Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/28/1997

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet. Zunächst teile ich zur Tagesordnung mit, daß im Zusammenhang mit der heutigen zweiten und dritten Beratung des 3. Verjährungsgesetzes unter Tagesordnungspunkt IX. b weitere Vorlagen aufgeführt sind, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschließend beraten werden können. Daher sollen sie nach einer interfraktionellen Vereinbarung abgesetzt werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Ich rufe die Tagesordnungspunkte VI. 1 bis 5 auf: 1. Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1998 ({0}) - Drucksachen 13/8200, 13/8883, 13/9001 bis 13/9025, 13/9026, 13/9027 2. Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1997 ({1}) - Drucksachen 13/8199, 13/8803, 13/9029 3. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({2}) - zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1993 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes ({3}) - zu der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1995 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung ({4}) - Drucksachen 13/867, 13/2600, 13/7215 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Pützhofen Uta Titze-Stecher 4. Beratung der Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1997 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung ({5}) - Drucksache 13/8550 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuß ({6}) Auswärtiger Ausschuß Innenausschuß Finanzausschuß Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Verteidigungsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung 5. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({7}) zu dem Antrag der Präsidentin des Bundesrechnungshofes Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1996 - Drucksachen 13/6928, 13/8758 -Berichterstattung: Abgeordnete Rudolf Purps Wilfried Seibel Oswald Metzger Dr. Wolfgang Weng ({8}) Es liegen sechs Entschließungsanträge vor. Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über das Haushaltsgesetz namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so. Ich eröffne die Aussprache. Als ersten Redner rufe ich den Kollegen Helmut Wieczorek auf.

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guten Morgen, Frau Präsidentin! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Tag der Haushaltsberatungen ist es an der Zeit, eine Bilanz dessen zu ziehen, was wir in dieser Woche hier im Plenum und in den letzten Wochen im Ausschuß getan haben. Wenn man die zurückliegenden Beratungen im Ausschuß verfolgt, könnte man bei oberflächlicher Betrachtung sagen, daß sie sich nicht sehr von denen der vergangenen Jahre unterschieden. Bei etwas genauerer Betrachtung wurde aber doch relativ schnell deutlich, daß insbesondere die Koalition gelegentlich Mühe hatte, deutlich erkennbare Motivationsmängel zu kompensieren, war doch allen klar, daß ein wesentlicher Teil der Beratungen insoweit obsolet war, als er durch das Ergebnis der Steuerschätzung vom 11. November überholt werden würde. Das galt nicht für die kleineren Einzelpositionen, um die, genau wie in jedem Jahr, gerungen wurde, sondern mehr für die großen Eckpunkte, deren Beratung regelmäßig bis zur Bereinigungssitzung verschoben wurde. Schon dieser Zeitablauf, der die Frage nach der Seriosität der Beratungen aufwarf mündete aus meiner Sicht folgerichtig in den Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen, die Haushaltsberatungen so lange auszusetzen, bis die Ergebnisse der Steuerschätzung vorliegen. ({0}) Die SPD-Fraktion hatte sich diesem Antrag angeschlossen. Bei der Koalition war keine Veränderung der Grundhaltung zu sehen, die da hieß: Augen zu und durch. Meine Damen und Herren, die Fülle der Änderungsanträge im Haushaltsausschuß - man muß sich das einmal vorstellen: zirka 700 Anträge - war ein Grund dafür, daß die Beratungen manchmal unübersichtlich wurden. Ein weiterer, politisch gewiß wesentlich bedeutsamerer Grund für die Unübersichtlichkeit war die häufige Uneinigkeit in der Koalition, die zu Auseinandersetzungen in der Koalition führte. Diese wurden zwar so ausgetragen, daß nach Möglichkeit die Öffentlichkeit nichts davon hörte, waren aber deutlich erkennbar. Daß die Beratungen in einer solchen Situation nicht aus dem Ruder liefen, war sicherlich der disziplinierten Arbeit der Obleute zu verdanken: der Kollegen Adolf Roth, Karl Diller, Wolfgang Weng und Oswald Metzger, aber auch von Frau Christa Luft, die für die PDS in gleicher Funktion gearbeitet hat. Ich danke den Obleuten, und in diesen Dank schließe ich natürlich auch meinen Vertreter Bartholomäus Kalb ein, der immer dann eingesprungen ist, wenn es an der Zeit war. ({1}) Danken möchte ich natürlich auch den vielen Beamten aus den Haushaltsabteilungen der Ressorts und insbesondere den Mitarbeitern des BMF, die die Ausschußbeschlüsse ja auch administrativ umsetzen mußten. ({2}) Daß mein besonderer Dank und meine Anerkennung dem Ausschußsekretariat zukommen, dessen Mitarbeiter auch die diesjährigen Beratungen gut über die Runden gebracht haben, versteht sich von selbst. ({3}) Um Ihnen die Dimension der Arbeit des Sekretariats vor Augen zu führen, will ich Ihnen nur eine Zahl nennen. Unser Umdruckapparat steht seit den Haushaltsberatungen bei der Textziffer 122000. So viele Einzelblätter sind im Ausschußsekretariat umgedruckt und hoffentlich auch von allen gelesen worden. ({4}) Meine Damen und Herren, bereits vor der parlamentarischen Sommerpause hat der Ausschuß beschlossen, seine diesjährigen Haushaltsberatungen mit einer öffentlichen Anhörung zum Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz zu beginnen. Ich habe diesen Gedanken einer Anhörung zu diesem auf den ersten Blick und für Nichtfachleute vielleicht gar nicht so spektakulären Gesetzentwurf von Beginn an deshalb sehr unterstützt, da ich das Gefühl hatte, daß auch wir nicht alle die politische Brisanz der dort vorgesehenen Änderungen erkannt haben. Dieses Thema ist aber schon deshalb für uns von Interesse, da wir doch alle in zunehmendem Maße verspüren, daß sich das Kräfteverhältnis zwischen Legislative und Exekutive mehr und mehr verschiebt. Dies hat - und die nachdenklichen Köpfe in der Koalition werden mir hier nicht widersprechen - natürlich mit der zunehmenden Kraftlosigkeit der Mehrheit auf der rechten Seite des Hauses zu tun. ({5}) Nun hilft es nicht sonderlich, eine solche Kräfteverschiebung zu konstatieren, sondern wir alle sind aufgerufen gegenzusteuern. Dies aber setzt - Sie wissen, ich neige gelegentlich zu analytischen Betrachtungen - eine kritische Überprüfung der eigenen Position voraus. Wir alle müssen uns fragen, ob wir die uns eingeräumten Rechte auch kraftvoll und machtbewußt anwenden und mithin unsere Rechte gegenüber der Regierung selbstbewußt wahrnehmen. Dazu gehört eine ständige Überprüfung unseres eigenen Selbstverständnisses. Tun sich hier Schwächen auf, so ist es doch naturgemäß so, daß sich die Exekutive in geradezu mathematisch-logischer Folge Schwächen des Parlamentes zunutze macht. Helmut Wieczorek ({6}) Der Begriff der Gewaltenteilung - darüber muß man nicht lange herumphilosophieren - hat etwas mit Macht, dem Willen und dem Anspruch, diese auszuüben, zu tun. Wenn wir uns gegebene Kompetenzen nicht ausfüllen, dürfen wir nicht erstaunt sein, wenn die Exekutive versucht, uns mit ihrem schon von der Manpower her viel umfangreicheren Sachverstand in die Ecke zu drängen. ({7}) Dazu gehört unter anderem, gelegentlich gegenüber der Regierung mit einer Stimme des Parlaments zu sprechen. ({8}) Meine Damen und Herren, dazu gehört auch, daß Anträge nicht deshalb abgelehnt werden, weil sie von der Opposition kommen, ({9}) obwohl sie erkennbar und zugegebenermaßen vernünftig sind. ({10}) Meine Damen und Herren, ist es nicht so, daß immer dann von parlamentarischen Sternstunden die Rede ist, wenn sich die Grenzen zwischen Koalition und Opposition verschieben oder verwischen und die Grenzen zwischen Parlament und Regierung deutlich werden? Lassen Sie mich bei diesem Aspekt noch einen Moment verweilen. Seit Beginn dieser Legislaturperiode habe ich sehr darauf hingewirkt, daß wir den § 96 unserer Geschäftsordnung wieder mehr in unsere parlamentarischen Beratungen einfließen lassen und ihn beachten. Mit diesem § 96 ist dem Haushaltsausschuß ein Instrument an die Hand gegeben, das als scharfes Schwert des Parlamentes gegenüber der Regierung wirken kann. Ich will nicht verhehlen, daß die Koalition die Möglichkeiten des § 96 der Geschäftsordnung fast begraben hat. Hierdurch sind Sie und wir alle für unsere jetzige schwierige finanzpolitische Situation mitverantwortlich geworden. Rechtlich hätte uns das vorhandene Instrumentarium - selbstbewußt genutzt - nicht nur nicht daran gehindert, sondern nachgerade dazu verpflichtet, der Regierung auf einem finanzpolitisch nicht vertretbaren Weg nicht zu folgen. Insofern, meine Damen und Herren, tragen Sie und wir alle Mitverantwortung für die jetzige Situation, wobei die deutsche Einheit, und das will ich hier ganz offen sagen, eine spezifische Behandlung verdiente. Daß es aus meiner Sicht besser gewesen wäre, die deutsche Einheit nicht über Staatsverschuldung zu finanzieren und aufgelaufene Schulden mit Zinsen bedienen zu müssen, das wissen Sie. Auch an dieser Stelle ist es notwendig, im Sinne der intellektuellen Redlichkeit darauf hinzuweisen, daß wir uns selbst mit unserer Argumentation in eine Schieflage bringen, wenn wir das neue Deutschland mit den Instrumenten und Maßstäben der alten Bundesrepublik messen. ({11}) Mir kommt in der ganzen Diskussion zu kurz, daß das neue Deutschland auch Zukunftsperspektiven hat, die weiterentwickelt werden müssen. ({12}) Unser vordringliches Ziel muß es sein, die Maßstäbe wieder in Ordnung zu bringen, die nicht nur Schulden und Nettokreditaufnahme heißen, sondern vor allen Dingen auch die Bruttowertschöpfung beinhalten müssen. Hier ist unser Ansatzpunkt, wobei wir gleiche Lebensverhältnisse im gesamten Land herbeiführen müssen. ({13}) Denn gerade wenn man die Fragen der deutschen Einheit und die Kriterien der Finanzierung redlich beleuchtet, muß man feststellen, daß bei aller Kritik an der Art der Finanzierung der deutschen Einheit kein Platz für Selbstgerechtigkeit ist, egal, von welcher Seite sie kommt. Meine Damen und Herren, wenn wir kraftvoll und selbstbewußt unsere Rechte wahrnehmen - und ich möchte damit zur Änderung des Haushaltsrechts zurückkommen -, scheint mir eine Einschränkung unserer Rechte an anderer Stelle erträglich zu sein, wenn die Exekutive vernünftige und sachgerechte Gründe hat, auf Änderungen hinzuwirken. Die Darstellung von bloßen Aufgabenschwerpunkten im Rahmen eines Haushaltes als perspektivisches Ziel bedeutet eine andere Beratung und damit auch eine andere Art der Einflußnahme. Wir werden uns mit der Frage von Zieldefinitionen auseinanderzusetzen haben. Dem Begriff Aufgabenüberprüfung, nämlich der Frage, ob eine Aufgabe überhaupt noch einen Sinn hat, wird eine vollkommen neue Bedeutung zukommen. Wir beraten einen Haushalt letztmalig auf der Basis des jetzigen Haushaltsrechtes. An dieser Stelle, meine Damen und Herren, drängt es sich auf, ein paar Worte zum Bundesrechnungshof zu sagen, wenigstens ein paar Anmerkungen zu machen. Auf den Bundesrechnungshof kommt in diesem Zusammenhang auch eine geänderte Aufgabe zu. Wenn sich der Hof künftig im Rahmen seiner Vorprüfung von den bloßen Ordnungsmäßigkeitsüberprüfungen - so heißt dieses schlimme Wort - entfernt und primär Wirtschaftlichkeitsüberlegungen anstellt, ist das ein guter Weg. Querschnittlich angelegte Kriterien bei der Überprüfung werden eine bessere Beurteilung des Bundeshaushaltes in toto möglich machen. Von daher habe ich die Hoffnung, daß der Bundesrechnungshof diese Chance, die Finanzkontrolle zu stärken, auch nutzen möge. Mit der Wertung politischer Grundannahmen sollte sich der Hof jedoch zurückhalten. Helmut Wieczorek ({14}) Es kommt darauf an, meine Damen und Herren, die Dinge nicht nur im nachhinein zu überprüfen, sondern bereits im Vorfeld transparent zu machen, Risiken aufzuzeigen und dem Parlament Hilfestellung zu geben. ({15}) Der Bundesrechnungshof muß sich zu einem Controlling-Instrument des Parlaments entwickeln. ({16}) Damit, meine Damen und Herren, bin ich bei einem neuen Stichwort, das mir sehr am Herzen liegt, der Reform der Finanzverfassung. Ich habe schon vor vier Jahren hier im Hause versucht, dieses Thema zu problematisieren. Für mich persönlich ist eine grundlegende Überarbeitung unserer Finanzverfassung das größte Anliegen seit der Wiedervereinigung. Dabei bin ich mir vollkommen dessen bewußt, daß eine neue Finanzverfassung davon auszugehen hat, daß die heutigen Verhältnisse überholt sind. Das bedeutet, daß ich nicht nur die Verteilung der Finanzmasse neu ordnen muß, sondern auch die Verteilung der Aufgaben im Staat neu zu strukturieren habe. Daß dies eine geradezu historische Aufgabe sein wird, liegt auf der Hand. Sie muß angegangen werden, weil wir sonst in eine Sackgasse laufen. Hierzu bedarf es des Mutes und der Kraft. Mut und Kraft sind auch die Stichworte, die mich zu Überlegungen hinsichtlich eines anderen Themenkreises bringen. Mir macht - ich glaube, genauso wie Ihnen - die Frage große Sorgen, wie es weitergehen soll, wenn die Hektik der Auseinandersetzung zwischen den Parteien nach der nächsten Wahl nicht mehr das Handeln bestimmt. Ich rechne damit, daß wir zu einem Paradigmenwechsel, zu einem Umsteuern in der gesamten Finanzpolitik kommen müssen. Dabei wird die Frage, wie wir wieder zu politischen Handlungsspielräumen kommen können, trotz der ungeheuren Vorbelastungen im Mittelpunkt stehen. Ich will Ihnen heute kein Rezept dafür geben, obwohl ich Vorstellungen habe, wie man es machen könnte; denn ich glaube, daß diese Vorstellungen im Moment noch von allen Seiten derart in kleinkarierten Diskussionen im Rahmen der Wahlauseinandersetzung zerpflückt würden, so daß ich mir ersparen möchte, heute darauf einzugehen. Sie können sich aber darauf verlassen, daß wir für unseren Teil sehr wohl Vorstellungen haben, wie wir den Staat wieder zu einer gestalterischen Kraft machen können. ({17}) Ich möchte gerne noch über Reformen sprechen, weil sie mir sehr am Herzen liegen. Aber es wird immer schwerer, seriös über das Thema Reformen in unserer Gesellschaft zu reflektieren. Was mir in diesem Zusammenhang große Sorgen macht, ist die ritualisierte Oberflächlichkeit unserer Politik. Anstatt Gedanken und Ideen zu überprüfen, zu hinterfragen und abzuwägen, wird gelegentlich sofort - man glaubt fast: aus dem Handgelenk - eine Stellungnahme mit dem Ziel produziert, eine Schlagzeile zu machen, und nicht mit dem Ziel, das Problem seriös anzugehen. ({18}) Wenn ein junger Mensch als Volontär oder als Praktikant in eine Redaktion kommt, dann lernt er in den ersten Stunden, daß sich die wesentlichen Dinge, die ein Journalist beherrschen muß, in drei Worte zusammenfassen lassen: wer, wann, wo? Diese drei Worte sind Grundlage und Bedingung für die Vollständigkeit und Seriosität einer Nachricht. ({19}) Auf uns übertragen würde ich sehr empfehlen, diese drei Worte durch folgende zu ersetzen - das wäre auch für Sie, Herr Kollege Dr. Weng, ganz gut -: warum, weshalb, wieso? Ich gebe zu, daß analytisches Denken nicht unbedingt jedermanns und jeder Frau Sache ist; aber es ist eine Voraussetzung für gestalterische Politik. Da in dieser Woche die Tendenzen des CSU-Parteitages hier angesprochen und diskutiert worden sind, muß ich sagen: Mich hat es ungeheuer getroffen, was auf diesem Parteitag in aller Öffentlichkeit diskutiert wurde. ({20}) Es war der ernsthafte Versuch, Kollege Riedl, eine Region aus dem Solidarverband einer Nation zu lösen. ({21}) Konkret bedeutet das: Die Bayern sollen einen anderen Beitrag zu den sozialen Sicherungssystemen als zum Beispiel die Berliner bezahlen. Bei dieser Gelegenheit muß ich fragen: Was ist denn eigentlich Solidarität? Was verstehen die Menschen heute darunter? Ich gebe ja zu, daß sich dieses Wort in der letzten Zeit abgenutzt hat. Genauso wie das Wort Toleranz wird es immer von denen gebraucht, die von anderen etwas haben wollen. Es wird aber nicht von denen gebraucht, die etwas geben müssen. Solidarität ist nie eine Einbahnstraße, sondern beinhaltet immer eine Zweigleisigkeit. ({22}) Ich bitte alle unsere Kollegen sehr darum, dann, wenn sie das Wort Solidarität gebrauchen, wieder Helmut Wieczorek ({23}) zur ursprünglichen Bedeutung des Wortes zurückzukommen. ({24}) Solidarität muß aufrechterhalten werden. Menschen in einem Land, die von ihrer gewählten Obrigkeit - das sage ich jetzt ganz bewußt - in eine Entsolidarisierung getrieben werden, werden in eine Ich-Bezogenheit getrieben, die wir insgesamt als verwerflich bezeichnen müssen. Diese Gesellschaft kann nur leben, wenn sie zu einem Verhalten des solidarischen Ausgleichs findet. ({25}) Wir werden die Spannungen sonst nicht aushalten. Wir dürfen die Menschen nicht bewußt in eine solche Spannungslage hineintreiben. ({26}) Hier tut sich eine ganz schlimme Entwicklung auf. Im Ruhrgebiet würde man sagen - Sie mögen mir verzeihen -: Es sind verkommene Sitten. Aber das sage ich hier natürlich nicht. ({27}) Lassen Sie mich zu den Reformen zurückkommen, die ich eigentlich ansprechen wollte. Es muß die Frage erlaubt sein, welchen großartigen und umwälzenden strukturellen Veränderungen dieser moderne Begriff zugeordnet wird. Wir reden von Gesundheitsreform, Bildungsreform, Rentenreform und Steuerreform. Ich könnte noch einige aufzählen. Was versteckt sich dahinter wirklich? Ist es nicht so - man kann es nicht oft genug anprangern, auch wenn es sich allmählich banal anhört -, daß sich angeblich alle Verantwortlichen darüber im klaren sind, daß unsere Gesellschaft vor riesigen Herausforderungen steht und echte Reformen benötigt? Aber was tun wir? Muß man nicht den Eindruck haben, als ob sich hinter der Gesundheitsreform primär die Zuzahlung durch die Patienten verbirgt? Denkt man bei der Bildungsreform nicht nur an die Wiedereinführung von Studiengebühren? Ist nicht das einzige Thema der Rentenreform die Höhe des Beitragssatzes? Gilt es hier nicht primär, sich ehrlich, offen und nüchtern mit unserer demographischen Entwicklung und deren Konsequenzen für die Zukunft auseinanderzusetzen? ({28}) Denken wir ausreichend darüber nach, welche Veränderungen in der Vergangenheit dieses System belastet haben? Darauf komme ich gleich noch zurück. Ist es eigentlich ausschließlich Sinn einer Steuerreform, die Reichen weitgehend ungeschoren zu lassen und die Ärmeren in unserer Gesellschaft dafür noch etwas mehr zu belasten? ({29}) Warum wird das Thema Erbschaftsteuer so zurückhaltend diskutiert? ({30}) Liegt es nur an der bevorstehenden Bundestagswahl? - Die Liste der Beispiele ließe sich endlos fortführen, und Sie von der Koalition wissen doch, daß ich weitgehend recht habe. Wir kennen die Gegenargumente und wissen, daß sich die politisch Verantwortlichen in immer stärkerem Maße hinter den immensen Haushaltszwängen verstecken und behaupten, schon deshalb könnten Reformen nicht vorankommen. Aber macht man es sich nicht viel zu einfach, wenn man mit diesen Argumenten auf die gestalterische Rolle der Politik verzichtet? Ist es nicht nachgerade so, daß der Staat in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mutig und kraftvoll neue Wege beschreiten, seine Aufgaben weitgehend überprüfen und all das abbauen sollte, was nicht notwendig ist? Wir brauchen auch die Entwicklung radikaler Lösungsansätze. Dies ist unsere vornehmste Pflicht, auch unsere Verpflichtung gegenüber kommenden Generationen. Denn dies ist die Aufgabe der Politik, die nicht nur das Heute, das Jetzt gestalten darf. Wir aber bewegen uns nach wie vor in alten Strukturen und nehmen allenfalls Retuschen am System vor. Wirkliche Reformen müssen sich mit den Grundlagen des Systems auseinandersetzen, also mit der Frage, wie und unter welchen Rahmenbedingungen dieses System eigentlich entstanden ist. Ich erinnere daran, daß die Grundlagen unseres Steuersystems aus der Mitte der 50er bis Mitte der 60er Jahre stammen. Damals gab es Vollbeschäftigung, ja, Überbeschäftigung. Aus der Tatsache, daß es damals sogar mehr Arbeit als Arbeitskräfte gab, haben wir seinerzeit ein System entwickelt, das nicht berücksichtigt, daß irgendwann einmal eine erhebliche Zahl von Arbeitssuchenden auf uns zukommen könnte. In den ersten Jahrzehnten unserer Republik waren die umwälzenden technologischen Fortschritte nicht absehbar. Die in diesem Jahrzehnt eingetretenen historischen Veränderungen waren von niemandem vorhersehbar. Gleichwohl haben wir weitgehend alles beim alten gelassen. Muß es nicht eine dringende Warnung sein, schon fast ein SOS-Zeichen, wenn immer mehr deutsche Unternehmen ihren Produktionsstandort überprüfen? Da die Globalisierung ständig zunimmt, muß der Standort Deutschland zwingend seine Wettbewerbsfähigkeit steigern, zum Teil erst wiederherstellen. ({31}) Das haben wir in dieser Woche von allen Seiten einige Male gehört. Helmut Wieczorek ({32}) Ist das nicht aber auch ein Teil unseres Steuersystems? Ich meine nicht die Steuertarife - nicht, daß wir uns hier mißverstehen. ({33}) Es ist doch ein absolutes Unding ({34}) - hören Sie gut zu -: In unserem Steuerrecht haben wir 400 Bestimmungen, die den Einsatz von Kapital in einem Unternehmen begünstigen; wir haben aber keine einzige Bestimmung, die den Einsatz von Menschen im Betrieb belohnt. Glauben Sie nicht auch, daß unserem Steuerrecht eine andere Philosophie zugrunde liegt als die, die wir heute benötigen? ({35}) Meine Damen und Herren, wie schwer tun wir uns bei diesem Thema, obwohl wir uns doch alle einig sind, daß die Arbeitslosigkeit das gravierendste Problem in unserer Gesellschaft ist. Warum war dies nicht Anlaß, unser System radikal, das heißt an die Wurzel gehend, zu ändern? Meine Damen und Herren, eine Steuerreform muß da ansetzen, wo sie im Interesse der Gesamtheit der Menschen in unserem Lande nötig ist. Es kann nicht darum gehen, primär eine Nettoentlastung bestimmter Steuerzahlergruppen herbeizuführen, sondern es muß darum gehen, die Interessen der Allgemeinheit zu befriedigen. Der Steuerzahler und der Steuerverteiler sind eine Einheit, die die Notwendigkeiten in einem Staat auszugleichen hat. Darum sehe auch ich persönlich bei der Neuordnung unseres Systems überhaupt keine Spielräume für eine Nettoentlastung. Es ist doch ein Unding, wenn wir die Nettoentlastung einzelner Bereiche oder Bevölkerungsgruppen durch zusätzliche Schulden, die Verpflichtung und Hypothek für kommende Generationen sind, finanzieren müssen. ({36}) Meine Damen und Herren, daß die Grenzen unseres heutigen Systems überschritten sind, geht aus einem Vergleich hervor, den ich hier im Deutschen Bundestag kaum anzusprechen wage, nämlich dem Vergleich der veranlagten Einkommensteuer in der Bundesrepublik Deutschland mit der Biersteuer. Ich hätte nie für möglich gehalten, daß die veranlagte Einkommensteuer, also die Steuer, die Menschen gehobener Einkommensklassen zahlen, die ihre Steuern nicht über eine Steuerkarte abführen, in Deutschland zu einer vernachlässigbaren Größe verkommen würde. Daß die Biersteuer in NordrheinWestfalen mittlerweile bei 250 Millionen DM und die veranlagte Einkommensteuer unter 250 Millionen DM liegt, kann man keinem in diesem Lande mehr erklären. Das ist ein Unding! ({37}) - Herr Dr. Schäuble, Sie wissen doch genau, daß die Grenzen unseres Systems - und darauf will ich hinaus - seit langem überschritten sind. Sie wollen es nur nicht zur Kenntnis nehmen; das ist der Punkt. ({38}) Ich denke, daß unser Steuersystem - in Systemen zu denken fällt gelegentlich demjenigen schwer, der nur in Tarifen zu denken gewohnt ist - wirklich neu gestaltet werden muß. Ich erspare es Ihnen auch nicht, noch einmal auf die Rentenreform zurückzukommen. Natürlich ist es für jeden einleuchtend, daß sich unser System ändern muß, wenn die Menschen infolge des demographischen Wandels durchschnittlich immer älter werden und damit länger Rente beziehen. Natürlich ist auch einsichtig, daß immer weniger Beschäftigte nur bis zu einer bestimmten Größenordnung im Rahmen des Generationenvertrages belastet werden können. Das bedeutet, daß dies bei einer Änderung des Vertrages für lohnabhängige Beschäftigte auch Auswirkungen auf die Unternehmer haben muß. Es kann doch nicht angehen - diese Frage wird von Ihnen überhaupt nicht angesprochen -, daß die Unternehmer, die den Menschen nicht durch Maschinen oder Computer ersetzen können oder wollen, auf Grund unseres sozialen Sicherungssystems oder auf Grund unseres starren Steuersystems Lasten solcher Unternehmer mittragen müssen, die sich von der Solidarverantwortung der Unternehmer gelöst haben. ({39}) Es kann doch nicht sein, daß sich ein Unternehmen, das in den 60er und 70er Jahren Leistungen der sozialen Sicherungssysteme verursacht hat, durch Kapitalinvestitionen von seiner Beitragspflicht abkoppelt, sich von ihr freimacht und die Beitragsleistung denjenigen Unternehmen überläßt, die sich solidarisch fühlen. Willy Brandt hat einmal vor zehn, zwölf Jahren gesagt: Ich bin froh darüber, daß der Computer und der Automat den Menschen die Arbeit erleichtern. Ich hoffe nur sehr, daß diese Computer und Automaten demnächst auch Teile unserer Rentenversicherung mitbezahlen. - Da hat er recht gehabt. Ich schließe mich dem ausdrücklich an. ({40}) Ich vermisse auf allen Seiten dieses Hauses eine wirkliche Aufbruchstimmung, wenn es darum geht, diese Fragen zu lösen. Es geht nicht nur um die Beitragszahlenden, sondern auch darum, wer die Lasten verursacht hat. Deshalb glaube ich, daß wir eine SoliHelmut Wieczorek ({41}) dargemeinschaft der Unternehmer einklagen müssen und einen Generationenvertrag der Unternehmer untereinander. ({42}) Bei gleichem Umsatz müssen Unternehmen auch die gleichen Lasten aus den sozialen Sicherungssystemen tragen. ({43}) Ich könnte Ihnen dafür massenhaft Beispiele bringen, die Sie aber wahrscheinlich nicht hören wollen. Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß Sie mir den engagierten Exkurs verzeihen. Aber als Abgeordneter aus dem Ruhrgebiet weiß ich natürlich, wovon ich rede: Diese Fragen haben für uns in keiner Weise nur theoretischen Wert; sie haben unmittelbare Auswirkungen auf die Menschen in unserer Region. Das Thema Arbeitslosigkeit gehört nicht nur für einen Sozialdemokraten, sondern für jeden von uns an die erste Stelle, wenn es darum geht, zu fragen, welches Problem am dringlichsten zu lösen sei. Dazu gehören Mut und Ehrlichkeit. Aber was geschieht? - Schon heute, da wir das Haushaltsgesetz für das nächste Jahr verabschieden, ist jedem von uns weitgehend klar, daß die in ihm enthaltenen Ausgaben für die Finanzierung der Arbeitslosigkeit wiederum nicht ausreichen. Gleichzeitig legen Sie uns einen Entschließungsantrag vor, mit dem Sie die Bibliotheken der Universitäten angeblich besser ausstatten wollen. Jeder von Ihnen weiß, daß dieser Antrag eine Luftbuchung ist, weil sich die Position nicht im Haushalt wiederfindet. ({44}) Sie wecken bei den Menschen Hoffnung, hoffen aber selbst darauf, daß die Länder ihren Anteil nicht erbringen können, um die Finanzierung sicherzustellen. ({45}) Sie lassen die Ehrlichkeit, mit der man vor die Menschen treten sollte, vermissen. ({46}) Ich glaube, daß wir zur Ehrlichkeit zurückkommen müssen, auch und gerade hier im Parlament. ({47}) Es ist auch und gerade die Unehrlichkeit, die Politikverdrossenheit auslöst. Sie haben sich in den letzten 15 Jahren immer mit Lügen über die Runden geschummelt. Damit muß Schluß sein! Herzlichen Dank. ({48})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Kollege Hans-Peter Repnik.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen mit der dritten Lesung am Ende von schwierigen Beratungen - das kann gar nicht bestritten werden - und beschließen heute den Nachtragshaushalt 1997 sowie den Haushalt 1998. Die Debatten im Haushaltsausschuß, aber gerade auch jene in dieser Woche, haben deutlich gemacht, daß beide Haushalte im Zeichen von gesunkenen Steuereinnahmen und gleichzeitig gestiegenen Ausgaben für Leistungsverpflichtungen des Sozialstaates, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, stehen. Verehrter Kollege Wieczorek, ich bedauere sehr, daß Sie Ihren letzten Satz - vermutlich als Tribut an Ihre eigene Fraktion - so gesprochen haben, wie Sie es getan haben. ({0}) Der Kollege Wieczorek hat in seiner Rede davon gesprochen: Wir brauchen Mut, und wir brauchen Kraft. In den ersten zwei Dritteln seiner Rede hat er Mut bewiesen, weil er sich in einen offensichtlichen Gegensatz zu den meisten sozialdemokratischen Rednern in der Debatte dieser Woche gebracht hat. ({1}) Nur, Herr Kollege Wieczorek, Sie sind von dieser konsequenten Linie, der ja viele von uns durchaus folgen können, abgewichen, als Sie von der Solidarität gesprochen haben. Angesichts der Argumentation nicht zuletzt Ihres Parteivorsitzenden Lafontaine in dieser Sitzungswoche, sollten Sie sich sehr davor hüten, den CSU-Parteitag als ein Beispiel für mangelnde Solidarität heranzuziehen, da wir alle gesehen haben, in welchem Maße Sie mangelnde Solidarität im Zusammenhang mit den Problemen der Wiedervereinigung gerade auch in dieser Woche geübt haben. Das ist eine Tatsache. ({2}) - Nein. Wer den Eindruck erweckt, daß die Probleme, die wir bei diesem Haushalt haben, ausschließlich darauf zurückzuführen sind, daß die Kosten der Wiedervereinigung, die uns natürlich belasten, uns über den Kopf wachsen, und dabei völlig leugnet, daß diese Gesellschaft Strukturprobleme hat, die wir lösen müssen, der redet an der Sache vorbei. Deshalb tut es mir leid, daß Sie Ihre Rede so geschlossen haben, wie Sie es getan haben. ({3}) Herr Wieczorek, Sie haben versöhnlich angefangen. Ich wollte genauso versöhnlich antworten. Nur, Sie selber haben ja den Widerspruch offenbar gemacht. Sie sprachen am Schluß davon, wir würden mit alten Strukturen weiterarbeiten. Was haben wir in den vergangenen drei Jahren, in diesen Monaten und gerade jetzt in diesen Wochen gemacht? Ich erinnere an die Reform der Sozialversicherungssysteme; ich erinnere an die Gesundheitsstrukturreform; ich erinnere an die Rentenreform; ich erinnere an die Steuerreform. Das alles waren Versuche, Strukturen aufzubrechen; Sie haben sich dem widersetzt. Das ist die Wahrheit! Daran kommen Sie nicht vorbei. ({4}) Die Geräuschkulisse in dieser Woche - wenn ich an sozialdemokratische Redner denke - steht in einem ganz eigenartigen Kontrast zu der Fähigkeit Ihrer Redner, Problemlösungen aufzuzeigen. Bei dem einen oder anderen habe ich sogar das Gefühl, er ist noch nicht einmal in der Lage, eine Problemanalyse zu leisten. Auch dies ist eine Erkenntnis der Haushaltsdebatte in diese Woche. ({5}) Ich möchte auf einen Punkt eingehen, den der Kollege Diller problematisiert hat. Das, was er dazu gesagt hat, kann ich so nicht stehenlassen. Ich meine Ihre Behauptung, daß der Nachtragshaushalt 1997 nicht verfassungsgemäß sei. Der Vorwurf, die Bundesregierung habe auf die unstreitig vorliegende Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nicht richtig reagiert und keinen Politikwechsel vollzogen, verkennt die besondere gesamtwirtschaftliche und haushaltswirtschaftliche Situation des Jahres 1997. Das wissen Sie so gut wie wir. Wir wissen doch, daß uns neben der Steuererosion gerade das Problem der Arbeitslosigkeit bei diesem Haushalt so stark belastet hat. ({6}) - Ich möchte jetzt erst einmal im Zusammenhang vortragen. Wenn ich die Arbeitslosigkeit ansprechen darf: Tun Sie doch nicht so, als ob dies eine lang vorhersehbare Entwicklung gewesen sei! Die Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten 1996 genauso wie der Sachverständigenrat haben eine Arbeitslosenzahl von rund 4 Millionen prognostiziert. Davon ist die Bundesregierung ausgegangen. Wir haben unserem Haushalt die Annahme von 3,95 Millionen Arbeitslosen zugrunde gelegt. Wenn es heute rund 300 000 Arbeitslose mehr gibt und sich das als zusätzliche Belastung für den Haushalt ausgewirkt hat, dann werden Sie doch zugestehen, daß dies unvorhersehbar war. ({7}) Deshalb haben wir so gehandelt, wie wir es verantworten konnten. Auf eine solche nicht absehbare Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts können - das wissen Sie doch - Regierung und Gesetzgeber in einem laufenden Haushaltsjahr nur begrenzt reagieren. Und dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir getan. Wir haben alle Einsparmöglichkeiten abgeklopft. Das Ergebnis unserer Abwägungen war eindeutig. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Kollege Repnik, bleiben Sie bei Ihrer Aussage?

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin, der Kollege Diller hat dieses Thema in seiner Rede zum Haushalt so stark herausgearbeitet, daß hier entsprechend argumentativ entgegnet werden muß. Dies möchte ich im Zusammenhang tun. ({0}) Wir haben verfassungsgemäß auf die Durchsetzung zusätzlicher Einsparmaßnahmen zur Einhaltung der Verschuldensgrenze verzichtet und uns statt dessen für eine Strategie der Vermeidung einer zusätzlichen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in einer, wie ich finde, verantwortbaren Größenordnung entschieden. ({1}) - Nein, ich möchte den Gesamtzusammenhang darstellen. - Wenn wir Ihrer Argumentation gefolgt wären, hätten wir zusätzlich rund 12 Milliarden DM für das Entlastungskonzept einsparen müssen. Jetzt spreche ich Sie ganz konkret an, Herr Diller. ({2}) Wenn ich sehe, in welchem Maße Sie sich auch in dieser nunmehr abgelaufenen Haushaltswoche konsequent jeder strukturellen Veränderung verweigert haben, ist der Protest gegen weitere nicht vorgenommene Einsparungen doppelzüngig. Deshalb trifft er uns und den Finanzminister nicht. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen doch folgendes zur Kenntnis nehmen: Wir haben bereits im Vorfeld der Aufstellung des Haushalts für 1997 durch das Programm für Wachstum und Beschäftigung umfangreiche wirtschafts- und finanzpolitische Reformen umgesetzt, die immerhin allein für das Jahr 1997 ein Entlastungsvolumen von rund 20 Milliarden DM erbringen. Sie wissen, wir haben darüber hinaus rund 7 Milliarden DM im Regierungsentwurf 1997 eingespart, Kürzungen von 3 Milliarden DM im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des Haushalts vorgenommen sowie von weiteren 5 Milliarden DM im Rahmen des Nachtragshaushalts. Ich denke - dabei habe ich gerade Ihre Worte, Herr Kollege Wieczorek, im Ohr -, wir haben uns in dieser ganzen Zeit ökonomisch vernünftig verhalten, wenn wir auf weitere Ausgabenkürzungen verzichtet haben. ({4}) Auch massive Steuererhöhungen hätten die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts durch eine weitere Schädigung der Wachstumsdynamik vertieft; das wissen Sie. Deshalb ist der Haushalt 1997 einschließlich des Nachtragshaushalts verfassungsgemäß. Das Defizitkriterium des Vertrags von Maastricht wird Deutschland 1997 und 1998 erfüllen. Aber - jetzt komme ich wieder auf Ihre Ermahnung zurück -: Wir haben keinen Grund zur Selbstgefälligkeit. Damit spreche ich beide Seiten des Hauses an, wie Sie, Herr Wieczorek, es bereits gesagt haben. Trotz dieser unbestreitbaren Konsolidierungserfolge wird der Druck auf die öffentlichen Haushalte angesichts der hohen Arbeitslosenzahl von über 4 Millionen natürlich weiter anhalten. Sie stellt eine schwere sozial-, wirtschafts- und, wie wir sehen, finanzpolitische Hypothek dar. Sie höhlt die Stabilität der Staatsfinanzen aus und überfordert unsere sozialen Sicherungssysteme. Wir werden aus diesem Teufelskreis nur dann herauskommen können, wenn es uns gelingt, die deutsche Wirtschaft auf einen steileren Wachstumspfad zurückzuführen. Die beste Beschäftigungspolitik - dies muß gerade der linken Seite des Hauses gesagt werden - ist eine wachstumsorientierte, eine inflationsfreie Wirtschaftspolitik, die die Investitionstätigkeit der Unternehmen anregt. ({5}) Deshalb, meine Damen und Herren, führt kein Weg daran vorbei, alles zu tun, daß die Weichen so gestellt werden, daß wir dieses höhere wirtschaftliche Wachstum generieren. Hier ist nicht nur der Gesetzgeber gefragt und die jeweilige Regierung. Hier sind alle Beteiligten, nicht zuletzt auch die Tarifpartner, aufgefordert, das in ihrer Macht Stehende zu tun. Ich möchte ganz bewußt auch in der dritten Lesung den Gewerkschaften Lob zollen, die in den vergangenen zwei Jahren diese gesamtwirtschaftliche Verantwortung gesehen und durch moderate Tarifabschlüsse angenommen haben. ({6}) Ich möchte sie ermutigen, auf diesem Weg weiter fortzuschreiten. Die Erfolge einer solchen Tarifpolitik werden sich - der Sachverständigenrat wurde in dieser Woche häufig zitiert; ich möchte ihn in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnen - nicht kurzfristig, sondern mit einer zeitlichen Verzögerung einstellen. Deshalb brauchen wir etwas Geduld, und zu dieser Geduld rate ich uns. ({7}) Das Argument von Lafontaine, durch Lohnzurückhaltung werde die Massenkaufkraft geschmälert und dadurch ein geringeres Beschäftigungsvolumen erreicht, verkennt nach Ansicht der Sachverständigen „ökonomische Grundzusammenhänge" und ist deshalb die falsche Medizin. Was sollen wir also den Gewerkschaftsführern, die sich verantwortungsbewußt zeigen und sich in die gesellschaftliche Verantwortung einbinden lassen, sagen? - Wir sollten ihnen Mut machen. Mut machen und nicht scharfmachen ist die Devise dieser Zeit. ({8}) Wenn wir schon beim Thema Mut sind, so sollten wir zumindest dort, wo es positive Signale gibt, diese auch aufnehmen und der Bevölkerung vermitteln. Die wichtigen Wirtschaftsindikatoren entwickeln sich doch positiv. Wir sind auf dem richtigen Weg: Die Inflationsrate und das Zinsniveau bewegen sich auf einem anhaltend niedrigen Niveau. Die Exporte wachsen dynamisch, und die Kapazitätsauslastung der deutschen Wirtschaft steigt. Es mehren sich die Anzeichen dafür, daß auch die inländische Investitionsgüterindustrie anspringt. Dies wird zur Schaffung neuer Arbeitsplätze führen. Nehmen wir das doch positiv zur Kenntnis! ({9}) Konkret: Wir haben keinen Grund zur Resignation und dazu, der weiteren Entwicklung - trotz aller Probleme - pessimistisch entgegenzusehen. Aber wir werden nur dann Erfolg haben, wenn wir an unserer Politik festhalten. Diese Politik beinhaltet, die Defizite und Schwachstellen für die freie Entfaltung der Wirtschaftsdynamik zu beseitigen. Dazu gibt es keine Alternative. Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier gilt also nach wie vor: Wir müssen an der Rückführung der Staatsquote, an der Senkung der Steuer- und Abgabenbelastung festhalten. Der Staat einschließlich seiner Sozialversicherungssysteme beansprucht immer noch zu viele Ressourcen und nimmt so privatwirtschaftlichen Initiativen den notwendigen Raum. Es ist ein Irrglaube - Sie können diese Forderung an diesem Pult noch so oft erheben, sie wird dadurch nicht richtiger -, anzunehmen, daß der Staat langfriHans-Peter Repnik stig Arbeitsplätze schaffen kann, wenn er nur genügend hohe Ausgaben tätigt. Die keynesianisch orientierte Politik des Deficit Spending bringt bei strukturell bedingter Arbeitslosigkeit gar nichts, sie führt in die Irre und belastet die öffentlichen Kassen. ({10}) Dies ist nicht nur eine Erkenntnis dieser Koalition, Gott sei Dank gibt es zunehmend auch in der Sozialdemokratie Leute, die ihrem Parteivorsitzenden hier nicht folgen. Ich darf zitieren: Nach der sozialistischen Diskussion über die Natur des Menschen beginnt meine sozialdemokratische Partei unter Oskar Lafontaines Führung nun erneut, sich auf einen Irrweg zu begeben. Diesmal ist es die Hoffnung, den Zwängen des Wettbewerbs durch eine internationale Wettbewerbsordnung zu entgehen. ... Was Oskar Lafontaine bei sogenannten Standortpolitikern, ... als „neoliberales Gequatsche" oder „Gefasel" bezeichnet hat, unterscheidet sich noch immer von seinen eigenen, vagen Erwartungen in die internationalen Regelsysteme wie das Zeiss-Fernrohr von der Glaskugel eines Hellsehers. Dies hat nicht jemand aus dem Lager der Koalition gesagt. Es war kein Geringerer als Klaus von Dohnanyi, der das in der vorletzten Woche im „Spiegel" gesagt hat. ({11}) Nehmen Sie dies ernst! Sie haben Gelegenheit, in den nächsten Tagen auf Ihrem Parteitag die entsprechenden Weichen zu stellen. Wir sollten weder uns noch den Bürgern etwas vormachen. Auf dem Weg zu Reformen haben wir erst die Hälfte der Wegstrecke zurückgelegt. ({12}) Die Rentenreform, die Steuerreform und weitere Reformen der sozialen Sicherungssysteme sind notwendig. Wenn es nicht ökonomische Einsicht ist, dann sollten es die leeren Kassen der Länder und die zunehmend schwindsüchtigen Kassen der Kommunen sein, die Sie zu dieser Einsicht bringen. Dazu möchte ich Sie heute noch einmal mit Nachdruck auffordern. Herzlichen Dank. ({13})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Diller.

Karl Diller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000391, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Repnik, wer jemand persönlich anspricht, sollte auch den Mut haben, eine Frage des Angesprochenen zuzulassen. ({0}) Aber wahrscheinlich hatten Sie den Mut deshalb nicht, weil Ihre Behauptungen falsch sind. Deswegen will ich noch einmal die Tatsachen nennen. ({1}) Als wir vor einem Jahr hier zusammensaßen, um den Haushalt für dieses Jahr zu beraten und zu beschließen, war klar, daß im Jahre 1996 für die beiden Titel „Arbeitslosenhilfe" und „Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit" 36, 37, möglicherweise 38 Mil-harden DM benötigt werden würden. Vor diesem Hintergrund war es aberwitzig, daß Sie in den Haushaltsentwurf für dieses Jahr nur 22 Milliarden DM für diese beiden Titel hineingeschrieben haben. ({2}) Sie haben das nur gemacht, weil Sie sonst, wenn Sie ehrlich veranschlagt hätten, schon vor einem Jahr hätten beantragen müssen, daß der Deutsche Bundestag für das Jahr 1997 die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellt. ({3}) Das wollten Sie damals vermeiden. Heute müssen Sie diesen Canossagang antreten. Sie sind gescheitert! ({4}) Denn mit Ihrem Nachtragshaushalt machen Sie nichts anderes, als auf die 22 Milliarden DM, die veranschlagt sind, 18 Milliarden DM draufzulegen, damit Sie den Finanzierungsbedarf überhaupt darstellen können. Deswegen sage ich Ihnen eines: Das ist ein Mißbrauch des Instruments „überplanmäßige Ausgaben". Denn „überplanmäßig" heißt „unabweisbar" - das ist der Fall -, aber auch „unvorhersehbar". ({5}) Unvorhersehbar waren diese Mehrbedarfe nicht. ({6}) Sie waren vorhersehbar. Deshalb war Ihr Haushaltsentwurf schon damals, als die Regierung ihn im Juli beschloß, als Sie ihn im Plenum vor einem Jahr mit Ihrer Mehrheit beschlossen haben, verfassungswidrig. Wir haben Sie darauf hingewiesen; Sie haben ihn wider besseres Wissen dennoch beschlossen. Damit sind Sie 1996 mit den Luftbuchungen des Herrn Waigel einen verfassungswidrigen Haushalt eingegangen, und auch 1997 sind Sie einen verfassungswidrigen Haushalt eingegangen. Mit der versteckten Kreditaufnahme über die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau machen Sie auch für 1998 einen verfassungswidrigen Haushalt. Deswegen wiederhole ich das, was ich hier schon einmal gesagt habe: Wären die Herren Kohl, Waigel und Gerhardt die leitenden Angestellten einer PrivatKarl Diller firma, hätten die drei Herren schon längst den Gang zum Konkursrichter antreten müssen. ({7})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Möchten Sie antworten, Herr Repnik? ({0})

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne, Frau Präsidentin. Wir wollen jetzt nicht in eine Debatte eintreten, die im Haushaltsausschuß geführt worden ist. Deshalb möchte ich auf die Intervention des Kollegen Diller nur folgendes sagen: Die Bundesregierung ist bei der Aufstellung des Haushalts von Arbeitslosendaten ausgegangen, die vom Sachverständigenrat und von den wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten mitgetragen wurden. Das ist das erste Datum, das sich später nachteilig verändert hat. Das zweite Datum, das diesen Haushalt sehr beschwert, sind die wegbrechenden Steuereinnahmen, was deutlich macht, daß wir die Steuerreform brauchen. Wenn wir diese beiden Daten so nicht gehabt hätten, hätten wir auch die Probleme nicht gehabt, die wir jetzt mit dem Nachtragshaushalt in Ordnung gebracht haben. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als nächste Rednerin rufe ich jetzt die Kollegin Kristin Heyne auf.

Kristin Heyne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002676, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir werden heute in dritter Lesung den 1998er Haushalt beschließen. Das ist der Haushalt, der zum erstenmal nach dem neuen Haushaltsrecht vollzogen werden wird. Er wird mehr Flexibilität und auch einen gewissen Einstieg in Überjährigkeit zulassen. Das sind dringend nötige Entwicklungen. Sie wissen, daß Bündnis 90/Die Grünen hier gerne weitere deutliche Reformschritte gesehen hätte. Die Bundesländer machen uns da vieles vor. Die Kameralistik kann den Anspruch auf Wirtschaftlichkeit tatsächlich nicht mehr erfüllen. Es ist nicht sinnvoll, zwei Jahre im voraus zu bestimmen, wie viele Bleistifte gekauft werden sollen. ({0}) Die Ministerien und die öffentlichen Einrichtungen sollen sich der jeweiligen Situation flexibel anpassen und kostengünstig handeln können. Das Budgetrecht ist eine der wichtigsten Einflußmöglichkeiten des Parlaments. Deshalb ist es, wenn man mehr Flexibilität zuläßt, nötig, genau zu beschreiben, welche Aufgaben mit dem zur Verfügung gestellten Geld erfüllt werden sollen, und zu überprüfen, ob das Ergebnis auch eingetreten ist. Flexibilisierung des Haushaltsrechts ist nur bei deutlicher Produktbeschreibung und bei Anwendung der Kosten- und Leistungsanalyse möglich. Letzteres ist im neuen Gesetz allerdings nur als Kann-Bestimmung vorgesehen - mit der zusätzlichen Einschränkung: in geeigneten Bereichen. Die Forderung nach Produktbeschreibung kommt überhaupt nicht vor. Mehr Beweglichkeit im Haushaltsvollzug macht aber zusätzlich auch das Einbeziehen des Parlaments durch ein zeitnahes Berichtswesen notwendig. Auch dieses sucht man im neuen Haushaltsrecht vergeblich. Die Kollegen von der Koalition, die diesem Haushaltsrecht zugestimmt haben, geben wesentliche Parlamentsrechte aus der Hand, ohne für einen Ausgleich zu sorgen. ({1}) Der Regierung und den Ministerien kann es natürlich recht sein, wenn sie schalten und walten können, wie sie möchten. Das aber verstehe ich nicht unter parlamentarischer Demokratie. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie lassen es zu, daß der Haushaltsausschuß zunehmend zum Papiertiger wird. Dies ist durchaus wörtlich zu nehmen. In dieser Legislaturperiode wurde im Haushaltsausschuß bisher über 3 636 Drucksachen verhandelt. Wenn es aber darauf ankommt, dann gehen 20 Milliarden DM über den Tisch mit einem Zettel, auf dem fünf vage Positionen und die erhellende Bemerkung stehen: Sonstiges: 3 Milliarden DM. Ich stelle fest, daß nicht nur diese Regierung mit ihrem Finanzminister müde geworden ist. Auch die Mitglieder dieser Koalitionsfraktionen haben es im 16. Jahr der Regierung Kohl aufgegeben, ihren Einfluß als Parlament geltend zu machen. ({2}) Meine Damen und Herren von der Koalition, wo war Ihr Veto, als dieser unsägliche europäische Stabilitätspakt verabschiedet wurde, bei dem erst am Ende eines Haushaltsjahres bekannt wird, wie hoch im laufenden Jahr die Neuverschuldung sein darf? Dieser Stabilitätspakt soll langfristig praktizierbar sein und langfristig wirken. Wir haben aber Jahr für Jahr erlebt, wie mit hektischen Sparaktionen im Haushaltsvollzug noch nachgebessert wurde. Das sind Aktionen, die in aller Regel Kosten hinausschieben und damit oft unnötige zusätzliche Kosten verursachen. Es ist sinnvoll und ganz offenkundig notwendig, eine Obergrenze der Verschuldung festzulegen. Diese Grenze kann und muß aber bei Aufstellung des Haushalts bereits bekannt sein. Jede andere Regelung macht eine nachhaltig sparsame Haushaltspolitik unmöglich. Es wäre sinnvoll, die Verschuldungsobergrenze am Mittel des Wachstums der vorangegangenen Jahre zu orientieren und kurzfriKristin Heyne stige konjunkturelle Veränderungen im Sinne automatischer Stabilisatoren hinzunehmen. Damit würde eine konjunkturverschärfende prozyklische Ausgabenpolitik vermieden. Dem Finanzminister ist es doch nur recht, wenn er mit der 3-Prozent-Knute praktisch jede Sparmaßnahme durchsetzen kann. Die Glaubwürdigkeit der Haushaltspolitik und vor allen Dingen die Zuverlässigkeit der Zusagen der staatlichen Ebene leiden jedoch heftig unter dieser deutschen Holzhammerstabilität. Ein bißchen finanzpolitische Feinfühligkeit und Phantasie - nicht mit Kreativität zu verwechseln - hätten dem europäischen Stabilitätspakt gutgetan. Feinfühligkeit und Phantasie sind aber vermutlich, wenn ich zur Regierungsbank blicke, unangemessene Forderungen. ({3}) Ein weiteres Veto der Haushälter dieser Koalition ist längst überfällig. Die schädliche Sommerdebatte über Steuerreform und Nettoentlastung hätte vermieden werden können, wenn die Haushälter der Koalition deutlich gesagt hätten, was sie genau wissen: Eine Nettoentlastung ist zur Zeit nicht zu verkraften. ({4}) Die kurzfristigen Einsparmöglichkeiten sind ausgereizt. Weitere Sparmöglichkeiten erfordern strukturelle Veränderungen. Sie sind nicht im Hauruckverfahren durchzusetzen. Zu Beginn dieser Haushaltswoche hat der Obmann der CDU/CSU-Fraktion, der Kollege Roth, eine Steuerreform noch vor der Wahl eindringlich eingefordert. ({5}) Dabei hat er von Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und von Senkung der Tarife gesprochen. Aber bezeichnenderweise hat er nicht von Nettoentlastung gesprochen, was übrigens auch alle weiteren Redner der Union nicht getan haben. Ein Angebot zur Tarifsenkung hat der SPD-Vorsitzende Lafontaine auf den Tisch des Hauses gelegt. Wenn man den Meldungen von gestern trauen darf, hat sich der Fraktionsvorsitzende der F.D.P., der Kollege Sohns, dazu durchgerungen - ich hoffe, es wird heute eine klare Aussage dazu geben, Herr Kollege Solms -, eine Steuerreform in der ersten Stufe auch ohne Nettoentlastung für möglich zu halten. Ich hoffe, das wird heute bestätigt werden. Sie wissen, daß wir vom Bündnis 90/Die Grünen für eine umfassende Steuerreform mit einer erheblichen Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, mit einer Senkung der Tarife, mit einer Erhöhung des Kindergeldes und des Existenzminimums sind. Das scheint im Moment nicht durchsetzbar zu sein. Aber eine kleine Steuerreform, die die Haushalte 1999 im Bund und in den Ländern - Kollege Repnik, im Bund und in den Ländern; das betone ich und möchte ich unterstützen - retten und darstellbar machen könnte, ist zum Greifen nahe. Niemand in diesem Land würde mehr verstehen, wenn diese kleine Steuerreform nicht realisiert würde. ({6}) Nach dem Steuerdebakel dieses Jahres kann sich keine Partei mehr mit Verweigerung profilieren. Beschließen wir die erste Stufe, die kleine Steuerreform, noch in diesem Jahr, und überlassen wir den Wählerinnen und Wählern, wer die Gestaltung der großen Steuerreform übernehmen wird! Zurück zu den Beratungen des 98er Haushalts. Neben der Fortentwicklung des Haushaltsrechts, den Maastricht-Kriterien und den wegbrechenden Steuereinnahmen gab es eine weitere interessante Auseinandersetzung im Haushaltsausschuß: Der Bund will im Jahr 1998 zum erstenmal in Zinsgeschäfte, in die sogenannten Swaps, einsteigen. Dazu wurde vom Haushaltsausschuß eine Anhörung durchgeführt. Die Bundesbank hat bei dieser Anhörung schriftlich und mündlich erhebliche Bedenken gegen die geplanten Swap-Geschäfte geäußert. Diese Bedenken bezogen sich auf das vorgesehene Volumen der Swaps, auf einen möglicherweise davon ausgehenden Zinsdruck - ich denke, im Sinne der Angebotspolitik ist das ein sehr wichtiges Argument -, auf ein entstehendes Konfliktpotential zwischen Geld- und Finanzpolitik, auf die Gefahr einer Verschiebung von Haushaltsbelastungen in die Zukunft und schließlich auf die Verletzung des Grundsatzes, Zinsänderungsrisiken zu begrenzen. Ich denke, dies alles sind durchaus gewichtige Bedenken. Trotzdem stellte die Koalition lediglich fest, daß auch die Bundesbank Swaps als ein Mittel der Staatsfinanzierung ansieht, und blieb bei den Swaps im vorgesehenen Umfang. Für den möglichen Vorteil, kurzfristig eine Haushaltslücke schließen zu können, wurden fachliche Bedenken in den Wind geschlagen. Dies ist eines von zahlreichen Beispielen der Unempfindlichkeit dieser Koalition und dieser Regierung für sachverständige Beratung. Jahrelanges Ignorieren von Rechnungshofanregungen, die Ablehnung der Vorschläge der Bareis-Kommission und der Umgang mit dem Jahresgutachten des Sachverständigenrates, wie wir ihn in der Debatte dieser Woche mehrfach erlebt haben, dies alles macht deutlich, wie mangelhaft die Erneuerungsfähigkeit dieser Regierung ist. ({7}) „Augen zu und durch" ist die allgegenwärtige Maxime geworden. Diese Koalition ist ausschließlich damit beschäftigt, die Interessen ihrer kleinen Partner auszugleichen: das Überleben als Steuersenkungspartei im Falle der F.D.P. und ungestörtes Regieren in Bayern auf seiten der CSU. Der Haushalt 1998 ist ein Spiegel dieser Regierung. Er verteilt nicht gerecht. Er verschwendet trotz Finanznot. Er verschiebt BelaKristin Heyne stungen auf die Zukunft. Er ist unsolide. Bündnis 90/ Die Grünen werden diesen Haushalt ablehnen. ({8})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Wirtschaftsminister und designierte Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen hat gestern im Deutschen Bundestag die Finanzausstattung der Bundesländer beklagt und der Koalition im Bundestag die Schuld hieran gegeben. ({0}) Richtig ist, daß bei der Verteilung der eingehenden Steuermittel nach der Wiedervereinigung die Länder außerordentlich gut abgeschnitten haben. Das ist unstrittig. ({1}) Richtig ist, daß die Einnahmen der Länder in diesem Jahr zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland höher sind als die des Bundes. ({2}) Richtig ist auch, daß praktisch alle Länder den Mahnungen, die Anfang der 90er Jahre über zukünftige Einnahmeentwicklungen hier in diesem Hause ausgesprochen worden sind, überhaupt nicht ernst genommen haben, diesen Mahnungen nicht gefolgt sind und in ihren Haushalten viel zu spät umgesteuert haben. ({3}) Dieser tatsächliche Ablauf zeigt, daß zwar die Klagen über den Zustand berechtigt sind, daß aber die Situation in den Ländern selbstverschuldet ist. Die Gesamtsituation öffentlicher Finanzen, sowohl der öffentlichen Haushalte wie der sozialen Sicherungssysteme, macht ein Umsteuern notwendig. Künftig sollte eine klare Zuordnung der Einnahmen ebenso wie der Aufgaben bessere Transparenz und damit auch stärkeren Wettbewerb unter den Bundesländern ermöglichen. Klare Verantwortungen bei klarer Finanzierungsregelung! Die Verflechtungen und Verfilzungen des Steuer- und Abgabesystems und die Verschiebebahnhöfe zwischen öffentlichen Haushalten und den Sozialversicherungen sind schädlich. Die Bundesrepublik Deutschland braucht eine neue Finanzverfassung. Dieser Aufgabe werden sich alle politischen Kräfte stellen müssen. Der Herr Bundeskanzler hat vor wenigen Wochen an einer Sitzung des Haushaltsausschusses teilgenommen. Das war eine Besonderheit in dieser Wahlperiode. Da er ja in Stilfragen immer besonders gut Bescheid weiß, wissen wir das als Haushaltsausschuß auch entsprechend zu würdigen. Hierbei hat er erklärt, daß er eine solche Veränderung ebenfalls für notwendig hält. Wir stimmen mit ihm inhaltlich darin überein, daß für den Fall einer solchen Änderung für die Gemeinden eine sichere Beteiligung an den Finanzen gewährleistet sein muß. ({4}) Notwendige strukturelle Veränderungen bringen allerdings nicht mehr Geld. Diesen Eindruck erweckt die Opposition immer gerne, wenn sie zum Beispiel fordert, versicherungsfremde Leistungen in die Haushalte zu verlagern. Auch hier ist ja kein Geld übrig, sondern es müssen Schulden gemacht werden. Deswegen bleibt für die handelnde Politik die erste Forderung: Sparsamkeit und neue wirtschaftliche Dynamik durch Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen. Unsere Bürger wären völlig verständnislos, wenn die vielfältigen Gesprächsangebote, die in dieser Woche von diesem Pult aus ausgesprochen worden sind, nicht tatsächlich in Gespräche und dann auch in konkrete Ergebnisse einmünden würden. Noch ist Zeit, aber nicht mehr viel. Wenn alle Beteiligten ehrlich an den Tisch und alle Fakten ehrlich auf den Tisch kämen, wäre eine Umsteuerung mit dem Ziel der Standortverbesserung noch kurzfristig möglich. Die Freien Demokraten wünschen solche Gespräche; es wäre ein guter Abschluß der Haushaltsberatungen, wenn nach der Demonstration geordneten Haushaltsverfahrens durch die Koalition auch noch die notwendigen Entscheidungen durch Zusammenwirken aller politischen Gruppierungen zustande kämen. ({5}) Meine Damen und Herren, der Haushaltsausschuß - ein Parlament im kleinen - hat für den gesamten Deutschen Bundestag den Etat für 1998 und den Nachtragshaushalt 1997 vorberaten. Der Deutsche Bundestag hat gestern abend das Beratungsergebnis in zweiter Lesung gebilligt. Ich weiß, daß manche Entscheidungen des Haushaltsausschusses von Betroffenen und von Kollegen hier im Hause als schmerzhaft empfunden werden; aber Korrekturen sind ja jährlich möglich. Unsere intensiven Vorberatungen ebenso wie unsere häufig sehr langen Sitzungen lassen über Parteigrenzen hinweg dem bekannten Korpsgeist der Haushälter entstehen. Ich glaube schon, daß wir im Sinne angewandten Parlamentarismus und der Regierungskontrolle ein besonderer Ausschuß sind. Daß die Arbeit in diesem Jahr mit Blick auf das Wahljahr ein wenig erschwert war, gebe ich zu. Es ist ja auch naheliegend. Dr. Wolfgang Weng ({6}) Auch wir würden natürlich lieber geben als nehmen. Aber gestern kommentierte in anderem Zusammenhang der „Tagesspiegel" : Zum Gewinn von Popularität werden Abgeordnete nicht gewählt. Verantwortung heißt ihr Thema, und zwar für die Zukunft. Dessen sind wir uns bewußt. ({7}) Mein Dank für gute Zusammenarbeit gilt allen Kolleginnen und Kollegen des Ausschusses, an der Spitze natürlich dem Vorsitzenden Helmut Wieczorek, der Gott sei Dank gesundheitlich wieder voll hergestellt ist. ({8}) Mein Dank gilt dem Obmann der Union, Adolf Roth, für enges und vertrauensvolles Teamwork über viele Jahre. ({9}) Allen Mitarbeitern im 25. Stockwerk des Langen Eugen gebührt Anerkennung. Natürlich müssen auch Finanzminister Theo Waigel und sein qualifizierter Mitarbeiterstab Erwähnung finden. ({10}) Deren wirklich ausgezeichnete Unterstützung, und zwar nicht nur der Koalitionsseite - das gilt für den Apparat der Regierung insgesamt, aber speziell für den des Finanzministeriums -, hat unser Beratungsergebnis und, was in einem Staat auch wichtig ist, die Einhaltung des Zeitplans, ein geordnetes Beratungsende, das wir heute hier mit der dritten Lesung im Deutschen Bundestag finden, ermöglicht. Dies will ich ausdrücklich würdigen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, erlauben Sie ein persönliches Wort. Nach vier Wahlperioden, nach über 12 Jahren als haushaltspolitischer Sprecher der Koalitionsfraktion F.D.P. ist dies der 15. und letzte Haushalt der Bundesrepublik Deutschland, an dem ich mitgewirkt habe. 15 Jahre Kampf nach vielen Seiten liegen heute hinter mir, 15 Jahre Kampf für öffentliche Sparsamkeit und sorgfältigen Umgang mit den Steuergeldern der Bürger, ({11}) 15 Jahre Regierungskontrolle und Kampf für Rechte des Parlaments, aber auch - in Erfüllung des Wählerauftrags -15 Jahre Kampf für Koalition und Kanzler. ({12}) Auch dieses fünfzehnte Mal würde ich Ihnen gern eine bessere Haushaltssituation präsentieren. Dennoch hoffe ich - davon bin ich persönlich überzeugt -, meine Pflicht erfüllt zu haben. ({13}) Die F.D.P.-Bundestagsfraktion stimmt dem Nachtragshaushalt 1997 und dem Bundeshaushalt 1998 auch in dritter und abschließender Lesung zu. Ich danke Ihnen. ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Sohns.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Heyne hat eben meine Aussage zitiert, wir bräuchten in einer ersten Stufe der Steuerreform nicht zwingend eine umfangreiche Nettoentlastung. Ich will das noch einmal ausdrücklich bestätigen. Ich bin der Meinung, wenn wir zueinanderkommen wollen und eine durchgreifende und wirksame Steuerreform, die dringend notwendig ist, auf den Weg bringen wollen, dann müssen wir uns beweglich zeigen und müssen auch deutlich machen, was jetzt gemeinsam vereinbart werden kann und wo es Grenzen gibt. Man muß jedoch auch Zugeständnisse machen. Die F.D.P. hat immer besonderen Wert darauf gelegt, daß die Steuerreform mit einer erheblichen Nettoentlastung verbunden ist. Angesichts dessen, daß wir in dieser Legislaturperiode bereits erhebliche Entlastungen erreicht haben, müssen Sie aber die erste Stufe der Steuerreform, was die Nettoentlastung anbetrifft, relativieren. Durch die Anhebung des Grundfreibetrages, durch eine Verbesserung beim Kindergeld, durch den Wegfall des Kohlepfennigs und schließlich durch die Absenkung des Solis um 2 Punkte haben wir rund 33 Milliarden DM Nettoentlastung erreicht. Darüber hinaus hat die letzte Steuerschätzung gezeigt, daß es indirekt Steuersenkungen von zusätzlich weit mehr als 30 Milliarden DM gegeben hat, weil sich Steuerpflichtige der Besteuerung entzogen haben oder weil sie dadurch, daß sie aus dem Arbeitsprozeß ausgeschieden sind, nicht mehr steuerpflichtig sind. Das ist volkswirtschaftlich eine erhebliche Entlastung von zusammen mehr als 60 Milliarden DM. Gerade vor diesem Hintergrund sollte die erste Stufe der Steuerreform auch ohne eine zusätzliche Nettoentlastung auskommen können. Ich sage das als Angebot auch an die Sozialdemokraten, damit sie während ihres Parteitages in sich gehen und anschließend vielleicht mit uns ins Gespräch eintreten. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Christa Luft.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit einer Woche toben in diesem Hause nun schon rhetorische Redeschlachten zum Schicksalsbuch der Nation für das Jahr 1998. Besser geworden ist dadurch an den Haushaltsplanungen leider überhaupt nichts. ({0}) Weder die Millionen Arbeitslosen noch die protestierenden Studenten, weder die auf Wohngeld Angewiesenen noch die einen Ausbildungsplatz Suchenden konnten in dieser Woche irgendwelche neuen Hoffnungssignale empfangen. Aber nun bekommen sie ja den Eurofighter, wenngleich ich ein solches Tauschgeschäft makaber finde. Immerhin ist das aber das Ergebnis dieser Woche. Herr Kollege Repnik, jawohl, die Maastricht-Operation am Haushalt 1998 ist gelungen. Das 3,0-Prozent-Kriterium wird vermutlich eingehalten. Aber ob der Patient Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland dies überstehen wird und wie er es überstehen wird, das steht noch in den Sternen. Hier im Plenum hat sich - allerdings mit größerer Lautstärke - fortgesetzt, was sich zuvor über Monate im Haushaltsausschuß vollzogen hat: Ihre arithmetische Mehrheit setzen die Koalitionsabgeordneten automatisch gleich mit Vernunft und Recht. Aber die Natur hat nun einmal Verstand und Vernunft nicht nur nach Parteien verteilt, und schon gar nicht nur an die, die gerade einmal an der Regierung sind. ({1}) Ihnen, Herr Kollege Helmut Wieczorek, zolle ich allergrößten Respekt dafür, daß Sie nach turbulenten Wortgefechten, die es im Haushaltsausschuß immer wieder gibt, stets für eine normale Arbeitsatmosphäre sorgten und sorgen und dort immer wieder ein ruhender Pol sind. ({2}) Die Haushaltspolitik dieser Bundesregierung hat durch die fünf Wirtschaftsweisen und durch große Tageszeitungen einen geradezu peinlichen Verriß erfahren. Da tut sich jemand von der Opposition schon schwer, das noch zu übertreffen. Ein Kritikpunkt ist gegenüber früheren allerdings hinzugekommen: Nach dem Einstieg des Bundesfinanzministers in das Zins-Swap-Spekulationsgeschäft spricht eine große Tageszeitung nun davon, daß das Bundesfinanzministerium zu einem „Wettbüro Waigel" geworden sei. Recht hat diese Tageszeitung. Einem Kassenwart, der schon die klassischen Steuer- einnahmen nicht mehr im Griff hat, traut man auch kaum zu, mit riskanten Finanzderivaten umgehen zu können. ({3}) Immer, wenn Koalitionspolitiker im Laufe dieser Woche - ich habe mich eben nicht versprochen; es waren zumeist Männer - ans Rednerpult gegangen sind und die Erfolge der Bundesregierung gefeiert haben, ({4}) habe ich mich gefragt, was für einen Erfolgsbegriff Sie eigentlich haben. ({5}) Da ist nur noch von Ausgabenkürzungen die Rede, und der Chefbuchhalter dieses Kabinetts bilanziert Streichungen in Höhe von 120 Milliarden DM in seiner Amtszeit. Da klopfen Sie sich auf die Schulter, daß der Export boomt, daß die Aktienkurse einen Aufwärtstrend haben und daß sich die Unternehmensgewinne günstig entwickeln. Meine Damen und Herren, ist nicht inzwischen jeglicher soziale Bezug aus der Wirtschafts- und Finanzsprache in diesem Lande entschwunden? ({6}) Sie haben sich die Shareholder-value-Philosophie zu eigen gemacht und sind dabei, die grundgesetzliche Pflicht zur öffentlichen Daseinsvorsorge mit Bezug auf die Globalisierungstendenzen über Bord zu werfen, insbesondere die Sorge dafür, daß Menschen, die es wollen, sich mit ihrer eigenen Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen können. ({7}) Schrumpfende Bundesausgaben für Bildung und Forschung, für Wissenschaft und Kultur, für Gesundheit und Wohnen, für Jugend- und Seniorenarbeit, also für öffentliche Daseinsvorsorge, sind der eigentliche wunde Punkt, an dem, wie ich finde, dieser Haushalt mit der Verfassung in Konflikt zu geraten droht. Dieser Etat ist Beleg dafür, daß nur noch die aktuellen Haushaltslöcher und die immer wieder als völlig überraschend deklarierten Steuerausfälle die Ausgabenpolitik des Bundes diktieren; es müßte aber genau umgekehrt sein. Die notwendigen öffentlichen Ausgaben müssen endlich den Maßstab für die Steuerpolitik des Bundes bestimmen. Sie können nicht einfach ins Blaue hinein Spitzensteuersätze senken. Herr Kollege Sohns hat eben noch einmal eine Argumentation dafür gegeben, weshalb er sich nun doch vorstellen könne, ohne eine weitere Nettoentlastung auskommen zu können. Aber alle Argumente, die er eben genannt hat, waren vor sechs Monaten auch schon gültig, und man hat nicht verstehen können, weshalb zu diesem Zeitpunkt eine solche Blokkierung erfolgt ist. ({8}) Die Sanierung der Staatsfinanzen, meine Damen und Herren von der Koalition, erreichen Sie doch nicht durch pausenlose Ausgabenkürzungen. Die Sanierung der Staatsfinanzen erreichen Sie nur, wenn Sie die Steuereinnahmen stabil und verläßlich gestalten und wenn Sie die zunehmenden leistungslosen Einkommen entsprechend besteuern. Wir haben im Haushaltsausschuß, aber auch hier im Plenum wiederholt Maßnahmen genannt, die dazu zu ergreifen wären. Ich nenne Ihnen nur einige Beispiele: 10 bis 15 Milliarden DM könnten Sie schon im nächsten Jahr durch unverzügliche Eindämmung von Steuerflucht und Steuerhinterziehung mobilisieren. Würden Sie den Solidarbeitrag nicht senken, dann kämen zusätzlich 7 Milliarden DM in die leeren Kassen. Mit der Wiedereinführung der Vermögensteuer bei reformierter Grundlage würden 1998 zirka 9 Milliarden DM in die Länderkassen fließen können, die das wohl auch bitter nötig haben. Eine Reform der Steuer auf große Erbschaften - Kollege Wieczorek hat dieses Thema auch angesprochen - brächte weitere Mehreinnahmen in Höhe von 15 Milliarden DM. 12 Milliarden DM könnten Sie zusätzlich aus der Auflösung ungerechtfertigter Rückstellungen zum Beispiel bei den Energieversorgungsriesen erreichen. ({9}) Hinzu kämen Mehreinnahmen aus der überfälligen Besteuerung von Spekulationsgewinnen. ({10}) Mit den meisten dieser eben genannten Dinge dürfen Sie nicht warten, bis sich in diesem Haus eine Mehrheit für irgendeine große Steuerreform findet, sondern das sind überfällige Maßnahmen, auf die die Menschen in diesem Lande warten. Durch Ihre Von-der-Hand-in-den-Mund-Politik engen Sie künftigen Generationen die Spielräume für eigenständiges Handeln in unverantwortlicher Weise ein. ({11}) Vor 15 Jahren hat diese Bundesregierung ein reichgefülltes Reservoir an öffentlichem Vermögen übernommen. Sie hat es nicht gepflegt, sie hat es nicht gemehrt. Sie ist dabei, dieses Reservoir 1998 fast leer zu pumpen. Mit 28 Milliarden DM, die Sie aus Maßnahmen der Privatisierung erreichen wollen, wird dieses Faß sehr, sehr leer gepumpt. Ein Kunststück ist das nicht; das ist eher eine Tragödie. ({12}) Schulden des Erblastentilgungsfonds - genau, ich greife dieses Thema auf ({13}) und des Bundeseisenbahnvermögens, die bei immer noch moderatem Zinsniveau rascher als vorgesehen getilgt werden könnten, werden nicht bedient, sondern in die Zukunft verschoben. Sie werden auch in der Zukunft immer noch dieses Argument bemühen, die marode DDR habe Ihnen dieses große Loch in Ihre Steuerkassen gerissen und Ihre Staatsschulden in die Höhe getrieben. ({14}) In Wahrheit verschieben Sie die Lasten in die Zukunft, damit der Bundesfinanzminister die Nettoneuverschuldung Maastricht-konform rechnen kann. Mit der beschlossenen Anschaffung des Eurofighters belasten Sie den Bundeshaushalt 17 Jahre im voraus. Schöne Aussichten sind das für die kommenden Generationen! Selbst die Solisenkung wollen Sie auf Pump betreiben. Nein, Kolleginnen und Kollegen, dieses Land braucht einen Politikwechsel. ({15}) Unabdingbar ist es, ein Zukunftsinvestitionsprogramm sowie ein mittelfristiges Ausbildungs- und Beschäftigungsprogramm für junge Leute aufzulegen. Das wären Hoffnungssignale, die von hier ausgehen könnten. Dringlich ist es, für gesellschaftlich notwendige Arbeiten im soziokulturellen Bereich öffentliche Nachfrage finanzierbar zu machen. Dieses Land hat die Möglichkeiten dazu. Das paßt zwar nicht zu Ihrem neoliberalen Zeitgeist und Ihrem neoliberalen Zeitverständnis, aber das wird die nach Aufbruchsignalen suchenden Menschen in diesem Lande nicht mehr lange interessieren. Ich danke Ihnen. ({16})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wieczorek, wir alle, auch ich persönlich, freuen uns, daß Sie an dieser Debatte wieder in alter Frische teilnehmen konnten. Ich danke Ihnen auch für die Leitung des Haushaltsausschusses, ebenso für die Kollegialität, die hier immer wieder zum Ausdruck kommt. ({0}) Sie haben bemerkenswerte Ausführungen - mit Ausnahme des letzten Satzes - zum Haushaltsrecht, zur Finanzverfassung und zur Notwendigkeit von Reformen gemacht. Lassen Sie mich dazu im vorhinein nur wenige Bemerkungen machen, weil es sich lohnt, sich mit diesen breiter und tiefer angelegten Ausführungen auseinanderzusetzen. Was die Finanzverfassung anlangt, wäre es in erster Linie erforderlich, daß die Länder - was den nationalen Stabilitätspakt anlangt - endlich zu einem Ergebnis kommen und sich auch in die nationale Solidarität, was den Maastricht-Prozeß und die Erfüllung von Defizitkriterien betrifft, einklinken. Ich halte es für zwingend erforderlich, daß dies baldmöglichst geschieht. ({1}) Zum zweiten. Natürlich muß auch kritisch überprüft werden, ob der Bund-Länder-Finanzausgleich dem Wettbewerb, ob er den Incentives überhaupt noch gerecht wird. Wenn hier von Bayern, Baden-Württemberg, aber auch von Hessen die Frage gestellt wird, ob eine Übernivellierung von mehr als 90 Prozent dem Wettbewerb und der Leistungsfähigkeit Deutschlands noch entspricht, ob es sich für ein finanzstarkes Land lohnt, zum Beispiel stärker Betriebsprüfungen durchzuführen, wenn das, was dabei herauskommt, automatisch in einen Finanzausgleich geht, oder ob es sich für ein finanzschwaches Land lohnt, seine Betriebe, die vielleicht nicht so gut dastehen, stärker zu überprüfen, wenn das den eigenen autonomen Steuereinnahmen gar nicht zugute kommt, weil es in diesem Nivellierungssystem keine Früchte trägt, dann muß doch über so etwas nachgedacht werden. Insofern, glaube ich, ist es richtig, wenn wir und die Länder darüber nachdenken. Es kann nicht so sein, daß es bei den Einnahmen eines Teils der Bundesländer - und elf hängen am Tropf - völlig Wurscht ist, wie man wirtschaftet, und man nur über die Ausgaben, die andere garantieren, verfügt. ({2}) Das ist ein Systemfehler, der angegangen werden muß und der zu Recht von den Südländern, aber auch von anderen moniert wird. ({3}) Insofern sollten Sie das sehr differenziert betrachten. Herr Kollege Diller, Sie haben in einer Kurzintervention noch einmal etwas über Annahmen gesagt. Der Kollege Repnik hat, wie ich meine, die Frage des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts überzeugend und mit Blick auf Art. 115 des Grundgesetzes maßgeblich definiert. Wir sind doch darauf angewiesen - das ist unsere Pflicht -, die Annahmen, die uns entweder auf Grund der Steuerschätzung oder der gesamtwirtschaftlichen Eckwerte vorgegeben sind, in unsere Planung einzuführen. Das haben wir nach bestem Wissen und Gewissen getan. Wenn sich die Zahlen ändern, zum Beispiel bei der Steuerschätzung und die Realität sich anders entwickelt hat, als Bund, Länder, Kommunen, Bundesbank, Sachverständigenrat und Institute angenommen haben, dann müssen Sie die von Ihnen regierten Länder genauso kritisieren wie uns. Insofern ist Ihre Bemerkung nicht fair, und sie ist auch nicht in Ordnung, was den Vorwurf Art. 115 anlangt. ({4}) - Ich möchte noch einen Satz sagen, aber ich habe schon den Mut. Wissen Sie, Herr Diller, wenn Sie glauben, wir würden quasi vor Angst zusammenbrechen, wenn Sie aufstehen: Ich kenne den Kollegen Repnik sehr gut. Ich weiß nicht, wovor er Angst hat, aber vor Ihnen ganz sicher nicht. ({5}) Nur noch einen Satz - den können Sie bei Ihrer Zwischenfrage vielleicht gleich berücksichtigen -: Wer die Konsolidierung, wie Sie seit 1994, blockiert ({6}) und zum meisten, was wir an Einsparungen vorgeschlagen haben, nein gesagt hat oder es wenigstens im Bundesrat abgelehnt hat, der hat kein moralisches und kein juristisches Recht, sich auf Art. 115 des Grundgesetzes zu berufen. ({7})

Karl Diller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000391, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesfinanzminister, ich wiederhole die Zahlen. ({0}) - Gut, dann muß ich den Satz in Frageform kleiden. Herr Bundesfinanzminister, da Sie sich auf Sachverständige berufen, möchte ich Sie fragen: Haben Sie vergessen, was das Sachverständigengutachten, das Ihnen vor wenigen Tagen übermittelt worden ist, feststellt? Ich zitiere: Da die Kreditaufnahme die Summe der im Haushalt veranschlagten Investitionsausgaben überstieg, mußte die Ausnahmeregelung des Artikel 115 Absatz 1 GG „zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" in Anspruch genommen werden. Die dafür im Nachtragshaushalt gegebene Begründung konnte nicht überzeugen. Das gilt auch für die Erklärung, daß die erhöhte Kreditaufnahme zur Abwehr der Störung geeignet sei. Herr Finanzminister, meinen Sie nicht, daß dies ein vernichtendes Urteil ist und genau unsere Position bestätigt? ({1})

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Herr Kollege Diller, auf das Sachverständigengutachten komme ich nachher noch zu sprechen. Es hätte nur zwei Möglichkeiten gegeben, den Art. 115 auf andere Art und Weise nicht zu tangieren. Die erste Möglichkeit wäre gewesen, weitere Ausgabenkürzungen in einer Größenordnung von 15 Milliarden DM durchzuführen. Es ist eine Unverfrorenheit von Ihnen, ({0}) diese Möglichkeit in Aussicht zu stellen. Jeder weiß nämlich, Sie wären zu dieser Maßnahme nicht bereit gewesen. ({1}) Die zweite Möglichkeit wäre gewesen, Steuererhöhungen in dieser Größenordnung durchzuführen. Auch das hätten Sie nicht mitgemacht. Im übrigen wäre es konjunkturpolitisch falsch gewesen. Insofern ist das, was wir gemacht haben, richtig und vertretbar und steht mit Art. 115 des Grundgesetzes in Einklang. ({2})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Gerne.

Karl Diller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000391, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesfinanzminister, sind Sie in der Lage, dem deutschen Volk zu erklären, wie ein Nachtragshaushalt, der nach Lage der Dinge erst fünf Tage vor Weihnachten im Bundesgesetzblatt stehen kann, überhaupt noch geeignet sein soll, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts des Jahres 1997 abzuwehren?

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Wir stellen fest, daß das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht im Jahre 1997 nicht gegeben ist. Wir nehmen deswegen die Ausnahmeregelung des Art. 115 in Anspruch. ({0}) Bevor Sie fragen, sollten Sie wenigstens einmal den Art. 115 des Grundgesetzes in seiner Gänze lesen! ({1}) - Nein, ich gestatte keine weitere Zwischenfrage mehr. Herr Diller, ich habe Ihnen zwei Chancen gegeben. Sie haben Sie nicht genutzt. Insofern macht es keinen Sinn, Ihnen eine dritte Chance zu geben. ({2}) Herr Kollege Wieczorek, in Ihrem mißglückten Schlußsatz sollen Sie gesagt haben - so wurde mir berichtet; ich muß an dieser Stelle draußen gewesen sein; ich selbst habe ihn leider nicht gehört -, daß in Nordrhein-Westfalen die Einnahmen aus der Biersteuer höher seien als die Einnahmen aus der Einkommensteuer. Vielleicht läßt sich mit der Biersteuer im Ruhrgebiet und vielleicht auch in Bayern an der einen oder anderen Stelle etwas darstellen. - Wegen der Erhöhung der Biersteuer sind früher Revolutionen ausgebrochen. Der Bierpreis und der Brotpreis konnten zu erheblichen Auswirkungen führen. Aber man sollte es sich in diesem Zusammenhang nicht zu leicht machen. Ich habe mir einmal von Nordrhein-Westfalen - eine Regionalisierung ist nicht möglich - die Zahlen geben lassen: 1996 betrugen die Einnahmen aus der Biersteuer dort 494 Millionen DM, die Einnahmen aus veranlagter Einkommensteuer 5 292 000 000 DM. ({3}) Wenn Sie ganz neue Daten haben wollen, Herr Wieczorek, dann sage ich Ihnen: Von Januar bis Oktober 1997 betrugen die Einnahmen aus der Biersteuer 409 Millionen DM, die Einnahmen aus veranlagter Einkommensteuer 1 844 000 000 DM. ({4}) Herr Wieczorek, Ihre Bemerkung ist Ihrem Niveau als Vorsitzender des Haushaltsausschusses nicht gemäß. ({5}) Lieber Kollege Weng, ich danke Ihnen wie natürlich auch den Kollegen Roth, Kalb und den anderen maßgeblichen Mitwirkenden, aber Ihnen ganz besonders, weil Sie ein verläßlicher Freund und Mitarbeiter mit großer Sachkunde, mit großer Akribie - nicht immer ganz einfach und pflegeleicht, aber verläßlich - und mit großem Verantwortungsbewußtsein über Partei und Fraktion hinaus waren. Dafür möchte ich Ihnen meinen persönlichen und den Dank der Bundesregierung aussprechen. Sie werden uns fehlen. Ich wünsche Ihnen künftig alles Gute. ({6})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Finanzminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieczorek?

Dr. Theodor Waigel (Minister:in)

Politiker ID: 11002412

Nein, zu anderen Themen gern, aber nicht zur Biersteuer. Das ist dem Thema dieses Tages wirklich nicht mehr gemäß. ({0}) Frau Professor Luft, es fällt einem immer wieder schwer, auf PDS-Redner zu antworten. Ich kann mich noch daran erinnern, wie Sie Anfang 1990 mit Ihrem damaligen Ministerpräsidenten Modrow hier hergekommen sind und für Ihre Katastrophenpolitik noch einmal 15 Milliarden DM haben wollten. Gott sei Dank haben wir Ihnen keinen Pfennig gegeben. ({1}) Seitdem haben wir jedes Jahr mehr als zehnmal so viel aufgewendet, um das von Ihnen verwüstete Land in Ordnung zu bringen und den Menschen konkret zu helfen. ({2}) Zu den schönsten Dingen meines Lebens gehört die Erinnerung an eine große Veranstaltung in Leipzig. Dort sah ich von weither ein großes Transparent, auf dem stand: „Tausche Ost-Mark und Luft gegen D-Mark und Waigel" . ({3}) Mir hat das ausgesprochen gut gefallen. Die Menschen haben beides bekommen und sind damit auch heute noch zufrieden. ({4}) Leider ist Herr Lafontaine - ich kann da aber nichts verlangen - heute nicht mehr da. Aber ich möchte mich doch mit einigen Punkten auseinandersetzen, die er in die Debatte eingeführt hat. Er hat das Beispiel Japan gebracht. Das Beispiel Japan aber paßt ganz sicher nicht, wenn man damit begründen möchte, mehr Binnennachfrage sei das Richtige und man müsse angebotsorientierte Politik durch Nachfragepolitik ersetzen. Die konjunktur- und finanzwirtschaftlichen Probleme, in denen Japan steckt, hängen damit zusammen, daß die Konjunkturankurbelung zu stark im Bereich der Binnennachfrage versucht wurde, aber zuwenig Strukturreformen gemacht wurden und zu wenig zur Verringerung der Kosten getan wurde. Der Schwerpunkt des jüngst von der japanischen Regierung beschlossenen Maßnahmenpakets zur Konjunkturankurbelung liegt dagegen eindeutig auf Maßnahmen zur Deregulierung, zur Marktöffnung sowie auf Steuerreformmaßnahmen wie der Senkung der Körperschaftsteuer. Nun noch einmal zum Sachverständigenrat: Weil er so oft mißbraucht worden ist, ist es wichtig, noch einmal einige Dinge in diese Debatte einzuführen. In Ziffer 305 heißt es: ... die Komplexität der Wirkungszusammenhänge wird ... auf eine extrem vereinfachte Formel gebracht: Mehr Nachfrage, mehr Produktion, mehr Beschäftigung. Dann heißt es weiter: Mit der theoretisch fundierten Konzeption einer Globalsteuerung der Nachfrage hat das nichts mehr zu tun. Vielmehr handelt es sich um ein fundamentales Mißverständnis dieser Konzeption; eine sich in dieser Weise orientierende Wirtschaftspolitik würde fatale Folgen haben. An anderer Stelle heißt es weiter: So wird der Konzeption - also der angebotsorientierten Konzeption vorgeworfen, daß sie die Bedeutung der Nachfrageseite der Volkswirtschaft verkenne. Das ist falsch. ... Die Führungsrolle wird im Handeln auf der Angebotsseite gesehen ... weil mit der Initiative von Anbietern zugleich Einkommen und Kaufkraft entstehen. Das ist exakt die Bestätigung unserer wirtschaftspolitischen Konzeption, an der wir festhalten und die wir fortführen. ({5}) Was die Steuerreform anbelangt, sagt der Sachverständigenrat: Die in weiten Teilen diesen Vorstellungen entsprechenden Vorschläge der Bundesregierung hatten im politischen Widerstreit keine Chance. ({6}) Das heißt, vornehm ausgedrückt, nichts anderes als: Eine richtige Konzeption ist von der SPD verhindert worden. ({7}) Meine Damen und Herren, ich zitiere aus den jüngsten Veröffentlichungen von Goldman Sachs, Wochenreport vom 14. November: Die Schlüsselfrage für die Finanzpolitiker ist nicht, ob sich Deutschland die Steuerreform leisten kann, sie ist vielmehr, ob sich Deutschland das gegenwärtige Steuersystem leisten kann. Die große Steuerreform muß kommen. Die Steuersätze sind hoch geblieben. Die Steuerquote ist gesunken. Geschickte Steuerjongleure nutzen jeden Ausweg. Der „Normalzahler" hat das Nachsehen. Das bedeutet für uns: Tarifsenkung, Anreize zur Steuervermeidung zurückschneiden und die Bemessungsgrundlage verbreitern. Meine Damen und Herren, ich wiederhole, was in dieser Woche seitens der Koalition - eben noch vorn Kollegen Solms - zum Ausdruck gekommen ist: Wir sind bereit, jetzt das mit der Opposition Erreichbare auszuloten. Wir sind bereit, einen Einstieg in die große Reform und Kompromißlösungen zu suchen. Wir müssen, wie ich meine, jetzt handeln, weil wir sonst ein ganzes Jahr verlieren; das kann sich Deutschland nicht leisten. ({8}) Bereits im Januar 1999 muß ein Konzept umgesetzt werden, um den Standort Deutschland zu sichern, die Körperschaftsteuersätze und den Höchststeuersatz für gewerbliche Einkünfte zu senken sowie den Höchststeuersatz für nichtgewerbliche Einkünfte entsprechend anzupassen, um eine verfassungsrechtlich nicht zulässige Ungleichbehandlung zu vermeiden. Das bedeutet die Deckung der Steuermindereinnahmen durch Einschränkung der Steuergestaltung. Konsenslisten liegen vor. Zusätzlich könnte der untere Bereich des Tarifs einbezogen werden. Auch hier wäre eine entsprechende Deckung sicherzustellen. Unter Hinzunahme einer Umschichtung zu den indirekten Steuern - auch das ist ein richtiger und vertretbarer Weg - könnte bei den direkten Steuern eine gewisse Entlastung stattfinden. Im Jahr 2000 bedarf es wegen der Steuermehreinnahmen aus den Deckungsmaßnahmen von 1999 weiterer Schritte beim Tarif; denn die Steuereinnahmen steigen auf Grund der Gegenfinanzierung, der Rückführung der Vergünstigungen und des Abbaus der Ausnahmetatbestände im Rechnungsjahr. Wir können natürlich keine Überkompensation der Gegenfinanzierung akzeptieren. Insofern müßte eine weitere Senkung der Tarifsätze über den gesamten Tarifverlauf hinweg stattfinden. Gespräche darüber können sofort beginnen. Sätze, Stufen und die zu bewegenden Volumina können diskutiert werden. Das Entscheidende ist, ob die SPD bereit ist, im Tarifbereich etwas für Investitionen und Wachstum zu tun, oder ob sie sich rein auf die Steigerung der Massenkaufkraft beschränken möchte. Meine Damen und Herren, Sie haben kritisiert, daß in diesem Haushalt Einmalmaßnahmen vorgesehen sind. Das ist ordnungspolitisch richtig und finanzpolitisch geboten. Auch Sie tun das in den Ländern, wo Sie regieren. Daran gibt es nichts zu kritisieren. Natürlich sind wir in einer schwierigen finanzpolitischen Situation. Es geht jetzt darum, auch durch Einmalmaßnahmen, die ordnungspolitisch richtig sind, eine Brücke in die Zukunft zu bauen. Privatisierung ist kein „Schlußverkauf", sondern ordnungspolitisch geboten: Mehr Markt, weniger Staat; der Staat ist der schlechtere Unternehmer. Auch SPD-Länder privatisieren. Der groß angekündigte Generalangriff auf die Tilgungsaussetzung beim Erblastentilgungsfonds hat nicht stattgefunden. Das hängt wohl damit zusammen, daß in den von Ihnen regierten Bundesländern ähnliche Erwägungen angestellt werden. Wir haben auf Grund der Stabilitätserfolge der letzten Jahre - gerade was den Erblastentilgungsfonds anbelangt - überproportionale Tilgungen durchgeführt. Deswegen ist vertretbar, diese Bundeszuführung 1997 um 6 Milliarden DM herabzusetzen. Dennoch bleibt - darauf lege ich großen Wert - eine Nettotilgung von mehr als 6 Milliarden DM, also fast 2 Prozent der Anfangsverschuldung. Jeder Häuslebauer weiß, daß 2 Prozent für einen Baukredit schon eine äußerst hohe Tilgungsrate sind. Die Konsolidierungspolitik muß ungebremst weitergehen. Das gilt auch für die Haushaltsaufstellung 1999. Es muß wieder in Erinnerung gebracht werden, daß die SPD in der Vergangenheit Entlastungsmaßnahmen in der Größenordnung zweistelliger Milliardenbeträge verhindert hat. Ich erinnere daran, daß wir ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl 1994 sehr unpopuläre Maßnahmen vorgeschlagen und versucht haben, sie durch Bundestag und Bundesrat zu bringen. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Ja!) Es ist uns leider nicht gelungen. Ich erinnere an die Begrenzung der Bezugsdauer der Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre, an die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe, an die Absenkung der Beamtenbezüge, die Reduzierung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf 80 Prozent. Dies alles haben wir vor den Wahlen 1994 vorgeschlagen. All dies wäre notwendig gewesen, um das strukturelle Ungleichgewicht des Haushaltes reduzieren zu können. ({0}) Übrigens, was Solidarität und Subsidiarität anbelangt: Das Saarland erhält im laufenden Jahr - ohne die Bundesergänzungszuweisungen - fast dreimal so hohe Pro-Kopf-Leistungen wie Bayern. Einschließlich der Ergänzungszuweisungen erhöht sich dieses Verhältnis auf mehr als 5 :1. Es ist wahr: Bayern hat früher, in den 50er und 60er Jahren, aus dem Bundesfinanzausgleich Geld bekommen. ({1}) Das war gut. Nur, es ist vernünftig angelegt worden, in eine richtige Strukturpolitik, in Arbeitsplätze. Zwischenzeitlich hat Bayern diese Beträge zurückgezahlt. ({2}) Wir stehen zur Solidarität; aber Solidarität kann nicht darin bestehen, hier Solidarität gegenüber dem Bund einzufordern und im anderen Fall - bei der Gesetzgebung, bei der Konsolidierung des Haushalts und bei der Steuerpolitik - dem Bund die Solidarität zu verweigern. Das ist eine Form von Solidarität, die wir nicht akzeptieren. ({3}) Übrigens: Ich bin neulich nach Primär- und Sekundärtugenden gefragt worden. Ich habe auf dem Parteitag folgendes gesagt: Es hätte dem Saarland nicht geschadet, wenn sich sein Ministerpräsident mit Sekundärtugenden wie Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Ordnung, Fleiß und Sparsamkeit hervorgetan hätte. ({4}) Ich glaube, das ist ein Satz, den fast jeder in diesem Haus unterschreiben kann. ({5}) Zu den Sekundärtugenden hat er seine eigene Beziehung; das hat er ja zum Ausdruck gebracht. Ich habe mich dann noch um die Primärtugenden gekümmert, als da sind: Weisheit, Besonnenheit, Gerechtigkeit und Demut. ({6}) Jetzt gehe ich die einmal einzeln für Lafontaine durch. Weisheit - nein, ganz sicher nicht; BesonnenBundesminister Dr. Theodor Waigel heit - nein; Gerechtigkeit - stark unterentwickelt; Demut - besitzt er ganz sicher nicht. ({7}) Insofern stehe ich zu dem, was ich damals gesagt habe. ({8}) Insofern stehe ich zu dem, was ich damals gesagt habe. ({9}) Das schadet gar nicht; das Saarland und ganz Deutschland bräuchten mehr Sekundärtugenden - und natürlich auch Primärtugenden -, damit beide vernünftig regiert werden können. ({10}) Ich bin eigentlich stolz darauf, daß es mir am Freitag doch noch gelingt, so viel Feuer in die Debatte hineinzubringen, und daß Sie sich über mich ärgern. Ich empfinde das als ausgesprochen anspornend. Das scheint Ihnen doch zu schaffen zu machen. ({11}) Herr Diller, Sie haben zum Bundesbankgewinn ebenfalls etwas völlig Falsches gesagt. Sie haben gesagt, wir hätten das besondere Glück, hohe Bundesbankgewinne zu haben. Ja, das ist wahr. Nur, Sie wissen doch ganz genau, daß sie nur bis zu einer Höhe von 7 Milliarden DM in den Haushalt fließen dürfen. Alles, was darüber hinausgeht, fließt jetzt in den Erblastentilgungsfonds und wurde früher zur Reduzierung der Bruttoschuld verwendet. Insofern ist das, was Sie behaupten und was Sie andeuten, als ob wir das im Haushalt verwirtschafteten, völlig falsch, ganz abgesehen davon, daß wir immer klipp und klar auch gesagt haben: Ein auf Grund einer Neubewertung der Devisen der Bundesbank im Zusammenhang mit einer europäischen Neubewertung erreichter höherer Wert fließt voll in den Erblastentilgungsfonds und nicht in den Haushalt. Es wäre ehrlich gewesen, auch das offen, klar und zweifelsfrei darzustellen. ({12}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedanke mich bei Ihnen für die Mitarbeit und für die Unterstützung. Ich bin überzeugt: Wir haben mit dem Nachtragshaushalt und dem Haushalt einen guten Weg gefunden, ({13}) auf dem wir eine schwierige Zeit überzeugend bewältigen können. Wir werden auch künftig auf dieser Basis die Probleme Deutschlands meistern. Ich danke Ihnen. ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich rufe jetzt den Kollegen Cern Özdemir auf.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Damit Sie sich nicht wundern: Ich spreche jetzt nicht zu der soeben gehörten Rede unseres Bundesfinanzministers. Ich hätte gern später geredet. Leider konnten sich die Geschäftsführer untereinander nicht über den Ablauf einigen. Deshalb werde ich jetzt zu einem Entschließungsantrag sprechen, den wir Ihnen nachher bei den Abstimmungen vorstellen werden und der nachher zur Abstimmung kommen wird. Kolleginnen und Kollegen, wir haben in dieser Woche eine schwere und anstrengende Haushaltsdebatte fast hinter uns, in der einige Signale der Verständigung beim Steuerstreit ausgesandt wurden. Die Tür ist zumindest einen Spalt weit aufgetan. Ich glaube, daß ich im Namen der meisten hier im Hause spreche, wenn ich sage, daß wir keine Lust haben, ein Jahr lang einen Dauerwahlkampf zu führen und ein Jahr lang Steuerstreit zu machen, weil es dem Ansehen der Politik und dem Ansehen der Politiker insgesamt immens schadet. ({0}) Wir müssen ein Interesse daran haben, daß wir in den Kernfragen der Auseinandersetzung zu einer vernünftigen Lösung kommen, so daß die Bürgerinnen und Bürger nicht den Eindruck gewinnen, daß wir uns gegenseitig blockieren und daß in der Politik Entscheidungen nicht mehr möglich sind. Das ist auch der Grund dafür, daß wir diesen Entschließungsantrag eingebracht haben. Er hat einen Punkt zum Inhalt, bei dem wir uns trotz allen Streits in diesem Haus bisher, soweit ich das beurteilen kann, einig waren, nämlich die Europapolitik. Sie wissen, daß wir in der Frage der Beschäftigungspolitik auf europäischer Ebene eine unterschiedliche Einschätzung haben. Aber in einem waren wir uns einig: Wir wollen nicht weniger Europa; wir wollen mehr Europa. Wir wollen mehr europäische Verständigung. Wir wollen so viele Fragen wie möglich in der Zusammenarbeit mit unseren europäischen Freunden und Freundinnen gemeinsam lösen. Es gibt einen Politikbereich, bei dem wir zu einer anderen Einschätzung gelangen als die Bundesregierung, nämlich den Bereich der Integrationspolitik, der Migrationspolitik und auch der Asylpolitik. In diesem Bereich brauchen wir auf europäischer Ebene Mindeststandards und gemeinsame Kriterien. ({1}) Gerade deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bedauern wir es sehr, daß die Bundesregierung der Europäischen Konvention zur Frage der Einbürgerung, die am 5. November in Straßburg verabschiedet wurde, nicht zugestimmt hat, obwohl 15 andere Staaten Europas, inklusive Österreich, zugestimmt haben. Die Begründung für die Ablehnung der Bundesregierung - ich darf kurz zitieren - war, es handle sich um einen ungünstigen Zeitpunkt. Wir sind gegenteiliger Meinung: Genau jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um ein Signal zu geben, daß wir auf europäischer Ebene mit unseren Partnerinnen und Partnern eine Verständigung im Bereich der Zuwanderungspolitik, der Integrationspolitik und der Einwanderungspolitik brauchen. ({2}) Deshalb bitten wir Sie, in den anschließenden Einzelabstimmungen unserem Entschließungsantrag zuzustimmen. Lassen Sie uns gemeinsam den Anschluß an den europäischen Zug nicht verpassen! Ich glaube, daß wir trotz allen Streits in Einzelfragen, auch was die Frage des Staatsangehörigkeitsrechts I angeht - das werden wir hier noch an anderer Stelle zu debattieren haben -, in dieser Frage ein Signal geben müssen. Denn unsere europäischen Freunde verstehen nicht, warum gerade die Bundesrepublik Deutschland in diesem Punkt wegtaucht und sagt, daß es keinen europäischen Regelungsbedarf gebe. Der Antrag besteht aus einem Satz: Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Europäischen Abkommen zur Staatsangehörigkeit unverzüglich beizutreten. Ich danke Ihnen. ({3})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Als letzten Redner in dieser Debatte rufe ich den Kollegen Bartholomäus Kalb auf .

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Ausgaben von 456,8 Milliarden DM wurde das Volumen des Bundeshaushalts weiter zurückgeführt. Die Investitionen belaufen sich auf 58,1 Milliarden DM, die Neuverschuldung liegt bei 56,4 Milliarden DM. Damit sind die Anforderungen von Art. 115 Grundgesetz eindeutig erfüllt, und es ist Vorsorge für eine dauerhafte Erfüllung der Maastricht-Kriterien getroffen. Der Fraktionsvorsitzende der SPD sehnte sich am Mittwoch in seiner Rede in die Zeiten von 1982 zurück. Damals aber betrug die Nettokreditaufnahme bereits 37,2 Milliarden DM bei einem Haushaltsvolumen von 245 Milliarden DM und einem Bruttosozialprodukt von lediglich 1,6 Billionen DM, während wir für nächstes Jahr 3,8 Billionen DM - das sind 3800 Milliarden DM - Bruttoinlandsprodukt erwarten können. Demzufolge belief sich damals die Verschuldungsquote auf 2,3 Prozent, während wir sie auf 1,5 Prozent zurückführen konnten. ({0}) Ich denke, diese Relationen müssen hergestellt werden. Sie beklagen die heutige Verschuldung. Sie aber hatten damals in Ihrer Zeit keinen Fonds Deutsche Einheit und keinen Erblastentilgungsfonds zu bedienen und auch keine Transferleistungen in Höhe von jährlich 100 bis 150 Milliarden DM von West nach Ost aufzubringen. Sie hatten nicht die Bahnschulden im Bundeshaushalt, nicht die Herausforderung des Wandels von der Industrie- zur Informationsgesellschaft, die Herausforderung durch die Globalisierung der Märkte für Waren, Finanzen und Dienstleistungen zu bewältigen und konnten Ökonomie noch weitgehend national betreiben. ({1}) Herr Kollege Wieczorek, Sie wissen, wie sehr ich Sie schätze. Aber Ihr Vergleich von vorhin hinsichtlich der Biersteuer ist absolut nicht hinnehmbar. Er eignet sich zur Polemik, dient aber nicht der Sache. Er ist geeignet, Neid zu schüren. Und wenn Neid gesät wird, wird häufig Sturm geerntet. Ich gebe gerne zu, Herr Kollege Wieczorek, daß die Steuerstatistik nicht geeignet ist, ein objektives Bild über die Zahlungsströme zu liefern, weil nicht erkennbar wird, welche Steuerzahlungen geleistet werden und was damit verrechnet wird. Ich denke beispielsweise daran, daß die Investitionszulagen, sie sind ja gewollt - für Investitionen insbesondere in den neuen Ländern, gegengerechnet werden, auch daran, daß wir einen Lohnsteuerjahresausgleich alter Form nicht mehr haben, daß die Erstattungen auf dem Konto „Einkommensteuer" gegengerechnet werden, auch familienpolitische Leistungen, Kindergeld, erhöhte Kinderfreibeträge. ({2}) Ich bestreite nicht - da sind wir uns einig -, daß unabhängig davon eine Erosion der Einkommensteuer stattfindet. Das ist ja auch der Grund, weswegen wir dringend eine Steuerreform brauchen. ({3}) Angesichts der hohen Einnahmenanteile, die die Länder zwischenzeitlich haben - sie sind höher als die des Bundes -, wäre es geradezu SelbstverstümBartholomäus Kalb melung, wenn der Bundesrat weiter gegen die Steuerreform opponierte. Statt dessen blockieren Sie die Reformen hier und im Bundesrat und überziehen unser Land mit politischem Mehltau. Dabei „kostet uns der Mehltau, der über den zentralen politischen Reformprojekten in Deutschland liegt, täglich Arbeitsplätze". So schreibt Dieter Spöri, den Sie gut kennen, im „Focus" vom 24. November dieses Jahres. ({4}) Spöri fordert in diesem Aufsatz die Steuerreform und die Reform des Sozialsystems und verleiht seiner Überzeugung Ausdruck, daß diese Reformen nach der nächsten Bundestagswahl kommen werden, unabhängig von der parteipolitischen Zusammensetzung der Regierung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen angesichts praktisch grenzenloser Finanz- und Kapitalmärkte dringend eine Harmonisierung auf europäischer Ebene und einen Abbau von Sondertatbeständen und Sondergebieten. Die Initiative von Bundesfinanzminister Waigel im ECOFIN-Rat begrüßen wir deshalb ganz ausdrücklich und unterstützen sie mit großem Nachdruck. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie haben im Laufe dieser Woche milliardenschwere Erhöhungen gefordert, ohne dafür seriöse Einsparvorschläge gemacht zu haben. Aber wir müssen allen m diesem Land, die mehr Leistungen vom Staat fordern und erwarten, eine Grundwahrheit sagen: Der Staat, die öffentlichen Hände haben kein anderes Geld als jenes, welches sie den Bürgern vorher über Steuern, Abgaben, Beiträge und Gebühren aus der Tasche gezogen haben. Es besteht kein Zweifel: Wir müssen in diesen Jahren große finanz- und haushaltspolitische Herausforderungen bewältigen. Da mag manches nicht jedem gefallen. Wer aber um ein redliches Urteil bemüht ist, wird sagen müssen: Trotz aller Schwierigkeiten wurden und werden die Herausforderungen gut gemeistert. Sozialdemokraten, die etwas von der Sache verstehen, wie zum Beispiel Hans Apel, sagen, sie würden es nicht anders machen als Waigel. Mancher im Lande beklagt die derzeitige Situation, die finanzielle Enge, die Steuer- und Abgabenlast und vieles andere mehr. Später wird man einmal über die Situation m den 90er Jahren völlig anders urteilen. Franz Josef Strauß hat an der Jahreswende 1979/ 80 in seiner Neujahrsansprache gesagt: Die 80er Jahre werden das dritte kritische Jahrzehnt MI letzten Jahrhundert dieses Jahrtausends, weil sich noch in diesem Jahrzehnt, in den 80er Jahren, entscheiden wird, ob der Kommunismus die Weltherrschaft erlangen oder in sich zusammenbrechen wird. ({6}) In der Sprache von Franz Josef Strauß wird man später einmal sagen: Die 90er Jahre waren das beste Jahrzehnt im letzten Jahrhundert dieses Jahrtausends. ({7}) Die Teilung unseres Landes und unseres Kontinents durch Mauern, Stacheldraht und Schießbefehl ist überwunden. Die alten Blöcke sind aufgelöst, die gesamteuropäische Entwicklung ist gut vorangekommen, und Frieden, Freiheit und Wohlstand für die Völker haben sich Bahn gebrochen. Das ist es, was die 90er Jahre ausmacht. Das ist nicht zuletzt die Leistung dieses Bundeskanzlers, dieses Finanzministers, des Außenministers, dieser Regierung insgesamt ({8}) und in wichtigen Teilen auch - ich will das gern zugestehen - der großen Mehrheit dieses Hauses. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in meiner Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzender des Haushaltsausschusses möchte ich gern den Dank, den Kollege Wieczorek vorhin gesagt hatte, erwidern. Ich möchte mich im Namen aller Mitglieder des Ausschusses sehr herzlich bei ihm für die souveräne und faire Führung der Verhandlungen bedanken und all jenen besonders danken, die uns hilfreich auf allen Ebenen, im Sekretariat, im Finanzministerium und überall sonst, zur Seite gestanden haben. Herzlichen Dank. ({9}) Wir werden diesem Haushalt mit gutem Gewissen zustimmen. Wir legen damit eine gute Grundlage für das Jahr 1998. ({10})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Mir liegen die Meldungen zu zwei Kurzinterventionen zu der Rede des Bundesministers der Finanzen vor. Ich gebe zur ersten Kurzintervention dem Kollegen Karl Diller das Wort.

Karl Diller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000391, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen des Bundesfinanzministers möchte ich folgendes in Erinnerung rufen. Im Haushalt 1996 versuchte die Koalition, ein Haushaltsloch von 20 Milliarden DM durch Luftbuchungen mit dem berüchtigten Waigel-Wisch zu decken. Diese Luftbuchungen sind dann im Jahre 1996 aufgebrochen. Der Haushalt war von Anfang an verfassungswidrig. ({0}) Für den Haushalt 1997 haben Sie vor einem Jahr bei den beiden Haushaltstiteln Arbeitslosenhilfe und Bundeszuschuß für die Bundesanstalt für Arbeit bewußt eine Unterveranschlagung, eine zu geringe Veranschlagung von 16 Milliarden DM gemacht. In diesem Nachtragshaushalt legen Sie jetzt 18 Milliarden DM wieder drauf. Hätten Sie dieses Geld, wie wir es mit unserer Forderung nach einem Nachtragshaushalt bereits im Februar dieses Jahres verKarl Diller langt haben, damals bereitgestellt, dann hätte es aktiver Arbeitsmarktpolitik gedient. Dann hätte es im Sinne des Gerichtsurteils des Verfassungsgerichts eingesetzt werden können, nämlich zur Abwehr der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Das haben Sie nicht gemacht. ({1}) Jetzt nehmen Sie dieselbe Menge Schulden wenige Tage vor Weihnachten auf. Wenige Tage vor Weihnachten kann man nichts mehr an Hoffnungen verbreiten. Sie bezahlen damit nichts anderes als die passive Arbeitslosigkeit, statt daß Sie dasselbe Geld genommen hätten, um Hunderttausende von Menschen in Fortbildung und Umschulung zu stecken, damit sie wieder in der Lage wären, mit ihrer eigenen Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. ({2}) Dies haben Sie nicht gemacht. Deswegen sind der Haushalt 1997 und der Nachtragshaushalt wiederum ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Verfassung. Für das Jahr 1998 machen Sie eine versteckte Kreditaufnahme über eine bundeseigene Bank. Deswegen ist auch dieser Haushalt verfassungswidrig. Dreimal hintereinander verfassungswidrige Haushalte. Ich wiederhole meine Aussage: Die Herren Kohl, Waigel und Gerhardt müßten, wären sie die Leiter einer Privatfirma, noch heute zum Konkursrichter gehen. ({3}) Aber, Herr Bundesfinanzminister und Herr Bundeskanzler, ich möchte zum Schluß auch eine versöhnliche Bemerkung machen. Es macht keinen Sinn, die Debatte über die Steuerreform weiter öffentlich fortzusetzen. Das Angebot unseres Parteivorsitzenden liegt Ihnen vor. Ich möchte Sie ganz herzlich bitten, Herr Bundeskanzler, Herr Bundesfinanzminister: Wenn Sie gesprächsfähig und gesprächsbereit sind, lassen Sie das bitte Herrn Lafontaine und Herrn Scharping wissen. Sie warten darauf. ({4})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Bundesminister Waigel, es gibt noch eine zweite Kurzintervention. Ich weiß nicht, ob Sie sofort antworten möchten. - Dann gebe ich zu der zweiten Kurzintervention der Abgeordneten Frau Dr. Luft das Wort.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Bundesfinanzminister, Sie waren sich soeben nicht zu schade, hier vor dem Plenum und vor laufenden Kameras zu wiederholen, was Sie vor zwei Wochen schon einmal glaubten im Haushaltsausschuß sagen zu müssen. Dort war Ihnen die Öffentlichkeit offenbar nicht groß genug. Der Beifall hielt sich schon damals in Grenzen; ich erinnere mich gut. Ich will Ihnen zunächst sagen: Ich habe es durchaus als Lob empfunden, daß Sie wiederholt haben, daß wir gemeint hätten, mit 10 Milliarden DM hätten wir etwas bewegen können. Sie haben mit, wie Sie hochrechnen, inzwischen einigen Hunderten von Milliarden DM im Osten nicht so viel anschieben können, ({0}) daß es zum Wurzelnschlagen auf dem Arbeitsmarkt kommt. Das ist doch der Punkt. Am Fernseher aber - das scheint mir das Wichtigste zu sein - konnten sich die Menschen, die uns zugeschaut haben, davon überzeugen, welches Verständnis Sie vom deutsch-deutschen Zusammenwachsen haben. Noch im achten Jahr der deutschen Einheit möchten Sie bestimmten Menschen das demokratische Recht zur Meinungsäußerung und zur Teilnahme an der Politik dieses Landes nehmen. Ich kann mich aber gut daran erinnern, daß Sie keine Probleme damit hatten, mit denjenigen, die das Scheitern der DDR zu verantworten haben und zu denen ich keine Beziehungen hatte, ({1}) Kontakte herzustellen. Herr Bundesfinanzminister, Sie sollten sich heute einmal in Leipzig umsehen, welche Plakate dort jetzt hängen. Im übrigen, in meinem Wahlkreis können Sie gern gegen mich antreten. Dann werden wir sehen, was passiert. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Bundesfinanzminister, Sie können antworten, wenn Sie wollen. ({0}) Dann schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf des Haushaltsgesetzes 1998. Das sind die Drucksachen 13/8200, 13/8883, 13/9001 bis 13/9025, 13/9026 und 13/9027. Die Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ich mache im übrigen die Mitglieder des Hauses darauf aufmerksam, daß nach dieser namentlichen Abstimmung noch eine ganze Reihe weiterer wesentlicher Abstimmungen folgen werden. Darf ich fragen, ob die Urnen besetzt sind? - Dann eröffne ich die Abstimmung. - Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben. ) Darf ich Sie bitten, die Plätze wieder einzunehmen, damit wir mit den Abstimmungen fortfahren können. Wir können von hier aus die Mehrheitsverhältnisse nicht übersehen, wenn Sie nicht Platz nehmen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf Drucksache 13/9210. Wer diesem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9251. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der Gruppe der PDS gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9298 ab. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Nun folgt die Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9250. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltungen im übrigen abgelehnt worden ist. Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9299 auf. Dazu liegt ein Geschäftsordnungsantrag der Koalition vor. Ich gebe dazu das Wort dem Abgeordneten Jörg van Essen.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Koalitionsfraktionen beantrage ich, diese Abstimmung auf den nächsten Sitzungstag zu verschieben. Dieser Antrag beruht auf § 88 unserer Geschäftsordnung. Das Interesse der Koalitionsfraktionen ist es gewesen, daß es hierüber zu einer geordneten Beratung im Innenausschuß des Deutschen Bundestages kommt. Ich glaube, daß dieses Thema es verdient hat, daß sich das Parlament damit sorgfältig und gründlich befaßt. Es ist im übri- *) Seite 18963 A gen falsch, daß - wie im Antrag suggeriert wird - die Bundesregierung schon eine Entscheidung getroffen habe. Sie hat sie nicht getroffen, weil sie genau diese parlamentarische Beratung ermöglichen wollte. ({0}) Ich bedaure es ganz außerordentlich - ich will aus meiner persönlichen Sympathie für dieses Abkommen gar keinen Hehl machen -, ({1}) daß die Opposition verhindern will, daß es zu einer parlamentarischen Beratung hierüber kommt. Dies wäre eine sachgerechte Entscheidung gewesen. Uns bleibt deshalb nur die Möglichkeit, damit es überhaupt Gespräche im Parlament geben kann, die Verschiebung auf den nächsten Sitzungstag zu beantragen. Das geschieht hiermit. ({2})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich mache das Haus auf folgende Geschäftsordnungslage aufmerksam. Nach j 88 der Geschäftsordnung gibt es bei einem Entschließungsantrag ein Minderheitenrecht jeder Fraktion oder von anwesenden 5 Prozent der Mitglieder des Hauses, zu verlangen, daß die Abstimmung auf den nächsten Sitzungstag verschoben wird. Das ist durch den Antrag der Fraktionen der F.D.P. und der CDU/CSU geschehen. Dieses ist ein zwingendes Minderheitenrecht, so daß nicht abgestimmt wird, wenn ein solcher Antrag gestellt wird. Ich frage also, ob unter diesen Umständen die Fortsetzung der Geschäftsordnungsdebatte gewünscht wird, da ja keine Abstimmung erforderlich ist. ({0}) Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Cem Özdemir.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will gleich vorweg sagen: Wir werden dem Antrag, der von der F.D.P. und der CDU/CSU gestellt wird, zustimmen, weil uns gar nichts anderes übrigbleibt. Ich möchte trotzdem folgendes sagen: Es mutet schon seltsam an, daß hier gesagt wird - das klang in den einzelnen Runden an -, wir hätten nach wie vor Diskussionsbedarf, es sei nicht klar, was Gegenstand der Abstimmung sei, und die Frage Staatsbürgerschaft und Geburtsrecht usw. sei unklar. Ich glaube nicht, daß es bei uns im Land in den letzten drei Jahren ein Mangel an Diskussionen über die Staatsangehörigkeit gegeben hat. ({0}) Wir haben genug über dieses Thema geredet. Wir wissen, worum es geht. Jeder, der sich seriös mit dem Thema beschäftigen wollte, konnte in den letzten drei Jahren verfolgen, worum es in diesem Land geht. Ich will es noch einmal zusammenfassen. Es geht im Kern darum - genau das steht in dem Abkommen des Europarats -, daß Menschen, die auf Dauer - wie es in Juristendeutsch heißt - ihren Lebensmittelpunkt in einem Land haben, das Mitglied des Europarats ist, nach einer angemessenen Zeit verbindliche Rechtsansprüche erhalten sollen. Der Europarat sagt, nach zehn Jahren. Ich weiß nicht, wo da das Problem liegen soll. Ich denke, das ist eine Selbstverständlichkeit. Zweiter Punkt. Wer in dem Land geboren ist, der soll auch in dem Land -

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Cem Özdemir, wir führen hier eine Geschäftsordnungsdebatte. Es geht nur um die Frage, ob der Antrag nach § 88 der Geschäftsordnung behandelt wird oder nicht. Ich kann keine Sachdebatte zulassen. Ich gebe Ihnen das Wort ausdrücklich nur zur Geschäftsordnung. Bitte erschweren Sie die Situation nicht und reden Sie nur zur Geschäftsordnung! Bitte sehr!

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Merci. - Um es noch einmal zu sagen: Es geht hier nicht um ein Präjudiz in der Frage Gruppenantrag oder was auch immer da vorhin anklang. Vielmehr geht es darum, daß wir im Sinne unserer Geschäftsordnung ein Verfahren dafür finden, wie wir mit dieser Frage zu Potte kommen. Ich bin sehr gespannt, ob Sie die Zeit über das Wochenende nutzen werden, sich mit dieser Frage noch einmal intensiv zu beschäftigen; denn offensichtlich gibt es Bedarf, diese Frage zu klären. Ich fordere Sie auf: Lassen Sie uns die verbleibende Zeit wirklich nutzen, um diese Frage bis zum Mittwoch der nächsten Sitzungswoche abschließend zu klären. Ich möchte abschließend aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf den Beschluß des Europarates zitieren.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Cem Özdemir, ich bitte Sie, darauf zu achten, daß wir uns hier gegenseitig keine Schwierigkeiten machen.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kolleginnen und Kollegen, ich fordere Sie auf: Stimmen Sie mit uns am Mittwoch der nächsten Sitzungswoche diesem Antrag zu. Ich glaube, das ist im Sinne des gesamten Landes. Es ist im Sinne aller, die bei uns in der Gesellschaft leben. In diesem Sinne vielen Dank. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich das Wort zur Geschäftsordnung der Kollegin Cornelie Sonntag-Wolgast und bitte sie, sich so vorbildlich wie alle anderen an die Geschäftsordnung zu halten.

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002191, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich sehen wir, daß bestimmte Regularien da sind, die wir lebhaft in dem Sinne unterstützen, daß wir dringend darum bitten, nach den Regularien über diesen kurzen und knappen Antrag zügig zu entscheiden. Das will ich schon noch mit zwei, drei Sätzen begründen. Herr Kollege van Essen, auf Grund einer Initiative der SPD ist das gesamte Thema bereits vor Monaten im Innenausschuß lang und breit beraten worden, mit dem Ziel, die Bundesregierung aus einem überhaupt nicht mehr nachvollziehbaren Stillstand herauszubringen und gerade den Kanzler, der sich ja immer als großer Europäer darstellt, darauf hinzuweisen, daß es eine interessante Vorlage aus Europa gibt, mit der wir vorankommen. (Beifall des Abg. Hans-Peter Kemper ({0}) Deswegen plädieren wir eindeutig dafür, über diesen Antrag möglichst rasch positiv zu entscheiden; denn wir machen uns auch im internationalen Vergleich in dieser Frage allmählich lächerlich. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Nun gebe ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal ist festzustellen, daß die Rechtslage nach § 88 der Geschäftsordnung eindeutig ist. Wenn Sie eine Verschiebung wollen, dann steht Ihnen das zu. Dagegen kann hier niemand etwas einwenden. Das ist die Ordnung, die wir uns selbst gegeben haben. Allerdings hat mich besonders gefreut, daß der Herr Präsident darauf hingewiesen hat, daß Sie hier von einem Minderheitenrecht Gebrauch machen. Das sagt etwas über Ihre Zukunft aus. ({0}) Lassen Sie mich noch eine zweite Bemerkung machen: Es ist nicht verständlich, Herr van Essen, wozu diese Frist benötigt wird. Das Abkommen ist lange genug bekannt, und es gab genügend Diskussionen darüber. Daher habe ich hier ein Blockadegefühl. Da an dem Abkommen selbst auch nichts zu ändern ist - man kann ihm nur beitreten oder nicht beitreten -, weiß ich eigentlich nicht, worin der Beratungsbedarf noch bestehen soll, wenn es nicht ausschließlich darum geht, daß Sie noch Zeit benötigen, um ein Nein zu begründen. Das aber wäre wirklich eine Katastrophe. Ich hoffe daher, daß in der nächsten Sitzungswoche zugestimmt wird. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Gysi, es steht mir nicht an, Ihre Rede zu kommentieren. Aber wir wissen alle, daß jede Fraktion oder Gruppe in diesem Hause eine Minderheit ist. ({0}) Es liegen keine weiteren Wortmeldungen zur Geschäftsordnung vor. Bevor wir zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/9282 kommen, gebe ich das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlußabstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1998, Drucksachen 13/8200, 13/8883, 13/9001 bis 13/9025, 13/ 9026 und 13/9027, bekannt. Abgegebene Stimmen: 646. Mit Ja haben gestimmt: 336, mit Nein: 310. Keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. ({1}) Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 646; davon ja: 336 nein: 310 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({2}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Rudolf Braun ({3}) Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({4}) Hartmut Büttner ({5}) Dankward Buwitt Manfred Carstens ({6}) Peter Harry Carstensen ({7}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjörgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann Anke Eymer Ilse Falk Jochen Feilcke Ulf Fink Dirk Fischer ({8}) Leni Fischer ({9}) Klaus Francke ({10}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma Glücklich Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund Horst Günther ({11}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({12}) Gerda Hasselfeldt Otto Hauser ({13}) Hansgeorg Hauser ({14}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise Detlef Helling Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze Elke Holzapfel Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({15}) Ulrich Junghanns Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Peter Keller Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler ({16}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus Wolfgang Krause ({17}) Andreas Krautscheid Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({18}) Karl Lamers Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach Walter Link ({19}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({20}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({21}) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Erich Maaß ({22}) Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten Dr. Martin Mayer ({23}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Rudolf Meyer ({24}) Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({25}) Engelbert Nelle Bernd Neumann ({26}) Johannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({27}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau Helmut Rauber Peter Rauen Otto Regenspurger Christa Reichard ({28}) Klaus Dieter Reichardt ({29}) Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Dr. Norbert Rieder Dr. Erich Riedl ({30}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({31}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({32}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Jürgen Rüttgers Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Roland Sauer ({33}) Ortrun Schätzle Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({34}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({35}) Andreas Schmidt ({36}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz ({37}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte ({38}) Gerhard Schulz ({39}) Frederick Schulze ({40}) Diethard Schütze ({41}) Clemens Schwalbe Dr. Christian Schwarz-Schilling Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Marion Seib Wilfried Seibel Heinz-Georg Seifert Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Egon Susset Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser Dr. Susanne Tiemann Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({42}) Dr. Horst Waffenschmidt Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({43}) Gert Willner Bernd Wilz Willy Wimmer ({44}) Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller F.D.P. Ina Albowitz Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({45}) Günther Bredehorn Jörg van Essen Dr. Olaf Feldmann Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({46}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Dr. Burkhard Hirsch Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Detlef Kleinert ({47}) Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({48}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Wolfgang Weng ({49}) Dr. Guido Westerwelle Nein SPD Brigitte Adler Gerd Andres Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig Arne Börnsen ({50}) Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({51}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Lothar Fischer ({52}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({53}) Katrin Fuchs ({54}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Günter Graf ({55}) Angelika Graf ({56}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl Hermann Haack ({57}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold Hiller ({58}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Frank Hofmann ({59}) Ingrid Holzhüter Erwin Horn Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({60}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Hans-Ulrich Klose Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({61}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({62}) Winfried Mante Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Herbert Meißner Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({63}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Michael Müller ({64}) Jutta Müller ({65}) Christian Müller ({66}) Volker Neumann ({67}) Gerhard Neumann ({68}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Wilfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Rudolf Purps Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Günter Rixe Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({69}) Ulla Schmidt ({70}) Dagmar Schmidt ({71}) Wilhelm Schmidt ({72}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({73}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({74}) Volkmar Schultz ({75}) Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({76}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster Horst Sielaff Erika Simm Johannes Singer Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Günter Verheugen Ute Vogt ({77}) Karsten D. Voigt ({78}) Josef Vosen Hans Georg Wagner Hans Wallow Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({79}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({80}) Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({81}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({82}) Heidi Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gila Altmann ({83}) Elisabeth Altmann ({84}) Volker Beck ({85}) Angelika Beer Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({86}) Joseph Fischer ({87}) Rita Grießhaber Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({88}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Egbert Nitsch ({89}) Cem Özdemir Gerd Poppe Simone Probst Halo Saibold Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({90}) Wolfgang Schmitt ({91}) Ursula Schönberger Werner Schulz ({92}) Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({93}) Margareta Wolf ({94}) PDS Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi Hanns-Peter Hartmann Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne Rolf Kutzmutz Heidemarie Lüth Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({95}) Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz Fraktionslos Kurt Neumann ({96}) Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({97}) Antretter, Robert, SPD Schulte ({98}), Brigitte, SPD Zierer, Benno, CDU/CSU Dann kommen wir also zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/9282. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Entschließungsantrag mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS abgelehnt worden ist. Nun kommen wir zur Schlußabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf des Nachtragshaushaltsgesetzes 1997 auf Drucksachen 13/8199, 13/8803 und 13/9029. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen worden ist. Dann rufe ich die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen zur Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1993. und zu den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1995, Drucksache 13/7215, auf. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung einmütig angenommen worden ist. Dann kommen wir zu den Bemerkungen des Bundesrechnungshofes 1997 auf Drucksache 13/8550. Diese Vorlage soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dann stimmen wir über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zur Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 1996, Drucksache 13/8758, ab. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß auch diese Beschlußempfehlung mit allen Stimmen des Hauses angenommen worden ist. Damit ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Ich rufe die Tagesordnungspunkte VII. a und b sowie VIII. auf: VII. a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts - Drucksache 13/7274 - ({99}) - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Elektrizitätswirtschaft - Drucksache 13/7425 - ({100}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Michaele Hustedt, Gila Altmann ({101}), Franziska Eichstädt-Bohlig, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Energiewirtschaft ({102}) - Drucksache 13/5352 - ({103}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({104}) - Drucksache 13/9211- Berichterstattung: Abgeordneter Gunnar Uldall b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({105}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Köhne, Eva Bulling-Schröter, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Neuordnung und Demokratisierung der Elektrizitätswirtschaft - Drucksachen 13/8553, 13/9211-Berichterstattung: Abgeordneter Gunnar Uldall VIII. - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz ({106}) - Drucksache 13/5357 ({107}) - ({108}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Michaele Hustedt, Dr. Jürgen Rochlitz, Albert Schmidt ({109}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz ({110}) - Drucksache 13/2684 -({111}) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({112}) - Drucksache 13/9205 Berichterstattung: Abgeordneter Volker Jung ({113}) Zum Gesetzentwurf zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und ein Entschließungsantrag der Gruppe der PDS vor. Außerdem hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 14 Änderungsanträge eingebracht. Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Debatte über einen Änderungsantrag namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Gunnar Uldall.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die heute anstehende Reform des Energiewirtschaftsrechts ist ein weiterer wichtiger Schritt zur Umsetzung des Programms für mehr Beschäftigung und mehr Wachstum, damit wir die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stärken können. In den nächsten Monaten wird auch in der Öffentlichkeit klarer und klarer werden, welche tiefgreifenden Veränderungen die Bundesregierung und der Bundestag in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben. Ich habe gestern in der Haushaltsdebatte einige Punkte genannt, wie zum Beispiel die Liberalisierung der Post, die Liberalisierung der Telekom, die Privatisierung der Bahn. In diese Reihe von großen Reformmaßnahmen gehört auch die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte. Die Koalition zeigt damit Handlungsfähigkeit auch auf dem Energiesektor. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bedarf jetzt nicht mehr der Zustimmung des Bundesrates. Damit können wir dieses Gesetz aus eigener Kraft durchsetzen. Es ist interessant, einmal einen Blick zurückzuwerfen, wie häufig in den letzten 45 Jahren versucht worden ist, das Energiewirtschaftsrecht in Deutschland zu modernisieren. Bereits in der Weimarer Republik wurde das jetzt vorliegende Gesetz konzipiert. Es wurde 1935 in der Nazizeit verabschiedet, und insofern zeigte sich sehr bald die Notwendigkeit, dieses Gesetz zu ändern. Die ersten Versuche einer Änderung gingen auf den Anfang der 50er Jahre zurück, aber es ist nie gelungen, gegen den geballten Widerstand der unterschiedlichsten Interessengruppen in Deutschland dieses Gesetz durchzusetzen. ({0}) Heute ist der Tag da, an dem wir die Mehrheit hier im Hause für dieses Gesetz schaffen werden. Dies ist ein wirkliches Ereignis, meine Damen und Herren. ({1}) Bereits 1950 legten die Versorgungswirtschaft und der Deutsche Städtetag einen sogenannten „Blauen Entwurf " vor, um dieses Gesetz zu ändern. Ein Jahr später folgte auf Initiative des deutschen Kohlebergbaus der sogenannte „Rote Entwurf". Kurze Zeit später folgte durch die Industrieverbände ein „Grauer Entwurf ". Alle Entwürfe ließen sich nicht durchsetzen; sie sind an der festgefahrenen Situation gescheitert. Wer sich jetzt hinstellt und behauptet, unsere Regierung sei nicht durchsetzungsfähig, nicht reformfähig, der sollte einmal zum Maßstab solcher Äußerungen nehmen, daß sich das, was seit 40 Jahren vergeblich versucht worden ist, heute realisieren läßt. ({2}) Meine Damen und Herren, anläßlich der Verabschiedung der Kartellgesetze faßte der Deutsche Bundestag eine eindeutige Entschließung. In dieser Entschließung heißt es: Der Bundestag ersucht die Bundesregierung, den Entwurf eines neuen Energiewirtschaftsgesetzes mit größtmöglicher Beschleunigung vorzulegen. Wissen Sie, wann das gewesen ist? - Im Jahr 1957, vor über 40 Jahren hat sich der Bundestag bereits in dieser Frage geäußert, ({3}) und es ist seitdem nie gelungen, diesbezüglich zu einem Ergebnis zu kommen. Im März 1969 hatte die CDU/CSU-Fraktion eine Große Anfrage zur Stromversorgung gestellt. Im Jahre 1973 führte das zu einem Referentenentwurf des BMWi. Die damalige SPD/FDP-Koalition hatte aber nicht den Mut, dieses Vorhaben umzusetzen. Nach 40 Jahren und zahlreichen gescheiterten Versuchen liegt dieser Gesetzentwurf heute dem Bundestag zur Abstimmung vor. Ich meine, dies ist schon ein kleiner historischer Tag. ({4}) Nach unzähligen Gesprächen und Verhandlungen - denn die Widerstände sind ja in diesen Monaten nicht geringer gewesen als in den vergangenen Jahrzehnten, es gab bis heute genügend Initiativen, dieses Gesetz zu verhindern - haben wir nun ein Gesetz vorlegen können, das von den Wirtschafts-, Kommunal- und Umweltpolitikern gemeinsam getragen wird, meine Damen und Herren. Es handelt sich um einen Kompromiß, bei dem alle Beteiligten das eigentliche Ziel, nämlich die Schaffung von Wettbewerb auf allen Ebenen der Energieversorgung, nicht aus den Augen verloren haben. Ich möchte noch einmal die wichtigsten Punkte des Gesetzes vortragen. Mit der Neuregelung fallen die bisherigen Gebietsmonopole der Energieversorgungsunternehmen. Die letzten großen Monopole in Deutschland, nämlich die Monopole auf den Energiemärkten, werden jetzt endlich geknackt. Bisher mußte jeder Stromverbraucher, egal, ob es sich um ein großes Industrieunternehmen handelte oder um einen privaten Haushalt, den Strom einkaufen, der von seinem örtlichen Elektrizitätswerk angeboten wurde. ({5}) In Zukunft wird es möglich sein, den Strom dort zu kaufen, wo er am günstigsten angeboten wird. Das ist der Wettbewerb, den wir brauchen. Das ist der Wettbewerb, der bisher durch Gesetz ausgeschlossen war. ({6}) Wen wundert es, daß bei einer solchen Regelung die Strompreise in Deutschland 10 bis 20 Prozent höher sind als in unseren Nachbarländern? Diesen Nachteil wollen wir den deutschen Industrieunternehmen auf Dauer nicht zumuten, meine Damen und Herren, und diesen Nachteil wollen wir auch den deutschen privaten Haushaltungen nicht länger zumuten. Deswegen müssen diese Monopole weg. ({7}) In Zukunft gilt: Jeder Netzbetreiber muß Strom zu einem Verbraucher in seinem Gebiet durchleiten, wenn der bei einem anderen Elektrizitätswerk Strom eingekauft hat. Bereits jetzt sinken die Strompreise, obwohl das Gesetz noch gar nicht verabschiedet ist. Aber bereits jetzt sinken die Strompreise in Deutschland im Vorgriff auf diese Regelung, weil eben der künftige Wettbewerb durch die Energieversorgungsunternehmen schon vorweggenommen wird. Genau das ist es, was wir wollen, auch wenn Sie dagegen sind. Wir wollen, daß die deutschen Verbraucher niedrigere Strompreise zahlen müssen, meine Damen und Herren. ({8}) Besonderes Gewicht kommt in diesem Zusammenhang einer Vereinbarung zwischen den beteiligten Verbänden über die Durchleitungsentgelte zu. Wir wollen, daß es hier zu einer freiwilligen Übereinkunft zwischen den Verbänden kommt. ({9}) Wir leben in einem Staat, in dem die Verbände so etwas allein regeln müssen. Diese Materie ist so unendlich kompliziert, daß ich nur sagen kann: Um Gottes willen, beschäftigen wir uns als Parlamentarier nicht mit einem Thema, das selbst für Fachleute kaum zu verstehen ist, sondern übertragen wir es auf die Verbände. ({10}) Wenn es aber keine Regelung über die Durchleitungsentgelte gibt, ist hiermit klargestellt, daß dann die Bundesregierung von einer im Gesetz vorgesehenen Rechtsverordnung Gebrauch machen muß. ({11}) Dies sei auch den Wirtschaftsunternehmen als Signal ganz klar mitgeteilt. Meine Damen und Herren, die Abschaffung der geschlossenen Versorgungsgebiete und die Einführung des brancheninternen Wettbewerbs betrifft nicht nur den Strom, sondern auch das Gas. Die Verabschiedung der europäischen Gasrichtlinie steht kurz bevor. Anschließend wird die Umsetzung in deutsches Recht unter Beachtung der Besonderheiten des Gases gegenüber dem Strom erfolgen. Wir haben sehr ausführliche und konstruktive Gespräche mit den verschiedensten Gruppen geführt. Besonders hervorheben möchte ich die Vertreter der Kommunalverbände. Ich bedanke mich ausdrücklich bei meinen Kollegen Blank, Götz und Willner, daß sie vermittelnd und sehr kooperativ die Wege mitgeebnet haben, um die Interessen der Kommunen in dieses Gesetz hineinzubringen. Ich glaube, es ist uns insgesamt eine gute Lösung gelungen. Herzlichen Dank dafür. ({12}) Um die Option auf das Alleinkäufermodell haben wir lange gerungen. Wir haben uns dann am Ende auf eine Lösung geeinigt, bei der die Interessen der Kommunen voll gewahrt werden, aber gleichzeitig sichergestellt ist, daß es zu einem Wettbewerb in den Kommunen kommt und auch dort niedrigere Strompreise eintreten werden. ({13}) Meine Damen und Herren, ein zweiter wichtiger Punkt war die Frage der Umweltpolitik im Rahmen dieses Gesetzes. ({14}) Hier ist ein großer Fortschritt erzielt worden, ({15}) der von den Umweltpolitikern auch nicht kleingeredet werden sollte. In diesem Gesetzentwurf ist die Umweltverträglichkeit der Energieversorgung in Zukunft mit dem gleichen Rang versehen wie die Sicherheit und Preisgünstigkeit der Versorgung. Wer gegen dieses Gesetz stimmt, stimmt auch gegen diese Formulierung im Gesetz. Es ist eine gute Regelung; Sie sollten sie nicht kaputtmachen. ({16}) Ich danke den Kollegen Grill, Ramsauer und Lippold, die in konstruktiver Weise mit dafür gesorgt haben, daß hier eine gute Lösung zwischen den Interessen der Umweltpolitik und den Interessen des Energieversorgungsmarktes gefunden wurde. ({17}) Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt nennen, bei dem es darauf ankam, Brücken zu schlagen, und bei dem es auf die Bereitschaft aller zu einem Kompromiß ankam. ({18}) Das ist die Behandlung der Verstromung der ostdeutschen Braunkohle. Hier wird es die Option geben, die Sonderregelung bis zum Jahre 2005 unter der Voraussetzung zu verlängern, daß es bis dahin zu einer Absenkung der Strompreise in Ostdeutschland gekommen ist, so wie es uns von den EVUs mitgeteilt wurde. ({19}) Dieses ist eine gute Lösung - ich will nicht sagen: Quadratur des Kreises -, die sowohl den berechtigten Interessen der Braunkohle wie auch den berechtigten Interessen der Stromkunden Rechnung trägt. Das Stromeinspeisungsgesetz wird an den neuen Ordnungsrahmen des Energiewirtschaftsgesetzes angepaßt. Die Vergütung bei der Windkraft wird nicht geändert. Es bleibt bei der bestehenden Regelung. Eine wesentliche Änderung betrifft die Härtefallregelung für die einseitige Belastung bestimmter Gebiete in Deutschland in dem Fall, daß dort zuviel alternative Energie nach dem Stromeinspeisungsgesetz eingespeist wird. ({20}) Auf Anregung des Landes Schleswig-Holstein - damals allein von der SPD regiert, inzwischen regiert von SPD und Grünen mit einem grünen Umweltminister - haben wir diese Härteklausel in das Stromeinspeisungsgesetz aufgenommen. Diese Härteklausel, die in den vergangenen Tagen bei unseren rotgrünen Kollegen für soviel Aufregung gesorgt hat, entspricht genau der Formulierung des Beschlusses des Bundesrates, dort von allen roten und grünen Umweltministern massiv vertreten. Ich muß schon sagen: Es ist unverständlich, wie jetzt plötzlich von Ihrer Seite das verteufelt wird, was Sie vorher als große Forderung in den Raum gestellt haben. Das ist keine sachgerechte Politik. ({21}) In Schleswig-Holstein ist diese einseitige Belastung inzwischen eingetreten. Es ist richtig, die Belastung aus dem Stromeinspeisungsgesetz für einzelne Regionen auf fünf Prozent zu begrenzen ({22}) und die darüber hinausgehenden Kosten auf die nächste Spannungsstufe zu verlagern. ({23}) Relevant ist dieses Thema nur an der Küste, aber nicht im Binnenland. Ich habe Ihnen einmal einige sehr interessante Formulierungen mitgebracht. Die rotgrüne Mehrheit im Bundesrat schreibt in der Begründung ihres Gesetzentwurfs: Die vorgesehene Erstattungsregelung durch das vorgelagerte EVU ist sachgerechter als der bisher generell geltende Übergang der Abnahme- und Vergütungspflicht auf das vorgelagerte EVU, da auf diese Weise zusätzliche Leitungsbau- oder Durchleitungserfordernisse vermieden werden. Meine Damen und Herren, diesem Antrag der rotgrünen Minister im Bundesrat folgen wir hiermit. ({24}) Wem das noch nicht reicht, dem nenne ich die Begründung, die der schleswig-holsteinische Minister Walter im Bundesrat gegeben hat, weswegen nur diese und keine andere Regelung in Frage kommt. Walter hat mehrere Regelungen untersucht und alle verworfen. Was Sie jetzt als große Lösung empfehlen, hat Walter ausdrücklich abgelehnt. Er hat gesagt, dieses gehe nicht, es sei zu teuer und unpraktikabel. Er hat sich nur für die Lösung, die wir jetzt vorschlagen, ausgesprochen. Er führte aus: In diesen Anträgen wird nämlich deutlich, daß die Obergrenze nicht zu einer Begrenzung des Ausbaus regenerativer Energien führen darf, sondern nur dazu führen darf, daß der Bundesgesetzgeber im Eintrittsfall der Härte rechtzeitig Vorsorge durch geeignete Maßnahmen trifft. Genau das machen wir jetzt mit diesem Gesetz. In diesem Gesetz wird genau diese Regelung für den Fall des Überlaufens des sogenannten zweiten Dekkels vorgesehen. ({25}) Ihre Polemik gegen das Gesetz ist entlarvend. Sie wollen nicht zu einem Ergebnis kommen; Sie wollen nicht den Erfolg der Bundesregierung in dieser Frage. Ihnen geht es nicht um die Sache. ({26})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Uldall, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Carstensen?

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Bitte schön.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Uldall, könnten Sie vielleicht zur Klarstellung - für mich und vielleicht auch für andere - noch einmal sagen, daß der Überprüfungsauftrag für eine weitere Verteilung von Kosten sorgen soll, die in einem bestimmten Bereich aufgetreten sind, und daß damit an sich der zweite Deckel obsolet wäre? ({0})

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Carstensen, wir haben ausführlich über dieses Thema gesprochen. Sie haben sich sehr dafür eingesetzt. ({0}) Die Regelung, die jetzt im Gesetz steht, ist eindeutig, und die kann jeder nachlesen. In dem Gesetz steht, daß die Bundesregierung vor dem Vollaufen des sogenannten zweiten Deckels einen Vorschlag für eine Neuregelung vorlegen soll. Diese Neuregelung ist nicht aus dem Hut zu zaubern. Dies ist sehr schwierig. ({1}) Dies hat auch die sehr ausführliche Untersuchung des schleswig-holsteinischen Ministers Walter ergeben. Deswegen, Herr Carstensen, sage ich: Wir machen jetzt keine Schnellschüsse, sondern wir werden das in Ruhe machen, bevor der zweite Deckel vollgelaufen sein wird. ({2}) Das ist natürlich eine berechtigte Frage: „Warum machen Sie es jetzt nicht?" Dazu kann ich nur sagen: Dann wird es eine ungleichmäßige Belastung, nämlich zum Beispiel nur der Menschen in Schleswig-Holstein geben. Dies möchte ich nicht zulassen. Sie kommen aus dem Binnenland. Sie haben nicht das Recht, den Menschen an der Küste eine zusätzliche Belastung aufs Auge zu drücken. ({3}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend festhalten: 40 Jahre Diskussion über die Aufhebung der Strommonopole sind genug. ({4}) Wir müssen zum Wohle und zum Nutzen der Umwelt, zum Wohle und zum Nutzen der Betriebe und der Arbeitsplätze und zum Wohle und zum Nutzen der privaten Stromverbraucher eine moderne Volkswirtschaft sein und überholte Verkrustungen aufbrechen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Volker Jung das Wort.

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Uldall hat nach einem länglichen Streifzug durch die Geschichte des Energierechts von einem historischen Tag gesprochen. Dabei hat er offensichtlich übersehen, daß das Verfahren heute noch nicht zu Ende ist. Noch ist der Bundesrat mit im Verfahren, noch hat er Einspruchsmöglichkeiten, und dabei werden Sie wahrscheinlich noch einige Überraschungen erleben. ({0}) In wenigen Tagen beginnt in Kioto die nächste Klimakonferenz mit dem Ziel, die CO2-Emissionen weltweit abzusenken. Gleichzeitig bescheinigt die letzte Energieprognose der Prognos AG der Bundesregierung, daß sie bei einer Fortführung der derzeitigen Energiepolitik ihr Klimaschutzziel nicht einmal zur Hälfte erreichen wird. Angesichts dieser Situation ist die Energierechtsreform trotz einer Nachbesserung durch die Koalition eines der widersprüchlichsten Gesetzesvorhaben, das die Koalition jemals zur Abstimmung gestellt hat. ({1}) Es ist ein gravierender Widerspruch, eine Energierechtsreform mit dem erklärten Ziel zu betreiben, das Energiepreisniveau zu senken und gleichzeitig eine Anhebung der Energiesteuern in Europa zu unterstützen. In Brüssel gibt es Anstrengungen, die europäischen Energiesteuern zu harmonisieren und die zusätzlichen Einnahmen aus diesen Steuern aufkommensneutral zur Absenkung der Arbeitskosten zu verwenden. Die europäische Kommission hat vorgestern das Ziel formuliert, den Anteil der regenerativen Energien bis zum Jahre 2010 zu verdoppeln; ein außergewöhnlich ehrgeiziges Ziel. Richtlinienentwürfe zu einer Erhöhung des Anteils der Kraft-Wärme-Koppelung und eine europäische Stromeinspeisungsregelung sind in Arbeit. In Luxemburg ist letzte Woche ein - noch zögerlicher - europäischer Kurs gegen die Arbeitslosigkeit vereinbart worden. Gleichzeitig legt die Koalition ein Konzept vor, das auf einen Preiswettbewerb in der Energiewirtschaft abzielt, das den Ressourcenverbrauch verbilligt und das Kostensenkungspotentiale vor allem im Beschäftigungsbereich sucht. Meine Damen und Herren, Bundeswirtschaftsminister Rexrodt hat keine Gelegenheit ausgelassen, auf die hohen Strom- und Gaspreise in Deutschland hinzuweisen und den Wettbewerb als Allheilmittel anzupreisen. Dabei hat er auch das Strompreisgefälle zwischen Deutschland und Frankreich bemüht, obwohl die relativ niedrigen Industriestrompreise in Frankreich von der „Electricité de France" angeboten werden, dem ausgeprägtesten Staatsmonopol, das es in Europa gibt. ({2}) Das hat etwas mit der französischen Subventionspraxis zu tun, die nie so richtig untersucht worden ist. Das hat auch etwas mit der Spreizung zwischen Industrie- und Haushaltsstrompreisen zu tun, die in Frankreich viel größer ist als in Deutschland. Das hat schließlich auch etwas mit schärferen Umweltauflagen und längeren Genehmigungsverfahren in unserem Land zu tun, die sich natürlich in der Preisgestaltung niederschlagen. Hier den Wettbewerbsdruck zu verstärken heißt, diese Standards zu nivellieren. Darum ist das häufig verwendete Wort „Umweltdumping" nach wie vor richtig am Platze. ({3}) Meine Damen und Herren, es ist doch ein Widerspruch, einerseits Wettbewerb bei den leitungsgebundenen Energien einzuführen und andererseits sehenden Auges hinzunehmen, daß ein gewaltiger Konzentrationsprozeß einsetzt - was in der Branche überhaupt nicht umstritten ist -, der zu einer Vermachtung der Energiemärkte führen wird. Dieser Konzentrationsprozeß ist inzwischen in vollem Gange. Man muß nur nach Südwestdeutschland sehen. Wenn diese Strukturbereinigung dazu führt, daß sich vor allem die großen Verbundunternehmen an den regionalen und kommunalen Verteilerunternehmen beteiligen - was übrigens durch die konzipierte Verbändevereinbarung begünstigt wird -, dann wird mit dieser vertikalen Konzentration das genaue Gegenteil von dem erreicht, was angeblich gewollt ist. Man kann nur hoffen, daß die Bemühungen vieler Stadtwerke, eine Zusammenarbeit mit ihren Nachbarn zu organisieren oder horizontale Verbindungen einzugehen, erfolgreich sein werden, um einen Rest Volker Jung ({4}) von kommunalen Versorgungsstrukturen zu erhalten. Es ist ein eklatanter Widerspruch, meine Damen und Herren, zwar tief in die Kompetenzen der Länder und Kommunen einzugreifen, sie aber von einer gleichberechtigten Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren ausschließen zu wollen, indem die Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzentwurfs im nachhinein - das heißt, nachdem der Bundesrat eine vernichtende Stellungnahme zum ursprünglichen Regierungsentwurf abgegeben hat - wegmanipuliert wird. ({5}) Sie können davon ausgehen, daß wir uns das nicht gefallen lassen werden. Sowohl die Opposition im Bundestag wie auch die Mehrheit im Bundesrat halten den Gesetzentwurf für zustimmungsbedürftig. Wir lassen dies derzeit durch ein verfassungsrechtliches Gutachten prüfen. Wir werden - ich wiederhole das an dieser Stelle - ein Normenkontrollverfahren beantragen, wenn Sie dabei bleiben, den Gesetzentwurf am Bundesrat vorbei durchzuziehen. ({6}) Es ist auch eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts denkbar. Das heißt, im Grunde riskieren Sie, daß das Gesetz an dem Tag kassiert wird, an dem es eigentlich in Kraft treten soll. Mit Ihren Änderungsvorschlägen zur Streichung des Planfeststellungsverfahrens für Höchstspannungsfreileitungen und zu den Enteignungsregelungen wollen Sie den Gesetzentwurf im eigentlichen Sinn zustimmungsfrei machen. Damit verzichten Sie übrigens auf die Konzentrationswirkung bei den komplizierten Genehmigungsverfahren. Ganz abgesehen davon, daß die Länder diese Form der Deregulierung begrüßen würden und der Bundesrat solchen Regelungen sicherlich zustimmen würde, feiert das bürokratische Regelungswirrwarr mit Ihren Änderungsvorschlägen fröhliche Urständ. Aber um Verwaltungsvereinfachungen geht es Ihnen offenbar gar nicht. Das taktische Geplänkel hat doch nur den Zweck, die Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzentwurfs wegzumanipulieren. Das ist Ihnen nach unserer Auffassung aber nicht gelungen. ({7}) Ihre Rechtsexperten haben einige Punkte offenbar übersehen. Das liegt offensichtlich daran, daß der Gesetzentwurf, insbesondere in seiner letzten Fassung, mit der heißen Nadel gestrickt worden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung zu Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes entschieden, daß Bundesgesetze der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, wenn die Finanzen - das ist in diesem Falle relevant - in Verwaltungsverfahren der Landesbehörden geregelt werden. Das ist der Fall bei der Neugestaltung der Genehmigungspflicht zur Aufnahme der Energieversorgung, die den zuständigen Landesbehörden obliegt. Das ist auch der Fall bei der Ermessensentscheidung über die Zulassung des Alleinabnehmersystems, bei der die Landesbehörden eine Prognose abgeben müssen, ob die Anwendung dieses Systems zu einer gleichwertigen Marktöffnung führt. Und es ist der Fall bei der drastischen Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der Kommunen beim Wegerecht, das eindeutig in die Kompetenz der Länder gehört. Schließlich ist es auch noch der Fall bei der Vorratshaltung bei Energieträgern. Bei all diesen Fragen geht es allerdings nur um die Verfassungskonformität des Gesetzgebungsverfahrens. Damit sind die materiellen verfassungsrechtlichen Probleme, mit denen der Gesetzentwurf ohnehin behaftet ist, immer noch nicht ausgeräumt. Ich kann hier nur feststellen: Wenn die Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzentwurfes wegfällt, dann stellen sich diese materiellen verfassungsrechtlichen Probleme in aller Schärfe. Auch das werden wir untersuchen lassen. ({8}) Mit der Übergangsregelung, der entsprechenden Begrenzung des Alleinabnehmersystems, auf die Sie sich jetzt viel zugute halten, und der Beschränkung des Wegerechts schränken Sie die Möglichkeit der Kommunen erheblich ein, die Energieversorgung selbst zu regeln. Diese gehört nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Kernbestand des kommunalen Selbstverwaltungsrechts, das durch Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes geschützt ist. ({9}) Das wiegt um so schwerer, meine Damen und Herren von der Koalition, als die Energieversorgung bislang ein wichtiger Teil der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen insgesamt war. Mit dem Konzessionsabgabenaufkommen und den an die kommunalen Eigner abzuführenden Gewinnen sowie nicht zuletzt mit der Steuerersparnis durch den Querverbund konnten andere Teile der kommunalen Wirtschaft gestützt werden, zum Beispiel der öffentliche Personennahverkehr. Fallen diese Möglichkeiten weg oder werden sie erheblich eingeschränkt, dann wird die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen in ihrem Kern getroffen. Das ist nicht nur kommunalfeindlich; das ist nach unserer Auffassung auch verfassungswidrig. ({10}) Meine Damen und Herren, wir erkennen durchaus an, daß die Änderungsvorschläge der Koalitionsfraktionen unseren Vorstellungen, die wir mit unserem Gesetzentwurf entwickelt haben, ein Stück entgegenkommen. Ich stehe nicht an, das hier zu sagen. Volker Jung ({11}) Aber Sie sind auf dem halben Wege stehengeblieben. ({12}) Von den extrem liberalistischen Deregulierungsabsichten in dem ursprünglichen Gesetzentwurf von Bundeswirtschaftsminister Rexrodt ist nicht mehr viel übriggeblieben. Ich finde, das ist gut so. Aber Sie bleiben eben auf halbem Wege stehen. Viele unserer Bedenken können Sie nicht ausräumen: Erstens. Sie haben in den Gesetzentwurf einen Durchleitungstatbestand eingefügt und damit eine fakultative Verordnungsermächtigung zur Regelung der Durchleitungsentgelte verbunden, die Sie übrigens - das ganz nebenbei - zustimmungsbedürftig ausgestalten. Das kommt unseren Vorstellungen entgegen. Aber Sie machen die Durchleitungsbedingungen von der Gestaltung der unternehmensinternen Geschäfte abhängig. Das lädt doch zur Preismanipulation geradezu ein. Sie wollen sich bei den Durchleitungsentgelten erklärtermaßen auf eine Verbändevereinbarung stützen - Herr Uldall hat das hier bekräftigt -, die zwar in paraphierter Form vorliegt, aber lange noch nicht beschlossen ist. Wie der Verband der industriellen Kraftwirtschaft, einer der Unterzeichner dieser Vereinbarung, inzwischen deutlich gemacht hat, wird sie das Regime der Durchleitungstarife dann nicht akzeptieren, wenn die netzdienstleistungs- und vor allem die entfernungsabhängigen Komponenten zu einem Tarif führen, der das Niveau in europäischen Nachbarstaaten, zum Beispiel in den skandinavischen Ländern, um ein Vielfaches übersteigt. ({13}) Eine solche Verbändevereinbarung wäre in Wirklichkeit ein Instrument zur Behinderung des Wettbewerbs. ({14}) Das wird in der Branche unterderhand auch als Argument für die vertikale Konzentration verwendet oder - deutlicher ausgedrückt - zur Bildung von Kartellen zwischen Vorlieferanten und Verteilerunternehmen zur Abwehr von ausländischer Konkurrenz und der Konkurrenz unabhängiger Energieerzeuger. Diese Tarifgestaltung verbietet es den Stadtwerken geradezu, im Interesse ihrer Bürgerinnen und Bürger preiswerte Stromangebote von weiterher einzuholen. Dazu können wir unsere Zustimmung nicht geben. Wir brauchen hier verbindliche gesetzliche Netzzugangsregeln wie bei der Telekommunikation und der Eisenbahn. Zweitens. Sie haben sich dazu durchgerungen, das Alleinabnehmersystem als Netzzugangsalternative für alle Gebietsversorger in den Gesetzentwurf einzufügen. Auch das kommt unseren Vorstellungen entgegen. Sie wollen aber das Alleinabnehmersystem als eine Pflichtveranstaltung ausgestalten; das heißt, Sie wollen den Alleinabnehmer verpflichten, in alle Verträge zwischen Lieferanten und Kunden im Versorgungsgebiet einzutreten - und dies, obwohl die europäische Stromrichtlinie den Unternehmen eine Wahlmöglichkeit beläßt, in solche Verträge einzutreten oder aber auch nicht. Aber diese Alternative, die wir in unseren Gesetzentwurf aufgenommen haben, wollen Sie nicht nutzen. Hier haben Ihnen offenbar die Beamten ein Ei ins Nest gelegt, das Sie noch gar nicht so richtig entdeckt haben. Die Verpflichtung, in Drittverträge einzutreten, wird jedes Unternehmen, das eigenerzeugten Strom kostendeckend absetzen will, davon abhalten, für dieses System zu optieren, um sich nicht am Ende zu ruinieren. Sie befristen dieses Alleinabnehmersystem bis zum Jahre 2005. Ob dieses System bei der Überprüfung verlängert wird und zu einer dauerhaften Netzzugangsalternative ausgestaltet wird, bleibt völlig unsicher. Dies wird viele Versorgungsunternehmen davon abhalten, sich für eine Übergangszeit auf ein System einzulassen, das in Zukunft möglicherweise wegfällt. Die Gegner des Alleinabnehmersystems in den Reihen der Koalition, die diesen Kompromiß eingegangen sind, haben offensichtlich richtig spekuliert. Da bei diesen Unsicherheiten nur wenige Unternehmen für dieses System votieren werden, steigt die Wahrscheinlichkeit, daß es bei der Überprüfung im Jahre 2003 ersatzlos wegfallen wird. Drittens. Sie schaffen in dem weiterentwickelten Gesetzentwurf Anknüpfungspunkte für den Schutz der Kraft-Wärme-Koppelung und von Strom aus erneuerbaren Energien. Sie beziehen, wie wir das verlangt haben, das Stromeinspeisungsgesetz in die Energierechtsreform mit ein. Auch das kommt unseren Vorstellungen entgegen. Aber Sie drücken sich um eine klare Vorrangregelung herum, wie sie die europäische Stromrichtlinie erlaubt. Wenn Sie bei der Stromeinspeisungsvergütung wie bisher Prozentsätze vorsehen und außerdem davon ausgehen, daß das Strompreisniveau in der Zukunft sinken wird - wovon ja auch wir ausgehen -, dann werden die Vergütungssätze bald so weit abgesunken sein, daß niemand mehr in Anlagen für erneuerbare Energien investieren wird. Dann könnten Sie sich übrigens auch den doppelten FünfProzent-Deckel sparen; denn das wird nicht mehr zum Zuge kommen. Notwendig sind eine Vorrangregelung, feste Vergütungssätze und eine nationale Umlage der Einspeisungsvergütungen, wie wir sie in unserem Gesetzentwurf vorgeschlagen haben. Dann gibt es auch Investitionssicherheit und Umweltentlastung. ({15}) Das muß auch für die Kraft-Wärme-Koppelung gelten; sonst werden nicht nur „stranded investments" verursacht, sondern es werden in Zukunft auch keine neuen Anlagen dieser besonders umweltfreundlichen Technologie mehr gebaut werden. Volker Jung ({16}) Viertens. Sie haben eine Übergangsregelung für die Verstromung der ostdeutschen Braunkohle konzipiert, die gleich mehrere Konstruktionsfehler aufweist. Zum einen ist die Übergangsfrist bis zum Jahr 2003 viel zu kurz; sie wird die beträchtlichen Investitionen in den Braunkohletagebau und in die Kraftwerkssanierung, deren Abschreibungsberg erst nach der Übergangsfrist erreicht ist, nicht schützen können. Dafür werden die Anteilseigner, die großen Verbundunternehmen im Westen, die ja eigene Probleme haben, sich auf den Wettbewerb einzustellen, kaum eintreten. Zum anderen wird die Übergangsregelung den Wettbewerb in den ostdeutschen Ländern wenn nicht gänzlich, so aber doch weitgehend behindern. Die Übergangsfrist, in der die Durchleitung unterbunden werden kann, reicht aber andererseits dazu aus, die kommunalen Versorgungsunternehmen, die allesamt auf schwachen Füßen stehen, in die Knie zu zwingen - dies um so mehr, als die großen Anstrengungen, in die Sanierung und den Ausbau der KraftWärme-Kopplung zu investieren, keinen ausreichenden Schutz erfahren.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Jung, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Türk?

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber ja, gerne.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Jung, Sie haben davon gesprochen, daß die Übergangszeit für die ostdeutsche Braunkohle bis zum Jahr 2003 bzw. 2005 zu kurz ist. Im Ausschuß haben Sie noch von einer Lex VEAG gesprochen. Wie können Sie diesen Widerspruch auflösen?

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Diese Frage gehört nicht zu den intelligentesten Fragen, die bisher gestellt wurden. ({0}) So wie Sie das konstruiert haben, ist das eine Lex VEAG. Wir haben eine alternative Formulierung vorgelegt, in der wir sehr deutlich gemacht haben, wie man mehrere Zielsetzungen sachgerecht erreichen kann. Wir haben sie ausführlich diskutiert, sie ist Ihnen bestens bekannt. Ich denke, das ist der wesentliche Inhalt der Aussage, die ich im Wirtschaftsausschuß gemacht habe. ({1}) Viele kommunale und regionale Versorgungsunternehmen werden sich in dieser Lage nicht behaupten können. Ihnen wird nur die Wahl bleiben, ganz aufzugeben oder in ihrem Vorlieferanten aufzugehen. Darum können wir in dieser Übergangsregelung nur den Versuch sehen, den Streit um die Stromverträge nachträglich doch noch zugunsten der Verbundunternehmen zu entscheiden. Dazu werden wir unsere Hand nicht reichen. ({2}) Diese Übergangsregelung ist schließlich in keiner Weise dazu geeignet, die überhöhten Strompreise in den neuen Bundesländern zu senken. Damit zementieren Sie einen nicht unwesentlichen Standortnachteil. Die ostdeutsche Wirtschaft soll sich sozusagen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Das halten wir nicht für richtig. Wir plädieren dafür, wie mit unserem Gesetzentwurf vorgeschlagen wird, den Schutz der Braunkohlenverstromung für eine Übergangszeit zu einer nationalen Aufgabe zu machen, indem die Lasten durch eine Umlage auf alle Stromverbraucher in Deutschland verteilt werden. Eine solche nationale Lastenverteilung wäre mit einer relativ geringen Kostenbelastung verbunden und würde darüber hinaus Spielraum schaffen, das ostdeutsche Strompreisniveau abzusenken. Ich denke, das ist der eigentliche Kern des Vorschlages. Um es zusammenzufassen, meine Damen und Herren: Die Koalitionsfraktionen sind uns mit ihren Änderungsvorschlägen zwar ein Stück entgegengekommen, sind aber auf halbem Weg stehengeblieben. Deswegen sind energiewirtschaftliche, industriepolitische und arbeitsmarktpolitische Fehlentwicklungen vorprogrammiert. Das werden wir nicht absegnen. Wir haben Ihnen mehr als einmal Gespräche angeboten, Herr Uldall. Sie haben sie zwar nicht abgelehnt, aber Schlichtweg ignoriert. Sie haben sich entschlossen, die Energierechtsreform, die tief in die Kompetenzen der Länder und Gemeinden eingreift, ohne eine gleichberechtigte Mitwirkung des Bundesrates mit Ihrer Bundestagsmehrheit durchzusetzen. Das werden wir uns als Opposition im Bundestag nicht gefallen lassen. Ich bin sicher, das wird sich auch die Bundesratsmehrheit nicht gefallen lassen. Schönen Dank. ({3})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe der Abgeordneten Michaele Hustedt das Wort.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in dieser Legislaturperiode sehr intensiv über dieses Gesetzesvorhaben gesprochen. Nun ist es Zeit für eine Zwischenbilanz; denn wir sind noch lange nicht am Ende dieser Debatte angelangt. Wir glauben, daß die Reform des Energiewirtschaftsgesetzes absolut überfällig ist. Aus unserer Sicht behindern die Stromkonzerne und auch die Monopolwirtschaft nicht nur jeglichen Wandel in Richtung umweltverträgliche Energieerzeugung; sie setzen zudem auf eine umweltfeindliche zentralistische Energieerzeugungsstruktur. Sie sind damit auMichaele Hustedt ßerordentlich innovationsfeindlich, auch weil sie nicht auf neue Technologien setzen. Sie haben jahrzehntelang überhöhte Preise von Verbrauchern und Industrie genommen und kaufen sich mit ihren Kampfkassen, die sie sich gesetzeswidrig angelegt haben, Schritt für Schritt in die Infrastruktur in diesem Lande ein. Das bedeutet auch, daß sie undemokratisch sind und zunehmend zum Staat im Staate werden. ({0}) Deswegen sagen wir ganz eindeutig und ganz klar ja zum Wettbewerb, ja zur Einführung des Wettbewerbs im Energiebereich. Von seiten der Bundesregierung wird manchmal unterstellt, nur sie sei für den Wettbewerb. Es waren aber die Bündnisgrünen, die als erste in dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, in dem die Einführung des Wettbewerbs gefordert wird. Wir fordern den weitestgehenden Wettbewerb, einen viel weitergehenden, als im Gesetzentwurf der Bundesregierung formuliert war. ({1}) Das hat die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf eindeutig anerkannt. Wir sagen eindeutig ja zum Wettbewerb. Wenn man von Wettbewerb spricht, muß man einen fairen und echten Wettbewerb meinen, denn es geht nicht um Sprechblasen. Man muß darüber sprechen, was die Ausgangsbedingungen sind. Schließlich starten wir nicht bei Null, sondern wir starten aus einer Monopolwirtschaft heraus. Deswegen ist die Konsequenz, daß man die Neuen und Schwächeren beim Einstieg in den Wettbewerb bewußt stärken muß, damit es nicht infolge des Wettbewerbs zu starken Konzentrationsprozessen kommt, die zumindest wir nicht wollen. ({2}) Sonst wäre die Situation mit einem 100-Meter-Lauf vergleichbar, bei dem der eine 50 Meter vor dem Ziel und der andere an der Startlinie startet. Die Stromkonzerne haben Kampfkassen, und sie wollen den Wettbewerb zur Herbeiführung eines Konzentrationsprozesses nutzen. Wenn wir das nicht wollen, dann müssen wir im Gesetzgebungsverfahren dagegen Vorsorge treffen. ({3}) - Ich komme dazu. Die entscheidende Rolle - Herr Hinsken, das wissen auch Sie - spielt die Frage der Netze; denn diese sind ein natürliches Monopol. Jeder, der Energie erzeugt, muß den Strom durch diese Netze leiten und hat keine Chance, Strom an ihnen vorbei zu liefern. Die Netze sind jedoch im Besitz der großen Stromkonzerne, die gleichzeitig Strom produzieren. Damit können sie den Besitz der Netze nutzen, um Mitkonkurrenten, die keine Stromnetze besitzen, vom Markt fernzuhalten. Wir haben deswegen in unserem alternativen Gesetzentwurf die eigentumsrechtliche Trennung der Netze vorgeschlagen, wie es in Norwegen, Großbritannien und Kalifornien gehandhabt wird. Nicht die Verstaatlichung, sondern die eigentumsrechtliche Trennung der Netze würde die größte Wettbewerbsintensität schaffen. ({4}) Das Mindeste, das wir gefordert haben, sind ein funktionierender Durchleitungstatbestand und eine buchhalterische Trennung. Beides hat Minister Rexrodt am Anfang abgelehnt. Ich finde es außerordentlich gut, daß die CSU, gerade Sie, Herr Hinsken, in diesem Bereich nachgefordert hat. ({5}) Ein Punkt fehlt uns noch: Das ist die entscheidende Frage, wie der Preis für die Durchleitung gestaltet werden könnte. Im Telekommunikationsbereich wurde auf Wunsch der Stromkonzerne ein Festpreis in die Verordnung aufgenommen. Im Bereich der Energieversorgung behaupten Sie, Herr Rexrodt - ebenso hat das Herr Uldall heute morgen getan -, Sie könnten die Preisregelung so nicht vornehmen. Andere Staaten können es und haben es gemacht. Wir haben mit dem schleswig-holsteinischen Vorschlag gezeigt, wie es gehen kann. Wenn Sie sich dazu nicht in der Lage fühlen, muß es wohl an Ihren Fähigkeiten liegen, dann müssen Sie Ihre Konsequenzen daraus ziehen. ({6}) Der Deutsche Industrie- und Handelstag hat ausdrücklich den Vorschlag aus Schleswig-Holstein zu diesem Bereich unterstützt. Die VIK, also die Industrie, sagt, die Verbändevereinbarung funktioniere nicht. Die Stromkonzerne fordern in der Verbändevereinbarung drei- bis fünfmal höhere Durchleitungspreise, als in vergleichbaren anderen Ländern verlangt werden. Herr Hinsken, wenn Sie ernst meinen, was Sie in der letzten Debatte gesagt haben, müssen Sie unserem Antrag zustimmen, damit es auch hier zu einer festen Regelung der Preise kommen wird. ({7}) Inwieweit Sie tatsächlich eine Koalition oder eine Partei - das gilt vor allem für die F.D.P. - des Wettbewerbs sind, zeigt die Regelung zur Lex VEAG. Daran wird das ganz besonders deutlich. Die VEAG macht riesige Gewinne, und sie wird außerdem von Stromkonzernen getragen, die ebenso riesige Gewinne gemacht haben. Es ist aus unserer Sicht absolut nicht nötig, hier eine Ausnahme vom Wettbewerb für ein Drittel des deutschen Marktes zu beschließen. ({8}) Wir lehnen das eindeutig ab. Wir wollen den ganzen deutschen Markt für den Wettbewerb öffnen. Sie, die F.D.P., sagen, Sie seien die Partei der Steuersenkung. Sie schaffen damit einen neuen indirekten Subventionstatbestand für die Braunkohle, den klimaschädlichsten Energieträger überhaupt. Selbst die SPD, die Sie immer als die Partei der Kohlelobbyisten beschimpfen, geht nicht so weit wie Sie mit Ihrer Lex VEAG. Das sollte Ihnen doch eindeutig zu denken geben. ({9}) Auch die Chemieunternehmen im Osten haben große Investitionen getätigt. Bekommen sie deswegen eine Abnahmegarantie? - Sie bekommen sie nicht. Das zeigt aus meiner Sicht, wie groß der Einfluß der Stromkonzerne auf diese Bundesregierung noch ist. Ich sage: viel zu groß. Der zweite Punkt: Bereich Umweltschutz. Wir sind für den Wettbewerb. Der Wettbewerb kann Verkrustung aufbrechen, Dynamik erzeugen und Innovation anstoßen. Aber wir sagen auch: Der Wettbewerb hat keine Richtung. Eine Richtung, ein volkswirtschaftliches Ziel, zum Beispiel die Umweltverträglichkeit, muß man durch die Regulierung des Wettbewerbs schaffen. Dies ist völlig identisch mit der EU-Richtlinie, die genau das formuliert. Wir stehen - Herr Jung hat das schon gesagt - kurz vor der Klimakonferenz in Kioto. Wenn man das Klimaschutzziel tatsächlich erreichen will, muß man eine Energiewirtschaftsstruktur schaffen, die in der Zukunft eine umweltverträgliche Energieerzeugung bewirkt. ({10}) Hinzu kommt: Der Energiemarkt ist ein großer Innovationsmarkt. Man kann nicht immer nur auf alte Techniken setzen. Der Photovoltaik-Markt wächst pro Jahr um 18 Prozent. Wenn man an diesem Zukunftsmarkt teilhaben will, dann muß man auch auf umweltverträgliche Energieversorgung setzen. Während Sie bei der Lex VEAG eine Vorrangregelung weitestgehender Art für Braunkohle beschlossen haben, haben Sie sich im Bereich der erneuerbaren Energien lange gesperrt, eine Vorrangregelung durchzusetzen. Gut ist, daß jetzt zumindest eine schwache Regelung enthalten ist. Wir fänden es - wir fordern das auch - natürlich wesentlich besser, wenn hier nachgebessert würde. Aber der Hauptpunkt ist die Frage des Stromeinspeisungsgesetzes. Ich fand es absolut unmöglich, daß Sie in einer Debatte, in der wir darüber diskutiert haben, eine Neuordnung des Energiemarktes durchzusetzen, gleichzeitig eine Diskussion über die Absenkung der Vergütung losgetreten haben. Diese Absenkung hätte bedeutet, daß sich Investitionen in Windkraftanlagen nicht mehr gelohnt hätten. ({11}) Das hat auch schon Schaden angerichtet, weil es große Verunsicherung darüber verursacht hat, ob die umweltfreundliche Energieerzeugung von dieser Bundesregierung, zumindest ihrer Mehrheit, überhaupt gewünscht ist. Es hat dann einen sehr breiten gesellschaftlichen Widerstand gegeben. An diesem Widerstand haben sich die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer, die IG Metall, der Bauernverband und die Umweltverbände beteiligt. Der VDMA, der größte Unternehmensverband Deutschlands, sah sich gezwungen, zu diesem Thema zusammen mit den Bündnisgrünen gegen diese Bundesregierung eine Pressekonferenz zu machen. Das zeigt, wo Sie in dieser Frage stehen: Sie stehen auf der Seite der Minderheiten, auf der Seite der Stromkonzerne. ({12}) Durch diesen breiten gesellschaftlichen Widerstand ist es uns gelungen, die Senkung der Einspeisungsvergütung zu verhindern. ({13}) Das war ein Ergebnis der großen außerparlamentarischen Bewegung, der guten Oppositionsarbeit, der guten Zusammenarbeit mit dem Bundesrat und mit einer Minderheit auf der Seite der Regierungskoalition: Herr Carstens, Herr Ramsauer, Herr Dörflinger und einige andere. Wenn Sie jetzt aus der Not eine Tugend machen, Herr Uldall, und so tun, als ob Sie das immer wollten, kann ich nur daran erinnern, daß Sie noch vor kurzem hier im Plenum gesagt haben: Ich werde die Absenkung der Vergütung durchsetzen; das werden Sie schon sehen! - Sie sind damit gescheitert. Das wollen wir hier eindeutig festhalten. ({14}) Wir wollen mehr. Wir wollen eine Ausweitung des Stromeinspeisungsgesetzes auf eine kostendeckende Vergütung für Photovoltaik und auch für KraftWärme-Kopplung. Wir wollen auch einen Mindestpreis für die Windenergie festschreiben, damit die Investitionssicherheit auf jeden Fall gegeben ist. Gut ist aus unserer Sicht, daß Sie den Vorschlag der Grünen aufgenommen haben, daß in Zukunft der Netzbetreiber für die Aufnahme und für die Vergütung verantwortlich ist. Gut ist auch, daß Sie den Vorschlag des Bundesrates aufgenommen haben, nämlich das für Biogas wesentlich bessere Bedingungen geschaffen werden, indem man auch Material aus Lebensmittelfabriken verwerten darf. Schlecht ist aus unserer Sicht natürlich die FünfProzent-Deckelung. Herr Uldall, Sie haben hier wieder behauptet, dies sei eine rotgrüne Forderung. Es war erstens nie eine rotgrüne Forderung; denn damals waren wir Grüne noch nicht in der Regierung. Sie haben zweitens anläßlich der letzten Plenardebatte zu diesem Thema zu mir gesagt: Bringen Sie es mir schriftlich, daß Finanzminister Möller von diesem Vorschlag zurücktritt. - Ich habe dann zu Ihnen gesagt: Ich bringe es Ihnen schriftlich. Ich habe Ihnen diesen Brief vorgelegt. Jetzt halten Sie auch Ihr Versprechen, das Sie mir damals an jenem Tag der Plenardebatte gegeben haben, daß Sie, wenn dies schriftlich vorliegt, Ihren Vorschlag hinsichtlich der Fünf-Prozent-Deckelung zurückziehen. ({15}) Sie brauchen gar nicht den Kopf zu schütteln. Sie wissen genau, wovon ich spreche. Wir haben den Alternativvorschlag vorgelegt ({16}) - ich führe meinen Gedanken noch zu Ende; dann können Sie fragen -, daß die Kosten, die das Stromeinspeisungsgesetz verursacht, bundesweit über die Netzgebühren ausgeglichen werden. Dieser Vorschlag ist in der Anhörung zum Stromeinspeisungsgesetz nicht nur vom Bauernverband, den Umweltverbänden, den Windkraftverbänden, sondern auch vom VDMA und - man höre und staune - von Preussenelektra begrüßt worden. Eine breitere Zustimmung kann es nicht geben. Wenn Sie diesem Vorschlag nicht zustimmen, dann zeigt dies, daß Sie - jedenfalls die Mehrheit Ihrer Fraktion - an einer substantiellen Verbesserung des Stromeinspeisungsgesetzes nicht interessiert sind. ({17})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Uldall, Sie können offenbar Ihre Frage stellen. Bitte schön.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß ein Beschluß des Verfassungsorgans Bundesrat - bei einer Gegenstimme, also fast einstimmig, gefaßt - nicht durch ein an Sie gerichtetes und mir in Fotokopie herübergegebenes Fax einer einzelnen Person, eines Mitglieds einer Landesregierung, aufgehoben werden kann, die an diesem Beschluß auch gar nicht beteiligt war? Sind Sie nicht der Auffassung, daß ein Beschluß des Verfassungsorgans Bundesrat nur dadurch zurückgenommen werden kann, daß der Bundesrat in seiner Gesamtheit diesen Beschluß ausdrücklich wieder aufhebt?

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Erstens. Wir sind keine Bürokraten, sondern Politiker. ({0}) Zweitens. Ich muß Ihnen folgendes sagen: Dieser Beschluß wurde gefaßt, bevor der Entwurf eines Energiewirtschaftsgesetzes vorgelegen hat. Das heißt, der Beschluß bezog sich noch auf den alten Rahmen. ({1}) Ich gehe davon aus - deswegen habe ich Ihnen den Brief von Herrn Möller auch gegeben -, daß wir im Bundesrat einen entsprechenden Änderungsantrag - er ist schon in Vorbereitung - einbringen werden. Das heißt, Sie als Bürokraten werden den endgültigen Beschluß des Bundesrates erhalten. ({2}) Dieses Versprechen kann ich Ihnen geben. Ich hoffe, daß Sie dann Ihr Versprechen einhalten, auch Ihrerseits von dieser Fünf-Prozent-Deckelung zurückzutreten. ({3}) Ich möchte kurz einen Ausblick geben: Die Einführung von Wettbewerb wird zu einem großen Umbruch in der gesamten Branche führen. Angesichts stagnierender Stromnachfrage und Überkapazitäten in der Erzeugung entsteht durch die Möglichkeit der Durchleitung ein scharfer Preiswettbewerb. Das wird zur Konsequenz haben, daß insbesondere Gaskraftwerke gefördert werden. Ich zitiere aus einer diesbezüglichen VDEW-Studie, Seite 20: Kostengünstige Stromerzeugung in Gas-GuDKraftwerken schafft heute schon Preiswettbewerb, der sich durch die Änderungen des Ordnungsrahmens noch verstärken wird. Es geht dann weiter: Die Vollkosten der Stromerzeugung in diesen Anlagen können sogar manchmal unter den variablen Kosten bereits abgeschriebener älterer Kraftwerke liegen. Das heißt, hier wird also eine breite energiewirtschaftliche Entwicklung eintreten. Die Konsequenzen für die Energiepolitik möchte ich hier auch ansprechen. Erste Konsequenz: Die Atomkraft ist out. Auch wenn Sie tausendmal Atomgesetze beschließen, wird es dazu kommen, daß die Atomkraft in diesem Wettbewerb keine Chance haben wird. Das tut uns nicht besonders leid. ({4}) Zweite Konsequenz: Garzweiler II ist nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch nicht verantwortbar. Wenn man weiter darauf setzt, wird dies eine der gigantischsten Fehlinvestitonen des Landes Nordrhein-Westfalen werden. Die Gefahr besteht, daß das Energieland Nordrhein-Westfalen in Zukunft von außen mit Energie beliefert wird und daß Arbeitsplätze außerhalb von Nordrhein-Westfalen geschaffen werden. Wer die Zukunft der Energiepolitik noch jetzt auf Atomkraft und Braunkohle aufbaut, wie es vor allem die CDU/CSU und teilweise auch die SPD tun, der gefährdet nicht nur die Lebensgrundlagen, sondern betreibt auch eine absolut schlechte Wirtschaftspolitik.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluß. - Der Bundesregierung ist mit diesem Gesetzentwurf der große Wurf nicht gelungen. Wir von seiten der Opposition haben einiges durchgesetzt. ({0}) Wir fordern Sie jetzt auf, nicht weiter über Tricksereien den Bundesrat auszugrenzen und eine breite Einigung zu blockieren. Ich glaube, es gäbe eine Möglichkeit zur Einigung. Wenn Sie Ihre Flexibilität, Ihre Politikfähigkeit und Ihre Fähigkeit, auf Sachargumente zu hören, im internen Einigungsprozeß aufgebraucht haben, dann tut es uns leid. Aber dann sind Sie diejenigen, die zu verantworten haben, daß wir nicht in größter Einigkeit einen energiewirtschaftlichen Rahmen gemeinsam beschließen können, der Rechtssicherheit und Investitionssicherheit für die Zukunft gibt. Vielen Dank. ({1})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Abgeordneten Paul Friedhoff das Wort.

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vorliegende Novelle zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts gehört zu den großen Reformprojekten dieser Legislaturperiode. ({0}) Herr Uldall hat hier eben die Geschichte dieses Gesetzes vor uns ausgebreitet. Heute sind wir in der Tat in der Situation, daß wir in zweiter und dritter Lesung dieses Reformwerk verabschieden. Daß dies überhaupt möglich ist, haben wir ganz besonders dem Einsatz des Bundeswirtschaftsministers zu verdanken, ({1}) der es in unzähligen Diskussionen mit den Beteiligten, mit den parlamentarischen Gremien, immer in Rückkopplung mit den Betroffenen, geschafft hat, daß am Ende hier ein Kompromiß vorgelegt wird, dem die Koalitionsparteien zustimmen. Dafür gebührt ihm unser Dank. ({2}) Unser Ziel ist eine langfristig sichere, kostengünstigere, umweltverträglichere sowie ressourcenschonende Energieversorgung. Das ist nur auf einem Weg möglich: Dieser Weg heißt Wettbewerb. Das alte Recht war ausschließlich auf Monopolstrukuren ausgerichtet. Wettbewerbsfähige Strom- und Gaspreise konnten mit ihm nicht entstehen. Aber diese sind erforderlich, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern und zu stärken. Energiepreise bestimmen die Qualität eines Standortes und spielen im europäischen und weltweiten Wettlauf um Investitionen eine entscheidende Rolle. Ein wettbewerbsorientierter Ordnungsrahmen schafft Standortvorteile. Er eröffnet die Chance, zu nachhaltigen Kostensenkungen zu kommen, die der Standort Deutschland so dringend braucht. Deshalb hat die F.D.P. die Liberalisierung und Modernisierung der Energiewirtschaft sehr intensiv betrieben. Noch sind die Energiepreise im internationalen Vergleich - auch wenn es hier schon etwas Bewegung gibt - insbesondere für Industriestrom in Deutschland zu hoch. Wir haben dafür in doppelter Hinsicht bezahlen müssen: nicht nur über unsere persönliche Strom- oder Gasrechnung, sondern auch durch den Verlust von Arbeitsplätzen in den energieintensiven Industrien. ({3}) Denn viele Unternehmen haben den ausländischen Standorten den Vorzug vor dem deutschen Standort gegeben. Diese Entscheidungen haben unseren Arbeitsmarkt auch negativ beeinflußt. ({4}) Generell geht es bei unserem Reformkonzept darum, staatliche Aufsicht soweit wie möglich durch Wettbewerb zu ersetzen. Deshalb wird die energiewirtschaftliche Investitionsaufsicht abgeschafft. Die kartellrechtliche Zulässigkeit von Demarkationen und Wegerechten wird ebenfalls abgeschafft. Instrumente des Wettbewerbs sind der Zugang zu den vorhandenen Netzen Dritter und der Parallelleitungsbau, soweit ökologisch vertretbar. Uns hier vorzuwerfen, daß wir ein Gesetz machen, das dadurch stumpf wird, daß wir die Durchleitung gar nicht ermöglichen, ist geradezu absurd. Die Durchleitung ist nämlich das wesentliche Wettbewerbselement in dem neuen Ordnungsrahmen. Auf einen speziellen Durchleitungstatbestand haben wir aus guten Gründen verzichtet; denn die Anwendung allgemeiner Kartellvorschriften eröffnet mehr Flexibilität für den Einzelfall. Kunden und Lieferanten von Strom und Gas können künftig gegen den Willen des Netzbetreibers die Durchleitung erzwingen, wenn die Verweigerung der Durchleitung einen Verstoß gegen das Mißbrauchs- und Diskriminierungsverbot nach §§ 22 und 26 GWB bedeutet. ({5}) Detailregelungen der Durchleitung haben wir bewußt den Beteiligten überlassen. Mit der Verbändevereinbarung, die in paraphierter Form vorliegt, wird der Handlungsrahmen für die Durchleitung konkretisiert. Die F.D.P. erwartet, daß die Beratungen zügig fortgesetzt werden und daß eine Einigung in den noch strittigen Fragen, insbesondere der Vergütung, gefunden wird. Für die Kommunen haben wir eine Interimslösung gefunden, die ihnen ein befristetes Wahlrecht zwischen zwei Wettbewerbssystemen eröffnet. Sie haben die Möglichkeit, bis zum Jahre 2005 zwischen zwei Netzzugangsalternativen zu entscheiden. Die Reformen bringen den Kommunen neue Chancen. Die Konzessionsabgaben werden beibehalten; auch das sollte man hier einmal betonen, denn hier gab es ja zu Beginn viele Befürchtungen. Die Kommunen als Bezieher von Strom und Gas werden durch die Möglichkeit der Wahl zwischen verschiedenen Lieferanten nachhaltig in ihrer Position gestärkt. Sie können also den Vorteil des Gesetzes für sich in Anspruch nehmen. Sie erhalten die Möglichkeit, neue Kunden zu werben, und können durch Kooperationen, wie sie übrigens schon jetzt zu beobachten sind, noch schlagkräftiger am Markt agieren als bislang. Der Standortwettbewerb macht nicht vor den Toren unserer Gemeinden halt. Jetzt sind die Stadtwerke gefordert; sie sind es, die ihre Unternehmen zukunftsorientiert gestalten müssen. ({6}) Zu einem zentralen Förderinstrument der regenerativen Energien ist das Stromeinspeisungsgesetz geworden, das wir hier gleichzeitig mit eingebunden haben. Durch kein anderes Gesetz konnte der Ausbau erneuerbarer Energien so kräftig gesteigert werden wie durch dieses Instrument. Aber auch kaum ein anderes Gesetz hat in der Vergangenheit so provoziert wie dieses. Gegner wie Befürworter haben in den parlamentarischen Beratungen heftig um seine Novellierung gerungen. Insbesondere die Einspeisungsvergütung war sehr umstritten. Uns wird ja vorgeworfen, daß wir hier zuwenig täten. Dabei haben wir an vielen Stellen darum gerungen, eine Regelung zu finden, die folgendes verhindert: In der vergangenen Woche habe ich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" unter der Rubrik „Beteiligungen und Geldverkehr" zwischen zwei Annoncen, bei denen es um Investitionen in Containerschiffe ging, unter der Überschrift „Stürmische Zeiten" eine Annonce der Gesellschaft zur Förderung regenerativer Energie gefunden. Ich darf das einmal vorlesen: Der Küstenstandort Wehren läßt nicht nur die Rotoren rasen, sondern auch Ihre Kasse klingen. Beteiligen Sie sich jetzt ... ({7}) Weiter wird eine Ausschüttung von durchschnittlich fast 20 Prozent versprochen. Besonders komisch finde ich, daß hier nicht - wie dort steht - Geld auf natürliche Art und Weise verdient werden soll, sondern mit Hilfe eines Gesetzes, das letzten Endes den Stromkunden zwingt, solche Abschreibungen zu bezahlen. Alleine darum gingen die Bemühungen von Herrn Uldall, von mir und auch von anderen, nach Möglichkeit zu versuchen, ({8}) diesen unerwünschten - wenn ich die Grünen richtig verstanden habe, auch in ihrem Sinne - unerwünschten Nebeneffekt zu verhindern. Uns ist bislang keine entsprechende Formel eingefallen. Es ging aber überhaupt nicht darum, die Windenergie einzugrenzen oder neue Entwicklungen nicht zu fördern, sondern lediglich darum, an bestimmten Stellen überhöhte Subventionen zu verringern. Darum ging es und um nichts anderes. ({9})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Friedhoff, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Carstensen?

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Bitte schön.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Friedhoff, wären Sie bereit, einmal zu mir nach Nordfriesland an unsere Küstenstandorte zu kommen, um einmal bei bäuerlichen Windparks in die Bücher zu schauen, ({0}) damit wir davon abkommen, auf der Basis von Zeitungsanzeigen Entscheidungen in der Politik zu fällen? ({1})

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin bereit, auch Sie zu besuchen. Ich selber betreibe aber auch einige Windkraftanlagen und bin durchaus in der Lage - ({0}) - Ich kann Ihnen dazu sagen, daß ich sie bereits vor 1989 gebaut habe, zu einem Zeitpunkt also, als dieses Gesetz noch nicht anvisiert war. Ich habe mich damals dafür interessiert, weil ich der Meinung war, daß man durchaus etwas für die regenerativen Energien tun sollte. Ich bin nur dagegen, Herr Carstensen, daß überhaupt mit so etwas geworben werden kann. ({1}) - Das kann man gesetzlich nicht verbieten, aber man kann dafür sorgen, daß entsprechende Regelungen da sind, damit so etwas nicht möglich wird. Für die einen ist nämlich dieses Gesetz ein ordnungspolitischer Sündenfall, für die anderen bedeutet der Ausbau erneuerbarer Energien - ich bin sehr froh, daß wir dabei künftig auch die Biomasse bePaul K. Friedhoff rücksichtigen - die willkommene Abkehr von nicht erwünschten Energieträgern. ({2}) Durch Anschubfinanzierungen können zukünftig nicht nur im Bereich der Windenergie, sondern auch im Bereich der Biomasse entsprechende Verbesserungen erzielt werden. Diese dürfen aber niemals zu einer Dauersubvention werden, wie es leider an vielen Stellen bei der Windenergie der Fall geworden ist. ({3}) Ich glaube, sowohl die Befürworter als auch die Kritiker können mit dem gefundenen Kompromiß leben. Wesentliche Änderungen haben die Koalitionsfraktionen auch bei den Regelungen zur Verstromung ostdeutscher Braunkohle erwirkt. Hier ging es darum, einerseits die Investitionen zu sichern, die in erheblichem Umfang nicht zuletzt durch staatliche Unterstützung in der ostdeutschen Stromwirtschaft durchgesetzt worden sind, andererseits auch die Rückführung der Strompreise zu beschleunigen und die Strompreisschere zwischen West- und Ostdeutschland, die unzweifelhaft da ist, so schnell wie möglich zu schließen. ({4}) Mit dieser Übergangsregelung bis 2003, einem vorgeschalteten Bericht im Jahre 2002 und einer möglichen Verlängerung des Übergangszeitraums um zwei Jahre, also bis 2005, ist ein Kompromiß gelungen, der, glaube ich, allen Beteiligten gerecht wird. Die VEAG wird nicht aus ihrer Verpflichtung entlassen, den ostdeutschen Strommarkt nicht nur sozusagen als Braunkohleabsatzfeld zu begreifen, sondern als Dienstleistungsfeld, das den Interessen der Stromkunden entsprechen und damit den ostdeutschen Wirtschaftsstandort stärken soll. Mit der nationalen Energierechtsnovelle setzen Bundesregierung und Koalitionsfraktionen auch Europarecht um. Die Stromrichtlinie hat europapolitisch den Durchbruch für eine Liberalisierung der europäischen Strommärkte eingeleitet. Sie war der Ausgangspunkt und die Schubkraft für die Umsetzung in unser nationales Recht. Die Gasrichtlinie, mit deren Verabschiedung die F.D.P. noch in diesem Jahr rechnet, wird der Rahmen für erforderliche nationale Regelungen für Gas werden. Dabei wird die F.D.P. ihr besonderes Augenmerk auf die Unterschiedlichkeit der Energieträger Strom und Gas lenken und die besonderen Marktgegebenheiten bei Gas sicherlich mit berücksichtigen. ({5}) Die Liberalisierung unserer Energiemärkte ist eine große Chance. Sie trägt zur Sicherung der Arbeitsplätze in Deutschland bei. Sie ist Eckstein für mehr wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land und zugleich Ausgangspunkt für eine europa-, vielleicht sogar weltweite Bekämpfung unserer Umwelt- und Klimaprobleme. Jetzt gilt es, diese Chance zu nutzen. Die F.D.P. freut sich, ihren Beitrag dazu geleistet zu haben. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Rolf Köhne.

Rolf Köhne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002702, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Jahrhundertwerk - so haben wir gehört - soll mehr Markt und mehr Wettbewerb in der Energiewirtschaft einführen. Die Frage ist allerdings: Für wen? Wenige Konzerne, untereinander und mit den großen Banken und Versicherungen verflochten, stehen ungefähr 900 Stadtwerken gegenüber. Auf der einen Seite haben wir also die Finanzkraft von 55 Milliarden DM steuerfreien Rücklagen und natürlich noch viel mehr, auf der anderen Seite die Kommunen, deren Finanzkraft durch die bisherige Politik dieser Regierung immer weiter eingeschränkt wurde. Das wird ein ziemlich ungleicher Wettbewerb. ({0}) - Ja, habe ich. - Auf Grund des massiven Protests von Städten und Gemeinden haben Sie nachgebessert und das sogenannte Single-Buyer-Prinzip, also das Alleinabnehmermodell, ermöglicht. Aber auch das bietet den Stadtwerken, die selbst Strom erzeugen, nur unzureichend Schutz. Es soll auch nur befristet gelten. Verbal wollen Sie in einem Entschließungsantrag das Recht der Kommunen, ihre Energieversorgung selbst zu regeln, anerkennen. Real aber stellen Sie es in Frage. ({1}) - Real stellen Sie es in Frage; das habe ich Ihnen eben erläutert. ({2}) Gehen Ihre Pläne auf, bleiben letztendlich diese lokalen Strukturen, umweltfreundliche Energiedienstleistungsunternehmen, die die Stadtwerke mittlerweile darstellen, und die Kraft-Wärme-Kopplung auf der Strecke. ({3}) Im Interesse weniger Konzerne verzichten Sie auch auf eine klare Vorrangregelung für regenerative Energien. Im Interesse dieser Konzerne wollen Sie auch den Zubau durch den sogenannten doppelten Deckel auf zweimal 5 Prozent begrenzen. Das ist drei Tage vor Kioto umweltpolitisch das falsche Signal. Nur durch massive Proteste ist verhindert worden, Rolf Kähne daß Sie an der Stromeinspeisungsvergütung auch noch herumgedreht haben. Während Sie also so die Arbeitsplätze in der Windindustrie gefährden, werden die großen Stromkonzerne gehätschelt und getätschelt. Der „verhandelte Netzzugang" wird zusätzliche organisatorische und betriebswirtschaftliche Absprachen und Verflechtungen erfordern, gegen die die Kartellbehörden machtlos sein werden. Die Verbändevereinbarung verhindert letztendlich die Durchleitung und zementiert Monopolprofite. Das hat sich ja ganz klar in dem gezeigt, was dort ausgehandelt wird. Es wird also darauf hinauslaufen, daß sich eine Elefantenhochzeit zwischen den Energiekonzernen anbahnt. Die Konzentration wird zunehmen, der Wettbewerb weiter abnehmen. Ihr erklärtes Ziel, die Strompreise zu senken, wird allenfalls für einige wenige Großverbraucher erreicht werden, die sich eigene Kraftwerke leisten könnten oder auf den europäischen Markt zurückgreifen könnten. Aber das Gros der Verbraucher, vor allen Dingen Otto Normalverbraucher, wird dabei draufzahlen. Einen Wettbewerb, wie Sie ihn hier vorschlagen, brauchen wir nicht. ({4}) Wir wollen Wettbewerb dort, wohin er gehört: Wettbewerb zwischen den Erzeugungsanlagen bei einem klaren Vorrang für regenerative Energien. ({5}) Im Vordergrund unseres Antrages steht daher die Entflechtung der Monopolstrukturen durch eine strikte Trennung von Erzeugung, Transport und Verteilung. Angesichts der Eigentumsverhältnisse -80 Prozent der Erzeugungskapazitäten sind in der Hand der großen Verbundunternehmen - kann Wettbewerb nur funktionieren, wenn es eine strikte eigentumsrechtliche Trennung gibt. Getrennte Buchhaltung findet ohnehin überall statt. Wir fordern daher eine Überführung des Verbundnetzes gemäß Art. 15 Grundgesetz in Gemeineigentum. Nur so ist sichergestellt, daß Wettbewerb auch dann stattfindet, wenn Erzeugungsanlagen und Verteilunternehmen gleiche Eigentümer haben, da dann das Transportnetz als neutraler Partner dazwischengeschaltet ist. Auf dieser Basis soll über einen öffentlich-rechtlichen Stromgroßhandel der Strom nach wirtschaftlichen und ökologischen Kriterien eingekauft werden. Der Vorteil liegt auf der Hand: Alle Letztverbraucher werden so Strom zu allgemeinen und gleichen Preisen erhalten, nur unterschieden durch die Spannungsebene, auf der sie den Strom abnehmen. Damit wäre vor allen Dingen Chancen- und Wettbewerbsgleichheit in der Wirtschaft erreicht. Jedes Unternehmen, ob groß oder klein, bezöge den Strom zu gleichen Preisen, und es käme eben nicht auf die Verhandlungsmacht der großen Unternehmen an, billigen Strom zu bekommen. Ein weiterer Vorteil: Das Stromeinspeisungsgesetz hätte einen ganz klaren Adressaten, nämlich den Stromgroßhandel. Die Mehrkosten für regenerative Energien könnten so bundesweit allgemein umgelegt werden, und es gäbe nicht das Problem mit dem „doppelten Deckel" und den heutigen Schwierigkeiten, die Mehrkosten umzulegen. Insgesamt also handelt es sich um einen sachgerechten Vorschlag für eine umweltfreundliche Energieversorgung ohne Monopolprofite. ({6}) - Wenn Ihnen, lieber Herr Kollege, etwas unklar ist, dann stellen Sie dazu eine Zwischenfrage. Dann kann ich Ihnen unseren Antrag umfassend erläutern. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe dem Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt, das Wort.

Dr. Günter Rexrodt (Minister:in)

Politiker ID: 11002759

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jahrzehntelang haben festgefügte Strukturen dafür gesorgt, daß auf einem der wichtigsten Märkte dieses Landes, dem Energiemarkt, kein Wettbewerb bestanden hat. Das wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geändert. Die bisherigen Strukturen sind nicht der einzige Grund, aber einer der wichtigsten Gründe dafür, daß die Industriestrompreise in Deutschland im Einzelfall um bis zu 30 Prozent über dem europäischen Durchschnitt liegen. Heute haben wir die große Chance, das alte Recht grundlegend zu reformieren und moderne Strukturen im Energiesektor zu schaffen. Meine Damen und Herren, das steht in einer Reihe mit anderen liberalisierten Märkten in Deutschland. In diesem Zusammenhang verweise ich auf den Mobilfunk und die Preisstürze, die dort erfolgt sind, sowie auf die neuen Angebote bei Kurierdiensten. Ohne Wettbewerb wäre es nie dazu gekommen. Diese Energierechtsreform, die wir heute beschließen wollen, wird diese Entwicklung, wird diese Liberalisierungserfolge fortschreiben. Alle werden von den niedrigeren Preisen und den besseren Bedingungen bei der Versorgung profitieren. So erwartet der Verband der Energieabnehmer Preissenkungen für die Stromtarifkunden von mindestens 20 Prozent. Auch die kleinen Kunden werden profitieren - im Unterschied zu dem, was immer behauptet wird. Es war immer ein Argument der Bremser und der Besitzstandswahrer, daß die Kleinen für die Großen zahlen müßten. Das ist schlichtweg unwahr, meine Damen und Herren. Stadtwerke können in Zukunft ihren Strom billiger einkaufen und dann auch entsprechend billiger an ihre Kunden, an alle Kunden weitergeben. Zum Schutz der kleinen Kunden wird sicherheitshalber außerdem noch die Genehmigungspflicht für Stromtarife beibehalten. Die Mißbrauchsaufsicht durch die Kartellbehörden bleibt erhalten. Sie wird sogar effizienter ausgestaltet, denn die Kartellbehörden können in Zukunft Marktpreise zum Vergleich heranziehen. Das hat es bisher nie gegeben. ({0}) Darüber hinaus ist Vorsorge getroffen, daß die Kunden in ländlichen Gebieten mit hohen Versorgungskosten angemessen an den Preisvorteilen und Verbilligungen teilhaben können. Meine Damen und Herren, Kernstück der Reform ist die Abschaffung der geschlossenen Versorgungsgebiete, also der jetzt bestehenden Gebietsmonopole. ({1}) - Auf die Härtefallklauseln komme ich noch zu sprechen; das betrifft ja das Stromeinspeisungsgesetz. Der Kölner Industriebetrieb kann in Zukunft seinen Strom in Bayern kaufen, und die Berliner Wohnungsbaugesellschaft mit 15 000 Wohnungen kann ihren Strom aus Hessen oder anderen Regionen beziehen. Das haben wir gewollt. Das geschieht entweder im Wege der Durchleitung über das vorhandene Netz des Flächenversorgers bzw. das Netz des Stadtwerkes oder - soweit ökologisch vertretbar - über eine Direktleitung zu einem anderen Versorgungsunternehmen. ({2}) Wirksamer Wettbewerb hängt vor allem davon ab, daß die Durchleitung ein ganz normaler, ein ökonomischer Vorgang wird, so wie das in der Telekommunikation in ähnlicher Form auch der Fall ist und in Zukunft noch mehr sein wird. Für Strom wird daher ein prinzipieller Anspruch auf Netzzugang ins Gesetz geschrieben. Ich bitte das einmal zur Kenntnis zu nehmen. Der Netzinhaber darf die Leistungen Dritter nicht schlechter behandeln als die eigenen Lieferungen. Das steht im Gesetz, und daraus wird sich eine Rechtsprechung entwickeln. Wenn es zum Streit um die Bedingungen kommt, ist der Netzinhaber in der Beweispflicht und nicht umgekehrt. Das macht den Kunden stark, und das wollen wir auch. Eine ausgewogene Verbändevereinbarung kann ein nützlicher Rahmen für die Durchleitung sein. Aber natürlich will ich die Katze nicht im Sack kaufen. Nach Abschluß der Verhandlungen und wenn sich die Dinge entwickelt haben und ein Urteil möglich ist, werden wir das überprüfen, und ich sage ganz klar: Sofern die Verbändevereinbarung nicht funktioniert, werde ich nicht zögern, von der Ermächtigung Gebrauch zu machen, die auch im Gesetz steht, nämlich die Durchleitung durch Rechtsverordnung zu regeln. ({3}) Darin ist doch alles enthalten: Erst einmal setzen wir darauf, daß das durch den Markt und die Fachleute geregelt wird, und für den Fall, daß das nicht möglich ist, haben wir uns in das Gesetz den Vorbehalt, das anders zu regeln, hineingeschrieben. Was wollen Sie überhaupt? ({4}) Bei Gas richtet sich der Netzzugang nach den Generalklauseln des Kartellrechts. Meine Damen und Herren, es ist von Anfang an argumentiert worden, wir wollten die Kommunen mit diesem Gesetz an die Kandare nehmen. Das waren immer vorgeschobene Argumente der Besitzstandswahrer; das war immer falsch. ({5}) Das Aufkommen der Kommunen aus der Konzessionsabgabe wird durch zahlreiche Sonderbestimmungen im Gesetz geregelt. Der kommunale Querverbund, also die Verrechnung der Gewinne des Stadtwerks mit Verlusten aus anderen Betrieben, kann beibehalten werden. Die Stromerzeugung auf der Basis der Kraft-Wärme-Kopplung, vor allem bei den Stadtwerken, ist besonders geschützt. Für eine Übergangszeit bis Ende 2005 wird auf der Ortsstufe ein alternatives Zugangsmodell zugelassen. Das letztere, diese Option, ist eine Konzession, mit der ich leben kann, weil am Ende Wettbewerb herrscht und gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle da sind. Da kann man, wenn notwendig, wenn gewollt, eine Übergangszeit hinnehmen. Aber niemand kann vom Wettbewerb ausgenommen werden. Das kann auch niemand wollen, meine Damen und Herren. Wer meint, die Stadtwerke hätten im Wettbewerb keine Chance, der verkennt nämlich die Situation. Mit der Reform verschaffen wir den Stadtwerken die Möglichkeit, sich von teuren Strom- und Gaslieferanten zu trennen und billigere, günstigere zu nehmen. Außerdem können sie den Trumpf der Kundennähe, den sie ja haben, voll ausschöpfen. Viele Stadtwerke sehen im übrigen diesem neuen Wettbewerb mit sehr viel Selbstvertrauen entgegen. Meine Damen und Herren, das waren in den letzten Monaten die leisen Stimmen, die nicht mit dem übereinstimmten, was die Funktionäre gesagt haben, die das nur mit Kopfschütteln begleitet haben. ({6}) Den besonderen Interessen der ostdeutschen Wirtschaft, der ostdeutschen Braunkohleverstromung, haben wir durch eine Übergangsregelung Rechnung getragen, die der besonderen Situation der Länder gerecht wird. Auch da muß irgendwann Wettbewerb sein. Wir wollen am Schluß niemanden vom Wettbewerb ausnehmen. Meine Damen und Herren, die Reform beweist, daß mehr Wettbewerb und mehr Umweltschutz Hand in Hand gehen können. In Zukunft hat Umweltschutz den gleichen Stellenwert wie die Sicherheit und die Preiswürdigkeit der Versorgung. Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung und aus erneuerbaren Energien wird besonders berücksichtigt. Das Stromeinspeisungsgesetz bleibt erhalten. Dabei wird künftig die Stromerzeugung aus Biomasse voll einbezogen. Die schwierigen Abgrenzungsprobleme des geltenden Rechts werden dadurch, daß wir auch Biomasse begünstigen wollen, mit einem Schlag beseitigt. ({7}) Aber, meine Damen und Herren, wir müssen auch den Tatsachen ins Gesicht sehen. Das Stromeinspeisungsgesetz hat einen Zuwachs an Windkraftanlagen gebracht, vor allem in den Küstenregionen, der so nicht vorhersehbar war. Das wiederum hat zu einer Verzerrung der Strompreise zu Lasten der Küstenregionen geführt. Das kann auch niemand bestreiten. Jetzt sollen die Lasten durch Härteklauseln, die wir aufgenommen haben, besser verteilt werden. Das ist der Sinn der Sache. Ganz einfach, wir machen Härteklauseln. Mittelfristig kann aber auch die Höhe der Förderung kein Tabu sein. Wenn ich das sage, dann will ich das Ergebnis eines Nachdenkens und des Prüfens, des Ob und Wie nicht antizipieren. Aber keiner kann uns abverlangen - ich glaube, auch diejenigen nicht, die unmittelbar damit befaßt sind, auch unternehmerisch -, daß das auf Dauer ein Tabu ist. Jetzt arbeiten wir erst einmal mit den Härteklauseln. Meine Damen und Herren, der erneut gestellte Antrag der Grünen für einen bundesweiten Ausgleich wäre ein Rohrkrepierer zu Lasten der erneuerbaren Energien geworden. Mir ist schlicht unverständlich, warum die Prozeßaussichten der Stromwirtschaft beim Verfassungsgericht in Karlsruhe durch einen solchen Antrag, wenn er durchkäme, drastisch verbessert werden sollen. Ich habe das Stromeinspeisungsgesetz vor dem Verfassungsgericht immer verteidigt. Ihr Antrag könnte - ich sage es bewußt vorsichtig und im Konjunktiv - darauf hinauslaufen, daß man es als verfassungsfeindliche, verfassungsfremde Abgabenregelung deutet, und dann wäre die Regelung erledigt. Das kann auch nicht in Ihrem Interesse sein. Im übrigen hat sich auch das Justizministerium nach eingehender, objektiver Prüfung dieser Auffassung angeschlossen. Dieser Entschließungsantrag wäre eine Gefährdung dessen, was wir heute erreicht haben. Meine Damen und Herren, das Stromeinspeisungsgesetz erfaßt im Moment nur die Stromerzeugung außerhalb der öffentlichen Elektrizitätswirtschaft. Wir fordern aber auch die Versorgungsunternehmen selbst auf, zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen. Sie sollten den Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und vor allem aus der KraftWärme-Kopplung auf dem Wege einer freiwilligen Selbstverpflichtung erhöhen. Ich lehne es seitens der Bundesregierung ab, die Art und Umstände der Energieerzeugung, beispielsweise bei der KraftWärme-Kopplung, quasi von oben herab durch Dekret festzusetzen. Das wollen wir nicht. Wir brauchen auch im Bereich der Technologien den Wettbewerb. ({8}) Diesen Wettbewerb gibt es nur, wenn wir ein Stück Markt in diesem Geschäft erhalten. Was jetzt vorliegt, ist ein fairer Kompromiß. Ich danke insbesondere den Kollegen Friedhoff und Uldall, die als wirtschafts- und energiepolitische Sprecher ihrer Fraktionen die Hauptlast der Arbeit in der Koalition getragen haben. Lassen Sie mich noch einen Punkt anfügen: Wir haben Klarheit darüber, daß dieser Gesetzentwurf in der jetzigen Form im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist, Herr Jung. Das ist die Meinung innerhalb der Koalition nach Prüfung durch die Kollegen. Auch Innen- und Justizministerium haben das nach eingehender Prüfung eindeutig bestätigt. Die Länder haben meine verbindliche Zusage, daß die praktische Umsetzung des Reformgesetzes in enger Kooperation erfolgen soll. Für mich ist wichtig, daß dieses Gesetz zum Wettbewerb führt. Auf dem Weg dorthin sind Kompromisse richtig. Aber ich stelle ausdrücklich fest: Mit den Kompromissen wurde die Substanz nicht berührt. Die Kompromisse wurden in den Bereichen geschlossen, in denen sie sinnvoll sind, nämlich beim Umweltschutz, bei der Kraft-Wärme-Kopplung, bei der ostdeutschen Braunkohle, bei Optionen und Fristen, also wenn es darum geht, daß man eine gewisse Zeit braucht, um auf ein anderes Modell umzustellen. In diesen Bereichen waren Kompromisse möglich. Das ist in Ordnung; damit kann ich leben. Am Ende aber steht der Wettbewerb; das ist das Entscheidende. Deshalb ist dies ein gutes Gesetz und gleichzeitig ein Gesetz mit Augenmaß. ({9}) Nun wollte ich eigentlich an die Opposition und speziell an Sie, Herr Jung, appellieren - Sie hatten ja im Wirtschaftsausschuß anerkannt, daß dieser Regierungsentwurf in wichtigen Punkten auch Ihren Vorstellungen entspricht und Ihnen entgegengekommen ist -, ({10}) dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Herr Jung, ich will einmal Revue passieren lassen, was Sie vorhin vorgetragen haben: Auf der einen Seite beklagen Sie, daß das Gesetz im Zuge der Diskussion verwässert worden sei und daß - wie Sie es ausgedrückt haben - von seiner ursprünglichen Fassung nichts mehr übriggeblieben sei. Auf der anderen Seite sagen Sie, wir seien nicht weit genug gegangen. Diese Aussagen sind in sich nicht schlüssig. Sie sind schlicht falsch. So geht es doch nicht! ({11}) Daran wird wieder einmal deutlich, daß Sie hier Blockade und Opposition um der Opposition willen betreiben. ({12}) Daß Sie jetzt noch ein Normenkontrollverfahren anstrengen wollen, bleibt Ihnen unbenommen. Wir sind ein Rechtsstaat. Aber das zeigt - das wird hier im Parlament immer wieder deutlich -, daß Sie blokkieren und Reformen aufhalten wollen. Das ist Ihre Absicht. ({13}) - Frau Hustedt, es ist doch so: Es paßt Ihnen nicht, daß die Koalition mit diesem Gesetzentwurf für die Neuordnung von einem der wichtigsten Bereiche unserer Wirtschaft einen Erfolg erzielt und etwas in Bewegung bringt. Ich habe gestern schon darüber gesprochen: Diese Reform ist Ausdruck dessen, daß sich in diesem Land etwas bewegt. Das geben Sie aus parteitaktischen Gründen nicht zu. Ich kann das verstehen. Aber von der Sache her ist Ihre Ablehnung nicht gerechtfertigt. ({14}) Die Reform bringt uns in unser aller Interesse ein Stück vorwärts. Der heutige Tag bringt eine wichtige Entscheidung, die einen Meilenstein in der Reformpolitik darstellt. Ich bin überzeugt, das heutige Abstimmungsergebnis liegt im Interesse der Menschen und im Interesse der Arbeitsplätze in diesem Land. Schönen Dank. ({15})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Hinsken, CDU/CSU.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nicht viele Gesetze in dieser Legislaturperiode wurden so eingehend beraten wie dieses Energiewirtschaftsgesetz. Wir waren alle gut beraten, hier nicht nur eine eintägige umfassende Anhörung durchzuführen, sondern auch viele Gespräche mit den EVUs, mit Kleinunternehmern, mit Großunternehmern und insbesondere mit den Kommunen zu führen. ({0}) Zwar ist hier nicht der ganz große Wurf gelungen, wie Sie, Frau Kollegin Hustedt gesagt haben. Aber es ist gelungen, eine runde Sache in Gesetzesform zu gießen, mit der sowohl alle Seiten dieses Hauses als auch die Betroffenen leben können. ({1}) Ich pflichte Herrn Minister Rexrodt bei, der sagte: Das, was die SPD hier heute gesagt hat, hörte sich ganz anders an als das, was die SPD im Wirtschaftsausschuß des Bundestages gesagt hat. Da waren Sie noch sehr kooperativ. Herr Kollege Jung, Sie haben im Wirtschaftsausschuß erklärt, daß Sie nicht geglaubt hätten, daß so viele Verbesserungsvorschläge eingebracht werden würden, wie es tatsächlich geschehen ist. Insofern könnte ich mir vorstellen, daß Sie sich jetzt einen Ruck geben und sagen: Wir sind bereit, dem Gesetz zuzustimmen und somit die Grundlage dafür schaffen, daß wir im Wettbewerb auf diesem Gebiet auch in Zukunft innerhalb Europas und darüber hinaus bestehen können. Herr Kollege Jung, die von Ihnen angesprochene Zustimmungsfreiheit - die von unserer Seite als gegeben angesehen wird - ist so niet- und nagelfest, daß Sie auch mit einem Normenkontrollverfahren - das steht Ihnen offen - nicht das erreichen, was Sie wollen. Wir haben vielfach Kontakt mit den Bundesländern gehabt. ({2}) Wir haben mit ihnen über das Gesetzesvorhaben gesprochen und ihre Meinung soweit wie irgend möglich berücksichtigt. Deswegen ist dieses vernünftige, gemeinsame Ganze herausgekommen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf eines hinweisen - auch wenn es von Vorrednern schon gesagt worden ist; es kann gar nicht oft genug wiederholt werden -: Dieses Energiewirtschaftsgesetz ist neben der Neufassung des Kartellrechts das wichtigste Wirtschaftsgesetz, das wir in dieser Legislaturperiode beraten und beschließen wollen. Herr Minister Rexrodt, Sie haben dem Kollegen Uldall und dem Kollegen Friedhoff gedankt. Ich möchte an dieser Stelle auch Ihnen und Ihrem Haus dafür danken, daß Sie so viel Bewegung gezeigt haben, daß eine in sich geschlossene Konzeption gefunden wurde, mit der alle Seiten - guter Wille natürlich vorausgesetzt - leben können. ({3}) Ich darf bei dieser Gelegenheit noch einmal sagen: Herr Kollege Uldall, Sie waren derjenige, der insbesondere den Konsens mit den Kommunen herbeigeführt hat. Wir waren vor allen Dingen bestrebt, hier kein Gesetz gegen die Interessen der Kommunen vorzulegen, Herr Kollege Willner. Uns lag es vielmehr immer am Herzen, ein Gesetz zusammen mit den Kommunen zu machen. ({4}) Ich kann - wie meine Kollegen - feststellen, daß uns gerade in letzter Zeit vermehrt vor allen Dingen Dankbriefe erreicht haben, in denen auf die Ausgangslage, auf den ursprünglichen Gesetzentwurf verwiesen wird. Wenn ich das mit dem vergleiche, was jetzt zu guter Letzt vorliegt, dann läßt das hoffen und wünschen. Wir sind uns darüber klargeworden, daß wir richtiglagen und hier vernünftige Maßnahmen ergriffen haben. ({5}) Uns, der CSU - ich spreche hier für meine CSU-Freunde -, war nicht nur daran gelegen, daß die kommunalen Interessen hier Berücksichtigung finden. Uns lag insbesondere auch die Situation der kleinen und mittleren EVUs am Herzen. Wenn ich diese in gewisser Hinsicht mit den Kommunen gleichsetze, kann ich feststellen: Für beide, sowohl für die Kommunen als auch für die kleinen und mittleren EVUs, wurde etwas Positives erreicht. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei all denen bedanken, die hier Kompromißbereitschaft gezeigt und damit einen erheblichen Beitrag zum Gelingen dieses großen Reformvorhabens geleistet haben. Wir haben vor allen Dingen der Forderung der kommunalen Spitzenverbände Rechnung getragen und das Alleinkäufermodell als Wettbewerbsalternative zum verhandelten Netzzugang im Gesetz verankert. All denen, die Kritik daran üben, daß das Alleinkäufermodell nicht unbefristet ins Gesetz aufgenommen wurde, möchte ich zu bedenken geben, daß beide Netzzugangsalternativen, also sowohl der verhandelte Netzzugang als auch das Alleinkäufersystem, im Jahre 2003 auf ihre Wettbewerbswirkungen überprüft werden. Ich habe keinen Zweifel daran, daß das Alleinkäufermodell, wenn es sich - wie von den kommunalen Spitzenverbänden vorgetragen - in seiner Wettbewerbswirkung als gleichwertig erweist, gegebenenfalls verlängert werden kann. Den oftmals befürchteten automatischen Wegfall dieses Systems wird es nicht geben. Das heißt, wir, der Deutsche Bundestag, werden das Heft weiterhin in der Hand halten. ({6}) - Frau Kollegin Hustedt, ich weiß nicht, ob Sie dann noch dabei sind. Aber ich wünsche es Ihnen - genauso wie den übrigen Kollegen -, damit wir darüber reden können. ({7}) Wir haben des weiteren erreicht - damit wurde auch eine Forderung der Kommunen erfüllt -, daß der besonderen Bedeutung der Nutzung von KraftWärme-Kopplungsanlagen durch Schutzvorschriften bei der Durchleitung und dem Direktleitungsbau Rechnung getragen wird. Damit sind auch die Belange des Umweltschutzes, wie ich meine, angemessen berücksichtigt. Zu guter Letzt haben wir auch die Konzessionsabgabe, die für die Finanzkraft der Städte und Gemeinden in unserem Land von erheblicher Bedeutung ist, institutionell abgesichert. Besonders erwähnenswert erscheint mir, daß bestehende Konzessionsverträge - eine Vielzahl solcher Verträge wurde erst in jüngster Zeit neugeschlossen - durch die Liberalisierung und den Wegfall der Ausschließlichkeit im übrigen unberührt bleiben. Werte Kolleginnen und Kollegen, außerdem haben wir im Gesetz wohlüberlegt geregelt, daß die Konzessionsabgabe nach Ablauf eines Konzessionsvertrages für ein ganzes Jahr weitergezahlt werden muß, um den Kommunen auch während laufender Vertragsverhandlungen die Entgelte zu sichern. Deshalb komme ich zu dem Schluß: Die Kommunen können mit diesem Ergebnis wahrlich zufrieden sein. All die Dankbriefe, die wir bekommen, sind berechtigt. ({8}) Meine Damen und Herren, wir haben bei all den vorgenannten Punkten auch die Interessen der vielen mittelständischen Energieversorgungsunternehmen nicht aus dem Auge verloren, deren Probleme sich vielfach mit denen der Kommunen decken. Ein weiteres Anliegen, welches uns von der CSU besonders auf den Nägeln brannte, hat ebenfalls Eingang in das Gesetz gefunden. Ich meine die Vorschrift, nach der die Preisdifferenzierung nach oben begrenzt wird -, gerade auch im Interesse der Bürger und gewerblichen Kleinverbraucher des ländlichen Raums. Dies ist Politik für die Fläche. „Rosinenpickereien" zu überproportional großen Lasten der dort wohnenden Bevölkerung wird es nicht geben. Ich bin besonders dankbar, Herr Minister Rexrodt, daß auch Sie angesprochen haben, daß durch diese Neuregelung des Energiewirtschaftsgesetzes für alle, nicht nur für einige wenige - wie das von Oppositionsseite behauptet wird -, etwas Positives herauskommt. Richtig ist auch, daß die Forderung, die ich bereits in der ersten Lesung erhoben hatte, im Gesetz nunmehr ihren Niederschlag gefunden hat, und zwar eine eindeutige Beweislastregelung zugunsten des durchleitungswilligen Dritten, der nun nicht mehr beweisen muß, daß die Durchleitung möglich ist. Vielmehr muß der Netzinhaber beweisen, daß die Durchleitung aus den im Gesetz genannten Gründen unmöglich ist. Dies kommt nicht zuletzt den mittelständischen Energieversorgern, die fremde Netze nutzen wollen, zugute, weil sie hiermit langwierige und kostenträchtige Prozesse vermeiden können. Werte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte nicht verschweigen, daß uns bis in die letzten Tage hinein auch einige Briefe von Bürgern erreicht haben, die mit dem erzielten Kompromiß nicht zufrieden sind. Den einen geht die Liberalisierung zu weit; den anderen geht sie hingegen nicht weit genug. An dieser Stelle ist darauf zu verweisen, daß gerade die CSU sowie Mittelstands- und Kommunalpolitiker der CDU/CSU-Fraktion - Kollege Willner, Professor Blank, Kollege Götz, um nur einige zu nennen - stets betont haben, daß die berechtigten Forderungen der Kommunen und mittelständischen Energieversorgungsunternehmen angemessen berücksichtigt werden müssen. Dies ist gelungen. Stets waren wir aber auch für eine Öffnung des Energiemarktes und damit für die Beseitigung eines der letzten monopolistisch strukturierten Bereiche der deutschen Wirtschaft. In einer Zeit von Automatisierung und Rationalisierung ist gerade der Energiepreis mit der wichtigste Standortfaktor eines Landes. Auch unsere Unternehmen brauchen niedrige Strompreise, um gegenüber unseren Nachbarn bestehen zu können. Schlicht gesagt: Wir brauchen die Liberalisierung, um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftstandortes Deutschland zu stärken und um in- nd ausländische Investoren von der Attraktivität unseres Standortes zu überzeugen. Mit diesem Gesetz, verehrte Kolleginnen und Kollegen, schaffen wir verläßliche Rahmenbedingungen für den künftigen Energiemarkt. Ich möchte alle Beteiligten, trotz der Kritik an einzelnen Punkten, ermutigen, sich hieraus ergebende Chancen zu nutzen. Die Grundlagen dafür sind geschaffen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dietmar Schütz, SPD.

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Dies ist kein historischer Tag heute. Obwohl: Das Energiewirtschaftsgesetz könnte das Schlüsselgesetz für eine Strategie der CO2-Reduktion und des Klimaschutzes sein, wenn Sie denn die richtigen Instrumente wählen würden. Dies aber tun Sie nicht, weil Sie das Stromeinspeisungsgesetz nicht in das Energiewirtschaftsgesetz integrieren, sondern nur anhängen und mit einer völlig falschen Härtefallklausel eine völlig unsinnige Deckelung für die regenerativen Energien, die für sie das faktische Aus bedeutet, festschreiben und weil Sie bei den Netzzugangsstrukturen und den Kostenstrukturen auf der Netzebene nicht die Interessen kleiner, dezentraler Erzeuger berücksichtigen. ({0}) - Wir können darüber gleich noch reden, Herr Uldall. Ich will diese beiden Aspekte behandeln und mit der Netzzugangsproblematik beginnen. Diese hat, wie Sie gleich merken werden, viel mit regenerativer Energie zu tun. Sie haben sich bei der Normierung der Durchleitungsvorschriften nach der anhaltenden Kritik aus der Wirtschaft und vom Kartellsenat des BGH etwas bewegt. Im Ergebnis wollen Sie aber nach wie vor nichts regeln. Sie delegieren diese wichtige Aufgabe über die Kann-Formulierung des § 3 c Abs. 2 - von der Sie, wie Sie gerade gesagt haben, Herr Rexrodt, keinen Gebrauch machen wollen - auf die sogenannte Verbändevereinbarung, die uns jetzt im Entwurf vorliegt. Wenn diese Verbändevereinbarung in Kraft tritt, orientieren sich die Durchleitungsentgelte an einem entfernungsabhängigen Leistungspreis. Dadurch könnte wohl die Durchleitung von großen Strommengen über kurze Entfernungen zu angemessenen Durchleitungsentgelten realisiert werden; für die Masse der anderen Fälle wird jedoch der Netzzugang zugunsten der Netzbetreiber - das sind die großen Verbundunternehmen - durch sehr hohe Nutzungsentgelte massiv behindert. Im europäischen Ausland sieht das völlig anders aus. Dort gelten strommengenabhängige, aber entfernungsunabhängige Durchleitungsentgelte. Einen solchen „Briefmarkentarif" erhoffte ich mir auch für uns. Die sehr hohen Nutzungskosten treffen kleine Stadtwerke und kleine Industriebetriebe inmitten eines großen Verbundnetzes ebenso wie dritte Anbieter, die auf Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen oder auf rein regenerativen Stromerzeugungsanlagen Strom produzieren, besonders hart. In allen anderen westlichen Ländern, insbesondere in Skandinavien, aber auch in England, in den Niederlanden und in den USA, gibt es staatlich geregelte Netzbenutzung. Es ist doch ein Widersinn, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, daß wir in den anderen von uns liberalisierten Netzen - bei der Telekom, bei der Bahn - mittels einer Regulierungsbehörde eine klare Regulierung geschaffen haben, die Netzzugang und Netzbetrieb regelt und kontrolliert, nur nicht in der Stromwirtschaft. Was soll dieser Unfug? ({1}) Die Stromindustrie hat ein gleiches Netzzugangsrecht auf den anderen Märkten - wie in der Telekommunikation - für sich nachdrücklich gefordert. Das Argument, monopolgeneigte Märkte müßten reguliert werden, galt zu Recht für die Bahn und für die Telekom. Im gleichen Umfang gilt dies auch für den Strommarkt. ({2}) Ich wiederhole: Monopolgeneigte Märkte müssen reguliert werden. Ich will dazu ein Beispiel nennen, das ich von Claus Möller gehört habe: Wenn der Firma Daimler-Benz alle Autobahnen gehörten, so hätten andere Automobilhersteller nur dann eine faire Chance auf Autobahnbenutzung, so sagt er, wenn eine neutrale Instanz dafür Sorge trägt, daß die anderen Autos nach gleichen Bedingungen wie Mercedes auf der Autobahn fahren dürfen. ({3}) Sonst könnten VW und BMW aufgeben. Diese Logik gilt auch für die EVUs. Deswegen: Orientieren Sie sich an Skandinavien, an den Niederlanden, an England und an den USA und regeln Sie das genauso! Sie tun das nämlich bisher nicht. ({4}) - Das ist hier genauso logisch wie in anderen Ländern. Dietmar Schütz ({5}) Ich spreche deswegen so ausführlich über die Regulierung der Netze, weil hier die zentrale Weichenstellung auch für die regenerativen Energien stattfinden muß. Fairer Zugang zu den Netzen und ein Kostenausgleich auf der Netzebene sind für die erneuerbaren Energien lebenswichtig. ({6}) Die Koalition hat diese Netzregulierung nicht vorgenommen. Ich komme jetzt zu einer entscheidenden Frage: Einen Kostenausgleich auf der Netzebene - das wäre für uns eine sinnvolle Härtefallregelung - bringen Sie nicht zustande. Statt dessen bringen Sie als Ihre Lösung zur Härtefallklausel im Stromeinspeisungsgesetz wieder den doppelten Deckel. Das bedeutet das Aus für die regenerativen Energien in den Jahren 2001, 2002. ({7}) - Ich komme gleich dazu, Herr Hirche. Schon heute werden sich die Investoren am Gesetz orientieren und deshalb schon heute auf das Ende der diesbezüglichen Regelung schauen; sie werden nicht investieren. Das ist die Wirkung Ihres doppelten Deckels. Denken Sie daran, was bisher schon alles auf diesem Markt passiert ist. Tacke ist pleite gegangen; Enercon baut ab. Daran hängen 10 000 Arbeitsplätze. ({8}) - Weil die Bedingungen im Augenblick nicht auskömmlich sind, lieber Herr Grill. Wir sollten statt dessen mit einem bundesweiten Kostenausgleich auf der Netzebene beginnen. Er ist deswegen so wichtig, weil im Augenblick alle Kosten bei den norddeutschen Unternehmen auflaufen. Diese regionale Schieflage, die wir zu Recht beklagen, darf nicht hingenommen werden. Es kann nicht angehen, daß beim Ausbau der regenerativen Energien - insbesondere bei der Windenergie, aber jetzt auch bei der Biomasse - alle Kosten nur in Norddeutschland auflaufen. Das kann nicht sein. Man muß da für einen Ausgleich sorgen; es genügt nicht, das mit einem Deckel lösen zu wollen. Denn die Kosten fallen tatsächlich an. Die in der Sache begrüßenswerte Einbeziehung von Biomasse wird das noch verstärken. Ich komme als Oldenburger aus einem Gebiet, wo Biomassenutzung stattfinden wird. Auch in bezug darauf gibt es keinen Ausgleich. Alle Kosten landen bei uns. Das kann nicht sein.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Schütz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grill?

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schütz, können Sie dem Haus vielleicht erklären, warum sich die Niedersächsische Landesregierung, die sich gemeinsam mit Bayern für einen bundesweiten Ausgleich beim Stromeinspeisungsgesetz im Bundesrat eingesetzt hat, gegen die Mehrheit der SPD-regierten Länder im Bundesrat nicht hat durchsetzen können?

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme gleich dazu; ich fahre aber erst noch mit meiner Rede fort. Die Diskussion über die Härtefallklausel, die Sie jetzt angesprochen haben und wo Sie mit Schleswig-Holstein operieren, war auf eine Situation abgestellt, in der es einen deregulierten Markt noch nicht gab. Sie können doch nicht von einer Situation ausgehen - wie es Schleswig-Holstein und die anderen Länder formuliert haben - , in der es die einschlägigen Bestimmungen im Energiewirtschaftsrecht noch gar nicht gab. Deswegen zielt alles das, was Sie jetzt machen, auf eine vollkommen andere Struktur ab. ({0}) Die Ausgangslage war eine andere.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Schütz, der Kollege Grill möchte eine weitere Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie das?

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine Zwischenfrage lasse ich noch zu, Herr Grill. Ansonsten komme ich mit meiner Rede nicht durch.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das finde ich außerordentlich großzügig von Ihnen, Herr Kollege Schütz. Ich habe Sie ja nicht nach der Härteklausel, sondern danach gefragt, ob Sie mir erklären können, warum der jetzt von Ihnen eingeforderte bundesweite Ausgleich, der mit der Härteklausel nichts zu tun hat, im Bundesrat nicht durchgesetzt werden konnte.

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist falsch, Herr Grill. Der bundesweite Ausgleich ist quasi eine Härteklausel. Ich plädiere nachdrücklich dafür. Ich fahre jetzt in meiner Rede fort. Das Argument - das Sie, Herr Rexrodt, ebenfalls benutzt haben -, wonach das Justizministerium zu dem Schluß gekommen sei - ich kenne den Text aus dem Justizministerium -, daß das verfassungswidrig sei, weil es dem Kohlepfennig vergleichbar sei, halte ich verfassungsrechtlich für nicht akzeptabel. Wir haben auf Grund der EG-Richtlinie das Recht, eine Vorrangregelung für regenerative Energien zu treffen. Uns hat die EU-Kommission in ihrem Brief an Herrn Ost ausdrücklich Dietmar Schütz ({0}) attestiert, daß es statthaft ist, die „lokale Belastung der Betreiber der Verteilungsnetze auf einer höheren Netzebene geographisch zu verteilen". Genau das sagt uns die EU-Kornmission. Deswegen ist die Verteilung der Kosten auf dieser Ebene nicht, wie ich finde, eine Abgabenregelung, sondern es ist eine Preisregelung. Deswegen hat sie mit dem Kohlepfennig nichts zu tun. Damit wird nur das ausgeschöpft, was die EU-Richtlinie zuläßt. Deswegen sollten wir das schlicht und ergreifend auch tun. ({1}) Ich will Ihnen, meine Damen und Herren, auch noch etwas anderes sagen. Es geht hier um eine historische Weichenstellung. Wir müssen für regenerative Energien die Weichen stellen, und wir müssen schauen, wie wir sie weiter ausbauen können. Jetzt spreche ich einmal die rechte Seite des Hauses an: Es geht auch um die Frage, wie wir in den Bereich der regenerativen Energien Wettbewerb einführen können. Wettbewerb können wir nur dann einführen, wenn wir eine Verteilungsstruktur aufbauen, in der wir über eine Quotenregulierung Wettbewerb ermöglichen, wie alle anderen Länder das ebenfalls gemacht haben. Das heißt also: Wir sollten heute endlich den Mut finden, zu einer Kostenverteilung auf der gesamten Netzebene zu kommen, um dadurch das Eingangstor für den Wettbewerb zu definieren, wie es zum Beispiel die Engländer gemacht haben. Das ist es, Herr Uldall, worüber wir nachzudenken hätten. Mit einer solchen Kostenverteilungsstruktur könnten wir quotierte Wege und Pfade vorschreiben, wie es übrigens im Augenblick alle EVUs diskutieren. Das ist - unter stategischen Gesichtspunkten - das einzige mir richtig erscheinende Instrument. Aber das tun Sie nicht. Ich bedaure sehr, daß wir heute möglicherweise zu einer Regulierung kommen, mit der wir nicht einverstanden sind. Wir Sozialdemokraten werden deshalb den Änderungsantrag der Grünen, der praktisch unserem Entwurf entspricht, unterstützen. Sie haben noch eine letzte Chance, diese Struktur zu korrigieren und heute eine Kostenverteilung auf der Netzebene als den strategischen Ort durchzusetzen. ({2}) Meine Damen und Herren, die Weitergeltung des Stromeinspeisungsgesetzes mit seiner 90-ProzentBindung an den durchschnittlichen Strompreis wird dazu führen, daß die Einspeisungsvergütung in Zukunft deutlich absinkt. Das haben Herr Uldall und Herr Grill dazwischengerufen, und das stimmt. Insofern verstehe ich Frau Hustedt nicht, die in diesem Punkt so optimistisch ist. Es wäre richtig gewesen, einen Preis in Höhe von 17 Pfennig festzuschreiben; und das haben wir getan. Das, was jetzt passiert, wird eine massive Absenkung der Einspeisungsvergütung nach sich ziehen, weil die Strompreise sinken. ({3}) - Nein, ich habe nicht dafür demonstriert. Wir haben in unserem Gesetzentwurf diese 17 Pfennig festgeschrieben. ({4}) Das ist etwas, was den Erfolg des Stromeinspeisungsgesetzes ausmacht.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Schütz, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hustedt?

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das habe ich fast erwartet.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Schütz, ist Ihnen bekannt, daß wir auch einen Änderungsantrag vorgelegt haben, in dem wir die Festschreibung eines Mindestpreises für Strom aus Windenergie vorschlagen, und unterstützen Sie auch diesen Änderungsantrag?

Dietmar Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002093, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das wäre richtig, Frau Hustedt. Sie haben aber gerade wieder solchen Optimismus verbreitet, und diesen Optimismus kann ich nicht teilen. Ich habe die Kritik von Herrn Grill und Herrn Uldall durchaus nachvollziehen können. Meine Damen und Herren, ich will - ich muß zum Ende kommen - noch einen letzten Punkt ansprechen. Sie haben in, den Gesetzestext nicht Aspekte wie Ressourcenschonung, Effizienzsteigerung und Minimalkostenplanung -„least-cost-planning" - aufgenommen; wir haben das getan. Sie haben zukunftsweisende Instrumentarien nicht einbezogen. Aus all diesen Gründen können wir Ihrem Gesetzentwurf auf keinen Fall folgen. Es ist keine Weichenstellung. Es ist kein historischer Tag. Wir sollten heute anders vorgehen. Durch die Zustimmung zur Kostenausgleichsregelung hätten Sie noch eine Chance, bis zu einem gewissen Grade eine Weichenstellung vorzunehmen. Ich danke Ihnen. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Ramsauer, CDU/CSU.

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen zweiten und dritten Lesung zur Novellierung des Energiewirtschaftsrechts nehmen wir auch eine Novellierung des Stromeinspeisungsgesetzes vor. Ich möchte mich in meinen Ausführungen allein darauf konzentrieren. Wesentlich bei der Novellierung des Stromeinspeisungsgesetzes ist, daß dieses in seiner gesamten Substanz erhalten bleibt und daß es nicht, wie lange I Zeit versucht wurde, zu irgendwelchen Einschränkungen bei der Einspeisevergütung für Windstrom kommt. ({0}) Ich möchte jedoch im Rahmen dieser Debatte nochmals einige Klarstellungen vornehmen, um jedwede Zweifel bei der späteren Rechtsauslegung von vornherein zu vermeiden. Zunächst zur neugefaßten Härteklausel: Sie enthält in ihrem neuen Abs. 4 eine Revisionsvorschrift dahin gehend, daß vor Eintreten einer vorher in der Härteklausel definierten Deckelregelung eine andere Ausgleichsregelung getroffen werde. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß diese Vorschrift dahin gehend zu interpretieren ist, daß ein „zweiter" bzw. letzter Deckel auf keinen Fall endgültig zuschnappen kann, sondern daß auf alle Fälle vorher durch den Gesetzgeber eine andere Ausgleichsregelung getroffen wird. Das heißt, daß der weitere Ausbau regenerativer Stromerzeugung auf der Basis der gesetzlichen Einspeisevergütung durch etwaige Deckel nicht behindert wird. Dieser Interpretation ist im übrigen bei den abschließenden Beratungen im federführenden Wirtschaftsausschuß nicht widersprochen worden. Im Zusammenhang mit diesem Deckelmechanismus ist es gerade in den letzten Tagen noch zu Zweifelsfällen im süddeutschen Raum in grenznahen Gebieten zur Schweiz und zu Österreich gekommen. Es handelt sich hier um Fälle, in denen das aufnehmende EVU überwiegend oder ausschließlich Vorlieferanten in der Schweiz bzw. Österreich hat und durch die örtlichen Gegebenheiten der erste 5-Prozent-Deckel bereits erreicht bzw. nahezu erreicht ist. Ich stelle meine heutige Zustimmung zu dem Gesetz unter den ausdrücklichen Vorbehalt - hier spreche ich auch für viele Kollegen aus meiner Fraktion -, daß die diesbezüglichen Zusicherungen von Bundeswirtschaftsminister Rexrodt in seinem Schreiben vom 26. November 1997 an mich tragfähig sind und durchgesetzt werden. Er schreibt unter anderem, die Überprüfungen der von mir an sein Haus übermittelten Zweifelsfälle hätten ergeben, daß der Anspruch nach dem Stromeinspeisungsgesetz dort selbst bei einem baldigen Zubau von Anlagen auf Basis erneuerbarer Energien nicht an dem doppelten Deckel scheitern würde. Weiter heißt es in dem Ministerschreiben: ({1}) Für die derzeit betriebenen Anlagen ergibt sich durch die Konkretisierung der Härteklausel nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut keine Veränderung. Für diese Anlagen besteht in jedem Fall der Abnahme- und Vergütungsanspruch gegen das aufnehmende EVU, der auch dann voll erhalten bleibt, wenn bei diesem EVU die 5 %-Grenze überschritten wird. ({2}) Als zuständiger Berichterstatter für die Novellierung des Stromeinspeisungsgesetzes möchte ich diesen Sachverhalt noch anders formulieren: Unterliegt der vorgelagerte Netzbetreiber nicht dem Geltungsraum dieses Gesetzes, dann geht dessen Verpflichtung nach diesem Gesetz auf das räumlich am nächsten gelegene netzbetreibende Verbundunternehmen oder dessen netzbetreibende Tochterunternehmen über. ({3}) In diesem Zusammenhang sei auch klargestellt, daß zur Ermittlung der Aufnahmeverpflichtung eines EVU bei Vorliegen von mehr als nur einem geschlossenen Verkaufsgebiet die Stromverkäufe in allen Verkaufsgebieten des betreffenden EVU zusammengerechnet werden müssen. ({4}) Des weiteren möchte ich der auch im Wirtschaftausschuß unwidersprochenen Auffassung Ausdruck geben, daß bei der spätestens im Jahr 1999 erfolgenden Überprüfung der Härteklausel eine Verkoppelung erfolgen muß mit der in § 4 a geregelten Selbstverpflichtung der EVUs zugunsten eneuerbarer Energien. Dies kann erfolgen durch die Überprüfung, ob einer solchen Selbstverpflichtung durch die EVUs hinreichend nachgekommen worden ist. Dementsprechend könnten dann andere Ausgleichsregelungen gemäß § 4 Abs. 4 gestaltet werden. Meine Damen und Herren, zu der in § 4 a geregelten Selbstverpflichtung der EVUs stelle ich fest, daß mit der im dortigen Abs. 1 verlangten Steigerung des Anteils der Elektrizitätserzeugung aus erneuerbaren Energien ausdrücklich nur heimische, deutsche Energiequellen gemeint sein können und nicht etwa beispielsweise Wasserkraftstrom aus Norwegen, der von dort importiert oder etwa über Unternehmensbeteiligungen von dort bezogen werden kann. Auch dieser Auffassung wurde im Wirtschaftsausschuß nicht widersprochen. Also kein Freikauf irgendwelcher EVUs von der Selbstverpflichtung durch Zukauf regenerativ erzeugten Stroms von außerhalb Deutschlands! Abschließend stelle ich fest, meine Damen und Herren, daß für meine Fraktion eine mehr oder weniger umfassende Überprüfung des gesamten Stromeinspeisungsgesetzes in der nächsten Legislaturperiode nicht in Frage kommt, weil dies zu einer erneuten Verunsicherung und zur Investitionszurückhaltung führen würde. Eine Überprüfung wird sich deshalb nur ergeben aus Abs. 4 der Härteklausel in Form eines Berichts des Bundeswirtschaftsministers an den Bundestag über die Auswirkungen der Härteklausel - in dem Bemühen, rechtzeitig alternative Ausgleichsregelungen beim Überschreiten von 5-Prozent-Deckeln zu finden. Ich danke Ihnen. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Christian Müller, SPD.

Christian Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich bitte abschließend noch ein paar Punkte zu den angesprochenen ostdeutschen Problemen aus der Rede von Volker Jung aufgreifen und vertiefen, die zumindest für mich und meine Fraktionskollegen ziemlich wichtig sind. Hinsichtlich der von Ihnen vorgesehenen Übergangsregelung für die ostdeutsche Braunkohle wissen Sie, meine Damen und Herren, doch genauso gut wie wir, daß Sie dabei sind, eine äußerst folgenreiche Entscheidung zu treffen. Bei dieser Angelegenheit geht es, wie so oft, um nichts Geringeres als um vernünftige Anpassungszeiträume und Übergangshilfen, deren Notwendigkeit im Kern fast niemand bestreitet, auch dann nicht, wenn die Praxis gelegentlich ein wenig anders ausschaut. Es handelt sich hierbei wohl um ein Thema, das, zeitlich und räumlich versetzt, überall und immer wieder eine Rolle spielt und spielen wird, auch in den westlichen Bundesländern. Vielleicht darf an dieser Stelle daran erinnert werden, daß im Osten Deutschlands seit 1990 ganze Industriezweige hoffnungslos dezimiert wurden, weil es einfach keinen zeitlich begrenzten Schutz als Voraussetzung für den Versuch zur Anpassung an die Märkte gab und sich die gewährten Übergangshilfen folglich in der Mehrheit der Fälle bestenfalls als zeitlich begrenzte Lebensverlängerung erwiesen. In unserem heute zu behandelnden Fall hat es immerhin einige politische Übereinkünfte gegeben, die für die ostdeutsche Braunkohle und ihre Nutzung, vor allem aber hinsichtlich einer einigermaßen akzeptablen Chance zur Anpassung an die veränderte Marktsituation von Bedeutung sind. Ich erinnere an den sogenannten Stromvertrag vom August 1990, der trotz aller bekannten Kritik, auch von unserer Seite, der ostdeutschen Braunkohle eine Rolle für die Zukunft zuschrieb, an die bekannten Verträge zwischen VEAG und den ostdeutschen Regionalversorgern mit der darin enthaltenen Verpflichtung der Letztgenannten, 70 Prozent ihres Strombezugs aus der Braunkohle zu decken, und nicht zuletzt an den Privatisierungsvertrag der VEAG, gekoppelt mit dem der Laubag, und die daran geknüpften Investitionsverpflichtungen. Es gab hinsichtlich der ostdeutschen Braunkohle bisher also eine politisch gewollte Sonderstellung, verbunden mit ebenso eindeutig politisch formulier- ten Aufträgen. Sie aber sind nun offenbar dabei, auf halbem Wege stehenzubleiben, wobei zugleich das Erreichte in Frage gestellt werden wird. Dies ist um so bedauerlicher, als Sie möglicherweise auf die schon erwähnten Vereinbarungen verweisen werden, um daraus zu folgern, wie gut das doch gelaufen sei. Ich will an dieser Stelle auch auf den bisher angefallenen Preis verweisen, den vor allem - aber nicht nur sie allein - die Frauen und Männer aus dem Bereich von Kohle und Energie in Ostdeutschland reichlich bezahlt haben. Mehrere Standorte, wie beispielsweise Lübbenau oder Vetschau, wurden bereits geschlossen. Die verbliebenen 1000 Megawatt des Kraftwerks Hagenwerder und damit der ganze Standort, der zusammen mit dem Tagebau einmal bis zu 6000 Menschen Lohn und Brot verschaffte, werden zum Jahresende vom Netz gehen. In Boxberg steht die Abschaltung weiterer 1200 Megawatt an. Die Betriebsräte stehen also bereits heute mit dem Rücken an der Wand und müssen um jeden Arbeitsplatz ringen. Sie haben noch in dieser Woche an alle Beteiligten appelliert, eine Übergangsregelung bis zum Jahre 2006 auf den Weg bringen zu helfen. Dies alles hat in den Kraftwerken bisher weit mehr als 20 000 Arbeitsplätze gekostet. Die verbleibenden Arbeitsplätze in der VEAG, deren Zahl schon heute unter 8000 liegt, werden bis zum Jahr 2000, wohlgemerkt auch ohne zusätzlichen Druck, auf reichlich 5200 schrumpfen. Wird in diese Bilanz noch der Bergbau einbezogen, wo von ehemals rund 140 000 Beschäftigten heute noch ungefähr 15 000 in der Mibrag und Laubag und weitere 20 000 in der Sanierung arbeiten, dürfte deutlich genug beschrieben sein, was ich mit dem gezahlten oder noch zu zahlenden Preis meine. Wenn es also trotzdem richtig war, allein bei der VEAG ein Investitionsprogramm von insgesamt 20 Milliarden DM auf den Weg zu bringen, um zunächst den Fristen zur Nachrüstung von acht 500-Megawatt-Blöcken mit Rauchgasbehandlungsanlagen zu entsprechen, um außerdem bis zum Jahr 2000 insgesamt vier 800-Megawatt-Blöcke zu bauen und ans Netz zu bringen und um damit letztlich auch hinsichtlich der Finanzierungsseite am Ende einem wettbewerbsfähigen EVU auch wettbewerbsfähige Unternehmen der Braunkohle an die Seite zu stellen, dann müssen Sie von der Koalition noch einmal über Ihre vorgesehenen Übergangsregelungen nachdenken. Wir in der SPD jedenfalls haben aus der beschriebenen Situation die Schlußfolgerung gezogen, daß bis zum Eintritt in die nächste Liberalisierungsstufe der europäischen Energiewirtschaft im Jahre 2006 die politischen Spielräume für Übergangsregelungen ausgeschöpft werden müssen, weil wir weder an Kapitalvernichtung - übrigens ebensowenig bei den Stadtwerken und bei der Fernwärmeversorgung; denn dafür gab es in den letzten Jahren immerhin ein Sanierungsprogramm, das nicht vergeblich gewesen sein darf - noch an der Vernichtung weiterer Arbeitsplätze in West- und Ostdeutschland interessiert sind. ({0}) Genau dies hat uns zu unserem Vorschlag eines bis 2006 befristeten quotierten Absatzes von BraunkohChristian Müller ({1}) Testrom auf einer breiten Finanzierungsgrundlage veranlaßt ({2}) - das hat er ja gerade gesagt -, der auch hinsichtlich der Strompreise und des Wettbewerbs auf dem Strommarkt sinnvoll wäre. Wir wollen unter anderem, wie Sie wissen, der Kraft-Wärme-Koppelung einen Vorrang einräumen. Aber damit wollten Sie sich offenbar nicht befassen. Setzt man sich dann aber hilfsweise mit Ihrem Ansatz auseinander, bleibt nur die Schlußfolgerung, daß er im Osten den vorhandenen Problemen offenbar nicht gerecht wird. Aus der Sicht Ihres Modells ergibt es keinen Sinn, wenn Sie die Übergangsfrist im Jahre 2003 beenden wollen und auf eine Option bis 2005 verweisen, von der niemand weiß, wie sie einzulösen ist, während das Unternehmen VEAG noch für weitere sechs Jahre nach diesem Zeitpunkt auf dem Gipfel der finanziellen Lasten infolge der Investitionen verbleibt. Auch Sie kennen die Zahlen. Es ergibt noch weniger Sinn, wenn durch eine solche völlig un-kalkulierbare Option zusätzlicher Anpassungsdruck erzeugt wird, der unweigerlich dazu führen wird, daß weitere tausend Arbeitsplätze in den ostdeutschen Kraftwerken und Tagebauen in große Gefahr geraten werden und viele davon verlorengehen werden.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Petzold? - Bitte schön.

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Müller, ist Ihnen bekannt, daß der Vorstandssprecher der VEAG, vor 14 Tagen auf dieses Gesetz angesprochen, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte, daß schon mit dieser Übergangsregelung mehr erreicht sei, als die VEAG überhaupt zu hoffen gewagt habe? ({0})

Christian Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dies ist mir bekannt. Aber mir ist ebensogut bekannt, verehrter Kollege, daß die VEAG auch beim Bundeswirtschaftsminister sehr nachdrücklich und mit einem Kompromißvorschlag, auf den ich gleich noch eingehen werde, darum gerungen hat, diese Übergangsregelung zu verlängern. ({0}) Ich frage gerade die verehrten ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen: Wollen Sie das weitere UnterDruck-Setzen von Arbeitsplätzen im Kohle- und Energiebereich tatsächlich verantworten? Wenn Sie unseren Vorschlag nicht für erwägenswert halten, dann wäre es ja vielleicht ganz hilfreich, wenn Sie dieses von der VEAG eingebrachte Kompromißangebot tatsächlich ernsthaft prüfen würden, das nach meinem Dafürhalten besser wäre als Ihre Option, die Sie hier heute mehrfach gelobt haben. Ich will Ihnen in verkürzter Form ganz einfach einmal die wesentlichen Punkte aus diesem Kompromißangebot ins Gedächtnis rufen: Die VEAG hat angeboten, die allgemeinen Preise für Stromlieferungen an die regionalen EVUs bis zum Jahre 2005 stabil zu halten, damit schon jetzt eine gesetzliche Verlängerung bis 2005 möglich wird. Dies würde bei einer angenommenen Inflationsrate von 2 Prozent immerhin einer Senkung des Strompreises um 15 Prozent entsprechen. Die VEAG hat angeboten, für strompreissensible Unternehmen jährlich zusätzliche - stufenweise beginnend ab 1998, bis 2003 anwachsend - gezielte Preisnachlässe - die Zahlen sind Ihnen bekannt - zu gewähren. In den Jahren 2004 und 2005 sollen diese um weitere, Ihnen ebenfalls bekannte Beträge aufgestockt werden. Die Vertreter der VEAG haben erklärt, daß weder die Ansiedlung noch die Existenz eines Industrieunternehmens an ihnen scheitert. Sie haben darum gebeten, daß die gesetzliche Schutzfrist bis 2005 verlängert wird. Dies ist nicht das gleiche wie Ihre Option. Dies ist wohlgemerkt nicht unser Ansatz; aber Sie hätten es immerhin in der Hand, hier noch einmal für tatsächliche Veränderung zu sorgen. Ihre Kommunalpolitiker, die hier aufgetreten sind, haben den vorliegenden Gesetzestext ja erheblich verändert. Warum sollte es Ihnen dann nicht auch gelingen - wenn Sie es denn ernsthaft wollen -, die ostdeutschen Interessen so zu wahren, daß kein Kapitalvernichtungsprozeß in Gang gesetzt wird? ({1}) Sollten Sie dazu aber nicht imstande sein und auch nicht den Willen dazu aufbringen können, dann bleibt Ihnen mit Gewißheit noch eine Aufgabe. Denn wir werden uns zu diesem Thema auf jeden Fall im Vermittlungsausschuß wiedersehen. Sie haben dann die Chance, mit Ihren Landesregierungen über das Thema zu reden. Vielleicht werben Sie in dieser Zeit für den SPD-Vorschlag, der immerhin den Charme hat, diese Regelung bis 2006 und in der besprochenen Form zu beinhalten. Die Länder sind sehr wichtig. Auch Thüringen ist ein Kohleland, weil Pumpspeicherwerke das energetische Gegenstück zu Braunkohlekraftwerken sind. Aber es wird in besonderem Maße darauf ankommen, daß das Kohleland Sachsen seine Position noch einmal überdenkt. Die dort erkennbare Tendenz, die auf das Jahr 2003 gerichtet ist, darf nicht das letzte Wort bleiben. Vielen Dank. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Willner, CDU/CSU.

Gert Willner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002827, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Jung hat vorhin für die SPD erklärt, die Koalition sei der SPD auf halbem Wege entgegengekommen. Wenn die SPD jetzt uns auf halbem Wege entgegengekommen wäre, hätten wir uns in der Mitte treffen können. Dann hätten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, heute zustimmen können. Ich denke, Sie sollten das ernsthaft überlegen. ({0}) Die CDU/CSU-Fraktion hat die Anliegen der Kommunen, des Mittelstandes, des ländlichen Raumes und der Verbraucher sehr ernst genommen. Es ist mehr in Bewegung gesetzt worden, als manche der Beteiligten noch vor Jahresfrist erwartet hätten. Ich sage an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön für das partnerschaftliche Zusammenwirken mit den kommunalen Spitzenverbänden und dem VKU, aber insbesondere auch dem Kollegen Hinsken. Das neue Energiewirtschaftsrecht wahrt die Interessen der Verbraucher und der Kommunen. Erstens. In der durch die CDU/CSU initiierten Entschließung, die Ihnen vorliegt, wird die unveränderte Kompetenz der Gemeinden auf dem Gebiet der örtlichen Energieversorgung, wie sie sich aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes unmittelbar ergibt, bekräftigt. Obwohl Sie einen inhaltsgleichen Vorschlag vorgelegt haben, werden Sie Verständnis dafür haben, daß wir lieber unserem eigenen Vorschlag zustimmen als dem Vorschlag der SPD. Zweitens: Konzessionsabgabe. Für die Gemeinden und Städte ist gerade angesichts der gegenwärtigen finanziellen Situation die Konzessionsabgabe unverzichtbar. Wir wissen dies, wir haben dies anerkannt und sagen: Die Konzessionsabgabe bleibt erhalten und ist rechtlich abgesichert. Drittens. Die kommunale Forderung nach Absicherung der Konzessionsabgabe beim Auslaufen von Verträgen ist erfüllt. Viertens: Netzzugangsalternative. Es war eine kommunale Forderung, auch dies im Gesetz zu verankern und das EU-Recht auszunutzen. Beim Alleinabnehmersystem kann die Kommune mit einem Vertragspartner, nämlich mit dem Alleinabnehmer, Rahmenbedingungen für die Energieversorgung festlegen, so daß die Regelungskompetenz der Kommunen für Energie im Grundsatz Bestand haben und die Art und Weise der Durchführung der örtlichen Energieversorgung bei den Städten und Gemeinden verbleiben kann. Die Änderungsvorschläge der Koalitionsfraktionen sehen vor, daß das Alleinkäufermodell für Strom auf der Ortsebene zugelassen wird mit Überprüfung der Wettbewerbswirkungen im Jahre 2003. Das Gesetz fordert - Kollege Hinsken hat schon darauf aufmerksam gemacht - die Überprüfung beider Netzzugangsmöglichkeiten und nicht nur einer Netzzugangsalternative. ({1}) Ich meine, wenn die Netzzugangsalternative die im Gesetz genannten Kriterien erfüllt, wird an der Verlängerung des Alleinkäufermodells kein Zweifel bestehen. Ich denke, darüber sind wir uns einig. Unsere Lösung heißt: günstigere Strompreise für Unternehmer und Verbraucher, also für alle. ({2}) Fünftens. Ein kommunaler Querverbund bleibt auch künftig möglich. Sechstens. Wir wollen nicht, daß sich das Strompreisgefälle zwischen Stadt und Land zum Nachteil des ländlichen Raumes verschärft. Auch diese Sorge des ländlichen Raumes und vom Handwerk wurde aufgenommen. Deshalb sind unterschiedliche allgemeine Tarife für verschiedene Gemeindegebiete nicht zulässig, es sei denn, daß hierfür ein sachlich gerechtfertigter Grund nachgewiesen wird, dadurch für keinen Kunden eine Preiserhöhung entsteht und die Preisunterschiede für alle Kunden zumutbar sind. ({3}) Siebtens. Unser Ziel ist es nicht, die kommunalen und regionalen Versorger unter eine Käseglocke zu stellen und Wettbewerb zu verhindern. Wir sagen ein klares Ja zur Teilnahme kommunaler Unternehmen am Wettbewerb. Unser Anliegen war, das Gesetz so zu gestalten, daß auch die kommunalen Unternehmen eine faire Chance im Wettbewerb haben. Auch beim Einkauf und beim Verkauf werden die kommunalen Unternehmen künftig den gewerblichen Großunternehmen gleichgestellt werden. Das liegt auch im Interesse des Verbrauchers. Die kommunalen und regionalen Versorgungsunternehmen sind gefordert, die im neuen Energiewirtschaftsrecht vorhandenen Chancen wahrzunehmen. Die Landesgesetzgeber müssen aber auch den Kommunen den notwendigen Entfaltungsspielraum durch neue Regelungen bei den Kommunalverfassungen ermöglichen. Achtens. Das Gesetz ist in der vorliegenden Form im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. Das ist vorhin kritisiert worden. Es muß aber auch der Hinweis erlaubt sein, daß sich der Entwurf, den die Koalitionsfraktionen nunmehr als Kompromiß vorlegen, sehen lassen kann und keinesfalls schlechter ist als das mögliche Ergebnis einer Verhandlung im Vermittlungsausschuß. Wir haben genügend Erfahrungen mit Ergebnissen des Vermittlungsausschusses. Sie zeigen, daß die Länder im Vermittlungsausschuß zunächst einmal ihre eigenen und nicht immer die kommunalen Angelegenheiten vertreten. Neuntens. Der Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung mit Elektrizität und Gas im Interesse der Allgemeinheit. Diese Zielvorstellung kann nach diesem Reformmodell umgesetzt werden, um alle Kunden kostengünstig mit Strom oder Gas zu versorgen. Zusammenfassend kann ich feststellen: Das neue Energiewirtschaftsrecht führt zu mehr Wettbewerb auf dem Energiemarkt. Die Ihnen vorliegenden Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen stellen einen sinnvollen und praktikablen Kompromiß dar, der die Interessen des Wettbewerbs, der Umwelt, der Verbraucher und der Kommunen angemessen berücksichtigt. Ich sage ein herzliches Dankeschön für die Zusammenarbeit in den Koalitionsfraktionen, insbesondere aber auch ein herzliches Dankeschön an die Kollegen Theo Blank, Peter Götz, Gunnar Uldall und insbesondere auch an Ernst Hinsken für ein hervorragendes Miteinander bei der Suche nach einer vernünftigen Lösung für ein Gesetz, das wir gemeinsam vertreten und für richtig halten. Vielen Dank. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Rolf Köhne, PDS.

Rolf Köhne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002702, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu zwei Punkten Stellung nehmen. Erstens. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zahlreiche Änderungsanträge zu dem Gesetzentwurf der Regierung vorgelegt. Wir werden diesen Änderungsanträgen zustimmen, weil wir das dahinterstehende Anliegen unterstützen, auch wenn wir der Meinung sind, daß das, was dabei herauskommen würde - sie werden ja höchstwahrscheinlich sowieso nicht angenommen - immer noch nicht das Gelbe vom Ei ist und nicht unseren Vorstellungen entspricht. ({0}) - Also sind wir uns darüber einig, Frau Kollegin Hustedt. Zweitens. Der Kollege Hinsken hat vorhin angemerkt, er habe sehr viele Dankesbriefe von den Gemeinden bekommen, nachdem die Änderungen eingearbeitet worden seien. Mir dagegen liegt eine Stellungnahme des Deutschen Städtetages vor, aus der ich drei Sätze zitieren möchte: Die im Gesetz vorgesehene Öffnung der Märkte für den Preiswettbewerb bedroht die Existenz der Stadtwerke, weil Großkunden aus dem Versorgungsgebiet herausgebrochen werden können und aufgrund von Beschränkungen in den Gemeindeordnungen der Länder die Stadtwerke nicht am Wettbewerb außerhalb ihres Gemeindegebietes teilnehmen können. Zweiter Satz: Es ist darüber hinaus zu befürchten, daß die Städte einen Großteil ihres Aufkommens aus der Konzessionsabgabe - heute etwa 6 Mrd. jährlich - verlieren werden. Dritter Satz: Die kommunalen Forderungen wurden jedoch nur halbherzig berücksichtigt. Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, daß man dafür dankbar sein soll. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Kurt-Dieter Grill, CDU/CSU.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit möchte ich nur noch drei Bemerkungen machen. ({0}) Erstens. Die Kollegen von der SPD haben heute morgen noch einmal deutlich gemacht, daß sie ihre Kritik, die sie über 20 Jahre in bezug auf die Monopolstrukturen in Deutschland geäußert haben, selbst nicht ernst nehmen; sonst müßten sie nämlich heute mit uns für Wettbewerb stimmen. ({1}) In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß der Wettbewerb an einer Stelle greifen wird, die seitens Ihrer Fraktion besonders kritisiert wird, allerdings nur dann, wenn Herr Müller spricht, und nicht, wenn die Energiepolitiker der Fraktion sprechen. Das ist die Frage des Abbaus der sogenannten Oberkapazitäten. Das wird sich im Wettbewerb viel schneller regeln als in irgendeiner anderen Form des Energierechts. Interessanterweise hat niemand von Ihnen heute morgen gesagt, daß die Länder doch nur das kommunale Wirtschaftsrecht zu ändern bräuchten, um den Stadtwerken eine noch bessere Position in diesem Wettbewerb zu verschaffen. Gehen Sie in die Bundesländer und ändern Sie das kommunale Wirtschaftsrecht! Dann können die Städte noch besser in den Wettbewerb eingreifen. ({2}) Zweiter Punkt. Ich will noch einmal festhalten, daß die beredte Klage über mangelnden Klimaschutz in diesem Energierecht so lange unglaubwürdig ist, wie eine rotgrüne Koalition in Hamburg Kernkraftwerke durch Gaskraftwerke ersetzen will. Wer eine solche Politik macht, erhöht den CO2-Ausstoß und ist nicht berechtigt, an dieser Stelle Kritik in dieser Art und Weise anzubringen. ({3}) Dritter Punkt. Mit diesem Gesetz räumen wir der Umweltpolitik und der ökologischen Orientierung den gleichen Rang ein wie der Preiswürdigkeit und der Versorgungssicherheit. ({4}) Ich nehme das auf, was der Kollege Schütz ausgeführt hat, und sage: Herr Schütz, wenn Sie uns rechtzeitig einen bundesweiten wettbewerbsorientierten Ausgleich in bezug auf die erneuerbaren Energien angeboten hätten, dann hätten wir bereits heute die Chance, die wir für das nächste und übernächste Jahr konkret ausfüllen werden, ({5}) nämlich einen bundesweiten Ausgleich mit einem wettbewerbsfähigen Konzept für die erneuerbaren Energien. Wir werden uns auch an dieser Stelle von Ihnen nicht übertreffen lassen. Herzlichen Dank. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts. Das sind die Drucksachen 13/7274 und 13/9211 Nr. I. Dazu liegen 14 Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen vor, über die wir zunächst abstimmen. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9283. Dazu gibt es eine schriftliche Erklärung zur Abstimmung der Kollegen Carstensen, Willner, Austermann und Ramsauer.') Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt zu ihrem Änderungsantrag namentliche Abstimmung. Ich bitte daher die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ich frage, ob noch ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das seine Stimme nicht abgegeben hat. - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Auszählung wird Ihnen später bekanntgegeben. 2) Bevor wir mit den Abstimmungen fortfahren, teile ich dem Hause mit, daß mir weitere Erklärungen zur Abstimmung vorliegen, bei denen ich von vornherein nicht sehen kann, zu welcher Abstimmung sie gehören. Deshalb gebe ich sie jetzt bekannt: eine Erklärung des Kollegen Armin Laschet 3), eine gemeinsame Erklärung unter anderem der Kollegen Dörflinger, Götz und Hornung und weiterer Kollegen 4) sowie eine Erklärung des Kollegen von Stetten. 5) Diese Erklärungen nehmen wir zu Protokoll. Wir kommen jetzt zu den weiteren Änderungsanträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, zunächst zum Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 9284. Bevor wir darüber abstimmen, bitte ich darum, verehrte Kolleginnen und Kollegen, daß Sie Platz nehmen. 1) Anlage 2 2) Seite 18994 D 3) Anlage 3 4) Anlage 4 5) Anlage 5 Ich stelle den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 9284 zur Abstimmung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt. Ich stelle den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 9285 zur Abstimmung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor abgelehnt. Ich stelle den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 9286 zur Abstimmung. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie vorher abgelehnt. Ich stelle den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 9287 zur Abstimmung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie gehabt abgelehnt. Ich stelle den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 9288 zur Abstimmung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie gehabt abgelehnt. Ich stelle den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 9289 zur Abstimmung. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie gehabt abgelehnt. Ich stelle den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 9290 zur Abstimmung. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie gehabt abgelehnt. Ich stelle den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 9291 zur Abstimmung. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie vorher abgelehnt. Ich stelle den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 9293 zur Abstimmung. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt. Ich stelle den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 9294 zur Abstimmung. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie gehabt abgelehnt. Ich stelle den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 9295 zur Abstimmung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor abgelehnt. Ich stelle den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 9296 zur Abstimmung. Wer stimmt dafür? - Wer Vizepräsident Hans-Ulrich Klose stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor abgelehnt. Ich stelle den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 9297 zur Abstimmung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor abgelehnt. Damit sind die Abstimmungen über die Änderungsanträge abgeschlossen. Da das Ergebnis der namentlichen Abstimmung noch nicht vorliegt, können wir über den Gesetzentwurf noch nicht weiter abstimmen. Deshalb ziehe ich die Abstimmung über die weiteren Vorlagen vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD über die Elektrizitätswirtschaft auf Drucksache 13/7425. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 13/9211 unter Nr. III, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 13/7425 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enhaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Neuordnung der Energiewirtschaft auf Drucksache 13/ 5352. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 13/9211 unter Nr. III, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/5352 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung von SPD und PDS abgelehnt. Es entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Neuordnung und Demokratisierung der Elektrizitätswirtschaft auf Drucksache 13/9211 Nr. III. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/8553 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz auf Drucksache 13/5357 ({0}). Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 13/9205 Buchstabe a, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 13/5357 ({1}) abstimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Stimmenthaltung der SPD mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt. Es entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz auf Drucksache 13/2684. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Drucksache 13/9205 Buchstabe b, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/2684 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. Es entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich gebe jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9283 bekannt. Abgegebene Stimmen 590. Mit Ja haben gestimmt 281, mit Nein haben gestimmt 308, Enthaltungen eine. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 589; davon ja: 280 nein: 308 enthalten: 1 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Hans Berger Hans-Werner Bertl Rudolf Bindig Arne Börnsen ({2}) Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({3}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Peter Dreßen Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Lothar Fischer ({4}) Gabriele Fograscher Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Iris Follak Norbert Formanski Dagmar Freitag Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl Hermann Haack ({5}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch Stephan Hilsberg Gerd Höfer Frank Hofmann ({6}) Ingrid Holzhüter Erwin Horn Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({7}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Hans-Ulrich Klose Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({8}) Christa Lörcher Erika Lotz Winfried Mante Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Herbert Meißner Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({9}) Ursula Mogg Michael Müller ({10}) Jutta Müller ({11}) Christian Müller ({12}) Gerhard Neumann ({13}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Winfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Rudolf Purps Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Günter Rixe Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({14}) Ulla Schmidt ({15}) Dagmar Schmidt ({16}) Wilhelm Schmidt ({17}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({18}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({19}) Volkmar Schultz ({20}) Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({21}) Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster Horst Sielaff Johannes Singer Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgasl Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Dr. Bodo Teichmann Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Ute Vogt ({22}) Hans Georg Wagner Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({23}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({24}) Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Dr. Norbert Wieczorek Helmut Wieczorek ({25}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({26}) Heidi Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gila Altmann ({27}) Elisabeth Altmann ({28}) Volker Beck ({29}) Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({30}) Joseph Fischer ({31}) Rita Grießhaber Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({32}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Egbert Nitsch ({33}) Cern Özdemir Gerd Poppe Simone Probst Halo Saibold Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt ({34}) Wolfgang Schmitt ({35}) Ursula Schönberger Werner Schulz ({36}) Christian Sterzing Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({37}) Margareta Wolf ({38}) PDS Petra Bläss Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({39}) Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Gerhard Zwerenz Fraktionslos Kurt Neumann ({40}) Nein CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Rudolf Braun ({41}) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({42}) Hartmut Büttner ({43}) Dankward Buwitt Manfred Carstens ({44}) Peter Harry Carstensen ({45}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß Renate Diemers Wilhelm Dietzel Hansjörgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Horst Eylmann Ilse Falk Jochen Feilcke Ulf Fink Leni Fischer ({46}) Klaus Francke ({47}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma Glücklich Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund Horst Günther ({48}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({49}) Gerda Hasselfeldt Otto Hauser ({50}) Hansgeorg Hauser ({51}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise Detlef Helling Ernst Hinsken Peter Hintze Josef Hollerith Elke Holzapfel Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({52}) Ulrich Junghanns Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Peter Keller Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler ({53}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus Wolfgang Krause ({54}) Andreas Krautscheid Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({55}) Karl Lamers Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach Walter Link ({56}) Eduard Lintner Dr. Manfred Lischewski Julius Louven Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten Dr. Martin Mayer ({57}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl Dr. Michael Meister Friedrich Merz Rudolf Meyer ({58}) Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({59}) Engelbert Nelle Johannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({60}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Roll Rau Helmut Rauber Peter Rauen Otto Regenspurger Christa Reichard ({61}) Klaus Dieter Reichardt ({62}) Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Dr. Norbert Rieder Dr. Erich Riedl ({63}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({64}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer ({65}) Ortrun Schätzle Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({66}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({67}) Andreas Schmidt ({68}) Hans Peter Schmitz ({69}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte ({70}) Gerhard Schulz ({71}) Frederick Schulze ({72}) Diethard Schütze ({73}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Marion Seib Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Bernd Siebert Jürgen Sikora Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Egon Susset Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser Dr. Susanne Tiemann Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({74}) Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel Dr. Jürgen Warnke Hans-Otto Wilhelm ({75}) Gert Willner Bernd Wilz Willy Wimmer ({76}) Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller F.D.P. Ina Albowitz Dr. Gisela Babel Günther Bredehorn Jörg van Essen Dr. Olaf Feldmann Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({77}) Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Dr. Burkhard Hirsch Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Detlef Kleinert ({78}) Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Lisa Peters Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({79}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Solms Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Dr. Wolfgang Weng ({80}) Dr. Guido Westerwelle Enthalten CDU/CSU Werner Dörflinger Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({81}) Antretter, Robert, SPD Schulte ({82}), Brigitte, SPD Zierer, Benno, CDU/CSU Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen. Dritte Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen. Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt unter Nr. II seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/9211 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9278. - Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltung? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9262. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/9300. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt IXa auf: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen ({83}) - Drucksache 13/8962 ({84}) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({85}) - Drucksache 13/9252 -Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michael Luther Norbert Geis Dr. Jürgen Meyer ({86}) Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Der Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/9303 ist zurückgezogen worden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine dreiviertel Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffnet die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Michael Luther, CDU/CSU.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Straftaten müssen verfolgt werden. Das gilt für heutige Straftaten und auch für Straftaten, die zu DDR-Zeiten verübt wurden und damals nicht verfolgt werden konnten. Wir dürfen uns heute nicht über Diktaturen in der Welt beschweren, wenn es uns selbst nicht gelingt, die Folgen der Diktaturen auf deutschem Boden aufzuarbeiten. ({0}) Deshalb haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode in Anlehnung an Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die das Ruhen der Verjährung für während der NS-Zeit begangene Straftaten beinhaltet haben, die Verjährung für Straftaten, die zu DDR-Zweiten begangen worden sind und nicht verfolgt werden konnten, beschlossen und schon einmal die Verjährungsfristen um zwei Jahre verlängert. Damals ist das mit der Begründung geschehen, daß der Justizaufbau in den neuen Ländern noch nicht vorangeschritten war. Das Instrument der Verjährung ist ein verfassungsrechtlich wichtiges Instrument; denn der Staat soll - das ist der Sinn der Verjährung - schnell handeln. Er soll Straftaten zügig verfolgen. Deshalb gibt es das Instrument der Verjährung. Es dient der Befriedigung. Die Frage steht im Raum: Können wir nochmals eine Verlängerung der Verjährungsfristen vornehDr. Michael Luther men? Es gibt Argumente dagegen: Es war Zeit genug, diese Straftaten zu verfolgen. Die absolute Verjährung steht im Jahre 2000 ins Haus. Ferner wird von den Verfolgungsbehörden, gerade von den Landesjustizministerien, das Argument ins Feld geführt: Es sind bei allen bekannten Straftaten verjährungshemmende Maßnahmen eingeleitet worden. Das ist richtig. Trotzdem bin ich der Meinung, daß eine Verlängerung aus den folgenden Gründen notwendig und möglich ist. Erstens. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß wir es heute nicht mit einem normalen Zustand zu tun haben. Wir haben es heute vielmehr mit einem Zustand zu tun, in dem es um die Bewertung von 40 Jahren Diktatur auf dem Boden der DDR geht. Dieser Meinung ist auch die Enquete-Kommission, die versucht, Stück für Stück zu beschreiben, was gewesen war, und die Stück für Stück die Strukturen der damaligen Zeit untersucht. Wenn man die Arbeit der Enquete-Kommission verfolgt und ihre Berichte liest, wird einem deutlich, daß Zeit notwendig ist, um die Strukturen dessen, was DDR war, zu erkennen und letztendlich auf gerechte Weise die Straftaten, die dort verübt wurden, verfolgen zu können. Wir brauchen auch deshalb Zeit, weil diejenigen, die damals hoheitlich gehandelt haben - ich erinnere an die Debatte vor 14 Tagen hier in diesem Hause -, diese Taten verschleiert haben. Deshalb gibt es heute Untersuchungsausschüsse, die diese Taten aufdekken und neue Erkenntnisse haben. Dies berichtet uns auch der Bundesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheit. Nicht nur die Täter haben Rechte, sondern auch die Opfer, ({1}) die Opfer, die sich gegen Diktaturen stellten, die für ihre Überzeugung, für Freiheit und Demokratie einzutreten, im Gefängnis saßen. Sie waren 1989 ein wichtiger Baustein dafür, daß die Gefängnismauer in Berlin, die Grenze der DDR, eingerissen werden konnte. Sie fordern: Laßt die Verjährung nicht eintreten! ({2}) Ich halte die Verjährungsverlängerung und die Diskussion darüber für sehr wichtig, weil es nicht egal sein kann, wie man sich in einer Diktatur verhält. Wenn wir uns damit nicht beschäftigen würden, würden wir jeder demokratischen Bewegung in der Welt, die sich für Freiheit und Demokratie einsetzt, den Boden unter den Füßen wegziehen. Wir hätten dann kein Recht mehr, über die Diktaturen in dieser Welt zu reden. ({3}) Lassen Sie mich noch etwas zum Beratungsverfahren sagen. Herr Weißgerber hat in der Haushaltsdebatte gesagt, daß die SPD die Diskussion angestoßen habe. Ich stelle fest: Der Sächsische Landtag hat zuerst einen Beschluß darüber gefaßt, daß diese Straftaten nicht verjähren dürfen, daß also eine Verlängerung der Verjährung eintreten muß. Im Rechtsausschuß haben wir im Frühjahr begonnen, das Thema zu diskutieren. Wir waren uns aber auch darüber einig, daß wir den Druck - Ende der Verjährungsfrist - nicht von den Strafverfolgungsbehörden nehmen wollen. Deshalb sind auch so viele verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen worden. Ich denke, das war richtig. Es gibt zur Verlängerung von Verjährung einen CDU-Parteitagsbeschluß. Die Enquete-Kommission hat uns alle, außer der PDS, aufgefordert, die Verjährungsfristen zu verlängern. Zur Wahrheit gehört auch, daß sich die SPD in dieser Woche im Rechtsausschuß gegen die Verlängerung der Verjährung ausgesprochen hat. Herr Schwanitz, ich sehe Ihre Bemühungen in der Fraktion. Ich ehre und achte sie hoch. Sie haben sich wirklich und ehrlich dafür eingesetzt. Das möchte ich Ihnen an dieser Stelle zugestehen. Am Mittwoch hat die SPD im Rechtsausschuß einen sehr interessanten Antrag gestellt. Sie wollte die Verlängerung der Verjährungsfristen allein im Wirtschaftsstrafrecht vornehmen. Dazu wurde eine sehr kurze Formulierung zu Papier gebracht. Sie ist fachlich sehr schlecht abgestimmt worden. Ich verstehe nicht, wie sich Juristen der SPD im Rechtsausschuß für so eine Formulierung haben hergeben können. Bei den Wirtschaftsstraftaten, die in den alten Bundesländern verfolgt werden müssen, ist die Verjährung eingetreten, weil dort die Verjährung für solche Straftaten nicht verlängert wurde. Dies war uns schon vor ein paar Jahren klar. Wenn wir heute den Antrag der SPD beschließen würden, würden wir ganz klar gegen das Rückwirkungsverbot der Verfassung verstoßen. Wenn man die Verjährungsfrist für Wirtschaftsstraftaten in ganz Deutschland verlängern will, muß man noch mehr tun. Ich glaube, es ist eine Diskussion darüber notwendig, ob nicht die Verjährungsfristen für Wirtschaftskriminalität in der heutigen Zeit aus heutiger Sicht generell zu kurz sind.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Luther, gestatten Sie Zwischenfragen? Ich habe zwei Interessenten.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lassen Sie mich noch diesen Gedanken zu Ende führen. Dabei muß man eines beachten. Wenn man diese Verjährungsfristen verlängert, muß man natürlich auch die Fristen für die Aufbewahrung von Unterlagen verändern und verlängern. Das ist aus der kurzen Formulierung des Antrages, der uns im Rechtsausschuß vorgelegen hat, nicht deutlich geworden. Deswegen kann man dies nicht verabschieden. Das geht einfach nicht. Deswegen bleibt nur unser Vorschlag, den wir uns lange überlegt haben, übrig, der heute zur Abstimmung steht. Bitte.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Zunächst ist der Kollege Hacker dran.

Hans Joachim Hacker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000771, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Luther, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es der SPD mit dem Antrag nicht darum ging, bereits verjährte Straftaten weiter zu verfolgen, sondern darum, eine für Gesamtdeutschland einheitliche Regelung für die Verjährungsfristen zu schaffen, daß dieses Angebot seit März 1997 auf dem Tisch liegt und daß Sie nicht bereit waren, darüber mit uns in der vergangenen Zeit zu diskutieren?

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Frage ist relativ einfach zu beantworten. Wir haben über das Thema seit dem Frühjahr diskutiert. Ich habe auch mit Ihnen darüber gesprochen. Wir haben auch im Rechtsausschuß darüber gesprochen. Das Problem ist doch folgendes - das ist in der Ausschußsitzung deutlich geworden -: Die Formulierung, die Sie vorgelegt haben, kann so nicht in das Gesetzblatt übernommen werden. Wir hätten uns Mittwoch früh in der Ausschußberatung die Mühe machen müssen, diese sehr schwierige, komplexe Materie in kurzer Zeit zu einem - ich sage es einmal so - passenden Gesetzestext zu formulieren. Das ist nicht möglich gewesen. Das geht nicht. Wir können uns - das habe ich in meiner Rede eben gesagt -, wenn wir uns dem Thema ernsthaft stellen wollen, nur in einer längeren Diskussion damit befassen. Deswegen können wir es in diesem Jahr auf keinen Fall mehr zum Abschluß bringen. Als Ergebnis haben wir also vorläufig nur das, über was wir heute abstimmen werden.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Meckel.

Markus Meckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001451, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die SPD-Fraktion als erste im ersten Quartal dieses Jahres eine Anhörung zu diesem Thema gemacht und daraufhin einen Antrag in den Bundestag eingebracht hat? Sie können die entsprechende Plenardebatte nachlesen, in der sehr deutlich zum Ausdruck gekommen ist, daß es in den Koalitionsfraktionen heftigen Widerspruch in bezug auf die Frage der Verlängerung der Verjährungsfrist gegeben hat. Das ist genau das, worüber wir hier miteinander diskutieren. Dies sollte dann in den Ausschüssen beraten werden, wurde über lange Zeit verschleppt, und erst im Sommer ist Bewegung in die Diskussion gekommen. Wir müssen feststellen - da stimme ich mit Ihnen überein -, daß es offensichtlich in allen Fraktionen Personen gab, die der Meinung waren, daß es wichtig sei, die Verjährungsfrist noch einmal zu verlängern, daß es andere gab, die aus rechtstechnischen Gründen eher skeptisch waren, und daß es überhaupt nichts bringt, wenn Sie in dieser Weise versuchen, zu sagen: Wir sind die Guten, die die Verjährungsfrist verlängern, und die anderen haben da offensichtlich Mängel. ({0})

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Meckel, erstens kommt es, glaube ich, nicht darauf an, heute nachzuweisen, wer sich in diesem Jahr zuerst mit dem Thema der Verlängerung der Verjährungsfrist befaßt hat. Sie haben sich in Ihren Gremien damit befaßt; wir haben uns in unseren Gremien damit befaßt. Zweitens. Ich glaube, daß wir, wenn wir im Frühjahr zu einer abschließenden Regelung gekommen wären, einen Fehler gemacht hätten, nämlich den, daß wir den Druck, daß die Verjährung endet, von den Strafverfolgungsbehörden genommen hätten. Ich glaube, wir waren uns in der Ausschußsitzung im Frühjahr darüber einig - das glaubte ich zumindest -, daß wir diese Diskussion nur im Herbst würden qualifiziert führen können. Das ist jetzt. Wir bringen sie jetzt zum Abschluß. Ich denke, das ist richtig.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, könnten Sie mir und dem Hause liebenswürdigerweise mitteilen, welche Position der sächsische Justizminister Heitmann in dieser Frage einnimmt?

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann Ihnen das sehr gerne mitteilen. Herr Heitmann, der als Justizminister eine gute Arbeit leistet, hat über diese berichtet und war der Meinung, daß eine Verlängerung der Verjährungsfrist nicht notwendig sei. In einer Auseinandersetzung, die im Sächsischen Landtag dazu stattgefunden hat, ist eine mehrheitliche Meinung gefunden worden. Justizminister Heitmann unterstützt jetzt den Antrag, der - von Thüringen initiiert - im Bundesrat liegt. Leider wird er von den anderen Bundesländern bislang nicht mitgetragen. ({0}) Ich möchte mit meiner Rede fortfahren. Die Diskussion ist vorangeschritten. Wir alle - auch Herr Heitmann - haben neue Erkenntnisse erlangt. Für mich stellt sich jetzt natürlich die Frage, wie sich der Bundesrat bei dem Gesetzentwurf verhalten wird. Es liegt ein Bleichlautender Antrag im Bundesrat vor. Und obwohl man weiß, daß die Verjährung Ende des Jahres ausläuft und man jetzt zum Schluß kommen müßte, wurde er an den entsprechenden Ausschuß verwiesen. Er ruht seitdem im Rechtsausschuß des Deutschen Bundesrates. Interessant ist für mich eine Meinungsumfrage in den neuen Bundesländern. Ich entnehme einer Tikkermeldung: Strikt gegen die erneute Verlängerung der Frist ... sind das von einer rot-grünen Minderheitsregierung geführte Sachsen-Anhalt, Brandenburg ({1}) und das rot-grün-regierte Hamburg. ... Sachsen-Anhalt sehe den Rechtsfrieden gestört ... ({2}) Meine Damen und Herren, mir fällt dazu ein: Man muß eben aufpassen, mit wem man einen Pakt macht. Es kann sein, daß man dabei seine Seele verliert. ({3}) Trotzdem bitte ich in diesem Haus um breite Zustimmung zu diesem Gesetz, was heute zur Abstimmung steht. Ich hoffe, daß sich der Bundesrat dem Willen des Bundestages anschließen kann, und bitte auch von dieser Stelle noch einmal die Länder, ihre Herzen zu bewegen und dem Antrag zuzustimmen. Zum Schluß möchte ich ganz herzlich meinen Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion danken, besonders den Kollegen im Rechtsausschuß und unserem Arbeitsgruppenvorsitzenden, Herrn Geis. ({4}) Darüber hinaus danke ich unserem Justizminister und den anderen Kollegen im Rechtsausschuß, insbesondere denen der F.D.P.-Fraktion, voran Herrn Kleinert. Meine Damen und Herren, es gibt viel zu tun in der Zukunft. Wer Zukunft gestalten will, muß auch seine Vergangenheit bewältigen. Schönen Dank. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat Herr Minister Kretschmer, Bundesrat, Thüringen. Minister Otto Kretschmer ({0}): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Zuge der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes sind innerhalb relativ kurzer Zeit drei gesetzliche Regelungen zur Verfolgungsverjährung von Straftaten im Beitrittsgebiet getroffen worden. Schon die Vielzahl der gesetzlichen Regelungen macht deutlich, welchen Stellenwert der Gesetzgeber - Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, und Ihre Vorgänger in diesem Hause - der Strafverfolgung beim Aufbau einer rechtsstaatlichen Justiz in den neuen Bundesländern beimißt. Das gilt insbesondere für die Verfolgung von SED-Unrecht und für die Verfolgung der vereinigungsbedingten Wirtschaftskriminalität. In den vergangenen Wochen und Monaten haben sich vor allem ehemalige Bürgerrechtler, viele Abgeordnete aus den neuen Bundesländern und zahlreiche Opfer der SED-Machthaber für eine Verlängerung der Verjährungsfrist über den 31. Dezember dieses Jahres hinaus eingesetzt. Auch die Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR haben vor kurzem in einer gemeinsamen Erklärung gefordert, daß die Verfolgung von Straftaten aus dem Bereich des SED-Unrechts und der vereinigungsbedingten Wirtschaftskriminalität zum Jahresende nicht verjähren darf. Ich selbst bin absolut überzeugt, daß die Verjährung von Straftaten aus dem Bereich des SED-Unrechts und der vereinigungsbedingten Wirtschaftskriminalität zum jetzigen Zeitpunkt auf jeden Fall verhindert werden muß. ({1}) Das bin ich auf Grund meiner unmittelbaren Erfahrungen als ehemaliger Leiter einer Staatsanwaltschaft, die sich - noch heute - schwerpunktmäßig mit der Verfolgung dieser Straftaten befassen muß, und als Justizminister seit 1994 in Thüringen, vor allem aber auf Grund der vielen Gespräche, die ich mit Bürgerinnen und Bürgern gerade in der letzten Zeit geführt habe. Der Freistaat Thüringen hat deshalb einen Gesetzesantrag zur Verlängerung der Verjährungsfrist durch Änderung des § 315 a des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch in den Bundesrat eingebracht. Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen ist im wesentlichen mit dem Thüringer Gesetzesantrag identisch. Er weicht allerdings insoweit von der Initiative des Freistaats Thüringen ab, als die Verlängerung der Verfolgungsverjährung bis zum 2. Oktober des Jahres 2000 hinausgeschoben wird. Ich habe dagegen keine Bedenken. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Verjährung hat insbesondere die Aufgabe, dem Rechtsfrieden zu dienen, wie der Abgeordnete Luther schon zu Recht dargestellt hat. Die Verjährung von Straftaten aus dem Bereich des SED-Unrechts und der vereinigungsbedingten Wirtschaftskriminalität ist jedoch nach meiner Auffassung nicht geeignet, jetzt schon Rechtsfrieden zu stiften. Die Opfer können noch nicht ihren Peinigern ins Gesicht schauen, ohne Ingrimm zu fühlen. Über 40 Jahre Unrecht sind noch nicht vergeben oder gar vergessen. ({2}) Lassen Sie mich auch feststellen: Die friedliche Revolution in der ehemaligen DDR ist gerade deshalb gewaltfrei verlaufen, weil die Bürgerinnen und Bürger des östlichen Teils unseres Landes auf den Rechtsstaat und seine Durchsetzungsfähigkeit vertraut haben. Wer den Menschen in den neuen Bundesländern dann aber heute sagt, daß wesentliche Bereiche des Unrechts von einst vom 1. Januar des kommenden Jahres an nicht mehr verfolgt werden dürfen, der enttäuscht. Ich bin davon felsenfest überzeugt, daß die Bürgerinnen und Bürger gerade im östlichen Teil unseres Landes das als eine Amnestie auf kaltem Wege ansehen würden. Der Verdruß in der Bevölkerung in den neuen Bundesländern würde sich gegen den Rechtsstaat wenden, von dem man sowieso noch nicht überzeugt und in vielen Fällen sogar enttäuscht ist. Ohne die Gesetzesänderung würden Delikte aus der Zeit der DDR wie Freiheitsberaubung, Betrug, Urkundenfälschung, Körperverletzung, insbesondere solche durch Doping, dann der Verjährung anheimfallen. Das gilt insbesondere auch für die milliardenschweren Schiebereien bei der Schaffung der Währungsunion, die wir alle noch in Erinnerung haben. Das gilt insofern, als bei diesen Straftaten nicht bereits ermittelt wird. Das ist hier schon mehrfach festMinister Otto Kretschmer ({3}) gestellt worden. Soweit die Verjährung unterbrochen ist, gilt das natürlich nicht. Viel schlimmer wäre aber, wenn diese Täter, insbesondere diejenigen, die Wirtschaftsstraftaten begangen haben, sich ab dem 1. Januar des kommenden Jahres ihrer Straftaten auch noch rühmen könnten, weil ihnen irgendwelche strafrechtlichen Konsequenzen nicht mehr drohen. ({4}) Ich habe seit 1990 am Aufbau der Justiz in Thüringen mitgearbeitet. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß gerade im Bereich der vereinigungsbedingten Wirtschaftskriminalität eine Vielzahl krimineller Geschäfte den Opfern erst jetzt bewußt werden. Viele Fälle mit oft hohen Schäden kommen erst jetzt, nachdem sich die Verhältnisse immer mehr normalisieren, an das Tageslicht. ({5}) Dies nimmt kaum Wunder; denn häufig zeigt sich gerade im Lauf der Zeit, ob Käufer von Ostbetrieben kriminelle Ziele verfolgt haben. ({6}) Eine Verjährung solcher Delikte ab Anfang des kommenden Jahres wäre unerträglich. ({7}) Es geht immerhin um riesige illegale Einheitsprofite. Meine Damen und Herren, vergessen wir nicht: Schwindler, Schieber und Absahner hatten nach der Wende Hochkonjunktur. ({8}) - So ist es. ({9}) Immer neue Fälle kommen an das Tageslicht. Oft erstatten Geschädigte aber auch erst nach Jahren Anzeige, weil sie nämlich erst jetzt Akteneinsicht hatten. Es kann auch sein, daß die Behörden erst jetzt auf kriminelle Machenschaften stoßen. Bei der in Thüringen zuständigen Staatsanwaltschaft gehen derzeit noch immer etwa 10 bis 15 Anzeigen monatlich ein. Das wird auch in den nächsten Monaten bis in das kommende Jahr hinein so weitergehen. Zu berücksichtigen ist bei der Frage der Verlängerung der Verjährung auch, daß die sehr mühsame und langwierige Aufarbeitung von 40 Jahren totalitärer Diktatur eine Ausnahmesituation war und insbesondere bei der Behandlung der Straftaten der vereinigungsbedingten Wirtschaftskriminalität ein ungeheurer Arbeitseinsatz erforderlich ist. Dies darf nicht den Tätern zugute kommen. ({10}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Unrecht nicht verfolgt, nicht zumindest Aufklärung versucht wird, nimmt das Vertrauen in den Rechtsstaat bei den Bürgerinnen und Bürgern schweren Schaden. Die Menschen in den neuen Ländern haben angesichts des jahrzehntelang staatlich geduldeten und sogar staatlich betriebenen Unrechts ein besonders ausgeprägtes Bedürfnis nach Gerechtigkeit. ({11}) Sie hätten kein Verständnis dafür, wenn diejenigen, die den Rechtsstaat zuvor mit Füßen getreten haben, und diejenigen, die im Rahmen der Umstellung auf das marktwirtschaftliche System durch kriminelle Machenschaften Vermögen angehäuft haben, auf Grund des Eintritts der Verfolgungsverjährung nicht mehr strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnten. ({12}) Ich möchte betonen, daß ich die Verlängerung der Strafverfolgungsverjährung für eine besonders friedensstiftende Tat halte - ihr kommt eine besonders friedensstiftende Funktion zu -, und appelliere deshalb an Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Ihnen vorliegende Gesetzesinitiative zu unterstützen. Vielen Dank. ({13})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Gerald Häfner, Bündnis 90/Die Grünen.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bündnis 90/Die Grünen haben sich in diesem Hause von Anfang an und immer, schon zu Zeiten der damaligen Gruppe ebenso wie in der jetzigen Fraktion, nachhaltig für die Aufklärung und Aufarbeitung aller zu Zeiten der SED- und DDR-Diktatur begangenen Verbrechen eingesetzt. Das hat nichts mit Rache zu tun, schon gar nichts mit Siegerjustiz, wie es uns die PDS hier immer wieder in ziemlich infamer Weise und vor allem wider besseres Wissen, wie ich aus vielen Gespräche weiß, weismachen will. ({0}) Das Gegenteil ist der Fall; denn wir leben nun alle gemeinsam in einem Rechtsstaat. Die Aufarbeitung liegt zuallererst im Interesse der Opfer. Menschen, die jahrelang unterdrückt und verfolgt worden sind, Menschen, die Opfer von Freiheitsberaubung und anderen Straftaten geworden sind, mußten über 40 Jahre lang ertragen, daß diese Straftaten meistens gar nicht erst bekannt wurden, daß darüber nicht gesprochen werden durfte, daß sie mit den Folgen alleine gelassen wurden und die Täter davon den Profit davontrugen. Es ist eine Pflicht des Rechtsstaates, nun, da es möglich geworden ist, diese Straftaten aufzuklären, die Ehre der Betroffenen wiederherzustellen und damit für die Opfer solcher Taten - ich bitte, das nicht zu unterschätzen - in vielen Fällen erst die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß diese individuelle Entschädigungsansprüche geltend machen können. Daneben liegt die Aufarbeitung aber auch im Interesse der gesamten Gesellschaft. Es kann nicht angehen, daß Terror und Unterdrückung, daß persönliches wie staatliches kriminelles Handeln gegen einzelne Bürger ungesühnt bleiben und daß diejenigen, die die Opfer waren, weiter mit den Folgen leben müssen, während die Täter ihre Hände in Unschuld waschen und nach wie vor wie Fettaugen auf der Suppe schwimmen können. Nein, es muß im Interesse des Rechtsstaates und vor allem im Interesse der Demokratie sowie eines antitotalitären Konsenses in diesem Lande liegen, daß die Täter, soweit möglich, noch zur Verantwortung gezogen werden und daß so zumindest für die Zukunft klar ist, daß derjenige, der in einer solchen Weise das Recht anderer Menschen verletzt, damit rechnen muß, irgendwann vor seinem Richter zu stehen, und nicht etwa darauf vertrauen kann, daß dies ungesühnt bleibt. ({1}) Allerdings muß sich der Rechtsstaat bei der Aufarbeitung an seine eigenen Regeln halten; das ist oft schwer. Er muß zum Beispiel die Unschuldsvermutung oder das Rückwirkungsverbot respektieren, auch wenn das in der Praxis dazu führt, daß eine Vielzahl von Verfahren auch dann eingestellt werden muß oder mit Freisprüchen endet, wenn Taten begangen werden, diese Taten jedoch nachträglich nicht mehr gesühnt werden können. Ich halte es für richtig, daß die ehemaligen Täter heute in den Genuß von rechtsstaatlichen Grundregeln kommen, die sie Ihren Opfern nie zugebilligt haben. Das, denke ich, sollte man einmal würdigen. ({2}) Zu den Regeln des Rechtsstaates gehört natürlich auch die strafrechtliche Verjährung. Wenn wir jetzt über die Frage der Verjährung reden, die meines Erachtens ein wichtiges Prinzip der Rechtsstaatlichkeit darstellt, dann reden wir über ein ganz bestimmtes Problem. Denn wir reden über einen Bereich, in dem 40 Jahre lang keine Strafverfolgung stattgefunden hat, in dem 40 Jahre lang nicht einmal über diese Straftaten offen gesprochen werden konnte. Da ist es doch klar und für jeden einleuchtend, daß die Aufarbeitung solcher Straftaten Zeit braucht - Zeit, die über das hinausgeht, was der Rechtsstaat üblicherweise in seinen Verjährungsgeboten geregelt hat. Insofern liegt hier eine besondere Situation vor, die nur deshalb die nochmalige Verlängerung der Verjährungsfristen rechtfertigt. Deshalb haben wir uns als Bundestagsfraktion dazu entschlossen, diese Verlängerung zu unterstützen. Ich möchte aber an dieser Stelle noch zwei Punkte deutlich erwähnen. Es gibt zwei Schwächen des heutigen Gesetzentwurfes. Der erste Punkt ist folgender: Das größte Aufklärungsdefizit besteht bislang im Bereich der Wirtschafts- und Vereinigungskriminalität. Dort stehen wir wirklich noch ganz am Anfang. Einzelne Fälle, wie „Novum" oder jetzt der Fall in Bitterfeld, wo es um Milliardenschäden geht, oder auch der neue Skandal in Thüringen bei den LPG-Umwandlungen mit dem dortigen Bauernverbandspräsidenten Kliem an der Spitze, sind, glaube ich, erst die Spitze des Eisberges. Da wird noch manches herauskommen, wenn die Möglichkeit dazu noch besteht. Nur: Gerade in diesem Bereich saßen die Täter im Osten wie im Westen. Das, was wir heute gesetzlich regeln, wird dazu führen, daß die Leute, die im Osten Straftaten begangen haben, weiter verfolgt werden können, während die im Westen fein heraus sind. Das ist etwas, was mich bei der heutigen Regelung ärgert. ({3}) Wir haben doch, Herr Geis, das Gespräch mit Ihnen darüber gesucht. Wir haben Ihnen einen Vorschlag gemacht, der in bestimmten Bereichen auch noch zu einer Strafverfolgung im Westen hätte führen können. Ich bedauere, daß dies nicht möglich war.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Häfner, gestatten Sie dem Kollegen Luther eine Zwischenfrage?

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Natürlich, grundsätzlich. Herr Luther, bitte.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Häfner, folgende Zwischenfrage: Sie haben gerade den Eindruck erweckt, daß Straftäter, die vereinigungsbedingte wirtschaftskriminelle Handlungen begangen haben, nicht verfolgt werden können, falls sie im Westen sitzen. Sind Sie mit mir einer Meinung, daß es nicht darauf ankommt, wo der Täter wohnt, sondern daß es maßgeblich darauf ankommt, wo die Tat begangen worden ist? Der Ort der strafbaren Handlung kann auch derjenige sein, wo der Erfolg eingetreten ist.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Luther, jetzt begeben Sie sich strafrechtlich auf dünnes Eis. ({0}) - Nein, er hat mit dem ersten Teil seines Satzes völlig recht, mit der Konklusion am Schluß nicht mehr so ganz. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Natürlich sind solche Straftaten zum Beispiel auch in München begangen worden. ({1}) - Nein, dann unterliegen sie jetzt in München der Strafverfolgungsbeendigung durch das Einsetzen der Verjährungsfrist. Das ist es, was ich an der Stelle kritisiere. ({2}) Lassen Sie mich auf den zweiten Punkt noch kurz zu sprechen kommen. Die zweite deutliche Schwäche dessen, was wir hier heute gemeinsam beschließen wollen, ist die: All unseren Anträgen und unserer Kritik zum Trotz haben es die zuständigen Stellen bei Bund und Ländern, vor allem die Länder, über Jahre hinweg versäumt, die in diesem Bereich ermittelnden Strafverfolgungsbehörden, ausreichend mit Personal auszustatten. Dies ärgert mich in hohem Maße. Deshalb haben wir heute einen Entschließungsantrag vorgelegt, der diese beiden Notwendigkeiten verbindet und sagt: Wenn wir nun die Verjährungsfristen noch einmal verlängern, dann müssen endlich in Berlin bei der ZERV, bei der Staatsanwaltschaft und bei den Justizbehörden die erforderlichen personellen und materiellen Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden, um die noch anstehende Strafverfolgung zügig zum Abschluß zu bringen. Ich hoffe sehr, daß Sie dem zustimmen werden. ({3}) Lassen Sie mich als letztes noch eines sagen: Nicht nur im Bereich der Wirtschaftsdelikte, sondern auch im übrigen Bereich der Kriminalität - hier geht es unter anderem um Rechtsbeugung, Urkundenfälschung, Aussageerpressung, Körperverletzung, aber auch um Freiheitsberaubung sowie um Verbrechen gegen die Menschlichkeit; Verbrechen, die übrigens schon zu DDR-Zeiten strafbar waren - ist es so, daß viele Menschen ihre Akten noch nicht einsehen konnten. Darüber hinaus höre ich, daß immer wieder neue Akten auftauchen. Dies ist ein weiterer ganz entscheidender Grund für die heutige Entscheidung. Erst wenn die Menschen ausreichend Kenntnis haben über das, was ihnen angetan wurde, können sie sich entscheiden, jemanden anzuzeigen oder nicht. Deshalb meine ich, daß es gerechtfertigt ist und viele gute Gründe gibt, die Verjährungsfrist zu diesem Bereich noch ein letztes Mal hinauszuschieben. Ich hoffe aber sehr, daß dies denn auch das letzte Mal war, daß wir zu so einem Schritt gegriffen haben. Gewährleistet ist dies nur dann, wenn endlich auch im Bereich der Kapazitätsausweitung in Berlin das Entsprechende getan wird. Ich danke Ihnen. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat Herr Dr. Röhl, F.D.P.

Dr. Klaus Röhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001867, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute steht die zweite und dritte Beratung des Koalitionsentwurfs eines Gesetzes zur weiteren Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsvfristen zur Entscheidung an. Hauptsachbezug sind die vereinigungsbedingte Wirtschaftskriminalität und die unter dem Einfluß der SED-Herrschaft in der ehemaligen DDR begangenen Straftaten. Die Aufarbeitung dieser Straftaten konnte bisher aus mehreren Gründen nicht abgeschlossen werden. Dieser Sachstand ruft in weiten Kreisen der Betroffenen und auch der Nichtbetroffenen große Verbitterung hervor. Um aber zu verhindern, daß solche Fälle wegen Verjährung nicht mehr verfolgt werden können, sieht das Gesetz vor, im Beitrittsgebiet, in den neuen Ländern, Verfolgungsverjährung bei bisher noch nicht verjährten mittelschweren Straftaten bis zum 2. Oktober 2000 hinauszuschieben. Wir sind uns in unserer Fraktion der juristischen Probleme bezüglich dieser Verlängerung sehr bewußt. Hier entsteht ein schwieriger Konflikt mit dem Rechtsstaatsprinzip. Das Rechtssystem der Verjährung von Straftaten ist ein wesentlicher Teil unseres Rechtsstaatsprinzips und das Ergebnis einer über Jahrhunderte gewachsenen und entwickelten Rechtskultur. Es ist notwendig und unverzichtbar für die Herstellung des Rechtsfriedens, ohne den unsere Gesellschaft nicht existieren kann. Es bestimmt: Der zur Verfolgung von Straftaten aufgerufene Staat darf nur im Rahmen ihm vorgegebener Fristen handeln. Ziel ist das dauerhafte friedliche Zusammenleben der Menschen in einem Staat. Wir halten daher grundsätzlich am Rechtsinstitut der Verjährung fest. Aus juristischer, ethischer und moralischer Sicht sind wiederholte Verjährungsverlängerungen sehr problematisch und stehen sicher im Konflikt mit unserem Rechtsstaatsprinzip. Aber diese Verjährungsfristen stehen auch im Konflikt mit der Verbitterung und dem dringenden Bedürfnis der Menschen in den neuen Ländern nach Gerechtigkeit. In der ehemaligen DDR wurden jahrzehntelang Grundrechte vorenthalten. Niedergeschriebenes DDR-Recht wurde willkürlich ausgelegt und mißachtet. Recht wurde ausdrücklich parteilich, im Sinne von Partei und Regierung in der DDR, behandelt und benutzt. Dazu kommen jetzt ein erheblicher Berg von zurückliegender Regierungskriminalität, der erst nach und nach aufgedeckt wird, und eine große, noch immer wachsende Zahl in der Wendezeit vereinigungsverknüpft begangener Straftaten. Darüber hinaus fürchten wir, daß sich ein sehr großer Teil der Straftaten - davon sind alle Experten überzeugt - bisher der Kenntnis der Staatsanwaltschaften entzieht. Die Menschen in den neuen Bundesländern und ganz besonders die Betroffenen hoffen und erwarten, daß das, was ihnen angetan wurde, verfolgt wird. Das gilt in besonderem Maße auch für die mittelschweren Straftaten, über die wir uns heute unterhalten. Wollen wir als Vertreter des gesamten deutschen Volkes das in den neuen Ländern allmählich entwikkelte Vertrauen in den Rechtsstaat nicht beschädigen, müssen wir dem Empfinden und dem Wunsche der dortigen Menschen entsprechen und Voraussetzungen schaffen, daß bis zur äußersten rechtlich vertretbaren Grenze die Möglichkeit besteht, Regierungs- und vereinigungsbedingte Kriminalität zu verfolgen und zu ahnden. Dabei müssen wir darauf achten, nicht in verschiedene Arten der Straftaten zu unterteilen. Wir müssen alle gerecht in gleicher Weise behandeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muß, wie in meiner Rede zur ersten Lesung, noch einmal hervorheben: Rechtsfrieden kann nicht verordnet werden; Rechtsfrieden muß gewünscht und angenommen werden. Vertrauen in gesetztes Recht, das über 40 Jahre hinweg so nicht existierte, muß von den Menschen in den neuen Ländern erst nach und nach angenommen und verinnerlicht werden. Wir müssen den Menschen in den neuen Ländern die Möglichkeit einräumen, die Chance geben, in den Rechtsfrieden hineinzuwachsen und ihn anzunehmen, damit sich das Bewußtsein festigt: Dieser Rechtsstaat unternimmt alles, um Unrecht zu verfolgen. In einer langen und sehr ernsthaften Diskussion und Abwägung haben wir uns in unserer Fraktion mit Mehrheit dazu entschlossen - ich danke dafür besonders unseren Kolleginnen und Kollegen aus den alten Bundesländern, denen das teilweise nicht leichtgefallen ist -, einer nochmaligen, aber letzten Verlängerung der Verjährungsfrist bis zum 2. Oktober 2000 - das heißt, bis zehn Jahre nach der Wiedervereinigung - für vereinigungsbedingte Kriminalität und für die unter dem Einfluß der SED-Herrschaft begangenen Straftaten zuzustimmen. Wir nehmen uns damit der Besorgnisse und der Verbitterung der Menschen in den neuen Ländern an. Der vorgeschlagene Entwurf erfaßt alle im Beitrittsgebiet begangenen mittelschweren Delikte und damit auch die DDR-Regierungskriminalität. Die Verjährung solcher Taten zum jetzigen Zeitpunkt würde von den Opfern nicht verstanden werden. Langsam gewachsenes Vertrauen würde zerstört. Ich danke deshalb unserem Koalitionspartner und allen Angehörigen dieses Hauses, die diesem Gesetzentwurf ihre Stimme geben, für diese Zustimmung. Es ist unsere Absicht, unser Versuch, nicht nur Recht, sondern auch Gerechtigkeit im wiedervereinigten Deutschland herzustellen. Zum Ende noch zwei Bemerkungen. Die auf der Tagesordnung stehenden Anträge von Bündnis 90/ Die Grünen und SPD zur Verbesserung der Strafverfolgung für DDR-Regierungskriminalität einerseits und Aufarbeitung des SED-Unrechts andererseits haben sich mit der Abstimmung zu diesem Gesetzentwurf erledigt. Zu der in den Anträgen vorhandenen Forderung nach einer verbesserten Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden mit Personal muß ich auf die Pflichten der Länder verweisen. Der Bund hat seine Pflichten erfüllt. Die Bundesländer jedoch sind leider ihren Pflichten in sehr unterschiedlicher Weise nachgekommen. ({0}) Einige Länder - Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hamburg, Hessen und das Saarland - haben ihre Soll-Werte erfüllt. Hessen hat sie sogar übererfüllt. Andere dagegen, wie Bremen, Schleswig-Holstein, aber auch die größten Länder - Bayern, Nordrhein-Westfalen und ganz besonders Niedersachsen -, haben sie nicht erfüllt. ({1}) - Herrschaften, das Thema ist sehr ernst. Wir rufen gerade deshalb die großen Länder auf, endlich ihren diesbezüglichen Pflichten nachzukommen. Meine Damen und Herren, unsere Fraktion stimmt diesem Gesetz zu. Wir hoffen, gemeinsam mit unserem Koalitionspartner den nunmehr letzten, aber notwendigen Schritt zum Rechtsfrieden getan zu haben. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Heuer, PDS.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Die Mehrheit in diesem Bundestag wird heute aller Wahrscheinlichkeit nach ein Gesetz verabschieden, gegen dessen Regelungsinhalt sich immerhin der zuständige Bundesjustizminister, Herr Schmidt-Jortzig, und der Vorsitzende des zuständigen Rechtsausschusses, Herr Eylmann von der CDU/CSU, öffentlich und mit handfesten verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Argumenten ausgesprochen haben.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Kollege Dr. Heuer, gestatten Sie dem Kollegen Penner eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Aber bitte doch! ({0})

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Heuer, Sie stützen Ihren Antrag auf Ablehnung der Verlängerung der Verjährungsfrist -

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Der ist zurückgezogen worden, Herr Kollege.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann erübrigt sich die Frage.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Vielen Dank. - Herr Kollege Dr. Heuer.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Dann kann ich Ihnen ja leider auch nicht antworten. ({0}) Der Herr Bundesminister hatte gesagt: Man kann nicht nur wegen einer vermuteten Dunkelziffer von noch nicht entdeckten Straftaten - also rein auf Verdacht hin die Verjährungsgrenzen verschieben. Das ist mit dem Prinzip der Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren. Wir diskutieren ja gegenwärtig über Einhaltungen von Fristen in diesem Hause. In der Beschlußempfehlung steht, daß nicht genügend Maßnahmen getroffen worden seien. Das ist auch hier soeben beklagt worden. Ich meine, daß sich der Staat nicht darauf berufen kann, daß er das nicht gemacht hat, wozu er verpflichtet ist. Das halte ich für eine nicht mögliche Begründung. ({1}) Die zweite Begründung ist: Die Aufarbeitung konnte nicht abgeschlossen werden. ({2}) Was heißt denn das? Was heißt „die strafrechtliche Aufarbeitung"? Heißt das die Verurteilung sämtlicher Täter? Das ist doch nicht möglich. Das bedeutet im Grunde, daß Sie die Verjährung generell und überhaupt bestreiten. Meine Damen und Herren, Sie haben, glaube ich, jedenfalls zum Teil ein schlechtes Gewissen. ({3}) Sie verschweigen geflissentlich, daß die Verlängerung der Fristen für die gesamte mittelschwere Kriminalität bis 1992 in Ostdeutschland gelten soll, nicht bloß für die sogenannte Regierungs- und Vereinigungskriminalität. Das bedeutet, auch ein ,,gewöhnlicher" Betrug verjährt im Westen nach fünf Jahren, im Osten nach acht bis zehn Jahren. Das ist in meinen Augen nichts anderes als die Aufteilung Deutschlands in zwei Strafrechtszonen. ({4}) Sie bejubeln die Einheit Deutschlands und betreiben Spaltung. Sie verletzen den grundgesetzlichen Anspruch der Ostdeutschen auf Gleichheit vor dem Gesetz. Hier wird behauptet, eine breite Schicht der Bevölkerung im Osten fordere die Verlängerung der Verjährungsfristen. ({5}) Ich bin davon überzeugt, daß das nicht der Fall ist. - Frau Lengsfeld, Sie sind doch keine breite Schicht. ({6}) Ich konnte eine solche Massenbewegung bisher nicht rekognoszieren. Millionen Menschen in Ostdeutschland fordern wirksame Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau. Sie fordern, daß endlich Schluß gemacht wird mit der Diskriminierung der Ostdeutschen im Arbeitsrecht, im Sozialrecht, im Vermögensrecht und auch im Strafrecht. Ihnen geht es um nichts anderes als um die Vorführung und Aburteilung der DDR als Unrechtsregime. ({7}) Sonst hätten Sie nämlich Ihr Vorhaben auf die sogenannte vereinigungsbedingte Wirtschaftskriminalität beschränkt. Zu der Art und Weise Ihres Verhaltens möchte ich die thüringische Justizministerin, Frau Christina Lieberknecht, zitieren. ({8}) Sie hat in ihrem schriftlichen Beitrag zur ersten Lesung die Absicht, die Sie haben, mit staunenswerter Unbedarftheit in folgende kriegerische Kategorien gekleidet: SED-Unrecht muß bekämpft werden zu Lande, zu Wasser und in der Luft - bei Tag und ... auch bei Nacht. ({9}) - Aber es geht beim Strafrecht nicht um die Bekämpfung von irgend etwas, sondern es geht um die Durchsetzung des Rechts. ({10}) Das müssen Sie nicht wissen. Ich kann Ihnen hier eine Erinnerung nicht ersparen. Mit dem 8. Mai 1945 begannen die ganz normalen Verjährungsfristen für die Naziverbrechen zu laufen. Kein Hahn hat danach gekräht, daß nach fünf Jahren alle diejenigen Straftaten verjährt waren, für die Sie jetzt die Fristen abermals, und zwar auf zehn Jahre, verlängern wollen, weil sie in der DDR-Zeit begangen wurden. 1960 waren bis auf Mord alle Naziverbrechen, einschließlich Totschlag, verjährt. 1969 wurde für Mord eine dreißigjährige Verjährungsfrist eingeführt und 1979 die Unverjährbarkeit erklärt. Aus den stenographischen Protokollen von 1965, 1969 und 1979 geht hervor, welche Skrupel und Bedenken damals bestanden, wie rechtsstaatliche Argumente hin und her erwogen wurden. Es gab stunden- und tagelange Debatten und eine Reihe namentliche Abstimmungen. Es ist schon erstaunlich, um wieviel schneller und skrupelloser heute die parlamentarischen Prozeduren laufen, wo es um die Abrechnung mit der DDR geht. ({11}) Ich weiß schon, was Sie jetzt sagen werden, Herr Geis. Sie werden sagen: Wir wollen die Fehler von damals nicht wiederholen. ({12}) Gestatten Sie, daß ich das für unehrlich halte. Sie denken nicht an die Fehler von damals, sondern an Ihre politischen Absichten von heute. Damals haben Sie ernsthaft und tiefgründig diskutiert, sich gegenseitig Ihren Respekt bescheinigt. Ein Bundesjustizminister ist zurückgetreten. Heute geht es um etwas ganz anderes.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Sie müssen zum Schluß kommen, Herr Kollege.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja. - Im Wahlkampf soll das Thema „Unrechtsstaat DDR" nicht vom Tisch, gegen die PDS und indirekt gegen die SPD. Damals gab es eine tiefgründige Diskussion. Heute geht es um das Primat ordinärer Tagespolitik des Bundeskanzleramts, wobei rechtsstaatliche Bedenken auch in den eigenen Reihen erbarmungslos niedergewalzt werden.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Dr. Heuer, hören Sie bitte einen Augenblick auf zu reden. - Es geht nicht, daß Sie, wenn ich bitte, daß Sie Ihre Rede einen Augenblick unterbrechen, weil Sie deutlich über Ihrer Redezeit sind, einfach weiterreden. Sie müssen schon auf den Präsidenten achten. Auch das gehört zu den Regeln, die wir uns gegeben haben, und diese müssen Sie einhalten. ({0}) - Diese haben Sie aber nicht eingehalten, sondern haben Ihre Redezeit um anderthalb Minuten überschritten, weil Sie nicht zuhören. Sie müssen ein bißchen auf das Präsidium achten. Nehmen Sie jetzt bitte Platz. ({1}) Herr Dr. Mahlo, Sie haben das Wort.

Dr. Dietrich Mahlo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001408, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich meine, die PDS sollte etwas mehr Sensibilität bei der Frage zeigen, wen sie hier zu Fragen der Rechtsstaatlichkeit aufmarschieren läßt. ({0}) Ich empfehle das jedenfalls. Meine Damen und Herren, wie manche anderen anständigen Menschen habe ich die zwei Eigenschaften, dankbar und nachtragend zu sein. Das heutige Thema hat ein bißchen etwas damit zu tun. Die eigentliche Rechtfertigung für eine nochmalige Verlängerung der Fristen der Strafverjährung ist ja hier schon durch verschiedene Redner im wesentlichen begründet worden. Es handelt sich um einen doppelten außergewöhnlichen historischen Sachverhalt, zum einen um die 40jährige Existenz des SED-Staates, der bestimmte Straftaten aus Gründen der politischen Opportunität nicht verfolgte, sondern selbst ausführte oder ausführen ließ, anordnete oder jedenfalls deckte. ({1}) Das zweite ist die Umstellung der neuen Bundesländer von einem sozialistischen zu einem marktwirtschaftlichen System und die Ausnutzung dieses Vorgehens durch Wirtschaftsverbrecher. Die Aufarbeitung eines solchen 40jährigen Kriminalitätsstaus einerseits und die Konzentration von Kriminalität während des Umstellungsprozesses der Wirtschaft andererseits sowie ein Justizapparat, der auf beides nicht eingerichtet war, rechtfertigen die nochmalige Verlängerung der Verfolgungsverjährung. ({2}) Obwohl sich nun hier im Hause eine parteiübergreifende Mehrheit für eine Verlängerung der Verjährungsfristen abzeichnet, haben wir uns bedenkenswerten Einwänden zu stellen, die von praktischer und von verfassungspolitischer Seite her vorgebracht werden. Es wäre unsauber, diese Argumente an dieser Stelle einfach zu übergehen. Zunächst heißt es, Strafjustiz könne kein Mittel der Vergangenheitsbewältigung sein. Das ist nur die halbe Wahrheit; denn auch das Strafrecht ist selbstverständlich ein Weg, Verantwortung und Schuld festzustellen und durch Aburteilung, wie ungenügend auch immer, im Einzelfall Gerechtigkeit herzustellen. ({3}) Es heißt, für eine Verlängerung der Verjährungsfristen gebe es keinen Bedarf, die maßgeblichen Sachverhalte seien inzwischen abgearbeitet. Wenn dem so wäre, würde die Verlängerung der Verjährungsfristen niemanden belasten. Aber dem ist nicht so. Tatsächlich gehen bei der zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität in Berlin noch wöchentlich neue Anzeigen von der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben ein. Vor kurzem stießen Mitarbeiter der Gauck-Behörde auf 580 Filme aus dem DDR-Nachlaß, auf denen 1,4 Millionen Seiten Akten über das Schicksal von 38000 DDR-Gefangenen festgehalten sind, ({4}) die meist aus politischen Gründen zu langen Haftstrafen oder zum Tode verurteilt wurden. Das Dunkelfeld ist weiterhin enorm. Wir lehnen es unter diesen Umständen ab, Delikte wie Rechtsbeugung, Freiheitsberaubung, Entführung, Verschleppung, Aussageerpressung, Körperverletzung, Verabreichung von Dopingmitteln an minderjährige Sportler und massenweise Betrugs- und Untreuedelikte durch die Hintertür zu amnestieren. ({5}) Uns wird vorgeworfen, daß wir zweierlei Recht schaffen. Was das SED-Unrecht betrifft, liegt das in der Natur der Sache und ist auch angemessen, denn im Westen gab es einen normal funktionierenden Justizapparat. Dort muß nichts nachgeholt werden. Was die vereinigungsbedingte Wirtschaftskriminalität beDr. Dietrich Mahlo trifft, geht der Vorwurf vollkommen fehl. Hier schaffen wir selbstverständlich nicht zweierlei Recht. Hier gilt der Verjährungsausschluß für Ost und West in gleicher Weise. Ich darf noch einmal darauf hinweisen, Herr Häfner: Eine Tat ist an jedem Ort begangen, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach den Vorstellungen des Täters eintreten sollte. Damit ist eindeutig klargestellt, daß der Westen nicht bevorzugt wird. In der Praxis dürften sich diese Delikte ja überwiegend gegen -

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Dr. Mahlo, gestatten Sie dem Kollegen Dr. Gysi eine Zwischenfrage?

Dr. Dietrich Mahlo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001408, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte, Herr Gysi.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Gerade das, was Sie eben gesagt haben, macht mich bei diesem Gesetzentwurf so nachdenklich. Ich möchte Ihnen einen Meinen Fall schildern ({0}) und hätte dazu gerne Ihre Antwort.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frage, Herr Kollege Gysi!

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Angenommen, ein Täter begeht Untreue oder Betrug im sogenannten Beitrittsgebiet im Rahmen der Vereinigungskriminalität, und ein halbes Jahr später findet er in den alten Bundesländern jemanden, dem er das Geld zur Geldwäsche übergibt, der dann auch seinen Anteil bekommt. Der begeht seine Tat in den alten Bundesländern, und zwar Hehlerei und Begünstigung. Wenn das 1991 oder 1992 geschehen ist und in beiden Fällen 1999 ermittelt wird, dann ist die Folge, daß der eine wegen Untreue und Betrug vor Gericht gestellt werden kann und bei dem anderen schon Verjährung eingetreten ist; dieser kann dann als Zeuge auftreten. Wie wollen Sie das den beiden und allen anderen, die damit zu tun haben, erklären? ({0})

Dr. Dietrich Mahlo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001408, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, hierzu ist zweierlei zu antworten: Erstens wird der im Westen befindliche Täter einem Justizapparat gegenüberstehen, bei dem keinerlei Vermutung dafür vorhanden ist, daß er überfordert wäre und nicht in der Lage ist, die normale Anzahl von Strafverfolgungen innerhalb der normalen Verjährungszeit durchzuführen. Der große Unterschied besteht ja gerade darin, daß wir auf der einen Seite die enorme Konzentration haben und auf der anderen Seite nicht. Zweitens ist es so, daß ich im Moment nicht übersehe, ob nicht der Tatort auch für den von Ihnen geschilderten im Westen befindlichen Mittäter nach der Bestimmung im Osten ist. ({0}) Des weiteren wird eingewandt, daß die Ermittlungen wegen des großen zeitlichen Abstands immer schwieriger und die Strafen aus diesem Grunde immer geringfügiger ausfallen würden. Das mag sein. Aber eine Schuldfeststellung nebst Verurteilung mit geringer Strafe ist immer noch gerechter und weniger mißverständlich für die Betroffenen, als gleich alles unbesehen und achselzuckend unter den Teppich zu kehren. Ferner wird eingewandt, im Oktober des Jahres 2000 trete ohnehin die absolute Verjährung ein. Straftaten, die bis dahin nicht in erster Instanz abgeurteilt seien, verjährten dann sowieso. Eine Aburteilung größerer Straftatbestände sei wegen der Überlastung der Gerichte bis dahin aber nicht mehr zu erwarten. In der Tat gibt es zum Beispiel beim Landgericht Berlin 96 Verfahren, die bisher ohne Hauptverhandlung sind; davon sind 63 noch nicht einmal eröffnet. 3 Anklagen stammen aus dem Jahre 1994. Der Einwand ist also zutreffend. Er kann aber doch nur dazu führen, das Gesetz vor Oktober 2000 so zu ändern, daß zumindest in diesen Fällen die Verjährung schon durch Anklageerhebung durchbrochen wird. Anderenfalls würden sich frustierte Gerichte ihre Entlastung durch bloße Nichtbefassung selbst vom Halse schaffen können, was wenig befriedigend wäre. Des weiteren wird gesagt, Verjährung habe segensreiche Auswirkungen: Sie ziehe endlich den Schlußstrich, diene der Versöhnung, dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit. Ich sage Ihnen: Der Rechtsfrieden in diesem Lande wird nicht durch die - wenn auch vielleicht zu späte, wenn auch vielleicht zu geringe - Aburteilung von Tätern gefährdet, sondern durch die maßlose Enttäuschung der Betroffenen und Opfer. Wir, die Verteidiger des Rechtsstaats, müssen aufpassen, daß der Wert Rechtsstaat nicht von immer mehr Menschen in diesem Land als ein Gegensatz zu dem Wert Gerechtigkeit mißverstanden wird. Es wird gesagt, es sei Teil des Rechtsstaatsgebots, den Täter nicht in einem zu großen zeitlichen Abstand von der Tat zur Rechenschaft zu ziehen. Das ist richtig. Aber dieses Gebot ist doch gegen das andere abzuwägen, bestehendes Recht zu verteidigen, seine Anwendung durchzusetzen, seine praktische Geltung nicht dem Eindruck der Beliebigkeit auszusetzen. Ich weiß, Herr van Essen, Herr Schmidt-Jortzig, Sie sind anderer Ansicht. Ich kenne die Honorigkeit Ihrer Motive. Aber ich teile Ihre Meinung nicht. 1897 wäre ich in Ihrem Lager gewesen; 1997 bin ich es nicht. Es reicht nicht, immer nur dahin zu gucken, woher der Regen gestern kam. Unsere Zeit hat andere Bedürfnisse, braucht andere Prioritäten. In einer Phase, in der die Kriminalität unentwegt steigt, die Opposition Kleinkriminalität systematisch verharmDr. Dietrich Mahlo lost, frustrierte Polizeibeamte innerlich gekündigt haben, dürfen von uns keine falschen Signale kommen nach dem Motto: Mußt du alles nicht so eng sehen. ({1}) Wir können uns in dieser Phase keine Toleranz gegen Straftäter erlauben. Wir können nicht den Eindruck zulassen, dies sei irgendwie ein Staat ohne Ernstfall.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Dr. Mahlo, gestatten Sie dem Kollegen Dr. Penner eine Zwischenfrage?

Dr. Dietrich Mahlo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001408, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Mahlo, in welchem Lager wären Sie denn 1965 und 1979 gewesen?

Dr. Dietrich Mahlo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001408, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wäre in dem gleichen Lager gewesen, in dem ich heute bin, und zwar - gerade wegen der Parallelität der Fälle - aus den gleichen Gründen. Nicht zuletzt findet diese Diskussion vor dem Hintergrund statt, daß in unserem Lande - schlimmer als in irgendeinem Lande Europas, das mir sonst einfällt - Diktaturen zweimal hintereinander möglich gewesen sind. ({0}) Ich halte es für einen Vorteil, wenn es sich herumspricht, daß es sich für die Menschen noch zu deren Lebzeiten nicht gelohnt hat, mitgelaufen zu sein. ({1}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ein Staat, der das Recht nicht durchsetzt, ist ein schwacher Staat. Ein schwacher Staat ist für den einzelnen ein fast ebenso großes Dilemma wie ein totaler Staat. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Rolf Schwanitz, SPD.

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir entscheiden heute über die erneute Verlängerung von Verjährungsfristen. Es ist eine schwierige Entscheidung. Ich möchte vorausschicken, daß es gewichtige Argumente auf allen Seiten und bei allen Fraktionen gibt, bei den Befürwortern und den Gegnern. Wir entscheiden heute diese Frage mit einem Ja. Wir entscheiden uns für die Verlängerung von Verjährungsfristen. ({0}) Wir tun das vor allen Dingen aus vier Gründen. Erstens. Die strafrechtliche Verfolgung von Regierungs- und Vereinigungskriminalität ist noch nicht in einem solchen Umfang vorangekommen, daß die Verjährung einsetzen könnte, ohne größere Probleme zu schaffen. Ich erinnere daran, daß wir gerade aus den Opferverbänden massive Klagen über die Praxis der Einstellung von Ermittlungsverfahren haben. Ich erinnere daran, daß wir im Bereich der vereinigungsbedingten Wirtschaftskriminalität eine beträchtliche Anzahl nicht weiter verfolgter Delikte haben. 20 Prozent der noch offenen Verfahren, die in Berlin anhängig sind, sind stillgelegt. Diese sogenannten Groß- und Dezernatsverfahren werden aus Zeit- und Personalgründen nicht weiter verfolgt, sondern stillgelegt. ({1}) - Es ist sehr die Frage, ob man dort nicht mit Personal nachbessern muß, um wenigstens vor Ablauf der absoluten Verjährungsfrist etwas in der Hand zu haben, um die Verfolgung durchsetzen zu können. ({2}) Den zweiten Grund sehe ich darin, daß vor allem im Bereich der Wirtschaftskriminalität noch viele Straftaten im dunkeln liegen. Die Stabsstellen der BvS, wo die Vorermittlungen für die Angelegenheiten der Treuhandanstalt geführt werden, melden uns immer noch wachsende Fallzahlen. Die kriminelle Aushöhlung der Unternehmen hat ja vor allen Dingen dann massiv zugenommen, als die Privatisierungen vonstatten gegangen sind. Wir stehen also noch vor einer Welle von neuen Fällen. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Schwanitz, gestatten Sie dem Kollegen Dr. Hirsch eine Zwischenfrage?

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich frage nur, weil man diese Bemerkung von Ihnen nun wirklich nicht durchgehen lassen kann. Sie wissen doch genau, daß wir für diese Fälle überhaupt kein Gesetz brauchen, wenn sie weiter verfolgt werden sollen, sondern daß die Staatsanwaltschaft die Verjährung schon dadurch unterbrechen kann, daß sie für eine Ermittlungshandlung sorgt. Da droht also die Verjährung erst im Rahmen der absoluten Verjährung im Jahre 2000. Für die Fälle, die Sie eben so dramatisch genannt haben, brauchen Sie überhaupt kein Gesetz. Würden Sie mir darin zustimmen? ({0})

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hirsch, es ist leider differenziert. Auf der Anhörung, die wir im März dieses Jahres hatten, hat uns die zuständige Justizsenatorin bestätigt, daß wir hier auf Grund der eintretenden Verjährungsfristen und des Personalmangels ein Problem haben. Ich stimme Ihnen zu, daß es hier eine Kombination aus personeller Situation und Zeitdruck gibt; insofern will ich das gerne bestätigen. Diese großen, schweren Delikte - jene 20 Prozent, die als Dezernatsfälle bezeichnet werden - werden offensichtlich als so schwer eingeschätzt, daß sie vor dem Hintergrund der weglaufenden FriRolf Schwanitz sten überhaupt nicht mehr ausermittelt werden können. Wenn wir jetzt die Verjährungsfristen noch einmal um zweieinhalb Jahre verlängern, dann wird das, so hoffe ich, auch mit einer Verbesserung der personellen Situation einhergehen. ({0}) Ich gehe davon aus, daß wir, wenn sich der Bundesrat dann diesem Gesetzentwurf zuwendet, sehr wohl zu einer verstärken Personalausstattung kommen, hinsichtlich der Frage der Richter in Berlin hoffentlich auch mit finanzieller Beteiligung des Bundes. Das ist nämlich ein neuer Flaschenhals, der sich an dieser Stelle auftut, an der sich der Bund einer solidarischen Unterstützung des Berliner Begehrs verweigert hat. Ich hoffe sehr wohl, daß wir - sicherlich in Kombination zwischen Personal- und Verjährungsfrage - auch in diesem Bereich noch einen Schritt nach vorn kommen. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Schwanitz, gestatten Sie dem Kollegen Eylmann eine Zwischenfrage?

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Horst Eylmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000508, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schwanitz, ist es richtig, daß Herr Generalstaatsanwalt Schaefgen - der Leiter der Behörde, der es eigentlich am besten wissen müßte - schon vor Monaten erklärt hat, eine Verlängerung der Verjährungsfrist bringe schon deshalb nichts, weil wegen der absoluten Verjährung im Oktober 2000 eine Anklage noch in diesem Jahr oder spätestens im ersten Halbjahr des nächsten Jahres erhoben werden müßte, um bei der Überlastung der Gerichte überhaupt noch die Chance einer Hauptverhandlung zu haben, da ja nur die Verurteilung in erster Instanz die absolute Verjährungsfrist unterbrechen würde? ({0})

Rolf Schwanitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002123, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Eylmann, weil dies so ist und weil selbstverständlich die Maßstäbe der absoluten Verjährungsfrist drohen, habe ich auch das Thema der Richterausstattung mit ins Spiel gebracht. Selbstverständlich ist das ein Problem. ({0}) Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Wir alle tun uns hier wechselseitig keinen Gefallen, wenn wir auflisten, wer zu diesem Thema einmal irgend etwas gesagt hat. Mir fällt beispielsweise auf, daß bei der ZERV Sonderschichten gefahren werden sollen, weil man dort unsicher ist, ob dieses Gesetz hier durchkommt, und man wenigstens bis zum Jahresende noch Anzeigen entgegennehmen will, um überhaupt eine Chance zu haben, die Dunkelziffer aufzuarbeiten. Ich glaube, da finden sich Argumente auf allen Seiten. ({1}) Meine Damen und Herren, der dritte Grund, den ich nennen will, besteht darin, daß bei der Verjährung selbstverständlich massive finanzielle Verluste im Sinne von Schadensbeträgen ins Haus stehen würden. Vorhin ist vom Kollegen Häfner der Fall Novum angesprochen worden, in dem sich die Kommunistische Partei Österreichs im Eigentum dieser Firma zu sehen meint. Dieser Fall, der ja sowohl die Bundesrepublik als Staat als auch den zweiten Untersuchungsausschuß beschäftigt, ist symptomatisch dafür, uns zu verdeutlichen, welche Millionen- und Milliardenbeträge hier im Bereich von Wirtschaftsdelikten auf dem Spiel stehen. Ich glaube, das kann auch nicht als Argument an uns vorbeigehen. ({2}) Das vierte Argument, das ich nennen will: Ich kann nicht erkennen, daß die Verjährung, wenn sie zum 31. Dezember dieses Jahres in Ostdeutschland Platz greifen würde, dort Rechtsfrieden fördern würde. ({3}) Es geht dabei noch nicht einmal in erster Linie um die Frage der Täter und der Opfer. Diese haben bei Verjährungsfragen wahrscheinlich immer unterschiedliche Auffassungen. Das ist nicht der Punkt. Wichtig ist vielmehr die Frage: Wie wirkt das auf die Menschen insgesamt? ({4}) Wie wirkt das auf die Gemeinschaft in Ost und West? Ich kann an dieser Stelle nur sagen: Wenn einerseits den Menschen in Zeiten schmaler Kassen immer stärkere finanzielle Belastungen aufgebürdet werden und andererseits der Staat aus der Sicht der Täter als berechenbar und kalkulierbar erscheint und die Herren nur zum 31. Dezember am Tegernsee und anderswo frohlockend die Sektflaschen öffnen müssen, dann wird das in der Bevölkerung überhaupt niemand nachvollziehen können. ({5}) Meine Damen und Herren, diese vier Hauptgründe - der Rückstand bei der Aufarbeitung der angezeigten Delikte, die große Dunkelziffer vor allem im Bereich von Wirtschaftskriminalität, die massiven finanziellen Verluste, die damit verbunden sind, und die Erwartungen der Bürger an den Rechtsstaat - lassen heute ganz eindeutig für eine Verlängerung der Verjährungsfrist sprechen. Ich glaube, wir haben es bei diesen Beratungen auch mit einer vertanen Chance zu tun. Die SPD hat vorgeschlagen, eine bessere Verfolgung von wirtRolf Schwanitz schaftskriminellen Delikten nicht auf Ostdeutschland zu begrenzen. Wir haben den Vorschlag gemacht, in Deutschland insgesamt bei Delikten der Wirtschaftskriminalität die Verjährungsfrist erst ab dem Zeitpunkt beginnen zu lassen, an dem ein Strafverfolgungsorgan von der Tat und von der Person des Tatverdächtigen Kenntnis erlangt hat. Ich teile nicht die Auffassung, daß Westdeutsche im Bereich von Wirtschaftskriminalität und Vereinigungsdelikten nicht verfolgt werden können. Das ist Unfug, da gibt es das Tatortprinzip. Ich meine, daß die schwierigen Bedingungen zur Ermittlung von wirtschaftskriminellen Delikten kein ostdeutsches Problem sind, sondern ein gesamtdeutsches. Wir werden uns, auch wenn unser Antrag hier abgelehnt worden ist, diesen Dingen zu stellen haben und auch für eine Verlängerung von Verjährungsfristen im Bereich von Wirtschaftskriminalität in den alten Bundesländern, also gesamtdeutsch, weiter eintreten. Schönen Dank. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, haben drei Kollegen gebeten, eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung abgeben zu dürfen. Das ist zunächst der Kollege Dr. Gysi.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann dem hier vorgelegten Gesetzentwurf aus mehreren Gründen nicht zustimmen. ({0}) Zunächst finde ich es im höchsten Maße bedenklich, daß wir, glaube ich, damit erstmalig in der Rechtsgeschichte überhaupt eine Verjährungsfrist von im Einzelfall über 50 Jahren schaffen würden. Ich will Ihnen dafür ein Beispiel nennen. Wenn 1945 in einem KZ ein Tötungsverbrechen begangen worden ist, das nicht als Mord, sondern als Totschlag gewertet wird, dann ist dieses Tötungsverbrechen seit ewigen Zeiten verjährt. Wenn im Jahre 1949 in der DDR eine Körperverletzung begangen wurde, die aus politischen Gründen nicht verfolgt wurde - das kann es ja geben -, ({1}) dann würde diese Tat bis zum 2. Oktober 2000, über 50 Jahre lang, nicht verjähren. Damit wird eine Ungleichbehandlung im Recht organisiert, die ich aus rechtsstaatlichen Gründen für nicht vertretbar halte. Zweitens. Ich glaube, daß sich mit diesem Gesetz der Gesetzgeber nicht mehr ernst nimmt, und will das auch kurz begründen. Als der Gesetzgeber hier das letzte Mal eine Entscheidung über die Verlängerung der Verjährungsfrist getroffen hat, hat er ja zwei Entscheidungen getroffen, nämlich erstens, daß eine Strafverfolgung bis zum 31. Dezember 1997 stattfinden kann, und zweitens, daß, wenn bis dahin keine die Verjährung hemmenden oder unterbrechenden Maßnahmen eingeleitet worden sind, die Tat ab 1. Januar 1998 verjährt. Die gesamte Begründung, die wir heute gehört haben, lief darauf hinaus, zu sagen: Weil das passiert oder passieren könnte, was wir damals entschieden haben, nämlich daß etwas verjährt, muß dieses Gesetz gemacht werden. Das heißt, es stellt sich heraus, daß nur der erste Teil des Gesetzes gemeint war, nämlich daß bis zu einem bestimmten Datum Taten nicht verjähren, aber der zweite Teil des Gesetzes, der immer mit darin steckt, daß danach etwas verjährt, der ist nie ernst gemeint gewesen. Das stellt das Institut der Verjährung überhaupt in Frage. ({2}) Drittens. Ich habe einen weiteren Grund für mich, und das ist die falsche Überschrift. Sie sprechen von SED-Unrecht und von Vereinigungskriminalität. In Wirklichkeit regeln Sie das im Gesetz nicht, sondern verlängern für alle Straftaten, für die eine Gefängnisstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren angedroht ist und die, sagen wir einmal, in der Zeit der Wende oder danach begangen worden sind, die Verjährung, völlig unabhängig davon, ob es etwas mit Vereinigungskriminalität zu tun hat oder mit SED-Unrecht. Jeder Raub oder jede Körperverletzung, die 1990 oder 1991 im sogenannten Beitrittsgebiet begangen wurden, verjähren erst im Jahre 2000, der gleiche Raub in den alten Bundesländern, 1990 oder 1991 begangen, unterliegt der Verjährung. Das hätte man ausgleichen können, wenn man die Verjährungsfrist insgesamt verlängert und nicht nur für das Beitrittsgebiet. ({3}) Drittens ist der Hinweis auf finanzielle Verluste falsch.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Gysi, Sie achten bitte darauf: Es ist keine Debatte. Sie begründen Ihr Abstimmungsverhalten.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Es ist für mich ein sehr persönlicher Grund, daß mit falschen Argumenten operiert wird, Sie zum Beispiel eben, Kollege Schwanitz, mit dem Argument des finanziellen Verlustes. Sie wissen ganz genau, daß unrechtmäßig erworbenes Gut auch nach Eintritt der Strafverfolgungsverjährung nicht rechtmäßig erworben wird, sondern nach wie vor zivil- und verwaltungsrechtlich eingefordert werden kann. Die letzte Bemerkung, die mich dazu bewegt hat, ist ein Fall, den ich Ihnen gerne sagen will. Es ist nicht der von vorhin, den hatte ich geschildert, sondern einer, der mit den beiden Gebieten gar nichts zu tun hat. Ein Ostberliner überfällt im März 1991 zunächst in Ostberlin eine Frau und raubt ihr die Handtasche. Weil ihm das Geld nicht reicht, verübt er dasDr. Gregor Gysi selbe Delikt noch einmal in Westberlin. Beide Frauen erstatten gegen ihn Anzeige, und ({0}) - es ist rechtlich relevant, ob Sie es nun wahrhaben wollen oder nicht - es findet ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt statt. Wenn dieser Täter dann 1999 zufällig ermittelt wird, dann müssen Sie ihm erklären, weshalb er für den Raub an der Ostberlinerin noch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann ({1}) - ich spreche von einem einfachen Raub -, während er für den anderen Raub nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann. Sie müssen auch der Frau in Westberlin erklären, warum die Straftat gegen sie strafrechtlich niedriger bewertet wird als die andere Straftat. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bei solchen Erklärungen ist es schwer, die Grenzen des § 31 unserer Geschäftsordnung immer einzuhalten. Sie haben die Grenze überschritten, Herr Kollege Gysi. ({0}) Jetzt spricht der Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich stimme gegen den Gesetzentwurf der Koalition, weil ich meine, der Gesetzgeber sollte sich zu den Grenzen der strafrechtlichen Aufarbeitung von Geschichte bekennen. Strafverfolgung, gerade auch die Verfolgung von Straftaten in Diktaturen, ist ein wichtiges Signal und wichtig für das Selbstverständnis unserer Rechtskultur. Deshalb war es richtig, in der Vergangenheit mehrmals für diese Straftaten eine Verlängerung der Verjährung vorzusehen. In der Vergangenheit bestand das Problem, daß viele Straftaten in der DDR faktisch nicht verfolgt wurden und daß die Justiz in den neuen Ländern im Aufbau war. Wir haben heute in den neuen Ländern wie bei uns im Westen eine weitgehend funktionierende Justiz. ({0}) Das kann also kein Grund für die Verlängerung von Verjährungsfristen sein. Seit der Verabschiedung des letzten Gesetzes sind keine neuen Hindernisse für die Strafverfolgung hinzugekommen. Als Grund für die Verlängerung, den ich nicht zu akzeptieren vermag, wird die mangelnde Ausstattung der ZERV angegeben. Dies ist in der Tat ein Skandal, den wir hier wiederholt angesprochen haben. Daß bestimmte Bundesländer auf diesem Gebiet besonders wenig geleistet haben, finde ich besonders schlimm, weil dadurch unsere Rechtskultur Schaden nimmt. ({1}) Diese mangelnde Ausstattung, die die Politik und der Staat zu verantworten haben, kann eine Verlängerung der Verjährungsfristen meines Erachtens nicht begründen. Ich stimme gegen den Gesetzentwurf, weil ich meine, Sie geben den Menschen Steine statt Brot. Sie versprechen den Opfern Genugtuung, was mit diesem Gesetzentwurf aber nicht möglich ist. Mit den gleichen Argumenten, die heute in der Debatte für die Verlängerung der Verjährungsfrist gefallen sind, können Sie auch begründen, daß Sie die absolute Verjährungsfrist im Jahre 2000 verlängern müssen, weil der heutige Schritt ansonsten in der Realität nicht greifen würde. ({2}) Aber das wird nicht geschehen, weil im Jahre 2000 keine Bundestagswahlen sind. ({3}) Ich bin gegen die Verlängerung der Verjährungsfrist, weil wir in eine historische Schieflage bei der strafrechtlichen Aufarbeitung von Vergangenheit kommen. Es hat nach dem zweiten Weltkrieg eine kalte Amnestie in Deutschland für viele NS-Straftäter stattgefunden. ({4}) In bestimmten Fällen sind sogar Mord und Völkermord verjährt. Ich erinnere nur an das Caiazzo-Urteil des Bundesgerichtshofs vor wenigen Jahren, das wir hinnehmen mußten, was uns allen schwergefallen ist. Wir entscheiden heute über die Frage der Verjährung von Regierungskriminalität mit Strafandrohungen von einem Jahr bis zu fünf Jahren. In dem Urteil des Bundesgerichtshofs wurde im Fall wesentlich schwererer Straftaten eine frühere Verjährung hingenommen. Ich meine, das läßt sich nicht begründen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Beck, auch Sie müssen die Grenzen des § 31 unserer Geschäftsordnung beachten.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich stimme gegen den Gesetzentwurf, weil die Verjährung im Rechtsstaat dem Rechtsfrieden dient. Rechtsstaatlich läßt sich die heutige Verlängerung nicht begründen. Ich fühle mich in meiner Ablehnung auch durch den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck, bestärkt, der uns zu Recht vor diesem Schritt heute gewarnt hat. Ich stimme auch gegen diesen Gesetzentwurf und melde mich hier zu Wort, weil ich denjenigen, die in dieser Debatte rechtsstaatliche Gründe nur vorschieVolker Beck ({0}) ben, aber in Wirklichkeit eine Amnestie für Straftäter der DDR meinen, nicht die rechtsstaatliche Argumentation überlassen will. Sie von der PDS haben in der letzten Woche hier im Plenum die Hosen heruntergelassen und gesagt, was ihr eigentliches Ziel ist.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Nein, Herr Kollege Beck, das geht wirklich nicht; das ist ein Debattenbeitrag. Sie wissen genau, wo die Grenzen sind, also überschreiten Sie sie nicht willentlich. Gerade Ihr letztes Argument war jenseits einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung. Halten Sie sich bitte an die Regeln.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich stimme gegen diesen Gesetzentwurf, obwohl ich ja sage zu einer rechtsstaatlichen und strafrechtlichen Aufarbeitung der Geschichte. Ich meine aber, daß wir hier die Grenzen überschreiten. Mit diesem Schritt leisten wir dem Rechtsstaat keinen guten Dienst. Deshalb lehne ich diesen Gesetzentwurf ab. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Jetzt spricht der Kollege Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegen van Essen und Dr. Burkhard Hirsch stimmen meiner Erklärung inhaltlich zu. Ich habe die Beiträge, die heute vorgetragen worden sind, sehr ernst genommen und habe die Debatte mit sehr großer Aufmerksamkeit verfolgt. Nach meiner Auffassung entscheiden wir bei dieser Abstimmung nicht über eine Frage des Rechts, sondern wir entscheiden politisch. Die Verjährung hat einen rechtspolitischen Sinn. Der frühere Bundesjustizminister, für uns der große Liberale, Dr. Thomas Dehler hat dazu bereits 1965 gesagt: Die staatliche Gewalt, auch die staatliche Strafgewalt, ist begrenzt. Der Staat ist nicht Herr des Rechtes, sondern ist an das gesetzte Recht gebunden, auch wenn es unvollkommen, ja als peinvoll erscheint. Der Staat kann seine Strafgewalt nachträglich, also mit Wirkung für abgeschlossene Tatbestände, nicht vermehren und nicht ausweiten. Die Beweislage wird um so schwieriger, je länger die Tat zurückliegt. Gleichzeitig fällt ein Sich-Hineinversetzen in die Umstände und die die Tat betreffende Zeit sehr schwer. Dabei wird es nicht gerade einfacher, eine Strafe zu finden, die zugleich Tat und Täter angemessen ist. Einer Verlängerung der Verjährung kann ich nicht zustimmen, denn damit wird im Widerspruch zum bestehenden Recht der Versuch unternommen, nachträglich für Gerechtigkeit sorgen zu wollen. Mit meiner Auffassung von Rechtsstaatlichkeit ist das nicht vereinbar. Vielen Dank. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Es sind drei weitere Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung von den Kollegen von Stetten, Hacker und Brecht schriftlich abgegeben worden. ) Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur weiteren Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen auf den Drucksachen 13/ 8962 und 13/9252 Nr. 1. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU - mehrheitlich -, der F.D.P. - mehrheitlich -, der Grünen - mehrheitlich - und der SPD - mehrheitlich - gegen die Stimmen der PDS bei Gegenstimmen aus dem Bereich der Grünen, bei zwei Gegenstimmen - soweit ich das gesehen habe - aus dem Bereich der CDU/CSU, drei Gegenstimmen aus dem Bereich der F.D.P. und einer Gegenstimme aus dem Bereich der SPD angenommen worden ist. Enthaltungen habe ich keine gesehen. Haben wir damit die Mehrheitsverhältnisse klar definiert? ({0}) Wir kommen zur dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Mehrheitsverhältnissen, wie vorher im Detail dargelegt, angenommen worden. Der Rechtsausschuß empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/9252 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9253. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P und PDS bei Stimmenthaltung der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei einzelnen abweichenden Stimmen aus den Fraktionen abgelehnt. Damit sind wir am Schluß unserer schwierigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 10. Dezember 1997, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.