Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/26/1997

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die ursprünglich für diese Woche vorgesehene zweite und dritte Beratung des Eheschließungsrechtsgesetzes nunmehr abgesetzt werden. Sind Sie mit dieser Regelung einverstanden? - Das ist der Fall. Dann setzen wir die Beratung ab. Wir setzen die Haushaltsberatungen fort: I. - Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1998 ({0}) - Drucksachen 13/8200, 13/8883 -({1}) - Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1997 ({2}) - Drucksachen 13/8199, 13/8803 - ({3}) Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses ({4}): Ich rufe auf: I. 12. Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt - Drucksachen 13/9004, 13/9025 - Berichterstattung: Abgeordnete Roland Sauer ({5}) Dr. Wolfgang Weng ({6}) Antje Hermenau I. 13. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({7}) zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS Ausweis der Mittel für den Bundesnachrichtendienst - Drucksachen 13/6531, 13/7299 -Berichterstattung: Abgeordnete Dietrich Austermann Rudolf Purps Zum Einzelplan 04 liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über den Einzelplan 04 namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Scharping.

Rudolf Scharping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002769, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor zirka 15 Jahren hat der amtierende Bundeskanzler seinen Vorgänger im Deutschen Bundestag mit dem Hinweis zu verspotten versucht, er verstehe sich ja nur als der erste Angestellte der Republik. Helmut Schmidt war viel mehr. Aber wie schön wäre es doch, hätten wir wenigstens wieder einen soliden ersten Angestellten der Republik! ({0}) Vor 15 Jahren hat Helmut Kohl hier im Deutschen Bundestag die Notwendigkeit einer neuen Regierung mit dem Hinweis darauf begründet, daß man die Verantwortung übernehmen müsse für wachsende Schulden, für fortdauernde Pleiten bei den Unternehmen und für Dauerarbeitslosigkeit. Damit, Herr Bundeskanzler Dr. Kohl, haben Sie den Maßstab für die Beurteilung Ihrer eigenen Arbeit geliefert und die Begründung für eine neue Regierung, die dringend notwendig ist. ({1}) Vor 15 Jahren gab es gängige Vorurteile über konservative Politik und über konservative Politiker: Sie gingen ordentlich mit dem Staat um - so dachte man -, könnten solide mit dem Geld wirtschaften, gingen pragmatisch mit den gesellschaftlichen Kräften um und wüßten, was sie wollten. Das waren Vorurteile, wie sich herausgestellt hat; denn sie können nicht ordentlich mit dem Staat umgehen. ({2}) Und solide mit dem Geld wirtschaften: Wissen Sie, ich schaue gerade so in Ihre Reihen und stelle mir vor, wie Sie sich entweder im Kabinett oder im Koalitionsausschuß treffen. Das sind ja Sitzungen auf Schuldenbergen. Und pragmatisch mit den gesellschaftlichen Kräften umgehen, und sie wüßten, was sie wollten: Ich habe mir einmal eine Liste nur der Punkte geben lassen, über die Sie sich in den letzten drei Monaten gestritten haben: der Haushalt und der Solidaritätszuschlag, die Steuererhöhungen und die 610-DM-Verträge, die Renten und die steuerfinanzierte Familienkasse, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und die Zuzugsregelungen bzw. das Staatsbürgerschaftsrecht, die Ostförderung und das Sexualstrafrecht, die Kabinettsumbildung und die Arbeitserlaubnis für Ausländer, die Drogenpolitik und Rechtsradikale in der Bundeswehr, der Lauschangriff und die Wehrpflicht, das Postgesetz, ausländische Studierende, das Mietrecht, usw. Nur in einem ist sich diese Koalition noch einig: Sie will unbedingt den 27. September 1998 erreichen, koste es, was es wolle. Sie haben keine Substanz mehr, Sie sind sich in nichts einig, nur im Machterhalt! ({3}) Herr Bundeskanzler, es mag ja sein, daß Ihnen der Bogen der 15 Jahre zu weit gespannt ist. Wir können uns auch an Ihrer letzten Regierungserklärung orientieren. Da haben Sie gesagt: Wir haben in kürzester Zeit die Koalitionsverhandlungen erfolgreich abgeschlossen, wir haben zielstrebig und kollegial zusammengearbeitet, und so wird es in den vier Jahren dieser Legislaturperiode auch bleiben. ({4}) Daran ist richtig - und nur das ist richtig -, daß Legislaturperioden in aller Regel vier Jahre dauern. ({5}) Sie haben gesagt: Wir wollen die Einbürgerung erleichtern und für in Deutschland geborene Kinder der dritten Generation eine deutsche Kinderstaatszugehörigkeit einführen. - Selbst über dieses Schrittchen streiten Sie immer noch! Sie haben gesagt: Wir wollen einen schlanken Staat. Im Rahmen der Steuerreform wird das Steuerrecht spürbar vereinfacht. Die Bundesanstalt für Arbeit wird stärker dezentralisiert und ortsnäher organisiert, die Instrumente der Wirtschaftsförderung werden gestrafft und die Antragsverfahren vereinfacht. - Außer Spesen nichts gewesen. Meine Damen und Herren, Sie haben dann auch noch gesagt, Sie seien sich einig darin, den Solidaritätszuschlag baldmöglichst abzubauen und entsprechende Rückführungsmöglichkeiten jährlich festzustellen. - Na, wenigstens ein bißchen war das ja schon. So könnte ich ein Zitat nach dem anderen aus Ihrer Regierungserklärung aufrufen, und dann würde sich zeigen, daß Sie vielleicht noch gute Vorsätze, aber keinen Willen, keine Fähigkeit, keinen Mut und keine Entscheidungsstärke hatten, um das durchzusetzen, was Sie gegenüber der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland versprochen haben. Ihre Regierung ist eine komplett unfähige Regierung geworden, die noch nicht einmal ihre eigenen Ziele erreichen kann. ({6}) Sie haben damals gesagt, Sie wollten Ihren Ehrgeiz daransetzen, daß Deutschland das erste Land wird, in dem das Fünfliterauto Standard wird. - Ich zweifle, daß Sie den Eichtest bestehen würden. ({7}) Sie haben hinzugefügt, Sie würden selbstverständlich prüfen, wie regenerative Energien und ihre Markteinführung stärker gefördert werden könnten. - Sie prüfen immer noch. Und was viel wichtiger ist: Sie haben auch gesagt, Sie hätten den Spitzenvertretern von Wirtschaft und Gewerkschaften gemeinsame Gespräche vorgeschlagen und Sie hätten sich darüber gefreut, daß die Sozialpartner dies ebenfalls als notwendig ansähen. Wir müssen jetzt, so sagten Sie, alle Kraft aufwenden, um eine neue Beschäftigungsinitiative zum Erfolg zu führen. Sie haben auch diese Möglichkeit wahltaktisch mißbraucht und nach dem März 1996 den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften ins Gesicht geschlagen, statt das Bündnis für Arbeit wirklich zustande zu bringen. ({8}) Meine Damen und Herren, jedenfalls ist es Ihnen - ob jetzt in den letzten 15 Jahren oder in den letzten vier Jahren, das lasse ich dahingestellt - gelungen, die Vorurteile über angeblich konservative Werte und Verhaltensweisen gründlich zu widerlegen. Sie gehen nicht ordentlich mit dem Staat um, Sie wirtschaften nicht solide mit dem Geld, Sie haben kein pragmatisches Verhältnis zu den gesellschaftlichen Kräften, Sie wissen nicht, was Sie wollen, außer an der Macht zu bleiben, solange es irgend geht. ({9}) Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, ist eine Regierung der Vergangenheit geworden. Sie sind nichts anderes mehr als eine Vergangenheit, die allerdings auch eine schwere Belastung der Gegenwart und eine massive Hypothek für die Zukunft bedeutet. Sie sind eine Regierung der Enttäuschungen und der negativen Rekorde geworden. Sie haben Schulden aufRudolf Scharping gehäuft. Sie haben auf diese Weise die Bundesrepublik Deutschland in eine fast ausweglose Lage geführt, dem Staat die Fähigkeit geraubt, etwas für die Zukunft zu tun und in der Gegenwart wirtschaftlichen Gefahren entgegenzuwirken. Und Sie haben das alles zu bemänteln versucht, indem Sie im Sommer 1997 davon sprachen, nun müsse eben Wahlkampf sein. Ich sage, wenn der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland 14 Monate vor einem Wahltermin von nichts anderem beherrscht wird als von der Überlegung, wie er seine Koalition zusammenhalten und wie er den Wahltermin erreichen kann, dann verfehlt er seine Pflichten, verletzt seinen Amtseid und sorgt dafür, daß die Glaubwürdigkeit politischer Institutionen noch mehr verringert wird. ({10}) Ich fürchte, daß angesichts dieser Haltung keine Chance mehr besteht, wirklich durchgreifende Reformen in den nächsten 10 Monaten zu vereinbaren. Wenn das aber nicht möglich ist, dann sollten wir doch wenigstens die Schritte tun, die angesichts der drängenden Sorgen vieler Bürgerinnen und Bürger und der großen Gefahren für das Gemeinwesen wirklich notwendig und sinnvoll sind. Wenn wir dazu wegen Ihrer Selbstblockade, wegen Ihrer Unfähigkeit, in der Koalition zu gemeinsamen Auffassungen zu kommen, wegen Ihres Willens, 14 Monate Wahlkampf zu führen, schon nicht mehr in der Lage sind, dann sollten wir wenigstens noch einmal den Versuch machen, in den Fragen, die mit der Erosion von Grundlagen des Gemeinwesens zu tun haben, Ergebnisse zu erzielen. Dazu gehört die fortschreitende Erosion der Sozialversicherungen. Sie, wie auch alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, wissen, daß ein Rentenversicherungsbeitrag von 21 Prozent eine Gefahr für Arbeitsplätze, eine Gefahr für die Konjunktur in Deutschland und eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Bereich ist. Deswegen will ich Ihnen noch einmal in aller Deutlichkeit und Konsequenz anbieten, die Erosion der Grundlagen der sozialen Sicherheit in Deutschland zu stoppen. Dem Ziel, die Erosion des Sozialstaates zu beenden, könnten wir in Schritten näherkommen, indem wir das Ausufern der versicherungsfreien Tätigkeiten, die Flucht aus der Sozialversicherung und die Flucht in die Scheinselbständigkeit endlich stoppen. ({11}) Wenn auf Grund dieses Haushalts in der Bundesrepublik Deutschland das Sechsfache für Zinsen aufgewendet wird, verglichen mit jenen Aufwendungen für Bildung und Wissenschaft - also für die Zukunft unseres Landes -, dann sollten wir wenigstens auf diesem fortdauernden Marsch in den verschuldeten Staat die Erosion der Steuergrundlagen beenden, weil sie zugleich eine Erosion des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in die Gerechtigkeit und die Sinnhaftigkeit staatlichen Handelns bedeutet. ({12}) Sorgen Sie mit uns dafür, daß wenigstens die Steuerschlupflöcher geschlossen werden! Wenn man hinter die Entwicklungen im Sozialsystem und im Steuersystem schaut, dann stellt man fest: Das bedrückendste Ergebnis von 15 Jahren konservativer Regierung und des Mißbrauchs ihrer Möglichkeiten ist, daß uns auf der einen Seite die Bürgerinnen und Bürger in ihrem privaten Leben und in ihrem persönlichen Engagement Tag für Tag demonstrieren, wie stark die Bereitschaft zur Leistung und Verantwortung in Deutschland ist - sie zeigen uns das durch ihre Mitarbeit in den Betriebsräten und in den Gewerkschaften, in den Kirchen und ihren Wohlfahrtsorganisationen, durch ihr freiwilliges Engagement in den Vereinen, bei der Feuerwehr, beim Roten Kreuz und vielen anderen Stellen -, daß wir aber auf der anderen Seite eine Regierung haben, die die tiefste Kluft zwischen diesem persönlichen Engagement und der Entwicklung im Bereich des öffentlichen Lebens verantworten muß. Es ist aus meiner Sicht das bedrückendste Ergebnis, daß eine Partei, die das Christliche für sich beansprucht, verantworten muß, daß die Rücksichtslosigkeit, die Kaltherzigkeit und der Egoismus noch nie zuvor wie in diesen Tagen einen so hohen öffentlichen Stellenwert haben. ({13}) Deshalb will ich nicht nur über das, was Sie verantworten müssen, reden, sondern auch darüber, wie man diese Kluft schließen könnte. Es geht darum, in Deutschland wieder Chancen zu öffnen, Zusammenhalt zu fördern und Gerechtigkeit durchzusetzen. Eine gute Regierung, Herr Bundeskanzler, würde Chancen eröffnen, anstatt Chancen zu verbauen. Sie würde den Menschen Mut machen, anstatt sie mit Angst in eine Entwicklung hineinzutreiben, die sie tatsächlich nicht wollen. Die Vereinigung Deutschlands war eine große Chance. Sie haben diese Chance in wirtschaftlicher, in sozialer, in finanzieller und in kultureller Hinsicht in vielen Fragen vertan. Globalisierung ist eine Chance, eine Chance, unter neuen wirtschaftlichen Bedingungen und neuen Herausforderungen das zu behaupten, was die Zivilisation in Europa eigentlich ausmacht, nämlich die kluge Verbindung von wirtschaftlicher Stärke, sozialer Verantwortung und Vorsorge für die Zukunft. Aber wenn man sich die Ergebnisse Ihrer Regierung über den Zeitraum der letzten Jahre, insbesondere in dieser Legislaturperiode, anschaut, dann kann man sehen: Sie tun nichts gegen die Gründe für Sorgen und Angst. Im Gegenteil: Sie versuchen sogar, sie zu nutzen. Die Erfahrung beispielsweise mit der Arbeitslosigkeit ist allgegenwärtig. Sie rauben den Menschen das Vertrauen, daß wir gemeinsam noch etwas dagegen tun können, manchmal soRudolf Scharping gar schon das Zutrauen, daß Sie wirklich etwas dagegen tun wollen. ({14}) Was ist mit den vielen Menschen, die zur Seite gedrängt werden? Was ist mit den jungen Menschen? Ich habe hier vor etwa vier Jahren Ihr Stichwort vom Wirtschaftsstandort Deutschland aufgegriffen und versucht, darauf aufmerksam zu machen, daß es um mehr geht, nämlich um den Lebensstandort Deutschland. Wenn wir, das Parlament, und vor allen Dingen Sie, die Regierung, nicht mehr klarmachen können, daß Sie mit Leidenschaft und Mut wirklich darum ringen, daß jeder junge Mensch in Deutschland ausgebildet wird, wenn Sie das alles auf eine pseudotechnokratische Debatte um irgendwelche Finanzierungsfragen verkürzen, dann wird das Hauptanliegen verschüttet. Es müßte doch möglich sein, daß ein so reiches Land wie Deutschland seiner Jugend eine Chance eröffnet und jedem die Ausbildung garantiert. ({15}) Wenn Sie achselzuckend darüber hinweggehen, daß hier ein Mitglied Ihrer Regierungskoalition sagt, die Tätigkeit ohne Sozialversicherung sei das letzte Stück Freiheit auf dem Arbeitsmarkt, dann nenne ich das eine Fehlentwicklung des Denkens, wie sie schlimmer nicht sein kann. Diese Ausbeutung, diese Ausnutzung von Menschen muß beendet werden. ({16}) Herr Bundeskanzler, ich kann nicht bestreiten, daß Sie am Anfang Ihrer Regierungstätigkeit auch die eine oder andere Entscheidung getroffen haben, die für Deutschland insgesamt nützlich und gut war. ({17}) Ich will das auch nicht bestreiten. Aber das, was Sie jetzt tun, ist eine Ignoranz, eine Mißachtung, ein ZurSeite-Drängen von Millionen Menschen, an deren Entwicklungschancen auch die Zukunft unseres Landes hängt. Wenn ich mir die Jugendlichen in Deutschland betrachte, dann muß ich sagen: Sie haben es nicht verdient, so behandelt zu werden, wie Sie das tun. ({18}) Auch wenn ich mir die Frauen in Deutschland betrachte - über fünf Millionen von ihnen werden außerhalb der Sozialversicherung beschäftigt, und andere müssen dafür höhere Beiträge zahlen -, dann muß ich feststellen: Diese Frauen haben es nicht verdient, so behandelt zu werden, wie Sie das tun, und so zur Seite gewischt zu werden, wie das manchmal geschieht. ({19}) Hinsichtlich der Globalisierung und der Angst, die Sie den Menschen damit manchmal machen, sage ich: Jawohl, wir könnten in Europa gemeinsam etwas zur Behauptung unserer sehr speziellen, unserer historisch gewachsenen Vorstellungen von einem würdevollen und freiheitlichen Zusammenleben der Menschen tun. Das war es eigentlich, was hinter der Debatte um das Beschäftigungskapitel im Europäischen Vertrag stand. Das stand dahinter, als es darum ging, den Beschäftigungsgipfel zu einem Erfolg werden zu lassen. Mich macht besorgt, daß wir jetzt in Deutschland eine Bundesregierung haben, die Gefahr läuft, vielleicht noch an der Seite Spaniens zu sein, aber jedenfalls isoliert von den wichtigen Entwicklungen in Europa zu sein, die auf Vollbeschäftigung, Wachstum, soziale Verantwortung und Schutz der Umwelt zielen. ({20}) Es ist besorgniserregend, zu sehen: Sie haben sich hier lange Jahre damit geschmückt - jedenfalls haben Sie den Versuch gemacht -, uns, die Sozialdemokratie, als isoliert in Europa darzustellen. Auch gestern klang das noch einige Male an. ({21}) Tatsächlich ist es aber so, daß Ihre Regierung in keiner Weise verstanden hat, daß die Bevölkerung Frankreichs, Großbritanniens und vieler anderer europäischer Länder mittlerweile gemeinsam mit ihren Regierungen den Versuch machen, den Sie hier in Deutschland verweigern, nämlich den Versuch, wirtschaftliche Stärke zu entwickeln und dabei die soziale Verantwortung nicht kaputtgehen zu lassen. ({22}) Nein, eine gute Regierung würde Chancen für die vielen Menschen eröffnen, und sie würde dafür sorgen, daß man wieder Vertrauen in eine gemeinsame, gegenseitig verantwortete, rücksichtsvolle Entwicklung unseres Landes fassen kann. Eine gute Regierung würde Zusammenhalt und Gemeinsinn stärken. Man hat einmal von Konservativen vermutet, daß sie sich vielleicht den einen oder anderen Fehler leisten, daß sie vielleicht die eine oder andere falsche Entscheidung treffen, daß sie aber auf keinen Fall das Prinzip des Zusammenhalts und der Gemeinsamkeit gefährden. Ich habe noch nie erlebt, wie eine Regierung mit diesem Anspruch so konsequent und ignorant gegen diesen Anspruch selbst gehandelt hat. Sie haben auf Konfrontation gesetzt, wo es um Gemeinsamkeit gegangen wäre. Man kann das mit vielen Beispielen belegen. Sie sind zur Kooperation nicht mehr fähig. Ich bleibe bei dem einen Beispiel: Die Menschen wußten ganz genau, daß das Leben nach der deutschen Einheit nicht so weitergehen konnte wie zuvor. Sie wußten, daß es mit der Verteilung von Zuwächsen und dem Versuch, auf diese Weise ein Stück mehr Gerechtigkeit zu verwirklichen, vorbei sein würde. Sie wußten ganz genau, daß wir von der westdeutschen Verteilungs- und Wohlstandsgesellschaft zu einer gesamtdeutschen Aufbaugesellschaft werden würden. Was haben Sie getan? - Sie haben im Wahlkampf 1990 die Illusion erzeugt, es könne alles so weitergehen. Sie haben die Illusion erzeugt, es bedürfe keiner Anstrengung, und Sie haben damit Egoismus gefördert und Gemeinsamkeit geschwächt. ({23}) Sie haben die Bereitschaft von Menschen, Verantwortung zu übernehmen, zurückgewiesen. Ich will gar nicht auf die einzelnen Beispiele eingehen. Aber in dieser Grundlinie gibt es zwei Entwicklungen, die hoch bedenklich sind: Sie trafen erstens die historische Fehlentscheidung, einen großen Teil der finanziellen Folgen der deutschen Einheit in der Sozialversicherung zu verankern. Dies hat uns Arbeitsplätze gekostet, das hat uns Ausbildungsplätze gekostet. Es hat bei den Menschen - leider zu Recht - das Gefühl erzeugt, daß es mit der Gerechtigkeit nicht mehr sehr weit her sei und daß die deutsche Einheit in der Verantwortung derjenigen liege, die dem Handeln ihrer Regierung nicht ausweichen konnten. Sie haben das zweitens mit Schulden und - wie wir gesehen haben - zunehmend durch Privatisierungserlöse finanziert. Ein solider Haushälter, eine solide konservative Regierung würde auf solche Schnapsideen überhaupt nicht kommen. Den laufenden Haushalt aus einmaligen Erträgen zu finanzieren, ist unverantwortlich. ({24}) Es wäre gut gewesen, wenn man diese Privatisierungserlöse für Zukunftsinvestitionen, für den Ausbau der Hochschulen, für die Entwicklung des Bildungswesens, für die Forschung und Entwicklung sowie für die Stärkung der erneuernden, der innovatorischen Kräfte der Gesellschaft insgesamt verwendet hätte. Sie aber haben damit laufende Ausgaben finanziert. Dies war die Frucht Ihrer Feigheit, den Bürgerinnen und Bürgern und damit allen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern die Wahrheit über die große Aufgabe zu sagen, die vor uns stand. Sie haben eine historische Chance nicht nur verpaßt, sondern Sie haben sie in eine immer stärker wachsende Belastung des Gerechtigkeitsempfindens und des Gemeinsinns in Deutschland verkehrt. ({25}) Es ist nicht so, daß sich die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land nicht dagegen wehrten. Ich fand es erstaunlich, daß eine solche Regierung, die von christlichen Demokraten geführt wird, jedenfalls von Menschen, die dieses Etikett für sich beanspruchen, nichts von dem aufgreift, was die beiden christlichen Kirchen in einem bemerkenswerten Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage unseres Landes gesagt haben. ({26}) Sie sind nicht in einen öffentlichen Dialog eingetreten. Sie haben so weitergewurschtelt, anstatt einen Moment zu überlegen, ob nicht die Mahnungen beider christlichen Kirchen einen wirklich harten und bedenkenswerten Kern haben. Sie haben das Angebot aus der eben zitierten Regierungserklärung taktisch mißbraucht, als die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer es ernst genommen hatten. Sie haben den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zunächst den Eindruck vermittelt, Sie wollten gemeinsam mit den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern etwas tun. Tatsächlich aber haben Sie dieses Angebot nur taktisch benutzt und den Gewerkschaften und den Arbeitnehmern nach den Landtagswahlen im März 1996 ins Gesicht geschlagen. Die Spaltung, die daraus folgt, die Enttäuschung des Vertrauens, die Schwächung des Gemeinsinns sind bedrückende Ergebnisse. Jede neue Regierung, die mit dieser Erbschaft beginnen muß - es bleibt ihr nichts anderes übrig -, wird Monate und Jahre darauf verwenden müssen, Schritt für Schritt das Vertrauen in die Fähigkeit zu stärken, gemeinsam Verantwortung zu tragen, ein Bündnis für Arbeit herzustellen, Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen und eine Steuer- und auch eine Rentenreform zu machen, die den Menschen nicht ins Gesicht schlägt, sondern ihnen die Gewißheit gibt, daß wir alle gemeinsam eine große Anstrengung unternehmen, daß dieses Land eine gerechte Zukunft erfährt. ({27}) Eine gute Regierung würde in die Zukunftsaufgaben investieren, anstatt Schulden zu machen, den Staat in die Zinsfalle zu stürzen sowie Forschung und Entwicklung, Bildung und Wissenschaft immer weiter zu kürzen. Sie würde nicht nur Ausverkauf betreiben, sondern ganz im Gegenteil etwas tun für einen leistungsfähigen Staat, für Investitionen in die Zukunft, für eine vernünftige, für eine gerechte Steuerreform. Herr Bundeskanzler, ich sprach von der Kluft, die Sie erzeugt haben zwischen dem privaten Verhalten, den privaten Hoffnungen und Erwartungen, dem persönlichen Leben, den Maßstäben, die für Millionen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland gelten, dem Beweis für den Willen zur Gerechtigkeit, die Fähigkeit zur Verantwortung und die Chance auf gemeinsame Entwicklung, den uns die Bürgerinnen und Bürger Tag für Tag liefern, und Ihrem Verhalten: Eine gute Regierung würde Chancen eröffnen und Zusammenhalt stärken. Sie tun das nicht mehr. Ich weiß sehr genau, daß alle Appelle, diese Regierung möge ihre hilflosen Versuche aufgeben, diese Regierung möge auf einen Pfad der Vernunft zurückkehren, der uns bis zum Wahltag Entscheidungen im Interesse unseres Landes ermöglicht, diese Regierung möge ihre hilflosen Dummheiten beenden, wie wir sie in diesen Tagen erlebt haben, nichts bringen. Ich will Ihnen sagen, was ich für eine solch hilflose Dummheit halte: daß auf einem bayerischen CSU-Parteitag beschlossen werden kann - und zwar mit dem dabeisitzenden Bundesfinanzminister, ({28}) der schweigt -, man solle jetzt das gemeinsame Prinzip der Sozialversicherung aufgeben. Diese Übertragung separatistischen Denkens in die Bundespolitik ist eine Schande für das Land und ein Ausweis für die Unfähigkeit ihrer Führer. ({29}) Herr Bundeskanzler, wenn man Ihre Ansprüche mit den Realitäten vergleicht und wenn man miteinander vergleicht, was die Menschen hoffen und erwarten und wozu Sie bereit sind, dann muß man leider sagen: Es wäre besser, diese Regierung würde noch einen Akt der Selbstachtung und der Bewegungsfähigkeit ermöglichen, nämlich den Weg frei machen für eine sofortige Entscheidung. Das wird nicht möglich sein; auch ich weiß das. Deswegen will ich das auch gar nicht fordern. Was wir aber vielleicht tun könnten - ich mache dieses Angebot, obwohl ich weiß, daß das schon mehrfach geschehen ist -, das ist, wenigstens die dringend notwendigen Entscheidungen zu treffen, die einer weiteren Erosion der sozialen und der finanziellen Grundlagen unseres Landes entgegenwirken. Meine Damen und Herren, wenn man über die Generallinien eines Haushaltes und über die Generallinien der Politik eines Bundeskanzlers spricht, dann kann man über viele Einzelheiten reden und tatsächlich über die Grundlinien. Für mich und für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und ihre Bundestagsfraktion bleibt es dabei: Das bedrückendste Ergebnis dieser Regierungszeit ist die Tatsache, daß noch nie zuvor das Empfinden und der Wunsch der Menschen nach Solidarität, nach Gerechtigkeit, nach einer soliden und anständigen Zukunft so weit entfernt war von dem, was diese Regierung tut. Es wäre besser, wir könnten morgen wählen. ({30}) Wenn das aber nicht möglich ist, dann lassen Sie uns wenigstens die Entscheidungen treffen, die der genannten Erosion entgegenwirken, und lassen Sie uns wenigstens diese Zeit mit dem Anstand zu Ende bringen, der ihr die ganze Zeit gefehlt hat. ({31})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Abgeordnete Michael Glos.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann den Ärger von Herrn Scharping verstehen. Er hat noch den Eichtest der Troika im Kopf. Die Troika ist umgefallen, er ist herausgekippt und muß jetzt unter einem Parteivorsitzenden Lafontaine dienen. Ich kann Ihnen nachempfinden, lieber Herr Scharping. ({0}) Aber eines habe ich nicht verstanden: Sie reden von Deutschland wie von einem ganz fernen Land, das es in Wirklichkeit nicht gibt. Sie reden die Erfolge herunter, ({1}) Sie neiden dieser Regierung die Tatsache, daß wir es geschafft haben, daß es mit der Wirtschaft jetzt wieder bergauf geht, daß wir im Export ungeheure Erfolge erzielen. Ich bin auch ganz sicher, daß sich dieser Aufschwung am Schluß auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt niederschlagen wird. ({2}) Wenn man beklagt, daß die Privatisierungserlöse nicht in Zukunftsinvestitionen angelegt werden, negiert man die deutsche Wirklichkeit. Die Zukunftsinvestition par excellence in unserem Land ist die Verwirklichung der deutschen Einheit und die Schaffung einer gemeinsamen starken Währung in Europa. Daran arbeiten wir mit großem Nachdruck. ({3}) Es gibt noch ein Zweites, das die Sozialdemokraten bewegt; das ist die Tatsache, daß wir einen erfolgreichen Bundeskanzler haben, ({4}) der auch bei der nächsten Wahl wieder Bundeskanzlerkandidat ist, ({5}) während in der SPD noch nicht einmal ein Kandidat zur Verfügung steht.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Ich möchte Sie auffordern zuzuhören.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das Bild, das hier mit großem Buhei vorgestellt wurde, entspricht heute nicht mehr der Wirklichkeit. Auch Herr Schröder hat erklärt, daß er nicht bereit ist, zusammen mit Herrn Lafontaine nach Bonn zu gehen. Entweder er wird Kanzler, oder er verweigert sich. Von der Troika zum Tandem, und zum Schluß stehen Sie da, Herr Lafontaine, einsam wie Gary Cooper in High-noon - aber weniger erfolgreich. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben die Diskussion auf dem CSU-Parteitag beklagt. Wir haben keine Beschlüsse gefaßt, ({1}) aber, so glaube ich, eine nützliche Diskussion angestoßen, nämlich die Diskussion darüber, was mit den Mitteln des Länderfinanzausgleichs geschieht. Wir wissen, daß wir auf Dauer nicht ein Transfersystem nach dem anderen einführen können. Wir können uns kein Transfersystem leisten, das möglicherweise diejenigen begünstigt, die die Mittel nicht für Zukunftsinvestitionen ausgeben, die den Länderfinanzausgleich nicht - wie Bayern es tat, als es noch Empfängerland war - zum Aufbau eines modernen, wirtschaftlich leistungsfähigen Bundeslandes nutzen. Deswegen sind Sie neidisch. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es heißt ja auch richtig: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. ({3}) Deswegen lohnt es sich, einmal dorthin zu schauen, wo Sozialdemokraten regieren. Gerhard Schröder möchte gerne Kanzler sein oder niedersächsischer Ministerpräsident bleiben. An den Bonner Kabinettstisch zu Herrn Lafontaine will er nicht. Er wird auch den nächsten Elchtest nicht bestehen; das ist die niedersächsische Landtagswahl. ({4}) Ich bin überzeugt: Er wird mehr als 2 Prozent der Stimmen verlieren, ({5}) so daß seine Blütenträume in dieser Hinsicht ganz von allein verwelken. Dann stehen nur noch Sie, Herr Lafontaine, der Oberblockierer der Nation, zur Verfügung. Unter Ihrer Führung weigert sich die SPD - das ist unser Thema -, eine umfassende Steuerreform zu verwirklichen. Sie blockieren alle Versuche, die Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze zu verbessern. Alle Sachverständigen sagen: Die Petersberger Beschlüsse sind das Mittel, das wir brauchen, um Investitionen sprudeln zu lassen. ({6}) Ich bin überzeugt, daß eine Politik für mehr Arbeitsplätze auch die allerbeste Politik für die Jugend ist. ({7}) Man kann nicht Arbeit für die Jugend schaffen, indem man neue Steuern und Abgaben wie zum Beispiel die Ausbildungsplatzabgabe einführt. Sie betreiben eine Politik, die da lautet: Erst die Partei und dann das Land. Das gleiche Bild bietet sich bei der Rente. Die SPD will die Steuern erhöhen, ohne dem veränderten Altersaufbau unserer Bevölkerung Rechnung zu tragen. ({8}) Die SPD nimmt damit eine weitere Steigerung der Beitragssätze in Kauf, ohne Rücksicht auf die Wirkungen, die das hat. Herr Scharping hat beklagt, daß wir zu einem Beitragssatz von 21 Prozent kommen. Wenn man unser Angebot annimmt, dann sinken die Beiträge wieder. Ein entsprechender Gesetzentwurf von uns liegt im Bundesrat; wir sind bereit, den Gegenwert von einem Prozentpunkt bei der Mehrwertsteuer zusätzlich der Rentenkasse zur Verfügung zu stellen. Sie verhalten sich wie jemand, der erst ein Haus anzündet und dann nach der Feuerwehr ruft. ({9}) Helfen Sie mit, daß wir auch da, wo wir Ihre Zustimmung brauchen, die Reformen voranbringen können. Erst den Karren umschmeißen und sich dann ans Steuer setzen wollen - das gelingt nicht. ({10}) Das ist kein Elchtest - um auf Ihren Zwischenruf einzugehen -, sondern da sitzt dann schon der Elch selbst am Steuer. ({11}) Wenn ich mir einmal anschaue, welchen Wettlauf man um die Mehrwertsteuererhöhung veranstaltet: Lafontaine - Sie können das ja dann klarstellen - ist für 2 Prozent Mehrwertsteuererhöhung plus Mineralölsteuererhöhung; Schröder ist für 2 Prozent ohne Mineralölsteuererhöhung, Beck spricht von 3 Prozent plus Luxussteuer. Ich vermute, das sagt er in allererster Linie auch deswegen, weil er mitbekommen hat, daß Herr Schröder jetzt Rolls-Royce kaufen will. Ihm möchte er in die Suppe spucken, wenn er, Havanna rauchend, im Rolls-Royce herumfährt. ({12}) Darauf sagt Herr Beck: Wenn schon, dann Luxussteuer. ({13}) Die SPD - das müssen Sie sich sagen lassen - verfolgt seit vielen Jahren eine Politik der Blockade, der Verzögerung, der Verwässerung, und alles mit erheblichen negativen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte und auf unser Sozialsystem. ({14}) Die Verzögerung bei der Sozialhilfereform, der lange Widerstand gegen die Absenkung der Leistungen, wie wir sie dann im Asylbewerberleistungsgesetz festgeschrieben haben, die jahrelange Verweigerung, überhaupt unser Asylrecht zu ändern - dadurch ist sehr viel Mißbrauch ermöglicht worden; dadurch sind viele Menschen in unser Land gekommen, die eigentlich nicht hierhergehören -, ({15}) das Nein der SPD zur Gesundheitsreform - es war ein harter Kampf von Horst Seehofer, der dann schließlich ein Gesetz gestrickt hat, das nicht auf Ihre Zustimmung angewiesen ist -: Das wäre alles viel leichter und viel besser gegangen, wenn Sie sich nicht ideologisch verweigert hätten. Wenn wir dem gefährlichen Strudel aus steigender Arbeitslosigkeit, niedrigeren Staatseinnahmen, höheren Abgabesätzen und noch höherer Arbeitslosigkeit endlich entkommen wollen, dann muß die SPD da, wo sie vom Wähler die Verantwortung zugewiesen bekommen hat, ja sagen. Das ist im Bundesrat, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich verlange von Ihnen gar nicht, daß Sie hier im Bundestag ja sagen; das ist sehr schwierig für Sie. Ich bin einmal gespannt, was heute zum Beispiel die Jäger-politische Sprecherin der SPD, Frau Matthäus-Maier, alles ablassen wird, wenn es um moderne Technologie geht. ({16}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen ein Ja zur Steuerreform, wir brauchen ein Ja zur Rentenreform, vor allen Dingen brauchen wir ein Ja zur Politik für Arbeitsplätze in Deutschland. ({17}) Die Politik der SPD beschädigt nicht nur Deutschland, sondern trifft auch, Herr Lafontaine, Ihr eigenes Land. ({18}) Sie trifft auch Niedersachsen. Das Wegbrechen der Steuereinnahmen trifft mit 43,5 Prozent auch die SPD-regierten Länder. ({19}) - Das stimmt. Ich darf Herrn Matthiesen zitieren, der gesagt hat: „Es geht jetzt darum, dem Land einen Dienst zu erweisen, nicht dem Parteivorsitzenden." Recht hat er. ({20}) Man kann den Bürgerinnen und Bürgern nicht oft genug vor Augen führen, wie sehr der saarländische Ministerpräsident sein Land unverdient heruntergewirtschaftet hat. ({21}) - Sie können das alles richtigstellen. Bei der Wachstumsdynamik bildet das Saarland unter den westdeutschen Bundesländern das absolute Schlußlicht. Es schneidet bezeichnenderweise noch schlechter ab als das Land des automobilpolitischen Sprechers der SPD, Gerhard Schröder. ({22}) Oskar Lafontaine hat für das Saarland trotz milliardenschwerer Bundeshilfen die höchste Pro-Kopf -Verschuldung und die geringste Investitionsquote der deutschen Flächenländer zu verantworten. ({23}) - Sie hören das anscheinend ungern; ich werde trotzdem fortfahren. - Dafür gönnt sich die SPD im Saarland die höchsten Personalausgaben aller Flächenländer. Wenn ich richtig informiert bin, ist noch immer ein Starkoch in Ihrer Landesvertretung hier in Bonn tätig. Leidtragende dieser Politik sind die Menschen im Saarland und wegen der vorhin angesprochenen Länderfinanzausgleichsmechanismen die Steuerzahler in ganz Deutschland. Ich zitiere eine Hamburger Zeitschrift, die nicht in Verdacht steht, CSU-Politik zu kreieren. Der „Stern" schreibt am 28. Mai, die Lafontainesche Wirtschaftspolitik sei rückwärtsgerichtet, den Bergleuten werde nicht die Wahrheit gesagt; die heimische Wirtschaft werde vom Ministerpräsidenten vernachlässigt. Hier heißt es: Die saarländischen Unternehmer erlebten den Mann an der Spitze der Landesregierung als Zauderer und Zögerer, meist allerdings gar nicht: „Lafontaine ist nicht da". ({24}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, normalerweise ist es ein freudiges Ereignis, wenn jemand einen Oscar verliehen bekommt. ({25}) Für das Saarland aber war das ein tragisches Ereignis. ({26}) Ich habe unlängst gelernt, daß die Menschen im Saarland den Oskar gerne weiterreichen würden ({27}) aber bitte nicht hierher als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Wir werden im September nächsten Jahres wählen. Wir werden sehen, wie die Wahl ausgeht. Ich bin da sehr optimistisch; denn die Menschen werden Leistungen beurteilen und nicht Sprüche. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Theo Waigel, der die deutsche Einheit finanziert hat, ({28}) ohne daß dabei die D-Mark schwach geworden ist. Wir haben die größte Herausforderung der Weltgeschichte, die es finanziell gegeben hat, nämlich die Finanzierung dieser Vereinigung, ausgezeichnet bewältigt. Wir werden diese Aufgabe auch in Zukunft bewältigen. ({29}) Ich glaube, ich muß hier ein klein wenig Geschichtsunterricht geben. ({30}) - Jetzt hören Sie doch einmal zu! Sechs Finanzminister sind in der Zeit der sozialliberalen Koalition verschlissen worden, in einer Zeit, als es in Deutschland ständig aufwärts ging, als wir Wachstumsraten hatten, von denen wir heute noch träumen. ({31}) - Sicher, die 70er Jahre waren eine andere Zeit. ({32}) - Jetzt hören Sie doch einmal zu. - Ich zähle nur kurz die Namen auf: Alex Möller, Karl Schiller, Helmut Schmidt, Hans Apel, Hans Matthöfer und ganz zum Schluß Manfred Lahnstein. ({33}) Das, was Ludwig Erhard gefordert hat - da gehe ich noch ein Stückchen weiter zurück -, ist in der heutigen Zeit notwendiger denn je, nämlich Disziplin und maßhalten. ({34}) Da möchte ich jetzt den Sachverständigenrat zitieren: Eine Wende am Arbeitsmarkt wird nur zu erreichen sein, wenn in der Lohnpolitik an dem eingeschlagenen beschäftigungsfreundlichen Kurs festgehalten wird. Die unabhängige Deutsche Bundesbank weist darauf hin, daß es zum Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland einer moderaten Lohnpolitik über mehrere Jahre bedarf. Jetzt komme ich zu Hans Apel, der sagt: Dank der zurückhaltenden Lohnpolitik hat unser Land seine internationale Wettbewerbsfähigkeit wieder deutlich verbessert. Unsere Exporterfolge sind dafür ein deutliches Zeichen. Herr Ministerpräsident Lafontaine, Sie greifen zum Mittel der Aufwiegelung. ({35}) Sie wiegeln die Gewerkschaften auf, die moderate Lohnpolitik zu beenden und wieder kräftiger zuzulangen. Ihr Motto „Löhne rauf und Arbeitslosigkeit runter" ist nichts als populistisches Gerede. Die Theorie der Kaufkraft der Löhne funktioniert schlichtweg nicht. Lassen Sie mich ein kleines Rechenbeispiel bringen: Von 100 DM Lohnzuwachs erreichen nur 40 DM als zusätzlicher Konsum den deutschen Markt. ({36}) Die Konsumnachfrage geht längst nicht mehr nur in deutsche Güter und Dienstleistungen. Heute steht in den Zeitungen, daß die Summe, die die Deutschen für Auslandsreisen ausgegeben haben, von 70 auf 75 Milliarden DM angestiegen ist, das heißt, daß die Nachfragetheorie auf tönernen Füßen steht. Wenn ich jetzt diese Rechnung mit den 100 DM fortsetze: Dem geringen Nachfrageimpuls steht aber eine um 120 DM höhere Kostenbelastung für die Wirtschaft gegenüber, da zur Lohnerhöhung noch die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung hinzukommen. Diese Erfahrung zeigt, daß zu hohe Lohnkosten zu noch weiterer Rationalisierung und zu noch mehr Arbeitslosen führen. ({37}) Vielleicht darf ich hier einmal jemanden ganz neu als Zeugen zitieren, den Herr Scharping entlassen hat und den Sie, Herr Lafontaine, wenn ich das recht sehe, wieder zum wirtschaftspolitischen Sprecher ernannt haben. Der Mann heißt Gerhard Schröder. Er wird heute in der „Süddeutschen Zeitung" zitiert: ({38}) Zugleich warnt er sein Publikum vor ideologischen Irrwegen. „Steigern werden wir die Löhne nicht mehr können - wer anderes sagt, hat keine Ahnung oder lügt. " ({39}) Sie können sich jetzt aussuchen, Herr Lafontaine, ob Sie als Lügner oder als Ahnungsloser bezeichnet worden sind. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Antwort. Ich halte Sie für ahnungslos; denn wenn ich mir die Kette wirtschaftspolitisch gefährlicher Irrtümer der SPD ansehe, dann kann das gar nicht so böswillig sein. ({40}) - Das habe ich nicht gesagt. Aber ich möchte Ihnen Ihre Forderung vorhalten, Herr Lafontaine. Sie haben gefordert, daß man in der Wirtschafts- und Finanzpolitik weniger auf Preisstabilität setzen solle. Das heißt auch, daß die geplante europäische Gemeinschaftswährung nach Ihrem Willen als Instrument der Beschäftigungspolitik einzusetzen sei. Mit anderen Worten heißt das dann: Die SPD will keinen starken, sondern sie will einen schwachen Euro, weil die SPD die europäische Wettbewerbsposition dann über die Notenpresse verbessern möchte. Wir setzen auf Stabilität und nicht auf Inflation. ({41}) Jedem, der mit der Preisstabilität Experimente machen will, dem sei gesagt: Mit mehr Inflation zu höherer Beschäftigung kommen zu wollen, das hat schon Helmut Schmidt in den 70er Jahren erfolglos versucht. Deswegen ist die Politik der Preisstabilität die richtige Politik. 1 Prozent mehr Inflation bringt für Konten- und Lebensversicherungssparer jährlich einen Vermögensverlust von 50 Milliarden DM, also nicht den großen Grund- und Aktienbesitzern, sondern den kleinen Sparern und den Arbeitnehmern. Ende Oktober hat der SPD-Parteivorsitzende - ich hoffe, Sie haben es gelesen, Herr Lafontaine - in einem Grundsatzpapier zur Wirtschafts- und Finanzpolitik eine neue „Aufgeschlossenheit" gegenüber dem technischen Fortschritt gefordert, wie er es genannt hat. Ich kann da nur sagen: Die Papiere lese ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Ich bin gespannt, wie heute die Entscheidung der SPD zum Hochtechnologieprojekt Eurofighter ausfällt. ({42}) Hier geht es auf die Dauer auch um die Kompetenz Deutschlands in der Luft- und Raumfahrttechnik. ({43}) Ich erwarte ja nicht, daß alle zustimmen. Aber ein Startverbot für die jägerpolitische Sprecherin wäre wirklich eine Erleichterung der Debatte. ({44}) Selbst wenn Sie Ihre Genossen überzeugen könnten, selbst wenn es in der SPD hinsichtlich des technischen Fortschritts Konsens gäbe, frage ich Sie: Mit wem wollen Sie das alles verwirklichen? ({45}) Wenn man Ihren Wunschkoalitionspartner, nämlich die Grünen - ich komme zu Ihnen, Herr Fischer -, ({46}) einmal betrachtet und sich vor Augen führt, worüber sie am Parteitag diskutiert und was sie alles beschlossen haben, dann frage ich mich: Wie will man damit eine solche Politik umsetzen? Die Grünen wollen einen Benzinpreis von 4,30 DM ohne Rücksicht auf die Menschen im ländlichen Raum. ({47}) Man schert sich nicht darum, daß jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland vom Automobil abhängt. Es sind immerhin 5 Millionen Arbeitsplätze, die damit zusammenhängen. ({48}) Wenn ich es richtig verstanden habe, fordern die Grünen zum Beispiel ein Verbot von PVC. Davon sind 100 000 Arbeitsplätze betroffen. Die Grünen halten die Gentechnologie für unverantwortbar. Davon sind mit steigender Tendenz im Moment 40 000 Arbeitsplätze betroffen. Die Grünen wollen aus der Kernenergie aussteigen. ({49}) Wenn dann der Strom aus Frankreich, aus Kernkraftwerken im liberalisierten europäischen Strommarkt, kommt, dann stehen wieder 40 000 Arbeitsplätze im Bereich der Hochtechnologie auf Ihrer Abschußliste. Wenn wir auf den preisgünstigeren Kernkraftstrom ganz verzichten würden, ({50}) dann stünden 2 Millionen Arbeitsplätze, nämlich in den energieintensiven Bereichen auf der Abschußliste. ({51}) Auf Garzweiler in Nordrhein-Westfalen muß ich nicht hinweisen. Allerdings der abenteuerlichste Beschluß der Grünen auf ihrem Parteitag - das muß ich hier doch noch erwähnen ({52}) ist die Forderung nach einer sozialen Grundsicherung aus der Staatskasse. ({53}) Das würde bedeuten, daß eine fünfköpfige Familie monatlich über 4100 DM netto erhalten würde, ohne daß jemals gearbeitet worden ist - und das, egal, ob Deutsche oder Ausländer. Ihre Politik ist eine Politik der Wirklichkeitsverweigerung. Was Sie propagieren, ist der Einstieg in den Faulenzerstaat. Denn wer soll denn dann am Schluß noch arbeiten, wenn man nicht zu arbeiten braucht, um für sein Leben und sein Alter selber zu sorgen? ({54}) Jeder fleißige Arbeitnehmer und jede fleißige Arbeitnehmerin in Deutschland müßte sich fragen, was das soll. ({55}) Herr Lafontaine. Vielleicht sagen Sie uns anschließend, wie Sie gemeinsam mit dieser Partei verantwortungsvolle Politik für Deutschland machen wollen. Wir haben zur Zeit in Deutschland fünf rotgrüne Regierungsbündnisse. ({56}) In Sachsen-Anhalt gibt es sogar ein Regierungsbündnis mit Unterstützung der kommunistischen PDS. Wer Geschmack auf mehr hat, der muß wissen, wie rotgrüne Politik aussieht. ({57}) Deswegen werden wir nicht müde, darauf hinzuweisen, was die Folgen dieser Politik bringen würden. Rotgrün in Sachsen-Anhalt und Hessen kürzt drastisch die Stellen in den Landesämtern für Verfassungsschutz, die für die Abwehr von Terror und Extremismus zuständig sind. Wir haben ja inzwischen ganz stark mit dem Phänomen des Rechtsextremismus zu kämpfen. Statt Kriminalität rigoros zu bekämpfen, überwacht jetzt Rotgrün in Hamburg die Ermittlungsbehörden und sät damit Mißtrauen gegenüber dem Polizeiapparat. In Hessen sollen Richter und Staatsanwälte Anklagen vermeiden, angeblich um Kosten zu sparen. Die eingesparten Gelder fließen dann in mehr Komfort im Strafvollzug, in mit modernen Hallenbädern ausgestattete Gefängnisse. ({58}) Sogenannte Bagatelldelikte wie Ladendiebstahl sollen nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden. Das bedeutet Geringschätzung von Recht und Ordnung. Die Freigabe sogenannter weicher Drogen steht auf der Tagesordnung aller rotgrünen Landesregierungen. Rotgrüne Landesregierungen schieben generell weniger straffällige Asylbewerber in ihre Heimat ab als andere Bundesländer. ({59}) - Ich weiß gar nicht, warum Sie das nicht hören wollen. Ich habe geglaubt, Sie seien stolz auf Ihre Leistungen. Jetzt wollen Sie diese Leistungen auch noch vor dem deutschen Volk verstecken. ({60}) In Hessen wurden die Naturschutzbestimmungen von Rotgrün derart verschärft, daß nicht nur die Bauern, sondern jetzt schon jeder Gartenbesitzer bei Eingriffen in die Natur, wenn er zum Beispiel einen Strauch schneidet, Genehmigungen einholen muß. ({61}) Das alles beweist: Mit der Politik von Rot und Grün ist keine Politik für Arbeitsplätze in Deutschland möglich. Wer mit den Grünen koalieren will, der erteilt sicheren Arbeitsplätzen eine Absage. ({62}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPD als ehemals - leider - ({63}) - Ich will nicht wiederholen, was von eurer Seite über die Lehrer gesagt worden ist. Ich bin nicht dieser Meinung. Ich möchte aber trotz Ihrer Zwischenrufe den Satz zu Ende führen. Die SPD als ehemals traditionsreiche Arbeitnehmerpartei darf sich weder als Opposition im Bundestag und noch weniger mit ihrer Stimmenmehrheit im Bundesrat ihrer Verantwortung versagen. Deswegen appelliere ich an Sie: ({64}) - Was haben Sie denn? Ich kann auch noch warten, bis Sie mit Ihren Zwischenrufen fertig sind. Nehmen Sie das auf, was gestern Theo Waigel gesagt hat! ({65}) Versagen Sie nicht länger Gespräche über die Steuer- und Rentenreform! Kehren Sie an den Verhandlungstisch zurück! Ihre Rechnung, durch Verweigerung und Blockade an die Macht zu kommen, wird nicht aufgehen. Das wäre zum Schaden Deutschlands. ({66}) Es wäre zum Schaden der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; ({67}) es ginge zu Lasten der Arbeitsuchenden und vor allen Dingen auch zu Lasten unserer älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger, die dauerhaft gesicherte Renten wollen und auch einen Anspruch darauf haben. Es wäre vor allen Dingen im Interesse der jungen Menschen in unserem Land, die nach sicheren Zukunftsperspektiven suchen. ({68}) Die Studentendemonstrationen richten sich weniger gegen aktuelle finanzielle Kürzungen, sondern sie sind auch aus der Angst geboren, daß man möglicherweise vor verschlossenen Türen steht, wenn man sein Studium beendet hat. Das ist nicht unsere Politik. ({69}) Wir bekämpfen diese Politik der Verweigerung und fordern Sie deshalb auf: Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr! Ich bedanke mich. ({70})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat der Abgeordnete Joschka Fischer.

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist erstaunlich, zu welchen Reden der Kanzleretat führen kann. Herr Glos, Sie scheinen - wenn ich Ihre Rede richtig verfolgt habe - die rentenpolitische Debatte um die Niveauabsenkung gründlich mißverstanden zu haben. ({0}) Die Lage in diesem Land ist, auch wenn die Politik des Bundeskanzlers und seines Kabinetts in der Spätphase in der Tat eine realsatirische Konkurrenz zum Kabarett abgibt, alles andere als heiter und lädt auch nicht zu närrischen Beiträgen ein. ({1}) Wenn ich Michael Glos richtig verstanden habe, hat er seine Hilflosigkeit und seine Angst vor dem Machtverlust, der auf diese Regierung zukommt, zum Ausdruck gebracht. ({2}) Es ist der letzte Haushalt von Theo Waigel, Herr Kollege Glos. Das haben Sie in Ihrer Weihrauchorgie, die Sie zum besten gegeben haben, zu würdigen vergessen. ({3}) Theo Waigel hat auf jeden Fall erklärt, er werde nicht mehr Finanzminister. Für ihn ist mit diesem Haushalt definitiv Schluß. ({4}) Man hört und liest zur Zeit, daß selbst die Haushälter der Koalition diesen Haushalt als Wundertüte bezeichnen: Man weiß nicht, was herauskommt, vor allem an negativen Wundern. Wir finden eine haushaltspolitische Trümmerlandschaft vor, das ist der Haushalt 1998, und das dicke Ende kommt mit dem Haushalt 1999. Wer die letzte Rede des Finanzministers mit seinen früheren Reden in dieser Legislaturperiode vergleicht, stellt einen erstaunlichen Wechsel nicht nur in der Rhetorik, sondern auch in der Begründung fest. Von Konsolidierung ist keine Rede mehr, sondern es geht nur noch darum, wie man sich mit Finanzierungstricks und Konkursverschleppung über die Runden rettet. Wenn Sie das als privater Unternehmer machen würden, Herr Bundesfinanzminister, was Sie sich in den letzten zwei Jahren, vor allen Dingen im letzten Jahr, geleistet haben, dann wären Sie vermutlich ein Fall für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und nicht für Weihrauchschwenken, wie es gerade Michael Glos gemacht hat. ({5}) Herr Bundeskanzler, es ist Ihr Haushalt. Sie tragen die Verantwortung für diese Politik. Ich muß mich gar nicht auf Reden der Opposition beziehen; das Jahresgutachten 1997/98 Ihres Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - es ist nur wenige Wochen alt - war nicht nur eine Ohrfeige, waren nicht nur zehn Ohrfeigen, sondern das war ein Faustschlag auf die Kinnspitze dieser Koalition. Ich will länger aus diesem Gutachten vorlesen, weil ich annehme, Herr Kohl, daß Sie solche negativen Botschaften gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen, weil sie so unangenehm sind. ({6}) Dort steht auf Seite 12 - hören Sie gut zu, Herr Glos; da können Sie etwas lernen, und bei Ihnen ist der Lernbedarf groß, wie wir gerade gehört haben -: ({7}) „Die Glaubwürdigkeit der Finanzpolitik wiedergewinnen". Das schreiben Ihre Sachverständigen, durchweg konservative Ökonomen, meine Damen und Herren. Ich zitiere: Die Finanzpolitik trägt große Verantwortung für die ungünstigen Angebotsbedingungen in Deutschland. Verantworten tun dies die Herren Kohl und Waigel, füge ich hinzu. Sowohl über die Einnahmenseite - weil die Steuer- und Abgabenlast seit längerem auf hohem Niveau verharrt - als auch über die Ausgabenseite - insbesondere weil die wichtigen Aufgaben in der Infrastruktur sowie bei Bildung und Wissenschaft zunehmend schlechter erfüllt werden - verantwortet der Staat Belastungen für Investoren und Konsumenten. Die Hoffnung auf eine baldige und grundlegende Besserung erscheint derzeit kaum begründet ... Die Angebotsbedingungen werden allerdings nicht nur direkt über die Einnahmen- und Ausgabenpolitik des Staates belastet, sondern auch dadurch, daß die Finanzpolitik mit ihrem Handeln tiefsitzende Vertrauensschäden verursacht hat: Joseph Fischer ({8}) Als notwendig erkannte und versprochene Maßnahmen wurden nicht umgesetzt; schon beschlossene Änderungen wurden wieder zurückgenommen oder substantiell verwässert; an einer Stelle des Steuersystems wurden Änderungen beschlossen, die in ihrer Wirkung die anderer, mehr oder weniger zeitgleich umgesetzter steuerpolitischer Maßnahmen konterkarierten; entgegen dem wiederholt vorgetragenen Grundsatz, steuerliche Sonderregelungen abbauen zu wollen, wurden neue Steuerprivilegien gewährt; für absehbare Belastungen in den Haushalten wurden keine entsprechenden Vorkehrungen getroffen; es wurde zu Maßnahmen Zuflucht gesucht, die erkennbar allenfalls temporär den Konsolidierungsdruck mindern; mit Blick auf das finanzpolitische Kriterium des Vertrages von Maastricht wurde sogar ein Konflikt um die Unabhängigkeit der Bundesbank in Kauf genommen. Ich fahre fort, weil es so schön ist: Die Misere der öffentlichen Finanzen - so die Sachverständigen kommt in ihrer ganzen Schärfe darin zum Ausdruck, daß der Bundesminister der Finanzen in diesem Jahr angesichts deutlich schwächer als erwartet ausfallender Steuereinnahmen und zusätzlicher Belastungen durch die höhere Arbeitslosigkeit den Ausweg nur in einer größeren Verschuldung sah. Da die Kreditaufnahme die Summe der im Haushalt veranschlagten Investitionsausgaben überstieg, mußte die Ausnahmeregelung des Artikel 115 Absatz 1 GG ... in Anspruch genommen werden ... Die Zukunft wird nicht nur durch die Tilgungs- und Zinsverpflichtungen für den übernommenen Schuldenstand belastet, sondern auch - jetzt hören Sie gut zu, Herr Bundesfinanzminister, Herr Bundeskanzler durch Tilgungsstreckungen, Forderungsverkäufe und die Verwendung von Privatisierungserlösen für den laufenden Haushalt. So ist beabsichtigt, die Tilgung der aus der deutschen Vereinigung resultierenden Schulden des Erblastentilgungsfonds ebenso wie die Tilgung für die von den deutschen Bahnen in das Bundeseisenbahnvermögen übernommenen Schulden im Vergleich zu den festgelegten Bedingungen zu strecken; die Erlöse aus dem Verkauf der Aktienanteile des Bundes an den Nachfolgeunternehmen der Post sollen nicht, zumindest nicht vollständig - wie gesetzlich vorgesehen - zur Finanzierung der Versorgungsansprüche der Postbeamten verwendet werden; Forderungen aus dem früheren Verkauf von Liegenschaften sollen veräußert werden. Alle diese Maßnahmen - das ist die Conclusio der Sachverständigen erhöhen zwar heute den finanzpolitischen Spielraum, sie beschränken ihn aber in der Zukunft; Probleme werden so nur zeitlich verlagert, nicht aber gelöst. ({9}) Hier haben Sie es von Ihren eigenen Sachverständigen schwarz auf weiß: Sie betreiben keine Konsolidierungspolitik der öffentlichen Finanzen, sondern mit Bilanzierungstricks, mit Konkursverschleppung vertagen Sie die Probleme auf die kommenden Haushalte. Ich kann Rudolf Scharping nur zustimmen, wenn er sagt: nach Ihnen die Sintflut. Das ist in der Tat Ihre Politik, die Sie mit dem Haushalt 1998 hier zu Protokoll gegeben haben. Meine Damen und Herren, wir stehen vor einer Situation, in der dieses Land ein Maximum an Handlungsfähigkeit bräuchte, diese Koalition aber in völligem Immobilismus verharrt. Es ist in der Tat nicht zum Lachen, sondern zum Weinen, wenn man sich anschaut, wie auf der einen Seite Theo Waigel in einem Sommertheater die Notwendigkeit einer Kabinettsumbildung fordert und wie auf der anderen Seite die Realität des Handelns in bezug auf die Kabinettsumbildung aussieht. Erinnern wir uns doch nur einmal einen Augenblick zurück: Da kreißte in diesem Sommer ja nicht nur ein Berg, sondern die bayerischen Alpen gerieten regelrecht in Aufruhr. Das Kabinett sollte umgebildet werden. Nachdem die bayerischen Alpen wieder zur Ruhe gekommen waren, schritten Helmut Kohl und Theo Waigel zur Tat, und es kreißte nicht nur ein Berg, sondern, wie gesagt, die Alpen dröhnten nachgerade. Heraus aber kam nicht einmal eine Maus, sondern ein neuer Bundesbauminister. Kollege Oswald, ich kann Sie dafür, daß Sie diese wenigen Monate noch ins Amt gehen, nur meines allergrößten Mitleids versichern. Das ist tapfer, aber es wird vergeblich sein. ({10}) Theo Waigel hat hier auf ein neues Gesicht gesetzt - immerhin. Helmut Kohl hätte diese Kabinettsumbildung gern ganz anders gehabt - typisch Kohl: ein Maximum an Reform bei einem Minimum an Bewegung. ({11}) Der Bundespostminister Bötsch hätte als Bundespostminister aus dem Kabinett ausscheiden sollen. Dann wäre der Bundeskanzler, der große Reformer, gekommen, und, Simsalabim, das Kabinett wäre umgebildet worden, indem Bötsch in Gestalt des Wohnungsbauministers wieder erschienen wäre. ({12}) Dieses Verhalten in einer Situation, in der in der Tat - die Sachverständigen haben es Ihnen Marge-macht - ein Maximum an gesellschaftlichen Reformen erforderlich ist und ein Maximum an Veränderungs- und Handlungsbedarf besteht, zeigt, wie ernst Sie es mit Ihren eigenen Ansprüchen meinen. Joseph Fischer ({13}) Herr Bundeskanzler, Sie sind Historiker. ({14}) Ich habe mir gedacht, schauen wir - jetzt, am Ende Ihrer Ära - doch mal, was Helmut Kohl ganz zu Beginn, in seiner ersten Regierungserklärung, formuliert hat. Versuchen wir doch mal, sozusagen in einer vergleichenden historischen Forschung ({15}) abzugleichen, was der junge Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl damals kritisiert, an Problemen erkannt und an Lösungen versprochen hat. Schauen wir uns einmal seine erste Regierungserklärung an. Was wir da lesen, ist hochinteressant, wenn wir es auf die jetzige Schlußphase beziehen; ({16}) denn wir werden feststellen: Die Probleme sind nahezu dieselben geblieben; aber sie haben sich quantitativ wesentlich verstärkt, und das nach 15, 16 Jahren Helmut Kohl. ({17}) In Ihrer Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982 - lange ist es her ({18}) stellten Sie die Frage, die ich heute auch stellen will: Wie ist die Lage der Bundesrepublik Deutschland? ({19}) Wir erleben - so Helmut Kohl zur Zeit eine Arbeitslosigkeit, die schlimmer ist als jene in den Jahren des Wiederaufbaus. ({20}) Fast jeder vierzehnte Erwerbstätige in der Bundesrepublik ist arbeitslos. Im Winter können fast 2,5 Millionen Menschen arbeitslos sein. Ihr Herr Rexrodt kündigt gegenwärtig 5 Millionen an. Noch mehr Mitbürger bangen um ihren Arbeitsplatz... . Eine schlichte Verdoppelung haben Sie in Ihrer Regierungszeit hingelegt, Herr Bundeskanzler, nicht eine Halbierung. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat es so viele Firmenzusammenbrüche gegeben wie in diesem Jahr, und noch nie sind so viele selbständige Existenzen vernichtet worden... Helmut Kohl spricht von 1982 und nicht von 1997, meine Damen und Herren. Wir haben heute - nach 15 Jahren Helmut Kohl - eine einmalig hohe Zahl von Firmenzusammenbrüchen, einen einmaligen Pleitenrekord in der Bundesrepublik Deutschland. Was das Schlimmste ist: - so Helmut Kohl weiter Fast 200 000 Jugendliche sind arbeitslos. Wie viele sind es heute, Herr Bundeskanzler? ({21}) Mehr als doppelt so viele. Viele finden keinen Ausbildungsplatz und sind damit nicht nur ohne Arbeit, sondern auch ohne Chance, sich beruflich zu qualifizieren. ... Während in normalen Wirtschaftsjahren die Investitionsquote bei 24 % des Bruttosozialprodukts lag, sind wir heute bei weniger als 21 % angelangt. Gleichzeitig erhöhten sich die Abgabebelastungen so sehr, daß heute ein Facharbeiter in der Bundesrepublik von jeder zusätzlich verdienten Mark rund 60 Pfennig an öffentliche Kassen abliefern muß. Aber, meine Damen und Herren, auch dies reichte nicht aus; der Staat hat sich dennoch in höherem Maße verschuldet. So - und das weiß jeder - kann kein Wachstum entstehen. So sprach Helmut Kohl 1982. Nun beziehen Sie das einmal auf die Lage heute! ({22}) Schauen Sie sich einmal die Abgabenlast an, die heute ein Arbeitnehmer hat. Nehmen Sie einmal die Investitionsquote. Nach dem Jahresgutachten des Sachverständigenrats auf Seite 72 - in der Rechnung der Sachverständigen bezieht sich die Relation auf das Bruttoinlandsprodukt - betrug die Investitionsquote in den Jahren 1980 bis 1984 7,9 Prozent. Heute, 1997, liegen wir darunter, nämlich bei 7,6 Prozent, meine Damen und Herren. Das alles haben Sie damals kritisiert. Sie hatten 15 Jahre Zeit, die Dinge zu ändern. Sie haben es nicht getan. Fahren wir mit Helmut Kohl fort: Wo soll Zuversicht herkommen, wenn diese Probleme noch verstärkt werden durch einen nun ebenfalls im zweiten Jahr erlebten - nun hören Sie gut zu; das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen realen Einkommensverlust von Arbeitnehmern und Unternehmern? Wir liegen heute bei den Reallöhnen auf dem Stand von 1989, Herr Bundeskanzler; das wissen Sie so gut wie ich. ({23}) - Doch, doch, das weiß er. Er ignoriert es nur. Unwissen unterstelle ich unserem Bundeskanzler nun wirklich nicht. Den Gefallen sollten wir ihm nicht tun. Joseph Fischer ({24}) Die Eigenkapitalquote der deutschen Wirtschaft, die vor zehn Jahren bei rund 26 % lag, ist inzwischen unter 21 % abgesunken, ... 1997 liegt sie bei 18 Prozent und sektoral sogar darunter. Das ist das Ergebnis der Regierung Kohl. Ich könnte noch die Sozialversicherung anführen, die Sie beklagen. Sie sagten damals weiter: Die Neuverschuldung reicht kaum noch aus, um die jährliche Zinslast zu bezahlen. Mit einer Zinslast in Höhe von 88 Milliarden DM, die wir heute zu entrichten haben, liegen wir über der Neuverschuldung. Auch das ist eine einsame Spitzenleistung der Regierung Kohl. Sie sagten damals weiter: Wenn nicht rasch gehandelt wird - und das wäre eben bei sofortigen Neuwahlen nicht möglich gewesen -, würde die tatsächliche Haushaltslücke für 1983 allein beim Bund auf etwa 55 bis 60 Milliarden DM ansteigen. Heute - auf das Jahr 1997 bezogen - liegen wir über 70 Milliarden DM. Dann verzeichnet der Sitzungsbericht - das wollte ich noch loswerden -: „Zurufe von der SPD - Dr. Waigel ({25}): Da lachen die noch!" Meine Damen und Herren, ich habe das in dieser Ausführlichkeit einmal klargemacht, weil Bilanz über die Ara Kohl gezogen werden muß. Nun ignoriere ich nicht die Schwierigkeiten, Herr Bundeskanzler, die die deutsche Einheit mit sich gebracht hat. ({26}) Ich unterstelle Ihnen das überhaupt nicht. Das ist nicht mein Punkt; vielmehr ist die entscheidende Frage, was Sie aus der Chance der deutschen Einheit tatsächlich gemacht haben. ({27}) Haben Sie diese Chance genutzt? - Sie haben sie nicht genutzt! Sie haben geglaubt, mit einem Nachbau West wäre der Aufbau Ost möglich. Sie haben eben nicht erkannt, daß strukturelle Veränderungen, bedingt durch das Ende des kalten Krieges und die Globalisierung, für beide Teile Deutschlands notwendig wurden. Sie haben den Bürgern nicht die bitteren Wahrheiten der strukturellen Veränderungen klargemacht. Sie haben nicht darauf gesetzt, eine Steuerentlastungsreform zu machen, als das Geld noch da war; vielmehr haben Sie zu dieser Zeit auf „Weiter so!" gesetzt. Sie haben gesagt „keine Steuererhöhungen", als klar war, daß wir Steuererhöhungen brauchen. Sie haben Wahlen gewonnen, indem sie den Menschen erklärt haben, es gehe so weiter wie bisher. „Weiter so!" war Ihre Devise, und dieses „Weiter so!" hieß, den gesamtdeutschen Aufbauprozeß gegen die Wand zu fahren. - Das werfen wir Ihnen vor, und das ist das Ergebnis Ihrer Arbeit. ({28}) Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie doch zumindest dem Gutachten, das ich vorhin schon zitiert habe. Es ist eine für die Opposition vergnügliche und für das Land tieftraurige und deprimierende Lektüre. Ich empfehle Ihnen, auf den Seiten 231 und 232 folgendes nachzulesen. Ich lese Ihnen die Worte der Sachverständigen sogar vor: Die Wirtschaftspolitik unterlag zu Beginn der neunziger Jahre einer zweifachen Fehleinschätzung: Einerseits herrschte die Erwartung, die deutsche Vereinigung ließe sich wirtschaftlich einigermaßen reibungslos unter den Bedingungen der früheren Bundesrepublik bewältigen und eine grundsätzliche Revision der bestehenden Regelwerke in den Bereichen Besteuerung, staatliche Leistungserstellung, föderaler Finanzausgleich, soziale Sicherung, Arbeitsmarkt und Tarifverhandlungssystem sei nicht gefordert, zumindest nicht bald und nicht grundlegend. Andererseits täuschten die quantitativen Erfolge der achtziger Jahre bei der Rückführung der staatlichen Kreditaufnahme und der Verringerung der Arbeitslosigkeit gemeinsam mit den durch den Vereinigungsboom ausgelösten Entwicklungen bei den Steuereinnahmen und auf dem Arbeitsmarkt über die tatsächliche Problemlage hinweg. Diese Fehleinschätzungen haben dazu geführt, daß notwendige Anpassungen hinausgezögert oder gar verhindert wurden. Diese Fehleinschätzungen von Dr. Helmut Kohl hatten zur Konsequenz, daß wir heute, 1997, einen Stand erreicht haben, der weit hinter den von 1982, den Sie damals beklagt haben, weit hinter die damals von Ihnen kritisierte Realität zurückgefallen ist. ({29}) Wir brauchen dringend einen Neuanfang; damit können wir nicht warten. Sie wollen keine Neuwahlen; Sie haben mit Ihrer Mehrheit die Möglichkeit, das hinauszuschieben. Dennoch brauchen wir angesichts dramatischer Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, angesichts dramatisch wegbrechender Steuereinnahmen endlich Aktivität. Ich bin schon heilfroh, daß es in dieser Debatte bereits nicht mehr um die Nettoentlastung bei der großen Steuerreform gegangen ist. Herr Bundeskanzler, ich appelliere nachdrücklich noch einmal an Sie: Bewegen Sie sich endlich! Wir sind bereit zu einer Senkung von Spitzensteuersatz und Eingangssteuersatz entlang einer linear-progressiven Struktur. Wir sind zu einem Schließen der Steuerschlupflöcher bereit, was Sie schon längst hätten machen können. Wir sind bereit, hier das Notwendige zu tun und den Weg hierzu gemeinsam mit Ihnen zu gehen. Wenn wir nicht länger über eine Vergrößerung von Haushaltslöchern in Gestalt einer angeblichen Nettoentlastung diskutieren müssen, dann sind wir kompromißfähig und bereit, eine SteuJoseph Fischer ({30}) erreform zu vereinbaren, noch bevor die Bundestagswahlen stattgefunden haben. ({31}) Es liegt ausschließlich an Ihnen, Herr Bundeskanzler - ausschließlich. Ich appelliere noch einmal nachdrücklich an Sie: Bewegen Sie sich endlich bei diesem Punkt und auch in der Frage der Rentenreform. Ich bin mir sicher, die Sozialdemokraten werden - die Angebote liegen öffentlich genauso auf dem Tisch, Kollege Scharping hat es heute wiederholt - ({32}) - Indem Sie darüber hinweglärmen, können Sie doch nicht die Tatsache verdrängen, daß die Probleme hier allein an der Bundesregierung und an der F.D.P. liegen. ({33}) Ich weiß doch, daß die Union sofort bereit wäre, diesen Schritt zu gehen. Ich weiß doch, daß Sie den Quatsch mit der Soli-Senkung, den Sie schuldenfinanziert gemacht haben, nur gemacht haben, um der F.D.P. einen Gefallen zu tun, weil diese damit die Koalitionsfrage verbunden hat. Ich weiß, daß CDU und CSU sofort bereit wären, auf dieser Grundlage zu handeln, wenn sie durch die F.D.P. nicht ausgebremst würden. ({34}) Die F.D.P. möchte sich schlicht und einfach an dem letzten Haar, an dem sie hängt, nämlich an dem Ruf, die Steuersenkungspartei zu sein, festhalten; dadurch sieht sie die fünf Prozent erreichbar. Das ist der wahre Grund dafür, daß sich der Bundeskanzler nicht bewegt. Ich appelliere hier nochmals an alle: Wir sind so nah beieinander. Es gibt jenseits einer nicht möglichen, weil nicht finanzierbaren, Nettoentlastung wesentliche Übereinstimmung. Es darf doch nicht wahr sein, daß wir angesichts von 5 Millionen Arbeitslosen, die drohen, und weltwirtschaftlicher Herausforderungen - wir schauen uns mit Sorge die Entwicklung in Ostasien an und das, was auch hier in Europa auf uns zukommen kann - nicht handeln. Es darf doch nicht wahr sein, daß eine Partei, die - rein selbstverschuldet - um ihr Überleben kämpft, letztendlich den strukturellen Erneuerungsprozeß in diesem Lande weiter blockieren kann. ({35}) Herr Bundeskanzler, das gleiche gilt für die Rente. Bei der Rente haben wir ein doppeltes Problem. Das erste Problem ist die aktuell zu hohe Beitragslast. Das zweite Problem ist struktureller Art. Beide haben miteinander zu tun, aber nicht in unmittelbarer Art und Weise. Der Kollege Schäuble wird sicherlich gleich fragen, warum wir dem Rentenreformgesetz der Koalition nicht zustimmen. ({36}) Dazu sage ich Ihnen, Herr Kollege Schäuble: Die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1 Prozent, die Sie da veranschlagt haben, sollte nicht zur Abwehr der Beitragserhöhung auf 21 Prozent, sondern zur Gegenfinanzierung einer verbesserten Anrechnung von Kindererziehungszeiten dienen; mit dem Beitragssatz von 21 Prozent hat das nichts zu tun. Unsere Hauptkritik richtet sich gar nicht so sehr gegen die Absenkung des Rentenniveaus; da besteht ein Widerspruch zwischen uns und den Sozialdemokraten. Aber was Sie bei den Erwerbsunfähigkeitsrenten in diesem Bereich gemacht haben, bedeutet klar eine Privatisierung des Erwerbsunfähigkeitsrisikos zu Lasten der Erwerbsunfähigen. Das ist eine soziale Sauerei, die wir nicht mitmachen! Das ist für uns der entscheidende Punkt; damit das hier völlig klar ist. ({37}) Mich erstaunt, daß Ihr Arbeitnehmerflügel das mitgemacht hat. ({38}) Denn Ihre Maßnahmen in bezug auf die Erwerbsunfähigkeitsrenten bedeuten den ersten Schritt raus aus der solidarischen Rente und rein in die Privatisierung eines existentiellen Risikos. Herr Kollege Geißler, Sie wissen so gut wie ich, daß es sich dabei um den Abschied vom Grundgedanken der Solidarität handelt. Den machen wir so nicht mit; das ist mit uns nicht zu machen. ({39}) Der drohende Beitragssatz von 21 Prozent ist ein aktuelles Problem; er ist das Ergebnis einer falschen Finanzierung der deutschen Einheit. Anstatt die Steuern zu erhöhen, haben Sie die Abgaben, vor allen Dingen die Rentenversicherungsbeiträge und auch die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, erhöht. Sie haben die Lohnnebenkosten dramatisch nach oben explodieren lassen. Das wiederum führte in einem Verstärkungseffekt zu einem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit, weil Arbeit zu teuer war. Nicht unsere Nettolöhne liegen zu hoch, sondern unsere Bruttolöhne. Verantwortlich dafür ist der Kostenfaktor Kohl und Waigel und nicht der Kostenfaktor Gewerkschaften! Auch das muß man hier einmal klipp und klar sagen. ({40}) Schauen Sie sich doch einmal an, was die Menschen gegenwärtig erleben! Sie bekommen ein Weihnachtsgeld in Höhe von 10 000, 12 000 oder 13 000 DM brutto. Bei Steuerklasse I bleiben ihnen 5100 bis 5600 DM. Die Leute fragen sich: Wo sind wir Joseph Fischer ({41}) eigentlich? Sie freuen sich auf das Christkind und blicken Theo Waigel tief in die Augen. Das ist die Konsequenz. ({42}) Das ist doch Ihre Politik, meine Damen und Herren. Nein, hier könnten wir entlang dem Schäuble-Vorschlag sofort vorgehen. Eine Kombination aus Mehrwertsteuererhöhung und Mineralölsteuererhöhung wäre sofort machbar, um die Anhebung des Rentenversicherungsbeitrags auf 21 Prozent abzuwenden. Dazu sagt aber wiederum die CSU nein; das will sie als Automobil-Partei vor der Landtagswahl in Bayern nicht. Hier gibt es ebenfalls wieder eine Blockade im Regierungslager. Herr Bundeskanzler, auch hier fordere ich Sie auf: Bewegen Sie sich endlich! Es darf doch nicht wahr sein, daß wir einen weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen, nur weil Sie einen Gegenfinanzierungsvorschlag, den Ihr Fraktionsvorsitzender gemacht hat, nicht durchsetzen können. Steuern und die Stabilisierung der Rentenversicherungsbeiträge sind zwei Bereiche, in denen sofort gehandelt werden könnte, für die wir keine Neuwahlen brauchen und bei denen wir in der Sache - ich sage es nochmals - weitgehend einer Meinung sind. Wir wären sofort bereit, hier im Interesse des Gemeinwohls auch als Opposition Verantwortung wahrzunehmen und dies mitzutragen. Es muß aber von der Regierung gemacht werden. Es bleibt jedoch natürlich das strukturelle Problem. Das strukturelle Problem der Rentenkrise hängt unmittelbar an der Entwicklung des Arbeitsmarktes. Arbeitslosigkeit und Rentenkrise hängen direkt und unmittelbar zusammen. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, einige Entwicklungen - ({43}) - Daß ausgerechnet Sie, Herr Schäuble, den Zuruf machen „Bloß nicht sparen!", ausgerechnet Sie, der Spitzenverdienern 9 Milliarden einfach hinterhergeworfen hat durch die Abschaffung der Vermögensteuer! ({44}) Daß die Bürgerinnen und Bürger es damals nicht wahrgenommen haben, ärgert mich auch. Heute wird man oft angesprochen, wenn man erkannt wird: Was macht ihr da in Bonn? - Da sage ich immer: Warum habt ihr, als die 9 Milliarden gerade mal weggeworfen wurden, ({45}) nicht aufgeschrien? Wenn heute die Studenten demonstrieren, dann zeigt das doch, wohin Ihre Politik des billigen Staates tatsächlich führen kann! ({46}) Als Helmut Kohl die Regierung übernommen hat, lagen wir bei den Forschungsmitteln weltweit auf Platz zwei, heute sind wir auf Platz sechs zurückgefallen. Das ist eine weitere deprimierende Bilanz, die man erwähnen muß. Wenn ausgerechnet die F.D.P. glaubt, mit zusätzlich 40 Millionen - Sie können ruhig die 12,4 Millionen, die Sie zurückzahlen müssen, noch drauflegen, denn sie sind voll gedeckt -, auskommen zu können, dann sind das angesichts der Probleme, die wir im Hochschulbereich haben, Peanuts.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Herr Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schäuble?

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte den Satz noch zu Ende bringen. - Es sind angesichts dessen Peanuts. Wenn ausgerechnet diese Partei, die darauf setzt, den billigen Staat, den Nachtwächterstaat auch und gerade im sozialen Bereich durchzusetzen, wenn diese Partei, die darauf setzt, daß sich der Staat auch in diesem Bereich aus der Verantwortung zurückzieht, jetzt mit lächerlichen 40 Millionen kommt, dann kann ich Ihnen nur sagen: Das ist ein Schlag ins Gesicht der demonstrierenden Studenten. ({0}) Und die Studenten sollten bei einem achtgeben: Alle, die die Verantwortung dafür tragen, daß wir heute diese Misere haben, daß die strukturellen Probleme, und ich nehme da auch Landesregierungen nicht aus - ({1})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Darf ich fragen, ob Sie immer noch bei Ihrem Gedanken sind?

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Entschuldigen Sie, ich heiße nicht Guido Westerwelle, der sich hier hinstellt und sagt: Mein Name ist Hase, ich habe lange Ohren und ansonsten damit nichts zu tun, auch wenn wir 26 Jahre regieren! ({0}) So bin ich nicht, überhaupt nicht! Der entscheidende Punkt ist: Wir brauchen mehr Bildungsinvestitionen, und die müssen finanziert werden. Die Mittel werden Sie angesichts dessen, was Sie an Haushaltsplünderungen bereits gemacht haben, nicht über Einsparungen bekommen, sondern man muß den Menschen auch die Wahrheit zumuten, daß mehr Politik mehr Geld erfordert. Ich würde von Ihnen statt der Forderung nach Steuersenkungen gerne Vorschläge bezüglich einer Steuererhöhung für eine richtige Sache hören. Das würde mich mehr überzeugen als das, was ich von Ihnen gestern hier gehört habe.

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Jetzt gestatten Sie die Frage des Abgeordneten Dr. Schäuble?

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nachdem Sie sich, Herr Kollege Fischer, mit bemerkenswerter Geschwindigkeit vom Thema Sparen im Zusammenhang mit der Rentenstrukturreform entfernt haben, möchte ich Sie doch gern noch einmal fragen - das war mein Zwischenruf -, ob Sie bereit sind, einzusehen, daß man angesichts der demographischen Entwicklung - steigende Lebenserwartung, ein größerer Anteil von älteren Menschen in unserer Bevölkerung, was ja durchaus auch erfreulich ist - im Zuge des Sparens in der Rentenversicherung und der Rentenstrukturreform letzten Endes nicht darum herumkommt, den Anstieg der Ausgaben in der Rentenversicherung zu bremsen. Dazu haben Sie nämlich bisher kein Wort gesagt. ({0})

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bedanke mich für die Zwischenfrage. Ich will Ihnen dann noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Ja, wir werden nicht darum herumkommen. Ich habe vorhin auch gesagt: Wir sehen dies anders als die Sozialdemokratische Partei. ({0}) Ich gehe sogar noch weiter, Kollege Schäuble: Ich glaube, daß ein neuer Generationenvertrag - ein solidarischer Generationenvertrag ist der Kern unseres Sozialstaatsverständnisses; das darf man nie vergessen - auch eine Neuverteilung der Lasten zwischen den Generationen bringen muß. Das wird vor allem meine Generation, unsere Generation betreffen. Das heißt aber im Klartext, den Rentnerinnen und Rentnern von morgen schon zu sagen, daß die Dinge noch enger werden. Ich bin nicht für den Systemwechsel, ich bin für die Beibehaltung der solidarischen, beitragsfinanzierten Rente. Aber sie wird zu gering werden, um das Altersarmutsrisiko für weite Teile meiner Generation und die folgenden Generationen abzuwehren. Deswegen brauchen wir bei allen Sparanstrengungen eine zweite Säule der Finanzierung. Auch Helmut Kohl hat schon 1982 die Frage der Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Kapitalvermögen angesprochen. Seit 1982 ist aber nichts geschehen. Wir brauchen neben der beitragsfinanzierten, solidarischen Rente gleichzeitig eine zweite Säule, die verhindert, daß unsere Generation und die folgenden Generationen eben nicht in das Risiko Altersarmut hineinlauf en. ({1}) - Sie können weiterfragen. Bitte.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Fischer, nachdem Sie eben gesagt haben, Sie seien nicht für den Systemwechsel in der Rentenversicherung, möchte ich Sie fragen: Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie von dem Beschluß Ihrer Partei, der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zur Grundsicherung, der auf der 9. Ordentlichen Bundesversammlung vom 14. bis 16. November in der Stadthalle in Kassel gefaßt wurde, ebensowenig halten wie ich? ({0})

Joseph Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000552, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Schäuble, jetzt bin ich aber von Ihnen enttäuscht. ({0}) - Beruhig' dich. ({1}) - Das ist kein Grund zur Aufregung. Ich bin nur enttäuscht. Wir reden von Rente, und Sie, Herr Schäuble, reden von Grundsicherung. Ich möchte Ihnen einmal folgendes sagen: Wir erleben dramatische Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Dort haben wir die Situation, daß das lebenslange Dauerarbeitsverhältnis in den kommenden 10 bis 15 Jahren vermutlich eher die Ausnahme als die Regel sein wird. Wenn ich mir die Kurven, die von der bayrisch-sächsischen Kommission veröffentlicht wurden, anschaue, ({2}) - lassen Sie mich doch mal argumentieren; winken Sie nicht gleich ab, hören Sie zu -, dann weiß ich, daß wir eher prekäre Beschäftigungsverhältnisse als Standardbeschäftigungsverhältnisse bekommen. Selbst wenn wir diese Beschäftigungsverhältnisse alle sozialversicherungspflichtig machen, wird es dennoch nicht mehr die kontinuierliche 40jährige Erwerbsbiographie als Standardbiographie geben. Das heißt im Klartext, daß die soziale Sicherung nicht allein durch Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe gewährleistet werden kann. Wir sind vielmehr dafür, daß wir uns auf diese dramatischen Veränderungen mit der Einführung einer Grundsicherung einstellen. Das ist für uns keine Alternative zur Rente; sie hat eine wesentlich andere Funktion. ({3}) Herr Schäuble, in bezug auf die Rente können Sie gerne jeden Beschluß meiner Partei zitieren. Es gibt bei uns zwar die Grundrentendiskussion, aber die flügelübergreifende Mehrheit in unserer Partei ist nach wie vor der Meinung, daß wir diesen Systemwechsel nicht wollen. Wenn wir aber so wie Sie weitermachen, laufen wir in das Risiko von Altersarmut für breite Teile meiner Generation und der jüngeren Generation. Wir brauchen deswegen endlich eine neue Säule zur Finanzierung einer solidarischen Alterssicherung. Joseph Fischer ({4}) Das heißt für mich: Wir brauchen einen neuen Generationenvertrag, bestehend aus zwei Komponenten: Die erste Komponente ist die Beitragsfinanzierung, und die zweite Komponente ist die Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Kapitalerträgen, um über angespartes Kapital das wachsende Risiko im Alter absichern zu können. ({5}) Herr Schäuble, ich empfehle Ihnen das „Handelsblatt" . Herr Seehofer hat sich heute darin sehr vorausschauend geäußert. Er gefällt mir im Vergleich zu anderen Vertretern der CSU immer besser, die sich von der solidarischen Finanzierung auf separatistische Weise verabschieden wollen. Das ist für eine nationaldenkende und christlich-soziale Partei ein Unding. ({6}) - Herr Glos, bei Ihnen wird doch die Nächstenliebe à la Stoiber mittlerweile so definiert: Wir nehmen gern und geben nichts. ({7}) Ihr Hochtechnologieprojekt Eurofighter könnten wir in „Stoiber-Fighter" umbenennen. Das ist eine milde Gabe für den Standort Bayern. Der Bund soll 30 Milliarden DM geben. Da halten Sie gerne die Hand auf. Nur, wenn es um die Solidarität mit den neuen Ländern geht, wollen Sie plötzlich nichts mehr von Solidarität wissen. Ich finde das unglaublich. ({8}) Lesen Sie den Beitrag von Herrn Seehofer. Er spricht sich für ein Grundsicherungsmodell aus. Meine Damen und Herren, worum es geht, ist klar. Herr Bundeskanzler, bewegen Sie sich endlich bei der Rente und bei der Steuer, damit wir noch vor der Wahl handeln können! Ansonsten möchte ich Ihnen heute schon einen guten Ruhestand wünschen. Vielen Dank. ({9})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Es spricht jetzt der Abgeordnete Dr. Wolfgang Gerhardt.

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist immer das gute Recht der Opposition, die Leistungen einer Regierung kritisch zu bewerten. Der Kollege Fischer hat das eben für die Zeit vom Beginn der Bundesregierung von CDU/CSU und F.D.P. an bis zum jetzigen Stand getan. Es muß allerdings einiges richtiggestellt werden. Diese Bundesregierung ist 1982 in einer Situation angetreten, in der Helmut Schmidt die Lage nicht mehr bewältigen konnte, weil seine eigene Partei weder willens noch konzeptionell fähig war, die wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen zu treffen, die notwendig waren. ({0}) Die jetzige Bundesregierung hat bis zum Zeitpunkt der deutschen Einheit die Staatsquote erfolgreich reduziert, Haushalte konsolidiert, Vorsorge getroffen, zwei Steuerreformen in Gang gesetzt, Investitionsanreize geschaffen und nahezu 3 Millionen neue Arbeitsplätze in Deutschland ermöglicht. ({1}) Als die deutsche Einheit kam, Herr Kollege Fischer, an deren Beispiel Sie die Bundesregierung kritisiert haben, daß sie ihr konzeptionell nicht ausreichend geantwortet hat, befanden sich in den Oppositionsreihen Kräfte, denen ich heute die Frage stelle, ob sie die deutsche Einheit überhaupt wollten. Als die deutsche Einheit kam, waren das die Kräfte, die im Grunde keinen Änderungsbedarf erkannt und die eher gesagt haben: Es kann in den Systemen alles so weitergehen; wir brauchen überhaupt nichts zu verändern. Sie haben, ohne etwas ändern zu wollen, auf die 17 Millionen Deutschen geblickt, die jetzt unter dem Druck großer Veränderungsnotwendigkeiten stehen. Wo war denn die Assistenz der Grünen bei dem Beginn der Diskussion über einen neuen Generationenvertrag? Wo haben die Grünen konzeptionell auch nur ein Wort gefunden, der älteren Generation zu sagen, daß wir ihr nicht an die Rente wollen, daß aber ein langsamerer Anstieg der Rente unabdingbar notwendig ist, um die junge Generation nicht über Gebühr zu belasten? Nein, Herr Fischer, Sie haben in das Horn der Sozialdemokratischen Partei hineingeblasen, die bei dem Versuch der Koalition, einen neuen Generationenvertrag konzeptionell zu gestalten, uns in der Öffentlichkeit bezichtigt hat, wir wollten den Rentnern ans Portemonnaie. Wo waren die Grünen, als wir ein Stück Flexibilität im Arbeitsmarkt eingefordert haben, als wir die Tarifvertragsparteien aufgefordert haben, die Flächentarife für betriebliche Optionen und eigene Entscheidungen in Betrieben zu öffnen? Sie sind ein Vertreter des starrsten und reguliertesten Arbeitsmarktes, den die Bundesrepublik Deutschland je hatte und der Arbeitsplätze nicht ermöglicht, sondern sie vernichtet. ({2}) Wo waren die Grünen bisher in der Mineralölsteuer-Diskussion? Ich weiß gar nicht, wie der jetzige Wasserstand bei Ihnen ist. Sie wissen, daß diese Branche 25 000 neue Arbeitsplätze geschaffen hat, daß sie einen Produktionszuwachs hat, daß sie weltweit den Wettbewerb bewältigt und daß sie ein Wachstumsbereich ist, der international Respekt gewinnt. Sie erklären hier die Erhöhung der MineralölDr. Wolfgang Gerhardt Steuer als einen Lösungsbeitrag zur Reform sozialer Sicherungssysteme und zu den staatlichen Haushalten. Wie ist denn Ihr Verhältnis zur NATO und zur Bundeswehr? Wollen Sie rein, wollen Sie raus? Wollen Sie sie auflösen oder beibehalten? Wie ist Ihr Verhältnis zur Europäischen Union? Wollen Sie sie erweitern, wollen Sie sie vertiefen? Wollen Sie Verträge halten, oder wollen Sie Verträge brechen? Es ist Ihnen nicht vorzuwerfen, daß Sie an die Macht wollen. Die Öffentlichkeit sollte aber erfahren, was Sie damit anzufangen beabsichtigen. ({3}) Sie sagen ja zum Euro. Sie sagen nein zum Maastricht-Vertrag. Sie werfen uns vor - das ist die Beschlußfassung Ihres Parteitages in Kassel -, daß wir einseitig auf die Geldwertstabilität setzen. Lieber Herr Fischer, das ist völlig richtig. Wir setzen bei einer zukünftigen europäischen Währung auf die Geldwertstabilität, ({4}) und zwar ganz klar und zuallererst. Sie wollen eine demokratische Einbettung der unabhängigen Zentralbank. Lieber Herr Fischer, verbergen Sie mit solchen Formulierungen doch nicht, daß Sie unter demokratischer Einbettung eindeutig die Verletzung der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank meinen. ({5}) Das ist die politische Bestimmung Ihrer Politik, die sich gegen Geldwertstabilität richtet. Auch in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Schäuble sollten Sie die Öffentlichkeit nicht täuschen. Wer die hohe Steuerlast beklagt, der Bundesregierung und dem Bundeskanzler vorwirft, daß sie für die Brutto- und Nettolöhne verantwortlich seien, die niemand mehr begreift und von denen sich Menschen belastet fühlen, der muß der deutschen Öffentlichkeit überzeugend klarmachen, was es bedeutet, eine Grundsicherung für jedermann ohne Bedürftigkeitsprüfung vorzuschlagen, die sich bei Familien mit zwei Kindern auf nahezu 4500 DM beläuft. Wissen Sie, was das ist? - Das ist ein Angriff auf die Leistungsbereitschaft der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist die Bestrafung der Leistungsbereitschaft. ({6}) Zur Bildungspolitik sage ich ganz klar: Herr Kollege Fischer, uns unterscheidet nicht die Bewertung, daß neben der Steuerreform, der Rentenreform und der Reform sozialer Sicherungssysteme die Ausgaben für Bildung und Qualifizierung ein Indikator dafür sind, ob sich dieser Standort nach vorn bewegen will. Bei Ihrer vielfachen Regierungsverantwortung in den Ländern sind Sie der letzte Kollege, der die Verantwortung für dieses Thema hier abladen könnte. Sie haben sich überall dort, wo Sie mitregieren, unter Zurückdrängung Ihrer eigenen Beschlußlage auf den Kurs begeben, die Ausgaben für Bildung und Wissenschaft in den Landeshaushalten zurückzuführen. ({7}) Es gibt kein Land, in dem Sie Regierungsverantwortung tragen, in dem das nicht geschehen ist. Sie wissen wie ich: Der Kern der verfassungsrechtlichen Zuständigkeit für Bildung, Hochschulen und Kultur liegt bei den Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Wir geben den Auftrag an sie weiter. Wenn Sie glaubwürdig sein wollen, gehen Sie zu Ihren jeweiligen Koalitionspartnern in den Ländern und fordern diese auf, die entsprechenden Haushalte zu erhöhen. Dann können Sie hier wieder anklagend auftreten. ({8}) Wenn Sie über Bildung und Qualifikation in der jungen Generation sprechen, dürfen Sie der Öffentlichkeit nicht vorenthalten, daß Sie glauben, daß diese junge Generation in den Schulen acht Jahre lang durch Lernentwicklungsberichte unter Zurückdrängung pädagogisch verantwortbarer Leistungsfeststellungen bewertet werden könnte. Frühere Programme der Grünen schlugen die Entschulung der Gesellschaft und die Selbsteinschätzung der Schülerinnen und Schüler vor. Glauben Sie wirklich, daß mit einer solchen Schul- und Bildungspolitik die junge Generation in Deutschland für die Zukunft wettbewerbsfähig gemacht wird? Wir glauben das nicht. ({9}) Deshalb sind an Sie einige Kernfragen zu richten: Warum erhöhen Sie nicht dort, wo Sie Regierungsverantwortung tragen, die Haushalte für Bildung, Wissenschaft und Forschung? Warum verdrängen Sie auf Ihrem Parteitag eine Beschlußfassung über einen zentralen, existentiellen Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland, nämlich über die Bündnisverpflichtung dieses Landes? Warum wollen Sie die Mineralölsteuer erhöhen und damit einen Wirtschaftszweig treffen, der durch die Neuschaffung von Arbeitsplätzen in der jetzigen ökonomischen Situation ein Zugpferd ist? Warum wollen Sie in einem Bildungsbereich Leistungsfeststellungen zurückdrängen? Warum verlängern Sie in Sachsen-Anhalt die Schulzeit um ein weiteres Jahr und klagen hier die Problematik des Generationenvertrages ein, wo Sie die junge Generation noch später ins Erwerbsleben entlassen? ({10}) Warum wenden Sie sich an einen möglichen Koalitionspartner, der überhaupt nicht in der Lage ist, sich konzeptionell von alten Positionen wegzubewegen? Die Schröder-SPD hält eine Umlagebelastung der ausbildungswilligen Betriebe für Teufelswerk, die Lafontaine-SPD beschließt sie. Herr Schröder hält die 610-Mark-Verträge bei Zeitungsverlegern und kleinen Geschäften für notwendig, bei großen Firmen will er Quoten einführen. Herr Schreiner sagt: absoluter Quatsch. Die Schröder-SPD fordert in Dresden die Senkung der Unternehmenssteuern, die Lafontaine-SPD lehnt dies ab. Oskar Lafontaine forDr. Wolfgang Gerhardt dert einen Mindeststeuersatz von 20 bis 25 Prozent, der Rest der SPD lehnt diese Kopfsteuer ab. Die Beck-SPD fordert jetzt eine Mehrwertsteuererhöhung von 3 Prozent, das ist nicht die Meinung der Lafontaine-SPD. Die Schröder-SPD glänzt vor jedem Wirtschaftspublikum mit einer angebotsorientierten Investitionsförderung, die Lafontaine-SPD propagiert die Nachfragepolitik der 70er Jahre und die Kaufkrafttheorie der Löhne. Es ist nicht der Vorsitzende der F.D.P., der Ihnen das hier vorhält. Man liest jetzt in den Zeitungen, daß auch die Wirtschaft allmählich den Eindruck gewinnt, daß Schröder ein Programm in der Tasche trägt, das ihm der saarländische Ministerpräsident hineingeschoben hat. Das ist ein Programm von vorgestern. Deshalb sage ich Ihnen, Herr Kollege Fischer: Wer hier einen Machtwechsel will, der muß Programme von morgen vortragen. Sie aber gehören zur erstarrtesten Opposition mit den ältesten Programmen, die hier jemals einen Machtwechsel eingefordert hat. ({11}) Nun komme ich zu dem Steuerthema: Wir sind bereit, ohne Vorbedingungen - auch ohne Vorurteile - in Verhandlungen zu gehen. Eines wollen wir aber klarstellen: Die alte sozialdemokratische Politik, der sich die Grünen angeschlossen haben, die Bedienung von Gruppenwünschen aus dem Haushalt, ist zu Ende. Wer die Staatsquote senken will, kommt um Sparprogramme nicht herum. Sonst darf er aber nicht sagen, er sei für die Zukunft gerüstet, hier aber säßen die Vertreter der Vergangenheit. Eine Steuerreform muß das Grundübel, das wir jetzt zu bewältigen haben, angehen. Dieses Grundübel liegt nicht darin, daß die Menschen in Deutschland unterschiedlich hohe Steuern zahlen; sondern es liegt in der Investitionsschwäche des Standortes Deutschland, die klar zu erkennen ist. Wer die nicht im Ansatz behebt, der kann auch keine Rahmenbedingungen für neue Arbeitsplätze schaffen. ({12}) Deshalb dürfen die Gespräche zur Steuerreform keine Gespräche eines neuen Binnenverteilungskampfes in der Bundesrepublik Deutschland sein, in dem sich SPD und Grüne als Vertreter der kleineren Einkommen darstellen und die Koalition als Vertreter größerer Einkommen diffamieren. ({13}) Die größte soziale Sicherheit, Frau Matthäus, ist ein Arbeitsplatz und nicht die soziale Begleitung von Arbeitslosigkeit. ({14}) Darauf wollen wir mit der Steuerreform hinaus. Wir hätten sie ja schon beschlossen, wenn Sie sie nicht blockiert hätten. Darauf muß eindeutig hingewiesen werden. Dieses Haus hat im August dieses Jahres ein Steuergesetz beraten, das all diejenigen Steuerbefreiungstatbestände, die polemisch als Schlupflöcher bezeichnet werden, zugunsten einer klaren Steuerpflicht beseitigt hätte, der man dann nicht hätte ausweichen können. Das hätte die Steuerstruktur in Deutschland auf gesunde Füße gestellt. Nicht die Koalition hat das abgelehnt, sondern Sie von der Opposition haben das verhindert. ({15}) Weil die Steuerstruktur nicht haltmacht vor einem Land, das CSU-regiert ist, das CDU-regiert ist, das CDU-F.D.P. regiert ist oder das rotgrün regiert ist - die Steuerstruktur interessiert das nicht -, spüren Sie derzeit in allen Ländern, daß Sie vor demselben Problem stehen wie die Bundesregierung und die Mehrheit in diesem Haus. Jetzt sagen Sie: Auch wir sind zu Gesprächen bereit. - Herzlichen Dank. Ich meine das jetzt nicht abwertend und nicht polemisch. Aber diese Gespräche müssen dann auch zum Kern der Beschäftigungsproblematik vorstoßen, zu dem vorzustoßen wir bereit sind. ({16}) Deshalb schlage ich vor, daß wir uns hier in öffentlicher Debatte auf drei Gesprächsthemen verständigen: Erstens. Eines der Themen ist nach meiner Überzeugung: Wie gestalten wir in Deutschland eine Steuerstruktur, die Ausweichtatbestände wegnimmt, Entlastungen im Tarifverlauf möglich macht und zugleich Investitionen wieder anregt? Das Gespräch kann nur stattfinden mit dem Blick auf die Gestaltung einer Steuerstruktur zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Zu keinem anderen Zweck sollte es stattfinden. Das zweite Thema lautet: Welche unserer umlagefinanzierten sozialen Sicherungssysteme haben sich eher zu einem Hindernis für Beschäftigung entwikkelt? Wie müssen wir sie in ihrem inneren System renovieren? Welchen Beitrag können wir durch indirekte Steuern hilfsweise leisten, um die Beitragsexplosion zu mildern? Das Hinzufügen von indirekten Steuern ist ein hilfsweiser Beitrag; es ist keine Dauerlösung. Es wäre nur ein Verschiebebahnhof, wenn man nicht die Systeme selbst ändern würde. ({17}) Deshalb gehört das zusammen. Drittens. Sie von der SPD müssen bis zu den Gesprächen die Frage beantworten: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich der Altersaufbau der deutschen Bevölkerung weiter unabhängig davon entwickeln wird, wer in diesem Haus die Verantwortung hat? Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus? Wenn Sie die junge Generation glauben machen wollen, es müsse im System der Rentenversicherung nichts geändert werden, es könne alles so bleiben - auch angesichts höherer Lebenserwartung der älteren Generation, angesichts eines Altersaufbaus mit größerem Anteil der älteren Generation, angesichts eines späteren Berufseintritts der jungen Generation -, dann betrügen Sie die junge Generation um ihre Zukunftschancen. Sie müssen in der Rentenversicherung zu Änderungen bereit sein, egal, welches Parteibuch Sie in der Tasche haben. Sie kommen darum nicht herum. ({18}) Deshalb ist der Vorschlag „Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt zur Reduzierung der Rentenbeiträge, aber keine Strukturreform" falsch. Unter beiden Aspekten kann ein Beitrag geleistet werden, wenn man es verantwortlich macht. Die alleinige Erhöhung der Mehrwertsteuer löst das Problem nicht. Sie entlastet punktuell, und ein Jahr später holt uns das Thema - egal, wer hier Verantwortung hat - wieder ein. Die Rentenreform kann nicht über eine Reduzierung der Beitragsbelastung durch Erhöhung indirekter Steuern vonstatten gehen. Vielmehr muß sie in einen neuen Generationenvertrag in der Bundesrepublik Deutschland eingebettet sein. Der alten Generation müssen wir sagen, daß sie nicht in Angst versetzt werden soll. Sie muß wissen, daß ihr von der Rente, die sie sich im Erwerbsleben verdient hat, niemand etwas nehmen will. Sie muß nur akzeptieren können, daß sie einen geringeren Anstieg in Kauf nehmen muß, um ihren eigenen Kindern - das ist die junge Generation - in der Zukunft eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben. Wer dies als Griff in das Portemonnaie der Rentnerinnen und Rentner diffamiert, wer dies öffentlich so darstellt, als wolle die Koalition der älteren Generation an redlich erworbenes Geld, der sagt - ich drücke das jetzt noch vorsichtig und zurückhaltend aus - nicht die Wahrheit. ({19}) Ich glaube, daß diejenigen die Wahrheit sagen, die beiden Generationen das Problem vor Augen führen und diesem Problem nicht ausweichen. Das Gespräch kann auf Grund von drei Komponenten sinnvoll sein: neuer Generationenvertrag, neues Austarieren von direkten und indirekten Steuern, aber auch Rentenstrukturreform für ein Stück Beitragsabsenkung. Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, aber auch dann dürfen wir nicht glauben, wir hätten die Probleme der Bundesrepublik Deutschland gelöst. Diese sind viel tiefergehend. Es mag ja beklagt werden, daß die Bundesregierung an manche Aufgaben zögerlich herangegangen ist, an manche zu spät, an manche nicht ausreichend. Aber sie ist überhaupt an Aufgaben herangegangen. Ich habe bisher kein einziges Konzept der SPD dafür erkennen können, wie sie das Steuergefüge in Deutschland durch eine Strukturreform auf neue Beine stellen will. Ich kenne kein Konzept der SPD zur Reform der sozialen Sicherungssysteme. Mir ist von der SPD bisher nur bekannt, daß die sozialen Sicherungssysteme so bleiben sollen, wie sie sind. Jeder kleinste Änderungsvorschlag aus den Reihen der Koalition ist eher öffentlich diffamiert worden, als daß man auf seiner Grundlage sachlich diskutiert hätte. ({20}) Jeder, der heute nur das Wort von der Einführung des Kapitaldeckungsverfahrens als Ergänzung der umlagefinanzierten Systeme in den Mund nimmt, wird als ganz übler, kaltherziger Mensch beschimpft. Sie wissen - Herr Fischer hat das hier eigentlich ausgedrückt; er müßte nur noch etwas ehrlicher sein -, daß das bisherige Umlageverfahren bei der Rente zukünftig nicht mehr die Monopolstellung bei der Sicherung der älteren Generation behalten kann. Herr Fischer, ich ergänze die Diskussion gerne um die Sicherung im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten, ich ergänze sie auch gerne um die Möglichkeiten der Gewinnbeteiligung und Vermögensbildung. ({21}) Nur, dann müssen Sie das auch sagen. Dann müssen Sie eine Reduzierung des Rentenbeitrags der jungen Generation vorschlagen, die auch eine Strukturreform bedeutet. Dann müssen Sie für die Grünen sagen: Der Beschluß einer Grundsicherung, den wir gefaßt haben, ist absoluter Unsinn. - Das Rentensystem der Zukunft muß die Standbeine haben, die Sie hier diskutiert haben. ({22}) Ich kenne diese schwierigen Situationen, aber sage Ihnen voraus: Sie werden die konzeptionelle Beschlußlage der Grünen zwar einige Zeit vor der Öffentlichkeit verbergen können. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Ja!) Auf Dauer, bis zur Bundestagswahl, wird das aber nicht gelingen, weil sich die deutsche Öffentlichkeit am Ende nicht damit zufriedengeben wird, daß Sie als medienwirksame Persönlichkeit der Vorturner sind. Sie möchte auch wissen, was hinterher gemacht werden soll. Die deutsche Öffentlichkeit sollte wissen, daß sie dann mit Steuererhöhungen, mit weiteren Regulierungsmaßnahmen und mit weiteren Vorkehrungsmaßnahmen von seiten der Behörden konfrontiert wird. Ihre Unentschiedenheit in der Frage der NATO bedeutet, daß unsere Partner uns nicht mehr als verläßlichen Bündnispartner ansehen können. Die Frage „Raus aus der NATO oder rein in die NATO?" ist keine beliebige Frage für irgendeinen Parteitag; das ist fundamental für die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland. Wer diese Frage nicht beantworten kann, ist nicht regierungsfähig. ({0}) Wer das nicht beantwortet, ist international nicht handlungsfähig und national nicht regierungsfähig. Das ist keine beliebige Frage wie etwa die Frage der Rentenstrukturreform oder anderer Gesellschaftsverträge, die wir kennen. Die Frage, ob die BundesrepuDr. Wolfgang Gerhardt blik Deutschland in der NATO bleibt oder nicht, ob wir eine Bundeswehr brauchen - ja oder nein -, ist eine der Kernfragen dieses Landes; sie zielt auf unsere Beständigkeit und Zuverlässigkeit ab. ({1}) - Ich habe mich zu der Frage der Wehrpflicht in aller Öffentlichkeit geäußert und gegenüber meiner eigenen Partei nicht gedrückt. Ihnen, Herr Fischer, werfe ich vor: Sie drücken sich bei dem Thema Grundsicherung und bei dem Thema NATO davor, die erforderlichen Auskünfte zu geben. ({2}) Sie können uns vorwerfen, daß wir zuwenig erreicht haben. - Ja, die Staatsquote ist immer noch zu hoch. Aber die einzigen Vorschläge zur Absenkung der Staatsquote kommen von der Koalition und nicht von der Opposition. ({3}) Die Freiheit bei den Ladenöffnungszeiten ist immer noch zu gering. Aber die Gegner sitzen in der Opposition; es sind Leute, die das für den Untergang des Abendlandes gehalten haben. ({4}) Die bescheidenen Schritte, die wir bei der Flexibilisierung des Arbeitsrechts erreicht haben, reichen den Betrieben nicht. Auch mir reichen sie nicht. Aber von seiten der Opposition ist überhaupt kein Flexibilisierungsvorschlag gekommen. Allein das, was wir beim Kündigungsrecht geändert haben, ist schon ideologisch diffamiert worden, und uns wurde unterstellt, wir wären für Kündigungswellen. Niemand von der Opposition begreift diese Änderung als Chance für Einstellungen, wie wir das tun. ({5}) Wir haben eine Steuerreform beschlossen, und Sie haben sie blockiert. Ich will für das Protokoll sagen - zum Mitschreiben; es gerät sonst leicht in Vergessenheit -: Die Koalition von CDU/CSU und F.D.P. hat in diesem Haus im Juli eine Steuerreform beschlossen, die die gleichen Konturen wie die Steuerreformen aufwies, die Wim Kok in Holland, Klima in Österreich und andere Sozialdemokraten in Europa beschlossen haben. Das hatte in diesen Ländern zur Folge, daß das Beschäftigungsproblem besser gelöst werden konnte als in der Bundesrepublik Deutschland. Wir befinden uns im Einklang mit der Mehrheit auch der Sozialdemokraten in Europa. Sie als letzte Bastion der Ewiggestrigen hindern uns daran, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Deswegen tragen auch Sie Verantwortung. ({6}) Die Gesundheitsreform konnte mühselig nur dadurch vorangebracht werden, daß wir die Gesetze so änderten, daß sie nicht mehr zustimmungspflichtig waren. Selbst eine Sozialklausel, die eine Belastung der niedrigen Einkommen verhindern sollte - die wir ja vorgesehen haben -, hat Sie nicht davon abgehalten, das als Teufelswerk zu kennzeichnen, ({7}) die Öffentlichkeit eher zu desinformieren als zu informieren. Wenn Sie Ihre Positionen für richtig halten - das kann man ja tun; das muß ich akzeptieren -, dann müssen Sie sich das Etikett, Sie seien zukunftsträchtige Koalitionspartner, abschminken. Das sind Sie nicht, weil Sie bei nahezu jedem großen Problem eine Wirklichkeitsflucht betreiben. ({8}) Wir haben die Privatisierungsmaßnahmen langsam und zäh gegen Widerstände vorangebracht. Was steckt denn in den Postkästen der Bundesrepublik Deutschland? Die Postgewerkschaft macht doch mit Ihrer Unterstützung die Menschen glauben, eine private Post würde ihnen fast keine Briefe mehr zustellen. In Finnland ist die Post schon lange privat; dort werden Briefe und Pakete immer noch zugestellt. Die Behauptungen, die der deutschen Öffentlichkeit eingeredet werden, wonach Briefe nur von staatlichen Beamten und Angestellten zugestellt werden könnten, daß im anderen Fall das Abendland zusammenbreche und eine private Post keine ausreichende Versorgung biete, sind kompletter Unsinn. In nahezu allen anderen Ländern gibt es günstigere Tarife bei der Post, und die Menschen bekommen trotzdem Briefe und Pakete. ({9}) Wenn ich dem Vorsitzenden der finnischen liberalen Partei schreibe, wird ihm der Brief auch zugestellt, obwohl die Post dort privat ist. Ich möchte das hier einmal erwähnen. Sie haben sich in allen Bereichen gesperrt, bei denen wir staatliche Aufgaben abgeben wollten. Herr Fischer, Sie sind im Laufschritt auf die jeweilige Barrikade gesprungen, zuletzt bei der Steinkohle, und tragen hier vor, wir würden die Reformaufgaben nicht anpacken. Sie sind dafür verantwortlich, daß Ihre grünen Kollegen in der Regierung von Nordrhein-Westfalen, die genauso wie Sie großartig über die Zukunftsaufgabe Bildung reden, aus ganz engstirnigen Gründen der Regierungsbeteiligung und des Machterhalts viel Geld in der Steinkohleförderung vergraben haben. ({10}) Sie sollten uns nicht erzählen, Sie seien der Reformer! Wir stehen nicht nur vor einer schweren und aufwühlenden Wahlentscheidung. ({11}) Wir stehen vor der Frage, ({12}) ob wir in diesen Wahlkampf gehen nach dem Motto: „Es muß keine großen Veränderungen geben; es kann alles so bleiben". Ich glaube, das können wir nicht. Ich glaube, die Bürger der Bundesrepublik Deutschland wollen sich in den Kernfragen entscheiden. Sie wollen sagen, ob sie sich für morgen oder für gestern entscheiden, für Reformen oder für keine, für Leistungsbereitschaft oder für staatliche Versorgungsvorstellungen, für pädagogisch verantwortbare Leistungsfeststellungen im Bildungssystem oder nur für schulische Begleitung, für ein Land, das seinen Bündnisverpflichtungen nachkommen will, für Aufbruch, für all das, was Tony Blair, Wim Kok, Gonzalez und Aznar in Spanien und Klima in Österreich gemacht haben. Diesen Weg will die Koalition gehen. Wir wollen das in die Wege leiten, was anderswo zu großen Erfolgen geführt hat. Wir wollen gemeinsam mit der CDU/CSU, daß sich Deutschland im weltweiten Wettbewerb behaupten kann. Das wollen wir mit einer Politik tun, die die Arbeitslosigkeit zurückdrängt, ({13}) die eine Steuerreform möglich macht, die eine Renten- und Bildungsreform, die die Öffnung der Märkte, die Absenkung der Staatsquote, den Aufbau in den neuen Ländern und eine einheitliche stabile europäische Währung ermöglicht, sie nutzt, eine europäische Antwort auf die Märkte der Welt gibt und so deutschen Arbeitnehmern hilft, ihre Beschäftigungsinteressen zu verwirklichen - und damit ihre Lebensinteressen. Das ist eine Politik für den Wandel. Sie gibt Menschen Zukunftschancen. Sie vertreten eine Politik der Wirklichkeitsflucht. Sie zerstören am Ende soziale Sicherheit. Deshalb möchte ich, daß wir die Bundestagswahl gewinnen. Wir werden unser Bestes tun. Herzlichen Dank. ({14})

Prof. Dr. Rita Süssmuth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002287

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie wollten gerne in die Geschichte eingehen als Kanzler der deutschen Einheit, als Kanzler der europäischen Einheit, das heißt: überhaupt als Kanzler, der Einheit schafft, der auch versöhnt. ({0}) Ich glaube, Sie leisten augenblicklich den größten Beitrag dazu, als Kanzler in die Geschichte einzugehen, der die Folgen der deutschen Einheit, die Folgen der europäischen Einigung nicht gemeistert hat, der dabei gescheitert ist. So werden Sie allmählich zum Kanzler der Spaltung. ({1}) Das gilt für sehr viele Gebiete. Nehmen wir den Vergleich zwischen Ost und West bzw. die Probleme, die wir bei der Vereinigung haben. Haben wir denn noch eine Tendenz der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West, oder haben wir nicht umgekehrt eine Tendenz dahin gehend, daß die Spaltung zunimmt? Die Arbeitslosigkeit im Westen beträgt 9 Prozent, die im Osten 18 Prozent. Wir haben Regionen wie die Lausitz und Vorpommern mit einer Arbeitslosigkeit von über 30 Prozent. Die Strukturdaten sprechen eine deutliche Sprache: 1996 lag der Anteil der neuen Länder an der Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik Deutschland bei nur 12 Prozent. Der Ostanteil bei der Produktion lag im Vergleich zum Westen bei einem Fünfzehntel, bei Exporten bei einem Vierzigstel und bei der Industrieforschung geradezu im Promillebereich. Es gab aber eine umfassende Industrieforschung im Osten. Sie ist systematisch abgewickelt und beseitigt worden. Das bedeutet: Die Aufholjagd im Osten ist beendet, ehe sie richtig angefangen hat. Erstmals seit der Wende wird das Wirtschaftswachstum mit unter 2 Prozent im Osten geringer ausfallen als im Westen, was nichts anderes heißt, als daß die Unterschiede wachsen. Deshalb, Herr Bundeskanzler, nehmen Ihnen viele Leute im Osten übel, daß Sie über das Thema „deutsche Einheit" kaum noch sprechen. Wenn der Bundestag hierzu eine Debatte führt, dann schicken Sie Herrn Rexrodt vor, weil Sie nicht mehr den Mut haben, zu den Zahlen und Ergebnissen Stellung zu nehmen. Das ist inzwischen eine Tatsache! ({2}) Die Geldvermögen pro Haushalt sind in den letzten Jahren in Ost und West immer weiter auseinandergedriftet. 51 Prozent der Westhaushalte haben Grundbesitz, aber nur 28 Prozent der Osthaushalte. Dazu haben Sie durch Ihr Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung" einen direkten Beitrag geleistet; denn das war ein Entzug von Eigentum an Grundstücken, Eigenheimen und Wochenendgrundstücken. Was Sie über das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung" nicht geschafft haben, das ergänzen Sie jetzt durch maßlos überzogene Gebühren bei Wasser, Abwasser und beim Straßenbau, was die Leute von den Grundstücken vertreibt. Das ist die Realität in den neuen Bundesländern. ({3}) Die Zahl der Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger ist im Osten um 9,9 Prozent und im Westen um 4,5 Prozent gestiegen. Ich sage das alles gar nicht, um etwa aus meiner Sicht zu spalten; denn die Zahlen im Westen sind schlimm genug. Ich will nur darauf hinweisen, daß die Entwicklung weiter auseinandergeht, daß Sie nicht mehr auf einem Vereinigungskurs, sondern auf einem Spaltungskurs sind, was das Verhältnis von Ost und West betrifft, allerdings mit einer Ausnahme: Die Preise sind inzwischen angeglichen und bei Wasser, Abwasser und Energie in den neuen Bundesländern sogar deutlich höher als in den alten Bundesländern. Aber bei den Einkommen, den Renten, der Sozialhilfe, der Arbeitslosenunterstützung und selbst bei den miserablen Beschäftigungsverhältnissen, für die es hier im Westen 610 DM gibt, während es drüben nur 520 DM gibt, sind die Einkünfte wesentlich geringer. Trotzdem sollen die Leute die gleichen Preise bezahlen. Das müssen Sie ihnen erst einmal erklären, und da dürfen Sie nicht mit irgendwelchen Produktivitätsdaten kommen. Es muß doch machbar sein für die einzelne, für den einzelnen und für die Familie. ({4}) Auf andere Dinge aus diesem Bereich will ich gar nicht erst eingehen. Wir sind beim Respekt ostdeutscher Biographien nicht weitergekommen. Sie schaffen weiter Sonderrecht. Noch in dieser Woche wollen Sie im Ernst festlegen, daß Untreue, Betrug und ähnliche Delikte im Osten erst nach zehn Jahren verjähren, während sie im Westen nach fünf Jahren verjähren. Sie müssen dann nicht nur den Täterinnen und Tätern, sondern auch den Opfern von Straftaten erklären, warum der eine einen Strafverfolgungsanspruch verliert, während ihn der andere behält. Das ist alles Irrsinn und auch ziemlich irrational, was auf dieser Strecke stattfindet. ({5}) Beim Thema Europa sieht es nicht viel anders aus. Sie waren doch derjenige, der den europäischen Gedanken nach vorne getrieben hat. Sie haben diesen Gedanken, glaube ich, von Adenauer übernommen, und Sie wollten damit ebenfalls in die Geschichte eingehen. Auch hier hat sich doch das Blatt gewendet. Da treffen sich die europäischen Regierungen in Luxemburg und wollen den Leuten in Europa sagen: „Europa bedeutet nicht nur eine Zuständigkeit für den Wert eurer Sparguthaben, bedeutet nicht nur überall Sparhaushalte, bedeutet nicht nur Sozialabbau, sondern Europa soll auch etwas mit mehr Beschäftigung zu tun haben." Da fährt dieser deutsche Bundeskanzler hin, der sonst nicht laut genug „Europa" rufen kann, und sagt: „Nein, Europa darf mit Beschäftigungspolitik nichts zu tun haben. " Das ist völlig absurd, wenn man eine europäische Integration will. Dann sagen Sie auch noch, das solle in der Zuständigkeit der nationalen Regierungen bleiben. Da kann man bei Ihrer Regierung nur erschrecken; denn das heißt, Sie wollen so weitermachen wie bisher. Aber Sie haben doch gerade auf dem Gebiet der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit völlig versagt. Da erschiene mir eine europäische Zuständigkeit immerhin hoffnungsvoller als die Reduzierung auf Ihre Zuständigkeit. ({6}) Sie haben versprochen, daß es eine Währungsunion in Europa nur gibt, wenn es zugleich eine politische Union gibt. Das haben Sie hier im Bundestag versprochen, Herr Bundeskanzler. Sie müssen doch einräumen, daß Ihr Ziel der politischen Union gescheitert ist. Wir haben keinen europäischen Gesetzgeber. Wir haben keine europäische Verfassung. Wir haben keine europäische Charta sozialer Grundrechte. Wir haben kein europäisches Beschäftigungsprogramm. Das alles haben wir nicht. Aber die Währungsunion wollen Sie pünktlich einführen, und zwar ausschließlich mit fiskalischen Kriterien. Was glauben Sie, was das für ein spannender Wettbewerb in Europa geworden wäre, wenn Sie als Beitrittsbedingung nicht 3,0 Prozent der Nettoverschuldung im Jahr ausgegeben hätten, sondern gesagt hätten: Zur europäischen Währungsunion kann nur beitreten, wer höchstens 3 Prozent Arbeitslosigkeit zu verzeichnen hat, ({7}) und jeder, der darüber liegt, scheidet aus. Das wäre eine Stimmung in Europa gewesen! In jedem europäischen Land hätte ein Arbeitsbeschaffungsprogramm das andere abgelöst. Das wäre für die Menschen wirklich sinnvoller gewesen als diese fiskalische Fixierung. Aber auch die Bedingungen der Währungsunion stimmen doch nicht. Deshalb sind wir gegen diesen Euro, gegen diese Art von Währungsunion. Eine Währungsunion setzt Angleichungsprozesse voraus. Herr Bundeskanzler, das muß man politisch vorher leisten. Wir brauchen in Europa eine Steuerharmonisierung, eine Angleichung der Löhne sowie eine Angleichung juristischer, ökologischer und sozialer Standards. Das alles sind nämlich Kostenfragen. Das alles haben Sie nicht geleistet. Sie tun vielmehr das Gegenteil: Sie führen den Euro ein und sagen: Der Euro wird es schon richten. Der soll dann die Angleichung erzwingen - aber nach unten und zum Schaden der Bürgerinnen und Bürger in allen europäischen Ländern, auch in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb sagen wir nein dazu. ({8}) Sie spalten aber auch in anderer Hinsicht. Sie spalten in Inländerinnen und Inländer sowie Ausländerinnen und Ausländer. Ich will hier einmal eine Zahl nennen - nicht weil sie für mich so wichtig ist, sondern weil sie vielleicht für die Bevölkerung interessant ist -: Der Anteil von Bürgerinnen und Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, beträgt 8,8 Prozent. In Belgien beträgt dieser Anteil 9,1 Prozent, in Osterreich 9,9 Prozent und in der Schweiz sogar 19,9 Prozent. Dennoch gibt es in keinem anderen Land eine solche auch von der Regierung geschürte Stimmung gegen Ausländerinnen und Ausländer in der Gesellschaft wie in diesem Lande. Es gibt in keinem Land eine derartige rigide Sozialpolitik gegenüber diesen Menschen und eine derartige Verweigerung bei der Gewährung politischer Rechte wie dem Wahlrecht und - das ist das Schlimmste - gegenüber hier geborenen Kindern sogar die Verweigerung, daß sie wenigstens eine doppelte Staatsangehörigkeit erhalten, um endlich als gleichwertig angesehen zu werden - auch von anderen Kindern. Sie wissen, wie wichtig das für die Entwicklung eines Kindes ist. All diesen Dingen verweigern Sie sich, und deshalb spalten Sie auch auf diesem Gebiet. ({9}) Sie spalten auch zwischen Männern und Frauen. Denn Realität in der Gesellschaft ist, daß die Beschäftigungsquote gerade bei Frauen zurückgeht, daß die Arbeitslosigkeit immer weiblicher wird. Wahrscheinlich hat sie deshalb auch einen weiblichen Artikel. Sie haben dafür gesorgt, daß die Altersarmut vorwiegend Frauen trifft. Sie haben in einer Zeit der Massenarbeitslosigkeit festgelegt, daß Frauen ein Jahr länger arbeiten müssen, um einen Rentenanspruch zu erwerben, und haben damit neue Arbeitslosigkeit organisiert. Nein, Sie haben keinen Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter geleistet. Darüber helfen auch Ihre sozusagen ersten Ansätze der Quotierung in der CDU nicht hinweg. Die Frauen sind schlechtergestellt als noch vor fünf Jahren in dieser Bundesrepublik Deutschland. ({10}) Dies gilt erst recht für den Osten, weil sie dort geradezu maximal aus dem Erwerbsleben hinausgedrängt worden sind. Sie spalten die Menschen in jene, die Arbeit haben, und in jene, die keine Arbeit haben, bzw. in jene, die nur noch so etwas Ähnliches wie Arbeit haben. Denn etwas anderes ist dieser ganze Bereich der Billigjobs nicht, der 610-Mark- und im Osten der 520-Mark-Jobs, nichts als ein billiges Zubrot ohne jede Absicherung im Krankheitsfall, im Falle von Arbeitslosigkeit und im Alter. Dies ist sozialstaatlich überhaupt nicht verträglich. Ich behaupte, daß die massenhafte Ausweitung dieser Jobs grundgesetzwidrig ist, weil sie der Sozialstaatlichkeitsverpflichtung widerspricht, die dort verankert ist. ({11}) Im Grunde genommen haben Sie mit Ihrer Gesetzgebung dafür gesorgt, daß die Unternehmen immer stärker dazu neigen, die vorhandenen Arbeitsplätze in für sie kostengünstige Billigjobs aufzuteilen. Sie sind nicht in der Lage, das zu stoppen, weil die F.D.P. Sie daran hindert, obwohl selbst auf Ihrem Parteitag eingesehen wurde, daß hier eine Lösung herbeigeführt werden muß. Wenn man Arbeitslosigkeit wirklich bekämpfen will, dann frage ich Sie nach den Maßnahmen, die Sie diesbezüglich vorhaben. Angesichts all dessen, was Herr Gerhardt hier wieder angekündigt und betont hat, sollte er doch einmal sagen, welcher Arbeitslose dadurch Arbeit erhalten hat, daß Sie den Kündigungsschutz eingeschränkt haben. Welcher Arbeitslose hat dadurch Arbeit erhalten, daß Sie die Ladenöffnungszeiten erweitert haben? Welcher Arbeitslose hat dadurch Arbeit erhalten, daß Sie die Vermögensteuer abgeschafft haben? Wer von den Vermögenden hat mit dem einbehaltenen Geld Arbeitsplätze geschaffen? Nennen Sie wenigstens ein einziges Beispiel, damit man die Wertmaßstäbe Ihrer Politik wirklich einmal beurteilen kann! ({12}) Wenn man Arbeitsplätze schaffen will, dann muß man die Arbeitszeit radikal verkürzen und die Lohnnebenkosten endlich umstellen. Wir schlagen auch im Interesse der Unternehmen seit langer Zeit vor, den Anteil der Unternehmen an den Beiträgen für die Versicherungssysteme nach der Bruttowertschöpfung, nach dem Betriebsergebnis zu berechnen und damit flexibel zu machen. Das heißt, daß Unternehmen mit hohen Gewinnen und wenig Beschäftigten sehr viel mehr als heute in die Versicherungssysteme einzahlen müssen, daß aber jene, die viele beschäftigen, nicht noch obendrein bestraft werden, wie das heute der Fall ist, und bei bestimmten Einbußen tatsächlich zu Entlassungen gezwungen werden. Das kann man doch ändern. Wo gibt es denn einen solchen Reformwillen in dieser Koalition? Wann haben Sie es wenigstens einmal durchgerechnet, meinetwegen auch, um es zu widerlegen? Sie sind ja nicht einmal bereit, sich darüber Gedanken zu machen. Das ist gedanklicher Stillstand, den Sie hier an den Tag legen. ({13}) Allerdings gefallen mir auch nicht die Vorschläge der SPD zur Mehrwertsteuererhöhung, weder Ihr Vorschlag einer Erhöhung um 1 Prozent, Herr Lafontaine, noch der Vorschlag einer 3prozentigen Erhöhung von Herrn Beck. Die Mehrwertsteuer ist die ungerechteste Steuer. Die bezahlen alle, Kinder, Rentnerinnen und Rentner, Arbeitslose, Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger. Wir brauchen für die Senkung der Lohnnebenkosten ein anderes System. Wir können die Kosten nicht verschieben, indem wir dort etwas senken bzw. nicht erhöhen und dafür die Mehrwertsteuer immer weiter hinauftreiben. Das kann keine gerechte Lösung für die gesellschaftlichen Probleme in der Bundesrepublik Deutschland sein. ({14}) Mir gefällt allerdings, daß Herr Beck die Idee der Luxussteuer aufgegriffen hat, die wir im Frühjahr verbreitet haben. Wir hoffen, daß durch Herrn Beck diese Idee bekannter wird, weil unsere Bemühungen nicht ausgereicht haben. Ich wundere mich aber sehr darüber, daß Herr Glos Ministerpräsident Schröder die Vorliebe für Rolls-Royce und teure Zigarren vorwirft; sonst warnt Herr Glos hier vorne immer vor Sozialneid, aber wenn es sich um eine bestimmte Person dreht, kommt plötzlich sein ganzer Neid heraus. ({15}) Das ist auch nicht mein Lebensstil, und ich bin sehr dafür, daß er dafür Luxussteuer bezahlt. Wir können uns sofort darauf verständigen. Wenn wir das zusammen mit der F.D.P. einführen, sind wir schon einen bedeutenden Schritt weiter. ({16}) Wer Arbeitslosigkeit bekämpfen will, der müßte ein Zukunftsinvestitionsprogramm mit zehnjähriger Laufzeit schaffen und bereit sein, einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor zu installieren, damit wir endlich Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit finanzieren. Ein solcher öffentlich geförderter Beschäftigungssektor im soziokulturellen und im Umweltbereich könnte 1 Million Arbeitsplätze schaffen, allein im nächsten Jahr 100 000. Wir haben das konkret ausgerechnet. Zu 85 Prozent würde er sich selbst finanzieren. Die gesamte Zuzahlung des Bundes würde sich auf 9 Milliarden DM reduzieren. Das ist genau der Betrag, den Sie den Vermögenden durch die Einsparung der Vermögensteuer geschenkt haben. Natürlich brauchen wir auch eine Verbesserung der Qualifikation. Sie, Herr Gerhardt, sagen, die Länder seien schuld. Natürlich tragen die Länder einen Teil der Schuld. Für diese Aussage muß ich mich gar nicht verbiegen, da wir an keiner Länderregierung beteiligt sind.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege Gysi, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihrer Kollegin Professor Luft?

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, selbstverständlich, Frau Luft erst recht.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Gysi, ich nehme an, daß Sie wie ich häufig mit der Frage konfrontiert sind, daß von uns viele gute Projekte vorgeschlagen werden, die wir, hätten wir die Möglichkeit dazu, verwirklichen würden. Glauben Sie nicht, daß wir außer einer Wiedereinführung der Vermögensteuer und dem Erheben von Luxussteuer der Öffentlichkeit noch eine Reihe weiterer Finanzierungsmöglichkeiten zeigen müßten, um diese großen Projekte finanzierbar zu machen?

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Kollegin Luft, ich stimme Ihnen zunächst einmal zu, daß auch Linke verpflichtet sind, nicht nur Verteilungsvorschläge, sondern auch Einnahmevorschläge zu machen, also sagen müssen, woher sie das Geld nehmen wollen. ({0}) Wenn Sie einen solchen Beschäftigungssektor finanzieren wollen, müssen Sie Steuerflucht und -hinterziehung eindämmen und Steuerschlupflöcher schließen, die ja nicht zufällig im Gesetz sind, sondern hereingeschrieben wurden. Wenn Sie das erreichen wollen, ({1}) müßte man auf die Senkung des Solidaritätszuschlages verzichten, ({2}) eine gerechte Vermögen- und Erbschaftsteuer einführen und ungerechtfertigte Rückstellungen gerade bei den Energieriesen aufheben. Dann hätten wir genug Geld in der Bundesrepublik. Ich sage Ihnen noch ein letztes auf Ihre Frage: Das Geldvermögen in der Bundesrepublik ist auch in diesem Jahr wieder um 300 Milliarden DM angestiegen, allerdings nur bei den obersten 10 Prozent der Bevölkerung. Wenn dort Steuergerechtigkeit herrschte, könnten wir das alles finanzieren. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland nämlich nicht zuwenig Geld, sondern wir belassen es nur bei den Falschen und verteilen das bißchen, was der Staat bekommt, obendrein auch noch ungerecht. Mit diesem Problem haben wir es zu tun. ({3}) Wir müssen auch auf Ausgaben verzichten, zum Beispiel auf die Anschaffung des Eurofighters. Darüber wird heute noch entschieden. Den braucht kein Mensch. Er ist nur wahnsinnig teuer und schafft nur bei ganz wenigen Leuten riesige Gewinne, die dann keine Steuern dafür bezahlen. ({4}) Wir brauchen den Transrapid nicht. Auf der einen Seite hat dieser Staat immer noch zuviel Geld. Ich wundere mich immer, woher Sie das nehmen. Auch für den Golfkrieg war Geld da. Wenn es aber um Renten und ähnliches geht, wird hier von Herrn Gerhardt immer darüber gesprochen, daß wir abspecken müssen. Alle müssen abspecken, aber interessanterweise nie die Bundestagsabgeordneten, sondern immer die anderen. Auch in diesem Bereich müßten wir in unserer Gesellschaft einmal Gerechtigkeit schaffen. ({5}) Ich sage den Grünen: Mit Senkung des Rentenniveaus kann man die Probleme dieser Gesellschaft nicht lösen. Keine Gesellschaft ist berechtigt, ihre Probleme zu Lasten der Ältesten in anderen Generationen zu lösen. Dafür gibt es andere Wege, und die müssen wir auch gehen. ({6})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Mein letzter Satz: Herr Bundeskanzler, Sie gehen mit Sicherheit in die Geschichtsbücher ein, das kann ich gar nicht mehr verhindern. Ob das gerecht oder ungerecht ist, will ich dahingestellt sein lassen. Aber die Zeit, in der Sie als Kanzler der Einheit - welcher auch immer - in die Geschichte eingingen, ist langsam vorbei. Selbst bürgerliche und konservative Geschichtsschreiber werden diese Kapitel umschreiben. Wenn Sie das noch verhindern wollen, dann sollten Sie aufhören, Kanzler dieser Bundesrepublik Deutschland zu sein. Dann haben Sie noch eine Chance auf faire Behandlung in den Geschichtsbüchern. ({0})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß natürlich zuerst die drängende Frage des Herrn Abgeordneten Gysi beantworten. Er hat mich gefragt, ob ich Kanzler der Bundesrepublik bleiben will. ({0}) Ich sage ein ganz klares Ja dazu. ({1}) - Und wenn Sie noch so laut dazwischenrufen, es wird so sein, und das wissen Sie auch. Denn das ganze laute Getöse kommt nur von der Opposition. Es ist bemerkenswert, daß die Oppositionsredner heute vor allem durch die Lautstärke aufgefallen sind. Die Anlage im Haus ist doch eigentlich in Ordnung. Sie müssen doch nicht so laut reden, um Ihren Mangel an Argumenten zu überdecken. Ich kann das nicht verstehen. Es ist doch klar und ihr gutes Recht, daß die Opposition die Debatte über den Etat des Bundeskanzlers zur Generalabrechnung nutzt. Das gehört sich so. Das war immer so im Parlament und wird auch hoffentlich so bleiben. Natürlich ist auch wahr, daß das heutige Datum eine Rolle spielt: In zehn Monaten ist Bundestagswahl. Davor gibt es noch vier Landtagswahlen. Wer genug Zeit und Lust hat, möglichst viel Wahlkampf zu üben, der hat jetzt also zehn Monate Gelegenheit dazu. Sie haben heute ein paar Probereden gehalten. Ich kann mir nur wünschen: Halten Sie genau diese Reden; denn die Wirklichkeit des Landes treffen Sie nicht, ({2}) und wenn man die Wirklichkeit im Land nicht trifft, trifft man auch die Wähler nicht. Deshalb sehe ich dem, was Sie so sagen, mit Ruhe entgegen. ({3}) Sie zeichnen einen Entwurf dieses Landes in Ost und West, Herr Scharping, von dem Sie doch selber wissen, daß es dieses Land so nicht gibt. Sie gehen ja jetzt auf Ihren Parteitag. Ich habe selbst Erfahrungen mit dem Auf und Ab von Parteitagen. Da muß man manchmal noch einen draufsetzen, damit man den eigenen Leuten deutlich zeigt, wie stark man ist und daß man vor Kraft kaum laufen kann. Das haben wir auch hier erlebt. Es nützt Ihnen aber nichts: Der Parteitag ist die eine Sache, und die Wähler sind eine andere. Deswegen bitte ich Sie, zu einer Debatte zurückzukehren, die sich mit dem Standort Deutschland und den Fragen „Wie geht es uns?", „Was können wir tun?" und „Wo wollen wir auf dem Weg in die Zukunft hin?" befaßt. Daß Sie jedes Mittel einsetzen, um an die Macht zu kommen, werfe ich Ihnen auch nicht vor. Sie werfen uns häufig unsere Oppositionsreden vor. Natürlich habe ich als Oppositionssprecher dieses oder jenes anders gesagt als heute als Regierungschef. Nachdem ich als Regierungschef ein paar Jahre älter geworden bin, formuliere ich heute auch manches anders als früher. Aber das ist doch normal, man wird eben älter und nimmt an Weisheit zu. Das ist das, was Ihnen noch fehlt. ({4}) Eines, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten wir aber gemeinsam vor der deutschen Bevölkerung bekennen: Wir kämpfen um jede Stimme, und zwar jeder für sich, jeder für seine Oberzeugung vom besten Weg der deutschen Politik. Wir respektieren den anderen - das ist heute früh bei den Oppositionsrednern nicht ganz klar gewesen -, wir respektieren vor allem, daß der andere den guten Willen hat, das Beste zu leisten. Im übrigen warten wir die Entscheidung der Wähler ab. Wir sind doch nicht in der Abteilung Wahrsagerei, sondern im Deutschen Bundestag. Von mir aus können Sie jeden Tag demoskopische Daten lesen und sich daran berauschen. Entschieden aber wird am Wahltag. Am Wahlabend ein paar Minuten nach 18 Uhr wissen wir das Ergebnis. Jetzt aber bitte ich Sie, daß wir wieder zu einer Diskussion der Vernunft zurückkehren. Herr Abgeordneter Gysi, ich möchte Sie einladen - ich bin zwar nicht selbst der Einladende, aber ich bitte die Einladenden, das zu tun -, am 10. Dezember nach Neubrandenburg zu kommen. Dort wird die Deutsche Telekom ihre Leistungen bei der Versorgung der neuen Länder mit Telefonanlagen präsentieren. Da werden Sie einmal hören, was eine Aufholjagd ist. Da werden Sie nämlich erfahren, daß es in den neuen Ländern 1990 1,8 Millionen Telefonanschlüsse gab - das sind 11 Anschlüsse je 100 Einwohner - und daß es heute 8 Millionen sind; das sind über 50 Anschlüsse je 100 Einwohner. Daran sehen Sie, daß ein privatisiertes Unternehmen - dagegen waren Sie ja auch - in wenigen Jahren eine großartige Leistung erbracht hat. ({5}) - Da Sie einen entsprechenden Zwischenruf machen, will ich auch darauf hinweisen, daß dadurch ArbeitsBundeskanzler Dr. Helmut Kohl plätze geschaffen worden sind. Es ist ein riesiges Arbeitspensum, das da erledigt wurde. ({6}) Es sind - um das einmal klar zu sagen - Investitionen in Höhe von 50 Milliarden DM getätigt worden. ({7}) Deswegen, Herr Abgeordneter Gysi, werde ich - wie ich es jetzt auch schon tue - im Wahlkampf wieder mit großer Freude auf Straßen und Plätzen zu den Menschen in den neuen Ländern sprechen. Sie werden dann ja auch dort sein. Warten wir einmal in Ruhe ab, was beispielsweise die von Ihnen eben zum Schluß genannten Rentner in den neuen Ländern zu unserer Rentenpolitik sagen, einer Politik, die respektiert, was die Männer und Frauen aus den Jahrgängen 1920 und älter, die auf der Schattenseite deutscher Geschichte zur Zeit der kommunistischen DDR leben mußten, geleistet haben. Wenn im Blick auf ihr Lebensschicksal jetzt sichergestellt ist, daß diese Rentner im gesamtdeutschen Rentenverbund ihre Zukunft finden können und entsprechend ihrer tatsächlichen Lebensleistung im geteilten Deutschland von uns allen solidarisch unterstützt werden, dann ist das eine Leistung, auf die ich stolz bin, zu der ich stehe und immer stehen werde. ({8}) Ich will hier zwar nur auf wenige Punkte aus den Oppositionsreden eingehen, aber ein paar muß ich doch ansprechen. Sehr angetan war ich davon, Herr Abgeordneter Fischer, daß Sie meine Regierungserklärung vom Oktober 1982 vorgelesen haben. ({9}) Ich hätte sie übrigens gerne eine weitere Stunde lang gehört; denn dann wäre Ihnen eine Menge von dem in Erinnerung gekommen, was Sie bewußt verdrängen, ({10}) was damals gesagt wurde und was etwas mit Ihrem Versagen zu tun hat. Sie hätten eine Aussage zum Thema deutsche Einheit gehört, die die Koalition von CDU/CSU und F.D.P. damals nach der Neubildung der Bundesregierung gemacht hat. Sie - vor allem die sozialdemokratischen Kollegen - hätten etwas dazu hören können, daß diese Koalition die Politik von Helmut Schmidt bezüglich der Stärkung der NATO fortführte, ({11}) die Politik von Helmut Schmidt, der damals von seiner eigenen Partei gestürzt wurde. Alles andere ist eine Vernebelung historischer Tatsachen: Helmut Schmidt wurde von Ihnen verlassen. ({12}) Wegen der Kürze der Zeit erspare ich es Ihnen, zu zitieren, was diejenigen, die in den vordersten Bänken der SPD sitzen, damals dazu gesagt haben. Aber es ist doch die Wahrheit. Wie wollen Sie denn eigentlich über die deutsche Einheit reden, wenn Sie nicht gleichzeitig sagen, daß weite Teile der Sozialdemokratie - von den Grünen rede ich schon gar nicht - die Idee der Einheit längst aufgegeben hatten? Sie hatten sich doch angepaßt. ({13}) Natürlich haben wir auf dem Weg zur deutschen Einheit Fehler gemacht. Auch ich habe das getan; das habe ich oft genug gesagt. Aber wir konnten die Fehler überhaupt nur deshalb machen, weil wir die deutsche Einheit herbeigeführt haben. Sie wären doch überhaupt nicht in diese Lage gekommen! ({14}) Das, was ich eben über Ihre damalige Position sagte, gilt ja nicht nur für die deutsche Einheit. Sie hatten auch die Idee der europäischen Einigung aufgegeben. Der Begriff Eurosklerose - eine schlimme Krankheit wurde mit dem Begriff Europa verbunden - war doch auch bei Ihnen verbreitet. Europa galt Ihnen als etwas Gestriges. Sie waren auf einem Weg der Isolierung. Meine Damen und Herren vor allem von der SPD, auf diesem Weg sind Sie auch heute noch. ({15}) Glauben Sie denn wirklich, daß ein einziger meiner Kollegen in der Europäischen Union, wenn er Ihre Reden, Ihr Programm und das Ihres Partners, des Herrn Fischer und der Grünen, liest, glaubt, daß es eine gute Sache wäre, wenn Sie an die Macht kämen? Keiner will das, keiner! Sie wissen das auch ganz genau. ({16}) Dann, Herr Scharping, haben Sie die Jugend angesprochen. Ich fand es schon erstaunlich, wie Sie es getan haben; denn zur Sache haben Sie, sieht man von Ihren Angriffen ab, nichts beigetragen. Es wäre doch eigentlich Sache eines Oppositionsredners gewesen, einmal wirklich intensiv und breit auf die Themen einzugehen, die in diesen Tagen die deutschen Studenten bewegen. Die deutschen Studenten haben zu einem Protest hier in Bonn aufgerufen, weil sie genau wissen - das wird ja auch laut gesagt -, daß sie wegen der größeren Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit nach Bonn gehen müssen. Sie wissen aber auch, daß Bonn gar nicht ihr Ansprechpartner ist. Es ist doch gar keine Frage: Was die Studenten wollen, ist etwas - dies ist in der Verfassung für jedermann erkennbar -, was zunächst einmal in den Landeshauptstädten angesprochen werden muß. Wir als Bund haben uns nicht aus der Verantwortung gestohlen. ({17}) - Meine Damen und Herren, Sie wissen doch, daß es so nicht ist. Wir haben - um das noch einmal klar zu sagen - immer wieder mit den Ministerpräsidenten der Länder darüber gesprochen, daß der Hochschulbereich eine andere Priorität haben muß. Nicht alles, aber vieles von dem, wofür die Studenten in diesen Tagen demonstrieren, ist berechtigt und verdient auch unsere Sympathien und unsere Unterstützung. ({18}) Meine Damen und Herren, diese Generation will nicht den Staat umstürzen und nicht die Verfassung ändern. Es sind ganz junge Bürger dieser Bundesrepublik, die für sich eine Zukunft erarbeiten wollen - dazu brauchen sie unsere Unterstützung -, die eigene Leistungen bringen, die zügig studieren und, wenn möglich, auch rasch ins Berufsleben gehen wollen. Das sind handfeste Forderungen, nicht jene Dinge, die Herrn Fischer und seine Zeitgenossen damals über die Rollbahn getrieben haben. ({19}) Die Studenten, die jetzt demonstrieren, sind ganz normale junge Leute. Das ist eine Generation, die unsere Sympathien und unser Vertrauen verdient. Deswegen nehme ich diese Art von Demonstration auch nicht auf die leichte Schulter. Wir haben im Bund viel getan. Das neue Hochschulsonderprogramm III, das den Hochschulen bis zum Jahr 2000 insgesamt 3,6 Milliarden DM zur Verfügung stellt, davon allein 340 Millionen DM unter anderem für den Ausbau der Studienberatung etc., ist eine gute und vernünftige Sache. Sie haben eben gespottet. Wir haben gestern den zusätzlichen Vorschlag gemacht, 40 Millionen DM zur verbesserten Ausstattung der Universitätsbibliotheken zur Verfügung zu stellen. ({20}) Das ist keine Sache des Bundes, Herr Scharping. Was macht eigentlich der Herr Ministerpräsident Beck? Was macht eigentlich der Ministerpräsident von Hessen? Die müßten doch wissen, wie es in den Uni-Bibliotheken - etwa in Marburg - zugeht; aber sie wissen es nicht, weil sie in Wirklichkeit von der Realität des Lebens Abschied genommen haben, das Studenten heute in Deutschland führen. ({21}) Mit der Novelle zum Hochschulbauförderungsgesetz sind neue Finanzierungsspielräume und -instrumente für den Hochschulbau geschaffen worden. Wir haben noch eine ganze Menge mehr getan. Im Frühjahr haben wir kurzfristig ein zusätzliches Baupotential von bis zu 2,5 Milliarden DM erschlossen. Mir geht es jetzt gar nicht nur um die großen Beträge. Beispielsweise wird mir vorgetragen, welche Mittel Universitätsbibliotheken z. B. in den Massenfächern zur Verfügung stehen - etwa für juristische Kommentare, die zur einfachsten Ausstattung gehören. Da ist es nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch des guten Willens - oder andernfalls des totalen Versagens. Das muß man doch einmal klar und deutlich sagen. ({22}) Wir haben von Grund auf - ich will nur wenige Beispiele nennen - für eine Verstetigung der Mittelausstattung der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf hohem Niveau gesorgt. Die Grundfinanzierung liegt jetzt bei über 2 Milliarden DM pro Jahr. Die Steigerungen der letzten Jahre belaufen sich auf jeweils rund 150 Millionen DM. Das kommt der Hochschulforschung zugute und hat auch etwas mit der Zukunft des Forschungsstandortes zu tun. Sie greifen immer den Bund an. Aber es ist doch wahr: 90 Prozent der Finanzierung kommen aus den Ländern, und das ist in Ordnung; ich kritisiere es nicht. Das entspricht dem Sinn der Verfassung und unserer Einigung auf diesem Feld. Auf diesem Gebiet sind doch gerade von den Ländern drastische Kürzungen vorgenommen worden. Der Abgeordnete Fischer stellt sich hier mit großer Emphase hin und verkündet den Niedergang der Bundesrepublik Deutschland. Sie waren doch hessischer Minister; Sie sind jetzt noch die treibende Kraft der hessischen Grünen. Was machen Sie denn eigentlich in dieser Landesregierung, ({23}) wo immerhin 25 Prozent der Gesamtkürzungen im Haushalt auf den Bereich Wissenschaft und Kunst entfallen? Hören Sie doch auf, hier dem deutschen Publikum zu sagen, was Sie alles für die Zukunft tun! Sie tun überhaupt nichts. Sie haben nur ein Interesse: Sie wollen auf diese Bank - nicht mehr und nicht weniger. ({24}) Herr Scharping, Rheinland-Pfalz - davon verstehen wir beide etwas ({25}) und Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen - mit einer rot-grünen Regierung; dabei ist wieder Herr Fischer mit angesprochen - nehmen unter den westdeutschen Flächenländern bezüglich der Hochschulausgaben pro Kopf der Bevölkerung die schlechtesten Plätze ein. ({26}) Nun muß man ehrlich sagen, daß dies noch nicht einmal Länder sind, die in der Proportion besonders belastet sind. Bayern oder Baden-Württemberg haben bezogen auf die Zahl der Einwohner eine viel größere Universitätsdichte, und die Zahlen sind dort günstiger. Wenn Sie also schon über die junge Generation reden und dabei dauernd über deren Zukunft sprechen, dann machen Sie doch etwas. Tun Sie etwas! Sitzen Sie hier nicht herum und halten große Reden, sondern gehen Sie vor Ort unter die Leute, und tun Sie etwas! ({27}) Außerdem haben Sie von Lehrstellen gesprochen, Herr Scharping. Das ist auch so eine tolle Sache, mittlerweile ein förmliches Ritual. Kaum beginnt das Jahr, so prophezeien Sie schon für das übernächste Jahr die Lehrstellenkatastrophe. ({28}) Ich zitiere ein paar Beispiele. Wir haben Jahr für Jahr - ich gebe zu, unter Schwierigkeiten, was ja angesichts der wirtschaftlichen Probleme nicht verwunderlich ist, auch nicht angesichts des zurückgehenden Verantwortungsbewußtseins in manchen Betrieben, wobei ich Betriebsinhaber genauso wie Betriebsräte nenne - aus Verantwortung für die nachwachsende Generation zusätzliche Anstrengungen unternommen. Das ist die Wahrheit. In diesem Jahr steigt die Zahl der Lehrstellenbewerber erneut. Von den insgesamt 630 000 Bewerbern waren nach der neuesten vorliegenden Statistik am 30. Oktober nur noch etwa 18 000 ohne Angebot. Das ist eine bravouröse Leistung. ({29}) Sie wurde nicht erreicht mittels eines Steuerknüppels und nicht, indem man die Leute kujoniert hat, sondern indem man an ihre Gesinnung - von mir aus auch an ihre patriotische Gesinnung - appelliert hat, daß sie etwas für junge Leute tun müssen. Und sie haben es getan. Nun kann man noch fragen, ob die Zahl 18 000 zutreffend ist oder ob es nicht weniger sind; denn auch dabei hat sich etwas verändert. Ich höre von nicht wenigen, die Lehrstellen anbieten, daß manche, die sich beworben haben, dann eine andere Stelle annehmen, aber nicht absagen, so daß die Stelle zunächst blockiert ist und nicht an andere weitervermittelt werden kann. Ich sehe mich derzeit ziemlich unfähig, zu beurteilen, ob man bei insgesamt 630 000 Bewerbern zuverlässig eine Zahl von 18 000 nennen kann. Aber das will ich jetzt nicht vertiefen; ich habe diesbezüglich meine Zweifel. Tatsache ist: Wir haben in diesem Jahr einen Riesenerfolg erzielt. Wir haben erstmals seit zwölf Jahren - auch in wirtschaftlich schwieriger Lage und trotz gestiegener Arbeitslosigkeit - in den alten Bundesländern deutlich mehr Lehrlinge eingestellt. Ich habe allen Grund, denen zu danken, die dabei mitgeholfen haben. ({30}) Das gilt für alle Bereiche der Wirtschaft, wobei der eine oder andere in der Großindustrie noch etwas mehr tun könnte. Ich hätte eigentlich ganz gerne, daß zu den Erfolgszahlen im Hinblick auf den Aktienmarkt gelegentlich auch Erfolgszahlen in bezug auf die Einstellung von Lehrlingen hinzukämen. ({31}) Ich bedanke mich ganz besonders beim Mittelstand, beim Handwerk und bei den vielen, die in freien Berufen tätig und die vor die Frage gestellt sind, ob sie es sich erlauben können, drei statt zwei Lehrlinge einzustellen, und dies getan haben. Das, finde ich, ist eine großartige Sache. Das gehört zu den erfreulichsten Seiten in der Bundesrepublik, die, Herr Scharping, eben nicht verrottet und vom Egoismus heimgesucht ist. Die Bundesrepublik, die Sie da beschreiben, erlebe ich nur ganz gelegentlich. Die große Mehrzahl der Bürger in Deutschland denkt ganz anders. Das haben wir im Oderbruch und an vielen anderen Beispielen erlebt. Führen Sie sich doch einmal vor Augen, was jetzt vor Weihnachten in karitativer Hinsicht von Millionen und aber Millionen Menschen in Deutschland für die Dritte Welt getan wird. Daher finde ich Ihren Vorwurf ziemlich absurd. ({32}) Herr Scharping, wie läuft es denn ab? Am 12. Juli 1996, als Sie überhaupt noch nichts über die tatsächlichen Zahlen wußten, haben Sie im Südwestfunk ein Interview gegeben; so etwas kann man am besten machen, wenn man noch nichts Genaues weiß. Sie haben gesagt, angesichts des wachsenden Lehrstellenmangels sei absehbar, daß die erneute Zusicherung von genügend Ausbildungsplätzen im September nicht eingelöst werde. Tatsache ist: Die Dinge sind positiv gelaufen. Das war im letzten Jahr. In diesem Jahr sind Sie vom Südwestfunk weiter nach Süden gewandert und haben am 3. Oktober gegenüber der „Passauer Neuen Presse" gesagt: „In diesen Tagen" - ich sehe Sie richtig vor mir stehen und höre Ihre schmetternde Stimme - „suchen immer noch rund 100 000 Jugendliche einen Ausbildungsplatz". Das heißt, da wird eine Katastrophe an die Wand gemalt. Die ist aber nicht eingetreten. Hören Sie doch auf, von Katastrophen zu reden, die nicht eintreten! Politisch nützt es Ihnen bei den Jungwählern überhaupt nichts. ({33}) Mit der Lehrstellenabgabe erreichen Sie nichts; Sie wissen das doch. Wir haben ja eine Abgabe im Bereich der Behinderten. Das ist kein erfreuliches Kapitel. Sie wissen, wie viele sich über diese Abgabe freikaufen. Die Erfahrungen auf diesem Feld bewegen mich - neben anderen Gründen - dazu, absolut gegen eine neue Abgabe zu sein. Herr Schröder hat jetzt in dieser Sache etwas Vernünftiges gesagt. Darin könnten Sie ihm einmal folgen. Bei vielem müssen Sie ihm ja nicht folgen; wählen tun Sie ihn auch nicht. Also, insofern könnten Sie wenigstens diese gute Tat vollbringen. ({34}) Ich finde, wir sollten das Lehrstellenthema aus dem politischen Streit heraushalten. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir auch große Probleme ganz anderer Art haben und daß die Zahlen, die ich genannt habe, natürlich überhaupt nicht befriedigen können. Es sind Globalzahlen, und die regionale Situation in den neuen Ländern ist völlig anders: Dort gibt es keinen breiten Mittelstand, der erforderlich ist, um eine ausreichende Zahl von Lehrlingen einzustellen. Wir müssen auch berücksichtigen, daß sich die Dinge total verändert haben. Wenn wir heute im Kern des Ruhrgebiets einen Lehrstellenmangel haben, dann hat das etwas mit der strukturellen Veränderung zu tun. Vieles in Deutschland hat sich verändert. Deshalb kann man nicht sagen: Jetzt ruhen wir uns aus, weil die Zahlen insgesamt stimmen. Wir müssen vielmehr sehr konkret vor Ort versuchen, Lösungen zu finden. Das tun die zuständigen Bundesminister Norbert Blüm, Jürgen Rüttgers und Günter Rexrodt und alle, die sich damit befassen, nicht zuletzt auch die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern. Wenn wir in diesem Fall zu einer Regionalisierung kommen, halte ich das für ganz richtig. Unser Job ist es, für die Ausbildungsplatzsuchenden das Menschenmögliche zu tun. Dabei wird es immer das Problem geben, daß sich etwa die Lage in der Vorderpfalz - ich spreche jetzt von meiner Heimat - anders darstellt als beispielsweise die in der Westpfalz und daß die Zahlen für den Bayerischen Wald heutzutage besser aussehen als die für den Kern des Ruhrgebiets. Das ist alles wahr, und das muß berücksichtigt werden. Politik ist die Kunst des Möglichen, und in diesem Sinne müssen wir handeln. Noch ein letztes zu dem Thema: Ich kann überhaupt nicht verstehen, daß manche - das war nicht heute hier im Saal - in der deutschen Öffentlichkeit so tun, als wäre diese Frage eine Last. Ich finde, es ist ein Geschenk für die Bundesrepublik Deutschland, daß wir bis 2006 noch eine steigende Zahl junger Leute haben, die einen Ausbildungsplatz anstreben. ({35}) Ich finde es ausgesprochen positiv und will es hier hervorheben, daß auch im Bereich der Abiturienten, ja, bis hin zum Bereich von jungen Akademikern die Zahl derer wächst, die zusätzlich einen Ausbildungsplatz im dualen System suchen und statt der völligen Verakademisierung Erfahrungen mit der praktischen Berufswelt machen wollen. Ich finde das positiv, und das verdient unsere Unterstützung. Ich möchte Sie einfach bitten, daß wir dieses Thema zu den Akten legen und nicht mehr in der Form darüber reden, als wären hier Katastrophen im Gange. Keine Spur davon! ({36}) - Ja, das ist die Wahrheit. Die Wahrheit ist für Sie zu einfach, das gebe ich zu, aber es ist trotzdem die Wahrheit. ({37}) Dann habe ich einen dritten Punkt. Ich habe eigentlich erwartet, Herr Scharping, daß Sie heute noch etwas zum Beschäftigungsgipfel in Luxemburg gesagt hätten. Denn als wir hier vor ein paar Tagen über meinen Vorbericht zum Europäischen Rat sprachen, klang das doch ganz katastrophal. Das war auch wieder so ein Szenario: Die Bundesregierung - und ich natürlich sowieso - werde dort in eine totale Isolierung geraten, und wir seien völlig für uns allein. All diese Beschlüsse wurden einstimmig gefaßt. Ich habe selten so viel Harmonie wie bei diesem EGGipfel erlebt, übrigens auch Harmonie mit den neu hinzugekommenen Kollegen aus London und Paris. Herr Scharping, Sie wissen es doch auch: Am Vorabend - das ist ja Ihr Job als Vorsitzender der europäischen Sozialdemokratie - und, ich glaube, am Morgen des EU-Gipfels waren Sie doch mit den Kollegen zusammen und haben von ihnen gehört, was mittags gemacht wurde. Wir haben es dann auch gemeinsam beschlossen. Ich kann nicht entdecken, daß wir isoliert waren. Im Gegenteil, eine ganze Menge unserer Formulierungen sind mit aufgenommen worden - auch schon im Vorfeld; und es ist ein großes Verdienst von Jean Claude Juncker, daß diese Konferenz so gut gelungen ist. Das ist doch eine ganz prima Sache. Sie haben eigentlich Grund, sich zu freuen. Es geht nicht bloß um eine Sache von CDU und SPD, sondern um eine Sache, die uns Deutsche betrifft. Das ist ja eigentlich ein Grund, weshalb Sie zufrieden sein können. ({38}) Ich will hier gar nicht über alles reden, aber die beschäftigungspolitischen Leitlinien für 1998 sind für uns in der praktischen Arbeit sehr gut verwendbar. Wahr ist auch, daß natürlich Arbeitsmarktpolitik eine Sache der nationalen Dimension ist. Das habe ich vorhin gesagt und wurde von Ihnen angegegriffen; aber alle, die in Luxemburg dabei waren, wissen es. Übrigens hat es ein britischer Kollege dort öffentlich gesagt. Deswegen sage ich es auch hier; aus der Sitzung hätte ich es nicht zitiert. Es ist klar, daß wir uns gegenseitig helfen, daß wir voneinander lernen. Aber wir können auf diesem Feld nicht eine Politik machen, die zwischen Helsinki und Edinburgh einheitlich sein kann. Das kann sie nicht, weil Tradition und Bedingungen unterschiedlich sind. Positiv will ich erwähnen, daß das besondere Programm der europäischen Investitionsbank in Luxemburg genau das leistet, was auch wir wollen, nämlich mehr Wagniskapital für Neugründungen und Infrastrukturvorhaben bereitzustellen. Das hat übrigens die breite Unterstützung der großen Mehrheit des Europäischen Parlaments gefunden. Man muß einmal die Summe betrachten. In den nächsten drei Jahren werden an die jeweiligen nationalen Instanzen - es wird keine neue Bürokratie aufgebaut - Darlehen in Höhe von 18 Milliarden DM ausgegeben. Damit können immerhin Investitionen von bis zu 55 Milliarden DM ausgelöst werden. Das ist, finde ich, die richtige Politik; denn wir werden die Lage auf dem Arbeitsmarkt nur mit einer breiten Neugründungswelle auch bei uns in der Bundesrepublik verbessern können und wenn das Wagnis Selbständigkeit wieder ganz nach vorn kommt. ({39}) Herr Scharping, Sie hätten gut die Passagen über beschäftigungsfördernde Steuer- und Abgabenpolitik vorlesen können, von denen Sie aber sagen: Die haben wir hineingeschmuggelt. Das ist ganz unsere Meinung. Bloß, wenn sie von Theo Waigel - wie gestern - vertreten wird, dann schreien Sie: Protest. Ja, warum eigentlich? Diese Haltung ist doch vernünftig. Sie können natürlich auch gegen Vernünftiges protestieren. Aber wenn fast alle der gleichen Meinung sind, dann sollten Sie sich gelegentlich überlegen, ob Sie mit Ihrer Minderheitenmeinung auf dem richtigen Weg sind. ({40}) Es ist eine Menge über die Wiedereingliederung von Arbeitslosen beschlossen worden. In den Abmachungen gibt es ganze Passagen, in denen steht, wie man voneinander lernen kann. Darin habe ich etwas Erfreuliches entdeckt. Unter den positiven Beispielen wird unter anderem das duale System in Deutschland erwähnt. Es ist zwar nicht unsere Leistung, sondern die Leistung der Generation vor uns. Trotzdem sind wir auf diesen Exportartikel stolz, der in der ganzen Welt größten Respekt und Bewunderung findet. Es sind noch andere Beispiele genannt worden, vor allem Beispiele, die sich auf Dänemark und die Niederlande beziehen. Herr Scharping, ich bin ganz happy, wenn ich lese, daß Sie in Luxemburg folgendes gesagt haben - ich zitiere den entsprechenden Artikel; es sind nur wenige Zeilen -: In Luxemburg machte Scharping deutlich, daß er sich durchaus Zwangsmaßnahmen gegen arbeitsunwillige Arbeitslose vorstellen kann. ({41}) Als Vorbild nannte er das dänische Modell. Arbeitslose unter 25 Jahren, die ein Jobangebot nicht annehmen, erhalten dort keine Arbeitslosenunterstützung mehr. „Dies halte ich für gut", sagte Scharping. „Solidarität ist keine Einbahnstraße", begründete er seinen Vorschlag. ({42}) Also, lieber Herr Scharping, wir können schon in dieser Woche darüber miteinander reden. ({43}) Wenn Sie schon nicht den von mir besonders geschätzten dänischen Kollegen - wie Sie wissen, ist er ein wirklicher Sozialist - heranziehen wollen, dann konzentrieren wir uns auf den Leipziger Oberbürgermeister. Er macht ähnliches. Er ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Er kommt sogar, wenn ich mich nicht täusche, aus Hannover. ({44}) Das heißt, da ist jemand ausgewandert; das war klug. ({45}) Ziehen wir doch den Leipziger Oberbürgermeister heran! Er steht nicht in dem Verdacht - deshalb ist er als Beispiel besonders geeignet -, Parteipolitik zu machen, weil er nicht wieder kandidiert. Er hat interessante Ideen. Ich kann nur bitten, daß quer durch alle Parteien andere Oberbürgermeister, auch die in den alten Bundesländern, einmal auf vergleichbare Ideen kommen. ({46}) Das heißt: Wenn man will, kann man natürlich etwas tun. An diesen Beispielen erkennen Sie, daß Sie nicht immer nach Gesetzen rufen müssen. Die Rahmenbedingungen sind ja alle vorhanden. ({47}) Wenn man will, kann man etwas tun. Ich rate dazu, daß wir es gemeinsam tun. Die Wirtschaftszahlen waren bisher in den Rufen der Opposition vom Niedergang des Landes untergegangen. Als wir im Januar und Februar darüber sprachen, haben Sie Spott und Hohn über den Redner ausgegossen - ich glaube, es war der Kollege Rexrodt, der damals für die Regierung sprach -, als wir von einer Zuwachsrate des Wirtschaftswachstums von zweieinhalb Prozent sprachen. Heute steht das außer jeder Frage. Jetzt reden wir vom nächsten Jahr. Alles spricht dafür, daß die wirtschaftlichen Daten - ich spreche jetzt nicht vom Arbeitsmarkt; ich komme noch gleich darauf zurück - auf einen Zuwachs von drei Prozent, vielleicht sogar mehr, hindeuten. Das ist eine gute Botschaft für die Deutschen, weil diese Zahl verspricht, daß das nächste Jahr ein gutes Jahr wird. Ich finde das angemessen, weil es ja ein Wahljahr ist. Wahljahre sollten gute Jahre sein. ({48}) - Auch Sie haben doch Ihre Freude daran, wenn es ein gutes Jahr wird. Der Export boomt. Wir haben einen Zuwachs von 10,5 Prozent im Jahr 1997. Für 1998 erwarten wir ungefähr den gleichen Zuwachs. Aber - das ist das Problem, das uns bedrückt - die alte Erfahrung, die Wirtschaft zieht an und zieht den Arbeitsmarkt mit, trifft nicht mehr wie bisher zu. Sie trifft auch nicht mehr mit zeitlicher Verzögerung zu, wie das früher der Fall war. Um es klar auszudrücken: Ich bin absolut dagegen, daß jetzt von Propheten über die Zahl der Arbeitslosen im Winter spekuliert wird. ({49}) Ich bin nicht dafür, daß Sie jetzt wieder der Prophet sind - auch ich bin es nicht -, der uns sagt, wie der Winter ausfällt. Aber ich erwarte zum Beispiel von den Bauarbeitgebern - ich habe das dem Kollegen Blüm gesagt; wir werden die Gespräche dieser Tage noch einmal aufnehmen -, daß in diesem Winter nicht wieder unter Mißachtung der Wintergeldregelung Arbeitnehmer in großer Zahl für einige Wochen entlassen werden. ({50}) Ich bin nachdrücklich dafür, daß sich Gewerkschaften und Arbeitgeber, die vor ein paar Wochen eine förmliche Vereinbarung - der Gesetzgeber hat sie flaniert - unterschrieben haben, an ihre Vereinbarung halten, an das, was sie tariflich beschlossen haben. Ich hoffe, daß wir das Schauspiel vergangener Jahre nicht wieder erleben. Ich finde es nicht in Ordnung, daß die Arbeitnehmer vor Weihnachten entlassen werden mit der klaren augenzwinkernden Maßgabe: Am 1. April könnt ihr wiederkommen. Wir müssen hier zu klaren Verhältnissen kommen. Das sage ich mit großer Eindeutigkeit. ({51}) Meine Damen und Herren, wir verzeichnen darüber hinaus auch im Beschäftigungsbereich Verbesserungen - langsam, aber immerhin. So wurden allein im Metall- und Elektronikbereich fast 30 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Wir haben vieles andere erreicht, was positiv ist. Was uns am meisten Sorge macht - das hängt wieder mit der Bauindustrie zusammen -, ist die Entwicklung in den neuen Ländern. Wir haben dort eine überproportionale Ausstattung mit Baubetrieben. Angesichts der gesamtwirtschaftlichen Situation macht uns diese Entwicklung natürlich große Probleme. - Ich will zu diesem Punkt gleich noch in einem anderen Zusammenhang kommen. - Deswegen bin ich dafür, daß wir ungeachtet unserer Auseinandersetzung vor der Wahl jetzt nach Mitteln und Wegen suchen, wie wir dem Arbeitsmarkt helfen können. Wir sind der Meinung, bei der Steuerreform und bei der Rentenreform gibt es solche Chancen. Laßt uns darüber reden! Wir haben neben unseren Problemen auf diesem Weg aber auch eine Menge Aktivposten vorzuzeigen. Es zeigt sich jetzt im Vergleich mit anderen Ländern - Sie sind daran mit beteiligt; darüber können Sie sich doch freuen -, daß die Bundesrepublik Deutschland des Jahres 1997 trotz aller Herausforderungen noch immer ein Land mit einer ausgezeichneten Infrastruktur ist. Es zeigt sich, daß die hohe Qualifikation der Arbeitnehmer und das duale Berufsausbildungssystem mit Recht weltweit anerkannt werden. Es zeigt sich im übrigen, daß der deutsche Weg der sozialen Marktwirtschaft noch immer der beste ist. Ich vermisse in diesen Tagen - darin stimmen wir sogar überein - den einen oder anderen der großen Gurus, die gesagt haben: Ihr müßt mehr nach Japan reisen. ({52}) Man konnte den Eindruck gewinnen, man müsse Japanologie betreiben, um in Deutschland Politik wagen zu können. Herr Kollege, ich wollte Ihnen jetzt einmal etwas zu Ihrer Freude sagen, jetzt sind Sie auch wieder nicht zufrieden. Eigentlich müßten Sie jetzt doch klatschen; denn in diesem Fall sind wir doch nicht auseinander. Es zeigt sich, daß auch andere ihre Probleme haben, auch hausgemachte, und daß die grundsätzlichen Entscheidungen, die wir getroffen haben, richtig sind. Mit unserem leistungsfähigen Mittelstand haben wir einen hervorragenden Aktivposten. Wir haben auch - das füge ich hinzu, obwohl Sie es leugnen - ein gutes soziales Klima. Jetzt gibt es in den Gewerkschaften und im DGB Streit darüber, was sie zur Bundestagswahl machen sollen. Früher war das viel einfacher. Da hat man sich zusammengesetzt und gesagt: Wählt einen besseren Bundestag. - Ich war nie dagegen; denn die Parole hat immer umgekehrte Folgen gehabt. Wenn sie sagen: „Wählt einen besseren Bundestag" und wir in der Koalition die Wahl gewinnen, dann habe ich überhaupt nichts dagegen. ({53}) Aber auch das ist viel differenzierter geworden. Wenn ich die einzelnen Sprecher in den Gewerkschaften höre, muß ich feststellen, daß es große Unterschiede gibt. Das zeigt nur, daß die Menschen, die sich an der Diskussion beteiligen, klug sind. Denn manche von ihnen fragen: Was machen wir denn, wenn wir den wilden Mann spielen, und dieser Mensch sitzt im Oktober noch immer auf seinem Platz? Wir müssen weiter mit ihm reden. - Es ist doch gescheiter, man wählt den Weg der Mitte. Deswegen habe ich den Eindruck, daß wir sagen können: Beim sozialen Klima sind wir ein gutes Stück vorangekommen. Allerdings bin ich ohne Illusion; darüber darf kein Zweifel aufkommen. Am 1. Mai wird es einen gewaltigen Aufmarsch geben. Aber das war beim letzten 1. Mai und beim vorletzten 1. Mai auch so. Deswegen nehmen wir das alles mit Ruhe und Gelassenheit hin. Wahr ist aber, daß unser Land an Wettbewerbsfähigkeit verliert und daß wir die Wettbewerbsfähigkeit verbessern müssen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen - ohne gegenseitige Vorwürfe -, daß die anderen besser geworden sind. Wir sind in vielen Bereichen nicht einmal schlechter geworden, aber die anBundeskanzler Dr. Helmut Kohl I deren sind besser geworden. Wer nach den USA Exportland Nr. 2 in der Welt bleiben will, der muß das endlich begreifen. Das ist mein eigentlicher Vorwurf gegen diese Blockadepolitik im Bundesrat. Daß Sie, meine Damen und Herren, zu diesen oder jenen Projekten der Bundesregierung nicht ja sagen, ist normal. Das haben wir auch gemacht. Ich war als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz viele Jahre Sprecher der Unionsgeführten Länder im Bundesrat. Mir können Sie eine Menge Vorhaltungen dieser Art machen. Aber hier geht es um zwei Grundprinzipien der Politik: Die Steuerreform und die Rentenreform sind nicht irgendwelche Themen, sondern betreffen die Zukunftsfähigkeit der Bundesrepublik. ({54}) Wir haben auch gegen Ihren Widerstand eine ganze Menge auf den Weg gebracht. Ich nenne nur das Kündigungsschutzgesetz. Wir haben die Schwelle für die Anwendbarkeit von fünf auf zehn Arbeitnehmer heraufgesetzt. ({55}) - Aber meine Damen und Herren, das war doch kein Fehler, das war richtig. Dies ist doch kein Verlust an sozialer Sicherheit, wenn es um mehr Beschäftigung geht. Ich nenne noch ein Beispiel für unsere Arbeitsmarktpolitik, das Sie besonders empört hat und das am 1. Mai letzten Jahres viele bewegt hat: die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Ich habe Arbeitgebern und Gewerkschaften immer gesagt: Ich will dieses Gesetz nicht, ihr müßt das Problem selbst lösen. Das gehört zur Tarifautonomie. Aber beide sind dann Ostern gekommen und haben gesagt, sie einigen sich nicht. Dann haben wir - auch ich; ich bekenne mich dazu - gesagt: ({56}) Angesichts der Kostenbelastung für die Betriebe, die nicht bleiben kann, müssen wir das Gesetz machen. Das Gesetz hat beispielsweise zur Folge, daß bei einem Großteil von Tarifverträgen - das muß Sie doch nachdenklich stimmen -, bei denen das Gesetz nicht unmittelbar angewandt wurde, es sich in anderer Weise entlastend auf die Wirtschaft ausgewirkt hat. Es hat insgesamt die Wirkung, daß die deutsche Wirtschaft um 15 Milliarden DM entlastet wird. Ich höre dies jetzt auch häufig aus der deutschen Wirtschaft. Dies ist eine Leistung, die etwas mit dem Erhalt und der Schaffung von Arbeitsplätzen zu tun hat, und das muß man entsprechend sagen. ({57}) Dann ist noch etwas geschehen - das ist die historische Wahrheit, nach der dauernd gefragt wird -: Der Krankenstand in Deutschland ist auf dem niedrigsten Stand der letzten 20 Jahre. Herr Scharping, in diesem Land, das so vom Elend geplagt ist, ist der Krankenstand plötzlich heruntergegangen. Natürlich hat das auch etwas mit der Arbeitsplatzsituation zu tun. Aber es hat auch etwas mit der wachsenden Erkenntnis zu tun, daß dies eben keine Freizeitgesellschaft ist, sondern ein Land, das Zukunft braucht und deswegen die notwendigen Entscheidungen treffen muß. ({58}) Das Arbeitsförderungsgesetz hat viele Anregungen für Unternehmen mit auf den Weg gegeben, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen; so beispielsweise die Einstellungszuschüsse für Existenzgründer, die Arbeitslose einstellen. Es gab natürlich auch bei uns in der Koalition Leute, die die reine Lehre vertreten und sich in diesem Fall zu Unrecht auf Ludwig Erhard berufen. Dies ist eine Übergangsmaßnahme, die sinnvoll und nützlich ist. Deswegen bin ich dafür, daß wir all diese Dinge jetzt tatsächlich umsetzen und daß wir das Notwendige tun; vielleicht dort, wo wir jetzt allmählich zur Einkehr kommen. Ich wiederhole, Herr Scharping: Das, was Sie in Luxemburg über das dänische Vorgehen gesagt haben, habe ich nicht erwähnt, um Ihnen Schwierigkeiten zu machen, sondern ich sage es, weil ich glaube, daß dies einer der Bereiche ist, wo wir enorme Wirkungen auf den Arbeitsmarkt erzielen können. Denn es ist doch wahr: Neben den vielen, die arbeitslos sind und Arbeit suchen, gibt es eine beträchtliche Zahl, die wie Slalomläufer durch die Gegend ziehen und nicht mit Arbeit in Berührung kommen wollen. Auch das ist die Wahrheit. ({59}) Ganz offensichtlich haben Sie gar keinen Kontakt mehr mit Betriebsräten. ({60}) Reden Sie doch einmal mit Betriebsräten in deutschen Betrieben. Meinen Sie, die deutsche Sozialdemokratie sei darauf abonniert? Sie sind längst nicht mehr die Arbeitnehmerpartei, die Sie einmal waren. Das wissen Sie, und das kann man Ihnen gar nicht oft genug sagen. ({61}) In dieser Debatte ist der Begriff Globalisierung gebraucht worden. Meine Damen und Herren, ich finde es ganz falsch, daß man die bestehenden Ängste in der Bevölkerung, die in vielen Fällen verständlich sind, schürt, indem man hier eine Antiposition einnimmt. Um was geht es denn? Es geht darum, daß sich ein Land wie Deutschland, ein Exportland, in die weltweite Wirtschaft einfügen muß. Wir müssen konkurrenzfähig sein und bleiben, auch bei dem hohen Sozial- und Lohnniveau, das wir nicht aufgeben wollen. Davon kann doch gar keine Rede sein; es geht doch nicht um das Abschaffen des Sozialstaates, sondern um seine Umgestaltung. Auch deutsche Groß- und Mittelbetriebe, die international arbeiten, müssen die Chance haben, außerhalb des Landes ProduktionsBundeskanzler Dr. Helmut Kohl Stätten zu bauen, was übrigens in vielen Fällen mit Blick auf die internationale Arbeitsteilung durchaus vernünftig ist. Es gibt keine Nischen, in denen wir uns vor dem Wind der Konkurrenz verstecken können. Flexibilität, Reformbereitschaft und Leistungswille bilden das Begriffstrio, von dem wir ausgehen müssen. Ich wünsche mir, daß Sie in der SPD das endlich auch einmal laut sagen. Dann können wir auch über Details streiten. Wir werden keine neuen Exportchancen bekommen, wir werden kein zusätzliches Kapital, keine zusätzlichen Investitionen und damit nicht genügend Innovationen nach Deutschland ziehen, wir werden auch den Wissenstransfer nicht hinreichend voranbringen, wenn wir das Steuersystem nicht ändern. Da können Sie machen, was Sie wollen: Die Zahlen sind ganz eindeutig. ({62}) Es ist erfreulich, daß der deutsche Export in diesem Jahr, wie ich schon gesagt habe, um 10 Prozent gestiegen ist. Es ist auch wahr - wenn auch in bescheidenerem Maße -, daß der Exportanteil deutscher Unternehmen am Weltmarkt wieder zunimmt. Eine starke Zunahme deutscher Direktinvestitionen im Ausland ist ein Grund für Zukunftsoptimismus. Aber entscheidend ist, daß gleichzeitig die Auslandsinvestitionen bei uns steigen. Dabei ist es - auch das ist keine parteipolitische Frage - angezeigt, daß wir eine Gefahr erkennen: Zwischen 1985 und 1996 investierten Ausländer in Deutschland 32 Milliarden USDollar, aber 220 Milliarden US-Dollar in Großbritannien und über 500 Milliarden US-Dollar in den USA. Ich bin nicht für Vergleiche im Verhältnis 1 : 1. In Großbritannien investiert eine amerikanische Firma auf Grund der gleichen Sprache natürlich sehr viel leichter als bei uns in der Bundesrepublik. Der Vergleich mit den USA hinkt schon sehr. Aber wahr ist, meine Damen und Herren, daß Sie, wenn Sie das nüchtern betrachten, feststellen müssen: Wir haben in Deutschland zuwenig Auslandsinvestitionen. Das hat mit den Gesamtbedingungen zu tun. Da wird im Ausland manches zu Recht kritisiert und manches ganz zu Unrecht. Wir müssen uns der Konkurrenz stellen. Es wäre gut, wenn die Investitionen aus dem Ausland wieder steigen würden. Deswegen bleibe ich bei dem, was hier eigentlich jeder denkt - da hat Herr Fischer, glaube ich, recht; im Prinzip gibt es eine Menge Fragen, bei denen wir gar nicht so weit auseinander sind -: Man muß versuchen, die Steuerreform zu machen. Ich kann mich natürlich darauf zurückziehen - das tue ich aber nicht - und sagen: Wenn es mit dem Bundesrat partout nicht geht, suchen wir die Entscheidung beim Wähler. Das machen wir auf alle Fälle, damit da kein Zweifel aufkommt. Ich bin meiner Sache ganz sicher, wie die Entscheidung ausgehen wird. ({63}) Aber wir verlieren Jahre, wenn erst der nächste Bundestag dieses Gesetz verabschieden kann. Dann schreiben wir vielleicht schon das Jahr 2000. Wir haben aber keine Zeit zu verlieren. Das muß man in Deutschland doch endlich begreifen. ({64}) Ich bin völlig damit einverstanden, daß wir auch zwischen den Fraktionen und ebenso zwischen den Ländern und dem Bund in einen edlen Wettstreit eintreten, durch den wir bürokratische Hemmnisse, die Investitionen behindern, stärker abbauen können. Ich bin beispielsweise fest überzeugt davon - das hört nicht jedermann gern, aber es gehört dazu -, daß alle Bedingungen für die Frankfurter Börse so sein müssen wie an der Wall Street, wie in London, in Singapur und anderswo. Einen deutschen Sonderweg kann es hier nicht mehr geben. Das heißt: Umdenken auch in Bereichen, die andere nicht ohne weiteres meinen, wenn sie von Umdenken reden. Aber ich beziehe diese Bereiche ausdrücklich mit ein. Wir brauchen ein Klima der Innovationen. Damit meine ich das, was ich eben mit „Willen zur Selbständigkeit" beschrieben habe. Jürgen Rüttgers hat recht, wenn er immer wieder darauf hinweist, daß laut Umfragen unter deutschen Studenten rund 40 Prozent am liebsten in den öffentlichen Dienst gehen, während es in den USA 12 oder 13 Prozent sind. Diese mentale Situation müssen wir ändern. Wir müssen die jungen Leute wieder motivieren, etwas zu wagen, etwas zu unternehmen. Das ist ein Teil dessen, was wir für die Zukunft tun können. ({65}) Jetzt zur Rentenreform. Verstehen kann ich diese Debatte sowieso nicht. ({66}) - Sie mögen das verstehen, ich verstehe es nicht. - Bei nüchterner Betrachtung der Lage in unserem Land - von der war doch die ganze Zeit die Rede - muß man doch eigentlich erkennen, daß wir den Entscheidungen, was auch immer wir denken mögen, gar nicht mehr ausweichen können. ({67}) Auf der einen Seite sind wir das Land, das zusammen mit Spanien und Italien die niedrigste Geburtenrate in der Europäischen Union hat. Auf der anderen Seite nimmt - das ist höchst erfreulich - das durchschnittliche Lebensalter der Bevölkerung zu. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt bei Männern 74 Jahre, bei Frauen 80 Jahre. Unser Land macht auch im Bereich moderner Medizin gewaltige Fortschritte. Bei uns ist es ganz selbstverständlich, daß die Operationen auch bei Menschen in hohem Lebensalter und bei Ortskrankenkassenpatienten nach dem neuesten Stand der Wissenschaft vorgenommen werden, ganz gleich, ob es um einen Bypass, um Hüftgelenksoperationen oder sonst etwas geht. Das sind doch die Tatsachen in unserem Land, von denen man ausgehen muß. Es ist dringend erforderlich, daß die Studenten früher von den Universitäten abgehen. Trotzdem beBundeskanzler Dr. Helmut Kohl wegt sich - damit sind wir wiederum bei den Ländern -, nahezu nichts. Das Durchschnittsalter der Hochschulabsolventen bei uns liegt immer noch bei 29 Jahren, während in den EU-Ländern, die genauso ausbilden wie wir, das Durchschnittsalter bei 25 Jahren liegt. Ein Land muß doch in der Lage sein, in diesem Bereich endlich einmal zu handeln, anstatt eine Verlängerung der Schulzeiten anzustreben. Statt dessen sollte man die Schulzeit richtig ausfüllen. Das macht einen Sinn. ({68}) Wenn all diese objektiven Daten stimmen, können Sie machen, was Sie wollen; man braucht eine Rentenformel, in die auch die demographische Entwicklung aufgenommen wird. Man kann natürlich über die Ausgestaltung streiten. Wir tun dies in der eigenen Partei mit unglaublicher Inbrunst. Sie glauben gar nicht, was für einen Spaß es macht, darüber im Parteivorstand zum sechsten Mal zu diskutieren. ({69}) Aber das gehört zum Wesen der Demokratie, und folglich machen wir das. Nur muß man doch zu dem Ergebnis kommen, entsprechend zu handeln. Ich hätte das auch in den letzten Wochen, seit diese Zahl von 21 Prozent genannt wurde, erwartet. Diese Zahl können wir so nicht hinnehmen, da müssen wir wirklich etwas tun. ({70}) Ich setze immer noch darauf, daß in den Besprechungen, spätestens im Vermittlungsausschuß, ein Stück Vernunft einkehrt. Aber man sollte auch einmal fair über die Gründe dieses Anstiegs reden. Es gab eine große Gemeinsamkeit unter Arbeitgebern und Arbeitnehmern - wichtige Repräsentanten der Arbeitgeber sehe ich förmlich vor mir -, auch in den politischen Parteien. Sie alle befürworteten, die Frühverrentung voranzutreiben, auch um Arbeitsplätze für den Nachwuchs frei zu machen. Wir haben aus den letzten fünf Jahren insgesamt 1,1 Millionen Frührentner. Die Rentenversicherung wird dadurch in diesem Jahr um 25 Milliarden DM belastet; das sind gut 1,5 Beitragssatzpunkte. Das ist doch die Wahrheit. Warum sagen wir sie nicht an diesem Pult? Niemand hat das hier gesagt. Diese Diskussion müssen wir beispielsweise auch mit Blick auf den Mittelstand aufnehmen. ({71}) Denn diese Regelung hat weit mehr der Großindustrie als dem Mittelstand genutzt. ({72}) Wenn ich zu Hause einen Handwerksmeister treffe, bekomme ich dies in unmißverständlicher pfälzischer Sprache gesagt. Ich nenne ein Beispiel: In einem einzigen deutschen Großunternehmen wurden in den Geschäftsjahren 1990 bis 1997 31 000 Mitarbeiter vorzeitig in den Ruhestand geschickt. Das durchschnittliche Ruhestandsalter liegt jetzt bei 56,5 Jahren. Auch das sage ich nicht anklagend; denn ich war ja an der Regelung beteiligt. Wenn der Ministerpräsident Lafontaine nachher ein paar Zahlen aus dem Stahlbereich von Saar oder Ruhr nennen sollte, wird er in bezug auf das durchschnittliche Renteneintrittsalter von ganz anderen Zahlen sprechen. Das haben wir doch gemeinsam gemacht. Und deshalb sollten wir uns zusammen hinstellen und sagen, daß es so war. Aber daß man jetzt auf den Norbert Blüm einprügelt, obwohl alle mitgemacht haben, finde ich nicht fair. ({73}) Damit kein Zweifel besteht: Noch wird diese Praxis der Frühverrentung fortgesetzt. In diesem Jahr werden es voraussichtlich 240 000 Personen sein, und im letzten Jahr waren es 224 000. Basis ist die Vertrauensschutzregelung, die von Arbeitgebern und Gewerkschaften für das Gesetz zur Förderung des gleitenden Übergangs in den Ruhestand vehement gefordert wurde. Ich drücke mich hier also nicht vor der Verantwortung; ich bitte nur sehr darum, daß wir gemeinsam zu dem stehen, was wir gemeinsam gemacht haben. Es gab ja auch gute Gründe dafür. Ich finde es nicht in Ordnung, daß dann, wenn ein Problem auftaucht, es nur die einen gewesen sein sollen und die anderen so tun, als seien sie nicht dabeigewesen. ({74}) Es gibt auch in einem anderen Bereich eine Entwicklung, die man zur Kenntnis nehmen muß. Sie ist grundsätzlich positiv, hat aber ebenfalls Auswirkungen auf die Rentenversicherung. Es gibt erhebliche Einnahmeausfälle bei der Rentenversicherung, weil die Löhne moderat gestiegen sind. Lohnzurückhaltung haben wir immer propagiert. Entsprechende Auswirkungen hatte auch die Neuregelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Eine maßvolle Tarifpolitik ist höchst erfreulich, aber sie hat Konsequenzen bei der Rentenversicherung. Ich komme jetzt zu einem anderen Thema, bei dem ich dringend davor warne, Radikallösungen anzustreben: Es ist im Bereich der 610-DM-Jobs eine Entwicklung eingetreten, die nicht hinnehmbar ist. Das ist doch einfach unbestreitbar. Die 610-DM-Jobs hatten und haben einen Sinn. Deswegen bin ich vehement dagegen, wenn man jetzt sagt: Wir machen einen großen Schnitt und schaffen das alles ab. Damit schafft man mehr Probleme bei der Beschäftigung, ({75}) als wenn man die gegenwärtige Regelung beibehält. Ich sage noch einmal: Ich bin für eine vernünftige LöBundeskanzler Dr. Helmut Kohl sung, die zwischen den Extremen liegen und moderat sein muß. Das werden wir anstreben. ({76}) Wahr ist, daß die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse seit 1992 um 2 Millionen zurückgegangen sind, und wahr ist ebenfalls, daß wir gleichzeitig eine Zunahme der sozialversicherungsfreien Beschäftigungsverhältnisse um 1,2 Millionen erlebt haben. Unser Ziel kann es nicht sein, die 610-DM-Jobs abzuschaffen; ({77}) vielmehr lautet unsere Aufgabe, diese Beschäftigungsform auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen, wie wir es zuvor gehabt haben. Damit sind wir nicht schlecht gefahren. Ich denke, daß jemand, der über Studenten und andere redet, das nicht völlig aus dem Blick verlieren sollte. ({78}) Zum Thema Steuerreform will ich nur noch einmal sagen - Herr Ministerpräsident Lafontaine, das ist auch direkt an Sie gerichtet -: Lassen Sie uns noch einmal überlegen - ich will jetzt gar nichts zu den Details sagen; dazu ist genug gesagt worden -, ob wir ungeachtet aller bisherigen Schlachten nicht doch zu einem Gespräch zusammenkommen können, und zwar ohne persönliche Eitelkeit des einen oder anderen. ({79}) - Ich schließe mich dabei voll ein. Was wollen Sie denn eigentlich? Darüber brauchen Sie doch nicht zu lachen. Natürlich muß man sich hier auch ein Stück überwinden. Wenn Sie das nie in Ihrem Leben gemacht haben, dann tun Sie mir leid. ({80}) Vielleicht könnten wir auch einen Lösungsweg für die Rente finden. Ich will das jetzt nicht koppeln, aber ein Sachzusammenhang ist ja durchaus gegeben. Wir sollten einen Weg zueinander finden, wir sollten noch einmal gemeinsam Überlegungen anstellen - um der Sache willen, um der Arbeitssuchenden willen -, wie wir zu einer Lösung kommen, wie wir die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft verbessern und - mit einem Wort - ein Stück Zukunft gemeinsam sichern können. In diesem Zusammenhang möchte ich noch die folgende kurze Bemerkung machen. Man kann nicht über deutsche Politik reden, ohne zur Kenntnis zu nehmen, wie Deutschland in der Welt gesehen wird. Herr Abgeordneter Fischer, wenn Sie diese 15 Jahre durchschreiten, wie Sie es getan haben, dann muß ich Ihnen sagen: Ich bin stolz darauf, daß Deutschland einen wichtigen, respektablen Platz in der Welt einnimmt. Ich bin stolz darauf, daß wir mit unserer Politik, der Politik der Koalition von CDU/CSU und F.D.P. - auch mit der Politik meiner Außenministerkollegen; ich nenne Hans-Dietrich Genscher genauso wie den jetzigen Außenminister Klaus Kinkel; ich nenne von den Verteidigungsministern den amtierenden Volker Rühe; ich könnte auch noch den Entwicklungshilfeminister und viele andere nennen -, einen Beitrag dazu geleistet haben, daß wir hohes Ansehen genießen. Das Bild, das Sie, Herr Fischer, hier entworfen haben, wird wohl von keinem Menschen außerhalb der deutschen Staatsgrenzen verstanden. ({81}) Wenn die Bundesrepublik Deutschland - heute in Bonn, später in Berlin - nach den Vereinigten Staaten die meisten Besuche auswärtiger Staatsgäste in der Welt aufzuweisen hat, dann hängt das nicht damit zusammen, daß sie hierherkommen, um die Trübsal in einem wichtigen Land zu besichtigen. Vielmehr wollen sie sich anschauen, was wir machen. Es interessiert sie beispielsweise, wie wir das schwierige Problem der Zusammenfügung von West und Ost zu einer Einheit im Sozialen und Wirtschaftlichen lösen. Natürlich sehen sie auch die Probleme, aber ich höre auch sehr viel Bewunderung und Respekt. Wir sind stolz darauf, daß wir das mit auf den Weg gebracht haben. ({82}) Wenn es jetzt etwa um die NATO- oder die EU-Erweiterung geht, dann ist Bonn eine allererste Adresse. Ob es sich um Warschau, Prag, Budapest oder Bukarest handelt, alle sagen: Ihr, die Deutschen, müßt uns helfen, diesen Weg zu gehen. So haben auch unsere Nachbarn und Kollegen in Österreich, in Finnland oder in Schweden - leider haben die Norweger anders entschieden - gesagt: Wir danken euch, den Deutschen, denn ihr wart der Anwalt für unseren Beitritt in die Europäische Union. Hier geht es nicht um Geschichtsbücher - die schreiben später andere, wir nicht, Herr Fischer. Aber Sie sind vielleicht ganz froh, wenn jemand anderer die Bücher schreibt. Es geht darum, was die historischen Tatsachen sind. Eine historische Tatsache ist, daß Deutschland als Land der Mitte etwas besitzt - ich wähle bewußt das Wort „besitzen", weil das ein wichtiges Wort in diesem Zusammenhang ist -, was wir nie zuvor hatten: exzellente freundschaftliche Beziehungen mit Moskau, mit Paris, mit London und mit Washington. Wann je haben wir das gehabt? Sie können mir vieles vorwerfen. Wenn Sie aber an dem jetzigen Zwischenabschnitt von 15 Jahren ({83}) - es ist ein Zwischenabschnitt; so sehen es auch die Leute ({84}) dies überall auf der Erde hören, dann müßten wir damit eigentlich gemeinsam, ob Sie nun die Regierung mögen oder nicht, als Deutsche ganz zufrieden sein. Es ist nicht mehr so, daß man, wenn man in der Welt unterwegs ist und sagt, man sei ein Deutscher, noch Probleme bekommt. Die Probleme, die wir immer noch haben, gehen zurück auf die Zeit der nationalsozialistischen Barbarei oder auch der kommunistischen Diktatur. Wir versuchen wiedergutzumachen, wobei wir wissen: Vieles ist nicht wiedergutzumachen. Vieles ist dazu geeignet, zu sagen: Dies ist das neue Deutschland. Und wenn Sie dieses freiheitliche, demokratische Deutschland fair betrachten, kommen Sie zu keinem anderen Ergebnis. Ein Rednerpult in der Frankfurter Paulskirche reicht nicht aus, um ein Zerrbild Deutschlands zu schaffen. ({85}) Wir werden weiter vorangehen beim Bau des Hauses Europa. Das ist unendlich schwierig. Ich kann diejenigen überhaupt nicht verstehen, die glauben, wir könnten wie im Zeitraffer drei Jahrhunderte nationalistischer Geschichte in Deutschland und in Europa hinter uns lassen. Es bleibt der Satz richtig, den François Mitterrand in seiner letzten großen, testamentarisch zu verstehenden Rede vor dem Europaparlament wenige Monate vor seinem Tod den Abgeordneten zugerufen hat: „Nationalismus, das ist der Krieg." Wir wollen den Frieden. Wir wollen die Freiheit. Wir wollen in Europa soziale Wohlfahrt. Wir wollen, daß die Deutschen mit ihrer Handschrift ins Buch der Geschichte Werke der Menschlichkeit, der Humanität und der Weltoffenheit schreiben. Wir wollen, wenn 2000, in zweieinhalb Jahren, die Expo eröffnet wird, der Welt in Hannover ein Bild von uns zeigen: vom Deutschland in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts, das aus einer großen Geschichte und Tradition kommt, das aber auch die schrecklichen Kapitel seiner Geschichte kennt. Wir sehen die Geschichte als Ganzes. Daraus versuchen wir den Weg in die Zukunft zu finden. Ich kann Sie nur einladen, trotz aller Gegensätze mit dabeizusein. Wenn Wahlen bevorstehen, lassen Sie uns Wahlkämpfe machen. Lassen Sie uns um den besseren Weg ringen. Treten wir vor die Bürger, und lassen wir sie entscheiden. Das ist demokratische Politik. Aber ich rate uns noch einmal, in den zwei entscheidenden Fragen, die Zukunftsfähigkeit bedeuten - Steuerpolitik und Rentenpolitik -, zu überlegen, ob die Zukunft mit Blockade zu gewinnen ist oder ob wir nicht besser noch einmal versuchen, ein Stück Gemeinsamkeit zu finden. ({86}) Dies ist unsere Politik, die Politik der Koalition von CDU/CSU und F.D.P. Dies ist die Politik der Bundesregierung. Dies ist auch die Politik, für die ich einstehe und für die ich auch in den kommenden zehn Monaten kämpfen werde. Aber lassen Sie uns vorher das tun, was jetzt zu tun ist. Und dazu lade ich Sie ein. ({87})

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000908

Ich gebe das Wort dem Ministerpräsidenten des Saarlandes, Oskar Lafontaine, als Mitglied des Bundesrates. Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({0}) ({1}): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat soeben seine Politik hier dargelegt ({2}) und zur sozialen und zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland Stellung genommen. Der Redner der CDU/CSU-Fraktion hat erklärt, dies sei ein erfolgreicher Bundeskanzler. ({3}) Der Bundeskanzler hat erklärt - das war bekannt -: Ich will bleiben. Er hat dann gesagt, daß die Darlegungen der Redner der Opposition die Wirklichkeit in diesem Lande nicht treffen würden. ({4}) Das ist schon eine Anmaßung, die ihresgleichen sucht. ({5}) Wenn hier darauf hingewiesen wird, daß wir, was die Arbeitslosigkeit angeht, Zahlen haben, die einen wirklichen Nachkriegsrekord darstellen, daß wir uns der Zahl von 5 Millionen Arbeitslosen nähern, wenn hier dargestellt wird, daß wir Rekordschulden haben, die vor einigen Jahren unvorstellbar waren, und daß die Arbeitnehmer unter einer Abgabenlast leiden, die damals unvorstellbar war, wenn darauf hingewiesen wird, daß junge Menschen keinen Arbeitsplatz finden - es geht nicht nur um Ausbildungsplätze - und daß die Armut in Deutschland wieder größer wird, daß 1 Million Kinder von der Sozialhilfe leben, und Sie sich dann hier hinstellen und sagen: Mir geht es gut, und ich werde die Wahlen gewinnen, dann ist das eine Anmaßung, die unerträglich ist, Herr Bundeskanzler. ({6}) Sie haben vor einem Jahr gesagt - ich zitiere -: 4,66 Millionen Arbeitslose, das ist „die schwärzeste Zahl in meiner Amtszeit". Ich bin einmal gespannt, was Sie in einigen Wochen zu sagen haben, Herr Bundeskanzler. Deshalb sollten Sie versuchen, wieder zu den Realitäten zurückzukehren. Denn was Sie hier vorgetragen haben, hat nun mit der Wirklichkeit in unserem Lande nichts zu tun. Dieser Vorwurf fällt voll und ganz auf Sie zurück. ({7}) Diese Tatsache zog sich durch Ihre ganze Argumentation. Ich beginne zunächst einmal mit Ihrer BeMinisterpräsident Oskar Lafontaine ({8}) wertung der Europapolitik und des Beschäftigungsgipfels. Da bleibt einem ja fast die Spucke weg. Da ist die gesamte Europäische Gemeinschaft eine ganze Zeitlang dabei, die Bundesregierung, Sie, von der Notwendigkeit dieses Gipfels zu überzeugen. Sie sperren sich dagegen. Es gibt heftigste Diskussionen auf europäischer Ebene, und dann tun Sie hier so, als sei das Ihre Erfindung und Ihr Erfolg. Das ist doch nicht zu fassen! ({9}) Natürlich ist es so, daß Sie in der Europäischen Gemeinschaft mittlerweile isoliert sind. Das sagen alle sozialdemokratischen Regierungschefs. Vielleicht sind Sie, Herr Bundeskanzler, nicht mehr in der Lage, zuzuhören. Sie können hier doch nicht ernsthaft vertreten wollen, daß beispielsweise die Regierung Jospin in der Beschäftigungspolitik und in der Europapolitik den gleichen Kurs fährt wie Sie. Erklären Sie die Menschen doch nicht für dümmer, als Sie selber sind. Das geht meistens ins Auge. ({10}) Das wirkliche Ergebnis unserer Begegnung mit der französischen Regierung, die unter dem Vorsitz von Rudolf Scharping stattgefunden hat, war, daß zwei Regierungen weitergehende Ergebnisse blockieren - die Regierung Spaniens und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland. Das ist die Wahrheit, Herr Bundeskanzler. Sie waren mitverantwortlich dafür, daß sich die Europäische Gemeinschaft insbesondere in der Diskussion über den Maastricht-Vertrag ausschließlich auf die Bewahrung des Geldwertes konzentriert hat, daß immer wieder Diskussionen nur darüber geführt worden sind, wie sich die Inflation und das jahresbezogene Haushaltsdefizit im Hinblick auf das Kriterium von 3,0 Prozent entwickeln, und daß lange Jahre überhaupt nicht darüber gesprochen wurde, wie es eigentlich den 18 oder 20 Millionen Menschen in Europa geht, die arbeitslos sind. Es ist das Verdienst sozialdemokratischer Regierungen in Europa, dies gegen Ihren Widerstand auf die Tagesordnung gesetzt zu haben. ({11}) Sie haben im Vorfeld des Gipfels immer wieder erklärt, daß Sie nicht bereit sind, eine gemeinsame europäische Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik in Angriff zu nehmen, obwohl Art. 103 des Maastricht-Vertrages dazu verpflichtet. Denn die zukünftige Notenbank hat ja gar keinen Partner, wenn es nicht gelingt, eine Art Wirtschaftsregierung zu bilden, wie es die französische Regierung seit langem fordert und wie es auch im Maastricht-Vertrag steht. Was nützt denn Ihr Bekenntnis zu dem Wort von François Mitterrand, das Sie vorhin angeführt haben, das richtig ist und das Sie auf außenpolitischer Ebene vielleicht auch beherzigen, wenn Sie in der Wirtschaftspolitik und insbesondere in der Beschäftigungspolitik hartnäckig darauf beharren: Das machen wir in Deutschland; Beschäftigungspolitik ist eine nationale Aufgabe. Das ist eine falsche Antwort. Beschäftigungspolitik ist zwar eine nationale Aufgabe, aber mehr und mehr auch eine europäische Aufgabe. Das müssen Sie erst lernen. ({12}) Deshalb brauchen wir beispielsweise Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene. Das ist unter den europäischen Regierungschefs weitgehend unbestritten. Wir bräuchten einen ersten Einstieg in eine Harmonisierung des Steuersystems. Das haben Sie vor einiger Zeit noch abgelehnt. Es ist gut, daß Sie Ihre Meinung jetzt korrigiert haben. Denn es geht natürlich nicht so weiter, daß sich die Vermögenden durch Wohnsitzverlagerung, die Unternehmen durch Firmensitzverlagerung sowie die Kontobesitzer durch Kontenverlagerung innerhalb Europas der Steuer entziehen und daß die Arbeitnehmer immer höhere Beiträge bezahlen müssen und deswegen nicht mehr wissen, was ihr Stellenwert in Europa eigentlich ist, wenn diese Politik fortgesetzt wird. ({13}) Wenn Sie sich etwa mit Herrn Monti, dem zuständigen Kommissar, der seit Jahren konkrete Vorschläge macht, unterhalten, werden Sie immer wieder hören, daß die Regierung Kohl nicht gerade ein Vorbild ist, wenn es um eine Harmonisierung der Steuern im gesamteuropäischen Kontext geht. ({14}) - Ich werde mich mit Ihnen, Herr Finanzminister, noch auseinandersetzen. - Ich nehme aber zur Kenntnis, daß Sie jetzt Ihre Meinung geändert haben. Wir begrüßen es, wenn wir hier einer Auffassung sind. ({15}) - Vor einem Jahr noch haben Sie versucht, das lächerlich zu machen und zu diffamieren, und haben gesagt, es sei illusionär, darauf zu setzen, daß man in Europa eine Harmonisierung der Steuersätze durchsetzen könne. Wenn Sie jetzt Ihre Meinung geändert haben, ist das ein Fortschritt. Wir begrüßen es. ({16}) Sich aber hier hinzustellen und an unsere Adresse zu sagen, daß wir in der Europapolitik isoliert seien und Sie selber sich mitten im Mainstream der europäischen Regierungen befänden, stellt die Wahrheit auf den Kopf. Nein, Sie haben es auf Grund Ihrer verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik so weit gebracht, daß die große Mehrheit der europäischen Regierungen diese Fragestellung anders beantwortet und Sie zusammen mit Spanien in der Europäischen Gemeinschaft völlig isoliert sind. ({17}) Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({18}) Dann haben Sie die Reformen, die wir im Inneren durchführen müßten, angesprochen. Alles konzentriert sich ja dann auf die Renten- und Steuerreformen. Natürlich möchte ich jetzt dazu Stellung nehmen. Ich hatte ja erwartet, daß heute möglicherweise ein Angebot gekommen wäre. Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat dazu etwas gesagt, ebenso der Fraktionssprecher der Grünen. Es wäre denkbar gewesen, daß Sie heute ein Angebot vorgelegt hätten. In der Rentenfrage gibt es ja auch Unterschiede zur Partei der Grünen, wie ich den Ausführungen von Herrn Kollegen Fischer entnommen habe. Es geht dabei um die Frage, ob es zur Zeit angemessen und richtig ist, die Renten über die demographische Formel zu kürzen, wie Sie es hier angeboten haben. Wir gehen an diese Sache anders heran als viele andere, die sich an der Diskussion beteiligen. Wenn wir über die Rentenfrage diskutieren, lautet die erste Frage für uns nicht: Wie entwickeln sich die Lohnnebenkosten? Das ist zwar eine wichtige Frage, aber diese stellen wir nicht als erste. Die erste Frage, die wir stellen, lautet: Wieviel Geld brauchen Frauen und Männer im Alter, wenn sie ordentlich leben wollen? Diese Frage stellen wir zunächst. ({19}) Wenn man diese Frage beantworten will - ich bitte die Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen und Herrn Kollegen Fischer, dieses noch einmal zu überdenken -, muß man von den Durchschnittsrenten ausgehen. Die diesbezüglichen Daten sind kürzlich veröffentlicht worden; ich möchte sie Ihnen noch einmal vortragen. Die Durchschnittsrente für Frauen im Jahre 1996 betrug 929 DM und für Männer 1609 DM. Daß sich diese Zahlen im Einzelfall insbesondere bei Alleinstehenden usw. noch ganz anders darstellen, wissen auch Sie. In dieser Frage haben wir eine dezidiert andere Position als die Mehrheit hier im Haus. Wir halten es bei Durchschnittsrenten von 929 DM für schamlos, die Forderung zu erheben, diese Renten weiter zu reduzieren und zu kürzen. Das ist unsere Position. ({20}) Eine zweite Frage wird überhaupt nicht diskutiert. Haben denn die Beitragszahler, die in die Rentenkassen einzahlen, keine Ansprüche auf Kapitalverzinsung, wie Aktien- oder Immobilienbesitzer oder solche, die private Verträge abschließen? Ist vielleicht denen, die jetzt die Forderung nach einer Kürzung der Renten stellen, entgangen, daß wir zu Beginn der Republik, als wir noch die Kriegsfolgelasten zu tragen hatten, immerhin eine Durchschnittsverzinsung in der Größenordnung von 4 Prozent hatten? Diese Verzinsung hat sich jetzt ins Negative gekehrt, wenn man einmal die Durchschnittsverzinsung hochrechnet. Ist es wirklich so, daß die Beitragszahler keine Anrechte haben, etwa an Kapitalrenditen längerfristig beteiligt zu werden, während wir auf der anderen Seite in einer Gesellschaft leben, in der Aktiengewinne nicht besteuert werden, sich das meiste Geldvermögen der Besteuerung entzieht und Spekulationsgewinne in großem Umfang nicht besteuert werden? Eine solche Gesellschaft ist sozial ungerecht. Nein, auch die kleinen Leute, die ihre Beiträge zahlen, haben einen Anspruch darauf, daß die Rente so bemessen ist, daß eine ordentliche Verzinsung zugrunde gelegt werden kann. Warum diskutieren Sie darüber überhaupt nicht? ({21}) Fällt Ihnen das nur ein, wenn Sie über Aktien, über Shareholder Value, über Immobilien und über Gewinne der Unternehmen reden? Ist unser Land wirklich so weit gekommen, daß man nicht auch das gleiche Recht für diejenigen einfordert, die die geringsten Beiträge zur Alterssicherung aufbringen können, die angesichts der jetzt großgewordenen Praxis keine Möglichkeit mehr haben, Betriebsrenten in größerem Umfang zu beziehen, und die noch weniger Möglichkeiten haben, privates Immobilienvermögen oder anderes Vermögen zu bilden, um für ihren Lebensabend zu sorgen? ({22}) An diese Menschen und an niemand anderen haben wir in erster Linie zu denken. ({23}) Wenn diese Frage beantwortet ist, ist noch die Frage zu beantworten: Wie kommt es zu diesem Beitragssatz? Herr Bundeskanzler, Sie haben zu recht darauf hingewiesen - das bestreitet niemand -, daß in großem Umfang Vorruhestandsregelungen in Anspruch genommen worden sind. Es wäre unfair und unwahrhaftig, wenn wir nicht sagen würden, daß wir daran mitgewirkt haben. Das ist nicht unsere Art. ({24}) - Wir werden vielleicht Zeit haben, über das Bekenntnis zur christlichen Politik in der Alltagspraxis zu diskutieren. Ich könnte darüber ein Kolleg halten, aber ich brauche das gar nicht. ({25}) Lesen Sie einmal das Buch von Heiner Geißler - falls Sie, junger Mann dahinten, überhaupt einmal ein Buch lesen. Da werden Sie manches lesen, was Ihnen die Ohren rot werden läßt. Das kann ich zum Anspruch des Christentums und zu Ihrer Praxis sagen. ({26}) Sehen Sie, Herr Kollege Geißler, es lohnt sich manchmal, Bücher zu schreiben. Die werden dann auch gelesen. Ich habe Ihren Kollegen empfohlen, es auch einmal zu lesen. Sie haben dort sehr kritische Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({27}) Worte über den christlichen Anspruch, über das Versprechen des Christentums und die Praxis der Politik gefunden. Ich habe es mit großer Aufmerksamkeit gelesen. Wenn Sie weiterdiskutieren, müssen Sie einräumen, daß wir auf ein entscheidendes Problem hingewiesen haben. Bereits im Jahre 1990 hat der Kollege Dreßler - dem ich von hier aus alles Gute und gute Genesung wünschen möchte ({28}) für die auch von uns mitgetragenen Regelungen für die Renten in den neuen Ländern vorgeschlagen, diese wegen der daraus erwachsenden Probleme für die Beiträge wesentlich aus Steuermitteln zu finanzieren. Das ist die Auseinandersetzung, die wir mit Ihnen führen, und zwar nicht nur über die Rentenkasse. Wir führen sie auch bei vielen anderen Sozialversicherungsproblemen, die aufgetreten sind. Wir müssen endlich wieder Ordnung in die Sozialkassen bringen, das heißt, Leistungen müssen früheren Beiträgen gegenübergestellt werden, und was darüber hinaus gewährt wird, ist aus Steuermitteln und nicht nur aus den Mitteln der Arbeitnehmerschaft und Beitragszahler zu finanzieren. ({29}) Dies ist exakt der schwere Fehler, den Sie gemacht haben. Auch die jüngste Statistik der Europäischen Gemeinschaft weist aus, daß die Abgaben in Deutschland höher sind als in den meisten anderen Mitgliedstaaten und daß sie schneller gestiegen sind als in den meisten anderen Mitgliedstaaten. Das ist keine Erblast des Kommunismus und auch keine Erblast der Nazizeit. Das ist schlicht und einfach eine Folge des Fehlers, den Sie begangen haben, indem Sie sagten: Ich verspreche, daß es keine Steuererhöhungen gibt, und finanziere den Aufbau Ost über die Sozialkassen. Das ist ein schwerer struktureller Fehler, der erheblich zur Arbeitslosigkeit beigetragen hat. ({30}) Vor diesem Hintergrund haben wir einen ersten Schritt angeboten. Es wäre möglich, daß jetzt einer von Ihnen aufsteht und sagt: Ich habe die Möglichkeit, etwas für die Koalition zu sagen. In der Regel ist das der Bundeskanzler, aber wir können auch andere Regeln in Kauf nehmen. Er könnte sagen, daß Sie bereit sind, die Rentenkasse im Jahre 1998 zu entlasten, indem wir bei der Mehrwertsteuer einen Schritt aufeinander zugehen. Unsere Voraussetzung ist, daß wir über die Rentenkürzung - oder die Strukturreform; so wird das von Ihnen genannt - die Wählerinnen und Wähler entscheiden lassen. Wenn jetzt hier einer aufsteht, können wir das abschließen. Solange Sie aber darüber streiten, ob die F.D.P. das will, was die CDU will, und solange die CSU sagt: „Wir machen das Vorziehen der Rentenformel überhaupt nicht mit" , das heißt, solange Sie sich nicht einig sind, ist es doch unwahrhaftig und unredlich, immer wieder Blockadevorwürfe zu erheben. ({31}) Wenn Sie sich an unsere Adresse wenden, so möchte ich Ihnen folgendes sagen: Die Grundlage des demokratischen Dialogs ist auch, daß man versucht, wahrhaftig zu argumentieren; ({32}) sonst ist kein demokratischer Dialog möglich. Wer wahrhaftig ist, wird einräumen, daß Sie sich hinsichtlich der Rentengesetzgebung in der Koalition uneinig sind und daß ein klares Angebot auf dem Tisch liegt, das ich wiederholt habe, das zu beantworten Sie aber unfähig sind, weil Sie Streit haben. So platt ist das. ({33}) Ich komme zur Steuerreform. Jeder kann sich irren. Es ist immer unangenehm, wenn man sich geirrt hat. Sie haben den Fehler gemacht, zu Beginn dieses Jahres Ihr Konzept zu erarbeiten, obwohl wir gesagt haben: „Guckt erst einmal in die Kasse hinein, ehe ihr große Versprechungen macht" und obwohl wir zusammen mit anderen dazu geraten haben, die Steuerschätzungen abzuwarten. Ich wende mich jetzt an die Zuschauerinnen und Zuschauer: Jeder Haushalt muß, bevor er irgendwelche Ausgaben verspricht - ({34}) - Ich komme gleich auf das Saarland zurück. Ich verspreche Ihnen, ich komme im Zusammenhang mit dem hervorragenden CSU-Parteitag noch auf das Saarland zurück. ({35}) - Gedulden Sie sich, ich komme darauf noch zurück. Es ist notwendig, darauf zurückzukommen. Zunächst sind wir aber noch bei der Steuerschätzung. Wir haben gesagt, es ist nicht vertretbar, ein solches Steuerreformkonzept vorzulegen, ohne die Steuerschätzung zu kennen. Sie waren anderer Meinung. Wir halten dies sachlich für einen schweren Fehler. Wir glauben nicht, daß es überhaupt redlich und sinnvoll ist, Steuersenkungen zu versprechen, ohne die Steuerbasis für die nächsten Jahre zu kennen. Sie waren anderer Meinung. Wir halten das für einen schweren Fehler. ({36}) Wir begrüßen es, daß sich mittlerweile auch diejenigen, die Ihnen Beifall gezollt haben, auf den Boden der Realität gestellt haben, wie der DIHT, der gesagt hat, daß es auf Grund der aktuellen Entwicklung der Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({37}) Steuereinnahmen aller Staatshaushalte nicht möglich ist, große Steuersenkungen zu versprechen. Warum sind Sie nicht in der Lage, eine ähnlich klare Aussage zu treffen, damit wir eine vernünftige Beratungsgrundlage haben? ({38}) Es ist für mich unfaßbar: Da brechen die Steuereinnahmen aller staatlichen Ebenen ein, und Sie glauben ernsthaft, noch die Fiktion aufrechterhalten zu können, daß Sie dem Volk Steuersenkungen in der Summe von - nach den Berechnungen von Nordrhein-Westfalen, Mehrwertsteuererhöhung eingeschlossen - 40 Milliarden DM versprechen können. Das ist für uns unwahrhaftig und unredlich. Lösen Sie sich von dieser Position, wie es die Sachverständigen und der DIHT getan haben, wie es im Grunde genommen jeder tun muß, der sich einigermaßen ernsthaft mit der Entwicklung der Staatsfinanzen auseinandersetzt. ({39}) So, wie Sie an dieser Stelle eine klare Aussage verweigern, weil Sie untereinander zerstritten sind - denn die F.D.P. muß, koste es, was es wolle, als Steuersenkungspartei dargestellt werden -, tricksen Sie auch bei den anderen Steuerfragen. Warum sind Sie so unredlich? Mehrwertsteuer. Sie haben doch vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer zur Senkung des Rentenversicherungsbeitrages einzusetzen. Das ist doch die Wahrheit. Sie haben ebenfalls vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer einzusetzen, um die Steuerreform zu finanzieren. Auch das ist die Wahrheit. Sie haben also zwei Punkte vorgeschlagen. Warum tun Sie in der Öffentlichkeit so, als sei - auch der F.D.P.-Vorsitzende hat sich wieder so geäußert - über eine Mehrwertsteuererhöhung jetzt überhaupt nicht zu diskutieren, da dies ein großer Schaden für Wachstum und Beschäftigung sei? Warum sind Sie so unwahrhaftig, in einem Satz, in einem Atemzug eine bestimmte Sache und das Gegenteil davon zu behaupten? Es ist doch unglaublich, was Sie sich hier erlauben. ({40}) Sie haben nicht nur über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Punkte diskutiert, sondern auch über eine Anhebung der Mineralölsteuer. Das sind die Steuerdiskussionen, die Sie geführt haben. Bei der Anhebung der Mineralölsteuer oder der Mehrwertsteuer wird nicht unter ökonomischen Gesichtspunkten diskutiert, sondern da wird nur darüber diskutiert, was populär ist und was nicht, weil man vor lauter Angst vor den Wahlen völlig entscheidungsunfähig geworden ist. Die Frage, was man jetzt anhebt, die Mineralölsteuer - ({41}) - Herr Gerhardt, nun tun Sie doch nicht so dick! Daß Sie jetzt hier so tun, als hätten Sie keine Angst vor den Wahlen, das erinnert doch wirklich an das Kleinkind, das im Walde pfeift, weil es Angst hat, daß der schwarze Mann kommt. ({42}) Eine rationale Debatte darüber - wenn es schon unvermeidlich ist, diese Steuern anzuheben, um die Lohnnebenkosten abzusenken -, welche Steuererhöhung jetzt in die Landschaft paßt, haben Sie bis zum heutigen Tage nicht geführt. Sie haben beispielsweise Japan angesprochen; das ist doch hier alles ausgebreitet worden. Die japanische Binnenwirtschaft - darüber wird in Japan noch diskutiert - hat nach einer Mehrwertsteueranhebung einen erheblichen Einbruch gehabt. Wir haben hier in Deutschland im Einzelhandel jetzt im fünften Jahr teilweise reale Rückgänge des Umsatzes. Meinen Sie, da sei es unproblematisch, über Mehrwertsteuererhöhung zu diskutieren? ({43}) - Dies habe ich auch dem Kollegen Beck, der eine Erhöhung auf 18 Prozent vorgeschlagen hat, gestern in einem Telefonat gesagt. Es ist doch ein ganz normaler Sachverhalt, daß auch wir unterschiedliche Positionen haben. Das wird ja überhaupt nicht bestritten. Nur ist es bei uns so, daß wir uns dann auf eine einheitliche Linie verständigen ({44}) und auch bereit sind, diese dann umzusetzen, was Sie, meine Damen und Herren, nicht mehr können. ({45}) Nun komme ich zum CSU-Parteitag. Mit großem Interesse habe ich gehört, daß Herr Stoiber vorgetragen hat, daß Landwirtschaftssubventionen etwas ganz Hervorragendes seien und daß man sie eigentlich immer weiter nach oben fahren müsse, während alle anderen Subventionen schädlich seien. Er hat nur noch vergessen, zu sagen, daß natürlich auch die Subventionen in Militärtechnik ganz hervorragend seien. Er verfährt nach dem Motto: Alles, was an Subventionen nach Bayern fließt, ist gut; bei dem Rest sind wir dagegen. Das wird auf Dauer auch für die Regierung der CSU in Bayern nicht gut sein. Ich sage das hier einmal in aller Klarheit. ({46}) Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({47}) Die anderen Länder lassen es sich auf Dauer nicht gefallen, was da an Selbstherrlichkeit und unredlicher Argumentation immer wieder zu hören ist. So ist beispielsweise jetzt die glorreiche Idee aufgekommen - das haben die Kollegen Scharping und Fischer bereits angesprochen -, man solle bei der Sozialversicherung regionalisieren und sich aus der Solidargemeinschaft ausklinken. Das ist wirklich eine nicht zu überbietende Dreistigkeit: Das strukturschwache Land Bayern hat jahrzehntelang vom Solidarausgleich gelebt. Es ist schäbig, jetzt anzudiskutieren, sich aus dem Solidarausgleich zu verabschieden. ({48}) Das gilt dann auch für den Bund-Länder-Finanzausgleich, meine Damen und Herren. Das ist doch wirklich der Gipfel der Unverfrorenheit: Dieses Land ist jahrzehntelang Nehmerland im Bund-Länder-Finanzausgleich. ({49}) Jetzt wird Bayern angesichts der neueren Entwicklung nach der deutschen Einheit zum Geberland, und nun fällt Ihnen plötzlich ein, das müsse zurückgeführt werden, jetzt sei Schluß mit der Solidarität. Ich nenne das schäbig, um das hier einmal in aller Klarheit zu sagen. ({50}) Ich komme nun zu Ihnen, Herr Finanzminister. Sie tun immer so - die Nummer haben Sie hier schon zehnmal abgezogen -, als kämen die Zuwendungen an das Saarland aus Ihrer persönlichen Tasche und als müßte alle Welt Ihnen für die Großzügigkeit dankbar sein, die Sie an den Tag legen. Meine Damen und Herren, es ist richtig, daß das Saarland, das die Kohle- und Stahlkrise zu bewältigen hat und auf Grund seiner Geschichte zweimal zu unterschiedlichen Währungsräumen gehörte, immer noch Strukturprobleme hat und daß es, nachdem die Montankrise ausgebrochen ist - vorher war das nicht der Fall -, die solidarische Unterstützung anderer Länder braucht. Aber, meine Damen und Herren, von Bayern haben wir aus zweierlei Gründen keine Belehrung zu erfahren. Ein Grund besteht im Bund-Länder-Finanzausgleich. Zum zweiten aber hat sich kein Land der Bundesrepublik Deutschland so wie das Land Bayern in den letzten Jahrzehnten mit über 100 Milliarden DM aus dem Bundeshaushalt bedient. Sie sollten schweigen, ehe Sie mit Fingern auf andere zeigen. ({51}) Das gilt für den Militäretat, über den nachher abgestimmt werden wird, das gilt für den Verkehrsetat, das gilt für den Forschungsetat, das gilt natürlich für den Agraretat und für viele andere Bereiche. Sie haben keinen Grund, mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen. Wenn uns jetzt Bürgerinnen und Bürger aus Bayern zuhören, dann sage ich ihnen: Eine Regierung der CSU, die in diesem Ausmaße gegenüber anderen Ländern unfair ist, vertritt das Land Bayern schlecht und könnte eines Tages mit den Rechnungen konfrontiert werden. ({52}) Der Höhepunkt ist dann immer, daß Sie die Finanzentwicklung des Saarlandes ansprechen und daraus das Versagen ableiten. Nun, da gibt es objektive Zahlen, Herr Kollege Waigel. Herr Bundeskanzler, Sie sahen sich ja auch bemüßigt, vor dem CSU-Parteitag so zu argumentieren. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Ich doch nicht!) - Sie haben etwas zur Finanzentwicklung gesagt. Ich habe es selbst gehört, Herr Bundeskanzler. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir waren sogar dabei! -

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Ich war dort!) Ich wette mit Ihnen, daß Sie etwas gesagt haben. - Was wetten Sie? Sie können mir gleich die Wette abgeben; ich halte sie. Auf jeden Fall haben Sie darauf hingewiesen, daß der saarländische Ministerpräsident wegen der schlechten Finanzwirtschaft an der Saar keinen Grund habe, hier zu argumentieren. ({0}) Im Jahre 1985, in dem wir - ein außergewöhnlicher Vorgang - an der Saar eine absolute Mehrheit erreicht hatten, weil die Vorgängerregierung, bestehend aus CDU und F.D.P. nicht als in der Lage dazu eingeschätzt wurde, die Stahl- und Bergbaukrise zu bewältigen, hatten wir eine Zinssteuerquote von 19,6 Prozent. - Das können Sie mitschreiben. - Zur damaligen Zeit hatte der Bund eine Zinssteuerquote von 14,3 Prozent, glaube ich; die Kommastelle mögen Sie bitte überprüfen. Nun haben wir - das ist eine schlechte Entwicklung, die ich bedauere - diese 19,6 Prozent leider nicht zurückführen können. Vielmehr ist die Zinssteuerquote auf Grund der ständigen Bergbaukrise und der Stahlkrise trotz der Hilfen auf 22 Prozent angestiegen. Das ist eine sehr, sehr nachteilige Entwicklung. Im gleichen Zeitraum aber haben Sie nicht um drei Punkte zugelegt, sondern um zehn Punkte, nämlich von 14 auf über 24 Prozent. Wenn Sie sich dann als Vorbild in der Finanzpolitik gerieren, dann befinden Sie sich außerhalb der Zahlenwelt, aber so ist es bei vielen anderen Beispielen ja auch. ({1}) Wenn Sie dann sagen, wir hatten zur Bewältigung der Stahlkrise die Bundeshilfen zur Verfügung, so ist Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({2}) das richtig. Wir hatten Bundeshilfen erhalten, und dafür ist das Land auch dankbar. Sie aber hatten zur Bewältigung des Aufbaus Ost die Möglichkeit, auf beträchtliche Steuer- und Abgabenerhöhungen pro Jahr zurückzugreifen, und Sie haben in diesem Zeitraum Bundesbankgewinne kassiert, was Sie vorher hier immer heftigst kritisiert haben. Halten Sie sich also bei der Finanzpolitik zurück. Sie haben viel schlechtere Zahlen als Länder, auf die Sie mit dem Finger zeigen, Herr Bundesfinanzminister. ({3}) Noch einmal zur Steuerreform: Sie haben gestern hier gesagt - ich weiß nicht, wer Ihnen das aufgeschrieben hat; Sie haben abgelesen, und dem zuzuhören habe ich mir angetan -, wenn wir die Rentenreform und die Steuerreform so realisieren, wie sie sich jetzt abzeichnet, wird sich ein Investitionsfeuerwerk entwickeln. - Haben Sie eigentlich irgendeinen Ökonomen in Ihrem Ministerium? Wer hat Ihnen denn so etwas aufgeschrieben? ({4}) Glauben Sie wirklich, daß ein Investitionsfeuerwerk losgeht, wenn wir jetzt die Mehrwertsteuer anheben, um einen weiteren Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge zu verhindern? Haben Sie nicht gehört, daß zum Beispiel das Handwerk sagt, ein Punkt Mehrwertsteuer koste dort 60 000 Arbeitsplätze? - Also reden Sie doch nicht so leichtfertig und so leichtsinnig daher, führen Sie die Öffentlichkeit nicht in die Irre, meine Damen und Herren! ({5}) Die Steuerreform hätte natürlich Investitionen zur Folge, wenn Ihr ursprüngliches Projekt, in größerem Umfang etwa konjunkturstützend Steuersenkungen durchzuführen, realisiert worden wäre und nicht von gleich hoch bezifferten Kürzungen in den Haushalten begleitet würde. Das ist die ökonomische Gleichung. Wenn Sie aber jetzt eingesehen haben - Sie nickten vorhin ein wenig; ich weiß nicht, wie weit Sie in der Diskussion sind -, daß es angesichts des dramatischen Wegbrechens der Staatseinnahmen völlig unverantwortlich ist, den Wählerinnen und Wählern Steuersenkungen von 40 Milliarden DM zu versprechen, dann sind wir bei einer aufkommensneutralen Steuerreform, die kein Investitionsfeuerwerk in Gang setzen wird. Erzählen Sie doch den Leuten nicht einen solchen ökonomischen Unfug! Ich muß das einmal in aller Härte sagen. ({6}) Wir können im Moment folgendes machen - ich biete es Ihnen noch einmal an; sperren Sie die Ohren auf -: ({7}) Wir haben die Möglichkeit - Herr Kollege Schäuble, schreiben Sie mit -, den Eingangssteuersatz auf 22 Prozent zu senken. ({8}) Die SPD ist bereit, den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent zu senken, wohl wissend, daß jeder Prozentpunkt, den wir oben wegnehmen, 2 Milliarden DM kostet. Wir legen Wert darauf, daß beim Grundfreibetrag und beim Kindergeld etwas getan wird, weil wir der Auffassung sind, daß wir insbesondere diejenigen Familien stärken müssen, die das Geld auch ausgeben. ({9}) Wir weisen Diskutierende in Steuersachen darauf hin, daß jede Mark, die wir unten nachlassen, auch dem Millionär zugute kommt. Voraussetzung ist - das können Sie morgen haben; aber Sie sind handlungsunfähig -, daß Sie aufkommensneutral gegenfinanzieren und daß dies mit dem Finanzministerium in Nordrhein-Westfalen abgeglichen wird. ({10})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Klaeden? Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({0}): Ich würde zwar gerne meine Ausführungen im Zusammenhang vortragen, aber bitte.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Ministerpräsident, Sie haben gerade die Handlungsfähigkeit Ihrer eigenen Partei angesprochen und auch geschildert, wie Sie es schaffen, Einigkeit herzustellen. Ich frage Sie daher: Wie bewerten Sie die Äußerungen des niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder auf der Tagung des niedersächsischen Einzelhandels, wo er zur Rentenfinanzierung gesagt hat, notfalls werde er einen Kompromiß mit Hilfe Niedersachsens allein durchsetzen. Wörtlich sagte er zu seiner Position der Ablehnung einer Mineralölsteuererhöhung laut „HAZ" vom heutigen Tage: Ich habe die Logik meiner Freunde nie begriffen, daß zwei Steuererhöhungen besser sein sollen als eine. In der Zeitung heißt es weiter: Damit setzte sich Schröder in klaren Widerspruch zur Parteilinie und zu Forderungen des SPDEckart von Klaeden Chefs Oskar Lafontaine, der neben der Mehrwertsteuer auch die Mineralölsteuer anheben will. ({0}) Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({1}): Entschuldigen Sie mal, ich weiß ja nicht, welche Berichte Sie lesen. Aber auch die niedersächsische Landesregierung hat den Kompromißbeschluß zur Mehrwertsteuer und zur Mineralölsteuer mitgetragen. Ich sage das hier noch einmal. Sie müssen sich schon entscheiden: Entweder blockieren wir, weil wir eine Betonlinie haben, oder wir sind uneinig. Aber beides zusammen geht nicht. ({2}) Ein Einstieg in die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge ist sofort machbar, wenn Sie sich denn irgendwie einigen. Ich sage Ihnen aber, wo der Pferdefuß begraben ist: Die F.D.P. wird natürlich die notwendigen Gegenfinanzierungen im Tarif, die zur Aufkommensneutralität notwendig sind, nicht mitmachen; sie wird sie ablehnen. ({3}) - Ich will Ihnen ja gerne antworten, Herr Solms. Wir können hier vielleicht ein bißchen weiterkommen. Es gibt bei den Vorschlägen, die wir gemacht haben, über 50 Punkte, und bei denen, die Sie gemacht haben, etwa 30 Punkte, an denen Überschneidungen bestehen. Diese 30 Punkte reichen vom Volumen her allerdings für das, was ich jetzt vorgeschlagen habe, nicht aus. ({4}) Daher muß es weitergehen. Dabei werden Sie sich dann auf die Hinterbeine stellen müssen. Das ist das Problem. Deswegen sage ich Ihnen noch einmal: Basierend auf unseren Vorschlägen sind wir zum Abschluß bereit; wir sind auch kompromißbereit. Daß ich jetzt gesagt habe, wir könnten uns mit einer Senkung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent anfreunden, ist eine Brücke, die ich Ihnen bauen möchte, ({5}) damit Sie überhaupt in der Lage sind, in dieser Frage Ihr Gesicht zu wahren oder das zu beseitigen, was Sie beschwert. Daß es beim Spitzensteuersatz keinen Handlungsbedarf gibt, haben die Institute unter Verweis auf die europäischen Spitzensteuersätze mit Ausnahme desjenigen in England dargelegt. Aber die Zahlen interessieren ja nicht mehr. - Das ist also unser Angebot. Ich bin einmal darauf gespannt, was Sie dazu sagen. Nun zu Ihnen, Herr Kollege Waigel. Ich verstehe ja, daß Sie bei der CSU derzeit Schwierigkeiten haben. ({6}) Ich verstehe dabei auch, daß Sie glauben, die Parteitagsdelegierten dadurch besonders ansprechen zu können, daß Sie den politischen Gegner herabsetzen. Ich erinnere Sie aber daran, daß ich beim Mißtrauensantrag gegen Sie hier gestanden und gesagt habe, wir möchten Ihnen nicht Ihre persönliche Integrität absprechen; das sei nicht das Ziel dieses Antrags. Ich habe Ihnen noch Respekt bekundet anläßlich Ihrer Haltung zum Euro angesichts der entsprechenden Diskussion dazu in Ihrer Partei. Nun höre ich, daß Sie auf dem CSU-Parteitag an meine Adresse gerichtet gesagt haben: Der Mann hat weder Primär- noch Sekundärtugenden. Das heißt, Sie sprechen mir jede moralische Fähigkeit ab. ({7}) Ich muß Ihnen sagen, Herr Kollege Waigel: Solange Sie bei dieser Äußerung bleiben, diskreditieren Sie sich selbst, und Sie stellen Ihre eigene moralische Integrität in Frage. ({8}) Vielleicht überlegen Sie sich das noch einmal. Ich will nicht länger dabei verharren. Ich komme jetzt zum Argumentenkatalog des Bundeskanzlers, der noch einmal gesagt hat: Wir haben diese und diese Reformen durchgeführt. Meine Damen und Herren, Sie haben dem Begriff „Reform" einen anderen Inhalt gegeben. Die Menschen, die uns ja zuhören, verstehen unter Reform, daß es ihnen nach einer Reform besser geht. Sie verstehen nicht, daß es ihnen nach einer Reform deutlich schlechter geht. Das war der bisherige Reformbegriff. ({9}) Nun haben Sie ganz stolz erzählt, was Sie beispielsweise bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall getan haben. Ich wäre nicht so stolz darauf, Herr Bundeskanzler, wie Sie das hier gesagt haben. Ich bitte Sie, sich einmal konkret in die Lage derer zu versetzen - ich meine nicht jene, die bestimmte Regelungen mißbrauchen, die wird es immer geben, da ist kein Streit -, die, vor die Frage gestellt, zur Arbeit zu gehen oder nicht, mitunter zur Arbeit gehen, obwohl das vom gesundheitlichen Standpunkt aus nicht ratsam wäre, weil sie Angst haben, bei dem gegenwärtigen Klima ihren Arbeitsplatz zu verlieren. ({10}) Was mich wirklich empört hat, Herr Bundeskanzler, ist, daß Sie sich hier hingestellt und wörtlich gesagt haben: Der Abbau des Kündigungsschutzes ist kein Verlust an sozialer Sicherheit. Sie haben dieses Gesetz hier angesprochen. ({11}) Ich sage - jetzt an unsere Zuschauerinnen und Zuschauer gewandt -, wenn wirklich die drohende Ministerpräsident Oskar Lafontaine ({12}) Kündigung kein Verlust an sozialer Sicherheit ist, dann haben wir im nächsten Jahr Gelegenheit, ({13}) Herrn Dr. Kohl und seiner ganzen Mannschaft zu zeigen, daß die Kündigung sehr wohl ein Verlust an sozialem Status und an gewisser sozialer Sicherheit bedeutet. ({14}) Meine Damen und Herren, die Bevölkerung hat kein Verständnis dafür, wenn jetzt die Koalitionsredner hier so tun, als sei alles in bester Ordnung. Wenn Sie sich dann auch noch hier hinstellen, Herr Bundeskanzler, und so tun, als seien Sie derjenige, der jetzt eben den Studenten erzählen müßte, der Bund ist völlig unschuldig, die bösen Länder sind es, ({15}) dann sage ich: Bei diesem dramatischen Einbruch der Länder- und Gemeindefinanzen - deshalb sind wir seit Jahren für eine Steuerreform - ist es natürlich unvermeidbar, bei Schulen, Universitäten und anderswo zu kürzen. Das ist die Wahrheit. Aber wenn Sie einfach darüber hinwegsehen wollen, daß Sie bei BAföG kräftig gekürzt haben, daß Sie beim Hochschulbau eben nicht aufgestockt haben und die Län- der in Vorleistungen getreten sind und daß Sie bei der Forschung systematisch gekürzt haben, wenn Sie das den Studentinnen und Studenten hier von diesem Pult aus weismachen wollen, dann sagen Sie die Unwahrheit, Herr Bundeskanzler. Sie sind hier mit in der Verantwortung! ({16}) Deshalb sage ich hier noch einmal: Wenn es zu Ergebnissen kommen soll, dann sind die Ergebnisse möglich, wenn wir in einer wahrhaftigen Diskussion bemüht sind, aufeinander zuzugehen. Zu einer wahrhaftigen Diskussion gehört, daß Sie zugeben, untereinander erhebliche Meinungsverschiedenheiten zu haben. Die gibt es immer. Aber es ist unfair und unredlich, den Bundesrat und die SPD dafür verantwortlich zu machen. Stehen Sie zu Ihrer Verantwortung! Ihre Bilanz ist nicht gut. Fünf Millionen Arbeitslose, Rekord bei Staatsschulden und bei den Abgaben und junge Menschen, die heute die Sorge haben, ob sie überhaupt Arbeit finden - das ist eine schlechte Bilanz, der Sie sich stellen sollten und die Sie veranlassen sollte, ihre grundfalsche Politik in Frage zu stellen und zu korrigieren. ({17})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Wolfgang Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Lafontaine, Sie haben viel von Angeboten und davon gesprochen, daß man sich verständigen könne. Aber wer Ihre Art, wie Sie hier geredet haben - man konnte sie als ein bißchen überheblich und unfreundlich empfinden -, ({0}) mitbekommen hat, der hatte nicht den Eindruck, als sei Ihnen an einer Einigung gelegen. Darauf muß man einmal aufmerksam machen. ({1}) Uns liegt an einer Einigung. Ich glaube aber übrigens, daß wir sie nicht in öffentlichen Debatten erreichen können. Es wird vielmehr vernünftiger sein, wenn wir uns - ich sage noch immer: zu jeder Tages- und Nachtzeit - zusammensetzen würden. Ein entsprechendes Angebot haben wir am Anfang dieses Jahres gemacht. Es gab schon verschiedene Versuche. Sie haben aus mancherlei Gründen nicht zum Erfolg geführt. Die Beschimpfungen, die Sie zum Beispiel gegen den Bundesfinanzminister Theo Waigel vorgebracht haben, sind nun ganz bestimmt nicht die richtige Form, um zu einer Einigung zu kommen. ({2}) Wir müssen uns zwar gegenseitig kritisieren. Aber ausgerechnet Theo Waigel zu unterstellen, ({3}) daß er politische Meinungsunterschiede zum Gegenstand für persönliche Auseinandersetzung mache, trifft wirklich nicht zu. Es ist leider wahr, Herr Ministerpräsident Lafontaine: Sie selbst sind es gewesen, der dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt vorgeworfen hat, mit dieser Art von Sekundärtugenden könne man auch ein KZ leiten. Das ist Ihr Problem und nicht das Problem von Theo Waigel. ({4}) Ich habe, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, vor dieser Passage Ihrer Rede gedacht - ({5}) - Jetzt ruft er von der Bundesratsbank, ich sei ein Lügner, Frau Präsidentin. Sie haben dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt vorgehalten, mit den von ihm hochgehalteDr. Wolfgang Schäuble nen Sekundärtugenden könne man auch ein KZ leiten. So war die Aussage. Darauf hat Theo Waigel hingewiesen. Ich habe mich vor der Passage Ihrer Rede, in der Sie sich mit Theo Waigel beschäftigt haben, daran erinnert - ({6}) - Ja, mein Lieber, so wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. ({7}) Ich habe mich daran erinnert, daß es ganz ohne Sekundärtugenden nicht geht. ({8}) Man hatte das Gefühl, daß Sie während Ihrer Rede sozusagen in den bayrischen Wahlkampf gerutscht sind. Ich habe mir gedacht, daß Sie vielleicht lieber in Bayern als in Niedersachsen Wahlkampf machen, obwohl dort der nächste Wahlkampf ansteht. Sie mögen Gründe dafür haben. Ich bin sehr für Solidarität. ({9}) - In diesem Punkt können Sie mir nichts vorwerfen. Auf die deutsche Einheit komme ich gleich noch. Diesbezüglich gibt es keinen Nachholbedarf. Ich bin sehr dafür, daß wir im Bundesstaat unsere gesamtstaatliche, solidarische Verantwortung niemals aufgeben und daß wir uns zu ihr und ihrer Notwendigkeit gegenüber den neuen Bundesländern, gegenüber dem Saarland und Bremen und gegenüber allen anderen alten Bundesländern bekennen. ({10}) Aber, Herr Ministerpräsident Lafontaine, wenn ich als saarländischer Ministerpräsident hier reden würde, dann würde ich über das Thema Solidarität zwischen den Bundesländern doch ein wenig in einer anderen Tonart sprechen, als Sie es in bezug auf Bayern oder auch auf Baden-Württemberg getan haben. So geht es dann auch nicht. ({11}) Es hat doch keinen Sinn, so zu tun, das Saarland habe 1985 eine Zinssteuerquote von 19 Prozent gehabt und habe heute eine von 24 Prozent. ({12}) - 22 Prozent, Entschuldigung. Okay. ({13}) Aber wenn man ernsthaft darüber redet, muß man hinzufügen, daß das Saarland zum Beispiel im Jahre 1996 über 4 Milliarden DM direkte Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt bekommen hat. Diese müssen Sie bei der Zinssteuerquotenberechnung schon einbeziehen. Sonst können Sie über das Thema Solidarität nicht reden. ({14}) Sie können die Strukturprobleme des Saarlandes, die ja nicht gering sind und die wir auch nicht gering reden, nicht in einem Nebensatz - das war Ihnen gerade einmal einen Halbsatz wert - bei der Betrachtung der Probleme des Bundes mit den besonderen finanzpolitischen Belastungen gleichsetzen, die der Bund nach der Wiedervereinigung hat. Das paßt in der Größenordnung nicht ganz zusammen. Wenn wir ernsthaft darüber reden wollen, dann müssen wir doch einmal den Tatbestand erwähnen, daß der Anteil der Bundeseinnahmen an den Gesamteinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden in den 90er Jahren nach der Wiedervereinigung niedriger ist, als er in den 60er, 70er oder 80er Jahren war. Dies kann im Bundestag so nicht weitergehen. ({15}) - Ach, Herr Diller. Reden Sie doch nicht an dem Phänomen vorbei, daß trotz der besonderen Belastungen im Bundeshaushalt im Zusammenhang mit der Oberwindung der Folgen von 40 Jahren Teilung und Sozialismus in einem Teil Deutschlands heute das Verhältnis der Ausgaben des Bundeshaushalts zum Bruttoinlandsprodukt niedriger ist, als es seit den 50er Jahren jemals gewesen ist. ({16}) - Jetzt hören Sie mit den Zwischenrufen auf! ({17}) - Frau Präsidentin, ich warte so lange, bis ich einigermaßen ungestört hier reden kann. ({18})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Abgeordnete Dr. Schäuble hat das Recht, Gehör zu finden. Ich bitte, ihn nicht ständig durch Zwischenrufe zu stören. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es geht einfach nicht an, in dieser Tonart, wie es hier geschehen ist, über die Probleme des Länderfinanzausgleichs und gesamtstaatlicher Solidarität zu sprechen. Gesamtstaatliche Solidarität gibt es auch gegenüber dem Bundeshaushalt. Diese gesamtstaatliche Solidarität ist in den letzten Jahren von der Mehrheit der Bundesländer gegenüber dem Bund nicht in ausreichendem Maße erbracht worden. ({0}) Wenn wir jetzt dabei sind - vielleicht haben wir doch eine Chance, spät, allzu spät -, den einen oder anderen Punkt voranzubringen, dann muß man auch einmal die Tatbestände, die in unserem Lande nicht in Ordnung sind, beschreiben. Ich nenne einmal eine Bagatelle. Aber eigentlich ist sie keine Bagatelle; sie ärgert die Menschen gründlich. In diesen Tagen verschicken die Allgemeinen Ortskrankenkassen in allen Bundesländern mit Ausnahme des Freistaats Bayern an ihre Mitglieder die Aufforderung, 20 DM als Sonderzahlung zugunsten der Krankenhäuser zu überweisen. Warum ist das notwendig? Das muß man an einem konkreten Beispiel klarmachen. Alle Bundesländer mit Ausnahme des Freistaats Bayern leisten nicht die eigentlich ihnen zufallenden Ausgaben für die Investitionen in Krankenhäusern. Das ist der erste Punkt: Die Bundesländer verweigern die notwendigen Leistungen. Der zweite Punkt ist: Wenn es die Länder - mit Ausnahme von Bayern - nicht bezahlen, müssen es die Krankenkassen bezahlen. Wer soll es sonst bezahlen? Die Mehrheit im Bundesrat verweigert die Zustimmung zu der notwendigen Finanzierung über die Beiträge, so daß am Ende dann, wenn man die Krankenhäuser nicht hängenlassen will, nur dieser, der schlechteste aller denkbaren Wege, bleibt. Aber es ist der einzige Weg, diese 20 DM, die eigentlich die Bundesländer leisten müßten, außerhalb des Beitragseinzugsverfahrens von den Versicherten zu bekommen. ({1}) Das ist eine Form von Blockade und von Mißbrauch der Bundesratsmehrheit, von der ich finde, daß man damit aufhören sollte. ({2}) - Das macht nichts, solange er nicht stört und keine beleidigenden Zwischenrufe macht. Nein, Frau Rönsch, lassen Sie ihn. Zuhören muß er nicht. Ich möchte noch einige Punkte nennen. Der Bundeskanzler hat in seiner großartigen Rede alles Wichtige zur deutschen Politik und zur Politik der Koalition gesagt. Ich möchte Ihnen, Herr Bundeskanzler, für diese großartige Rede den Dank meiner Fraktion aussprechen. ({3}) Ich möchte mich nach der Rede von Herrn Lafontaine auf ganz wenige konkrete Punkte beschränken und sage das eine: Nicht die deutsche Einheit ist das Problem, wie Sie immer tun. Das Problem liegt darin, daß in der Welt Veränderungen stattfinden, die ganz neue Herausforderungen an unsere Wettbewerbsfähigkeit stellen. Das Problem ist, daß die deutsche Wirtschaft darauf in weiten Teilen zwar gut reagiert hat - die Produktivität ist gestiegen -, sich dies aber mit Rationalisierungsfortschritten vermischt. Deswegen haben wir noch immer nicht die entsprechenden Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt, die wir dringend brauchen. Wenn wir dies wirklich ändern wollen, muß die Politik dazu den Beitrag leisten, den sie leisten kann. Aber die Politik kann nicht alles machen. Die Tarifpartner müssen wie auch alle anderen in Wirtschaft und Gesellschaft ihren Teil dazu leisten. Aber wenn wir den Teil, den Politik dazu leisten kann und muß, leisten wollen, dann geht es nicht mit Umfinanzierungen, sondern dann geht es nur, indem wir den Anstieg der Ausgaben durch strukturelle Reformen begrenzen. Hierin liegt unsere Meinungsverschiedenheit bezüglich der Rentenversicherung. ({4}) Sie haben heute glücklicherweise das Thema „versicherungsfremde Leistungen", das sowieso nur ein Irrweg und eher ein Verhetzungsthema als ein Lösungsthema ist, gar nicht groß angesprochen. ({5}) - Ja, natürlich. Wenn Sie aus der Rentenversicherung alle Leistungen herausnehmen, die nicht durch eigene Beiträge erworben sind, haben sie keinen solidarischen Generationenvertrag mehr. Dann könnte dies auch eine private Lebensversicherung machen. Das ist aber nicht unsere Vorstellung, und ich hoffe, auch nicht die Ihre. ({6}) Ich habe schon versucht, den Kollegen Fischer in Form einer Zwischenfrage darauf hinzuweisen: Die demographische Entwicklung, die der Bundeskanzler beschrieben hat, ist jedenfalls hinsichtlich der steigenden Lebenserwartung erfreulich. Wir sollten nicht darüber klagen, daß die Menschen im Durchschnitt länger leben dürfen, und zwar in besserer Gesundheit als frühere Generationen. Aber wenn dies mit rückläufigen Geburtenzahlen und sinkender Lebensarbeitszeit auf Grund steigender Ausbildungszeiten und eines niedrigeren Ruhestandseintrittsalters verbunden ist, dann ist völlig klar, daß bei dieser demographischen Entwicklung unser System der solidarischen Versorgung für den Ruhestand, der Generationenvertrag, nicht zukunftsfähig ist, wenn wir nicht die Kraft haben, die Renten durch strukturelle Reformen anzupassen. Herr Lafontaine, hier wieder von Rentenkürzungen zu reden war schamlos. ({7}) Es geht darum, den Anstieg der Renten zu verlangsamen; nicht mehr und nicht weniger. Aber dies ist notwendig. ({8}) - Deswegen war es schamlos, die älteren Mitbürger erneut durch wahrheitswidrige Aussagen in Unsicherheit zu stürzen. ({9}) Es geht nicht um Kürzungen. ({10}) - Nein, hören Sie mit Ihren Lügen und Verleumdungen auf. ({11}) Es ist wirklich ein Skandal, wie Sie die älteren Menschen wahrheitswidrig verunsichern. ({12}) Die demographische Entwicklung, die unbestreitbar ist, hat auch viele erfreuliche Aspekte. Ich sage es noch einmal: Angesichts der Fülle von Meldungen über Umweltskandale und Nahrungsmittelvergiftungen ist die Botschaft nicht schlecht, daß die Menschen länger leben und in besserer Gesundheit alt werden. So schlecht ist das nicht. Aber wenn die Rente in der Zukunft sicher bleiben soll, müssen strukturelle Reformen sein, die die Dynamik des Anstiegs der Rentenausgaben bremsen, weil unsere Rente anders auf die Dauer nicht zukunftssicher ist. Das, was wir, Norbert Blüm und die Koalition gemeinsam, als Rentenreform auf den Weg gebracht und im Bundestag verabschiedet haben, ist notwendig, um die Renten zu sichern. Anders sind sie nicht zu sichern. Deswegen ist Ihre Position, nur umzufinanzieren, auf der Ausgabenseite aber nicht zu Einsparungen bereit zu sein, im Interesse der Zukunftssicherheit der Rentnerinnen und Rentner nicht verantwortbar. ({13}) Herr Ministerpräsident Lafontaine, die Sache ist ganz einfach: Die Koalition, der Deutsche Bundestag hat nicht nur die Rentenstrukturreform beschlossen. Das unechte Vermittlungsergebnis haben wir zurückgewiesen. Wenn der Bundesrat Einspruch einlegt, werden wir diesen mit der notwendigen Kanzlermehrheit zurückweisen. ({14}) - Wir werden ihn zurückweisen; dann tritt die Rentenreform in Kraft. Die Qualität Ihrer Zwischenrufe ist konstant niedrig, Herr Kollege. ({15}) Der Deutsche Bundestag hat auch beschlossen, den Bundeszuschuß zur Rentenversicherung zu erhöhen, finanziert durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1 Prozent, und entsprechend den Beitragssatz in der Rentenversicherung zu senken. Darin sind wir uns einig. Es gibt Stimmen aus Ihrer Partei - es ist in Ordnung, daß es unterschiedliche Stimmen gibt -, die sagen: 2 Prozent, 3 Prozent. Über die Erhöhung des Bundeszuschusses um 1 Prozent zur Senkung des Rentenversicherungsbeitrags, finanziert durch Erhöhung der Mehrwertsteuer, sind wir uns aber offenbar einig. Dann, verehrter Herr Ministerpräsident, stimmt der Bundesrat zu, und das Gesetz tritt in Kraft. Insoweit sind wir einen Schritt vorangekommen. ({16}) Wenn weitere Schritte zur Einigung möglich sind, soll es mir recht sein. An mir wird es ganz gewiß nicht liegen. Eines aber sage ich Ihnen: Glaubwürdigkeit gewinnt man nicht, indem man die Schritte, bei denen man einig ist, nur deswegen nicht macht, weil man sagt: In anderen Punkten ist man noch nicht einig. Wir werden nicht in allen Fragen Einigkeit erzielen; das wäre ja ganz schlimm. Das würde das Wechselspiel zwischen Mehrheit und Minderheit in der parlamentarischen Demokratie gefährden. Es ist aber verantwortungslos, wenn Sie bei den Punkten, in denen wir einig sind und für die wir die Zustimmung des Bundesrates brauchen, Ihre Zustimmung verweigern. Sie dürfen Ihre Zustimmung deshalb verweigern, weil die Koalition entsprechend dem Wählerauftrag auf den Feldern handelt, wo die Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich ist. Das tut sie nach dem Grundgesetz. ({17}) Jetzt komme ich zur Steuerreform. Sie haben, an die Zuschauerinnen und Zuschauer gewandt, gesagt - das machen Sie gern; da merkt man die Absicht -: Jeder private Haushalt, der Ausgaben plant, muß sich das und das überlegen. Herr Ministerpräsident Lafontaine, die Gleichsetzung von Ausgaben und Steuersenkungen offenbart einen Grundirrtum in Ihrem Denken. ({18}) Nach unserem Verständnis ist es nicht so, daß schon alles, was nicht zu 100 Prozent besteuert wird, eine Subvention ist. Es ist umgekehrt. Eigentlich gehört das Geld den Bürgern. Der Staat nimmt einen erheblichen Teil davon an Steuern und Abgaben weg. ({19}) Deswegen sind Steuersenkungen keine Ausgabenprogramme. Das ist die Sache mit den Entlastungen und den Ausgaben. Schauen Sie, das Problem ist doch das folgende. ({20}) - Wenn Sie ein bißchen weniger unhöflich gewesen wären, hätten wir heute ganz friedlich debattieren können. ({21}) - An mir liegt es nun wirklich nicht. Lesen Sie das Protokoll nach. Die Zuschauerinnen und Zuschauer werden, wenn sie während Ihrer Rede nicht abgeschaltet haben, das auch überprüfen. Ich bin ganz friedlich. ({22}) Wir haben der Steuerreformkonzeption, die wir im Januar, Herr Bundesfinanzminister, vorgestellt haben, die letzte Steuerschätzung zugrunde gelegt. Dann wurde sie beraten, auch in Gesprächen mit der SPD, die wegen der Bergarbeiterstreiks abgebrochen - das ist die Wahrheit - und nicht nur aufgeschoben worden sind. Als die Bergarbeiter nicht mehr gestreikt haben, war eine Terminvereinbarung nicht mehr möglich. Im Januar jedenfalls haben wir dieser Steuerreformkonzeption die aktuellste Steuerschätzung, nämlich die vom November 1996, zugrunde gelegt. Es ist doch so, Herr Bundesfinanzminister? Die Steuerschätzungen werden alle halbe Jahre abgegeben, und alle halbe Jahre verändern sie sich. In den letzten zwölf Monaten haben sie sich dramatisch verändert. Damals haben Sie - und viele andere - gesagt, eine Nettoentlastung in Höhe von 30 Milliarden DM sei zuviel, sei von Bund und Ländern nicht zu verkraften. Inzwischen - November 1997, ein Jahr später - liegt schon die zweite neue Steuerschätzung vor. In diesen zwölf Monaten sind die Einnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden laut Steuerschätzung ohne jede Steuersenkung um 30 Milliarden DM zurückgegangen. Das heißt, das Volumen, das Sie im Januar als zu hoch für eine Nettoentlastung erklärt haben, entspricht dem Einnahmeverlust, der ohne jede Entlastung eingetreten ist. Das beschreibt das Problem. ({23}) - Sogar der Kollege Diller hat das gestern in den Haushaltsberatungen beklagt. Sie können das doch nicht bestreiten. Jetzt stehen wir vor dem Problem, was wir tun können, um das zu ändern. Als erstes wird angeführt, die Steuerschlupflöcher zu schließen. Ich warne davor, zu glauben - schauen Sie genau hin! -, man müsse nur zwei Schlupflöcher schließen, und dann sprudelten die Steuereinnahmen wieder. Vielmehr müssen wir - das wird viel mühsamer sein - erstens generell Ausnahmen von der Besteuerung beseitigen. ({24}) Zweitens aber müssen wir die Steuersätze, und zwar alle, deutlich senken. ({25}) Wenn wir dies nicht tun, werden immer mehr Entscheidungen von Wirtschaftssubjekten - Unternehmern, Arbeitnehmern, privaten Haushalten - immer stärker unter dem Gesichtspunkt getroffen werden, die zu hohe Steuerbelastung zu vermeiden: ({26}) durch Verlagerung ins Ausland, durch Nutzen von Ausnahmen oder was auch immer. Deswegen wird nur eine Kombination aus der Beseitigung von Ausnahmen und der Senkung aller Steuersätze, und zwar möglichst deutlich, das Phänomen der Erosion unserer Steuerbasis beseitigen können. ({27}) Wenn wir ernsthaft darüber reden wollen, wie man das Problem beseitigen kann, muß eben jeder seine Position ein wenig verändern. Nachdem eine erneute Reduzierung der Steuereinnahmen um 30 Milliarden DM geschätzt wurde, hat der Bundesfinanzminister in der letzten Debatte - nicht gestern, sondern vor ein paar Wochen - gesagt, man müsse sich angesichts dieser Entwicklung stärker darauf konzentrieren, die Steuerstruktur zu verbessern. Sie, Herr Ministerpräsident Lafontaine, haben für die sozialdemokratische Seite lange gesagt - ich habe dafür eine Zeitlang ein gewisses Verständnis gehabt, glaube aber, daß diese Position aufgegeben werden muß -, Sie seien nur bereit, Gesetzesänderungen im Steuerrecht zuzustimmen, wenn sie vor der nächsten Bundestagswahl in Kraft treten. Das war Ihre Position, auf Grund deren wir uns auf 1998 konzentrieren mußten - wohlwissend, daß man eine richtige Steuerstrukturreform nicht in einem Jahr hinbekommt, sondern dafür ein paar Jahre braucht, sie in Stufen in Kraft setzen muß. Wenn Sie sich insofern bewegen, haben wir schon eine bessere Chance auf eine Einigung. Dann haben wir auch eine bessere Chance, uns beim Thema der Entlastungswirkungen, der Auswirkungen von Begrenzungen der Ausnahmen auf die Haushalte von Bund und Ländern, zu verständigen. Ich stehe nicht an, die Erfahrungen aus den Verhandlungen im Vermittlungsausschuß über die aufkommensneutrale Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer einzubeziehen. Es bestand ja das Problem, daß die Gewerbekapitalsteuer sofort wegfällt, während die Verbesserung der Einnahmen für die Kommunen durch Verbreiterung der Bemessungsgrundlage erst ein bis zwei Jahre später eintritt. Das hat zu einer Art Überkompensation der Ausfälle durch die Gewerbekapitalsteuer geführt. Also wird es vielleicht vernünftig sein zu sagen: Laßt uns über die zeitliche Reihenfolge der Vorhaben - Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und Inkraftsetzung der Steuersatzsenkung - so entscheiden, daß die öffentlichen Haushalte von Bund und Ländern nicht weiter notleidend werden. Aber Voraussetzung ist natürlich, daß beides in einem Gesetz festgelegt wird. Der Termin des Inkrafttretens ist der zweite Schritt. ({28}) Wenn wir uns darauf einigen, können wir uns ein Stück weit entgegenkommen. Aber Sie werden mit einer Senkung der Sätze - beispielsweise, wie Sie es vorgeschlagen haben, des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent - das Problem nicht lösen. Wenn Sie zu kurz springen, brauchen Sie erst gar keinen Anlauf, dann bleiben Sie gleich sitDr. Wolfgang Schäuble zen. Wenn wir nicht eine deutliche Senkung der Steuersätze, und zwar aller, zustande bringen, wird eine Steuerreform nicht zur notwendigen wirtschaftlichen Belebung und damit zu einer Verbesserung auf der Einnahmeseite führen. ({29}) Wenn wir das nicht zustande bringen, dann werden wir weiter daran zu leiden haben, daß die Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht in der Geschwindigkeit auf den Arbeitsmarkt durchschlägt, wie wir es alle miteinander vor eineinhalb Jahren erwartet haben. Das war ja auch die Grundlage für die gemeinsamen Erklärungen von Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, daß wir ein so hohes Maß an Arbeitslosigkeit haben. Wir dürfen uns nicht damit abfinden, daß wir zwar wirtschaftliches Wachstum haben, die Arbeitslosigkeit aber trotzdem nicht zurückgeht. Wir müssen wissen, daß die Veränderungen am Arbeitsmarkt viel dramatischer sind und daß wir mehr Bewegung und mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen müssen, wenn wir auf dem Weg zu einem Arbeitsmarkt, der stärker durch die Dienstleistungsgesellschaft geprägt sein wird, das Ziel „Arbeit für alle" nicht aus dem Auge verlieren wollen. In einer Zeit, in der die gesamtwirtschaftlichen Erträge ja nicht gering sind, in der die Vermögenswerte, die in Aktien stecken - wie die Kurszettel jeden Tag ausweisen -, in kurzer Zeit überall auf der Welt schnell zunehmen - manchmal nehmen sie auch wieder ab -, in einer solchen Zeit, in der sich die Fragen des sozialen Ausgleichs ganz anders und neu stellen als in der Vergangenheit, dürfen wir ja nicht sagen, daß die Frage des sozialen Ausgleichs weniger wichtig ist als in der Vergangenheit. Sie erfordert möglicherweise neue Antworten, wenn man auch in der Zukunft soziale Gerechtigkeit mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verbinden will. Deswegen dürfen wir nicht bei den alten Besitzständen stehenbleiben. Deswegen ist auch alles, was wir unternehmen, um die Tarifpartner stärker in die Verantwortung zu nehmen, richtig. Deswegen, Herr Bundeskanzler, war es richtig, bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu sagen: Die Mindestregelung durch den Gesetzgeber wird zurückgenommen; den Rest regeln die Tarifpartner in eigener Verantwortung. - Es hat ja auch funktioniert. Deswegen ist es ebenfalls richtig, für mehr Flexibilität zu sorgen. Meine Fraktion hat in der vergangenen Woche in Berlin einen großen Kongreß veranstaltet zu dem Spezialthema - es ist eines von vielen Themen-: neue Möglichkeiten der Beschäftigungsförderung. Der Bundeskanzler hat das Leipziger Modell erwähnt. Es geht um Möglichkeiten, wie wir für eine Übergangszeit - von mir aus auch mit unkonventionellen Mitteln (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Sehr gut!) die Bereitschaft, Arbeit anzubieten und Arbeit anzunehmen, verbessern. Wenn wir auf diesem Weg nicht weiter voranschreiten, werden wir die Probleme nicht lösen. Aber auch dann, wenn es uns nicht gelingt, die Unterschiede zwischen einem geringeren Einkommen aus Arbeit und Transferleistungen ohne Arbeit so zu korrigieren, daß jeder, wenn er arbeitet, mehr hat, als wenn er nicht arbeitet, werden wir das Problem nicht lösen. Deswegen, Herr Fischer, ist Ihre Idee mit der Grundrente falsch; sie ist grundfalsch. ({0}) Deswegen ist der Weg, den Bundesgesundheitsminister Seehofer bei der Weiterentwicklung der Sozialhilfe beschreitet, richtig und findet unsere Unterstützung. Deswegen müssen wir diesen Weg weitergehen. Deswegen suchen wir nach Lösungen für den Bereich der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse. Wir müssen diese Entwicklung, die so nicht hingenommen werden kann - das hat der Bundeskanzler zu Recht gesagt -, so korrigieren, daß nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird und die betreffenden Jobs vollständig wegfallen oder nur als Schwarzarbeit angeboten werden. Das ist schwierig. Deswegen muß man mit unverstelltem Blick und ohne Scheu, Tabus zu brechen, nach Lösungen suchen. Man muß wissen, was man will und in welche Richtung man gehen will. Wir brauchen eine Stärkung der politischen Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Wachstum, eine Weichenstellung für technischen Fortschritt und ein leistungsfähigeres Bildungssystem. Lassen Sie mich zu dem letzten Punkt auch etwas sagen. Der Bundeskanzler war zu vornehm, um daran zu erinnern, mit welcher für mich unerträglichen Haltung die Länder den Vorschlag der Bundesregierung von Mitte der 80er Jahre zurückgewiesen haben, auf einem Bildungsgipfel zwischen Bund und Ländern darüber zu reden, wie unser Bildungssystem modernisiert werden kann. (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Ja, ja, ja!) Ich muß selbstkritisch sagen, daß es sich dabei nicht nur um SPD-regierte Bundesländer handelte. Die Länder haben mit einer - wie ich glaube - nicht angemessenen Sturheit gesagt: Das ist Sache der Länder; wenn der Bund mehr Geld geben will, ist es recht, aber den Rest machen die Länder. Unser Bildungssystem leidet nicht nur unter einem Mangel an Geld; vielmehr leidet es an einem Mangel an Reformfähigkeit in der Bildungspolitik der Länder. Die Länder sollten sich ein bißchen mehr bewegen. ({0}) Es ist wahr: Mit Panikmache und Katastrophenmeldungen über die Ausbildungsplätze wird nichts besser. Besser wäre, wir sagen den jungen Menschen: Nehmt die Ausbildungsplätze an, die euch angeboten werden! Ich habe es zuerst nicht geglaubt, und ich sage das jetzt in aller Ausführlichkeit: Vor drei Wochen ist mir beim Arbeitgeberverband Nordmetall - das ist die Metall- und Elektroindustrie der Länder Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-VorDr. Wolfgang Schäuble pommern - gesagt worden, man habe im Bereich der Metall- und Elektroindustrie die Ausbildungsplätze in diesem Jahr nicht besetzt bekommen. In der vergangenen Woche hat mir der Präsident der Handwerkskammer Reutlingen gesagt - Staatsminister Pfeifer war dabei -, man habe dort im Bereich des Elektro- und Metallhandwerks die Ausbildungsplätze nicht besetzt bekommen. Ich habe noch immer gezweifelt. - Am Donnerstagabend der vergangenen Woche wurde mir vom Ortenauer DGB-Kreisverband - das ist mein Wahlkreis - gesagt, es stimme, im Metall- und Elektrobereich habe man auch im Ortenaukreis die Ausbildungsplätze im Jahr 1997 nicht besetzt bekommen. Wenn das so ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, ({1}) dann ist es vielleicht notwendig, den jungen Menschen zu sagen: Vertraut nicht in allem nur auf den Staat! ({2}) Wartet nicht darauf, daß euch alles angeboten wird! Guckt auch, wo eure Chancen sind! ({3}) Deswegen, Herr Ministerpräsident Lafontaine, Herr Kollege Scharping, ist es vielleicht besser, wir täten bei aller notwendigen Auseinandersetzung und Schuldzuweisung nicht so, als sei an allem nur die Politik schuld. Wenn wir das, was in unserem Land notwendig ist, um Zukunft zu gewinnen, zustande bringen wollen, müssen die Menschen, müssen alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gruppen mitmachen. Deswegen, meine Damen und Herren, ist es besser, daß der Bundeskanzler die Probleme nicht verschweigt, sondern sagt: Es gibt eine Menge Probleme in unserem Land. Aber es gibt auch Grund zur Dankbarkeit und Zuversicht. Wir haben alle Chancen. Wenn wir uns anstrengen, haben wir die Chance, für unser Land eine gute wirtschaftliche Zukunft und eine Zukunft in sozialer Sicherheit zu ermöglichen. Dafür wird die CDU/CSU-Fraktion weiter arbeiten. ({4})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Heiner Geißler das Wort zu einer Kurzintervention.

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Lafontaine, Sie haben mich vorhin in Ihrer Rede wegen des Buches, das ich geschrieben habe, angesprochen. Es ist wahr: Wir haben den Namen „Gott" in unserer Verfassung, und die CDU hat das „C" in ihrem Parteinamen. Dies verkörpert einen Anspruch, der nicht immer erfüllt wird; dies ist wahr. Wenn Sie das Buch gelesen haben, dann werden Sie festgestellt haben, daß ich nachhaltig dafür plädiert habe, diesen Anspruch nicht aufzugeben, weil wir sonst Ziel und Fundament unserer Politik verlören. Wir brauchen gerade heute, in einer Zeit der Globalisierung dieser Welt, auch der ökonomischen Globalisierung, diesen Anspruch, zum Beispiel um zu erkennen, daß wir die soziale Marktwirtschaft, die meine Partei im Nachkriegsdeutschland eingeführt und durchgesetzt hat, nicht durch puren Kapitalismus ersetzen dürfen. ({0}) Wir brauchen diesen Anspruch, weil eine Weltwirtschaftsordnung, die in den Augen der Bevölkerung so aussieht, daß die Aktienkurse nach oben rasen, große Unternehmen Milliardengewinne machen, gleichzeitig aber Tausende von Menschen entlassen werden, unmoralisch ist und nicht die Wirtschaftsordnung meiner Partei darstellt. ({1}) Ich habe aber auch gesagt, daß es gehaltene Versprechen gibt, zum Beispiel die Freiheits- und Friedenspolitik in den 80er Jahren. Sie hat ein biblisches Fundament; darüber haben wir schon einmal diskutiert. Es gehört als Folge dieses Anspruchs aber auch dazu, daran zu erinnern, daß in diesem Land nach 1949 ein Sozialstaat aufgebaut worden ist: Betriebsverfassungsgesetz, Mitbestimmung, Kriegsopferversorgung, die bruttolohnbezogene dynamische Rente, die reformiert werden muß, das Gesetz zur Absicherung der Arbeiter im Krankheitsfall aus dem Jahre 1961, das Bundessozialhilfegesetz, das Jugendwohlfahrtsgesetz, das Arbeitsförderungsgesetz und in den Legislaturperioden, in denen wir seit 1982 regiert haben, das Erziehungsgeld, der Erziehungsurlaub, der Kündigungsschutz für Frauen, die ein Kind bekommen, die Anerkennung von Erziehungsjahren, der Lastenausgleich für 12 Millionen Heimatvertriebene und Flüchtlinge und die großartige solidarische Leistung nach der deutschen Einheit, daß Millionen von Menschen in den neuen Ländern eine sichere und ausreichende Rente bekommen haben. Das sind Ansprüche, die wir erfüllt haben. ({2}) Dieser Sozialstaat, den wir heute haben, muß zwar reformiert werden, aber der Anspruch, von dem ich gesprochen habe, zwingt uns auch, den Sozialstaat in der Zukunft zu erhalten, damit die neue Welt der Technologie, die wir nicht ändern und nicht zurückführen können, ein menschliches Gesicht behält. Dafür ist dieser Anspruch da. Nicht zuletzt deswegen habe ich dieses Buch geschrieben. ({3})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Ministerpräsident, möchten Sie darauf antworten? - Gut. Dann erteile ich das Wort jetzt dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002769, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil in dieser Debatte - wenn man einen Teil Ihres rhetorischen Nebels beiseite läßt - etwas geschehen ist, was vielleicht doch eine Möglichkeit des Fortschritts beinhaltet. Der Vorsitzende der SPD, der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine, hat Ihnen - so wie ich heute morgen - ein Angebot gemacht. Wir haben Ihnen angeboten, in der Frage der Senkung der Lohnnebenkosten und in der Frage der Verhinderung eines Anstieges des Rentenversicherungsbeitrages auf 21 Prozent ein Ergebnis herbeizuführen, und zwar rasch. Wir haben Ihnen angeboten, in der Frage der Steuerreform, wenigstens bei den Punkten, die zu einer Erosion der finanziellen Grundlagen des Gemeinwesens zu führen drohen, gemeinsam Entscheidungen zu treffen, und zwar rasch. Es ist nicht weiter überraschend, daß in einer solchen Debatte zum Beispiel der Vorsitzende der CDU/ CSU-Fraktion so reagiert, wie er reagiert hat, nämlich zweideutig: auf der einen Seite mit der Bekräftigung altbekannter Standpunkte und auf der anderen Seite mit dezenten Hinweisen darauf, daß man möglicherweise doch zu einem Ergebnis kommen könnte. Ich erwarte nicht, daß man ein solches Ergebnis in dieser Debatte herbeiführt. Ich bin allerdings schon erstaunt - wenn ich das einmal so nennen darf -, daß im Rahmen einer solchen Debatte überhaupt wenigstens eine Andeutung von Fortschritt und von Bewegungsmöglichkeit erkennbar wird. Ich hoffe, das ist ernst gemeint. Wenn es ernst gemeint ist, dann wird man das in den nächsten Tagen vielleicht nicht öffentlich im Plenum, aber hier und da in der Politik spüren und vielleicht sogar zu Entscheidungen kommen. Zweitens. Herr Bundeskanzler, Sie haben davon gesprochen, daß manches für Sie überraschend gewesen sei. Das mag so sein. Zum Beispiel möchte ich Sie daran erinnern, daß über Vorschläge der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu einer aktiveren Arbeitsmarktpolitik und zu einer Lokalisierung der Arbeitsmarktpolitik unter Mitverantwortung der Tarifpartner mit den Maßnahmen, die ich Ihnen hier genannt habe und die Sie dann auch in dem Bericht aufgegriffen haben - Wortwahl einmal unbenommen -, hier im Deutschen Bundestag zweimal abgestimmt und jeweils mit Ihrer Stimme abgelehnt wurden. Wenn hier im Deutschen Bundestag Redlichkeit der Argumente beansprucht wird - das tut jeder von uns gerne und relativ leicht -, dann wäre es sinnvoll, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, dem Deutschen Bundestag gelegentlich erklärten, warum Sie heute in einer Debatte etwas als bemerkenswert bezeichnen, was Sie in dieser Wahlperiode zweimal im Deutschen Bundestag abgelehnt haben. ({0}) Da ich gerade bei der Frage der Redlichkeit bin: Ich habe - das ist Ihre Verantwortung nicht als Bundeskanzler, wohl aber als Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Union - einen Brief auf den Tisch bekommen, der von Ihrer Schatzmeisterin unterschrieben ist und in dem es wie folgt heißt: Täter angemessen und zügig bestrafen - auch das erwarten die Menschen von unserem Rechtsstaat, und zwar zu Recht. Dies haben SPD und Grüne bisher nicht begriffen. Für sie zählt die milde Behandlung der Täter mehr als der Schutz der Opfer. ({1}) Ich möchte zum einen feststellen, daß vor nicht sehr vielen Tagen im Deutschen Bundestag, und zwar im zuständigen Rechtsaussschuß, ein Antrag der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zur Verstärkung des Opferschutzes von der Koalition abgelehnt worden ist. Ich möchte zum anderen Sie, Herr Bundeskanzler, als Parteivorsitzenden auffordern, daß die Behauptung, die SPD fordere einen intensiveren Schutz der Täter, die auch in einem sogenannten Fragebogen vorkommt, sofort aus der Welt geschafft wird - am besten gegenüber allen Adressaten dieses Briefes. ({2}) Wenn Sie, was ja viele tun, Redlichkeit beanspruchen, dann will ich Ihnen sagen, was mir ein Lehrer, der mir diesen Brief zugänglich gemacht hat, aus seiner Klasse berichtet - ich lese Ihnen das vor -: Das Machwerk kann man nur als in Teilen demagogisch, unseriös und manipulativ werten. Jugendliche, die ich mit dem Brief und Fragebogen konfrontierte, griffen in ihren Reaktionen zu Begriffen wie „Ekel", „verlogen", „absolut unchristlich". ({3}) Meine Damen und Herren, ich weiß sehr wohl, daß wir am Beginn eines harten Wahlkampfes stehen und daß es da auch mit harten Bandagen zugehen wird. Alle Beteiligten werden wahrscheinlich hier und da über die Stränge schlagen. In schriftlicher Form an Hunderttausende von Menschen - in dem Fall an Mitglieder Ihrer Partei - eine offenkundige Lüge zur Grundlage von Propaganda zu machen, das erfordert allerdings, daß Sie das hier in Ordnung bringen. Ich bitte Sie herzlich, das hier heute zu tun. ({4}) Schließlich drittens und ganz kurz zu dem Bereich der Lohnnebenkosten sowie der Steuern. Ich will auf einzelne Argumente jetzt nicht eingehen, aber doch einen Hinweis geben. Im Auftrag der Bertelsmann Stiftung ist vor wenigen Tagen ein Bericht an den sogenannten Club of Rome erstattet worden. Dieser Bericht setzt sich mit der Frage auseinander, was pluralistische Gesellschaften eigentlich zusammenhält. In jenem Bericht, der sich mit Japan, den USA und vielen anderen entwickelten Industriestaaten beschäftigt, die alle pluralistisch sind, wird die Frage gestellt, ob es zum Zusammenhalt einer pluralistischen Gesellschaft nicht so etwas wie ein kollektives Grundgewissen geben müsse - eine Formulierung, die der bedeutende Soziologe Emile Durkheim in die Welt gesetzt hat. Es wird die Antwort gegeben, daß jedenfalls die Demokratie auf die Unbeschädigtheit ihrer Institutionen und auf die Fairneß ihrer Verfahren angewiesen sei, was die Vermittlung unterschiedlicher politischer Überzeugungen angeht. Ich sage das mit Blick auf meine Bemerkungen heute morgen und das Angebot, das Ihnen der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine gemacht hat. Wenn wir einen Kompromiß erreichen wollen, dann wird jeder einen Teil seiner Überzeugungen zurückstellen müssen. Kompromisse nach der Methode: Es wird nur die eine Überzeugung berücksichtigt, die andere hat zurückzustehen, sind nicht möglich. ({5}) Wenn man den Anspruch des Kompromisses hat, dann muß man sich von dem Anspruch des Alleinbesitzes der Wahrheit lösen. Der Anspruch auf Kompromiß und der Anspruch auf Alleinbesitz der Wahrheit passen nicht zueinander. Deshalb warte ich interessiert darauf, ob im Zuge dieser Debatte, die nur noch wenige Minuten dauert, wenigstens das korrigiert wird, was korrigiert werden könnte. Ich warte in den nächsten Tagen gespannt darauf, ob dem Gesagten noch Taten folgen. Das wäre schön und für das Land gut. ({6})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi, PDS.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Daran, daß ich jetzt wieder spreche, sind Sie selber schuld. Die Parlamentarischen Geschäftsführer haben der PDS nicht erlaubt, ihre Redezeit zusammenzufassen. Wir mußten sie splitten; so müssen Sie mich zweimal ertragen. Hätten Sie unserem Vorschlag zugestimmt, wäre das in einem Aufwasch erledigt gewesen. ({0}) Ich möchte mich gerne zu einigen Fragen äußern, die hier inzwischen zusätzlich aufgeworfen wurden. Ich bin vorhin durch die Zwischenfrage davon abgekommen, etwas zur Ausbildung und zur Situation an den Universitäten zu sagen. Herr Gerhardt und auch der Bundeskanzler haben in diesem Zusammenhang auf die Zuständigkeit der Länder hingewiesen. Das ist ja auch nicht falsch. Es ist auch wahr, daß hierfür in den Ländern die Mittel gekürzt wurden. Nur eines muß man, Herr Bundeskanzler, hinzufügen: Sie haben einen beachtlichen Beitrag dazu geleistet, daß die Einnahmen der Länder ständig zurückgegangen sind, ihre Ausgaben ständig stiegen und daß deshalb alle Länder gezwungen sind, irgendwo Einsparungen durchzuführen. Allerdings meine auch ich, daß Einsparungen bei Forschung und Bildung genau der falsche Ansatz sind. ({1}) Sie haben gesagt, das Lehrstellenproblem sei eigentlich gelöst. Es sei eine großartige Leistung, auf die Sie stolz sind, daß nur 18 000 Jugendliche in diesem Jahr keine Lehrstelle bekommen hätten. - Herr Bundeskanzler, 18 000 Jugendliche ohne Lehrstelle sind 18 000 Jugendliche zuviel und kein Grund, auf irgend etwas stolz zu sein! ({2}) Sie haben bei der Zahl auch etwas vergessen: Sie haben nämlich die Schulabgängerinnen und Schulabgänger nicht erwähnt, die wir vor zwei Jahren und vor einem Jahr in die Warteschleife geschickt haben und die in diesem Jahr ebenfalls keinen Ausbildungsplatz bekommen haben. Die Zahl der Wartenden wird ja immer größer; nur fallen sie mit 18 Jahren aus der Statistik heraus. Bis dahin hatten sie dann nie eine Chance auf Ausbildung. In Wirklichkeit liegt die Zahl also viel höher. Sie können in einer Gesellschaft, die so reich ist wie unsere und ein privates Geldvermögen von 5,3 Billionen DM hat, niemandem erklären, weshalb es nicht möglich sein soll, endlich eine staatliche Garantie zu geben und umzusetzen, gemäß der jede Jugendliche und jeder Jugendliche einen Anspruch auf Ausbildung nach Schulabschluß erhält. ({3}) Sie können das überhaupt nur dann als Leistung bezeichnen und sich zugleich über Unternehmen beschweren, wenn Sie sich dem neoliberalen Geist des Herrn Gerhardt und seiner Gefolgsleute beugen, der eigentlich besagt: Was der Markt an Lehrstellen nicht hergibt, dafür ist der Staat nicht zuständig. Es handelt sich aber um eine Zukunftsfrage. Deshalb ist der Staat dafür zuständig, zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Wir alle wissen, wie katastrophal die Situation an den Universitäten ist. Für den Hochschulbau zum Beispiel ist der Bund zuständig. Auch diese Mittel sind letztlich immer weiter zurückgefahren worden. Ich glaube, Sie vergeben Zukunftschancen, wenn Sie die Ausgaben für Bildung weiter auf diese Art und Weise reduzieren. Es ist hier immer wieder gesagt worden, die Schulzeit sei zu lang. Herr Bundeskanzler, woran liegt denn das, daß sie jetzt auch in Sachsen-Anhalt auf 13 Jahre verlängert wird? Der einzige Grund dafür ist, daß man in der DDR in 12 Jahren das Abitur machen konnte, aber nichts, was aus der DDR kam, etwas taugen durfte. Deshalb mußten alle zur 13jährigen Schulzeit übergehen, wie sie in den alten Bundesländern bestand. Was wäre politisch und ideologisch so katastrophal gewesen, wenn man gesagt hätte, doof sind die auch nicht, und wenn dort 12 Jahre Schule gereicht haben, versuchen wir es auch hier so zu organisieren, daß man das Abitur auch in 12 Jahren schafft. Das ist im Grunde genommen eine Auswirkung Ihres falschen Einheitsdenkens. ({4}) - Ja, das kritisiere ich auch in Sachsen-Anhalt. ({5}) - Das ist ein Irrtum. Wir tolerieren gerade einmal die Regierung, aber regieren nicht mit. Wir sind bei keinem einzigen Kabinettsbeschluß dabei. Das würden sich die Sozialdemokraten auch schwer verbitten, uns als Koalitionspartner zu betrachten. Daß sich das in Zukunft irgendwann einmal ändern kann, steht heute nicht zur Debatte. Aber es wird noch die Zeit kommen, wo Sie auf uns angewiesen sind. Mit Ihren Ausführungen zur Telefonversorgung im Osten haben Sie recht, Herr Bundeskanzler. Ich habe das auch schon mehrfach schriftlich und mündlich erklärt. Ich würde das nie leugnen. Es gibt übrigens nicht nur bei der Telefonentwicklung, sondern auch bei der Infrastrukturentwicklung, bei der Entwicklung von Stadtzentren und beim Straßenbau beachtlichen Fortschritt. Das würde ich nie bestreiten. Die jetzige Telefonversorgung in den neuen Bundesländern hätte die DDR auch in weiteren 40 Jahren nicht zustande gebracht. Das ist unstrittig. Aber eine Unwahrheit haben Sie hinzugefügt: Sie haben gesagt, das habe ein privates Unternehmen geschaffen. - Das ist falsch. Die Investitionsmittel kamen sehr wohl noch von der Bundespost, von einem staatlichen Unternehmen. ({6}) Das hätte ein privates Unternehmen nie geleistet; genau das sprach nämlich gegen die Privatisierung. Nur: Wenn man die positiven Seiten betont, Herr Bundeskanzler, hätte man sich auch zu den Schattenseiten der deutschen Einheit hier äußern müssen. Das ist ja alte SED-Politik, immer nur die drei Rosinen herauszupicken und über andere Dinge nicht mehr zu reden. Das machen wir nicht mehr mit. ({7}) Wir wollen gern beide Seiten im Bundestag betrachtet sehen. Sie haben dann noch etwas gesagt, was mich nachdenklich gemacht hat. Sie haben an die Arbeitgeber der Bauindustrie appelliert, im Winter nicht wieder so viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entlassen. Aber auch hier hätten Sie sagen müssen, Herr Bundeskanzler, daß erst die Abschaffung des Schlechtwettergeldes durch Sie die Möglichkeit eröffnet hat, Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter im Winter massenhaft zu entlassen. ({8}) Lassen Sie uns doch gemeinsam diese Maßnahme zurücknehmen, und schon hätten wir auf den Baustellen dieses Problem nicht mehr. Weiter müßten Sie bereit sein, Entsenderichtlinien zu verabschieden, wonach Bauarbeiter Anspruch auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit haben, damit Lohndumping durch billige Arbeitskräfte endlich aufhört und statt dessen alle gleichermaßen bezahlt werden. Dann hätten wir auch nicht diese entsetzliche Konkurrenzsituation auf den Baustellen, ({9}) die geeignet ist, Ausländerfeindlichkeit zu schüren. Sie haben gesagt, Sie seien sehr stolz auf die Ergebnisse der Reduzierung der Lohnfortzahlung. Auf welches Ergebnis genau sind Sie stolz? Sie haben hervorgehoben, daß wir jetzt einen geringeren Krankenstand haben als früher. Aber, Herr Bundeskanzler, wir haben doch in Wirklichkeit jetzt nicht weniger Kranke in der Gesellschaft als vorher. ({10}) Die Menschen haben in Wirklichkeit nur mehr Angst davor, Krankheiten auszukurieren, und zwar aus Angst vor Lohneinbußen und aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Darauf können Sie doch im Ernst nicht stolz sein. Man müßte sich eigentlich schämen, daß es eine solche Situation gibt. ({11})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluß. Ihre Redezeit ist längst abgelaufen.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Dann sage ich Ihnen zum Schluß: Herr Schäuble, es ist nicht schamlos, angesichts Ihrer Pläne von Rentenkürzungen zu sprechen. Wenn Sie das Rentenniveau im Vergleich zu den Lohneinkommen um 6 Prozentpunkte reduzieren wollen, dann ist das faktisch eine Rentenkürzung. Ich hoffe, daß Sie nicht damit durchkommen, die Probleme dieser Gesellschaft auf Kosten der älteren Menschen zu lösen. ({0}) '

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst über zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Der erste Änderungsantrag ist auf Drucksache 13/ 9179. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9180: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschußfassung. Die Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. verlangen namentliche Vizepräsidentin Michaela Geiger Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist nicht der Fall. Es fehlt noch ein Schriftführer. Sind jetzt alle Urnen besetzt? - Das scheint der Fall zu sein. Ich eröffne die Abstimmung. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß wir nach der namentlichen Abstimmung noch eine einfache Abstimmung haben. Sie werden daher gebeten, im Saal zu bleiben. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Soweit ich sehe, ist das nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.*) Wir setzen die Beratungen fort. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zum Ausweis der Mittel für den Bundesnachrichtendienst, Drucksache 13/7299. ({0}) - Ich bitte die Kollegen, sich auf ihre Plätze zu begeben, damit wir im Tagungspräsidium einen besseren Überblick über die Abstimmungsverhältnisse haben. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/6531 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P., SPD und Bündnis 90/ Die Grünen gegen die Stimmen der PDS angenommen. Ich rufe jetzt auf: Einzelplan 05 Auswärtiges Amt - Drucksachen 13/9005, 13/9025 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Erich Riedl ({1}) Ina Albowitz Antje Hermenau Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD, fünf Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen. *) Seite 18689 C Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Günter Verheugen, SPD-Fraktion.

Günter Verheugen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002368, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die heutige kurze Debatte über die auswärtige Politik unseres Landes dazu benutzen, zu drei aktuellen Themen Stellung zu nehmen, die uns in der letzten Zeit beschäftigt haben. Ich beginne mit der Situation in Bosnien-Herzegowina: Zwei Jahre nach Dayton, meine Damen und Herren, müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß sich die Hoffnungen, die mit dem Friedens- und Demokratisierungsprozeß verbunden sind, nur zu einem sehr kleinen Teil erfüllt haben und die Ergebnisse dieses Friedensprozesses immer noch unbefriedigend sind. Die Kriegsparteien, die in diesem Land die Macht ausüben, haben sich bisher als unfähig erwiesen, den Frieden zu organisieren. Es ist an der Zeit, daß die internationale Gemeinschaft daraus Konsequenzen zieht. Wir haben am vergangenen Sonntag in der Republika Srpska Parlamentswahlen gehabt. Ich bin über die Darstellung in den meisten Medien etwas erstaunt, daß dies ein weiterer Sieg der nationalistischen Kräfte gewesen sei. Das ist nicht der Fall. Es lohnt sich ein differenzierter Blick auch in diesen Teil des gequälten Landes, und Sie werden finden, daß mehr und mehr Kräfte der demokratischen Opposition - nicht nationalistische Parteien, nicht ethnisch organisierte Parteien -, die auf die Integration des Gesamtstaates hinarbeiten, Erfolge - zum Teil große Erfolge - erzielt haben und daß es sehr wohl Ansatzpunkte für die Entwicklung einer stabilen Demokratie in diesem Land gibt. Aber dazu sind ein paar Voraussetzungen notwendig, die ich nennen möchte. Die erste Voraussetzung ist, daß die internationale Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina eine langfristige Strategie entwickelt. Es hat sich als falsch erwiesen, den Eindruck zu erwecken, daß Mandate nach einem Jahr oder nach eineinhalb Jahren auslaufen, und dies in der Hoffnung zu tun, daß dadurch ein Zeitdruck auf die Konfliktparteien entsteht. Das Gegenteil ist der Fall gewesen. Die Verfallsdauer der Mandate führt nur zu einem Attentismus bei den Konfliktparteien mit dem Ergebnis, daß sie sich einfach zurücklehnen und warten: Irgendwann geht die internationale Gemeinschaft wieder mit ihren Soldaten, und dann bringen wir das Geschäft zu Ende. Deswegen halten wir es für notwendig, klipp und klar zu sagen, daß das politische und militärische Engagement des Westens und der internationalen Gemeinschaft in diesem Land so lange aufrechterhalten bleibt, wie es notwendig ist. ({0}) Da denke ich eher an fünf Jahre, von heute aus gerechnet, als an weniger. Der militärische Schutz dieses Friedensprozesses ist nach wie vor notwendig. Es muß mit Nachdruck klargestellt werden, daß das Mandat von SFOR im nächsten Juni nicht auslaufen kann. Wenn irgend jemand in diesem Land in der Erwartung lebt, das Mandat laufe aus, dann wird er nichts tun, um den Friedens- und Demokratisierungsprozeß voranzubringen, sondern ganz im Gegenteil. Aber unabhängig davon, meine Damen und Herren, gibt es einen Punkt, über den wir uns unterhalten müssen: Es besteht nach wie vor ein schwer verständliches Mißverhältnis zwischen dem, was wir für den militärischen Schutz des Prozesses aufwenden, und dem, was wir tun, um den Prozeß selbst zum Erfolg zu führen. ({1}) Nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Mittel, sondern auch hinsichtlich der politischen Kreativität, der politischen Phantasie und dem politischen Einsatz vor Ort existiert ein krasses Mißverhältnis. Diejenigen, die in diesem Land demokratische Opposition darstellen, werden von der internationalen Gemeinschaft praktisch nicht wahrgenommen. Ich bitte Herrn Kinkel ausdrücklich, wenn er demnächst wieder in Bosnien ist, die Gelegenheit zu benutzen, im Besuchsprogramm an deutlich sichtbarer Stelle mit den Vertretern der demokratischen Opposition in Bosnien-Herzegowina zusammenzukommen. Das ist wichtig; die brauchen das. ({2}) Wir brauchen ein langfristig angelegtes Programm der Hilfe für die demokratischen Kräfte. Sie brauchen materielle Hilfe, sie brauchen vor allen Dingen die Solidarität der demokratischen Parteien in den europäischen Ländern. Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen: Es lohnt sich, sich dort einzusetzen. Selbst dort, wo man es nicht für möglich gehalten hätte, in der Republika Srpska, lassen sich Erfolge erzielen, wenn man diese Solidarität zeigt. Zum anderen ist, wie im Bundestag schon oft gesagt wurde, ein Medienentwicklungsprogramm notwendig. Nach wie vor spielen die Medien eine verheerende Rolle für den inneren Zustand dieses Landes, ({3}) für die Angst, die man wechselseitig schürt, für die Hetze, die dort betrieben wird. Ohne verantwortungsvolle Medien wird der Prozeß nicht gelingen. Es ist an der Zeit, mehr zu tun, als nur gelegentlich etwas zu beaufsichtigen. Es ist an der Zeit, ein wirklich langfristig angelegtes Medienentwicklungsprogramm mit Journalistenausbildung und -weiterbildung hier bei uns umzusetzen, nicht in Sarajevo oder in Tuzla oder in Banja Luka. Holt die Leute hierher! Wir müssen ihnen zeigen, wie demokratische Medien funktionieren. ({4}) Ich glaube, daß sie lernwillig und lernbereit sind. ({5}) Der letzte Punkt in diesem Zusammenhang: Ich glaube, es ist notwendig, bei der Wiederaufbauhilfe dafür zu sorgen, daß die Gemeinden, in denen demokratische Kräfte jetzt die Mehrheit haben - es gibt viele Gemeinden, in denen das der Fall ist -, honoriert werden. Es gibt Städte, auch in der Republika Srpska, die sagen: Wir wollen, daß unsere Flüchtlinge zurückkehren. - Dann sollten wir ihnen dabei helfen und dafür sorgen, daß die Wiederaufbauprogramme beginnen. ({6}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aus sehr aktuellem Grund ein zweites Thema anschneiden: die deutsch-tschechischen Beziehungen. Fast ein Jahr nach Unterzeichnung der Erklärung liegen die Vereinbarungen über die Umsetzung immer noch nicht vor. ({7}) Der Bundestag soll jetzt die ersten 20 Millionen DM für die deutsch-tschechische Stiftung zur Verfügung stellen, ohne daß er weiß, wie diese Mittel verwendet werden. Und: Er wird nicht wissen, wer sie verwenden soll. Ich bedauere außerordentlich, daß es nicht möglich gewesen ist, innerhalb eines Jahres zu Vereinbarungen über Struktur, Inhalt und Verwendung des Zukunftsfonds zu kommen. Ich will das Hauptproblem gern nennen und Sie darauf aufmerksam machen, daß auf Einladung der SPD-Fraktion auf der Tribüne Vertreter der Opferverbände aus der Tschechischen Republik, der Generalsekretär der Föderation jüdischer Gemeinden, der Vorsitzende der Theresienstädter Initiative, ({8}) der Vorsitzende des Verbandes ehemaliger politischer Häftlinge und der Vorsitzende des Verbandes der Freiheitskämpfer Platz genommen haben. ({9}) Sie sind zum erstenmal in dieser Eigenschaft in Deutschland, und dieser Besuch ehrt uns. Was sie hier wollen, ist ganz klar: Sie wollen uns vermitteln, daß das Problem der humanitären Geste gegenüber den tschechischen NS-Opfern jetzt gelöst werden muß, daß dies keine Zeit mehr hat. Wir können das nicht auf die Zeitschiene setzen und warten, bis vielleicht alle tot sind. Seit Abschluß der Erklärung sind von den 8500 Opfern, um die es geht, bereits 500 gestorben. Wir haben keine Zeit mehr. Es geht hier nicht um Entschädigung. Wie kann jemand glauben, daß man zwei oder drei Jahre im KZ, daß man das Erleben von Auschwitz entschädigen könnte? - Darum geht es nicht. Es geht um eine humanitäre Geste gegenüber den überlebenden Opfern, die alt sind und von denen die meisten in schwierigen, ja sogar ärmlichen Lebensumständen leben. ({10}) Es gibt eine einfache Lösung des Problems: Die deutsch-tschechische Stiftung sollte ein Sozialwerk errichten, aus dem Beihilfen in den Bereichen gezahlt werden, in denen es am dringendsten notwendig ist: in der Wohnungsfürsorge, in der Gesundheitsfürsorge, beim allgemeiner Lebensunterhalt. Das kann schnell und unbürokratisch geschehen. ,Die Opferverbände sind dazu bereit, eine solche Lösung anzunehmen. Sie sollten nicht vergessen, meine Damen und Herren: Hier steht der gute Ruf der Bundesrepublik Deutschland auf dem Spiel. Danach, wie wir in der Tschechischen Republik mit diesen Menschen umgehen, werden wir im In- und Ausland bewertet. ({11}) Es kann, acht Jahre nach dem Fall von Mauer und Stacheldraht in Europa, nicht angehen, daß wir diese Menschen immer noch auf die Geste warten lassen, die ihnen zusteht und die auch für uns wichtig ist. Die Lösung dieses Problems ist nicht nur für unsere tschechischen Nachbarn und für die tschechischen Opfer wichtig; die Lösung dieses Problems ist vielmehr genauso wichtig für uns. ({12}) Wir sollten hier schnell handeln. Es geht um ein Sozialwerk. Wir sollten keine Sanatorien, Krankenhäuser oder Altenwohnanlagen bauen; denn ehe sie fertig sind, sind die meisten tot. Ich biete die Zusammenarbeit der SPD-Bundestagsfraktion bei der Lösung dieses Problems an. Es ist möglich, hier schnell zu handeln, und es ist notwendig, hier schnell zu handeln, wenn die deutschtschechischen Beziehungen nicht erneut Schaden erleiden sollen. ({13}) Ein drittes Thema, ein Wort zu den transatlantischen Beziehungen, die uns in den letzten Monaten immer wieder einmal beschäftigt haben. Ich möchte dazu nur folgendes sagen: Ein enges und partnerschaftliches Verhältnis zu den USA ist für die Stabilität in Europa nach wie vor unverzichtbar und wird unverzichtbar bleiben. Deshalb müssen Erosionserscheinungen sehr ernst genommen werden. Ganz gewiß trifft der US-Kongreß in letzter Zeit gelegentlich Entscheidungen, die für uns schwer verständlich sind. Aber die Ursache dafür liegt nicht nur in den USA; sie liegt vielmehr zum großen Teil in Europa. Denn wie wollen wir ein Partner sein, wenn wir außen- und sicherheitspolitisch nicht mit einer Stimme sprechen? ({14}) Wir brauchen eine gemeinsame Strategie in Europa und in den USA im Hinblick auf die Folgen der Globalisierung der Wirtschaft und der Finanzmärkte, eine gemeinsame Strategie im Hinblick auf die großen, globalen Herausforderungen wie Weltklima, Weltbevölkerung und Welternährung und eine gemeinsame Strategie gegenüber den Problemregionen und Problemländern wie Iran, China, Naher Osten und Türkei. Hier zeigt sich, es gibt eine breite und tiefe transatlantische Agenda, die mit Leben erfüllt werden kann und muß. Ich möchte nicht behaupten, dies liege allein in der Verantwortung der Bundesregierung, sondern ich will sehr deutlich sagen: Es ist unsere gemeinsame Verantwortung als Mitglieder des Bundestages, alle Möglichkeiten zu nutzen, um die Kontakte mit unseren amerikanischen Kollegen zu pflegen und zu vertiefen. Vielen Dank. ({15})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe ich das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 bekannt. Abgegebene Stimmen: 640. Mit Ja haben gestimmt: 332. Mit Nein haben gestimmt: 308. Keine Enthaltungen. Damit ist der Einzelplan 04 mit der erforderlichen Mehrheit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 640; davon ja: 332 nein: 308 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({0}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Rudolf Braun ({1}) Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({2}) Hartmut Büttner ({3}) Dankward Buwitt Manfred Carstens ({4}) Peter Harry Carstensen ({5}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjörgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann Anke Eymer Ilse Falk Jochen Feilcke Ulf Fink Dirk Fischer ({6}) Leni Fischer ({7}) Klaus Francke ({8}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Dr. Heiner Geißler Wilma Glücklich Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Vizepräsidentin Michaela Geiger Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund Horst Günther ({9}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({10}) Gerda Hasselfeldt Otto Hauser ({11}) Hansgeorg Hauser ({12}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise Detlef Helling Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze Josef Hollerith Elke Holzapfel Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({13}) Ulrich Junghanns Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Peter Keller Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler ({14}) Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus Wolfgang Krause ({15}) Andreas Krautscheid Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({16}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach Walter Link ({17}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({18}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({19}) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten Dr. Martin Mayer ({20}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Rudolf Meyer ({21}) Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({22}) Engelbert Nelle Bernd Neumann ({23}) Johannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({24}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau Helmut Rauber Otto Regenspurger Christa Reichard ({25}) Klaus Dieter Reichardt ({26}) Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Dr. Norbert Rieder Dr. Erich Riedl ({27}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({28}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({29}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer ({30}) Ortrun Schätzle Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({31}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({32}) Andreas Schmidt ({33}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz ({34}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte ({35}) Gerhard Schulz ({36}) Frederick Schulze ({37}) Diethard Schütze ({38}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Marion Seib Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Egon Susset Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({39}) Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({40}) Gert Willner Bernd Wilz Willy Wimmer ({41}) Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller F.D.P. Ina Albowitz Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({42}) Günther Bredehorn Dr. Olaf Feldmann Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({43}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Dr. Burkhard Hirsch Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Detlef Kleinert ({44}) Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({45}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Wolfgang Weng ({46}) Dr. Guido Westerwelle Vizepräsidentin Michaela Geiger Nein SPD Brigitte Adler Gerd Andres Robert Antretter Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig Arne Börnsen ({47}) Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({48}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Lothar Fischer ({49}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({50}) Karin Fuchs ({51}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Günter Graf ({52}) Angelika Graf ({53}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl Hermann Haack ({54}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold Hiller ({55}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({56}) Frank Hofmann ({57}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Lothar Ibrügger Wolfgang Ilte Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({58}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ernst Kastning Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Klaus Lohmann ({59}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({60}) Winfried Mante Ulrike Mascher Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Herbert Meißner Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({61}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Michael Müller ({62}) Jutta Müller ({63}) Christian Müller ({64}) Volker Neumann ({65}) Gerhard Neumann ({66}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Wilfried Penner Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Rudoll Purps Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Günter Rixe Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Dieter Schloten Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({67}) Ulla Schmidt ({68}) Dagmar Schmidt ({69}) Wilhelm Schmidt ({70}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({71}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({72}) Reinhard Schultz ({73}) Volkmar Schultz ({74}) Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({75}) Dr. Angelica Schwall-Düren Ernst Schwanhold Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster Horst Sielaff Erika Simm Johannes Singer Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Günter Verheugen Ute Vogt ({76}) Karsten D. Voigt ({77}) Hans Georg Wagner Hans Wallow Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({78}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({79}) Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({80}) Heidi Wright Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gila Altmann ({81}) Elisabeth Altmann ({82}) Volker Beck ({83}) Angelika Beer Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Andrea Fischer ({84}) Joseph Fischer ({85}) Rita Grießhaber Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({86}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Egbert Nitsch ({87}) Cern Özdemir Simone Probst Halo Saibold Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({88}) Wolfgang Schmitt ({89}) Ursula Schönberger Werner Schulz ({90}) Christian Sterzing Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer Margareta Wolf ({91}) Vizepräsidentin Michaela Geiger PDS Wolfgang Bierstedt Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiede Dr. Ludwig Elm Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann Rolf Köhne Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({92}) Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz Fraktionslos Kurt Neumann ({93}) Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({94}) Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU Ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Erich Riedl, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach Ihrer kurzen, aber doch sehr eindrucksvollen außenpolitischen Rede, Herr Kollege Verheugen, der der Kollege Lamers seine Ausführungen anfügen wird, möchte ich zu Ihren Bemerkungen über den deutsch-tschechischen Vertrag sagen: Es geht auch schneller. Die Berichterstatter für den Einzelplan 05 haben auf dem ganz kurzen Dienstweg im Haushaltsausschuß eine Zusage des Herrn Bundespräsidenten eingelöst, nämlich in Leitmeritz ein deutschjüdisches Gebetshaus zu errichten. Der Herr Bundespräsident war so frei, eine Zusage zu machen, obwohl er sie aus seinem Haushalt nicht realisieren konnte. Wir sind ihm entgegengekommen. Das Geld ist da. Herr Minister Kinkel, manchmal sind die Haushälter gar nicht so hinderlich. Ich nehme an, daß Ihnen dieses Beispiel gut gefällt. In Ihrem Haushalt ist es berücksichtigt, ohne daß Sie das Geld einsparen mußten. So geht es auch. Ich freue mich, daß wir das ermöglichen konnten. Die „feuerpolizeiliche Aufseherin" des Bundesfinanzministers hat eben freudig genickt. Sie mußte uns ihre Zustimmung gehen, ob sie wollte oder nicht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muß jetzt zum Alltag des schnöden Geldes zurückkommen und darf Ihnen im Auftrag des Haushaltsausschusses berichten, daß im Haushaltsentwurf für den Einzelplan 05, den wir gleich verabschieden werden, die hohe Flexibilität Ihres Hauses, Herr Minister, zum Ausdruck kommt, mit der außerordentlich angespannten Haushaltslage - meiner Ansicht nach sehr bemerkenswert - fertig zu werden. Man schimpft ja immer über die Beamten und über die Diplomaten, sie könnten alle nicht mit Geld umgehen. Aber es ist Ihnen gelungen, das Gegenteil unter Beweis zu stellen. Durch eine Reihe von Strukturveränderungen in der Organisation konnten die Haushaltszwänge in beachtlicher Weise bewältigt werden, obwohl der Einzelplan 05 um 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr absinken wird, während der Gesamthaushalt des Bundes um 2,7 Prozent zunimmt. Das ist fast die Quadratur des Kreises. Ich will ein paar Beispiele nennen, die auch für andere Häuser vorbildlich sein können, und zeigen, wie das gelungen ist. Einmal haben wir die außerordentlich stringenten Stellenkürzungen in Höhe von 1,5 Prozent, die auch in diesem Jahr wieder zu verzeichnen sind, im Bereich des Auswärtigen Amtes durch organisatorische Veränderungen meiner Ansicht nach sehr gut auffangen können. Zum anderen eine kurze Bemerkung zu den Ortskräften: Wir beschäftigen im Ausland rund um die Welt etwa 6150 Diplomaten. Davon sind 2500 Ortskräfte, also Leute, die aus dem Sitzland kommen und natürlich sehr gute Ortskenntnissse haben. Ich habe einmal mit den AA-Kollegen aus dem Haushaltsreferat und dem Organisationsreferat über den Daumen durchgerechnet: Wenn wir diese 2500 Ortskräfte nicht hätten und diese Stellen mit den nach deutschem Besoldungsrecht zu besoldenden Diplomaten besetzen müßten, würden wir im Ausland 30 Prozent mehr Personalkosten haben. Das ist eine ganz beachtliche, organisatorisch-wirtschaftlich vernünftige Leistung. ({0}) - Herr Abgeordneter Weng, man kann zum Beispiel über den Haushalt der Familie nur reden, wenn man öfter zu Hause ist. Deshalb ist meine Aufgabe, öfter irgendwo draußen zu sein; sonst könnte ich die Situation ja gar nicht beurteilen. Ich bedanke mich sehr für die Würdigung meiner Auslandsarbeit. ({1}) Das Bundeskabinett hat am 7. Februar 1996 beschlossen, daß die Auslandsvertretungen Deutschlands in den Städten zusammengefaßt werden müssen, in denen es mehrere Vertretungen gibt. ({2}) - Herr Kollege Glos, Sie sagen: „höchste Zeit". - In der Anfangsphase der Errichtung von internationalen Behörden war das nicht möglich, aber jetzt ist es doch gelungen, insgesamt - in Wien, Paris, Genf, Rom, Straßburg, Brüssel und New York - allein schon in den Haushalten 1997/98 19 Stellen einzusparen und Verwaltungseinheiten zusammenzulegen. Nun werden Sie sagen: 19 Stellen; warum hebt er das hier im Bundestag so hervor? Meine Damen und Herren, 19 Stellen in diesen sieben Großstädten einzusparen ist meiner Ansicht nach eine gewaltige organisatorische Leistung. ({3}) Dr. Erich Riedl ({4}) In der Presse - einige Journalisten sitzen hier auf der Tribüne - wird oft kritisiert, daß wir nach der Wiedervereinigung Deutschlands die von der ehemaligen DDR auf uns übergegangenen Liegenschaften nicht entsprechend verwerten. Nun die Botschaft über die Verwertung dieser Grundstücke ist positiv: Von insgesamt 185 von der ehemaligen DDR übernommenen Liegenschaften wurden inzwischen 100 mit einem Erlös von 78,9 Millionen DM veräußert. Der Rest befindet sich noch in der Verkaufsabwicklung. Bei 22 Grundstücken ist die Entscheidung des Verkaufs oder Nichtverkaufs deshalb noch nicht möglich, weil die Eigentumsverhältnisse noch nicht geklärt sind. Auch auf diesem Gebiet erweist sich das Haus des Außenministers als ein sehr wirtschaftlich denkendes Unternehmen. Ich will in diesem Zusammenhang noch zwei Dinge ansprechen: Deutschland ist ein großzügiges Land, wenn es darum geht, dem Ausland Gefälligkeiten zu erweisen. Ich verstehe überhaupt nicht, daß wir im Gegensatz zu vielen Staaten - auch Staaten des Schengener Abkommens - keine Visagebühren oder nur so niedrige Visagebühren verlangen, daß ihre Erhebung teurer ist, als wenn wir überhaupt keine Gebühr verlangen würden. Wir sind allerdings auf dem richtigen Weg. Ich kann die Bundesregierung nur ermuntern, die fällige Rechtsverordnung zur Ausführung des Gesetzes über die Erteilung von Visa gemäß dem Schengener Abkommen vom 1. Juli dieses Jahres - ich glaube, da ist der Bundesinnenminister federführend - alsbald zu erlassen. Wir haben über den Daumen ausgerechnet: Ein ganz normales Visum, bei dessen Bearbeitung nicht viel nachgefragt werden müßte, wäre etwa bei einer Gebühr von 40 bis 50 DM kostendekkend zu erteilen. Viel teurer sind aber die abgelehnten Visaanträge. Amerika, Großbritannien und fast alle großen Nationen erheben auch für abgelehnte Visaanträge Gebühren. Das ist gut und richtig. Herr Minister, es wäre schön, wenn im Haushalt 1999 eine entsprechende Einnahmeetatisierung stattfinden würde. Eine andere Sache, die den Haushaltsausschuß im Zusammenhang mit dem Geld beschäftigt und dort für Verärgerung sorgt, ist die Frage der Besoldung der Bediensteten in den internationalen Organisationen. Wenn man einmal vergleicht, was die UNO in New York, die EU in Brüssel, die WTO in Genf und andere internationale Organisationen in Wien oder wo auch immer bezahlen, dann kommt man zu der Feststellung: Diese Besoldung ist nicht nur gegenüber den Bediensteten in unserem Lande, sondern auch gegenüber den Bediensteten in den deutschen Auslandsvertretungen eine Zumutung. Der Haushaltsausschuß hat deshalb in einer Entschließung zum Bundeshaushaltsentwurf 1998 die Bundesregierung dringlich aufgefordert, alles zu tun, den Abstand in der Besoldung und Versorgung zwischen den Bediensteten in Deutschland und denen in internationalen Organisationen, einschließlich der Europäischen Kommission in Brüssel, durch entsprechende Maßnahmen zu verringern. Am besten wäre es, die Besoldung gleichzustellen. ({5}) Schade, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht hier ist. Was sich die WTO in Genf erlaubt, nämlich an den vernünftigen Vorschlägen der Bundesregierung einfach vorbeizugehen und sich in Genf, eine Flugstunde von Stuttgart entfernt, ein Schlaraffenland zu schaffen, ({6}) ist nicht erträglich. Ich habe zusammen mit dem Kollegen Wagner von der SPD ein sehr unfreundliches Gespräch mit dem Generalsekretär der WTO geführt. Unsere Vorwürfe stören diesen Herrn überhaupt nicht. Herr Außenminister, Sie sind zwar nicht für die WTO-Beiträge zuständig, aber ich muß Ihnen sagen: Wenn das so weitergeht, daß wir auf der einen Seite vernünftige Sparmaßnahmen durchführen - Nullrunden im öffentlichen Dienst, Kürzung des Personalbestandes und Einschränkungen bei der Pension unserer Beamten -, daß aber die internationalen Organisationen auf der anderen Seite nichts anderes im Kopf haben, als die Gehälter ihrer Mitarbeiter zu erhöhen, dann muß der Bundestag endlich einmal beschließen, daß die Beiträge Deutschlands an diese Organisationen gekürzt werden. Das geht so nicht mehr weiter. Ihr verehrter Staatsminister hat in Brüssel seine eigenen Erfahrungen gesammelt. Ich möchte Ihnen, Herr Kollege Hoyer, auch in Anwesenheit Ihres Ministers ein ganz großes Kompliment machen, weil Sie denen in Brüssel einmal mutig, selbstbewußt und sachlich gut begründet den Marsch geblasen haben. ({7}) Das will ich ganz deutlich sagen. ({8}) Jetzt ist meine Redezeit fast schon zu Ende. Immer wenn die Frau Präsidentin hinter mir präsidiert, vergeht die Zeit so schnell. ({9})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter Riedl, ich darf Ihnen versichern, daß ich Ihre Redezeit nicht manipuliere.

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will noch zwei Dinge aus der Kulturpolitik anführen: Herr Minister, der Herr Bundeskanzler hat heute gesagt, daß es exzellente Beziehungen zu Rußland gebe. Das ist gut so. Aber diese leidige Geschichte mit der Rückgabe der Kulturgüter-Kriegsbeute muß endlich einmal im Sinne dieser freundschaftlichen Beziehungen gelöst werden. Ich rede überhaupt nicht einer Lösung das Wort, bei der wir alle Bilder zurückbekommen. Mir würde es schon genügen - das sage ich als einfacher Staatsbürger -, wenn die aus DeutschDr. Erich Riedl ({0}) land verschleppten Kulturgüter einer großen Weltöffentlichkeit zugänglich gemacht würden, von mir aus in St. Petersburg, in Moskau oder in Kiew. Aber daß man sie, wie ich das in Sankt Petersburg selbst einmal wie ein Detektiv eruieren konnte, im Keller unterbringt - da darf man ja nur hineinschauen, wenn man Abgeordneter des Bundestages ist oder eine andere Funktion hat -, das halte ich im Prinzip für eine Zumutung. Das zweite, was ich zur Kulturpolitik sagen will: Das Goethe-Institut und Ihre Kulturabteilung sind happy und high darüber ({1}) - eine Sekunde, ich beende nur meinen Satz, Herr Schily -, daß der Haushaltsausschuß dem Goethe-Institut fünf Stellen zusätzlich bewilligt hat. Wir sind froh darüber; denn dann können wir in den baltischen Staaten und in Ramallah, Palästina, Goethe-Institute eröffnen. Aber was mir überhaupt nicht in den Kopf will - entschuldigen Sie, wenn es jemand besser weiß, dann soll er mich hier kritisieren -: Ich habe mir gestern die Statistik aus Nürnberg geben lassen. Danach gibt es in Deutschland bei der Bundesanstalt für Arbeit registrierte 42 007 arbeitslose Lehrer, Stand 31. Oktober 1997. Das sind nicht lauter Physiker und Mathematiker. Es sind viele Sprachlehrer dabei.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Abgeordneter Dr. Riedl, wir haben jetzt ein Problem. Erstens ist Ihre Redezeit längst abgelaufen. Zweitens gibt es zwei Abgeordnete, die Zwischenfragen stellen möchten. Wie machen wir das?

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Entscheiden Sie zu meinen Gunsten, Frau Präsidentin! ({0}) Ich beende aber noch meinen Satz. Daß es unter 42 007 arbeitslosen Lehrern in Deutschland nicht wenigstens 100 oder 200 gibt, die freiwillig ins Ausland gehen und Deutsch unterrichten, das kapiert ein einfacher Abgeordneter nicht. Herr Abgeordneter Schily, ich stehe Ihnen zur Verfügung.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Zuerst der Abgeordnete Schily, bitte schön.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Riedl, Sie haben die Rückgabe der deutschen Kulturgüter angesprochen. Meinen Sie nicht, daß die Bundesregierung besser beraten gewesen wäre, wenn sie, anstatt sich nur aufs Bitten zu verlegen, auch die Möglichkeit - etwa bei der Vergabe von Krediten; ich erinnere mich an den ungebundenen Kredit von 3 Milliarden genutzt hätte, zu sagen: Vielleicht kann man da bestimmte Gegenleistungen in Betracht ziehen? Meinen Sie nicht, daß da eine etwas effizientere Politik möglich gewesen wäre?

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schily, ich als feinsinniger bayerischer Abgeordneter - so wie Sie mich kennen - habe mich gescheut, einen solchen Handel überhaupt vorzuschlagen. Aber Sie haben völlig recht. Wenn ein so nobler Anwalt wie Sie bei den Verhandlungen dabei gewesen wäre, hätte man es Ihnen geglaubt, daß eine Verrechnung von Schuldentilgung und Herausgabe von Kulturgütern ein echtes menschliches Anliegen ist. Mir würde das von meiner Statur her fast niemand glauben. Aber Sie können das. Ich werde dem Bundeskanzler sagen, daß er Sie das nächste Mal beauftragen soll, kostenlos und als Rechtsanwalt die Verhandlungen mit den Russen zu führen.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Dann haben wir jetzt die letzte Zwischenfrage von Frau Altmann, und danach ist die Redezeit zu Ende.

Elisabeth Altmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002619, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Riedl, haben Sie nicht wahrgenommen, daß die Goethe-Institute weder happy noch high sind, sondern daß sie sich in argen Bedrängnissen befinden, daß sie weltweit Einrichtungen schließen, nicht nur im letzten Jahr fünf Institute, sondern auch in diesem Jahr neun Institute, und daß es deswegen Proteste aus aller Welt hagelt, daß wir ein wertvolles Kapital, das wir in aller Welt aufgebaut haben, nämlich kulturelle Beziehungen zu pflegen, damit verspielen? Daß Sie das hier in dieser Form leichtfertig diskutieren, das will mir nicht in den Sinn. Wie erklären Sie das?

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich erkläre mir das nur so, daß Sie schrecklich aufgeregt und eifersüchtig sind. ({0}) - Langsam, ich kenne doch die Frau Kollegin Altmann. Ich war vor zehn Tagen in einem Goethe-Institut. Der Herr Generalsekretär hat mich außerordentlich freudig begrüßt. Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, hätten wir diesen Erfolg sogar gefeiert. Aber, liebe Frau Altmann, so wie Sie es darstellen, wird es leider Gottes der Wichtigkeit, die wir im Haushaltsausschuß diesem Problem gewidmet haben, nicht gerecht. Machen Sie es doch nicht so ernst! Sie müssen doch froh sein, daß es fünf neue Stellen gibt. Im ganzen Bundeshaushalt bekommt kein Zuwendungsempfänger, kein Ministerium und keine Bundesanstalt zusätzlich fünf Stellen. Jetzt bekommt das Goethe-Institut sie, und Sie jammern noch immer. Was sollen wir denn noch machen? ({1}) Dr. Erich Riedl ({2}) Da mir die Frau Präsidentin jetzt Redeverbot erteilt hat, bedanke ich mich nur noch für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Ich erteile dem Abgeordneten Ulrich Irmer das Wort zu einer Kurzintervention.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, vielen Dank. Ich habe mich gemeldet, nachdem es hier zu dem Wortwechsel zwischen dem Kollegen Riedl und dem Kollegen Schily über die Kulturgüter kam. Ich bitte, über folgendes nachzudenken: Dieses Thema belastet die Beziehungen zwischen Rußland und uns in erheblichem Maße. Ich fürchte, daß wir mit der Postulierung von Rechtsansprüchen - die zweifelsfrei gegeben sind - in der Sache auch nicht recht weiterkommen. Ich habe mir deshalb schon vor einiger Zeit erlaubt, den Vorschlag zu machen, einmal darüber nachzudenken, ob es nicht ein Weg aus der hier vorliegenden Misere wäre, eine russisch-deutsche Kulturstiftung ins Leben zu rufen, auf die man diese Kulturgüter übertragen könnte, um sie - ganz wie das der Kollege Riedl gesagt hat - der Öffentlichkeit in beiden Ländern und darüber hinaus international zugänglich zu machen. Ich glaube, wenn wir weiterhin gegenseitig nur Rechtsstandpunkte vertreten oder auf der russischen Seite unsere berechtigten Ansprüche durch DumaBeschlüsse oder sonstige Äußerungen einfach abgelehnt werden, kommen wir aus dieser Sackgasse nicht heraus. Die Vergangenheit zwischen Rußland und Deutschland ist so stark belastet, daß man auch die psychologische Seite dieses Problems erkennen muß. Wir sollten versuchen, eine Lösung zu finden, die nach vorn weist, die etwas für die Pflege, den Ausbau und die Verbesserung der russisch-deutschen Beziehungen tut, mit der man diesen Streitpunkt einmal ausräumen könnte, die aber auch etwas Konstruktives bewirken könnte, was sich auf die russisch-deutschen Beziehungen positiv auswirkt. Ich stelle mir vor, daß diese Stiftung über die Verwaltung und Zurschaustellung der Kulturgüter hinaus den Auftrag bekäme, einen Wissenschaftsaustausch, Studentenaustausch und einen allgemeinen kulturellen Austausch zwischen beiden Ländern zu pflegen. Jetzt wird natürlich sofort die Frage gestellt: Wer soll das finanzieren? Ich könnte mir durchaus denken, daß man für eine Anschubfinanzierung einen Teil der Kulturgüter verkaufen könnte, die weder für das eine noch für das andere Land oder für die beiderseitigen Beziehungen typisch sind. Man könnte die Dinge, die einen Wert haben, aber keinen Symbolwert für diese Stiftung hätten, für eine Anschubfinanzierung auf dem Markt veräußern. Ich glaube, wir sollten einer solchen Idee wirklich ernsthaft nähertreten, weil wir diesen Stolperstein in den deutsch-russischen Beziehungen sowieso eines Tages beseitigen müssen und es gut wäre, wenn wir etwas Konstruktives und nach vorn Weisendes für die Aussöhnung zwischen Rußland und Deutschland und für die beiderseitigen Beziehungen tun könnten. Vielen Dank. ({0})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Den Wunsch nach einer Antwort sehe ich nicht. Dann erteile ich dem Abgeordneten Gerd Poppe, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Gerd Poppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir alle wissen, daß die Haushaltslage - zurückhaltend gesagt - angespannt ist und daß deshalb gespart werden muß. Die Frage aber ist, wo gespart werden soll und wo nicht oder - um einmal zwei Zahlen miteinander zu vergleichen - ob für die Beschaffung des Eurofighters allein im nächsten Jahr 847 Millionen DM ausgegeben werden sollen ({0}) und gleichzeitig der deutsche Beitrag zum UN-Hilfsprogramm für Flüchtlinge in Palästina um fast 10 Prozent auf unter 10 Millionen DM gekürzt werden soll. Ich sehe an diesem Beispiel, das für viele ähnliche steht, ein krasses Mißverhältnis in der Ausgabenpolitik eines der weltweit reichsten Staaten. Immerhin wachsen die Ausgaben des Verteidigungsministeriums, während sie beim Auswärtigen Amt bestenfalls stagnieren und beim BMZ sogar deutlich sinken. Damit wird augenfällig, daß die Prioritäten der Bundesregierung, die den Anspruch auf wachsende internationale Verantwortung erhebt, nach wie vor deutlich auf der militärischen Seite liegen. Die Politik der Bundesregierung ist offenbar mehr darauf gerichtet, die Rüstungsindustrie mit staatlichen Aufträgen zu versorgen, ({1}) als darauf, die internationale Krisenprävention zu stärken. ({2}) Erst eine stabile ökonomische und demokratische Entwicklung - ob im Nahen Osten, im früheren Jugoslawien oder in vielen anderen Krisenherden - ist die Grundlage all dessen, was dann gegebenenfalls auch geschützt werden muß, in extremen Ausnahmefällen sogar mit militärischen Mitteln. In erster Linie muß die demokratische Entwicklung da, wo sie gefährdet ist, von verantwortungsbewußter Außenpolitik gestärkt, gestützt oder überhaupt erst ermöglicht werden. Instrumente dafür gibt es genug: Demokratisierungshilfe, Strukturentwicklungsprogramme oder auch die auswärtige Kulturpolitik. Doch es sind gerade solche Instrumente, bei denen die Bundesregierung am ehesten meint, die Zuwendungen kürzen zu können. Es ist ein immer wiederkehrendes Déjà-vu-Erlebnis, daß europäische und deutsche Politik allen Früherkennungssystemen und präventiven Möglichkeiten zum Trotz zunächst überhaupt nicht oder zu schwach oder hilflos oder widersprüchlich reagiert und erst dann, wenn ein Konflikt unübersehbar eskaliert, aus dem Tiefschlaf erwacht. Wir haben das im Fall Bosnien-Herzegowina auf schmerzliche Weise erfahren, in dem als letztes Mittel nur der militärische Eingriff blieb. Wiederholungsfälle sind nicht ausgeschlossen; sie sind sogar vorprogrammiert, wenn nicht andere Prioritäten gesetzt werden. Kosovo, um ein Beispiel zu nennen, könnte ein solcher Fall werden. Das seitens der Bundesregierung in einem kurzsichtigen, einseitig interpretierten nationalen Interesse vereinbarte Rücknahmeübereinkommen läßt eine skandalöse Abschiebungspraxis in noch skandalösere Zustände zu und gefährdet somit die Konfliktlösung mehr, als daß sie sie unterstützt. Die Garantie der Menschenrechte, meine Damen und Herren, ist eine elementare Voraussetzung für jede friedliche Entwicklung. Ihre Durchsetzung sollte ein Schwerpunkt der Außenpolitik werden. Entsprechend konditionierte politische und wirtschaftliche Beziehungen müßten die Folge sein. Der neulich in die USA abgeschobene chinesische Demokrat Wei Jingsheng ist sicher ein Experte für dieses Thema. Er sagt, Druck aus dem Ausland verspreche in der Frage der Menschenrechte immer Erfolg. Leider wird der Druck der Bundesregierung zunehmend durch Streicheleinheiten für die kommunistische chinesische Führung ersetzt. Es sei beispielsweise noch einmal daran erinnert, daß mit deutscher Hilfe eine gemeinsame EU-Resolution zur Verurteilung Chinas bei der Genfer UN-Menschenrechtskommission verhindert wurde. ({3}) - Ja, rausgekommen. Ist das die Lösung, Herr Pflüger, daß die Dissidenten ins Ausland abgeschoben werden, anstatt sich als Demokraten im eigenen Land bewegen zu können? ({4}) Lesen Sie bitte einmal Wei Jingshengs Beschreibung seiner Haftbedingungen in der letzten Ausgabe des „Spiegel". ({5}) Dann können Sie feststellen, daß die hierzulande häufig gehörte These, Marktwirtschaft, wie sie sich in China entwickle, führe gewissermaßen automatisch zu Rechtsstaatlichkeit, nichts anderes ist als eine Ausrede für die eigene Untätigkeit oder, noch schlimmer, Ignoranz gegenüber den Leiden der Opfer. ({6}) Meine Damen und Herren, auch in Europa geht es um eine stabile, ökonomische, friedliche und demokratische Entwicklung. Sie zu fördern ist die bedeutendste Aufgabe aller europäischen Staaten. Das wichtigste Instrument dafür ist die Europäische Union. Sie ist die Basis der erfolgreichen westeuropäischen Integration. Sie ist das Ziel der mittel- und osteuropäischen Staaten. Wir sind uns wohl alle darin einig, daß das wiedervereinigte Deutschland ein besonderes Interesse haben muß, den Weg unserer östlichen Nachbarn in die EU zu erleichtern. Einig sollten wir uns aber auch darin sein, daß dies nicht zu Lasten der Beziehungen zu den westlichen Nachbarstaaten geschehen darf. Deshalb komme ich noch einmal kurz auf das Goethe-Institut zurück. Wenn die Reduzierung der Zuwendungen für das Goethe-Institut dazu führt, daß auf Grund der wichtigen und notwendigen Neueröffnungen im Osten Einrichtungen in der westlichen Welt geschlossen werden müssen, dann müssen wir uns von unseren Bündnispartnern zu Recht die Frage stellen lassen, wie wir es mit der Westbindung halten. ({7}) Die vorgesehene Kürzung richtet nur Schaden an und sollte deshalb revidiert werden.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Herr Poppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Riedl?

Gerd Poppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte.

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Bitte schön, Herr Dr. Riedl.

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie stellen das aus Ihrer Sicht so dar, als ob nur die deutschen Kulturinstitute im Ausland aus Haushaltsgründen schließen müßten. Auch die Amerikaner - Stichwort: Amerikahäuser - und die Franzosen - Stichwort: Institut Français - strukturieren um. Die von Ihnen tendenziell aufgestellte Behauptung, das sei ein politischer Fehler Deutschlands, kann ich beim besten Willen nicht teilen. Im internationalen Vergleich der Kulturinstitute stehen wir, soweit ich weiß, heute an zweiter, vielleicht auch nur an dritter Stelle, aber nicht weiter dahinter. ({0}) Dr. Erich Riedl ({1}) Meine Frage an Sie lautet: Sind Sie nicht der Auffassung, daß wir eine der fundiertesten Kulturaufgaben in der Welt draußen erfüllen? ({2}) Das sollten Sie doch, obwohl Sie der Opposition angehören, durchaus einmal berücksichtigen.

Gerd Poppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Riedl, ich sehe, daß wir eine besondere Rolle spielen und daß es gerade in diesem Bereich wichtige Aufgaben gibt, die von der Bundesrepublik international erfüllt werden. Wir haben aber auch eine ganz besondere Verantwortung. Wir haben aus unserer eigenen Lage und aus einem nationalen Interesse heraus unbedingt den Wunsch, daß diese Erweiterung der Einrichtungen in Ost- und Mitteleuropa und in anderen Teilen der Welt zustande kommt - gerade auch auf Grund der veränderten Rolle des wiedervereinigten Deutschlands. Umgekehrt dürfen wir es doch nicht ohne Besorgnis hinnehmen, wenn in Frankreich sehr unbequeme Fragen gestellt werden, was es damit auf sich hat, wenn in Marseille ein Institut geschlossen wird, und ob denn nun die Deutschen vielleicht nicht mehr so sehr an ihren westeuropäischen Beziehungen interessiert sind wie an Deutschlands Beziehungen zu anderen Staaten, die auf Grund seiner geopolitischen Lage eine besondere Rolle spielen. Ich glaube, man muß dieser Gefahr begegnen und klarstellen: Das eine geht nicht ohne das andere, und wir bleiben bei dieser engen Westbindung, ebenso wie wir die gesamteuropäische Integration in Richtung Osten unterstützen wollen. ({0}) Ich will noch einen letzten Punkt nennen. Wir haben seit 1989 die große Chance, eine gesamteuropäische Friedensordnung zu entwickeln. Dazu gehört es sicherlich, die supranationalen Institutionen zu stärken, zu reformieren, zu demokratisieren. Im Zusammenhang mit dieser Debatte will ich noch einmal auf die OSZE hinweisen. In den letzten Jahren wurden an sie immer größere Anforderungen gestellt. Es gibt genügend Beispiele gelungener Missionen, vom Transkaukasus bis zu Bosnien-Herzegowina. Doch sie ist zunehmend finanziell und strukturell überfordert und nicht ihren Aufgaben gemäß ausgestattet. Ihre Stärkung, die als erklärte Politik auch der Bundesregierung immer genannt wurde, steht nur auf dem Papier. Deshalb, so meine ich, ist es eine Aufgabe deutscher Politik, auch im eigenen Interesse zur Veränderung dieses Zustandes einen angemessenen Beitrag zu leisten. ({1}) Meine letzte Bemerkung: Der Friedensforscher Czempiel hat neulich in einer Anhörung der Enquete-Kommission „Deutsche Einheit" die im ersten Moment vielleicht überraschende Feststellung getroffen, daß noch nie zwei demokratische Staaten gegeneinander Krieg geführt haben. Die erfolgreiche Geschichte der Europäischen Union unterstreicht diese Aussage. Dazu beizutragen, daß überall demokratische Verhältnisse entstehen und gefestigt werden, muß die Priorität deutscher Außen- und Sicherheitspolitik werden. Diese Aufgabe ist wichtiger als die zweifelhafte Modernisierung der Bundeswehr. Unsere Forderung ist, daß der Haushalt diese Erkenntnis widerspiegelt. ({2})

Michaela Geiger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000649

Das Wort hat der Abgeordnete Helmut Haussmann, F.D.P.-Fraktion.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hätte Herr Poppe nicht von einer „Militarisierung deutscher Außenpolitik" gesprochen, wäre ich nicht darauf eingegangen. ({0}) - Sie haben gesagt, die Militärhaushalte stiegen, die anderen Haushalte nähmen ab. ({1}) Wer den Beitrag der Bundesrepublik in der internationalen Politik, bei der Globalisierung, in der Europäischen Union kennt, weiß, daß wir inzwischen ein hochgeschätzter Partner sind. Wer allerdings auf die Beschlüsse Ihres letzten Bundesparteitages in Kassel schaut, der weiß, daß Sie weder bündnisfähig noch international verhandlungsfähig sind. ({2}) Sie müssen sich schon entscheiden: Wer dafür ist, daß der Vertrag von Amsterdam nicht ratifiziert wird, ist in der Europäischen Union isoliert. So einfach ist das. Wenn der Herr Fischer Außenminister werden will, dann muß er zunächst einmal dafür sorgen, daß im eigenen Laden Klarheit herrscht. Der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zu internationalen friedenschaffenden und -bewahrenden Maßnahmen ist nach dem Wunsch der Grünen eine leichtbewaffnete Blauhelmtruppe zur Selbstverteidigung. Die Grünen lehnen eine Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages ab. Sie vertreten in einem Beschluß die Auffassung, daß mit der Gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik - GASP - die Tür in Richtung auf eine Militärmacht Europäische Union weiter geöffnet wird. Dabei handelt es sich um aktuelle Beschlüsse der Grünen, Herr Poppe. Deshalb muß man sehr vorsichtig sein, wenn man die Bundesregierung angreift. In meiner knappen Redezeit will ich auf zwei aktuelle Punkte eingehen. Ich möchte mit der Osterweiterung der EU beginnen. Es ist ja kein Geheimnis, daß Abgeordnete aller Fraktionen - auch das Europäische Parlament - dafür sind, daß möglichst viele europäische Länder das Gefühl vermittelt bekommen, daß sie nicht in Gruppen unterteilt werden, sondern daß sie alle willkommen sind. ({3}) Deshalb ist Ihre Strategie, sehr verehrter Herr Außenminister - ob man das nun „Prozeß", „Stadion" und/oder „Begleitstrategie" nennt -, richtig. Zwei Dinge müssen erreicht werden. Einmal müssen wir auf die innenpolitische Wirkung abstellen; vor allem dürfen die jungen Reformkräfte durch den Erweiterungsprozeß nicht geschwächt werden. Zum anderen dürfen die internationalen Investitionen nicht in die Länder umgelenkt werden, die ohnehin sicher sind. Denn das ist ja ein Teufelskreis: Weniger Direktinvestitionen, weniger Privatisierungen, weniger institutionelle Reformen führen zu einem längeren Beitrittszeitraum. Je mehr Sie, Herr Bundesaußenminister, diesen vom Parlament formulierten Zielen gerecht werden - ich beziehe mich auf Ihr Stadionmodell, bei dem es keinen doppelten Zurückweisungsschock geben wird -, um so stärker wird die Unterstützung aus dem Deutschen Bundestag sein. Zum zweiten Punkt. Die Menschen fragen immer häufiger, was Außenpolitik zur Moderierung der Globalisierung in Wirtschaft und Politik beitragen kann. Die derzeitige Lage zeigt ja, daß ein geeintes Europa eine durchaus große Chance hätte. Es ist ja interessant, daß der amerikanische Präsident vom Kongreß eben nicht die Vollmacht bekam, weitergehende Handelsvereinbarungen abzuschließen. Ich empfinde deshalb keine Schadenfreude. Ich kann aber sagen: Die europäische Strategie, einen Binnenmarkt, die Währungsunion und eine politische Union zu schaffen, dauert zwar länger, stellt aber einen politisch besser abgesicherten Weg dar. ({4}) Eine reine handelspolitische Argumentation überzeugt zu wenige Menschen. Was sich zur Zeit in Asien abspielt, ist noch nicht abgeschlossen. Inwieweit sich diese „asiatische Grippe" auf Europa auswirken wird, ist eine offene Frage. Nur, umgekehrt wird auch ein Schuh daraus: Wären wir nicht auf dem Weg zu einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, wären die einzelnen Nationalstaaten mit ihren kleinen Währungen sehr viel anfälliger für diese asiatischen Einflüsse. ({5}) Insofern ist das ein weiteres Argument für eine europäische Währungsunion. Ich kann heute Herrn Seehofer nur loben und sagen: Auch bayerische Politik sollte eben nicht in Bayern enden, sondern sie sollte zur Kenntnis nehmen, daß eine Europapolitik und eine auf die Währungsunion zielende Politik den Interessen Deutschlands und Europas dienen. Es ist überhaupt ein Problem in der internationalen Debatte, wie Ministerpräsidenten über deutsche Außenpolitik im Ausland reden. ({6}) Ich bin bei der letzten einschlägigen Debatte auf das eingegangen, was die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Simonis in Wien zum besten gegeben und wie sie über Frankreich und Italien gelästert hat. Das ist kein Beitrag, lieber Herr Verheugen, mit dem man die internationale Reputation der Bundesrepublik stärken kann. ({7}) Nein, wer von Globalisierung redet - ({8}) - Wir reden jetzt von der Ministerpräsidentin, die einen Auftritt im Ausland hatte. Wir haben vor kurzem erlebt, wie Herr Schröder unter dem Beifall der Konservativen in London darauf aufmerksam gemacht hat, daß er für eine längerfristige Verschiebung der Währungsunion ist und daß er von der Osterweiterung überhaupt nichts hält; das sei alles überstürzt und sei in den nächsten Jahren nicht zu machen. Das trägt nicht zum Ansehen deutscher Außenpolitik im Ausland bei. ({9}) Wer den Prozeß der Globalisierung beeinflussen will, der muß zunächst einmal in der Lage sein, mit Vertretern anderer Mentalitäten und anderer Kulturen zusammenzuarbeiten. Herr Poppe sprach in einem Nebensatz davon, daß man einen Bückling mache, und von Streicheleinheiten für die chinesische Führung. Herr Poppe, so können Sie als deutscher Politiker bei WTO-Verhandlungen und bei der UN nicht auftreten. Man muß sich zunächst einmal auch um die Befindlichkeit und das kulturelle Anderssein anderer Länder kümmern, wenn man auf der internationalen Ebene einen Beitrag leisten und deutsche Interessen auf internationalen Konferenzen vertreten will. ({10}) Noch etwas anderes hat heute morgen eine große Rolle gespielt - damit will ich schließen -, meine Damen und Herren.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich.

Gerd Poppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Haussmann, sind Sie der Meinung, daß die Folter, der Wei Jingsheng 18 Jahre im Gefängnis ausgesetzt war, ein Bestandteil des kulturellen Andersseins der Chinesen darstellt?

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Meinung bin ich nicht, Herr Kollege. Ich bin aber der Meinung, daß Deutschland innerhalb der Europäischen Union und gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika eine Strategie der Verhandlungs- und Gesprächsbereitschaft mit der künftigen Weltmacht China finden muß. Dahin gehend muß eine Sprachregelung und ein Verständnis für das Anderssein vorhanden sein, was ich bei Ihnen nicht sehe. Meine Damen und Herren, ich will mit folgender Bemerkung abschließen: Wer international die Globalisierung beeinflußt, muß zunächst einmal intern in der Lage sein, seine Hausaufgaben zu machen. Die deutsche Wehleidigkeit, die von der Opposition teilweise gepredigt wird, imponiert Amerika oder China oder Japan in keiner Weise. Man muß die Steuern in Ordnung bringen und flexibler werden. Es war interessant, daß Tony Blair auf dem Beschäftigungsgipfel gesagt hat: Man kann die Arbeitsmarktprobleme der Zukunft nicht mit den Methoden der Vergangenheit lösen. ({0}) Insofern besteht ein enger Zusammenhang zwischen interner Reformbereitschaft und dem Anspruch, auf der internationalen Ebene globale Dinge zu beeinflussen. Danke schön. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Tippach, PDS.

Steffen Tippach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002820, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gilt ja noch immer der geflügelte Satz, daß der Haushalt in Zahlen gegossene Politik ist. Und der Kern auswärtiger Politik ist letztendlich noch immer die Frage von Krieg und Frieden. Vor diesem Hintergrund halte ich den Einzelplan 05 im jetzt vorliegenden Haushaltsentwurf nicht gerade für besonders gelungen. Warum das so ist, werde ich für den Kollegen Haussmann ausführen: Es ist nicht so, daß dieser Haushalt der Ausfluß eines kriegslüsternen Ministers ist; das ist nicht der Fall. Wenn man sich aber die Gewichtung innerhalb dieses Haushaltsplans ansieht, dann stellt man fest, wohin die Fahrt eigentlich gehen soll. Grundsätzlich gilt in diesem Haushaltsplan, daß die Ausgaben für soziale, existentielle und friedensfördernde Aufgaben in keinerlei Verhältnis zu den Ausgaben stehen, die für Macht- und Einflußerweiterung aufgewendet werden. ({0}) Man kann das letztendlich auch für den gesamten Bundeshaushalt sagen. Ich finde, das ist ein Skandal: Was für Außenpolitik und Entwicklungspolitik zusammengenommen im Etat steht, ist nicht einmal ein Viertel dessen, was für die Verteidigungspolitik ausgegeben wird. Da stellt sich die Frage, wo wir die Gewichte setzen. Das kann man allein schon an Hand dieser Zahl erkennen. Auch innerhalb des Etats für das Auswärtige Amt ist dieser Trend leider nicht zu verkennen. Es gibt natürlich auch positive Entwicklungen; auch sie sollen genannt werden: Die Erhöhung der Beiträge für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz ist eine überfällige und richtige Entscheidung. Herr Sommaruga, der die Bundestagsdelegation anläßlich der Menschenrechtskonferenz jedes Jahr mit peinlichen Diagrammen traktiert, wird dieses Jahr vielleicht etwas gnädiger zu uns sein. Auch die Aufstockung der humanitären Soforthilfe halte ich, auch wenn sie nicht ausreichend ist, für eine richtige Entwicklung. Fakt aber ist: Für die Tätigkeit der OSZE stehen in diesem Haushaltsplan 8,6 Millionen DM zur Verfügung. Das sind zwar 0,6 Millionen DM mehr als im letzten Jahr, und es gibt noch einen Extratitel von 4 Millionen DM zur Unterstützung der OSZE, aber ich frage Sie: Wie soll die OSZE mit diesen wirklich bescheidenen Mitteln ihrer Aufgabe gerecht werden, die sie vom selben Außenminister gestellt bekam? „OSZE first" lautete die Parole. Auf dem Gipfel in Lissabon wurde 1996 beschlossen, der OSZE größere Aufgaben bei der Vorbeugung friedlicher Streitbeilegung und der Sicherung der Menschenrechte einzuräumen - wie soll das damit funktionieren? -; auch der Vorrang nichtmilitärischer Konfliktbewältigung wurde beschlossen. Auch da soll sich die OSZE engagieren, und das - man muß das einmal sagen - bei Ausgaben von OSZE und NATO im Verhältnis von 1 : 500. Ich finde, diese Zahl ist äußerst kraß. Sie zeigt, was die OSZE, bei allen Schönwetterreden, dem Außenminister tatsächlich wert ist. ({1}) Dazu kommen in diesem Haushalt natürlich noch etliche weitere Punkte, die die zunehmende Militarisierung - auch wenn Herr Haussmann sie bestreitet - dokumentieren. Der zivile Haushalt der NATO wird von 40,8 Millionen DM auf 44,25 Millionen DM aufgestockt. Die Abführungen an die WEU, inklusive der Abführungen für die westeuropäische Rüstungsgruppe und der Mitfinanzierung eines westeuropäischen Satellitenzentrums, werden von 11 Millionen DM auf 11,3 Millionen DM erhöht. Die MEKO-Fregatten stehen in diesem Jahr mit 14,1 zum letztenmal auf der Tagesordnung, das heißt, im nächsten Jahr schwimmen mit deutscher Rüstungshilfe gebaute potentielle Krisenherde in der Ägäis. Der Posten ist mit dem Vermerk „k.w." versehen. Für die Nichtkundigen muß man dazu sagen: „k.w." heißt nicht „kriegswichtig" oder „Kurden wegschießen", sondern das heißt „künftig wegfallend". Die Frage ist, was das eigentlich soll. Von allen OpposiSteffen Tippach tionsparteien liegen Anträge zu diesem Etatposten vor. Ich bitte da um Zustimmung. Das kann man fortsetzen bis hin zur Erhöhung der Ausgaben für Polizeieinsätze im Rahmen der UNO, der WEU und der EU von 4 Millionen DM auf 9 Millionen DM. Im Gegensatz dazu nimmt der zivile Teil einen viel kleineren Raum im Haushalt ein. Das ist etwas, was wir in der Tendenz und in der absoluten Aussage nicht mittragen können. Hinsichtlich des Haushaltsplans des Auswärtigen Amtes treten wir für eine schrittweise Umorientierung auf neue Prioritäten ziviler Konfliktprävention und Konfliktbewältigung ein. Dazu ist es nötig, endlich Haushaltsmittel für Friedensforschung einzustellen, die bisher nicht vorkommen. Wir treten ein für eine Umwidmung, Erhöhung oder den Neueinsatz von Mitteln für humanitäre Maßnahmen, zur Förderung der Durchsetzung von Menschen- und Minderheitenrechten, für Minenbeseitigung einschließlich Rehabilitierung und Wiederaufbau sowie zur Förderung der Friedens- und Konfliktforschung. Dazu liegt ein Änderungsantrag unserer Gruppe vor. Es geht aus meiner Sicht darum, eine besondere historische Friedenspflicht wahrzunehmen: durch Verzicht auf Gewaltanwendung bei der Austragung von Konflikten, durch eigene und internationale Beiträge zur Rüstungsbegrenzung und zur Beseitigung der Massenvernichtungswaffen. Es geht darum, durch Beseitigung der Ursachen von Kriegen, durch Maßnahmen der Konfliktverhütung und der friedlichen Beilegung von Konflikten an der vorbeugenden Friedenssicherung teilzunehmen. ({2}) Einen letzten Punkt muß ich ansprechen

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Der muß allerdings kurz sein, Herr Kollege Tippach.

Steffen Tippach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002820, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

- der letzte Punkt ist prägnant und kurz -, der zeigt, wohin die deutsche Außenpolitik verkommen ist, am Beispiel der Rückführungsabkommen, die das Innenministerium nicht ohne Zustimmung des Außenministeriums betreibt, zum Beispiel mit Algerien oder mit dem Libanon. Es ist doch Fakt: Wir haben als Bundesrepublik Deutschland Milliarden in die Unterstützung des Nahost-Friedensprozesses gesteckt. Auch in diesem Haushalt stehen die Mittel, wenn auch gekürzt, für die UNRWA. Gleichzeitig soll eine Rückführung von Palästinensern in den Libanon ausgehandelt werden und erfolgen. Sie treiben diese Leute in die Armut und regelrecht in die Arme der Hizbollah.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Tippach, Sie können jetzt noch einen Satz sagen.

Steffen Tippach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002820, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Das nenne ich eine gezielte Unterstützung der Hizbollah, eine Unterwanderung des Friedensprozesses, den wir eigentlich alle wollen. Das heißt für mich auch, daß das Außenministerium als Wurmfortsatz des Innenministeriums mit dem Hintern das einreißt, was eigentlich im Interesse aller aufgebaut wurde. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen Dr. Kinkel.

Dr. Klaus Kinkel (Minister:in)

Politiker ID: 11002696

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kürze der Zeit zwingt zu punktueller Stellungnahme. Zu Bosnien. Ja, Herr Kollege Verheugen, es ist richtig: Wir haben noch längst keine selbsttragende Stabilität. Ja, es wird wohl notwendig sein, weiter von außen militärisch abzusichern. Das würde bedeuten, daß wir uns überlegen müssen, wie. Ich bin froh, daß sich, wie ich jetzt bei meinem USA-Besuch festgestellt habe, auch in Amerika ein Konsens abzuzeichnen scheint. Ich möchte im übrigen bei dieser Gelegenheit, auch weil viele Angehörige der Bundeswehr auf der Tribüne sitzen, herzlichen Dank für die wirklich bewundernswerte Leistung der Bundeswehr in Bosnien sagen ({0}) und dabei ein deutliches Bekenntnis zur Wehrpflicht ablegen. Darauf lege ich großen Wert. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum ersten Punkt. Ich will in acht Tagen zusammen mit dem französischen Kollegen Védrine zum viertenmal in diesem Jahr nach Sarajevo fliegen, um dort vor Ort ein Zeichen zu setzen. Wir wollen deutlich und klar sagen: Wer Frieden will und aufbaut, dem helfen wir; wer weiter Haß sät, wird die Konsequenzen tragen müssen. Herr Verheugen, das muß die Botschaft unserer PIC-Konferenz am 9. und 10. Dezember hier in Bonn sein. Ich gehe davon aus, daß all die Punkte, die Sie angesprochen haben, dort eine wesentliche Rolle spielen werden: das Mandat der UNO so lange wie notwendig; in der Vorbesprechung selbstverständlich Gespräche mit der demokratischen Opposition; Medienfragen stehen im Mittelpunkt; natürlich vor allem auch Hilfe für diejenigen, die sich wirklich bemühen, und auch Probleme der Städte und Gemeinden in der Republik Srpska. Darin sind wir uns völlig einig. Die Ergebnisse der Parlamentswahlen in der Republik Srpska - das sollte man hier, so glaube ich, zumindest kurz erwähnen - werden erst in zwei Wochen endgültig vorliegen. Ich meine schon, daß es als Erfolg gewertet werden kann, daß es zu einer Wahlbeteiligung von über 50 Prozent kam. Ich glaube auch, daß es ein Erfolg war, daß diese Wahl ohne größere Zwischenfälle verlief. Man kann meines Erachtens auch feststellen, daß die De-facto-Alleinherrschaft von Herrn Karadzic beendet ist. Das ist nicht alles, was wir wollten, aber ein nicht unwesentliches Ergebnis. Trotzdem bleibt es darüber hinaus bei dem Ceterum censeo: Herr Karadzic und alle mutmaßliBundesminister Dr. Klaus Kinkel chen Kriegsverbrecher gehören nicht in die Republik Srpska, sondern nach Den Haag. ({2}) Zum zweiten Punkt - denn Sie haben dies angesprochen, und ich lege großen Wert darauf -, zur Tschechischen Republik. Ich freue mich sehr, daß heute Gäste aus der Tschechischen Republik auf der Zuschauertribüne sitzen. Ich will mich mit ihnen gerne nachher noch einen Moment zusammensetzen. Ich möchte Ihnen als derjenige, der die Deutsch-Tschechische Erklärung ausgehandelt hat und der am 3. Okober dieses Jahres durch den Besuch in Prag ein ganz besonderes Zeichen setzen wollte, versichern, daß wir uns in der Bundesregierung und ich mir als Außenminister fest vorgenommen haben, daß die Erklärung, die wir ausgehandelt haben - es war ja alles nicht so ganz einfach -, am 1. Januar nächsten Jahres operationell funktioniert. ({3}) Niemand wäre glücklicher als ich selber, wenn es denn tatsächlich so wäre, daß wir zu dieser dringend notwendigen humanitären Geste kämen. Ich möchte Ihnen ausdrücklich versichern: Wir werden in diesem Zusammenhang eine Lösung finden. Da bin ich absolut sicher. Zum dritten Punkt, zu Europa. Vor dem Jahresabschluß blicken wir auf ein erfolgreiches Jahr für Europa und auf eine erfolgreiche Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung zurück. Der Ministerpräsident von Niedersachsen hat immerhin erklärt, er würde 95 Prozent genauso machen. ({4}) Wenn Sie erlauben, möchte ich dem Kollegen Scharping sagen: Ich bedanke mich auch bei ihm, daß er mit seinem magischen Viereck außenpolitischer Ziele, wenn ich es richtig beurteile, inhaltlich bis hart an die Traumgrenze von 100 Prozent herangekommen ist. Ich möchte hinzufügen: Sehr viel mehr können wir uns eigentlich nicht wünschen. ({5}) Leider Gottes ist es bei den Grünen nicht so. Es ist zwar ein erneuter Versuch gemacht worden. Aber ich glaube schon, daß Joschka Fischer recht hat, daß das, was da vorgesehen ist, ein Fehlstart war und einem Absturz gleichkam. Ich möchte hinzufügen, daß man sich, so wie ich die Lage einschätze und es auch zu hören bekomme, im Ausland verwundert die Augen reibt und sehr wohl darüber nachdenkt, was da auf uns zukommt. Da kann ich nur sagen: Wenn das wahr würde, würde es ein bißchen kompliziert. Sie sind ja jetzt mit Ihrem neuen Entwurf, wie ich heute gelesen habe, in Ihrer Haltung zur NATO ein bißchen milder. Da wird ein bißchen aus opportunistischen Gründen gesäuselt. Dafür sehen Sie jetzt einen Benzinpreis von 5 DM vor. Wenn das kommt: Gute Nacht. Darauf können wir uns alle nicht freuen. ({6}) Meine Damen und Herren, der Vertrag von Amsterdam hat das Fundament für den weiteren Ausbau des europäischen Hauses gefestigt. Wir haben einen Beschäftigungsgipfel hinter uns, der nicht mehr versprochen hat, als er bringen kann. Die Wirtschafts- und Währungsunion befindet sich auf der Zielgeraden. Sie wird so sicher wie das Amen in der Kirche kommen, und zwar unter strikter Einhaltung der Stabilitätskriterien. Die Welt sollte sich darauf einstellen. Wir haben im übrigen - es wird immer wieder vergessen, das zu betonen - im Augenblick einen völligen Meinungsumschwung. In der Bevölkerung sehe ich, wenn ich es richtig beurteile, momentan zum erstenmal eine Zustimmung zur Wirtschafts- und Währungsunion von über 50 Prozent. Das ist etwas, was wir nicht vergessen, sondern hervorheben sollten. Auch im Bereich der Sicherheit gab und gibt es historische Bewegungen: Der Beschluß zur NATO-Öffnung, die Grundakte NATO-Rußland und die Charta mit der Ukraine haben die Ära von Jalta endgültig beendet. Die ungarische Bevölkerung - das ist ein wenig untergegangen - hat sich mit über 85 Prozent für den Beitritt zur NATO entschieden. Beim Herbsttreffen des NATO-Rates am 16. Dezember werden wir die Beitrittsprotokolle mit Polen, Tschechien und Ungarn unterzeichnen. Vor uns liegen die beiden zentralen Probleme EU-Erweiterung und Euro. Kurz zur Erweiterung, weil diese ja besonders aktuell ist. Der Europäische Rat in Luxemburg am 12. und 13. Dezember muß den Weg für die Erweiterung der Union frei machen. Die Erweiterung wird und muß ein offener Prozeß sein. Alle elf Kandidaten nehmen teil und haben eine konkrete Beitrittsperspektive, egal, mit wem zunächst verhandelt werden sollte. Auch wenn nicht alle sofort in die Startlöcher gehen können, wollen wir, daß möglichst alle möglichst bald das Ziel erreichen. Deshalb will ich noch einmal die drei für mich wesentlichen Punkte nennen: Erstens. Wir wollen eine gemeinsame Eröffnung des Erweiterungsprozesses durch die Außenminister der EU-Mitgliedstaaten und der elf Beitrittskandidaten. ({7}) Zweitens wollen wir individuelle und bilaterale Verhandlungen mit einer Überholspur für die Schnelleren aufnehmen. Drittens - das ist jetzt ganz wesentlich - wollen wir, lieber Herr Kollege Haussmann, alle elf Kandidaten mit einer substantiellen Strategie heranführen. Deshalb habe ich vorgestern - Sie werden es vielleicht verfolgt haben - über die Medien in Brüssel die Einsetzung eines Erweiterungsausschusses in der Größenordnung 15 plus 11 vorgeschlagen, auch um dem Wunsch des Parlaments hier weitgehend zu entsprechen. Ich bin sicher, daß wir in Luxemburg einen Weg einschlagen werden, der Europa zusammenbringt, ohne daß er die Europäische Union überlastet bzw. ohne daß wir uns übernehmen. Auch die Neulinge werden mit der vorgesehenen Lösung für meine Begriffe leben können. ({8}) Ich möchte noch ein Wort zur Rückgabe von Kulturgütern sagen. Dieses Thema kommt praktisch in jeder Verhandlungsrunde, die der Bundeskanzler und ich mit der russischen Regierung führen, zur Sprache. Der Bundeskanzler wie auch ich selber haben Vertrauen in die von Präsident Jelzin in diesem Kontext gegebenen Zusagen. Er hat es in diesem Zusammenhang - das darf man in diesem Parlament einmal sagen - nicht einfach. Sie kennen die Situation und wissen, wie die Dinge in der Duma abgelaufen sind. Wir sollten in dieser sehr sensiblen Frage noch ein klein wenig Geduld haben und auf den russischen Präsidenten vertrauen, der in dieser Frage auf unserer Seite ist und uns auch klare Zusagen gegeben hat, im übrigen auch im Hinblick auf das, was die Duma anbelangt. Auch das Verfassungsgericht in Rußland hat das eingehalten, was er vorher versprochen hat. ({9}) Erlauben Sie mir noch ein Wort zur Türkei; das gehört zu dem Themenkomplex Erweiterung. Dieses traditionell mit uns befreundete Land gehört zu Europa und muß auf der europäischen Schiene bleiben. Deshalb wird und muß Ankara zu der Europakonferenz eingeladen werden. An der Beitrittsperspektive Ankaras wird nicht gerüttelt. Aber es ist angesichts der großen Probleme in der Türkei im Hinblick auf die Situation der Menschenrechte und der Kurden und im Verhältnis zu Griechenland und zu Zypern auch klar, daß dieser Weg nach Europa nur über eine Lösung dieser Probleme führt. Dabei muß sich auch die Türkei selber mächtig anstrengen. Noch ein Wort zu Rußland: Es ist von zentraler Wichtigkeit, daß auch Rußland eingebunden wird. Wir sind dabei, Rußland in sicherheitspolitischen Fragen einzubinden. Auf europäischer Ebene gibt es für politische und wirtschaftliche Fragen einen Kooperationsvertrag mit Rußland, der die Einbeziehung sichert.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Irmer? - Bitte, Herr Kollege Irmer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister Kinkel, ich habe mit großem Vergnügen gehört, was Sie zur Türkei gesagt haben. Wäre es nicht, gerade weil die Probleme in der Türkei so außerordentlich schwierig sind, vernünftig, im Hinblick auf die Türkei eine solche Überleitungsstrategie zu entwickeln, in der wir als EU oder bilateral als Deutsche den Türken bei der Bewältigung ihrer Probleme helfen könnten? Ich denke insbesondere an spezielle Beratungen in Sachen Terrorismusbekämpfung, ich denke an Beratungen in Menschenrechtsfragen und an Demokratisierungshilfe. Da so viele Türken in unserem Land leben, halte ich es für richtig, daß man diese Probleme ganz gezielt und offensiv angeht. Würden Sie mir zustimmen?

Dr. Klaus Kinkel (Minister:in)

Politiker ID: 11002696

Ja, eindeutig. Die Europakonferenz wird keine Beitrittsverhandlungen beinhalten können. Sie wissen, daß es mein Vorschlag war, die Annäherungsstrategie bilateral - EU/Türkei - zu gestalten. Die Türken wollten das nicht, sie wollen die Europakonferenz. Wenn sie es unbedingt wollen, sollen sie die Europakonferenz als Teilnehmer erleben. Wir müssen dann aber Substanz hineinbringen. Ich habe zusammen mit der Kommission einen Vorschlag zur Zollunion einschließlich der Dinge gemacht, die Sie angesprochen haben. Wir müssen Substanz in Richtung Türkei in die Europakonferenz bringen. Sonst wäre sie eine reine Schauveranstaltung, und die wollen wir nicht. Erlauben Sie mir zum Schluß noch ein Wort zum Haushalt. Das Problem ist, daß ich verbunden mit einem herzlichen Dank an den Haushaltsausschuß und vor allem an die Berichterstatter deutlich und klar sagen muß, daß ich, wenn weitere Kürzungen vorgenommen werden, die Verantwortung im personellen Bereich nur noch sehr, sehr schwer tragen kann. Wir werden im nächsten Jahr mit den Stellenkürzungen, ({0}) die jetzt durchgeführt worden sind, über 20 bis 30 Stellen weniger verfügen, als das Auswärtige Amt vor der Wiedervereinigung hatte. Zugleich hatte ich 22 neue Vertretungen zu eröffnen. Es kann und darf nicht richtig sein, daß von mir als Außenminister auf der einen Seite verlangt wird, daß ich im wirtschaftlichen Bereich viel mehr tue als früher, zugleich aber gezwungen bin, Wirtschaftsreferenten und Personal im Wirtschaftsbereich abzuziehen. Es kann nicht richtig sein, daß vor allem im Visumsbereich unendlich viel mehr verlangt wird und die Schlangen vor ganz bestimmten RK-Stellen zunehmen, und zwar in einem Ausmaß, das besorgniserregend ist, so daß ich manchmal das Gefühl habe, daß ich die Verantwortung nicht mehr tragen kann. ({1}) Ich habe die Bitte an die Berichterstatter, an den Haushaltsausschuß und an die Kollegen im Deutschen Bundestag: Es muß jetzt das Ende der Fahnenstange erreicht sein. Ich sage das auch im Hinblick auf die Goethe-Institute. Ich habe in den fünfeinhalb Jahren, in denen ich Außenminister bin, noch keinen solchen Aufstand wie jetzt bei der Schließung der Goethe-Institute erlebt. Wir wollen und müssen auch im Auswärtigen Amt sparen. Es muß natürlich ebenso gesagt werden, daß wir Goethe-Institute eröffnet haben, Herr Kollege Riedl, Frau Albowitz. Aber ich muß auch deutlich und klar sagen, daß wir dort, genauso wie bei der Stellensituation im nächsten Jahr aufpassen müssen, weil wir sonst in ein Fahrwasser geraten, das hochgefährlich wird und das - auch das muß ich deutlich sagen - von der Exekutive nicht mehr vertreten werden kann. Vielen Dank. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Elisabeth Altmann.

Elisabeth Altmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002619, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, wir müssen es ausdrücklich begrüßen, daß Sie doch noch zur Situation der Goethe-Institute Stellung genommen haben. Denn man kann nicht einerseits sagen, das Goethe-Institut sei ein Flaggschiff auswärtiger Kulturpolitik, und auf der anderen Seite zusehen, wie dieses Flaggschiff zu sinken droht. Wir haben gehört, daß wir uns alle intensiv dafür einsetzen müssen, daß die Stellenkürzungen zurückgenommen werden. Wir warten darauf, daß Sie tatkräftig mitwirken. Zu anderen Bereichen der auswärtigen Kulturpolitik haben wir aber nichts von Ihnen gehört, obwohl diese einen großen Aufgabenbereich des Auswärtigen Amtes ausmacht. Wir hatten in diesem Jahr eine Anhörung zu diesem Bereich, und dort wurde gesagt, daß die Zuständigkeiten erneut überdacht werden müssen, daß es mangelnde Transparenz, Unübersichtlichkeit und Reibungsverluste gebe und daß die Mittel nicht effizient eingesetzt würden. Mich wundert, daß jetzt immerhin ein Dreivierteljahr vorübergegangen ist und noch nichts getan worden ist. Im Gegenteil, hier werden die Zügel lockergelassen, und die Sache schleift. Sie sollten hier jedoch tatkräftig eingreifen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte, Herr Minister.

Dr. Klaus Kinkel (Minister:in)

Politiker ID: 11002696

Frau Kollegin, ich bitte zunächst um Verständnis dafür, daß ich in elf Minuten - die Redezeit ist vom Präsidium erfreulicherweise schon verlängert worden - nicht die gesamte Außenpolitik abhandeln kann. Deshalb konnte ich zu dem Punkt nicht Stellung nehmen. Ich will aber jetzt gern etwas dazu sagen. Wir saßen eben zusammen im Unterausschuß und haben über diese Thematik gesprochen. Es handelt sich um ein Thema, über das gesprochen werden muß und über das sich die Bundesregierung verschärft nachzudenken vorgenommen hat. Ich kenne Ihre Vorstellungen. Für mich als Außenminister ist es aus Ihnen bekannten Gründen nicht so ganz einfach, zu sagen, daß den anderen Ressorts etwas weggenommen werden soll. Ich will das angesichts der Kürze der Zeit jetzt auch nicht tun, sondern sagen: Das Problem wird gesehen. Wir werden an das Problem herangehen. Ich hoffe, daß wir im nächsten Jahr dazu das eine oder andere Neue, Vorwärtsführende sagen können. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich möchte, damit keine Mißverständnisse entstehen, folgendes klarstellen: Erstens, Herr Minister, haben Sie die für Sie vorgesehene Redezeit gar nicht überschritten. Zweitens läge es nicht an mir, Ihnen zusätzliche Redezeit zu geben. Wenn Sie länger reden wollen: Das steht Ihnen nach der Verfassung zu. Nur muß dann zwischen den Geschäftsführern eine Vereinbarung darüber getroffen, wie man es mit der Redezeit im übrigen halten will. Das Wort hat jetzt der Kollege Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Schlußbemerkungen des Bundesaußenministers gehört hat, hat man den Eindruck, daß er nach dem Bundesfinanzminister der nächste ist, der auf der Flucht ist und für die nächste Wahlperiode seinen Rücktritt angekündigt hat. ({0}) Denn im Jahre 1998 wird sich die Finanzlage nicht verbessern, weil Sie ja bis zum September noch regieren wollen und das Chaos in bezug auf die Finanzlage unseres Landes und die Möglichkeiten, öffentliche Aufgaben zu erfüllen, das Sie als Vizekanzler mitzuverantworten haben, bestehenbleiben wird. ({1}) Sie tragen Mitverantwortung. Das geht manchmal ein bißchen unter, wenn Sie als der große Außenpolitiker so über den Wassern schweben, als wären Sie immer auf der Flucht, wie Ihr Vorgänger Hans-Dietrich Genscher, der seinerzeit immer im Flieger abgelichtet worden ist. Als einer der sogenannten Leistungsträger der F.D.P., die im Kabinett sitzen dürfen, tragen Sie Mitverantwortung für das Chaos, das diese Koalition in unserer Republik angerichtet hat. ({2}) Deswegen ist es auch richtig, daß Sie davon mitbetroffen sind. Ich habe die Rede von Erich Riedl als Hohn und Spott empfunden, in der er sagte, in bezug auf den Haushalt des Auswärtigen Amtes gebe es eitel Sonnenschein. Wenn man den Haushalt genau analysiert, dann stellt man fest, daß Herr Kinkel ein Opfer der von seiner eigenen Partei in der Koalition und in der Öffentlichkeit vertretenen These ist, daß der Staat sich zurückziehen und sehr viel schlanker werden müsse. ({3}) Nun wird auch das Auswärtige Amt schlanker, obwohl das dort sehr viel mehr Probleme aufwirft, als es wahrscheinlich in vielen anderen Ministerien der Fall ist. Jedenfalls wird das Netz der deutschen Botschafter weiter ausgedünnt. Viele Botschaften sind am Rande ihrer Funktionsfähigkeit. Der Umfang der auswärtigen Kulturpolitik wird zurückgefahren. Das ist alles schon gesagt worden. Die operativen Titel im Haushalt sind finanziell immer noch notleidend. Es ist schon grotesk, wie im Haushaltsausschuß manchmal um eine Million bis zwei Millionen DM mehr für OSZE-Missionen oder einige hunderttausend D-Mark für Menschenrechtsarbeit gerungen werden muß, während derselbe Ausschuß Milliarden und aber Milliarden für den Eurofighter bereitstellt, den in Wirklichkeit niemand braucht. ({4}) Herr Kinkel bejubelt diese Entscheidung dann auch noch, obwohl dadurch seine operativen Möglichkeiten in einer Zivilmacht-Außenpolitik in den nächsten Jahren erheblich beschnitten würden, wenn er dann noch im Amt wäre. Gestern haben Sie vor dem Bundeswehr-Verband den Eurofighter und die Auf- bzw. Umrüstung der Bundeswehr sogar mit neuen Bedrohungslagen im östlichen Mittelmeer, von Algerien bis zum Irak, in Zusammenhang gebracht. Ich frage Sie, ob Sie wirklich glauben, daß der Eurofighter geeignet ist, den Zypern-Konflikt zu lösen und wie Sie ihn dort als Instrument einsetzen wollen. ({5}) Wenn es der Opposition im Haushaltsausschuß - das war die SPD; Angelika Beer wird das Antje Hermenau vielleicht weitersagen - nicht durch einen zufälligen Abstimmungssieg gelungen wäre, für den Dollar für das nächste Jahr einen einigermaßen realistischen Wechselkurs zu veranschlagen - die Koalition wollte sich auf 1,5588 DM zurückziehen; die Regierung hat, nachdem das Geld 1997 nicht gereicht hat, gesagt, daß wenigstens 1,75 DM veranschlagt werden müssen - und der Regierung gegenüber den Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuß recht zu geben, dann würden dem Bundesaußenminister im nächsten Jahr weitere 13 Millionen DM fehlen, die er nicht mehr einbringen könnte. Dann müßte er in vielen Botschaften den Offenbarungseid leisten, es sei denn, Sie würden ihnen empfehlen, sie könnten, wie es der Finanzminister für den Bundeshaushalt insgesamt macht, ihre Liquidität mit Swap-Geschäften verbessern. Man muß sich einmal vorstellen, was es für den Ruf der Republik und ihre Bemühungen um Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Märkten bedeutet, wenn deutsche Botschaften in einer Lage, in der das Vertrauen zur ökonomischen Stärke der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr überall in der Welt besonders ausgeprägt ist, sagen müssen, sie könnten im Moment leider ihre Schulden nicht bezahlen, die Gläubiger sollten im nächsten März wiederkommen, dann hätten die Botschaften wieder Geld. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Kuhlwein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Riedl?

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, das mache ich; bei ihm immer.

Dr. Erich Riedl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001843, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hochverehrter Herr Mitberichterstatter, wären Sie so freundlich, mir eine deutsche Botschaft zu nennen, die in den letzten Jahren eine Rechnung nicht bezahlen konnte? Eine nur, bitte!

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe mir das für die Zukunft ausgemalt. ({0}) Ich weiß, lieber Kollege Riedl - du kannst dich auch im AA erkundigen -, daß es schon zum Herbst dieses Jahres an vielen Positionen unheimlich kneift, insbesondere bei den Beträgen, die in Dollar ausbezahlt werden müssen und zu gering veranschlagt worden sind, weil nämlich Ende 1996 bei den Haushaltsberatungen ein Dollarkurs von nur 1,45 DM zugrunde gelegt worden ist. Das Geld reicht hinten und vorne nicht. Deswegen würde ich also die Methode der Swap-Geschäfte auch auf die Botschaften ausdehnen. Wer die These vertritt, Deutschland müsse international mehr Verantwortung übernehmen - diese These ist richtig -, der darf den auswärtigen Dienst nicht derselben Schlankheitskur unterziehen, die für manches andere Ministerium angebracht und notwendig ist. ({1}) Ich erinnere in diesem Zusammenhang an wichtige Aufgaben der deutschen Botschaften: an die aktive Beteiligung Deutschlands im Rahmen der Europäischen Union, der Vereinten Nationen, der NATO und anderer internationaler Organisationen, an Krisenvorsorge, humanitäre Hilfe, Umwelt, Beseitigung von Massenvernichtungswaffen, Bekämpfung des Drogenhandels, Visaerteilungen, die immer wieder geforderte Betreuung von Wirtschaftsdelegationen, die Beratungsfunktion der Botschaften beim Ausländer- und Asylrecht. Meine Damen und Herren, ein zu dünn gewordener diplomatischer Dienst bedeutet die Gefahr, daß Deutschland international weniger wahrgenommen wird und dann auch an Bedeutung verliert. In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage, wie die Zusammenarbeit der Botschaften der EULänder in Drittstaaten wirksamer als bisher organisiert werden kann. Es reicht ja wohl nicht aus, wenn an einem Standort die Botschaftsfahrer einen gemeinsamen Bereitschaftsraum haben und an einem anderen der Botschafter unseres Nachbarlandes in Ermangelung eines eigenen Gebäudes gelegentlich bei uns seine Sprechstunden abhält. Von Ländern, die sich gegenseitig geschworen haben, irgendwann zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik - das Kürzel GASP gibt es ja als geheimnisvolle Abkürzung heute schon - zu kommen, darf man doch wohl wenigstens die Nutzung von Synergieeffekten bei den Auslandsvertretungen verlangen. ({2}) Wir haben dazu im Ausschuß einen Bericht angefordert. Ich bin gespannt, ob sich in diesem Bereich etwas bewegt und welche eigenen Vorstellungen die Bundesregierung in die EU-Gremien einbringen wird. In den zehn Thesen zur auswärtigen Kulturpolitik hat das Amt im Frühjahr von „schmerzlichen, aber unvermeidbaren Eingriffen und Anpassungen" gesprochen. Gleichzeitig wird die wachsende Notwendigkeit eines weltweiten Kulturdialogs beschworen. Richtig ist, daß alle großen Systeme gelegentlich evaluiert werden müssen, um Reserven freizusetzen. Aber mir macht niemand klar, daß es besonders sinnvoll ist, die Reform der auswärtigen Kulturpolitik damit zu beginnen, daß Goethe-Institute überall auf dem Globus geschlossen werden müssen. Herr Kollege Riedl hat natürlich in diesem Zusammenhang die Gegenrechnung nicht aufgemacht. Es hat zwar tatsächlich fünf zusätzliche Stellen gegeben, aber auch 36,5 Stellen weniger. Das macht immer noch ein Minus von 31,5 Stellen. Deswegen sollte sich niemand berühmen, der Haushaltsausschuß habe Besonderes für die auswärtige Kulturpolitik getan. Der Bundesaußenminister hat es auch nicht getan. Vor zwei Jahren war er sehr erfolgreich und hat 20 Millionen DM mehr in den Haushalt hineingedrückt. Diese waren aber in der mittelfristigen Finanzplanung nicht abgesichert, und jetzt fehlen sie wieder. Mit diesem Haushalt ist also leider ein Status quo minus in der auswärtigen Kulturpolitik beschlossene Sache. Meine Fraktion wollte gestern aus dem Einzelplan 60 noch 10 Millionen DM für humanitäres Minenräumen dazulegen. Die Koalition hat das abgelehnt. ({3}) Wir haben den Titel im Einzelplan 05 im Rahmen der Ausstattungshilfe gemeinsam im Haushaltsausschuß um 3 Millionen DM mit der Maßgabe erhöht, daß 1998 16 Millionen DM dafür ausgegeben werden. Das ist, gemessen an der Zahl der Minen, die noch immer verlegt werden, nur ein sehr bescheidener Beitrag. Ohne den Einsatz der vielen Initiativgruppen aus der internationalen Minenkampagne wäre auch dies nicht durchsetzbar gewesen. Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich zu Protokoll geben: Wir sind der Meinung, daß diese 16 Millionen DM für humanitäres Minenräumen in Ländern der dritten Welt, in Entwicklungsländern und nicht in Bosnien-Herzegowina verwendet werden sollten. ({4}) In Bosnien-Herzegowina sollte die Minenräumung im Rahmen des SFOR-Mandats im Haushalt des Bundesverteidigungsministers abgewickelt und bezahlt werden. Unsere Sorgen, meine Damen und Herren, daß Subventionen aus dem Bundeshaushalt für den Bau von Fregatten für die Türkei auf deutschen Werften die Spannungen im östlichen Mittelmeer eher erhöhen würden, haben sich leider bestätigt. Der Bundesaußenminister hat auch unterstrichen, daß die Menschenrechtslage in der Türkei nach wie vor höchst unbefriedigend sei. Meine Fraktion ist der Meinung, daß sich Waffenlieferungen in die Türkei auch heute immer noch von selbst verbieten sollten. ({5}) Wir stellen deshalb wieder den Antrag, diese Subventionen für die für die Türkei bestimmten Fregatten zu streichen, ({6}) auch wenn wir wissen, daß dieser Antrag jetzt nur noch symbolische Bedeutung haben kann. Man sollte aber einmal daran erinnern: Diese Fregattensubventionen sind ein Geschenk von Bundeskanzler Kohl 1993 an eine Dame gewesen, die damals die Türkei bei einem Staatsbesuch in Deutschland repräsentierte und deren Namen heute keiner mehr so recht in den Mund nehmen mag. Man sollte daran erinnern, welche Deals da manchmal zum Schaden des Rufs der Bundesrepublik Deutschland und zum Schaden der deutschen Außenpolitik abgeschlossen werden. ({7}) Herr Kollege Verheugen hat hier auf die ungeklärten Fragen bezüglich des Zukunftsfonds hingewiesen. Herr Bundesaußenminister, Sie sind darauf eingegangen. Die Veranschlagung der Mittel im Haushalt ohne eindeutige Klärung des Verwendungszwecks ist ungewöhnlich. Normalerweise würden wir eine qualifizierte Sperre verhängen. Aber wir verzichten heute auf einen entsprechenden Antrag, damit es in Prag nicht zu Mißverständnissen kommt. Meine Damen und Herren, wir erwarten von der Bundesregierung, daß endlich entschieden und eine Lösung gefunden wird, die dem Buchstaben und dem Geist der deutsch-tschechischen Erklärung entspricht und die die notwendige humanitäre Geste umfaßt - bei allen Widerständen, die es bei Ihnen in der Koalition noch auszuräumen gibt. Wir warten voller Spannung auf den 1. Januar 1998, den Sie als Termin für eine abschließende Regelung genannt haben. Meine Damen und Herren, der Einzelplan 05 fügt sich nahtlos in das haushaltspolitische Chaos des Gesamtkunstwerks Theo Waigels ein. Er beeinträchtigt überdies die internationale Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik. Meine Fraktion wird ihn deshalb ablehnen. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Lamers, CDU/CSU.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kuhlwein, wir alle beklagen die finanzielle Enge des Haushalts für die Außenpolitik. Aber so, wie Sie es machen, ist es ja wirklich nicht ernst zu nehmen. ({0}) Überall wollen Sie zulegen. Wenn Sie dann aber wie beim Fregattenbau kürzen wollen, frage ich Sie, ob Sie beispielsweise einmal mit den Betriebsräten der Werften geredet haben. Sie wissen genau, worum es hier im Kern geht. ({1}) Das ist wirklich keine seriöse Politik, die Sie betreiben. Ich muß sagen: Wenn Kollegen aus allen Teilen dieses Hauses - das gilt auch für Ihre Fraktion - immer wieder den Satz zitieren, Deutschland sei umzingelt von Freunden, dann kann es um die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland und damit der Bundesregierung nicht so schlecht bestellt sein. Ich will gar nicht sagen, das sei allein das Verdienst der Bundesregierung, ({2}) aber ohne ihre Arbeit wäre es ja wohl nicht gut möglich. ({3}) Dieser Satz sagt natürlich zunächst einmal, daß die traditionelle Sicherheitspolitik nicht mehr den gleichen Rang hat wie in der Vergangenheit. Insofern waren auch die Kürzungen im Verteidigungshaushalt in den vergangenen Jahren berechtigt. Aber ich füge hinzu - der Verteidigungsminister ist bereits hier -: Wir kommen an eine Schwelle, an der wir die selbst gesteckten Aufgaben nicht mehr erfüllen können. Wir reden zum Beispiel alle unisono von Bosnien und möglichen Einsätzen ähnlicher Art; dementsprechend müssen wir der Bundeswehr auch die dazu notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. Die Aufgaben in den übrigen Bereichen - von der auswärtigen Kulturpolitik über die Entwicklungspolitik bis hin zu unseren Beiträgen für die Europäische Union - sind in ihrer Bedeutung ja nicht zurückgegangen, sondern gestiegen. Auch in diesen Bereichen haben wir einen Rückgang des Anteils am Gesamtetat zu verzeichnen. Ich glaube, wir sollten uns an etwas erinnern, was mir ein sehr kluger amerikanischer Beobachter und Kenner unseres Landes einmal gesagt hat, nämlich: Für mich stellt sich die Frage nach der zukünftigen Außenpolitik Deutschlands folgendermaßen: Wird Deutschland - so wie es das in der Vergangenheit bewunderungswürdig gekonnt hat - in der Zukunft in der Lage sein, seine kurzfristigen Interessen hinter seine langfristigen zurückzustellen, wie das bisher vor allen Dingen in seinen finanziellen Beiträgen für die europäische Integration zum Ausdruck gekommen ist? Das ist die Frage, die wir alle zu beantworten haben. Ich glaube, daß der Etat - bei allen schmerzhaften Einschnitten, die auch Sie, Herr Minister, genannt haben - eine positive Beantwortung dieser Frage noch zuläßt. Wir müssen aber in der Tat aufpassen - da gebe ich Ihnen recht und möchte Sie ausdrücklich unterstützen -, den personellen Bestand des Auswärtigen Amtes nicht ständig weiter einzuschränken, wenn wir gleichzeitig mehr Aufgaben zu übernehmen haben. Das ist vor allen Dingen eine Aufgabe der Regierungskoalition. Ohne jeden Zweifel ist es aber auch eine Aufgabe, der sich die gesamte deutsche Politik und das gesamte Parlament zu stellen haben. Was die Antwort auf diese Frage und die Bewältigung dieser Herausforderung angeht, bin ich im Hinblick auf meine eigene Fraktion zuversichtlich - nicht nur deswegen, weil der Kanzler uns ein gutes Vorbild ist, ({4}) sondern auch deswegen, weil er sich auf diese Fraktion stützen kann. ({5}) - Ich möchte Sie einmal fragen, werter Herr Kollege, wie Sie mit Ihren wenigen führenden Außenpolitikern umgegangen sind. Ich hätte diese Frage eigentlich mit dem Mantel des barmherzigen Stillschweigens übergangen. Aber wenn Sie solche Bemerkungen machen, möchte ich Sie daran erinnern und auch fragen, wie denn das außenpolitische Profil Ihres Führungsduos aussieht. Ich will gar nicht daran erinnern, daß Herr Lafontaine es noch vor acht Jahren als „Schwachsinn" bezeichnet hat, daß das wiedervereinigte Deutschland Mitglied in der NATO sein könne. Ich will Sie aber daran erinnern, daß es, wenn ich mich nicht irre, nur zwei Jahre her ist, daß Ihr jetziger Parteivorsitzender die Abwahl des KolleKarl Lamers gen Scharping als des Parteivorsitzenden mit einem Antrag zur Ablehnung des Einsatzes der ERC-Tornados in Bosnien eingeleitet hat. Daran werden Sie nicht mehr gerne erinnert, aber es ist eine Tatsache. ({6}) Wodurch zeichnen sich die außenpolitischen Bemerkungen von Herrn Schröder aus? ({7}) Sofern man überhaupt ein Profil erkennen kann, stellt man ein blasses Euro-skeptisches fest. Seine Bemerkungen zum Euro fallen mir in dieser Hinsicht ein. ({8}) Mir fällt auch noch ein, daß er sich beim Export von Waffen nicht gerade von sicherheitspolitischen Überlegungen leiten läßt, sondern ausschließlich von arbeitsmarktpolitischen, wie Sie sehr gut wissen. Deswegen ist das, was der Kollege Kuhlwein zu den Fregatten gesagt hat, besonders merkwürdig. Ich könnte Sie fragen, ob Sie Ihren Antrag mit Herrn Schröder abgestimmt haben. Es wäre interessant zu hören, was er dazu zu sagen hat. ({9}) - Er fragt niemanden. Das ist wenigstens eine ehrliche Antwort, die Sie da gegeben haben. Herr Minister, zum Thema EU-Erweiterung haben Sie in einer Weise Stellung genommen, zu der ich nur sagen kann, daß die Methode, die jetzt angestrebt wird und die Sie in der Europäischen Union durchzusetzen versuchen, unsere Unterstützung findet. Wir müssen einen Weg finden, die Enttäuschungen so gering wie möglich zu halten. Ich glaube, daß das, was Sie sich ausgedacht haben, ein guter Weg ist, um dieses Ziel zu erreichen. Was Sie zur Türkei gesagt haben, möchte ich nachdrücklich unterstützen und sagen, wir sollten die Teilnahme der Türkei an der Europakonferenz unterstützen. Das liegt im deutschen Interesse. Ich will zugleich keinen Zweifel daran lassen, daß nach aller Voraussicht das Verhältnis der Türkei zu Europa anders sein wird als das der heutigen Mitglieder in der Europäischen Union oder auch der Kandidaten. Aber wir dürfen die Türkei nicht vor den Kopf stoßen. Wenn richtig ist, was ich von dem voraussichtlichen Verhältnis der Türkei zu Europa gesagt habe, dann ist es ebenso richtig, daß die Türkei selbst zu diesem Ergebnis kommen muß und sich nicht von Europa vor den Kopf gestoßen fühlen darf. ({10}) Meine Damen und Herren, ich will nochmals sagen: Die Art und Weise, wie wir alle in Zukunft mit den außenpolitischen Herausforderungen umgehen, die ohne jeden Zweifel für unser Land gewachsen sind, und wie dieses sich im deutschen Bundeshaushalt widerspiegeln wird, ist für die Zukunft unseres Landes nach meiner festen Überzeugung wichtiger als viele einzelne innenpolitische Streitfragen, über die wir reden; denn es kann kein Zweifel sein: Das Wohl und Wehe unserer Nachbarn im engeren wie im weiteren Sinne ist auch bestimmend für unser eigenes Wohl und Wehe. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9206. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über fünf Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Zunächst zum Änderungsantrag auf Drucksache 13/9139. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9140. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit dem Stimmenverhältnis wie zuvor abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9141. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9142. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9185. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Mehrheitsverhältnissen wie zuvor abgelehnt. Dann kommen wir zu dem Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/9186. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Einzelplan 05 in der Ausschuß-fassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 05 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Ich rufe jetzt auf: Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung - Drucksachen 13/9013, 13/9025 -Berichterstattung: Abgeordnete Dietrich Austermann Dr. Wolfgang Weng ({0}) Dr. Erich Riedl ({1}) Helmut Wieczorek ({2}) Ernst Kastning Oswald Metzger Es liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der SPD, fünf Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und ein Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor. Ich weise schon jetzt darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über zwei Änderungsanträge namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Walter Kolbow, SPD.

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der schweren Krise, in die die gegenwärtige Regierung unser Land geführt hat, fällt es uns nicht leicht, Haushaltsritualen zu genügen. Ist doch durch die verfehlte Regierungspolitik unser ganzes demokratisches, wirtschaftliches und soziales System auf allen Politikfeldern in Schieflage gebracht worden. ({0}) Dadurch bedingt kommen enorme Gefahren auf uns zu, die ärger sind, als es die Mängel in der Ausrüstung und im Betrieb der Bundeswehr je sein können. Dennoch ist es meine Aufgabe, die Schatten aufzuzeigen, die eine falsche Haushalts- und Strukturpolitik auf unsere Bundeswehr werfen. Leider muß ich feststellen: Der Haushalt 1998 verschlechtert die Lage des Gesamtorganismus Bundeswehr weiter. Das Vertrauen in die politische Führung ist dahin; denn das genaue Gegenteil von Ihren Ankündigungen und Versprechungen ist Wirklichkeit geworden. Nichts ist sicher, weder der Haushalt selbst noch die mittelfristige Finanzplanung für die Streitkräfte. ({1}) Die Bundeswehr hat zwar noch den Auftrag, den die Regierungskoalition zu Beginn der 13. Legislaturperiode Ende 1994, Anfang 1995 definiert hat. Sie hat auch noch die Organisationsstruktur und den Umfang an Soldaten und zivilen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Aber sie hat nicht mehr die Haushaltsmittel, die damals vorausgesetzt worden sind. Deshalb veralten Fahrzeuge, Ausrüstung und Bewaffnung zunehmend; für Investitionen fehlt das Geld. Deshalb ist die Ersatzteilversorgung und Materialerhaltung in den Streitkräften besorgniserregend. Deshalb gibt es für das auf absehbare Zeit verfügbare Verteidigungsbudget keine Bundeswehrplanung. ({2}) Der 98er Haushalt muß zusätzlich zirka 2 Milliarden DM an Überkipperbeträgen aus dem Haushalt 1997 ausgleichen. Aus dem sogenannten Bundeswehrplan 1997 fehlen für die Streitkräfteplanung ohnehin 7 Milliarden DM. Darüber hinaus ist der Einsatz der Bundeswehr in Bosnien nur bis zur Hälfte des Jahres mit diesem Haushaltsansatz eingeplant und bezahlbar. Daneben droht nach der neuesten Steuerschätzung ein weiteres Haushaltsloch von 1 bis 2 Milliarden DM im Verteidigungsetat. All dies macht deutlich: Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie betreiben eine Bundeswehrplanung nach Kassenlage. Perspektive und Zukunftsfähigkeit der Streitkräfte und das Verständnis für die in ihnen arbeitenden Menschen sind abhanden gekommen. ({3}) Was ist Ihre Perspektive? Ihre Perspektive heißt Eurofighter 2000. Kommt er etwa, oder kommt er nicht? ({4}) Das ist die Frage, die die Bürgerinnen und Bürger heute bewegt. Unsere Position ist klar: Die SPD wird das Beschaffungsvorhaben Eurofighter 2000 der Bundesregierung im Bundestag ablehnen. ({5}) Das Ergebnis eines intensiven Prozesses, in dem die Argumente dafür und dagegen sorgfältig abgewogen wurden, führt zu unserem Nein, weil erstens die sicherheitspolitische Begründung für 180 Eurofighter nicht erbracht wurde, zweitens die Beschaffung wegen technischer Risiken, fehlender Hauptbewaffnung und vertraglicher Risiken nicht entscheidungsreif ist, drittens der Eurofighter bereits vor seiner Einführung nicht mehr dem modernsten Stand der Technik entspricht, viertens die Auswirkung der Beschaffungsentscheidung auf die Bundeswehr insgesamt - die Marine, die Luftwaffe selbst, aber insbesondere das Heer - in ihrem Verdrängungseffekt dramatisch wird. Meine Damen und Herren, das deutsche Heer muß bluten, damit der EFA vielleicht einmal fliegt. ({6}) - Ich sage Ihnen gleich, wer was dazu sagt, Herr Kollege Nolting. Diese Auffassung, die ich an diesem Pult vertrete, teilt auch der frühere Verteidigungsminister, der in der Truppe mehr als geschätzte Georg Leber, mit dem ich heute telefoniert habe. ({7}) Dieser Verteidigungsminister hat den Tornado mit der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion 1977 beschafft. Er kennt auch die Folgekosten, die bei der damaligen Tornado-Beschaffung nicht eingeplant waren. Diese Beschaffung weist nach, daß ein solches High-Tech-Projekt ein Faß ohne Boden werden kann, das nicht von der Politik und schon gar nicht von Ihrer Politik beherrschbar ist. Das wird sich rächen. ({8}) Fünftens. Die arbeitsmarkt- und industriepolitischen Aspekte sind zwar sehr wichtig und sprechen für das Beschaffungsvorhaben noch am ehesten. Aber dadurch werden in anderen Bereichen der wehrtechnischen Industrie möglicherweise noch mehr Arbeitsplätze gefährdet, weil durch das Beschaffungsvorhaben Eurofighter keine weiteren anderen Beschaffungen möglich werden. Eine Situation wie heute hatten wir noch nie. Finanzminister Waigel will einen Milliardenauftrag für ein Unternehmen, das überwiegend Arbeitsplätze in Bayern schafft, wo er bekanntlich CSU-Parteivorsitzender ist. Aber der Großkonzern, zu dem dieses Unternehmen gehört, nämlich Daimler-Benz, wird in den nächsten fünf Jahren keine Mark an Steuern in unserer Republik zahlen. ({9}) Vom Verteidigungsminister selbst wissen wir, daß er den Jäger 90, aber auch den abgespeckten Eurofighter eigentlich überhaupt nicht wollte. Um eine Metapher zu gebrauchen: Gewissermaßen mußte er wie ein Hund zum Jagen getragen werden. Nun muß er die Beschaffung durchsetzen. Dieses verkehrte Rollenspiel ist paradox. ({10}) Der Finanzminister ist als eigentlicher Bedarfsdecker jetzt zum Bedarfsträger geworden und der Verteidigungsminister zum Bedarfsdecker. Ball verkehrt, Koalition richtig. Das ist für Sie immer das Hauptsächliche: Machterhalt. ({11}) Sechstens. Der Eurofighter 2000 - von der ersten Stunde der Entwicklung an ist dieses Flugzeug nie ein Projekt der SPD gewesen. Sie haben es versäumt, in der Mitte der 80er Jahre strategische Kooperationen für das Bündnis zu entwickeln, die Aufgabenteilungen ermöglicht und die in den nationalen Verteidigungshaushalten mehr Geld gespart hätten. Dies ist Ihr großer Fehler. ({12}) Deswegen sind Sie Gefangener Ihrer Entscheidung aus den 80er Jahren. Herr Wörner, der verdiente Nato-Generalsekretär, aber der schlechte Verteidigungsminister, läßt grüßen. ({13}) Siebtens sind wir gegen die Beschaffung des Eurofighters, weil es ein gesellschaftliches Spalterprojekt ist, das auch in die Bundeswehr wirkt. Ich habe das dargelegt. Achtens. Wem dies alles nicht reicht, der muß sich mit dem Punkt auseinandersetzen, daß sich dieses Land heute dieses teure Flugzeug einfach nicht mehr leisten kann. ({14}) Denn bei dem Beschaffungsvorhaben handelt es sich um eines der größten in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Bundesregierung beziffert die Kosten auf 23 Milliarden DM, der Bundesrechnungshof prognostiziert 30 Milliarden DM oder mehr. Es gilt, bei der Entscheidung die dramatisch schlechte Haushaltslage und die weiter hinzukommenden Steuermindereinnahmen zu berücksichtigen. Ich weise darauf hin, daß über die Beschaffung eines technischen Mittels entschieden wird und dies keine moralische Grundsatzentscheidung ist. Mir fällt an dieser Stelle der Philosoph Vittorio Hösle ein, der jüngst auf die Gefährlichkeit der Aufsplitterung unserer Wirklichkeit in immer kleinere Wissensbereiche und Fachgebiete hingewiesen hat: Es lähmt auch die Politik, sobald ein Ziel nicht mehr im Rahmen umfassenderer Werte angesiedelt werden kann. Übrig bleiben dann blinde Verwaltungsroutine und Fachidiotie ... ! - Lassen Sie das auf sich wirken, meine Damen und Herren. ({15}) Diese Regierungskoalition muß mit ihrer parlamentarischen Mehrheit die Beschaffung des Eurofighters beschließen und vor den Bürgerinnen und Bürgern, den Wählerinnen und Wählern verantworten. Wir werden daher in der zweiten Lesung natürlich unserem eigenen Antrag zustimmen, also den Eurofighter ablehnen. Bei der Abstimmung über den Antrag der Grünen enthalten wir uns, weil wir ihre Begründung für die Ablehnung dieses Flugzeuges nicht teilen. ({16}) Die Koalition hat gar keinen Antrag vorgelegt. Sie wird wissen, warum. Unsere Forderung hinsichtlich der Streitkräfte ist und bleibt: Machen Sie diese Bundeswehr bezahlbar! Ändern Sie die aufgeblähte und den heutigen SicherWalter Kolbow heitsbedürfnissen nicht angepaßte Struktur! Stimmen Sie unserer Forderung nach einer Wehrstrukturkommission endlich zu! ({17}) Lassen Sie uns gemeinsam eine Bundeswehr planen und ausstatten, die nach dem Jahr 2000 eine verbesserte Struktur aufweist, die auf absehbare Zeit Bestand hat. Denn kein Soldat und keine Soldatin, kein ziviler Mitarbeiter und keine zivile Mitarbeiterin glaubt Ihnen noch, wenn Sie behaupten, die jetzige Struktur sei sicher. Schaut man auf die Meldungen zur Bundeswehrstärke, so stellt man mit Erstaunen fest, daß Sie schon heute am Personal sparen. Denn im Oktober 1997 hatten sie zum Beispiel nur noch 325 721 Soldaten im Dienst, also zirka 14 000 unter dem Plansoll von 340 000, also unter ihrem angeblich unveränderbaren Umfang. Statt bereits im Frieden hohle Strukturen zuzulassen, wäre es wirklich besser, eine kleinere, aber bezahlbare neue Struktur zu schaffen. ({18}) In dieser Frage helfen Ihnen auch keine Denkverbote, die der Verteidigungsminister erlassen hat. ({19}) Wer wie diese Regierung 53 Prozent des Verteidigungshaushaltes für das Personal der Bundeswehr ausgeben muß und nur bereinigt 16 Prozent für Investitionen übrig hat - so die Zahlen des 97er Haushaltes -, der untergräbt die eigene Strukturpolitik. Und die 98er Zahlen sind nicht besser. Die vergleichbaren Zahlen für gesunde Streitkräftestrukturen, zum Beispiel bei den Briten und Amerikanern aus dem Jahre 1995, sehen gänzlich anders aus: Die Briten wenden 40,9 Prozent für das Personal und 37 Prozent für Investitionen auf. Die Amerikaner wenden 39,4 Prozent für das Personal und 29,7 Prozent für Investitionen auf. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes hat in seinem Leitartikel zur Oktober-Ausgabe der Zeitschrift „Bundeswehr" festgestellt - ich darf ihn zitieren -, daß die Verteidigungshaushalte 96, 97 und 98 sowie die zweimal abgesenkte mittelfristige Finanzplanung nicht ausreichend waren und sind, um Personal, Betrieb und Investitionen der Wehrpflichtarmee Bundeswehr mit bis zu 340 000 Soldaten und 137 000 zivilen Mitarbeitern dauerhaft solide zu finanzieren. Da Sie, Herr Rühe, solche klaren Worte von Soldaten sonst nicht gewohnt sind, weil Sie solche Mitdenken - offensichtlich ganz im Sinne der von Ihnen so verstandenen inneren Führung - sofort mit dem Ministerbann belegen, haben Sie in diesem Fall wenigstens Ihre Festrede vor dem Bundeswehrverband abgesagt. Statt dessen haben Sie eine Bier-Bosnienreise mit Herrn Waigel angetreten. Leider hat dies Ihren neuen Männerfreund bei seiner Wiederwahl zum Parteivorsitzenden nicht vor einem denkbar schlechten Wahlergebnis bewahrt. ({20}) - Ja, das tut weh. Ich zitiere an dieser Stelle gern, Herr Bundesminister, Ihren Generalinspekteur Bagger, der in seiner Eröffnungsrede der Kommandeurtagung der Bundeswehr vor drei Wochen in Berlin folgendes sagte: Ich verkenne keineswegs die schwierige und kritische Lage, in der sich die Bundeswehr vor dem Hintergrund des Haushalts befindet. Ich sehe aber auch, daß heute eine „große Lösung" nicht realisierbar ist. Die jetzt vorgesehene Lösung erreicht, daß wir mit der Bundeswehr für den Übergang in unsere neue zukunftsorientierte Struktur planerische Sicherheit und Kontinuität haben. Dieser Weg wird uns in zirka zwei bis drei Jahren zum Ziel führen. Wer diesen Kurs auf halbem Weg ändern will, zerstört nicht nur das Vertrauen in künftige Planung, sondern auch in die Führung. Ein erneuter Eingriff in Umfang und Struktur verbietet sich deshalb von selbst. ({21}) Richtig ist hiervon: Die Bundeswehr soll bis zum Jahr 2000 ihre festgelegte Struktur einnehmen. Sozialverträglich soll das geschehen und ohne weitere Eingriffe bei der Umsetzung; denn die würden das Vertrauen in die politische und militärische Führung weiter beschädigen. Aber, meine Damen und Herren, die Planungen für eine sinnvolle Struktur müssen doch bereits heute für die Zeit danach angegangen und gemacht werden. ({22}) Wir können und dürfen - auch wenn Wahlkampf ist - den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern müssen die Weichen für die Zukunft der Bundeswehr heute stellen. Diese Verantwortung hat die Politik. Sie muß von der obersten militärischen Führung sachgerecht und wahrhaftig beraten werden, um das leisten zu können. ({23}) Wir meinen, eine Wehrstrukturkommission kann die Grundlagen dafür schaffen. Sie kann die Wehrstruktur aufgabengerecht und bündnispolitisch verträglich gestalten. Die Personalkosten könnten verringert, der Investitionsanteil heraufgesetzt werden. Die Bundeswehr bekäme endlich wieder die gesunde Struktur, die sie verdient, um in das kommende Jahrtausend zu gehen. Ich will an dieser Stelle auch etwas zum Programmvorschlag der Grünen sagen, die Wehrpflicht abzuschaffen und die Bundeswehr bis 2001 auf 150 000 Mann und bis zum Jahre 2006 auf 75 000 Mann zu reduzieren. Diese Vorstellungen sind für uns nicht akzeptabel. Ihre Umsetzung wäre ein sicherheits- und bündnispolitisches Risiko für unser Land. Die offensichtlich aus der Luft gegriffenen Umfangszahlen würden, wenn man sie denn ernst nähme, nicht nur unsere Soldaten und zivilen Mitarbeiter in höchstem Maße verunsichern, sondern auch die Bürger in den Standorten und im Land, die eine angemessene Sicherheitsvorsorge erwarten. ({24}) Mit uns jedenfalls ist eine derartige Unsicherheitspolitik nicht zu machen. Daher stimmen wir keinem Antrag der Grünen zum Einzelplan 14 zu. Wir Sozialdemokraten bejahen die Wehrpflicht, weil sie sich in unserem Lande bewährt hat. Sie ist und bleibt für uns ein hohes Gut, das nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden darf. ({25}) - Ja, auch. Meine Damen und Herren, die fehlenden Haushaltsmittel haben auch für die Soldaten, ihre Motivation und ihre Ausbildung, gravierende Folgen. Die Wehrpflichtigen warten seit fünf Jahren auf eine Wehrsolderhöhung. Bezeichnenderweise hat die CDU vor, den Wehrsold ab Januar 1999 zu erhöhen. Das ist ein sehr durchsichtiges Ablenkungsmanöver, ({26}) das wir hier alle - auch die Bürgerinnen und Bürger, nicht nur auf der Tribüne in diesem Saal, sondern auch draußen im Land - durchschauen. Jetzt brauchen wir diese Wehrsolderhöhung für unsere Soldatinnen und Soldaten. ({27}) Dies jedenfalls nehmen wir in unseren Antrag für die dritte Lesung wieder auf. Daneben ist es genauso wichtig, die Eingangsbesoldungsstufe für die Zeitsoldaten anzuheben; denn es kann nicht sein, daß das Eingangsamt beim Bundesgrenzschutz oder bei der Polizei mit A 5 oder A 7 besoldet wird und bei der Bundeswehr mit A 1. Ebenso wichtig ist für uns - wir haben sie auch diesmal leider ohne Erfolg beantragt - die Einführung der Feldwebellaufbahn. Wir wissen, daß diese Feldwebellaufbahn zirka 10 000 Schülerstellen erfordert. Dies ist aber dringend erforderlich; denn es kann nicht sein, daß die Ausbildung der jungen Unteroffiziere und Feldwebel zu Lasten der Truppe erfolgt, weil diese Auszubildenden auf Planstellen der Truppe sitzen und daher vor der Front fehlen. Bei den Unteroffiziersdienstposten sind, zumindest zeitweise, 50 Prozent der Dienstposten dadurch betroffen. Viele davon fehlen als Ausbilder im täglichen Dienstbetrieb. Welche Auswirkungen das Fehlen der Ausbilder haben kann, ist durch die Vorfälle von Schneeberg deutlich geworden. ({28}) Das Bataillon dort litt besonders unter dem Fehl von Unteroffizieren. Also war auch dies ein Grund dafür, daß es zu den rechtsradikalen Skandalvideos kommen konnte. Unsere alte Forderung nach Einführung der Feldwebellaufbahn ist also aktueller denn je. Kritisch ist in diesem Zusammenhang das Konzept zu betrachten, mit dem die Bundeswehr vor rechtsextremen Einflüssen geschützt werden soll. Mit diesem Bündel eilig zusammengetragener Maßnahmen soll zurückgewonnen werden, was politisch unachtsam verspielt worden ist. ({29}) Der Bundestag muß sich dieses Themas annehmen. Wir werden Ihnen im Verteidigungsausschuß dazu Gelegenheit geben. Ich fasse zusammen: Unter der CDU/CSU- und F.D.P.-Verantwortung wurde die Bundeswehr in eine der bedenklichsten Lagen in ihrer Geschichte gebracht. Verläßlichkeit der Planung ist in der Bundeswehr durch die Politik dieser Bundesregierung zu einem Fremdwort geworden. Der Heeresinspekteur hat recht: Fünf Jahre lang hat diese Regierung die Bundeswehr durch den Wolf gedreht. Die Folgen sind schlimm; denn das Planungs- und Finanzchaos demotiviert die Soldatinnen und Soldaten und die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und hat viele zur inneren Kündigung getrieben. ({30}) Die Materiallage ist katastrophal, eine Besserung ist nicht in Sicht. In der Ersatzteilkette fehlen mehr als 5000 Ersatzteile; 7000 Lkws des Heeres müssen einer planmäßigen Depotinstandsetzung, vor allem der Lenkungen und Bremsen, zugeführt werden - so ein Vermerk des BMVg. Das Heer wird jedoch nur die Hälfte davon instand setzen lassen können. Die Mängelliste ließe sich fortsetzen, und so nehmen die Dinge durch diese unsolide Planung und die falschen Weichenstellungen der Bundesregierung ihren verhängnisvollen Lauf. Die SPD ist in ihrer Regierungszeit verantwortungsvoller mit der Bundeswehr umgegangen als diese Bundesregierung. ({31}) Sozialdemokratische Verteidigungsminister haben die Bundeswehr zukunftsweisend reformiert. Sie haben durch ihre ehrliche und verläßliche Politik das Vertrauen der Soldaten und zivilen Mitarbeiter gewonnen und sie motivieren können. Die SPD ist auch heute die bessere Alternative für die Bundeswehr, weil sie reformfähig ist. ({32}) Die Reformen dieser Regierung sind an der Finanzlage zerbrochen. ({33}) Heute heißt das Opfer Bundeswehr, morgen das ganze Land. ({34}) Wir lehnen den Verteidigungsetat dieser Bundesregierung aus tiefer Überzeugung ab. ({35})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Austermann, CDU/CSU.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war ja zum Schluß wohl eher Würzburger Kleinkunstbühne, als daß man annehmen konnte, daß das ein ernsthafter Beitrag zur Haushaltsdebatte, insbesondere zum Verteidigungsetat, sein sollte. Der Kollege Kolbow hat eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die er dann aber für sich und auch für die Sozialdemokratie nicht beantwortet hat. Er hat weder die Frage beantwortet, welche Zielzahl an Soldaten und zivilen Mitarbeitern die Bundeswehr in Zukunft erwartet, noch, welche Konsequenzen das für Standorte und für die Ausführung von Übungen hat. Und obwohl er die Ausrüstung beklagt hat, stellt er keinen einzigen Antrag dahin gehend, die Ausrüstungssituation namhaft finanziell zu verbessern. ({0}) Er hat keine klare Aussage zu der Frage gemacht, wie die künftige Struktur tatsächlich aussehen soll. Da kam, wie immer bei den Sozialdemokraten: Wir setzen eine Strukturkommission ein, ({1}) die sich dann Gedanken machen soll. So geht das Ganze dann weiter. Sie können das auf jeden Bereich, den Sie angesprochen haben, übertragen - vom Eurofighter bis zu anderen Dingen. Ich will zum Thema Eurofighter wenig sagen, weil der Kollege Breuer darauf eingehen wird. Die entscheidende Frage ist doch, Herr Kollege Kolbow - die ja wohl auch die Arbeitsgruppe Luftverteidigung Ihrer Partei beantwortet hat und beantworten mußte -: Gibt es militärische Konstellationen, strategische Entwicklungen, Bedrohungspotentiale, die es angezeigt erscheinen lassen, in einer bestimmten Verteidigungssituation bestimmte Kampfmittel zu haben und diese einzusetzen? Das ist die erste Frage. Wenn ich das bejahe, muß ich die dafür erforderlichen Mittel und die erforderlichen Geräte bereitstellen. Nach unserer Meinung gehört der Eurofighter klar dazu. Ich füge hinzu: Er schlägt auch keine Schneise in den Verteidigungsetat. ({2}) Wir stellen die erforderlichen Mittel bereit, um die Truppe so auszustatten, daß sie auch eine gute Zukunft hat. Wie beantworten Sie die folgenden Fragen: Brauchen wir eine starke, für vielfältige Aufgaben vorbereitete Armee? Wie umfangreich muß sie sein? Welche Waffen sollen in Zukunft zur Verfügung stehen? Wie ist die Position im internationalen Bündnis? Auf keine dieser vier Fragen haben Sie eine konkrete Antwort gegeben. ({3}) Wir haben gesagt: Ein Etat von 46,7 Milliarden DM mittelfristig, mit steigender Tendenz. Das heißt, daß der Personalbestand, so wie er jetzt vorgesehen ist, auf absehbare Zeit erhalten bleibt; das heißt, daß auch die Zahl der Standorte in der vorgesehenen Größenordnung auf absehbare Zeit erhalten bleibt; das heißt, daß auch in Zukunft Übungen weiter durchgeführt werden können, und das heißt, daß wir ein klares Ja zur Wehrpflicht aussprechen. ({4}) Dies alles steckt hinter dieser konkreten Aussage zu den finanziellen Mitteln. Soviel auch zum Thema Personal. Man kann die finanzielle Ausstattung der Soldaten beklagen. Wenn man dann feststellt, daß über 50 Prozent der Mittel - rund 46 Milliarden DM - für Personal ausgegeben werden, dann wird man einsehen, daß das wohl nicht zu wenig sein kann und daß dann wohl kaum eine falsche Priorität gesetzt worden ist. Die Grünen mochten sich auf ihrem letzten Parteitag zu den Themen NATO und Wehrpflicht nicht äußern. Frau Kollegin Beer hat in dieser Frage eine ganz konkrete Auffassung. Sie ist sicher auch maßgebend für die Anträge gewesen, die Sie gestellt haben. In einem Antrag zum Haushalt fordern Sie quasi die Halbierung der Wehrpflichtzahlen. 60 000 Wehrpflichtige weniger heißt 120 Standorte weniger. Hinterher kommen die Ministerpräsidenten und beklagen, daß sie nicht in der Lage sind, die Probleme, die sich aus der Konversion ergeben, zu lösen. ({5}) Lafontaine war Ihnen in dieser Beziehung ein ganzes Stück voraus. Der Kollege Lamers hat vorhin darauf hingewiesen. Ich will das noch einmal in Erinnerung rufen. Es geht gelegentlich in der Politik auch um die Kraft von Visionen und um die Frage, inwieweit man Perspektiven entwickeln kann. Lafontaine verkündete im März 1990 mit dem ihm eigenen Wahrheitsanspruch: Es ist ein Irrtum, wenn der Bundeskanzler, wenn seine Berater glauben, daß das vereinte Deutschland in der NATO bleiben kann. Ihm pflichtete damals der Zweite, der Alles-odernichts-Kanzlerkandidat, mit der Aussage bei, Lafontaine habe exakt die Position der SPD vertreten. Die Zeiten wandeln sich, die Kandidaten offensichtlich nicht. Polen, Tschechien und Ungarn wurden im Juli in Madrid eingeladen, Beitrittsverhandlungen mit dem Bündnis aufzunehmen. Der tschechische Präsident Václav Havel hat dies als Anerkennung des freien Willens der mitteleuropäischen Staaten, ihre Integration in Institutionen anzustreben, die Staaten mit gleichen Grundwerten miteinander verbinden, verstanden. Und er hat unterstrichen: Das nordatlantische Bündnis ist, wie die Erfahrungen der letzten Zeit zeigen, das am besten geeignete Mittel zur Gewährleistung der kollektiven Sicherheit unserer Werte. Die Tragödie auf dem Balkan hat uns vor Augen geführt, daß die euro-atlantischen Werte und insbesondere die Achtung der Menschenrechte, der Demokratie, der Rechtstaatlichkeit und der freien Marktwirtschaft von ihren Befürwortern auch verteidigt werden müssen. So Václav Havel, der tschechische Präsident. Bis heute gibt es bei den Grünen keine einheitliche Position zu friedenssichernden Bosnien-Einsätzen. Die Grünen humpeln hinterher. Polen, Tschechien und Ungarn wollen in die NATO, die Grünen wollen raus. Das muß man so deutlich sagen; das ist die Alternative im Bereich der Außenpolitik, auch in der personellen Konstellation, wie sie sich die Grünen für die Zukunft vorstellen. Die Grünen wollen in einem Antrag zu diesem Etat die Mittel für die Zusammenarbeit mit osteuropäischen Staaten im Verteidigungsbereich streichen. Auch das deutet darauf hin: Die Grünen wollen raus aus der NATO. Ich glaube, das ist der Grund, weshalb 62 Prozent der Bürger die Bündnisgrünen auf Bundesebene nicht für regierungsfähig halten. Angesichts der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist das eine klare Entscheidung. Zur Größe der Bundeswehr gibt es unterschiedliche Positionen. Ich sage dazu nur: Mit dem gleichen Argument, mit dem man sagt, daß sich 340 000 Armeeangehörige nicht notwendigerweise begründen lassen, kann man auch sagen, daß sich die Hälfte dieser Zahl nicht notwendigerweise begründen läßt. Entweder man glaubt daran, daß ein Staat, der seine Bürger schützt, verteidigungsfähig sein muß. Oder man tut das nicht; dann kommt man zu Ihrer Position, Frau Beer, die letztlich darin gipfelt, die Bundeswehr insgesamt abzulehnen. Noch etwas zur Größe der Bundeswehr: Ein direkter Vergleich zeigt, daß wir bezogen auf die Bevölkerungszahl eine der kleinsten Armeen Europas haben. Wer glaubt, daß das mit einer anderen als dieser Mischstruktur, nur mit Freiwilligen, ohne Wehrpflicht, zu machen ist, der muß sich die Frage gefallen lassen, ob diese Bundeswehr dann die gleichen Fähigkeiten haben soll. Entgegen den Äußerungen des Kollegen Kolbow wird in der Opposition - das betrifft auch die SPD - ständig am Thema Wehrpflicht gezündelt. Es ist noch keine Woche her, daß der Kollege Opel in Schleswig-Holstein einen Antrag für den Bundesparteitag der SPD, der in den nächsten Tagen stattfindet, vorgestellt hat, der von Landesvorstand und Landesausschuß nach zwei Jahren Debatte gebilligt worden ist. ({6}) Er hat es das Modernste genannt, was es an Sicherheitspolitik gebe. Mit dem Satz „Der Fortschritt kommt auch auf diesem Feld wieder aus dem Norden" stellt der Kollege Opel ein von ihm als historisch bezeichnetes Papier vor, nach dem schlichtweg die Wehrpflicht ausgesetzt und ein Teil der Wehrpflichtdurch Zeitsoldaten ersetzt werden soll. ({7}) Verbunden werden soll das mit einem freiwilligen gesellschaftlichen Dienst von drei bis acht Jahren mit Vergünstigung bei der anschließenden Berufsausbildung oder der Anstellung im öffentlichen Dienst. So viel Quatsch hat man selten gehört. ({8}) Soll das Fortschritt, soll das Reform sein? Ich kann nur sagen: Nehmen Sie den Kollegen Opel einmal zur Seite und erzählen Sie ihm etwas über Verteidigungspolitik. ({9}) - Er spricht heute nicht. Es ist ja auch ganz interessant, daß er vor den Fernsehkameras nach draußen ständig zu bestimmten Themen redet, hier heute aber nicht reden darf. Der Kollege Opel rechnet natürlich nicht damit, daß dieser Antrag beschlossen wird. ({10}) Er sagt, es gebe eine Lösung, wie immer bei der SPD. Er geht davon aus, daß die Überlegungen als Material an eine Wehr- und Personalkommission überwiesen werden. Das ist halt die Art und Weise, wie Sie Ihre Aufgaben lösen. Lassen Sie mich etwas zum Thema „Bewaffnung der Bundeswehr" sagen. Die Diskussion erfolgt natürlich unter der Überschrift „Wie hältst du es mit dem Eurofighter?".

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Austermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Horn?

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Austermann, ist Ihnen bekannt, daß es sogar in Ihrer Fraktion Kollegen gibt, ({0}) die in der Frage der Wehrform unterschiedlicher Auffassung sind, und daß es bei der F.D.P. sogar eine Befragung der Mitglieder gegeben hat, wenn auch mit negativem Ausgang, ({1}) daß Sie also von dieser Seite keine Unterstellung gegenüber der Sozialdemokratischen Partei vornehmen können? ({2})

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gehe einmal davon aus, Herr Kollege Horn, daß die SPD mit Befragungen, auch darüber, wer wo Kandidat werden soll, so ihre Erfahrungen gemacht hat. Daß die F.D.P. ihre Mitglieder fragt, ist nichts Schlechtes, wenn sie dann die richtige Schlußfolgerung daraus zieht. Für mich ist das Thema „Diskussion um Wehrpflicht" im Oderbruch ersoffen. ({0}) Da ist für jedermann deutlich geworden, was Wehrpflichtige in dieser Armee leisten können. Ich bin davon überzeugt: Alle anderen wissen das auch. ({1}) Nein, Tatsache ist: In dieser Koalition gibt es zum Haushaltsentwurf dieses Jahres auch in absehbarer Zeit keine namhafte Stimme, keinen einzigen, der sagt, er möchte die Wehrpflicht abschaffen, er möchte den Schritten folgen, die einzelne in Ihrer Partei ständig forcieren. Der Eurofighter schlägt keine Schneise der Verwüstung in den Verteidigungsetat. Ich habe auf die Personalausgaben hingewiesen. Es gibt weitere notwendige Schwerpunkte bei den militärischen Beschaffungen. Neben dem Eurofighter beginnen wir 1998 mit Beschaffungen für den Hubschrauber UHU/ TIGER, für NH 90/MH 90. Für Marineschiffbau, Fregatten, U-Boote und Minensuchboote sowie den ersten Einsatzgruppenversorger stehen 950 Millionen DM bereit. Ich sage auch hier, ähnlich wie beim Eurofighter: Vieles von dem, was im Verteidigungsetat an Mitteln zur Verfügung gestellt wird, gibt uns die Möglichkeit, auch im zivilen Bereich technologisch Systemführer zu bleiben und entsprechende Entscheidungen zu begünstigen, und hat insbesondere bei der Marine dazu beigetragen, daß wir das größte Schiffbauland der Welt sind und bleiben. Wir haben die erforderlichen Mittel bereitgestellt, und im Haushalt 1998 decken die Geldansätze den Bedarf für die entsprechende Zahl. Im übrigen haben wir auch Maßnahmen getroffen, um im Bereich der Unteroffiziere und der Bootsmänner dafür zu sorgen, daß mit den Mitarbeitern anständig umgegangen wird. Ich gehe davon aus, daß dieser Etat dazu beiträgt, die Motivation der Soldaten und der zivilen Mitarbeiter ({2}) zu verbessern. Im Bereich des Zivilpersonals setzen wir den Konsolidierungskurs fort. Der bislang vollzogene Abbau um fast 60 000 Haushaltsstellen seit 1991 war möglich, weil das neue Recht und die Tarifverträge einen sozialverträglichen Personalabbau gefördert haben. Der Verteidigungsetat für 1998 berücksichtigt die veränderte Aufgabenstruktur unserer Armee, die vielfältigen humanitären und UN-Einsätze. Er läßt den Streitkräften den erforderlichen Raum für eine den Verhältnissen angemessene Entwicklung und Zukunftsfähigkeit. An der Zustimmung zu diesem Etat, aber auch an der Zustimmung zu einem ganz bestimmten Projekt läßt sich Regierungsfähigkeit definieren oder nicht. Unsere Soldaten und zivilen Mitarbeiter haben nichts anderes als Zustimmung verdient. Herzlichen Dank. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Rühe, Sie werden noch die Möglichkeit haben, hier Stellung zu nehmen. Ich denke, man kann aber schon jetzt festhalten, daß es eine absolute Unverfrorenheit ist, wie die Bundesregierung und auch die Abgeordneten der Koalition sich hier über den Willen der Bevölkerung hinwegsetzen. Es verschlägt einem fast die Sprache. ({0}) 80 Prozent haben sich laut Umfrage gegen die Beschaffung des Kampfflugzeuges Eurofighter ausgesprochen. Seit dem 8. November läuft eine Kampagne von „medico international" und der „taz", der Berliner Tageszeitung. In diesen wenigen Tagen ist es gelungen, mehr als 353 000 DM für einen Minenräumfonds zusammenzubekommen. Denn es geht darum, klarzumachen, daß die Bundesregierung die 100 Millionen DM, die im nächsten Jahr wieder für militärische High-Technologie im Minenbereich ausgegeben werden sollen, dort endlich streichen muß und einzahlen soll, damit wir die Völker dieser Welt von der Geißel Mine befreien können. ({1}) Dennoch: Die Bundesregierung will heute unsere Zustimmung zur Perfektionierung der Killerwaffe Nummer eins, der Mine, und für das größte Rüstungsprojekt aller Zeiten, den Eurofighter 2000. Herr Minister, der Frieden in unserem Land ist bedroht, richtig. Er ist aber nicht durch nebulöse Feinde, die Sie überall entdecken, bedroht; das ist nicht die Bedrohung für Deutschland. Nein, der soziale Frieden in Deutschland ist bedroht, weil Sie an Relikten des kalten Krieges festhalten und weil Ihr Rüstungsfundamentalismus auf der Hardthöhe ({2}) zu folgenschweren Fehlentscheidungen führt. ({3}) Milliarden, die für den Erhalt des Sozialstaates und sozialverträgliche Reformen benötigt werden, schieben Sie der Rüstungsindustrie in den Rachen, anstatt endlich einmal zu überlegen, wie man denn die Hochschulen, die Bildung oder die Ärzteversorgung absichern kann. So sind es also 46,7 Milliarden DM, Herr Rühe, die Sie für Militärpolitik ausgeben möchten. Aber Ihre Ausgabenplanung bewegt sich auf unsicherem Grund. Die von Ihnen geheimgehaltene Studie „Streitkräfteeinsatz 2020" muß in Ihrem Haus, der Hardthöhe, wie ein Erdbeben gewirkt haben. Denn diese Studie kommt zu dem Schluß, daß neue HighTech-Waffen entwickelt und beschafft werden müssen. Es wird verlangt, Herr Minister, daß Heer, Luftwaffe und Marine besonderen Wert darauf legen, daß zukünftige Waffensysteme nicht durch Radar entdeckt werden können. Diese Eigenschaft, über die zum Beispiel der amerikanische Stealth-Bomber bereits verfügt, wird Ihr Risiko-Eurofighter 2000 niemals besitzen. Das heißt, Sie sind nicht nur ein finanzielles Risiko für die Politik in Deutschland, sondern Sie produzieren auch veraltete Waffen. Die Friedensbewegung mit dem demokratischen Protest, die hier ausgeschlossen ist, heute morgen aber demonstriert hat, hat festgestellt - ich glaube, man kann diese Feststellung unterstreichen -, daß Ihr Eurofighter den Elchtest nicht überstehen wird. ({4}) Aber zum ernsten Thema zurück. Das Planungschaos auf der Hardthöhe können Sie vor diesem Parlament und auch vor der Öffentlichkeit nicht länger verschweigen. Auch wenn die Beibehaltung der Wehrpflicht auf der Hardthöhe zur Zwangsvorstellung geworden ist und die Beibehaltung einer 340000 Mann starken Armee zum Dogma erhoben wird: Wir sind generell nicht bereit, diesen Wahnsinnsprojekten, die ganze Generationen finanziell knebeln werden, in irgendeiner Form zuzustimmen. ({5}) Kommen wir zu den friedenspolitischen Punkten. Die bereits erwähnte geheimgehaltene Studie kreiert das neue Kriegsbild der Bundeswehr. Das stimmt einfach nicht mehr überein mit dem Bild der wohltätigen Helfer oder der Instrumentalisierung der notwendigen Hilfe im Oderbruch. Es ist das Bild von Kämpfereliten mit Computereinsatz. Sie sind im Moment bereit, diese Elitetruppen aufzubauen, nämlich das Kommando Spezialkräfte. Genau aus diesem Grunde beantragen wir heute, dieses Kommando ersatzlos aufzulösen und den weiteren Ausbau der Krisenreaktionskräfte zu streichen. ({6}) Wir brauchen keine computersimulierten Kriegsführungsspiele auf der Hardthöhe, sondern eine Friedenspolitik, die von vornherein versucht, Konflikte gewaltlos zu moderieren. ({7}) Ich möchte noch einmal auf den Eurofighter 2000 eingehen. Die Nordelbische Kirche zum Beispiel weist das Parlament, also uns, darauf hin, „daß es Konsens ökumenischer Friedensethik ist, daß die internationalen Beziehungen entmilitarisiert werden müssen und gewaltfreie Formen der Konfliktbewältigung zu fördern sind. Dazu gehören eine nachdrücklich vorangetriebene Abrüstung sowie die Beschränkung von Rüstungsproduktion und -export. " Herr Minister Rühe, dies ist genau das Gegenteil von dem, was Sie wollen. Erstens. Der Eurofighter ist nicht nur sicherheitspolitisch überflüssig, sondern friedenspolitisch schädlich. Zweitens. Er verhindert auf Jahrzehnte die notwendige Abrüstung der Luftstreitkräfte. Drittens. Die Prüfung billigerer Modelle wurde gar nicht erst vorgenommen, weil die Bundesregierung dem Druck des militärisch-industriellen Komplexes nachgegeben hat. Viertens. Das ist die Konsequenz daraus: Sie haben Ihre wirtschaftspolitische Vernunft an der Eingangstür der DASA an den Nagel gehängt. Meine Damen und Herren, Ihre Politik der haushaltstechnischen Trickserei ist sozial- und friedenspolitisch schädlich. Ihr muß ein Ende bereitet werden. Deswegen appellieren wir an Sie quer durch alle Fraktionen, heute dem Fraktionszwang ein Nein zu erteilen und wirklich nach Ihrem Gewissen abzustimmen. Dieser Eurofighter ist nicht zu verantworten; er muß gestoppt werden. ({8}) Zum Schluß muß ich noch etwas zu der Doppelmoral der Bundesregierung sagen, die sich auch im Bereich der Minenpolitik aufzeigt. Am 4. Dezember dieses Jahres wird ein historischer Vertrag zum Verbot der Antipersonenminen unterzeichnet, und am 10. Dezember dieses Jahres findet die Übergabe des Friedensnobelpreises an die internationale Kampagne gegen Landminen statt. Aber was machen Sie? 13 Millionen DM werden im Einzelplan 05 für die humanitäre Minenräumung und 100 Millionen DM im Einzelplan 14 zur Perfektionierung des militärischen Minenkampfes bereitgestellt. Das ist ein Hohn für alle Menschen, die von dieser Geißel bedroht sind, und für alle Menschen, die sich für die Abrüstung und die Vernichtung sämtlicher Landminen engagieren. ({9}) Herr Rühe, ich kann Ihnen heute keine gute Zeugnisnote erteilen. ({10}) Ihr Konzept geht nicht auf. Ihre schöne neue Bundeswehr bekommt braune Schönheitsflecken. Selbst bei dem ernsten Problem der Minen verweigern Sie die notwendigen Maßnahmen. Wir beantragen heute die Streichung von 4,846 Milliarden DM aus dem Einzelplan 14 als Signal für die Möglichkeit des Einstieges in eine neue soziale und ökologische Gesellschaft, in einen neuen Gesellschaftsvertrag. Da er mit Ihnen nicht zu machen ist, verzichten wir darauf und hoffen, daß wir schnellstmöglich selber in die Verantwortung kommen. ({11})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin, F.D.P.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Herausforderungen in der Verteidigungspolitik, vor denen wir heute stehen, sind andere als zur Zeit des kalten Krieges. Die internationale Lage hat sich grundlegend verändert. ({0}) Gleichzeitig ist die internationale Verantwortung Deutschlands gewachsen. Deutschland braucht auch weiterhin Streitkräfte, die zur Landesverteidigung befähigt sind. Sie müssen im Bündnisrahmen aber auch zur Krisenreaktion fähig sein, und sie müssen der Völkergemeinschaft zur Verfügung stehen, wenn unsere Hilfe geboten erscheint. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes über den Einsatz der Bundeswehr im Ausland hat uns in die Lage versetzt, uneingeschränkt solidarisch handeln zu können. Deutsche Soldaten übernehmen die gleichen Aufgaben und Risiken wie ihre Kameraden in der NATO. Die Bundeswehr muß zu einem Instrument entwikkelt werden, das unserer Zeit entspricht: fähig zur Verteidigung unseres Landes, zur Reaktion auf Krisen im gesamten Bündnisgebiet und im Dienst der Vereinten Nationen, wenn Humanität und Friedenssicherung es gebieten. Um die gesamte Bundeswehr modern und einsatzbereit zu erhalten, ist ein gesundes Verhältnis von Betriebskosten zu Investitionen zu erreichen. Es kann gar nicht verschwiegen werden, daß der Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums für 1998 nicht alles bietet, was wir Freien Demokraten erwartet haben. Natürlich ist der Investitionsanteil für die Bundeswehr von 24 Prozent, Kollege Kolbow, nicht von 16 Prozent, viel zu gering. Aber auf der anderen Seite haben die Haushaltsberatungen zu dem Ergebnis geführt, daß Heer, Luftwaffe und Marine genügend Mittel erhalten, um ihre Ausbildungs- und Einsatzfähigkeit zu sichern. ({1}) Mit dem Haushaltsplan 1998 werden im investiven Bereich einige wesentliche Großvorhaben auf den Weg gebracht: Mit der Serieneinführung des Unterstützungshubschraubers Tiger/UHU kann ebenso begonnen werden wie mit der Beschaffung des NATO-Hubschraubers NH 90. Die Beschaffung eines Einsatzgruppenversorgers für die Marine ist auf den Weg gebracht worden, und die Vorhaben Fregatte 124 und U-Boot 212 können fortgesetzt werden. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute soll der Deutsche Bundestag über die Beschaffung des Eurofighters entscheiden. Ich will nicht verhehlen, daß die Informationspolitik sowohl des Verteidigungsministeriums als auch der DASA bei diesem Beschaffungsvorhaben über viele Monate nicht immer gerade zur Klarheit beigetragen haben. ({3}) Entscheidend ist, daß wir nicht nur bei dieser Diskussion zuhören, sondern auch draußen im Lande, wenn wir dort unsere Entscheidung vertreten - egal, wofür man gestimmt hat - nicht sagen, daß derjenige, der für den Eurofighter gestimmt hat, der schlechte Abgeordnete ist, und derjenige, der dagegen war, der gute Abgeordnete war. ({4}) Ich meine, wer sich intensiv mit der Ausrüstung der Bundeswehr beschäftigt hat, kann zu keinem anderen Ergebnis kommen, als daß wir auf Grund der heute bereits mangelhaften Einsatzbereitschaft des Waffensystems Phantom einen Nachfolgebedarf für die Luftwaffe haben. Die F.D.P. hält es aus verteidigungspolitischen Gründen für notwendig, daß die Luftwaffe über moderne Flugzeuge verfügt. Die Maschinen vom Typ Phantom sind über 30 Jahre alt. Diese Auffassung wird auch vom Bundesrechnungshof, den Sie, Kollege Kolbow, ja mehrfach zitiert haben, geteilt; das haben Sie vergessen zu sagen. ({5}) Mit Schreiben vom 23. Oktober 1997 schreibt der Bundesrechnungshof an den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses: Der Ersatzbedarf ist wegen der begrenzten Einsatzfähigkeit, Ausrüstung und Bewaffnung der vorhandenen Jagdflugzeuge F4F PHANTOM so dringend, daß eigentlich ein möglichst früher Zulauf des Nachfolgemusters angestrebt werden müßte. ({6}) Soweit der Bundesrechnungshof. Sie zitieren doch hier bei allen möglichen Gelegenheiten sehr oft den Bundesrechnungshof. ({7}) Dann hätten Sie doch auch das einmal zitieren sollen. Wenn der Kollege Kolbow hier darauf verweist, daß die Grünen und die Sozialdemokraten heute einen Antrag zum Jagdflugzeug gestellt haben, und bedauert, daß die Koalition hier selber keinen Antrag vorgelegt hat, stimmt das nicht. Sie brauchen nur in den Einzelplan 14 zu sehen. Das ist unser Antrag für dieses Flugzeug. Wir haben uns also in keiner Weise gedrückt. ({8}) Wir wissen sehr wohl, daß bei der Entwicklung des Eurofighters im technischen Bereich noch weitere Lösungen anzustreben sind. Ich nenne hier den Gewichtsaufwuchs, die Radarleistungen und auch die Flugkontroll-Software. Diese Kriterien ändern jedoch nichts daran, daß nach Auffassung unserer Fraktion der erforderliche Reifegrad für eine Beschaffungsentscheidung erreicht ist. Dem Argument, daß der Eurofighter bereits heute nicht mehr dem modernsten Stand der Technik entspricht, muß widersprochen werden. Wenn dieses Argument auch noch von amerikanischen Stellen verbreitet wird, dann steckt doch nur eine Zielsetzung dahinter: Der Eurofighter wird als ernstzunehmende Konkurrenz für amerikanische Produkte angesehen. ({9}) Ich finde es sehr erstaunlich, daß sich die Sozialdemokraten diese Argumentation aus Amerika zu ihrer eigenen machen. Handfeste wirtschaftliche Interessen der USA stecken hinter dieser Argumentation und nichts anderes. Wer ja sagt zu einem Nachfolgeflugzeug für unsere Luftwaffe, der sollte auch ja sagen zur europäischen Entwicklung eines Jagdflugzeuges. Wenn wir, die F.D.P., ja sagen zu einem Nachfolgeflugzeug für die Phantom, dann ist es legitim, diese Flugzeuge da zu bauen, wo sie Beschäftigung schaffen: bei uns in Deutschland, in Italien, in Spanien und Großbritannien. ({10}) Diese Auffassung vertritt nicht nur die Koalition, sondern auch der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder, der sich ebenfalls für die Beschaffung des Eurofighters ausgesprochen hat. Der Kollege Fischer hat heute in einem Beitrag darauf verwiesen, das sei quasi ein Geschenk für den Herrn Stoiber. Er hat nur etwas vergessen; er liest ja sonst sehr intensiv die Zeitung. Ich habe ein Beispiel aus der „Hamburger Morgenpost" mitgebracht: „Schröder setzt auf den Eurofighter - Gemeinsame Initiative mit Bayerns Chef Edmund Stoiber" kann man hier lesen. Also bitte nicht nur einseitig berichten. Ich könnte Ihnen weitere Zitate bringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten ({11}) - ich spreche jetzt einmal zu den Sozialdemokraten -, Sie haben doch in den letzten Wochen Anzeigen geschaltet, auf denen Herr Lafontaine und Herr Schröder zu sehen waren. „Politikwechsel in Deutschland" haben Sie diese überschrieben. Ich jedenfalls habe den Eindruck, daß es, wenn Sie Herrn Schröder zum Kanzlerkandidaten machen, keinen Politikwechsel in Deutschland, sondern einen Politikwechsel in der Sozialdemokratischen Fraktion gibt. Den brauchen wir allerdings sehr dringend. Ich denke, Sie können nicht daran vorbeigehen, daß sich Herr Schröder für den Eurofighter ausgesprochen hat. Sie tun hier und in Ihrem Antrag so, als wenn die Sozialdemokraten einheitlicher Meinung seien. Das ist nicht der Fall. Sie haben im übrigen - ich darf darauf verweisen - einiges in Ihren Antrag geschrieben, das stutzig macht. Sie schreiben zum Beispiel: "Die einzelnen Mitgliedsländer könnten ihr Potential z. B. in einen Pool einbringen" . ({12}) - Kollege Diller, daß Sie nichts von Verteidigungspolitik verstehen, weiß jeder. ({13}) Wenn sich Deutschland beteiligen soll, dann frage ich: Mit welchen Flugzeugen denn? Etwa mit Flugzeugen, die über 30, 40 Jahre alt sind? Das können Sie uns doch nicht erzählen. Sie haben einige Denkfehler in Ihrem Antrag gemacht. ({14}) Das gilt auch für die Finanzierung. Sie müssen der deutschen Bevölkerung doch sagen, was das Flugzeug, das zur Zeit von der Bundeswehr geflogen wird, pro Betriebsstunde kostet. ({15}) Das müssen Sie doch gegenrechnen. Insofern war Ihre bisherige Argumentation nicht sehr sauber. Die SPD wird also erklären müssen, wie sie auf der einen Seite den Eurofighter ablehnt und auf der anderen Seite einer der führenden Repräsentanten der SPD die Anschaffung des Eurofighters fordert. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, man kann als Sozialdemokrat nicht zu den Betriebsversammlungen von Unternehmen der Luft- und Raumfahrt gehen und erklären, ({16}) daß man diesen Industriezweig unterstützt, um anschließend im Plenum gegen dieses Flugzeug zu stimmen. Das geht nicht. ({17})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Kollege Koppelin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Uta Zapf?

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne. Wenn es etwas ruhiger ist, kann ich sie auch hören.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Koppelin, könnten Sie mir die Frage beantworten, ob ich an Gedächtnisschwund leide?

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja. ({0})

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube mich zu erinnern, daß Sie, Kollege Koppelin, zu unterschiedlichen Zeiten - einmal vor etlichen Jahren, aber auch in der letzten Zeit - erhebliche Argumentationen gegen die Beschaffung des Eurofighters in der Öffentlichkeit von sich gegeben haben. ({0}) Vielleicht können Sie mir die Frage beantworten, woher dieser erstaunliche Meinungswechsel kommt, daß Sie jetzt voller Leidenschaft die Beschaffung dieses Flugzeuges verfechten. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Etwas mehr Ruhe bitte.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin gern bereit, Ihre Frage zu beantworten, wenn etwas mehr Ruhe bei den Sozialdemokraten eingekehrt ist. Ich kann allerdings die Aufregung verstehen; ({0}) denn Sie haben gefragt, ob Sie unter Gedächtnisschwund leiden. Das beantworte ich mit Ja; denn Sie haben bereits in der ersten Lesung zum Haushalt des Verteidigungsministers die gleiche Frage mit der gleichen Einleitung gestellt. Insofern sollten Sie sich daran erinnern, was ich damals geantwortet habe. ({1}) Ich will die Frage aber gern noch einmal beantworten. Es geht heute um die Grundsatzentscheidung, die zu treffen ist: Wollen wir zu einem Flugzeug für die Bundeswehr ja sagen, ({2}) das gemeinsam in Europa gebaut wird? Wollen wir dazu ja sagen, oder gibt es andere Lösungen? ({3}) Ich habe Ihnen das begründet. Für mich ist es selbstverständlich, daß der Verteidigungs- und der Haushaltsausschuß diese Beschaffung weiter begleiten, sei es in der Vertragsgestaltung, sei es in der Finanzierung mit allem, was dazugehört. ({4}) - Entschuldigung, Frau Kollegin, Sie sind doch im Verteidigungsausschuß. Wollen Sie sich etwa aus der Geschichte ausklinken? ({5}) Ich kann mir bei Ihnen überhaupt nicht vorstellen, ({6}) daß Sie zukünftig im Ausschuß nichts mehr zum Eurofighter sagen wollen. Sie werden doch diese Beschaffungsmaßnahme sicher weiter begleiten wollen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Etwas mehr Ruhe bitte.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Deswegen sage ich noch einmal: Der Verteidigungs- und auch der Haushaltsausschuß werden nach dieser Grundsatzentscheidung heute weiterhin die Kosten und die Technik kritisch hinterfragen müssen. Das ist meine Antwort an Sie. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Koppelin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vom Kollegen Schily immer gern.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Koppelin, ich stimme Ihnen zu, daß die Luft- und RaumfahrtinduOtto Schily strie ein wichtiger Industriezweig unseres Landes ist und jede Unterstützung verdient. Stimmen Sie mir zu, daß man die sehr schwierige, komplizierte Frage, ob der Eurofighter unter militär- und sicherheitspolitischen Vorzeichen beschafft werden soll, schärfstens von der Frage des Fortkommens eines solchen Industriezweigs trennen muß? Denn sonst kommt man in eine falsche Logik hinein. Können Sie mir zustimmen? ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schily, ich habe bereits bei anderer Gelegenheit gesagt: Der Verteidigungsminister ist nicht für Werftenhilfe zuständig, er ist nicht für Strukturhilfe und selbstverständlich auch nicht für die Luft- und Raumfahrt zuständig. ({0}) - Herr Kollege Kolbow, lassen Sie mir zumindest die Chance, daß ich Ihrem Kollegen, der höflich gefragt hat, auch höflich antworte. ({1}) Für mich ist es eine verteidigungspolitische Frage: Will ich keine neuen Maschinen für die Luftwaffe, oder will ich sie? ({2}) Bei den Aufgaben, die die Bundeswehr hat, werden wir neue Maschinen brauchen, weil die Maschinen, die wir jetzt haben, völlig veraltet sind und Betriebskosten von fast 100 000 DM pro Stunde verursachen. Das ist das Entscheidende, weshalb ich zu dem Ergebnis komme: Es geht mit den jetzigen Maschinen bald nicht mehr. Ich jedenfalls als Verantwortlicher im Verteidigungsbereich kann nicht mehr verantworten, daß unsere jungen Piloten solche überalteten Maschinen fliegen. ({3}) Diese Verantwortung kann ich auf Dauer nicht mehr übernehmen. ({4}) Die wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Probleme in unserem Land - das ist unbestritten - sind sehr groß. Das soll nicht geleugnet und nicht beschönigt werden. Aber: Bei allem, was bei uns in Deutschland nicht vollkommen ist, ist es ebenso wahr, daß die Bürger auf deutschem Boden noch nie so frei waren, so ohne Furcht und Gefahr von außen. Dazu haben die Soldaten unserer Bundeswehr einen großen Beitrag geleistet. ({5}) Auch bei der Erfüllung ihrer internationalen Aufgaben werden sie das bleiben, was sie immer gewesen sind: Soldaten in einer Demokratie. Diesen Soldaten und allen Angehörigen der Bundeswehr fühlen wir Freien Demokraten uns verpflichtet. Vielen Dank für Ihre Geduld. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort für eine Kurzintervention hat der Kollege Kastning.

Ernst Kastning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001070, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Beginn dieser Wahlperiode nehme ich die Aufgabe des Berichterstatters zum Verteidigungshaushalt wahr. Von Anfang an habe ich mich - das entspricht meinem Naturell - auf die praktische Arbeit gestürzt und versucht zu retten, was angesichts der chaotischen Haushaltspolitik zu retten ist. Ich habe nie auf große Reden im Plenum Wert gelegt. Nur, Herr Kollege Koppelin - ich knüpfe jetzt an Ihre Äußerungen an, beziehe mich aber auch auf andere Vorredner, vielleicht auch auf mich selbst, was die Vergangenheit angeht -, bei mir hat sich in den vergangenen drei, dreieinhalb Jahren in einem Bereich eine Unzufriedenheit aufgestaut, die ich einmal zum Ausdruck bringen möchte. Wir beraten in den Ausschüssen, zumindest im Haushaltsausschuß, und im Plenum weit überwiegend, wenn nicht sogar ausschließlich über den militärischen Teil unserer Bundeswehr. Wir tun so, als bestünde sie ausschließlich aus 340 000 Berufs-, Zeitsoldaten und Grundwehrdienstleistenden. Mir hat es manchmal wehgetan, daß wir viel zuwenig Zeit für die - ich weiß die genaue Zahl nicht - rund 145 000 zivilen Mitarbeiter geopfert haben, von denen ich meine, daß sie auch eine Säule für die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr sind, ({0}) zumindest die Mitarbeiter im engeren Bereich der Logistik, Bevorratung und Materialerhaltung. Auch heute hat niemand groß etwas dazu gesagt - deshalb habe ich mich gemeldet -, außer der Kollege Austermann, der zum Ausdruck gebracht hat, daß er stolz darauf ist, daß dort 60 000 Stellen abgebaut worden sind. ({1}) - „Sozialverträglich" heißt, daß die 60000 Arbeitsplätze verschwunden sind, auch wenn die, die darauf waren, nicht gekündigt worden sind. ({2}) Daran pflege ich in meinem Wahlkreis auch die Genossinnen und Genossen zu erinnern; denn es ist eine fatale Geschichte, daß wir mit dem Hinweis auf die Sozialverträglichkeit so tun, als hätten wir die Arbeitsmarktprobleme gelöst. Das ist aber nicht wahr. Da müssen wir uns alle einmal an die eigene Brust fassen. ({3}) - Ich gestehe das auch für mich ein, Herr Breuer. ({4}) - Das darf man doch wohl einmal sagen, ohne daß Sie sich ereifern. Ich habe nur die Bitte, daß dieser Bereich bei der Beratung im Plenum künftig etwas mehr politische Beachtung findet. Ich möchte noch konkret etwas zu einem Punkt sagen.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege, ich habe ein Problem mit dieser Kurzintervention. Seien Sie mir nicht böse. Aber Sie gehen im Rahmen Ihrer Intervention jetzt auf etwas ein, was kein Diskussionsredner gesagt hat. Die Kurzintervention ist aber dazu da, auf einen Debattenbeitrag zu reagieren und nicht auf das, was nicht gesagt worden ist. ({0}) Ich muß Sie deshalb bitten, entweder etwas zu einem Debattenbeitrag zu sagen oder Ihre Rede zu beenden. Es tut mir leid; so sind die Regeln. ({1})

Ernst Kastning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001070, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich beuge mich selbstverständlich diesem Hinweis des Präsidenten. Es tut mir leid, daß es nicht möglich ist, so etwas zu sagen. Ich möchte dann an den Kollegen Koppelin appellieren - stellvertretend für alle, damit er nicht beleidigt ist -, bei der Privatisierungseuphorie, die für den Bereich der Zivilbediensteten der Bundeswehr auszubrechen droht, daran zu denken, daß von der Vernichtung von Arbeitsplätzen, zum Beispiel im Instandsetzungswesen, wirklich auch Leute betroffen sind, und daran zu denken - das müßte auch im Interesse der militärischen Führung liegen -, daß es darum geht, bei der Bundeswehr selbst eine gewisse wehrtechnische Kernfähigkeit zu erhalten. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich gehe einmal davon aus, daß der Kollege Koppelin angesprochen worden ist. Deshalb kann er jetzt erwidern.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Ernst Kastning, hinsichtlich des letzten Teils Ihrer Ausführungen stimmen wir überein. Wir haben bei den Haushaltsberatungen - zumindest der Kollege Austermann, Sie und ich - immer versucht, gerade diese Komponente herauszustreichen. Die Sorgen, die Sie hier vorgetragen haben, was das Personal, vor allem das zivile Personal, angeht, teile ich. Sie wissen auch, daß wir eher Soldaten aus der Bundeswehr entlassen haben, als wir reduzierten; das zivile Personal haben wir sehr viel später entlassen. Ansonsten möchte ich diese Gelegenheit nutzen, Ihnen, lieber Ernst Kastning, herzlich für eine faire gemeinsame Berichterstattung zum Einzelplan 14 zu danken. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat jetzt der Kollege Graf von Einsiedel, PDS.

Heinrich Einsiedel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002645, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf Grund meiner Biographie habe ich mich ziemlich intensiv mit der Geschichte des Luftkriegs und der deutschen Luftkriegsrüstung beschäftigt. Aber ich lerne immer noch dazu. Kürzlich las ich im Luft- und Raumfahrtmuseum in Washington folgenden reizenden Vers, den man im Ersten Weltkrieg deutschen Kindern eingetrichtert hat: Zeppelin flieg, hilf uns im Krieg. Fliege nach Engeland, London wird abgebrannt. Zeppelin flieg. Bekanntlich halfen die Zeppeline nicht viel; es sei denn, dem Gegner: durch sinnlose Verschwendung von Rüstungspotential und durch fürchterliche deutsche Verluste. Nun befinden wir uns in Friedenszeiten. Aber über den Verdrängungseffekt im Zusammenhang mit der Beschaffung des Eurofighters ist hier schon genug gesprochen worden. Der eben genannte Kindervers war nicht nur eine besonders widerliche Entgleisung der Kriegspropaganda. Nein, er ist für deutsches militärisches Denken, wie es Jahrzehnte dieses Land beherrscht hat, signifikant, nämlich für den Aberglauben, man könne mit der jeweils modernsten Technik kriegsentscheidende militärische Sicherheit für dieses Land gewinnen - ein Aberglaube, der uns nichts als Katastrophen eingebracht hat. Einige der Kinder, die diesen Vers gelernt haben, sind wahrscheinlich 1940 nach London geflogen. 1945 war nicht London abgebrannt, sondern Deutschland - trotz Düsenjägern und Jagdfliegerassen noch und noch. 1950 begann dann ein neues Kapitel: die Wiederbewaffnung Deutschlands in Ost und West. Auf beiden Seiten spielten einige der so spektakulär gescheiterten deutschen Luftstrategen eine gewichtige Rolle. Die Bundesrepublik schaffte sich unter dubiosen Umständen den Starfighter an. Er war in den USA als Abfangjäger gedacht. Aber unsere großen Luftstrategen befrachteten dieses Flugzeug mit soviel neuen Aufgaben - vor allen Dingen als Atombombenträger im Sinne der Vorwärtsverteidigung - und damit mit so viel unerprobter Elektronik, daß er zum Sarg für viele junge deutsche Piloten wurde. Jetzt soll wieder eine Wunderwaffe angeschafft werden, laut Rühe wieder angeblich das Beste und Modernste der Welt, was aber von vielen Fachleuten international bezweifelt wird: der Jäger 2000. Es sollen 180 für Deutschland sein, rund 700 für das zukünftige Euro-Land mit reinen Anschaffungskosten von - nach heutigen Schätzungen - weit über 100 Milliarden DM. Aber alle Erfahrungen zeigen, daß solche Vorhaben letzten Endes sehr viel teurer sind, als ursprünglich kalkuliert, von den Folgekosten gar nicht zu reden. Dieses Rüstungsvorhaben wird für Jahrzehnte als unerträgliche Bürde auf dem Haushalt der Bundesrepublik und der Bundeswehr mit all den verheerenden sozialen Folgen lasten, die hier schon genügend hervorgehoben worden sind. ({0}) Aber selbst wenn man einmal den sicherheitspolitischen Argumenten der Bundesregierung folgen wollte und sich mit kühnster Phantasie ausmalt, daß Europa und damit die Bundesrepublik irgendwann einmal in zwei oder drei Jahrzehnten von irgendeiner heute noch nicht erkennbaren Gefahr eines militärischen Angriffs bedroht sein sollte, selbst dann ist die Anschaffung dieses Jägers sinnlos. Denn, wie General Naumann gerade erst kürzlich in Brüssel dem Verteidigungsausschuß erklärt hat, würde eine solche Bedrohung in erster Linie eine Bedrohung mit Raketen sein, gegen die der Jäger nicht hilft. Darum erklärte General Naumann auch - von seinem Standpunkt aus durchaus konsequent und logisch -, daß zusätzlich zu diesem Jäger selbstverständlich noch ein flächendeckendes Raketenabwehrsystem angeschafft werden müsse. Das alles, obwohl mit der NATO-Erweiterung bis dahin doch angeblich ein allumfassendes europäisches Sicherheitssystem geschaffen sein soll. Aber das hätte doch nur dann einen Sinn, wenn es mit einer radikalen Abrüstung Hand in Hand ginge und nicht mit einem solchen gigantischen Rüstungsvorhaben. ({1}) Ich möchte General Naumann noch ergänzen: Die Standorte des Jägers wären gerade die Ziele, die der an die Wand gemalte unbekannte Teufel als erste mit Raketen belegen würde. Der Jäger wäre ein Blitzableiter, der die Blitze anzieht, an dem Bettgestell geerdet, in dem man ruhig schlafen will. Was die Fähigkeit der Bundesrepublik und der Bundeswehr anbelangt, sich als Krisenreaktionskraft im Namen der NATO an friedenserhaltenden oder gar friedenserzwingenden militärischen Aktionen zu beteiligen - auch für sie wäre der Eurofighter kein Gewinn. Er macht doch nur Sinn, wenn Sie sich, wie Sie kürzlich andeuteten, demnächst an einer Art Golfkrieg beteiligen wollen. Ist das Ihre Absicht? Wie Sie es auch drehen und wenden - der Jäger 2000 ist das sinnloseste und überflüssigste Rüstungsprojekt seit dem Flottenbau unter Wilhelm II. Sie wissen, welche Folgen das hatte. Lassen Sie davon ab! ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Bundesverteidigungsminister Volker Rühe.

Volker Rühe (Minister:in)

Politiker ID: 11001897

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte beginnen mit einem Dank an die Mitglieder des Haushaltsausschusses, insbesondere die Berichterstatter. Sie haben den Beschluß der Bundesregierung über die Höhe des Verteidigungshaushaltes nicht nur bestätigt, sondern finanziell sogar noch etwas verstärkt. In einer Zeit der knappen Mittel bin ich sehr dankbar dafür. Auch die mittelfristige Finanzplanung bietet eine gute Grundlage für die Zukunft der Bundeswehr. Bevor ich etwas zu dem Flugzeug sage: Herr Kollege Kolbow, ich weiß nicht, was solche schrillen Töne hier sollen und wem Sie eigentlich damit imponieren wollen, wenn Sie sagen, die Bundeswehr sei in der bedenklichsten Lage der Geschichte, es aber Tatsache ist, daß es - verdienterweise - noch nie soviel Zustimmung und Anerkennung für unsere Soldaten und für die Bundeswehr gegeben hat, ({0}) und zwar in allen Generationen, auch in der jungen Generation. Da ich weiß, daß Sie die Bundeswehr kennen und das eine ganz andere Bundeswehr ist als die, die Sie hier beschrieben haben, ist es eben nur erklärbar aus der Situation, daß Sie etwas verteidigen mußten, was Sie selbst nicht für richtig halten. ({1}) Das ist eine schwierige Lage; das gebe ich zu. Denn Sie haben zusammen mit Ihren Kollegen bestätigt, daß wir natürlich auch in der Zukunft Jagdflugzeuge brauchen. Deswegen finde ich, daß wir zur Sache zurückkehren sollten. Ich habe weder von Herrn Lafontaine noch von irgend jemand anderem gehört, daß Sie mehr Geld für die Bundeswehr einstellen wollen. Im übrigen: Welche Größenordnung eine Armee auch immer hat, sie wird immer knapp bei Kasse sein, und - das wird Sie vielleicht wundern - in einem gewissen Umfang ist es auch notwendig. Ich kenne keine Armee auf der ganzen Welt, die finanziell üppig versorgt wäre. Ich kenne auch in Deutschland niemanden, der sich in den vergangenen Jahren so reformiert hat. Wir haben die deutschen Streitkräfte, wenn Sie NVA und Bundeswehr zusammennehmen, in den vergangenen sechs Jahren praktisch halbiert. Nennen Sie mir einmal einen anderen Teil der Gesellschaft, der sich in dieser Weise verändert hat! ({2}) Wir haben die Bundeswehr auf die neuen Aufgaben eingestellt, wir haben die Armee der Einheit geschaffen. Die Bundeswehr ist in der Lage, alle Aufträge durchzuführen, die sie vom Deutschen Bundestag bekommt: Landesverteidigung, Bündnisverteidigung, internationale Einsätze, Katastropheneinsätze wie an der Oder. Warum sollte etwas verändert werden, was funktioniert? Wenn Sie nach Bereichen der Gesellschaft suchen, die nicht funktionieren, die nicht allen Aufgaben gerecht werden können, dann suchen Sie bitte außerhalb der Bundeswehr. Die Bundeswehr ist auf die Zukunft vorbereitet. ({3}) Jetzt zur Struktur und der Stärke der Bundeswehr von 340 000 Mann. Wir sind ein Land mit 80 Millionen Bürgern in der Mitte Europas. Schauen Sie sich unsere Nachbarn an. Pro Kopf der Bevölkerung gibt es in den Niederlanden, in Dänemark, in Belgien, in Frankreich, in Großbritannien, in fast allen europäischen Ländern mehr Soldaten als in Deutschland. Im europäischen Vergleich liegen wir ganz unten. Deswegen sage ich Ihnen: Für ein 80-Millionen-Volk wie Deutschland, trotz aller Schwierigkeiten weiß Gott nicht verarmt, mit der Verantwortung, in der Mitte Europas Stabilität zu schaffen und Vorsorge für die Wechselfälle der Geschichte zu treffen, ist es angemessen, Streitkräfte in einer Größenordnung von 340 000 Soldaten zu unterhalten. Daran darf man nicht jedes Jahr herumdiskutieren. Das muß eine klare Grundlage für die Soldaten und für die Außen- und Sicherheitspolitik sein. ({4}) Was das Flugzeug angeht, so kann ich nur noch einmal sagen: Die entscheidende Begründung ist eine sicherheitspolitische. Wenn das Flugzeug nicht gebraucht würde, würde es nicht bestellt - egal welche industriepolitischen Auswirkungen das hätte. ({5}) - Zu der Industriepolitik komme ich gleich. - Es gibt niemanden, der nicht die Meinung teilt, daß wir auch in der ersten Hälfte des nächsten Jahrhunderts - das reicht bis 2050 - Jagdflugzeuge für die Luftverteidigung brauchen. ({6}) Sie können nicht das ganze Land mit Raketen vollpflastern und versuchen, damit den deutschen Luftraum zu schützen. Daher lautet die Frage, die entschieden werden muß: Wenn wir ein Jagdflugzeug brauchen, bauen wir als Europäer dann ein eigenes oder kaufen wir eines von den Amerikanern, den Russen oder den Chinesen? In dieser Situation ist in der Tat folgendes Argument richtig: Für einen Kontinent wie Europa ist es allemal vernünftig, die Fähigkeit, zivile Flugzeuge wie den Airbus und militärische Flugzeuge zu bauen, auch für die Zukunft abzusichern. Darum geht es bei diesem europäischen Flugzeug. Aber das ist nur das zweite Argument. ({7}) Viele nehmen gar nicht zur Kenntnis - deswegen sage ich es noch einmal für die Öffentlichkeit -, daß mit dieser Entscheidung die Zahl der Jagdflugzeuge in Deutschland weiter reduziert wird. ({8}) - Ich will das kurz klarstellen. - Im Augenblick haben wir in der Bundeswehr - in vier Geschwadern -171 Jagdflugzeuge. Diese Zahl wird in der Zukunft auf 140 reduziert werden. Die dazukommenden 40 Flugzeuge treten an die Stelle von 40 Tornados, die im Verhältnis 1:1 ersatzlos wegfallen werden. Insgesamt erfolgt also eine Reduzierung, gleichzeitig aber auch eine Modernisierung der Flugzeuge in der Bundeswehr, und darauf kommt es an. Wir haben Jagdflugzeuge, die 40 Jahre alt sind. Irgendwann ist es nicht mehr verantwortbar, Piloten mit diesen Flugzeugen in den Einsatz zu schicken. ({9}) Wir sind ein Land, das Streitkräfte im tatsächlichen Einsatz hat. Das sollten Sie nie vergessen. Im Augenblick sind 3000 deutsche Soldaten in Bosnien. Deutsche Flugzeuge - Tornados - werden von Italien aus in Bosnien eingesetzt. Aus Ihrem Verhalten im Jahre 1995 - ich sage das in Richtung Opposition, wobei ich weiß, daß viele mit dem, was ich sage, sympathisieren - können Sie wichtige Rückschlüsse auf die Notwendigkeit dieser Beschaffung ziehen: Als wir damals beschlossen haben, das Morden, den Krieg und die Massaker in Bosnien durch den Einsatz von Flugzeugen - auch von deutschen - zu beenden, ({10}) waren wir uns alle - bis hin zur Hälfte der Grünen, die um den Einsatz gebeten haben - einig, daß es unmoralisch sein kann, Soldaten einzusetzen, daß es aber auch unmoralisch sein kann, sie nicht einzusetzen, und daß es zutiefst moralisch war, deutsche Flugzeuge zusammen mit amerikanischen und anderen Flugzeugen einzusetzen, um das Morden in Bosnien zu stoppen. ({11}) Damals haben Sie nicht gesagt, die Tornados seien zu teuer und zu modern. Vielmehr haben Sie gefragt, ob wir denn zur Sicherheit unserer Soldaten auch das Allerbeste einsetzen. Ich sage Ihnen für die Zukunft: Es wird, wenn es diese Flugzeuge einmal in der Bundeswehr gibt, auch wieder internationale Krisen geben. Es kann sein, daß die Deutschen dann keine Jagdbomber oder ECR-Tornados, sondern Jagdflugzeuge einsetzen werden, wie die Holländer, wie die Dänen. Dann wird jeder in diesem Hause - ob Regierung, ob Opposition - fragen: Habt ihr auch Vorsorge getroffen, damit unsere Soldaten mit den modernsten Flugzeugen eingesetzt werden, damit sie in dem Einsatz sicher sind und damit sie ihren Einsatz erfolgreich durchführen? Dann werden wir diese Flugzeuge haben, und das wird für unsere Sicherheitspolitik wichtig sein. ({12}) Das heißt, im Grunde genommen täuscht diese letzte Dreiviertelstunde hier. Ich kann mich ja gar nicht beklagen: Wir haben inzwischen in Deutschland ein sehr sachliches Beschaffungsklima erreicht, und viele sind darüber enttäuscht, daß die Kampagne gegen das Flugzeug nie wirklich gezündet hat. ({13}) Die Deutschen verstehen das, weil sie wissen: Wir haben die Bundeswehr im Einsatz. Wer diese schwere Verantwortung auf sich nimmt, Bundeswehrsoldaten in den Einsatz zu schicken, der schuldet ihnen auch moderne Ausrüstung. Dieses Flugzeug ist die moderne Ausrüstung für unsere Luftwaffe. Das deutsche Heer steht voll dahinter, denn es weiß ganz genau: Was nützt das modernste Heer, wenn es nicht auch eine moderne Luftwaffe, also den Schutz aus der Luft gibt? Deswegen bitte ich Sie, dem Haushalt zuzustimmen und die anderslautenden Anträge in gebührender Form abzulehnen. Vielen Dank. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erhält das Wort der Abgeordnete Burkhard Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, Sie haben verteidigungspolitisch argumentiert, und ich möchte ökonomisch fragen. 30 Milliarden sind ja ein außerordentlicher Betrag. Wenn Sie jede Woche 100000 Mark ausgeben können, dann brauchen Sie für 30 Milliarden 5 800 Jahre. Das ist ein riesiger Betrag. Nun möchte ich mal wissen, ob sich nach dem Gutachten des Bundesrechnungshofes, irgend etwas geändert hat. Der Bundesrechnungshof hat gesagt, bei der Maschine sei die Bewaffnung nicht entwickelt, es sei die Avionik, also die Elektronik nicht entwickelt. Vor ,allen Dingen habe sich die Industrie geweigert, die nachgefragten Eigenschaften des Flugzeugs verbindlich zuzusichern, also ihre Einhaltung zu garantieren. Der Bundesrechnungshof hat gesagt, wegen des unklaren Gewichtsaufbaus sei es mit großer Sicherheit so, daß diese Eigenschaften nicht erreicht würden. Nun frage ich Sie, ob denn unter diesen Bedingungen rein ökonomisch heute die Entscheidung zu verantworten ist, einen so riesigen Betrag für ein Objekt auszugeben, dessen Eigenschaften nicht einmal zugesichert werden können. Da muß ich mich fragen, wenn es denn die Aufgabe ist, Sicherheit zu erwerben, auch für die Bundesrepublik Sicherheit zu erwerben, ob wir dieses Ziel nicht besser erreichen, wenn wir auch nur einen Teil dieses Betrages für Ausbildungsplätze in der Bundesrepublik und in anderen Ländern, für die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und ähnliches ausgeben. ({0}) Das Ziel auch Ihres Etats ist Sicherheit. Und nirgendwo kann ich erkennen, daß Sicherheit nur mit diesem Flugzeug erworben werden kann. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Möchten Sie antworten? - Bitte.

Volker Rühe (Minister:in)

Politiker ID: 11001897

Herr Kollege Hirsch, es sind Investitionen über 20 Jahre hinweg, die Sie hier zusammengerechnet haben. Im übrigen gibt es die Berechnung von LifeCycle-Costs, also von Kosten, die über den gesamten Lebenszyklus hinweg errechnet werden. Dabei wird beispielsweise auch der Sprit eingerechnet, den die Flugzeuge in den nächsten 50 Jahren verbrauchen. Wenn Sie ein Auto kaufen, wird dann beim Preis angegeben, was Sie in den nächsten 15 Jahren an Betriebskosten für das Auto aufwenden? Das ist schon eine sehr merkwürdige Rechnung, die von einigen angestellt wird. ({0}) Was das einzelne Flugzeug angeht, so haben wir hier die beste Kosten-Nutzen-Relation aller vergleichbaren Flugzeuge auf der Welt. ({1}) Es ist das modernste Flugzeug zu den niedrigsten Kosten. Einige sagen: Dahinter stehen amerikanische Interessen. Denen empfehle ich ein bißchen Recherche. Der eine oder andere Kollegen sagt, das Flugzeug sei nicht modern genug. Gleichzeitig sagen diese Kollegen, es sei zu teuer. Es gibt überhaupt nur ein Flugzeug, das in der Entwicklung noch dahinter zurück ist, das ist die amerikanische F-22. Die kostet schlicht das Doppelte. Deswegen haben wir ja vor vier Jahren eingegriffen und gesagt, wir haben die Möglichkeit, etwas bescheidener vorzugehen. Wir haben bis zu 28 Prozent der Kosten, Herr Kollege Hirsch, pro Flugzeug eingespart. Sie stellen im Grunde genommen die Frage nach dem Sinn von Streitkräften. ({2}) - Ja, natürlich, so wie Sie argumentieren. Wenn Sie der Meinung sind, daß man Streitkräfte braucht, und zwar nicht erst in der Krise, dann ist es nämlich zu spät, sondern vorbeugend, damit militärische Krisen gar nicht erst entstehen, dann brauchen Sie moderne Streitkräfte. ({3}) Sie müssen dazu einen Verbund der Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine bilden. Es ist überhaupt keine Frage: Wenn Sie den Luftraum schon in Friedenszeiten schützen wollen, dann brauchen Sie Jagdflugzeuge; denn Jagdflugzeuge sind im Gegensatz zu Jagdbombern das defensivste Instrumentarium überhaupt. ({4}) - Ein bißchen muß man von der Sache schon verstehen. ({5}) Jagdflugzeuge kontrollieren jetzt im Frieden den Luftraum. Das geht nur mit ihnen. Wollen Sie jedem Flugzeug mit Raketenabschuß drohen, das in den deutschen Luftraum eindringt? Das kann doch wohl nicht wahr sein. Deshalb brauchen wir einen handlungsfähigen Streitkräfteverbund. Die dafür notwendigen Investitionen können Sie nicht gegen die anderen Investitionen in unserer Gesellschaft ausspielen. Die Wirtschaft und die Demokratie in unserem Lande haben sich nur deshalb so gut entwickelt, weil unser Land Mitglied des Bündnisses ist und weil deutsche Soldaten darin mitarbeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine bornierte Antwort! Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Borniert? -

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

So geht es wirklich nicht!)

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Paul Breuer.

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war zu erwarten, daß im Mittelpunkt der verteidigungspolitischen Debatte zum Haushalt 1998 das europäische Jagdflugzeug stehen würde. Deshalb will ich in meiner Rede zuerst auf diese große Investition eingehen. Es ist richtig, daß dieses Projekt zirka 23 Milliarden DM kosten wird. Richtig ist aber auch, daß Deutschland als Land in der Mitte Europas seinen Beitrag für die Landes- und Bündnisverteidigung erbringen muß. Das ist nicht unstrittig; das ist auch Meinung der SPD. Daß wir im Bündnis zu einer weiträumigen Luftverteidigung, sowohl was die Raketenabwehr als auch was die Luftabwehr angeht, fähig sein müssen, ist ebenfalls Meinung der SPD. Das ist Konsens. Umstritten ist die Frage: Auf welche Art und Weise geschieht das? - Wie wird heute argumentiert? Es wird gesagt, das Ganze sei zu teuer und jetzt nicht angebracht, weil Verteilungskonflikte anstehen. Es wird weiterhin gesagt, das gehe zu Lasten der Bildung, der Kindergärten und der sozialen Sicherheit. ({0}) Dabei wird der Eindruck erweckt, als ob der gesamte Betrag von 23 Milliarden DM jetzt fällig werde und auf einmal bezahlt werden müsse. Die Kosten dieses Projektes erstrecken sich aber auf einen Zeitraum von insgesamt 20 Jahren. Das heißt, daß eine jährliche Finanzierung von etwa 1,5 Milliarden DM notwendig ist. Der zweite Fehleindruck, der erweckt wird, ist der, als ob der Verteidigungsetat wegen dieses Projektes erhöht werden müsse. Eine jährliche Summe von 1,5 Milliarden DM ist bei einem Etat in der Größenordnung von etwa 47 Milliarden DM darstellbar und ohne weiteres verantwortbar. ({1}) Wenn man darüber hinaus in Rechnung stellt, daß die Laufdauer dieses Systems etwa 30 bis 40 Jahre betragen wird, dann muß man sagen, daß es eine Investition ist, die man im Hinblick auf eine langfristige Sicherheitsvorsorge sehen muß und die man nicht kurzfristigen tagespolitischen Erwägungen unterziehen darf. Das gilt für die Sicherheitspolitik insgesamt: Sicherheitspolitik ist Vorsorgepolitik und kann nicht von kurzfristigen tagespolitischen Überlegungen abhängig sein. ({2}) An erster Stelle für die Begründung des europäischen Jagdflugzeuges steht für mich die Sicherheitspolitik. Das habe ich bereits gesagt. An zweiter Stelle stehen für mich die europäische Rüstungskooperation, die Wettbewerbsfähigkeit, der Technologieerhalt und die Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Denn das hat Minister Volker Rühe eben sehr deutlich gemacht: Wenn wir ein Jagdflugzeug benötigen, dann wäre es doch absurd, es dann, wenn wir es selbst bauen können, woanders zu bestellen. Was die Argumentation der SPD angeht, so darf ich Sie auch in dieser Debatte daran erinnern, daß der niedersächsische Ministerpräsident Schröder genauso argumentiert. Er sagt sinngemäß: Wenn das Flugzeug notwendig ist - er meint, es sei notwendig -, der Preis darstellbar und es wettbewerbsfähig ist, dann bestellt es doch in Deutschland und in Europa! - Genau dies tun wir. Wo er recht hat, da hat er recht. Meine Damen und Herren, auch heute in dieser Debatte stand wieder die Frage der Struktur der Bundeswehr ein Stück mit im Vordergrund. Ich darf auf die erneute Forderung der SPD, ausgedrückt vom Kollegen Walter Kolbow, kurz eingehen. Es war die Forderung nach einer Wehrstrukturkommission. Lieber Herr Kollege Kolbow, wenn man sich die Positionen der SPD zur Frage der Struktur der Bundeswehr anschaut, dann werden auch Sie zugeben müssen, daß es in Ihrer Partei keine einheitliche Meinung gibt. Da gibt es die Vorstellung, die von Ihrem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Scharping, vorgetragen worden ist, daß die Bundeswehr gegen Ende dieses Jahrhunderts, also in etwa zwei Jahren, eine Stärke von unter 300 000 haben werde. Da gibt es die Vorstellung des Kollegen Opel, der es mit einer Berufsarmee in Kauf nimmt, daß die Bundeswehr auf eine Stärke von 200 000 zurückfällt. Da gibt es die Vorstellung von verschiedenen Kommissionen innerhalb Ihrer Partei, die die Bundeswehr in eine Milizarmee umgestalten wollen. Ich stelle fest: Wir brauchen, was die Gesamtdiskussion über die Bundeswehr angeht, keine Wehrstrukturkommission. Allerdings bin ich davon überzeugt, daß vor allem die SPD eine solche Strukturkommission benötigt, um einmal klar sagen zu können, welche Zukunft sie sich für die Bundeswehr überhaupt vorstellt. ({3}) Lassen Sie mich auf einen Antrag eingehen, der heute ebenfalls zu Debatte steht, nämlich auf den Änderungsantrag der SPD zur Frage des Wehrsoldes. Die Koalition, Union und F.D.P., hat in dieser Legislaturperiode für die Wehrpflichtigen weit mehr getan, als die SPD wahrhaben will. Ich kann mich noch daran erinnern, daß in einer Sitzung des Verteidigungsausschusses, als wir die Zahlen vorgetragen haben, großes Erstaunen bei Ihnen herrschte. Die von uns erreichten Verbesserungen für Wehrpflichtige haben Soldsteigerungen je nach Entfernung zwischen Wohnort und Dienstort von bis zu 63 Prozent erbracht. Wenn Sie heute beantragen, daß der Wehrsold um 2 DM pro Tag steigen soll, dann muß ich feststellen, daß das alles an Ihnen vorbeigelaufen ist. Wenn das, was wir in dieser Legislaturperiode erreicht haben, durch eine Erhöhung des Wehrsoldes, der täglichen Besoldung erreicht werden sollte, müßten Sie den Wehrsold um 9,10 DM pro Tag steigern. Sie laufen, was das angeht, hinter der Zeit und hinter der Realität her. ({4}) Ich möchte aber auch etwas zu dem Antrag im Hinblick auf den Mittelansatz für Ersatzteile und den gesamten Bereich, der damit im Zusammenhang steht, sagen. Ich verweise darauf, daß wir in diesem Jahr eine erneute Steigerung für den Haushalt 1998 von 80 Millionen DM vorgenommen haben und dies auch im letzten Jahr getan haben, so daß über 150 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung stehen. Auch beim Mittelansatz für infrastrukturelle Maßnahmen in den alten Bundesländern haben wir eine Steigerung in diesem Jahr vorgesehen. Ich glaube, daß unter Maßgabe der Bedingungen, die den Gesamthaushalt betreffen, die Ansätze, die von uns getroffen werden, der Realität entsprechen und das Notwendige dadurch veranlaßt werden kann. ({5}) Eine letzte Feststellung zu den Ausführungen von Frau Kollegin Beer: Sie haben in diese Debatte noch einmal die Frage der Minen eingebracht. Frau Kollegin Beer, nehmen Sie zur Kenntnis, daß unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, im Hinblick auf den Einsatz von Personenminen bei den Konferenzen der letzten Monate und Jahre im weltpolitischen Maßstab als Vorbild gewirkt hat. ({6}) Am 1. Dezember dieses Jahres, in wenigen Tagen, wird in Vogelgesang im Landkreis Torgau die letzte deutsche Personenmine vernichtet. ({7}) Wenn ich sehe, was Sie dazu ausführen, stelle ich fest, daß Sie dazu neigen, die Realität völlig umgekehrt darzustellen. Ihre Darstellung entspricht nicht der Wirklichkeit. Ich bin davon überzeugt, daß es uns mit dem Haushalt 1998 gelungen ist, in einer finanzpolitisch schwierigen Zeit das Notwendige und Sachgerechte für eine angemessene Verteidigungsfähigkeit unseres Landes als Beitrag im Bündnis zu tun. Wir werden diesem Haushalt zustimmen und Ihre Anträge ablehnen. Ich fordere Sie auf, sich das alles noch einmal richtig zu überlegen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete Manfred Opel das Wort.

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade wieder erlebt, daß die Koalition behauptet, sie habe alles im Griff, es sei alles richtig, was sie tue. Es ist noch keine dreieinhalb Jahre her, daß Herr Außenminister Kinkel in der Hauspostille der Hardthöhe, in der Zeitschrift „Bundeswehr aktuell" - ich zitiere wörtlich - erklärt hat: Wir brauchen unsere Bundeswehr für wichtige Aufgaben, dafür muß sie eine Stärke von 370 000 Mann haben. Genau zwei Monate später hat die Koalition beschlossen, die Stärke der Bundeswehr auf 340 000 Mann zu reduzieren. Sie, Herr Kollege Rühe, haben gesagt, Sie hätten eine Schwankungsbreite bis 320 000 Mann. Kollege Kolbow hat Ihnen heute vorgerechnet, daß die Bundeswehr eine Stärke von etwas über 320 000 Mann hat, die Schwankungsbreite also ausgeschöpft ist. Das bedeutet, daß das, was Sie hier sagen, das Protokollpapier, auf dem es geschrieben ist, nicht wert ist. Man kann Ihnen das, was Sie sagen, nicht glauben. ({0}) - Ich höre Ihre Zurufe mit Freude. Aber mich überzeugt es nicht, wenn hier Kollegen auftreten, die keinen Tag in der Bundeswehr waren, aber vorneweg sagen, wir bräuchten unbedingt die Wehrpflicht. Dies ist schlicht und einfach für unser Volk nicht überzeugend. ({1}) - Ich weiß, daß Ihnen das wehtut, aber Sie werden es ertragen müssen. Ich möchte dem Kollegen Breuer noch etwas zum Eurofighter sagen. Ich sage Ihnen voraus, daß das Flugzeug so, wie Sie es planen, nicht kommen wird. Herr Kollege Breuer, es kostet nicht 1,5 Milliarden DM pro Jahr, wie Sie gesagt haben. Wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, in den Einzelplan 14 hineinzusehen, den Sie diese Woche ja beschließen wollen, wüßten Sie, daß er ab dem Jahre 2003 über 1,8 Milliarden DM kosten wird, und zwar ohne Bewaffnung. Wenn Sie die Bewaffnung hinzurechnen - das hat der Bundesrechnungshof getan -, entscheiden wir heute nicht über 23 Milliarden DM, sondern über weit mehr als 30 Milliarden DM Beschaffungskosten. Herr Minister Rühe, Ihr eigener Staatssekretär, Herr Professor Timmermann, hat eine Grundsatzweisung für Ihr Haus erlassen. Danach müssen Sie nach sogenannten Lebenszykluskosten entscheiden. Der Bundesrechnungshof sagt, daß sich die Lebenszykluskosten für dieses Flugzeug auf über 91 Milliarden DM belaufen. Rechnen Sie dazu die Bewaffnung für die nächsten 35 Jahre, werden das über 100 Milliarden DM sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem aus den neuen Bundesländern, überlegen Sie, daß wir heute über weit mehr als 100 Milliarden DM entscheiden. Prüfen Sie Ihr Gewissen, ob Sie dem zustimmen können. ({2}) Ich sage Ihnen voraus, daß die Abrüstung weitergeht. Das haben Sie selbst, Herr Kollege Rühe, bei Ihrem Besuch in Polen gesagt. Wenn wir die NATO erweitern - wir haben heute im NATO-Europa im tiefen Frieden 2,6 Millionen Soldaten unter Waffen -, werden wir nach der ersten Stufe der Erweiterung im NATO-Europa fast 3 Millionen Soldaten haben. Die Abrüstung wird weitergehen und weitergehen müssen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Opel, Sie müssen zum Schluß kommen.

Dipl. - Ing. Manfred Opel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich verlange, daß für ein Luftverteidigungsflugzeug ein operatives Minimum genannt wird. Sie haben dieses operative Minimum nicht genannt. Der Bundesrechnungshof hat vorgeschlagen, im ersten Schritt maximal 100 Stück zu beschaffen. Dieses müssen Sie dazusagen, wenn Sie den Bundesrechnungshof zitieren. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache zu dieser Debatte. Zu Einzelplan 14 sind mehrere Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung abgegeben worden, die ich mit Ihrer Zustimmung zu Protokoll nehmen möchte. Es handelt sich um Erklärungen der Abgeordneten Hans Büttner ({0}), Ernst Kastning, Roland Kohn, Dr.-Ing. Rainer Jork, Hans-Dirk Bierling, Manfred Kolbe, Gabriele Fograscher, Dr. Martin Pfaff, Heidemarie Lüth, Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Christa Luft, Rolf Köhne, Dr. Willibald Jacob, Rosel Neuhäuser, Jürgen Türk, Dr. Burkhard Hirsch und Dr. Olaf Feldmann.') Damit kommen wir nun zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu zwei Änderungsanträgen, zu denen namentliche Abstimmung verlangt ist. Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9145 ab. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. - Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das noch nicht abgestimmt hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis gebe ich später bekannt.**) Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9209. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, wieder die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die zweite namentliche Abstimmung. - Ich bin gebeten worden, darauf hinzuweisen, daß es im Anschluß an diese namentlichen Abstimmungen noch mehrere einfache Abstimmungen geben wird. Ich bitte also alle Kolleginnen und Kollegen den Saal noch nicht zu verlassen. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das noch nicht abgestimmt hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Auch dieses Ergebnis wird Ihnen später bekanntgegeben werden. *) Anlage 2 *) Seite 18727 C Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Wir stimmen jetzt über zwei weitere Änderungsanträge der Fraktion der SPD ab. Wir kommen zunächst zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9207. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen der Fraktion der SPD abgelehnt worden ist. Wir kommen nun zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9208. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß auch dieser Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS gegen die Stimmen der Fraktion der SPD abgelehnt worden ist. Es gab keine Enthaltung. Wir kommen jetzt zu vier Änderungsanträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, und zwar zunächst zum Änderungsantrag auf Drucksache 13/9143. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden. Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 13/9144. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt worden. Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 13/9146. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis abgelehnt worden. Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 13/9147. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis abgelehnt worden. Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/9189 ab. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen der PDS und zwei Stimmen aus dem Kreis der Grünen bei sonstiger Enthaltung der Grünen abgelehnt worden. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung, weil wir erst dann zur Schlußabstimmung kommen können. ({1}) Ich eröffne die unterbrochene Sitzung und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmungen bekannt. Zunächst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 13/9145. Abgegebene Stimmen: 636. Mit Ja haben gestimmt: 75. Mit Nein haben gestimmt: 348. Enthaltungen: 213. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 635; davon ja: 75 nein: 347 enthalten: 213 Ja SPD Katrin Fuchs ({2}) Dr. Elke Leonhard Dr. Hermann Scheer BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gila Altmann ({3}) Elisabeth Altmann ({4}) Volker Beck ({5}) Angelika Beer Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({6}) Joseph Fischer ({7}) Rita Grießhaber Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({8}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Egbert Nitsch ({9}) Cern Özdemir Simone Probst Halo Saibold Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt ({10}) Wolfgang Schmitt ({11}) Ursula Schönberger Werner Schulz ({12}) Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer Margareta Wolf ({13}) PDS Wolfgang Bierstedt Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne Rolf Kutzmutz Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({14}) Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz Fraktionslos Kurt Neumann ({15}) Nein CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({16}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Rudolf Braun ({17}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({18}) Hartmut Büttner ({19}) Dankward Buwitt Manfred Carstens ({20}) Peter Harry Carstensen ({21}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjörgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann Anke Eymer Ilse Falk Jochen Feilcke Ulf Fink Dirk Fischer ({22}) Leni Fischer ({23}) Klaus Francke ({24}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis Michael Glos Wilma Glücklich Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund Horst Günther ({25}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({26}) Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser ({27}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise Detlef Helling Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze Josef Hollerith Elke Holzapfel Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({28}) Ulrich Junghanns Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Peter Keller Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler ({29}) Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus Wolfgang Krause ({30}) Andreas Krautscheid Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({31}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach Walter Link ({32}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({33}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({34}) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten Dr. Martin Mayer ({35}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Rudolf Meyer ({36}) Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({37}) Engelbert Nelle Bernd Neumann ({38}) Johannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({39}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau Helmut Rauber Otto Regenspurger Christa Reichard ({40}) Klaus Dieter Reichardt ({41}) Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Dr. Norbert Rieder Dr. Erich Riedl ({42}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({43}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({44}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer ({45}) Ortrun Schätzle Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({46}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({47}) Andreas Schmidt ({48}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz ({49}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte ({50}) Gerhard Schulz ({51}) Frederick Schulze ({52}) Diethard Schütze ({53}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Marion Seib Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Egon Susset Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({54}) Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({55}) Gert Willner Bernd Wilz Willy Wimmer ({56}) Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller SPD Robert Antretter Hans Büttner ({57}) Gabriele Fograscher Dieter Heistermann Erwin Horn Ernst Kastning Hans-Ulrich Klose Dr. Rolf Niese Manfred Opel Dr. Martin Pfaff Rudolf Purps Reinhold Robbe Dieter Schanz Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Horst Schild Verena Wohlleben Peter Zumkley F.D.P. Ina Albowitz Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({58}) Günther Bredehorn Jörg van Essen Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({59}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Detlef Kleinert ({60}) Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine LeutheusserSchnarrenberger Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb I Lisa Peters Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({61}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Wolfgang Weng ({62}) Dr. Guido Westerwelle Enthalten SPD Brigitte Adler Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau Hans Berger Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Lothar Fischer ({63}) Iris Follak Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({64}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Günter Graf ({65}) Angelika Graf ({66}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl Hermann Haack ({67}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold Hiller ({68}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({69}) Frank Hofmann ({70}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({71}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Robert Leidinger Klaus Lohmann ({72}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({73}) Winfried Mante Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({74}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Michael Müller ({75}) Jutta Müller ({76}) Christian Müller ({77}) Volker Neumann ({78}) Dr. Edith Niehuis Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Winfried Penner Georg Pfannenstein Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Günter Rixe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Dieter Schloten Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({79}) Ulla Schmidt ({80}) Dagmar Schmidt ({81}) Wilhelm Schmidt ({82}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({83}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({84}) Reinhard Schultz ({85}) Volkmar Schultz ({86}) Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({87}) Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster Horst Sielaff Erika Simm Johannes Singer Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Günter Verheugen Ute Vogt ({88}) Karsten D. Voigt ({89}) Hans Georg Wagner Hans Wallow Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({90}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({91}) Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Hanna Wolf ({92}) Heidi Wright Dr. Christoph Zöpel F.D.P. Dr. Olaf Feldmann Dr. Burkhard Hirsch Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Abgeordnete ({93}) Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucksache 13/9209. Abgegebene Stimmen: 631. Mit Ja haben gestimmt: 296. Mit Nein haben gestimmt: 331. Enthaltungen: 4. Dieser Änderungsantrag ist ebenfalls abgelehnt. ({94}) Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 631; davon ja: 296 nein: 331 enthalten: 4 Ja SPD Brigitte Adler Robert Antretter Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Klaus Barthel Ingrid Becker-Inglau Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Rudolf Bindig Anni Brandt-Elsweier Tilo Braune Dr. Eberhard Brecht Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Peter Conradi Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Dr. Marliese Dobberthien Peter Dreßen Freimut Duve Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Lothar Fischer ({95}) Iris Follak Norbert Formanski Dagmar Freitag Anke Fuchs ({96}) Katrin Fuchs ({97}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Günter Graf ({98}) Angelika Graf ({99}) Dieter Grasedieck Achim Großmann Karl Hermann Haack ({100}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Dr. Liesel Hartenstein Klaus Hasenfratz Dr. Ingomar Hauchler Dieter Heistermann Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Monika Heubaum Uwe Hiksch Reinhold Hiller ({101}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({102}) Frank Hofmann ({103}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({104}) Sabine Kaspereit Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Dr. Hans-Hinrich Knaape Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Nicolette Kressl Volker Kröning Thomas Krüger Horst Kubatschka Eckart Kuhlwein Helga Kühn-Mengel Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Detlev von Larcher Robert Leidinger Klaus Lohmann ({105}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({106}) Winfried Mante Christoph Matschie Ingrid Matthäus-Maier Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({107}) Ursula Mogg Siegmar Mosdorf Michael Müller ({108}) Jutta Müller ({109}) Christian Müller ({110}) Volker Neumann ({111}) Gerhard Neumann ({112}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Doris Odendahl Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Winfried Penner Georg Pfannenstein Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Günter Rixe Reinhold Robbe Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Dieter Schanz Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Dieter Schloten Günter Schluckebier Horst Schmidbauer ({113}) Ulla Schmidt ({114}) Dagmar Schmidt ({115}) Wilhelm Schmidt ({116}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({117}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({118}) Reinhard Schultz ({119}) Volkmar Schultz ({120}) Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({121}) Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Lisa Seuster Horst Sielaff Erika Simm Johannes Singer Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Dietrich Sperling Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jörg Tauss Dr. Bodo Teichmann Margitta Terborg Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Siegfried Vergin Günter Verheugen Ute Vogt ({122}) Karsten D. Voigt ({123}) Hans Georg Wagner Hans Wallow Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({124}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({125}) Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Berthold Wittich Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({126}) Heidi Wright Dr. Christoph Zöpel BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Gila Altmann ({127}) Elisabeth Altmann ({128}) Volker Beck ({129}) Angelika Beer Matthias Berninger Annelie Buntenbach Amke Dietert-Scheuer Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({130}) Joseph Fischer ({131}) Rita Grießhaber Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Manuel Kiper Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Oswald Metzger Kerstin Müller ({132}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Egbert Nitsch ({133}) Cern Özdemir Simone Probst Halo Saibold Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt ({134}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Wolfgang Schmitt ({135}) Ursula Schönberger Werner Schulz ({136}) Marina Steindor Christian Sterzing Manfred Such Dr. Antje Vollmer Ludger Volmer Margareta Wolf ({137}) F.D.P. PDS Wolfgang Bierstedt Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Ludwig Elm Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs Andrea Gysi Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Köhne Rolf Kutzmutz Heidemarie Lüth Dr. Günther Maleuda Manfred Müller ({138}) Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Steffen Tippach Klaus-Jürgen Warnick Dr. Winfried Wolf Gerhard Zwerenz Fraktionslos Kurt Neumann ({139}) Nein CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten Dr. Wolf Bauer Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({140}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Rudolf Braun ({141}) Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({142}) Hartmut Büttner ({143}) Dankward Buwitt Manfred Carstens ({144}) Peter Harry Carstensen ({145}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann Anke Eymer Ilse Falk Jochen Feilcke Ulf Fink Dirk Fischer ({146}) Leni Fischer ({147}) Klaus Francke ({148}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Michael Glos Wilma Glücklich Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres Kurt-Dieter Grill Wolfgang Gröbl Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund Horst Günther ({149}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({150}) Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser ({151}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise Detlef Helling Dr. Renate Hellwig Ernst Hinsken Peter Hintze Josef Hollerith Elke Holzapfel Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork Michael Jung ({152}) Ulrich Junghanns Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki Volker Kauder Peter Keller Eckart von Klaeden Dr. Bernd Klaußner Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler ({153}) Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski Thomas Kossendey Rudolf Kraus Wolfgang Krause ({154}) Andreas Krautscheid Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Dr. Karl A. Lamers ({155}) Karl Lamers Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Vera Lengsfeld Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach Walter Link ({156}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({157}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({158}) Julius Louven Sigrun Löwisch Heinrich Lummer Dr. Michael Luther Dr. Dietrich Mahlo Erwin Marschewski Günter Marten Dr. Martin Mayer ({159}) Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Rudolf Meyer ({160}) Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({161}) Engelbert Nelle Bernd Neumann ({162}) Johannes Nitsch Claudia Nolte Dr. Rolf Olderog Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({163}) Dr. Gerhard Päselt Dr. Peter Paziorek Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Anton Pfeifer Angelika Pfeiffer Dr. Gero Pfennig Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Dr. Winfried Pinger Ronald Pofalla Dr. Hermann Pohler Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Albert Probst Dr. Bernd Protzner Dieter Pützhofen Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Rolf Rau Helmut Rauber Otto Regenspurger Christa Reichard ({164}) Klaus Dieter Reichardt ({165}) Dr. Bertold Reinartz Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Roland Richter Dr. Norbert Rieder Dr. Erich Riedl ({166}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({167}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({168}) Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Jürgen Rüttgers Roland Sauer ({169}) Ortrun Schätzle Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Gerhard Scheu Norbert Schindler Ulrich Schmalz Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({170}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({171}) Andreas Schmidt ({172}) Hans-Otto Schmiedeberg Hans Peter Schmitz ({173}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Wolfgang Schulhoff Dr. Dieter Schulte ({174}) Gerhard Schulz ({175}) Frederick Schulze ({176}) Diethard Schütze ({177}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Marion Seib Wilfried Seibel Heinz-Georg Seiffert Rudolf Seiters Johannes Selle Jürgen Sikora Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Dr. Gerhard Stoltenberg Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Egon Susset Dr. Rita Süssmuth Michael Teiser Dr. Klaus Töpfer Gottfried Tröger Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Gunnar Uldall Wolfgang Vogt ({178}) Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Theodor Waigel Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Jürgen Warnke Kersten Wetzel Hans-Otto Wilhelm ({179}) Gert Willner Bernd Wilz Willy Wimmer ({180}) Matthias Wissmann Dr. Fritz Wittmann Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Cornelia Yzer Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller SPD Gabriele Fograscher Ernst Kastning Rudolf Purps F.D.P. Ina Albowitz Dr. Gisela Babel Hildebrecht Braun ({181}) Günther Bredehorn Jörg van Essen Paul K. Friedhoff Horst Friedrich Rainer Funke Hans-Dietrich Genscher Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({182}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Dr. Werner Hoyer Dr. Klaus Kinkel Detlef Kleinert ({183}) Roland Kohn Dr. Heinrich L. Kolb Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Günther Friedrich Nolting Dr. Rainer Ortleb Lisa Peters Dr. Günter Rexrodt Dr. Klaus Röhl Helmut Schäfer ({184}) Cornelia Schmalz-Jacobsen Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Irmgard Schwaetzer Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Wolfgang Weng ({185}) Dr. Guido Westerwelle Enthalten CDU/CSU SPD Hans Büttner ({186}) Dr. Martin Pfaff F.D.P. Dr. Olaf Feldmann Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({187}) Behrendt, Wolfgang, SPD Siebert, Bernd, CDU/CSU Wer stimmt nun für den Einzelplan 14 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Einzelplan 14 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - Drucksachen 13/9019, 13/9025 -Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Emil Schnell Michael von Schmude Jürgen Koppelin Es liegen zehn Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Emil Schnell. Bitte, Herr Abgeordneter.

Dr. Emil Schnell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte als Hauptberichterstatter vorab kurz darauf eingehen, was die Ergebnisse der Haushaltsausschußberatungen zum Einzelplan 23, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, waren. Im Ergebnis der Beratungen gab es für das Haus ein Plus von 30 Millionen DM. Ich denke, der Minister kann damit zufrieden sein, und auch die Partnerländer werden zufrieden sein, zumal die Koalition nicht bereit war, auch nur einen Pfennig draufzulegen. Bedauerlich ist die Kürzung der Programmittel um zirka 50 Millionen DM. Dagegen steht die Erhöhung der allgemeinen Wechselkursanpassung um zirka 80 Millionen DM, die der Minister ausschließlich den hellen Köpfen der Opposition zu verdanken hat. ({0}) Eckart Kuhlwein ist schon darauf eingegangen: Mit der Mehrheit der Opposition ist es uns - gegen die Koalition - gelungen, diese unsinnigen und falschen Wechselkurse nicht anzuerkennen und statt dessen einen Ansatz zu wählen, der letztendlich 80 Millionen DM mehr für das nächste Jahr bedeutet. Der Ausgaberahmen bleibt damit etwa bei dem von 1997, also bei 7,666 Milliarden DM. Das bedeutet - wie im letzten Jahr - einen Anteil von 1,7 Prozent am Bundeshaushalt und einen Anteil am Bruttosozialprodukt von nicht einmal 0,3 Prozent. Im Vergleich dazu das Kohlsche Rio-Versprechen: ein Anteil von 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes. So sieht es also aus, wenn Kohl etwas verspricht. ({1}) Als Indikator, wie hoch der Etat des BMZ sein sollte oder sein müßte, dient aus gutem Grund der Finanzplan von Rio. Danach müßte der hier beschlossene Finanzplan 9,643 Milliarden DM betragen. Das heißt also, es fehlen 2 Milliarden DM, bis zum Jahr 2002 sogar 3 Milliarden DM. Wir alle wissen, daß die Verpflichtungsermächtigungen gerade im Haushalt des Entwicklungsministeriums die Schlüsselgröße für die zukünftige Handlungsfähigkeit darstellen. Die gesamten Verpflichtungsermächtigungen bei FZ und TZ, Finanzielle Zusammenarbeit und Technische Zusammenarbeit, haben sich von 1989 mit 5 Milliarden DM bis 1998 mit 5,1 Milliarden DM nicht so entwickelt, wie sich die Verpflichtungen Deutschlands gegenüber der Welt entwickelt haben. Die Kürzungen der VE um 535 Millionen DM bedeuten einen massiven Einschnitt in die Stetigkeit und Handlungsfähigkeit der deutschen Entwicklungspolitik der kommenden Jahre. Der Hauptteil der Kürzungen betrifft die FZ mit 320 Millionen DM und die TZ mit 180 Millionen DM. Sie betreffen somit - leider - die beiden wichtigsten staatlichen Bereiche der Entwicklungspolitik. Die Transformmittel sind im Einzelplan 60 mit 150 Millionen DM zusammengefaßt - ich müßte sagen: endlich -, an dessen Umsetzung auch das BMZ stärker beteiligt werden soll. - Auch hier müßte ich „endlich" hinzufügen. - Das ist gut so. Jedoch ist es notwendig, das Haus auch personell in die Lage zu versetzen, die Mittel sachgerecht einzusetzen, was konkret bedeutet, daß einige Planstellen aus den bisher damit beauftragten Häusern umgesetzt werden müssen. Es muß doch wohl der Grundsatz gelten: Mit den Aufgaben erhalte ich die Mittel und das Personal also die entsprechenden Planstellen. ({2}) Die beantragte bescheidene Umschichtung von vier Planstellen für umfangreiche zusätzliche Aufgaben wurde von der Koalition abgelehnt. Geprüft werden soll, wo die Planstellen für das Transformprogramm in den anderen Ministerien geblieben sind. Da gibt es im nächsten Frühjahr sicherlich einige Überraschungen. Denn es kann ja wohl nicht sein, daß sich etwa 40 Planstellen, die für diesen Bereich vorgesehen waren, plötzlich in Luft auflösen bzw. daß diese Aufgaben nur im Rahmen von Überstunden oder durch andere kreative Formen der Beschäftigung von Mitarbeitern nebenbei wahrgenommen wurden. Hier besteht also Aufklärungsbedarf. Der Titel für die mittel- und osteuropäischen Länder und für die NUS-Förderung wurde gegenüber 1997 um 23 Millionen DM aufgestockt, wobei insbesondere die Übernahme der Zuständigkeiten für Bulgarien zum Ausdruck kommt. Die neueste Kreation des Finanzministers für den 1998er Haushalt heißt Effizienzrendite. Man könnte sie so umschreiben: Spart im Bundesministerium, wo ihr wollt. Nur, wieviel gespart wird, bestimme ich. - Ich bin davon ausgegangen, daß mit der Effizienzrendite keine weiteren Einschränkungen im Kapitel 01, Verwaltungshaushalt, vorgenommen werden sollten, damit dieses Instrument auch Sinn macht. Dem entsprachen die Beschlüsse der Koalition in keiner Weise. Es ist vielmehr der Eindruck entstanden, daß eine gewisse Beliebigkeit - wie auch im gesamten Bundeshaushalt - bei der Feststellung der Effizienzrendite um sich gegriffen hat. So sollte man die gewünschte Eigenverantwortung der Ministerien beim Sparen nicht konterkarieren. Die politischen Stiftungen und Kirchen mußten eine schmerzliche Kürzung von zirka 2,7 Prozent hinnehmen. Wir haben bei den Beratungen diese massiven Einschnitte zum Glück abfangen können. Die Kirchen erhalten nun 7 Millionen DM und die Stiftungen 6 Millionen DM mehr gegenüber dem Regierungsansatz von 275 Millionen DM für die Kirchen und 297 Millionen DM für die Stiftungen. Die VEs wurden ebenfalls erhöht. Nach den sehr brutalen Einschnitten der Regierung im Rahmen der Finanzierung von UNDP und UNIDO konnten wir in den Haushaltsberatungen doch noch ein richtiges Signal setzen. Die vorgesehene Kürzung bei der UNDP von 120 Millionen DM in diesem Jahr auf 90 Millionen DM im nächsten Jahr wurde um 10 Millionen DM abgefangen. Die UNIDO, die im Prinzip schon totgesagt war, kann mit einer Aufstockung um 5 Millionen DM rechnen, so daß der deutsche Beitrag mit rund 15 Millionen DM hoffentlich angemessen ist, um die gestrafften Strukturen am Leben zu erhalten. Die Weltpolitiker des Bundestages wird das sicherlich mit Genugtuung erfüllen. Sie haben massiv darauf hingewirkt, daß der Einschnitt bei den Mitteln für UN-Organisationen nicht in dem ursprünglich geplanten Umfang stattfindet. Das ist, wie ich glaube, gelungen. Die Privatisierung der DEG ist und bleibt ein Dauerbrenner. Die Koalition will die Privatisierung auf Biegen und Brechen durchpeitschen. Schon 1992 wurden die Möglichkeiten einer Privatisierung sehr ausführlich untersucht und schließlich verworfen. Mit einem zweiten Geschäftsführer ist die DEG nun auch aus entwicklungspolitischer Sicht auf gutem Wege. Wir sind der Ansicht, daß nur wegen kurzfristiger und geringer Privatisierungserlöse eine unbedachte und schnelle Privatisierung nicht angezeigt ist. ({3}) Die Regierung ist nach dem Beschluß des Haushaltsausschusses mit den Stimmen der Koalitionsmehrheit nun in der Pflicht, spätestens bis 31. Mai 1998 eine Entscheidung zur DEG zu treffen, die entweder eine Teilprivatisierung, einen Verkauf an die MW oder eine Verschmelzung mit der MW beinhaltet. Die Option, wie sie von der SPD, aber auch von der Regierung gefordert wurde, auch den Status quo, das heißt Volleigentum des Bundes, zu ermöglichen, wurde abgelehnt. Ein weiteres Problem ist die Verbundfinanzierung; sie war ebenfalls ein Thema, das sich durch die gesamten Beratungen zog. Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß das Instrument der Verbundfinanzierung, das erst 1994 als weiteres zinsgünstiges Instrument der Entwicklungsfinanzierung neben der Mischfinanzierung eingeführt wurde, sich in der Vergangenheit durchaus bewährt hat. Durch die Kombination niedrigverzinslicher FZ-Mittel mit Kapitalmarktmitteln der KfW zu einem Verbundkredit lassen sich die ODA-anrechenbaren Leistungen der Bundesrepublik Deutschland nicht unerheblich erhöhen. Die möglichen positiven Wirkungen auf den Arbeitsmarkt durch beschäftigungsfördernde Vorhaben sind neben den entscheidenden entwicklungspolitischen Zielen, besonders der Infrastrukturentwicklung in Entwicklungsländern, ein weiterer Grund. Bisher haben im wesentlichen nur China und Indien diese Mittel erhalten. Ein Einsatz in weiteren wichtigen Partnerländern, zum Beispiel Marokko, Türkei, Malaysia, Südafrika, Namibia, Simbabwe, Chile, Brasilien, Paraguay, Mexiko, Thailand, wäre wünschenswert und sinnvoll. ({4}) Die Nachfrage ist weiterhin hoch. 840 Millionen DM für sinnvolle Projekte können nicht bedient werden, so daß eine zusätzliche Ausweitung des Gewährleistungsrahmens, eine Ausdehnung des Länderkreises und eine Einbeziehung von Ländern mit nur „gutem" Risiko angeraten ist. Der SPD-Antrag auf Erhöhung des Gewährleistungsrahmens um 450 Millionen DM und Erweiterung des Länderrahmens wurde im Ausschuß abgelehnt. Einig sind wir uns allerdings, daß nach einer Evaluierung dieses Instrumentes bis zum Frühjahr 1998 nochmals über einen Ausbau der Verbundfinanzierung befunden werden sollte. ({5}) Durch die unrealistischen Wechselkursannahmen für die Haushaltsaufstellung 1997 und auch für 1998 gab und gibt es erhebliche Risiken. 1997 mußten 150 Millionen DM aus dem Spranger-Etat geschnitten werden, in erster Linie zu Lasten von Programmtiteln. 1998 wird es bei vielen Titeln wieder wechselkursbedingte Mehrausgaben geben. Besonders beim EEF sind schon jetzt Mehrverpflichtungen von zirka 100 Millionen DM abzusehen. Der ursprüngliche Aufstellungskurs für einen US-Dollar betrug im Haushalt 1998 1,5588 DM. Auf der Bereinigungssitzung konnten wir ihn auf 1,7506 DM erhöhen, was auf jeden Fall der Realität ein Stück näher kommt. Leider wurde unser komplexer Antrag zur Entschuldung erneut abgelehnt. Jedoch ist es uns gelungen, eine Ergänzung des Haushaltsvermerkes vorzunehmen, so daß im Rahmen der Schuldendienstregelungen von insgesamt 210 Millionen DM nun auch - neben den Vorhaben zum Schutz und zur Erhaltung der Umwelt sowie zur Armutsbekämpfung - die Bildungsmaßnahmen dazukommen. Das war ein Wunsch nicht nur von uns Haushältern, sondern auch des AWZ. Ich denke, damit können wir alle sehr zufrieden und glücklich sein. Längst überfällig ist eine Weiterentwicklung der Struktur der Entwicklungszusammenarbeit. Ziel dieser Weiterentwicklung sind die Umorganisation des BMZ und die Ausstattung mit mehr Kompetenzen. Zur Zeit kümmern sich mehr als 30 Referate in 13 verschiedenen Ministerien um Entwicklungspolitik - als Spielwiese für alle sozusagen. Eine Effizienzsteigerung und sparsame Mittelverwendung im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit ist so nicht zu machen. Wir fordern, sämtliche entwicklungspolitischen Aufgaben der Bundesregierung im BMZ zu bündeln. Bisher gibt es nur von einem einsamen Abgeordneten der CDU - ich glaube, es ist Herr Armin Laschet, der sich dazu geäußert hat - Denkansätze in diese Richtung. ({6}) - Sie können nachher ja sagen, daß Sie sich da inzwischen einig sind. Wir fordern die Koalition auf, sich nach vorne zu bewegen und eine moderne, wirkungsvolle Struktur der Bundesregierung anzustreben. ({7}) Außerdem sind die stärkere Einbeziehung von NGOs in die Planung und Vergabe von entwicklungspolitischen Projekten und die Ausweitung der Verbundfinanzierung, wie eben schon angedeutet, sinnvoll. Die von uns beabsichtigte Einrichtung eines Fonds bei der MW, der durch einen Teil der Rückflüsse aus Zins- und Tilgungsleistungen der Entwicklungsländer gespeist wird, soll folgenden Zwecken dienen: Erstens. Es sollen die massiven Eingriffe in die Projektarbeit des Ministeriums durch Wechselkursanpassungen ausgeglichen werden und damit eine Stetigkeit der mittel- und langfristigen Arbeit erreicht werden. Das sind wir unseren Partnerländern schuldig. ({8}) Die Verläßlichkeit Deutschlands wird uns in Zukunft sicher nicht schaden. Zweitens soll damit erreicht werden, daß die Überschüsse in Schwerpunktprojekte und Innovationsprojekte der Entwicklungszusammenarbeit fließen, zum Beispiel im Umweltbereich oder auch in Ländern, in denen staatliche Entwicklungszusammenarbeit extrem schwierig ist, wo etwa von NGOs bessere Vorfeldarbeit geleistet werden kann. Es ist einfach mehr Kreativität der Regierung erforderlich. Derzeit hat im allgemeinen das Finanzministerium die Bremserrolle übernommen. ({9}) Es fehlt an dem Willen, gesamtgesellschaftliche Sichtweisen anzuwenden, um die vorhandenen Instrumente kostensparend einsetzen zu können. ({10}) Ein Politikwechsel ist mit diesem Haushalt nicht zu machen. Es lohnt auch nicht, durch marginale Veränderungen und Umschichtungsanträge hier etwas retten zu wollen. Deshalb lehnen wir den Einzelplan 23 ab. Zu den vielen Anträgen von Bündnis 90/Die Grünen werden wir uns der Stimme enthalten. Meine Damen und Herren, das ist die letzte Haushaltsberatung vor dem Regierungswechsel 1998. ({11}) Deshalb gilt mein Dank für die Zusammenarbeit der letzten Jahre den Mitberichterstattern Antje Hermenau, Michael von Schmude und Jürgen Koppelin, dem Minister Spranger ({12}) und seinem Haus, dem AWZ und besonders meiner Arbeitsgruppe mit ihrer Vorderen Adelheid Tröscher. Vielen Dank. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael von Schmude.

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der ersten Lesung des Einzelplans 23 wurden von mir bereits Nachbesserungen auf der Grundlage des Regierungsentwurfs angekündigt. Die Beratungen im Haushaltsausschuß haben dazu geführt, daß von uns, übrigens gemeinsam mit den Kollegen von der Opposition, einige Ansätze aufgestockt wurden. Das widerlegt zugleich die leichtfertigen Behauptungen, die Koalition sei weder für Sachargumente noch für neuere Entwicklungen zugänglich. ({0}) Natürlich hätte auch ich mir das eine oder andere in einer noch größeren Dimension vorgestellt. Aber in Zeiten der Haushaltsenge gibt es eben auch heilsame Zwänge, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wir haben den Regierungsansatz bei den Kirchen um 7 Millionen DM, bei den Stiftungen um 6 Millionen DM, für die mittel- und osteuropäischen Staaten urn 16,941 Millionen DM angehoben. Wir haben erstmalig im Einzelplan 23 eine Position als freiwilligen deutschen Beitrag zum Weltbank-Treuhandfonds für den FCKW-Ausstieg Rußlands, nämlich 559 000 DM Barmittel und 1 Million DM Verpflichtungsermächtigungen, aufgenommen. Der Plafond des BMZ liegt jetzt bei 7,66 Milliarden DM und damit 30 Millionen DM höher, als der Regierungsentwurf es auswies. Der Plafond liegt auch - das muß man dazusagen - um 15 Millionen DM über dem des Haushalts 1997. Auf die Wechselkursproblematik ist schon hingewiesen worden. Aber, lieber Kollege Dr. Schnell, der Erfolg hat immer viele Väter. Ich glaube, das Lob gebührt der Kollegin Hermenau, die diesen Antrag formuliert und eine günstige Minute im Ausschuß genutzt hat, um ihn zu präsentieren. ({1}) Aber es war ein Gebot der Fairneß für die Koalition, dies mitzutragen; denn wir hätten - das wissen Sie alle - ein Leichtes gehabt, das beim Europäischen Entwicklungsfonds oder an anderer Stelle schnell wieder zu saldieren und glattzumachen. Wir bekennen uns aber dazu und tragen dies gern mit. Der Anteil des Haushalts des BMZ am Gesamthaushalt beträgt erneut 1,7 Prozent. Das ist in finanzpolitisch schwierigen Zeiten durchaus vorzeigbar, auch international; denn man muß zumindest teilweise die Mittel aus dem Transform-Programm in Höhe von 150 Millionen DM hinzurechnen, die verstärkt über das BMZ abgewickelt werden. Bei einigen ist die ODA-Quote zur sogenannten heiligen Kuh oder kaiserlichen Werft geworden. Diese liegt jetzt bei 0,32 Prozent. ({2}) - Jawohl, sie liegt bei 0,32 Prozent. Dabei müssen Sie berücksichtigen, daß nur 70 Prozent dieser ODAQuote aus dem Haushalt des BMZ aufgebracht werden und daß ganz andere Faktoren einen erheblichen Zufallseinfluß auf diese Quote ausüben, so zum Beispiel das jeweilige Volumen der bei der Weltbank und anderen Organisationen zu hinterlegenden deutschen Schuldscheine. ({3}) Das tatsächliche deutsche Engagement braucht sich nicht zu verstecken. Die Opposition täte auch aus wahltaktischen Gründen gut daran, dies nicht kleinzureden. Schon zu Zeiten des früheren SPD-Entwicklungshilfeministers Wischnewski wurde gelegentlich auf die finanz- und wirtschaftspolitische Bedeutung des Entwicklungshilfeetats hingewiesen. Mit 6 Milliarden DM Investitionsvolumen verfügt das Ministerium über 10 Prozent der Gesamtinvestitionen des Bundes und liegt damit hinter dem Bundesverkehrsministerium an zweiter Stelle. Über die beschäftigungsfördernden Auswirkungen des Einzelplans wird jetzt Gott sei Dank ideologiefreier, unverkrampfter und pragmatischer diskutiert als in der Vergangenheit. Wirtschaftliche Zusammenarbeit muß sich auch für die Bundesrepublik Deutschland lohnen. Rund 85 Prozent unserer Entwicklungshilfe wirken sich bei uns beschäftigungswirksam aus. ({4}) - 85 Prozent! - Hierbei gibt es noch Reserven, um die wir uns seit einiger Zeit gemeinsam bemühen. Ich denke dabei an die oft unterdurchschnittliche Beteiligung deutscher Unternehmen bei Auftragsvergabe durch internationale Einrichtungen, an die wir ganz erhebliche Beiträge zahlen. Im Rahmen unserer eigenen Möglichkeiten haben wir die Verpflichtungsermächtigungen bei der Finanziellen Zusammenarbeit um 170 Millionen DM erhöht mit der Vorgabe, diesen Mehrbetrag gezielt für Maßnahmen mit beschäftigungsfördernder Wirkung einzusetzen. Der Baransatz für die Finanzielle Zusammenarbeit steigt 1998 um 22 Millionen DM auf nunmehr 2,283 Milliarden DM. Die mögliche weitere Aufstokkung um 250 Millionen DM durch Forderungsverkäufe bleibt erhalten; wir haben also in bezug auf die vorhin vom Kollegen Dr. Schnell angemahnte Flexibilität durchaus etwas getan. In 1997 mußte und konnte von der Möglichkeit allerdings noch kein Gebrauch gemacht werden. Der Gewährleistungsrahmen für die FZ-Verbundfinanzierung wurde auf der Basis des Regierungsentwurfs um 400 Millionen DM auf nunmehr 2,05 Milliarden DM aufgestockt. Mit dieser Garantieleistung des Bundes wird die Kreditanstalt für Wiederaufbau den Finanzierungswünschen, die vornehmlich aus den Staaten China, Indien und Indonesien kommen, entsprechen können. Mit der Neuformulierung „Länder mit gutem Risiko" - wir haben sie bei den Haushaltsberatungen beschlossen - wird sich der Länderkreis ebenso wie die Zahl der deutschen Lieferanten erheblich ausweiten; denn es ist kein Geheimnis, daß gerade im Bereich der Verbundfinanzierung in der Vergangenheit fast nur wenige deutsche Großkonzerne profitiert haben und kleinere, vor allem mittelständische Betriebe wegen der Dimension der Aufträge bestenfalls als Subunternehmer in Frage kamen. Der Haushaltsausschuß hat von der Bundesregierung deshalb einen aktuellen Bericht über die Verbundfinanzierung per 30. April 1998 angefordert, um gegebenenfalls den Gewährleistungsrahmen noch weiter anzuheben. ({5}) Entwicklungshilfe ist vor allem langfristig angelegt. Das bedeutet aber, daß zugleich Unwägbarkeiten und Risiken bei der Haushaltsabwicklung auftreten. Wir haben dies ja beim Abfluß der Mittel aus der Finanziellen Zusammenarbeit erlebt. ({6}) Deutsche Zusagen bei schleppender Projektabwicklung in den entsprechenden Partnerländern hatten zu einem Stau in der sogenannten Pipeline in Höhe von fast 40 Milliarden DM geführt. Das Abarbeiten dieses bedeutenden Volumens bedarf einer Feinsteuerung durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau, bedeutet für die Zukunft aber auch einen vorsichtigen Umgang mit den Verpflichtungsermächtigungen. ({7}) Beim Europäischen Entwicklungsfonds, den wir schon lange aus dem Haushaltsausschuß heraus sehr kritisch begleiten, ist der Mittelabfluß kaum noch realistisch einzuschätzen. Ich nenne einige Zahlen: 1996 betrug der Haushaltsansatz 892,5 Millionen DM; verbraucht wurden ganze 472 Millionen DM. 1997 belief sich der Haushaltsansatz auf 850 Millionen DM; die Mittelabrufe machen bisher - daran wird sich wahrscheinlich auch nichts mehr ändern - ganze 433 Millionen DM aus. Der Ansatz im Regierungsentwurf für 1998 war zunächst 850 Millionen DM. Wir haben diesen Haushaltsansatz bewußt auf 782,346 Millionen DM heruntergenommen, und ich habe die Befürchtung - der Finanzminister sieht das vielleicht etwas anders -, daß auch dieser Ansatz nicht in voller Höhe gebraucht wird. Der Grund dafür ist, daß der 8. EEF noch immer nicht von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert ist. Die Niederlande werden wohl erst im April unterschreiben. Wir sollten einmal überlegen, ob wir uns in Zukunft dabei nicht auch ein bißchen mehr Zeit lassen, zumal die EU die zusätzlichen Mittel in so kurzer Zeit auch gar nicht ausgeben kann. Die Europäische Union sollte allerdings, um effektiver zu arbeiten, auch eine teilweise Umstellung von Zuschüssen auf Darlehen vornehmen. Der multilaterale Anteil am Haushalt des BMZ steigt entgegen unseren Bemühungen 1998 weiter auf 33,06 Prozent an; bisher waren es 32,64 Prozent. Dies ist vor allem auf die Kapitalerhöhungen bei der Afrikanischen und der Asiatischen Entwicklungsbank bzw. deren Fonds in Höhe von 76,3 Millionen DM und natürlich auch auf die schon erwähnten Aufstockungen bei UNDP und UNIDO zurückzuführen. Die Afrikanische Entwicklungsbank - das sage ich hier auch als Ergebnis der Überprüfung des Berichtes, den wir dazu bekommen haben - muß unbedingt ihre Selbstfinanzierungskraft stärken. Schwerpunkt unserer bilateralen Hilfe bleibt Afrika südlich der Sahara. Dorthin gehen allein Kredite und Zuschüsse über die Technische Zusammenarbeit in Höhe von 856 Millionen DM. Dem manchmal schwer abzuschätzenden Mittelabfluß beim BMZ wird durch eine Vielzahl von Dekkungsvermerken im Haushalt Rechnung getragen. So kann zum Beispiel die Nothilfe erforderlichenfalls über die Finanzielle Zusammenarbeit aufgestockt werden. Der Europäische Entwicklungsfonds und die Finanzielle Zusammenarbeit sind wiederum gegenseitig deckungsfähig. All dies ermöglicht ein Reagieren auf die jeweiligen Erfordernisse. Der Haushaltsvermerk zum bilateralen Schuldenerlaß über jährlich maximal 210 Millionen DM wurde auf Betreiben der Koalition erweitert. Nicht nur Maßnahmen der Armutsbekämpfung und des Umweltschutzes, sondern künftig auch nationale Projekte im Bereich der Bildung können beim Schuldenerlaß angerechnet werden. Damit haben die Entwicklungsländer erheblich mehr Spielraum gewonnen, und es gibt bei den einzelnen Projekten auch weniger Abgrenzungsschwierigkeiten. Ich glaube schon, daß dieses Instrument jetzt besser genutzt werden kann; denn in der Vergangenheit wurde der Rahmen von 210 Millionen DM nicht voll ausgeschöpft. Insgesamt haben wir in den vergangenen Jahren seit Bestehen dieser Möglichkeit Forderungen in einer Größenordnung von 425,84 Millionen DM erlassen. Ein genereller bilateraler und zudem noch unkonditionierter Schuldenerlaß kommt für uns allerdings nicht in Frage. Wir bleiben mit unserer Linie dabei in der Gläubigergemeinschaft des Pariser Clubs. Auf diese Solidarität sind wir angewiesen. Es wäre fatal, wenn sich die Gläubigerländer auseinanderdividieren ließen, der eine mal aus dem einen Staat ein bißchen mehr an Rückzahlung herausbekommt, der andere etwas weniger. Dies muß in der Gemeinschaft geschehen; dies muß so bleiben wie auch in der Vergangenheit. ({8}) Die Zinszahlungen - das sage ich hier auch einmal ganz deutlich, Herr Dr. Schuster - und die Tilgungsrückflüsse, die ja sicherlich für uns auch Gewicht haben, würden ganz erheblich Schaden nehmen, wenn wir jetzt den Anschein erweckten, wir könnten dem einen und dem anderen nach und nach Schulden erlassen. Dann würde die Rückzahlungsmoral anderer Länder, die sich bisher wirklich korrekt verhalten haben, ganz erheblich Schaden nehmen. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. 1998 erwarten wir 1 887 Millionen DM an Tilgung und Zinszahlungen. Das sind noch einmal 187 Millionen DM mehr als im Jahr 1997 - ein erheblicher Betrag, der auch im Haushalt gewichtig zu Buche schlägt. Ich will zum Schluß noch kurz auf drei Bereiche eingehen. Der Bund hält das Stammkapital der DEG zu 100 Prozent. Dafür wurden Bundesmittel in Höhe von 1242 Millionen DM und später noch einmal 70 Millionen DM aufgewendet. Der Haushaltsausschuß hat im Rahmen der Privatisierung von Bundesvermögen wiederholt vergeblich ein Konzept angemahnt und deshalb beschlossen, daß endgültig bis zum 31. Mai nächsten Jahres eine Entscheidung vorzulegen ist, die entweder eine Teilprivatisierung oder einen Verkauf an die MW oder eine Verschmelzung mit der MW beinhaltet. Damit soll nicht nur ein nennenswerter Erlös realisiert werden, sondern auch eine Effektivitätsverbesserung zugunsten der Entwicklungshilfe erreicht werden. In der ersten Lesung hatte ich bereits auf die unhaltbare Situation hingewiesen, daß sich bestimmte - vor allem schwarzafrikanische - Länder der Zusammenarbeit mit uns verweigern, wenn es darum geht, die Identität von Asylbewerbern - insbesondere straffällig gewordenen Asylbewerbern - aufzuklären. ({9}) Gute Worte und Seelenmassagen unserer Botschafter reichen offensichtlich nicht aus. Bundesaußenminister Kinkel und SPD-Politiker wie Schröder und Voscherau haben erst vor wenigen Wochen medienwirksam das aufgegriffen, was Bundesminister Spranger seit langem fordert, nämlich ein faires Verhalten der entsprechenden Partnerländer und notfalls ein deutliches Wort. Im Einzelplan 23 wurde deshalb nun auf Antrag der Koalitionsfraktionen nun ein Sperrvermerk über 12 Millionen DM „bis zur Vorlage eines Berichtes, inwieweit aus dem BMZ-Haushalt geförderte Länder bereit sind, abgelehnte Asylbewerber zurückzunehmen", angebracht. Wir können eine Verweigerungshaltung nicht auch noch belohnen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Uschi Eid? ({0})

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte, Frau Kollegin.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Stimmen Sie mir zu, Herr Kollege, daß die Sperrvermerke zum Beispiel in dem Titel, der für die Rückkehr hier lebender rückkehrwilliger Ausländer über das Fachkräfterückkehrerprogramm in ihre Heimat zuständig ist, die dies aber wegen des Sperrvermerkes nicht realisieren können, unsinnig sind, wenn gleichzeitig Menschen hier sind, die nicht zu identifizieren sind und nicht zurückkehren? Stimmen Sie mir zu, daß es eigentlich eine Absurdität ist, wenn Menschen, die zurückwollen, wegen des Sperrvermerks nicht zurückkehren können? ({0})

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Frau Kollegin, ich kann Ihnen da überhaupt nicht zustimmen, denn erstens sind diese Titel nicht vollständig, sondern nur teilweise gesperrt, so daß bis zur Vorlage eines Berichtes ungehindert und ungeschmälert so verfahren werden kann wie in der Vergangenheit auch. Zweitens hätte man natürlich darüber diskutieren können, den Sperrvermerk irgendwo anders im Haushalt anzubringen, aber darauf kommt es überhaupt nicht an. Wir müssen erreichen, daß mit den entsprechenden Ländern, soweit sie von uns Zuwendungen bekommen - das sind ja nicht alle Länder -, eine partnerschaftliche Zusammenarbeit stattfindet. Ich sage es noch einmal: Wir können diese Verweigerungshaltung nicht auch noch belohnen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Armin Laschet (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002718, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege von Schmude, Sie haben die Position des niedersächsischen Ministerpräsidenten dargestellt, der in scharfen Sprüchen das gefordert hat, was Minister Spranger wesentlich differenzierter ausgedrückt hat. Können Sie mir erklären, weshalb Sie dann vom Minister Spranger einen Bericht erwarten? Ich möchte die letzte Zwischenfrage gerne noch einmal aufgreifen, denn sie ist nicht hinreichend beantwortet. ({0}) Dort, wohin Ausländer zurückkehren - das ist ein Ziel unserer Politik -, wenn sie Zukunftschancen in ihren Ländern haben, sperren Sie. Weshalb fordern Sie dann aber von dem Minister, den Sie vorher zu Recht gelobt haben, einen Bericht? ({1})

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, zunächst einmal: Zumindest das Auswärtige Amt, aber auch das Bundesinnenministerium sind in dieser Frage mit betroffen, und alle zuständigen Minister haben sich in der Debatte zu Wort gemeldet. Daher muß sich die Bundesregierung in einem Bericht dazu äußern, wie das künftige Vorgehen aussehen soll. Das Zweite: Gerade bei den Mitteln für die Rückkehrhilfe muß unter Umständen darüber nachgedacht werden, dieselben für den Fall aufzustocken, daß es Regelungen gibt, die zu einer Änderung der bisherigen Praxis führen. Sie haben den niedersächsischen Ministerpräsidenten angesprochen. Der hat ganz andere Dinge von sich gegeben. ({0}) Gerade im Hinblick auf Ihren Hinweis könnte man viele Zeitungen zitieren. Ich nehme einmal den „Kölner Stadt-Anzeiger" vom 23. August 1997, wo es heißt wörtlich: Schröder: „Die Vergabe von Finanzhilfen vor allem an schwarzafrikanische Staaten soll von deren Mitarbeit bei der Abschiebung von Landsleuten aus Deutschland abhängig gemacht werden. " Herr Schröder hat das gesagt; zum Teil ist das zurückgenommen worden. Ich kann ja auch verstehen, daß die SPD das heute nicht gerne hört. Im Moment haben wir ja auch gerade keine Landtags- oder Bürgerschaftswahlen in irgendeinem Land. Aber für einen solchen Fall werden Sie das sicher wieder aus der Mottenkiste herausholen. An den Tatsachen ändert sich aber nichts. Ich will nicht noch einmal darlegen, in welchem Umfang sich Abschiebe- und Ausweisungsfälle angehäuft haben. Zur Frage, wo die Mitarbeiter in den anderen Ministerien geblieben sind. Der Kollege Schnell hat auf den Mißstand hingewiesen, daß bei der Umsetzung des Transform-Programms ein erheblicher Rückgang der Mittel eingetreten ist, der Abbau der beschäftigten Personen in diesem Bereich aber nirgendwo nachvollziehbar ist. In diesem Bereich haben wir Handlungsbedarf. Die Recherchen im Haushaltsausschuß haben dazu geführt, daß man nicht mehr von Planstellen, die irgendwo freigeworden sind, spricht, sondern von „Mannjahren" . Im übrigen sagt man: „Ein Personalhaushalt atmet eben." Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Haushälter werden dafür sorgen, daß die betroffenen Ministerien künftig kräftiger durchatmen, wenn es um ihre Stellenpläne geht, die wir uns ganz genau angucken. Den Mitarbeitern und der Leitung des BMZ sei ausdrücklich für ihren Einsatz unter schwierigen Begleitumständen und insbesondere dafür gedankt, daß der Nachtragshaushalt per Saldo ausgeglichen wurde. Wir, die Koalitionsfraktionen, stimmen dem Einzelplan 23 und dem Nachtragshaushalt uneingeschränkt zu. Schönen Dank. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Antje Hermenau. ({0})

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dergestalt von meinen eigenen Fraktionskollegen ermutigt und auch - so denke ich - mit dem nötigen eigenen Gefühl für die Sache: Herr Kollege von Schmude, es ist nicht ganz sauber, daß wir versuchen, multilaterale und bilaterale Entwicklungshilfe gegeneinander auszuspielen. Ich halte das für falsch. ({0}) Wenn Sie sagen, daß die Vergabekriterien in Europa nicht Ihren Vorstellungen entsprechen und daß wir deswegen im multilateralen Bereich die Gelder zurückhalten sollten, dann sage ich Ihnen: Schicken Sie endlich vernünftige Leute auf die europäische Ebene, die nicht mit einem Karriereknick rechnen müssen, wenn sie sich für die Sache verwenden. ({1}) Ich bin ganz erstaunt, wie Sie es geschafft haben, in 18 Minuten nichts zu sagen. Sie haben es geschafft - wieder einmal -, daß ich nicht erkenne, worin die entwicklungspolitische Linie der Koalition besteht. ({2}) Es gibt keine, ich erkenne sie wirklich nicht. Ich höre aufmerksam zu, aber sie ist nicht zu finden. Ich bin nicht die einzige, die verwirrt ist. Auch der Minister taumelt sozusagen von Ereignis zu Ereignis, wenn er von seinen eigenen Koalitionären in den Haushaltsberatungen überrascht wird. Ich denke, Sie machen das nur deswegen, weil Sie den Gegner verwirren wollen. Es ist Ihnen gelungen. Ich weiß wirklich nicht, worin die entwicklungspolitische Linie der Koalition besteht. Um nun noch einmal auf die so vielgelobte Erhöhung um 30 Millionen einzugehen ({3}) - ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage -: Das ist keine Erhöhung, sondern eigentlich ist das Verrechnungsverschnitt mit den 80 Millionen, die wir durch die Wechselkursanpassung gerettet haben. Im Prinzip wurde der Haushalt um 50 Millionen abgesenkt, um das nur einmal klarzustellen. Wenn Sie jetzt sagen, Herr von Schmude, wir würden eigentlich soviel Geld für Entwicklungshilfe ausgeben und gut dastehen, auch international, dann sage ich: Wissen Sie, der Etat des BMZ beträgt ein knappes Drittel dessen, was jährlich die Tabaksteuer in Deutschland einbringt. Seien Sie vorsichtig mit Ihren Vergleichen. Ich finde das ziemlich peinlich. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pinger? ({0})

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich möchte jetzt keine Zwischenfrage gestatten. ({0}) - Ich brauche keine Hilfe, danke schön. Kommen wir einmal auf diese Sperrvermerke zurück, die Aktion Aberwitz, wie sie durch die Frage der Kollegin Eid im Prinzip auch schon darzustellen versucht wurde. Wie können Sie, da Sie immer damit argumentieren, daß Entwicklungshilfe auch dazu dienen soll, Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten, auf eine so unvernünftige Idee kommen, einen Sperrvermerk in einem Titel auszubringen, der dann nicht genutzt werden kann, der dazu dient, daß Leute, die hier Arbeitsplätze haben, in ihre Heimat zurückgehen und diese Arbeitsplätze frei machen? Das müssen Sie mir einmal erklären. Das ist genauso aberwitzig wie Ihr Vorschlag, die Wechselkursanpassung nicht vorzunehmen. Sie hätten damit eigentlich im haushälterischen Sinne gut gearbeitet, denn Sie hätten so den Investitionshaushalt nach oben gesetzt. Hätten Sie den Plafond durch die Wechselkursanpassung angehoben, was Sie jetzt endlich gemacht haben, wäre der Investitionshaushalt gestiegen, und Sie hätten eine Konfrontation mit Art. 115 vermieden. Sie haben nicht einmal haushälterisch vernünftig entschieden, geschweige denn entwicklungspolitisch. So geht das jetzt seit Jahren. Dieser BMZ-Haushalt - Herr Minister, Sie tun mir fast leid ({1}) ist im Prinzip wie eine Behörde, die seit mehreren Jahren dieselben Geschäftsdaten hat wie ein ostdeutscher Betrieb, der von der Treuhand verwaltet wird und in Liquidation ist. ({2}) Dieses Haus darf nur noch die Geschäfte abwickeln, die es vor Jahren eingegangen ist. Neue dürfen nicht mehr angenommen werden. Genau das ist die Geschäftslage. Es werden keine ordentlichen Zusagen gemacht. Sie lassen dieses Ministerium in der Schwebe. Sie trauen sich nicht so richtig, es abzuschaffen, da ist Ihr christliches oder sonstiges Gewissen davor, denke ich mal so, wie auch immer. Auf der anderen Seite machen Sie dieses Ministerium aber auch nicht arbeitsfähig. Das werfe ich Ihnen hier vor. Sie lassen es auf einem niedrigen Niveau vor sich hindümpeln, und dann beschweren Sie sich noch, wenn die Entwicklungspolitik nach Ihrem Sinne nicht soviel hermacht, wie sie eigentlich hermachen könnte. Sie müssen dem Haus mehr an die Hand geben, dann kann es auch mehr machen. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Kollege Pinger möchte doch noch eine Zwischenfrage stellen.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte Herrn Kollegen Pinger bitten, hinterher eine Kurzintervention zu machen. Ich möchte jetzt keine Zwischenfragen zulassen. Sie können Ihre Linie nachher erklären.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gut. Gilt das für die anderen auch?

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das gilt für die Koalitionäre. Was sie in drei Jahren Haushaltsberatungen nicht geschafft haben, wird eine Zwischenfrage nicht erläutern. Da bin ich mir sicher. ({0}) Gehen wir noch einmal auf diese Konzeptionslosigkeit ein. Da wurde zum Beispiel von seiten der Koalition darüber nachgedacht, das kurzfristige Ernährungsnothilfeprogramm zu kürzen, das mittelfristige Ernährungssicherungsprogramm zu kürzen und das langfristige Programm zur internationalen Agrarforschung zu kürzen. Wenn man kurzfristig kürzt, weil man denkt, daß El Niño ja doch nicht kommt und keine Dürre herrscht usw., dann muß man wenigstens die langfristige Ernährungssicherung in Ruhe lassen. Wenn man denkt, langfristig brauchen wir nicht mehr soviel Geld, aber an El Niño glaubt, dann muß man wenigstens beachten, daß die Getreidepreise steigen werden. Das wurde von der Koalition noch vor zwei Monaten in Frage gestellt. Inzwischen hat die Welternährungsorganisation bereits öffentlich verkündet, die Getreidepreise werden steigen, El Niño schlägt zu. Das konnte jeder nachlesen. Jede Oma hat das im „Spiegel" auf Seiten erklärt bekommen. Nur die Haushälter der Koalition haben es nicht verstanden. Das, finde ich, ist ein Problem, wenn durch solche Zufallsschüsse die Politik eines ganzen Hauses gestaltet wird. Da bleibt uns ja nichts mehr übrig, als ständig nur Kritik üben zu müssen. Sie haben es in diesen sieben Jahren noch nicht einmal geschafft, eine ordentliche Konzeption für die Zeit nach dem kalten Krieg vorzustellen. Nicht einmal das ist Ihnen gelungen. Es wird am Transform-Programm ein bißchen herumgemosert. Dann wird nach harten Kämpfen und viel Gerede ein kleiner Teil des Transform-Programms an das BMZ abgegeben. Es hätte aber längst dort angesiedelt werden müssen. Dafür hätten Sie die Kompetenzen des BMZ erweitern und aus ihm ein Ministerium machen müssen, das dazu dient, die globale Zukunftssicherung herzustellen. Dann wäre es auch für die Empfängerländer kein Problem gewesen, Partner des BMZ zu sein, und sie hätten sich in dem Konzept für die wirtschaftliche Zusammenarbeit wiedergefunden. Dazu hätten Sie aber Kompetenzen aus der Finanzpolitik, aus der Wirtschaftspolitik und aus der Handelspolitik in das BMZ verlagern müssen. Denn dort gehören diese Kompetenzen hin; dort müssen sie vorhanden sein. Und man muß auch das nötige Geld an die Hand bekommen. Diese Konzeption fehlt bei Ihnen völlig. Sie haben weder eine Konzeption in Richtung Osteuropa für die Zeit nach dem kalten Krieg, noch haben Sie, was Sie schon viel länger versuchen, eine Konzeption in Richtung Süden. Es ist ein ausgesprochen beklagenswerter Zustand, mit dem wir uns hier herumschlagen müssen. Durch Ihre Konzeptionslosigkeit ist es sogar richtig schwer, die Kritik begreifbar zu machen. Man muß nämlich ständig Ihren Zickzackkurs beschreiben und erklären. Ich muß sagen, das ist mühsam. Danke. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Abgeordneten Pinger.

Prof. Dr. Winfried Pinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001719, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Frau Kollegin Hermenau, Sie sind eben zu Recht gelobt worden. Das war richtig so. Ich habe gar nichts dagegen, daß hier in deutlicher Form gesprochen wird. Sie haben dann aber in einer Form ausgeteilt, die der Wirklichkeit in der Entwicklungspolitik nicht gerecht wird. Sie haben gesagt, Ihnen fehle das Profil und die entwicklungspolitische Konzeption. Ihnen kann doch nicht entgangen sein, daß die Bundesregierung 1991 Schwerpunkte und Kriterien formuliert hat, die in der Bundesrepublik und darüber hinaus Anerkennung gefunden haben. Dann haben Sie gesagt, es werde nur noch abgewickelt. Sie müssen aber als Haushälterin wissen, daß in diesem Haushalt wieder Verpflichtungsermächtigungen ausgewiesen sind, die gerade die Fortführung dieser Politik, was insbesondere die formulierten Schwerpunkte und Kriterien angeht, ermöglichen. Was die Auseinandersetzung mit der Entwicklungspolitik angeht, würde ich Ihnen raten - nicht in diesen Wochen, in denen Sie sehr viel zu tun haben; es gibt aber auch einmal Wochen und Monate, in denen Sie ein bißchen Zeit haben -, die übersektoralen Papiere aus dem BMZ und all das, was erarbeitet worden ist, nachzulesen. Vielleicht nehmen Sie einmal Gelegenheit, sich mit Ihren beiden Kollegen zu unterhalten, die sehr sachkundig sind, mit denen ich aber nicht immer einer Meinung bin. Sie haben schwer ausgeteilt. Ich muß sagen: Was Sie diesbezüglich abgeliefert haben, war mehr als enttäuschend. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zur Antwort erhält die Kollegin Hermenau das Wort.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Kollege Pinger! Das Austeilen war mir deswegen eine Lust, weil Ihre Konzepte - ich kenne sie - im AwZ schlummern und Staub ansetzen. ({0}) Die Konzepte aus dem BMZ werden ebenfalls nicht zur Kenntnis genommen, weil Sie in der Koalition keine produktive Zusammenarbeit mit Ihren Haushältern haben. Das wissen Sie ganz genau. Wenn Sie diese Zusammenarbeit nicht herstellen können, sind Ihre Konzepte nutzlos. Wenn selbst das Haus, von dem man annehmen muß, es müsse einen gewissen Einfluß auf die Haushälter haben, keinen Einfluß ausüben kann, dann sind Ihre Konzepte ganz umsonst, Herr Pinger. Dann kann ich sie zwar lesen - zum Teil kenne ich sie -, aber sie nützen nichts. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Irmgard Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Jahr habe ich beim Verfolgen der Haushaltsdebatte den Eindruck, daß gerade im entwicklungspolitischen Bereich die Auffassungen zwischen den Kollegen im Haushaltsausschuß und den Fachabgeordneten darüber, was prioritär zu betrachten sei, weit auseinanderklaffen. Insoweit wünschte ich mir, lieber Herr Spranger, daß die haushaltspolitischen Sprecher und speziell die entsprechenden Debattenredner mehr entwicklungspolitisches Verständnis in die Diskussion einbrächten. Ich wünsche mir - man sollte die Hoffnung nie aufgeben -, daß das in der Zukunft noch der Fall ist. Ich kann, Frau Hermenau, aber Ihrer Kritik nun wirklich nicht zustimmen. Der Haushalt, den Minister Spranger vorgelegt hat, spiegelt die Prioritäten wider, die auch in der Diskussion mit dem zuständigen Fachausschuß nicht nur 1991, sondern im Gefolge immer wieder diskutiert und festgelegt worden sind. Natürlich sind Wünsche offen. Das kann in einer Zeit der knappen Kassen überhaupt nicht anders sein. Aber die Frage, wie wir mit knappen Mitteln den größtmöglichen entwicklungspolitischen Effekt erreichen, ist nicht nur erlaubt, ({0}) sondern auch in diesem Haushalt wieder einmal konkret beantwortet worden, ({1}) und zwar durchaus konzeptionell. ({2}) - Warten Sie doch! Die F.D.P. unterstützt den Ansatz, der hier deutlich wird, nämlich mehr Wert auf eine Systemberatung und auf die Förderung von Systemen, zum Beispiel Bildungssystemen, zu legen und damit von reinen Einzelprojekten wegzukommen, wie sie in der Vergangenheit sehr viel stärker im Vordergrund der Entwicklungspolitik gestanden haben. Dies ist in Länderkonzepten deutlich geworden. Das wird auch in diesem Haushalt zum Beispiel darin deutlich, daß der Anteil für die Förderung sozialer Infrastruktur und der dazugehörigen Dienste einen Anteil von 46 Prozent der gesamten BMZ-Mittel ausmacht, wenn man einmal Länderkonzepte und sektorale Konzepte in Übereinstimmung bringt. Hier wird doch deutlich, daß gerade unter dem Zwang der knappen Haushaltsmittel und unter den Prioritäten, die vorgegeben sind, nämlich die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Beachtung von Menschenrechten, Korruptionsbekämpfung und angemessene, gute Regierungsführung, genau dies der richtige Weg ist, um einen größtmöglichen Entwicklungseffekt zu erreichen. Es gibt natürlich noch ein paar Dinge, hinsichtlich deren wir denken, daß wir in der Zukunft weiter darüber diskutieren müssen. Der Anteil der Technischen Zusammenarbeit mit insgesamt 26 Prozent, etwas zurückgehend, spiegelt auch die zunehmende Bedeutung der privaten Investitionen in den Entwicklungsländern, wobei wir uns bewußt darüber sind, daß sich diese Mittel immer stärker auf wenige Länder konzentrieren. Insofern ist die Frage natürlich berechtigt, ob bilaterale Entwicklungszusammenarbeit in eine Konkurrenz mit solchen privaten Investitionen eintreten kann. Daher ist die Frage durchaus zu diskutieren, ob es in der Zukunft richtig sein soll, daß 32 Prozent der gesamten Mittel des BMZ auf die Region Ost- und Südasien konzentriert sind. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang auch einen anderen Streitpunkt zwischen Fachabgeordneten und Haushaltsabgeordneten nicht unerwähnt lassen. Das ist die Frage der Zukunft der Deutschen Entwicklungsgesellschaft. Es ist mir nun wirklich nicht verständlich, wieso eine Institution, die die gesamten Mittel, die sie für entwicklungspolitische Zwecke einsetzt, selbst erwirtschaftet - das tut die DEG seit ihrer eigenen Umstrukturierung -, nicht effizient sein soll. Herr Kollege Schmude, das müssen Sie mir einmal erklären. Das verstehe ich wirklich nicht. ({3}) Die Deutsche Entwicklungsgesellschaft ist sowohl in finanztechnischer wie in entwicklungspolitischer Hinsicht in meinen Augen ein wichtiges Instrument der Entwicklungszusammenarbeit, auf die wir gerade in einer Zeit der Umstrukturierung in vielen Staaten dieser Welt nicht verzichten können. ({4}) Es ist hier vielfach die Frage der Verteilung der Kompetenzen in der Bundesregierung angesprochen worden. Ich habe gerade am Beispiel Bosnien, Herr Kollege, völlig andere Erfahrungen gemacht. Bosnien zeigt uns doch, wie wichtig es ist, daß es eine gute Verzahnung zwischen Friedenssicherung und Friedenserhalt - das kann die Entwicklungspolitik nicht, dazu brauchen wir die SFOR - und Konfliktbewältigung und Konfliktprävention gibt. Dazu kann Entwicklungspolitik einen Beitrag leisten, aber längst nicht allein, sondern hier ist selbstverständlich die Diplomatie, die nach wie vor im Auswärtigen Amt angesiedelt ist, dringend gefordert. Dazu kommen die humanitäre Hilfe, die ebenfalls im Anschluß an das Abflauen eines heißen Konflikts als erste Nothilfe der direkten Ansprechpartner vor Ort bedarf und damit auch im Auswärtigen Amt richtig angesiedelt ist, und die Wiederaufbauhilfe, die zweifellos - weil sie mittel- und langfristig angelegt ist - im Entwicklungshilfeministerium richtig angesiedelt ist. Aber gerade hier wird deutlich, daß eine solche Verzahnung nicht dadurch gelöst werden kann, daß man das Entwicklungshilfeministerium für alles zuständig macht, sondern es gibt gute Gründe für die Kompetenzverteilung so, wie sie ist. Apropos Bosnien: Hier wird sehr deutlich, daß es ein Fehler war, die gesamte Wiederaufbauhilfe der Bundesrepublik Deutschland über die Europäische Union zu geben, weil die Europäische Union bisher in ihren eigenen Entscheidungs- und Vergabestrukturen in keinem Fall den Notwendigkeiten gerecht wird, wie wir sie gerade auch aus unserer deutschen Sicht sehen. Insofern begrüße ich, daß im Haushalt 1998 Mittel für die bilaterale Unterstützung in Höhe von 20,5 Millionen DM vorgesehen sind. Es ist selbstverständlich, Arbeitsplatzauswirkungen auch in der Entwicklungshilfe mit im Blick zu haben. Aber Ziel kann doch nur sein, die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse vor Ort zu verbessern, weil das mittel- und langfristig auch in unserem Interesse liegt. Insofern halte ich eine Sicht, die fast ausschließlich an innenpolitischen Erfordernissen der Arbeitsplatzsicherung orientiert ist, für unzureichend. Danke schön. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen von Schmude das Wort. ({0})

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Hermenau, es hat natürlich einen besonderen Reiz, wenn Sie darzustellen versuchen, welche Auffassungsunterschiede es in unserer Koalition in der einen oder anderen Frage vielleicht gibt. ({0}) Ich will es Ihnen und dem Kollegen Dr. Schnell ersparen, hier darzustellen, welche Defizite auf Ihrer Seite bei der Verständigung oder wo auch immer mitunter in den Gesprächen im Berichterstatterkreis zutage getreten sind. Das Rollenverständnis, das wir uns gegenseitig zugestehen müssen, sieht so aus, daß wir vor allem, liebe Frau Kollegin Dr. Schwaetzer, unter den Gesichtspunkten des Haushaltes abzuwägen haben, was machbar ist. Daß dabei die große Linie, die vorgegeben wird, eingehalten wird, steht völlig außer Frage. Frau Hermenau, ich möchte hier Ihrem Gedächtnis ein wenig nachhelfen. ({1}) - Natürlich gibt es dafür ein Verständnis. Aber - das habe ich auch deutlich gemacht - nicht alles, was wünschenswert ist, ist auch machbar. Man muß dann schon einmal abwägen. Ich sage hier ganz deutlich, Frau Kollegin Hermenau: Wenn Sie hier behaupten, neue Geschäfte und neue Aktivitäten seien mit diesem Haushalt nicht möglich, ist das Schlichtweg falsch. Ich habe dargestellt, auf Grund welcher zusätzlichen Möglichkeiten, die uns zunächst einmal kein Geld kosten, dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit mehr Freiraum gegeben wird: Dies ist beim Schuldenerlaß zum Beispiel die Ausdehnung des Vermerkes auf den Bildungsbereich. Dies ist zum Beispiel auch der jetzt um 400 Millionen DM aufgestockte Gewährleistungsrahmen. Wenn wir befriedigende Auskünfte erhalten, wird dieser Gewährleistungsrahmen noch weiter aufgestockt werden können; da habe ich überhaupt keine Zweifel. Dies ist auch der Haushaltsvermerk, jetzt nur Länder mit geringem Risiko mit einzubeziehen. Dies bringt für das Haus eine größere Flexibilität, um entwicklungspolitisch neue Akzente zu setzen. Dies ist auch die Aufstockung der Verpflichtungsermächtigungen selbst bei der finanziellen Zusammenarbeit. Hier kann man natürlich sagen, 170 Millionen DM seien zu wenig. Sie haben auch mehr gefordert. Das will ich hier auch einmal sagen. Aber Sie sind die Deckungsvorschläge schuldig geblieben. Deckungsvorschläge müssen schon ein wenig realistisch sein. Dies muß ich auch der Opposition abverlangen. Sie monieren hier, der Haushalt gebe auch summenmäßig nicht mehr her. Da muß man doch ganz deutlich sagen: Im 97er Haushalt war die Wechselkursanpassung auch zu verkraften. Im Haushalt 1998 haben wir einen höheren Ansatz. Er liegt um 15 Millionen DM über dem von 1997 und ermöglicht damit, daß die Wechselkurse auf einem ganz anderen Niveau eingerechnet werden können. Niemand weiß, ob die Kurse, die wir angesetzt haben, zu hoch sind. Das wollen wir der Entwicklung überlassen. Niemand weiß - ich habe das deutlich gemacht -, ob der Europäische Entwicklungsfonds die mehr als 780 Millionen DM, die wir dafür vorgesehen haben, überhaupt benötigt. Wenn da ein Freiraum entsteht - wir haben einen Deckungsvermerk -, dann haben wir die Möglichkeit, die FZ aufzustocken; dann haben wir die Möglichkeit, auf andere Haushaltsrisiken zu reagieren. Der Haushalt ist sehr wohl flexibel. Er hat auch noch Reserven - das sage ich hier als Haushälter -, vielleicht ein bißchen mehr, als ich vorgesehen hätte. Ich sage das noch einmal: Die Wechselkursanpassung ist auf Ihre Initiative zurückzuführen. Das will ich Ihnen gern zugestehen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege von Schmude, bei einer Kurzintervention gibt es nur drei Minuten Redezeit. Sie haben jetzt schon vier Minuten geredet.

Michael Schmude (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002039, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann darf ich vielleicht, Frau Präsidentin, nur noch einen Satz sagen. ({0}) Bei der DEG geht es ja darum, Frau Kollegin Dr. Schwaetzer, die Effizienz der Entwicklungshilfe zu steigern, nicht darum, sie in dem Sinne aufzulösen, daß dieses Instrument verschwindet.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Hermenau, bitte.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Streiten ist eine Lust. Das erste Thema: Wechselkursanpassung. Herr von Schmude, ich hatte gerade schon einmal versucht, es Ihnen näherzubringen: Ob die Anpassung zu hoch oder zu niedrig ist, ist natürlich eine Ermessensfrage. So niedrig, wie Sie sie angesetzt haben, war sie auf alle Fälle zu niedrig. Sie haben, wie gesagt, überhaupt nicht haushalterisch gehandelt; denn Sie haben 120 Millionen DM über Wechselkursanpassungen einsparen wollen, davon 80 Millionen DM in einem Haushalt, weil der das Auslandsgeschäft hat. Das ist überhaupt nicht vernünftig. Jetzt wollen Sie eine globale Minderausgabe in allen Haushalten und sammeln das Geld wieder ein - aber gerecht verteilt auf alle Häuser. Das ist vernünftiger. Ich bin froh, daß Sie mir jetzt so viel Lob zollen und im nachhinein der Meinung sind, daß ich recht hatte. Hätten Sie nur früher daran gedacht! Sie haben mit Ihrer nicht überlegten Handlungsweise ein unheimliches Tohuwabohu ausgelöst. Das nächste Thema. Natürlich sind uns mit diesem Haushalt die Hände gebunden. Frau Kollegin Schwaetzer - ich habe genau zugehört - hat gerade davon gesprochen: Es geht vor allen Dingen auch darum, die Programme zu stärken. Ich teile Ihre Auffassung: Weg von den Projekten, hin in die Programme. Warum dann das Ernährungssicherungsprogramm, das im übrigen gut funktioniert - von den 40 Millionen DM, die dort enthalten sind, sind 38,8 Millionen DM rechtsverpflichtend gebunden -, um 1,2 Millionen DM kürzen, so daß genau diese 38,8 Millionen DM übrigbleiben und nicht eine müde Mark mehr? So kann nichts Neues mehr gemacht werden, und das bei einem Programm, von dem alle wissen, daß es wirklich ausgesprochen nützlich ist, weil es zum Beispiel Länder wie Indien, China oder Indonesien im Bereich der Ernährung zu Selbstversorgern gemacht hat. Es ist immer noch besser, solche Länder zu unterstützen, die Ernährung für ihre Bevölkerung zu sichern, als ihnen Waffen zu liefern.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Willibald Jacob.

Dr. Willibald Jacob (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002689, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte das Dilemma zwischen Haushalts- und Entwicklungspolitikern auf eine andere Weise angehen; denn ich vermute, daß hier ein tiefes inhaltliches Dilemma vorliegt. Wir wissen, daß es heute nicht mehr möglich ist, uns vor der Armut und deren Folgen abzuschotten. Die Entwicklungspolitik steht für die richtige Wahrnehmung unserer globalen Verantwortung. Diese beiden Sätze stammen von Herrn Bundesminister Spranger. Ihnen ist hinzuzufügen: Zu keiner Zeit war es so, daß sich Reiche und Wohlhabende vor der Armut und ihren Folgen abschotten konnten. Die Armen waren nämlich ihre Nachbarn. Ob daraus die richtige Wahrnehmung von Wirklichkeit oder gar Verantwortung wurde, war stets offen. So ist es auch heute. Der Aufbau des Einzelplans 23 - wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - spricht dafür, daß die Wirklichkeit, in der wir leben, von der Regierung nur sehr selektiv wahrgenommen wird. Sie sieht nicht, daß eine Wirtschaftstätigkeit, die rigoros Erde und Menschen ausbeutet, selbst Armut verursacht. So werden Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungshilfe zum Alibi oder zum Bestandteil einer umwelt- und menschenfeindlichen Ökonomie. Dafür drei Belege: Erstens. Breiten Raum nehmen im Einzelplan 23 die Förderung deutscher Unternehmen in den Entwicklungsländern, der deutschen Exportwirtschaft und der Weltausstellung Expo 2000 ein. Dies wären eigentlich Aufgaben des Wirtschaftsministeriums. Zweitens. Entwicklungshilfe wird mehr und mehr zum Instrument der Innenpolitik. Finanzielle Hilfe, zum Beispiel bei der Reintegration von Fachkräften in ihrem jeweiligen Land, soll nur gewährt werden, wenn sich die Regierung des Landes bei Abschiebeaktionen kooperativ zeigt. Drittens. Bei dem Aufbau von sozialen Sicherungssystemen ist die Großfamilie als Lastenträger wiederentdeckt worden - für sich genommen ein guter Einfall, der unter dem Gesichtspunkt „Hilfe durch Selbsthilfe" weiter bedacht werden muß. Im Zusammenhang gesehen muß aber ganz klar gesagt werden: Europäische kapitalistische Wirtschaftsweise hat in Asien, besonders in Afrika und Lateinamerika die Familienverbände zerstört oder erheblich deformiert. Wenn staatliches Handeln den traditionellen Strukturen nicht zur Hilfe kommt, dann sind sie verloren, in sehr, sehr vielen Situationen. Die Logik in der Diskussion und in den Projekten der letzten Jahre ist klar. Der Aufbau von sozialen Sicherungssystemen wurde als Bestandteil der Armutsbekämpfung erkannt. Die Wirtschaftsberatung im Süden und im Osten führte dazu, Investitionen und ihre Gewinne zu sichern. Die gegenwärtigen OECD-Verhandlungen um ein Investitionssicherungsabkommen zeigen dies ganz klar. Eines aber wird übersehen: Wer nur Gewinne sichern will, um sie aus dem jeweiligen Land herauszuschaffen, vergrößert die Verarmung der jeweiligen Bevölkerung. Wie schon bei der ersten Lesung des Haushalts 1998 vor zwei Monaten vertieft sich beim Zuhörer unserer Debatten der Eindruck, daß die Bundesrepublik in einer ökonomischen Falle sitzt, ähnlich wie die Entwicklungsländer. Kennzeichen dafür sind: steigende Staatsverschuldung bei gleichzeitiger Privatisierung von Staatsvermögen, steigende Arbeitslosigkeit bei gleichzeitiger Gewinnsteigerung der Exportwirtschaft, zunehmende Steuerflucht bei gleichzeitiger Belastung der Bevölkerung und zunehmender Verarmung. Wir sollten uns durch unterschiedliche Färbungen - durch unterschiedliche Kulturen, Historien, Religionen - nicht täuschen lassen. Durch die wachstums- und profitorientierte Wirtschaftsweise findet heute eine ganz bestimmte Art der Gleichmacherei statt. Wer hier den Sozialstaat abbaut, kann dort nicht soziale Sicherungssysteme fördern. ({0}) Wer hier radikal privatisiert, kann dort nicht indigene Völker schützen. Wer hier die radikale Individualisierung zugunsten eines imaginären Standorts betreibt, kann dort im Ernst nicht die Familie zur Grundlage für soziale Sicherheit machen. ({1}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe den Eindruck, daß dieser Haushalt durch Angst und Selbstverteidigungsreflexe bestimmt ist. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Deshalb lehnt die PDS den Einzelplan 23 ab. In einem Bericht der Bundesregierung zum Aufbau von sozialen Sicherungssystemen in den Entwicklungsländern vom Mai 1996 wird das Bismarcksche Modell der staatlichen Sozialversicherung gewürdigt. Es wäre gut, wir würden in Zukunft bei diesem historischen Rückblick August Bebel nicht vergessen, der mit der alten Sozialdemokratie den Bismarckschen Kompromiß - einen historischen Kompromiß - erzwungen hat. Dies wäre ein Weg, in den sozialen Kämpfen unserer Zeit Kompromisse zu finden und den Gegner als Konterpartner zu entdekken. Noch haben wir die Chance, die diversen August Bebels in ihren Zusammenhängen zu entdecken und zu würdigen, um mit ihnen die den Menschen angemessenen Sozialstrukturen in den armen Regionen und Ländern zu installieren. Danke sehr. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Herr Bundesminister Spranger das Wort.

Carl Dieter Spranger (Minister:in)

Politiker ID: 11002205

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Haushaltsentwurf, der Ihnen vorliegt, ist das Ergebnis langwieriger, detaillierter, schwieriger Beratungen unter erschwerten Rahmenbedingungen. Die haushaltspolitische Gesamtlage zwang zum äußersten Sparen. Davon konnte die Entwicklungspolitik nicht ausgenommen werden; sie hat ihren Teil zur Gesamtkonsolidierung des Bundeshaushalts beizutragen. Bei unseren Programmausgaben waren Absenkungen leider unvermeidlich. Diese betreffen vor allem die Titel für Träger aus Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Technische Zusammenarbeit. Auch die Kürzung des Beitrages für UNDP um 17 Prozent gehört in diesen Zusammenhang. Bedauerlich ist auch die Kürzung bei den Verpflichtungsermächtigungen, die für eine langfristige Aufgabe der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit von besonderer Bedeutung sind. Um die Entwicklungszusammenarbeit auf Dauer mindestens auf dem derzeitigen Niveau fortführen zu können, sind aber künftig wieder höhere Verpflichtungsermächtigungen erforderlich. ({0}) Insgesamt halte ich das Ergebnis der parlamentarischen Beratungen in Anbetracht der Gesamtlage für akzeptabel. Es ist uns immerhin gelungen, die Ausgaben für die Entwicklungspolitik insgesamt auf dem Niveau des laufenden Jahres zu halten. Damit wird dem Stellenwert der Entwicklungszusammenarbeit als eines unverzichtbaren und eigenständigen Politikbereichs innerhalb der Gesamtpolitik der Bundesregierung auch in schwierigen Zeiten Rechnung getragen. ({1}) Wenn es bei diesem Ausgaberahmen bleibt, wird es auch im nächsten Jahr möglich sein, unsere entwicklungspolitischen Instrumente für wichtige Zukunftsaufgaben einzusetzen. Wir haben die Erwartungen unserer Partner in der Welt, daß das wiedervereinigte Deutschland zu seiner gestiegenen internationalen Verantwortung steht, nicht enttäuscht. Dafür gibt es zahlreiche Belege. Die Weltbank, die inzwischen eine mit der unseren weitgehend deckungsgleiche entwicklungspolitische Konzeption verfolgt, sucht eine immer engere Zusammenarbeit mit Deutschland. Sie wird demnächst eine Vertretung in Frankfurt eröffnen. Die Asiatische Entwicklungsbank hat dies bereits im letzten Jahr getan. Frau Kollegin Hermenau, Sie wissen, daß ich Ihre Arbeit und Ihren Einsatz sehr schätze. Aber die Bemerkungen über die angebliche Konzeptionslosigkeit der Koalition im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit gehen doch an den Tatsachen vorbei. Tatsache ist, daß wir seit 1991 eine international und national anerkannte Grundkonzeption haben, die ständig fortgeschrieben wurde. Wer mit dem Präsidenten Wolfensohn in der letzten Woche diskutieren konnte, weiß, in welch hohem Maße beispielsweise die Weltbank das akzeptiert. Ich füge hinzu: An dieser Konzeption haben ja nicht nur die Bundesregierung und die Koalition, sondern auch der AwZ und alle Experten in diesem Hause mitgearbeitet. Das ist ja in hohem Maße unsere gemeinsame Konzeption. ({2}) Das sollten wir auch in seiner Bedeutung nicht herabmindern. Ich muß das trotz aller Anerkennung und Wertschätzung Ihrer Arbeit sagen. Die klare Mehrheitsentscheidung für die Ansiedlung des Wüstensekretariats in Bonn ist ebenfalls ein deutlicher Vertrauensbeweis und ist als internationale Anerkennung unserer entwicklungspolitischen Arbeit zu werten. Auch bei schwierigen Vorstößen wie bei dem Hinterfragen der Rolle der UNIDO treffen wir in der internationalen Gemeinschaft auf Verständnis. Wir haBundesminister Carl-Dieter Spranger ben der Diskussion über die längst überfällige Reform dieser Institution neue Anstöße gegeben. Dies hat zu deutlichen Reformanstrengungen von seiten der UNIDO geführt, die vorzeigbar sind. Was aus der UNIDO wird, wird von ihrer Reformfähigkeit und den Leistungen des neuen Generaldirektors abhängen. ({3}) Der Haushalt von UNIDO ist zwischenzeitlich merklich reduziert worden, nicht zuletzt auf Grund beharrlichen Drängens Deutschlands vor dem Hintergrund unserer Sparbemühungen. ({4}) Deutschland setzt darauf, daß der neue Generaldirektor, der bei der Wahl auch von uns nachdrücklich unterstützt wurde, diese Reformen fortführt. Nicht nur Deutschlands Einfluß in den internationalen entwicklungspolitischen Institutionen nimmt zu. Auch die unmittelbaren Vorteile der multilateralen Zusammenarbeit für den Wirtschaftsstandort Deutschland werden immer augenfälliger. Deutsche Unternehmen haben 1996 von regionalen Entwicklungsbanken und der Weltbank Aufträge in Höhe von 2,2 Milliarden DM erhalten. Dies übertrifft unseren Beitrag an diese Institutionen um 890 Millionen DM; das ist schon ein beträchtlicher Betrag. Ein Feld verlangt weiterhin unsere höchste Aufmerksamkeit, nämlich die Kontrolle und Eingrenzung der entwicklungspolitischen Aktivitäten der Europäischen Kommission. Unser finanzieller Beitrag dafür verschlingt jährlich mehr als ein Zehntel unseres Gesamtetats. Der vor wenigen Tagen der Presse vorgestellte Bericht des Europäischen Rechnungshofes spricht von Verschwendungen in Höhe von rund 8 Milliarden DM. ({5}) Sicherlich liegt es in der Natur von Rechnungshofsberichten - auch unseren -, daß sie keine Lobgesänge auf die Verwaltung anstimmen. Hervorzuheben ist auch, daß der Löwenanteil der Beanstandungen nicht im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit liegt. Dennoch finde ich es wegen der strengen Effizienzmaßstäbe, die wir bei uns anlegen, skandalös, daß zum Beispiel 38 Prozent der Mittel von rund 1 Milliarde DM für die Hilfe an Osteuropa ungenutzt auf den Konten der Empfängerländer herumliegen. ({6}) Von den 430 Millionen DM, die die EU für den Wiederaufbau in Ex-Jugoslawien zur Verfügung gestellt hat, sollen nur 1,3 Prozent tatsächlich verwendet worden sein. ({7}) Diese Beispiele und andere Feststellungen etwa zu den Subventionen überhaupt zeigen, daß die Kontrolle der Verwendung der Mittel gerade in Zeiten knapper Haushaltslage eine ständige Herausforderung für Deutschland als größten Beitragszahler der EU bleibt. ({8}) Auf nationaler Ebene haben wir unsere Hausaufgaben gemacht. Mit dem Haushalt 1998 werden wichtige Akzente für die Zukunft gesetzt, und zwar exakt im Rahmen unserer Konzeptionen, wie der Kollege Pinger in seiner Kurzintervention im einzelnen klargestellt hat. ({9}) - So ist es. - Dies gilt in besonderem Maße in bezug auf die Beteiligung der deutschen Privatwirtschaft und die Förderung der privatwirtschaftlichen Entwicklung in unseren Partnerländern. Das BMZ baut die Instrumente aus, die zusätzliches Privatkapital mobilisieren. Um dem wachsenden Bedarf nach dem kostengünstigen Instrument der Verbundfinanzierung besser gerecht zu werden, wollen wir den Gewährleistungsrahmen zukünftig noch stärker ausweiten. Ich freue mich darüber, daß der Haushaltsausschuß empfohlen hat, die Verbundfinanzierung in einem erweiterten Länderkreis anzuwenden. Der stärkeren Nutzung und Mobilisierung privaten Kapitals für die Entwicklungszusammenarbeit dient auch die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft. Die DEG ist ein tragendes Element in unserer Strategie der öffentlich-privaten Partnerschaft. Sie hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt dem Bereich privater Infrastrukturprojekte zugewandt und Zusagen von über 200 Millionen DM in den Bereichen Krankenhäuser, Eisenbahnen, Telekommunikation, Kleinkraftwerke, Containerhäfen und Transport gemacht. Wir werden auf der Grundlage eines Wirtschaftsgutachtens nach Möglichkeiten suchen, um den entwicklungspolitischen Auftrag der DEG weiter zu stärken. ({10}) Wir haben auch die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, die GTZ, zu einer engeren Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft bewogen. Sie ist gehalten, sich wo immer möglich gemeinsam mit privaten Consulting-Firmen an Ausschreibungen der Weltbank, der Europäischen Union und der ausländischen Auftraggeber zu beteiligen. Wir wollen damit nicht nur zusätzliche Einnahmen erzielen, sondern auch unsere Leistungsfähigkeit in der internationalen Technischen Zusammenarbeit stärker zur Geltung bringen. ({11}) Dies kann den von uns immer abgelehnten Plänen zum Aufbau einer eigenen Durchführungsorganisation der Europäischen Union wirksam vorbeugen. Wir brauchen keine zusätzlichen Verwaltungsapparate. Wir müssen sie, insbesondere im VN-Bereich, eher abschmelzen. Unsere Bemühungen um Einsparungen, Straffungen, Modernisierungen und Effizienzgewinne auf nationaler Ebene sind auch Maßstab für unsere Politik gegenüber multilateralen Institutionen. Diese Botschaft sollte ebenfalls dem Haushaltsentwurf für 1998 entnommen werden. ({12}) Meine Damen und Herren, ich danke allen, die am Zustandekommen dieses Beratungsergebnisses mitgewirkt haben, insbesondere den Berichterstattern, aber auch dem AwZ. Ich darf Sie herzlich bitten, uns bei der Umsetzung in konstruktiver Weise zu begleiten. ({13})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Schuster, SPD.

Dr. R. Werner Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002118, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Spranger, wir beide haben in unserem Lateinunterricht immer wieder den Satz gehört: Repetitio est mater studiorum. Auf deutsch: Nur durch Wiederholung lernt man. Oder politisch: Das Bohren dicker Bretter bedarf der Geduld. In diesem Sinne, Herr Minister, möchte ich jetzt in der zweiten und dritten Lesung versuchen, Sie und Ihr Haus erneut davon zu überzeugen, daß im BMZ Reformen notwendig sind. Insofern stimme ich Frau Hermenau ausdrücklich zu. ({0}) Ich will heute bewußt all die Änderungen wesentlicher Aspekte aus der Entwicklungszusammenarbeit ausblenden, über die Sie nicht allein entscheiden können. Ich will also nicht nach mehr Geld jammern; da bräuchten wir einen anderen Kohl und einen anderen Waigel. ({1}) Ich will nicht über die mangelhafte Kohärenz in der deutschen Politik reden; das ist Kabinettssache. Ich will nicht über die mangelhafte Kohärenz auf EU-Ebene reden; dazu bräuchten wir andere Dialoge mit unseren Partnern. Ich will auch nicht über die Frage der Entschuldung in der dritten Welt reden, und ich will nicht über die Frage der Ungerechtigkeiten durch die WTO reden. ({2}) Das alles können Sie nicht alleine beeinflussen. Ich will auch ganz bewußt das Fehlverhalten unserer Partner im Süden ausblenden. Ich will mich auf das beschränken, was Sie direkt beeinflussen könnten, wenn Sie wollten. Wir reden im Ausschuß permanent über mehr nachhaltige Wirksamkeit und Effektivität von EZMaßnahmen. Denn wenn es - dank des WaigelChaos - schon weniger Geld gibt, sind wir doch verantwortlich dafür, Frau Schwaetzer, daß das Geld effektiver und nachhaltiger wirksam ausgegeben wird. Dann ist man überrascht, wenn man in einer Anhörung hört: Es gibt nach wie vor keine Kriterien für die Frage, wie Nachhaltigkeit aussieht. Wer hindert Sie daran, Herr Minister, solche Kriterien einmal trägerübergreifend erarbeiten zu lassen? Oder, Herr Minister: Wir alle reden darüber, daß die Träger der nachhaltigen Entwicklung vor Ort die Menschen sind. Nach wie vor sind aber die Schwerpunkte Ihrer Arbeit die Regierungsverhandlungen, häufig mit den Regierungen, von denen Sie und wir wissen, daß sie vorhersehbar überfordert sind. Wo bleibt die Partizipation der Zivilgesellschaft in den Entwicklungsländern? Wo bleiben die Länderkonzepte vor Ort, bei denen auch die Partner mitreden können, und das Know-how der deutschen Entwicklungsexperten vor Ort? Wer hindert Sie daran, das zu ändern? Oder, Herr Minister: Mittelabfluß ist noch immer wichtiger als die Frage der nachhaltigen Wirksamkeit. Ihr Vorvorgänger, der von uns allen persönlich sehr geschätzte Johnny Klein, hat bereits 1988/89 im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsplan den Vorschlag zur Schaffung eines Entwicklungsfonds gemacht. So alt ist die Idee schon. Heute reden Sie wieder darüber, Herr von Schmude, aber passiert ist bislang nichts. Wer hindert Sie eigentlich daran? Sie, Herr Minister, sind der Verantwortliche. Oder die Zusammenarbeit der deutschen Durchführungsorganisationen vor Ort: Sie ist nach wie vor die Ausnahme, nicht die Regel. Wer hindert Sie daran, das mit aller Konsequenz zu ändern? ({3}) Oder wenn Sie die EU-Kritik bejammern: Sie haben ja recht. Nur, Sie haben doch dort den Einfluß, nicht wir. Wer hindert Sie daran, mit gutwilligen Geberländern in den einzelnen Entwicklungsländern vor Ort zusammenzuarbeiten? Immerhin geben wir EU-weit 20 Milliarden DM bilateral und 10 Milliarden DM über den EEF und den EU-Haushalt aus. Oder der Einfluß auf die Weltbank: Da gibt es nach wie vor große Defizite. Wer hindert Sie daran, dort etwas mehr Einfluß zu nehmen? Oder das BMZ-Personal: Sie wissen ganz genau, daß Sie nicht mehr Personal bekommen. Warum delegieren Sie nicht stärker an die Durchführungsorganisationen? Warum herrscht bei Ihnen nach wie vor Projektitis? Sie, Frau Schwaetzer, haben verlangt: Programme statt Projekte. Einverstanden, aber er muß das machen. ({4}) Wo bleibt die verstärkte personelle Beteiligung hinsichtlich Europa, Weltbank, UN-Organisationen? Ihr Haus muß sich stärker auf Zielvorgaben, Kontrollen und Dialog vor Ort konzentrieren und weniger auf Projektitis. Meine Damen und Herren, ein letzter Punkt. Wenn wir überhaupt eine Chance haben wollen, brauchen wir für die eine Welt eine verstärkte Lobby, eine andere Bewußtseinsbildung in Deutschland. Sie, Herr Minister, sorgen aber weder dafür, daß die Mittel für die entwicklungspolitische Bildung aufgestockt werden, noch dafür, daß auch die NROs, unsere wirkliche Lobby, entsprechend gefördert werden. Wer hindert Sie daran, das zu ändern? Sie haben in den gesamten Haushaltsberatungen immer wieder gepredigt: Man kann Reformen auch ohne mehr Geld machen. Dem stimme ich zu. Aber das setzt doch voraus, daß Sie gestalten wollen oder gestalten dürfen. Wer wie Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Entwicklungszusammenarbeit als Beitrag einer Weltzukunftspolitik will oder wer wie wir Globalisierung und nachhaltige Entwicklung zusammenbringen will, der braucht wirklich ein effektives, kompetentes BMZ. Der Haushalt 1998 läßt wenig hoffen - leider. ({5})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu zehn Änderungsanträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9148. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9149. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt; Mehrheitsverhältnisse wie zuvor. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9150. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt; Mehrheitsverhältnisse wie zuvor. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9151. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt; Mehrheitsverhältnisse wie zuvor. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9152. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt; Mehrheitsverhältnisse wie zuvor. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9153. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt; Mehrheitsverhältnisse wie zuvor. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9154. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt; Mehrheitsverhältnisse wie zuvor. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9155. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt; Mehrheitsverhältnisse wie zuvor. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9156. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt; Mehrheitsverhältnisse wie zuvor. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9157. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt; Mehrheitsverhältnisse wie zuvor. Wer stimmt für den Einzelplan 23 in der Ausschußfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 23 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 07 Bundesministerium der Justiz - Drucksachen 13/9007, 13/9025 - Berichterstattung: Abgeordnete Gunter Weißgerber Manfred Kolbe Oswald Metzger Dr. Wolfgang Weng ({0}) Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht - Drucksache 13/9017, 13/9025 -Berichterstattung: Abgeordnete Manfred Kolbe Dr. Wolfgang Weng ({1}) Gunter Weißgerber Oswald Metzger Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Gunter Weißgerber, SPD.

Gunter Weißgerber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002464, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten den letzten Haushalt in der laufenden Legislaturperiode. Das ist eine Gelegenheit, ein kleines Resümee zu ziehen. Hauptsächlich spreche ich zum Einzelplan 07. Die Zahlen selbst sind ja, gemessen am Bundeshaushalt, nicht so bedeutend. Mit Schwankungen waren es über die vergangenen vier Jahre immer um die 0,14 oder 0,15 Prozent vom Gesamtvolumen. 1995 waren es rund 680 Millionen DM, 1996 698 Millionen DM und 1997 706 Millionen DM; der Entwurf für 1998 sieht rund 693 Millionen DM vor. Die Zahlen selbst stehen im krassen Gegensatz zur Bedeutung dieses Ressorts. Daß da nicht viel zu kürzen ist, habe ich oft genug gesagt. Es gab wesentliche Vereinbarungen, die ich in die Erfolgsbilanz einreihen würde. Mit dem Haushaltsgesetz 1995 haben wir uns im Haus dazu durchgerungen, die Präambeln für Institutionen wie Bundesgerichtshof, Generalbundesanwalt, BundesverwalGunter Weißgerber tungsgericht und Deutsches Patentamt gemäß den Beschlußempfehlungen der Föderalismuskommission zu aktualisieren. Dieses hat insgesamt sehr viel Schwung gebracht. Im Juli dieses Jahres konnten wir eine wichtige Etappe abschließen: Seitdem ist die Berliner Dienststelle des Bundesgerichtshofs und des Generalbundesanwaltes in Leipzig in der KarlHeine-Straße 12 beheimatet und arbeitet dort seit September. Das ist ein wichtiges Etappenziel; ich bin froh, daß wir dieses erreicht haben. ({0}) Der größere Brocken steht mit dem Bundesverwaltungsgericht an. Ich erinnere Sie daran, daß die ersten Horrorzahlen für den Umbau 400 Millionen DM lauteten. Mit gehörigem Nachdruck sind realistischere Zahlen gefordert worden und dann auch auf den Tisch gekommen. Diese lagen bei etwa 200 Millionen DM. Nun sind etwa 170 Millionen DM für den Umbau des Reichsgerichtsgebäudes in Leipzig veranschlagt. Ich gehe davon aus, auch dieses wird billiger werden. Auch für den Bundesgerichtshof in Leipzig sind statt 21 Millionen DM lediglich 18 Millionen DM verbaut worden. Zu danken habe ich noch einmal den Kollegen im Rechtsausschuß, die es durch ihre Initiative fertiggebracht haben, daß die Wehrdienstsenate, die bisher in München beheimatet sind, ab 2003 auch in Leipzig beim Bundesverwaltungsgericht ausgesiedelt sind. Ab 2. Januar 1998 ist das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig frei. Mein Dank geht an die Stadt Leipzig, die es unter schwierigen Bedingungen geschafft hat, das Gebäude freizuräumen. Der Bundestag kann also den Leipzigern nicht vorwerfen, sie hätten den Mund zu voll genommen und schafften nicht die Realisierung. Ab 2. Januar 1998 kann gewerkelt werden. Auch die Reichsgerichtsbibliothek kommt mit wesentlichen Beständen nach Leipzig. Schade ist nur, daß wir solch enormen Druck ausüben mußten, damit es zu diesem Konsens kommen konnte. ({1}) Die Berliner Außenstelle des Deutschen Patentamtes wird zwischen Januar 1998 und Juni 1999 gleitend umziehen. In Jena werden 183 Stellen geschaffen. Das ist gerade auch für Thüringen ganz wichtig. Für 1998 haben wir im Bundeshaushalt 1,3 Millionen DM für den Bundesgerichtshof in Karlsruhe vorgesehen, die allerdings gesperrt sind. Wir haben im Berichterstattergespräch viel darüber diskutiert, ob es denn gerechtfertigt ist, für Karlsruhe Geld zu veranschlagen, obwohl noch andere Maßnahmen ausstehen. Ich bin der Meinung, daß gerade mit Blick auf den Föderalismus das Bundesjustizministerium und die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit dem Bundesrat und anderen gute Arbeit geleistet haben, und glaube, wir sollten den Bundesgerichtshof hier nicht zu Schaden kommen lassen. Deshalb haben wir dazu beigetragen, daß die 1,3 Millionen DM - zwar noch gesperrt - veranschlagt werden. Sie sind deshalb gesperrt, weil es noch Differenzen zwischen dem Bundesbauministerium, dem Bundesjustizministerium und dem Bundesfinanzministerium gibt. Diese müssen natürlich ausgeräumt werden. Die Bundesregierung kann aber auch ganz anders. Lief das Geschäft der Föderalismuskommission im Bundesjustizministerium recht gut, stelle ich jetzt an einem Beispiel aus dem Innenressort dar, wie unterschiedlich die Bundesregierung hantiert: Es geht um die nichtministerielle Bundesverwaltung am Beispiel des Instituts für Angewandte Geodäsie. Ich will dieses nur kurz erwähnen. Die Bundesregierung will die Verwaltungen konzentrieren und Personal abbauen. Dagegen ist an sich überhaupt nichts einzuwenden. Aber dagegen, daß dies lediglich auf Kosten des Ostens geschieht, ist Einspruch zu erheben. Ich fordere die Bundesregierung auf, dies noch einmal zu überdenken. Es kann nicht nur auf Kosten des Ostens gespart werden. ({2}) Ein weiteres Versagen der Bundesregierung gilt es zu konstatieren: Der Steuerzahler wird mit 16 bis 20 Millionen DM wegen Konkursen von Reiseveranstaltern zur Kasse gebeten. Das war eindeutig ein Versäumnis der Bundesregierung. Dazu sollte sie stehen; bisher ist das abgestritten worden. Der Europäische Gerichtshof hat in dieser Angelegenheit eindeutig Recht gesprochen; wir mußten das im Haushalt veranschlagen. Ein Erfolg ist - damit sind meine Kollegen aus der Arbeitsgruppe Recht der SPD-Bundestagsfraktion sicherlich zufrieden -: Den Täter-Opfer-Ausgleich wird es weiter geben. Bis 1995 ist er mit 300 000 DM im Jahr durch den Bund gefördert worden. Für 1996 war eine hälftige Förderung durch Bund und Länder vereinbart. Das hat auf Länderseite leider nicht geklappt. Aber 1997 haben sich die Länder zu einer besonderen Art der Solidarität durchgerungen und sind mit 151 000 DM in Leistung gegangen, so daß 1997 und in den weiteren Jahren - ich glaube, es ist angemessen, das zu sagen - der Täter-Opfer-Ausgleich weitergehen wird. Das lag uns sehr am Herzen. ({3}) An offenen Problemen, mit denen sich die Berichterstatter für den Justizhaushalt in der nächsten Legislaturperiode herumschlagen müssen, sind zu nennen: Die Föderalismuskommission hat 1992 die sogenannte Rutschklausel beschlossen. Damit ihre Erfüllung gewährleistet werden kann, ist es notwendig, daß auch das der Karl-Heine-Straße 12 in Leipzig benachbarte Grundstück dem Bund gehört. Die Stadt Leipzig hat hier Tauschmöglichkeiten angeboten. Die Bundesregierung sollte darauf eingehen, damit es später nicht heißen kann: In Leipzig kann kein weiterer Senat angesiedelt werden; die haben gar keinen Platz. Das wäre sehr fatal. Kapitel Wehrstrafgerichtsbarkeit: Wir schleppen es die ganzen Jahre mit uns herum. ({4}) Ich finde das ziemlich kurios. Keiner weiß so richtig, warum dieses Kapitel eingerichtet wurde. Auch der Kollege Weng hat das in Berichterstattergesprächen mehrfach angesprochen. Nun wird es wohl ab 1998 an uns liegen, dieses Kapitel endgültig zu streichen. ({5}) Am Freitag werden wir über die Verlängerung der Verjährungsfristen für SED- bzw. Vereinigungsunrecht beraten. Dieses Thema war in den Fraktionen nicht ganz unkompliziert. Ich selbst bin froh, daß es am Freitag zu einer Mehrheit für die Verlängerung dieser Verjährungsfristen kommt. Ich bin auch froh, daß Sozialdemokraten daran maßgeblich beteiligt waren. Ich habe Probleme mit einer These, die in dieser Diskussion auftaucht. Man hört von einigen Politikern, das Oststrafrecht werde sozusagen weitergeführt. Ich halte diese These für sehr gefährlich. Ich glaube nicht, daß es eine Solidargemeinschaft der unbescholtenen Ostdeutschen mit den ostdeutschen Ganoven gibt, zumal das Tatortprinzip gilt: Jeder Westdeutsche, der sich in der Vereinigungsphase schuldig gemacht hat, wird genauso belangt. Also geht es hier nicht um ostdeutsche, sondern um Vereinigungskriminalität. Die können wir nicht einfach ad acta legen. Ich bin wirklich froh, daß wir am Freitag diese Entscheidung treffen. Abschließend möchte ich mich bei meinen Berichterstatterkollegen herzlich bedanken. Die Zusammenarbeit war hervorragend. Auch die Zusammenarbeit mit dem Bundesjustizminister war sehr gut. Seine Vorgängerin ist leider nicht hier. Aber mein Dank gilt auch ihr. Insgesamt lehnt die SPD den Haushaltsentwurf ab. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Manfred Kolbe, CDU/CSU. ({0})

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Diller! Gemessen am Gesamtvolumen von 456 Milliarden DM sind die Einzelpläne 07 und 19, über die wir jetzt beraten, von relativ geringem Umfang. Der Justizhaushalt umfaßt 0,7 Milliarden DM, der des Bundesverfassungsgerichts 0,03 Milliarden DM. Das entspricht gerade 0,15 Prozent des Gesamthaushalts. Wir alle wissen, daß eine Haushaltssanierung nicht in diesen Einzelplänen stattfinden kann. Frau Karwatzki, das muß anderweitig geschehen. ({0}) Gleichwohl trägt die Justiz überproportional zur Haushaltskonsolidierung bei; das soll heute auch hervorgehoben werden. Der Umfang des Gesamthaushalts steigt um 2,7 Prozent, während der des Justizhaushalts um 2,1 Prozent zurückgeht. Die Justiz trägt also überdurchschnittlich zur Konsolidierung der Staatsfinanzen bei. Ein Weiteres sei erwähnt: 63 Prozent des Justizhaushalts werden durch Gebühreneinnahmen finanziert. Wenn das überall so wäre, Frau Finanzstaatssekretärin, ({1}) dann würde es sicherlich richtig Spaß machen, Finanzstaatssekretärin zu sein. Ich weiß, es macht Ihnen auch so Spaß, aber dann würde es Ihnen sicherlich noch mehr Spaß machen. Auch die Entwicklung bezüglich der eben genannten Selbstdeckung verdient hervorgehoben zu werden: Im letzten Jahr waren es 53 Prozent, während es in diesem Jahr 63 Prozent sind, was insbesondere auf das Patentamt in München zurückzuführen ist. Nach diesen allgemeinen Bemerkungen lassen Sie mich auf einige Ansätze zu sprechen kommen, die wir im Ausschuß während der letzten Monate besonders intensiv beraten haben. Das war zum ersten das Ärgernis der internationalen Beitragslasten. Wir waren uns fraktionsübergreifend darin einig, daß der Anstieg unbefriedigend ist. Die Gehälter bei internationalen Organisationen sind hoch und steuerfrei. Ebenso unerfreulich aber ist folgendes: Wenn die dortigen Mitarbeiter in den Ruhestand gehen, dann sind die Versorgungsbezüge nur zu 50 Prozent steuerpflichtig. Daß dann 50 Prozent der Bezüge steuerpflichtig sind, wird offenbar als unzumutbar und menschenrechtswidrig empfunden. Deshalb sind die gezahlten Steuern nach internationalen Übereinkommen von den Sitzstaaten zu erstatten. Das kostet uns beim Europäischen Patentamt zunehmend Geld. Während es 1993 noch 160 000 DM waren, waren für 1997 bereits 690 000 DM veranschlagt; für 1998 sind es über 1 Million DM. Die Tendenz ist steigend. Wir monieren das von Jahr zu Jahr, aber es passiert nichts. Ich appelliere noch einmal an die Bundesregierung, Frau Staatssekretärin, dafür zu sorgen, daß hier etwas passiert. Wir können in Deutschland keine Steuerreform machen, die eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zum Inhalt hat, wenn gleichzeitig bestimmten Personen die Steuern erstattet werden. Das paßt nicht in die politische Landschaft. Ich bin mir sicher, daß auch die Volksvertreter in den USA oder in Japan, die großen Zahlerländer der internationalen Organisationen, das ähnlich sehen. Ein weiterer Punkt, den wir beraten haben - der Kollege Weißgerber hat es angesprochen -, ist die EG-Pauschalreiserichtlinie. Es war die Rede von 20 Millionen DM Schadensersatz. So viel ist es glücklicherweise nicht. Für dieses Jahr waren 16 Millionen DM veranschlagt, von denen bisher nur die Hälfte abgeflossen ist. Im nächsten Jahr können wir die veranschlagten Mittel zurückführen. Wir werden die ursprünglich befürchtete Schadensersatzsumme also nicht brauchen. Der Kollege Weißgerber hat dann einiges zu Leipzig gesagt. Dem darf ich mich anschließen. ({2}) Aber wir haben in dieser Legislaturperiode auch einiges für Karlsruhe getan, Frau Däubler-Gmelin und Herr von Stetten. ({3}) Wir haben für 90 Millionen DM den Neubau für den Generalbundesanwalt errichtet und einen Teilneubau und Teilumbau beim Bundesgerichtshof eingeleitet. ({4}) Man kann mit Fug und Recht sagen: Noch nie ist in Karlsruhe so viel gebaut worden wie in den letzten vier Jahren, ({5}) wobei für die beiden großen Fraktionen zwei Berichterstatter aus der Region Leipzig verantwortlich waren. Das muß auch einmal gesagt werden. ({6}) - Über die Zustimmung des Kollegen Weng freue ich mich ganz besonders. ({7}) Wir werden in Karlsruhe ein neues Senatsgebäude und ein neues Bibliotheksgebäude errichten sowie die Tiefgarage erweitern. Das Ganze wird über mehrere Jahre gehen. Das ist nicht sofort finanzierbar. Aber ein Anfang wird gemacht. Die entsprechenden Ansätze sind gesperrt. Sobald die planungsrechtlichen bzw. baurechtlichen Voraussetzungen vorliegen, werden sie entsperrt. Im Gegenzug - das möchte ich wiederholen - erwarte ich dann aber auch, daß sich der Generalbundesanwalt und der Bundesgerichtshof in Karlsruhe an die getroffenen Vereinbarungen halten. Herr Minister, Sie haben das ja dankenswerterweise bekräftigt. Das heißt insbesondere: neue Senate nach Leipzig. Der Grundsatz „pacta sunt servanda" gilt insbesondere für die Justiz und eben auch für diesen Beschluß der Föderalismuskommission. Wir haben dann über die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit beraten, die 1992 auf Initiative des damaligen Bundesjustizministers Kinkel ins Leben gerufen wurde. Sie soll mittel- und osteuropäischen Staaten im Rahmen des schwierigen Übergangs von der Plan- in die Marktwirtschaft bei der Gesetzgebung und beim Aufbau der Rechtspflege helfen. Wir helfen gegenwärtig elf Ländern Mittel- und Osteuropas. Es ist uns gelungen, den juristischen Sachverstand unseres Landes aus Staat, Wirtschaft und freien Berufen zu mobilisieren und zu kostengünstigen Konditionen oder sogar unentgeltlich für diese Beratungstätigkeit zu gewinnen. Mein Eindruck von der Arbeit dieser Stiftung - ich verfolge sie intensiv - ist, daß hier eine wertvolle Arbeit für den Aufbau der Rechtsordnung in Mittel-und Osteuropa geleistet wird. 1998 wird diese Stiftung über einen Etat von 6,44 Millionen DM verfügen, davon 1,5 Millionen DM aus privaten Spenden. Im Durchschnitt der letzten Jahre war der Bundeshaushalt mit 4 bis 5 Millionen DM dabei. Wir sollten hier aber bedenken, was es uns kostete, wenn in Mittel- und Osteuropa wieder ein diktatorisches Regime an die Macht käme, das aufrüsten und uns zur Gegenrüstung zwingen würde. Vor zwei Stunden bei der Diskussion zum Eurofighter standen hier ja ganz andere Summen im Raum. Angesichts dessen sind diese relativ wenigen Millionen pro Jahr gut angelegt. ({8}) Ich freue mich deshalb, daß die kw-Vermerke für diese Stiftung für 1999 weggefallen sind. Wir haben den Planungshorizont zunächst einmal bis zum Jahr 2001 verlängert. Meine persönliche Meinung - ich kann in diesem Punkt nicht für meine Fraktion sprechen - ist, daß diese Stiftung eine feste Einrichtung sein sollte, bis wir in Mittel- und Osteuropa Zustände haben, die unseren vergleichbar sind. Das Geld ist gut angelegt. ({9}) An einer Stelle haben wir auch Personalmehrungen beschlossen und drei neue A-15-Patentprüferstellen in den Haushalt eingestellt, weil seit 1993 die Patentanmeldungen um 43 Prozent gestiegen, die Planstellen dagegen um 13 Prozent zurückgegangen sind. Die Gebühreneinnahmen sind aber auch gewaltig angestiegen; sie werden von 1997 auf 1998 um weitere 49 Millionen DM ansteigen, was zu dem erfreulichen Ergebnis von 63 Prozent Selbstdeckung führt. Daher sind diese Stellenmehrungen berechtigt. Zum Schluß möchte ich noch auf drei rechtspolitische Anliegen kommen. Erstens Effizienz und Kosten der Justiz: Herr Minister, Rechtsvereinfachung und Verfahrensstraffung bleiben weiterhin Aufgaben der Justizminister. Zweitens Zahlungsmoral: Über kaum etwas wird im Osten Deutschlands so geklagt wie über die schwierige Durchsetzbarkeit von Forderungen bei Gericht, die zu manchem Firmenzusammenbruch geführt hat. Drittens - das hat Kollege Weißgerber bereits angesprochen - die Verlängerung der Verjährungsfristen für SED-Unrecht und vereinigungsbedingte Wirtschaftskriminalität: Darüber werden wir noch in dieser Woche hoffentlich beschließen. Wir beraten jetzt den letzten Haushalt dieser Legislaturperiode. Üblicherweise werden in der neuen Legislaturperiode die Berichterstattungen neu vergeben. Deshalb möchte ich mich bei Ihnen, Herr Minister, Herr Staatssekretär, bei den Beamten Ihres Hauses und auch bei der zuständigen Referatsleiterin im Finanzministerium ganz herzlich für die gute ZuManfred Kolbe sammenarbeit während der vergangenen vier Jahre bedanken. ({10}) Ich bedanke mich auch bei den Mitberichterstattern, den Kollegen Weißgerber, Weng und Metzger, für die gute Zusammenarbeit. Wir haben sachlich diskutiert. Wenn manchmal von Politikverdrossenheit die Rede ist, weil die Politiker nur noch aufeinander einschlagen, ohne die Argumente wechselseitig zur Kenntnis zu nehmen, so gilt für uns, daß wir es anders gehandhabt haben. Abschließend bitte ich Sie, dem Einzelplan 07 und dem Einzelplan 19 in der Ausschußfassung zuzustimmen. Danke schön. ({11})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Freude über die Verlängerung der Verjährungsfristen, die wir morgen beschließen werden, kann ich nicht ganz teilen, aber wir werden das morgen im Detail hier noch diskutieren können. ({0}) - Übermorgen. Ich möchte zwei Punkte voranschicken. Am 15. Mai 1997 hat der Deutsche Bundestag einen Beschluß über die Rehabilitierung und Entschädigung der Wehrmachtsdeserteure gefaßt. Bis heute hat kein Deserteur auch nur eine Mark gesehen. Es gibt lediglich einen inakzeptablen internen Erlaßentwurf des Bundesministeriums der Finanzen, der ganze Opfergruppen ausschließt: Witwen, Kommunisten, Kriegsdienstverweigerer vor Kriegsbeginn und einen Großteil der Wehrmachtsdeserteure selbst. ({1}) Das ist ein Skandal und eine Irreführung von Öffentlichkeit und Parlament. Mischen Sie sich bitte hier ein, Herr Bundesjustizminister, damit wir diese Frage wenigstens bei der Entschädigung zu einem würdigen Abschluß bringen. ({2}) Herr Schmidt-Jortzig, Sie haben einen Gesetzentwurf zur Aufhebung aller NS-Unrechtsurteile angekündigt. Wir begrüßen dies ausdrücklich. Aber bitte machen Sie hier keine halben Sachen. Es wäre eine Katastrophe, wenn hierbei Unrechtsurteile übrigblieben, die quasi posthum einen rechtsstaatlichen Segen des Gesetzgebers erhielten. Dann wäre dieses Projekt moralisch und historisch gescheitert. Nun zur aktuellen Kriminalitätsdebatte. Bei der Suche nach dem Schuldigen für Kriminalität sind der Phantasie offensichtlich keine Grenzen gesetzt. Mit einem Mal sitzt die Justiz selbst auf der Anklagebank: „Zu lasch, zu lau, zu langsam", so tönte Herr Voscherau im Hamburger Wahlkampf. Man frage sich, „was, wann und wofür" die Richter überhaupt arbeiten, legte Niedersachsens Innenminister Glogowski nach. Und Bundesinnenminister Kanther tingelt durch die Lande und verkündet unermüdlich, die Justiz erfülle nicht mehr ihren „Sicherheitsauftrag" - was immer das auch sein mag. „Mehr Härte gegen Bagatellkriminalität" fordert Minister Kanther von der Justiz für seine Erfindung „Aktion Sicherheitsnetz", diese Orgie der Unverhältnismäßigkeit. ({3}) Herr Justizminister, Bündnis 90/Die Grünen begrüßen es ausdrücklich, daß Sie in der letzten Woche endlich die Deckung verlassen und die Rechtsprechung gegen diese pauschalen Anwürfe in Schutz genommen haben. Völlig zu Recht haben Sie gesagt: Es ist ein Grundirrtum zu glauben, es sei primäre „Aufgabe des Strafverfahrens, einen Beitrag zur inneren Sicherheit zu leisten". Sicher, in der Justiz arbeiten Menschen, und Menschen machen Fehler. Ich kann nicht behaupten, mit jedem mir bekannten Urteil einverstanden zu sein. Das gilt nicht nur für zu milde Urteile; nach meinem Geschmack gibt es häufig viel zu harsche Urteile, die den menschlichen Problemlagen nicht immer gerecht werden. An Hand von Einzelfällen darf man aber nicht den Stab über einen ganzen Berufsstand brechen und rechtsstaatliche Prinzipien zum Abschuß freigeben. ({4}) In einem Strafverfahren haben Richter über individuelle Schuld oder Nichtschuld zu entscheiden. Gesichtspunkte der Abschreckung müssen dabei zweitrangig bleiben. ({5}) Herr Justizminister, Ihre klärenden Worte kamen leider viel zu spät, und sie bleiben ohne Konsequenz für Ihre Politik. Wenn Sie mit Ihren Äußerungen ernst genommen werden wollen, müssen auch Taten folgen. Es wird Zeit, daß Sie im Kabinett gegen die „Aktion Sicherheitsnetz " Ihr Veto einlegen. Sie dürfen nicht zusehen, wie Ihr Kabinettskollege die Justiz ständig denunziert. Durch Ihre sogenannte Strafrechtsreform haben Sie allerdings selbst dazu beigetragen und die gegenwärtige Entwicklung begünstigt. Unter dem Deckmantel der Angleichung wurden die Strafen in einem bisher noch nicht dagewesenen Ausmaß angehoben. Wer mit der Gleichung „Mehr Strafrecht ist gleich mehr Sicherheit" versucht, an den Stammtischen Punkte zu sammeln, darf keine Krokodilstränen vergießen, wenn die Menschen die Einlösung der Sicherheitsversprechen fordern. Volker Beck ({6}) Zu einem anderen Punkt. Herr Minister, ich kann auch verstehen, wenn Sie es persönlich mit den Grundrechten beim Lauschangriff nicht ganz so genau nehmen. ({7}) Schließlich verdanken Sie dem Lauschangriff ja Ihren Job in der Regierung. ({8}) Es sollte aber zu denken geben, daß die vorgeschlagene Regelung in der Anhörung des Rechtsausschusses überwiegend kritisiert wurde. Vor allem der geplante Wanzeneinsatz in Beichtstühlen, Redaktionen, Arzt- und Anwaltspraxen stieß zu Recht auf Empörung. ({9}) Daß diese Bedenken nun auch in Koalition und SPD zumindest diskutiert werden, ist ein kleiner Fortschritt. ({10}) Nützen wird das - so fürchte ich - nichts. Bayern hat bereits signalisiert, daß man einer Aufweichung des gefundenen Kompromisses in keinem Fall zustimmen würde.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Beck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Beck, ich weiß nicht, ob Sie bei der Anhörung zugegen waren. ({0}) - Ist Ihnen denn dann vielleicht mitgeteilt worden, daß von sachverständiger Seite und mit guten Gründen darauf hingewiesen worden ist, daß das Beichtgeheimnis durch Art. 4 des Grundgesetzes geschützt ist und daß auf Grund von Art. 4 des Grundgesetzes ein absolutes Beweiserhebungsverbot besteht, daß wir weiterhin mit Kirchenvertretern erörtert haben, daß wir das - nur zur Klarstellung, damit sich niemand die Sorgen macht, die von einigen Leuten verbreitet werden - in die Begründung der Grundgesetzänderung hineinschreiben werden? Haben Sie davon erfahren, Herr Kollege? ({1})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe davon erfahren, Herr Schily, weil ich mich über die Anhörung genau unterrichten ließ. Herr Geis, ich finde, wenn wir solche Anhörungen in sitzungsfreien Wochen genehmigen, damit das parlamentarische Verfahren nicht angehalten wird, und uns nicht auf die Hinterfüße stellen, obwohl wir andere terminliche Verpflichtungen haben, dann sollte man eine solche Frage nicht als süffisanten Kommentar verwenden. ({0}) Ich habe mich sehr genau kundig gemacht, was meine Kollegen Manfred Such und Gerald Häfner zu diesem Thema gesagt haben ({1}) und was von Sachverständigen gesagt wurde. Mir ist auch bekannt, daß diese Frage von Ihnen gestellt wurde. Daher habe ich auch erfahren, daß das Thema von den Sachverständigen sehr unterschiedlich gesehen wurde. Sie teilen Ihre Auffassung nicht unbedingt. Darüber hinaus teilt auch der bayerische Innenminister Beckstein die Auffassung, die Sie eben angedeutet haben, nicht. Denn er hat in dieser Woche ausdrücklich betont, daß mit ihm der Beichtstuhl nicht zu einem Ort werde, in dem die Wanze generell nicht angewandt werde. Vielmehr werde Bayern im Bundesrat darauf Wert legen, daß dies nicht sakrosankt bleibe. Damit scheint mir diese Frage innerhalb der Gruppe der antragstellenden Fraktionen politisch noch nicht ausdiskutiert zu sein. ({2}) Ich meine, wir sollten in dieser Frage aber ganz genau sein. Das ist nämlich eine sehr problematische Entwicklung. Das Zeugnisverweigerungsrecht, das damit faktisch umgangen wird, baut eine wichtige Brücke für die Rückkehr in die Gesellschaft. Das gilt übrigens nicht nur bei den Seelsorgern, sondern auch bei den anderen Berufsgruppen, für die es besteht. Durch Menschen, die die Straftäter beraten, wie sie den Weg zurück in die Gesellschaft gehen können, wird ebendieser oft erst eröffnet. Das Vertrauen, das wir diesen Berufsgruppen gegenwärtig garantiert haben, ist das Fundament dieser Tätigkeit. Deshalb bin ich der Ansicht, daß Zeugnisverweigerungsrechte für bestimmte Berufsgruppen ohne die Einführung von Beweiserhebungsverboten - so weit wollen Sie ja nicht gehen - faktisch zur Farce werden. Es nützt gar nichts, wenn Geistliche, Anwälte und Therapeuten vor Gericht nicht auszusagen brauchen, aber heimlich gefertigte Aufnahmen der Gespräche dennoch im Gerichtssaal vorgespielt werden können.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Beck, der Kollege Schily möchte noch eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie das?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, eine letzte. Ich denke, wir alle wollen in dieser Volker Beck ({0}) Debatte vorankommen. Außerdem befassen wir uns nächste Woche auch noch im Ausschuß damit.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Herr Kollege Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Beck, ich bedanke mich für Ihre Großzügigkeit. Was ist denn Ihre Auffassung zu Art. 4 des Grundgesetzes? Sind Sie der Auffassung, daß der Art. 4 des Grundgesetzes ein absolutes Beweiserhebungsverbot zugunsten des Beichtgeheimnisses konstatiert, wobei sich das ja nicht nur auf den Beichtstuhl beschränken, sondern etwa auch auf die Parkbank erstrecken würde, auf der eine Beichte abgelegt wird?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir müssen uns in diesem Zusammenhang zunächst einmal von dem Bild des Beichtstuhls lösen. Das ist ja zunächst einmal eine Metapher. Es muß um jedes seelsorgerische Gespräch gehen, wo ein Seelsorger, egal, welcher Religionsgemeinschaft, der unter das Zeugnisverweigerungsrecht fällt - ({0}) - Darf ich ausreden, oder wünschen Sie das Wort? ({1}) Ich kann einfach warten, bis ich mir wieder Gehör verschaffen kann.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Bitte ein bißchen mehr Aufmerksamkeit.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin der Auffassung, daß das, was Sie hier in dieser Verfassungsänderung vorgeschlagen haben, nicht rechtsklar ist. Wenn Sie das so meinen und keine Sorge haben, dann müssen Sie das in Ihren Entwurf zur Grundgesetzänderung eindeutig hineinschreiben. Es geht mir - das habe ich übrigens gesagt - nicht nur um die Geistlichen, es geht mir um die Anwälte, es geht mir um die Steuerberater, es geht mir um die Ärzte, und die dürften ja auch nach Ihrer Auffassung nicht unter den Schutz des Art. 4 gelangen. Ich glaube, eines hat die Diskussion, die wir hier so heftig über ein Randthema führen, gezeigt: wie weit wir mit diesem Lauschangriff in der Grundrechtseinschränkung gehen. Die Behauptung, beim großen Lauschangriff würde es um das Abhören von „Gangsterwohnungen" gehen, wird eindeutig Lügen gestraft. Es geht darum, daß in Zukunft niemand darauf vertrauen kann, egal in welcher Situation, sein privater Rückzugsbereich bleibe vor dem Zugriff des Staates verschont. ({0}) Die Einführung des großen Lauschangriffs ist eine verhängnisvolle Fehlentwicklung und muß deshalb gestoppt werden. ({1}) Deshalb kann man nur hoffen und beten, der heilige Nepomuk, der Schutzheilige des Beichtgeheimnisses, möge uns beistehen und dieses unselige Projekt gänzlich verhindern. ({2}) Herr Minister, zum Schluß: Von einem Justizminister erwartet man, daß er Anwalt für Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit ist, daß er den Rechtsstaat modernisiert. Sie üben Ihr Amt vielmehr als Justitiar der Koalition aus, zum Teil als Leiter der Rechtsabteilung von Herrn Kanther. Das haben wir bei der Strafrechtsreform gesehen. Die Rechtspolitik dieser Regierung setzt die falschen Schwerpunkte. Von wirklichen Reformen keine Spur. Staatsbürgerschaft, Drogenpolitik, Antidiskriminierungsgesetze oder Lebensgemeinschaftsrecht - überall Fehlanzeige. Stillstand und Halbherzigkeit auf der ganzen Linie. Dieser Rechtspolitik erteilen wir eine Absage. Wir lehnen den Einzelplan 07 deshalb ab. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Detlef Kleinert, F.D.P.

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die besonders punktuelle Methode der Besprechung des Justizhaushaltes, die soeben Herr Kollege Beck gewählt hat, ist wohl doch nicht so recht förderlich. Wenn man den Justizhaushalt und in diesem Zusammenhang das, was im Bundesministerium der Justiz in den letzten Jahren, besonders aber im jetzt zu Ende gehenden Rechnungsjahr geleistet worden ist, im ganzen betrachtet, dann sind Ihre Ausführungen weder nach Inhalt noch nach der Form der Sache auch nur einigermaßen gerecht geworden. ({0}) Sie haben im übrigen ein völlig falsches Bild auch von dem Ton gegeben, der im Rechtsausschuß bei der Behandlung selbst kontroverser Fragen ganz allgemein und erfreulicherweise üblich ist. Auch da ist für weitere Beratungen und Ihre ganz speziellen Anliegen, zu denen, wie ich heute zu meiner freudigen Überraschung höre, das Beichtgeheimnis in besonderer Weise gehört, nicht viel Gutes zu erhoffen. ({1}) In Wirklichkeit ist es doch so: Wir sind hier zu einer recht späten Stunde gebeten worden, unsere ÄußeDetlef Kleinert ({2}) rungen zu diesem Haushalt zu tun, weil unsere geschätzten Geschäftsführer wohl aus Erfahrung und mit einigem Recht angenommen haben, daß dieses Thema die breite Öffentlichkeit so wenig interessiert, daß man es in dieser Verborgenheit - zum wiederholten Male in dieser Verborgenheit - besprechen kann. Es ist ja doch betrüblich, wenn man sieht, wie viele sehr intelligente Menschen - angefangen beim Bundesminister über das Bundesministerium der Justiz bis zum Rechtsausschuß und vielen anderen Mitgliedern des Hauses - sich nützliche und wichtige Gedanken machen, auch überraschend Gescheites zuwege bekommen und das alles schließlich nicht zur Kenntnis genommen wird. Ich vermute, das hängt in erster Linie damit zusammen, daß es in der Natur des Menschen liegt, sich sehr schlecht vorstellen zu können, jemals in einem Zivil- oder gar Strafprozeß vor Gericht erscheinen zu müssen. Deshalb befaßt er sich erstmals an dem Tag, an dem dieses doch geschieht - statistisch ist das allerdings fast regelmäßig zu erwarten -, mit den zugrunde liegenden Problemen. Dann wäre es allerdings für seine rechtsstaatlichen Garantien auf einen fairen Ablauf seines Verfahrens und für die Sicherung seiner Rechte viel zu spät. Das muß vorher geregelt und leistungsfähig vorgehalten werden. ({3}) Dieser Arbeit unterziehen sich alle besonders dann mit Freude, wenn wie in der letzten Zeit eine große Zahl wichtiger und dringender Gesetzgebungsvorhaben verabschiedet worden sind, meist einvernehmlich mit der großen Oppositionspartei. ({4}) - Mit den Grünen findet das gelegentlich statt. Aber ich müßte jetzt so eine Art Tischtennisblick annehmen, ({5}) wenn ich die Sache zwischen den beiden anwesenden Kollegen von den Grünen sozusagen ausgucken wollte. Sie sind ja fast immer gegensätzlicher Meinung. ({6}) Deshalb ist man mal mit dem einen und mal mit dem anderen einig. Jedenfalls haben wir gemeinsam eine Reihe längst anstehender, sehr wichtiger Dinge erledigt. Wir haben das auf praktische und vernünftige Art getan. Wenn ich allein an das Kindschaftsrecht denke, dann muß ich sagen: Die wichtigen Dinge sind dazu in der Debatte gesagt worden. Es haben sich ja nicht nur die Juristen, es haben sich insbesondere auch die Kollegen aus dem Sozialbereich mit den Dingen befaßt. Wenn ich aber von praktischen Lösungen spreche, dann denke ich zum Beispiel daran, daß sich die Mitwirkung der Jugendämter bei der Entscheidung über das Sorgerecht jetzt nur noch in einem Erinnerungsposten findet. Für die Jugendämter fallen Jahr für Jahr viele hunderttausend Stunden an Arbeit an. Dieser Aufwand hat aber nicht sehr, soweit ich das übersehen kann und von anderen höre, zum Gelingen dieser Sorgerechtsentscheidungen beigetragen. Das sind Kleinigkeiten, die man bei solchen Gelegenheiten übersehen kann, die aber dazu beitragen, auch den Haushältern, die vorher hier gesprochen haben, eine kleine Freude zu bereiten, zumindest in den Spätwirkungen einer solchen Vorgehensweise. Wir haben soeben - wiederum unbemerkt von all den Leuten, die meinen, sie wären nie betroffen; sie werden doch irgendwann betroffen sein - eine Neuordnung des Rechts der Zwangsvollstreckung verabschiedet, bei der erhebliche Arbeitskraft keineswegs nur bei Gericht, sondern auch bei den Gläubigern in ihren Unternehmen und bei den privaten Gläubigern gespart werden wird. Es handelt sich dabei um sehr große Beträge. Noch größer dürften die Beträge sein, die an volkswirtschaftlichem Verlust eingespart werden, wenn Vollstreckungsverfahren zügiger zu Ende gehen, wenn früher Geld fließt und damit die unmittelbar und mittelbar Betroffenen unter Umständen vor der Insolvenz bewahrt bleiben, die sonst vermehrt eintreten kann. Das sind Dinge, die ganz nebenbei dafür sorgen, daß jedenfalls wir unseren Beitrag zu einer effizienten und möglichst sparsamen Justiz leisten. ({7}) Wir möchten die Länder bitten, dabei ihren Anteil mehr als bisher zu leisten, statt uns in Auseinandersetzungen über Reformvorhaben zu verwickeln, die keine solchen sind. Vernünftige Reformen sind die, die wir hier in großer Zahl in den letzten Jahren abgeliefert haben und die ohne zusätzlichen Personalaufwand zu schnelleren und trotzdem zu gleichmäßig gerechten - zumindest zu fairen - Ergebnissen führen. Auf dem Wege werden wir weiterschreiten. Wir hoffen dabei auf die gleiche gute Zusammenarbeit mit allen Beteiligten wie bisher. Herzlichen Dank. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Heuer, PDS.

Prof. Dr. Uwe Jens Heuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000891, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Problemen des Herrn Bundesjustizministers hat schon Herr Beck gesprochen, zum Beispiel zu dem Problem, daß der Minister die pauschale Aufhebung aller NS-Unrechtsurteile erreichen will und gleichzeitig das Finanzministerium die Zahlung einer Entschädigung an die Wehrmachtsdeserteure verweigert. ({0}) Ich möchte auf ein Problem, das ebenfalls von Herrn Beck angesprochen wurde, eingehen, nämlich auf das Verhältnis des Bundesjustizministers zum Bundesinnenminister. Mit der sogenannten Aktion Sicherheitsnetz von Anfang September dieses Jahres versucht der Bundesinnenminister, das Law-and-Order-Konzept der „Null-Toleranz" aus den USA auf die Bundesrepublik zu übertragen. Dabei ist die Gefahr nicht zu übersehen, daß „die Justiz zu einer Rechtsabteilung der Polizei" wird, wie dies Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung" vom 22. September formulierte. ({1}) Ins Zentrum der Kriminalpolitik - und damit eben auch der Strafrechtspolitik - werden vom Innenminister die Schwerpunkte der Bekämpfung von sogenannter Einstiegs- und Kleinkriminalität, die Verteidigung der öffentlichen Ordnung gegen „Pennertum, aggressives Betteln" und anderes mehr plaziert. Die immer größer werdenden Löcher im sozialen Netz sollen nunmehr durch Gitterstäbe ersetzt werden. Winfried Hassemer, immerhin Bundesverfassungsrichter, hat ein verheerendes Urteil über dieses „kriminalpolitische Konzept" gefällt, nämlich das eines Strafrechts ohne strafrechtliche Maßstäbe. Er sagt: Um Repressionen geht es nicht im anspruchsvollen Verständnis des Strafrechts, welches darunter eine angemessene Reaktion auf Unrecht versteht, sondern in der kruden Auffassung einer Unterdrückung dessen, was man nicht haben will. „Frankfurter Rundschau" vom 18. Oktober 1997. ({2}) Soweit ich dies zu erkennen vermag, ist der Bundesjustizminister damit nicht so recht einverstanden. Aber er hat auf die Frage, ob die Justiz nicht endlich sagen muß, daß jetzt Schluß damit ist, laut der „Süddeutschen Zeitung" gesagt, das gehöre „nicht zur Rechts-, sondern zur Innenpolitik". Die Innenpolitiker, so der Bundesjustizminister, seien nun einmal „federführend und tönen entsprechend" . Dieses Zurückweichen vor dem Null-ToleranzKonzept seines Kollegen ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist, daß die Strafrechtspolitik des Bundesjustizministers auf anderen Gebieten zunehmend in die gleiche Richtung zielt. Lassen Sie mich drei Beispiele nennen: Erstens hat der Bundesjustizminister mit dem Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts den Kurs fortgesetzt, das Strafrecht als Wunderwaffe zur Lösung gesellschaftlicher Probleme hinzustellen. So erfolgte auch bei der Harmonisierung des Strafrahmens, gegen die niemand etwas hat, nur die Harmonisierung nach oben, fast ausschließlich über eine Verschärfung der Strafdrohungen. Mit einer derartigen Politik werden Hoffnungen geweckt, die unweigerlich in Enttäuschung umschlagen. Zweitens trägt der Bundesjustizminister direkt die Verantwortung für den extensiven Ausbau des Instruments der Sicherungsverwahrung im Rahmen der in der letzten Sitzungswoche verabschiedeten sogenannten Strafrechtsreform. Freiheitsentzug - das ist meine feste Überzeugung - kann und darf in einem demokratischen Rechtsstaat - außer durch Maßregeln aus medizinischen Gründen - nur durch ein tatorientiertes Strafrecht legitimiert werden und nicht durch ein allgemeines Recht auf Wegschließen von sogenannten Hangtätern. ({3}) Während in anderen Staaten - in der DDR schon in den 50er Jahren, in Großbritannien 1987, in Schweden 1981 - die Sicherungsverwahrung abgeschafft wurde, kann sie in vielen Fällen bereits sehr frühzeitig angeordnet werden. Während die einschlägigen Strafrechtskommentare von der „problematischsten Maßregel des Strafrechts" sprechen, zum Beispiel der Leipziger Kommentar, erfolgt seitens der Bundesregierung geradezu eine Glorifizierung der Sicherungsverwahrung. Drittens hat der Bundesjustizminister einen erheblichen Anteil daran, daß noch in diesem Jahr mit dem großen Lauschangriff unter dem Vorwand einer effektiveren Bekämpfung der organisierten Kriminalität die in Art. 13 Grundgesetz garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung angetastet werden soll. Hier ist vorhin über Journalisten, Pfarrer, Ärzte und andere gesprochen worden. Das Problem ist aber, daß jetzt nur noch über einen ganz kleinen Bereich gesprochen wird und daß offensichtlich die Absicht besteht, für Tausende von Menschen diesen absoluten Schutzbereich ihrer Wohnung zu beseitigen. Dabei geht es nicht um Gangsterwohnungen, wie Sie immer wieder gerne sagen, sondern um Wohnungen, von denen behauptet wird, daß sich dort möglicherweise jemand befindet. Ich möchte darauf aufmerksam machen: In der Anhörung vom 21. November - ich war dort, Herr Schily ({4}) wurde von den Professoren Frister, Liesken und Bull sowie von Dr. Gössner eine Gefährdung des absoluten Schutzbereichs und damit auch der Menschenwürde gesehen. Damit ist im Grunde die Frage verfassungswidrigen Verfassungsrechts gestellt. Ich möchte das sehr deutlich sagen. ({5}) - Was heißt: oje, oje, oje? Meine Herren, Sie sind eben eine Gefahr für das Grundgesetz. Das muß man so sagen. ({6}) Der Justizminister hat gegen die Verlängerung der Verjährung im Osten lange Widerstand geleistet. Ich bin gespannt, wie er sich übermorgen verhalten wird. Die hier vertretene Kriminalitäts- und Strafrechtspolitik halte ich für gefährlich, besonders weil sie auf die eigentlichen Sozialursachen der Kriminalität nicht eingeht. Der Bundeskanzler hat heute gesagt, die Bundesrepublik Deutschland hätte eine soziale Marktwirtschaft, und das solle so bleiben. Das klingt im Wahljahr gut. Aber wir alle wissen, daß sich eine Entwicklung vollzieht, die gerade diese soziale Marktwirtschaft abbaut. Das ist die eigentliche Gefahr für Recht und Ordnung. Ich empfehle allen den Artikel von Ralf Dahrendorf in der „Zeit" vom 14. November 1997. Er schreibt dort: Die Beeinträchtigung von Recht und Ordnung ist also eine Folge der Tatsache, daß die Mehrheit eine Minderheit verdrängt und vergißt. Das bezieht sich auf die, die er die neue Unterklasse nennt, nämlich die Opfer der erbarmungslosen Globalisierung. Über diesen Zusammenhang sollten wir nachdenken. Danke schön. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Bundesminister Professor Dr. Schmidt-Jortzig.

Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (Minister:in)

Politiker ID: 11002781

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Haushaltsdebatte bietet Gelegenheit, ein bißchen umfassender Bilanz zu ziehen. Da ist es schon einigermaßen überraschend - zum Teil allerdings durchaus auch mit einigen Heiterkeitseffekten ausgestattet -, wie manche diese Stunde zum Ritual machen. Ich war ein bißchen darüber überrascht, daß wir hier zum Teil Dinge aus dem Finanzressort, aus dem Innenressort und zum Teil auch Dinge aus noch ganz anderen Ressorts besprechen. Besonders schön fand ich, lieber Herr Weißgerber, daß Sie gesagt haben, das sei eigentlich alles ganz schön, aber Sie wollten trotzdem dagegen stimmen. Ich möchte auf die Substanz der Geschichte zurückkommen. Die Politik, deren Haushaltsansatz heute zur Debatte steht, ist eine Politik der Reformen, eine Politik der Anpassung der Rechtsordnung an veränderte Verhältnisse. Unsere Rechtsordnung, unser Rechtssystem zählt zwar zu den besten der Welt, das ist unbestritten. Damit dies aber so bleibt, muß es ständig weiterentwikkelt und modernisiert werden. ({0}) - Ich bin nicht sicher, ob der Kollege Heuer der absolute Zeuge für die Richtigkeit dieses Rechtssystems ist. ({1}) Gemeinsam haben wir in diesem Jahr, liebe Kolleginnen und Kollegen, die rechtlichen Grundlagen unserer Gesellschaft modernisiert und - darauf bin ich stolz - liberalisiert. Ich möchte dies einmal kurz an einigen Punkten Revue passieren lassen. Erstens. Kinderlärm ist Zukunftsmusik - vor diesem Hintergrund habe ich vor nicht einmal anderthalb Jahren den Gesetzentwurf zur Kindschaftsrechtsreform in diesem Haus eingebracht. Nun ist die größte Reform des Familienrechts seit über 20 Jahren, nämlich seit der Reform des Scheidungsrechts, verabschiedet. Wenn das Gesetz am 1. Juli nächsten Jahres in Kraft tritt, wird es Millionen von Kindern bessere Startchancen und damit unserer Gesellschaft eine bessere Zukunft sichern. Das ist etwas - hier bin ich dem Kollegen Kleinert dankbar -, was man nicht oft genug unterstreichen kann. Zweitens. Wie im Familienrecht haben wir auch im Strafrecht die größte geschlossene Reform seit über 20 Jahren präsentiert und durchgesetzt. Gleiches geschah mit dem Maßnahmengesetz zur Sexualstraftatenbekämpfung. Eine Nebenbemerkung zu dem Stichwort Ritualisierung: Denjenigen, Herr Beck, Herr Heuer, die behaupten, bei der Strafrahmenharmonisierung sei der Strafrahmen ausschließlich erhöht worden, empfehle ich, die Gesetzentwürfe zu lesen und nicht immer nur die Vorurteile nachzusprechen, die in dieses Haus geschleppt werden. Sie sollten sich wirklich um die Sache bemühen, dann würden manchen die Augen aufgehen. Aber Lesen ist mitunter etwas schwierig. ({2}) Der bessere Schutz der Opfer zieht sich wie ein roter Faden durch diese Gesetzgebungsvorhaben. Der bessere Schutz der Opfer ist die Antwort der Bundesregierung auf gestiegene Gewaltkriminalität. Damit wird den berechtigten Sicherungs- und Sicherheitsinteressen der Menschen Rechnung getragen. Das Gesetz zur Sexualstraftatenbekämpfung ist die Antwort des Parlaments auf die schrecklichen Verbrechen an unschuldigen Kindern, die uns die Morde an der kleinen Natalie in Bayern und an der kleinen Kim in Niedersachsen ins Bewußtsein gerückt haben. Der Bundesrat wird diesen Gesetzen noch vor Weihnachten zustimmen. ({3}) Drittens. Gleichzeitig hat das Bundesministerium der Justiz eine Reihe von Vorhaben auf den Weg gebracht, die wichtige rechtliche Akzente für die wirtschaftliche Gesundung unseres Landes setzen. Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich wird unser Aktienrecht an den Anforderungen der internationalen Kapitalmärkte ausrichten. Zusammen mit dem Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz und der Einführung der Stückaktie wird es den Finanzplatz Deutschland und die Kapitalausstattung der deutschen Unternehmen stärken. Ein starker Finanzplatz bedeutet mehr Investitionen und bietet damit eine - vielleicht sogar ganz wichtige - Voraussetzung für mehr Arbeitsplätze. Ich finde, man sollte an einem Tag wie heute auch auf diese Gesetze, auf diese Reformentwürfe - zum Teil Reformergebnisse - mit Nachdruck hinweisen, ({4}) damit nicht immer nur der Eindruck entsteht, Rechtspolitik habe einseitig etwas mit Strafrecht zu tun. Damit sind auch noch ganz andere Dinge verbunden, die nicht weniger wichtig sind. Mit der Handelsrechtsreform und der Transportrechtsreform schaffen wir die rechtlichen Voraussetzungen dafür, daß Deutschland seine geographische Lage im Herzen Europas auch in Zukunft nutzen kann, um eine der größten Handelsnationen der Welt zu bleiben. Schließlich hat das Bundesministerium der Justiz, habe ich es übernommen, ein Euro-Einführungsgesetz vorzulegen. Seitdem klare rechtliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Einführung des Euro in Deutschland konzipiert sind, wächst seine Akzeptanz, nicht nur in der Wirtschaft. Laut „Focus" vom 17. November ist die Zahl der Euro-Gegner von 63 Prozent auf 45 Prozent zurückgefallen. Wir sollten die konstruktiven Aspekte in diesem Zusammenhang wirklich deutlicher betonen. ({5}) Meine Damen und Herren, wir werden uns nicht auf diesen Lorbeeren ausruhen. Es gibt, wie man weiß, immer noch mehr zu tun, als man schon getan hat. Insbesondere gilt das für das Vorhaben, die Rechtsordnung an den Erfordernissen des nächsten Jahrhunderts auszurichten. Reform ist eine Daueraufgabe der Politik; das gilt nicht zuletzt für die Rechtspolitik. Einen wichtigen Schritt habe ich in Vorbereitung: Noch vor Jahresende wird eine Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems eingesetzt werden. Diese Kommission wird Vorschläge erarbeiten, um die bewährten Sanktionen zu optimieren; und sie wird prüfen, ob neue Sanktionsformen in den Katalog aufgenommen werden sollten. Auch bei dieser Reform werden die Interessen der Opfer, also zum Beispiel die Frage einer angemesseneren Wiedergutmachung als eigene Strafart im Erwachsenenstrafrecht, eine wichtige Rolle spielen. Ein anderes Projekt für die Zukunft ist eine umfassende Reform des Rechtsmittelsystems im Zivilrecht. Wir haben feststellen müssen, daß eine Justizentlastung durch Kurierung an Symptomen nicht funktioniert. Deswegen ist namentlich im Zivilprozeß eine Überdenkung, eine Reform, eine Erneuerung des Rechtsmittelsystems angesagt. In dieser Legislaturperiode werden wir zur Justizerneuerung nur einige gemeinsam mit den Ländern erarbeitete Vorschläge, wie die vorgerichtliche obligatorische Streitschlichtung in Bagatell- und Nachbarschaftsstreitigkeiten, umsetzen können. Ich verspreche mir davon zwar eine nicht unerhebliche Entlastungswirkung; letzlich - ich möchte das unterstreichen - bedarf das aus dem vorigen Jahrhundert stammende Zivilprozeßrecht aber einer grundlegenden Reform. ({6}) Im Bundesministerium der Justiz wird an einem neuen, vereinfachten, klareren Rechtsmittelsystem für den Zivilprozeß gearbeitet. Es soll die Verfahren straffen und so dem Anliegen der Bürger Rechnung tragen, nicht nur gerechte, sondern auch zeitgerechte Urteile zu erhalten. Meine Damen und Herren, die Bilanz der Rechtspolitik in diesem Jahr kann sich, so glaube ich, sehen lassen, selbst wenn man natürlich über Einzelpunkte immer streiten kann. Sie trägt eine deutliche - wie ich finde, auch eine deutliche liberale - Handschrift. Wir haben dem Bürger das gegeben, was er von uns erwartet, nämlich Reformen statt Blockade. Damit haben wir, häufig über die Parteigrenzen hinweg, an einem Strang gezogen. Lassen Sie uns an dieser kritischen, oft auch kontroversen, aber letztlich immer konstruktiven Zusammenarbeit auch im kommenden Jahr festhalten. Ich wünsche mir das jedenfalls und danke für die Zusammenarbeit. Im übrigen bitte ich zur Dokumentierung dieser Zusammenarbeit natürlich auch um Zustimmung zu diesem Haushalt. Vielen Dank. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin, SPD.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesjustizminister, die Bitte, Ihrem Haushalt zuzustimmen, können wir Ihnen nicht erfüllen. Das erwarten Sie aber auch gar nicht. ({0}) Aber wir werden selbstverständlich dem Haushalt des Bundesverfassungsgerichtes zustimmen. Auch das ist keine Frage. In einem Punkt will ich Ihnen recht geben: Dies ist der letzte Justizhaushalt in Ihrer Verantwortung, ({1}) die letzte Möglichkeit, darüber nachzudenken, was Sie seit den letzten Wahlen von dem, was Sie zugesagt haben, nun tatsächlich erreicht haben. ({2}) - Ich bin immer dann, wenn ich Sie sehe, Herr Kollege Geis, milde gestimmt. Aber es liegt nicht nur daran. Es wäre auch völlig falsch, hier anders zu reden als im Ausschuß. Natürlich ist diese Bilanz auch für uns von hohem Interesse. Es wäre albern, nicht zuzugeben, daß wir uns bei wichtigen Gesetzesvorhaben in der Diskussion aufeinander zu bewegt haben. Sie haben Kompromisse machen müssen, wir haben Kompromisse machen müssen, und einiges ist gemeinsam gelaufen. Übrigens gehört auch eine ganze Menge von dem, was Sie sich gerade als „Feder" an den Hut gesteckt haben, Herr Bundesjustizminister, dazu. Lassen Sie mich aber noch eines vorwegsagen. Heute morgen hat schon der Kollege Scharping Ihnen, Frau Baumeister, vorgehalten, daß der Brief, den Sie als Schatzmeisterin Ihrer Partei verschickt haben, geistesschmächtiger ist, als - ich kenne Sie ja durchaus - Sie sind. ({3}) Sein Inhalt ist auch als Lüge dummdreister, als man es hier stehenlassen kann. Er hat Sie aufgefordert, das in Ordnung zu bringen. Diesen Appell möchte ich, da ich Sie jetzt vor mir sehe, sehr gerne wiederholen. Denn Sie wissen ja - und wenn dies nicht der Fall sein sollte, dann seien Sie so freundlich, es sich von Ihren Kollegen erzählen zu lassen -: Als wir in der letzten Sitzungswoche über Strafrahmen und Sexualstrafrecht geredet haben, waren wir es, die darauf gedrängt haben, daß die Opfer nicht vergessen werden. Sie haben dem auf unseren Druck hin stattgegeben, obwohl Sie die Änderungen im Sexualstrafrecht und in der Strafrahmenharmonisierung zunächst ohne die Einbeziehung des Opferanwalts und der Videovernehmung verabschieden wollten. ({4}) - Aber natürlich. Sie haben mit Ihrer Mehrheit gegen unsere Vorstellungen eine Sparversion durchgesetzt. Wir haben uns - das ist im Protokoll nachzulesen - dann sogar noch gekabbelt, weil wir den bayerischen Justizminister, der inhaltlich .auf unserer Seite steht, gebeten haben, Ihnen mitzuteilen, daß wir im Bereich des Opferschutzes weitergehen müssen. Das hat er damals nicht gemacht. Jetzt kommt die Geschichte, weil Sie sich gegen unsere weitergehenden Vorstellungen durchgesetzt haben, in den Vermittlungsausschuß, und Bayern hat einen gesonderten Antrag eingebracht, der auf einen stärkeren Opferschutz hinausläuft. Das ist Fakt.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Däubler-Gmelin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber klar.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Stimmen Sie mit mir überein: Dieses Opferschutzgesetz, das Sie ansprechen, ist in der Beratung. Wir werden es zu einem späteren Zeitpunkt - denn man kann nicht alles auf einmal machen -, auf jeden Fall in absehbarer Zeit, spätestens im Januar, hier abschließend beraten. In diesem Opferschutzgesetz sind sowohl das Institut des Opferanwalts, soweit es nicht schon mit dem Zeugenschutzgesetz geregelt ist, als auch die Ansprüche von Opfern gegenüber dem Täter, soweit er Ansprüche gegenüber Illustrierten oder sonstigen Medien hat, geregelt. Wir sehen also in diesem Opferschutz- bzw. Opferentschädigungsgesetz eine gesetzliche Abtretung dieser Ansprüche vor.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Geis, Sie wissen ganz genau, daß Sie, wenn Sie das einbringen, selbstverständlich meine Unterstützung haben. Nur, da beißt die Maus keinen Faden ab: Sie haben unsere vorliegenden weitergehenden Vorschläge abgelehnt. Darüber wird jetzt im Zusammenhang mit dem Sexualstrafrecht im Vermittlungsausschuß und über die Initiative Bayerns erneut verhandelt. Der Punkt ist doch, daß Ihre Kollegin Baumeister in wirklich dummdreister Art und Weise ({0}) den Leuten erzählt hat, Sie seien für die Opfer und wir nicht. Diese Sache - das sollte Ihnen der Anstand sagen - und die üble Tour von Herrn Waigel, über die heute morgen auch gesprochen wurde, sind Dinge, die man nicht macht, ({1}) und schon gar nicht, wenn sie so quer zu der Wahrheit liegen. ({2}) - So ist es: Du sollst kein falsches Zeugnis reden. Das ist so. Wir sind ja sehr froh, Herr Bundesjustizminister, daß das neue Kindschaftsrecht jetzt endlich Wirklichkeit geworden ist. Sie hätten durchaus sagen können, daß Sie sich hier mit einer Feder schmücken, die wir Ihnen mit an den Hut geheftet haben. Dies gilt übrigens auch für das Zwangsvollstreckungsrecht und das Ordnungswidrigkeitenrecht. ({3}) - „Hauptsache, sie ist dran" . Das ist schon wahr, Herr Kleinert. Es kann aber nicht sein, daß wir hier verleumdet werden, nachdem wir alle uns im Ausschuß gemeinsam große Mühe gegeben haben, etwas für die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, und daß der Bundesjustizminister sich das dann allein an seinen Hut steckt. Diese Art der Verteilung von Nutzen und Lasten - Ihnen darf ich das sagen - wäre ein Anzeichen für eine „societas leonina" . Dazu sage ich: Nicht mit uns. ({4}) Diese Dinge müssen Sie sich schon überlegen. Leider Gottes haben Sie, verehrter Herr Bundesjustizminister, für die Strafrahmenharmonisierung keine Kommission einberufen. Ich habe es Ihnen schon vor zwei Wochen vorgehalten: Sie haben versucht, sie mit Bordmitteln zu erarbeiten. Ich sage Ihnen nochmals: Dies wird keine strahlende Feder an Ihrem Hut sein. Vielmehr werden Sie erleben müssen, daß auch die Kritik von Wissenschaft und Praxis mit großer Wucht über Sie hereinbricht. Da wird es Verbesserungen geben müssen. Ich hoffe, daß Sie sich die Kritik, wenn sie dann kommt, genauso an Ihren Hut heften, wie Sie das jetzt in bezug auf das Lob über die Strafrahmenharmonisierung vorhaben. Schade ist, daß Sie weitere Initiativen, die wir in den vergangenen Jahren - zum Teil wiederholt - eingebracht haben, leider gar nicht - oder noch nicht; ich hoffe, das geschieht noch - aufgegriffen haben. Ich meine zum einen die Modernisierung des Sanktionensystems - das ist einer der ganz wichtigen Punkte, die wir brauchen -, das ist zum zweiten das sogenannte Strafverfahrensrechtsänderungsgesetz 1994, von dem Sie ganz genau wissen, daß uns das Bundesverfassungsgericht schon seit 1983 gemahnt hat, entsprechende Änderungen vorzunehmen. Wir haben keinen Zweifel darüber, daß es eine Menge an Verbesserungen geben muß. Übrigens gibt es auch genug brauchbare Vorschläge. Sie brauchen da eigentlich nur abzuschreiben. Ich hoffe, daß wir in der Tat nicht noch länger als sechs Monate warten müssen, bis die Frage geklärt ist, wann denn nun endlich die Kriegsdienstverweigerer, die sogenannten Wehrkraftzersetzer oder auch die Deserteure entschädigt werden. Auch haben Sie uns schon vor mehr als einem Jahr versprochen, daß das Bundesjustizministerium dem Bundestag endlich eine Vorlage zur Beratung vorlegen wird, die mit dem entsetzlichen Unfug Schluß macht, daß die NS-Urteile von verschiedenen Kategorien sogenannter Gerichte aus. jener Zeit immer noch nicht aufgehoben sind. Es wird langsam Zeit. Ich weiß, daß man bei Ihnen daran arbeitet. Es ist jedoch peinlich, zu sehen, wie langsam sich die Bundesregierung windet, sei es in der Frage der Entschädigung von Zwangsarbeitern, sei es in der leidigen Angelegenheit des „amicus curiae"-Briefes in den laufenden amerikanischen Prozessen. Dort denkt die Bundesregierung immer wieder daran, nicht etwa auf seiten der Opfer, sondern auf seiten der Beklagten mit einem „amicus curiae"-Brief Stellung zu nehmen und einzugreifen. Und: Auch bei Entschädigung und in der Frage der Aufhebung der NS-Urteile müssen wir weiterkommen. Meine Bitte ist, daß die nächsten Monate noch genutzt werden, um das Urheberrecht wirklich zu modernisieren, und zwar im Sinne einer ganz klaren Unterstützung der Autoren gerade im Bereich der neuen Medien. Das muß sein. Es ist wichtig, daß wir im Berufsrecht zum Beispiel für die Notare weiterkommen. Es ist wichtig, daß mit dem, was im Unternehmensrecht bisher noch nicht angepackt worden ist, endlich übergekommen wird. Mir tut es natürlich ganz besonders leid, meine Damen und Herren, daß Sie in Ihrer Regierungserklärung, beruhend auf einer Absprache zwischen F.D.P., CDU und CSU, versprochen haben, zwei Fragen in dieser Legislaturperiode in Angriff zu nehmen, die eine hohe Bedeutung für den inneren Frieden und die innere Sicherheit haben. Die fehlen noch. Auf der einen Seite ist dies die Integration der seit langen Jahren hier lebenden Einwanderer mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Ihr peinlicher Eiertanz dazu ist nicht mehr zu überbieten. Schwierig aber ist, daß Sie die jungen Einwanderer durch Integrationsverweigerung in die Situation bringen, daß sie sich von unserer Gesellschaft abgestoßen fühlen. ({5}) Daß der Weg von dieser Zurückweisung über Verletzung zur Gefährdung auch des inneren Friedens nicht weit ist, müßte Ihnen langsam auch Ihr gesunder Menschenverstand sagen. ({6}) Das andere ist die Drogenpolitik. Ich kann es beinahe nicht mehr hören, wie viele von Ihnen Ländern und Städten vorwerfen, sie täten zu wenig gegen die Alltagskriminalität; denn wir alle wissen - das haben uns das BKA und auch sonst alle gesagt -, daß ein großer Teil davon eben auf Ihre verfehlte Drogenpolitik zurückgeht, weil die Begleit- und Beschaffungskriminalität gerade in diesem Bereich einen großen Teil ausmacht. Wir brauchen schon lange eine neue Drogenpolitik, die aus drei Stufen besteht: zum einen aus einer ganz klaren Stellungnahme gegen Sucht in unserer Gesellschaft und einer Gesellschaftspolitik, die dafür wirbt. ({7}) Das zweite ist eine ebenso klare wie unnachsichtige Bekämpfung der Dealer; das ist gar keine Frage. Zum dritten aber brauchen wir die Hilfe für die Süchtigen, sprich: Therapie, und bei denen, bei denen das nicht mehr möglich ist, auch die kontrollierte Abgabe von Drogen. ({8}) Dies würde außerdem helfen, im Bereich der Begleit- und Beschaffungskriminalität die Straßen und Städte wieder sicherer zu machen. Sie haben Problemlösungen bei Drogenpolitik und Ausländerintegration in Ihrer Regierungserklärung ange- und versprochen. Diesen Schritt jetzt auch zu vollziehen liegt im Interesse des inneren Friedens unDr. Herta Däubler-Gmelin seres Landes und damit auch im Interesse der Rechtspolitik. Wenn Sie das tun, werden Sie uns auf Ihrer Seite haben. Wenn Sie das aber nicht tun; können Sie von uns nicht erwarten, daß wir Ihrem Justizhaushalt zustimmen oder Ihnen mehr als die menschliche Sympathie entgegenbringen, die wir Ihnen gerne entgegenbringen. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. ({9})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Geis.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, Sie haben ebenso wie Herr Scharping heute morgen Frau Baumeister wohl wegen folgenden Satzes angegriffen - ich zitiere -: Für Sie - also für die SPD und die Grünen - zählt die milde Behandlung der Täter mehr als der Schutz der Opfer. Unser Ziel ist: Sicher leben in Deutschland. ({0}) Sie wissen genausogut wie ich, daß wir in den 70er Jahren ein Strafrecht hatten, das in der Tat - das wird von Sachverständigen so festgehalten - den Täter in den Mittelpunkt gestellt hat. Das können Sie schon daran sehen, daß Sexualstraftaten, die wir in der letzten Woche wenigstens teilweise wieder zum Verbrechen hochgestuft haben, 1972 zum Vergehen herabgestuft worden sind. Jeder Rechtswissenschaftler, aber auch jeder Praktiker kann Ihnen sagen, daß im Mittelpunkt des Strafvollzuges die Resozialisierung gestanden hat. ({1}) Wir haben seit den 90er Jahren begonnen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die Sicherheit unserer Bevölkerung, neben den Gedanken der Resozialisierung zu stellen und wieder mehr in den Vordergrund zu rücken. Das zeichnet sich an folgenden Gesetzen ab: Im Jahre 1992 haben wir das Gesetz gegen die organisierte Kriminalität erlassen, 1993 das Gesetz gegen die Geldwäsche und 1994 das Verbrechensbekämpfungsgesetz. ({2}) Im Sommer dieses Jahres haben wir das Gesetz gegen die Korruption und am 14. November das Sechste Strafrechtsreformgesetz, von dem Sie selber sagen, es sei ein Gesetz, in dem viel mehr die Strafen betont würden, sowie das Gesetz gegen Sexualdelikte verabschiedet. Mit diesen Gesetzen haben wir in der Tat eine Kehrtwende herbeigeführt, weg vom Täter und hin zu den Opfern. Das ist geschehen. ({3}) Das hat nichts mit Ihrem Vorhalt zu tun, den Sie vorhin gemacht haben, Frau Kollegin. Sie haben uns vorgehalten, daß wir mit diesen zwei Gesetzen nicht auch das Opferentschädigungsgesetz, wie wir es schon vorliegen haben und diskutieren, verabschiedet haben. Ich habe Ihnen erklärt, daß in diesem Opferentschädigungsgesetz vieles enthalten ist - es enthält sehr viele bayerische Vorstellungen, was übrigens Justizminister Leeb vor 14 Tagen hier bestätigt hat -, bei dem es um die Opferentschädigung geht. Aber es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, daß durch unsere Politik, die Politik der CDU/CSU und der Koalition insgesamt, die Sicherheit unserer Bevölkerung und die Belange des einzelnen Opfers wieder mehr in den Vordergrund gestellt worden sind und die Resozialisierung, die vorher im Vordergrund stand, ins Gleichgewicht gebracht worden ist. ({4})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Kollege Geis, so wie Sie sich aufregen, war das offensichtlich ein Volltreffer. ({0}) Daß es ein Volltreffer war, wissen Sie ganz genau, denn markige Wörter haben die Wahrheit noch nie verdrängen können. Wer würde denn bezweifeln, daß wir das Sexualstrafrecht mit Korrekturen von Ihnen und uns gemeinsam gemacht haben und daß wir das für richtig halten? Ich sehe mich noch vor 14 Tagen hier stehen und dies im einzelnen begründen. Seien Sie vorsichtig, ich habe manchmal ein gutes Gedächtnis: Die Frage der Resozialisierung haben Sie in Ihren Reden - da stimme ich Ihnen zu - auch selber immer für wichtig gehalten. Wir waren schon einmal weiter und Sie auch. Wir wissen ganz genau, daß man entschieden gegen Straftäter vorgehen muß; da braucht uns niemand zu belehren. ({1}) - Daß Sie andere Leute gern belehren, ist mir klar; aber das braucht es nicht. Der zweite Punkt ist folgender: Daß die Bekämpfung der Ursachen von Kriminalität bei Ihnen viel zu kurz kommt und daß erst beides, Bekämpfung von Kriminalität und ihrer Ursachen, eine wirklich verDr. Herta Däubler-Gmelin nünftige Politik für die innere Sicherheit und den inneren Frieden macht, ({2}) das ist die Folgerung, bei der Sie mir, glaube ich, zustimmen werden, wenn sich die Erregung bei Ihnen etwas gelegt hat. Nochmals: Die Verleumdung von Frau Baumeister - ich wiederhole das - ist viel geistesschmächtiger, als Frau Baumeister, die ich ja kenne und sehr schätze. Sie ist auch dummdreister, als man hier stehenlassen kann - und eine vergleichbar üble Tour, wie heute gegenüber Herrn Waigel gerügt. Es geht auch weniger um den Satz, dessen Bekanntmachung in der Öffentlichkeit Sie hier für richtig gehalten haben, sondern um die törichte und alberne Behauptung, Sie träten für die Opfer ein, wir aber nicht. Dies ist falsch; das darf man hier nicht stehenlassen. Ich bin schon der Meinung, daß jemand, der so etwas sagt, das auch zurücknehmen muß. Danke schön. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Dr. Tiemann, CDU/CSU.

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zum Schluß dieser Debatte noch einmal die Erfreulichkeit der Rechtspolitik dieser Koalition hervorheben. ({0}) Ich möchte den Bundesjustizminister voll in dem unterstützen, was er schon vor einem Jahr in der Debatte gesagt hat und was er heute noch einmal betont hat, nämlich sein Bestreben, die Rechtsordnung zu modernisieren. Ich möchte wie er hervorheben, daß dies eine Daueraufgabe der Rechtspolitik ist, weil das Recht immer das Spiegelbild der gesellschaftlichen Verhältnisse sein muß, wenn es seine Funktion für Gerechtigkeit und Sicherheit erfüllen soll. Ich möchte einige der maßgeblichen Ansätze, die wir während dieses Jahres ergriffen haben, zusammenfassend herausstellen. Es ist gerade die Reform des Kindschaftsrechts, auf die wir immer wieder hinweisen müssen. Hier haben wir etwas geschaffen, wozu es höchste Zeit war. Es war höchste Zeit, die Rechtsstellung der nichtehelichen Kinder neu zu regeln. Es war höchste Zeit, das Sorgerecht, das Erbrecht und das Unterhaltsrecht neu zu regeln. Es war höchste Zeit, die Absurdität zu beseitigen, daß das nichteheliche Kind rechtlich gesehen bisher mit seinem Vater nicht oder zumindest wenig zu tun hatte. Das tun wir entscheidend mit diesen drei Gesetzen, die wir zum Teil bereits beschlossen haben und die wir in Gestalt des Unterhaltsrechts noch beschließen werden. Meine Damen und Herren, ich finde es schon erfreulich, daß diese so wichtige Reform in relativem Konsens zustande gekommen ist. Es ist meines Erachtens sehr wichtig, daß wir den Bürgern gegenüber damit zum Ausdruck gebracht und deutlich gemacht haben, daß die Rechtspolitik dieser Koalition nicht nur handlungsfähig ist, sondern daß sie die wichtigen Probleme unserer Gesellschaft anpackt und sie auch löst. Das ist eines der besten Beispiele hierfür. ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Dr. Tiemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Häfner?

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Gerald Häfner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000775, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Dr. Tiemann. - Meine Frage ist kurz. Ich teile Ihre Freude darüber, daß sich im Kindschaftsrecht nun endlich etwas bewegt hat. Aber ist meine Unterstellung sehr falsch, daß dies erst möglich geworden ist, nachdem Sie vom Bundesverfassungsgericht dazu gezwungen worden sind, und ist deshalb nicht der große Stolz, den Sie an den Tag legen, dies nun endlich geschafft zu haben, ein Stück Kritik an Ihrem eigenen Verein dahin gehend, daß dies sehr lange gedauert hat und daß man erst durch zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichtes dazu gezwungen werden mußte? ({0})

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Häfner, wir betreiben ja hier in dieser Debatte laufend Ursachenforschung. Ich finde, daß die Ursachenforschung die materiellen Ergebnisse dieser erfolgreichen Rechtspolitik etwas zu überschatten droht. ({0}) Deswegen stelle ich diese guten Lösungen heraus. ({1}) Ist es denn illegitim, daß bei einzelnen Vorhaben des Gesetzgebers dessen Entscheidungsverfahren durch Anstöße des Bundesverfassungsgerichtes beschleunigt werden? Es ist doch unstreitig, daß über die Reform des Kindschaftsrechts und die Probleme der Rechtsstellung unehelicher Kinder nicht erst seit einiger Zeit diskutiert wird, sondern daß dies ein Dauerbrenner in der Diskussion ist. Seien wir doch alle zusammen froh, daß wir diesen Konsens auch mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichtes gefunden haben. Herr Häfner, so beurteile ich die Sache. ({2})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Dr. Tiemann, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Schily?

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine noch. Ich glaube, dann wären alle froh, wenn wir die Debatte allmählich weiterführen konnten. - Bitte, Herr Kollege Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, Sie haben hier mit Recht die Kindschaftsreform gelobt. Sie haben mit Recht auch darauf hingewiesen, daß der Konsens, der dabei gefunden wurde, begrüßenswert ist. Ich denke, daß gerade in rechtspolitischen Fragen ein Konsens zu guten Ergebnissen führen kann. Das kann auch in anderen Rechtsgebieten geschehen. Meinen Sie nicht, daß man einen Konsens unter denjenigen, die an solchen Dingen produktiv mitarbeiten wollen, erheblich stört, wenn man der größten Oppositionsfraktion in diesem Hause unterstellt, daß sie einen intensiven Schutz von Tätern fordert? Wenn Frau Kollegin Baumeister schon nicht die Courage hat, sich hier hinzustellen und sich von einer solchen ehrabschneidenden Behauptung zu distanzieren, dann habe ich die Bitte und die Frage an Sie, ob Sie dazu bereit sind, daß wenigstens Sie sich von einer solchen unverschämten Behauptung distanzieren. ({0})

Dr. Susanne Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002819, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schily, zunächst einmal glaube ich, daß Frau Kollegin Baumeister Frau genug ist, um selber ihre Positionen zu vertreten. ({0}) Zum zweiten kenne ich Frau Kollegin Baumeister so, daß sie keine unreflektierten und unhaltbaren Vorwürfe macht. ({1}) Wenn Frau Kollegin Baumeister hier etwas zurückzunehmen hat, dann wird sie das sicher tun. ({2}) - Sie hat es nicht. Also ist es auch nicht meine Aufgabe, in dieser Debatte etwas richtigzustellen. ({3}) - Ich würde sehr gerne über unsere Rechtspolitik sprechen. ({4}) Herr Präsident, bei allem Respekt und aller Sympathie für Frau Kollegin Baumeister würde ich gerne über die großen Reformen sprechen, die wir in diesem Jahr im Rahmen unserer erfolgreichen Rechtspolitik geschafft haben. Darf ich damit jetzt fortfahren? - Danke schön. Ich komme auf die Verschärfung des Sexualstrafrechtes zu sprechen. Es hat lange genug gedauert, bis wir diese wichtige Reform auf den Weg gebracht haben. Nun ist das Strafrecht nicht das Allheilmittel, sondern Ultima ratio der Rechtsordnung, um auf menschliches Fehlverhalten zu reagieren. Ich stelle angesichts der Bedrohung gerade unserer Kinder durch unmenschliche Sexualmorde schmerzlich fest, daß der Gesetzgeber durch Regelungen und Sanktionen die unglaubliche Brutalität gegenüber Kindern, die wir erlebt haben, letztlich nicht verhindern kann. Die Verschärfung des Strafrechts durch Erhöhung der Strafandrohungen und durch die Verbesserungen der Möglichkeiten zur Sicherungsverwahrung ist aber eine dringende Maßnahme gewesen, um unser Strafrecht auf die Höhe der Zeit und ihrer Anforderungen zu bringen. In diesen Zusammenhang gehört auch die hier verschiedentlich angesprochene Reform des Strafrechts bezüglich der Strafandrohungen, wie wir sie verabschiedet haben. Es ist Ausweis der Bedeutung, die diese Regierungskoalition der Würde des Menschen und seiner körperlichen Unversehrtheit beimißt, wenn wir zukünftig persönliche Rechtsgüter wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung gegenüber materiellen Rechtsgütern aufwerten und Vergehen gegen Leben und körperliche Unversehrtheit mit höheren Strafandrohungen belegen. Es ist aber, wie ich meine, für den Zustand unserer Gesellschaft bezeichnend, wenn wir auf Grund neuer Gefährdungen den Tatbestand des Kinderhandels einführen und die Strafvorschriften zum Kinderschutz insbesondere auch bei der Kinderpornographie verschärfen müssen. Das ist aber die angemessene Reaktion unserer Rechtsordnung auf ein Phänomen, das uns Alarm- und Warnsignal sein muß. Wenn Leben und körperliche Unversehrtheit mißachtet werden und Gewaltkriminalität zunimmt, dann muß schon einmal nach den Werten und nach den Perspektiven gefragt werden, die diese Gesellschaft prägen. Wenn ein sicherer und umhegender Lebensraum für unsere Kinder, in dem sie nicht nur aufwachsen sollen, sondern sich auch entfalten können, immer mehr des Strafrechts bedarf, dann müssen wir die Zukunftschancen und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft diskutieren. Der Gesetzgeber und die Rechtspolitik sind in jedem Fall zum Handeln aufgerufen. Daß wir es aber bei Konsequenzen im Strafrecht nicht belassen können, muß auch klar sein. Es liegt nicht nur in der Verantwortung der Politik, aber gerade in der Verantwortung der Politik, wertebezogen zu handeln und eine Diskussion um Werte der Menschlichkeit in die Bevölkerung hineinzutragen. Ich meine schon, daß wir eine große Initiative gegen Gewalt in unserer Gesellschaft und in unserem Land starten sollten. ({5}) Ich wünsche mir, daß wir diese Initiative wirklich gemeinsam gestalten können und nicht danach fragen, wer welche Maßnahmen initiiert hat, sondern daß wir uns im Interesse dieses wichtigen Anliegens zuDr. Susanne Tiemann sammenschließen und diesen Pakt gegen Gewalt dann auch in Angriff nehmen. Meine Damen und Herren, der Herr Bundesjustizminister hat eine weitere große Herausforderung für die Rechtspolitik angesprochen, die wir in Zukunft annehmen müssen: Das ist Europa, das ist die europäische Integration. Ich bin der Auffassung, daß wir der europäischen Integration und ihren Konsequenzen künftig noch schneller und noch zukunftsorientierter Rechnung tragen müssen; denn Europa ist unsere Zukunft. Die Konsequenz für die Rechtspolitik ist es, unsere Rechtsordnung auf europäische Grundsätze abzustellen. Unsere Aufgabe ist es letztlich, die europäische Rechtsordnung neu und maßgeblich mitzugestalten. Die Schaffung der Voraussetzungen für die Einführung des Euro ist die eine Angelegenheit. Um sie kümmern wir uns mit dem Haushalt und der Sicherung der Kriterien für die Teilnahme an der Währungsunion. Nun aber liegt es an uns, möglichst frühzeitig und möglichst viel Rechtssicherheit in diesem Zusammenhang für die Bürger zu schaffen, mit klaren und verständlichen Regelungen. Denn davon wird abhängen, wie die Bürger die Währungsunion, aber auch die weitere europäische Integration annehmen, wie sie sie akzeptieren. Die Vorlage des Euro-Einführungsgesetzes ist, meine ich, ein erster und entscheidender Schritt. Wir müssen aber unsere gesamte Rechtsordnung daraufhin durchforsten, ob sie auf Europa abgestellt ist, und müssen Konsequenzen für die Zukunft treffen. In den Zusammenhang der Akzeptanz Europas gehört auch Europol. Aber hier hat, glaube ich, die Rechtspolitik entscheidende Schritte bereits getan. Hier ist es jetzt an der Zeit, daß Europol von den Mitgliedstaaten angenommen wird und daß mit Europol zusammengearbeitet wird. Dann kann die Rechtspolitik anschließend wieder einschreiten. Meine Damen und Herren, das sind, wie wir alle wissen, nur einige der ganz großen Herausforderungen, die mit einem Haushalt in Angriff genommen und bewältigt werden müssen, der - ich wiederhole, was Herr Kolbe gesagt hat - gerade 0,15 Prozent des Gesamthaushalts ausmacht. Umgekehrt proportional stehen in der Rechtspolitik Ausgaben und Aufgaben zueinander. Ich schließe damit, daß ich noch einmal sage: Unsere Rechtspolitik bietet einen erfreulichen Anblick. Die Regierung und die Koalition werden auf diesem Wege weiterschreiten. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Wer stimmt für den Einzelplan 07 - Bundesministerium der Justiz - in der Ausschußfassung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen. Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Einzelplan 19 ist einstimmig angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 06 Bundesministerium des Innern - Drucksachen 13/9006, 13/9025 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Ina Albowitz Oswald Metzger Einzelplan 33 Versorgung - Drucksachen 13/9023, 13/9025 - Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Ina Albowitz Oswald Metzger Zum Einzelplan 06 liegen sechs Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und drei Änderungsanträge der Gruppe der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Uta Titze-Stecher, SPD.

Uta Titze-Stecher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002331, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle befriedigt fest, daß der Zustand im Plenum heute besser als vor einem Jahr ist. ({0}) - Diejenigen, die dabei waren, lachen. - Ich erinnere nur an die Lautstärke und an die Tatsache, daß hier Bonbons gemampft wurden und nicht einmal der Präsident mir die Ruhe hat verschaffen können, die notwendig gewesen wäre, weil ein Teil der Berichterstatter und Kollegen schon ihre Reden zu Protokoll gegeben hatten. Diesmal, Herr Minister, sind wir alle dran, und das ist nur gerecht. Der Einzelplan 06 des Bundesinnenministers sieht für das nächste Jahr Ausgaben in Höhe von 8,7 Milliarden DM vor. Dies entspricht - hören Sie genau zu - einer Erhöhung um 0,83 Prozent gegenüber dem Mittelansatz im Vorjahr. Nun könnte man denken: Mein Gott, der Innenminister spart. Er hat fast nichts mehr zum Ausgeben. - Das ist nicht der Fall. Er versteht es durchaus, im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Mittel Schwerpunkte zu setzen. ({1}) Ich nehme meinen Schlußsatz bereits vorweg: Wir können diesem Einzelplan nicht zustimmen, weil diese Schwerpunkte nicht unsere sind und nicht unsere Handschrift tragen. ({2}) Der Haushalt 1998 unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von allen vorangegangenen Haushalten. Nahezu der gesamte Etat des Bundesinnenministers ist in die Haushaltsflexibilisierung einbezogen. Konkret nehmen ab dem nächsten Jahr insgesamt 25 Behörden des Geschäftsbereichs, darunter auch das Ministerium selbst, an der Budgetierung teil. Lediglich das Bundesamt für Verfassungsschutz ist ausgenommen. Damit werden die Erfahrungen aus den Modellvorhaben zur Erprobung flexibler Budgetierungsinstrumente konsequent umgesetzt. Durch größtmögliche Deckungsfähigkeit zwischen den einzelnen Haushaltspositionen und mit der Durchbrechung der Jährlichkeit sollen unter anderem das Ihnen allen bekannte Dezemberfieber verhindert werden, die Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter gestärkt und - ich hoffe, daß dies gelingt - Wirtschaftlichkeit und Effizienz der Verwaltung verbessert werden. ({3}) Allerdings hat die Sachverständigenanhörung des Haushaltsausschusses zum Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz am 24. September dieses Jahres auch auf den neuralgischen Punkt bei diesem Vorhaben aufmerksam gemacht: Eine flexiblere Haushaltsführung darf das Budgetrecht des Parlaments nicht antasten. Hierbei, Herr Kanther, sind Hirnschmalz und Kreativität gefragt. ({4}) - Wenn Sie es genauso machen wollen wie im letzten Jahr, Herr Marschewski, dann werde ich grantig. ({5}) Ich habe gerade den Minister angesprochen. Ich finde es bemerkenswert, daß Sie mich daran zu hin-dem versuchen. ({6}) Das Mikrophon ist lauter als Ihre Stimme. Ich denke in diesem Zusammenhang an die feste Installierung einer regelmäßigen Berichtspflicht auf der Basis eines betriebswirtschaftlichen Controlling-verfahrens; denn anderenfalls hätte die Zustimmung der Koalition zur zentral veranschlagten Effizienzrendite von immerhin 131 Millionen DM allein in diesem Haushalt eine freiwillige Selbstkastration bedeutet. Das beste Steuerungsinstrument taugt aber gar nichts, wenn nicht gleichzeitig die Ministerien selbst einer Strukturreform unterzogen werden. Dies verlangt die SPD-Bundestagsfraktion in entsprechenden Anträgen seit Jahren. Aber was die Modernisierung der Bundesverwaltungen betrifft, so muß man feststellen: Fehlanzeige. Selbst die herbe Kritik des Bundesrechnungshofs an der Schlafmützigkeit der Bundesregierung bei der Modernisierung der Ministerialverwaltungen und auch an schwerwiegenden Versäumnissen beim Berlin-Umzug belegt die mangelnde Reformbereitschaft und hat die Regierung nicht dazu bewegen können, tätig zu werden. Das BMI ist natürlich auch davon betroffen, weil weder Hierarchieebenen verringert werden, etwa Unterabteilungen abgeschafft werden, noch darüber nachgedacht wird, bisher getrennte Abteilungen zusammenzuführen oder wenigstens anders zu strukturieren, um dem flexibleren Haushaltsrecht auch mit einer flexibleren Struktur zu entsprechen. Das aber wäre notwendig, um den wechselnden politischen Schwerpunkten gerade in diesem Haus bei der fachlichen Umsetzung besser gerecht zu werden. ({7}) - Das war sehr gezielt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Trotzdem vielen Dank! Angesichts der Zeitvorgabe möchte ich die Schwerpunkte heute beim Kulturhaushalt und bei den Fördermitteln für die Integrationsmaßnahmen für Aussiedler setzen. Der Kulturhaushalt leidet - wie bereits in den vergangenen Jahren - an der beschlossenen Plafondierung. Die vorgesehenen rund 692 Millionen DM kommen faktisch einer jährlichen Kürzung gleich. Erst in den Jahren 1999 und 2000 soll der Plafond um jeweils 5 Millionen DM angehoben werden, um im Jahre 2001 die Fördersumme von 700 Millionen DM zu erreichen. Da dies so ist, muß um so genauer hingeschaut werden, wie und wofür diese plafondierten Mittel im Kulturbereich vergeben werden. Was stellen wir fest? - Immer noch ist das Verhältnis zwischen institutioneller Förderung und Projektförderung schieflastig. 83 Prozent des Kulturplafonds sind indisponibel durch institutionelle Förderung gebunden. 575 Millionen DM werden so für den laufenden Betrieb und für Investitionen bei 49 Zuwendungsempfängern aufgewendet. Die vom Haushaltsausschuß längst beschlossene Umstellung von institutioneller Förderung auf Projektförderung erfolgt viel zu schleppend. Aber Verzögerungen sind ja bei dieser Regierung geradezu ein Markenzeichen. ({8}) Lediglich fünf Einrichtungen aus dem klassischen Kulturhaushalt werden im nächsten Jahr auf Projektförderung umgestellt. So bleibt auch 1998 der Gestaltungsspielraum für Projektförderung mit 17 Prozent zu gering. 22 Prozent des Kulturhaushaltes - rund 155 Millionen DM - fließen in die neuen Bundesländer. Der enorme Nachholbedarf läßt sich damit nicht befriedigen, auch wenn nicht verkannt werden soll, daß das Leuchtturmprogramm Ost für ostdeutsche Kultureinrichtungen von nationaler Bedeutung, die Aufstockung des Denkmalschutzprogramms auf 45 Millionen DM und das Sanierungsprogramm „Dach und Fach" - Ihr Lieblingskind, Herr Minister Uta Titze-Stecher immerhin Zeichen dafür sind, daß die Kultur in diesem Ministerium einen Stellenwert hat, allerdings nicht den, den wir uns wünschen. ({9}) Ein Wort noch zu Berlin, weil wir als Berichterstatter gerade heute nachmittag mit dem Regierenden Bürgermeister zusammensaßen. Sie wissen, daß 60 Millionen DM aus dem Einzelplan des Bauministers im Rahmen des Hauptstadtkulturvertrages zu den 350 Millionen DM hinzukommen, die aus dem Etat des Innenministers nach Berlin fließen. Ich hoffe, daß sich das Hauptstadtkuratorium, dessen Mitglied Sie sind, Herr Minister, in Zukunft wesentlich schneller als bisher über die Mittelverwendung einig wird, damit eine unnötige Zitterpartie wie seinerzeit für das Haus der Kulturen der Welt ein einmaliger Ausrutscher bleibt. Für die Pflege des Geschichtsbewußtseins sind 47 Millionen DM vorgesehen, darunter rund 16 Millionen DM für Gedenkstätten. Der unaufschiebbare Sanierungsbedarf bei den KZ-Gedenkstätten wird damit nicht bewältigt. Die Originalgebäude der brandenburgischen Gedenkstätten in Ravensbrück und Sachsenhausen zerfallen völlig, wenn es dabei bleiben sollte, daß der Rahmeninvestitionsplan zwischen dem Bund und dem Land Brandenburg die Frist für die Sanierung und Sicherung bis zum Jahr 2006 hinauszögert. Der durch die DDR verursachte ruinöse Bauzustand wird von ausländischen Staatsgästen zu Recht regelmäßig kritisiert. In Sachsenhausen waren viele Verurteilte der sowjetischen Militärtribunale inhaftiert, darunter auch Vertreter der Parteien. Die Errichtung des geplanten Museums zur Geschichte des sowjetischen Speziallagers sollte daher endlich in Angriff genommen werden. Aber auch hier Fehlanzeige! Im Jahr 2000 wird der 50. Jahrestag der Auflösung aller Lager begangen. Ich hoffe, daß bis dahin alle dringenden Sicherungs- und Sanierungsarbeiten abgeschlossen sind. Es ist uns - das sei hier lobend erwähnt - während der Haushaltsberatungen gelungen, die Errichtung einer Bundesstiftung zur Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur im Einzelplan 06 zu etatisieren. Im Vorfeld hat es einige Irritationen darüber gegeben, ob wir das Projekt in den Einzelplan 02 oder 06 stecken. Es ist nun da, wohin es gehört. Damit hat der Deutsche Bundestag ein deutliches politisches Signal gegen Totalitarismus und Diktatur gesetzt. Er folgt damit dem einstimmigen Beschluß der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit". Folgeschäden an Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum kann man nicht, zumindest nicht materiell, entschädigen. Um so wichtiger ist zur Würdigung der Opfer die Aufarbeitung der Geschichte der Diktatur. Eine zentrale Aufgabe der Stiftung wird die Weiterführung der sachgerechten Arbeit der Aufarbeitungsinitiativen und Opferverbände sein. Zur Sicherung der vom Zerfall bedrohten Archivmaterialien duldet allerdings die Arbeitsaufnahme der Stiftung keinen Aufschub. Ausdrücklich begrüße ich hier, verbunden mit einem Dank, die Etatisierung von Bundesmitteln für zwei neue Projekte. Erstmals beteiligt sich der Bund im Rahmen seiner nationalen Verantwortung mit je 0,5 Millionen DM an der Sanierung der KZ-Gedenkstätte Dachau - immerhin dem viertgrößten Museum in der Bundesrepublik mit mehr als 700 000 Besuchern pro Jahr - und an der Errichtung eines Dokumentationszentrums auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Da ist der Bund einmal über seinen Schatten gesprungen. Sie wissen, daß er bisher elf Gedenkstätten im Osten auf der Grundlage eines von uns allen beschlossenen Gedenkstättenkonzeptes fördert. Die Mehrheitsverhältnisse im Haushaltsausschuß sind bekannt. Daher bedanke ich mich hier ausdrücklich für die Unterstützung meiner Kolleginnen und Kollegen in dieser Sache. Ohne sie wäre nichts möglich gewesen. ({10}) Das war keine Selbstverständlichkeit; deswegen lege ich Wert auf diesen Dank. Ich denke aber, daß diese Bundesbeteiligung, wenn sie Sinn machen soll, verstetigt werden muß, bis beide Projekte abgeschlossen sind. Ich komme zu meinem zweiten Schwerpunktthema. Am 30. Oktober fand im Plenum eine Debatte zur Reform der Staatsangehörigkeit statt, am 13. November, also vor rund zwei Wochen, eine weitere zu den Initiativen von Koalition, Bundesrat und SPD zum Thema Spätaussiedler. Dabei wurde deutlich, daß Opposition und Regierungskoalition unvereinbare und sehr unterschiedliche Vorstellungen von Integration und Steuerung der Zuwanderung von Ausländern haben. Wir wissen, Herr Waffenschmidt, daß das Gesetz über die Festlegung des Wohnortes für Spätaussiedler eine reine Notmaßnahme ist, eigentlich eine Zumutung, die die Freizügigkeit, auf die wir alle Wert legen, einschränkt, ({11}) die aber notwendig war; das will ich nicht in Abrede stellen. Sie wurde allerdings notwendig, weil Sie sich weigern, die seit 1992 veränderten Realitäten zur Kenntnis zu nehmen und angemessen darauf zu reagieren. ({12}) Als Stichwort nur zur Erinnerung: Die Arbeitslosigkeit unter Aussiedlern beträgt 30 Prozent; die Jugendarbeitslosigkeit ist dort noch höher. Meiner Meinung nach haben Sie da einiges zu überdenken. Wenn diese Bundesregierung die Leistungen für Eingliederungs- und Förderprogramme in den Jahren 1994 bis 1996 fast halbiert hat, Herr MarUta Titze-Stecher schewski, dann war die Orientierung der Aussiedler an gewissen Schwerpunkten vorhersehbar. Wir brauchen eigentlich keine weiteren Wohnraumreglementierungen, sondern verbesserte Integrationshilfen: mehr und längere Sprachkurse, zielgenaue Projekte für heranwachsende Jugendliche, Ausbildungs- und Arbeitsplätze in Regionen mit besonders hohem Aussiedleranteil. Eines kann ich Ihnen versichern: Wir haben über diese Punkte mit den Aussiedlern selbst gesprochen und finden dafür größtes Verständnis. ({13}) Was aber tut die Bundesregierung? - Sie senkt die Ausgaben für Aussiedler um 9,3 Prozent, allein gegenüber dem Ansatz des letzten Jahres um 87,3 Millionen DM. Diese Absenkung erfolgt in der himmlischen Annahme, daß 1998 nur noch 150 000 Spätaussiedler einreisen werden. Für Eingliederungshilfen sind zwar 235 Millionen DM im Haushaltsjahr 1998 vorgesehen, aber nicht für Integrationsmaßnahmen, sondern als pauschaler Ausgleich für erlittenen Gewahrsam durch einmalige Zahlungen in Höhe von 4000 bis 6000 DM je nach Alter. Das ist nicht die Förderung der Integration, die ich mir vorstelle. Darunter stelle ich mir beispielsweise Projekte vor, die die erschreckenden Konsequenzen wie Drogenkriminalität oder sogar Kinderprostitution zurückführen und bekämpfen. Ich meine, das seit Jahren erfolgte Zurückdrehen der Zuwendungsschraube ist kontraproduktiv. Eigentlich muß man sagen, daß die Bundesregierung äußerst fahrlässig handelt, wenn sie die Mittel für Integration reduziert. ({14}) Nur noch die zentralen Verbände der freien Wohlfahrtspflege und die Kirchen leisten hier den unschätzbaren und notwendigen Beitrag zum inneren Frieden, zu dem Sie als Bundesregierung immer weniger einbringen. Eine integrative Migrationspolitik muß Zuwanderung nach Deutschland als gesamtgesellschaftliches Phänomen definieren. Deswegen bitte ich Sie, endlich Ihre Blockade gegenüber der doppelten Staatsbürgerschaft und der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts aufzugeben. ({15}) - Ich will Ihnen, Herr Kanther und Herr Marschewski, eine Empfehlung mit auf den Weg geben: Am 6. November dieses Jahres hat der Europarat in seiner jüngsten Konvention zur Einbürgerung von Ausländern und zum Erwerb der doppelten Staatszugehörigkeit aufgefordert. Sie brauchen nur zu unterschreiben. Letzte Bemerkung: Dem Einzelplan 06 stimmen wir aus den vorgebrachten Gründen nicht zu. Dem Einzelplan 33 - Versorgung - stimmen wir natürlich, weil er sich auf gesetzliche Vorgaben stützt, zu. Ich denke, die Ablehnung des Einzelplans 06 kann ich sehr schön frei nach Goethe begründen: Sie erreichen den Wahltag - selbstverständlich - mit Müh und Not, in Ihren Armen der Haushalt ist tot. ({16})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Uelhoff, CDU/CSU.

Dr. Klaus Dieter Uelhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002352, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 06, aus meiner Sicht von der Kollegin Titze-Stecher in Zahlen zutreffend dargestellt, ist ein sehr streng durchstrukturierter Haushalt, der auf Effektivität und Effizienz setzt und von daher sicherlich auch die Handschrift des Ministers sehr deutlich macht. Wir konnten im Rahmen des Haushaltsvollzugs bei mehreren begleitenden Berichterstattergesprächen nicht nur kontrollierend eingreifen, sondern uns auch immer wieder davon überzeugen, daß hier die parlamentarische Kontrolle auch durch die Mithilfe des Hauses erleichtert wird. Dies war und ist nicht von allen Haushalten in dieser Form zu sagen. Der Haushalt zeichnet sich durch zwei Schwerpunkte aus: Der erste Schwerpunkt - das ist naheliegend - ist die innere Sicherheit mit bemerkenswerten Steigerungen sowohl im Ausgabenvolumen als auch beim Personal, insbesondere beim Bundesgrenzschutz, wo 1 700 neue Stellen geschaffen worden sind. Der zweite Schwerpunkt ist die Kulturförderung mit der Sicherheit des Plafonds von 690 Millionen DM - trotz der notwendigen Sparmaßnahmen - und mit einem ganz beachtlichen Ansatz für Denkmalschutz - das hat es in Deutschland noch nie gegeben - in Höhe von 45 Millionen DM. ({0}) Lassen Sie mich beim Thema Bundesgrenzschutz darauf aufmerksam machen, daß wir das Konzept, das im Ministerium und von anderen gründlich vorbereitet worden ist, auch im Haushaltsausschuß noch einmal durchsprechen werden. In der Sache findet es unsere Unterstützung: Die Großliegenschaften werden künftig von 30 auf 21 reduziert; beim Personal soll von Versetzungen abgesehen werden. Denn das Personal muß dort sein, wo es gebraucht wird. Dadurch entfallen auch die sonst dauerhaft erforderlichen Kosten der Abordnung. Ein besonderes Problem war - vielleicht ist es das jetzt nicht mehr, aber es ist im Haushalt immer noch nachlesbar - die Bereitschaftspolizei der Länder. Ein mehr als spärlicher Mittelabfluß führte bereits in den vergangenen Jahren bei den Berichterstattern zu Überlegungen, diese Mittel in der Größenordnung eines zweistelligen Millionenbetrages einzusparen. Nun hat ein personeller Neuanfang innerhalb des Ministeriums begonnen. Wir hoffen damit auf einen sachgerechten Mittelabfluß. Außerdem hoffen wir, daß durch den Abschluß des Verwaltungsabkommens mit den Bundesländern der Stillstand aufhört und daß es zu der notwendigen Kompatibilität des Bundesgrenzschutzes mit der Bereitschaftspolizei der Länder kommt. Ein Wort zu den Aussiedlern: Die Kollegin TitzeStecher hat dazu einige kritische Anmerkungen gemacht, die ich überhaupt nicht teile. Die deutsche Aussiedlerpolitik zeigt nämlich hervorragende Ergebnisse. Bei der Integration in Deutschland hilft etwa das Wohnortzuweisungsgesetz, nach dem die Aussiedler gleichmäßiger verteilt und Ballungsräume vermieden werden. ({1}) Die Sprachoffensive für Deutsch und der Sprachtest in Rußland und Kasachstan verbessern die Deutschkenntnisse der Aussiedler. Kenntnisse der deutschen Sprache sind Voraussetzung für die Integration in Deutschland. Deutsche Siedlungsschwerpunkte in Rußland, die von uns immer wieder gefördert wurden, bewähren sich, weil sie viele Deutsche aus Kasachstan aufnehmen und dazu beitragen, daß mögliche Aussiedler, die oft ihre Bescheinigungen schon haben, nicht nach Deutschland kommen, sondern sich in Rußland wohlfühlen. Deshalb möchte ich dem Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung ein ganz herzliches Wort des Dankes sagen, denn ohne Horst Waffenschmidt wäre das alles nicht so umsichtig und nicht so menschlich geregelt worden. Ein herzliches Dankeschön unserem Kollegen, der sich darum in langer Zeit viele Verdienste erworben hat. ({2}) Zur Kulturpolitik ist einiges von der Kollegin Titze-Stecher gesagt worden; das meiste davon kann ich unterstreichen. Ich möchte allerdings ein Thema besonders aufgreifen, was heute schon bei der Beratung des Einzelplanes 05 eine Rolle gespielt hat, nämlich die Beutekunst. Dazu ist schon in erfreulicher Übereinstimmung auch mit dem Bundesaußenminister von Kollegen von allen Seiten des Hauses einiges gesagt worden. Ich halte es für wichtig, daß dieses Thema nicht nur ein Thema von Regierungsverhandlungen ist, sondern auch im Parlament kontinuierlich zur Sprache kommt. ({3}) Ceterum censeo - so etwa möchte ich das Thema behandelt sehen. Für alle, die sich dem deutschen Kulturerbe verpflichtet fühlen, geht es entscheidend um dessen Sicherung für den deutschen Kulturraum. Je mehr die Grenzen in Europa an Bedeutung verlieren, desto wichtiger ist das regionale - ich spreche bewußt nicht vom nationalen - deutsche Kulturerbe. Der Schatz des Priamos als ein Flaggschiff ist für mich gar nicht so sehr wichtig. Der Eberswalder Goldschatz aber, 1913 von deutschen Wissenschaftlern in Deutschland ausgegraben, ist einer der ältesten archäologischen Funde auf deutschem Boden, nämlich aus der jüngeren Bronzezeit - 9. Jahrhundert vor Christus. Eigentümer dieser 80 Einzelstücke ist das Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin, also die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Was soll eigentlich dieser Ausweis deutscher Kultur in den Kellern des Puschkin-Museums in Moskau? Warum bleiben die drei großen Chorfenster aus der St. Marienkirche in Frankfurt an der Oder in den Kellern der Eremitage in St. Petersburg verborgen? Dieses Denkmal deutscher Glasmalerei aus dem 14. Jahrhundert sollte wieder an Ort und Stelle in der Kirche in Frankfurt an der Oder zu sehen sein. ({4}) Auch die deutschen Autographen von Luther und Goethe, von Bach und Beethoven gehören nicht nach Krakau, sondern in die Deutsche Staatsbibliothek nach Berlin. ({5}) In allen politischen Gesprächen mit unseren osteuropäischen Nachbarn sollten wir daran erinnern, daß nicht nur die neuen Verträge den Rechtsanspruch deklarieren und daß der Grundsatz „Pacta sunt servanda" ein anerkannter Grundsatz des Völkerrechts ist. Wir sollten unsere Nachbarn, und zwar nicht nur diejenigen, die mit uns in der Europäischen Union verbunden sein wollen, an die Haager Landkriegsordnung von 1907 erinnern. Darin ist Kulturraub für alle zivilisierten Staaten verboten. Ich teile ausdrücklich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, den Gedanken einer gemeinsamen Stiftung, die wiederum völkerverbindend und befriedend wirken kann. Aber ich bin auch der Meinung, daß eine ganze Reihe der uns jetzt immer noch vorenthaltenen Kunstschätze im Interesse des deutschen Kulturerbes ihren Platz nicht in einer deutsch-russischen oder deutsch-polnischen Stiftung haben, sondern ihr Platz ist ausschließlich in Deutschland, wo diese Kunstschätze historisch und kulturell hingehören. Diese Forderung, meine ich, darf uns Deutsche nicht ruhen lassen, und ich bin sicher, daß jeder kulturbeflissene Pole und jeder kulturbeflissene Russe uns dabei auch unterstützt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch ein Wort zu den politischen Stiftungen sagen, die auch zu großen Bereichen aus dem Einzelplan 06 gehören, aber auch zum Entwicklungsministerium und zum Bildungsministerium. Bei diesen politischen Stiftungen, meine sehr verehrten Damen und Herren, handelt es sich um eine Einrichtung, die ganz wichtige gesellschaftspolitische und demokratische Bildungsarbeit, Information und Politikberatung leistet. Die Vermittlung von hochrangigen Gesprächspartnern wurde von ihnen betrieben: Die Adenauer-Stiftung vermittelte kürzlich den Generalsekretär der NATO, die Naumann-Stiftung und Böll-Stiftung den Dalai Lama, die Friedrich-Ebert-Stiftung den Staatspräsidenten von Brasilien, und dank der Hanns-Seidel-Stiftung ist es mir vor zehn Jahren gelungen, in Südafrika Tabo Mbeki kennenzulernen. Politische Stiftungen haben zu politischen Parteien zwar eine Nähe, aber die Hilfen und die finanziellen Leistungen für die politischen Stiftungen haben mit Parteienfinanzierung überhaupt nichts zu tun. ({6}) Meine Damen und Herren, dies macht auch die Hochbegabtenförderung deutlich, die alle diese politischen Stiftungen leisten, nicht zuletzt auch die großartige Arbeit, die sie in der Demokratisierung in Südafrika, in Spanien, in Portugal, in Südamerika und in Osteuropa geleistet haben. ({7}) Mit seiner Entscheidung von 1983 hat das Bundesverfassungsgericht die langjährige Staatspraxis der Globalfinanzierung ausdrücklich bestätigt. Ich meine, dies alles hat mit Parteienfinanzierung gar nichts, aber mit politischer und allgemeiner Bildung sehr viel zu tun. Dies, meine ich, sollten wir auch einmal in aller Öffentlichkeit zum Ausdruck bringen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Sport ließe sich noch einiges sagen. Ich bin dankbar, Herr Minister, daß sich auch die ehemaligen Nutznießer der Hochleistungsausbildungsstätten nun vielleicht doch gemeinsam mit der Sporthilfe um einen Fonds scharen und damit auch selbst etwas von dem Geld, das sie jetzt verdienen, für den Nachwuchs einspeisen können. Es gehört für mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den in hohem Maße befriedigenden politischen Tätigkeiten der vergangenen Jahre, daß ich über viele Jahre den Haushalt des Bundesinnenministeriums und früher auch des Zivilschutzes kontrollierend und manchmal korrigierend, aber stets konstruktiv begleiten durfte. Dabei gilt Ihnen, Herr Minister Kanther, sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mein Dank für die Offenheit und Redlichkeit, zwei hervorragende Voraussetzungen für unsere gute Zusammenarbeit. Doch nicht die nüchterne Materie von der inneren Sicherheit bis zum öffentlichen Dienstrecht oder auch die so reizvolle Materie der deutschen Kulturpolitik oder der Förderung des Hochleistungssports waren allein Motivation, sondern vor allem auch die stets kollegiale Zusammenarbeit mit allen Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses, mit meinen Mitberichterstattern, aber auch den Fachausschüssen, die einen im Umgang mit dem Bundesinnenministerium etwas freundlicher, die anderen etwas kritischer, aber immer an der Sache orientiert und höchst sympathisch im persönlichen Umgang. Dafür sage ich Ihnen allen meinen herzlichen Dank. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte, die Debatte über den Haushalt des Bundesinnenministers, ist für die Opposition traditionell die Gelegenheit für die Abrechnung mit der Regierung. ({0}) - Ich glaube nicht, ein paar hören schon noch zu, Herr Geis, keine Sorge. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um ein paar Takte zu den Punkten zu sagen, bei denen nicht nur die Koalition selber, sondern leider auch Großkoalitionäre betroffen sind. Ein Punkt davon wurde heute schon angesprochen: der große Lauschangriff. Ich möchte ferner ein paar Takte zum Thema Europol sagen. Der im Prinzip richtigen Idee der Einrichtung einer europäischen Polizeiinstitution - damit habe ich kein Problem - wurde durch die Art der Umsetzung schwerer Schaden zugefügt. ({1}) Ein praktisch kontrollfreies Europol, dessen Polizisten für ihr Tun noch nicht einmal strafrechtlich einstehen sollen, muß unsere Ablehnung finden. Damit macht man die Idee kaputt und nützt ihr mit Sicherheit nicht. Die Kritik aus der Fachwelt - von der Generalbundesanwaltschaft über Rechtsprofessoren bis hin zur organisierten Richterschaft - sollte Ihnen eigentlich Anlaß geben, über diese Sache noch einmal nachzudenken. Ich hoffe, daß die Bundesregierung jetzt die Gelegenheit nutzt, um auf europäischer Ebene mit dem Ziel nachzuverhandeln, daß die Straffreistellung von Europol-Bediensteten beseitigt wird. Ein zweiter Punkt, bei dem wir Kritik an der faktisch großen Koalition und auch an der Verhandlungsführung unserer Freunde von den Sozialdemokraten üben, ist der große Lauschangriff. Es ist hinreichend bekannt - mein Kollege Volker Beck hat vorhin in der Rechtsdebatte noch einmal darauf hingewiesen -, daß es Kritik bezüglich der Wirksamkeit des großen Lauschangriffs gibt. Diese Kritik wird auch von Kollegen aus den Reihen der F.D.P. geteilt. Über die Kostenfrage möchte ich jetzt gar nichts sagen. Nur, meine Damen und Herren von der Koalition und von der SPD: Wer hätte denn gedacht, daß gesetzlich besonders geschützte Vertrauenspersonen wie Ärzte, Anwälte, Journalisten, Abgeordnete oder sogar Geistliche belauscht werden sollen? Ich denke, es ist gerade für die Union ein Armutszeugnis, sich vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz sowie vom Vorsitzenden der EKD daran erinnern lassen zu müssen, daß Sie offensichtlich jeden Maßstab verloren haben. ({2}) Es ist geradezu peinlich für die F.D.P., die ja öffentlich als Partei der Ärzte, Rechtsanwälte oder Steuerberater bekannt ist, sich von deren Standesvertretungen und Berufsorganisationen vorhalten lassen zu müssen, daß das Mandatsgeheimnis ausgehöhlt wird. Zur SPD muß ich sagen: Ihre Verhandlungsführer und Lauschangreifer müssen sich von Ihrem Ehrenvorsitzenden und ehemaligen Bundesjustizminister Vogel sagen lassen, daß der von Ihrer Fraktion mitgetragene Gesetzentwurf - ich zitiere - „an der unteren Cem Özdemir Grenze des Vertretbaren" liegt. Auch das scheint mir eine schallende Ohrfeige für die SPD-Verhandlungsführer in dieser Frage zu sein. Die kosmetischen Änderungen ändern nichts am Grundproblem: Sie haben meines Erachtens in der Frage schlecht verhandelt und haben sich von der Union über den Tisch ziehen lassen. ({3}) Lassen Sie mich noch ein paar Takte zum Thema innere Sicherheit und Kriminalität sagen. Wir sind nicht der Meinung, daß die „Aktion Sicherheitsnetz" eine Lösung für das Problem der inneren Sicherheit ist. Mit dieser Aktion wird so getan, als ob das entscheidende Problem die Kleinkriminalität sei. Was wir statt dessen dringend brauchen, sind die Bekämpfung der Jugendkriminalität, der Ausbau der Jugendhilfe und schließlich eine Wende in der Drogenpolitik hin zu einer Politik, die die Drogenhändler bekämpft und nicht diejenigen, die unter den Drogen zu leiden haben, nämlich die Drogenabhängigen. ({4}) Wir wollen, daß die Polizei wieder stärker auf die Straße geschickt wird, so daß der Bürger das Gefühl hat, die Polizei ist für ihn da. Wir wollen Polizei und Justiz gemeinsam in die Lage versetzen, daß Korruptionsdelikte, Wirtschafts- und Umweltkriminalität energisch bekämpft werden, und zwar dort, wo immenser volkswirtschaftlicher Schaden entsteht. Aber - das in einer Kriminalitätsdebatte zu erwähnen ist wichtig - die Kompetenz unserer Bürgerinnen und Bürger muß, gerade was die Bekämpfung der Kriminalität in der Nachbarschaft angeht, stärker mit einbezogen werden. Ich möchte noch ein paar Takte zur Ausländerkriminalität sagen, die im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes wieder aus der Hutschachtel gezogen wird. Immer dann, wenn die Rechten in unserer Gesellschaft Probleme haben, wird dieses Thema hochgespielt. Daß man in diesem Bereich versucht, auf dem Rücken von Minderheiten Wahlkampf zu machen und Wahlen zu gewinnen, ist, so denke ich, einer Demokratie und der Demokraten nicht würdig. Es geht nicht darum, daß man Probleme leugnet - wir wollen die Probleme gerne offen besprechen -, nur möchte ich gerne noch einmal ein paar Fragen bezüglich der Logik Ihrer Vorgehensweise auf dem sogenannten Feld der Ausländerpolitik stellen. Herr Neuville - Ihnen allen, die sich mit Fußball beschäftigen, sicherlich als Rostocker Stürmer bekannt -, dessen Deutschkenntnisse ja gerühmt werden, der die französische Sprache und andere Sprachen brilliant spricht und der nur mit der deutschen Sprache etwas Schwierigkeiten hat, wird als Doppelstaatsbürger unsere Nationalmannschaft unter Leitung von Berti Vogts bereichern. Als jemand, der sich über gute Fußballeistungen freut, finde ich das gut. Nur, erklären Sie diesen Sachverhalt bitte einmal den hunderttausend ausländischen Kindern, die jedes Jahr bei uns auf die Welt kommen, die in diese Gesellschaft hineingeboren werden und die diese Rechte - trotz ihrer Loyalität zu dieser Gesellschaft - nicht bekommen. Deren doppelte Staatsbürgerschaft stellt offensichtlich ein Problem dar, während sie offensichtlich bei Fußballern, die für Deutschland sportliche Leistungen erbringen, und. bei Sportlern, die Medaillen holen, kein Problem darstellt. ({5}) Sie malen bei der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft ein geradezu apokalyptisches Inferno. Gleichzeitig darf man nachlesen, daß die CSU, zum Teil auch mit Abgeordneten aus Ihren Reihen, in Polen für die doppelte Staatsbürgerschaft wirbt, daß aus dem Haushalt des Bundesinnenministeriums Gelder für Deutsche in Polen zur Verfügung gestellt werden. Erklären Sie mir doch einmal, warum die doppelte Staatsbürgerschaft dort integrationsfördernd ist und es hier für Türken und andere Ausländer nicht sein soll. Ich glaube, diese Logik bleibt nicht nur uns verschlossen. ({6}) Schließlich möchte ich noch auf eine Sache hinweisen, über die Sie einmal energisch nachdenken sollten. Wollen Sie Schlagzeilen wie die heute im „Handelsblatt" „Rechtsaußen Le Pen lobt deutsches Ausländerrecht als vorbildlich" wirklich veranlassen? Ich darf zitieren: Der rechtsextreme Franzose hat das deutsche Ausländerrecht zum Vorbild erkoren. Bereits vor Monaten hatte Le Pen eine Rede von Bundeskanzler Helmut Kohl zum deutschen Ausländerrecht gelobt. Kohl habe völlig recht, wenn er die doppelte Staatsbürgerschaft ablehne. Die deutsche Regierung habe verstanden, welche Gefahr die Türken darstellen. - Es wäre ganz gut, wenn Sie hier einmal klarstellten, daß Ihre Ausländerpolitik dies - bei aller Kritik - nicht zum Ziel hat. Ich möchte zum Abschluß noch auf ein Problem hinweisen, über das wir in diesem Haus in dieser Form noch nicht diskutiert haben, über das wir aber, wie ich finde, dringend einmal eine Extradebatte führen sollten. Wir sollten uns einmal über das unterhalten, was zur Zeit im Osten unseres Landes los ist, was zur Zeit im Osten unserer Republik passiert: daß das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Recht auf Bewegungsfreiheit in Teilen unseres Landes nicht mehr gewährleistet wird - was für Sie offensichtlich kein Problem darstellt. Ich möchte zum Schluß die Gelegenheit nutzen, im Namen von allen Demokraten Herrn Martin Agyare, dem 25jährigen Ghanaer, der jetzt zum zweitenmal innerhalb von drei Jahren von Rechtsradikalen zusammengeschlagen wurde - was heute nur noch als Meldung auf den hinteren Seiten der Zeitungen auftaucht -, nicht nur unsere Solidarität auszusprechen, sondern mich bei ihm im Namen von allen Deutschen dafür zu entschuldigen, daß so etwas in Deutschland immer noch passiert. Ich hoffe, es passiert nie wieder. Wir sollten diese Gelegenheit dazu nutzen, dem Rechtsradikalismus in allen Formen mit aller Entschiedenheit den Kampf anzusagen. Bitte widmen Cem Özdemir Sie 10 Prozent Ihrer Zeit, die Sie für die Ausländerkriminalität aufbringen, diesem Anliegen. Dann sind wir einen großen Schritt weiter. Vielen Dank. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Dr. Stadler, F.D.P.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der heutigen Debatte habe ich erstmals Gelegenheit, für die F.D.P.-Fraktion zum Haushalt des Bundesinnenministeriums zu sprechen. Ich möchte diese Gelegenheit natürlich dazu nutzen, losgelöst vom Zahlenwerk des Einzelplans 06, einige Grundsätze darzulegen, wie ich mir eine liberale Innenpolitik vorstelle, und diese in Beziehung zu aktuellen politischen Fragen zu setzen. ({0}) Liberale Innenpolitik kann paradoxerweise mit den Attributen „konservativ", „reformerisch" und „sozial" beschrieben werden: ({1}) konservativ bei der Erhaltung des Rechtsstaates, reformerisch in der Reaktion auf neue gesellschaftliche Entwicklungen und sozial in der Garantie der inneren Sicherheit für jedermann. Konservativ, also bewahrend, muß die Innenpolitik bei der Sicherung der rechtsstaatlichen Grundsätze sein. Im Jahresbericht der Bundesregierung müßte die Darstellung der Politik des Innenministeriums eigentlich mit dem Kapitel „Bewahrung der inneren Liberalität" beginnen. Ich sehe zwei aktuelle Tendenzen, die diese innere Liberalität gefährden könnten. Erstens. Der fürsorgliche Staat ist stets versucht, zum bevormundenden Staat zu werden. Was zum Beispiel beim Jugendschutz richtig ist, wirkt gegenüber Erwachsenen meist als unnötiger Eingriff in deren private Lebensführung. Daher haben wir es etwa bei der Novellierung des Gesetzes über die Deutsche Welle unterlassen, in eine verfassungsrechtlich bedenkliche Programmzensur einzusteigen. Aber es ist die Frage zu stellen, ob die Gesetzgebung - um einen anderen Bereich zu nennen - wirklich schon hinreichend anerkannt hat, daß die privaten Lebensbeziehungen der Menschen sehr unterschiedlich sind. Auch in der Drogenpolitik könnte - wie ein Blick ins benachbarte Ausland lehrt - der Grundgedanke des Schutzes von Jugendlichen und der Selbstverantwortung von Erwachsenen zu neuen Ansätzen führen. ({2}) Zweitens. Die innere Liberalität ist darüber hinaus durch falsche Abwägungen im ständigen Spannungsfeld zwischen der Effektivität polizeilicher Eingriffsmöglichkeiten und der Bewahrung der Grundrechte Betroffener gefährdet. In diesem Spannungsfeld ist eine immer stärkere Akzentverlagerung hin zur Effektivität zu beobachten. Die Bewahrer rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze dürfen aber nicht in den falschen Verdacht gebracht werden, es handele sich bei ihnen um weltfremde Theoretiker, die überholten Rechtsstaatsmaximen anhingen und somit zu Hindernissen für eine erfolgreiche Polizeiarbeit würden. Vielmehr geht es darum, daß gerade dann, wenn materiell schwerwiegende Eingriffe, etwa beim sogenannten großen Lauschangriff, erlaubt werden, das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der Maßnahmen um so mehr durch adäquate Verfahrensregelungen geschützt werden muß. In diesem Zusammenhang sind zum Beispiel die Berufsgeheimnisse von Anwälten und Journalisten nicht etwa nur ein Thema für eine Fußnote oder für einen kurzen Satz in einer Gesetzesbegründung, sondern ein Thema von erheblicher Bedeutung für die innere Liberalität. Ein weiteres Beispiel aus dem Spannungsfeld zwischen Effizienz und Bürgerrechten: Das Grundrecht auf Datenschutz muß nach wie vor gegen das perfide Etikett des Täterschutzes ankämpfen. Wirklich nötig wäre statt dessen, die europäische Datenschutzrichtlinie endlich in innerstaatliches Recht umzusetzen. Ich sagte, liberale Innenpolitik müsse konservativ in der Bewahrung des Rechtsstaates sein. Sie muß aber zugleich reformerisch sein. Wenn sich die Lebensverhältnisse ändern, können nur Reformen Stabilität schaffen. ({3}) Herr Geis, dies ist der tiefere Sinn der so heftig geführten Kontroverse um die doppelte Staatsangehörigkeit für hier geborene Ausländerkinder. Ein Staatsangehörigkeitsrecht, das früher einmal brauchbar gewesen sein mag, muß eben um neue Elemente ergänzt werden, wenn sich die Realitäten, zu denen dieses Recht passen soll, dramatisch verändert haben. ({4}) Ich möchte es bei diesem einen Beispiel belassen, um drittens schließlich dazu zu kommen, daß eine liberale Innenpolitik in dem Sinne sozial sein muß, daß die staatliche Gemeinschaft dort einzugreifen hat, wo das Individuum sonst schutzlos wäre. Die Gewährleistung der inneren Sicherheit ist nicht privatisierbar. Die strafrechtlich zu schützenden Rechtsgüter stehen jedermann zu, unabhängig von sozialer Stellung und Einkommen. Deshalb ist das Gewaltmonopol des Staates gerade für Liberale unantastbar. Entgegen verbreiteter Meinung hat daher die F.D.P.-Bundestagsfraktion dem Staat in hinreichender Weise die gesetzlichen Instrumentarien an die Hand gegeben, um das Gewaltmonopol ausüben und innere Sicherheit gewährleisten zu können. ({5}) Mein Vorgänger als innenpolitischer Sprecher der F.D.P.-Fraktion, Burkhard Hirsch, hat kürzlich eine eindrucksvolle Liste vorgelegt, aus der ersichtlich ist, daß allein in der Zeit von 1990 bis Mitte 1997 insgesamt 39 Gesetze mit den Stimmen der F.D.P. verabschiedet worden sind, mit denen die gesetzlichen Instrumentarien für Polizei und Justiz verbessert worden sind. Daß bei der Anwendung dieser Gesetze das Prinzip der Humanität und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit praktiziert werden müssen, ist dem Innenausschuß ein besonderes Anliegen. Dies gilt für alle Fraktionen und Gruppen, wie sich bei zahlreichen Debatten im Ausschuß gezeigt hat. Beispielhaft nenne ich das fraktionsübergreifende Bemühen des Innenausschusses um eine vernünftige und humane Politik bei der Rückführung von bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen. Ich komme zum Fazit: Der Vergleich der von mir in aller Kürze dargestellten Prinzipien liberaler Innenpolitik mit der Alltagspraxis zeigt, daß Wünsche notwendig offenbleiben müssen. Diese Erfahrung haben wir Liberale übrigens auch schon in anderen politischen Konstellationen gemacht. Gleichwohl konnten in der Koalition mit der CDU/CSU auch in diesem Jahr viele Probleme der Innenpolitik in kollegialer Zusammenarbeit mit befriedigenden Inhalten gelöst werden. Innenpolitik setzt im Spannungsfeld von Freiheit und Ordnung eben oft schwierige Abwägungen voraus. Gestatten Sie mir deshalb, daß ich mit einem Zitat aus Platons „Gorgias" ende, wo ein Dialog des Philosophen Sokrates mit seinem Schüler Kallikles geschildert wird. ({6}) - „Die Gerichtssprache ist deutsch", Herr Geis, so § 184 GVG. Sokrates hält die Politiker allesamt entweder für Schmeichler oder für Demagogen. Er will von Kallikles wissen, ob dieser einen benennen könne, der in seiner Rede immer das Beste verfechte, möge es für die Zuhörer angenehm oder unangenehm sein. Kallikles antwortet: Ja, beim Zeus, ich weiß dir keinen zu nennen, wenigstens unter den jetzigen Rednern. Wir hoffen, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß dieses Verdikt des Kallikles auf unsere Innenpolitik nicht zutrifft, sondern daß wir die geschilderten schwierigen Abwägungen in der Weise treffen, daß das Beste für die innere Liberalität in unserem Lande erreicht wird. Vielen Dank. ({7})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke, PDS.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Stadler, es war zum Glück sehr männlich formuliert; deswegen habe ich eigentlich nicht allzuviel gegen das Zitat einzuwenden. Meine Damen und Herren, auch im kommenden Haushaltsjahr werden die Vertriebenenverbände in Millionenhöhe aus Bundesmitteln gefördert. ({0}) Ich möchte hier an zwei Beispielen deutlich machen, warum dem BdV sämtliche Mittel gestrichen werden sollten. Erstens. Im „Schlesier" äußerte sich jüngst der Vorsitzende des Zentralrats der vertriebenen Deutschen über die Hochwasserkatastrophe in Polen. Er forderte die Leser nicht etwa dazu auf, den polnischen Opfern Spenden zukommen zu lassen - im Gegenteil: Die Oder-Flutwelle sei ein Fingerzeig Gottes. Die Polen müßten die „ostdeutsche Beute" endgültig an Schlesier, an Pommern und an Ostpreußen zurückgeben. - Der Zentralratsvorsitzende betrachtet die Hochwasserkatastrophe in Polen als gerechte Strafe für die geraubten Gebiete. Derselbe Vertriebenenfunktionär hatte erst im Juni dieses Jahres zusammen mit dem BdV-Vizepräsidenten Latussek die Wählergemeinschaft Deutscher Heimatvertriebener und Entrechteter gegründet. Finanziert wurde diese rechtsextremistische Parteigründung unter anderem aus Mitteln des BdV. Zweitens. Die Landsmannschaft Ostpreußen hat kürzlich den sogenannten Preußischen Mediendienst eingerichtet. Die Landsmannschaft Ostpreußen hat hiermit den rechtsextremen Koblenzer Verlag Siegfried Bublies beauftragt. Bublies war früher führender Kader der Jugendorganisation der NPD und anschließend Funktionär der Republikaner. Der Bublies-Verlag ist heute der führende Verlag für NS-Literatur. Unter anderem werden bei ihm Schriften des NS-Ideologen Alfred Rosenberg veröffentlicht. Wie Sie wissen, weise ich schon seit Jahren auf revanchistische, antipolnische und antisemitische Umtriebe speziell der Landsmannschaft Ostpreußen hin und fordere immer wieder, daß das Haus Kanther hier keinen Pfennig ausgibt. ({1}) Dennoch wird diese Landsmannschaft immer wieder finanziert. Ich frage mich, was eigentlich noch alles passieren muß, damit die Gelder endlich gestrichen werden. Ich komme zu einem anderen Thema. Edmund Stoiber verkündete jüngst im Bundesrat, wir ständen „vor einer grundsätzlichen Neubesinnung auf die Funktion von Recht und Ordnung in einer freiheitlichen Gesellschaft". Offenbar soll das soziale Netz durch ein polizeiliches „Sicherheitsnetz" ersetzt werden. Das ist übrigens auch einem Blatt zu entnehmen, das im Haus Kanther veröffentlicht wird, nämlich das Blatt „Innenpolitik" , in dem umgestürzte Mülleimer und Obdachlose, die auf Parkbänken schlafen müssen, als Sinnbild für die derzeitige Kriminalität dargestellt werden. Soziale Ursachen spielen im Haus Kanther keine Rolle und werden nicht diskutiert. Statt dessen fechten Konservative einen Kulturkampf aus, beispielsweise gegen die sozialistisch-liberalen Reformen der 70er und 80er Jahre. Statt Kompetenz, Solidarität und Kreativität zu fördern, fordert Herr Kanther immer wieder den konservativen Wertewandel. Dazu gehören althergebrachte Tugenden wie Ordnung und Sauberkeit, aber auch Förderung des gesunden Volksempfindens, wie Herr Kanther selbst immer wieder zum besten gibt. Ich finde es sehr beschämend, daß das Innenministerium immer wieder an die SPD heranträgt, die Konzepte der 70er und 80er Jahre zu beerdigen. ({2}) Beschämend ist es aber auch, daß das von der SPD aufgenommen wird. Ich möchte ein paar Beispiele geben, die belegen, daß die SPD in großer Koalition mit der CDU/CSU und leider auch der F.D.P. keine Kosten scheut, um Grundrechte zu verramschen. Ich erinnere daran, daß der Etat des BKA heftig aufgerüstet wird, damit die kostspieligen großen Lauschangriffe finanziert werden können. Mit Hilfe der SPD konnte auch das Europol-Gesetz durchgepeitscht werden. Rund 10 Millionen DM standen mal soeben zur Verfügung, um die Bürgerrechte betreffs Europol und Schengener Abkommen zum Ausverkauf preiszugeben. Schließlich erinnere ich daran, daß der Etat des Bundesgrenzschutzes in den vergangenen Jahren, seit 1992, um 66 Prozent aufgestockt worden ist, meines Erachtens im wesentlichen deshalb, um Flüchtlinge, Migranten, Jugendliche und Obdachlose verstärkt im Lichte der Kriminalität erscheinen zu lassen und sie entsprechend verfolgen zu können. Nichtdeutsche gelten - das wissen wir von Herrn Kanther; er hat es oft genug hier gesagt - in diesem Land als Sicherheitsrisiko. Ich meine, daß das im Europäischen Jahr gegen Rassismus beschämend ist, zumal Herr Kanther dabei die Schirmherrschaft hat. Ich finde es auch beschämend - das haben bereits andere Kollegen gesagt -, daß es nach wie vor keinen Abschiebestopp für kurdische und algerische Flüchtlinge gibt. Sie werden in ihr Heimatland abgeschoben, wo sie unter Umständen Folter und Tod erwarten. Palästinensische Flüchtlinge werden ebenso ins Elend zurückgeschickt, wie auch die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina - das ist ebenfalls angesprochen worden - zurück in Chaos und Unsicherheit sollen. Das kann, so glaube ich, nicht sein.

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Frau Kollegin, Sie müssen dringend zum Schluß kommen.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme zu meinem letzten Satz. - Diese Politik des Herrn Kanther fördert meiner Meinung nach Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Es wird Zeit, einen deutlichen Wechsel auch in der Innenpolitik zu vollziehen. Wir werden diesem Haushalt natürlich nicht zustimmen. Danke. ({0})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Frankenhauser, CDU/CSU.

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Haushaltsdebatte des vergangenen Jahres wurde der Versorgungsbericht der Bundesregierung noch heftig angemahnt. Mittlerweile liegt er nicht nur seit geraumer Zeit dem Bundestag vor, sondern der Bundesminister des Innern hat zwischenzeitlich bereits Eckpunkte zur weiteren Umsetzung des Versorgungsberichtes vorgelegt. ({0}) - Abwarten. - Durch die Eckpunkte soll über die Einsparmaßnahmen des Dienstrechtsreformgesetzes hinaus der Anstieg der Besoldungs- und Versorgungsausgaben weiter begrenzt werden. Zusätzlich zu den Auswirkungen steigender Lebenserwartung und der Verkürzung der Erwerbsphase wird der öffentliche Dienst durch den erheblichen Personalzuwachs der vergangenen Jahrzehnte - in den Ländern insbesondere in den 60er und 70er Jahren - noch langfristig belastet sein. Die Zahl der Versorgungsempfänger der Gebietskörperschaften wird von rund 810 000 in 1993 bis zum Jahr 2008 auf etwa 990 000 ansteigen. Bis zum Höchststand im Jahr 2023 werden es rund 1,3 Millionen sein, bevor dann die Kurve wieder deutlich abflacht. Mit einer vergleichbaren Entwicklung ist auch bei der Zusatzversorgung der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes zu rechnen. Versorgungskosten werden nicht allein durch Personenzahlen bestimmt. Neben Veränderungen in der Struktur des Personalbestandes durch ein allgemein gestiegenes Qualifikations- und Bezahlungsniveau kommt auch der jeweiligen Gesamtdauer des Versorgungsbezugs maßgebliche Bedeutung zu. Entscheidend ist, daß neben der gestiegenen Lebenserwartung das Durchschnittsalter beim Eintritt in den Ruhestand mit knapp 59 Jahren sechs Jahre unterhalb der gesetzlichen Altersgrenze liegt. Besonders kritisch muß in der weiteren Beratung der Umsetzung des Versorgungsberichtes vor allem auch das Zurruhesetzungsverhalten der Beamten und der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst analysiert und bewertet werden. Ich denke, es kann auf Dauer nicht angehen, daß nur jeder fünfte Beamte bis zum Erreichen einer gesetzlichen Altersgrenze im aktiven Dienst bleibt. Die Regelaltersgrenze von 65 Jahren erreichten im Jahre 1993 nur 11,5 Prozent der Beamten. Fast jeder Dritte machte von der Möglichkeit Gebrauch, nach Vollendung des 62. Lebensjahres auf Antrag in den Ruhestand zu gehen. Mit rund 40 Prozent am höchsten ist der Anteil derjenigen, die wegen Dienstunfähigkeit in den vorzeitigen Ruhestand versetzt werden. In der gesetzlichen Rentenversicherung lag demgegenüber der Anteil der Rentenneuzugänge wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Jahre 1993 „nur" - oder besser gesagt: immerhin „nur" - bei 36 Prozent. Würde es gelingen, diese ohnehin markant hohe Quote von 36 Prozent auch im Bereich der Beamtenschaft zu erreichen, brächte dies eine Entlastung von etwa 1,2 Milliarden DM jährlich. Bei den Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes erreichten 1993 nur noch sage und schreibe 6,5 Prozent aller Beschäftigten die Regelaltersgrenze. Das Renteneintrittsalter lag im Durchschnitt bei den Beamten bei 58,4 Jahren, bei den Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes bei 58,8 und bei den Arbeitnehmern in der gesetzlichen Rentenversicherung bei 59,4 Jahren. Der Versorgungsbericht weist einen deutlichen Anstieg der Versorgungskosten im öffentlichen Dienst, besonders in den Ländern und Kommunen, aus, und auch der Einzelplan 33 im Haushalt 1998 läßt dies bereits deutlich werden. Es gibt allerdings keinen Anlaß für Horrorszenarien, und es handelt sich auch nicht um einen explosionsartigen, unlösbaren Kostenanstieg. Auf die außerordentlichen Zusatzbelastungen der Versorgungsleistungen von Bund und Ländern aus den „Sonderversorgungssystemen der ehemaligen DDR" möchte ich nur pauschal, aber doch gezielt hinweisen. Besonders erwähnt werden muß, daß durch verwirklichte und gesetzlich bereits geltende Einsparmaßnahmen im Beamtenbereich im Zeitraum von 1991 bis Ende 2008 alle öffentlichen Haushalte um insgesamt rund 32 Milliarden DM entlastet werden. Auch diese Zahlen machen deutlich, daß eine Neiddiskussion gegenüber dem öffentlichen Dienst unangemessen ist. Wir sind der festen Überzeugung, daß die von Bundesinnenminister Kanther im sogenannten Eckpunktepapier vorgelegten Vorschläge die richtigen Grundlagen bilden, um das Versorgungssystem auch in den nächsten Jahrzehnten stabil, finanzierbar, gerecht und leistungsfähig zu gestalten. ({1}) Zum Bereich der Kapitel im Einzelplan 06, die sich auf das Bundesamt für Zivilschutz und die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk beziehen, möchte ich nur folgende kurze Anmerkungen machen. Ich denke, dem BMI ist zu danken für seine besonderen und erfolgreichen Bemühungen um einen sozialverträglichen Abbau des Personals beim Bundesverband für den Selbstschutz. Es ist sehr erfreulich, daß es uns allen gemeinsam gelungen ist, den Personalstand im Bereich des Technischen Hilfswerks zu stabilisieren, ({2}) die Grundlagen für Erste-Hilfe-Kurse und die Schwesternkurse haushaltsmäßig abzusichern und für die THW-Jugend einen konstruktiven, praxisorientierten Ausbildungsbeitrag zu leisten. Bei dieser Gelegenheit möchte ich allen Mitarbeitern und insbesondere allen ehrenamtlichen Helfern des THW - ich denke, im Namen aller - Dank und Anerkennung für ihren Einsatz und für ihre vorbildliche Arbeit sagen. Vielen Dank. ({3})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Kollege Körper, SPD.

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema „Versorgung und Versorgungshaushalt" war Gegenstand der Rede meines Vorredners. In Zukunft wird uns auch das Thema Versorgungsreformgesetz beschäftigen; der Bundesrat befaßt sich derzeit damit. Dieses Gesetz nimmt Bezug auf den von der Bundesregierung vorgelegten Versorgungsbericht. Darin wird beispielsweise - ich kann nicht alle Vorschläge auflisten - der Vorschlag gemacht, eine sogenannte Versorgungsrücklage in Höhe von 0,2 Prozent des Zuwachses vom Bruttogehalt zu bilden. Ich sage hier ganz offen: Dies ist mit Sicherheit ein nicht unumstrittener, aber vielleicht gangbarer Weg, um bestimmte Probleme im Versorgungsbereich zu lösen. Ich stelle immer wieder fest, daß heutzutage viele der Politik den Vorwurf machen, daß im Bereich der Beamtenpensionen nicht genügend Vorsorge getroffen worden ist und wir deswegen entsprechende Probleme haben. Wir sind der Auffassung, daß man sich davor hüten muß, daß einem zukünftig der Vorwurf gemacht werden kann, nichts getan zu haben. Darum muß man sich mit solchen Fragen auseinandersetzen und Vorschläge unterbreiten. ({0}) Was die Versorgungsrücklage anbelangt, muß, wenn man ein solches Instrument einführt, garantiert werden, daß es nicht dem willkürlichen Zugriff unterliegt. ({1}) Das gilt sowohl für die Bundesregierung als auch für Landesregierungen. Da mache ich, Herr Kollege Stadler, überhaupt keinen Unterschied. Wir müssen auch darauf achten, daß eine solche Rücklage nicht zur Manövriermasse zum Stopfen von Haushaltslöchern wird. ({2}) Was mir ebenfalls wichtig ist hier zu betonen, ist, daß der Eigentumsschutz für diejenigen gewahrt werden muß, die in einen solchen Fonds eingezahlt haben. Unserer Vorstellung käme es sehr nahe, wenn wir Selbstkontrolle und Selbstverwaltung gesetzlich regelten. Ich meine, das würde ganz wesentlich ein Stück Vertrauen schaffen, was wir bei einer solchen Maßnahme brauchen. ({3}) Meine Damen und Herren, damit einhergehend fordern wir eine zeitgleiche Übernahme der jeweiligen Tarifergebnisse im Beamtenbereich. ({4}) Was haben wir denn in der Vergangenheit erlebt? Da gab es eine Verzögerung bei der Beamtenbesoldung mit dem Hinweis, das sei ein Beitrag der Beamtinnen und Beamten für ihre Versorgung. Ich sage: Das war im Grunde genommen kein gerechtes, vor allen Dingen kein transparentes Verfahren, weil dies im darauffolgenden Jahr vergessen war und letztendlich die öffentliche Diskussion wieder von vorn begann. ({5}) Die Versorgungsproblematik steht in einem sehr engen Zusammenhang mit der Rente. Wir fordern ein ganzes Stück weit die Harmonisierung von Versorgungs- und Rentenversicherungssystemen; denn der vorliegende Versorgungsbericht zeigt eindeutig, daß die Probleme bei der Versorgung insbesondere dann auftreten, wenn sie in den Rentenversicherungssystemen vorhanden sind. Es gibt ein Schlüsseljahr; das ist das Jahr 2015. Für dieses Jahr und die darauffolgenden Jahre wollen wir ein Stück weit Vorsorge betreiben. ({6}) - „Ein Stück weit" bedeutet beispielsweise das Untertunnelungsmodell mit der Versorgungsrücklage, das nach Berechnungen des Bundesinnenministeriums 66 Milliarden DM bringen soll. Man kann darüber reden, inwieweit es ein Stück weit etwas bringt oder vollständig. Es geht um den Weg. Hier sollte man in der Sache weiter diskutieren. Mir geht es im wesentlichen darum, hier kein Schwarzer-Peter-Spiel zu betreiben. Wir stellen nämlich fest, daß Beamtinnen und Beamte insbesondere in den Jahren von 1963 bis 1974 vermehrt eingestellt worden sind: bei den Ländern um 44 Prozent, bei den kommunalen Gebietskörperschaften um 33 Prozent und beim Bund um 22 Prozent. Aber das war übrigens keine Frage von rot- oder schwarz-geführter Landesregierung, sondern das hing von den Aufgaben ab. Wir wollten beispielsweise, daß für unsere Kinder mehr Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung standen. Das war im Grunde genommen auch kein Streit. Jetzt darf man in dieser Situation die betroffenen Beamtinnen und Beamten nicht dafür verantwortlich machen, daß die Einstellungspraxis in den Jahrzehnten zuvor so gewesen ist, wie sie war. ({7}) Der öffentliche Dienst wird in dieser Frage insgesamt auf dem Prüfstand stehen. Es gibt eine sehr gute Fähigkeit zur Modernisierung von Verwaltungen. In dieser Experimentierfreude zeichnen sich Länder und Gemeinden allerdings ein bißchen mehr aus als der Bund. Aber das liegt vielleicht auch an dieser Bundesregierung, die eben nicht so reformfreudig ist. Meine Zeit ist um; ich bedaure das außerordentlich. Ich hoffe, Sie nicht gelangweilt zu haben. Schönen Dank. ({8})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister Kanther.

Manfred Kanther (Minister:in)

Politiker ID: 11002694

Herr Präsident! Meine verehrten Damen! Meine Herren! Am Anfang soll mein Dank an die Berichterstatter sowie an den Haushalts- und den Innenausschuß gehen, die dem Innenminister das Leben zwar nicht immer leichtmachen, aber die Begegnung so sachlich gestalten, daß man anschließend mit dem Ergebnis leben kann. Sie werden mir gestatten, daß mein besonderer Dank Herrn Kollegen Uelhoff gilt, der diesen Haushalt seit Jahren kritisch, aber mit der inneren Zuneigung zum Thema und zu den Problemen, die dieses weitgesteckte Ressort nun einmal beheimatet, begleitet, ganz besonders hinsichtlich des kulturellen Teils. Ich möchte mich sehr herzlich bei Ihnen bedanken. ({0}) Ich vermute, daß Sie alle es ertragen werden, wenn ich mit Blick auf die fortgeschrittene Zeit den Herrn Präsidenten bitte, einen Rundblick über den Stand der Innenpolitik im übrigen zu Protokoll zu nehmen. * ) ({1})

Hans Ulrich Klose (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001136

Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist. Dann schließe ich die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zu sechs Änderungsanträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Einzelplan 06. *) Anlage 3 Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Änderungsantrag auf Drucksache 13/9158. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9159. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9160. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9161. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und der PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9162. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen - Der Änderungsantrag ist abgelehnt, Mehrheitsverhältnisse wie vorher. Änderungsantrag auf Drucksache 13/9163. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS abgelehnt. Abstimmung über den Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/9187. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/9188. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Änderungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache 13/9215. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Abstimmung über den Einzelplan 06 - Bundesministerium des Innern - in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 06 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen. Abstimmung über den Einzelplan 33 - Versorgung - in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 33 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von Bündnis 90/ Die Grünen und PDS angenommen. Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 27. November 1997, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.