungsländer macht deutlich, daß Entwicklungspolitik lediglich Anstöße in einem Entwicklungsprozeß geben kann, um die Lage der Menschen zu verbessern. Auch die Entwicklungswelt hat sich in den letzten Jahren immer weiter differenziert. Deshalb müssen wir bei der Vergabe von Finanzmitteln in der Entwicklungszusammenarbeit künftig stärker zwischen Schwellenländern und ärmeren Entwicklungsländern unterscheiden. Schwellenländer sollen Fördermittel insbesondere für den Umwelt-, Energie- und Verkehrssektor, aber auch zur Förderung der Demokratie erhalten, während die ärmeren Entwicklungsländer in den Bereichen Bildung, Umweltschutz, Armutsbekämpfung, Ernährungssicherung und der gesellschaftlichen Partizipation gefördert werden sollen. Nicht zu vergessen ist die Förderung von Frauen. Es muß trotz der angespannten Haushaltslage energischer politischer Wille der Bundesregierung sein, Schritte zu einer partnerschaftlichen und damit glaubwürdigen Gestaltung der Nord-Süd-Beziehungen zu unternehmen und zusätzlich neue Vorschläge zu erarbeiten, um globale Entwicklungsfinanzierung zu ermöglichen. Auch die Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit müssen gestärkt und ihre Wirksamkeit erhöht werden. Charakteristisch für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist die pluralistische Durchführungsstruktur. Wir wollen sie erhalten. Diese institutionelle Vielfalt ist im Laufe der letzten Jahre gewachsen. Sie ermöglicht eine breite Verankerung in der deutschen Gesellschaft und einen lebendigen entwicklungspolitischen Diskurs in der Öffentlichkeit. Dennoch sind Überlegungen erforderlich, wie das BMZ einen abgestimmten Einsatz der Instrumente wie eine funktionale, gleichberechtigte und dauerhafte Zusammenarbeit der Durchführungsorganisation sicherstellen kann. Damit bin ich beim zweiten Punkt: Wir brauchen eine Neuorganisation der Entwicklungspolitik innerhalb der Bundesregierung, um Entwicklungspolitik wirklich als Querschnittsaufgabe zu gestalten. Es kann doch nicht sein, daß zahllose Aufgaben mit entwicklungspolitischen Bezügen in mehr als 30 Referaten von 13 unterschiedlichen Bundesministerien - ohne das BMZ - wahrgenommen werden. Wir wollen das BMZ stärken, um den globalen Risikoentwicklungen besser begegnen zu können. Wir brauchen daher eine Neuorganisation der entwicklungspolitischen Aufgaben und Zuordnungen innerhalb der Bundesregierung. ({3}) Zusätzlich müßte diesem Fachressort die federführende Zuständigkeit für Entwicklungsaufgaben in den UN-Sonderorganisationen sowie bei den entwicklungspolitischen UN-Konferenzen übertragen werden. Insgesamt muß das Regierungsmanagement wirtschaftlicher arbeiten, Doppelarbeit vermeiden, Organisationsstrukturen straffen und unnütze Vorschriften aufheben. Drittens muß die Querschnittsaufgabe der Entwicklungspolitik dauerhaft gesichert werden. Ich habe darauf schon hingewiesen. Wir müssen die Entwicklungspolitik endlich auf eine gesetzliche Grundlage stellen. Die Vorschläge meiner Fraktion hierzu liegen schon seit Jahren vor. Wir haben sie wiederholt eingebracht. ({4}) - Natürlich ist es ein sehr guter Gesetzesvorschlag. Sie brauchen dem eigentlich nur zuzustimmen. Dann wären wir damit einverstanden. ({5}) Schließlich müssen wir die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft stärken. Die Globalisierung der Weltmärkte ist eine der zentralen Herausforderungen auch für die deutsche Wirtschaft. Immer mehr Wirtschaftsunternehmen erkennen, daß ihr Erfolg und die Ausschöpfung von Handlungsspielräumen langfristig auch von der Qualität des Standorts abhängig ist. Die Entwicklungspolitik hat die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft bislang vernachlässigt. Staatliche Entwicklungspolitik und private Geschäftsinteressen sollen sich nicht widersprechen, sondern ergänzen. Kapitalkraft und auch Kompetenzen von privatem Kapital und Management müssen für die Entwicklungsprozesse genutzt werden. Ohne Frieden ist alles nichts. Unter diesem Satz von Willy Brandt und den Leitmotiven des Minderheitenschutzes und dem Schutz der Menschenrechte für Kinder, Frauen und Männer - wir wollen gleiche Rechte und Beteiligungsmöglichkeiten - soll die Politik von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen. Sie ist aus einer Grundüberzeugung von der einen Welt entstanden, in der wir gemeinsam leben, voneinander abhängig sind und über unsere Zukunftsinteressen miteinander verbunden sind. Hieran wollen wir weiter arbeiten, um das Bewußtsein zu stärken und um insbesondere bei uns in Deutschland und in Europa durch Dialog und Zusammenarbeit die Toleranz und die Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Religionen, insbesondere aber die Hilfe für die Schwächsten auf dieser Erde zu erhöhen. Ich danke Ihnen. ({6})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention der Abgeordneten Ingrid Matthäus-Maier, SPD-Fraktion. Ich bitte Sie, daß Sie uns sagen, auf welchen Redebeitrag im Plenum sich diese Kurzintervention bezieht.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auf den Redebeitrag meiner Kollegin Adelheid Tröscher. Sie hat gesagt: Wir müssen gemeinsam die Korruption in der dritten Welt bekämpfen. Ich nehme an, daß wir uns in diesem Punkt einig sind. Als ich aber den Zwischenruf machte, daß wir dafür sorgen müssen, daß die steuerliche Absetzbarkeit von Schmiergeldern im Ausland abgeschafft wird, entstand auf der Seite der Koalition eine gewisse Unruhe, als wäre diese Forderung nicht angebracht. ({0}) Ich möchte hier klar sagen: Bis zum Jahressteuergesetz 1996 waren Schmiergelder im In- und Ausland steuerlich absetzbar - ein großer Skandal. ({1}) Wir haben nach langen Auseinandersetzungen erreicht - ich möchte gar nicht vertiefen,. wer auf seiten der Regierungskoalition dafür gekämpft und wer sich furchtbar stur gestellt hat; das ist heute nicht mein Thema; wir haben es mit Ihnen durchgesetzt -, daß Schmiergelder im Inland unter bestimmten Voraussetzungen steuerlich nicht mehr absetzbar sind. Nach wie vor bleibt aber die Regelung bestehen, daß Schmiergelder, die im Ausland gezahlt werden, steuerlich absetzbar sind. Obwohl das Parlament über seine Ausschüsse die Regierung gebeten hat, diese Regelung abzuschaffen, ist sie immer noch geltendes Recht. Eine Abschaffung wird zwar von der Regierung geprüft - eine genaue Untersuchung ist zugesagt worden -, aber diese Regelung ist immer noch geltendes Recht. Die Regierung verweist darauf, daß andere Länder mitmachen müßten. Völlig richtig. Nur: Die allermeisten Länder sind in dieser Frage weiter als wir. Wenn vor wenigen Wochen der Generalsekretär der OECD, Herr Johnston aus Kanada, noch einmal ausdrücklich angemahnt hat, daß zur Korruptionsbekämpfung in der dritten Welt eben auch die Abschaffung von im Ausland gezahlten Schmiergeldern gehört, dann finde ich das gut. Wenn ich Ihren aufgeregten Reaktionen entnehmen kann, daß auch Sie dieser Meinung sind, dann fordere ich Sie auf, im Bundestag und Bundesrat endlich ein weiteres Gesetz zu beschließen und an bestehende Gesetze anzuhängen, das diesen Skandal abschafft, daß Schmiergelder im Ausland weiterhin steuerlich absetzbar sind. ({2})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Auf den Beitrag der Frau Abgeordneten Tröscher erteile ich das Wort zu einer Kurzintervention dem Abgeordneten Professor Winfried Pinger, CDU/CSU-Fraktion.

Prof. Dr. Winfried Pinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001719, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte im Hinblick auf den Beitrag von Frau Tröscher, aber natürlich auch im Hinblick auf den Beitrag von Frau Matthäus-Maier klarstellen, daß nicht die Opposition in der OECD vertreten ist, sondern die Bundesregierung und daß die Bundesregierung in der OECD ihren Beitrag dafür geleistet hat, daß die Korruption im nationalen wie im internationalen Rahmen bekämpft wird. ({0}) Das hat die Bundesregierung vor zwei Jahren beschlossen. Sie hat sich intensiv daran beteiligt, daß die Korruption geächtet wird und daß die Konsequenzen im internationalen Bereich gezogen werden. ({1}) Ich hatte den Eindruck, daß die Frau Kollegin Matthäus-Maier diese beiden Sachverhalte nicht klar erkannt hat; sie hat sie hier falsch dargestellt. Danke schön. ({2})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Frau Abgeordnete Tröscher, die beiden Kurzinterventionen haben sich zumindest indirekt mit Ihrem Beitrag beschäftigt. Möchten Sie antworten?

Adelheid Tröscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002822, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe nicht bestritten, was Sie gerade gesagt haben. Das hat auch Frau Matthäus-Maier nicht bestritten. Aber geltendes Recht ist bei uns nach wie vor, daß Schmiergelder steuerlich abgesetzt werden können. Das ist eine Schweinerei, und das muß geändert werden. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Christian Ruck, CDU/CSUFraktion.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bedaure es heute besonders, so wenig Zeit zu haben, weil ich gern insbesondere auf den Beitrag von Frau Uschi Eid geantwortet hätte. Frau Eid, Sie haben für Ihr sonst so hohes Niveau heute wirklich zu oft danebengehauen, eigentlich vollkommen danebengehauen. - Sie können mir eine Zwischenfrage stellen, dann können wir darüber diskutieren. Ich freue mich aber außerordentlich, daß unser Fraktionsvorsitzender heute gesprochen hat, im Gegensatz zu Ihrem, der übrigens gar nicht da war. ({0}) - Na ja. ({1}) Ich kann nahtlos an seine Analyse anknüpfen. Als 1961 das Entwicklungsministerium als ein bescheidenes Pflänzchen gegründet wurde, hat niemand geahnt, daß die Entwicklungspolitik 35 Jahre später zu einem Schlüsselbereich für die Zukunftssicherung bei uns, weltweit und für die kommenden Generationen werden würde. In der Tat, die Krisen zum Beispiel in Südostasien, die trostlose Lage in Algerien, die Genozide in Schwarzafrika, die gigantische Zerstörung der Umwelt und die Flüchtlingswelle aus dem Osten und dem Süden, all das hat zu tun mit Fehlentwicklung oder fehlender Entwicklung: fehlender Demokratie, mangelnder Rechtsstaatlichkeit, mangelnder Staatsfunktion, krasser Armut, fehlender Bildung, ungerechter Chancenverteilung und auch mit Korruption und dem Auseinanderdriften von Arm und Reich. Immer stärker - auch das ist richtig - sind dies Zeitbomben, die auch auf die Deutschen und die anderen Europäer zurückschlagen, ökonomisch, ökologisch und sicherheitspolitisch. Deswegen ist es in der Tat ein Gebot der Stunde, die deutsche und die internationale Entwicklungspolitik zu stärken. Denn nur die Entwicklungspolitik hat die Möglichkeit und die Instrumentarien, um an die Ursachen und Wurzeln der Probleme gehen zu können. Für mich heißt Stärkung folgendes: Erstens. Wir müssen weiter hartnäckig um Koordination und Kohärenz im internationalen Entwicklungsbereich kämpfen. Wir haben hier spürbare Fortschritte erzielt, zum Beispiel bei der Weltbank, die in den Schwerpunkten Umwelt, Armutsbekämpfung und guter Regierungsführung weit auf unsere Linie eingeschwenkt ist. Aber gerade im UN-System ist eine Effizienzsteigerung dringend notwendig. Auch bei der außenpolitischen Absicherung entwicklungspolitischer Ziele laufen Anspruch und Wirklichkeit oft noch auseinander. Entscheidend ist auch, daß die Industrieländer ihre Versprechen im Rio-Prozeß einhalten, daß wir zum Beispiel die Wiederauffüllung der globalen Umweltfazilität gerade nach der Konferenz in Kioto würdig über die Bühne bringen. Da muß man doch wirklich sagen, daß das Thema Umwelt und Entwicklung von niemandem so engagiert und auch von niemandem so erfolgreich international auf die Bühne gebracht und durchgesetzt wird wie von der Bundesregierung, vom Bundeskanzler und seinen Ministern; ({2}) im Gegensatz zum Beispiel zur Weltmacht USA, die zwar die Rohstoffe Afrikas wiederentdeckt hat, aber nicht bereit ist, ihre milliardenschweren Schulden bei der UNO zu bezahlen. ({3}) Zweitens. Um unser entwicklungspolitisches Rüstzeug im Ausland stärker durchzusetzen, ist eine deutliche Erhöhung des Anteils an qualifiziertem deutschen Fachpersonal in internationalen Organisationen und auch bei der EU unerläßlich. Bund und Länder bleiben aufgerufen, hierfür die Weichen zu stellen. Drittens. Wir müssen die Flexibilität der deutschen Entwicklungspolitik beibehalten. Deswegen halte ich auch den Ruf der Opposition nach einem Entwicklungsgesetz für gefährlich, weil dieses für mich zu vieles zementieren würde. ({4}) Wir haben zum Beispiel einen Grundsatzbeschluß, keine FZ-Mittel in Schwellenländer auszugeben. Wenn wir uns sklavisch daran halten müßten, gäbe es auch die wichtige Zusammenarbeit mit Malaysia auf dem Gebiet der beruflichen Bildung und des Tropenwaldschutzes und auch die nach vielen Rückschlägen eingetretenen Erfolge beim Waldschutz in Brasilien nicht. Ich bin sogar der Meinung, daß wir die Flexibilität noch erhöhen sollten, wenn es darum geht, positive Entwicklungen in dem einen oder anderen Land rasch zu festigen oder negative Entwicklungen in anderen Ländern schneller zu sanktionieren, wie es gerade in Indonesien, Frau Eid, geschehen ist. Viertens. Ich möchte ein Plädoyer für eine zeit- und sachgemäße Stärkung des BMZ aussprechen. ({5}) Das Ministerium bewältigt die Fülle neuer Aufgaben nach dem Zusammenbruch des Ostblocks mit weniger Personal als vor der Wende. Dafür gebührt allen Beamten und Entwicklungshelfern, aber auch den Kirchen und allen Stiftungen ein hoher Respekt. ({6}) Um aber die ständig wachsenden Herausforderungen annehmen zu können, brauchen wir bereits mittelfristig mehr Personal und auch mehr Geld. Ich jedenfalls halte auch weiterhin an dem 0,7-ProzentZiel fest. Alles andere käme uns letztlich viel teurer zu stehen. ({7}) Vor allem aber sollten wir uns über alle Parteigrenzen hinweg in diesen Monaten und auch nach dem Wahlkampfgetöse über eine sachgemäße Zusammenführung aller entwicklungspolitischen Kompetenzen des Bundes im Ressort des BMZ verständigen. Dies betrifft die Aufbau- und Reorganisierungsarbeit in Osteuropa ebenso wie die Durchführung der humanitären, der Katastrophen- und Flüchtlingshilfe, der Demokratieförderung und der entwicklungspolitischen Arbeit der Europäischen Union. ({8}) Außerdem halte ich es für wichtig und sachdienlich, daß in Zukunft das BMZ im Bundessicherheitsrat vertreten ist, da dort auch die Entscheidungen über Exporte in Entwicklungsländer fallen. Schließlich muß die Zuständigkeit für die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung wie für alle anderen Regionalbanken in das BMZ. Eine derartige organisatorische Stärkung des Fachressorts würde für mich nicht nur eine weitere Effizienzsteigerung der deutschen Entwicklungspolitik bedeuten, sondern auch ein wichtiges politisches Signal für unsere Bürger und die Regierungen in den Industrie- und Entwicklungsländern setzen, daß wir, Parlament und Bundesregierung, die große Zukunftsaufgabe „Entwicklungspolitik" als Weltinnenpolitik und Weltstrukturpolitik weiterhin entschlossen angehen. ({9})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Schmitt, Bündnis 90/ Die Grünen.

Wolfgang Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002784, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese entwicklungspolitische Debatte ist voraussichtlich die letzte Gelegenheit in dieser Legislaturperiode, über diesen wahrlich umfassenden Themen- und Problembereich zu sprechen. Herr Dr. Schäuble, mein Kompliment: Sie haben von diesem Rednerpult aus sicherlich angemessen die Problemlage beschrieben und zugegebenermaßen auf hohem Abstraktionsniveau die Zukunftsaufgaben umrissen. ({0}) Nur, je mehr man abstrahiert, um so weiter entfernt man sich von den realen Problemen. Die wirklichen Probleme der Entwicklungszusammenarbeit lassen sich nicht im Konzeptionellen finden, sondern auf der operativen Ebene. Die operative Ebene, also das, was tagtäglich hier im Lande, aber auch auf internationaler Ebene geschieht, ist natürlich das, was die Bevölkerung dieses Landes interessiert. Denn das ist dann der Nachweis dafür, ob Steuergelder adäquat verwendet werden oder nicht. Zu diesem Thema möchte ich jetzt sprechen. Erstens. Herr Dr. Schäuble, Sie haben gesagt, die Bundesrepublik Deutschland sei ein Vorreiter in der Liberalisierung des internationalen Handels gewesen. Das habe auch ich - ich muß eingestehen, ich bin da nicht immer Ihrer Meinung gewesen - immer geglaubt. Wenn Sie sich aber die Position der Bundesregierung bei den Verhandlungen mit der Republik Südafrika - wie gesagt, im Konkreten erweist sich die Glaubwürdigkeit Ihrer Politik - anschauen, dann werden Sie feststellen, daß das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundeslandwirtschaftsministerium im Vergleich zu unseren europäischen Partnern eine lange Liste von Vorbehalten geltend gemacht haben, was den Warenaustausch mit Südafrika angeht. Diese Liste gipfelte in der Absurdität, daß die Bundesrepublik Deutschland den deutschen Spargelmarkt vor Spargelimporten aus Südafrika schützen wollte. Dies ist absurd deswegen, weil die Spargelsaison in Südafrika dann stattfindet, wenn hier Winter ist und hier überhaupt keine Spargelbetriebe gefährdet sind. Das ist niemandem aufgefallen, hat aber große ökonomische Auswirkungen für das Entwicklungsland Südafrika. Das sind die Fragestellungen, die auch für unsere Partnerländer zählen. ({1}) Zweitens. Es gibt, so glaube ich, keine großen Differenzen bei der Analyse der Ursachen der Finanzkrise in Südostasien. Es handelt sich um eine schlechte Regierungsführung, um ein Versagen der Eliten in diesen Ländern. Was sich aber jetzt abspielt, ist, daß innerhalb des US-Kongresses eine lebhafte Debatte über die geeigneten Gegenmaßnahmen festzustellen ist und diesbezüglich innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und des Regierungslagers kaum etwas zu hören ist. Die große Gefahr, die besteht und mit der wir als Entwicklungspolitiker konfrontiert sind, ist doch folgende: Die Bevölkerung in den betroffenen Ländern, die von dieser Spekulationsblase nicht profitiert hat, muß in Zukunft die Zeche für die ökonomische Sanierung dieser Staaten zahlen. Aber die internationalen Investoren, die leichtfertig, ohne die Risiken realistisch einzuschätzen, ihr Geld in diese Ökonomien gepumpt haben, werden mit Mitteln des IWF und damit letztlich mit Steuergeldern vor den entsprechenden Risiken geschützt. Ich denke, es muß Aufgabe der Politik der Bundesregierung sein, daß diejenigen, die diese Risiken leichtfertig auf sich genommen haben, auch die entsprechende Risikoprämie zu zahlen haben, und daß dies nicht auf Kosten der Steuerzahler hierzulande geschieht, aber auch nicht auf den Rücken der betroffenen armen Menschen in Südostasien abgewälzt wird. ({2}) Weiterer Hinweis: multilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Wir haben befriedigt zur Kenntnis genommen, daß sich mit der Amtsübernahme des neuen Weltbankpräsidenten Wolfensohn zumindest verbal konzeptionell einiges ändern soll. Zur Debatte steht aber ein konkretes Projekt, an dem sich wahrscheinlich erweisen wird, ob die Reformversprechen der Weltbank, aber auch die bescheidenen Reformforderungen der Bundesregierung an die Weltbank umgesetzt werden. Es geht um das Tschad-KamerunErdölprojekt, welches den besonderen Charme besitzt, daß es mit Mitteln der Armutsbekämpfung von seiten der Weltbank gefördert werden muß. Dieses Projekt ist ordnungspolitisch bedenklich, weil ein Vorhaben der Konzerne Shell/Exxon und Elf unterstützt werden soll. Ansonsten bekennen sich große Teile der Bundesregierung gerade dazu, in Sachen Subvention sehr vorsichtig zu operieren. Es ist auch entwicklungspolitisch bedenklich, wenn Entwicklungsgelder für die Ölförderung ausgegeben werden. Wir wissen, daß in fast allen Entwicklungsländern die Förderung von Öl eher Fluch als Segen ist, daß die Eliten in diesen Staaten in ihren Anstrengungen nachlassen, eine wirklich produktive Basis zu schaffen, daß vielmehr im Gegenteil diese Reichtümer auch Ursache für Kriege sein können - siehe Angola. Deswegen, so denke ich, ist es entwickWolfgang Schmitt ({3}) lungspolitisch nicht angemessen, dieses Projekt zu fördern, zumal auch Steuergelder auf dem Spiel stehen. Drittes Argument: die ökologische Frage. Wir erleben in Kolumbien Tag für Tag, wie Pipelines von Terroristen, von gewalttätigen Aufständischen attackiert werden. Auch dagegen gibt es keinen Schutz in der Region. Viertes Argument: Man ging davon aus, daß das Engagement der Weltbank gemeinsam mit dem Privatsektor dazu führt, daß Gelder für die Armutsbekämpfung generiert werden. Die beteiligten Regierungen, sowohl in Kamerun als auch im Tschad - da sprechen sogar offizielle UNO- und Weltbank-Quellen eine eindeutige Sprache -, geben keinen Anlaß dafür, daß die erzielten Öleinnahmen tatsächlich zur Armutsbekämpfung eingesetzt werden, es sei denn, meine Damen und Herren, man versteht Armutsbekämpfung als Bereicherung der wenigen Eliten. In diesem Bereich sind in der Tat die Suhartos, Mobutus und wie sie alle heißen, besonders erfolgreich gewesen. Nur, ich glaube, das ist nicht die Art von Armut, die wir alle uns international erfolgreich zu bekämpfen vorgenommen haben. Deswegen appelliere ich an Sie und auch an die Bundesregierung, wachsam zu sein und mit uns gemeinsam dieses Projekt, insbesondere die Verwendung von Mitteln zur Armutsbekämpfung, die letztlich in den Koffern internationaler Ölkonzerne und einheimischer Eliten landen, zu verhindern. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einige Bemerkungen zur Legitimität von Entwicklungspolitik und zur Glaubwürdigkeit machen. Wir können es nur begrüßen, daß heute der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, der für alle Teile der Politik Verantwortung trägt und damit in größerem Maße als die Fachpolitiker, diese Debatte eröffnet hat. ({0}) Das gibt uns nämlich Gelegenheit, auf mögliche Konfliktpunkte hinzuweisen, wo wir uns als Entwicklungspolitiker mehr Unterstützung wünschen. Sie, Herr Schäuble, haben die Komplexität von Entwicklungszusammenhängen sehr deutlich dargestellt. Ich möchte daran die Bemerkung knüpfen, daß es neben dieser globalen Darstellung notwendig ist, sich sehr deutlich zu machen, daß es nicht mehr d i e erste Welt und nicht mehr die dritte Welt gibt, sondern daß wir Differenzierungen beachten müssen, die weit über die Bezüge hinausgehen, in denen zu diskutieren wir als Entwicklungspolitiker oder als Politiker überhaupt uns angewöhnt haben. Die Situation in Afrika ist heute eine völlig andere als die Situation in den Ländern Asiens; die Entwicklung in Afrika ist völlig anders als die in Südamerika verlaufen. Wenn wir uns die zerfallene Sowjetunion und ihre Nachfolgestaaten anschauen, so werden wir finden, daß wir es dort mit einem wiederum anderen Problembündel zu tun haben, auf das wir differenziert eingehen müssen. Dies ist eine Frage, die wir sehr viel sorgfältiger beachten müssen, wenn wir Entwicklungspolitiker im gesamten Politikkontext ernster genommen werden wollen als bisher. Aber ich will noch einen anderen Punkt nennen. Die Armutsbekämpfung und die Diskussion über Armutsbewältigung stehen im Vordergrund. Wen würden nicht die Bilder von hungernden Kindern aus Afrika besonders berühren, die über unsere Fernsehschirme gehen? Aber wir müssen auch sehen, daß es eine ganze Reihe von Ländern der dritten Welt gibt, in denen inzwischen viele Reiche zu finden sind. Das ist auch bekannt. ({1}) - Nicht nur in Brasilien, auch in China und Indien ist das der Fall - in Ländern also, die in großem Umfang von uns Entwicklungshilfe beziehen. Auf der anderen Seite wissen die Menschen: Es gibt viel Armut, auch in den Industrieländern. Damit ist ein Legitimitätsproblem umrissen, das Entwicklungspolitik heute hat. Wer in- globalen Zusammenhängen denkt und nur darüber redet, wird die Herzen und auch die Köpfe der Menschen in unseren Ländern nicht erreichen. Das schafft er nur dann, wenn er auch das mit beachtet. ({2}) Ein zweiter Punkt. Wenn wir die Krisenherde dieser Welt betrachten, dann stellen wir sehr schnell fest, daß Entwicklungsländer heute nach wie vor Spielball der Interessen von Industrieländern sind - Spielball auch von Großmächten oder von Ländern, die gern Großmacht sein wollen. Deswegen sage ich: Weil die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Entwicklungspolitik immer versucht hat, einen anderen Weg zu gehen und nicht ihre eigenen Interessen den Entwicklungsländern überzustülpen, sind wir aufgefordert, unseren Beitrag dazu zu leisten, die nächste Phase der Entkolonialisierung der Entwicklungsländer bei unseren eigenen Partnern, die zum Teil unsere Freunde sind, durchzusetzen. Afrika wäre sehr geholfen, wenn es nicht mehr als Vorfeld und Interessengebiet von Frankreich und den USA angesehen würde, ({3}) sondern als wirklicher Partner der Entwicklungszusammenarbeit. Die Auseinandersetzung in der Republik Kongo - ich nenne auch Kongo Brazzaville -, der zurückliegende Krieg in Ruanda und der in Uganda belegen, daß es überall dort Machtinteressen von Industrieländern gegeben hat. Das war nicht im Interesse der Armen in diesen Ländern, und das Engagement zielte natürlich auch gar nicht darauf ab, den Interessen der Armen zu dienen. Auch das ist die Aufgabe des wiedervereinigten Deutschland in einer Welt, die sich geändert hat, Verantwortung wahrzunehmen. Der nächste Punkt bezieht sich auf die Waffenexporte. Waffenexportverbote gibt es reichlich. Ich wünsche mir, daß die Bundesregierung eine Initiative wieder aufgreift, die es in den 80er Jahren schon einmal gegeben hat, nämlich ein Waffenexportregister bei den Vereinten Nationen zu fordern und alles daranzusetzen, das auch durchzusetzen. Was sehen wir denn heute? Im ehemaligen Jugoslawien sind Kriegswaffen angehäuft worden, die, wenn wir nicht aufpassen, jederzeit wieder eingesetzt werden könnten, was zu einer Explosion führen könnte. Es gibt in der Region der Großen Seen eine Anhäufung von Kriegswaffen, die wir überhaupt nicht übersehen können, die aber auf jeden Fall größer ist als die Anzahl der Wohnunterkünfte für die Menschen in der Region, die auf jeden Fall größer ist als die Anzahl der Schulen, der Ärzte und der Handwerker, die notwendig wären, um diese Länder wirklich auf einen erfolgreichen Entwicklungsweg zu bringen. Dritter Punkt, meine Damen und Herren. Wir haben, wie ich finde, für die Weiterentwicklung der Entwicklungspolitik sehr gute Prinzipien aufgestellt: Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Durchsetzung der Menschenrechte und marktwirtschaftliche Bedingungen. Wir müssen uns natürlich die Frage stellen, ob und wie wir uns in jedem Einzelfall bei der Anwendung dieser Kriterien messen lassen können. Meine Damen und Herren, die Unterstützung von Diktatoren aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen kann durch keine Entwicklungshilfe dieser Welt wiedergutgemacht werden. Weder bilaterale noch multilaterale Entwicklungshilfe sind so Bernessen, daß sie eine Unterstützung von korrupten Diktatoren auffangen könnten. - Suharto ist hier genannt worden. Ich wundere mich, wie plötzlich alles auf Suharto eindrischt; denn diese Entwicklung existiert nicht erst seit heute und gestern. Vielmehr ist es eine Entwicklung, auf die auch von diesem Pult aus von einer ganzen Reihe von Rednern aus allen Fraktionen schon vor einem oder eineinhalb Jahren aufmerksam gemacht worden ist. ({4}) Letzte Bemerkung. Es gibt viele Länder dieser Welt, die sich vor, in oder nach einem Konflikt befinden. Wenn ich mich in der Welt umschaue, dann stelle ich fest, daß es seit 1990 mehr Länder gibt, die sich in einer solchen konfliktbeladenen Situation befinden, als vorher, weil Mehreres nach dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes deutlich geworden ist. Mit dem Rückzug von Geldgebern zum Beispiel aus Afrika und den Stellvertreterkriegen, die dort geführt worden sind, sind eben auch eine Menge anderer Konflikte aufgebrochen. Worum es jetzt geht, ist tatsächlich, Entwicklungspolitik in post-conflict peace building einzubinden, die gleichzeitig den nächsten Konflikt verhindern soll.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist längst zu Ende.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das habe ich zwar noch nicht gesehen, aber ich komme zum Schluß. Vielen Dank, Frau Präsidentin. Deswegen, meine Damen und Herren, ist es richtig, daß die Bundesregierung bei den Vereinten Nationen durchgesetzt hat, daß dort dieser größere Zusammenhang im Rahmen von Prävention, aber auch von Friedensbildung aufgenommen und ihm eine sehr viel größere Bedeutung beigemessen wird. Das, meine Damen und Herren, denke ich, ist notwendig, wenn wir unserer Verantwortung im Rahmen einer global angelegten Entwicklungspolitik gerecht werden wollen. Das bedeutet nicht, daß dieses alles in einem Ministerium gemacht werden muß. Die Bundesregierung ist ein Organ, das zusammenwirkt.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Sie müssen jetzt aber wirklich zum Schluß kommen.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Als ein solches zusammenwirkendes Organ müssen sie diese komplexen Zusammenhänge auch bearbeiten. Sie werden es tun. Ich danke Ihnen. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil, CDU/ CSU-Fraktion.

Alois Waldburg-Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002413, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen - Herr Dr. Schäuble, Sie haben damit in brillanter Weise ein Problem gekennzeichnet, das uns in Afrika in ganz besonderer Weise begegnet. Wenn vorhin gesagt worden ist, es sei gut, daß wir heute umwelt- und entwicklungspolitische Fragen miteinander besprechen, dann, glaube ich, gehört noch die Spätabenddebatte über die auswärtige Kulturpolitik dazu. Ich glaube, Frau Schwaetzer, Sie waren es, die in unseren Antrag den kulturellen Dialog eingefügt haben, der ebenfalls in unserer Afrikapolitik notwendig ist. Damit möchte ich mich den vier Anträgen zuwenden, die heute unter den zahllosen Anträgen vorliegen, die sich mit Afrika befassen. Ich möchte dabei drei Beobachtungen herausgreifen: Die erste beinhaltet, daß der größte Feind jeglicher Entwicklung der Zerfall staatlicher Ordnungen durch Bürgerkriege ist, an deren Ende der chaotische Kampf zwischen Kriegsherren und Bandenchefs steht. Leider hat uns der afrikanische Kontinent in jüngster Zeit so viele Beispiele dieser Art geboten, daß zu einer gründlichen Behandlung eine Tagung nicht ausreichen würde. Wie tief die Menschlichkeit dabei sinkt, zeigt der Einsatz von Kindersoldaten, die unter Alkohol und Drogen wie Kampfhunde zum Töten abgerichtet werden. Ein Antrag dieser Debatte befaßt sich mit der Überwindung von Kinderarbeit in Entwicklungsländern. Vorab wäre es nötig, jede Hilfe für Länder zu sperren, die Kinder als Soldaten mißbrauchen. ({0}) Dasselbe gilt für Regime, die Flüchtlinge systematisch massakrieren oder, wie in Burundi, große Teile der Bevölkerung in Konzentrationslager sperren. Nun gebe ich zu, daß es in Afrika schwierig ist, Partei zu ergreifen. Der Sicherheitsrat versucht es, indem er zum Beispiel in Angola Sanktionen gegen die UNITA verhängt und die MPLA unterstützt, obwohl die angolanische Regierung in einem Nachbarland, nämlich in Kongo/Brazzaville, militärisch eingegriffen und einen demokratischen Präsidenten gestürzt hat, obwohl auch sie Vereinbarungen nicht einhält und obwohl die riesigen Einnahmen aus Ölförderung - Herr Kollege Schmitt ist nicht mehr da - noch nicht einmal im Staatshaushalt erscheinen. Was ich damit sagen will, ist folgendes: Es geht nicht darum, ob wir Sympathien für „Diamantenkorruption" der einen oder „Ölkorruption" der anderen Seite hegen, sondern darum, daß Korruption insgesamt aufhört. ({1}) Es geht darum, daß nicht immer noch mehr Geld für Waffenkäufe fließt, sondern daß die Parteien gezwungen werden, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Ich möchte das mit großem Ernst auch in bezug auf Burundi sagen. ({2}) Die Putschistenregierung muß sich mit den Widerstandsgruppen zur Wiederherstellung von Demokratie zusammensetzen, sei es durch Fortsetzung der Verhandlungen in Rom, sei es durch Fortsetzung der Verhandlungen unter Vermittlung Tansanias. Was hier in vielen Reden und Resolutionen zum Ausdruck kam, soll wiederholt werden: Die deutsche Politik muß im Rahmen ihrer europäischen und weltweiten Einbindung alles tun, um Konflikten vorzubeugen. Ihre Folgen zu beseitigen ist immer teurer. Zweitens. Afrika-Pessimismus ist dennoch nicht angebracht. Man muß die positiven Beispiele sehen und würdigen. In aller Munde sind zur Zeit die schrecklichen Mordserien in Algerien. Ob nun allein Fundamentalisten die Urheber sind oder ob das Militär beteiligt ist, entscheidend ist der folgende Punkt: Armut und Hoffnungslosigkeit sind der beste Nährboden für solchen Horror. Tunesiens Regierung beispielsweise - was immer auch im Hinblick auf Menschenrechte kritisch anzumerken ist - pflegt bewußt soziale Politik, zum Beispiel Wohnungsbau für arme Bevölkerungsschichten, um in diesem Lande den Fundamentalisten den Nährboden zu entziehen. Übrigens bietet auch Marokko ein gutes Beispiel; zu loben sind die Menschenrechtsfortschritte, die in diesem Land getan wurden. Die genannten Länder des Maghreb zeigen, daß es sich nicht um Probleme in fernen Kontinenten handelt, sondern um südliche Anrainer jenes Mittelmeeres, das einst die Mitte Europas war und es auch wieder werden wird. Die Partnerschaft mit denen besonders zu pflegen, die Heilungskräfte gegen Staatszerfall, Bürgerkrieg und Massaker entwickeln, ist vermutlich die beste Prophylaxe. Nochmals Tunesien. „Frauen" und „nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit" sind ein Thema dieser Debatte. Tunesien ist ein islamisches Land, in dem die Frau eine besondere, eine positive Stellung einnimmt. Es gibt keine prinzipiellen unheilbaren Konflikte mit dem Islam in dieser Frage; vielmehr gibt es sie nur mit einer totalitären Spielart, die Religion zu politischen Zwecken mißbraucht. ({3}) Drittens. Bildung ist das wichtigste Element der Entwicklungspolitik. In diesem Zusammenhang möchte ich einen Antrag ansprechen, der, zunächst von der SPD dankenswerterweise eingebracht, im Zuge der Ausschußberatungen einstimmige Zustimmung erfuhr. Es handelt sich um den Antrag betreffend Förderung der Medien in Afrika. Er weist darauf hin, daß im schwierigen Prozeß der Demokratisierung in Afrika die Medien als Transmissionsriemen für die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung eine wichtige Funktion im Rahmen des demokratischen Lernprozesses in der Bevölkerung spielen. Das gilt insbesondere für den Hörfunk, der faktisch überall präsent ist. Der Einsatz des Hörfunks bietet vor allem für die Bildungspolitik große Chancen. Ich verweise auf eine Evaluierung der Konrad-Adenauer-Stiftung beim Projekt Instituto Guatemateco de Educacion Radiophonica in Guatemala. In Mittelamerika gemachte Erfahrungen zur Erwachsenenbildung können umgesetzt werden, vor allem die Erfahrungen mit der Entwicklung von Lehrplänen aus der Bevölkerung heraus. Wenn ich bedenke, welch gräßlichen Schaden Radio milles collines in Ruanda angerichtet hat, kann man umgekehrt die Wirkung ermessen, die positiv einsetzen könnte, wenn Friedenserziehung und nicht Haßerziehung Inhalt der Sendungen bilden würde. Bildungspolitik ist deshalb so entscheidend, weil sie auch den wichtigsten Beitrag in der Bevölkerungspolitik leistet. Trotz ihrer Probleme haben die afrikanischen Länder mit 2,6 Prozent Bevölkerungszuwachs im letzten Jahr fast den doppelten Aufwuchs der asiatischen Länder mit 1,4 Prozent gehabt. Den Spitzenwert hatte ausgerechnet Somalia mit 3,9 Prozent. Bildung ist die Voraussetzung für richtige Ernährung, für berufliche Vorbereitung und für wirtschaftliche Entwicklung. Natürlich ist Bildung in erster Linie Aufgabe der Entwicklungsländer selbst. Diese können aber selbst bei hohen Einschulungsraten nicht mit den Problemen des Rückfallanalphabetismus durch zu frühen Schulabbruch fertig werden. Hier setzt die Möglichkeit der Nachschulung ein. Meine Damen und Herren, es war schade, daß wir es bei den Beratungen nicht geschafft haben, aus den drei Anträgen einen zu machen. Auf der anderen Seite hat das aber den Vorteil, daß dadurch in jedem das Eigenständige stark zum Ausdruck kommt. Im Ausschuß haben wir natürlich den Antrag der Koalition beschlossen, aber ich würde empfehlen, alle drei Anträge gründlich zu lesen. Herzlichen Dank. ({4})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dagmar Schmidt ({0}), SPD-Fraktion.

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002780, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Endlich gibt es wieder eine entwicklungspolitische Debatte in der Kernzeit und zum drittenmal als Auftakt für das Parlamentsjahr. Für die bescheidende Koalition war das in 1997 schon der Beweis für den gestiegenen Stellenwert der Entwicklungspolitik. Aber bedenken Sie allein die Menge an Vorlagen. Glauben Sie, daß irgendein anderer Ausschuß dieses Parlaments solch einen Wust in einer einzigen Debatte abarbeiten würde? ({0}) Wir können die Einsicht in die Notwendigkeit der Entwicklungspolitik nur erreichen, wenn wir dafür engagierter kämpfen, streiten. Wir müssen auch dafür streiten, daß wir dem 0,7-Prozent-Ziel näherkommen, statt dieses Ziel verzagt immer mehr aus den Augen zu verlieren nach der Devise: Wir alle müssen den Gürtel enger schnallen. Nehmen wir doch einmal an, die Welt wäre überschaubar, ein Dorf von 1000 Menschen. Nach dem aktuellen Weltbankbericht könnten 150 Menschen in diesem Dorf nicht lesen und schreiben, 270 wären absolut arm, praktisch ohne Einkünfte, 290 weitere kämen gerade so über die Runden, aber ohne dauerhafte, nur annähernd sichere Perspektive. 80 Dorfbewohner aber besäßen über die Hälfte des gesamten Einkommens. Würden Sie in diesem überschaubaren Dorf zulassen, daß sich diese 80 abschotten? Würden Sie ihnen raten, Prediger ins Dorf zu schicken, die verkünden: Die Zeiten sind schlecht, wir alle müssen den Gürtel enger schnallen? Würden Sie ihnen gestatten, daß sie diese bittere Pille auch noch als Notwendigkeit verordnen, oder hätten Sie angesichts dieser großen Ungerechtigkeit, die präsent ist, Verständnis dafür, daß die Mehrheit der Dorfbewohner an die Türen der Reichen klopft und ertragbare Lebensbedingungen einklagen, vielleicht sogar erstreiten will? Zurück zur Welt: Immer mehr Menschen müssen sich auf die Suche nach einer Überlebensperspektive machen. Immer mehr Menschen werden durch Kriege, soziale Konflikte, politische Repression und auch Umweltkatastrophen entwurzelt. Tun wir genug, um den Menschen vor Ort zu helfen? Anstatt das weltweite Flüchtlingsproblem von einem primär humanitären Standpunkt aus zu lösen, der auch etwas mit Krisenprävention zu tun hat, machen wir die Schotten dicht und igeln uns ein. Das lassen wir uns auch noch was kosten. Wenn es aber darum geht, die Kluft zwischen Arm und Reich zu schließen, Menschen eine Hoffnung zu lassen, müssen wir um jeden Strohhalm kämpfen. Angesichts abnehmender finanzieller Ressourcen brauchen wir in der Entwicklungspolitik schon einschneidende Strukturreformen. Diese müssen aber zeigen: Entwicklungszusammenarbeit ist die Zukunftsaufgabe schlechthin. Ich bin sicher: In dem 1 000-Seelen-Dorf würde die Einsicht nicht verdrängt, daß es fünf vor zwölf ist. Da würden Maßnahmen ergriffen; Vertrauen würde aufgebaut; es würde gehandelt. Die Welt jedoch ist anonymer. Das Elend scheint weit weg. All die Weltkonferenzen setzen die Bewußtseinsprozesse zu langsam in Gang. Zu langsam zieht die Bundesregierung aus ihren späten Einsichten die Konsequenzen. Zu oft schleicht sie sich davon, die richtigen Entscheidungen zu treffen, nur weil eine andere Fraktion das verlangt. ({1}) Es ist oft noch immer der falsche Ansatz, mit Großprojekten ganze Regionen „in einem Abwasch" zu entwickeln. Filme lassen sich entwickeln; Menschen muß man in den Prozeß mit einbeziehen, ({2}) ihre Entwicklung fördern und unterstützen. Anstatt sich stärker auf die Schwerpunkte zu konzentrieren - Armutsbekämpfung, Bildung, Umweltschutz und auch Frauenförderung sind doch der richtige Ansatz -, wird auch für die Halbherzigkeit in diesen Bereichen der Schuldige woanders gesucht. Dagmar Schmidt ({3}) Wir alle wissen: Die Schwerpunktbereiche liegen ohne die Arbeit von NROs brach. NROs brauchen aber mehr als verbale Unterstützung; denn lokale Nichtregierungsorganisationen haben ein Interesse an der Nachhaltigkeit und Wirkung ihrer Arbeit. Oft genug sind sie es, die bessere Rahmenbedingungen in ihren Ländern einfordern. Dazu ein kleines Beispiel. Eine Frauenorganisation in den palästinensischen Gebieten sammelt Unterschriften zur gesetzlichen Heraufsetzung des Heiratsalters von Frauen. Gleichzeitig sucht sie nach Möglichkeiten, daß die jungen Frauen, die dann ja länger in ihren Familien bleiben, eine bessere Ausbildung erhalten. Das hört sich so einfach an und macht doch so schön deutlich, daß Frauen immer wieder der Schlüssel zur Entwicklung eines Landes sind. Durch diese Unterschriftenaktion geschieht nämlich folgendes: Im Gespräch wird Problembewußtsein in der Bevölkerung geweckt. Gleichzeitig geschieht Partizipation, weil erfahrbar wird: Wir können mit unserer Stimme etwas bewegen. Da ist Aufbruch. Eine bessere Bevölkerungspolitik kann es gar nicht geben. Da gehört unsere Unterstützung hin, wenn mit so einer in der Bevölkerung verankerten Aktion die Bildungs- und Ausbildungschancen von jungen Frauen verbessert werden. Das ist das Anklopfen an die Türen der Reichen, das wir hören müssen, und zwar rechtzeitig. Ich hoffe, daß eine so frühe Debatte im Jahr wirklich einmal ein gutes Omen für den Stellenwert der Entwicklungspolitik in diesem Parlament ist und nicht nach dem Motto abgehakt wird: Jetzt haben wir den Rest des Jahres Ruhe. Vielen Dank. ({4})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Professor Dr. Winfried Pinger, CDU/CSU-Fraktion.

Prof. Dr. Winfried Pinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001719, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Entwicklungspolitik braucht einen angemessenen Stellenwert, um künftige Aufgaben lösen zu können. Ich finde es erfreulich, daß diese Debatte erneut in der Kernzeit stattfindet und daß an dieser Debatte hochrangige Vertreter der Fraktionen mitgewirkt haben, auch der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion. Ich glaube, daß das ein gutes Zeichen im Hinblick auf die Aufgabe ist, die uns gestellt ist. Wir haben hier auch vieles debattiert, was weiterführt. Nicht alles war so ganz weiterführend. Ich hätte mich gern etwas kritischer mit den Bemerkungen der Frau Kollegin Dr. Eid auseinandergesetzt. Sie hat sich eben bei mir entschuldigt und gesagt, sie habe einen wichtigen Termin. Das sehe ich ein, und deshalb kann ich mich hier leider nicht mit ihr auseinandersetzen. Aber ich will doch festhalten - das darf ich wohl auch in ihrer Abwesenheit sagen -, daß das Niveau, mit dem sie im Ausschuß argumentiert, ein anderes ist als die Polemik, die sie hier an den Tag gelegt hat. Herr Kollege Schmitt, Sie haben kritisch angemerkt, daß Diskrepanzen vorhanden seien, und haben das zu belegen versucht. Daß es immer schwierig ist, Anspruch und Wirklichkeit in der Entwicklungspolitik in Übereinstimmung zu bringen, will ich gern zugeben. Aber die Beispiele, die Sie genannt haben, waren für mich nicht sehr einleuchtend. Sie haben gesagt, Sie hätten geglaubt, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die Regierung träten für eine Liberalisierung des Welthandels ein, und haben dann als scheinbares Gegenbeispiel den Spargelimport aus Südafrika genannt. Wir haben ja nie behauptet, daß wir den Agrarprotektionismus in Europa abschaffen würden. Im Rahmen des Agrarprotektionismus gibt es allerdings gewisse Ungereimtheiten, und dorthin gehört es. Aber Sie können nicht die Liberalisierung des Welthandels in Zweifel ziehen, die wir angestrebt haben und zu der wir im Rahmen der Uruguay-Runde vieles beigetragen haben. Dies ist auch den Entwicklungsländern zugute gekommen. Nein, meine Damen und Herren, wir können übereinstimmend in den Fraktionen für uns in Anspruch nehmen, daß wir die Entwicklungspolitik konzeptionell nach vorne gebracht haben. Wir können als Deutsche für uns in Anspruch nehmen, daß wir aus früheren Fehlern gelernt haben. ({0}) Als Hauptaufgabe haben wir die Armutsbekämpfung definiert. Dies hat auch international seine Wirkung gehabt: Inzwischen wird die Aufgabe der Armutsbekämpfung international als besonders wichtig angesehen. Ich nenne hier beispielhaft eine Organisation, die nicht eine Organisation von Barmherzigen, sondern eine Organisation der Industrieländer ist, nämlich die OECD. Sie schreibt in einem neuen Bericht: Der Erfolg der Bemühungen hängt von der Einführung wirksamer Selbsthilfestrategien ab, die von den Entwicklungsländern eigenverantwortlich umgesetzt und durch eine effektivere und besser koordinierte Entwicklungszusammenarbeit gestützt werden. Eines der wichtigsten Ziele besteht darin, den Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen zu halbieren. Das ist die Zielsetzung der OECD, der Industrieländer. Wir können für uns in Anspruch nehmen, daß wir auf diese internationale konzeptionelle Entwicklung unseren Einfluß positiv ausgeübt haben. ({1}) Meine Damen und Herren, rund 1 Milliarde Menschen leben in extremer Armut. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hat darauf hingewiesen, daß von ihnen 800 Millionen unterernährt sind, hungern, verhungern. Das ist in der Tat die Herausforderung. Es wären wahrscheinlich noch mehr Menschen, wenn es keine Entwicklungshilfe gäbe. Aber wir können und dürfen uns mit dieser Zahl von 1 MilDr. Winfried Pinger liarde Menschen nicht abfinden. Es muß für uns di e Herausforderung sein. Wir sind uns in den Fraktionen einig, und wir haben ja allen Fraktionen unseren Antrag „Selbsthilfeorientierte Armutsbekämpfung" vorgelegt. Wir wissen, daß auch die Ärmsten in der Lage sind, sich selbst zu helfen, wenn sie Hilfe zur Selbsthilfe bekommen. ({2}) Wir haben in den letzten Jahren Erkenntnisse gerade auf diesem Gebiet gewonnen und dann einen weiteren Antrag zum Thema Kleinstkreditförderung gestellt. Wir haben erlebt, daß diese Ärmsten in der Lage sind, Kredite zurückzuführen, produktiv einzusetzen und bei Realzinsen von 13 bis 15 Prozent ihre eigene Situation relevant zu verbessern. Also müssen wir auf diesem Gebiet noch mehr tun. Wir können uns mit dem Stand, den wir derzeit haben, nicht ganz zufriedengeben. Die selbsthilfeorientierte Armutsbekämpfung hat ein Volumen von 15 Prozent. Das ist beachtlich, aber es stagniert seit zwei Jahren. Ich möchte noch kurz sagen, woran es meiner Meinung nach auch liegt, daß wir nicht weiterkommen. Es liegt daran, daß unsere Entwicklungspolitik allzusehr auf die staatlichen Strukturen im Entwicklungsland ausgerichtet ist. Hier geht es um das Selbsthilfepotential. Wir brauchen ein Instrumentarium und einen Auftrag an Institutionen, die es überhaupt erst möglich machen, das Selbsthilfepotential - auch bei der Gewährung von Kleinstkrediten - zu ermitteln und systematisch zu erfassen. Von da aus müßten wir weiter intensiv tätig sein. Ich denke, wir sind ein gutes Stück weitergekommen. Wir haben aber auch noch einiges zu tun. Ich denke, wir machen es zusammen. Wir werden nicht zuletzt an der Zahl derjenigen gemessen, die mit unserer Hilfe aus ihrer Not herausgekommen sind. Danke. ({3})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Werner Schuster, SPD-Fraktion, das Wort.

Dr. R. Werner Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002118, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte über die Rolle der Zivilgesellschaft, der Nichtregierungsorganisationen in der Entwicklungszusammenarbeit oder besser, Herr Spranger, in der „einen Welt" reden. Ich habe Ihnen eine symbolische Erdkugel in Form eines Luftballons mitgebracht, den ich hochhalte. Dort oben leben 25 Prozent der Erdbevölkerung. Das sind wir, die Privilegierten. Sie verbrauchen 70 Prozent der Ressourcen, sind für 75 Prozent der Emissionen verantwortlich, verbrauchen im Durchschnitt etwa zwölfmal soviel Energie wie jemand, der im Süden lebt. Wir haben es geschafft, in 40 Jahren 50 Prozent des Urwaldes zu roden. Sie wissen selbst, was passiert, wenn das Automobil dort die gleiche Bedeutung erhält wie bei uns. Hier unten wohnen die anderen 75 Prozent der Erdbevölkerung. Was meinen Sie, wovon die träumen? - Sie wollen alle möglichst schnell so leben wie wir. Was passiert dann mit unserer Erdkugel? - Aus der geht die Luft raus, wie Sie jetzt sehen können. Herr Kohn, der Streit geht nur darum, ob das in 100 oder in 200 Jahren passiert. Denn die Fakten sind uns allen bekannt. ({0}) Herr Kollege Schäuble, wir wissen alle, was wir tun müßten. Wir müßten erstens unseren eigenen Lebensstil im Sinne von „nachhaltiges Deutschland" ändern, und wir können uns vor unserer Vorbildverantwortung nicht drücken. Wir müßten zweitens den 75 Prozent der Bevölkerung im Süden die Chance zu einer eigenen nachhaltigen Entwicklung ohne Fremdbestimmung geben. Dies hat nichts mehr mit Barmherzigkeit zu tun und - Herr Kollege Verheugen, Sie gestatten diese Bemerkung - wenig mit Gerechtigkeit. Das hat etwas mit der eigenen Überlebenswahrscheinlichkeit zu tun. Wir reden über Global security, darüber, ob unser Globus noch eine Chance hat. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß wir zu diesem Thema heute früh ausführlich Beiträge gehört haben. Herr Schäuble, die entscheidende Frage ist, warum wir nicht das tun, von dem wir wissen, daß wir es tun sollten. Meine Antwort, Herr Pinger, ist simpel: Wir tun es nicht, weil wir Politiker jeder Farbe in der Regel erst dann reagieren, wenn wir Druck von der Basis, von der Bevölkerung bekommen. Ich nenne Ihnen hierzu Beispiele: Die Diskussion über das Nichtraucherschutzgesetz oder auch über das Tierschutzgesetz wäre ohne die große Basisbewegung nicht gelaufen. Ich nenne hier unsere Sportvereine. Wer von uns traut sich ernsthaft, gegen Sport zu argumentieren? Stellen wir uns einmal vor, wir hätten 6 Millionen aktive Mitglieder in Umwelt- und Entwicklungsinitiativen in Deutschland! Ist es eigentlich ein Zufall, daß die einzigen Länder, die dieses UN-Ziel von 0,7 Prozent deutlich erreichen, nämlich Dänemark, die Niederlande und die übrigen skandinavischen Länder, gleichzeitig die Länder sind, in denen Nicht-Regierungsorganisationen, also die Zivilgesellschaft, deutlich stärker ausgeprägt sind als bei uns? Es gibt diese Nichtregierungsorganisationen bei uns. Es gibt sie neben den Kirchen, den politischen Stiftungen und den großen überregionalen NROs an vielen kleinen Orten. Mancher von uns ist dort Mitglied. Es gibt die kirchlichen Basisgruppen, die Nord-Süd-NROs, die kommunalen Städtepartnerschaften. Es gibt Ländernetzwerke, und es gibt auch dank der Unterstützung des BMZ seit neuestem auf Bundesebene eine Vernetzung, und es gibt die kritischen Gruppen wie German Watch und WEED oder FIAN und andere. Aber sie werden nicht ausreichend unterstützt, sie erhalten zuwenig Geld bei zuviel Bürokratie. ({1}) Diese zivilgesellschaftlichen Repräsentanten in Deutschland fühlen sich oft zu Recht alleingelassen. Denn, Herr Kohn, leider ist es in Deutschland immer noch einfacher, ein Millionenprojekt ohne Nachhaltigkeit mit Lieferbindung in den Sand zu setzen, wenn die Buchführung stimmt, als ein basisorientiertes Projekt über 100000 DM durchzuführen, wenn die Gefahr besteht, daß vielleicht der Portonachweis fehlt. Wir brauchen vier Dinge. Wir brauchen bei uns in Deutschland eine Bewußtseinsänderung, daß es um unsere eigene Zukunft geht, nicht um die „fernen Schwarzen". ({2}) Wir brauchen eine Eine-Welt-Lobby als kritische Zivilgesellschaft, als Fürsprecher der Interessen der Menschen im Süden. Als strategisches Ziel müssen wir sie systematisch fördern. Das, Herr Minister, verlangt innere Souveränität, denn wer fördert schon gerne seine eigenen Kritiker? Wir brauchen drittens eine Lerngemeinschaft zwischen Norden und Süden. Sie tritt typischerweise in solchen Partnerschaften auf. Gleichzeitig können wir damit etwas organisieren, was vielen abgeht: die persönliche Betroffenheit. Wir brauchen viertens eine Zusammenarbeit zwischen umwelt- und entwicklungspolitischen Initiativen, um unseren selbstgestellten Zusagen der Lokalen Agenda 21 zu genügen und sie nicht zur reinen Sprechblase verkommen zu lassen. Aus Zeitgründen möchte ich auf weitere Ausführungen zum Thema NRO-Förderung im Süden verzichten und nur auf das hinweisen, was Frau Schmidt und mein Kollege Pinger gesagt haben. Letztlich müssen wir auch NROs im Süden fördern, damit der zivilisatorisch-partizipative Ansatz im Süden noch stärker wird. Wir haben, Herr Spranger, wie Sie wissen, gute Beispiele wie die der Grameen-Bank, wir haben tolle GTZ-Projekte in Zaire gesehen - dafür ein ausdrückliches Lob -, wir kommen aber nicht darum herum: Armutsbekämpfung geht nur mit den betroffenen Menschen und mit entsprechenden Strukturbildungen. Lassen Sie mich zum Schluß ein paar kritische Anmerkungen machen, damit nicht gesagt wird: Er plädiert kritiklos nur für NROs. Erstens. Es wird die berechtigte Frage gestellt: Wo ist die Legitimation der NROs? Aber die Fragesteller müssen diese Frage bitte schön auch an die UN, die Weltbank und den IWF stellen und dürfen sie nicht mit verschiedenen Maßstäben behandeln. ({3}) Zweitens. Es kann nicht um die Frage „NRO oder/ anstatt Staat" gehen, sondern es kann nur um das geeignete Miteinander gehen. Da muß man auf beiden Seiten sprachfähig werden. Wir müssen lernen, miteinander umzugehen. Dritter Punkt. Auch die NROs müssen sich einer verstärkten Professionalisierung stellen und bereit sein, ihre eigenen Projekte einer Erfolgskontrolle und einer Prüfung auf Nachhaltigkeit zu unterziehen. ({4}) Sie spielen dort keine Sonderrolle. Wir sollten da ebenfalls aufeinander zugehen. Letzter Satz, Frau Präsidentin. Es gibt in der deutschen NRO-Szene den bekannten Satz: Viele kleine Leute, die an vielen kleinen Orten viele kleine richtige Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern. Wenn wir wollen, daß der Erdball nicht so zusammenschnurrt wie der Luftballon, den ich Ihnen am Anfang meiner Rede gezeigt habe, dann sollten wir diesen vielen kleinen Leuten bei uns und im Süden eine Chance geben. Danke schön. ({5})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Als letzter Rednerin innerhalb der entwicklungspolitischen Debatte erteile ich das Wort der Abgeordneten Erika Reinhardt, CDU/CSU-Fraktion.

Erika Reinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Entwicklungspolitik besteht nicht nur aus Maßnahmen zur Linderung akuter Not; sie unterstützt vielmehr einen sehr langfristigen Prozeß, an dessen Ende die Chancengleichheit der Menschen in den Entwicklungsländern mit allen anderen Menschen auf der Welt stehen muß. Es ist heute schon sehr viel Grundsätzliches zur Entwicklungspolitik gesagt worden, so daß ich mich auf drei Punkte beschränken möchte, die uns alle am Herzen liegen: Es geht um den Bereich der Frauen, um die Kinderarbeit, und schließlich will ich ein paar Worte zum Jugendprogramm „Solidarisches Lernen" sagen. Obwohl wir über die Parteigrenzen hinweg das gleiche Ziel verfolgen - das kam auch heute manchmal zum Ausdruck -, ist der Weg zum Ziel gelegentlich doch sehr unterschiedlich. Die gezielte Förderung der Frauen in den Entwicklungsländern ist ein wesentlicher Beitrag zur Armutsbekämpfung. Projekte in der Vergangenheit haben uns deutlich gemacht, wie effektiv Frauenförderung in Entwicklungssituationen sein kann, zum Beispiel im Gesundheitsbereich oder im Bereich der Ernährung. Bei der Gewährung von Kleinkrediten sind es immer die Frauen, die die meisten Erfolge zu verbuchen haben und am besten mit dem Geld umgehen können. ({0}) Diese Erfolge machen uns deutlich, daß wir genau dort ansetzen und den Frauen durch Bildungsmaßnahmen zu größerer Verantwortung verhelfen müssen. Die Förderung der Frauen ist ein Teil unserer Entwicklungspolitik. Wir begrüßen es daher ausdrücklich, daß die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen an der Entwicklung ein erklärtes Ziel dieser Bundesregierung und des Ministeriums ist. Was in dem Antrag der SPD formuliert wurde, ist bereits zum Teil umgesetzt. Ein anderes Problem macht uns ebenfalls große Sorgen, nämlich die weltweite Kinderarbeit. Wenn man sich vorstellt, daß 100 bis 200 Millionen Kinder in Kinderarbeit gehalten werden, dann ist das mehr als erschreckend. Ich spreche hier nicht nur von Kindern, die in unglaublicher Armut aufwachsen, sondern auch von solchen, die im Kampf um das Dasein unter Mißachtung der Menschenrechte ausgebeutet und verbraucht werden. Kinderarbeit ist oft die einzige Einnahmequelle einer Familie. Die Kinder haben keine Chance, irgendeine Bildung vermittelt zu bekommen. So entsteht ein Teufelskreis, aus dem sie nicht mehr herauskommen. Allerdings ist Kinderarbeit immer differenziert zu betrachten. Wer Kindern nachhaltig helfen will, muß den Eltern die Chance auf Arbeit und eigenes Einkommen geben, um ihre Lebenssituation zu verbessern. Das heißt, die selbsthilfeorientierte Armutsbekämpfung ist der einzige Weg, der langfristig zum Erfolg führt, und die beste Hilfe auch für diese Kinder. ({1}) Was wir brauchen, ist die konkrete Hilfe, Betreuung und Rehabilitation. Dort, wo die Kinder aus diesem Teufelskreis herauskommen, müssen sie die Chance haben, Bildung und Betreuung zu erhalten. Das heißt, in diesen Bereich müssen wir viel stärker als bisher einsteigen. Der von uns vorgelegte Antrag zur Kinderarbeit enthält all diese Punkte. Ich glaube, er ist der richtige Ansatz für eine langfristige Strategie in diesem Bereich. Denn um bei diesen Problemen überhaupt etwas zu bewegen, benötigt man langfristige Strategien. Mit Verboten oder Kontrollen allein, wie sie hier zum Teil gefordert werden, werden wir nichts erreichen. Das ist der falsche Ansatz. Meine Damen und Herren, große Sorgen muß uns auch ein Bereich machen, der in der Diskussion bisher keine Rolle gespielt hat - ich bin sehr froh, daß Graf von Waldburg-Zeil dies so deutlich angesprochen hat -, nämlich die Kindersoldaten. Das wird ein Thema sein, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Es kann doch nicht wahr sein, daß Kinder zu Mördern und Totschlägern ausgebildet werden, daß sie unter Umständen, weil sie unter Drogen stehen, ihre eigenen Eltern umbringen. Ich glaube, diesen Aspekt müssen wir stärker einbeziehen. Zum Schluß nur noch kurz zu dem Programm „Solidarisches Lernen". Dieses Programm existiert schon seit einigen Jahren. In unserem Kinder- und Jugendplan sind dafür 2,2 Millionen DM enthalten. Ich glaube also, daß dieser Antrag überflüssig ist. Lassen Sie mich am Schluß noch folgendes sagen: Die Armut zu bekämpfen und die wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen der Menschen in den Entwicklungsländern zu verbessern ist oberstes Ziel und Voraussetzung für eine soziale, gerechte, stabile und friedliche Entwicklung. Lassen Sie uns in diesem Sinne gemeinsam dafür arbeiten. ({2})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich darf Ihnen ankündigen: Es wird ein wahrer Marathon an Abstimmungen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zum Zehnten Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, Drucksache 13/9309 Buchstabe a. Der Ausschuß empfiehlt, den Bericht auf Drucksache 13/ 3342 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/9309 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9606. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/ CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD zur Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland auf Drucksache 13/ 2223. Der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt auf Drucksache 13/ 7993, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/2223 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Ablehnung einer Weltbankbeteiligung am Tschad/Kamerun Öl- und Pipelineprojekt auf Drucksache 13/8321 an den Vizepräsidentin Michaela Geiger Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu einer Afrikapolitik für Frieden und Entwicklung, Drucksache 13/7869. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6717 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer gezielten Politik zugunsten der Entwicklungsländer durch die Europäische Union und zum Abbau der Subventionierung von Agrarexporten, Drucksache 13/7944. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3903 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Opposition angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Intensivierung der Agrarförderung in den Entwicklungsländern, Drucksache 13/7945. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5143 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur deutschen Afrikapolitik, Drucksache 13/7974. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 6581 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Verantwortung Deutschlands für Subsahara-Afrika, Drucksache 13/ 7974. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6725 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zur Überwindung von Kinderarbeit in den Entwicklungsländern, Drucksache 13/8108 Buchstabe a). Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ 6716 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/ Die Grünen zur Bekämpfung der Kinderarbeit in der Welt, Drucksache 13/8108 Buchstabe b). Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6732 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Förderung der Medien im südlichen Afrika, Drucksache 13/8387. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6726 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Gruppe der PDS zum Schuldenerlaß für Forderungen aus Geschäften der DDR mit Staaten der dritten Welt, Drucksache 13/8417. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6719 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu einem bilateralen Schuldenerlaß für die am wenigsten entwickelten Staaten, Drucksache 13/8418. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6720 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit demselben Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu einer selbsthilfeorientierten Armutsbekämpfung in der Entwicklungszusammenarbeit, Drucksache 13/9261 Buchstabe a). Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6381 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Vizepräsidentin Michaela Geiger Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einer selbsthilfeorientierten Armutsbekämpfung in der Entwicklungszusammenarbeit, Drucksache 13/9261 Buchstabe b). Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3896 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Reformbedarf der selbsthilfeorientierten Armutsbekämpfung in der Entwicklungszusammenarbeit, Drucksache 13/9261 Buchstabe c). Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7088 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD „Frauen und nachhaltige Entwicklungspolitik", Drucksache 13/9266. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6738 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von SPD und PDS bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zur Großen Anfrage zum Schutz der tropischen Wälder, Drucksache 13/9341. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/4713 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der Fraktion der SPD angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu einem entwicklungspolitischen Jugendprogramm „Solidarisches Lernen", Drucksache 13/9368. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/4119 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von SPD und PDS angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu Forderungen zum Welternährungsgipfel vom 13. bis 17. November 1996 in Rom, Drucksache 13/7021. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5809 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Position der Bundesregierung zum Welternährungsgipfel, Drucksache 13/7021. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5964 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten empfiehlt in seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7021 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und PDS angenommen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/9249, 13/9412, 13/9601 und 13/9603 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 12, 18 a bis 18n sowie Zusatzpunkte 5a bis 5 e auf: 12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Marion Caspers-Merk, Michael Müller ({0}), Wolfgang Behrendt, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD Eckpunkte für eine Elektronikschrottverordnung - Drucksache 13/7561 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Ausschuß für Wirtschaft 18. Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 22. April 1996 zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Georgien andererseits - Drucksache 13/9343 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft ({2}) Auswärtiger Ausschuß Finanzausschuß Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes - Drucksache 13/9513 19448

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Ausschuß für Verkehr ({0}) Sportausschuß Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Haushaltsauschuß gemäß § 96 GO c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Deutschen Wetterdienst ({1}) - Drucksache 1319510 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({2}) Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 18. September 1997 über den Beitritt des Königreichs Schweden zu dem Übereinkommen vom 9. Februar 1994 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen sowie zu dem Zusatzübereinkommen vom 18. September 1997 zu dem vorgenannten Übereinkommen - Drucksachen 13/9511, 13/9579Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({3}) Finanzausschuß e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik der Bautätigkeit im Hochbau und die Fortschreibung des Wohnungsbestandes ({4}) - Drucksache 13/9342 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({5}) Innenausschuß f) Erste Beratung des von den Abgeordneten Erwin Marschewski, Wolfgang Zeitlmann und der Fraktion der CDU/CSU sowie des Abgeordneten Dr. Max Stadler und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften ({6}) - Drucksache 13/8884 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({7}) Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung g) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit - Drucksache 13/8942 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({8}) Ausschuß für Wirtschaft h) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze - Widerruf der Straf- und Strafrestaussetzung - ({9}) - Drucksache 13/9348 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß i) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes - § 323 a StGB - ({10}) - Drucksache 13/9349 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß j) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes - Drucksache 13/9350 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({11}) Innenausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend k) Erste Beratung des von den Abgeordneten Renate Jäger, Rolf Schwanitz, Hans-Joachim Hacker, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften ({12}) - Drucksache 13/9414 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung ({13}) Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung 1) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffen Tippach, Heinrich Graf von Einsiedel, Andrea Gysi, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Für eine friedliche Lösung des Konflikts am Golf - Drucksache 13/9260 - Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Steffen Tippach, Eva Bulling-Schröter und der Gruppe der PDS Aufhebung des Verbots der Betätigung für die „Arbeiterpartei Kurdistans" ({14}) und „Nationale Befreiungsfront Kurdistans" ({15}) in der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache 13/9302 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuß n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Günther Maleuda, Dr. Christa Luft, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Änderung des § 50 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes - Drucksache 13/9391

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Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({0}) Rechtsausschuß Finanzausschuß ZP5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({1}) a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Erdölbevorratungsgesetzes - Drucksache 13/9530 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Zulassung von Stückaktien ({2}) - Drucksache 13/9573 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({3}) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Transfusionswesens ({4}) - Drucksache 13/9594 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit ({5}) Innenausschuß Rechtsausschuß d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Halo Saibold, Elisabeth Altmann ({6}), Gila Altmann ({7}), Albert Schmidt ({8}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Transparenz der Preisangaben bei Flugreisen - Drucksache 13/9447 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus ({9}) Rechtsausschuß Ausschuß für Verkehr e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gila Altmann ({10}), Albert Schmidt ({11}), Helmut Wilhelm ({12}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gefährdung durch Gefahrguttransporte minimieren - Drucksache 13/9449 Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr ({13}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Das Luftverkehrsgesetz auf Drucksache 13/9513 - Tagesordnungspunkt 18b - soll zusätzlich an den Sportausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes - Drucksache 13/9609 zu erweitern. Der Gesetzentwurf soll zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß überwiesen werden. Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung einverstanden? ({14}) - Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß wir noch weitere Abstimmungen haben. - Sind Sie auch mit der Überweisung einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 19 a bis 19n sowie zu den Zusatzpunkten 6 a bis 6d. Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 a auf: Abschließende Beratungen ohne Aussprache Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bauproduktengesetzes - Drucksache 13/8801 - ({15}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau ({16}) - Drucksache 13/9410 ({17}) - Berichterstattung: Abgeordnete Volkmar Schultz ({18}) Josef Hollerith Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Vizepräsidentin Michaela Geiger Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19b auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. Oktober 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Sambia über den Luftverkehr - Drucksache 13/8221 - ({19}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({20}) - Drucksache 13/9404 Berichterstattung: Abgeordneter Lothar Ibrügger Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 13/9404, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und PDS bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19c auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. Oktober 1996 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Indonesien über die Seeschiffahrt - Drucksache 13/8219 - ({21}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({22}) - Drucksache 13/9405 Berichterstattung: Abgeordneter Konrad Kunick Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Drucksache 13/9405, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 d auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Februar 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Lettland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 13/8698 - ({23}) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({24}) - Drucksache 13/9440 Berichterstattung: Abgeordneter Detlef Helling Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 9440, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19e auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. November 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Estland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 13/8699 -({25}) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({26}) - Drucksache 13/9441 Berichterstattung: Abgeordneter Detlef Helling Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 9441, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen Ich rufe Tagesordnungspunkt 19f auf: - Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. April 1997 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland über Soziale Sicherheit - Drucksache 13/8817 - ({27}) - Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. Oktober 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Soziale Sicherheit - Drucksache 13/8818 -({28}) Vizepräsidentin Michaela Geiger Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({29}) - Drucksache 13/9457 Berichterstattung: Abgeordneter Heinz Schemken Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der Republik Finnland über Soziale Sicherheit. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/9457, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Wir stimmen nun über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der Republik Österreich über Soziale Sicherheit ab. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/9457, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19g auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 176 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 22. Juni 1995 über den Arbeitsschutz in Bergwerken - Drucksache 13/8819 -({30}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({31}) - Drucksache 13/9459Berichterstattung: Abgeordneter Hans Urbaniak Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 13/9459, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19h auf: Zweite und dritte Beratung des von der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vertriebenenzuwendungsgesetzes - Drucksache 13/5594 - ({32}) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({33}) - Drucksache 13/7063 - Berichterstattung: Abgeordnete Wolfgang Ilte Reiner Krziskewitz Dr. Uwe-Jens Rössel Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 7063, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der PDS auf Drucksache 13/5594 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/ CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19i auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({34}) zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Veräußerung einer Teilfläche der ehemaligen US-Ferris-Kaserne in Erlangen an die Treuhandliegenschaftsgesellschaft mbH ({35}) bzw. die Stadt Erlangen - Drucksachen 13/8754, 13/9455 - Berichterstattung: Abgeordnete Karl Diller Susanne Jaffke Oswald Metzger Jürgen Koppelin Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19j auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({36}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt ({37}), Gila Altmann ({38}), Rainder Steenblock, weiterer Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kein Großflughafen Berlin Brandenburg International ({39}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der PDS - Verzicht auf den geplanten Bau eines Großflughafens Berlin-Brandenburg-International - Drucksachen 13/616, 13/1296, 13/5527 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Klaus Röhl Vizepräsidentin Michaela Geiger Wir stimmen jetzt über drei Beschlußempfehlungen zum Großflughafen Berlin Brandenburg International ab. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Großflughafen Berlin Brandenburg International, Drucksache 13/5527 Nr. 1 Buchstabe a). Der Ausschuß empfiehlt, die Nr. 1 des Antrages auf Drucksache 13/616 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Großflughafen Berlin Brandenburg International auf Drucksache 13/5527 Nr. 1 Buchstabe b). Der Ausschuß empfiehlt, die Nr. 2 und 3 des Antrags auf Drucksache 13/616 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Gruppe der PDS zu einem Verzicht auf den geplanten Bau eines Großflughafens Berlin Brandenburg International, Drucksache 13/ 5527 Nr. 2. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1296 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19k auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({40}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Sechsundzwanzigster Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" für den Zeitraum 1997 bis 2000 ({41}) - Drucksachen 13/7205, 13/7460 Nr. 3, 13/ 8228 Berichterstattung: Abgeordneter Christian Müller ({42}) Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 191 auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({43}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Einführung einer Sicherheitsuntersuchung von Flugzeugen aus Drittländern, die auf Flughäfen in der Gemeinschaft landen - Drucksachen 13/7456 Nr. 2.11, 13/9406- Berichterstattung: Abgeordneter Norbert Königshof en Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19m auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({44}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung von Richtlinie 96/26/EG über den Zugang zum Beruf des Güter- und Personenkraftverkehrsunternehmers im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verkehr sowie über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstige Befähigungsnachweise für die Beförderung von Gütern und die Beförderung von Personen im Straßenverkehr und über die Maßnahmen zur Förderung der tatsächlichen Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit der betreffenden Verkehrsunternehmer - Drucksachen 13/7306 Nr. 2.9, 13/9408 -Berichterstattung: Abgeordnete Gila Altmann ({45}) Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 n auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ({46}) Sammelübersicht 261 zu Petitionen - Drucksache 13/9258 Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. Wir kommen zu Zusatzpunkt 6, und zwar zunächst zu Zusatzpunkt 6 a: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung - Drucksache 13/7383 - ({47}) Vizepräsidentin Michaela Geiger Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({48}) - Drucksache 13/9438 -Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Dietrich Mahlo Alfred Hartenbach Detlef Kleinert ({49}) Ich höre gerade vom Sitzungsdienst, daß wir die Abstimmung über diesen Punkt zurückstellen sollen. Dann kommen wir zu Zusatzpunkt 6 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes - Drucksache 13/8805 - ({50}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({51}) - Drucksache 13/9618 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Wolf Bauer Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Ich rufe Zusatzpunkt 6 c auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Unidroit-Übereinkommen vom 28. Mai 1988 über das internationale Factoring - Drucksache 13/8690 -({52}) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({53}) - Drucksache 13/9572 - Berichterstattung: Abgeordnete Joachim Gres Ludwig Stiegler Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 9572, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS angenommen. Ich rufe Zusatzpunkt 6d auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({54}) zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Dreiundneunzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 13/8516, 13/8594 Nr. 2.1, 13/ 9590 Berichterstattung: Abgeordneter Paul Friedhoff Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und PDS bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 5 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neueinteilung der Wahlkreise für die Wahl zum Deutschen Bundestag ({55}) - Drucksache 13/9598 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Bosbach, CDU/CSU-Fraktion.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen über die Neueinteilung der Bundestagswahlkreise für die Wahl zum 15. Deutschen Bundestag, die voraussichtlich im Jahre 2002 stattfinden wird. Diese Gesetzesinitiative ist notwendig, weil der Deutsche Bundestag bereits vor einem Jahr beschlossen hat, die Anzahl seiner Mitglieder von derzeit 656 bzw. 672 ab dem Jahre 2002 auf dann nur noch 598 zu verringern. Infolgedessen reduziert sich die Anzahl der Wahlkreise auf Grund unseres Wahlrechts zwangsläufig von zur Zeit 328 auf dann nur noch 299. Das Ziel ist ein schlankes, zumindest schlankeres Parlament, nicht aber eine schlankere Demokratie. Durch die Verkleinerung des Parlamentes werden die Gestaltungs- und Einflußmöglichkeiten des einzelnen Abgeordneten meiner Ansicht nach nicht kleiner, sondern eher größer. Dies dürfte wohl auch für die öffentliche Wahrnehmung der Aufgaben und Arbeiten der Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses gelten. Dennoch ist nach aller Erfahrung damit zu rechnen, daß in der Öffentlichkeit Stimmen laut werden, die darauf hinweisen, daß auch 598 Bundestagsabgeordnete noch immer viel zuviel seien und daß man die Zahl der Mandatsträger ohne weiteres halbieren könne, ohne daß die parlamentarische Arbeit hierdurch Schaden nähme. In diesem Zusammenhang darf ich auf zwei Punkte hinweisen: Erstens. Vergleicht man die Größe des Deutschen Bundestages mit der Größe anderer Parlamente, so wird man schnell feststellen, daß die Zahl der Abgeordneten keineswegs zu groß ist. ({0}) Das britische Unterhaus zählt 650 Abgeordnete, die französische Nationalversammlung 577 Parlamentarier und das italienische Parlament 630. Alle drei Länder haben jedoch wesentlich weniger Einwohner als die Bundesrepublik Deutschland. ({1}) Zweitens. Jede Verkleinerung des Parlamentes bedeutet zwangsläufig - bei Beibehaltung des derzeitigen Wahlrechts - eine proportionale Vergrößerung der Wahlkreise. Verkleinert man das Parlament, wie jetzt vorgesehen, um etwa 10 Prozent seiner Mitglieder, so vergrößern sich die Wahlkreise um diesen Prozentsatz zwangsläufig. Dies mag in Großstädten oder Ballungszentren nicht allzu problematisch sein; im ländlichen Raum kann dies jedoch dazu führen, daß schon jetzt flächenmäßig sehr große Wahlkreise noch größer und damit noch schwieriger zu betreuen sind, was zu einem Verlust von Bürgernähe führen könnte. ({2}) Wer also eine weitere drastische Verkleinerung des Bundestages fordert, plädiert gleichzeitig - bewußt oder unbewußt - für viel größere Wahlkreise und damit für eine größere räumliche Distanz zwischen Wählern und Gewählten. ({3}) Vor diesem Hintergrund ist die Zahl von 598 Abgeordneten ein Kompromiß zwischen einem schlankeren Parlament einerseits und einer angemessenen Wahlkreisgröße andererseits. Bei dieser Reform wird jedes Bundesland Wahlkreise verlieren, am meisten das Land Nordrhein-Westfalen, das alleine sieben abgeben muß. Die Hälfte aller Bundesländer gibt nur einen Wahlkreis ab, wobei das Wort „nur" in Anführungszeichen gesetzt werden muß; denn die Betroffenheit ist sehr unterschiedlich. So verliert das Bundesland Bremen ein Drittel aller Wahlkreise. Dies ist eine Folge der zwingenden gesetzlichen Regelung, daß die Grenzen der Bundesländer einzuhalten sind. Der vorliegende Gesetzentwurf basiert auf dem Vorschlag des Statistischen Bundesamtes, der dem Bericht der Reformkommission beigefügt war und Ihnen bekannt ist. Bei verschiedenen Wahlkreisen gibt es Abweichungen, und zwar dort, wo unserer Ansicht nach räumliche oder historische Gegebenheiten nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Meine Fraktion und ich bieten der Opposition - und hier insbesondere der SPD - ausdrücklich faire und ernsthafte Verhandlungen über den Inhalt des Gesetzentwurfes an, um auszuloten, wo Gemeinsamkeiten bestehen oder noch erzielt werden können. Was wir hier im Parlament gemeinsam machen können, sollten wir auch gemeinsam erledigen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine andere Frage ansprechen, die zwar nicht unmittelbar mit der jetzt zu behandelnden Materie zu tun hat, aber sehr viel mit der Frage, welche Rahmenbedingungen für unsere Arbeit optimal sind. Hierzu gehört auch die Frage, welche Dauer einer Legislaturperiode für unsere Arbeit am sinnvollsten ist. Der Deutsche Bundestag sollte sich meiner eigenen und völlig unmaßgeblichen Meinung nach in Kürze ernsthaft mit der Frage beschäftigen, ob eine Verlängerung der Wahlperiode von jetzt vier auf dann fünf Jahre sinnvoll wäre - und zwar ganz einfach deshalb, damit innerhalb einer Wahlperiode genügend Zeit für die notwendigen parlamentarischen Beratungen und Beschlußfassungen zur Verfügung steht. ({4}) Zieht man die Zeit ab, die zu Beginn einer jeden Wahlperiode zwangsläufig für Verhandlungen und die Regierungsbildung benötigt wird, und berücksichtigt man, daß gegen Ende einer jeden Wahlperiode der außerparlamentarische Wahlkampf im Mittelpunkt steht, so schrumpft die eigentliche parlamentarische Arbeit auf einen Zeitraum von nur gut drei Jahren zusammen. Betrachtet man einen Zeitraum von 20 Jahren, so sieht man, daß fast fünf Jahre für Verhandlungen und Wahlkampf verlorengehen. Bei der Verlängerung einer Legislaturperiode auf fünf Jahre würde ein ganzes Jahr für die notwendige parlamentarische Arbeit gewonnen werden können. Zum Schluß möchte ich noch auf eine Frage eingehen, deren Antwort ein gewisses Maß an Originalität nicht entbehrt. Es ist die Frage: Nach welchem System wurde eigentlich die Reihenfolge der Wahlkreise festgelegt? Die Antwort lautet: von Nord nach Süd. Daß das schöne Land Schleswig-Holstein das nördlichste Land der Republik ist, wird ernsthaft niemand bestreiten; geographische Konkurrenz ist weit und breit nicht in Sicht. ({5}) Folgerichtig bilden die kreisfreie Stadt Flensburg und der Kreis Schleswig-Flensburg den Bundestagswahlkreis mit der Nummer 1. Nun könnte man daraus messerscharf den Schluß ziehen, daß die nicht minder schönen Länder Baden-Württemberg und Bayern die südlichsten Länder seien, weil ihre Südgrenzen am südlichen Ende der Republik liegen. Der südlichste Punkt überhaupt liegt wohl im Freistaat Bayern. Dennoch hat der Bundeswahlleiter das Saarland als südlichstes Bundesland identifiziert. Hierfür gibt es nur eine Begründung: Die nördlichste Grenze des Saarlandes liegt südlicher als die nördlichen Grenzen der südlichen Länder Bayern und Baden-Württemberg. ({6}) Anders formuliert, weil deren Nordgrenzen nördlicher liegen als diejenige des Saarlandes, ist das Saarland das südlichste Bundesland. Meine Damen und Herren, niemand kann sagen, daß unsere Beamten nicht auf alles eine Antwort wüßten und daß sie nicht alles sicher im Griff hätten. Danke fürs Zuhören. ({7})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktion.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem der Kollege Bosbach gerade im letzten Teil seines Beitrags, wie ich finde, amüsante Töne deswegen angeschlagen hat, weil wir offensichtlich grundsätzlich das Bemühen haben werden, zu einer konsensualen Lösung zu kommen, will ich das bei Gelegenheit gerne mit aufgreifen. Vielleicht schaffen wir es bei diesem Thema auch. ({0}) Es gibt aber bei der Frage, mit der wir uns heute auseinanderzusetzen beginnen, doch noch eine ganze Reihe anderer und zusätzlicher Aspekte, die uns möglicherweise in einen Konflikt hineinbringen werden. Wir müssen uns einfach nur darauf vorbereiten. Dennoch, Herr Bosbach, nehme ich ausdrücklich und sehr gerne Ihr Angebot auf faire Zusammenarbeit und Auseinandersetzung in diesem Zusammenhang an; denn gerade das Wahlrecht ist immer auf Konsens und Fairneß angelegt gewesen. Wir haben dieses Ziel in den vergangenen Beratungen über die verschiedenen Gesetzentwürfe und Entschließungen zur Parlamentsreform im wesentlichen auch erreicht. Es gab nur einmal den Konflikt bei der Frage der Überhangmandate. Damit haben wir uns alle gemeinsam zurechtfinden können.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, dann machen wir das zunächst, damit wir den Teil dann vielleicht verlassen können.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Schmidt, warum wurde nicht eigentlich schon beim ersten Entwurf versucht, einen Konsens hinzubekommen? Mir ist bekannt, daß zum Beispiel bei der Wahlkreiseinteilung in Baden-Württemberg die CDU schlichtweg nach parteitaktischen Gesichtspunkten vorgegangen ist. ({0}) Wenn wir die Sache schon konsensual angehen wollen, dann hätte man schon beim ersten Entwurf den Versuch unternehmen sollen, sich zu einigen. Aber das ist nicht erfolgt. Sehen Sie deshalb Möglichkeiten, daß in der zweiten Runde überhaupt noch ein Konsens zustande kommt?

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Bemühen - das habe ich gerade unterstrichen - muß auf jeden Fall an den Tag gelegt werden. Inwieweit das realisiert wird, warte auch ich einmal mit Spannung ab. Das andere muß allerdings sein. Im Rahmen dieses Verfahrens haben wir es so akzeptiert, daß die Regierungskoalition den Einstieg in das Gesetzgebungsverfahren durch diesen Gesetzentwurf gewährleistet. Alles andere ist damit noch nicht geregelt. Wir werden also jetzt erst in die eigentlichen Verhandlungen eintreten. Das, was an Vorschlägen vorliegt, auch Baden-Württemberg betreffend, ist zunächst einmal nur ein Verhandlungsvorschlag für das, was jetzt folgen wird. Nur so kann man es auffassen. ({0}) Damit will ich daran erinnern, daß wir eine gemeinsame Basis haben, nämlich die Ergebnisse der Arbeit der Reformkommission. Es ist wichtig, daß wir uns daran erinnern; denn die Reformkommission hat in ihrem Abschlußbericht wesentliche Vorgaben gemacht. Über diesen Bericht haben wir hier beraten. Er muß als Verhandlungsgrundlage mindestens genauso wertvoll sein wie das, was wir jetzt im Gesetzentwurf, der heute eingebracht wird, entsprechend zur Verfügung haben. Ich sage das deswegen, weil es schon an einigen Stellen differiert und weil wir sehr aufmerksam die Unterschiede zwischen dem, was im Abschlußbericht der Reformkommission steht, und dem, was in dem Entwurf des Wahlkreisneueinteilungsgesetzes aufgeführt worden ist, registriert haben. Ich finde schon, Sie sollten auch unsere Sensibilität an der Stelle registrieren und mit auf den Weg nehmen. Aber wir werden uns - das ist schon verabredet - in den nächsten Wochen treffen, um die Dinge auf die Reihe zu bringen. Wir brauchen - daran will ich auch noch einmal erinnern - die Verkleinerung des Bundestages aus grundsätzlichen Erwägungen. Sie ist von Anfang an ein ganz wichtiger Teil der Parlamentsreform gewesen. Wir werden, auch wenn die Argumente grundsätzlicher Art - Herr Bosbach hat sie zum Teil noch einmal aufgeführt - schon ausgetauscht sind, natürlich immer wieder daran erinnern, daß wir nach unserer Überzeugung auch bei möglichen Konflikten über die Einzelheiten der Wahlkreisneueinteilung nicht von der Verkleinerung abweichen wollen und dürfen. Wilhelm Schmidt ({1}) Auch wenn es noch so konfliktreich sein mag, werden wir Lösungen finden müssen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wenn wir nur im Ansatz irgendwo den Anschein erwecken würden, als wenn wir die Verkleinerung am Ende doch nicht oder nicht in dem Maße, wie wir es Ende 1996 schon ins Gesetz geschrieben haben, umsetzen würden, dann kann ich nur sagen, daß die geballte öffentliche Gegenmeinung mit Recht über uns hereinbrechen würde. Wir wollen natürlich auch berücksichtigen, daß es bessere Ergebnisse hätte geben können. Aber wie das immer bei Konsensen ist, noch dazu nach einer solch langen Beratung, wie sie in der Reformkommission stattgefunden hat, so werden wir uns damit zufriedengeben, daß wir jetzt 299 Wahlkreise und 598 Sitze haben werden. Bei der Umsetzung gibt es - da ich gerade von Konflikten spreche - eine ganze Reihe besonderer Probleme. Ich denke beispielsweise an den Umfang von Verringerungen der Zahl der Wahlkreise, die in einzelnen Bundesländern stattfinden werden. Ich komme auf den Bereich des Landes Bremen zu sprechen. Wenn von drei Wahlkreisen einer weggenommen wird und künftig nur noch zwei existieren sollen, dann ist das schon ein ganz besonderer Härtefall. Ich will das an dieser Stelle ruhig einmal so bezeichnen. Mit diesem Empfinden sind in den Vorgesprächen die Bremer Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen auf uns zugekommen. Ich finde, man muß darüber mindestens noch einmal ernsthaft nachdenken, wie man diese Härte, die hinter einer solchen Entscheidung steckt, abmildern kann. ({2}) Ein anderer Aspekt ist aber - darauf will ich durchaus hinweisen -, daß wir auch im großen NordrheinWestfalen mit dem Abschmelzen von sieben Wahlkreisen erhebliche Konflikte erzeugen, die nicht spurlos an jedem vorübergehen. Damit möchte ich skizzieren, daß es eine ganze Reihe von Punkten gibt, über die wir uns sehr ausgiebig und wahrscheinlich auch mit einer unglaublichen Fülle von Facetten auseinandersetzen müssen, um dann eine einigermaßen tragfähige Lösung herzustellen. Ich möchte darauf hinweisen, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir bei der Bearbeitung dieses Themas auf die neuen Toleranzgrenzen von vornherein achten sollten. Wir müssen darauf achten, daß wir nicht nach der nächsten Wahl schon wieder eine neue Wahlkreiseinteilung vornehmen müssen, weil schon wieder Toleranzgrenzen überschritten sind. Wir haben die Toleranzgrenzen bewußt nach unten gezogen. Sie bestanden ja früher bei 33% Prozent als Pflichtveränderungsgrenze und 25 Prozent als Soll-Veränderungsgrenze; wir sind jetzt auf 25 und 15 Prozent gegangen. Das haben wir in der Reformkommission bewußt gesagt und auch im Gesetz verankert, weil wir nicht wieder einen solchen Reformstau erzeugen sollten wie den, vor dem wir jetzt stehen. Wir haben über viele Jahre in diesem Hause fast keine Wahlkreisneueinteilung vorgenommen. Ich sage etwas platt: Nun haben wir den Salat, und zwar deswegen, weil wir eine ganze Reihe von Versäumnissen früherer Jahre jetzt bereinigen müssen, die vielleicht schon hätten bereinigt werden können, wenn man sich an die Toleranzgrenzen und an die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung früher herangemacht hätte. Nehmen Sie also bitte die Toleranzgrenzen ernst, weil wir damit nach unserer Überzeugung auch die Verfassungsgemäßheit unseres ganzen Projektes zusätzlich sichern können und weil wir damit auch - jedenfalls zu einem kleinen Teil - möglicherweise Überhangmandate vermeiden können. Wir sind alle der Überzeugung - unabhängig vom Ausgang des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht im vorigen Jahr -, daß wir die Zahl der Überhangmandate so gering wie möglich halten sollten. Ich will noch ein Wort auf die Einhaltung und die Wahrung der regional- und kommunalpolitischen Grenzen verwenden; denn ich finde, daß sich auch hier immer wieder ein Konfliktfeld ergibt. Das sage ich deswegen, weil man gerade im kommunalpolitischen Bereich die Übereinstimmung der Gebietsgrenzen mit den Wahlkreisgrenzen relativ selten erreichen kann. Dennoch plädiere ich dafür, darauf Rücksicht zu nehmen, daß von Bezirksgrenzen innerhalb der Länder nur dann abgewichen werden sollte, wenn dies unabdingbar notwendig ist; eine Überschreitung von Ländergrenzen ist ohnehin nicht möglich. Schon bei den Bezirksgrenzen innerhalb eines Bundeslandes wird es nach meiner Überzeugung sehr schwierig, aber in bezug auf die kommunalen Grenzen wird Rücksichtnahme nicht immer möglich sein. Dies ist auf jeden Fall ein wichtiger Aspekt, auf den wir Rücksicht nehmen sollten, weil er oftmals mit der Befindlichkeit der Bürgerinnen und Bürger zu tun hat - nicht nur in den Großstädten, die wir naturgemäß immer wieder zerteilen müssen, um mehrere Wahlkreise aus ihnen herauszuschneiden, sondern auch in den ländlichen Gebieten, die sich nur ungern immer wieder einem neuen Wahlkreis und damit auch neuen Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern zuordnen lassen wollen. Aus diesem Grunde gilt es, die Befindlichkeit ernst zu nehmen, die sich oftmals dahinter verbirgt; allerdings weise ich jetzt schon darauf hin, daß wir es nicht an jeder Stelle schaffen werden, die Einzelinteressen zu berücksichtigen und umzusetzen. Da wir vor einem Berg von Problemen stehen, sollten wir ihn ernsthaft und sehr schnell in Angriff nehmen. Entscheidend ist nach meiner Einschätzung, daß wir den Zeitrahmen, den wir uns in den Besprechungen auf der Innenausschußebene gegeben haben, ebenfalls einhalten. Wir wollen vor Ostern fertig sein, das ist das Ziel aller Bemühungen. Ich finde, das sollte auch deswegen bekräftigt werden, weil wir nach Ostern in den sehr schwierigen Verhandlungen des Bundestages zu anderen Themen mit dieser Thematik wahrscheinlich nicht mehr so günstig verfahren können, wenn wir sie dann noch einbinden sollten. Von daher müssen wir das erste Quartal 1998 nutzen und eine weitere Verschiebung vermeiden. ({3}) Das wäre ein ganz wichtiger Aspekt. Wilhelm Schmidt ({4}) Der Innenausschuß, alle seine Mitglieder und auch die Landesgruppen in sich und im Verhältnis zu den Partnern anderer Landesgruppen, also über die Fraktionsgrenzen hinweg, haben ein gehöriges Maß an Arbeit vor sich. Diese werden wir leisten müssen und leisten wollen. Das klang auch in dem Beitrag des Kollegen Bosbach an. Ich darf noch einen Satz zu dem Antrag zur Verlängerung der Wahlperiode, der ja im Raum steht, sagen. Wir werden ihn gesondert zu behandeln haben; deshalb sei er hier nur ewähnt. Auch auf unserer Seite ergibt sich durchaus eine sehr breite Initiative, so etwas umzusetzen. Wir werden zu gegebener Zeit die ensprechenden Argumente austauschen, und ich denke, wir werden zu einer vernünftigen Lösung kommen. In diesem Sinne: Mit der Absicht, zu einem konsensualen Verhalten bei den Auseinandersetzungen zu kommen, will ich meine Rede heute beschließen und wünsche uns allen gute Beratung. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Gerald Häfner, Bündnis 90/Die Grünen.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Demokratie geht „alle Staatsgewalt ... vom Volke aus". Sie wird laut Grundgesetz „vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ... ausgeübt". Die vom Grundgesetz versprochenen „Abstimmungen" werden den Bürgerinnen und Bürgern allerdings in Ermangelung eines entsprechenden Gesetzes bis heute vorenthalten. Solange dies so ist, sind die Wahlen, die alle vier Jahre stattfinden, die einzige Möglichkeit, durch die die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes an der politischen Willensbildung auf Bundesebene unmittelbar mitwirken können. Schon oft hat sich mancher nach den Wahlen grün und blau oder grün und schwarz geärgert. ({0}) - Ich wollte das bewußt nicht einseitig formulieren, Herr Marschewski. Gar mancher hat sich schon beim Betrachten der „Bonner Runde" am Wahlabend geärgert, aber es hilft nichts: Er muß vier Jahre warten, bis er seine Entscheidung korrigieren und neue politische Verhältnisse mit herbeiführen kann. Um so wichtiger ist es, daß die Wahlgesetze sicherstellen, daß der in den Wahlen zum Ausdruck gebrachte politische Wille der Bürgerinnen und Bürger exakt umgesetzt wird. Das ist gegenwärtig nicht der Fall. Ich halte es für einen untragbaren Zustand, daß die Sitze in diesem Bundestag deutlich anders verteilt sind, als das - nach dem Verhältnis der auf die Wahlvorschläge der Parteien entfallenen Stimmen - dem Wählerwillen entsprochen hätte. ({1}) Ich halte es besonders deshalb für unerträglich, weil dieser Unterschied gänzlich unnötig ist. Wir und übrigens auch die SPD haben einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht, der diesen Zustand beendet hätte. Er ist aber abgelehnt worden. Solche Verzerrungen sind darüber hinaus deshalb bedenklich, weil sie unter anderem aus falschen Abgrenzungen der Wahlkreise sowohl in den Ländern als auch unter den Ländern resultieren. Wir können mit dem vorliegenden Entwurf zumindest einen begrenzten Beitrag dazu leisten, diese Situation zu verbessern. Neben dem Beschluß zur Verkleinerung des Deutschen Bundestages, den wir ausdrücklich mit eingebracht, befürwortet, begrüßt und in den Beratungen unterstützt haben, ist insofern auch aus diesem Grunde eine Neueinteilung der Wahlkreise im Bundesgebiet nötig. In bezug auf die Verkleinerung möchte ich darauf hinweisen: Jetzt wird es ernst. Bisher haben wir eigentlich nur das Versprechen zur Verkleinerung abgegeben. Aber jetzt kommt es zum Schwur; denn die Verkleinerung wird erst dann Realität, wenn wir im Deutschen Bundestag gemeinsam eine neue Wahlkreisneueinteilung beschlossen haben. Ich will gerne das aufgreifen, was der Kollege Wilhelm Schmidt gesagt hat: Ich hoffe sehr, daß uns dies im Konsens aller beteiligten Parteien gelingen wird und daß das Wahlrecht nicht zu einem Spielball parteitaktischer und parteiegoistischer Interessen wird. Diese Gefahr deutet sich jetzt schon an. Sie verfolgen das sicher alle. Ich will nicht auf Einzelfälle eingehen. In meinem eigenen Wahlkreis ist im Moment schon ein wildes Hauen und Stechen über Stadtviertel und Straßenzüge nicht zwischen CSU und SPD oder zwischen CSU und Grünen, sondern innerhalb der CSU selbst ausgebrochen. ({2}) - Gibt es nicht? Ich schicke es Ihnen, Herr Marschewski. Doch, das Hauen und Stechen gibt es in der CSU mehr als bei uns. Wir tragen unsere Auseinandersetzungen etwas subtiler aus. Jedenfalls hoffe ich sehr, daß Partei- und Einzelinteressen nicht das Ergebnis der Debatte in diesem Hause bestimmen werden. Deswegen möchte ich jetzt zu Einzelheiten des Gesetzentwurfes auch gar nichts sagen. Das wird im Innenausschuß - und ich beneide die Kollegen nicht um diese Aufgabe - in aller Ruhe zu leisten sein, und zwar auf der einen Seite unter Berücksichtigung der Größenverhältnisse - denn das scheint mir sehr wichtig: daß zwei Wahlkreise, gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten, in Zukunft zueinander nicht mehr in einem Größenverhältnis von 1: 2 stehen können, sondern daß der Zuschnitt der Wahlkreise bereits ab einer Abweichung von 15 Prozent geändert werden soll, bei mehr als 25 Prozent Abweichung sogar geändert werden muß -, aber auch unter Berücksichtigung der LänderGerald Häfner grenzen, der Landkreis- und der Gemeindegrenzen, der gewachsenen Strukturen, die dabei nicht zerschnitten werden dürfen. Das ist keine leichte Aufgabe. Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch auf einen weiteren Punkt eingehen. Ich habe - wie auch schon Wilhelm Schmidt zuvor - gesagt: Das Wahlrecht ist eine der Grundsäulen unserer Demokratie. Es sollte und muß daher im Konsens zwischen den Parteien beschlossen werden. Hier spielen aber gerade jetzt einige mit dem Feuer, leider auch einige Kollegen - einer sitzt vor mir: Peter Struck - in den Reihen der SPD. Lieber Herr Struck, Sie haben kürzlich vorgeschlagen, die Zweitstimme ersatzlos abzuschaffen und im gleichen Zug auch noch die Legislaturperioden zu verlängern. ({3}) Ich sage Ihnen: Dies ist ein Spiel mit dem Feuer. Sie legen die Axt an eine der Grundsäulen unserer Demokratie. ({4}) Wenn Sie behaupten, die Legislaturperiode müsse länger dauern, weil in dem letzten Jahr einer Legislaturperiode wegen des Wahlkampfes sowieso nicht mehr viel passiere, dann sage ich Ihnen: Es geht doch schon seit anderthalb Jahren politisch so gut wie nichts mehr voran, aber doch nicht wegen des Wahlkampfes,

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege, achten Sie auf die Uhr.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- ich komme zum Schluß, Herr Präsident -, sondern weil innerhalb der Koalition das Maß an Gemeinsamkeiten aufgebraucht ist. Nun warten die Bürger schon seit über einem Jahr, daß sie endlich wieder wählen und neue Machtverhältnisse herbeiführen können. ({0}) Würden wir die Legislaturperiode jetzt auch noch verlängern, müßten sie noch ein Jahr länger warten. Das wäre sicher unzuträglich. Ich meine, das Wahlrecht muß vor allem aus der Sicht der Bürger und nicht aus der der Parteien betrachtet werden. Es ist ein Recht der Bürger, und für die bedeutet häufigeres Wählen mehr Mitsprache. Ich bin immer dafür, mehr Beteiligung, mehr Demokratie zu sichern. Deswegen spreche ich mich gegen solche Anschläge auf das bewährte Wahlrecht aus. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler, F.D.P.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Fragen des Wahlrechts ist der Gesetzgeber meiner Meinung nach prinzipiell gut beraten, wenn er sich konservativ verhält. Denn bei jeder Änderung setzt sich der Gesetzgeber dem Verdacht aus, es gehe ihm nicht oder nicht nur um die Interessen der Wähler, sondern auch um eigene Startvorteile bei künftigen Wahlen. Das vorliegende Änderungsgesetz ist aber notwendig als Folge unserer Entscheidung, den Bundestag zu verkleinern. Wir beschränken uns dabei jedoch auf das, was wirklich notwendig ist. Also gibt es keine Diskussion über die Änderung des bewährten Prinzips des verbesserten Verhältniswahlrechts. Es gibt keine Diskussion über die Fünfprozentklausel oder über die Grundmandatsklausel. Auch bin ich der Meinung, daß die durchaus erwägenswerte Frage, die Legislaturperiode auf fünf Jahre zu verlängern, in diesem Zusammenhang nicht entschieden werden kann, ({0}) und zwar aus folgendem Grund: Je länger die Legislaturperiode ist, um so mehr ist zu überlegen, ob man als Ausgleich dafür, daß die Bürgerinnen und Bürger dadurch seltener wählen können, plebiszitäre Elemente verstärkt vorsieht. ({1}) Diese Diskussion erscheint mir doch so grundlegend und so schwierig, daß ihr Abschluß bis Ostern nicht zu leisten ist. Das war die zeitliche Zielvorgabe, die Kollege Schmidt vorhin genannt hat. Zur Debatte steht unserer Meinung nach daher einzig und allein der Neuzuschnitt der Wahlkreise. Wir sehen den Entwurf der Koalitionsfraktionen als Arbeitsgrundlage für den Ausschuß an. Ich sage ausdrücklich, daß wir für Änderungen im Detail noch offen sind. Eine positive Folge des neuen Gesetzes ist schon jetzt absehbar: Das Entstehen von Überhangmandaten wird weitgehend vermieden. Zwar war das bisherige Wahlrecht auch insoweit durchaus verfassungsgemäß, wie Karlsruhe kürzlich bestätigt hat; aber es ist auch klar: je weniger Überhangmandate, um so besser. Überhangmandate verändern immer das Ergebnis, das sich nach einer reinen Verhältniswahl ergeben würde. Oberster Maßstab im Wahlrecht ist und bleibt aber der Verfassungsgrundsatz der Gleichheit der Wahl. Dazu gehört in erster Linie auch der Grundsatz des gleichen Erfolgswerts jeder Wählerstimme. Dazu, daß dieser Grundsatz wieder stärker zur Geltung kommt als beim bisherigen Zuschnitt unserer Wahlkreise, wird das heute in erster Lesung zu beratende Gesetz einen wichtigen Beitrag leisten. Wir werden daher im Prinzip diesem Gesetzentwurf zustimmen. Ich betone aber noch einmal, auch als Angebot an die Opposition: Für Veränderungen im Detail stehen wir bei den Ausschußberatungen zur Verfügung. Vielen Dank. ({2}) '

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann, PDS.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde nicht ganz zu dieser Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung hier im Parlament beitragen können, sondern werde einiges Kritische sagen müssen. Unsere grundsätzliche Kritik an der Verkleinerung des Parlaments haben wir bereits mehrfach deutlich zum Ausdruck gebracht. Das Ganze den Leuten als umwälzende Reform des Parlaments zu verkaufen ist purer Populismus. ({0}) - Das steht sogar in der Vorlage; gucken Sie es sich an. - Damit wird weder mehr Effizienz der parlamentarischen Arbeit - da sollte man bei den mehr als 250 Gremien anfangen, die dieser Bundestag hat, bei den umfassenden Apparaten und bei der Reisetätigkeit - noch wirtschaftlichere Arbeit, noch mehr Transparenz, noch mehr Möglichkeiten der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, noch eine wirksamere Kontrolle der Bundesregierung usw. erreicht. Als sehr problematisch betrachten wir auch die mit der Verkleinerung des Bundestages verbundene Vergrößerung der Wahlkreise, was vor allen Dingen - das ist schon gesagt worden - in den dünnbesiedelten Regionen intensive Wahlkreisarbeit schlichtweg verhindert. Kritisch angemerkt haben wir ebenso, daß mit der Neueinteilung die Präsenz der Abgeordneten aus den neuen Bundesländern deutlich verringert wird. Immerhin verlieren die neuen Bundesländer zwölf Abgeordnete. Nun liegen in dem Antrag der Koalition die Vorschläge für die Neueinteilung konkret vor. Da ist es schon sehr durchsichtig, welche wahlarithmetischen Sandkastenspiele - allerdings nicht nur von der CDU/CSU - dabei betrieben werden. Willkürlich werden etwa gegenwärtige Wahlkreise in Berlin, zum Beispiel Mitte-Prenzlauer Berg und Hohenschönhausen-Pankow-Weißensee getrennt und Stadtbezirken im ehemaligen Westteil Berlins zugeschlagen, obwohl gerade Ostwahlkreise - darüber muß ebenfalls noch zu reden sein - auch nach der Neueinteilung deutlich höher im Bundesdurchschnitt liegen. Zwei Wahlkreise liegen sogar mehr als 15 Prozent über dem Durchschnitt, und für die Zukunft ist sogar noch eine weitere Zunahme zu erwarten. Da muß also nachgebessert werden. ({1}) Stadtbezirke in Berlin werden zerstückelt und unterschiedlichen Wahlkreisen zugeordnet. Landkreise, zum Beispiel der Landkreis Barnim in Brandenburg, werden ohne Not geteilt, und der Landkreis Havelland erfährt sogar eine Dreiteilung. Neben den allzu offensichtlichen parteitaktischen Überlegungen, die hinter der gesamten Wahlkreisneueinteilung stehen - da ist ja sehr wohl durchgerechnet worden, wer welchen Wahlkreis gewinnen kann und wie möglicherweise die gegenwärtigen Mehrheiten gesichert werden können; allerdings setzt das bisheriges Wahlverhalten voraus, und da hat man offenkundig die Rechnung ohne den Wirt, also ohne die Wählerinnen und Wähler, gemacht -, sagt dieses Gesetz unseres Erachtens auch viel darüber aus, welchen Stellenwert Sie der unmittelbaren Arbeit im Wahlkreis einräumen. Der Vorschlag, beispielsweise die Besiedlungsdichte bei der Neueinteilung der Wahlkreise mit zu berücksichtigen, ist in der Reformkommission sehr schnell gescheitert und nicht zum Tragen gekommen. Wir halten es für sehr wichtig, daß man darüber auch weiter nachdenkt, ob man hier einen bestimmten Faktor einführt. Nicht wenige haben ja jetzt erst kurz vor der Wahl ihren Wahlkreis wiederentdeckt. Wenn immer wieder über Politikverdrossenheit - vielleicht sollte man lieber von Politikerverdrossenheit sprechen - geredet wird, dann hat das auch viel damit zu tun, daß die Bürgerinnen und Bürger nur alle vier Jahre zur Bundestagswahl dürfen. Dann verabschiedet sich der Abgeordnete nach Bonn und ward bis auf die letzten paar Wochen vor der Wahl nicht mehr gesehen. Genau dem tragen Sie unseres Erachtens mit dem vorliegenden Gesetzentwurf Rechnung. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/9598 an den Innenausschuß vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 7 auf: Aktuelle Stunde Erklärung des Bundeskanzlers, daß eine Halbierung der Arbeitslosenzahl bis zum Jahre 2000 nicht mehr zu erreichen sei Die Aktuelle Stunde findet auf Verlangen der Fraktion der SPD statt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Ottmar Schreiner, SPD.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstens. Das Eingeständnis des Bundeskanzlers und der Bundesregierung jetzt, wo wir uns auf der Zielgeraden im Wahlkampfjahr 1998 befinden, daß das Ziel, die Arbeitslosenzahl bis zum Jahre 2000 um 50 Prozent zu reduzieren, nicht einzuhalten ist, ist gleichzeitig ein Eingeständnis, daß die Öffentlichkeit von der Bundesregierung in den letzten Jahren bewußt getäuscht worden ist. ({0}) Wir haben als sozialdemokratische Opposition in den letzten Jahren in keiner Phase kritisiert, daß die Bundesregierung sich zum Ziel gesetzt hat, die Arbeitslosenzahl zu halbieren; ganz im Gegenteil. Wir haben zunächst gefordert: Legen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, bitte offen, mit welchen Instrumenten, auf welchem Wege, mit welchen Vorschlägen und in welchem Ausmaß die Arbeitslosenzahl reduziert werden soll. Sie haben über Jahre hinweg jede Antwort verweigert. Dies ist ein Indiz dafür, daß Sie in den letzten Jahren auch nicht die Spur einer Vorstellung davon hatten, mit welchen Instrumenten und auf welchem Wege Sie Ihr Ziel, die Arbeitslosenzahl bis zum Jahre 2000 zu halbieren, erreichen wollten. ({1}) Sie haben nichts anderes gemacht, als die Öffentlichkeit, die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande, fortgesetzt in die Irre zu führen und bewußt zu täuschen. ({2}) Zweitens. Sie haben sich vor gut zwei Jahren - das ist alles noch nicht sehr lange her - vorübergehend mit den Federn eines Bündnisses für Arbeit geschmückt, weil Sie gespürt haben, daß das Angebot der deutschen Gewerkschaften, ein solches Bündnis für Arbeit mit den Unternehmen und der Bundesregierung einzugehen, in der Öffentlichkeit auf außerordentlich positive Resonanz stieß. Sie haben dann die Gewerkschaften schamlos mißbraucht. Im Frühjahr 1996 wurde dieses Bündnis im Vorfeld von drei Landtagswahlen, bei denen der Wiedereinzug der F.D.P in die Landtage gefährdet war, schamlos mißbraucht. Nachdem die Landtagswahlen vorbei waren, haben Sie den Gewerkschaften den Stuhl vor die Tür gesetzt und das Bündnis für Arbeit vergessen. Das war ein katastrophaler Fehler, das Angebot der Gewerkschaften nur aus rein taktischen Gründen anzunehmen und zu mißbrauchen und ein ernsthaftes Bündnis für Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern. Dies war einer der größten Fehler, den diese Bundesregierung in dieser Legislaturperiode gemacht hat. ({3}) Eine Reihe anderer Länder, wie zum Beispiel die Niederlande, hat das beispielhaft vorexerziert. In den Niederlanden konnte die Arbeitslosenzahl über fortgesetzte Vereinbarungen zwischen den Tarifparteien und der dortigen Regierung nachhaltig reduziert werden. Hier ließen sich auch noch andere Beispiele aus der Europäischen Union anführen. Sie haben das genaue Gegenteil gemacht und das ernsthafte Angebot der deutschen Gewerkschaften aus taktischen Gründen abgelehnt und mißbraucht. Im Sommer vorletzten Jahres erfolgte ein radikaler Kursschwenk. Sie schwenkten auf einen strikt neoliberalen Kurs ein und verwirklichten eine Reihe von weiteren Maßnahmen des Sozialabbaus: Abbau von sozialen Schutzrechten, massive Einschränkung des Kündigungsschutzes, gesetzliche Eingriffe in die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall usw. All diese Maßnahmen wurden von Ihren Rednerinnen und Rednern im deutschen Parlament damit begründet, dies sei der einzige Weg, die Arbeitslosenzahl in Deutschland nachhaltig zu reduzieren. Als Zielvorgabe formulierten Sie, daß Sie innerhalb eines Jahres eine halbe Million Arbeitslose weniger haben wollten. Die Bilanz dieser Politik, meine Damen und Herren von der Koalition, ist katastrophal und verheerend. Sie haben die Arbeitslosenzahl nicht nur nicht abgebaut, sondern von 1996 auf 1997 um rund eine halbe Million weiter erhöht. ({4}) Dies hängt mit den wesentlichen Einschnitten in die Kaufkraft der Arbeitnehmerschaft, mit Sozialabbaumaßnahmen, wodurch die Nachfrage entsprechend reduziert worden ist, und mit einer Reihe anderer falscher Maßnahmen dieser Bundesregierung zusammen. Wenn Sie jetzt, gut anderthalb bis zwei Jahre später, bilanzieren, stellen Sie fest, daß all das, was Sie damals durchgesetzt hatten, in keiner einzigen Phase dazu beigetragen hat, die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern, sondern daß es vielmehr die Arbeitslosenzahlen in die Höhe getrieben hat. ({5}) Im vorigen Jahr haben Sie so gut wie nichts mehr gemacht. Im Jahre 1997 dümpelten Sie beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitisch ratlos vor sich hin, allerdings mit einer Ausnahme: Sie haben alle Ihnen noch zur Verfügung stehenden Kräfte in Bewegung gesetzt, um auf dem europäischen Beschäftigungsgipfel in Luxemburg vernünftige und für die gesamte Europäische Union tragfähige Verabredungen zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und zu relativieren. Das war Ihr Beitrag auf dem europäischen Gipfel in Luxemburg, auf dem Sie eine völlig isolierte Position einnahmen. Letztlich sind alle Vorschläge, die hier in diesem Parlament gemacht worden sind, wie eine deutlich expansivere Arbeitsmarktpolitik, eine flächendekkende Etablierung von häuslichen Dienstleistungszentren, eine vorübergehende stärkere Förderung von Teilzeit, von Ihnen gnadenlos niedergestimmt worden. Jeder, der bis drei zählen kann, weiß, daß die defizitäre Situation etwa im Bereich der Teilzeitarbeit - über eine halbe Million arbeitslos gemeldete Menschen sucht eine sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeit - mit der anderen Seite der Medaille zusammenhängt, nämlich dem uferlos wuchernden Angebot von sogenannten sozialversicherungsfreien 620-DM-Arbeitsverhältnissen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Die Zeit, Herr Kollege Schreiner.

Ottmar Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002073, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluß. Sie selbst haben immer wieder eingeräumt, daß hier massive Mißbräuche stattfinden. Sie sind bis zur Stunde nicht handlungsfähig. Diese Koalition ist in Sachen Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik nicht mehr handlungsfähig. Sie sind mit Ihrem Latein längst am Ende. Die Zeit für einen Wechsel ist überreif. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Louven, CDU/CSU.

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schreiner, nur in einem stimme ich mit Ihnen überein: daß die Arbeitslosigkeit in Deutschland zu hoch ist. ({0}) Nun wollen wir aber einmal zur Sache kommen und uns ansehen, was in den letzten Jahren geschehen ist. Am 23. Januar 1996 gab es, wie Sie selbst wissen, die Kanzlerrunde, an der die deutschen Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände und die Bundesregierung teilgenommen haben. In dieser Kanzlerrunde ist einvernehmlich festgestellt worden, daß es zur Halbierung der Arbeitslosigkeit notwendig ist, den Sozialversicherungsbeitrag auf unter 40 Prozent zu senken und bei der Staatsquote wieder die Zahl vor der Wiedervereinigung zu erreichen. Man verabredete sich für den 23. April zu einer weiteren Kanzlerrunde. Dort sollten die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen Vorschläge unterbreiten, was sie dann nicht taten. Daraufhin haben wir unser 50-Punkte-Papier für Wachstum und Beschäftigung beschlossen und haben es seither zügig umgesetzt. ({1}) Interessant ist, daß die Selbstverwaltung der Bundesanstalt für Arbeit nach der Kanzlerrunde und nach dem Beschluß über das 50-Punkte-Papier den Beschluß gefaßt hat, ihr Institut damit zu beauftragen, zu erarbeiten, ob mit den in der Kanzlerrunde vorgeschlagenen Maßnahmen die Arbeitslosigkeit in der Tat zu halbieren ist. Am 2. August 1996 wurde das Gutachten vorgelegt. Und siehe da, es bestätigte eindeutig den Kurs auch des 50-Punkte-Programms. ({2}) Interessant an dieser Geschichte ist aber, daß die Gewerkschaften, die der Selbstverwaltung angehören, dieses Gutachten seither genau wie Sie totschweigen. In diesem Gutachten des Instituts der Bundesanstalt für Arbeit heißt es: „Von maßgebender Bedeutung ist das Verhalten der Tarifpartner; sie entscheiden darüber, ob reguläre Arbeit bezahlbar bleibt. " Danach hat sich die OECD in ihrer Beschäftigungsstudie geäußert und genau wie der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung unseren Kurs ausdrücklich als den richtigen angesehen. Als ich Sie, Herr Schreiner, hier auf das OECD-Gutachten angesprochen habe, haben Sie mir mit der Kaufkrafttheorie geantwortet - Sie haben sie eben auch wieder angesprochen -, die von der Fachwelt mit „naiv" abqualifiziert wurde. Dafür, wie scheinheilig Sie in Ihrer Argumentation sind, will ich nur ein paar Beispiele bringen. Ich war vor wenigen Wochen auf einem Symposium, welches die Stadt Düsseldorf für japanische Unternehmer veranstaltete. Dort sprach Staatssekretär Bickenbach aus dem Wirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalen, SPD. Herr Staatssekretär Bickenbach feierte dort vor japanischen Unternehmern, daß wir die Gewerbekapitalsteuer beseitigt haben, daß die Vermögensteuer beseitigt worden ist ({3}) und, Herr Schreiner, daß wir die Möglichkeiten der Sonntagsarbeit ausgeweitet haben. ({4}) Bei all diesen Punkten haben Sie persönlich uns bis aufs letzte bekämpft und verprügelt. Und siehe da, ein Staatssekretär der SPD feiert diese Maßnahmen - durchaus zutreffend - als Erfolg für Deutschland. In der Diskussion in Düsseldorf mit japanischen Unternehmern ist dann auch noch deutlich geworden, daß sie so lange in Deutschland nicht investieren werden, solange die steuerlichen Belastungen und die Belastungen durch Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland so hoch sind. Ich bringe Ihnen ein weiteres Beispiel für Scheinheiligkeit. Gestern konnten Sie in den Zeitungen lesen, daß der DGB in Düsseldorf 500 Stellen abgebaut hat, obwohl die Arbeit zugenommen hat. Das Realeinkommen der Arbeitnehmer beim DGB ist in den letzten Jahren um 13 Prozent gesunken. Jetzt fordert die ÖTV einen Tarifabschluß mit einem Plus von 4,5 Prozent. Die Arbeitnehmer des Deutschen Gewerkschaftsbundes aber fordern nur 3,5 Prozent, und der Gewerkschaftsbund lehnt das ab. So wird mit zweierlei Zungen geredet. Das alles sollten Sie sich einmal verinnerlichen. ({5}) Sie sollten wirklich beherzigen, was unsere Freunde von der CDA auf einem Kongreß zum Ausdruck gebracht haben: „Sozial ist, was Beschäftigung bringt." Hören Sie auf, uns bei unseren Reformen zu blockieren! Insbesondere die Steuerreform ist notwendig, um zu Beschäftigung zu kommen. ({6}) Herr Kollege Schreiner, Sie waren mit mir in Portugal. Dort haben uns drei sozialdemokratische Minister - der Arbeitsminister, der Wirtschaftsminister und die Sozialministerin - gesagt, es sei das wichtigste Ziel portugiesischer Sozialpolitik - man darf einmal daran erinnern, daß sich dort in den letzten Jahren 450 deutsche Firmen angesiedelt haben -, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Schauen Sie nach Schweden, schauen Sie in die Niederlande, die Sie gerade angesprochen haben! Herr Schreiner, Sie waren neulich in den Niederlanden. Hinterher stand im „Spiegel" zu lesen: „In den Niederlanden konnten wir nichts lernen. " ({7}) Auch wir waren in den Niederlanden und haben mit dem Arbeitsminister gesprochen. Wir haben von ihm eine Menge gelernt.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Die Zeit, Herr Kollege.

Julius Louven (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001378, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der niederländische Ministerpräsident hat Ihnen auf Ihrem Parteitag dann ja auch Entsprechendes gesagt. Kehren Sie zurück zur Vernunft! Hören Sie mit Ihrer Blockadepolitik auf! Hören Sie auf, wöchentlich Aktuelle Stunden zu beantragen! Kehren Sie endlich zu sachorientierter Politik zurück! ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die Grünen.

Annelie Buntenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002637, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Solch große Versprechen zu geben und sie nicht einzulösen heißt nicht nur, Schindluder mit den Hoffnungen der Menschen zu treiben, sondern ist ein echter Beitrag zur Politikverdrossenheit. ({0}) Damit meine ich nicht das Faktum, daß der Bundeskanzler jetzt zugegeben hat, der Bundesregierung werde die Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 nicht gelingen. In diesem Punkt kann ich Klaus Zwickel nur recht geben, der sagt, es sei beängstigend, wenn der Regierungschef der letzte sei, der etwas begreife. Es ist ein Beitrag zur Politikverdrossenheit und zur Entmutigung, wenn die Arbeitslosigkeit steigt und steigt, der bundesdeutsche Landesvater seine Kinder mit Märchen vertrösten will und alles, was die Regierung unternimmt, nicht etwa die Arbeitslosigkeit verringert, sondern statt dessen die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinanderreißt und bestehende Ungerechtigkeiten verschärft. Zieht man die Bilanz aus all den Maßnahmen, die Sie unter dem täuschenden Titel „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" durchgedrückt haben - und das waren, Herr Louven, trotz des wiederholten Blockadevorwurfs leider eine ganze Menge; ich denke an die Durchlöcherung des Kündigungsschutzes, an die Absenkung der Lohnfortzahlung, an die Verschlechterung des AFG, an die Änderungen beim Ladenschluß oder an Ihre Steuerabschreibungsprojekte Ostförderung -, dann sieht man nicht etwa all die versprochenen neuen Arbeitsplätze - die gibt es nämlich nicht -, sondern den Affront gegen die Gewerkschaften, die Sie trotz deren unglaublich guten Willens aus dem Bündnis für Arbeit vertrieben haben. Die Jugendlichen laufen vor verschlossene Türen. Die Lebenssituation der Arbeitslosen hat sich dramatisch verschlechtert. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen nimmt weiter zu. Wir wären bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit inzwischen ganz bestimmt erheblich weiter, wenn Sie so viel Energie in neue Jobs, in den ökologischen Umbau und in die Umverteilung von Arbeit investiert hätten wie in das Austüfteln von immer neuen Finessen, wie denn Arbeitslose zur Arbeit gezwungen werden können - die es augenscheinlich gar nicht gibt -: mit der Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln, der jährlichen Absenkung der Arbeitslosenhilfe, mit Arbeitslosengeldbescheiden nur noch für maximal drei Monate sowie Kontrollen, Kontrollen und noch einmal Kontrollen. Daß die Menschen keine Arbeit finden, macht sie erpreßbar. Wenn der Arbeitgeber zum Beispiel die Kosten für die Sozialversicherung lieber sparen will, dann nehmen viele gezwungenermaßen auch einen Job ohne Netz und doppelten Boden und werden in Scheinselbständigkeit oder unter die Geringfügigkeitsgrenze abgedrängt. Die 620-DM-Jobs sind, was Arbeitsplätze angeht, leider der einzige Zuwachsposten in der Bilanz der Bundesregierung. Nach großem Ankündigungsgetöse aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion hat die Regierung inzwischen hochoffiziell ihre Handlungsunfähigkeit erklärt. Sie wird in dieser Legislaturperiode, obwohl das Problem inzwischen immense Ausmaße erreicht hat, nichts mehr unternehmen. Aber glücklicherweise ist der Zeitraum bis zur Bundestagswahl langsam überschaubar. Die Agonie hat ein Ende, wenn Rotgrün die Regierung übernimmt. ({1}) Dabei ist es durchaus möglich - auch Sie wissen das -, Arbeitslosigkeit erfolgreich zu bekämpfen. Eine Menge guter Vorschläge liegt auf dem Tisch. Aber allein schon bei dem Versuch der Gewerkschaften, Überstunden in Neueinstellungen umzuwandeln, war und ist weder von den Arbeitgebern noch von dieser Bundesregierung irgend etwas zu erwarten, obwohl - das ist doch schlicht absurd - allein im vergangenen Jahr in der Bundesrepublik 1,76 MilliarAnnelie Buntenbach den Überstunden geleistet wurden. Selbst wenn davon nur die Hälfte abgebaut und auch die nur zum Teil in Neueinstellungen umgesetzt würde, dann gäbe es einen Beschäftigungseffekt zwischen 300 000 und 400 000 neuen Stellen. Aber dafür reichen dann Appelle nicht aus. Für ihre Appelle haben Sie sich, wie zuletzt Norbert Blüm, schon als „Narren" beschimpfen lassen müssen. Man wird eben nicht ernst genommen, wenn die politischen Rahmenbedingungen nicht stimmen, sei es im Arbeitszeitgesetz, im Arbeitsförderungsgesetz oder bei der Ausbildungsplatzumlage. Daß diese Rahmenbedingungen nicht stimmen, liegt an der grundfalschen Richtung Ihrer Politik. Lassen Sie mich schließen, indem ich ein großes Kohl-Wort zitiere. Es heißt: „Wichtig ist, was hinten rauskommt. " Das ist die Bankrotterklärung des Bundeskanzlers. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Dr. Gisela Babel, F.D.P.

Dr. Gisela Babel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000069, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt zwei Kanzlerworte, die immer wieder in das Kreuzfeuer der Kritik der Opposition geraten. Das eine ist das Wort von den blühenden Landschaften im Osten und das andere die Ankündigung, die Zahl der Arbeitslosen bis zum Jahr 2000 halbieren zu wollen. ({0}) - Lassen Sie mich dazu kurz etwas sagen. Was die blühenden Landschaften anbetrifft, so bitte ich jeden, der heute mit offenen Augen durch die neuen Länder fährt, sich doch einmal an den Anblick im Winter 1990 zu erinnern. ({1}) Die Straßen waren in schlechtem Zustand, die Luft hochbelastet, der Boden tief verseucht, die Flüsse trugen eine schwere Giftfracht, in den Städten waren die Häuser grau, die braunen Koksberge mitten auf dem Bürgersteig, umringt von den unterschiedlichsten Müllgefäßen. Es sah traurig aus. Der Wandel ist offensichtlich. Straßennetz, Telefonnetz und Kläranlagen sind gebaut und verbessert worden. ({2}) Viele Städte erheben selbstbewußt ihr Haupt und reihen sich unter die schönsten Städte Deutschlands ein. ({3}) Die Wirtschaft - das will ich zugeben - ist nicht angesprungen, und die Produktivität liegt noch zurück. Wenn wir daher, Wirtschaft und Natur zusammen nehmend, noch nicht von blühenden Landschaften sprechen wollen, so können wir eines gewiß sagen: Es sind keine welkenden und keine sterbenden Landschaften mehr. Sie erholen sich sichtbar. Der Kanzler hat sich also allenfalls im Zeitpunkt geirrt. ({4}) Dasselbe gilt für das Kanzlerwort von der Halbierung der Arbeitslosigkeit. Auch hier ist die Koalition auf einem guten Weg. Es gibt keinen Zweifel, daß die Halbierung der Arbeitslosigkeit möglich ist. Es ist ein richtiges Ziel. Sie können es wohl nicht in Abrede stellen, denn ihr Parteivorsitzender Lafontaine hat angekündigt, es innerhalb der nächsten Legislaturperiode selbst zu schaffen: Prinzip Hoffnung. ({5}) Die Tatsache, daß man sich ein Ziel mit einer Frist setzt, ist also grundsätzlich richtig. Ich bin der Meinung, daß es eine Vorstellung ist, die eine solide Grundlage hat. Die solide Grundlage ist - darauf hat der Kollege Louven schon hingewiesen - in dem Gutachten der Bundesanstalt für Arbeit erarbeitet worden. Wenn vielleicht ein gewisses Versäumnis anzumerken ist, dann das, daß wir die Bedingungen nicht laut genug genannt haben. Wann ist denn eine Halbierung der Arbeitslosenzahlen zu erwarten? Wann können wir das Ziel erreichen? Was sind dafür die Voraussetzungen? Jetzt sage ich: Es war nicht davon die Rede, daß man die Arbeitslosenversicherung ausweiten solle, daß man noch mehr an aktiver Arbeitsmarktpolitik tun solle oder was auch immer von seiten der SPD vorgeschlagen wurde. Es stand nicht drin, daß man einen Rechtsanspruch auf eine AB-Maßnahme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einführen solle. Das stand nicht in dem Gutachten. Es stand aber wohl drin, daß sich die Tarifpartner mindestens zehn Jahre bei den Forderungen nach Lohnerhöhungen zurückhalten sollten. Darüber habe ich hier von der SPD noch nie ein Wort gehört. Diese Bedingung fehlt völlig. ({6}) In bezug auf die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge, die Senkung von Steuern und die solide Haushaltsführung kann ich nur feststellen, daß sich die Koalition in all diesen Punkten, bei denen auch Sie gefordert waren, auf den Weg gemacht hat. Wir haben die Arbeitszeit flexibilisiert und haben heute als Folge dieser Veränderung Arbeitszeitkonten in Deutschland. ({7}) Wir haben, um die Lohnnebenkosten zu senken, Gesetze geändert; das wird sich allerdings erst später auswirken. Wenn die Tarifpartner mit einer Lohnpolitik fortfahren, die zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beiträgt, werden wir auch auf diesem Weg näher an das Ziel herankommen. Auch eine Senkung der Steuern wurde in Angriff genommen: Die Koalition hat gegen die SPD die VerDr. Gisela Babel mögensteuer abgeschafft. Gegen die SPD haben wir den Solidaritätszuschlag - der F.D.P. sei gedankt - abgesenkt. ({8}) Wir haben die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft. In der nächsten Wahlperiode wird die Koalition eine Steuerreform vorlegen, die diesen Namen auch wirklich verdient. In bezug auf den Staatshaushalt möchte ich sagen: Auch in schwierigen Zeiten schafft es Deutschland, die Euro-Kriterien zu erfüllen. Wir können also sagen: Die Koalition hat sich auf einen richtigen Weg begeben und die ersten Schritte gemacht. Die SPD hat alles getan, um uns am Vorankommen zu hindern, indem sie auf diesem Weg möglichst viele Stolpersteine verteilt hat. ({9}) Meine Damen und Herren, wenn sich die Tarifpartner ihrer Verantwortung bewußt werden und nicht etwa vom Ende der Bescheidenheit reden - was ich mit Erschrecken höre -, dann werden beide Kanzlerworte, sowohl das von den blühenden Landschaften als auch das von der Halbierung der Arbeitslosigkeit, in Deutschland wahr werden. Ich bedanke mich. ({10})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi, PDS.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, Helmut Kohl ist nicht nur der Kanzler der meisten Versprecher, sondern auch der der falschen Versprechen. ({0}) Das bezieht sich nicht nur auf die Aussage, um die es hier heute geht, daß nämlich die Zahl der Arbeitslosen bis zur Jahrhundertwende, bis zum Jahr 2000 halbiert werden soll; ich könnte Ihnen noch viele andere Beispiele nennen. Sie, Frau Kollegin Babel, haben ein Beispiel gebracht, nämlich das der blühenden Landschaften, und haben seine damalige Äußerung einfach völlig uminterpretiert. Er hatte es ja nicht so gemeint, daß er durch Stillegung der gesamten Industrie dafür sorgt, daß überall etwas blüht und die Luft sauber wird, ({1}) sondern er hatte ja gemeint, daß es industriell, wirtschaftlich und sozial in jeder Hinsicht bergauf gehen wird. Davon kann nun im Osten tatsächlich keine Rede sein. Schauen Sie sich nur einmal die Zahl der Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger an, sehen Sie sich die Zahl der Arbeitslosen in den neuen Bundesländern an! ({2}) - Ich bestreite doch nicht, daß es dort auch positive Entwicklungen gegeben hat. Aber positive Entwicklungen und negative Entwicklungen in ganz erheblichem Ausmaß ergeben zusammen eben keine blühenden Landschaften. Das ist der Punkt. ({3}) Das war aber nicht das einzige Versprechen. Ihr Bundeskanzler hat anläßlich der deutschen Einheit erklärt, im Osten würde es niemandem schlechter gehen, im Gegenteil. Das ist einfach nicht wahr. Es gibt eine ganze Menge Leute, denen es schlechter geht. ({4}) Ihr Bundeskanzler hat versprochen, daß im Zusammenhang mit den Kosten der Einheit keine Steuererhöhung erforderlich ist. Sie kam dann aber relativ zügig nach der Bundestagswahl. Deshalb sage ich: Er ist ein Kanzler der falschen Versprechen. Es wird Zeit, daß die Wählerinnen und Wähler, die ihm früher seine Versprechen geglaubt haben, bei der Wahl deutlich machen, daß sie ihm nicht mehr glauben. ({5}) Natürlich war es eine erhebliche Fehlleistung, das Bündnis für Arbeit und die ausgestreckte Hand des DGB auszuschlagen. Das liegt doch eigentlich nur an einer eigenen Fehleinschätzung, nämlich an der Vorstellung des Kanzlers, er könne letztlich alles alleine und brauche weder Hilfe von der Opposition noch von den Gewerkschaften. Wenn er dann doch einmal darauf angewiesen ist, ist er auch entsprechend unwirsch. So läßt sich dieses Land angesichts der Größe der Probleme heute einfach nicht mehr regieren. Dieser Regierung fehlt die Dialogfähigkeit, fehlt die Streitkultur, ({6}) fehlt die Form der Auseinandersetzung und des Nachdenkens über Vorschläge anderer, um dann zu Lösungen zu kommen. Damit haben wir es zu tun. Das leistet übrigens wirklich einen Beitrag zur Politikverdrossenheit und sogar zur Demokratieverdrossenheit. ({7}) Es gäbe schon Reformen, um die Arbeitslosigkeit abzubauen. Ich sage gar nicht, daß es schon zum Zeitpunkt des Versprechens unmöglich war, die Zahl der Arbeitslosen bis zum Jahre 2000 zu halbieren. Das wäre schon möglich gewesen. Die Bundesregierung hätte nur die entsprechende Politik machen müssen. Als wir damals gesagt haben, daß aus diesem Vorhaben nie und nimmer etwas wird, daß der Bundeskanzler höchstens die Arbeitslosenunterstützung, aber nicht die Arbeitslosenzahl halbiert, da haben Sie mit Hohngelächter reagiert. Sie könnten sich wenigstens bei der Opposition entschuldigen und saDr. Gregor Gysi gen: Sie hatte recht, und wir hatten unrecht. Das wäre angebracht. ({8}) Wenn Sie Arbeitslosigkeit ernsthaft bekämpfen wollen, dann kommen Sie um die Tatsache nicht herum, daß in immer kürzerer Zeit von immer weniger Menschen immer mehr hergestellt wird. Das heißt, wir müssen über die Arbeitszeit und auch über die Verteilung der Arbeit neu nachdenken. Außer den Tarifparteien kann dies der Bundestag durch das Instrument des Arbeitszeitgesetzes erreichen. An dieses Instrument müßten wir endlich herangehen, wenn wir zum Beispiel Überstunden abbauen und auf anderen Wegen Arbeitszeitverkürzungen erreichen wollen. Sie können doch nicht einfach sagen, die Rahmenbedingungen seien so, daß die Privatwirtschaft nicht mehr Arbeitsplätze schaffen könne. Auf der anderen Seite machen Sie ständig Vorschläge zum Steuerabbau, zum Sozialabbau und hoffen, daß neue Rahmenbedingungen dazu führen werden, daß Arbeitsplätze geschaffen werden. Wir stellen regelmäßig fest, daß diese Maßnahmen zu keinem Erfolg führen. Sie haben doch die Sozialleistungen erheblich gekürzt; Sie haben doch die Gewinne der großen Konzerne erheblich erhöht; Sie haben das Privatvermögen deutlich vergrößert. Und sind dadurch Arbeitsplätze entstanden? Kein einziger! Wenn auch nur einer von Ihnen je an dieses Konzept geglaubt haben sollte, dann muß man ihm sagen, daß es durch die Praxis widerlegt worden ist. Es ist gescheitert. ({9}) Sie können den Staat aus der Verantwortung für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht herausnehmen. Das heißt, wir brauchen neben der Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Privatwirtschaft einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Der Staat steht hier in der Verantwortung. Damit könnte sehr viel brachliegende Arbeit geleistet werden, um die sich die Privatwirtschaft - nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern auch in den alten Bundesländern - gar nicht kümmert, zum Beispiel im Bereich Kultur, im Bereich Bildung, im Bereich Soziales und im Bereich Ökologie. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Es ist ein großer Fehler, die Jugend- und Kinderbetreuung oder auch die Schuldnerinnen- und Schuldnerberatung über AB-Maßnahmen zu organisieren, weil Sie nämlich nicht jährlich die Personen wechseln können. Das wäre eine Aufgabe für eine Gesellschaft in einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Damit würde sehr nützliche Arbeit geleistet werden können; damit würden die erforderlichen Dauerarbeitsplätze geschaffen werden können. Ich habe folgendes in meinem eigenen Wahlkreis erlebt: Wenn zum Beispiel Jugendliche, die leider „braune Brause" im Kopf haben, also rechtsextremistische Jugendliche zwar umfassend betreut werden, die Betreuer aber jedes Jahr gewechselt werden, dann ist diese Arbeit nicht erfolgreich zu leisten. Wir brauchen dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse. ({10}) Wir brauchen also einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor sowohl in bezug auf die Art der zu leistenden Arbeit als auch in bezug auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Achten Sie auf die Zeit, Herr Kollege Gysi!

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Gut. Außerdem müssen wir die Kaufkraft wieder erhöhen, sonst wird aus dem Binnenmarkt nichts. Kümmern Sie sich nicht immer nur um den Export! Kümmern Sie sich auch einmal um den Binnenmarkt! Dann müssen wir natürlich die Lohnnebenkosten deutlich anders strukturieren. Das heißt für die Unternehmen: Wir müssen die Lohnnebenkosten nach den Ergebnissen der Unternehmen berechnen und nicht nach der Zahl der Beschäftigten und dem Bruttolohn, um nicht länger Arbeit zu bestrafen, wie das heute der Fall ist. Ich sage deshalb: Ziehen Sie Ihre Konsequenzen aus den falschen Versprechen, und sagen Sie einfach: Jetzt ist es genug, jetzt sollen es einmal andere versuchen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort für den Bundesrat hat Frau Bürgermeisterin Christine Bergmann, Berlin. Senatorin Dr. Christine Bergmann ({0}): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man wie ich als Arbeitssenatorin in einer Stadt mit einer hohen Arbeitslosigkeit - 276 000 Männer und Frauen sind in Berlin arbeitslos - tätig ist, dann weiß man, daß 4,5 Millionen statistisch erfaßte Arbeitslose keine statistische Größe sind. Das sind Menschen mit Gesichtern; das sind Menschen, die erwarten, daß die Politik etwas für sie tut, damit sie wieder einen Anteil an der Erwerbsarbeit bekommen können. ({1}) Frau Babel, diesen Menschen möchte ich Ihre Rede nicht zumuten. Sie würden sie nämlich - Sie merken, daß mich das wirklich berührt - als Zynismus empfinden. Wir sind uns wenigstens darüber einig, daß die Arbeitslosigkeit zu hoch ist. Wir wissen, daß der Zustand unhaltbar ist, daß 4,5 Millionen statistisch erfaßte Arbeitslose - mit der „stillen Reserve" sind es 6 bis 7 Millionen Menschen - in diesem Lande einen Arbeitsplatz suchen. Wir wissen - das haben wir diese Woche wieder gehört -, daß die Zahl der Erwerbstätigen 1997 auf den niedrigsten Stand seit der Vereinigung gesunken ist. Auch dieser Umstand sollte uns zu denken geben. 1,6 Millionen ArbeitsDr. Christine Bergmann plätze sind seit der Einheit in den alten Bundesländern weggefallen, 1,2 Millionen in den neuen Ländern. Wenn wir uns anschauen, wie die Arbeitslosigkeit innerhalb eines Jahres gestiegen ist, dann müssen wir feststellen, daß wir jetzt 370 000 Arbeitslose mehr als vor einem Jahr haben, und zwar überwiegend in den neuen Ländern. 100 000 Arbeitslose sind es in den alten Ländern, 270 000 in den neuen Ländern. Das ist eine katastrophale Situation. 19,4 Prozent ist die offizielle Arbeitslosenquote in den neuen Ländern. Die Frage der Menschen ist natürlich immer: Was tut ihr denn eigentlich dagegen? Was tut diese Bundesregierung zum Abbau von Arbeitslosigkeit? Da haben wir schon einiges gehört; ich brauche gar nicht aufzuzählen, was Sie getan haben. Sie haben dereguliert und den Unternehmen Steuergeschenke gemacht, immer mit der Hoffnung darauf, daß die versprochenen Jobs dann auch kommen. ({2}) - Ich spreche für mich als Arbeitssenatorin. Nun möchte ich einmal meinen Kollegen Blüm als Kronzeugen anrufen. Sie sind doch derjenige - ich kann Ihre Situation durchaus nachvollziehen -, der sich jetzt hinstellt und sagt: Es ist eigentlich unerhört. Wir haben den Arbeitgebervertretern jede Menge Zugeständnisse gemacht. Wo sind denn nun eigentlich die Jobs, die ihr schaffen wolltet? ({3}) Ich teile in diesem Fall völlig Ihre Meinung. Aber wir wissen natürlich auch, daß dieser Theaterdonner relativ wenig bringen wird. Sie werden mit Appellen an die Arbeitgeber - denen es ja nicht unbedingt immer nur schlechtgeht; die Lohnstückkosten sind beträchtlich gesunken und werden 1998 weiter sinken, um nur ein Beispiel zu nennen - diese Jobs nicht schaffen. Man muß natürlich auch darauf zu sprechen kommen, was diese Bundesregierung nicht getan hat. Das ist schon angesprochen worden. Das Bündnis für Arbeit zum Beispiel ist ein wirklich bitteres Thema. Wenn man die ausgestreckten Hände der Gewerkschaften und auch der Arbeitnehmerinnen und -nehmer in allen Bereichen nicht ergreift, dann hat man die Verantwortung dafür zu tragen. Sie haben bei der europäischen Beschäftigungspolitik blockiert, wo es nur ging. Wir haben im Laufe der Monate die Forderungen der Länder über den Bundesrat eingebracht, damit wir in diesem Fall ein Stück Unterstützung durch die Europäische Union bekommen. ({4}) Sie betrachten das immer nur als Verhinderung. Ich kann Ihre Auffassung hier wirklich nicht teilen. Vielleicht darf ich Sie einmal daran erinnern, daß es auch in dem Papier der beiden Kirchen ganz eindringliche Worte zur sozialen und wirtschaftlichen Lage gibt. ({5}) Das heißt, es gibt in diesem Land einen breiten Konsens zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, auf den Sie nicht bauen. Sie bauen nur auf eine Gruppe in der Gesellschaft, mit der Sie sich verständigen und von der Sie erwarten, daß das Problem gelöst werden kann. So kann das nicht funktionieren. Ich will auf die Situation in den neuen Ländern zu sprechen kommen. Da hat es im Mai vergangenen Jahres die Gemeinschaftsinitiative gegeben - mit viel Trara vom Kanzler, von Ministern, auch Länderministern, den Gewerkschaften, Vertretern der Unternehmen und auch der Banken angekündigt -, die das Ziel hatte, 1997 die Arbeitsmarktsituation in den neuen Ländern zu stabilisieren und ab 1998 100 000 neue Arbeitsplätze pro Jahr zu schaffen. Nun haben wir im Dezember die erste Bilanz vernommen, und Sie wissen, wie diese Bilanz aussieht. Sie sieht sehr düster, katastrophal aus. Wir haben im vergangenen Jahr 170 000 Industriearbeitsplätze zusätzlich verloren. Wir wissen, daß wir auch 1998 keine zusätzlichen Arbeitsplätze in den neuen Ländern gewinnen werden. Wir haben diese Initiative begrüßt. Ich sage das hier ausdrücklich. Ich begrüße alles, was irgendwie Hoffnung macht, daß Arbeitsplätze stabilisiert werden oder neue entstehen. Wir haben erwartet, daß verbindliche Verabredungen getroffen werden. Aber es hat niemand zu seinen Versprechungen gestanden. Die Bundesregierung selbst - damit hat sich der Bundesfinanzminister vor zwei Tagen noch gebrüstet - hat im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik kräftig gespart. Die Einsparungen im Bereich von Arbeitsmarktmaßnahmen, Fortbildung und Umschulung in den neuen Ländern finden wir natürlich in den Arbeitslosenzahlen wieder. Fast 200 000 Arbeitslose in den neuen Ländern gehen zu Lasten der Einsparungen der Bundesanstalt für Arbeit, und das bei einem so hohen Stand der Arbeitslosigkeit und vor dem Hintergrund einer solchen Gemeinschaftsinitiative. Nun frage ich mich wirklich, was die Menschen davon halten sollen. Sie haben hier wieder sehr viel Enttäuschung geschaffen. Mir tut das weh. Wir wissen, daß auch die anderen Partner dieser Gemeinschaftsinitiative ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind. Wo ist denn das Wagniskapital für die jungen Unternehmen, das wir so dringend brauchen? Was ist mit den Zusicherungen von Hilfen für eine wirkliche wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Ländern in den nächsten Jahren, also Investitionen in beschäftigungsintensive Bereiche? Ich fordere Sie hier auf: Machen Sie endlich ernst damit! Sie können den Menschen nicht immer erklären, daß Sie etwas tun wollen und daß es im nächsten Jahr besser werden wird. Am Ende ist dann die Situation noch schlechter, als sie es schon war. Sie wisDr. Christine Bergmann sen, wo sich das - das macht mir sehr viel Sorge - niederschlägt. Da brauche ich gar nicht weit zu gehen: Im Bericht der entsprechenden Enquete-Kommission des Bundestages wurde festgestellt, wie sehr die Akzeptanz der Demokratie, dieser Gesellschaftsform, die wir so dringend wollten, in den neuen Ländern gesunken ist. Denn die soziale und wirtschaftliche Lage wirkt sich natürlich auch politisch aus. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwas zum Thema „Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahre 2000" sagen. Das ist kein Stichwort, das der Bundeskanzler entdeckt hat. Ich darf daran erinnern, daß wir uns alle gemeinsam schon Ende 1993 in dem europäischen Weißbuch für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung auf dieses Ziel verständigt haben. Die Mitgliedstaaten waren aufgerufen, alles dafür zu tun - es sind auch Vorschläge gemacht worden -, damit dieses Ziel erreicht wird. Es liegen Vorschläge auf dem Tisch. Ich stehe zu dem Ziel der Halbierung der Arbeitslosigkeit. Aber man darf sich natürlich nicht nur hinsetzen und schauen, was denn nun passiert, nach dem Motto: Die Wirtschaft wird es schon irgendwie richten. Herr Blüm, Sie werden mir sicherlich gleich recht geben, daß es die Wirtschaft eben nicht gerichtet hat. Man darf nicht nur die Hände in den Schoß legen und nichts tun. Es liegen sehr viele Vorschläge auf dem Tisch: Ich nenne das Weißbuch für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung. Ich nenne die Strategien des IAB. ({6}) Ich nenne auch unsere eigenen Berliner Memoranden zur Halbierung der Arbeitslosigkeit, die zwar nicht mehr bis zum Jahr 2000, aber bis zum Jahre 2005 vorgesehen ist. Wir haben das zusammen mit vielen Experten durchgerechnet und gefragt, was man da machen kann. ({7}) - Weil Sie es nicht machen. ({8}) - Ich lege es Ihnen sofort vor. In der nächsten Plenarwoche des Bundestages können Sie das Berliner Memorandum zur Halbierung der Arbeitslosigkeit beschließen. Wir können uns auf die Strategien verständigen. Viele von Ihnen sind übrigens unserer Meinung, wenn ich daran denke, was auf dem Kongreß „Arbeit für alle" vorgelegt wurde. Ich teile nicht alles, aber viele dieser Konzepte können wir sofort umsetzen, wenn Sie denn mitmachen. Sie können die erforderlichen Mehrheiten schaffen. Wir alleine können das nicht. Es liegt also eine Menge an Vorschlägen auf dem Tisch. Wir haben zur Kenntnis genommen, was die Nachbarländer tun. Auch ich war natürlich in den Niederlanden. Ich will Ihnen dazu nur eines sagen, woran unser Land krankt und was Sie erreichen müssen - ich habe das schon kurz angedeutet -: Das Erfolgskonzept, das Job-Wunder der Niederlande beruht darauf, daß der gesellschaftliche Konsens, den es dort gibt, von der Politik genutzt wird ({9}) und daß sich alle - Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Politiker - zusammensetzen und sagen: Wir verständigen uns jetzt auf langfristige Strategien zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Wir sind dabei, wenn Sie mitmachen. Wir könnten schon morgen mit bestimmten Schritten anfangen. Dazu gehören die Themen Abbau von Überstunden - darauf wurde schon hingewiesen - und die Altersteilzeit in Kombination - wie ich das immer möchte - mit der Einstellung von Jugendlichen. Wir haben auch mit der Jugendarbeitslosigkeit ein großes Problem. Das scheint hier noch niemand mitbekommen zu haben: Die Jugendarbeitslosigkeit wächst. Wir haben in den neuen Ländern bei den Jugendlichen eine Arbeitslosenquote von 24 Prozent. Sie sollten sich die berühmte Shell-Studie noch einmal anschauen. Da erfahren Sie etwas von dem Lebensgefühl, der Angst der jungen Menschen. Die größte Angst der jungen Menschen ist es, keinen Arbeitsplatz zu finden. Das sagen die 12- bis 24 jährigen zu 48 Prozent und die 20- bis 24jährigen sogar zu 65 Prozent. Wenn es nicht für uns eine Aufgabe ist, sicherzustellen, daß sie eine Ausbildung erhalten und in den Arbeitsmarkt eintreten können, dann weiß ich nicht, was diese Gesellschaft für die nächste Generation eigentlich noch tun will. ({10}) - Ich habe Ihnen die Konzepte vorgelegt. Ich schicke sie Ihnen gerne noch einmal zu. Es gibt reichlich Konzepte, wie man Arbeitslosigkeit abbauen kann. Aber es gibt keine Wundertüten. Wir können uns auch nicht wie in „Sterntaler" hinstellen; uns fällt nichts in den Schoß. Man muß etwas dafür tun und diesen gesellschaftlichen Konsens nutzen, ({11}) um Überstunden abzubauen, Altersteilzeit einzuführen und kleine und mittlere Unternehmen mit dem berühmten Wagniskapital zu unterstützen. Man muß die Mittel, die wir jetzt zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit einsetzen, für die Finanzierung der Arbeit nutzen. ({12}) Herr Blüm weiß, wie viele kostenneutrale Vorschläge von uns auf dem Tisch gelegen haben, bevor Sie sie im Zusammenhang mit dem AFRG weggewischt haben. Einiges bekommen wir durch das SGB III wieder herein. Das ist ja ganz gut, reicht aber auf gar keinen Fall. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem Zitat von Martin Luther schließen, der vor langer Zeit gesagt hat: „Die Arbeit gehört zum MenDr. Christine Bergmann schen wie zum Vogel das Fliegen." Ich denke, daß die 4,5 Millionen Arbeitslosen, die 6 bis 7 Millionen Arbeitssuchenden in diesem Land wirklich ein Recht darauf haben, daß die Politik alles tut, ihnen eine Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Tun Sie es endlich! Jeder Schritt zählt. Danke. ({13})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Meine Damen und Herren, die Frau Bürgermeisterin hat, wie Sie bemerkt haben, länger als zehn Minuten gesprochen. Nach den Regeln für die Aktuelle Stunde in Verbindung mit § 44 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung wird über diese Ausführungen die Aussprache eröffnet, wenn eine Fraktion es verlangt. Die SPD-Fraktion hat dies verlangt. Ich beende deshalb die Aktuelle Stunde und eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Dr. Blüm.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wirtschaft, Gewerkschaften und Bundesregierung streben einen nachhaltigen Beschäftigungsaufschwung an und setzen sich das gemeinsame Ziel, bis Ende dieses Jahrzehnts die Zahl der registrierten Arbeitslosen zu halbieren. Dies ist ein Zitat aus der Gemeinsamen Erklärung von Wirtschaft, Gewerkschaften und Bundesregierung vom 23. Januar 1996. Es ist ein gemeinsames Ziel, keine Soloerklärung der Bundesregierung ({0}) und auch keine Soloerklärung des Bundeskanzlers. Es ist ein ehrgeiziges gemeinsames Ziel aus der Erkenntnis heraus, daß es einer gemeinsamen Anstrengung bedarf. Etwas anderes als ein gemeinsames Ziel kann es auch gar nicht sein; denn die soziale Marktwirtschaft ist ja keine Staatswirtschaft. Und nach einer Staatswirtschaft wird nach 40 Jahren Staatswirtschaft in der DDR wohl auch niemand ein Verlangen haben. ({1}) Das Modell war ja bereits vor dem Mauerfall gescheitert, wie der Bericht des ZEK der SED aus dem Oktober 1989 beweist. Soziale Marktwirtschaft, eine gemeinsame Verantwortung von Staat, Tarifpartnern und Unternehmern. Die Halbierung der Zahl der Arbeitslosen ist ein großes Ziel, und' es bleibt unser Ziel, auch wenn der Weg weiter als erwartet, länger als erwünscht ist und nicht bei einer Halbierung endet. Wir erreichen dieses Ziel nicht durch Debatten, die nur Pessimismus verstreuen. Wir erreichen es nur durch die Rückkehr zu dem, was in Deutschland einst ein Wirtschaftswunder ermöglicht hat, nämlich durch das Zusammenwirken von Staat, Gewerkschaften und Unternehmern. Das ist der einzige Weg, auf dem wir vorwärtskommen. ({2}) Dieses Ziel ist erreichbar und nicht utopisch. Das haben die wissenschaftlichen Institute IAB, Ifo und WSI bestätigt. Auch in dem, was wir damals gemeinsam vereinbart haben, findet sich der Satz: Dieses Ziel „ist nur erreichbar, wenn keine zusätzlichen Ungleichgewichte am Arbeitsmarkt auftreten und wenn alle Verantwortlichen ihr Handeln an diesem Ziel ausrichten". Deshalb möchte ich jetzt alle Verantwortlichen durchgehen. Fangen wir mit der Koalition an. Eine Woche nach dem 23. Januar 1996, am 30. Januar 1996, hat diese Koalition ein 50-Punkte-Programm beschlossen und es am 25. April in die parlamentarische Beratung eingeführt. Am 12. Februar wurde die Beendigung der Frühverrentungspraxis und die Altersteilzeit mit den Sozialpartnern vereinbart, eine Woche später bereits wurden im Kabinett die Eckpunkte beschlossen, und am 29. Juni stand das entsprechende Gesetz im Bundesgesetzblatt. Schneller geht es wirklich nicht. Wir haben die Renten reformiert - Sie waren dagegen. ({3}) - Ich komme nachher darauf zu sprechen, welches denn Ihr Konzept ist. Wir haben die Möglichkeit der Anrechnung beitragsfreier Zeiten reduziert - Sie waren dagegen. Wir haben das AFG reformiert; wir haben neue Instrumente, Trainingsmaßnahmen, Lohnkostenzuschüsse ganz neuer Art, auch bei Existenzgründungen, den Eingliederungsvertrag - er wird nicht ausreichend genutzt - eingeführt. Wir haben die Zumutbarkeit neu definiert. Das wurde von Ihnen abgelehnt. Ihr Kanzlerkandidat hat das für notwendig erklärt. ({4}) - Einer von mehreren. Seit dem 1. Januar gelten die Maßnahmen zur Dezentralisierung der Bundesanstalt, die neue Entscheidungsspielräume vor Ort eröffnen. Das ist auch eine Bewährungsprobe für die Selbstverwaltung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die jetzt kreative Wege beschreiten kann. Wir haben das Arbeitsrecht angepaßt, die Arbeitszeitordnung entrümpelt. Wir haben dadurch 22 Gesetze überflüssig gemacht; das war auch ein Beitrag zur Entbürokratisierung. ({5}) Wir haben den Jugendarbeitsschutz neu geordnet, ebenso die Regelungen zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, zum Kündigungsschutz, zum Schlechtwettergeld und zum Ladenschluß. ({6}) - Ganz langsam! Ich halte nur eines fest: Man kann über alles streiten. Nur, niemand kann behaupten, daß wir nichts gemacht hätten. Darüber können wir nicht streiten. ({7}) Wer von Reformstau spricht und sagt, unsere Maßnahmen reichen nicht, dem entgegne ich: Wir sitzen hier nicht selbstzufrieden. ({8}) - Ich werde nachher zu der Frage kommen, wie Ihre Alternative aussieht. ({9}) Ich wiederhole: Es kann gestritten werden; wir sind nicht selbstzufrieden. Aber wer von einem Reformstau spricht, muß in den letzten Jahren auf einer Eisscholle ohne Funkverkehr mit Deutschland gelebt haben. ({10}) Auch die OECD bestätigt uns das: Zu diesem Zweck hat die Bundesregierung eine beeindruckende Vielfalt von Gesetzen betreffend Arbeitskosten, Arbeitszeit und Beschäftigungsflexibilität auf den Weg gebracht. Auch alle anderen müssen mithelfen. Ich stehe hier und wiederhole: Das Gebot unternehmerischer Verantwortung heißt: Einstellen! In einer sozialen Marktwirtschaft kann das nicht befohlen werden. D e n Unternehmer gibt es ja nicht. Ich habe auch eine große Liste von solchen Unternehmern, die eingestellt haben; sie verdienen Lob. ({11}) Ich will auch das folgende sagen: Einstellungen sollten nicht auf Grund von Mildherzigkeit oder aus karitativen Gründen erfolgen. Vielmehr sollten sie aus Gründen wirtschaftlicher Klugheit vorgenommen werden. Eine sozial geordnete Gesellschaft ist wirtschaftlich klug. Die größte Gefahr für eine Gesellschaft ist die Arbeitslosigkeit. Wer das bestreitet, kann sich einmal in Südostasien erkundigen. ({12}) Marktwirtschaft ohne soziale Bindungen hat keine Zukunft. ({13}) Einstellungen vorzunehmen ist auch ein Gebot, um unseren Standort zu erhalten und zu verbessern. Gewinne gehören zu einer Marktwirtschaft. Sie sind das Saatgut für Investitionen. Deshalb dürfen sie auch nicht verfüttert werden. Wir brauchen sie für Investitionen. Unternehmen sind keine Banken mit angeschlossenen Produktionsanlagen. Ich bleibe also dabei: Wir haben gehandelt; wir werden nicht auf der Stelle treten. Alle müssen mitmachen, auch die Unternehmer. Jetzt komme ich zu der SPD. ({14}) - Sie wissen ja noch gar nicht, was ich sagen will. Warum sind Sie dann so aufgeregt? Vielleicht lobe ich Sie? Seien Sie doch einmal gespannt! Wenn ich zusammenfasse, was Sie zu unseren Vorschlägen gesagt haben, dann war das immer nur: draufsatteln, draufsatteln, draufsatteln. Das ist Ihre Alternative. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sagen, Kostensenkung ist alles. Zu einem modernen Management gehört nicht nur Kostenmanagement, sondern gehören auch Innovationsmanagement und Motivation der Arbeitnehmer; aber Sie werden die Kostenfrage nicht völlig eliminieren können. Ihr Beitrag heißt: Draufsatteln! Frau Bergmann, bleiben wir doch einmal bei den Ländern. Sie haben beklagt, daß wir die Mittel zurückgeführt haben. Berlin hat die Mittel für Ergänzungszuweisungen nach § 249h von 196 Millionen DM 1996 auf 121 Millionen DM im Haushaltsentwurf 1998 gesenkt. Das ist die Spitze des Kahlschlags! Solch einen Prozentsatz hätten wir uns nie geleistet. ({15}) Der Spitzenkahlschläger sitzt allerdings in Sachsen-Anhalt. Dort wurden die Mittel von 285 Millionen DM im Jahre 1996 auf 122 Millionen DM im Haushaltsentwurf 1998 gesenkt. Hätten wir in Bonn die Arbeitsmarktmaßnahmen um mehr als die Hälfte gesenkt, was hätten Sie da gesagt? Deshalb, liebe sozialdemokratischen Kollegen, kehrt einmal vor Eurer eigenen Tür, bevor Ihr hier weitermacht. ({16}) - Ich sage ja: keine Selbstzufriedenheit. Die Steuerreform ist an Ihrer Blockade gescheitert, sie ist eine wichtige Voraussetzung. ({17}) Ich gehe aber noch weiter. Das Stichwort Garzweiler macht Ihre Beschäftigungspolitik deutlich. Garzweiler ist ein Synonym für ein Beschäftigungsvernichtungsprogramm. Es geht um 50 000 Arbeitsplätze. 50 000 Arbeitslose kosten die Bundesanstalt 1,5 Milliarden DM; gleichzeitig fallen Beitragszahler aus, die 1 Milliarde DM eingezahlt hätten. Es ist ein Investitionsverhinderungsprogramm. Wer soll sich auf ein Land, auf einen Staat verlassen können, bei dem keine Zusagen mehr gelten? ({18}) Es wird noch schöner! Der Landtag hat beschlossen, die Gerichte haben gesprochen, die VerwaltunBundesminister Dr. Norbert Blüm gen haben umgesetzt, und es wurden 100 Gutachten erstellt. Jetzt geben Sie 2 Millionen DM für ein neues Gutachten aus. Garzweiler ist der neue Name für vertagen, verschleppen und verschleiern; damit entstehen keine neuen Arbeitsplätze. ({19}) Die Situation in Düsseldorf ist schlimm. Deshalb darf Bonn nicht Düsseldorf werden. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie sind doch in den Bundestag mit einem Anspruch einer neuen politischen Moral eingezogen. Ich kenne keine machtverliebtere Partei als die Grünen. ({20}) - Das exerzieren Sie in Nordrhein-Westfalen gerade vor. Was Sie in Nordrhein-Westfalen zu entscheiden haben, ist der Konflikt zwischen Hintern und Gesicht: ({21}) Entweder verletzen Sie Ihren Hintern, weil Sie vom Regierungssessel hoch müssen, und behalten Ihr Gesicht, oder Sie verlieren Ihr Gesicht und bleiben auf dem Sessel sitzen. Ich sage voraus: Sie werden auf dem Sessel sitzenbleiben. Und das, wo Sie hier mit einer neuen Moral angetreten sind! ({22}) Frau Höhn hat gesagt - man muß sich das einmal vor Augen führen -, sie werde ergebnisoffen prüfen. Gleichzeitig sagt sie aber nein zu Garzweiler. Das ist ein „ergebnisoffenes Nein" , das ist eine neue Form. Gleichzeitig sagt sie, sie wisse nicht, ob Entschädigungsansprüche entstehen. Die Entschlußlosigkeit von Rot-Grün ist ein teures Experiment. Weiter wirft sie ihrem Koalitionspartner Herrn Clement Rechtsbruch vor. Das läßt auf eine Koalitionsarbeit schließen, deren Effizienz bei Null angekommen ist. ({23}) - Bei uns gibt es Konflikte, wir aber sind entscheidungsfähig. Sie gehen um alle Konflikte herum, Sie scheuen Entscheidungen wie der Teufel das Weihwasser. ({24}) - Bei uns gibt es Konflikte, aber wir sind entscheidungsfähig. Sie dagegen meiden jeden Konflikt. Sie scheuen Entscheidungen wie der Teufel das Weihwasser. Fragen Sie doch einmal Herrn Clement. Die lieben Genossen tanzen Ihnen doch auf der Nase herum. Johannes Rau ist dort, wo er immer zu finden ist, wenn Konflikte sind: in Wolkenkuckucksheim. ({25}) Sie sprechen ein entschlossenes jein. Ich hoffe, die Arbeitnehmer merken, was gespielt wird. Sie sollen wieder einmal in Nordrhein-Westfalen verladen werden. ({26})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Minister Blüm, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Nein, ich bin gerade so schön in Fahrt. ({0}) 50 000 Arbeitsplätze sind gefährdet - und Investitionseinladungen. Wenn man sich auf das Land nicht verlassen kann, dann ist das wie der Bau von Umgehungsstraßen um Nordrhein-Westfalen. Und das soll das Modell für Bonn sein? - Sie wollen ja nur deshalb zusammenbleiben, weil Sie ein gemeinsames Ziel haben: das rettende Ufer der Bundeswahl zu erreichen, damit Sie nicht vorher den rot-grünen Offenbarungseid leisten. ({1}) Und dann kommen Sie auch noch hierher und veranstalten eine große Arbeitsmarktdebatte. 50 000 Arbeitsplätze werden durch Ihr Verzögern, Vertagen, Verschleiern nicht nur gefährdet; vielmehr sind sie für immer weg, wenn sie jetzt nicht kommen. Es gibt keinen Grund zur Selbstzufriedenheit. ({2}) - Ja natürlich, diese Arbeitsplätze sind kaputt; sie fallen weg. Soll ich Ihnen das noch einmal ganz langsam erklären? 50 000 Arbeitsplätze sind kaputt, wenn Sie damit weitermachen, zu verzögern und zu vertagen. Ich kann das gern noch einmal wiederholen, damit das niemand vergißt. Sie riskieren 50 000 Arbeitsplätze und stellen sich hier als Ankläger ans Rednerpult. ({3}) Kümmern Sie sich doch um Ihren Laden, wo Sie die Verantwortung tragen. Schaffen Sie doch erst einmal Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen, bevor Sie hier als große Ankläger auftreten. Kümmern Sie sich doch einmal um Garzweiler! Ich war heute morgen bei den Bergleuten; ich kann Ihnen mitteilen, was die von Ihnen und Ihrer Wackelpolitik halten. ({4}) - Sie können alles machen. Ich bin im übrigen auf Ihre Verteidigung nicht angewiesen; das mache ich in Selbsthilfe. Dazu brauche ich niemand anders. Ich bleibe dabei: Wir sind nicht am Ziel, aber vieles bewegt sich - auch in der Tarifpolitik. Ich will ausdrücklich auch den Beitrag von Gewerkschaften und Arbeitgebern würdigen. ({5}) Wir haben es mit Tarifabschlüssen zu tun, die noch vor Jahren nicht denkbar gewesen wären: Arbeitszeitkonten in der Bauwirtschaft, mit denen Arbeitsstunden im Sommer für den Winter angespart werden - also keine Überstunden -; Tarifabschlüsse in der Chemieindustrie mit Einstiegstarifen und Entgeltkorridoren; Vereinbarungen einer Altersteilzeit in der Metallindustrie mit großen eigenen Entscheidungsmöglichkeiten für den Betrieb. Das ist noch nicht das Ende. Es wird auch in der IG Metall an Bausteinprinzipien gedacht. Es ist vieles in Bewegung. Mir kommt es darauf an, die Tüchtigen, wo immer sie sind, ob bei den Arbeitgebern oder den Gewerkschaften, zu ermutigen. Denjenigen, die nur jammern, muß man den Spiegel vorhalten; denn mit Jammern erreichen wir nichts. ({6}) Der erfolgreichste Wirtschaftspolitiker war Ludwig Erhard. Er wußte, daß 60 Prozent der Wirtschaftspolitik Psychologie ist. Deshalb erwarte ich von allen, daß sie sich nicht im Jammern festbeißen, sondern die neuen Instrumente und auch die neuen Chancen zu nutzen. Europa ist eine Chance für den Arbeitsmarkt. Der europäische Binnenmarkt, für den wir - nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen - kämpfen, ist eine Chance für den Arbeitsmarkt. Denn es ist doch wahr, daß ein Teil derer, die Lohnzurückhaltungen bewiesen haben, durch Aufwertungen ihrer Währungen um die Frucht der Anstrengungen der Lohnzurückhaltung gebracht wurde. Ein einiges Europa wird dieser Aufwertungslotterie Abhilfe schaffen, und damit der Lohnpolitik eine rationalere Grundlage und ein erstrebenswertes Ziel geben. Ich bleibe dabei: Unser Land ist ein Land mit vielen Problemen; aber es ist ein Standort mit der höchstqualifizierten Arbeitnehmerschaft auf der ganzen Welt. Es ist ein Land mit einem hohen Maß an sozialem Frieden. Es ist ein Land, das zu jenen Ländern mit den geringsten Arbeitsausfällen wegen Streiks gehört. Es ist ein Rechtsstaat. Es ist ein Staat mit vielen fleißigen Leuten, an die man appellieren und sie zum Bündnis einladen sollte. Es ist kein Nachtwächterstaat, kein Staat, der auf Zuschauerbänken sitzt. Niemand kann bestreiten, daß wir ein Stück vorwärts gekommen sind. Ich schließe mit der nochmaligen eindeutigen Aufforderung - aus Verantwortung und wirtschaftlicher Klugheit -: Einstellen ist das Gebot der Stunde! ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002769, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fürchte, daß die Art von Debattenstil, wie sie Norbert Blüm pflegt, genau zu jener Politikverdrossenheit beiträgt, die häufig beklagt wird. ({0}) Es mag ja sein, lieber Norbert Blüm, daß man an die Verantwortung anderer appelliert, aber das ist nur glaubwürdig, wenn man die eigene wahrnimmt und sich den Ergebnissen der eigenen Verantwortung stellt. ({1}) Die Ergebnisse der Verantwortung, die die Bundesregierung wahrzunehmen hat, sind ganz offenkundig und für Hunderttausende, ja Millionen von Menschen in Deutschland außerordentlich schlimm. Ihre Politik, von der Sie immer behauptet haben, sie sei in der Lage, Wachstum und Beschäftigung miteinander zu verbinden, von der Sie immer behauptet haben, sie sei in der Lage, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und zu senken, von der Sie immer behauptet haben, sie würde die Menschen entlasten, statt sie zu belasten, schlägt Ihren eigenen Ansprüchen ins Gesicht. Sie ist vollständig gescheitert, und der schreckliche Beweis dafür sind die 4 520 000 Menschen, die jetzt in der Statistik als arbeitslos erfaßt werden. Hören Sie endlich auf, anderen die Schuld für das zuzuschieben, was Sie den Menschen in Deutschland zumuten! Das liegt in Ihrer Verantwortung, und dafür müssen Sie geradestehen. ({2}) Die Debatte ist aus aktuellem Anlaß entstanden. Insofern habe ich nur eingeschränktes Verständnis dafür, daß derjenige, um den sie sich dreht, nicht anwesend ist. Ich habe aber wirklich nur sehr eingeschränktes Verständnis dafür. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie hat heute vor wenigen Stunden - die Debatte soll ja aktuell sein - erneut gesagt, daß es ganz richtig, ja sogar verantwortungsbewußt sei, wenn sich Betriebe, insbesondere im Osten, aus der tarifvertraglichen Bindung lösten. ({3}) Der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern hat ebenfalls heute gesagt, Arbeitslosigkeit sei „ein wesentlicher Anschlag auf die Würde des Menschen". Damit hat der Mann recht. ({4}) Natürlich können wir über die Verantwortung der Tarifpartner, der Arbeitgeber und der Unternehmen auf der einen Seite, und der Gewerkschaften auf der anderen Seite reden, aber ich denke, hier im Parlament ist es zunächst einmal sinnvoll, über das zu reden, für das die Bundesregierung und die sie tragende Koalition Verantwortung trägt: Erstens. Die Rahmenbedingungen sind nicht in Ordnung. Niemand kann von verläßlichen Rahmenbedingungen in Deutschland reden. Ludwig Erhard, ja sogar Graf Lambsdorff wußten ganz genau, daß man erfolgreiche Wirtschaftspolitik zum Zweck des Wachstums und der Beschäftigung, auch zum Schutz der Umwelt, nur machen kann, wenn es sichere Rahmenbedingungen gibt. Sie aber haben ständig Ankündigungen in die Welt gesetzt und das Gegenteil dessen getan. Sie haben gesagt, Sie würden dafür sorgen, daß die Sozialversicherungsbeiträge sinken könnten. Dann wäre doch der erste logische Schritt - das meine ich jetzt als Angebot mit dem Ziel, es notfalls noch vor Ostern zu entscheiden -, wenigstens die Finanzierungslasten der deutschen Einheit aus der Renten- und Arbeitslosenversicherung herauszunehmen, um damit endlich die Senkung der Lohnnebenkosten zu ermöglichen. ({5}) Wir können das, wenn Sie Lust dazu haben und die Verantwortung wahrnehmen, der Sie sich eigentlich stellen müßten, noch vor Ostern entscheiden. Dasselbe gilt für ein anderes wesentliches Element von Rahmenbedingungen: Es weiß doch jeder, daß wir eigentlich in der Lage gewesen wären, schon zum 1. Januar 1998 wenigstens große Schritte in Richtung auf eine Steuerreform zu tun. Es weiß auch jeder, an wem es gescheitert ist. ({6}) Das liegt nicht an der Sozialdemokratie, sondern das liegt an den Bedingungen Ihrer Koalition und an Ihrer Unfähigkeit, wenigstens das zu vereinbaren, wo wir gemeinsam einer Auffassung sind. Sie beharren aber immer noch darauf, alles mögliche durchzusetzen, anstatt faire Kompromisse zu schließen, die klare Bedingungen für die Wirtschaft und die Investoren bieten. ({7}) Es ist doch diese elende Unfähigkeit, zu entscheiden, die innerhalb Ihrer Koalition ständig alles blokkiert, was Sie nur dazu motiviert, uns Blockade vorzuwerfen, obwohl mittlerweile jeder in Deutschland verstanden hat: Es ist diese Koalition, die sich weder in ihren Zielen noch in ihren Handlungsmöglichkeiten einig ist; es ist Ihre Selbstblockade, die die Arbeitslosigkeit auf unverantwortliche Weise hochgetrieben hat. ({8}) Es sind Ihre Arbeitslosen, und Sie tragen die Verantwortung dafür, hat der Bundeskanzler einmal gesagt. ({9}) Sie haben gesagt, Sie wollten die Zahl der Arbeitslosen halbieren. Das Ziel der Politik muß aber die Vollbeschäftigung und nicht die Halbierung der Arbeitslosigkeit sein. Dies bleibt das Ziel der sozialdemokratischen Politik, wie auch niedrigere Lohnnebenkosten, Herausnahme der versicherungsfremden Leistungen aus der Beitragsfinanzierung, ein einfacheres Steuersystem mit niedrigeren Steuersätzen, und zwar so, wie wir es Ihnen hier mehrfach angeboten haben: Senkung aller Steuersätze um den Preis, daß Steuervergünstigungen gestrichen werden ({10}) - das ist sinnvoll und nützlich - einschließlich einer stärkeren Förderung der Familien. Meine Damen und Herren, das wäre der Teil der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Ich sage nicht zu jeder dieser Bedingungen etwas. Die knappe Zeit, die wir hier haben, würde nicht reichen, zum Euro und zu anderen Dingen viel zu sagen. Sie wissen, daß wir eine gemeinsame stabile Währung in Europa unterstützen und begrüßen. Ich will einen anderen Punkt ansprechen, nämlich die Bedingungen, unter denen viele Menschen in Deutschland arbeiten. So, wie Sie hier reden, haben Sie ganz offenkundig nicht mehr im Blick: zum Beispiel den Familienvater, der am 31. Dezember des letzten Jahres vielleicht mit seiner Frau und seinen Kindern zusammengesessen hat und der schon längere Zeit arbeitslos ist; eines seiner Kinder hat bereits viele Wochen lang versucht, einen Ausbildungsplatz zu finden. Wenn Sie sich eine solche Situation einmal vergegenwärtigen, dann werden Sie feststellen, daß sich dieses theoretische und ideologische Geschwafel verbietet, das Sie hier zum Teil pflegen. ({11}) Die Menschen, die in einer solchen Situation sind, spielen in dem, wie Sie reden, wie Sie denken, wie Sie Politik organisieren, offenkundig allenfalls noch die zweite Geige, anstatt das zu sein, was sie sein müßten, nämlich der Mittelpunkt aller Anstrengungen, mit denen ihre Lebenslage verbessert werden könnte. ({12}) Ich komme zu Ihnen, Frau Kollegin Babel. Sie haben hier einmal gesagt, es sei das letzte Stück Freiheit auf dem Arbeitsmarkt, daß es die versicherungsfreien Tätigkeiten mit jetzt 620 DM im Monat gibt. Das haben Sie gesagt. 6 Millionen Menschen sind jetzt davon betroffen. ({13}) Wenn Sie hier die Niederlande anführen, dann müssen Sie doch eines konstatieren, nämlich daß in den Niederlanden jede regelmäßige Beschäftigung ab der ersten Stunde sozialversichert ist. ({14}) Jeder weiß, daß die F.D.P. es verhindert hat, hier wenigstens erste Schritte in diese Richtung zu tun. ({15}) Sie waren es doch, die sich zu Beginn dieses Winters geweigert haben, an den Gesprächen teilzunehmen. Jeder hier im Hause weiß - ich glaube, die Kollegen Ramsauer, Geißler, Schreiner und andere waren beteiligt -, daß sie zu einem Ergebnis gekommen wären. Jeder weiß: Die F.D.P. hat verhindert, daß geregelte Teilzeit möglich wird, mit der der Mißbrauch bei den 620-DM-Verträgen hätte beseitigt werden können. Das haben Sie und niemand sonst verhindert. ({16}) Das ist ein schwerer Schaden für den Arbeitsmarkt - auch deshalb, weil diese Kosten dann von jenen getragen werden müssen, die noch in sozialversicherungspflichtiger Tätigkeit sind. ({17}) Sie haben doch immer verteidigt, daß es die Möglichkeiten zur Scheinselbständigkeit gibt. Haben Sie schon einmal mit einem Lkw-Fahrer gesprochen, der als Selbständiger gilt, mit einem Kellner, der in einem piekfeinen Restaurant drei Tische betreut und als Selbständiger gilt, nur damit deren Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge sparen? Es ist unverantwortlich, mit welcher Lebensferne und mit welcher Bürgerferne Sie hier Politik beschreiben und betreiben. Ändern Sie das! 1 Million Scheinselbständige in Deutschland sind ein schwerer Mißbrauch der Gesetzgebung. Das muß geändert werden, damit die Menschen insgesamt entlastet werden. ({18}) - Es trifft Sie offenkundig, und das ist auch richtig so: Es soll Sie auch treffen; denn Sie sind doch diejenigen, die bisher gar nicht zur Kenntnis genommen haben, daß auch die illegale Beschäftigung in Deutschland immer weiter steigt. ({19}) Wenn einige hunderttausend Menschen in Deutschland illegal beschäftigt sind - bei wachsender Schwarzarbeit usw. -, dann kann man es doch nicht so machen wie Eurostat, nämlich die Schwarzarbeit fiktiv in das Bruttosozialprodukt einrechnen; man muß vielmehr dafür sorgen, daß die Schwarzarbeiter in das legale wirtschaftliche System zurückkehren. ({20}) Das, was Sie Freiheit nennen, ist nichts anderes als die Fähigkeit zum Mißbrauch gesetzlicher Regelungen. Das muß geändert werden. ({21}) Sie haben versäumt, die Rahmenbedingungen in Ordnung zu bringen, die Lohnnebenkosten zu senken, das Steuerrecht zu vereinfachen, die Steuersätze zu senken. ({22}) Sie haben zweitens versäumt, Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen, beispielsweise etwas zu tun gegen die Scheinselbständigkeit, gegen die hunderttausendfache illegale Arbeit und gegen den millionenfachen Mißbrauch der 620-DM-Verträge, also der versicherungsfreien Arbeit. ({23}) Drittens haben Sie versäumt, etwas im Zusammenhang mit der Entwicklung und Förderung von neuen Möglichkeiten zu tun. Sie haben doch den Haushalt des Bundesforschungsministers ständig heruntergefahren und die Situation der Hochschulen vernachlässigt. ({24}) - Sie fragen, was denn die Länder machen. Ich empfinde es als eine heuchlerische Argumentation, einem finanzschwachen Land wie beispielsweise Sachsen-Anhalt den Rückgang der § 249-Maßnahmen vorzuhalten, wenn Sie doch die Ursachen dafür setzen und die Bundesmittel kaputtgemacht haben, die als Grundlage gebraucht werden. ({25}) Indem ich Ihre Verantwortung und Ihre Versäumnisse beschreibe, mache ich Ihnen zugleich ein Angebot: Ich mache Ihnen das Angebot, noch bis zum Frühjahr eine Senkung der Lohnnebenkosten zu vereinbaren. Ich mache Ihnen erneut das Angebot, über das Thema Steuern zu reden und den Versuch zu machen, doch noch zu einer Lösung zu kommen. Ich mache Ihnen das Angebot, sofort eine gesetzliche Regelung zur Einschränkung des Mißbrauchs der 620-DM-Verträge zu treffen. Ich mache Ihnen das Angebot, sofort eine Aktivität gegen illegale Beschäftigung gemeinsam mit den Ländern und der Arbeitsverwaltung zu ergreifen. ({26}) Ich mache Ihnen schließlich das Angebot, gemeinsam etwas zum Ausbau von Hochschulen und Ausbildungsplätzen zu tun, damit die Jugend in Deutschland wieder eine anständige Chance hat. Es ist an Ihnen, erneut entweder den Beweis der Verweigerung und der Blockade anzutreten ({27}) oder gemeinsam mit uns für eine Verbesserung der Verhältnisse in Deutschland zu sorgen. ({28})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Schäuble. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem stimme ich dem Kollegen Scharping zu. Die Arbeitslosigkeit ist so hoch, daß wir bei der Art, wie wir darüber reden, immer daran denken sollten, daß sie viel zu hoch ist. Ich bin nicht ganz sicher, Herr Kollege Scharping, ob es jedem immer gelingt, dem eigenen Einleitungssatz gerecht zu werden. Ich habe darüber gerade bei Ihnen ein wenig nachgedacht. Norbert Blüm hat an die gemeinsame Erklärung von Wirtschaft, Gewerkschaftsvertretern und Regierung vom Januar 1996 erinnert, in der das Ziel formuliert worden ist, von dem der Bundeskanzler in diesen Tagen gesagt hat, er fürchte, daß es bis zum Jahre 2000 leider nicht mehr zu erreichen sei, was traurig genug ist. Aber wir machen einen fundamentalen Fehler und verschließen uns jeder Chance, das Problem zu lösen, wenn wir den Eindruck erwecken, der Staat, die Politik, die Regierung, Stadt oder Land allein seien für die Lösung des Problems zuständig. Das ist in einer sozialen Marktwirtschaft nicht möglich. ({0}) Darüber war man sich im Januar 1996 schon einmal einig. Man ist sich auch jetzt darüber einig und sollte es bleiben. Dann muß man aber die Debatten nicht so führen, wie Sie es tun, wenn es bedauerlicherweise länger dauert, bis sich Verbesserungen der Rahmenbedingungen auswirken. Es ist ja auch nicht so, daß sich nichts verändert hätte. Da hat Norbert Blüm recht; ich möchte es noch einmal unterstreichen. Wer behauptet, in diesem Land habe sich nichts geändert und nichts bewegt, ({1}) der muß schon weit weg von der Wirklichkeit sein oder will sich nicht mit ihr auseinandersetzen. Sie haben uns zum Teil kritisiert - es ist ja in Ordnung, daß man unterschiedlicher Meinung über die einzelnen Fragen ist -, daß wir zu sehr die Rahmenbedingungen für mehr Beschäftigung und mehr Wachstum verbessern wollten. Dagegen haben Sie sich mit mancherlei berechtigten Einwänden gewehrt. Ich will daran nur erinnern - vielleicht auch die Frau Bürgermeisterin, die nicht an allen Debatten des Bundestages teilnehmen konnte, was auch nicht notwendigerweise ihre Aufgabe ist. Aber es ist nicht wahr, daß sich nichts bewegt hat. Wir haben die Sozialhilfe reformiert, was auf unserem Kongreß „Arbeit für alle" in Berlin eine wichtige Rolle gespielt hat. Wir haben das Arbeitsförderungsgesetz ein Stück weit verändert. Wir haben die gesetzliche Krankenversicherung verändert, um den Beitragsanstieg in der gesetzlichen Krankenkasse zu verhindern, und wir haben in der Rentenreform wichtige Schritte beschlossen, damit die Renten auch bei veränderten demographischen Rahmenbedingungen zukunftssicher bleiben. Das alles hat stattgefunden. In Deutschland sind die Substanzsteuern endlich nach langer Blockade durch die Bundesratsmehrheit seit dem 1. Januar 1998 abgeschafft und verschlechtern damit nicht mehr die Chancen für mehr Investitionen. ({2}) Die meisten derjenigen, die das im Januar 1996 gesagt haben - wir beide waren nicht dabei, aber die anderen waren mindestens so klug wie jeder von uns -, haben damals wie auch ich geglaubt und damit gerechnet, daß sich diese Maßnahmen bei dem steigenden Wirtschaftswachstum, das wir haben - man muß daran erinnern, daß die OECD der Bundesrepublik Deutschland von allen vergleichbaren Industrieländern die beste Wachstumsprognose für das Jahr 1998 gegeben hat; es kann also nicht alles vergeblich sein -, ({3}) schneller positiv auf dem Arbeitsmarkt auswirken würden. Hierin besteht die Veränderung gegenüber früheren Konjunkturzyklen. Dies muß man sehen. Dies hat nicht nur etwas mit der Globalisierung, sondern auch mit der Veränderung der Arbeitswelt und ganz anderen technologischen Rahmenbedingungen, insbesondere in der Kommunikationsindustrie, zu tun. Wenn das so ist, müssen wir - ob wir nun in die Niederlande, nach Großbritannien, Amerika oder sonstwohin schauen - noch entschiedener und stärker Dienstleistungsarbeitsplätze schaffen. Es gibt keine Alternative. Im Bereich der industriellen Produktion müssen wir das an Arbeitsplätzen halten, was irgendwie geht. Zusätzliche Arbeitsplätze werden wir aber nur durch eine stärkere Bewegung in Richtung auf den Dienstleistungssektor in jedem Bereich und durch mehr Existenzgründer, mehr Innovationen, mehr kleine und mittlere selbständige Betriebe schaffen. ({4}) Dafür muß die Politik die Rahmenbedingungen gestalten. Das ist wahr, und das haben wir mit einer Vielzahl von Gesetzen getan. Wir dürfen aber den Rest unserer Gesellschaft nicht von der Eigen- und Mitverantwortung für die Lösung der Arbeitsmarktprobleme entbinden. Deswegen ist die Zielrichtung der Debatte so, wie Sie sie angelegt haben, falsch und kontraproduktiv. Sie wird uns nicht helfen, sondern eher andere von ihrer Mitverantwortung entbinden. Das ist falsch. Jetzt möchte ich noch etwas zu Ihren Angeboten, Herr Kollege Scharping, sagen: Die Sache ist relativ klar. Wir haben gemeinsam im Dezember 1997 die Rentenreform beschlossen. Manche wollten weitergehende Ergebnisse. Wir haben gegen Ihre Stimmen die Strukturreform beschlossen und einen Beitragsanstieg durch die Umschichtung auf indirekte Steuern vermieden. Das Echo war bei allen Beteiligten nicht besonders glänzend, weil die meisten in Wirtschaft, Gewerkschaft und sonstwo verstanden haben, daß die Umfinanzierung von lohnkostenorientierten Beitragssätzen zu Verbrauchsteuern schon richtig ist, daß sie aber nicht ausreichend ist. Vielmehr müssen strukturelle Reformen hinzukommen, um die Dynamik des Ausgabenanstiegs zu bremsen. Das eine kann das andere nicht ersetzen. ({5}) An diesem Punkt sind wir in den Verhandlungen nicht weitergekommen. Aber - mit aller Höflichkeit - das hat weniger an der Koalition als an der Mehrheit des Bundesrates und an Rotgrün gelegen. Daran kann es wohl keinen Zweifel geben. ({6}) - Nein, wir haben zu lange miteinander geredet. Die sechs, die beisammen waren, haben gesagt, sie würden auch hinterher mit dem, was wir miteinander beredet haben, anständig umgehen. Der Kollege Scharping hat sich daran gehalten. Ich halte mich auch daran und alle anderen auch. Bei den strukturellen Reformen war Ihre Seite bei allen Entscheidungen im Bundestag und Bundesrat immer auf der Seite der Neinsager und nicht auf der Seite der Unterstützer. Das müssen Sie ändern. Deswegen ist Ihr Angebot, die Sozialversicherungsbeiträge ausschließlich durch die Erhöhung von Verbrauchsteuern zu senken, kein zureichendes Angebot, wenn es darum geht, mehr Beschäftigung zu erreichen. Deswegen müssen Sie weitergehen. ({7}) Dasselbe gilt für die Steuerreform. Dies mag kaum noch jemand hören. ({8}) - Er hat es eingeführt, und ich muß auf das Angebot eingehen, sonst heißt es wieder, wir seien nicht darauf eingegangen. - Wir brauchen eine Senkung aller Steuersätze bei der Lohn-, Einkommen- und Körperschaftsteuer - darin sind wir uns fast einig -, je deutlicher, desto besser. Diejenigen, die meinen, das Problem sei allein mit dem Stopfen von Schlupflöchern zu lösen, täuschen sich. ({9}) - Ach, Herr Kollege, angesichts der Tonart, welche in die Debatte gebracht worden ist, rede ich relativ sachlich. Jetzt hindern Sie mich doch nicht daran, indem Sie unsachliche Zwischenrufe machen! ({10}) Wir werden das Problem der Erosion unserer Steuerbasis und der nicht hinreichenden Beschäftigungsfreundlichkeit unseres Steuersystems in erster Linie nur durch die Senkung der Steuersätze und erst in zweiter Linie durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage lösen. Die reicht auch nicht aus. Deswegen haben wir das inzwischen fast bundesweit unbestritten als richtig erkannte Petersberger Steuerkonzept beschlossen. Es wurde übrigens im Deutschen Bundestag am 30. Juni vergangenen Jahres beschlossen, hat aber trotz zweier Vermittlungsverfahren leider nicht die notwendige Zustimmung im Bundesrat gefunden. Das Petersberger Konzept bestand immer aus drei Elementen: einer Nettoentlastung - für sie ist der Spielraum in der Zeitachse eher geringer geworden, das haben wir einvernehmlich festgestellt, trotzdem bleibt sie zumindest mittelfristig notwendig -, zweitens einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und drittens einer Umschichtung zwischen direkten und indirekten Steuern. Zum ersten und zum dritten sind Sie nicht bereit. Die Erklärung des SPD-Vorsitzenden nach der Präsidiumssitzung der SPD nach Abschluß unserer Gespräche im Dezember lautete, man sei zu keinerlei Umschichtung zwischen direkten und indirekten Steuern in dieser Legislaturperiode bereit. Das ist der Grund, warum die Koalition gesagt hat: Dann macht es keinen Sinn. Für Steuerentlastungen sehen Sie keinen Spielraum, zu Umschichtungen sind Sie auch nicht bereit. Eine aufkommensneutrale Steuerreform, bei der nur die Bemessungsgrundlage verbreitert wird und die Steuersätze allenfalls um so viel gesenkt werden, wie das Mehraufkommen daraus ist, wird - das sage ich Ihnen - weitere Arbeitsplätze vernichten. Nach den Regeln der Logik muß das nämlich zu einer Erhöhung der Unternehmensbesteuerung führen. Eine Erhöhung der Unternehmensbesteuerung ist das Dümmste, was es gibt, wenn wir den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ernst nehmen. ({11}) Herr Kollege Scharping, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, mir wäre lieber, wir hätten das, was wir an Verbesserung der Rahmenbedingungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zustande bringen können, schon zustande gebracht. Mir wäre es auch lieber, wir schafften es heute oder nächste Woche oder vor Ostern, als daß erst der Wähler in der Bundestagswahl seine Entscheidung treffen muß. Aber es geht nur, wenn Sie die grundsätzliche Bereitschaft haben, in die richtige Richtung zu gehen. Dazu lade ich Sie ein. ({12})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zur Geschäftsordnung, Herr Struck? - Bitte.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde findet zu dem Thema „Erklärung des Bundeskanzlers, daß eine Halbierung der Arbeitslosenzahl bis zum Jahre 2000 nicht mehr zu erreichen sei" statt, und daraus hat sich die allgemeine Aussprache entwickelt. Die Erklärungen sowohl des Vertreters der Bundesregierung als auch der Koalitionsfraktionen sind absolut unbefriedigend. Da es sich um Äußerungen des Bundeskanzlers handelt, beantrage ich, den Bundeskanzler gemäß § 42 der Geschäftsordnung herbeizuzitieren. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gibt es Wortmeldungen zu diesem Geschäftsordnungsantrag? - Bitte.

Clemens Schwalbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002121, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Bevor wir darüber entscheiden, bitte ich festzustellen, ob die Beschlußfähigkeit des Hauses gegeben ist.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Darf ich fragen, ob zu diesem Antrag zur Geschäftsordnung von den Fraktionen weitere Wortmeldungen vorliegen? - Das ist nicht der Fall. Ich halte es für die richtige Verfahrensweise, daß wir die Beschlußfähigkeit in der Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag feststellen. Sie wissen, wie das Verfahren ist. Sie müssen den Plenarsaal verlassen. Ich werde in etwa 5 Minuten mit der Abstimmung beginnen. - Darf ich bitten, daß auch die letzten den Plenarsaal verlassen. - Darf ich fragen, ob die Türen mit Schriftführern besetzt sind? - Die Türen sind besetzt. Dann beginnen wir jetzt mit der Abstimmung. Sie kennen das Verfahren. Es gibt drei Türen. Gehen Sie durch die Tür Ihrer Wahl. Die Schriftführer werden Sie dann zählen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen im Mittelgang und in den Seitengängen, ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen, ich habe nämlich sonst keinen Überblick darüber, wie die Geschäftslage an den Türen ist. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen. - Kann mir jemand einmal ein Zeichen geben, wie es an den Türen aussieht. Ich kann es von hier aus nicht erkennen. Bitte räumen Sie das Sichtfeld. Darf ich noch einmal fragen, wie die Situation an den Türen ist? - Ich gehe davon aus, daß niemand mehr kommt. Ich schließe deshalb die Abstimmung und darf die Schriftführer bitten, mir das Ergebnis nach vorne zu bringen. Ich teile Ihnen das Ergebnis mit: Es wurden 483 Stimmen abgegeben. Mit Nein haben 259 und mit Ja 224 gestimmt. Es gab keine Enthaltungen. Ich stelle fest: Der Antrag ist abgelehnt, und die Beschlußfähigkeit des Hauses ist gegeben. Wir fahren mit der Debatte fort. Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen, soweit Sie der Debatte folgen möchten? ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich möchte Sie bitten, die Gänge freizumachen, damit Ruhe einkehrt und wir mit der Debatte fortfahren können. Ich erteile jetzt der Abgeordneten Andrea Fischer das Wort, allerdings erst, wenn es wirklich ruhig ist. Aber vielleicht beschleunigt das den Vorgang. - Ich glaube, jetzt können wir es versuchen. Bitte, Sie haben das Wort.

Andrea Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002652, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben ja immer damit gerechnet, daß sich vermutlich eher der Kanzler halbiert, als daß die von ihm geführte Regierung die Arbeitslosenzahlen halbiert. Aber daß er sich gleich in Luft auflöst, hätten selbst wir nicht mehr zu erwarten gewagt. ({0}) Ich finde es schon ein Trauerspiel, was die Regierung heute hier liefert, so zum Beispiel der Vorsitzende der CDU vom Landesverband Nordrhein-Westfalen, der hier ein ganz durchsichtiges Manöver versucht hat. Das war intellektuell außerordentlich unredlich. Denn der Landesvorsitzende der nordrhein-westfälischen CDU muß sich schon entscheiden, auf welche Seite er sich in diesem Konflikt stellen will. Sie könnten einerseits die Grünen auffordern, auf einer Maximalposition zu beharren. Das ist natürlich deswegen unanständig, weil Sie die Maximalposition, die wir einnehmen könnten, gar nicht teilen. Sie könnten andererseits von den Sozialdemokraten verlangen, Garzweiler so schnell wie möglich zu genehmigen und abbauen zu lassen. Wenn es nach Ihnen ginge, würden Sie, weil Sie einem kruden, längst überholten Keynesianismus anhängen, das Loch in Garzweiler wahrscheinlich noch tiefer machen, als es die nordrhein-westfälische SPD möchte. ({1}) Sie sind da an einem Punkt, von dem wir dachten, daß wir ihn seit den 80er Jahren längst überwunden hätten. Schöngerechnete Beschäftigungsversprechen sollen allen Raubbau an der Natur rechtfertigen. Wir drücken uns - genau entgegen dem, was Sie behauptet haben - nicht vor diesem Konflikt. Das ist ein Konflikt, um den wir uns nicht nur kümmern müssen, wenn es um Garzweiler geht. Wir müssen uns ernsthaft der Frage stellen, ob man mit einer Energiegewinnungsmethode aus der Dinosaurierzeit noch heute die Zukunft der Umwelt und die Zukunft der Beschäftigung sichert. ({2}) Die 50 000 Arbeitsplätze, die der Bundesarbeitsminister hier immer ins Feld geführt hat, sind virtuelle Arbeitsplätze. Sie stehen auf dem Papier und sind nichts anderes als Versprechen. Es ist seitens des Bundesarbeitsministers wirklich unverfroren, in einer Andrea Fischer ({3}) Debatte, in der es um die Frage geht: Können wir die Arbeitslosigkeit halbieren?, über 50 000 virtuelle Arbeitsplätze zu reden anstatt darüber, daß diese Regierung und dieser Bundesarbeitsminister den höchsten Arbeitslosigkeitsstand der Nachkriegsgeschichte zu verantworten haben. ({4}) Weil Sie davon die ganze Zeit ablenken wollen, müssen wir uns jetzt seit Wochen ein Theaterstück mit verteilten Rollen anschauen, das von seiten der Bundesregierung und der Koalition gegeben wird: Sie wollen Ihre Kritiker befrieden, indem Sie nach rechts die Gewerkschaften für zu hohe Lohnforderungen beschimpfen und nach links auf die Unternehmer einprügeln. Sie können uns mit diesem Kampfgetöse nicht täuschen, und Sie können damit auch die Bevölkerung nicht von Ihrem Versagen ablenken. ({5}) Worin genau besteht Ihr Versagen? Sie haben es hier doch mit einer Unternehmerschaft zu tun, die von dem Industriekapitän repräsentiert wird, der immer will, daß wir uns in schwerem Wasser bewegen können, während er seine eigene Yacht am Bodensee liegen hat. Diese Unternehmerschaft mit ihren Repräsentanten verlangt von den Bürgerinnen und Bürgern, von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Eigenverantwortung, Verzichtsbereitschaft, Innovationsbereitschaft, Mobilität, Gemeinsinn und dergleichen mehr. Aber dieselbe Unternehmerschaft mit ihren Repräsentanten schreit selber am lautesten nach dem Staat, und zwar nicht nur, wenn sie will, daß Schutzbestimmungen dereguliert werden, sondern auch, wenn sie die Kosten in ihren Betrieben über die Frühverrentung dämpfen will, wenn sie sich aus den Ausbildungs- und Qualifizierungsverpflichtungen zurückziehen will und damit dem Staat die Kosten für die überbetriebliche Ausbildung überlassen will oder wenn sie hochqualifiziertes Personal haben will, aber findet, daß nur der Staat für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verantwortlich ist, indem er Kindergartenplätze bereitstellt. Aus der Perspektive dieser Unternehmenspolitik lohnt dann auch ein Blick ins Ausland. US-amerikanische Firmen haben verstanden, daß man hochqualifizierte Arbeitnehmer, von denen immer mehr Frauen sind, nur bekommt, wenn man die Vereinbarkeit von Beruf und Familie herstellt. Deswegen ist dort die Zahl der Betriebskindergärten wesentlich höher. In Holland sind die Unternehmen sowohl für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall als auch für die Unfallversicherung zuständig. Siehe da, die holländischen Unternehmen haben in ihren Firmen beträchtliche Anstrengungen unternommen, die Gefahren, arbeitsunfähig bzw. krank zu werden, zu vermindern. Man sehe sich in Dänemark an, welch gute Erfahrungen man damit macht, daß die Unternehmen eine ausgesprochen flexible Arbeitszeitpolitik in Form von Jobrotation und anderen Verfahren betreiben. Weil die Bundesregierung es mit einer Unternehmerschaft zu tun hat, die nach draußen nur schauen kann, wenn es um Lohnstückkosten geht, aber nicht dann, wenn es um innovative Politik geht, wäre es eine gute Politik - das ist ihr Versagen -, wenn sie mehr könnte, als nur reflexhaft den wortmächtigsten Lobbyisten des Unternehmertums hinterherzulaufen, wenn sie verstanden hätte, daß Geschäftsbeziehungen das Einverständnis aller voraussetzen und daß es dort um die Schaffung eines positiven Klimas, um die richtigen Bedingungen und um den Output, sprich: um ein Geben und Nehmen, geht. Sie weisen immer darauf hin, daß man in das Ausland schauen muß. Es handelt sich dabei aber nicht um technokratische Fragen. Es geht nicht darum, welche Prozentsätze, Gesetze und welche anderen Verfahren im Ausland geändert worden sind. Die erfolgreichen Modelle, die wir betrachten, sind alle im Konsens entstanden. Wenn Sie das nicht erreichen, dann ist das Ihr Fehler und nicht der Fehler all derjenigen, die Sie dafür immer verantwortlich machen wollen. ({6}) Sie haben das Klima vergiftet, und deswegen dürfen Sie sich jetzt überhaupt nicht darüber beklagen, daß die Unternehmer, denen Sie erst einen Blankoscheck ausgestellt haben, nun angeblich als Scheckbetrüger davonlaufen. Es war hier schon davon die Rede: Das „Bündnis für Arbeit" haben Sie zerstört, weil Sie nicht verstanden haben, wie wichtig das entsprechende Klima ist. Ich sage Ihnen, wo es darauf ankommen wird, daß Sie in naher Zukunft verstehen, wie wichtig das Klima und die richtigen Bedingungen sind, so daß sich dabei alle Seiten wiederfinden können. Alle Wirtschaftsforschungsinstitute sagen: Die Lohnentwicklung muß sich auch in Zukunft insbesondere in Ostdeutschland an der Produktivität orientieren. Das ist unglaublich viel von Arbeitnehmern verlangt, die völlig zu Recht beklagen, daß sie mit ihren Löhnen von der Entwicklung im Westen abgehängt werden. Die Bundesregierung könnte aber das Ihre dazu beitragen, daß die Tarifparteien trotzdem eine solche Politik betreiben, indem sie die Abgabenbelastung senkt, indem sie Luft dafür schafft, daß solche Lohnabschlüsse überhaupt möglich werden. Dadurch kommen wir zur Einkommensteuerreform, aber auch zum Einstieg in eine ökologische Steuerreform. Die Menschen in diesem Land müssen wissen, wofür sie sich engagieren und wofür sie sich gegebenenfalls einschränken und verzichten. Das können Sie ihnen nicht mehr vermitteln. Wenn Sie ausschließlich eine Politik betreiben, die angesichts der Krise im Bereich der Erwerbsarbeit die Sozialleistungen schlichtweg kürzt, so daß die Menschen immer weniger das Gefühl haben, dieser Sozialstaat schützt sie, dann werden Sie dazu keine Zustimmung erhalten. Sie haben die Umbrüche nicht begriffen. Sie haben nicht verstanden, daß man, gerade wenn man eine neue Arbeits- und Arbeitszeitpolitik betreibt, auch veränderte sozialstaatliche Strukturen braucht. Andrea Fischer ({7}) Sie haben auch noch immer nicht verstanden, daß die Zukunft des Sozialstaates auch darin liegt, bei der Abgabenbelastung darauf zu achten, daß die Finanzierung des Sozialstaates weniger stark an die Arbeitskosten, dafür um so mehr an indirekte und Verbrauchsteuern gebunden wird. ({8}) Über die Formel der Halbierung der Arbeitslosigkeit habe ich mich nie so ganz empören können, weil ich und all diejenigen, mit denen ich je darüber gesprochen habe, nur müde abgewinkt haben, wenn sie diese Formel gehört haben, und sie für eine von diesen typischen wohlfeilen Politikerformeln gehalten haben. Daß die Menschen sich noch nicht einmal mehr über solch einen Unsinn wirklich empören können, der ihnen da versprochen wird, das zeigt doch, wie Sie das Vertrauen der Bevölkerung längst verloren haben und wie sehr Sie mit Ihrer Politik am Ende sind. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Paul Friedhoff. ({0})

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kanzler hat die Äußerung hinsichtlich der Halbierung der Arbeitslosigkeit als Bekräftigung des gemeinsamen Beschlusses von Wirtschaft, Gewerkschaften und Bundesregierung im Rahmen der Kanzlerrunde am 23. Januar letzten Jahres getan. Ich möchte hier noch einmal feststellen, daß hier also nicht nur der Kanzler, sondern auch die Tarifparteien in der Verantwortung sind. ({0}) Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit Erfolge erzielt. Es ist hier davon die Rede gewesen. Es hat Veränderungen bei der Lohnfortzahlung, beim Kündigungsschutzgesetz, in Form der Senkung des Solidaritätszuschlages und in anderen Bereichen gegeben. Frau Babel und andere haben ja bereits darauf hingewiesen. Dies allein reicht aber nicht aus, um schlagartig zu einer anderen Beschäftigungssituation zu kommen. Es gehören weitere Reformen hinzu, auch ein anderes Verhalten der Tarifparteien. Ich frage: Wo sind die revolutionären Vorstöße der Tarifparteien zur Reform des Flächentarifvertrages? Es wird immer wieder gesagt, daß es hier Änderungen geben muß; das Verhalten ist aber leider anders. Sind sich die Gewerkschaften noch ihrer Verantwortung für die Arbeitslosen bewußt, wenn sie das Ende der Bescheidenheit im Hinblick auf die Lohnforderungen verkünden? In Wahrheit ist es doch so: Die Rücknahme dieses stolzen Zieles zeigt einmal mehr, daß dies mit dem in die Jahre gekommenen Modell des Umverteilungsstaates, der sich am Konsens der Interessengruppen statt an ökonomischen Realitäten orientiert, nicht erreichbar ist. ({1}) Meine Damen und Herren, die Investitionsentscheidungen für den Standort Deutschland werden an Märkten und nicht an runden Tischen getroffen. ({2}) Was wir brauchen, ist eine Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung, wie sie in vielen anderen Ländern erfolgreich betrieben worden ist. Dazu gehört: Erstens. Wir müssen die Steuern und Abgaben senken, damit die Arbeitskosten wieder international wettbewerbsfähig werden, damit Arbeit bezahlbar wird und Arbeitsplätze finanziert werden können. ({3}) Zweitens. Wir müssen Gesetze reformieren, die unsere Arbeit, deren Organisation und Entlohnung betreffen, damit Unternehmen auf Marktanforderungen flexibel reagieren können, damit wir mehr betriebsnahe Lösungen bekommen. ({4}) Die Zahlen am Arbeitsmarkt kennen wir alle; sie sind unverändert dramatisch: über 4,5 Millionen Arbeitslose bei einer auf 34 Millionen Menschen gesunkenen Erwerbstätigenzahl, also eine Quote in Gesamtdeutschland von zirka 12 Prozent. Aber die konjunkturelle Lage in Deutschland belebt sich. Trotz der hohen Arbeitslosigkeit erwarten die Institute und Sachverständigen in ihren Gutachten ein Wachstum von nahezu 3 Prozent. Wir haben in Deutschland sehr unterschiedliche Probleme. Deshalb möchte ich einen Blick auf einige Teilbilanzen unserer Zahlungsbilanz 1996 werfen. Die Handelsbilanz weist einen Überschuß von fast 100 Milliarden DM auf, die Dienstleistungsbilanz Defizite in Höhe von knapp über 55 Milliarden DM. Im Bereich der Kapitalbilanz ist der Saldo der Direktinvestitionen in Höhe von fast 47 Milliarden DM negativ. 1996 zogen Ausländer sogar Kapital in Höhe von fast 5 Milliarden DM aus Deutschland ab. Deutsche investierten im Ausland knapp 42 Milliarden DM direkt in Anlagen, sprich: in den Unternehmensaufbau. Damit hat sich der Trend von 1995 verstärkt. Aus diesen Zahlen lassen sich Schlüsse ziehen. Erstens. Dort, wo hohe Produktivität durch Maschineneinsatz möglich ist, sind wir Weltklasse. Zweitens. Dort, wo Arbeitskosten eine große Rolle spielen, sind wir drittklassig, nicht einmal mehr zweitklassig. Drittens. Dort, wo es um die Attraktivität für ausländisches Direktkapital geht, sind wir kaum konkurrenzfähig. Angesichts dieser unterschiedlichen Fakten stellt sich also die Frage: Wie schafft man Arbeitsplätze? Hier stoßen die unterschiedlichen Meinungen in diesem Hause natürlich aufeinander. Die Vorschläge, die wir immer wieder von der linken Seite hören, lauten: Der Staat tut zuwenig. Der Staat muß mehr Programme auflegen. Der Staat muß für Beschäftigung sorgen. - Wir sind der Meinung, daß der Staat für Rahmenbedingungen sorgen muß, damit in Deutschland wieder Arbeitsplätze entstehen können, und dafür, daß wir mit den Arbeitskosten wieder wettbewerbsfähig werden. ({5}) Die Schaffung von Arbeitsplätzen hat eine ganze Menge damit zu tun, wie viele Aufträge die Unternehmen haben. Wenn man Aufträge bekommen will, muß man konkurrenzfähige Preise haben. Bei den Unternehmen, die sich der Konkurrenz stellen müssen, hat es eine Menge damit zu tun, daß die Kosten für die Produkte wettbewerbsfähig sind, sprich: daß die Arbeitskosten nicht zu hoch sind. Das heißt, daß wir die Arbeitskosten in Deutschland senken müssen. Durch niedrigere Kosten bekommt man mehr Aufträge. Wenn man mehr Aufträge bekommt, schafft man mehr Arbeitsplätze. Diese einfache Formel, die man nicht oft genug wiederholen kann, scheint bei den Sozialdemokraten und den Grünen total in Vergessenheit geraten zu sein. ({6}) Genau an dieser Stelle setzt ja die Politik der Bundesregierung an. Durch Senkung von Steuern durch die Steuerreform wollen wir Kosten senken, wollen wir die Unternehmen wieder fit machen. Durch die Reform der sozialen Sicherungssysteme wollen wir dazu beitragen, daß die Lohnnebenkosten gesenkt werden können. Die Durchführung dieser Politik der Koalition in einer konsequenten Form ist nur möglich, wenn dazu die Zustimmung auch im Bundesrat gegeben wird. Diese Zustimmung im Bundesrat wird von der SPD verweigert; deswegen kommen wir in Deutschland nicht voran. ({7}) Während wir in Deutschland nicht weiterkommen und Jobs abgebaut werden, machen es uns die anderen Länder vor, wie es geht. Schauen wir nach England, in die Niederlande, in die USA, nach Dänemark, nach Neuseeland - man kann viele andere Länder nehmen, in denen Arbeitslosigkeit abgebaut wird. Wenn man sich fragt, wie dieser Funktionsmechanismus abgelaufen ist, dann wird man merken: Vor dem Erfolg standen eine Steuerreform mit einer Entlastung für die Bürger, Reformen der sozialen Sicherungssysteme mit Kostensenkungen - nicht nur mit Umverteilungen -, eine Deregulierung der Arbeitsmärkte. Dies sind die Erfolgsrezepte. Doch für diesen Kurs gibt es im Bundesrat keine Zustimmung. Deshalb werden wir im Wahlkampf die Bürger fragen müssen, ob sie dieses für richtig halten. Wir sollten uns darum bemühen, daß die Bürger dieses erkennen, damit eine vernünftige Wahlentscheidung zustande kommt. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Heidi Knake-Werner.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Friedhoff, ich nehme an, die Bürger sind Frau und Manns genug, Sie zu fragen, was Sie in den letzten Jahren hier eigentlich bewerkstelligt haben. ({0}) -Ja, ja. Herr Minister Blüm, ich habe vorhin sehr aufmerksam Ihrer Rede zugehört. Wie Sie wissen, fällt mir das nicht immer ganz leicht. Ich gönne Ihnen die Bilanz, die Sie hier vorgetragen haben. Ich kann Ihnen auch versprechen: Ich werde nie wieder sagen, daß Sie nichts gemacht hätten. Aber ich wundere mich schon darüber, daß Sie nicht selbst darüber stolpern, daß Ihre Aktivitäten Arbeitslosigkeit nicht nur nicht abgebaut, sondern Millionen zusätzlicher Arbeitsplätze vernichtet haben. Ich finde, die jüngsten Arbeitslosenzahlen, die in diesem Monat bekanntgegeben wurden, sind ein vernichtendes Urteil über Ihre Politik. ({1}) Sie sind zudem insbesondere für die Menschen in Ostdeutschland ein weiterer Beweis dafür, daß sie von Ihnen im Regen stehen gelassen werden. Das finde ich mindestens genauso dramatisch. Herr Minister, Sie sagen, daß allein durch die Zusammenarbeit von Staat, Gewerkschaften und Unternehmern eine Lösung bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gefunden werden kann. Aber Sie waren es doch, der den Gewerkschaften vors Schienbein getreten hat; Sie sind es doch, der die Zusammenarbeit verhindert hat, und Sie wissen - wie wir alle hier im Haus -, daß mit der Aufkündigung möglicher Konsensgespräche klar war, daß ein weiteres Kanzlerversprechen, nämlich die Halbierung der Arbeitslosigkeit, nicht zu halten sein wird. Ich finde es auch bedrohlich, daß der Kanzler so ziemlich der letzte ist, der das nun endlich merkt. Sie haben statt dessen umgesetzt, was Ihnen die Unternehmer diktiert haben. Daß diese langweilig, dogmatisch und unkreativ sind, auch das haben Sie inzwischen gemerkt. Jetzt gefallen Sie sich in Unternehmerschelte, weil all Ihre Vorleistungen nichts gebracht haben. Aber diese Vorleistungen haben sich katastrophal für die Mehrheit der Bevölkerung ausgewirkt. Auch in der Regierungskoalition gibt es einige Kolleginnen und Kollegen, die sich bereits auf der Flucht nach vorn befinden. Heute konnte man in der „Berliner Morgenpost" eine Bemerkung aus CSU-Kreisen nachlesen, nach der es sich bei den Unternehmern um vaterlandslose Gesellen handelt, die die deutsche Infrastruktur nutzen, aber Arbeitsplätze ins Ausland exportieren. Das sind die vaterlandslosen Gesellen, die Sie jahrelang angefüttert haben - und jetzt kriegen Sie dafür die Quittung. ({2}) Die Halbierung der Arbeitslosigkeit wäre möglich gewesen. Das IAB hat dazu umfangreiche Ausarbeitungen vorgelegt. Nichts von dem haben Sie angenommen; nichts von dem haben Sie umgesetzt. Statt dessen haben Sie das vielbeschworene Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung vorgelegt. Das einzige, was dabei gewachsen ist, sind die Arbeitslosenzahlen und die privaten Geldvermögen, was man gerade im letzten Jahr noch einmal nachdrücklich unter Beweis stellen konnte. Lieber Kollege Minister Blüm, es geht bei der Vorlage von Gesetzen eben nicht um Schnelligkeit, sondern es geht um Inhalte. ({3}) Durch die Kürzung der Lohnfortzahlung und die Aufweichung des Kündigungsschutzes hat es keinen neuen Arbeitsplatz gegeben. Nach der Änderung der Ladenöffnungszeiten hat es weniger Arbeitsplätze und eine Umwandlung von Vollzeitarbeitsplätzen in die unsäglichen 620-DM-Jobs bzw. 520-DMJobs gegeben. ({4}) Durch die Einsparung bei Prävention und Reha im Gesundheitsbereich sind Arbeitsplätze nachweislich vernichtet worden, durch die Veränderung beim Schlechtwettergeld ebenso. Herr Minister Blüm, Sie beklagen, daß in NRW durch die Garzweiler-Diskussion 50 000 Arbeitsplätze vielleicht nicht zustande kommen. Das mag dramatisch sein. Aber jemandem, der durch die Kürzung der aktiven Arbeitsmarktpolitik mit dafür verantwortlich ist, daß wir allein im letzten Jahr 230 000 Arbeitslose mehr bekommen haben, bestreite ich das moralische Recht, sich hier solche Urteile herauszunehmen. ({5}) Ein bißchen mehr Zurückhaltung ist hier angebracht. Ich denke, inzwischen muß doch dem hinterletzten klar sein, daß Ihre Deregulierungspolitik, Ihre Steuersenkungspolitik und Ihr Sozialabbau vor den Herausforderungen der Gegenwart versagen. Ich weiß, es gibt keine Patentrezepte. Aber Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen braucht Wissen, braucht Kreativität und den politischen Willen - das ist das Allerwichtigste dabei. ({6}) Wenn der Kollege Louven hier heute gesagt hat, sozial sei, was Arbeitsplätze schaffe, ({7}) dann ist festzustellen: Ihre Leistungsbilanz der letzten Legislaturperiode, liebe Kollegin Babel, beweist, daß Sie zutiefst unsozial waren. Sie haben keinen einzigen Arbeitsplatz geschaffen, sondern zusätzlich Arbeitsplätze vernichtet. ({8}) Unsozial ist dann eben auch, Arbeitslose massenhaft in Jobs zu zwingen, die weder ihrer Qualifikation entsprechen noch ihre Existenz sichern. Natürlich nehmen die Menschen diese Arbeitsplätze an, weil sie arbeiten wollen. Aber es ist doch zutiefst unwürdig, daß sie, obwohl sie Arbeit haben, auf den Gang zum Sozialamt angewiesen sind. ({9}) Diese Politik, diese Art der Schaffung von Arbeitsplätzen wollen wir nicht mitmachen. Das erinnert uns in der Tat an die negative Entwicklung der US-amerikanischen Verhältnisse und nicht an intelligente Lösungen, die es dort sicher auch gibt. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ernst Schwanhold.

Ernst Schwanhold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002122, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will mit einem Glückwunsch an Herrn Schäuble anfangen. Er hat es geschafft, zur Deckung der Peinlichkeiten des Kanzlers eine Mehrheit hier im Hause zusammenzubringen. Er schafft es aber nicht, eine Mehrheit im Hause zusammenzubringen, um die 620-DM-Arbeitsverhältnisse abzuschaffen. ({0}) Herr Schäuble, das Gebäudereinigerhandwerk verlangt von Ihnen, die 620-DM-Arbeitsverhältnisse abzuschaffen, weil es gerne sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigungsverhältnisse und Teilzeitarbeitsverhältnisse anbieten will. ({1}) Nur weil es Wettbewerbsverzerrungen durch 620-DM-Arbeitsverhältnisse gibt, sind alle gezwungen, ihre Vollzeitarbeitsplätze umzuwandeln. Dies ist die Realität. In meiner Heimatstadt gibt es in diesem Bereich ein Unternehmen mit 17 000 Beschäftigten. Der Unternehmer hatte 100 Prozent aller Beschäftigten in Teilzeit- und Vollzeitarbeitsverhältnissen versicherungspflichtig beschäftigt. Durch die Verzerrung des Wettbewerbs hat er zwischenzeitlich wieder 6000 bis 7000 der Beschäftigten in 620-DM-Arbeitsverhältnissen nicht etwa zusätzlich, sondern in umgewandelten Arbeitsverhältnissen, die bisher versicherungspflichtig waren, beschäftigt. ({2}) Dem helfen Sie nicht einmal! Er hat in Anhörungen kundgetan, er möchte dies bei einer vernünftigen Regelung gerne ändern. Das ist eine Aufgabe der Politik. Das ist ein Stückchen Rahmen für mehr Beschäftigung und zur Sicherung von Sozialsystemen. ({3}) Lassen Sie mich die Entstehung der gemeinsamen Verabredungen, die im Frühjahr vor zwei Jahren getroffen wurden, noch einmal beschreiben; denn ich glaube, daß man die Redlichkeit der Vereinbarungen noch einmal auf den Prüfstand stellen muß. Es gab Verabredungen, die Gewerkschaften, Unternehmensverbände und Regierung quergeschrieben hatten. Auf Druck von Herrn Henkel, von dem der Kanzler zur Zeit sagt, daß ihm zu dieser Person nichts mehr einfalle, ist dieses „Bündnis für Arbeit" aufgekündigt worden. Das kann man ja machen. Wenn man dann aber am nächsten Tag ankündigt, man wolle die Zahl der Arbeitslosen halbieren, dann ist dies unredlich, weil feststeht, daß man dieses Ziel ohne ein gemeinsames Bündnis nicht erreichen wird. Die Ankündigung war von Anfang an unredlich. ({4}) Wenn ich mich bemühe, die Arbeitslosigkeit zu halbieren, dann muß ich wenigstens den richtigen gesetzlichen Rahmen setzen. Dazu haben Sie anderthalb Jahre Zeit gehabt; dennoch haben Sie es versäumt. Ich bezeichne Ihre Politik als unseriös, well Sie keine ernsthaften Bemühungen unternommen haben, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Lassen Sie mich diesen Gedanken an einigen wenigen Beispielen deutlich machen. ({5}) - Ja, ich möchte mit wenigen Beispielen deutlich machen, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt erneut die Gefahr steigender Arbeitslosigkeit besteht. Meine erste Bemerkung: Vor drei Tagen hat das Statistische Bundesamt belegt, daß die Zahl der Beschäftigten geringer ist als vor einem Jahr. Alle Ihre Maßnahmen haben dazu geführt, daß Beschäftigung abgebaut worden ist; Sie haben das sozusagen regierungsamtlich bestätigt bekommen. ({6}) - Nein, das ist nicht Quatsch; das ist Statistik, und die ist richtig. Am gleichen Tag stellt sich Herr Rexrodt hin und sagt, daß die Krise in Fernost keine Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt haben werde. Ich habe heute Herrn Blohm, den Betriebsratsvorsitzenden der Meyer-Werft in Papenburg, angerufen. Die Meyer-Werft in Papenburg hat ein Drittel ihrer Beschäftigung durch Aufträge aus Fernost abgesichert. Diese Aufträge sind zur Zeit alle ausgesetzt. Anstatt der Frage nachzugehen, welche Unternehmen davon betroffen sind, welche Arbeitsplätze möglicherweise verlorengehen, was die Regierung zur Flankierung tun kann, welche Hilfestellung man leisten kann, geschieht nichts; es gibt keine Hotline, es gibt keinen Krisenstab für den Umgang mit der Krise in Fernost; vielmehr sagt der Wirtschaftsminister, daß all dies nicht so schlimm werde. Es wäre jetzt die Aufgabe des Wirtschaftsministers, mit den Unternehmen in Kontakt zu bleiben und in internationalen Absprachen dafür zu sorgen, daß die Krise in Fernost nicht auch noch auf den hiesigen Arbeitsmarkt durchschlägt und Unternehmen, die lebensfähig sind und in die Zukunft investieren, ruiniert werden. Das wäre aktive Politik zur Sicherung des Arbeitsmarktes. ({7}) Das zweite Beispiel, mit dem ich verdeutlichen möchte, daß Arbeitsplätze verlorengehen, obwohl wir Chancen für eine gegenteilige Entwicklung gehabt hätten, ist die Frage nach dem Aufbau und der Sicherung zukünftiger Arbeitsplätze in kleinen und mittleren Unternehmen. Eine vernünftige Wirtschaftspolitik fängt damit an, daß wir Bestandspflege betreiben. Das Ergebnis Ihrer Bestandspflege sieht so aus, daß 35 000 mittelständische Unternehmen im vergangenen Jahr in Konkurs gegangen sind und 250 000 Arbeitsplätze mehr vernichtet worden sind, als wir durch Neuaufbau, durch Gründungen haben aufbauen können. Das hat nicht nur, aber auch mit den Rahmenbedingungen der Politik zu tun. Das ist der Kernpunkt der Steuerreform neben der Nachfrage mit der lokalen Bindungswirkung. Wir brauchen eine Steuerreform, die den mittelständischen Unternehmen hilft. Sie haben sich in Ihrem Steuerreformkonzept nur an anderen orientiert, die hier kaum noch Steuern bezahlen. ({8}) Der zweite Punkt, den ich im Zusammenhang mit den mittelständischen Unternehmen ansprechen möchte, ist die Frage, wie Sie eigentlich in Ihren Haushalten mit den mittelständischen Unternehmen umgehen. Nach EU-Definition sind 96,6 Prozent aller Unternehmen in der Hand von Mittelständlern. Vier Prozent aller Subventionen kommen der mittelständischen Wirtschaft zugute. Das ist ein unterschiedlicher Rahmen. Das ist ein Wettbewerbsnachteil für das Rückgrat der Wirtschaft. Wie sollen die mittelständischen Unternehmen eigentlich Arbeitsplätze aufbauen, wenn allzuwenig an Schwerpunkt, wenn allzuwenig an Fürsorge und an Rahmenbedingungen für die mittelständische Wirtschaft vorhanden ist? Wir verbinden mit der mittelständischen Wirtschaft Hoffnungen; das belegen die Statistiken der vergangenen Jahre. Es ist noch immer so, daß man eher für eine feuchte Wiese oder ein schlechtes Gebäude einen Kredit bekommt als für eine gute Geschäftsidee oder für Investitionen in Arbeitsplätze. Da haben Sie nur etwas angekündigt, aber nichts, aber auch gar nichts zuwege gebracht. Wir mußten Ihnen über die Hürde helfen, die mit dem Existenzgründungsdarlehen verbunden ist. Beim Eigenkapitalhilfeprogramm haben wir Ihnen auf die Sprünge geholfen. Noch in den Haushaltsberatungen haben wir Ihnen geholfen, für Ostdeutschland das einzuhalten, was Sie versprochen hatten, damit es eine Deckung im Haushalt geben konnte. Ihnen fehlten die Möglichkeiten. Sie hatten keine Mehrheit. Sie haben sich wegen Ostdeutschland, wo die Arbeitslosigkeit zunimmt, wo Unternehmen in Konkurs gehen und wo es keine verläßlichen Rahmenbedingungen, was die Investitionen angeht, gibt, völlig zerstritten. Sie hatten nicht die Möglichkeit, Sie wollten nicht und Sie hatten nicht die Kraft, dafür verläßliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Investitionszusagen sind nicht eingehalten worden. Herr Minister Rexrodt - er ist nicht da -, es ist an der Zeit, die Frage „Mit welchen Rahmenbedingungen gelingt es tatsächlich, Beschäftigung zu organisieren?" erneut zu stellen. Ich nenne Ihnen die Vorschläge, die wir gemacht haben: Erstens. Wir wollen Chancenkapital, damit sich junge Menschen in die Selbständigkeit begeben und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. In Nordrhein-Westfalen wird das im Handwerk praktiziert, bei Ihnen geschieht überhaupt nichts. Wenn weniger Selbständige als in der Vergangenheit existieren, darf man sich nicht darüber wundern, daß es keine zusätzlichen Arbeitsplätze gibt. Sie haben gröblich verhindert, daß selbständige Existenzen entstanden. Zweitens. Sie haben gröblich verhindert, daß 620DM-Arbeitsverhältnisse in Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse überführt worden sind. Drittens. Sie haben die Mittel für Forschung und Entwicklung gekürzt, und Sie haben den Technologietransfer für die mittelständische Wirtschaft nicht ernst genommen. Dieser ist aber die Basis, um zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. ({9}) Dieses ist eine weitere Verschlechterung der Rahmenbedingungen. Das vierte Versäumnis, welches wir Ihnen vorwerfen, ist: Sie haben nicht die Kraft gehabt, eine Steuerreform anzugehen, die die Binnennachfrage gestärkt und gleichzeitig den mittelständischen Unternehmen die Chance gegeben hätte, ihre eigene Zukunft zu finanzieren. Fünftens. Sie haben nicht dazu beigetragen, daß wir in Ostdeutschland durch verläßliche Rahmenbedingungen für die Bauindustrie und durch verläßliche Rahmenbedingungen zur Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen die Voraussetzungen schaffen, um die Bauwirtschaft, die Infrastruktur zu stärken, damit Ansiedlungen in größerem Umfang möglich werden. Statt dessen reden Sie immer nur über Kürzungen von Standards, Sie reden über den Abbau von Sozialleistungen, und Sie reden insbesondere darüber, daß die Erträge der Unternehmen verbessert werden müßten. Genau das ist der Weg, den Sie seit einem Jahr gegangen sind. Innerhalb eines Jahres ist die Zahl der Arbeitslosen um 400 000 gestiegen, ist die Zahl der Beschäftigten deutlich gesunken. Das Ergebnis Ihrer Politik ist ein Weg in die falsche Richtung. Deshalb ist eine Umkehr mit Hilfe der Vorschläge, die wir gemacht haben, dringend notwendig. Sie sollten sich auf diesen Weg begeben und nicht auf den Weg des „weiter so und Augen zu". ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heiner Geißler. ({0})

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist wahr, die Frau Bergmann hat eine gewisse Rolle gespielt. ({0}) Sie hat nämlich im Auftrag von Herrn Struck überzogen, damit die Debatte verlängert werden konnte, und jetzt ist sie verschwunden. Mir ist es im Grunde genommen egal, ob sie da ist oder nicht. Wenn sie aber dagewesen wäre, hätte ich vielleicht die kleine Anmerkung gemacht, nämlich daß das Zitat, ({1}) das sie gebracht hat - sie sagte, die Menschen haben gelernt, wie die Vögel zu fliegen und wie die Fische zu schwimmen -, nicht von Martin Luther stammt, wie sie es gesagt hat. Ich hätte Martin Luther gegönnt, daß er es gesagt hätte. Das Zitat stammt aber von Martin Luther King. ({2}) Insofern darf ich die herzliche Bitte äußern, daß Sie ihr das vielleicht weitergeben, damit sie das Zitat in Berlin beim nächstenmal richtig zuordnen kann. Ich bitte darum, die Uhr für diese Bemerkung, die fast geschäftsordnungsmäßig war, anzuhalten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will den Versuch unternehmen, etwas zu sagen, das uns weiterführen könnte. Ich bin überzeugt - ich will Wolfgang Schäuble recht geben -, wir machen einen ganz schweren Fehler, indem wir die zweifellos zu hohe Zahl an Arbeitslosen in dieser Weise auf die Verantwortung der Politik konzentrieren. Möchten Sie eine Zwischenfrage stellen?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie die Zwischenfrage? ({0})

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

An sich ungern. Wollen Sie zu Frau Bergmann fragen?

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich halte die Uhr an. Wollen Sie die Zwischenfrage nun zulassen oder nicht?

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gut, okay.

Dr. h. c. Gerd Andres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Geißler, ich habe das Zitat, das Frau Bergmann hier gebracht hat, wie folgt verstanden. Sie hat gesagt, von Martin Luther stamme der Satz, die Menschen bräuchten die Arbeit genauso wie die Vögel das Fliegen. Das Zitat, das Sie gebracht haben, ist in der Tat von Martin Luther King. Ich kann nicht sagen, ob das Zitat, das Frau Bergmann gebracht hat, von Luther ist. Aber ich glaube, darauf hinweisen zu dürfen, daß Sie die Zitate verwechselt haben. ({0})

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist der Nachteil, wenn man vorzeitig aus einer Debatte abhaut. ({0}) Dann ist man eben auf Sekundär- und Tertiärliteratur angewiesen, wenn man etwas richtigstellen will.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. h. c. Gerd Andres (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000038, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Geißler, Frau Bergmann hatte sich darauf eingestellt - schon auf Grund des Titels der Aktuellen Stunde -, den Kanzler hier anzutreffen. Nachdem Sie organisiert haben, daß der Kanzler hier nicht anwesend ist, hat sie sich erlaubt, nach dem Hammelsprung zu gehen. Finden Sie das nicht angemessen?

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auf Grund dessen, wie die Sozialdemokraten ständig über Helmut Kohl reden, nehme ich an, daß ein Sozialdemokrat oder eine Sozialdemokratin dann, wenn Helmut Kohl leibhaftig da ist, aus Schrecken oder Entsetzen den Saal verlassen würde. Er war aber gar nicht da. ({0}) Insofern hätte sie ja hierbleiben können. Das sage ich auf Grund dessen, was Sie immer über den Bundeskanzler sagen. Das wäre die psychologisch richtige Reaktion gewesen. ({1}) - Frau Fischer auch noch? - Nein, dazu ist das Thema wirklich zu ernst. ({2}) Nehmen Sie es aber bitte nicht so tierisch ernst. Vorgestern wurde das „silberne Mikrophon" verliehen. Alle miteinander - Herr Thierse, Joschka Fischer und ich - haben gesagt: Reden wir im Parlament doch manchmal auch ein bißchen lockerer. Wir dürfen es allerdings auch nicht übertreiben. Ich möchte jetzt gern etwas zur Arbeitslosigkeit sagen. Ich wiederhole das, was Wolfgang Schäuble schon gesagt hat: Wir machen einen schweren Fehler, wenn wir das Problem der Arbeitslosigkeit in dieser Weise auf die Verantwortung der Politik konzentrieren. Ich sage Ihnen das eine: Wenn Sie je - was ich nicht glaube; es ist aber schon mal passiert - in derselben Situation wären wie wir, dann würden Sie sich ungern an die Reden erinnern, die Sie hier gehalten haben. Wir haben ein Paradebeispiel in Frankreich, das eine sozialistische Regierung hat. Die sozialistische Regierung hat nicht damit gerechnet, daß die Arbeitslosen ausgerechnet sie in der Weise in die Pflicht nehmen. Das halte ich nicht für richtig. Das halte ich genausowenig für richtig wie das, was Sie hier machen. ({3}) Die CDU/CSU kann keine Arbeitsplätze schaffen. Auch die SPD kann keine Arbeitsplätze schaffen. Von den Grünen will ich gar nicht reden. Die F.D.P. lasse ich im Moment mal weg. ({4}) - Aber nur im Moment! Wir können jedoch durch die Politik die Voraussetzungen dafür schaffen, daß diejenigen, die es können, Arbeitskräfte einstellen. Das können wir tun. Jetzt können wir natürlich über das „Bündnis für Arbeit" sprechen, bei dem die Halbierung der Arbeitslosigkeit unter bestimmten Bedingungen bis zum Jahr 2000 gemeinsam prognostiziert worden ist. Man kann lange darüber debattieren, ob die Entwicklung, wenn das „Bündnis für Arbeit" nicht kaputtgegangen wäre, anders verlaufen wäre. Ich glaube nicht. Denn all die Punkte, die am 23. Januar gemeinsam vereinbart worden sind, sind inzwischen durch dieses 50-Punkte-Programm der Bundesregierung realisiert worden. Wenn ich sachlich argumentiere, muß ich sagen, daß es nicht sein kann, daß allein das formale Ende des „Bündnisses für Arbeit" für den Zustand auf dem Arbeitsmarkt kausal ist. Was wir da beschlossen haben, hat wirklich eine große Bedeutung gehabt. Ich darf einmal die positiven Folgen dieses Beschäftigungspaketes nennen. Ich hätte übrigens nichts dagegen, wenn dieses „Bündnis für Arbeit" weitergeführt werden würde. Es könnte die Sache wahrscheinlich erleichtern. Jedenfalls hielte ich es für gut, wenn Arbeitgeber und Gewerkschaften - möglicherweise auch unter der Verantwortung anderer gesellschaftlicher Kräfte - dieses Thema weiter miteinander bereden würden; denn wir bekommen die großen Probleme, die damit verbunden sind - davon bin ich zutiefst überzeugt -, nicht auf dem Wege der Konfrontation gelöst, sondern nur - das zeigen auch die anderen Beispiele - auf dem Wege des Konsenses. Aber das, was wir gemacht haben, hat doch seine Wirkung gehabt. Die Exporte boomen um 10 Prozent, und bei dieser Entwicklung ist noch kein Ende abzusehen, wie die BHF-Bank sagt. Nach den traditionellen Konjunkturzyklen - Wolfgang Schäuble hat darauf aufmerksam gemacht, daß wir heute eine andere Situation haben - müßte daraus aber eine Binnennachfrage in Form von Investitionen und Konsum folgen. Die Tarifabschlüsse waren mit Steigerungen von 1,3 oder 1,5 Prozent und damit unterhalb des Produktivitätszuwachses - Herr Friedhoff, das muß man einmal anerkennen - geradezu vorbildlich. ({5}) Die Lohnstückkosten haben das Niveau von 1994. Die Forschungsinstitute sagen, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft werde weiter verbessert, denn die Lohnstückkosten würden im internationalen Vergleich nochmals zurückfallen. Das hat etwas mit den Sozialkosten zu tun. Natürlich gibt es auch die Sozialversicherungsbeiträge. Aber durch die Beschlüsse, die wir gefaßt haben, sind die betrieblichen und tariflich bedingten Lohnnebenkosten entscheidend gesenkt worden. Ich war selbst Schlichter im Baugewerbe. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist bei 100 Prozent geblieben, aber das Urlaubsgeld ist um 25 Prozent gekürzt und das Weihnachtsgeld auf 76 Prozent abgesenkt worden. Das heißt, es sind Lohnkostensenkungen vorgenommen worden, zwar nicht bei den Sozialversicherungsbeiträgen unmittelbar, aber bei den anderen Lohnnebenkosten. Das sind gerade attraktive Voraussetzungen für Investitionen aus dem Ausland. Wir haben von geringen Fehlzeiten gehört. Die Gewinne sind reichlich; die Gewinnquote betrug im letzten Jahr 22 Prozent. Die Kapitalmarktzinsen sind niedrig, die Preise stabil. Die Produktionskapazitäten sind mit 86,8 Prozent ausgelastet, und die Auftragsbestände sind so hoch wie noch nie in den letzten fünf Jahren. Das ist, wenn man will, das Ergebnis der Rahmenbedingungen, die von der Koalition gesetzt worden sind. Das muß man doch einmal klar sagen. ({6}) Jetzt ist die Frage, warum die Leute dennoch nicht eingestellt werden. Diese Frage kann man doch ruhig einmal stellen; sie ist ja berechtigt. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen, die ich nicht näher ausführen kann. Die Globalisierung spielt mit Sicherheit eine entscheidende Rolle. Wenn sich die Wirtschaft vom Nationalstaat emanzipiert und sich globalisiert und die Folgen dieser Globalisierung im übriggebliebenen nationalen Sozialstaat landen, dann sind Arbeitsmarktpolitik, die Migration, aber natürlich auch die Arbeitslosigkeit - das hat der Bundespräsident heute beim Empfang des Diplomatischen Korps in Berlin gesagt - auch eine internationale Aufgabe. Das ist nicht die alleinige Antwort. Aber es ist sehr wohl klar, daß die Globalisierung der Wirtschaft unbedingt auch eine globale soziale und arbeitsmarktpolitische Antwort benötigt. Deswegen war es ja richtig, daß der Beschäftigungsgipfel in Europa dafür mit eine Voraussetzung geschaffen hat. Wir brauchen ein technologiefreundliches Klima mit den daraus resultierenden Dienstleistungen - das ist schon gesagt worden -, und wir brauchen eine vernünftige Standortdebatte. Es macht doch angesichts unseres internationalen Standards keinen Sinn, im Ausland oder sonstwo ununterbrochen dieses Land schlechtzureden. ({7}) Dazu gehört natürlich auch, wie wir in diesem Parlament über Deutschland reden. Wenn mancher ausländische Investor heute die Reden gehört hätte, die von der linken Seite dieses Hauses gehalten worden sind, was hätte er für einen Eindruck bekommen? Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie zeichnen zusammen mit manchem anderen in der Wirtschaft ein falsches Bild der Situation in Deutschland.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Geißler, denken Sie bitte an die Redezeit.

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir müssen einfach die Konsequenzen aus diesen Überlegungen ziehen. Die Wirtschaft hat die Voraussetzungen, die wir geschaffen haben, als Vorgaben bekommen. Jetzt muß eingestellt werden; da gebe ich Norbert Blüm völlig recht. Es sind befristete Arbeitsverträge möglich. Wir können innerhalb von zwei Jahren dreimal befristet einstellen - das ist ein großer Vorteil -, weil viele Unternehmen und Handwerker gesagt haben: Wenn wir jemanden einstellen und ihn wieder entlassen müssen, dann gibt es nach den bisherigen Regelungen hohe Abfindungen und vieles andere mehr.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Geißler, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich fertig. - Wir haben darüber geredet. Dieses Argument kann man nicht mehr verwenden. Man kann jetzt jemanden einstellen, ohne bei einer Kündigung lange Arbeitsgerichtsprozesse befürchten zu müssen. Man kann Überstunden abbauen. Wir haben die Voraussetzungen für mehr Teilzeitbeschäftigungen, für mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt durch Mobilzeit und Teilzeit geschaffen. Im Hinblick auf die geringfügig Beschäftigten stimme ich Ihnen teilweise zu. Ich schlage vor, daß wir nicht aufgeben sollten. Nachdem die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen, sollten wir von denjenigen, die die Verantwortung tragen - Arbeitgeber, Betriebsräte und Gewerkschaften -, fordern, die Vorgaben zu realisieren, die der Gesetzgeber gemacht hat. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren Sozialdemokraten, sollten aufhören, schlecht über unseren Sozialstaat, die Chancen unserer Gesellschaft und den Standort Deutschland zu reden, weil dies den Arbeitslosen nicht hilft und international ein Bild von Deutschland zeichnet, das der Wirklichkeit nicht entspricht. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Ich möchte Ihnen noch mitteilen, daß die Geschäftsführer übereingekommen sind, den Tagesordnungspunkt 7 abzusetzen. Ich unterbreche jetzt die Sitzung bis 20 Uhr, um einer Fraktion Gelegenheit zur Beratung zu geben. Um 20 Uhr rufen wir Tagesordnungspunkt 6 auf. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wir kommen zunächst zum Zusatzpunkt 6 a - zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung -, den wir heute nachmittag schon aufgerufen hatten. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Die Abstimmung über diesen Punkt hatten wir heute nachmittag zurückgestellt. Wir kommen jetzt also zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates in der Ausschußfassung auf den Drucksachen 13/7383 und 13/9438. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. auf Drucksache 13/ 9659 vor, über den wir zuerst abstimmen. Ich bitte diejenigen, die für den Änderungsantrag sind, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in zweiter Beratung angenommen worden ist. Es ist vereinbart - trotz Annahme des Änderungsantrags in zweiter Beratung -, unmittelbar in die dritte Beratung einzutreten. Besteht darüber Einverständnis? - Das ist der Fall. Dann ist das mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in der dritten Lesung mit demselben Stimmenverhältnis wie in der zweiten Lesung angenommen worden ist. Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c und den Zusatzpunkt 8 auf: 6. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Gerald Häfner, Volker Beck ({0}), Kerstin Müller ({1}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährleistung des freien Zugangs zu amtlichen Informationen und zur Änderung anderer Gesetze ({2}) - Drucksache 13/8432 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({3}) Rechtsausschuß Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Post und Telekommunikation b) Erste Beratung des von dem Abgeordneten Manfred Such und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Bundesdatenschutzgesetzes ({4}) - Drucksache 13/9082 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({5}) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Post und Telekommunikation c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Gerald Häfner, Gila Altmann ({6}), Volker Beck ({7}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Verbandsklagerechts - Drucksache 13/9323 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuß ({8}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt Naturschutz und Reaktorsicherheit Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch ZP8 Beratung der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz Tätigkeitsbericht 1995 und 1996 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz -16. Tätigkeitsbericht - Drucksache 13/7500 Überweisungsvorschlag: Innenausschuß ({9}) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Post und Telekommunikation Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sieben Minuten erhalten sollte. Die Fraktionen sind zwischenzeitlich übereingekommen, die Reden zu Protokoll zu geben. Besteht darüber Einverständnis? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.*) Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 13/8432, 13/9082, 13/ 9323 und 13/7500 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zu dem Tagesordnungspunkt 7 und dem Zusatzpunkt 9: Internationale Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulstandortes Deutschland als Aufgabe deutscher Politik; Internationalität der Hochschulen. Interfraktionell ist vereinbart, diese Tagesordnungspunkte von der heutigen Tagesordnung abzusetzen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8a und 8 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder ({10}) - Drucksache 13/7338- ({11}) aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({12}) - Drucksache 13/9596 - ') Die Reden werden im Plenarprotokoll 13/214 als Anlage 2 abgedruckt. Berichterstattung: Abgeordnete Ronald Pofalla Margot von Renesse bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({13}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 13/9604 - Berichterstattung: Abgeordnete Gunter Weißgerber Manfred Kolbe Oswald Metzger Dr. Wolfgang Weng ({14}) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({15}) zu dem Antrag der Abgeordneten Margot von Renesse, Christel Hanewinckel, Lilo Blunck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Bedarfsdeckende Unterhaltssätze für Kinder - Drucksachen 13/5211, 13/9596- Berichterstattung: Abgeordnete Ronald Pofalla Margot von Renesse Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Außerdem hat die Gruppe der PDS einen Änderungsantrag eingebracht. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Ronald Pofalla.

Ronald Pofalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001726, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befassen uns jetzt an dieser Stelle mit einem Gesetzentwurf, dem Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder, mit dessen Verabschiedung wir die Kindschaftsrechtsreform insgesamt vollenden und auf den Weg bringen wollen. Die Rede ist - kurz ausgedrückt - vom Kindesunterhaltsgesetz. Im Rahmen dieses Gesetzes werden nun auch in den Kernbereichen des materiellen und prozessualen Unterhaltsrechts die Unterscheidungen zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern beseitigt. Als wir im Sommer 1997 das Kindschaftsrechtsreformgesetz, das Beistandschaftsgesetz und das Erbrechtsgleichstellungsgesetz beraten haben, wurde das Unterhaltsrecht noch bewußt ausgeklammert, um die umfangreichen Beratungen nicht zu überfrachten. Die hohe Sensibilität sämtlicher Themen der Kindschaftsrechtsreform erfordert nämlich einen freien Blick. Deshalb haben wir die Dinge damals zu Recht, wie ich finde, voneinander getrennt. Zu Beginn möchte ich nicht versäumen, mich bei den Berichterstatterinnen und Berichterstattern aller Fraktionen im Rechtsausschuß sowie auch bei den Berichterstatterinnen des mitberatenden Familienausschusses für die gute Zusammenarbeit zu bedanRonald Pofalla ken. Besonders möchte ich mich aber an dieser Stelle, Herr Justizminister, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem BMJ vor allem für die inhaltliche Begleitung bedanken. Danken möchte ich besonders Herrn Dr. Schumacher, der unsere Beratungen durch die Vielzahl der Vorschläge, die zur Debatte anstanden, außerordentlich konstruktiv vorangebracht hat. Ohne diese Begleitung durch das BMJ wäre es, wie ich glaube, nicht möglich gewesen, zu einem so schnellen Abschluß zu kommen, zumal wir im Sommer des vergangenen Jahres noch davon ausgehen konnten, daß wir uns hier möglicherweise nicht auf eine Linie einigen könnten; das hat sich aber auf Grund der guten Begleitung durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BMJ doch als möglich erwiesen. Auf der Grundlage des heute zu beratenden Kindesunterhaltsgesetzes werden nun künftig eheliche und nichteheliche Kinder gleichermaßen die Möglichkeit erhalten, den Unterhalt im sogenannten vereinfachten Verfahren geltend zu machen. Voraussetzung ist, daß der beanspruchte Unterhalt das Anderthalbfache des jeweiligen Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung nicht übersteigt. Diese zugrunde liegende Regelbetrag-Verordnung, heute noch Regelunterhalt-Verordnung genannt, unterscheidet wiederum zwischen drei Altersstufen und wird alle zwei Jahre automatisch angepaßt werden. Nach dem bislang geltenden Recht konnte ein nichteheliches Kind mit seiner Klage auf Regelunterhalt, verbunden mit der Klage auf Feststellung der nichtehelichen Vaterschaft, nur den Regelbetrag ohne Zu- und Abschläge verlangen. Individuelle Abweichungen konnten beide Parteien nach Rechtskraft des Titels über den Regelunterhalt nur im Wege der Abänderungsklage geltend machen, wovon in der Praxis jedoch nur in wenigen Fällen Gebrauch gemacht wurde. Gerade dieser Umstand spiegelt die noch immer anzutreffende Scheu vor einer erneuten klageweisen Einforderung der an sich berechtigten Unterhaltsforderungen wider. Eben dies darf aber nach unserer Überzeugung nicht sein. Es muß für den Berechtigten auch weniger zeitaufwendig als durch Klageerhebung möglich sein, wegen veränderter Gegebenheiten die Höhe seines Unterhaltsanspruches aktualisieren zu lassen. Hier ist das vereinfachte Verfahren nach meiner Überzeugung die rettende Alternative. Konkret bedeutet die neue Regelung etwa für ein Kind in den alten Bundesländern, daß es bis zur Vollendung seines sechsten Lebensjahres einen Unterhaltsbetrag bis zu einer Höhe von 524 DM im vereinfachten Verfahren geltend machen kann. In der zweiten Altersstufe, also ab dem siebten und bis zum vollendeten zwölften Lebensjahr, kann Unterhalt bis höchstens 636 DM beansprucht werden. Ab dem dreizehnten Lebensjahr schließlich beläuft sich ein möglicher Unterhaltsanspruch auf bis zu 753 DM. Für die neuen Bundesländer - ich will die Beträge hier im Detail nicht vortragen - macht die Regelbetrag-Verordnung Abschläge in einer Höhe von ungefähr 10 Prozent. Dieses neue Konzept versteht sich als Kompromiß zwischen dem derzeit geltenden Regelunterhalt und dem Existenzminimum. Statistische Berechnungen gehen für das Jahr 1996 von einem durchschnittlichen Existenzminimum von ungefähr 524 DM je Monat aus. Damit liegt das Existenzminimum in den alten Ländern um 23 Prozent und in den neuen Ländern um bis zu 37 Prozent über den Regelbeträgen der verschiedenen Altersstufen. Wird hingegen der anderthalbfache Satz des Regelbetrages im vereinfachten Verfahren beantragt, so liegt der Unterhalt immer über dem Existenzminimum. Insofern sind die Oppositionsanträge, die hier gestellt worden sind, an dieser Stelle unangemessen und müssen aus meiner Sicht auch deshalb abgelehnt werden, weil diese Anträge ausschließlich auf den Regelgrundbetrag abstellen, aber nicht auf die Zuschläge. Dieser Umstand wird meiner Meinung nach nicht hinreichend berücksichtigt. Allein die statistische Auswertung der im automatisierten Verfahren festgelegten Beträge - etwa bei dem zur Festsetzung des Regelunterhalts für alle bayrischen Amtsgerichte zentral eingesetzten Amtsgericht Nürnberg - belegt, daß dort in über 90 Prozent der Fälle ein Unterhalt in der Höhe des bis zum Anderthalbfachen des jeweiligen Regelbetrages festgesetzt worden ist. Dieses Beispiel macht deutlich, daß wir mit den von uns festgesetzten Beträgen in der Tat eine völlig ausreichende Regelung getroffen haben, die den Interessen der Unterhaltsbedürftigen hinreichend gerecht wird. Ein besonderer Vorteil für das unterhaltsberechtigte Kind ist schließlich auch die zweijährlich vorgenommene Dynamisierung der Regelbetrag-Verordnung. Durch Herausnahme dieser Beträge aus der förmlichen Gesetzesform und durch Neuregelung auf Verordnungsbasis sind die aktuellen Zahlen schneller zugänglich und ist die Rechtslage übersichtlicher. Demgegenüber werden bestimmte sogenannte kinderbezogene Leistungen, insbesondere das Kindergeld, nach einem neuen - ich will es einmal so ausdrücken - entkomplizierten und wesentlich durchschaubareren Grundkonzept auf den Unterhaltsanspruch des Kindes gegenüber dem barunterhaltspflichtigen Elternteil angerechnet werden. Gegenüber dem noch geltenden Recht sieht der Entwurf einheitliche Anrechnungsregelungen sowohl für den Regel- als auch für den Individualunterhalt vor. Für letzteren ist dies damit eine echte Neuerung. Hiermit reagiert der Gesetzentwurf auf eine seit langem geforderte Einzelfallgerechtigkeit, die nunmehr, wie ich finde, voll zufriedenstellend geschaffen wird. Eine wichtige Neuregelung sind des weiteren auch die gesetzlich verankerten Auskunftspflichten. Zur genaueren Bemessung des Unterhaltes sind hiernach Arbeitgeber, Sozialleistungsträger und Versicherungsunternehmer zur Erteilung notwendiger Auskünfte verpflichtet. Diese Auskünfte kann das Gericht immer dann einholen, wenn eine Partei in Unterhaltsstreitigkeiten einer entsprechenden ge19488 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode -' richtlichen Aufforderung nicht selbst nachgekommen ist. Ich will versuchen, in wenigen Punkten noch einmal die entscheidenden Vorteile dieses Gesetzentwurfes, der gefundenen Regelungen hervorzuheben: Erster Vorteil. Wir haben eine Ausweitung des vereinfachten Verfahrens. Was bisher im vereinfachten Verfahren möglich war, ist nach der Neuregelung nunmehr auch für nichteheliche Kinder möglich. Folgender Punkt erscheint mir dabei wichtig: Der Kreis derjenigen, die diese Anträge in der Vergangenheit stellen konnten, ist erweitert worden. Dieser Antrag kann ohne Anwalt bei der Geschäftsstelle des dafür zuständigen Gerichtes gestellt werden. Es gibt ferner die Möglichkeit, einen Betrag in Höhe des anderthalbfachen Satzes zu bewilligen. Der zweite Vorteil ist nach meiner Überzeugung die zweijährliche automatische Dynamisierung. Wir haben in der Vergangenheit in unterschiedlichen Zeitabständen - aber deutlich seltener als im Zweijahresrhythmus - Anpassungen erhalten. Der Gesetzentwurf sieht hier eine automatische Anpassung vor, so daß aus der Sicht des unterhaltsberechtigten Kindes nunmehr der Zeitraum von möglichen Erhöhungen verkürzt worden ist. Dies erfolgt automatisch mit der entsprechenden Anpassung der Unterhaltstitel, die dafür notwendig sind. Der dritte Vorteil ist die erweitere Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht. Hier ist das, was beispielsweise die Grünen in ihrem Entschließungsantrag geschrieben haben, völlig falsch. Die erweiterte Auskunftspflicht ist von Fachverbänden oft gefordert worden; denn was in der Vergangenheit in der Praxis immer wieder zu Problemen geführt hat, war, daß, wenn in bisherigen Prozeßlagen am Schluß die Einkunftshöhe des Unterhaltsverpflichteten streitig war, das Gericht keinerlei Möglichkeit hatte, die Angaben des eigentlich Unterhaltsverpflichteten zu überprüfen. Diese Auskunftspflichten der Arbeitgeber, der Sozialleistungsträger und sonstigen Personen oder Stellen, die Leistungen zur Versorgung im Alter und bei verminderter Erwerbsfähigkeit zu erbringen haben, sind eindeutig geregelt worden. Sie unterliegen in Ihrem Antrag mit dem sogenannten Amtsermittlungsgrundsatz einem fatalen Fehler. Der Amtsermittlungsgrundsatz gilt in der öffentlichen Gerichtsbarkeit, aber nicht in der Gerichtsbarkeit, in der wir uns hier befinden. Von daher ist das, was an Regelungen gefunden worden ist, zutreffend und stellt weiterhin einen wichtigen Grund dar, aus dem man den Entschließungsantrag der Grünen an dieser Stelle ablehnen muß, da er mit dem geltenden Recht im übrigen nicht vereinbar wäre. Die Konsequenz dieser erweiterten Möglichkeiten des Gerichtes, Auskunft einzuholen, ist natürlich auch, daß mehr Verfahren im vereinfachten Verfahren bleiben werden, weil die Unterhaltsverpflichteten jetzt eine gewisse Scheu haben werden, die eigene Einkunftshöhe zu bestreiten, was im Ergebnis einen deutlichen Gewinn dieses Gesetzentwurfes bedeutet. Ich bedanke mich noch einmal bei allen, die bei der Findung dieses Kompromisses mitgewirkt haben. Es gibt eigentlich nur gute Gründe, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Kollegin Marlene Rupprecht.

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Jedes Kind hat nach Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes einen persönlichen Anspruch auf Eltern. Diese sind verpflichtet, gemeinsam für den Unterhalt des Kindes zu sorgen. Im Bürgerlichen Gesetzbuch ist dies so festgeschrieben. Der Anspruch des Kindes richtet sich an beide Elternteile. Die meisten Eltern erfüllen diese Pflicht sehr gerne und übernehmen die Betreuung und die Kosten für ihr Kind selbstverständlich. Denn sie wissen: Ihr Kind braucht sowohl Betreuung als auch finanzielle Mittel, um zu überleben. Leider haben wir auf dieser Welt nicht nur problemlose Bedingungen für unsere Kinder. Die Zahl der Trennungen und Scheidungen in der Bundesrepublik nimmt zu. Sie liegt inzwischen bei 35 Prozent. In einem Landkreis meines Wahlkreises liegt sie sogar bei 50 Prozent. In vielen Fällen sind von diesen Trennungen Kinder betroffen, die dann häufig nur noch bei einem Elternteil leben. Der Gesetzgeber hat nun die Aufgabe, mit besonderen Regelungen hier einzugreifen, damit der Anspruch der Kinder auf Unterhalt weiterhin erfüllt werden kann. Dies tut er unter anderem mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf zum Kindesunterhaltsgesetz. Mehrere wichtige Regelungen - sie wurden schon genannt -, die für die unterhaltsberechtigten Kinder bisher von Nachteil waren, werden mit diesem Entwurf beseitigt oder positiv verändert. Wir - und mit uns viele Alleinerziehendenverbände - begrüßen es, daß die Benachteiligung ehelicher Kinder gegenüber nichtehelichen Kindern im Unterhaltsrecht jetzt beseitigt wurde. ({0}) Man hat endlich erkannt, daß nicht jeder eheliche Vater automatisch zahlungswilliger ist als ein nichtehelicher Vater. Das übernommene vereinfachte Verfahren für nichteheliche Kinder ermöglicht nun allen Kindern, schnell zu einem vollstreckbaren Titel zu gelangen. Ebenso ist es für viele alleinerziehende Elternteile - das sind, wie schon gesagt, in den überwiegenden Fällen Frauen - eine begrüßenswerte Veränderung, daß auch Unterhaltsrenten bis zu 150 Prozent des Regelbetrags im vereinfachten Verfahren festgesetzt werden können. Wir begrüßen es auch, daß unterhaltsbedürftige Kinder durch das vereinfachte Verfahren jetzt Unterhalt bis zum 21. Lebensjahr erhalten können. Weiterhin werden gerichtliche Verfahren durch die automatische Anpassung der Beträge an die Nettolohnentwicklung vermieden. Diese geschilderten Verbesserungen erleichtern den anspruchsberechtigten Kindern und ihren alleinerziehenden Elternteilen die Durchsetzung ihrer Rechte. Aber - dies bleibt ein großes Aber - die Leistungen, die beide Elternteile erbringen, sind unserem Staat noch immer unterschiedlich viel wert. Man hält die Leistungen des Barunterhaltspflichtigen - das sind in der Regel Väter - für entlastungswürdiger als die der Naturalunterhaltspflichtigen - das sind meistens Mütter. Im BGB werden zwar beide gleichwertig und für das Kind als überlebensnotwendig gesehen. Denn man weiß sehr wohl, daß keine Windel durch einen Geldschein gewechselt, kein Fläschchen von einer Banküberweisung gekocht wird und kein Scheck nachts am Bett des kranken Kindes Wache hält. ({1}) Durch die Anrechnung des Kindergeldes auf den Unterhalt erfährt aber nur der Barunterhaltspflichtige eine tatsächliche Entlastung seiner Leistungen, auch wenn die Kindergeldzahlungen direkt an die alleinerziehende Mutter gehen. Diese Zahlungsmodalitäten sind reine Verschleierungstaktik. Hinter diesem Vorgehen steckt eine Denkweise, die auf einer unklaren Definition im BGB beruht. Demnach soll der Regelunterhalt des Barunterhaltspflichtigen das Existenzminimum des Kindes sichern. Der Regelbedarf aber, der durch die Rechtsverordnung der Bundesregierung festgesetzt wird, tut dies von Anbeginn der Regelunterhaltsverordnung nicht. In Wirklichkeit ist er nur ein Beitrag zur Sicherung des Existenzminimums von Kindern. Wird dies nicht klar zum Ausdruck gebracht, so kann man glauben, daß derjenige, der den Regelbetrag leistet, zugleich seine volle Unterhaltspflicht erfüllt hätte. Er kann sich bequem zurücklehnen und sagen: Ich habe doch alles getan. Was wollt ihr denn von mir? In Wirklichkeit ist die Alleinerziehende gezwungen, zur Sicherung des Existenzminimums über ihren Naturalunterhalt hinaus auch noch finanziell zum Unterhalt beizutragen. Trotz dieser Leistungen bekommt sie nur die Hälfte des Kindergeldes. Damit werden die Kinder und ihre Mütter seit Jahren massiv benachteiligt. ({2}) Die unterschiedliche Bewertung der Unterhalte wurde 1990 durch zwei verfassungsgerichtliche Entscheidungen so festgelegt. Das Steuerrecht und das Unterhaltsrecht entlasten danach nur den Barunterhaltspflichtigen und widersprechen damit der eindeutigen Feststellung im BGB über die Gleichwertigkeit der Unterhaltsleistungen. Ich will es noch etwas verdeutlichen: Der Regelbetrag, der in einem Nichtmangelfall, also wenn der Vater diesen Betrag aufbringen kann, gezahlt werden kann, liegt bis zu 45 Prozent unter dem Existenzminimum. Erst mit dem vollen Kindergeld hat das Kind die finanzielle Absicherung des Existenzminimums, also erst mit dem finanziellen Teil, den die Mutter leistet. Der Barunterhaltspflichtige zahlt also nur 55 Prozent des Barunterhalts; den Rest bekommt er von der Mutter oder vom Fiskus. Ich meine, wir haben einen wunderbaren Vater Waigel. Er hat nämlich ein Herz für unsere Väter. Eigentlich müßten wir ihm alle Beifall klatschen. Nur, vom Rednerpult aus darf man das nicht. Die naturalunterhaltspflichtigen Mütter kommen hingegen zu 100 Prozent ihren Verpflichtungen nach und erfahren keinerlei finanzielle und materielle Entlastung ihrer Verpflichtungen. Vergleicht man beide, Vater und Mutter, in ihrem Beitrag zur Sicherung des Kindesunterhalts, so leistet der Vater etwa ein Viertel, während die Mutter drei Viertel dazu beisteuert. Versuchen Sie einmal, den Alleinerziehenden klarzumachen, daß wir das mit Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes für vereinbar halten! Das ist wirklich himmelschreiend, und wir nehmen es hin. ({3}) Mein Vorschlag an die alleinerziehenden natural-unterhaltspflichtigen Mütter: Holt jeden zweiten Tag Vater Waigel oder einen seiner Bediensteten aus den Finanzbehörden zum Windelnwechseln und Fläschchengeben! ({4}) Vielleicht würde diese Maßnahme dazu beitragen, daß diese himmelschreienden Ungerechtigkeiten beseitigt werden. Mit der Beseitigung dieser Ungerechtigkeiten wäre dann eine der hauptsächlichen Ursachen für Kinderarmut in Ein-Elternteil-Familien verschwunden. Dies wäre ein ganz wichtiger Beitrag zur Armutsbekämpfung in der Bundesrepublik. ({5}) Deshalb fordern wir den Deutschen Bundestag auf, das Steuer- und Sozialrecht dahin gehend zu überarbeiten. Wir von der SPD-Fraktion werden uns bei dem vorliegenden Gesetzentwurf der Stimme enthalten, trotz der Änderungen, die vorgenommen wurden. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, der Dank des Hauses ist Ihnen sicher, zumal Sie mit der Redezeit reichlich gegeizt haben. Im übrigen gratuliere ich Ihnen zu Ihrer Rede. Ich gebe nun der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk das Wort.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Kann es ein familienpolitisches Ziel der Bundesregierung sein, daß die Zukunft einer Vielzahl Irmgard Schewe-Gerigk von Kindern in dieser Republik Armut heißt? Kann es. sein, daß die Existenz der nächsten Generation über die Sozialhilfe gesichert wird? Hier ist Frau Nolte als Familienministerin gefordert - leider ist sie nicht da - und nicht bei einer Verschärfung des Abtreibungsrechts, mit dem sie Frauen kriminalisiert. Meine Damen und Herren, die Gleichstellung ehelicher und sogenannter nichtehelicher Kinder im Unterhaltsrecht war längst überfällig. Doch trotz positiver Veränderungen im Verfahrensrecht, wie der Möglichkeit, im vereinfachten Verfahren den 1,5fachen Satz zu erhalten, bleibt das wichtigste Reformvorhaben auf der Strecke. Sie haben in den letzten Wochen ein Gesetz durch den Bundestag gebracht, haben dabei die Kritik vieler Verbände in den Wind geschlagen und völlig ausgeblendet, daß Kinder zuallererst existenzsichernde Unterhaltssätze brauchen. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Die Bundesregierung hat wider besseres Wissen die bisher geltenden Regelsätze beibehalten, und diese liegen weit unter dem Existenzminimum. Um das zu vertuschen, betreiben Sie einen Etikettenschwindel: Die Bezeichnung „Regelunterhalt" wird in „Regelbetrag" geändert, damit deutlich werden soll, daß es sich nicht um bedarfsdeckende Beträge handelt. Anstatt sich aber am Bedarf zu orientieren, sollen nun die Interessen der Unterhaltsverpflichteten stärker berücksichtigt werden. Führen Sie sich vor Augen, was das heißt! Nach einer Berechnung verkündet die Bundesregierung für das Jahr 1997 ein steuerlich freizustellendes Existenzminimum von 576 DM für ein Kind. Das ist die allerunterste Grenze überhaupt, ein Satz, der noch nicht einmal das durchschnittlich gezahlte Sozialhilfeniveau eines Kindes erreicht. Doch stellen Sie sich vor: Die Regelbeträge, die heute beschlossen werden sollen, liegen durchschnittlich noch um 150 DM unter diesem Betrag. Da frage ich Sie, meine Damen und Herren von der Koalition: Ist es zu rechtfertigen, daß Sie für Kinder Unterhaltssätze wollen, obwohl klar ist, daß diese in keiner Weise die Existenz sichern? Sie fördern mit dieser Regelung sehenden Auges Kinderarmut und Abhängigkeit von der Sozialhilfe; denn auch der unzureichende Unterhalt trägt dazu bei, daß gerade bei Alleinerziehenden Sozialhilfe notwendig wird. Daß Sie den Unterhalt noch dazu an die Nettolohnentwicklung und nicht an die Lebenshaltungskosten anpassen wollen, ist eine besondere Pikanterie. Wenn das Brot teurer wird und die Nettolöhne sinken, hat das Kind halt Pech gehabt. Eine weitere unhaltbare Folge des fehlenden Unterhalts darf nicht verschwiegen werden: Die niedrigen Unterhaltssätze sind ein Väterentlastungsprogramm, die alleinerziehenden Mütter zahlen wieder drauf; Frau Rupprecht hat das gerade gesagt. ({0}) Zahlen die Väter den Regelsatz, steht ihnen außerdem die Hälfte des Kindergeldes zu. Die Mutter, bei der das Kind lebt, muß jedoch gerade wegen des zu niedrigen Unterhalts einen Teil ihres Einkommens für das Kind einsetzen und wird somit doppelt belangt. Sie leistet damit nicht nur den Betreuungsunterhalt, sondern auch noch einen großen Teil des Barunterhalts. Das darf so nicht bleiben. Denken Sie außerdem an die 800 000 Väter, die keinen Unterhalt für ihre Kinder zahlen! All die Kinder, die deshalb Unterhaltsvorschuß vom Staat bekommen, erhalten ebenfalls nur den geringen Regelbetrag. Auch die geplanten Änderungen im Unterhaltsvorschußgesetz werden nicht wesentlich dazu beitragen, daß es mehr als 13 Prozent - ich sage es noch einmal: 13 Prozent - der Väter werden, die das Geld an die Unterhaltsvorschußkasse zurückzahlen. Vielleicht sollten wir doch einmal darüber diskutieren, ob nicht wie in den Vereinigten Staaten den zahlungsunwilligen Vätern mit Führerscheinentzug gedroht werden sollte. Ich glaube, diese Maßnahme könnte große Wirkung zeigen. ({1}) Meine Damen und Herren, die Bündnisgrünen haben einen Entschließungsantrag eingebracht, in dem wir die dringlichsten Änderungen benennen. Die wichtigste Forderung lautet: Der Kindesunterhalt muß sich kurzfristig zumindest am durchschnittlichen sozialhilferechtlichen Bedarf eines Kindes orientieren. Ich fordere Sie auf: Gewähren Sie Kindern endlich den existenzsichernden Unterhalt! An dieser Stelle möchte ich sagen, daß ich es sehr schade finde, daß die SPD ihren Antrag „Bedarfsdekkende Unterhaltssätze für Kinder" , wie ich gehört habe, zurückgezogen hat. Wir hätten diesem Antrag sehr gern zugestimmt. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich das Wort der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Zu dieser späten Stunde beraten wir einen Gesetzentwurf der Bundesregierung ({0}) - ich finde, in Anbetracht dieses Themas ist es eine späte Stunde -, den wir in den Beratungen der Berichterstatter und Berichterstatterinnen verbessert haben. Für ihn wird ja nicht in Anspruch genommen, daß damit eine heile Unterhaltswelt für nichteheliche und eheliche Kinder geschaffen wird. Vielmehr wird für diesen Gesetzentwurf in der jetzt vorliegenden Fassung zu Recht in Anspruch genommen, daß er ehrlich und wahrhaftig ist, daß in ihm nämlich ganz klar gesagt wird, daß Regelbeträge in einem bestimmten Berechnungsverfahren festgeschrieben werden, die sich in den allermeisten Fällen gerade auch an der Leistungsfähigkeit des jeweiligen Unterhaltspflichtigen orientieren und die dann auch die Größenordnung dessen erreichen, was Kindern zusteht. Der Regierungsentwurf in der vorliegenden veränderten Fassung führt dazu, daß Unterhaltsansprüche in dieser Höhe für den Unterhaltsberechtigten sehr viel einfacher und sehr viel schneller durchgesetzt werden können, indem schneller vollstreckbare Titel erreicht werden. Denn im Unterhaltsrecht ist doch ein Faktor ganz entscheidend, nämlich der Faktor Zeit. Wir wollten gerade mit Hilfe dieser entscheidenden Verfahrensänderungen erreichen, daß es auch und gerade bei einem erheblichen Anteil der anhängigen Unterhaltsrechtsstreitigkeiten nicht zu langwierigen Prozessen kommt. Künftig wird wohl der größte Teil der Unterhaltsverfahren als vereinfachte Verfahren durchgeführt werden können. Mit der Möglichkeit, auf dem Verordnungswege eine Anpassung der Beträge zu erreichen, sie also in einem Zweijahresrhythmus zu dynamisieren, wird auf die Entwicklungen und die Steigerung der berechtigten Ansprüche reagiert. Ich glaube, wir sollten bei dieser Beratung eines deutlich sehen: Was nützt es den Unterhaltsberechtigten, wenn sie in einem komplizierten Verfahren die Ansprüche geltend machen, die in vollem Umfang der Sicherung des Existenzminimums und der Bedarfsdeckung entsprechen, aber diese Ansprüche schon im Verfahren nicht durchgesetzt werden können, weil sich der Unterhaltsverpflichtete zu Recht auf seine beschränkte Leistungsfähigkeit berufen kann? Denn wenn er nicht zahlen kann, nützt es auch nichts, wenn man versucht, diese Ansprüche geltend zu machen. Was bringt es denn dann den Kindern, wenn man sie erst in ein längeres und schwieriges Verfahren hineinläßt und ihnen sagt, jetzt kann im Wege der Einklagung eines vollen Betrages - der ist nicht bestritten, es gilt ihn nach dem BGB - dieser Anspruch geltend gemacht werden, und nach einem langen Verfahren kommt letztendlich doch in den meisten Fällen der Regelbetrag als durchsetzbarer Anspruch heraus, der vom Unterhaltspflichtigen geleistet werden kann? ({1}) Ich widerspreche nicht dem Anliegen, möglichst hohe Beträge festzusetzen und möglichst alles das zu tun, was den Bedürfnissen und Anliegen der Kinder gerecht wird. Aber es nützt einfach nichts, wenn wir zu Recht die Zahlen der vielen Unterhaltsverpflichteten sehen, die ihren Zahlungen und Leistungen nicht nachkommen. Was nützt es uns da, wenn wir jetzt auf dem Papier versuchen, die Sachlage zu ändern, sich aber in der Realität nichts bewegen wird? ({2}) Deshalb, denke ich, war es richtig und gut, daß wir uns in einem sehr zügigen Beratungsverfahren und einer wirklich sehr konstruktiven und sachlichen Atmosphäre bei allen Unterschieden in der Sache doch auf diesen jetzt vorliegenden Kompromiß haben verständigen können. Ich denke, daß er doch etwas Erleichterung und Verbesserung im Alltagsleben für Kinder bringen kann. Dafür ist es wert, diesen Gesetzentwurf hoffentlich doch mit breiterer Unterstützung zu verabschieden. Vielen Dank. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort der Abgeordneten Rosel Neuhäuser.

Rosel Neuhäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002744, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen u nd Herren! Meine kurze Redezeit möchte ich nicht damit verschwenden, die paar positiven Aspekte, die dieser Gesetzentwurf hat, aufzuzeigen. ({0}) Vielmehr liegt es mir daran, eine kritische Auseinandersetzung über die geplanten Neuregelungen zu führen. Zunächst stört mich die Eile, mit der dieser Baustein der Kindschaftsrechtsreform durch die parlamentarischen Abläufe getrieben wird. Die großen Zahlen kritischer Anmerkungen von Verbänden, Vereinen und Fachgremien werden bei der Behandlung dieses Gesetzentwurfes offensichtlich ignoriert. Dieses „Augen zu und durch" ist für mich zutiefst undemokratisch. Zum Inhalt. Wir kritisieren ebenfalls die Ausrichtung der Regelbedarfssätze an finanziellen Interessen von unterhaltspflichtigen Erwachsenen. Das neue Gesetz legt einen bereits an sich unzureichenden Mindestunterhalt fest, der unter bestimmten Bedingungen auch noch unterschritten werden kann. Das, was dem Kind über diesen Betrag hinaus zusteht, muß vom sorgenden Elternteil vor Gericht erstritten werden. Kinder mit nicht zahlenden oder nicht zahlungsfähigen Vätern, teilweise auch Müttern, bekommen im günstigsten Fall Unterhaltsvorschuß. Da dieser Mindestsatz aber im Schnitt 150 DM unter dem Existenzminimum liegt, steigt die Belastung für den sorgenden Elternteil unverhältnismäßig stark. Hinzu kommt die Anrechnung verschiedener kindorientierter Leistungen, wie Kinder- oder Pflegegeld, ebenfalls zu Lasten des betreuenden Elternteils. Das alles bedeutet ein offenes Abrücken vom individuellen Bedarf des Kindes. Vom Kind als Rechtssubjekt kann hier auch keine Rede sein. Der Regelsatz des Kindesunterhaltes muß sich am tatsächlichen Bedarf des Kindes orientieren und durch Anpassung an die Lebenshaltungskosten dynamisiert werden. Das ist von meinen Vorrednerinnen schon benannt worden. Nur so ist eine Lösung zu finden, die den Kinderinteressen einigermaßen entspricht. Gegen eine Erhöhung der Regelbedarfssätze gibt es reichlich Vorbehalte. Die Befürchtung, höhere Forderungen würden die Leistungsbereitschaft der zahlungspflichtigen Väter beeinträchtigen, halte ich allerdings nicht für stichhaltig. Richtig ist dagegen, daß eine solche Erhöhung für Bund und Länder eine erhebliche Mehrbelastung bedeutet, da gleichzeitig die Sätze für den Unterhaltsvorschuß angepaßt werden müssen. Das brächte einen Ausgabenzuwachs von jährlich rund 380 Millionen DM. Mit unserem Antrag gehen wir jedoch noch ein Stück weiter. Derzeit ist der Unterhaltsvorschuß auf 72 Monate innerhalb der ersten zwölf Lebensjahre des Kindes beschränkt. Diese Regelung bewirkt eine ungerechtfertigte soziale Ungleichbehandlung Alleinerziehender. Sie erhöht ihr Armutsrisiko und die Gefahr der längerfristigen Sozialhilfeabhängigkeit. Kindern und Jugendlichen über zwölf Jahre steht beim Regelunterhalt der höchste Satz zu. Damit soll den Bedürfnissen dieser Altersgruppe Rechnung getragen werden. Ein 13jähriger, dessen Vater nicht zahlt oder nicht zahlen kann, hat die gleichen Bedürfnisse, nur steht ihm Unterhaltsvorschuß per Gesetz nicht mehr zu. Spätestens an dieser Stelle kann die Familie ein Fall für das Sozialamt werden. Ebenso verhält es sich mit dem Bezugszeitraum von sechs Jahren: Die Bedürfnisse bleiben, aber die Hilfe fällt weg. Abhängig davon, von welchem Zeitpunkt an der Unterhaltszuschuß bezogen wurde, kommt es in der Versorgung des Kindes zu Brüchen, die nachhaltig auf seine Lebenssituation und seine Entwicklungschancen durchschlagen. Daher fordern wir die Kopplung des Unterhaltsvorschusses an die Volljährigkeit bzw. den Abschluß der Schulausbildung. ({1}) Natürlich kostet das Geld. Ich sage an dieser Stelle nicht zum erstenmal: Wenn wir der Armut von Kindern und der Armut von Familien mit Kindern begegnen wollen, dann geht das nicht zum Nulltarif. Wenn ich sehe, wofür diese Regierung Geld ausgibt - ich will jetzt nicht über den Eurofighter sprechen -, dann habe ich überhaupt keine Skrupel, sehr viel mehr Geld für die Menschen zu fordern, die der Gesellschaft durch die Betreuung von Kindern unendlich viel geben, und sehr viel mehr Geld für die Kinder zu fordern, in denen nicht nur die Familienministerin die Zukunft unserer Gesellschaft sieht. Ich denke, auch abwegige Überlegungen zum § 218 wären dann gegenstandslos, wenn diese Regierung das Leben mit Kindern nicht ständig erschweren, sondern durch eine vernünftige Familien-, Sozial- und Steuerpolitik erleichtern und befördern würde. Vielen Dank. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Bundesminister der Justiz, Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Kindesunterhaltsgesetz steht heute das letzte Teilstück der umfassenden Kindschaftsrechtsreform zur abschließenden parlamentarischen Beratung an. Damit erhält ein Reformwerk seinen Schluß-stein, das schon unter meinen Vorgängern Klaus Kinkel und vor allen Dingen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger seine Anfänge nahm. Ich habe diese Vorarbeiten natürlich aufgegriffen und die Entwürfe auf den Weg ins Gesetzblatt gebracht. Dieser Weg selbst war insofern nicht leicht, als sich in den parlamentarischen und den gesellschaftlichen Diskussionen alle denkbaren Interessenkonflikte einer gescheiterten Zweierbeziehung wiederfanden. Gerade bei einem so emotionsbeladenen Thema galt und gilt es also, im Interesse der Kinder sachlich und konstruktiv zu bleiben. Lassen Sie uns dies heute beherzigen, genauso wie wir es bei den ersten Etappen der Kindschaftsrechtsreform getan haben, damit auch beim Kindesunterhaltsgesetz die Interessen der Kinder im Mittelpunkt stehen! Über die Kernvorschläge des Kindesunterhaltsgesetzes bestand in den bisherigen Beratungen große Einigkeit. Ich bin dafür dankbar, daß sich das offenbar auch in der heutigen Abschlußdebatte so fortsetzt. Es handelt sich dabei um vier Punkte, die ich kurz herausgreifen will: erstens die Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts für eheliche und nichteheliche Kinder, die von allen Seiten begrüßt worden ist, zweitens: das neue vereinfachte Verfahren zur Geltendmachung von Unterhalt, drittens die Dynamisierung von Unterhaltsansprüchen und die Neuregelungen im Bereich der anzurechnenden kindbezogenen Leistungen und viertens die Schaffung bemerkenswert weitgehender Auskunftspflichten über die wirtschaftliche Situation des Unterhaltsschuldners. Diskussionsschwerpunkt war die Forderung, der Regelunterhalt müsse das Existenzminimum der Kinder abdecken. Die für den Regelunterhalt maßgebenden Regelbeträge wurden zwar zum 1. Januar 1996 um 20 Prozent erhöht, bleiben aber hinter dem Existenzminimum des Kindes zurück. Das wirkt sich zwar für den tatsächlichen Unterhaltsanspruch der Kinder auch nach geltendem Recht nicht negativ aus; eheliche Kinder können den ihren persönlichen Verhältnissen entsprechenden Unterhalt aber nur in einem aufwendigen Klageverfahren geltend machen. Demgegenüber haben nichteheliche Kinder schon heute zusätzlich die Möglichkeit, in einem vereinfachten Verfahren den Regelunterhalt schnell und kostengünstig festsetzen zu lassen. Mit dem Regierungsentwurf sollten die Vorteile dieses einfachen und raschen Regelunterhaltsverfahrens erstmals auch ehelichen Kindern zugute kommen. In den Ausschußberatungen wurde diese Konzeption nun so weiterentwickelt, daß die Kinder Unterhalt in Höhe des Existenzminimums unkompliziert geltend machen können, ohne daß die Regelbeträge geändert werden. Dies war insofern wichtig, als auf die Regelbeträge ein Anspruch besteht und es bei einer Erhöhung in sehr vielen Fällen zu Minderungsverfahren wegen eines zu geringen Einkommens vieler Väter gekommen wäre. Deshalb sieht die Neukonzeption vor, daß Unterhaltsansprüche bis zum Eineinhalbfachen des jeweiligen Regelbetrages in einem vereinfachten Verfahren vor dem Rechtspfleger verfolgt werden können. Damit können eheliche ebenso wie nichteheliche Kinder über Unterhaltsansprüche, die ihr Existenzminimum abdecken, rasch und kostengünstig einen vollstreckbaren Titel erlangen. Kritik erhebt sich natürlich auch bei der grundsätzlich hälftigen Teilung des Kindergeldes zwischen zahlendem und betreuendem Elternteil. Das ist verständlich. Meine Kollegin Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat darauf hingewiesen, daß hier mit Sicherheit kein Optimum erreicht, aber ein realistischer Lösungsweg gewiesen wird. Der Vorwurf, das Kindergeld komme allein dem barunterhaltspflichtigen Elternteil zugute, ist bei einer Teilung jedenfalls so sicherlich nicht richtig. Im übrigen entspricht eine Teilung der Gleichwertigkeit von Betreuungs- und Barunterhalt. Ob man das nun schätzt oder nicht: Auch das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß, wer Barunterhalt leistet, auch vom Kindergeld profitieren muß. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns bei diesem Vorhaben nicht die wenigen Differenzen in den Vordergrund stellen. Denn mit dem Kindesunterhaltsgesetz findet die große Reform des Kindschaftsrechts ihren Abschluß. Diese große Reform braucht gerade auch auf den letzten Metern der Zielgerade einen breiten gesellschaftlichen und deshalb auch einen breiten parlamentarischen Konsens. Denn nur so kann sie ihr Ziel erreichen, eine bessere Zukunft für unsere Kinder zu ermöglichen. In diesem Sinne bitte ich um eine breite Zustimmung. Vielen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder; das sind die Drucksachen 13/ 7338 und 13/9596 Buchstabe a. Es liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/9623 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist. Dann bitte ich diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Lesung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der SPD gegen die Stimmen der PDS und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist. Wir treten ein in die dritte Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? -Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung mit demselben Stimmenverhältnis wie soeben angenommen worden ist. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 13/9605. Wer dem Entschließungsantrag der SPD zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! -Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9620. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Dann kommen wir schließlich zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zu bedarfsdeckenden Unterhaltssätzen für Kinder. Das ist die Drucksache 13/9596 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5211 für erledigt zu erklären. Wer der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen worden ist. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 11 sowie Zusatzpunkte 10 und 11 auf: 11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Altmann ({0}), Dr. Uschi Eid, Dr. Angelika Köster-Loßack, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Neuordnung der Zuständigkeiten in der Auswärtigen Kulturpolitik - Drucksache 13/8679 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({1}) Innenausschuß Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuß ZP10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Freimut Duve, Stephan Hilsberg, Dr. Elke Leonhard, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gefahren abwenden von der Auswärtigen Kulturpolitik - Drucksache 13/9450 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß Innenausschuß Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer ZP11 Beratung des Antrag des Abgeordneten Claus-Peter Grotz und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Ina Albowitz, Ulrich Irmer, Dr. Karl-Hans Laermann und der Fraktion der F.D.P. Neue Herausforderungen für die Auswärtige Kulturpolitik - Drucksache 13/9613 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß ({2}) Innenausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen soll fünf Minuten erhalten. - Widerspruch gibt es nicht. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Alois Graf von Waldburg-Zeil.

Alois Waldburg-Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002413, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nimmt die Auswärtige Kulturpolitik eine besondere Stellung ein. Sie hat nicht zwischen grundsätzlich unterschiedlichen Positionen, sozusagen zwischen These und Antithese, gependelt, sondern sie ist in drei Phasen organisch gewachsen, wobei die jeweils vorhergehende mit eingebunden wurde. In der ersten Phase, der Adenauer- und ErhardZeit, ging es darum, mit großer Bescheidenheit und Rückgriff auf Traditionen vor dem Unheil des Dritten Reiches wieder um Vertrauen für Deutschland in der Welt zu werben. Die zweite Phase beginnt in der Großen Koalition und entfaltet sich unter der sozialliberalen Regierung. Sie ist geprägt von der selbstbewußten Einordnung der Auswärtigen Kulturpolitik als der dritten Säule der Auswärtigen Politik, vom erweiterten Kulturbegriff, vom Pluralismus der Mittlerorganisationen, vom Dialog und der Begegnung, die insbesondere im Auslandsschulwesen Niederschlag findet. In der ersten Hälfte der 70er Jahre setzt sich eine Enquete-Kommission mit der deutschen auswärtigen Kulturpolitik auseinander. Wenn ich sage, daß über das Ergebnis Einvernehmen im ganzen Bundestag bestand, dann meine ich natürlich nicht, daß es keine Auseinandersetzungen gegeben hat. Aber diese Auseinandersetzungen bezogen sich auf die Frage, ob die Meinungsvielfalt der Mittler wirklich gegeben war oder sich in irgendeine Richtung hin zu verengen drohte, jedoch nicht auf die Frage des Pluralismus als solchen. Meine These vom weitgehenden Konsens in den Grundlagen bestätigt sich auch nach dem Regierungswechsel 1982. Die Konzeption der Auswärtigen Kulturpolitik wird nicht verändert, sondern gilt fort. Die dritte Phase kommt von außen. Wiedervereinigung, Ende des kalten Krieges und Wegfall des Eisemen Vorhangs, Voranschreiten des Prozesses der europäischen Einigung und Globalisierung stellen die Frage der Auswärtigen Kulturpolitik im Hinblick auf Deutschland in einem vereinigten Europa und in einer immer mehr zusammenwachsenden Welt. Auch die Diskussion wurde zunächst von außen angestoßen. Namhafte Autoren schreiben Beiträge zur Frage, ob das vorhandene Instrumentarium zur Bewältigung neuer Aufgaben überhaupt ausreiche. Natürlich hat sich auch der Unterausschuß für Auswärtige Kulturpolitik des Auswärtigen Ausschusses mit diesen Fragen befaßt. Drei Problemfelder treten besonders hervor: die Vergrößerung der Aufgaben bei gleichzeitiger Begrenzung der Haushaltsmittel, die Frage nach einer möglichen Verzettelung der Aufgabenfelder und die Problematik der Globalisierung. Am 14. April 1997 hat der Auswärtige Ausschuß eine Anhörung zum Thema „Bestandsaufnahme und Perspektiven der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik" durchgeführt. Es hat vielleicht einige Überraschung ausgelöst, daß als einer der Anzuhörenden Professor Huntington eingeladen wurde, der die These vortrug, daß die Auflösung des traditionellen Ost-West-Konflikts zu neuen Gefährdungslinien führen werde, die entlang kultureller Grenzen verlaufen könnten. Bei der Vorbereitung und Durchführung der Anhörung stand den Mitgliedern des Unterausschusses natürlich nichts ferner, als neuen Feindbildern Vorschub zu leisten. Vielmehr stand die gegenteilige Überlegung Pate, wie Auswärtige Kulturpolitik dazu beitragen kann, kulturelle Differenzen durch Dialog bereits im Vorfeld zu entschärfen. Die Tatsache, daß hier drei Anträge vorliegen, entspricht eigentlich nicht ganz der Tradition unseres Unterausschusses, weil wir zumeist gemeinsam Anträge formuliert haben. Aber es ist vielleicht eine gute Sache, daß zunächst einmal jeder seine Ideen einbringt. Vielleicht gelingt es uns in den Ausschußberatungen, zu einem gemeinsamen Antrag zu finden. Debatten können natürlich keine Lesestunde für Anträge sein. Aber ich möchte einen Punkt herausgreifen: Die Tatsache, daß von 3 Milliarden DM, die für die Auswärtige Kulturpolitik ausgegeben werden, nur rund ein Drittel unter der Federführung des Außenministeriums bewirtschaftet wird, hat zu vielfältigen Überlegungen innerhalb und außerhalb dieses Hohen Hauses geführt. Auch in der Anhörung wurden entsprechende Anregungen laut. Ebenso wurde nach Synergieeffekten bei den Mittlern gefragt oder umgekehrt die Frage aufgeworfen, wie Doppelarbeit vermieden werden kann. All diese Fragestellungen müssen aber mit Bedacht angegangen werden. Das Koodinierungs- und Effi. zienzgebot darf nicht zum Totschlagargument mißbraucht werden. Der berechtigte Versuch, Doppelarbeit zu vermeiden, darf nicht zur Beschneidung oder gar Aufhebung der eigenständig gewachsenen Vielfalt der Mittler führen. Das Bemühen, den Primat der Außenpolitik zu sichern, sollte nicht den Verstärkungseffekt bremsen, der darin liegt, daß auch in der Bildungs- und Entwicklungspolitik Auswärtige Kulturpolitik ihren Platz haben muß, um unterstützende Wirkung zu entfalten. Ich habe es eigentlich als ein gutes Zeichen empfunden, daß wir, nachdem wir die Umweltdebatte und die entwicklungspolitische Debatte hatten, heute abend noch die Debatte um die Auswärtige Kulturpolitik führen können; denn gerade Entwicklungspolitik und Auswärtige Kulturpolitik hängen sehr eng miteinander zusammen. Wir haben das heute mittag im Zusammenhang mit dem Thema Afrika andiskutiert und dabei festgestellt, daß vielfältige Phasenverschiebungen erst einmal kulturell aufgearbeitet werden müssen. Wir sind auf die Thematik Islam und Europa gekommen und haben dabei sehr deutlich gesehen, daß nicht der Islam die Probleme schafft, sondern ganz bestimmte Formen des Islam, die im Grunde genommen den Islam für Politik mißbrauchen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden in den Ausschußberatungen prüfen, ob wir die drei Anträge zusammenfügen. Die andere Möglichkeit ist, daß wir sie so belassen und das jeweils Eigenständige zum Ausdruck bringen. Das Mißliche dabei ist nur, daß man sich dann für einen entscheiden muß. Aber dann wird eben für einen gestimmt, und die übrigen gehen in die Geschichte des Deutschen Bundestages ein. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Elke Leonhard.

Dr. Elke Leonhard-Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002723, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als eine der tragenden Säulen deutscher Außenpolitik gewinnt die Auswärtige Kulturpolitik im Zeitalter der Globalisierung zunehmend Bedeutung für die internationalen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland. Roman Herzog, ein Meister der schlichten, aber treffenden Worte, billigte dem kulturellen Austausch friedenssichernde Funktion zu und verglich diese mit der Rolle der Abrüstungspolitik in der Zeit des kalten Krieges. Bleibt die Frage: Wie wird die Regierung diesem Anspruch gerecht? Eine kritische Bestandsaufnahme war jüngst der Wochenzeitung „Die Zeit" zu entnehmen. Unter dem Titel „Schlußverkauf bei Goethe" folgte eine vernichtende Kritik, unter anderem basierend auf einem Bericht der UNO, die unserem einst für ein blühendes Geistes- und Bildungswesen berühmten Land ein Armutszeugnis ausstellte: Kultur werde zurückgedrängt, Theater, Opern, Literaturhäuser, Bibliotheken und Kulturinstitute fielen dem Rotstift zum Opfer. Dies ist fürwahr ein düsteres Bild. Auch das Präsidium des deutschen PEN-Zentrums wandte sich „bestürzt und tief enttäuscht" gegen die Entscheidung der Bundesregierung, mal wieder ein Goethe-Institut zu schließen. Die Schere zwischen dem Anspruch der Auswärtigen Kulturpolitik, die von meinem verehrten Kollegen Graf Waldburg deutlich gemacht wurde und dessen Anträgen wir auch durchaus zustimmen könnten, und der finanzpolitischen Wirklichkeit öffnet sich immer weiter. Ungeachtet vielfältiger neuer Herausforderungen in einer globalisierten Welt hat die Bundesregierung die Mittel für künftige Generationen, die Kapital mehren könnten, kontinuierlich reduziert. So soll das Goethe-Institut neben einer allgemeinen 1,5 prozentigen Stellenkürzung 1997 weitere 3 Prozent des Etats einsparen. Ich gehe nicht so weit wie Hans Magnus Enzensberger, der diagnostizierte, das wiedervereinigte Deutschland sei sich selbst genug. Anderen Ländern darzustellen, was hier geschehe, und zu erfahren, was anderswo gedacht werde, seien Aufgaben, die in Bonn nicht auf der Tagesordnung stünden. Dennoch gehe ich so weit, zu sagen, daß in Anbetracht des zunehmenden internationalen Wettbewerbsdrucks, der internationalen Ausrichtung des Wissenschaftsbetriebes und der Wirtschaft die haushaltspolitische Prioritätensetzung - ich unterstreiche dies - zu Lasten der Auswärtigen Kulturpolitik Ausdruck einer verfehlten Politik ist. ({0}) Wir, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, fordern den Stop des Ausverkaufs der Mittlerorganisationen, des weiteren eine dem Informationszeitalter angepaßte und angemessene technische Ausstattung derselben und schließlich Planungssicherheit für die Mitarbeiter. ({1}) Es ist eine Binsenweisheit, daß nur motivierte Mitarbeiter effizient arbeiten können. Wer dies verdrängt, verspielt Zukunftspotential und reduziert unseren Standort damit auf ein Mittelmaß. ({2}) 17 000 Humboldt-Stipendiaten, die Gast an deutschen Universitäten waren, lehren und forschen rund um den Globus und sind kulturpolitische Multiplikatoren von unschätzbarem Wert. Hochqualifizierte Nachwuchswissenschaftler und Studenten sind eine international heftig umworbene Gruppe. Wer sie an seine Universitäten lockt, hat zukünftig in den jeweiligen Ländern erstklassige Ansprechpartner in Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung. Indem die Bundesregierung den internationalen wissenschaftlichen Austausch vernachlässigt, verkennt sie in geradezu abenteuerlicher Weise das Wissen, das die entscheidende Ressource des heranbrechenden Informationszeitalters ist. Meine Damen und Herren, wie kann die beschriebene Effizienzsteigerung der Auswärtigen Kulturpolitik angesichts der Diskrepanz zwischen knapper werdenden Haushaltsmitteln und zunehmenden Herausforderungen erreicht werden? Die Sozialdemokratische Partei fordert eine Konzentration der Kräfte und Mittel durch verbesserte Koordination. Es gilt, Überschneidungen in den Tätigkeitsbereichen der Mittlerorganisationen zu beseitigen. So geht es beispielsweise nicht an, daß fünf Organisationen UnDr. Elke Leonhard terrichtsmaterialien für die Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache zusammenstellen. Davon unabhängig bleibt festzuhalten, daß die Mittler in ihren jeweiligen Verantwortungsbereichen herausragende und hervorragende Arbeit leisten. Dafür gebührt ihnen unser Dank und unser Respekt. ({3}) Die Vielfalt der Mittlerorganisationen hat sich bewährt. Sie ist bewußter Ausdruck der Pluralität als Merkmal deutscher Kulturpolitik und stellt als System weitgehend autonomer Instrumente keine Belastung, sondern eine Bereicherung dar. Goethe-Institut, Inter Nationes, Alexander von Humboldt-Stiftung, DAAD und unsere Auslandsschulen sind weltweit anerkannte Markenartikel mit hohem Wiedererkennungswert. Summa summarum: Die SPD will eine zukunftsgerichtete Reform innerhalb des Systems, aber keinen Systemwechsel. Unverzichtbar erscheint uns allerdings eine Bereinigung des Kompetenzwirrwarrs unter den Ressorts zugunsten des Auswärtigen Amtes. So entfallen - Sie erwähnten das auch, Graf von Waldburg-Zeil - nur 38 Prozent der jährlich etwa 3,5 Milliarden DM auf den Haushalt des Bundesaußenministers. Nicht weniger als acht Ressorts und das Bundespresseamt haben eigene Etats für Aufgaben der Auswärtigen Kulturpolitik. Kein anderes Land leistet sich den Luxus einer derartigen Zersplitterung der Kompetenzen und Mittel. Die Auswärtige Kulturpolitik der Bundesregierung gleicht einem Orchester ohne Dirigent. Deswegen fordern wir eine Clearingstelle. Finanzielle Entlastung verspricht auch die beginnende intensivere kulturpolitische Kooperation auf europäischer Ebene; erste Ansätze sind durchaus erkennbar. Um das Niveau der Auswärtigen Kulturpolitik zu halten, einem Ansehensverlust der Bundesrepublik zuvorzukommen und Konkurrenzfähigkeit wiederherstellen zu können, müssen neue Wege beschritten werden. Die Finanzmisere verlangt intelligente Lösungen. Im Vergleich mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten ist das Stiftungswesen der Bundesrepublik unterentwickelt. Zur Beseitigung dieses Defizits geht es vor allem um die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Stifter und Stiftungen sowie die überfällige Reform des Stiftungsrechts. In Kooperation mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen denken wir über steuerliche Anreize für Stifter, Instrumente für einen dauerhaften Erhalt der Leistungsfähigkeit von gemeinnützigen Stiftungen und die Einrichtung eines Stiftungsregisters mit Publizitätswirkung nach, die geeignet sind, das Stiftungswesen nicht nur allgemein, sondern auch im Hinblick auf die Auswärtige Kulturpolitik neu zu beleben. Besondere Erwähnung verdienen die Initiativen unserer verehrten Vizepräsidentin Frau Dr. Vollmer, der ich an dieser Stelle für ihr Engagement und ihre Kooperation danken möchte. ({4}) Über diesen Rahmen hinaus fordern wir eine engere Kooperation von Staat und Wirtschaft zur qualitativen Verbesserung der Auswärtigen Kulturpolitik. Nutznießer des Auslandsschulsystems, des wissenschaftlichen Austausches und anderer Maßnahmen der Auswärtigen Kulturpolitik sind auch die international operierenden Unternehmen. Es ist daher mehr als legitim, diese in Form von Sponsoring bei der Finanzierung der Auswärtigen Kulturpolitik in die Verantwortung zu nehmen. Steuerliche Anreize sind ein Weg, den Anteil privaten Kultursponsorings an der Auswärtigen Kulturpolitik zu steigern. Hierbei - das muß erwähnt werden - hat der Finanzminister allerdings der Sache mit dem Erlaß vom 9. Juli 1997 einen Bärendienst erwiesen. Zwar weist die Möglichkeit, entsprechende Aufwendungen als Betriebsausgaben steuerlich geltend zu machen, in die richtige Richtung. Aber am Beispiel des Goethe-Instituts wurde deutlich: Was die Regierung mit der einen Hand gibt, nimmt sie mit der anderen wieder weg. Den Empfänger der Spende bei Vorliegen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes - das ist der Regelfall - mit einer Steuer von 41 Prozent auf die Spendensumme zur Kasse zu bitten ist angewandter Unsinn. Für die große Mehrheit der Spender dürfte sich dann auch noch die Frage aufdrängen, ob ihr Engagement nun der Kultur zugute kommt oder zum Stopfen chronischer Haushaltslöcher herangezogen wird. Wie bei derart widersprüchlichen Verordnungen eine Steigerung des Spendenaufkommens erreicht werden soll, entzieht sich meiner Vorstellungskraft. Unser Urteil: steuerpolitisch konsequent, aber Milliarden gekonnt in den Sand gesetzt und Geldquellen verschüttet. Die SPD ist eine Befürworterin des Sponsorings. Gleichwohl darf nach unserer entschiedenen Auffassung auswärtige Kulturpolitik nicht zum Steigbügelhalter der Außenwirtschaftsförderung degradiert werden. ({5}) Sie ist und bleibt ein Spiegel der gesamten deutschen Kultur. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch eines erwähnen. Unser langjähriger Obmann, Freimut Duve, ein herausragender Botschafter der Auswärtigen Kulturpolitik, der Schriftsteller und Publizist ist, hat sich zum 1. Januar dieses Jahres aus diesem Amt verabschiedet. Duves Stärke ist eine ausgeprägte - sagen wir es wissenschaftlich - Perzeptions- und Apperzeptionsfähigkeit. Schlicht gesagt: Er ist ein scharfer Beobachter und formuliert treffend. Duves Worte wirken heilend und bauen Brücken der Völkerverständigung. Wir, die Gruppe der Auswärtigen Kulturpolitiker, werden bemüht sein, Duves Idee eines Hauses der Kulturen in Sarajevo in die Tat umzusetzen. Über die Begegnung mit der deutschen Kultur hinaus könnte von einer solchen Einrichtung ein wichtiger Impuls für die Verständigung der verfeindeten Volksgruppen ausgehen. Lassen Sie mich eines hinzufügen. Vielleicht kann man es Alexander-Mitscherlich-Haus nennen, denn „Die Unfähigkeit zu trauern" ist ein ganz wichtiger Meilenstein, der der Bevölkerung bei der Verarbeitung und Überwindung der tiefen seelischen Wunden helfen könnte. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich danke auch. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Elisabeth Altmann.

Elisabeth Altmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002619, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Auswärtige Kulturpolitik soll Brücken zwischen Menschen verschiedener Kulturen bauen. Die überdrehte politische Debatte um die kurdischen Flüchtlinge zeigt, wie nötig das ist. Kanthers Politik stößt besonnene Partner vor den Kopf; das erzeugt Hysterie und Fremdenfeindlichkeit. Es entsteht der Eindruck, die Festung Bundesrepublik verschließe ihre Tore. Das ist eine kaltherzige und unmenschliche Politik. Menschen, die um ihr Leben fürchten müssen, haben Anspruch auf Schutz und Hilfe. Hilfsbereitschaft und Verständnis soll über die auswärtige Kulturpolitik geweckt werden. ({0}) Bisher stellten Goethe-Institute weltweit einen wichtigen Faktor bei der Vermittlung eines kritischkonstruktiven Deutschlandbildes dar. Das internationale Echo auf die rechtsradikalen Auswüchse in der Bundeswehr zeigt, wie nötig das ist. Viele Menschen haben im Ausland durch Goethe-Institute Zugang zur deutschen Sprache und Kultur gefunden. Menschen in abgeschotteten Gesellschaften, in Ländern, in denen Demokratie unterentwickelt ist, erlebten Goethe-Institute als Hort der Meinungsfreiheit. Das Goethe-Institut gehört heute im In- und Ausland zu den angesehensten Kulturinstituten. Von Regierungskreisen wird es gar als Flaggschiff bezeichnet. Doch dieses Flaggschiff droht zu sinken. Seit 1994 wurden schon weltweit 15 Institute geschlossen. Allein in diesem Jahr ist die Schließung von neun weiteren Instituten vorgesehen. ({1}) Ein besonders perfides Beispiel für die Schließungspläne ist Palermo. Das dortige Goethe-Institut existiert seit 35 Jahren und ist für das Kulturleben in Sizilien von großer Bedeutung. Das Goethe-Institut soll dort lediglich als Fassade bestehenbleiben. Von 18 Lehrerinnen und Lehrern sollen 16 entlassen werden. Das ist Goethe- „Light " -Politik. Diese gefährliche Streichungspolitik soll auch in den nächsten Jahren, wenn wir die Regierung dabei nicht stoppen, fortgesetzt werden. So werden die in langen Jahren aufgebauten kulturellen Beziehungen zu Partnerländern aufs Spiel gesetzt. Herr Kinkel räumt inzwischen ein, daß er die Prügel für die Schließungen der Goethe-Institute nicht länger einstecken will. Er sagt selber, daß ihm seine europäischen Außenministerkollegen die Hölle heiß machen. Da kann man nur sagen: Ach Goethe! ({2}) Man könnte nun einwenden: Der Haushaltsausschuß hat dem Goethe-Institut fünf Stellen bewilligt, darüber hinaus müssen wir eben sparen. Das stimmt. In der Auswärtigen Kulturpolitik kann man manches sparen, zum Beispiel die Gelder für den rechtsaußen stehenden Verein für das Deutschtum im Ausland. ({3}) Das Bundesministerium des Innern hat wegen des Verdachts auf Veruntreuung von Bundesgeldern die Zahlungen eingestellt. Das Auswärtige Amt hingegen hat noch nicht abgesagt. Wenn Sportwettkämpfe deutscher Soldaten im Ausland und der zivile Teil der NATO gefördert werden, dann ist dies für mich keine Auswärtige Kulturpolitik. ({4}) Die Anhörung des Auswärtigen Ausschusses hat zahlreiche Defizite ergeben. Der Sachverständige Harnischfeger zum Beispiel sagte: Sehr viele Organisationen nehmen sehr unterschiedliche, aber doch sich sehr stark überlappende Aufgaben wahr. Eine Durchforstung durchzuführen ist für die nächsten Jahre eine wichtige Aufgabe. ({5}) Wir fordern deshalb in unserem Antrag, erstens Auswärtige Kulturpolitik besser zu koordinieren. Zum zweiten soll das Auswärtige Amt die Federführung in der Auswärtigen Kulturpolitik haben. Zum dritten ist die Vergabe von Haushaltsmitteln an Träger gründlicher zu überprüfen. Der Bundesrechnungshof stellt hier zahlreiche Mängel fest. Viertens. Den Trägern soll mehr Haushaltsflexibilität ermöglicht werden. Die Regierung ersetzt Auswärtige Kulturpolitik zur Zeit durch mißlungene Gründung von Auffanggesellschaften, durch unzureichende Einwerbung von Sponsoren - die Kollegin Leonhard hat eben schon darauf hingewiesen -, durch vergebliche Suche nach zusätzlichen Vermarktungsmöglichkeiten: Auswärtige Kulturpolitik als Promoterin der Wirtschaftspolitik. Notwendige Maßnahmen hingegen werden auf die lange Bank geschoben. Die Regierung ist nicht mehr handlungswillig und handlungsfähig. Elisabeth Altmann ({6}) Für den Dialog in einer zusammenwachsenden Welt hingegen genügen die alten Strukturen und Rezepte nicht mehr. Deshalb lassen Sie uns die Auswärtige Kulturpolitik neu ordnen. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Professor Dr. Laermann.

Prof. Dr. - Ing. Karl Hans Laermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001266, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Anbetracht der wenigen Minuten, die mir zu Verfügung stehen, möchte ich mich kurz fassen. Wenn wir weiterhin dem Anspruch entsprechen wollen, daß die Auswärtige Kulturpolitik die dritte Säule der Auswärtigen Politik bildet - dafür plädiere ich nachdrücklich; ich glaube, darin sind wir uns einig -, dann müssen im Hinblick auf die Haushaltslage und die empfindlichen Mittelkürzungen in diesem Politikbereich dringend Maßnahmen ergriffen werden, um den Anspruch dann auch zu erfüllen. Zu berücksichtigen ist zudem auch, daß sich nach der Wiedervereinigung Deutschlands, der Überwindung des Ost-West-Konfliktes und vor allem im Hinblick auf die Globalisierung in den gesellschaftlichen, den kulturellen und wirtschaftlichen Prozessen die Auswärtige Kulturpolitik neuen Anforderungen und auch neuen Herausforderungen stellen muß. Unter diesen Aspekten ist die Grenze dessen erreicht, was an Sparmaßnahmen ohne erheblichen außenpolitischen Ansehensverlust zumutbar ist, was hinsichtlich der allgemein akzeptierten Ziele der Auswärtigen Kulturpolitik überhaupt hinnehmbar ist. Es liegen heute mehrere Anträge vor, die Forderungen nach und Vorschläge für Maßnahmen enthalten, die sich im Prinzip alle mit den Möglichkeiten zur Mobilisierung von Rationalisierungsreserven befassen: Flexibilisierung und Deregulierung der administrativen und bürokratischen Prozeduren, Herausstellen von Prioritäten und Posterioritäten, konsequentere Koordinierung aller Aktivitäten und Maßnahmen in den verschiedensten Ressorts und zwischen den unterschiedlichsten Mittlerorganisationen und -institutionen und vor allem Vermeidung von Kompetenzüberschneidungen. Dazu gehören auch Klärung der Zuständigkeiten und eine Straffung dieser Prozesse zur Steigerung der Effizienz. In diesem Sinne vertreten alle Anträge den gleichen Tenor. Ganz besonders stimmen der Antrag der SPD-Fraktion und der Antrag der Koalitionsfraktionen weitgehend in den konkreten Forderungen überein. Das ist auch nicht weiter verwunderlich. Es ist verständlich vor dem Hintergrund, daß wir im Unterausschuß „Auswärtige Kulturpolitik" in der Beurteilung der Lage und in der Beurteilung notwendiger Maßnahmen übereinstimmen. Ich verhehle nicht, daß ich es gern gesehen hätte, wenn ein gemeinsamer Antrag vorgelegt worden wäre. Aber das ließen gewisse Zeitabläufe nicht zu. Das macht auch gar nichts. Ich denke, das läßt sich heilen, wenn wir bei der Beratung der Anträge im Unterausschuß, wie ich hoffe, zusammenfinden. Davon gehe ich aus. Mir ist wichtig, daß wir gerade in der Auswärtigen Kulturpolitik mit größtmöglicher Übereinstimmung zwischen den Fraktionen und Gruppen untereinander auftreten, um den gemeinsamen Zielen dienen und unsere Vorstellungen auch durchsetzen zu können. Es verstärkt und erhöht unsere Schlagkraft, wenn wir das gemeinsam tun. ({0}) Ich will mich nun aus Zeitgründen nicht zu den konkreten Vorschlägen im einzelnen äußern. Dazu werden wir im Unterausschuß ausführlich Gelegenheit haben. Schließlich wird es ja auch hier noch einmal eine abschließende Debatte geben. Ich möchte aber zwei ergänzende Anmerkungen zum Antrag der Koalitionsfraktionen machen, die, wie ich meine, in die weiteren Beratungen einbezogen werden sollten: Erstens. Ein effizienterer Einsatz der Haushaltsmittel durch weitergehende Flexibilisierung sollte nicht durch Vorwegabzug einer sogenannten Flexibilisierungsrendite konterkariert werden. ({1}) Das demotiviert, Anstrengungen in diesem Bereich vorzunehmen. Das sollten wir deutlich herausstellen. Zweitens. Nicht die knappen Budgets allein zwingen die Institutionen zu einschneidenden Reduzierungen ihrer Aktivitäten, wo eigentlich Ausweitung erforderlich wäre, sondern auch die jährlichen Stellenkürzungen, wie sie für die Ministerien und nachgeschalteten Behörden und Organisationen verordnet sind. Wenigstens für die Institutionen, die Aufgaben im Ausland zu erfüllen haben, sollte über eine Lockerung dieser Auflage nachgedacht werden, wenn sie nicht gar ganz aufgehoben wird. ({2}) Es nützt nämlich nichts, etwa dem Goethe-Institut höhere Haushaltsmittel zukommen zu lassen. Das ändert nichts an dem Umstand, daß Personal gekürzt werden muß. Das können wir insbesondere im Bereich der Auswärtigen Kulturpolitik nicht akzeptieren. Wir sollten uns dafür einsetzen, daß für diese Stellen eine Lockerung oder Aufhebung dieses Gebotes durchgesetzt wird. Im übrigen gehe ich davon aus, daß wir die Anträge sehr zügig beraten und sehr bald unsere gemeinsam formulierten Vorstellungen im Sinne unserer Ziele bei der Auswärtigen Kulturpolitik vorlegen werden. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Ludwig Elm.

Dr. Ludwig Elm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002646, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und ähnlich der der SPD fordert die Bundesregierung dazu auf, die Auswärtige Kulturpolitik effizienter zu gestalten und diese insgesamt dem Auswärtigen Amt zu unterstellen bzw. sie wirkungsvoller zu koordinieren. Gründe und Anlässe werden in diesen Anträgen genannt. Wir können vielen der kritischen Analysen und unterbreiteten Forderungen und Vorschlägen zustimmen. Ich möchte mich auf Grund des engen zeitlichen Rahmens auf ein Problem beschränken, das auch Kollegin Altmann schon angesprochen hat. Es erscheint uns nötig, daß im Zuge der vorgesehenen Neugestaltung bestimmte Anachronismen endlich überwunden werden. Ich erinnere daran, daß ein Schwerpunkt der Auswärtigen Kulturpolitik erklärtermaßen in den Staaten Mittelosteuropas und den GUS-Regionen liegt. Demnach gilt für die Kulturpolitik in diesen Bereichen weiterhin die im § 96 des Bundesvertriebenengesetzes festgeschriebene Verpflichtung der Bundesregierung, das - ich zitiere die folgende Wendung wörtlich - „Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewußtsein ... des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten" . Wäre es nicht an der Zeit, fünf Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkrieges, Begriffe wie „deutsche Ostgebiete" oder „deutsche Vertreibungsgebiete" aus der politischen Terminologie zu streichen? ({0}) Wäre es nicht endlich an der Zeit - da mit dem Zweiplus-Vier-Vertrag die polnische Westgrenze definitiv anerkannt worden ist -, nicht nur verbal auf die Gebiete zu verzichten, sondern dies in der Politik, auch in der Kulturpolitik, hinreichend klar und unmißverständlich zum Ausdruck zu bringen? Die Bundesregierung verfolgt statt dessen beispielsweise die Strategie, vermittelt über eine offensive deutsche Kulturpolitik, tendenziell deutsche Siedlungsgebiete zu schaffen, die über rechtliche Autonomie verfügen - wie in Westsibirien, in der Wolgaregion, im Großraum St. Petersburg -, oder Existenzgründungen der „Rußlanddeutschen" finanziell bevorzugt zu unterstützen. Für manche besteht die Zielstellung dieser Politik offenbar darin, mit Hilfe der deutschen Minderheiten eine Art Brückenkopf des Deutschtums im Ausland zu gestalten, um damit ökonomischen und politischen Einfluß in diesen Regionen zu gewinnen. Es überrascht uns allerdings, daß die SPD-Fraktion das System der Mittlerorganisationen pauschal als bewährt darstellt. Wir wollen Sie fragen, wie es hier schon geschehen ist, ob die Vorgänge um die Rolle des VDA vergessen sind, die bis heute nicht ausreichend aufgeklärt sind. Ist Ihnen verborgen geblieben, daß Heinrich Groth, der Vorsitzende der rußlanddeutschen Organisation „Wiedergeburt", der Bundesregierung beispielsweise damit drohte, er werde alle im Bundesgebiet lebenden Spätaussiedler aufrufen, Republikaner zu wählen, falls bestimmte Forderungen künftig nicht erfüllt werden? Die Organisation „Wiedergeburt" ist aber eine der zentralen Mittlerorganisationen. Es ist niemandem verborgen geblieben, daß sich auch das Deutsch-Russische Gemeinschaftswerk des Rechtsextremisten Roeder einer bestimmten staatlichen Unterstützung erfreuen konnte. Mit anderen Worten: Bei der weiteren Beratung wird für uns die offene und kritische Erörterung dieser inneren Voraussetzung deutscher Auswärtiger Kulturpolitik erheblich sein. Ich sage das auch unter dem Eindruck eines Gespräches, das ich heute mit Preisträgern des Deutschen Akademischen Austauschdienstes aus aller Welt geführt habe. Von diesen jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die zum Teil schon einige Jahre in der Bundesrepublik arbeiten, wurden erneut alarmierende Zeugnisse der Diskriminierung und der restriktiven Ausländerpolitik, vielfach auch einer ausländerfeindlichen Politik, in der Bundesrepublik geschildert. Die von mir erwähnten Erwartungen bestimmen unser Verhalten in den Abstimmungen bezüglich dieser Verträge, damit die berechtigten Ansätze in der kritischen Analyse und in den Forderungen nach Veränderungen entsprechend programmatisch ausgestaltet werden können. Danke schön. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Staatsminister Schäfer.

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt natürlich die breite fraktionsübergreifende Unterstützung, die die Auswärtige Kulturpolitik seit vielen Jahren durch Sie, durch die Mitglieder des Deutschen Bundestages, erfährt. Ich will nicht verschweigen, daß ich die breite Unterstützung für eine stärkere Konzentration der Mittel beim Auswärtigen Amt, die die Auswärtige Kulturpolitik braucht, bei allen Fraktionen erkennen kann. Ich halte es für notwendig, daß man diesen schon lange gehegten Gedanken jetzt intensiv in den Ausschußberatungen überprüft und tatsächlich versucht, den Einsatz der vorhandenen Mittel, besser zu koordinieren und die Arbeit besser zu ordnen, die wir im Auswärtigen Amt seit Jahren leisten und deren Erfolg hier natürlich von niemandem ernsthaft bestritten werden kann. Es sind große Leistungen erbracht worden. Unsere Mittlerorganisationen, angefangen vom Goethe-Institut bis hin zu allen anderen, würden sich zu Recht beschweren, wenn Kritik an ihrer Arbeit geübt und gesagt würde, daß diese Politik seit Jahren falsch gewesen sei. Im Gegenteil: Sie war erfolgreich. Ich bin auch sehr froh, daß nach der Regierungserklärung des Bundesaußenministers im vergangenen Juni in der Debatte, die im Zusammenhang mit dem ersten Jahresbericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kulturpolitik - auch das ist ja ein neues Moment in diesem Bundestag - geführt wurde und schließlich mit der Entschließung des Bundestages vom 26. Juni des vergangenen Jahres deutlich geworden ist, daß die Auswärtige Kulturpolitik als ein ganz wichtiger Teilbereich der auswärtigen Politik gesehen wird. Es gibt immer noch Menschen, die Kultur nur als eine Art Hintergrundmusik, wie man sie im Supermarkt gewohnt ist, ansehen, also als ein ganz nettes Brimborium, und sie nicht als einen wichtigen Teil der Außenpolitik anerkennen. Ich möchte zum Beispiel anregen, daß Kollegen, seien sie in der Bundesregierung oder hier im Parlament, bei ihren häufigen Auslandsreisen gelegentlich auch einmal Kulturinstitute besichtigen, aber nicht nur deutsche Institute dieser Art, sondern möglicherweise auch ausländische Ausstellungen, ausländisches Theater und ausländische Kulturinstitute. Sie glauben gar nicht, wie wichtig es ist, wenn Sie dort zu erkennen geben, daß Sie nicht nur an politischen Debatten interessiert sind, wie wir sie dauernd über diese oder jene Frage führen, sondern sich auch ernsthaft für die Kultur eines anderen Landes interessieren und sich bei Ihren Besuchen dafür Zeit nehmen. ({0}) Ich könnte Bücher schreiben über solche Geschichten. Es ist nicht gut, wenn Ausländer, die, gerade noch vom Goethe-Institut geschult, mit hohen Ansprüchen nach Deutschland reisen, in einer Maschine der größten deutschen Fluggesellschaft sitzen und als Musik bestenfalls einen billigen James-Last-Verschnitt geboten bekommen, während sie in den Maschinen von nahezu allen größeren Fluggesellschaften der Welt ganz andere Musik hören können, die keineswegs so schwer ist, daß den Leuten angst würde, bevor die Maschine in die Luft steigt. Im Gegenteil, Mozart entspannt. Diese Musik wird von der Lufthansa nicht gespielt. Ich halte das für sehr bedauerlich. Auch hier ist doch die Vermittlung deutscher Kultur möglich, nicht nur bei den wenigen Goethe-Instituten in der ganzen Welt. Das geht noch weiter. Wenn Sie deutsche Theater besuchen, können Sie feststellen, daß die ernsthafte Bemühung, deutsche Literatur darzustellen, angesichts eines gewissen Dekonstruktivismus, der inzwischen unsere Bühnen beherrscht, nur noch gelegentlich vorhanden ist. In Paris gibt es ein Theater, das seine eigentliche Aufgabe in der Pflege der französischen Sprache sieht und mit hohen Subventionen des Staates gefördert wird, nämlich die „Comédie Française". In Berlin gibt es ein Theater, das mit hohen Subventionen die Zerstörung deutscher Bühnenstücke als geradezu lustvolle Empfindung für junges Publikum betreibt. Ich sage nichts dagegen. Aber es ist für Ausländer schon etwas irritierend, wenn sie, falls sie tatsächlich einmal auf einer Bühne in Deutschland ein Stück von Goethe sehen, das Haus völlig verwirrt wieder verlassen müssen, weil sie davon nichts mehr verstehen. ({1}) Auch das muß bei kulturpolitischen Diskussionen gelegentlich gesagt werden. Ich glaube, es ist doch etwas zu dürftig, wenn die Kritiker der Bundesregierung hier einfach behaupten, die Bundesregierung kürze die Mittel. Ich komme aus sozialdemokratisch regierten Städten. Ich habe feststellen müssen, daß auch dort - was von den jeweiligen Oberbürgermeistern genauso schmerzlich empfunden wird - erhebliche Mittel gestrichen werden mußten. Ebenso stellen Länder, die nicht von einer Koalition wie der in Bonn geführt werden, immer wieder fest, daß sie mit ihren Mitteln haushalten müssen und daß leider Gottes erhebliche Kürzungen notwendig sind. Es ist auch nicht wahr, daß Goethe-Institute nur geschlossen würden. Im Gegenteil, es sind in den letzten Jahren 13 neue Goethe-Institute eröffnet worden, und zwar vor allen Dingen in den Staaten Mittel- und Osteuropas. Die Kürzung, die uns auferlegt wurde und die im Rahmen des Gesamthaushaltes im Haushaltsausschuß beschlossen worden ist, steht im Zusammenhang mit den Kürzungen, die wir in allen Bereichen vornehmen mußten. Natürlich sind wir jetzt - und ich bin dankbar für Ihre Unterstützung - an einem Punkt angelangt, an dem wir sagen müssen: Viel können wir nicht mehr kürzen, denn sonst geht es wirklich an die Substanz. Hier sollten wir alle frühzeitig alles tun, um zu verhindern, daß sich eine Tendenz fortsetzt, die sozusagen mit dem Rasenmäher alle Bereiche erfaßt, wodurch in einem Bereich, der sich schlecht wehren kann und in dem wenig Ersatz geboten werden kann, auf Dauer schwere Schädigungen eintreten. Ich mache mich hier mit Ihnen allen zusammen stark, dafür zu kämpfen, daß in den nächsten Haushalten nach Möglichkeit keine Kürzungen mehr erfolgen. Aber es ist völlig richtig - damit darf ich schließen -: Noch muß vieles in den Mittlerorganisationen reorganisiert werden. Vieles läßt sich, wie hier schon gesagt worden ist, besser straffen, und manche Überlappungen lassen sich vermeiden. Wir sind dabei. Frau Kollegin Leonhard, ganz wichtig erscheint mir die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Auswärtiger Kulturpolitik. Das Interesse ist da. Es gibt schon Sponsoring in diesem Bereich, aber das muß noch ausgebaut werden. Auch die Frage eines deutschen Stiftungsrechtes müssen wir ansprechen. All diese Dinge sind noch nicht bewältigt. Es gibt sicher noch Ressourcen, die sich nicht aus dem Haushalt der Bundesregierung speisen, sondern aus den Möglichkeiten, die dieses durchaus reiche Land sonst hat. Eine Zusammenarbeit von Wirtschaft und Staat in einer finanziell schwierigen Situation zugunsten der Kultur scheint mir ein ganz wesentlicher Beitrag zu sein, um die Schwierigkeiten zu lösen, vor denen wir stehen. Ich darf zum Schluß sagen: Ich bin sehr froh, daß Sie alle miteinander die Bundesregierung nicht so sehr kritisieren, sondern ihr helfen wollen, daß sie in dieser so wichtigen Auswärtigen Kulturpolitik etwas mehr tun kann. Vielen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/8679, 13/9450 und 13/9613 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind, wie ich sehe, einverstanden. Dann ist das der Fall. Die Überweisungen sind so beschlossen. Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 13 sowie Zusatzpunkt 12 auf: 13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS Einführung einer Steuer auf spekulative Devisenumsätze ({0}) - Drucksache 13/9337 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({1}) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ludger Volmer, Helmut Lippelt, Angelika Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Einführung einer spekulationsdämpfenden Steuer auf Währungstransaktionen ({2}) - Drucksache 13/9597 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({3}) Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sie sind einverstanden. - Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Barbara Höll.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir als PDS wollen eine neue Steuer einführen, nämlich eine Devisentransaktionsteuer nach dem Vorschlag von James Tobin, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften. Schon daraus können Sie entnehmen, daß es sich hierbei sicherlich nicht um einen sozialistischen Anschlag auf Ihr Wirtschaftssystem handelt, sondern um einen Vorschlag eines bürgerlichen Ökonomen, der in die öffentliche wissenschaftliche Diskussion eingebracht wurde, bisher jedoch - wie „Nessie" - oftmals nur kurzzeitig auftauchte und dann wieder als wirklichkeitsfremd und unrealistisch weggedrückt wurde. Als Tobin 1972 die Devisentransaktionsteuer vorschlug, problematisierte er eine Entwicklung, die sich bis heute extrem verschärfte, nämlich die Abkopplung der Finanz- von der Realwirtschaft. Wachsende Vermögen und deren Konzentration sowie ungleiche Verteilung der Gewinne haben zu einem Wachstum des freien Kapitals geführt. Allein in der Bundesrepublik hat sich das Vermögen seit 1980 verdreifacht und betrug Ende vergangenen Jahres zirka 5,2 Billionen DM. Allerdings befand sich die Hälfte dieses Vermögens in der Hand von nur 10 Prozent der privaten Haushalte. Die Deregulierung und Liberalisierung der letzten Jahre ließen die internationalen Kapitalbewegungen enorm ansteigen. 1980 betrugen die Bruttokapitalexporte jährlich zirka 100 Milliarden US-Dollar, 1993 bereits 850 Milliarden US-Dollar. Die Devisenumsätze stiegen rasant an und lagen zwischen 1986 und 1995 mit 18 Prozent weit vor dem Umsatz des Welthandels. Dabei stellen kurzfristige Finanztransaktionen von bis zu acht Tagen vier Fünftel, 81,8 Prozent, des gesamten Geschäftsvolumens. Die Folgen dieser spekulativen Finanzströme sind Arbeitsplatzverluste, eine inflationäre Entwertung von Einkommen, die Verhinderung von Investitionen und das Umlenken von Handelsströmen. Das jüngste Beispiel Südostasien zeigt, daß insbesondere durch den Trend zu kurzfristigen Finanzanlagen ganze Volkswirtschaften destabilisiert und die Existenz von Millionen von Menschen vernichtet werden können. Regierungen haben kaum noch die Möglichkeit, zum Beispiel durch Zinsänderungen auf die wirtschaftliche Entwicklung Einfluß zu nehmen. Nach Tobin schlägt die PDS deshalb vor, jeden Devisenumsatz zu besteuern, so daß sich mit dieser Tobin-Steuer die kurzfristigen Finanzanlagen relativ verteuern, zu Lasten derjenigen, die kleinste Zins- und Wechselkursdifferenzen ausnutzen. Längerfristige Anlagen werden demgegenüber wieder attraktiver; Kapitalströme verlangsamen sich, und die Schwankungen der Wechselkurse lassen nach. Die Tobin-Steuer baut in diesem Sinne also einen Schutzwall um die Währungen auf, von dem Bürgerinnen und Bürger und vor allem exportorientierte Unternehmen profitieren können. Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir im Gegensatz zu anderen politischen Kräften relativ konkrete Vorstellungen über Vertragsebene, Bemessungsgrundlage und Steuersätze entwickelt, um in dieser Richtung endlich einen Schritt weiter voranzukommen. Erstens. Bezüglich des Erhebungsgebietes schlagen wir vor, die wichtigsten Finanzplätze, die G-7-Staaten, die weiteren Mitgliedstaaten der EU, Singapur, die Schweiz, China, Hongkong und Australien, in einem ersten Schritt in diese Tobin-Steuer mit einzubeziehen - denn sie muß natürlich international eingeführt werden - und gleichzeitig die Verträge ofDr. Barbara Höll fen zu gestalten, so daß jederzeit Länder hinzustoßen können. Zweitens, zur Bemessungsgrundlage und zum Steuersatz. Alle Devisentransaktionen, die sofort wirksam werden, also Kassageschäfte, Devisentermin- und -optionsgeschäfte sowie Währungsswaps, sollten mit einem Steuersatz von 0,25 Prozent belegt werden. Mit diesem Steuersatz kann unserer Meinung nach ein erheblicher Teil der kurzfristigen Spekulationsgeschäfte eingedämmt werden, da diese damit unattraktiv gegenüber langfristigen Anlagen werden. ({0}) Bei diesem Prozentsatz könnten Einnahmen von 300 bis 500 Milliarden Dollar erzielt werden. Diese Einnahmen sollen dann überwiegend der UNO zur Realisierung von Umwelt- und Entwicklungshilfemaßnahmen zur Verfügung gestellt, also zielgerichtet eingesetzt werden. Drittens, zu den Steuerschuldnern. Gezahlt werden soll die Steuer von Banken und Devisenhändlern. Wir meinen, dies ist sehr wohl möglich und durchsetzbar; denn wenn Banken heutzutage die Zinsabschlagsteuer abführen können, so ist es rein technisch durchaus möglich, daß sie dann auch eine Tobin-Steuer zahlen können. Viertens. Wie bei jeder Steuer ist es natürlich auch hier notwendig, über Ausnahmen nachzudenken. Wir meinen, die Tobin-Steuer soll nicht schädigen, das heißt den Austausch von Gütern nicht beeinträchtigen und auch Menschen, die zum Beispiel eine Auslandsreise unternehmen, nicht belasten. Hier könnte man sich Ausgleichsmaßnahmen überlegen, zum Beispiel durch Kompensationszahlungen oder die Freistellung geringfügiger Devisenumsätze. Zusammenfassend möchte ich hervorheben, daß die Einführung einer Tobin-Steuer keineswegs unrealistisch ist. Das größte Hindernis ihrer Einführung ist politischer Natur; denn sie widerspricht - das sage ich offen - den Grundprinzipien der herrschenden neoliberalen Ideologie von Steuersenkung, Liberalisierung und Rückzug der öffentlichen Hand. Unterschiedlichste Persönlichkeiten aber wie Jacques Delors, ehemaliger Präsident der Europäischen Kommission, Boutros-Ghali, ehemaliger UNO-Generalsekretär, und Barber Conable, ehemaliger Präsident der Weltbank, unterstützen eine solche Idee. Auf dem UNO-Sozialgipfel 1994 wurde diese Idee von François Mitterrand auf den Tisch gebracht. Bei der Umsetzung des Vorschlages von Tobin geht es also ausschließlich darum, politische Kräfte zu sammeln, um diese Idee nach über 25 Jahren Realität werden zu lassen. Hierbei bitte ich um Ihre Unterstützung. Ich bedanke mich. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Der Abgeordnete Gerhard Schulz hat gebeten, seine Rede zu Protokoll geben zu dürfen.*) Sind Sie einverstanden? - Ja. Dann hat jetzt der Abgeordnete Detlev von Larcher das Wort.

Detlev Larcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001290, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute zu später Stunde und in kleiner Besetzung über ein sehr komplexes und sehr kompliziertes, aber auch sehr wichtiges Thema. Ich meine, das Thema ist eigentlich so wichtig, daß es sich lohnte, darüber eine längere Debatte zu einer früheren Stunde zu führen. ({0}) Wer im übrigen heute die „Zeit" gelesen hat, der hat gemerkt, daß dieses Thema, das Problem der Ablösung der Geld- und Kapitalmärkte vom realwirtschaftlichen Welthandel, auf einmal öffentlich diskutiert wird. Da fordert zum Beispiel die Deutsche Bundesbank eine bessere staatliche Aufsicht über die Finanzmärkte. Andere Notenbanker, Geldmanager und Ökonomen wollen die globalen Finanzmärkte stärker regulieren. Sogar Barton Biggs, der Investmentguru von Morgan Stanley's, wird in der „Zeit" mit dem Satz zitiert: Möglicherweise müssen Maßnahmen getroffen werden, um die Händler - die heute fast die Welt regieren - zu kontrollieren. Vor noch nicht einmal drei Jahren kostete ein Dollar 1,35 DM - nicht, weil es der amerikanischen Wirtschaft damals besonders schlecht oder der deutschen besonders gut ging, sondern weil Zweifel an der planmäßigen Einführung des Euro zu einer Spekulation auf die D-Mark führten. Heute - bei Börsenschluß - kostete ein Dollar 1,82 DM - nicht, weil es der amerikanischen Wirtschaft jetzt besser geht, sondern unter anderem auch, weil der Kurs des Dollar durch den Zufluß von aus Südostasien abgezogenen Geldern erhöht wird. Es wird immer deutlicher: Die Entwicklung der Wechselkurse koppelt sich zunehmend von der realen Wirtschaftsentwicklung ab. Mangelhafte Daten über den privatwirtschaftlichen Bereich tragen dazu maßgeblich bei. Kaufkraftparitäten und die außenwirtschaftliche Position eines Landes sind nur noch unverbindliche Größen, um die die tatsächlichen Wechselkurse heftig schwanken - je nachdem, worauf gerade spekuliert wird. Die Stabilität in Europa sollte uns da nicht den Blick verstellen. Nur noch 1 bis 2 Prozent der Umsätze auf den internationalen Devisenmärkten entfallen auf die Abwicklung des internationalen Handels. Mit anderen Worten: Die Realwirtschaft steht auf den Devisenmärkten - Herr Schulz, wenn Sie nicht zuhören, können Sie auch nichts lernen - einer hundertfachen Übermacht der Spekulation, der Absicherungsgeschäfte und des Geldhandels gegenüber. Ginge es dabei nur um einen Kasino-Kapitalismus, dann *) Anlage 3 bräuchte uns dieses Thema nicht weiter zu beschäftigen. ({1}) Aber Spekulation ist mehr als ein Glücksspiel unter Finanzmarktakteuren; Spekulation ist mehr als der Kampf zwischen Reichen und Superreichen um ein möglichst großes Stück von einem Kuchen. Immer deutlicher werden die negativen Rückwirkungen der Devisenspekulationen auf die realwirtschaftlichen Prozesse - Sie, Frau Babel, können sich nachher sachkundig äußern -, und ich hoffe angesichts der aktuellen Krise in Südostasien, daß diejenigen recht behalten werden, die für die europäischen Volkswirtschaften nur geringe Wachstumseinbußen vorhersagen. Die Devisenspekulation beeinträchtigt die realwirtschaftlichen Entwicklungen auf mehreren Ebenen. Im Außenhandel können Preise nicht mehr sicher kalkuliert werden. Die Absicherung gegen Kursrisiken führt zu zusätzlichen Kosten, zum Beispiel für Optionen, und behindert damit den Welthandel. Die Verteidigung der Wechselkurse gegen spekulative Attacken durch die Notenbanken durch kurzfristige Interventionen und durch geldpolitische Maßnahmen verursacht erhebliche volkswirtschaftliche Kosten. ({2}) Die Stillegung von Produktionskapazitäten in Ländern mit überbewerteter Währung vollzieht sich in der Regel schneller als umgekehrt der Produktionsanstieg bei einer Unterbewertung. Das Auf und Ab der Währung führt damit zu einer Vernichtung produktiver Ressourcen. Wir in Deutschland konnten das zuletzt im Bereich der Flugzeugindustrie feststellen. Nicht zuletzt führen die Unsicherheiten an den Devisenmärkten auch zu einer nachteiligen Disziplinierung der Wirtschafts-, Finanz-, Geld- und Lohnpolitik. Immer mehr Länder beteiligen sich an einem überzogenen und schädlichen realwirtschaftlichen Abwärtswettlauf, um die Gefahr spekulativer Währungsabwertungen mit all ihren destabilisierenden Folgen zu verringern. Letztlich handelt es sich bei allen genannten Wegen der Beeinträchtigung der Realwirtschaft auch um eine Umverteilung von Einkommen aus dem produktiven realwirtschaftlichen Sektor in den Bereich der Finanzmärkte. Und eben hier liegt das zentrale Problem. Investitionen in Sachkapital haben im Zuge der Deregulierung der internationalen Finanzmärkte gegenüber kurzfristigen Geldanlagemöglichkeiten immer mehr an Attraktivität verloren. Das ist auch ein Grund für die nach wie vor zu geringen Sachinvestitionen. Das ist ein entscheidender Faktor für die katastrophale Zunahme der Arbeitslosigkeit. Die vorliegenden Anträge greifen also ein wichtiges Thema auf; das sagte ich schon. Es geht hier um die Frage, wie Handlungsspielräume für die Politik zurückgewonnen werden können. Diskussionen darüber, wie die internationalen Finanzmärkte reguliert werden können, gewinnen weltweit an Bedeutung; ich zitierte schon die heutige Ausgabe der „Zeit". Nur in der Bundesrepublik ist dies bisher weitgehend nicht geschehen. Die bornierte Marktgläubigkeit, die diese Regierungskoalition immer noch predigt, erweist sich immer mehr als Anachronismus. ({3}) - Lesen Sie die „Zeit". Dagegen sagen wir: Es darf nicht dabei bleiben, daß die Interessen gewichtiger Finanzmarktakteure über die Höhe der Arbeitslosigkeit mit entscheiden. Eine Steuer auf Umsätze im Devisenhandel, wie sie ja auch schon im Rahmen der G 7 diskutiert worden ist, könnte dazu beitragen, die spekulativen Devisentransaktionen zu begrenzen und damit den Markt zu stabilisieren. Die große Anzahl der Transaktionen, die auf die Mitnahme geringer Zinsdifferenzen und Kursgewinne gerichtet ist, könnte damit uninteressant werden. ({4}) - Ach, das ist nun wirklich billig, Herr Merz; aber solche Zwischenrufe bin ich von Ihnen gewohnt. Außerdem, warten Sie doch, bis ich zum Schluß gekommen bin, dann können Sie sich auch zu Wort melden und noch sprechen; denn Herr Schulz gibt Ihnen sicher etwas von seiner Redezeit. ({5}) - Dann gehen Sie doch raus. Sie müssen mir nicht zuhören. Das heißt allerdings nicht, daß damit jeglicher Devisenspekulation der Boden entzogen würde. ({6}) - Meine Kollegen aus dem Finanzausschuß sind immer so kampfeslustig, weil sie mich halt kennen. Ich mache ja auch viele Zwischenrufe, also lassen Sie sie ruhig dazwischenrufen. Großangelegte Attacken auf einzelne Währungen, wie etwa 1992 auf die Italienische Lira und das Pfund Sterling mit der Folge des Ausstiegs aus dem Europäischen Währungssystem, hätten sich für ihren Initiator trotz einer Tobin-Steuer gelohnt. Aber die Aussichten, einen solchen Coup zu landen, würden mit einer Tobin-Steuer geringer, weil sich weniger Mitläufer fänden, die für das Gelingen der Aktion unerläßlich sind. Von einer solchen Tobin-Steuer können wir also in der Tat erwarten, daß sie die Devisenspekulation mit ihren destabilisierenden Wirkungen begrenzt. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß sie möglichst lückenlos an allen wichtigen Börsenplätzen der Welt erhoben wird. Da liegt der Hase im Pfeffer. Ich denke an die großen Schwierigkeiten, schon allein in Europa steuerpolitische Vereinbarungen zu treffen. Wir haben uns im Finanzausschuß erst am Mittwoch damit beschäftigt. Ich erinnere an das Beispiel der Flugbenzinsteuer. Trotz dieser großen Schwierigkeiten bin ich dafür, in diesem Bemühen um solche Vereinbarungen nicht nachzulassen. Auch bei uns gibt es natürlich die Meinung, daß es sehr schwierig sei, zu solchen Vereinbarungen zu kommen. Manche von unseren Fachleuten sprechen auch von einem theoretisch guten Modell, was sich in der Praxis kaum wird durchsetzen lassen. Ich finde, die Politik hat auch die Aufgabe, etwas, was zunächst für unmöglich gehalten wird, möglich zu machen. ({7}) Für den Fall, daß eine weltweite Tobin-Steuer nicht erreicht werden kann, ist vorgeschlagen worden, eine Besteuerung an der Grenze zwischen steuererhebenden und nicht steuererhebenden Staaten durchzuführen. Für mich ist allerdings ganz klar, daß die umfassende Lösung vorzuziehen ist. Denn es ist schwer vorherzusagen, welche Bedeutung einzelne Tobin-Steuerparadiese erlangen könnten und ob sich der besteuerte Devisenmarkt ihnen gegenüber behaupten könnte. Ich finde, diese Fragen sollten wir im Ausschuß sehr sorgfältig prüfen. Wir sollten überlegen, wie das komplizierte politische Projekt Tobin-Steuer am besten angeschoben werden kann. Ich bin nicht sicher, ob wir jetzt sofort unter dem Eindruck der Turbulenzen um die vor kurzem noch als Tiger-Staaten bezeichneten Länder eilig eine Regierungskonferenz einberufen sollten. Sinnvoll erscheint mir, zunächst den Eintritt in die dritte Stufe der Europäischen Währungsunion zu vollziehen und erst dann aus einer sehr starken - weil innerhalb Europas von Spekulation freien - Position heraus, eine entsprechende Initiative zu starten. Diese Initiative sollte sich meines Erachtens nicht auf die Frage der Tobin-Steuer beschränken. Denn diese ist, wie gesagt, kein Allheilmittel gegen die Spekulation: Es geht für mich um das Weltwährungssystem insgesamt und um die Frage, ob die internationale Gemeinschaft bereit ist, aus den wiederholten Krisen seit dem Zusammenbruch des BrettonWoods-Systems zu lernen. Die Vermeidung von Krisen durch eine verbesserte Aufsicht beispielsweise über die Finanzmarktakteure - etwa im Sinne der Baseler Regeln der Bank für internationalen Zahlungsausgleich - muß dabei Vorrang vor kurzfristigem Krisenmanagement haben, wie es der IWF jetzt mit frischen Krediten betreibt. Interessanterweise spricht Rudolf Baron in der neuesten „Wirtschaftswoche" vom „Sozialismus zugunsten von Banken und Konzernen" in bezug auf das, was der IWF jetzt macht. Die Begrenzung spekulativer Devisengeschäfte muß ein Element eines neuen Weltwährungssystems sein. In diesem Sinne sollten wir die Diskussion über die vorliegenden Anträge führen und im Ausschuß dieses Problem ernster nehmen als die Koalitionsabgeordneten hier im Plenum. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ludger Volmer.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Globalisierung, die wir seit Beginn der 90er Jahre beobachten, kann als erheblicher Fortschritt gegenüber der früheren nationalstaatlichen Protektion begriffen werden. Dennoch muß gesagt werden, daß die übermäßige Flexibilisierung, Dynamisierung und Globalisierung mittlerweile ein hyperkomplexes Finanzsystem geschaffen hat, an dem immer mehr wichtige Akteure versagen. Wenn Broker, wenn Bankmanager bei ihren täglichen Geschäften versagen, so kann es insbesondere dann, wenn auch die fundamentalen Daten nicht stimmen, zu Einbrüchen in regionalen Wirtschaften kommen, die massive Rückwirkungen auf die Lebenschancen der Menschen haben, wie wir es gerade in Südostasien erleben. Aber auch wenn es nicht zu katastrophalen Zusammenbrüchen kommt, so macht die Volatilität, die Schwankungsbreite, von Währungen und Zinsen eine geplante Investitionstätigkeit von Unternehmen immer schwieriger; das betrifft insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen mit geringer Kapitaldecke. Von daher ist es im Sinne einer langfristigen Investitionstätigkeit, wenn die Politik versucht, die Steuerungsfähigkeit über die entfesselten Kapitalmärkte zumindest ein Stück weit zurückzugewinnen. Selbstverständlich sind bestimmte Instrumente, die eingeführt wurden, zum Beispiel die Derivate, wirtschaftlich sinnvoll, um Absicherungsgeschäfte - etwa im Handelsbereich - zu tätigen; doch wir erleben, daß sich der Derivathandel verselbständigt hat. Mittlerweile muß ein Handelsgeschäft mit einem Hebel von 50 gegen Kursschwankungen abgesichert werden. Daraus ergibt sich eine Verselbständigungstendenz, je weiter die Derivate von der realen Wirtschaftsbasis entfernt sind. Diese Abkopplung der monetären von der realen Akkumulation erfordert notwendigerweise, daß die Politik versucht, ihre Steuerungsfähigkeit zurückzugewinnen. Die Initiativen in diese Richtung sind in den letzten Jahren angewachsen; einige sind bereits benannt worden. Selbst bundesdeutsche Banker - fragen Sie Herrn Köhler vom Sparkassen- und Giroverband - sagen, daß auch die Banken ein Interesse daran haben müßten, eine Finanzpolitik zustande zu bringen, die die realwirtschaftliche Produktionsbasis und damit auch die Verdienstmöglichkeiten der Banken langfristig nicht untergräbt. Die Einführung einer internationalen Spekulationssteuer kann nicht das gesamte Problem lösen. Sie löst einen bestimmten Ausschnitt. Sie kann die heiße Spekulation auf kleinste Margen eindämmen und damit die langfristige realwirtschaftliche Investition rentierlicher machen als die kurzfristige Spekulation. Gerade wenn einem daran gelegen ist, real wirtschaftliche Investitionen auch im eigenen Lande zu fördern, um Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen, kommt man an der Reregulierung der Kapitalmärkte überhaupt nicht vorbei. Technisch ist die Einführung einer solchen Steuer überhaupt kein Problem. Sie ist ein politisches Problem, weil - wie Vorrednerinnen und Vorredner schon gesagt haben - die Bundesregierung und einige andere westeuropäische Regierungen noch immer an dem neoliberalen Kredo der völligen Deregulierung festhalten. Ich prophezeie Ihnen: Wenn heute nicht - zumindest in Maßen - auf internationaler Ebene - nicht auf nationaler Ebene - rereguliert wird, dann wird es in zehn oder zwanzig Jahren einen Zwang zur Formierung und Reregulierung geben, wie Sie sich ihn heute noch gar nicht vorstellen können. Heute ist noch Zeit für weiche Steuerungsinstrumente, die gleichwohl griffig sind. Wir fordern in unserem Antrag dazu auf, daß sich die Bundesregierung in die Phalanx derer einreiht, 1 die ein solches Instrument international durchsetzen wollen. Wir sind skeptisch gegenüber einzelnen Formulierungen im PDS-Antrag, die im Moment die internationale Diskussion auf zu konkrete Vorschläge verengen. Gerade dann, wenn es um Außenpolitik geht, sollte man zwar eine Zielrichtung anstreben; dennoch sollte man Verhandlungen nicht dadurch verkomplizieren, daß man den Bundestag über Modelle und einzelne Ideologeme abstimmen läßt. Wenn sie mir auch im einzelnen sympathisch sind, so denke ich doch, daß das der Diskussion nicht unbedingt weiterhilft. Wir haben einen Antrag eingebracht, der den, den wir hier schon vor drei Jahren gestellt haben, weiterentwickelt. Ich hoffe, daß wir eine intensive Diskussion über die Tobin-Steuer und über weitere Möglichkeiten von Reregulierung bekommen; denn eines ist klar: Die Tobin-Steuer allein kann dies nicht erreichen. Sie ist aber ein Einstieg in diese längst überfällige Debatte. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gisela Frick. ({0}) - Entschuldigung. Auch Sie haben zu Protokoll gegeben.*) Das nehmen wir, glaube ich, gerne zur Kenntnis. ({1}) Damit bin ich schon am Schluß der Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/9337 und 13/9597 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner und der Gruppe der PDS Bedarfsgerechte und gebührenfreie Auszahlung von Lohnersatzleistungen wiederherstellen - Drucksache 13/9592 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, die wir aber sicher nicht brauchen; denn die Abgeordneten Annelie Buntenbach, Renate Jäger, Gisela Babel und Franz Romer bitten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen. Auch damit sind Sie sicher einverstanden. - Das ist der Fall.* ) Ich rufe jetzt die Abgeordnete Dr. Heidi Knake-Werner auf.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Redezeit gern in Anspruch nehmen; denn es passiert nicht so häufig, daß ein Dringlichkeitsantrag der PDS tatsächlich noch am selben Tag auf die Tagesordnung kommt. Das hat uns etwas überrascht; aber was diesem Manöver heute morgen zugrunde lag, haben wir natürlich schon durchschaut. Es geht uns um ein Problem, das ganz aktuell durch die Änderungen des SGB III zustande gekommen ist. Wir haben mit der Situation zu tun, daß Hunderttausende arbeitslose Männer und Frauen jetzt, im Januar 1998, von dieser kleinen, aber sehr ärgerlichen Neuregelung betroffen sind. Sie erhalten nämlich ihre Leistungen - Arbeitslosengeld - künftig nur noch monatlich ausgezahlt. Die Bundesregierung will dabei Gebühren und Zinskosten sparen, und sie bürdet den Arbeitslosen neue Kosten auf. Im einzelnen handelt es sich um zwei Punkte: Erstens. Seit dem 1. Januar werden von den Arbeitsämtern bei einer Barauszahlung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe nicht mehr die Gebühren übernommen, sondern gleich von der Leistung einbehalten. Nach Auskunft des Landesarbeitsamtes *) Anlage 3 * *) Anlage 4 Hessen sind das 28,80 DM bei einer postbaren Auszahlung und 14 DM monatlich bei einer Zahlungsanweisung. Betroffene sind nach Einschätzung des Katholischen Verbandes für soziale Dienste in Deutschland bis zu 500 000 Menschen, und zwar in der Regel nicht, weil sie aus freien Stücken zu dieser Barauszahlung übergehen, sondern weil ihnen von den Kreditinstituten die Einrichtung eines Girokontos verweigert wird. Auch dieses Problem ist Ihnen hinreichend bekannt. Dazu hat unter anderem auch die PDS bereits einen Antrag zur Schaffung eines Rechts auf ein Girokonto hier im Plenum eingebracht, der mit Mehrheit der Regierungskoalition abgelehnt worden ist. Wir halten das für einen sozialpolitischen Skandal und außerdem wirklich für einen Verstoß gegen die Würde der Arbeitslosen, die, weil sie kein Girokonto haben, nun auch noch mit zusätzlichen Kosten und Gebühren belastet werden. Das muß schnellstmöglich geändert werden. ({0}) Zweitens erhielten gestern mehrere hunderttausend arbeitslose Frauen und Männer nicht mehr ihre zweiwöchentliche Überweisung des Arbeitslosengeldes bzw. der -hilfe. Im Rahmen der Umstellung auf den monatlichen Zahlungsrhythmus werden davon in Zukunft noch viel mehr betroffen sein. Sicher nicht für alle, aber für die übergroße Mehrheit der Arbeitslosen bedeutet diese Umstellung auf monatliche Zahlung eine unbotmäßig große finanzielle Härte. ({1}) Auf ein Schreiben an den Arbeitsminister Blüm bekamen wir die Antwort, daß künftig in den ersten Tagen des Folgemonats gezahlt wird. Was das heißt, weiß eigentlich jeder: Dann müssen die Miete und weitere laufende Kosten abgebucht sein. Die Folge sind Überziehungszinsen oder Zinsen für Kredite, also weitere Belastungen für Arbeitslose. Verschiedene Interessenvertreter und einzelne Arbeitslose - Sie alle werden inzwischen Briefe bekommen haben - haben uns auf diesen Zahlungsnotstand hingewiesen und dringend um eine Umstellung gebeten. Bei den meisten Arbeitslosen klafft eine Lücke von 14 Tagen, die sie überbrücken müssen. Wie sie das tun sollen, ist wirklich eine große Frage. Sie alle wissen: Die Arbeitslosen haben in der Regel keine Notpolster ansammeln können. Die Möglichkeit, auf Nachweis einer „unbilligen Härte" - so heißt es im Brief des Ministers - Abschlagszahlungen zu erhalten, ist völlig unzureichend, zumal - auch dazu haben wir inzwischen eine Menge Briefe bekommen - die meisten Arbeitsämter diese unbillige Härte ablehnen und überhaupt nicht bereit sind, schnell und unbürokratisch zu zahlen. Einer Notlage damit zu begegnen ist einfach völlig unzulänglich. Außerdem richtet es sich gegen die Würde der Menschen, wenn sie nun auch noch nachweisen sollen, daß sie in einer Notlage sind. Es ist eine gesetzliche Grundlage geschaffen worden, die sie in diese Notlage gebracht hat. ({2}) Der Deutsche Städtetag berichtet, daß Arbeitslose inzwischen von den Arbeitsämtern an die kommunalen Sozialämter verwiesen werden, die nun zuständig seien. Das ist typisch. Das ist wiederum eine Situation, in der die Kommunen mit den Folgen der Arbeitslosigkeit und den Folgen der Gesetze, die hier von der Koalition gemacht werden, belastet werden. Das Arbeitsamt Berlin gibt noch einen ganz heißen Tip. Es teilt den Arbeitslosen nämlich mit: Die Betroffenen sollten doch erst einmal ihre persönliche Habe, wie zum Beispiel Fernseher, verpfänden. Ich finde das ganz schön makaber und ({3}) unerhört in bezug auf die Lage von Arbeitslosen. Wir wollen erreichen, daß es auf Wunsch der Arbeitslosen wieder zu einem zweiwöchentlichen Zahlungsrhythmus kommen kann und daß Abschlagszahlungen unbürokratisch und ohne größere Anträge geleistet werden. Ich will noch einmal ausdrücklich sagen: Es geht hier nicht um Menschen, die ein monatliches Einkommen von 5000 DM netto haben und durchaus in der Lage sind, finanzielle Engpässe zu überbrücken. Wir reden hier vielmehr über Einkommen am Existenzminimum. Ein Viertel der Arbeitslosengeldbezieher und -bezieherinnen erhielt 1997 monatliche Leistungen unter 1000 DM. Bei den Arbeitslosenhilfeempfängern und -empfängerinnen sind es zwei Drittel, die mit solchen monatlichen Beträgen auskommen müssen. Die Probleme, die bei diesen Menschen geschaffen werden, stehen finanziell, sozial und moralisch in keinem Verhältnis zu den Einsparungen an Zinskosten und Gebühren bei der Bundesanstalt für Arbeit. Wir meinen, daß der Bundestag die Möglichkeit und auch die moralische Pflicht hat, diese Situation zu ändern, und zwar sofort. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache und gehe davon aus, daß jetzt überwiesen wird. - Frau Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin, wir widersprechen der Überweisung. Wir möchten, daß über den vorliegenden Vorschlag sofort abgestimmt wird. Ich denke, die Rechts- und Sachlage ist klar. Sie ist eindeutig. Die Dringlichkeit ist begründet worden. Insofern ist, denke ich, für jeden nachvollziehbar, was mit diesem Antrag tatsächlich passieren soll. Wir bitten um sofortige Abstimmung.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es ist sofortige Abstimmung beantragt worden. Das heißt, wir stimmen jetzt ab, ob überwiesen wird oder ob sofort abgestimmt wird. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Wer stimmt dem Vorschlag zu, den Antrag zu überweisen? - Wer stimmt dagegen und ist für sofortige Abstimmung? - Wer enthält sich? ({0}) Das Präsidium ist sich einig - wir haben sogar gezählt -, daß die Mehrheit für die Überweisung gestimmt hat. Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und der Gruppe der PDS ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 16. Januar 1998, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.